125 41 60MB
German Pages 1021 [1004] Year 2023
David G. Myers · C. Nathan DeWall
Psychologie 4. Auflage
Psychologie
David G. Myers • C. Nathan DeWall
Psychologie 4., vollständig überarbeitete Auflage Mit einem Beitrag von Beate Schuster
David G. Myers Hope College Holland, MI, USA
C. Nathan DeWall University of Kentucky Lexington, KY, USA
Psychology 12e First published in the United States by Worth Publishers Copyright © 2018, 2015, 2013, 2010 by Worth Publishers All rights reserved. Zuerst erschienen in den Vereinigten Staaten von Amerika bei Worth Publishers Copyright © 2018, 2015, 2013, 2010 by Worth Publishers Alle Rechte vorbehalten. Übersetzt von Barbara Rösner-Brockmann, Markus Russin, Can Akin, Dr. Christiane Grosser (4. Auflage) Laura Dörrenbächer, Katharina Eilers, Stephanie Eilers, Theresa Fehn, Tatjana Gackstatter, Katharina Haß, Markus Hefner, Jasmin Kathariya, Luise Keßler, Lisa Laeber, Nadja Ott, Sophia Pfister, Simone Pflüger, Markus Russin, Sandy Sattler, Nadine Schabinger, Prof. Dr. Margrit Schreier, Melanie Schulze, Kira Sturm, Tatjana Surdin, Lena Wilms (3. Auflage) Dr. Matthias Reiss (2. Auflage) ÜTT - Übersetzerteam Tübingen, Sabine Mehl, Katrin Beckmann, Birgit Pfizer (1. Auflage) Deutsche Bearbeitung Dr. Christiane Grosser, Sandra Fuchs (4. Auflage) Dr. Christiane Grosser, Dr. Stephanie Uhlhorn (3. Auflage) Dr. Svenja Wahl, Dr. Matthias Reiss (2. Auflage) Dr. Christiane Grosser, Dr. Svenja Wahl (1. Auflage)
Zusätzliches Material zu diesem Buch finden Sie auf http://www.lehrbuch-psychologie.springer.com ISBN 978-3-662-66764-4 ISBN 978-3-662-66765-1 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. © Der/die Herausgeber bzw. der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2004, 2008, 2014, 2023 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informationen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Einbandabbildung: © Pol Solé / Stock.adobe.com Planung/Lektorat: Joachim Coch, Judith Danziger Springer ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer-Verlag GmbH, DE und ist ein Teil von Springer Nature. Die Anschrift der Gesellschaft ist: Heidelberger Platz 3, 14197 Berlin, Germany
V
Für Christine Brune: In Dankbarkeit für ihre drei Jahrzehnte als meine überragende Verlegerin und meine Freundin DM Für Erica (DeWall) Corner: liebevolle Schwester, fürsorgliche Mutter, begabte Lehrerin und Fotografin ND
VII
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich Die Psychologie ist faszinierend und für unser alltägliches Leben von großer Bedeutung, da die Erkenntnisse, die sie vermittelt, unser Leben in sehr vielen Situationen verbessern können. So können sie es uns als Studierende beispielsweise erlauben, in unseren Universitätskursen erfolgreicher zu sein. In unseren Freundeskreisen und romantischen Beziehungen können wir mit Hilfe psychologischer Befunde besser mit unseren Mitmenschen auskommen. Und die Psychologie kann uns auch als Arbeitskräfte effektiver und als Eltern weiser machen. Mit dieser neuen Auflage hoffen wir, Studierende für das Wissen der Psychologie über unsere menschliche Natur zu begeistern und ihnen dabei zu helfen, mehr wie Psychologinnen und Psychologen zu denken und die Wunder ihres eigenen Lebens zu schätzen. Die Psychologie als Wissenschaft hat das Potential, Studierende klüger und großherziger zu machen, indem sie ihre Intuition mit kritischem Denken ergänzt, ihre Werturteile durch Mitgefühl zügelt und ihre Illusionen durch Verständnis ersetzt. Genauso unterschiedlich wie die Lehrkräfte, die Einführungskurse in die Psychologie unterrichten, sind auch die Materialien, die in diesen Einführungskursen zum Einsatz kommen können. Sie unterscheiden sich in ihrer Qualität, Effektivität und Anwendungsfreundlichkeit. Mit der Unterstützung von Worth Publishers haben wir von Hunderten von Dozierenden wie Ihnen gehört, die uns von ihren Bedürfnissen und Bedenken sowie den Herausforderungen, denen ihre Studierenden gegenüberstehen, berichtet haben. Im Folgenden finden Sie zehn häufig genannte Probleme und wie wir versucht haben, sie mit dem Text und den Materialien in dieser 12. Auflage unseres Lehrbuches Psychologie zu lösen. (Bitte beachten Sie: Die Begleitwebsite der deutschen Ausgabe unter www.lehrbuch-psychologie.springer.com enthält z. T. andere Inhalte als die der amerikanischen Originalausgabe. Welche – das sehen Sie auf diesen Titelseiten im Abschnitt „Wie lerne ich mit dem Myers“.)
„Ich möchte, dass meine Studierenden besser vorbereitet zum Unterricht kommen.“ zz Unsere Materialien wurden so entworfen, dass sie Studierenden beim Lernen helfen und sie dazu bringen, ihr Lernen wichtig zu nehmen
Wir und unser Team arbeiten hart daran, ein qualitativ hochwertiges Informationsmaterial bereitzustellen. Um die Studierenden zu ermutigen, das ihnen aufgegebene Material auch wirklich zu lesen, versuchen wir, psychologische Befunde mit klaren Worten, lebendigen Erzählungen und gelegentlichem Humor zu vermitteln. Nachdem ich [DM] im Laufe der Jahre Anregungen von Hunderten von Lehrkräften und ihren Studierenden erhalten habe (und das häufig unaufgefordert), habe ich viel darüber gelernt, wie man Studierende effektiv ansprechen kann. Mein Mitautor Nathan DeWall (ein preisgekrönter Dozent an der University of Kentucky) und ich tauschen uns oft darüber aus, wie wir Studierende am besten erreichen können, damit sie unsere Faszination teilen und letztlich in ihrem Studium (und ihrem Leben) Erfolg haben. Unser Lektoratsteam unterstützt unsere Arbeit, indem es uns auf jedem Schritt der Erstellung von Manuskript und Online-Ressourcen begleitet. Den Materialien für Lehrkräfte und zur Beurteilung wird dieselbe Sorgfalt und Aufmerksamkeit geschenkt. Die Kapiteltexte für diese neue Auflage haben jeweils sechs oder sieben Entwürfe durchlaufen und auch alle anderen Ressourcen wurden mehrmals überarbeitet. Dieser kreative Prozess ist intensiv und erfordert unsere tägliche Aufmerksamkeit. Vom Aufstehen bis zum Schlafengehen sammeln, bewerten und erstellen wir neue Informationen, die Studierende intellektuell und emotional ansprechen. Es kann einen
VIII
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
ganz schön einschüchtern, die oft mehr als tausend Anmerkungen und Kommentare zu jedem Kapitel durchzugehen. Aber wir glauben, dass es sich am Ende lohnt, um den Studierenden die bestmögliche Erfolgschance in diesem lebensrelevanten Kurs zu geben. Mit der Unterstützung von Worth Publishers investiert unser Autoren- und Redaktionsteam eine außerordentliche Energie und Zeit, um ein Buch herzustellen, von dem Studierende im höchsten Maße profitieren und das sie Spaß am Lernen haben lässt. zz Studierende lieben dieses Buch
Studierende scheinen diese Bemühungen zu schätzen. Sie lesen das Buch! Wir erhalten ständig wunderbare, ermutigende und manchmal auch lustige Briefe von dankbaren Leser:innen.
» „Herr Myers, ich habe Ihr Psychologielehrbuch gelesen … Die Art und Weise, wie Sie schreiben und erklären, gibt mir das Gefühl, dass wir Kumpel sind.“ Von einem anonymen Studierenden
» „Ihr Text ist mehr als nur das; Ihre Sprachbeherrschung, die … witzigen Anmerkungen und
Wortspiele, die häufige Einbeziehung konkreter psychologischer Experimente zum … Thema. Ich habe beim Lesen oft genickt, weil ich das Gefühl hatte, dass die Informationen, die ich aufnahm, mit Anwendungen aus dem wirklichen Leben untermauert waren.“ Von Sabrina Halavi, Santa Monica College
Studierende lieben auch die Online-Lernressourcen. Wir hören immer wieder, wie sie vom LearningCurve-System profitieren und es nutzen, um neue Konzepte zu erkunden und ihr Wissen zu testen.
„Ich brauche besonders zuverlässige, aktuelle und herausragende Materialien, weil ich einen Einführungskurs unterrichte.“ In Einführungskursen sind qualitativ hochwertige, zusammenhängende und miteinander verbundene Materialien – Text, Bewertung, Wiederholung – für den Erfolg der Studierenden unerlässlich. zz Die 12. Auflage von Psychologie enthält mehr als 1100 neue Literaturstellen aus der Forschung
Nathan und ich beginnen unsere Arbeit an den Texten und Online-Materialien damit, dass wir uns über neue psychologische Forschungsergebnisse auf dem Laufenden halten. Wir schauen uns dutzende wissenschaftliche Zeitschriften und neue wissenschaftliche Quellen genau an. Worth Publishers gibt zahlreiche Reviews in Auftrag und wir erhalten unzählige E-Mails von Lehrkräften und Studierenden. Auf diese Weise ist es uns gelungen, die wichtigsten, zum Nachdenken anregenden und für Studierende interessanten neuen Entdeckungen des Fachs in dieses Buch einzubauen. Ein Teil der Freude an dieser Arbeit entsteht daraus, jeden Tag etwas Neues zu lernen! Jede neue Auflage ist ein Abenteuer auf der sich ständig verändernden Reise der psychologischen Wissenschaft. Jedes Thema wird von uns genau unter die Lupe genommen und sorgfältig aktualisiert. Dieses Mal hat es uns besonders viel Spaß gemacht, die zahlreichen neuen Entwicklungen in den Neurowissenschaften und in der Verhaltensgenetik zu verfolgen. Das Ergebnis sind mehr als 1100 neue Literaturstellen für diese Auflage. Auf MacmillanLearning.com finden Sie eine ausführliche, kapitelweise Auflistung der wichtigsten inhaltlichen Änderungen.
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
IX
zz Acht leitende Prinzipien haben die Erstellung dieses Buches auf jedem Schritt geprägt
Nathan und ich halten uns an acht Leitprinzipien, die allen meinen Beiträgen seit der ersten Auflage zugrunde lagen. kDas k Lernen einfacher machen
1. Kritisches Denken lehren. Wir präsentieren Forschungsprozesse gern als intellektuelle Detektivarbeit und möchten damit den fragenden und analysierenden Forschergeist beispielhaft darstellen. Studierende mögen ihren Schwerpunkt auf Entwicklungsoder Kognitionspsychologie oder das Sozialverhalten legen – in jedem Fall werden sie mit kritischem Argumentieren vertraut gemacht. Sie werden auch entdecken, wie man mit Hilfe empirischer Forschung einander widersprechende Ideen oder Behauptungen mit hoher Publikumswirkung – von außersinnlichen Wahrnehmungen und alternativen Therapien bis hin zu Gruppenunterschieden in Intelligenz sowie verdrängten und wiedergewonnenen Erinnerungen – bewerten kann. Unsere neuen Infografiken „Kritisch nachdenken über …“, die in allen Kapiteln hinzugefügt wurden, unterstützen die Studierenden bei diesem Lernprozess. 2. Prinzip und Anwendung gemeinsam darstellen. Über alle Kapitel hinweg setzen wir die Ergebnisse der Grundlagenforschung mit ihren Anwendungen und Auswirkungen in Beziehung. Wissen ist Macht, wenn wir es dazu nutzen, einen positiven Wandel in der Welt herbeizuführen. Wo auch immer die Psychologie Licht auf dringende menschliche Probleme werfen kann, haben wir genau das getan – etwa bei der Überwindung von Vorurteilen, dem Streben nach Glück oder der Konfliktlösung und Friedensschaffung. Unsere Online-Aktivitäten „Assess Your Strengths“ laden die Studierenden dazu ein, wichtige Konzepte auf ihr eigenes Leben zu übertragen und zu lernen, wie sie ihre persönlichen Stärken weiterentwickeln können. Als Autor eines frühen Buches, das sich der wissenschaftlichen Erforschung des Glücks widmete, The Pursuit of Happiness (Myers, 1993), liegen mir [DM] das Verständnis und die Bildung menschlicher Stärken besonders am Herzen. Deswegen verweisen wir im gesamten Text auf die positive Psychologie. 3. Lernschritte fördern. Beispiele aus dem Alltag und rhetorische Fragen sollen den Studierenden helfen, das Lernmaterial aktiv zu verarbeiten. Bereits eingeführte Konzepte werden häufig in späteren Kapiteln angewandt und bestärkt. In 7 Kap. 2 lernen die Studierenden beispielsweise, dass ein Großteil unserer Informationsverarbeitung außerhalb des Bewusstseins abläuft, ein Konzept, das in den darauffolgenden Kapiteln weiter ausgeführt wird. In die Kapitel eingestreute Fragen („Prüfen Sie ihr Wissen“) und die verschiedenen Online-Ressourcen helfen den Studierenden, wichtige Begriffe und Fachausdrücke nicht nur zu lernen, sondern auch zu behalten. kPsychologie k als Wissenschaft darstellen
4. Den Forschungsprozess beispielhaft darstellen. Es ist uns ein besonderes Anliegen, den Studierenden nicht nur Forschungsergebnisse vorzustellen, sondern sie gewissermaßen am Forschungsprozess teilhaben zu lassen. Viele Stellen des Buches wollen die Neugier der Lesenden wecken. Sie werden eingeladen, sich als Versuchspersonen in klassischen Experimenten zu sehen. In einigen Kapiteln finden sich Erzählungen über Untersuchungen, die anfänglich mysteriös wirken, dann aber allmählich ihr Geheimnis preisgeben, in dem Maße, wie jedes Mosaiksteinchen seinen richtigen Platz findet. Unsere Online-Aktivitäten „Immersive Learning: How Would You Know?“ regen die Studierenden dazu an, über Forschungsfragen nachzudenken, sowie auch darüber, wie die Psychologie als Wissenschaft versucht, diese Fragen zu beantworten. 5. So aktuell wie möglich sein. Kaum etwas dämpft das Interesse von Studierenden so sehr wie das Gefühl, überholtes Wissen serviert zu bekommen. Deshalb stellen wir neben den traditionellen Studien und Konzepten auch die wichtigsten neuen Entwicklungen des Fachs dar. 1029 Literaturangaben in dieser Auflage stammen aus den Jahren 2014 bis 2017. Außerdem beziehen sich die Fotos und Alltagsbeispiele auf aktuelle Geschehnisse der letzten Jahre.
X
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
6. Fakten in Konzepte einordnen. Es ist nicht unsere Absicht, die intellektuellen Schubladen der Studierenden mit Fakten anzufüllen; stattdessen möchten wir die großen Konzepte der Psychologie aufzeigen und die Studierenden lehren, psychologisch zu denken. Gleichzeitig möchten wir ihnen die Vorstellungen der Psychologie nahebringen, bei denen sich das Nachdenken lohnt. Beim Schreiben behielten wir stets eine einfache Frage im Kopf: Was sollte ein gebildeter Mensch wissen? Die Lernfragen am Beginn jedes Kapitels sowie die eingestreuten „Prüfen Sie Ihr Wissen“-Fragen helfen den Studierenden, die zentralen Ideen zu lernen und sie sich zu merken. Online- Übungen zu Konzepten der Psychologie sollen Studierenden ebenfalls dabei helfen, diese wichtigen Punkte zu behalten. kGroße k Ideen und erweiterte Horizonte fördern
7. Verständnis durch wiederholtes Aufgreifen übergeordneter Themen fördern. Viele Kapitel behandeln eine spezielle Fragestellung oder einen Gedanken, der sich durch das ganze Kapitel zieht und es zusammenhält. Das Kapitel „Lernen“ vermittelt den Gedanken, dass kühne Denker:innen zu intellektuellen Vordenker:innen werden können. „Denken und Sprache“ behandelt die menschliche Rationalität und Irrationalität. In „Klinische Psychologie: Psychische Störungen“ sollen Empathie und Verständnis für die Lebensläufe der Betroffenen vermittelt werden. Andere Gedanken und Themen ziehen sich wie ein roter Faden durch das gesamte Buch, wie etwa die kognitive Neurowissenschaft, duale Verarbeitung, kulturelle Vielfalt und die Vielfalt der Geschlechterrollen. Obwohl Nathan und ich in getrennten Körpern schreiben, schreiben wir mit einer gemeinsamen Stimme. (Wir haben auch einen ähnlichen Sinn für Humor.) Unsere Zielstrebigkeit und unsere wechselseitigen Kommentare sind den Studierenden eine vertraute Begleitung, die sie sicher durch die ineinandergreifenden Ströme der Psychologie führen kann. 8. Respekt vor den Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Menschen vermitteln. Im gesamten Buch werden die Studierenden auf Textstellen stoßen, die von der Menschheit als Familie sprechen: Es geht um das uns allen gemeinsame biologische Erbe, die Mechanismen des Sehens und des Lernens, die Motivation des Hungers, die Art, wie Menschen empfinden, und nicht zuletzt die Gefühle von Liebe und Hass. Dadurch entsteht auch ein besseres Verständnis für die Dimension unserer Verschiedenheit, für unsere individuellen Unterschiede in Entwicklung und Fähigkeiten, Temperament und Persönlichkeit, Gesundheit und Krankheit. Es geht außerdem um unsere kulturspezifischen Unterschiede, die sich in Einstellungen und Ausdrucksweise, bei der Kindererziehung und der Fürsorge für die ältere Generation zeigen, vor allem aber auch in den Prioritäten, die wir in unserem Leben setzen.
„Aktives Lernen ist wichtig: Ich brauche Materialien, die mir helfen, die Studierenden zu motivieren.“ zz Unsere Materialien sprechen Studierende mit aktivem Lernen an
Wir haben festgestellt, dass Studierende, die in einen aktiven Lernprozess eingebunden werden, in der Regel erfolgreicher sind. Sie bekommen in ihren Kursen bessere Noten und schließen ihr Studium mit größerer Wahrscheinlichkeit ab. Es hat mir [ND] sehr viel Spaß gemacht, mit diesem Buch und seinen Materialien einen Einführungskurs in die Psychologie zu unterrichten. Die Online-Materialien machen es einfach, die Studierenden vom ersten Tag des Kurses an effektiv einzubinden, wenn ich ihnen über LaunchPad eine Aufgabe stelle. Da sie von Anfang an und über den gesamten Kurs hinweg involviert und aktiv lernen, sind die meisten Studierenden schnell von der Psychologie begeistert und bleiben in meinem Kurs. Dieses Buch und die dazugehörigen Ressourcen helfen mir nicht nur dabei, das Interesse der Studierenden an der Psychologie zu wecken, sondern auch, sie dazu zu bringen, mit dem Fach weiterzumachen. LaunchPad (LaunchPadWorks.com) erleichtert das aktive Lernen, indem es auf zentrale Schwierigkeiten eingeht. Zusammen mit dem sorgfältig erstellten Text bieten
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
XI
diese Online-Materialien den Studierenden alles, was sie für die Vorbereitung auf den Unterricht und die Prüfungen benötigen, während diese Kombination Ihnen als Lehrkraft alles gibt, was Sie benötigen, um schnell einen Kurs vorzubereiten, die Inhalte an Ihren Lehrplan anzupassen, Präsentationen und Vorlesungen zu gestalten, Hausaufgaben aufzugeben und zu bewerten sowie den Fortschritt der einzelnen Studierenden und des gesamten Kurses zu lenken. Studierende können unser neues E-Book jetzt überallhin mitnehmen. Es ist vollständig mit Smartphones kompatibel und entspricht Standards für Barrierefreiheit. Das spielerische Quiz von LearningCurve motiviert Studierende und passt sich je nach Leistung an ihre Bedürfnisse an. Es ist das perfekte Hilfsmittel, um die Studierenden vor dem Unterricht zu aktivieren und nach dem Unterricht zu testen. Zusätzliche Reporting-Werkzeuge und Metriken helfen Ihnen dabei, den Fortschritt einzelner Studierender und ihres gesamten Kurses zu bewerten. iClicker erlaubt aktives Lernen in vereinfachter Form und umfasst jetzt auch die REEF-App (iClicker.com). Die einfachen und flexiblen iClicker-Tools in LaunchPad erlauben es Ihnen, Ihren Studierenden eine Stimme zu geben und aktives Lernen im Kursraum zu ermöglichen. Die Studierenden können iClicker-Fernbedienungen oder die REEF-App auf ihrem Smartphone, Tablet oder Laptop benutzen, um sich auf bedeutsame Weise am Unterricht zu beteiligen. Die neue Concept-Practice-Sammlung bietet 120 dynamische, interaktive MiniTutorien, die die grundlegenden Inhalte des Kurses vermitteln und festigen. Jede kurze Aktivität behandelt (in nur fünf Minuten) ein oder zwei Konzepte in einem einheitlichen Format: Wiederholung, Übung, Quiz und Fazit. Die PsychSim 6-Tutorien, die preisgekrönten interaktiven Psychologie-Simulationen von Thomas Ludwig (Hope College), wurden für das mobile Internet entwickelt. PsychSim erlaubt es Studierenden, in die Welt der psychologischen Forschung einzutauchen, und versetzt sie in die Rolle von Forschungsteams oder Versuchspersonen bei Aufgaben, die wichtige Konzepte, Prozesse und experimentelle Ansätze hervorheben. In den überarbeiteten „Assess Your Strengths“-Aktivitäten wenden die Studierenden das, was sie im Text lernen, auf ihr eigenes Leben und ihre Erfahrungen an, indem sie sich mit den wichtigsten „Stärken“ beschäftigen. Jede Aktivität beginnt mit einer personalisierten Videoeinführung von uns [DM und ND], in der wir erklären, wie genau die jeweilige Stärke mit dem Kapitelinhalt zusammenhängt. Anschließend schätzen sich die Studierenden selbst in Bezug auf die Stärke ein (kritisches Denken, Schlafqualität, Selbstkontrolle, Beziehungsstärke, Zugehörigkeit, Hoffnung und mehr). Dazu werden Skalen verwendet, die in der psychologischen Forschung entwickelt wurden. Die Studierenden erhalten ihre persönlichen Ergebnisse zusammen mit Tipps, wie sie die jeweilige Stärke in ihrem eigenen Leben fördern können. Zuletzt machen sie ein Quiz, um ihr Wissen zu festigen. Eine LMS-Integration in das System Ihrer Institution ist ohne Weiteres möglich. Erkundigen Sie sich bei Ihrem örtlichen Vertriebspersonal nach Einzelheiten. Das Video-Assignment-Tool erleichtert die Zuweisung und Bewertung videobasierter Aufgaben und Projekte und bietet den Studierenden eine bequeme Möglichkeit, Kursarbeiten per Video einzureichen. Das Gradebook vermittelt einen klaren Überblick über die Leistungen für den gesamten Kurs, einzelne Studierende oder bestimmte Aufgaben. Eine optimierte Benutzeroberfläche hilft den Studierenden bei der Verwaltung ihrer Aufgaben, während sie mit Hilfe der Kommentarfunktion mit ihren Kommilitoninnen und Kommilitonen in Kontakt treten und voneinander lernen können. Hilfe ist rund um die Uhr nur einen einzigen Klick entfernt und über einen Link in der oberen rechten Ecke erreichbar. Wir [DM und ND] haben optionale, vorgefertigte Kapiteleinheiten erstellt, die unverändert verwendet oder angepasst werden können. Sie können sich auch dafür entscheiden, diese nicht zu verwenden und Ihren Kurs von Grund auf neu aufbauen.
-
-
XII
-
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
Die Materialien für Lehrkräfte umfassen PowerPoint-Folien, Lehrbuchgrafiken, Vorschläge für Vorlesungen und Kursaktivitäten (darunter viele, bei denen Studierende zu zweit ihre Gedanken und Meinungen austauschen können), Vorlesungsleitfäden (die wichtige Textdiskussionen zusammenfassen und die Materialien für Lehrkräfte mit den Lernzielen des Textes verknüpfen) sowie Testdatenbanken.
In dieser neuen Auflage werden Sie in den Kapiteltexten immer wieder Hinweise auf besonders relevante und hilfreiche Online-Materialien finden. An zahlreichen Stellen dieses Buches finden die Studierenden außerdem interessante und informative Anmerkungen und Zitate von Forscherinnen und Forschern oder anderen Personen, die sie ermutigen werden, aktiv zu lernen und ihr neues Wissen im Alltag anzuwenden. zz Die Macmillan-Community steht Ihnen ebenfalls offen!
Die Macmillan-Community (Community.Macmillan.com) wurde von Lehrkräften für Lehrkräfte ins Leben gerufen. Sie ist ein perfektes Forum für den Austausch mit anderen Pädagoginnen und Pädagogen – darunter auch zahlreiche MacmillanAutorinnen und ‑Autoren. Beteiligen Sie sich an laufenden Diskussionen über zahlreiche Themen, etwa Kursvorbereitung und Präsentationen, Aufgaben und ihre Bewertung oder das Unterrichten mit Medien, um mit neuen Entwicklungen in Ihrem Fachgebiet Schritt zu halten oder diese gar zu beeinflussen. Die Community bietet exklusiven Zugang zu Unterrichtsmaterialien, Blogs (einschließlich meines [DMs] Blogs TalkPsych), Webinaren und Weiterbildungsangeboten. Wir haben es uns zur Aufgabe gemacht, Lehrkräften und Studierenden qualitativ hochwertige Bildungsressourcen zur Verfügung zu stellen. Ihre Teilnahme an der Macmillan-Community macht Sie zum Teil einer Gruppe enthusiastischer Pädagoginnen und Pädagogen, die unübertroffenen Zugang zu qualitativ hochwertigen Materialien und ein Forum haben, in dem Sie Ihre Kenntnisse über deren Anwendung erweitern können.
„Meine Studierenden brauchen Lernmittel, die tatsächlich wirken und die sie auch benutzen.“ zz Unsere Didaktik orientiert sich an bewährten Verfahren der Lern- und Gedächtnisforschung
Studierende wollen in diesem Kurs gut abschneiden und wir alle wollen ihnen die bestmögliche Gelegenheit dazu bieten. Wie können wir ihren Erfolg am besten fördern? Indem wir die Erkenntnisse der psychologischen Wissenschaft dazu nutzen, Psychologie als Wissenschaft zu lehren. Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass „Leistung … stark mit der Stimulierung sinnvollen Lernens verbunden ist, indem Informationen auf klare Weise präsentiert, sie mit den Studierenden in Beziehung gesetzt und konzeptionell anspruchsvolle Lernaufgaben verwendet werden“ (Schneider & Preckel, 2017). Wir schreiben und überarbeiten unsere Materialien deswegen zunächst unter gegenseitiger Kontrolle und unter der Aufsicht unseres Redaktionsteams. Auf diese Weise stellen wir sicher, dass jeder Satz klar und überzeugend ist und dass die Studierenden die Konzepte der Psychologie problemlos mit ihrem eigenen Leben in Verbindung bringen können. Unser Lernsystem macht sich auch den Testeffekt zunutze, der die Vorteile des aktiven Informationsabrufs durch regelmäßiges Wiederholen mit sofortigem Feedback belegt. Eine 5-minütige animierte Anleitung für effektiveres Lernen finden Sie auf tinyurl.com/HowToRemember. So bietet unser LearningCurve-System, das unter Studierenden sehr beliebt ist, ein adaptives Quizprogramm, das einen personalisierten Lernplan bereitstellt. In jedem Kapitel sind 12 bis 15 Wiederholungsfragen in Kästen mit der Überschrift „Prüfen Sie Ihr Wissen“ in den Text eingestreut. Die Bereitstellung dieser wünschenswerten Schwierigkeiten für die Studierenden während des Lesens verstärkt den Testeffekt und dasselbe gilt auch für die unmittelbare Rückmeldung über Antworten, die den Studierenden zur Überprüfung bereitstehen.
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
XIII
Jeder Hauptabschnitt des Textes beginnt mit einer nummerierten Frage, die ein Lernziel vorgibt und die Studierenden beim Lesen anleitet. In einem Rückblick am Ende jedes Hauptabschnitts werden diese Fragen als weitere Möglichkeit zum eigenständigen Testen wiederholt (die Antworten finden Sie online). Dieser Rückblick listet auch alle Schlüsselbegriffe des Abschnitts noch einmal auf und enthält eine Reihe von „Master the Material“-Fragen in unterschiedlichen Formaten, um ein optimales Behalten zu fördern. Diese Bestandteile bauen auf dem SQ3R-Format auf („Survey-Question-Read-Retrieve-Review“). Die Kapitelübersichten geben den Studierenden zunächst einen Überblick über das, was sie erwartet („survey“). Jeder Hauptabschnitt beginnt mit einer Lernzielfrage („question“), die die Studierenden zum aktiven Lesen anregt („read“). Die regelmäßigen „Prüfen Sie Ihr Wissen“-Kästen und die Rückblicke am Ende jedes Abschnitts (mit einer Wiederholung der Lernzielfragen, einer Liste der Schlüsselbegriffe und den „Master the Material“-Fragen) ermutigen die Studierenden dazu, ihren Lernfortschritt selbst zu überprüfen, indem sie abrufen („retrieve“), was sie bereits wissen, und wiederholen („review“), was sie noch nicht wissen.
„Meine Verwaltung will Resultate sehen: Bessere Lernergebnisse und weniger Studierende, die Kurse abbrechen.“ zz Unsere Online-Materialien können dazu führen, dass Studierende eher mit dem Kurs weitermachen
In einem Einführungskurs in die Psychologie, den ich [ND] vor kurzem unterrichtete, fragte ich meine Studierenden am Ende des Kurses, was ihnen am besten gefallen hatte. Die meisten antworteten: „LaunchPad!“ Ich verwende diese Ressourcen gerne in meinen Kursen, weil sie es mir ermöglichen, meine Studierenden so gut einzubinden. An meiner Hochschule (University of Kentucky) versuchen wir auch, unsere Studierenden dazu zu ermutigen, mit ihren Kursen weiterzumachen. In meinem eigenen recht großen Kurs (mit etwa 350 Studierenden) habe ich festgestellt, dass Studierende eher im Kurs bleiben, wenn ich am ersten Unterrichtstag eine Hausaufgabe auf LaunchPad aufgebe und über das gesamte Semester hinweg auch weiterhin intensiv von LaunchPad Gebrauch mache. Forschungsprojekte haben damit begonnen, Wirksamkeitsstudien mit unseren Online-Materialien durchzuführen, und die ersten Ergebnisse sind vielversprechend. Unser Lernwissenschaftsteam unter der Leitung von Dr. Adam Black (einem preisgekrönten Forscher und Spezialisten für digitale Innovation) arbeitet momentan an mehreren spannenden Projekten. Bleiben Sie dran, wenn Sie mehr erfahren wollen (und lassen Sie uns wissen, wenn Sie als Versuchsperson mitmachen möchten). zz Unsere Materialien helfen dabei, die Lernziele und Lernergebnisse der APA zu erreichen
Die American Psychological Association (APA) verabschiedete 2011 die neuen Prinzipien für eine qualifizierte Ausbildung von Studierenden im Grundstudium Psychologie. Diese breit angelegten Prinzipien und die damit verbundenen Empfehlungen stellen einen Leitfaden für die Ausbildung „psychologisch gebildeter Bürgerinnen und Bürger, die die Grundsätze der psychologischen Wissenschaft am Arbeitsplatz und zu Hause anwenden“, dar (7 http://www.apa.org/education/undergrad/principles.aspx). Die Version 2.0 der Lernziele und Lernergebnisse, die die APA 2013 als Teil der Richtlinien für Studierende im Grundstudium mit Psychologie als Hauptfach verabschiedete, ist spezifischer und wurde entworfen, um den Lernfortschritt von Studierenden einzuschätzen, die einen Abschluss in Psychologie machen (apa.org/ed/precollege/about/ psymajor-guidelines.pdf). Zahlreiche Psychologische Institute wenden diese Ziele und Ergebnisse bei der Erstellung ihrer eigenen Bewertungsmaßstäbe an. Die 12. Auflage des Lehrbuchs Psychologie entspricht den Lernzielen der APA.
XIV
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
„Es ist sehr wichtig, dass ich meine Studierenden zu kritischem Denken anleite und ihre wissenschaftlichen Fähigkeiten ausbaue.“ zz Die Vermittlung kritischen Denkens ist die Grundlage dieser Materialien
Wir schreiben gern auf eine Weise, die Studierende zum Nachdenken anregt und sie motiviert, aktiv mitzudenken. Die Studierenden werden entdecken, wie die Psychologie als Wissenschaft ihnen dabei helfen kann, kontroverse Annahmen und Behauptungen, die sehr viel Aufsehen erregen, besser einzuschätzen. Dazu behandeln wir Themen wie Intuition, subliminale Überzeugung, außersinnliche Wahrnehmung, Unterschiede zwischen der linken und der rechten Hemisphäre des Gehirns, alternative Therapien sowie verdrängte und wiedergewonnene Erinnerungen. Wir helfen Studierenden dabei, die wissenschaftlichen Fähigkeiten zu entwickeln, die sie benötigen, um intuitive Fiktion von empirischen Fakten zu unterscheiden. In der 12. Auflage des Lehrbuchs Psychologie und den dazugehörigen Ressourcen erhalten die Studierenden zahlreiche Möglichkeiten, ihre kritische Denkfähigkeit auszubauen und einzusetzen: In 7 Kap. 2 wenden wir einen kritischen Denkansatz an, um die Studierenden in die Forschungsmethoden der Psychologie einzuführen. Dabei werden die Fehlschlüsse unserer Alltagsintuition und des gesunden Menschenverstands hervorgehoben und damit die Notwendigkeit der Psychologie als Wissenschaft betont. Kritisches Denken wird als Schlüsselbegriff für dieses Kapitel eingeführt. Alle Kapitel haben Infografiken, die zum kritischen Denken anregen sollen. Als wir diese visuellen Hilfsmittel zum kritischen Nachdenken über wichtige psychologische Konzepte (Erziehungsstile, geschlechtsspezifische Vorurteile, Gruppenpolarisierung, Introversion, Lebensstiländerungen und mehr) in Unterrichtssituationen testeten, war die Rückmeldung der Studierenden überaus positiv. Geschichten im Stil von Kriminalromanen sollen die Studierenden verstreut über den gesamten Text dazu verleiten, kritisch über Schlüsselfragen der psychologischen Forschung nachzudenken. In 7 Kap. 10 stellen wir beispielsweise die Geschichte der Entdeckungen darüber, wo und wie Sprache im Gehirn entsteht, als Rätsel dar. Dazu stellen wir den Studierenden die verschiedenen Bestandteile des Rätsels vor und erklären, wie die Forschung das Rätsel Stück für Stück löste. Aufforderungen im Stil von „Wenden Sie das an“ und „Denken Sie darüber nach“ sollen die Studierenden in jedem Kapitel aktiv bei der Sache bleiben lassen. Oft werden die Studierenden dabei eingeladen, sich vorzustellen, dass sie selbst Versuchspersonen in den beschriebenen Experimenten seien. In 7 Kap. 14 übernehmen die Studierenden z. B. die Perspektive der Versuchspersonen in Solomon Aschs Konformitätsexperiment und später die der Versuchspersonen in einem Gehorsamkeitsexperiment von Stanley Milgram. Wir hoffen, die Studierenden lassen sich auch den Spaß nicht entgehen, bei den Aufgaben mitzumachen, die ihnen immer wieder begegnen. In 7 Kap. 7 etwa können sie eine kurze Aktivität zur Sinnesanpassung ausprobieren. Und in 7 Kap. 13 versuchen sie, die richtigen Emotionsausdrücke den Gesichtern zuzuordnen und können die Auswirkung von verschiedenen Gesichtsausdrücken an sich selbst testen. Kritisch prüfende Kommentare zur Psychologie in Boulevardmedien sollen das Interesse anregen und liefern wichtige Beiträge, um kritisch über Alltagsthemen nachzudenken. In 7 Kap. 7 findet sich z. B. eine sorgfältige Prüfung von außersinnlichen Wahrnehmungen und 7 Kap. 9 diskutiert das kontroverse Thema Verdrängung von schmerzvollen Erinnerungen.
-
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
XV
zz Unsere „Woher weiß man das?“-Forschungsaktivitäten bringen den Studierenden wissenschaftliche Kompetenzen bei
Wir [DM und ND] haben diese Online-Aktivitäten entwickelt, um die Studierenden in den wissenschaftlichen Prozess einzubinden und ihnen zu zeigen, wie psychologische Forschung mit einer Frage beginnt und wie wichtige Entscheidungspunkte die Bedeutung und den Wert einer psychologischen Studie verändern können. In einer unterhaltsamen, interaktiven Umgebung lernen die Studierenden wichtige Aspekte des Forschungsdesigns und der Interpretation kennen und entwickeln dabei wissenschaftliche Kompetenzen und kritische Denkfähigkeiten. Es hat mir [ND] Spaß gemacht, die Leitung dieses Projekts zu übernehmen und meine Forschungserfahrung und meine persönliche Begeisterung mit den Studierenden zu teilen. Zu den Themen gehören beispielsweise: „Woher wissen Sie, ob eine Tasse Kaffee Beziehungen aufwärmen kann?“, „Woher wissen Sie, ob Menschen lernen können, Ängste abzubauen?“ und „Woher wissen Sie, ob Schizophrenie vererbt wird?“.
„Die Behandlung der Themen Geschlecht, Geschlechtsidentität und kulturelle Vielfalt ist für meinen Kurs sehr wichtig.“ Im Lehrbuchtext und den weiterführenden Ressourcen werden die Studierenden immer wieder sehen, wie sehr wir uns einander als Menschheitsfamilie ähneln. Sie werden aber auch die Dimensionen unserer Vielfalt besser verstehen lernen – unsere individuelle Vielfalt, unsere Vielfalt in Bezug auf Geschlecht und Geschlechtsidentität sowie unsere kulturelle und ethnische Vielfalt. Über den gesamten Text hinweg kommen wir immer wieder auf alle diese Themenbereiche zu sprechen. Darüber hinaus machen zahlreiche Abbildungen und Beispiele im Text und den anderen Ressourcen die menschliche Vielfalt in Nordamerika und auf der ganzen Welt deutlich.
„Wir müssen die Kosten für die Studierenden niedrig halten und ein Buch verwenden, das eine überschaubare Länge hat.“ Studierende verdienen qualitativ hochwertige Bildungsmaterialien zu erschwinglichen Preisen. Macmillan Learning ist stets darum bemüht, die Produktionskosten für unsere Texte zu senken. Dadurch konnten auch die Kosten für Studierende erheblich reduziert werden – insbesondere für ungebundene und digitale Optionen (MacmillanLearning. com/Katalog/page/affordable-solutions). Es hilft auch, dass wir die 12. Auflage ein wenig gestrafft haben, was zum Teil auf eine effizientere Präsentation zurückgeht. Diese Auflage ist ungefähr 50 Seiten kürzer als die letzte, was denjenigen hilft, die den gesamten Stoff im Verlauf eines Semesters behandeln möchten. In meinem [NDs] letzten Kurs benötigte ich nur den LaunchPadSchlüssel, mit dem die Studierenden Zugang zum E-Book und zu den Online-Ressourcen hatten. Den Studierenden war es auch möglich, eine ungebundene Version des Textes zu kaufen. Und das Ergebnis war, dass die Studierenden nicht nur den Text und die Online-Materialien sehr schätzten, sondern 9 von 10 Studierenden der Meinung waren, dass der Preis angemessen war. Vielleicht sind Sie daran interessiert, gedruckte oder digitale Ressourcen individuell anzupassen, um Kosten für Ihre Studierenden zu senken, Materialien für Ihren Kurs bereitzustellen, die besser zu Ihrem eigenen Lehrplan passen, oder Ihre eigenen oder andere Macmillan-Ressourcen in Ihr Ressourcenpaket aufzunehmen. Erfreulicherweise sind unsere maßgeschneiderten Optionen jetzt auch für die kleinsten Kurse über ein neues „Worth Select“-Programm verfügbar, das Teil von Macmillans breitem Curriculum-Solutions-Programm ist.
XVI
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
„Ich habe viele Krankenpflege- und Medizinstudierende. Ich brauche ein Buch, das den Psychologieteil des neuen MCAT gut abdeckt.“ Seit 2015 beziehen sich 25 % der Fragen des Medical College Admission Test (MCAT) auf „psychologische, soziale und biologische Grundlagen des Verhaltens“. Dabei kommen die meisten dieser Fragen aus der psychologischen Wissenschaft, die in Einführungskursen in die Psychologie behandelt wird. Von 1977 bis 2014 konzentrierte sich der MCAT auf Biologie, Chemie und Physik. In Zukunft, so der Preview Guide for MCAT 2015, wird der Test auch „die Bedeutung soziokultureller und verhaltensbezogener Determinanten von Gesundheit und der Verbesserung des Gesundheitszustands“ anerkennen. Die Themen, die in diesem Lehrbuch besprochen werden, decken die Inhalte des neuen MCAT-Psychologieteils hervorragend ab. Darüber hinaus sind die Fragen in unserer Testdatenbank auf die MCAT-Themen abgestimmt. Für eine bessere Vorbereitung auf den MCAT unterrichte ich [ND] regelmäßig Medizinstudierende in einem Intensivkurs, der die im Lehrbuchtext behandelten Themen vermittelt. Eine vollständige Übersicht darüber, wie die Lehrbuchinhalte mit den Psychologieteilen des MCAT übereinstimmen, finden Sie auf MacmillanLearning.com.
„Ich möchte mehr digitale Ressourcen nutzen, bin aber unsicher, wie ich dabei vorgehen soll, und benötige Unterstützung bei diesem Prozess.“ Mit bis zu 350 Studierenden in meinen [NDs] Kursen hatte auch ich vor ein paar Jahren Bedenken, auf LaunchPad umzusteigen. Im ersten Semester habe ich etwas mehr Zeit damit verbracht, mich mit allen verfügbaren Ressourcen vertraut zu machen. Aber es hat sich gelohnt! Mit LaunchPad konnte ich Zeit sparen und Dinge tun, die ich in Kursen mit so vielen Studierenden für unmöglich gehalten hatte. Beispielsweise biete ich jetzt auf LaunchPad eine benotete Aufgabe am ersten Tag jedes neuen Semesters an, um die Studierenden unmittelbar für den Kurs zu motivieren. Außerdem verwende ich im Laufe des Semesters häufig Quizze, die es meinen Studierenden und mir erlauben, ihren Lernfortschritte mitzuverfolgen. LaunchPad hat dazu beigetragen, dass mein Kurs so erfolgreich geworden ist. Dass ich den Studierenden über diese Materialien so häufig Hausaufgaben aufgebe, zeigt, wie sehr ich diese Ressourcen zu schätzen weiß. Seitdem ich damit angefangen habe, LaunchPad zu benutzen, ist erfreulicherweise auch die Zahl der Studierenden, die mit meinem Kurs weitermachen, angestiegen. Wenn auch Sie einsteigen möchten, besuchen Sie LaunchPadWorks.com. Wenden Sie sich daraufhin an Ihre Macmillan-Learning-Vertretung vor Ort und bitten Sie um einen Termin mit einem unserer Learning Solutions Specialists.
Danksagung
» „Nichts, das wir jemals tun, wie edel es auch sein mag, können wir allein vollbringen.“ Reinhold Niebuhr (1952)
Ein Buch zu schreiben ist eine kollektive Unternehmung. Mit Hilfe der Beiträge von Tausenden von Lehrkräften und Studierenden im Laufe der Jahre ist ein besseres, effektiveres und genaueres Buch entstanden, als zwei Autoren allein (zumindest diese beiden Autoren) jemals schreiben könnten. Wir sind den unzähligen Forscherinnen und Forschern zu Dank verpflichtet, die dazu bereit waren, ihre Zeit und ihr Talent zur Verfügung zu stellen, um uns zu helfen, ihre Ergebnisse korrekt darzustellen, und den Hunderten von Lehrkräften, die sich die Zeit genommen haben, uns Feedback zu
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
XVII
geben. Wir können die Beobachtung von James Fallows, einem langjährigen Autor für The Atlantic, dabei gut nachempfinden: „In diesem Geschäft verbringt man die meiste Zeit damit, mit Leuten zu sprechen, die mehr über ein bestimmtes Thema wissen als man selbst. Und zwar in der Hoffnung, dass man es irgendwann denjenigen erklären kann, die weniger wissen.“ Unsere Dankbarkeit erstreckt sich auch auf zahlreiche Kolleginnen und Kollegen für ihre kritischen Anregungen, Korrekturen und kreativen Ideen zu dieser Neuauflage und den dazugehörigen Ressourcen. Für ihre Sachkenntnis und ihre ermutigenden Worte sowie für die Zeit, die sie bei Lehrveranstaltungen zur Psychologie aufwenden, danken wir insbesondere den folgenden Kolleginnen und Kollegen für ihre Begutachtung und Beratung: Pamela Ansburg, Metropolitan State University of Denver Christopher Balthazar, College of DuPage Holly Beard, Midlands Technical Community College – Beltline Campus Melissa Berry, University of Dayton Joan Bihun, University of Colorado Denver Andrew Blair, Palm Beach State University Scott Bowen, Wayne State University Thomas Brothen, University of Minnesota – Twin Cities Ann Brown, Bergen Community College Christie Cathey, Missouri State University James Clopton, Texas Tech University Gary Creasey, Old Dominion University Jessica Cundiff, Missouri University of Science and Technology Matthew Diggs, Collin College Brenda East, Durham Technical Community College Joseph Eastwood, University of Ontario Institute of Technology Donald Ehlers, Northwest Missouri State University Karla Emeno, University of Ontario Institute of Technology Debra Frame, University of Cincinnati Elizabeth Freeman, University of South Carolina Upstate Deborah Garfin, Georgia State University Eulalio Gonzalez, Lorain County Community College
XVIII
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
Suejung Han, Illinois State University Antonia Henderson, Langara College Michael Hendery, Southern New Hampshire University Jaime Henning, Eastern Kentucky University Nouha Hillo Hallak, East Los Angeles College Paul Hillock, Algonquin College – Woodroffe Campus Zachary Hohman, Texas Tech University Mary Hughes-Stone, San Francisco State University Rebecca Jubis, York University Rachel Kristiansen, Sheridan College Megan Kuhl, Louisiana Tech University Elizabeth Lanthier, Northern Virginia Community College Ashley Linden-Carmichael, Old Dominion University Chelsea Lovejoy, University of Wisconsin – Stout Dana Narter, University of Arizona Jennifer Ounjian, Contra Costa College Justin Peer, University of Michigan – Dearborn Douglas Peterson, University of South Dakota Alison Phillips, Iowa State University Susana Phillips, Kwantlen Polytechnic University Donald Rickgauer, California State University, Sacramento Hugh Riley, Baylor University Ann Rost, Missouri State University Linda Seiford, Normandale Community College Randy Simonson, College of Southern Idaho Lisa Sinclair, University of Winnipeg Erin Skinner, Langara College Carrie Smith, University of Mississippi
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
XIX
O’Ann Steere, College of DuPage Anita Tam, Greenville Technical College Kristin Wagner, Douglas College Jason Warnick, Arkansas Tech University Shawna Lee Washam, Aims Community College Erica Wells, Florida State University Wir bedanken uns für die Beratung durch die folgenden Lehrkräfte für Psychologie, die unsere stark überarbeiteten Online-Aktivitäten „Assess Your Strengths“ überprüft und uns hilfreiches Feedback gegeben haben: Malinde Althaus, Inver Hills Community College TaMetryce Collins, Hillsborough Community College, Brandon Lisa Fosbender, Gulf Coast State College Kelly Henry, Missouri Western State University Brooke Hindman, Greenville Technical College Natalie Kemp, University of Mount Olive David Payne, Wallace Community College Tanya Renner, Kapi’olani Community College Lillian Russell, Alabama State University, Montgomery Amy Williamson, Moraine Valley Community College Zuletzt möchten wir uns bei diesen besonderen Beraterinnen und Beratern bedanken, die uns in intensiven Telefongesprächen ein umsichtiges Feedback gegeben haben: Michael Bar-Johnson, University of Massachusetts, Lowell Pam Carroll, Three Rivers Community College Darci Dance, Linn-Benton Community College Douglas Gentile, Iowa State University Antonia Henderson, Langara College Zachary Hohman, Texas Tech University Dominique Hubbard, Northern Virginia Community College Elizabeth Lanthier, Northern Virginia Community College
XX
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
Hugh Riley, Baylor University MaryAnn Schmitt, Northern Virginia Community College Paul Susen, Three Rivers Community College Shaun Vecera, University of Iowa Bei unserem amerikanischen Verlag, Worth Publishers, haben viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter entscheidend dazu beigetragen, diese 12. Auflage herauszubringen. Executive Program Manager Carlise Stembridge war dank ihres Engagements, ihrer Kreativität und ihres Feingefühls unsere geschätzte Teamleiterin. Carlise beaufsichtigte, ermutigte und leitete unser Autoren- und Redaktionsteam und wirkte darüber hinaus als wichtige Verbindungsperson zu unseren Fachkolleginnen und ‑kollegen. Noel Hohnstine und Laura Burden koordinierten die Erstellung der Medienressourcen auf exzellente Weise. Betty Probert bearbeitete und produzierte effizient die Fragen für die Testdatenbank (in Zusammenarbeit mit Chrysalis Wright von der University of Central Florida), die Ressourcen für Lehrkräfte und die Vorlesungsleitfäden und trug so zur Feinabstimmung des gesamten Buches bei. Katie Pachnos leistete großartige Unterstützung bei der Beauftragung und Organisation der zahlreichen Rezensionen, bei der Koordinierung unserer Entwicklungs- und Produktionszeitpläne und bei der redaktionellen Betreuung. Lee McKevitt leistete hervorragende Arbeit bei der Gestaltung der einzelnen Buchseiten. Robin Fadool und Lisa Passmore arbeiteten zusammen, um die unzähligen Fotos ausfindig zu machen, während Michael McCarty das Genehmigungsverfahren für unsere Ressourcen für Lehrkräfte koordinierte. Art Manager Matt McAdams kümmerte sich um die Aktualisierung der künstlerischen Darstellung in dieser Auflage und arbeitete mit der Künstlerin Evelyn Pence zusammen, um die wundervollen neuen Infografiken zu erstellen. Content Project Manager Won McIntosh und Senior Workflow Supervisor Susan Wein hielten den engen Zeitplan für das Buch meisterhaft ein. Senior Design Manager Vicki Tomaselli leitete fachkundig die Erstellung des wunderschönen neuen Designs. Christine Brune, die Cheflektorin der letzten drei Jahrzehnte, ist ein Wunder an Effektivität. Sie liefert immer genau die richtige Mischung aus Ermutigung und freundlicher Ermahnung, achtet auf Details und hat eine Leidenschaft für ausgezeichnete Arbeit. Da bleiben für uns als Autoren keine Wünsche offen. Die Development Editors Nancy Fleming, Trish Morgan und Danielle Slevens haben uns mit ihrer sorgfältigen Arbeit, ihrem beeindruckenden Wissen, ihren hilfreichen Bearbeitungsvorschlägen und ihrer Geistesverwandtschaft mit uns in Erstaunen versetzt. Und Deborah Heimann leistete hervorragende Lektoratsarbeit. Nachdem sie alle mehrere tausend Stunden erstklassiger Arbeit bei der Leitung und Gestaltung dieses Buches geleistet haben, verstehen wir sehr gut, was Helen Keller meinte, als sie sagte: „Allein können wir so wenig tun. Zusammen können wir so viel tun.“ Damit wir unser Ziel erreichen, Hilfestellung beim Lehren der Psychologie zu leisten, muss dieses Paket nicht nur verfasst, überarbeitet, lektoriert und produziert werden, sondern es muss auch denjenigen, die Psychologie unterrichten, zur Verfügung gestellt werden. Für den außergewöhnlichen Erfolg dabei ist unser Autorenteam den professionellen Vertriebs- und Marketingabteilungen von Worth Publishers zu Dank verpflichtet. Der Executive Marketing Managerin Kate Nurre, Senior Marketing Managerin Lindsay Johnson und den Learning Solutions Specialists Nicki Trombley und Robyn Burnett sind wir besonders dankbar für ihre unermüdlichen Anstrengungen dabei, unsere Kolleginnen und Kollegen über unsere Bemühungen zur Unterstützung ihrer Lehre zu informieren, und für die Freude, mit ihnen zusammenarbeiten zu dürfen. Zum Arbeitsteam für diese Auflage am Hope College gehörte Kathryn Brownson, die zahlreiche Informationen sammelte und Hunderte von Seiten Korrektur las. Kathryn ist eine sensible und kenntnisreiche Beraterin bei vielen Fragen. Und Sara Neevel
Vorwort für Lehrende: Nicht alle Psychologie-Lehrbücher sind gleich
XXI
ist unsere High-Tech-Manuskript-Entwicklerin par excellence. An der University of Kentucky hat Lorie Hailey eine Reihe unverzichtbarer Qualitäten bewiesen, darunter ein scharfes Auge und eine starke Arbeitsmoral. Und wieder muss ich [DM] dankbar den Einfluss und die redaktionelle Unterstützung meines schriftstellerischen Mentors, des Schriftstellers Jack Ridl, anerkennen, dessen Stimme Sie in diesem Buch immer wieder vernehmen werden. Sein Einfluss beruht darauf, dass er mehr als irgendein anderer Mensch meine Freude am tänzerischspielerischen Umgang mit der Sprache gefördert und mich gelehrt hat, Schreiben als ein Handwerk zu betrachten, das in die Kunst hineinreicht. Auf gleiche Weise bin ich [ND] meinem intellektuellen Helden und Mentor Roy Baumeister dankbar, der mir beigebracht hat, wie ich mein Schreiben verfeinern und zuversichtlich das Leben eines Schriftstellers führen kann. Ich bin auch John Tierney zu Dank verpflichtet, der mich unendlich unterstützt hat und ein Vorbild für mich ist, wenn es darum geht, mit einem allgemeinen Publikum zu kommunizieren. Und wir hatten auch sehr viel Spaß daran, als Autorenteam zusammenzuarbeiten! Es war mir [DM] eine große Freude, Nathan in diesem Projekt willkommen zu heißen. Mit jedem neuen Tag, Monat und Jahr bereichern Nathans neue Erkenntnisse und Beiträge dieses Buch, während wir gemeinsam an jedem Kapitel arbeiten. Mit der Unterstützung unseres wunderbaren Redaktionsteams ist dieses Buch eine Gemeinschaftsleistung. Zusätzlich zu unserer gemeinsamen Arbeit an diesem Lehrbuch tragen Nathan und ich zu der monatlichen Kolumne „Teaching Current Directions in Psychological Science“ im APS Observer (tinyurl.com/MyersDeWall) bei. Ich [DM] blogge auch auf TalkPsych.com, wo ich über aufregende neue Befunde, alltägliche Anwendungen und Beobachtungen rund um die Psychologie berichte. Schließlich möchten wir den vielen Studierenden und Lehrkräften unseren Dank aussprechen, die uns geschrieben haben, um Empfehlungen auszusprechen oder auch nur Worte der Ermutigung anzubieten. Eben für sie und für die, die gerade ihr Psychologiestudium beginnen, haben wir unser Bestes gegeben, um sie in das Fach einzuführen, das wir so lieben. Der Tag, an dem dieses Buch in Druck ging, war der Tag, an dem wir angefangen haben, neue Informationen und Ideen für die nächste Auflage zu sammeln. Ihre Anmerkungen werden wieder beeinflussen, wie sich das Buch weiterentwickelt. Teilen Sie uns Ihre Gedanken deswegen bitte mit. David G. Myers Hope College Holland, Michigan 49422-9000 USA davidmyers.org @DavidGMyers C. Nathan DeWall University of Kentucky Lexington, Kentucky 40506-0044 USA nathandewall.com @cndewall
XXIII
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement– Wie man gut studiert und trotzdem noch ein Privatleben hat Richard O. Straub
Zeitpläne stellen für uns alle eine Herausforderung dar. Einige von Ihnen wohnen vielleicht zum ersten Mal außerhalb Ihres Elternhauses und wissen nicht genau, wie Sie Ihre Verpflichtungen an der Universität und im Privatleben unter einen Hut bringen können. Andere besuchen vielleicht eine Abendschule oder belegen einen Onlinekurs zwischen verschiedenen beruflichen Tätigkeiten oder nachdem Sie am Abend Ihre Kinder zu Bett gebracht haben. Wie auch immer Ihre persönliche Situation aussehen mag, der Übergang von Ihrer vorherigen Lebenssituation zu dieser neuen ist mit zahlreichen Herausforderungen verbunden. Wie kann man allen Anforderungen des Lebens gerecht werden und seine Ziele erreichen? – Durch Zeitmanagement! Verwalten Sie die Zeit, die Sie haben, und Sie haben die Zeit, die Sie brauchen. In diesem Abschnitt werde ich ein einfaches vierstufiges Verfahren darstellen, mit dem Sie lernen können, Ihre Zeit effektiver zu nutzen. 1. Führen Sie ein „Zeittagebuch“, um zu erkennen, wie Sie Ihre Zeit nutzen. Sie werden unter Umständen überrascht sein, wie viel Zeit Sie verschwenden. 2. Stellen Sie einen neuen Zeitplan auf, um Ihre Zeit effektiver zu nutzen. 3. Nutzen Sie Ihre Lernzeit bestmöglich, sodass Ihr neuer Zeitplan auch funktioniert. 4. Wenn es notwendig ist, überarbeiten Sie Ihren neuen Zeitplan, auf der Grundlage dessen, was Sie daraus gelernt haben.
Wie nutzen Sie Ihre Zeit bisher? Obwohl für uns alle der Tag 24 Stunden und die Woche 7 Tage hat, nutzt jede:r diese Zeit anders, um Pflichten zu erfüllen und Interessen zu befriedigen. Wie die meisten Menschen nutzen wahrscheinlich auch Sie Ihre Zeit in mancher Hinsicht sinnvoll und in anderer nicht. Die Fragen in der folgenden Übersicht können Ihnen eine Hilfestellung bieten, Problembereiche ausfindig zu machen, und Sie hoffentlich auch dabei unterstützen, mehr Zeit für die Dinge zu finden, die Ihnen wichtig sind. Gewinnen Sie einen Überblick über Ihre Lerngewohnheiten Beantworten Sie die folgenden Fragen, indem sie Ja oder Nein auf die entsprechenden Linien schreiben. 1. Stellen Sie sich in der Regel einen Zeitplan auf, um sich Ihre Zeit zum Lernen, Arbeiten, Entspannen und für andere Aktivitäten einzuteilen? 2. Schieben Sie das Lernen oft so lange auf, bis der Zeitdruck Sie zwingt, den Lernstoff schnell einzupauken? 3. Haben Sie den Eindruck, dass andere Studierende weniger lernen als Sie, aber bessere Noten bekommen? 4. Verwenden Sie in der Regel eher viele Stunden am Stück darauf, für ein Fach zu lernen, anstatt die Lernzeit auf verschiedene Fächer zu verteilen? 5. Haben Sie oft Probleme damit, sich an das zu erinnern, was Sie gerade in einem Text gelesen haben? 6. Überfliegen Sie ein Kapitel in einem Buch und lesen Sie die Abschnittsüberschriften, ehe Sie es richtig lesen?
XXIV
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
7. Versuchen Sie, sich auf der Basis Ihrer Vorlesungsmitschriften und Texte mögliche Prüfungsfragen auszudenken? 8. Versuchen Sie normalerweise etwas, das Sie gerade gelesen haben, in Ihren eigenen Worten zusammenzufassen? 9. Fällt es Ihnen schwer, sich beim Lernen für eine sehr lange Zeit zu konzentrieren? 10. Kommt es Ihnen oft so vor, als hätten Sie den falschen Stoff für eine Prüfung gelernt? Tausende von Studierenden haben ähnliche Fragebogen ausgefüllt. Studierende, die ihr Lernpotenzial voll ausschöpfen, antworten normalerweise wie folgt: (1) ja, (2) nein, (3) nein, (4) nein, (5) nein, (6) ja, (7) ja, (8) ja, (9) nein, (10) nein. Stimmen Ihre Antworten damit überein? Falls nicht, könnten Sie davon profitieren, Ihr Zeitmanagement und Ihre Studiengewohnheiten zu verbessern.
Zunächst müssen Sie wissen, wie Sie Ihre Zeit bisher verbringen. Um dies herauszufinden, tragen Sie Ihre Tätigkeiten eine Woche lang in ein Zeittagebuch ein. Seien Sie realistisch. Notieren Sie, wie viel Zeit Sie jeweils verwenden zum Besuch von Lehrveranstaltungen, zum Lernen, zum Arbeiten, zum Pendeln, zum Befriedigen persönlicher und familiärer Bedürfnisse, zum Zubereiten und Essen von Mahlzeiten, zur Kontaktpflege (denken Sie auch an das Schreiben von SMS, die Zeit, die Sie auf sozialen Medien verbringen, und das Spielen von Computerspielen), zum Trainieren und für alles andere, was Ihre Zeit beansprucht, inklusive jener ganz kleinen, alltäglichen Dinge, die zusammengenommen auch einen beträchtlichen Teil unseres Tages in Anspruch nehmen können. Wenn Sie Ihre Beschäftigungen festhalten, notieren Sie auch, wie Sie sich zu verschiedenen Tageszeiten fühlen. Wann lässt Ihre Kraft etwas nach und wann fühlen Sie sich am tatkräftigsten?
Entwerfen Sie einen besseren Zeitplan Sehen Sie sich Ihr Zeittagebuch genau an. An welchen Stellen kommt es Ihnen vor, als verschwenden Sie Ihre Zeit? Verbringen Sie beispielsweise viel Zeit mit Pendeln? Können Sie – sollte dies der Fall sein – diese Zeit nicht produktiv nutzen? Wenn Sie mit öffentlichen Verkehrsmitteln fahren, haben Sie dabei viel Zeit zum Lesen oder um sich einen Überblick über das zu verschaffen, was Sie bereits gelernt haben. Sie können jederzeit und überall auf Ihr E-Book zugreifen! Haben Sie auch daran gedacht, Zeiten für Mahlzeiten, Körperpflege, Arbeitspläne, familiäre Verpflichtungen und andere regelmäßige Aktivitäten zu notieren? Wie lange schlafen Sie? Im täglichen Stress, all unseren Verpflichtungen und Interessen nachzukommen, neigen wir dazu, unseren Schlaf zu vernachlässigen. Tun Sie Ihr Bestes, Ihre Zeit so zu organisieren, dass Sie genügend erholsamen Schlaf bekommen. Es ist sehr viel schwieriger, Ihre Ziele zu erreichen, wenn Sie nicht ausreichend Energie haben, um sie zu verfolgen. Sie werden sich dann besser und gesünder fühlen. Außerdem werden sich Ihre Leistungen im Studium und ihr Umgang mit Familie und Freunden verbessern (7 Kap. 4). Widmen Sie sich lange genug dem konzentrierten Lernen? Schauen Sie sich noch einmal Ihre Notizen an, um herauszufinden, ob es irgendwelche anderen Auffälligkeiten oder Muster gibt. Danach können Sie beginnen, einen neuen und effektiveren Zeitplan zu erstellen. zz Planen Sie das Semester
Denken Sie voraus, bevor Sie Ihren neuen Zeitplan aufstellen. Sollte Ihr Kurs noch nicht online verfügbar sein (mit einem vollständigen Zeitplan, der die Hausaufgaben,
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
XXV
Aktivitäten, Tests und Prüfungen für das gesamte Semester enthält), machen Sie von der Kalenderfunktion Ihres Smartphones Gebrauch oder kaufen Sie sich einen Taschenkalender. Tragen Sie die Termine für alle Prüfungen und Hausaufgaben ein. Vermerken Sie auch Ihre langfristig geplanten persönlichen Vorhaben (arbeitsbezogene und familiäre Verpflichtungen etc.). Halten Sie Ihren Kalender stets auf dem neuesten Stand, schlagen Sie oft darin nach und verändern Sie die Eintragungen, wenn es notwendig sein sollte. Durch dieses Vorgehen werden Sie einen geregelten Zeitplan entwickeln, der Ihnen helfen wird, Ihre Ziele zu erreichen. zz Planen Sie Ihre Woche
Um Ihre Klausuren zu bestehen, Ihre Abgabefristen einzuhalten und auch Ihr Privatleben außerhalb des Studiums nicht zu vernachlässigen, müssen Sie Ihre langfristigen Ziele auf Zeitpläne für jeden einzelnen Tag überführen. Seien Sie dabei realistisch – Sie werden mit Ihrem aufgestellten Programm über das ganze Semester zurechtkommen müssen. Hier noch einige weitere Dinge, die Sie in Ihren Taschenkalender eintragen können: 1. Notieren Sie Ihre Unterrichts- und Arbeitszeiten und alle anderen feststehenden Verpflichtungen. Seien Sie dabei sehr sorgfältig. Planen Sie ausreichend viel Zeit ein für Dinge wie Pendeln, Essen und Wäschewaschen. 2. Erstellen Sie einen Studienzeitplan für jedes Ihrer Fächer. Beziehen Sie mit ein, was Sie aus Ihren Aufzeichnungen zur Zeitnutzung (in der Übersicht weiter oben) und ihrem Zeittagebuch erfahren haben. 3. Nachdem Sie sich die Zeit für Ihr Studium eingeteilt haben, ergänzen Sie Ihre anderen Tätigkeiten, wie Training und Zeit für Unterhaltung und Entspannung. zz Weitere Hinweise zum effektiven Gestalten eines Zeitplans
-
Es gibt einige andere Dinge, die Sie im Hinterkopf behalten sollten, wenn Sie Ihren Zeitplan erstellen. Lernen mit Unterbrechungen ist effektiver als langes Lernen am Stück. Wenn Sie z. B. 3 Stunden benötigen, um für ein Fach zu lernen, ist es am besten, diese auf kleinere Lernphasen aufzuteilen, die über mehrere Tage verteilt liegen. Wechseln Sie die Fächer ab, aber vermeiden Sie Interferenzen. Verschiedene Fächer abwechselnd an einem Tag zu lernen, wird Sie munter halten und überraschenderweise Ihre Fähigkeit steigern, sich an das zu erinnern, was Sie für jeden der verschiedenen Bereiche gelernt haben. Wenn man hingegen ähnliche Inhalte – wie zwei verschiedene Fremdsprachen – unmittelbar aufeinanderfolgend lernt, kann dies zu Interferenzen führen (7 Kap. 9). Bestimmen Sie den Umfang der Lernzeit, die Sie benötigen, um in allen Fächern eine gute Leistung erbringen zu können. Die Zeit, die Sie benötigen, ist abhängig vom Schwierigkeitsgrad Ihrer Kurse und der Effektivität Ihrer Lernmethoden. Idealerweise sollten Sie für jede Unterrichtsstunde, die Sie besucht haben, 1–2 Stunden zum Lernen aufbringen. Steigern Sie Ihre Lernzeit langsam, indem Sie sich für jede Woche Ziele setzen, die Sie schrittweise zu Ihrem angestrebten Niveau bringen. Schaffen Sie sich einen Zeitplan, der Sinn ergibt. Legen Sie sich Ihren Zeitplan so zurecht, dass Sie die Anforderungen aller Ihrer Kurse erfüllen können. Planen Sie für die Fächer, in denen ein großer Wert auf Mitschriften gelegt wird, tägliches Üben mit Ihren Notizen kurz nach dem Unterricht ein. Wenn Sie für Ihre Beteiligung in den Veranstaltungen bewertet werden – z. B. in einem Sprachkurs – nehmen Sie sich vor Unterrichtsbeginn noch einmal Zeit, um Ihren Lernstoff kurz zu wiederholen. Teilen Sie sich Ihre Lernzeit so ein, dass Sie für Ihr schwierigstes Fach (oder zumindest für das Fach, für das Ihre Motivation am geringsten ist) dann lernen, wenn Sie am muntersten und störende Einflüsse am geringsten sind. Planen Sie ungebundene Arbeitszeit ein. Das Leben kann unvorhersehbar sein. Notfälle und neue Verbindlichkeiten können Ihren Zeitplan durcheinanderwerfen. Oder Sie benötigen einfach zusätzliche Zeit für eine Aufgabe oder die Nachbearbeitung eines Ihrer Fächer. Versuchen Sie, Ihren Zeitplan für jede Woche ein wenig flexibel zu gestalten.
-
XXVI
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
zz Es ist wichtig, in die Offensive zu gehen
Wir können nicht alles kontrollieren. Es ist immer möglich, dass Probleme mit unserem Auto, in unserer Familie oder auf unserer Arbeit aufkommen. Manchmal wirkt es so, als seien wir stets in der „Defensive“ gegen die zahlreichen Anforderungen und Probleme, die sich schnell auftürmen können. Das kann Stress zur Folge haben und unsere Fähigkeit mindern, unsere Ziele zu erreichen. Doch es gibt eine Lösung: Gehen Sie gegenüber Ihrer Umwelt in die „Offensive“. Erstellen Sie einen Zeitplan für jeden Tag, anstatt den Tag einfach auf sich zukommen zu lassen. Auf diese Weise werden Sie sehr viel mehr Kontrolle darüber haben, wie Sie Ihre Zeit verbringen. Indem Sie Routinen festlegen und Entscheidungen im Voraus treffen, können Sie Energie einsparen, da ein Teil der täglichen Entscheidungsfindung dadurch wegfällt. Wenn Sie bereits wissen, dass Sie morgens vor dem Unterricht zwei Stunden lernen werden, verschwenden Sie nicht jeden Tag beim Frühstück Zeit und Energie damit, die Vor- und Nachteile dieser Entscheidung abzuwägen. Während Sie Ihr Zeittagebuch führen, empfehle ich Ihnen, genau darauf zu achten, wann Sie die meiste Energie haben. Behalten Sie das bei Ihrer Tagesplanung im Hinterkopf. Versuchen Sie Ihre anspruchsvollsten Schularbeiten und Projekte durchzuführen, wenn Sie sich am energiegeladensten fühlen. Und vergessen Sie dabei nicht, Ihre Energie zwischendurch durch Mahlzeiten, Ruhepausen und sozialen Aktivitäten wieder aufzufüllen. Wenn Sie dieser Orientierungslinie folgen, kann Ihnen das helfen, einen gut funktionierenden und hilfreichen Zeitplan aufzustellen.
Nutzen Sie jede Minute Ihrer Lernzeit voll aus Wie lernen Sie mit einem Lehrbuch? Die Kognitionspsychologie kann uns sehr viel darüber sagen, wie wir am effektivsten lernen können. Um das Meiste aus diesem Text herauszuholen, sollten Sie es vermeiden, ihn zu lesen und danach einfach noch einmal zu lesen. Als Ergebnis dieses Vorgehens könnten Sie sich an die falschen Inhalte erinnern – an die eingängigen Geschichten, nicht aber an die wichtigen Informationen, die später in den Klausuren abgefragt werden. Dies zeigt auch sehr deutlich, wie wichtig es ist, dass Sie sich während Ihrer Lehrveranstaltungen effektive Notizen machen. Hier sind ein paar Hinweise, die Ihnen helfen werden, das Beste aus Ihrem Unterricht und Ihren Texten herauszuholen. zz Benutzen Sie SQ3R als Hilfestellung, um diesen Text zu bewältigen
David Myers und Nathan DeWall haben zur Strukturierung dieses Textes ein System namens SQ3R (Survey, Question, Read, Retrieve, Review; also Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen, abrufen und nochmal durchdenken) verwendet. SQ3R zu benutzen, kann Ihnen helfen, zu verstehen, was Sie lesen, und die Informationen besser zu behalten (mehr über die SQ3R-Methode finden Sie in 7 Kap. 1). Es mag sich zunächst so anfühlen, als würde es mehr Zeit und Mühe in Anspruch nehmen, ein Kapitel mit SQ3R zu „lesen“, aber mit ein wenig Übung werden die einzelnen Schritte wie automatisch ablaufen. kÜberblick k verschaffen („survey“)
Bevor Sie ein Kapitel lesen, verschaffen Sie sich einen Überblick über dessen Kernaussagen. Schauen Sie sich die Gliederung des jeweiligen Kapitels an. Beachten Sie, dass es zu den großen Textabschnitten nummerierte Lernfragen gibt, die Ihnen helfen können, sich auf das Wesentliche zu fokussieren. Achten Sie auf Überschriften, die wichtige Unterthemen kennzeichnen, und auf fett gedruckte Wörter. Diese Art des Begutachtens gibt Ihnen eine Gesamtübersicht über Inhalt und Organisation eines Kapitels. Wenn Sie den logischen Aufbau eines Kapitels verstehen, wird Ihnen das helfen, Ihre Arbeit in handhabbare Teile für Ihre Lernphasen einzuteilen.
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
XXVII
kFragen k („question“)
Indem Sie ständig Fragen stellen, zeigen Sie, dass es Ihnen wichtig ist, Neues zu lernen. Auf diese Weise bringen Sie zum Ausdruck, dass Sie engagiert, neugierig und motiviert sind, hart zu arbeiten. Das Stellen von Fragen beginnt bereits beim Lesen. Wenn Sie sich einen Überblick verschaffen, beschränken Sie sich nicht nur auf die nummerierten Lernfragen, die es in allen Kapiteln gibt. Das Aufschreiben zusätzlicher Fragen wird Sie dazu bringen, Ihr Lernmaterial aus einem neuen Blickwinkel zu sehen. (Beispielsweise könnten Sie die Überschrift dieses Abschnittes lesen und sich fragen: „Was bedeutet SQ3R?“) Man kann Informationen besser behalten, wenn man Ihnen eine persönliche Bedeutung verleiht. Wenn Sie versuchen, während des Lesens Ihre Fragen zu beantworten, werden Sie dadurch in einem Zustand des aktiven Lernens bleiben. kLesen k („read“)
Behalten Sie beim Lesen Ihre Fragen im Hinterkopf und suchen Sie nach den Antworten. Wenn Sie zu einer Stelle kommen, an der anscheinend eine wichtige Frage beantwortet wird, die Sie sich nicht notiert haben, halten Sie inne und schreiben Sie die neue Frage auf. Stellen Sie sicher, dass Sie alles lesen. Überspringen Sie keine Fotos oder Bildunterschriften, Schaubilder, Kästchen, Tabellen oder Zitate. Ein Gedanke, den man beim Lesen in etwa versteht, kann klarer werden, wenn man ihn in einem Schaubild oder einer Tabelle verdeutlicht sieht. Halten Sie im Hinterkopf, dass sich Prüfungsfragen manchmal auf Abbildungen und Tabellen beziehen. Und machen Sie von den Infografiken Gebrauch, die Ihnen helfen, wichtige Konzepte besser zu verstehen. kAbrufen k („retrieve“)
Wenn Sie die Antwort auf eine Ihrer Fragen gefunden haben, schließen Sie die Augen und sagen Sie sich die Frage und ihre Antwort im Geiste noch einmal auf. Schreiben Sie dann die Antwort in Ihren eigenen Worten neben die Frage. Der Versuch, etwas mit den eigenen Worten zu sagen, wird Ihnen dabei helfen herauszufinden, wo Sie Verständnislücken haben. Durch das kontinuierliche Anwenden des Abrufs werden Sie die Kompetenzen entwickeln, die Sie für Ihre Prüfungen benötigen. Wenn Sie lernen, ohne jemals Ihr Buch und Ihre Notizen zur Seite zu legen, könnten Sie eine falsche Sicherheit gegenüber Ihrem Wissen gewinnen. Haben Sie Ihr Material immer zur Verfügung, sind Sie womöglich schon in der Lage, sich an die richtigen Antworten zu Ihren Fragen zu erinnern. Aber werden Sie auch später fähig sein, sich daran zu erinnern, wenn Sie sich in einer Prüfung befinden und Ihre Hilfsmittel nicht zur Hand haben? Überprüfen Sie Ihr Verständnis so oft wie möglich. Das sich selbst Abfragen ist ein Teil von erfolgreichem Lernen, denn es bringt Ihr Gehirn dazu, aktiv an der Erinnerungsbildung zu arbeiten, was wiederum zu besserer Gedächtniskonsolidierung führt. (So kann man sich später in der Prüfung daran erinnern!) Wenden Sie die SelbstAbfrage über ein gesamtes Kapitel hinweg an und arbeiten Sie dabei ebenfalls mit den regelmäßig aufgeführten Fragen unter „Prüfen Sie Ihr Wissen“. Nehmen Sie auch die Übungsangebote auf der kostenlosen Website zu diesem Buch wahr (www.lehrbuchpsychologie.springer.com – und dort auf den Unterseiten zum Myers). Sie finden dort die Antworten auf die im Buch gestellten Fragen, virtuelle Karteikarten u. v. m. kÜberdenken k („review“)
Nachdem Sie die Arbeit an einem Kapitel abgeschlossen haben, lesen Sie nochmals die Fragen und Antworten, die Sie aufgeschrieben hatten. Nehmen Sie sich ein paar Minuten Zeit, um eine schriftliche Zusammenfassung aller Fragen und Antworten zu verfassen. Am Ende eines jeden Kapitels haben Sie immer die Möglichkeit, drei wichtige Angebote zur Selbstabfrage und Wiederholung wahrzunehmen: eine Liste mit den Verständnisfragen zum Kapitel, die Sie versuchen sollten zu beantworten, ehe Sie diese online überprüfen, eine Liste der Schlüsselbegriffe des Kapitels, die Sie versuchen sollten zu definieren, ehe Sie diese im Glossar nachschlagen, und eine Reihe von „Master the Material“-Testfragen, die die wichtigsten Konzepte des jeweiligen Abschnitts abdecken (mit Antworten im Web).
XXVIII
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
..Abb. 1 Beispiel von Unterrichtsmitschriften nach einem Gliederungssystem. Hier sehen Sie beispielhaft die Notizen einer Studentin, die in gegliederter Form in einer Vorlesung über Schlaf entstanden. (© Christian Mürner, Heidelberg)
zz Machen Sie sich hilfreiche Notizen in Vorlesungen und Seminaren
Sich sinnvolle Vermerke zu machen, fördert das Verstehen und Behalten von Information. Sind Ihre Notizen sorgfältig geführt? Geben Sie einen sinnvollen Überblick über jede Lehrveranstaltung? Falls dies nicht zutrifft, werden Sie einige Veränderungen vornehmen müssen. kFühren k Sie die Notizen für verschiedene Fächer geordnet und getrennt voneinander
Wenn Sie alle Ihre Notizen zu einem Fach gemeinsam aufbewahren, können Sie die Antwort auf eine Frage immer ganz einfach finden. Drei mögliche Vorgehensweisen sind hierbei (1) getrennte Notizhefte für verschiedene Fächer, (2) klar voneinander abgetrennte Bereiche in einem gemeinsamen Ringbuch und (3) sorgfältig verwaltete Ordner, wenn Sie sich dazu entscheiden, Notizen elektronisch zu machen. Sind die einzelnen Seiten in den beiden physischen Alternativen herausnehmbar, können Sie sie – falls nötig – neu sortieren, neue Informationen hinzufügen und Notizen, die sich als falsch erweisen, entfernen. Auf jeden Fall sollten Sie sich für Schreibpapier mit genügend Platz entscheiden oder Mark-up-Optionen in elektronischen Aufzeichnungen verwenden. So haben Sie ausreichend viel Raum für Notizen, in dem Sie Erläuterungen festhalten können, wenn Sie Ihre Mitschriften nach dem Unterricht überprüfen und korrigieren. kVerwenden k Sie ein Gliederungssystem
Versehen Sie die wichtigsten Inhalte mit römischen Ziffern, ergänzende Argumente mit Buchstaben und so weiter (z. B. . Abb. 1). Eine Gliederung dazu zu erstellen, was Sie im Unterricht gelernt haben, hilft Ihnen dabei, die Informationen in einen Zusammenhang zu bringen und die wichtigsten Inhalte zu erkennen. kSortieren k Sie Ihre Mitschriften nach dem Unterricht
Versuchen Sie, Ihre Mitschriften direkt nach dem Unterricht zu ordnen. Erweitern und erläutern Sie Ihre Stichpunkte und bessern Sie schlecht lesbare Stellen aus, solange
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
XXIX
Ihnen der Lehrstoff noch präsent ist. Schreiben Sie dabei wichtige Fragen an den Rand oder nutzen Sie elektronische Mark-up-Funktionen neben den Notizen, durch die sie beantwortet werden (z. B.: „Welche Schlafphasen gibt es?“). Das wird Ihnen später helfen, wenn Sie mit Ihren Mitschriften für eine Prüfung lernen. zz Schaffen Sie sich eine Lernatmosphäre, die Ihnen beim Lernen hilft
Es ist leichter, effektiv zu lernen, wenn Ihr Arbeitsplatz gut gestaltet ist. kRichten k Sie sich einen guten Arbeitsplatz ein
Arbeiten Sie an einem Tisch oder Schreibtisch, nicht in Ihrem Bett oder einem bequemen Sessel, wo Sie leicht einschlummern könnten. kHalten k Sie Ablenkungsmöglichkeiten minimal
Schalten Sie den Fernseher aus und tun Sie dasselbe mit Ihrem Handy und dessen Benachrichtigungen. Schließen Sie auch alle ablenkenden Fenster auf Ihrem Computer. Wenn Sie Musik hören müssen, um Geräusche von draußen auszublenden, legen Sie sanfte Instrumentalmusik auf, keine Lieder mit Gesang, die Ihre Aufmerksamkeit auf den Liedtext lenken. kBitten k Sie andere darum, die Zeiten, in denen Sie Ruhe benötigen, zu respektieren
Erzählen Sie Mitbewohner:innen, Familie und Freund:innen von Ihrem neuen Zeitplan. Versuchen Sie, einen Arbeitsplatz zu finden, an dem Sie so wenig wie möglich gestört werden. Es gibt Orte, an denen Sie Ruhe haben. Manchmal muss man nur ein wenig Detektivarbeit leisten, um diese zu finden. zz Setzen Sie sich genaue, realistische Ziele für jeden Tag
Der einfache Vermerk „7 bis 8 Uhr: für Psychologie lernen“ ist zu vage, um nützlich zu sein. Zerteilen Sie Ihren Lernstoff stattdessen in kleinere, überschaubare Aufgaben. So z. B. können Sie lange Texte, die Sie lesen wollen, in kürzere Abschnitte unterteilen. Wenn Sie es nicht gewöhnt sind, längere Zeit am Stück zu lernen, beginnen Sie mit verhältnismäßig kurzen Phasen konzentrierten Lernens, die durch Pausen voneinander getrennt sind. In diesem Text könnten Sie beispielsweise einen großen Abschnitt lesen, ehe Sie eine Pause machen. Beschränken Sie Ihre Unterbrechungen auf 5 oder 10 Minuten, in denen Sie sich dehnen oder ein bisschen bewegen. Ihre Aufmerksamkeitsspanne ist ein guter Indikator dafür, ob Sie ein Erfolg versprechendes Vorgehen gewählt haben. Machen Sie sich in dieser Anfangsphase klar, dass Sie erst noch dabei sind, Lernen zu lernen. Wenn Ihre Aufmerksamkeit beginnt abzuschweifen, stehen Sie sofort auf und nehmen Sie sich eine kurze Pause. Es ist besser, 15 Minuten effektiv zu lernen und dann eine Pause zu machen, als 45 Minuten der Studienzeit zu vergeuden. In dem Maße, in dem sich Ihre Ausdauer weiterentwickelt, können Sie die Länge Ihrer Lernphasen steigern. zz Vergessen Sie nicht, sich zu belohnen!
Wenn es Ihnen schwerfällt, regelmäßig zu lernen, könnte Ihnen die Aussicht auf eine Belohnung helfen. Welche Art von Belohnung ist am besten für Sie geeignet? Das hängt von Ihren Vorlieben ab. Sie könnten damit beginnen, eine Liste mit fünf oder zehn Dingen zu erstellen, die Ihnen Freude bereiten. Zeit mit einer geliebten Person verbringen, spazieren gehen oder eine Radtour machen, in einer Zeitschrift oder einem Roman schmökern oder eine Lieblingssendung ansehen, können Belohnungen für erreichte Kurzzeitziele im Studium darstellen. Sollten Sie Probleme damit haben, sich an Ihren Zeitplan zu halten, ist es in Ordnung, sich zur Motivation sofort für eine erfüllte Pflicht zu belohnen. Wenn es Ihnen Spaß macht zu joggen, ziehen Sie Ihre Laufschuhe an, treffen Sie einen Freund oder eine Freundin und laufen Sie los! Sie haben sich eine Belohnung für eine erfolgreich erledigte Aufgabe verdient.
XXX
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
Ist es nötig, Ihren neuen Zeitplan zu überarbeiten? Was aber hat es zu bedeuten, wenn Sie nun seit einigen Wochen nach Ihrem neuen Zeitplan leben und dennoch keine Fortschritte hinsichtlich Ihrer akademischen und privaten Ziele machen? Was heißt es, wenn sich Ihre Bemühungen nicht in besseren Noten niedergeschlagen haben? Verzweifeln Sie nicht und verwerfen Sie nicht Ihren Plan, sondern nehmen Sie sich ein bisschen Zeit, um herauszufinden, was schiefgegangen ist. zz Sind Sie in einigen Fächern gut, in anderen aber nicht?
Möglicherweise müssen Sie Ihr Augenmerk ein wenig verschieben. Vielleicht müssen Sie sich beispielsweise mehr Zeit für Chemie nehmen und weniger Zeit für andere Fächer. zz Haben Sie in einem Test eine schlechte Note bekommen?
Spiegelt Ihre Note nicht die Bemühungen wider, die Sie aufgewendet haben, um sich auf einen Test vorzubereiten? Das kann selbst den fleißigsten Studierenden passieren – oft in der ersten Prüfung bei einer neuen Dozentin oder einem neuen Dozenten. Diese gängige Erfahrung kann sehr erschütternd sein. „Was muss ich tun, um eine Eins zu bekommen?“, „Der Test war unfair!“ oder „Ich habe den falschen Stoff gelernt!“ Versuchen Sie herauszufinden, was schiefgegangen ist. Analysieren Sie die Fragen, mit denen Sie nicht zurechtkamen, indem Sie diese in zwei Kategorien unterteilen: Fragen, die sich auf den Unterricht beziehen, und solche, die auf einem Text basieren. Wie viele Fragen haben Sie in den einzelnen Kategorien nicht richtig beantworten können? Wenn Sie in einer Kategorie viel mehr Fehler gemacht haben, als in der anderen, gibt Ihnen das einige Hinweise, die Ihnen helfen können, Ihren Zeitplan zu überarbeiten. In Abhängigkeit davon, was Sie herausgefunden haben, können Sie sich zusätzliche Zeit einräumen, um mit Ihren Mitschriften zu lernen oder Texte durchzuarbeiten. zz Ist dies Ihr erster Versuch, kontinuierlich zu lernen, und fühlen Sie sich damit überfordert?
Vielleicht haben Sie Ihre anfänglichen Ziele zu hoch gesteckt. Denken Sie daran, dass der Sinn von Zeitmanagement darin besteht, einen regelmäßigen Zeitplan aufzustellen, der Ihnen dabei hilft, Erfolge zu verzeichnen. Wie jede Fertigkeit braucht auch Zeitmanagement Übung. Akzeptieren Sie Ihre Grenzen und verändern Sie Ihren Zeitplan so, dass Sie langsam darauf hinarbeiten, wo Sie einmal stehen wollen – vielleicht indem Sie jeden Tag 15 Minuten Zeit zum Lernen hinzufügen. Zu guter Letzt: Ich hoffe, dass diese Ratschläge Ihnen helfen, Ihren Erfolg im Studium zu steigern, und dass sie Ihre Lebensqualität im Allgemeinen verbessern. Hat man die nötigen Fertigkeiten dazu, wird die Bearbeitung einer jeden Aufgabe leichter und angenehmer. Lassen Sie mich die Warnung wiederholen, dass Sie nicht zu drastisch versuchen sollten, Ihren Lebensstil abrupt zu ändern. Es braucht Zeit und Selbstdisziplin, um gute Gewohnheiten auszubilden. Hat man sie einmal erreicht, können sie ein Leben lang bestehen bleiben.
Zusammenfassung
---
1. Wie nutzen Sie Ihre Zeit bisher? Finden Sie heraus, wo Ihre Schwachpunkte liegen. Führen Sie ein Zeittagebuch. Protokollieren Sie die Zeit, die Sie tatsächlich mit Ihren Beschäftigungen verbringen. Registrieren Sie den Tagesverlauf Ihrer Tatkraft, um herauszufinden, wann Sie am produktivsten sein können.
Vorwort für Lernende: Zeitmanagement
--
XXXI
2. Entwerfen Sie einen besseren Zeitplan Legen Sie sowohl Ziele für das ganze Semester als auch für jede einzelne Woche fest. Notieren Sie sich Unterrichtszeiten, Arbeitszeiten, Zeiten für Familie und Freund:innen und Zeiten, die Sie für andere Verpflichtungen und regelmäßige Aktivitäten benötigen. Planen Sie Ihre Lernzeiten genau, um Störungen zu vermeiden und um die Anforderungen der einzelnen Fächer erfüllen zu können. Gehen Sie mit Ihrem Zeitplan in die Offensive, um Kontrolle zu übernehmen und Ihre Energie effizient zu nutzen. 3. Nutzen Sie jede Minute Ihrer Lernzeit voll aus Verwenden Sie die SQ3R-Methode (Survey, Question, Read, Retrieve, Review; also Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen, abrufen, überdenken), um sich die Inhalte Ihres Textmaterials aneignen zu können. Machen Sie sich sorgfältige Notizen (in Stichworten), die Ihnen helfen, sich an den Unterrichtsstoff zu erinnern und diesen zu lernen. Versuchen Sie, Störungen in Ihren Lernzeiten zu minimieren und bitten Sie Freunde und Familie darum, Sie dabei zu unterstützen, sich auf Ihre Arbeit konzentrieren zu können. Setzen Sie sich bestimmte, realistische Tagesziele, die Ihnen helfen, sich auf die Aufgaben eines jeden Tages zu konzentrieren. Wenn Sie Ihre täglichen Ziele erreichen, belohnen Sie sich mit etwas, das Sie mögen. 4. Ist es nötig, Ihren neuen Zeitplan zu überarbeiten? Planen Sie für schwierigere Fächer zusätzliche Lernzeit ein und etwas weniger Zeit für Fächer, die Ihnen leichter fallen. Betrachten Sie Ihre Prüfungsergebnisse genau, denn das kann Ihnen helfen, Ihren Zeitplan effektiver auszuloten. Versichern Sie sich, dass Ihr Zeitplan nicht zu ehrgeizig ist. Führen Sie stufenweise einen Zeitplan ein, der auf lange Sicht seine Wirkung zeigt.
XXXIII
Vorwort zur 4. deutschen Auflage Wir freuen uns, dass sich „der Myers“ auch in der deutschen Ausgabe nun schon seit vielen Jahren so großer Beliebtheit erfreut – und Sie freuen sich, dass nun eine 4., vollständig überarbeitete Neuauflage vorliegt. Damit diese weiterhin auf große Resonanz stößt und allen deutschsprachigen Psychologie-Interessierten und ‑Lernenden eine unterhaltsame wie lehrreiche Lektüre bietet, haben wir auch diesmal bei der Übersetzung und Bearbeitung eng mit denjenigen zusammengearbeitet, die die eigentlichen Expert:innen für gut verständliche Lehrbücher sind: Studierende. Markus Russin und Can Akin haben uns unterstützt, indem sie die zahlreichen Neuerungen in der 12. amerikanischen Auflage aufgespürt und anschließend übersetzt haben, tatkräftig begleitet von Dipl.-Übersetzerin Barbara Rösner-Brockmann. Anschließend wurde das Buch in seiner Gänze von Dr. Christiane Grosser und Sandra Fuchs sorgfältig und umsichtig lektoriert. Markus Russin hat auch unzählige Fotos recherchiert, die dieses Buch nun so anschaulich machen. Ellen Blasig hat die Produktion des Buches kompetent und unkompliziert gesteuert. Das Team um Yvonne Schlatter und Jeannette Krause bei le-tex publishing services hat schließlich dafür gesorgt, dass der Myers in dieser Auflage wieder auch als E-Book auf allen Ausgabegeräten gelesen werden kann und im gedruckten Buch ein ansprechendes Layout bekommen hat. Wir danken allen Beteiligten herzlich für die hervorragende Unterstützung, die unendliche Geduld und den nie versiegenden Willen, aus diesem Buch etwas Besonderes zu machen. Im Rahmen der mehrstufigen deutschen Bearbeitung haben wir gemeinsam darauf geachtet, das Lehrbuch weiter an den Erfahrungsraum und das Hintergrundwissen der deutschsprachigen Leserinnen und Leser anzupassen. Deshalb wurden einige Beispiele aus dem amerikanischen Alltagsleben auf deutsche Verhältnisse übertragen. Beispielsweise wurden illustrierende Anekdoten zu amerikanischen Stars durch entsprechende Beispiele deutscher Prominenter ersetzt. Aber auch bei der Darstellung von Themenbereichen, die in beiden Ländern sehr unterschiedlich behandelt werden oder denen unterschiedliche nationale Gesetzgebungen zugrunde liegen, wurde die Darstellung um die deutsche Sichtweise erweitert. So wurde beispielsweise bei der Diagnostik psychischer Störungen die in Deutschland verwendete ICD-Klassifikation ergänzt, die David Myers und Nathan DeWall als amerikanische Autoren nicht erwähnen. Statistische Informationen zu Bevölkerungsmerkmalen wurden, wenn möglich, durch entsprechende deutsche oder europäische Zahlen ergänzt. In den amerikanischen Einführungslehrbüchern zur Psychologie wird meist die Klinische Psychologie als Anwendungsfach in den Vordergrund gestellt. In der Originalausgabe des Myers wird daneben mittlerweile auch der Arbeits- und Organisationspsychologie ein Platz eingeräumt (7 Anhang A). Um auch der Pädagogischen Psychologie als weiterem großen Anwendungsfach gerecht zu werden, wurde in die deutsche Ausgabe ein zusätzliches Kapitel aufgenommen: 7 Kap. 18 „Pädagogische Psychologie“ wurde von Beate Schuster, Professorin an der LMU München, verfasst. Da es sich bei der von David Myers und Nathan DeWall zitierten Literatur weitgehend um englischsprachige Texte handelt, finden Sie am Ende jedes Kapitels deutschsprachige Literaturhinweise. Dabei handelt es sich meist um Lehrbücher, die einen umfassenden Überblick über das im jeweiligen Kapitel behandelte Thema geben und Ihnen damit einen tieferen Einstieg in die Thematik ermöglichen sollen. Noch ein Hinweis: Wir haben uns in dieser Auflage erstmals bemüht, das generische Maskulinum bei Personenbezeichnungen zu vermeiden. Die Nennung von Studentinnen und Studenten (oder eben: Studierenden), Probandinnen und Probanden (oder: Versuchspersonen) etc. entspricht gerade in der Psychologie sicherlich besser den realen Verhältnissen. An manchen Stellen mussten wir dafür etwas kreativ werden. Sehen Sie es uns bitte nach, wenn die eine oder andere Formulierung schief geraten ist. Dem Textfluss sollten diese Eingriffe in der Regel jedenfalls nicht geschadet haben, das war uns wichtig.
XXXIV Vorwort zur 4. deutschen Auflage
Ob Sie die Psychologie gerade kennenlernen oder sich schon ein wenig auskennen – wir wünschen Ihnen bei Ihrer Reise durch das spannende Gebiet der Psychologie viel Vergnügen und Erfolg! Judith Danziger Joachim Coch
XXXV
Wie lerne ich mit dem Myers? Die Psychologie lehrt uns, die richtigen Fragen zu stellen und kritisch zu denken, wenn wir einander widersprechende Vorstellungen oder populärwissenschaftliche Behauptungen überprüfen. Die Psychologie vertieft unser Verständnis dafür, wie wir als Menschen wahrnehmen, denken, fühlen und handeln. Und die Psychologie vermittelt uns effiziente Lernmethoden! – Und so sind David Myers und Nathan DeWall deshalb gute Psychologie-Lehrer, weil sie uns als Autoren dies alles nicht nur inhaltlich vermitteln, sondern das Ganze auch so aufbereiten und gestalten, dass es den psychologischen Wahrnehmungs- und Lerngesetzen gerecht wird. – Und weil sie uns darüber hinaus ein paar ganz allgemeine Tipps zur Organisation unseres Lernalltags, für ein gutes Zeitmanagement (das gerade in verschulten Bachelor-Studiengängen immer wichtiger wird) sowie für den optimalen Umgang mit Texten und zu effektiven Arbeitstechniken geben. An dieser Stelle beschreiben wir nun ganz konkret, wie Sie mit diesem Lehrbuch lernen können und welche didaktischen Besonderheiten und Online-Ergänzungsmaterialien es für Sie bereithält.
Lernen mit System: Die didaktischen Elemente dieses Buches Die im Folgenden aufgeführten didaktischen Elemente sollen Ihnen das Arbeiten mit dem Lehrbuch erleichtern und dazu führen, dass das Lernen Spaß macht (s. auch „Ihr Wegweiser zu diesem Lehrbuch“ auf den nächsten Seiten). Verständnisfragen Im gesamten Text werden Sie Verständnisfragen finden. Diese sollen
Ihnen helfen, sich beim Lesen auf das Wesentliche zu konzentrieren, und nach dem Lesen zu prüfen, ob Sie das Gelesene verstanden haben. Sie finden sie vor größeren Abschnitten, am Ende eines Abschnitts zusammengefasst und auf 7 www.lehrbuchpsychologie.springer.com mit den dazugehörigen Antworten. Definitionen Durch das ganze Buch hindurch finden Sie die Definitionen wichtiger
Konzepte, der jeweilige Begriff ist dabei immer blau hervorgehoben. Zusätzlich zum deutschen Fachbegriff ist auch jeweils die englische Übersetzung aufgeführt. Glossar Am Ende des Buches sind alle Definitionen noch einmal in einem Glossar
zusammengefasst. Dort haben wir ebenfalls die Übersetzungen der Fachbegriffe aufgenommen, so dass Sie ein kleines deutsch-englisches Psychologie-Lexikon zum schnellen Nachschlagen zur Verfügung haben. Zitate, Übungen, Zusatzinfos Dem Text können Sie neben den Definitionen noch zahl-
reiche andere Informationen entnehmen, u. a. Beispiele, provokante Fragen, besondere Hinweise und Zitate. Kritisch nachdenken über … Diese Kästen bieten Ihnen ein Modell für eine kritische
Herangehensweise an einige wichtige Themen der Psychologie. Es handelt sich häufig um kontrovers diskutierte Themen. Prüfen Sie Ihr Wissen Diese Fragen/Aufgaben sind ein kleiner Zwischentest, ob Sie die zuvor gelesenen Abschnitte aufmerksam studiert haben. Die Antworten zu diesen Fragen/Aufgaben finden Sie auf 7 www.lehrbuch-psychologie.springer.com. Schlüsselbegriffe Am Ende eines Abschnitts finden Sie nochmal alle Kernbegriffe – als
persönliche Lern-Checkliste: Können Sie alle gelisteten Begriffe kurz erklären? Dann haben Sie das Thema schon gut durchdrungen!
XXXVI Wie lerne ich mit dem Myers?
Master the Material Mit diesen Aufgaben in verschiedenen Formaten wird eine optimale
Wissensspeicherung weiter gefördert. Deutsche Literatur zum Thema Das Thema eines Kapitels fasziniert Sie und Sie wollen
mehr darüber wissen? Dann werden Sie vielleicht in diesen weiterführenden Werken fündig.
Lernen im Netz: Weiterführende Materialien Im Internet stellen wir Ihnen auf einer interaktiven Lernwebsite Zusatzmaterialien zur Verfügung. Suchen Sie einfach die Seite 7 www.lehrbuch-psychologie.springer.com auf und nutzen Sie die folgenden Tools: Zusammenfassungen Verschaffen Sie sich einen schnellen Überblick über die Kapitel-
inhalte. Kurze Zusammenfassungen stellen die wesentlichen Themen der einzelnen Kapitel verständlich dar. Wiederholen Sie so die Inhalte jeder Lerneinheit. Prüfen Sie Ihr Wissen Hier sehen Sie die Antworten auf die kleinen Tests im Text. Lagen
Sie richtig mit Ihrer Beantwortung? Verständnisfragen Hier finden Sie Musterantworten für die Prüfungsfragen am Ende eines jeden Kapitels. Die Antworten können Sie durch einen Klick anzeigen oder verbergen – so können Sie damit noch einmal das ganze Wissen eines Kapitels überprüfen. Karteikarten Karteikarten sind mühsam zu erstellen, aber extrem hilfreich beim Lernen
und zur Wissensprüfung. Auf unseren elektronischen Karteikarten finden Sie das komplette Glossar des Buchs, auf der einen Seite die Fachbegriffe, auf der anderen deren Definition. Lernen Sie und testen Sie auch gleich selbst, ob Sie die Begriffe parat haben. Deutsch-englische Karteikarten Auch Vokabelpauken ist möglich. Es wird im Psycho-
logie-Studium immer wichtiger, englische Texte lesen zu können – prüfen Sie mit diesen Karteikarten, ob Sie die Fachbegriffe auch auf Englisch beherrschen. Master the Material Und noch ein Instrument, das Ihnen hilft, Ihr Wissen zu über-
prüfen. In Zeiten von allgegenwärtigen Quizsendungen wird Ihnen dies sehr bekannt vorkommen. Zu jedem Kapitel liegen Multiple-Choice-Fragen vor. Testen Sie sich selbst: Wenn Sie den Myers aufmerksam gelesen haben, sollten Sie die Fragen auf jeden Fall beantworten können. Und anhand der vielen Beispiele lernen Sie ganz nebenbei noch die Anwendung der Konzepte. Weblinks Haben Sie Geschmack an den Inhalten der Psychologie gefunden? Ob Sie mehr zu Psychologie als Wissenschaft und Beruf, zu Emotionen, Persönlichkeit oder Arbeits- und Organisationspsychologie wissen wollen – Wir haben für Sie eine ganze Reihe von Links zusammengestellt und kommentiert. Starten Sie bei uns Ihre Suche im Netz.
Wie lerne ich mit dem Myers?
XXXVII
Wenn Sie etwas über Psychologie lesen, werden Sie viel mehr lernen, als nur effektiv für eine Klausur zu pauken. Die Psychologie zeigt uns, wie wir zu wichtigen Fragen kommen können – wie wir kritisch nachfragen können, während wir konkurrierende Gedanken und populäre Behauptungen gegeneinander abwägen. Wir werden die Art und Weise zu schätzen lernen, wie wir als Menschen wahrnehmen, denken, fühlen und handeln. Dabei erweitert sich unser Verständnis für das Leben und verbessert sich unser Einfühlungsvermögen. Mit Hilfe dieses Buchs hoffen wir, unseren Beitrag zu leisten, dass Sie auf dieses Ziel zusteuern. Der Hochschullehrer Charles Eliot sagte vor einem Jahrhundert: „Bücher sind die ruhigsten und beständigsten Freunde, die zugänglichsten und weisesten Ratgeber und die geduldigsten Lehrer.“ Wir würden uns freuen, wenn dies auch für dieses Lehrbuch gilt und der Myers Ihnen ein wertvoller Begleiter auf Ihrer Reise durch die Psychologie wird. Wir wünschen Ihnen dabei viel Spaß und Erfolg!
Navigation: Mit Seitenzahl und Kapitelnummer
269
16.1 • Einführung in psychische Störungen
Diagnosen in den USA 1
11%
4- bis17jährige
Doppelt so häufig bei JUNGEN wie bei Mädchen
2.5%
2
Erwachsene
16 Kritisch nachdenken über: Kontrovers diskutierte Themen der Psychologie kritisch dargestellt
Symptome
• Unaufmerksamkeit und Ablenkbarkeit3 • Hyperaktivität4 • Impulsivität
Einige KRITIKpunkte: Energische Kinder + langweilige Schulen = zu viele ADHS-Diagnosen • Kinder sind nicht dafür geschaffen, stundenlang in Stühlen zu sitzen. • Die jüngsten Kinder in einer Klasse sind in der Regel zappeliger und erhalten häufiger die Diagnose.5 • Ältere Schülerinnen und Schüler greifen möglicherweise zu verschreibungspflichtigen Stimulanzien für ADHS (als „Gute-Noten-Pille“).6 • Was sind die langfristigen Auswirkungen einer medikamentösen Behandlung? • Warum nehmen die Diagnosen weltweit zu?7
RÜCKHALT:
• Mehr Diagnosen spiegeln ein erhöhtes Bewusstsein wider. • „ADHS ist eine echte neurobiologische Störung, deren Existenz nicht mehr angezweifelt werden sollte.“8 • ADHS ist mit einer abweichenden Gehirnstruktur, ungewöhnlichen Gehirnaktivitätsmustern und riskantem oder antisozialem zukünftigem Verhalten verbunden.9
Ursachen? • Tritt zusammen mit Lernstörungen oder mit trotzigem und jähzornigem Verhalten auf • Genetik10
Behandlung
• Stimulanzien (Ritalin und Dexamphetamin) beruhigen die Hyperaktivität und verbessern die Fähigkeit der Betroffenen, still zu sitzen und sich zu konzentrieren.11 Das Gleiche gilt für Verhaltenstherapien und Aerobic.12 • Psychologische Therapien helfen bei der Bewältigung von ADHS.13 . Abb. 16.6 Kritisch nachdenken über: ADHS – nur ein hohes Level an Energie oder eine echte Störung?
16.5.4
Rückblick: Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen
Verständnisfragen
16.19 – Was sind dissoziative Störungen, und warum sind sie umstritten? 16.20 – Was sind die drei Cluster der Persönlichkeitsstörungen? Welches Verhalten und welche Gehirnaktivität charakterisieren die antisoziale Persönlichkeit?
----
Schlüsselbegriffe Anorexia nervosa Antisoziale Persönlichkeitsstörung Binge-Eating-Störung Bulimia nervosa Dissoziative Störungen Persönlichkeitsstörung
Weiterführende deutsche Literatur Berking, M., & Rief, W. (2012). Grundlagen und Störungswissen. Klinische Psychologie und Psychotherapie für Bachelor, Bd. 1. Heidelberg: Springer. Dilling, H., & Freyberger, H. J. (Hrsg.). (2019). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen (9. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Döring, S., & Möller, H. (2008). Frankenstein und Belle de Jour. 30 Filmcharaktere und ihre psychischen Störungen. Heidelberg: Springer. Hoyer, J., & Knappe, S. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Perrez, M., & Baumann, U. (Hrsg.). (2011). Lehrbuch Klinische Psychologie – Psychotherapie (4. Aufl.). Bern: Huber. Reinecker, H. (Hrsg.). (2003). Lehrbuch der klinischen Psychologie und Psychotherapie. Modelle psychischer Störungen (4. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
Kapitelrückblick: Alle Verständnisfragen und Schlüsselbegriffe des Kapitels zum Selbsttesten nach der Lektüre
Weiterführende deutsche Literatur: Für alle, die mehr über das Kapitelthema erfahren wollen
Ê Website zum Buch auf www.lehrbuch-psychologie.springer.com
XLI
Lernmaterialien zum Lehrbuch Psychologie im Internet – www.lehrbuch-psychologie. springer.com
-
Alles für die Lehre – fertig zum Download: Foliensätze, Abbildungen und Tabellen für Dozentinnen und Dozenten zum Download Schnelles Nachschlagen: Glossar als komplettes Psychologie-Lexikon Zusammenfassungen der 18 Buchkapitel: Das steckt drin im Lehrbuch Karteikarten, Verständnisfragen, „Master the Material“ und „Prüfen Sie Ihr Wissen“: Zum Lernen und Selbsttesten Kommentierte Weblinks
Weitere Websites unter 7 www.lehrbuch-psychologie.springer.com
---
Vollständige Kapitel im MP3-Format zum kostenlosen Download Karteikarten: Prüfen Sie Ihr Wissen Glossar mit über 100 Fachbegriffen Verständnisfragen und Antworten Foliensätze sowie Tabellen und Abbildungen für Dozentinnen und Dozenten zum Download
--
Alle Kapitel der 3. Aufl. als Hör beiträge Videos – anschaulicher geht’s nicht Glossar und Karteikarten: Fachbegriffe pauken Multiple-Choice-Quiz zur Prüfungsvorbereitung Lehrmaterialien: Vorlesungsfolien, Abbildungen und Tabellen
XLII
Lernmaterialien zum Lehrbuch Psychologie im Internet
---
---
---
--
Kapitelzusammenfassungen Glossar und Karteikarten: Fachbegriffe pauken Kommentierte Linksammlung Verständnisfragen und Antworten Lehrmaterialien: Vorlesungsfolien, Abbildungen und Tabellen
Kapitelzusammenfassungen Karteikarten: Überprüfen Sie Ihr Wissen Glossar mit zahlreichen Fachbegriffen Leseprobe
Zusammenfassungen der Kapitel Glossar: Im Web nachschlagen Karteikarten: Fachbegriffe pauken Verständnisfragen & Antworten zur Prüfungsvorbereitung Tabellen und Abbildungen für Dozentinnen und Dozenten zum Download
Das Lerncenter: Zum Lernen, Üben, Vertiefen und Selbsttesten Kapitelzusammenfassungen: Das steckt drin im Lehrbuch Leseprobe Foliensätze und Abbildungen für Dozentinnen und Dozenten zum Download
Einfach lesen, hören, lernen im Web – ganz ohne Registrierung! Fragen? [email protected]
XLIII
Inhaltsverzeichnis 1 Prolog: Die Geschichte der Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Was ist Psychologie?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.1 Psychologie als Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.2 Kritisches Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.3 Die Geburtsstunde der psychologischen Wissenschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.4 Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.5 Moderne Psychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1.6 Mit Psychologie besser leben und lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Rückblick: Was ist Psychologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.1 Verständnisfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.2 Schlüsselbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2.3 Master the Material. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
1 2 2 3 6 9 11 20 22 22 22 22 23
Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2 2.1 Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten . . . . . . . . . 2.1.1 Die Notwendigkeit der Psychologie als Wissenschaft. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.2 Die wissenschaftliche Methode . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.3 Die Forschungsethik der Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1.4 Rückblick: Forschungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Statistische Argumentation im Alltag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.1 Datenbeschreibung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.2 Signifikante Unterschiede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2.3 Rückblick: Statistische Argumentation im Alltag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25 26 26 29 43 46 48 49 51 54 54
Neurowissenschaft und Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 3.1 Neuronale und hormonelle Systeme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.1 Biologie, Verhalten und Verstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.2 Die Macht der Plastizität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.3 Neuronale Kommunikation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.4 Nervensystem. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.5 Endokrines System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1.6 Rückblick: Neuronale und hormonelle Systeme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2 Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System. . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.1 Forschungswerkzeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.2 Ältere Hirnstrukturen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.3 Limbisches System. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.2.4 Rückblick: Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System. . . . . . . . . . 3.3 Zerebraler Kortex. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.1 Struktur des Kortex. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.2 Funktionen des Kortex . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.3 Reaktionen auf Schädigungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.4 Zur Zweiteilung des Gehirns . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3.5 Rückblick: Zerebraler Kortex. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
55 56 56 57 59 66 70 72 73 73 78 80 83 84 84 85 92 94 99 100
4 4.1 4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5
102 102 103 104 108 110
Bewusstsein und der zweigleisige Verstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 Gehirnzustände und Bewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Definition von Bewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Die Wissenschaft des Bewusstseins. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Selektive Aufmerksamkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Parallelverarbeitung: Der zweigleisige Verstand. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Rückblick: Gehirnzustände und Bewusstsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
XLIV
Inhaltsverzeichnis
4.2 Schlaf und Träume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.1 Biologischer Rhythmus und Schlaf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.2 Warum schlafen wir? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.3 Schlafentzug und Schlafstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.4 Träume. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.2.5 Rückblick: Schlaf und Träume . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3 Drogen und Bewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.1 Toleranz und Sucht bei Substanzkonsumstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.2 Arten psychoaktiver Substanzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.3 Einflussfaktoren auf den Drogenkonsum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.3.4 Rückblick: Drogen und Bewusstsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
111 111 117 119 124 129 129 129 130 141 144 145
Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 5.1 Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.1 Gene: Unsere Codes für das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.2 Zwillings- und Adoptionsstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.3 Temperament und Vererbung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.4 Erblichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.5 Anlage-Umwelt-Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1.6 Rückblick: Verhaltensgenetik. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Evolutionspsychologie: Wie man die Natur des Menschen versteht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.1 Natürliche Selektion und Anpassung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.2 Evolutionärer Erfolg hilft, Ähnlichkeiten zu erklären. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.3 Evolutionstheoretische Erklärung der menschlichen Sexualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2.4 Rückblick: Evolutionspsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.1 Wie beeinflussen Erfahrungen die Entwicklung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.2 Kulturelle Einflüsse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.3 Entwicklung des sozialen Geschlechts. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.4 Überlegungen zu Anlage und Umwelt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3.5 Rückblick: Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
147 148 148 150 154 155 156 159 159 160 160 162 165 165 166 170 176 187 190 191
Entwicklung über die Lebensspanne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 6.1 Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen. . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.1 Hauptfragen der Entwicklungspsychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.2 Pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.1.3 Rückblick: Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen . . . . . . . . 6.2 Kleinkindalter und Kindheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.1 Körperliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.2 Kognitive Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.3 Soziale Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.2.4 Rückblick: Kleinkindalter und Kindheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3 Adoleszenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.1 Körperliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.2 Kognitive Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.3 Soziale Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.4 Übergang ins Erwachsenenalter. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.3.5 Rückblick: Adoleszenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4 Erwachsenenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.1 Körperliche Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.2 Kognitive Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.3 Soziale Entwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6.4.4 Rückblick: Erwachsenenalter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
193 194 194 197 201 202 202 204 215 224 226 227 229 232 236 238 238 239 243 246 252 253
Inhaltsverzeichnis
XLV
7 Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1 Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.1 Wahrnehmungsverarbeitung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.2 Transduktion. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.3 Schwellen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.4 Sensorische Adaptation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.5 Wahrnehmungsset. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.6 Kontext, Motivation und Emotion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.1.7 Rückblick: Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2 Sehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.1 Lichtenergie und Augenstruktur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.2 Informationsverarbeitung im Auge und im Gehirn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.3 Visuelle Organisation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.4 Visuelle Interpretation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.2.5 Rückblick: Sehen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3 Nichtvisuelle Sinne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.1 Hören. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.2 Die anderen Sinne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.3 Sensorische Interaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.4 Außersinnliche Wahrnehmung – Wahrnehmung ohne Empfindung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7.3.5 Rückblick: Nichtvisuelle Sinne. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
255 256 256 257 258 261 263 265 267 268 268 270 277 286 288 290 290 295 307 308 312 313
8 Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1 Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.1 Wie lernen wir?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.2 Klassische Konditionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.1.3 Rückblick: Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2 Operante Konditionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.1 Skinners Experimente. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.2 Skinners Erbe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.3 Gegenüberstellung von klassischer und operanter Konditionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.2.4 Rückblick: Operante Konditionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3 Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.1 Biologische Beschränkungen der Konditionierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.2 Der Einfluss von Kognitionen auf die Konditionierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.3 Beobachtungslernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8.3.4 Rückblick: Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
315 316 316 319 327 328 328 336 338 338 340 340 343 346 353 354
9 Gedächtnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1 Erinnerungen erforschen und enkodieren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.1 Erinnerungen erforschen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.2 Erinnerungen enkodieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.1.3 Rückblick: Erinnerungen erforschen und enkodieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2 Erinnerungen speichern und ablegen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.1 Erinnerungen ablegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.2 Erinnerungen abrufen: Abrufhinweise. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.2.3 Rückblick: Erinnerungen speichern und ablegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3 Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.1 Vergessen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.2 Fehler beim Gedächtnisaufbau. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.3 Gedächtnistraining. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 9.3.4 Rückblick: Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
355 356 356 360 367 368 368 374 377 378 378 385 392 393 394
XLVI
Inhaltsverzeichnis
10 Denken und Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1 Denken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.1 Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.2 Problemlösen: Strategien und Hindernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.3 Entscheidungsfindung und Urteilsbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.4 Kreativ Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.5 Teilen andere Spezies unsere kognitiven Fähigkeiten?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.1.6 Rückblick: Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2 Sprache und Geist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.1 Struktur und Aufbau von Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.2 Spracherwerb und Sprachentwicklung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.3 Gehirn und Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.4 Verfügen andere Arten über Sprache?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.5 Denken und Sprache. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10.2.6 Rückblick: Sprache und Geist. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
395 396 396 397 400 408 411 413 414 415 416 422 423 426 430 430
11 Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1 Was ist Intelligenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.1 Ist Intelligenz eine allgemeine Fähigkeit?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.2 Theorien multipler Intelligenzfaktoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.3 Emotionale Intelligenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.1.4 Rückblick: Was ist Intelligenz? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2 Intelligenzmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.1 Frühe und moderne Tests der geistigen Fähigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.2 Prinzipien des Testaufbaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.2.3 Rückblick: Intelligenzmessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3 Die Dynamik der Intelligenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.1 Stabilität oder Veränderung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.2 Intelligenzextreme. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.3.3 Rückblick: Die Dynamik der Intelligenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4 Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.1 Zwillings- und Adoptionsstudien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.2 Umweltbedingte Einflüsse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.3 Gruppenunterschiede bei Intelligenztests. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 11.4.4 Rückblick: Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz. . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
431 432 432 433 436 437 437 438 442 446 446 446 450 452 452 453 454 458 464 465
Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg. . . . . . . . . . . . . . 12 12.1 Grundlegende Motivationskonzepte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.1 Instinkte und Evolutionspsychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.2 Triebe und Anreize. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.3 Erregungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.4 Bedürfnishierarchie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.1.5 Rückblick: Grundlegende Motivationskonzepte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2 Hunger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.1 Physiologie des Hungers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.2 Psychologie des Hungers. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.2.3 Rückblick: Hunger. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3 Sexuelle Motivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.1 Physiologie der Sexualität. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.2 Psychologie der Sexualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.3 Sexuelles Risikoverhalten und Teenagerschwangerschaften. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.4 Sexuelle Orientierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.5 Sexualität und zwischenmenschliche Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.3.6 Rückblick: Sexuelle Motivation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
467 468 469 469 470 471 472 473 474 477 480 482 482 485 487 488 496 496
Inhaltsverzeichnis
XLVII
12.4 Zugehörigkeit und Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.1 Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.2 Soziale Bindung als Überlebenshilfe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.3 Der Schmerz der Ausgrenzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.4 Kontaktaufnahme und soziale Vernetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.5 Leistungsmotivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 12.4.6 Rückblick: Zugehörigkeit und Leistung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
497 497 497 499 501 504 505 506
Emotionen, Stress und Gesundheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 13.1 Einführung in die Welt der Emotionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.1 Emotionen: Erregung, Verhalten und Kognition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.2 Emotion und Körper. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.1.3 Rückblick: Einführung in die Welt der Emotionen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2 Emotion und Ausdruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.1 Emotionen bei anderen erkennen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.2 Geschlecht, Emotion und nonverbales Verhalten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.3 Emotionsausdruck im kulturellen Kontext. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.4 Mimischer Ausdruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.2.5 Rückblick: Emotion und Ausdruck. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3 Emotion und Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.1 Wut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.2 Glücklichsein. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.3.3 Rückblick: Emotion und Erfahrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4 Stress und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.1 Stress: Grundlegende Prinzipien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.2 Stress und Krankheitsanfälligkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.4.3 Rückblick: Stress und Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5 Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.1 Bewältigung von Stress . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.2 Stress reduzieren. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13.5.3 Rückblick: Gesundheitsförderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
507 508 508 513 516 516 516 518 519 522 524 525 526 528 536 536 536 542 549 550 550 557 563 564
14 Sozialpsychologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1 Soziales Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.1 Der fundamentale Attributionsfehler. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.2 Einstellungen und Handlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.1.3 Rückblick: Soziales Denken. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2 Sozialer Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.1 Konformität: Sozialem Druck nachgeben. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.2 Gehorsam: Befehle befolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.3 Was lehren uns die Studien zu Konformität und Gehorsam?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.4 Gruppeneinfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.2.5 Rückblick: Sozialer Einfluss . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3 Antisoziale Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.1 Vorurteil. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.2 Aggression. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.3.3 Rückblick: Antisoziale Beziehungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4 Prosoziale Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.1 Interpersonale Anziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.2 Altruismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.3 Konflikte und Friedensstiftung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14.4.4 Rückblick: Prosoziale Beziehungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
565 566 566 568 572 573 573 577 581 582 588 588 588 597 604 605 605 614 618 624 624
XLVIII
Inhaltsverzeichnis
15 Persönlichkeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1 Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.1 Was ist Persönlichkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.2 Psychodynamische Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.3 Neofreudianische und spätere psychodynamische Theorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.4 Erfassung unbewusster Prozesse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.5 Bewertung des Freudschen psychoanalytischen Ansatzes und die moderne Sichtweise des Unbewussten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.1.6 Rückblick: Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien. . . . . . . . . 15.2 Humanistische Theorien und Trait-Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.1 Humanistische Theorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.2 Trait-Theorien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.2.3 Rückblick: Humanistische Theorien und Trait-Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3 Sozial-kognitive Theorien und das Selbst . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.1 Sozial-kognitive Theorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.2 Erfassung von Situationseinflüssen auf das Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.3 Bewertung des sozial-kognitiven Ansatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.4 Das Selbst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.5 Die Vorteile des Selbstwertgefühls . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.6 Der Preis des Selbstwertgefühls. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15.3.7 Rückblick: Sozial-kognitive Theorien und das Selbst. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
625 626 626 626 631 634
Klinische Psychologie: Psychische Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 16.1 Einführung in psychische Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.1 Definition psychischer Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.2 Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.3 Klassifikation psychischer Störungen – und Etikettierung von Menschen. . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.4 Bedeutet eine psychische Störung Fremdgefährdung?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.5 Prävalenz psychischer Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.1.6 Rückblick: Einführung in psychische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2 Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung. . . . . . . . . . . 16.2.1 Angststörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.2 Zwangsstörung (OCD). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.3 Posttraumatische Belastungsstörung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.4 Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.2.5 Rückblick: Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung. . . 16.3 Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung. . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.1 Major Depression . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.2 Bipolare Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.3 Erklärungsansätze für depressive Störungen und bipolare Störung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.4 Suizid und Selbstverletzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.3.5 Rückblick: Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung. . . . . . . . . 16.4 Schizophrenie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.1 Symptome der Schizophrenie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.2 Beginn und Entwicklung von Schizophrenie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.3 Erklärungsansätze. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.4.4 Rückblick: Schizophrenie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5 Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5.1 Dissoziative Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5.2 Persönlichkeitsstörungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5.3 Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16.5.4 Rückblick: Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
665 667 667 668 670 675 675 677 678 678 681 682 684 687 687 688 689 689 698 700 701 701 703 703 707 708 708 711 714 717 717
635 639 640 640 644 654 655 655 656 657 657 659 660 663 664
Inhaltsverzeichnis
XLIX
17 Klinische Psychologie: Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1 Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.1 Behandlung psychischer Störungen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.2 Psychoanalyse und psychodynamische Therapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.3 Humanistische Therapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.4 Verhaltenstherapien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.5 Kognitive Therapien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.6 Gruppen- und Familientherapien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.1.7 Rückblick: Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie . . . . . . . . . . . . 17.2 Therapieevaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.1 Ist Psychotherapie effektiv? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.2 Welche Psychotherapie wirkt am besten? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.3 Evaluation alternativer Therapien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.4 Auf welche Weise hilft Psychotherapie Menschen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.5 Kultur und Wertvorstellungen in der Psychotherapie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.6 Das passende Therapieangebot finden. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.2.7 Rückblick: Therapieevaluation. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3 Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen . . . . . . . . . . . 17.3.1 Medikamentöse Therapien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.2 Stimulation des Gehirns. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.3 Psychochirurgie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.4 Prävention psychischer Störungen und Aufbau von Resilienz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17.3.5 Rückblick: Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen. . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
719 720 720 722 724 726 731 734 736 738 738 741 742 744 746 746 747 748 748 753 756 757 759 759
Pädagogische Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 18.1 Erziehung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.2 Klassenführung und Gestalten von Miteinander statt Mobbing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.3 Motivation und Lernen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.4 Umgang mit Auffälligkeiten. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.5 Resumée und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6 Rückblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6.1 Verständnisfragen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6.2 Schlüsselbegriffe. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18.6.3 Master the Material. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Weiterführende deutsche Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
761 762 764 767 768 771 772 772 772 772 773
Serviceteil Anhang A – Arbeitspsychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Glossar. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Literatur. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Stichwortverzeichnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
776 791 797 827 953
LI
Über die Autoren David Myers erhielt seinen Bachelor in Chemie an der Whitworth University und promovierte anschließend im Fach Psychologie an der University of Iowa. Seine berufliche Laufbahn führte ihn an das Hope College, Michigan, wo er zahllose Lehrveranstaltungen zur Einführung in die Psychologie gehalten hat. Die Studierenden des Hope College baten ihn, Hauptvortragender auf der Einführungsfeier für die Studienanfänger zu sein, und verliehen ihm die Auszeichnung „hervorragender Hochschullehrer“. Seine Forschung und seine Publikationen wurden mit zahlreichen Preisen und Auszeichnungen gewürdigt, darunter der „Gordon Allport Intergroup Relations“-Preis, die Auszeichnung „Honored Scientist“ von der Federation of Associations in Behavioral & Brain Sciences, eine Auszeichnung für seine Leistungen im Dienste der Persönlichkeits- und Sozialpsychologie, eine Ehrung durch den Präsidenten der APA-Abteilung 2, die Wahl zu einem „American Association for the Advancement of Science Fellow“ und drei Ehrendoktorwürden. Myers’ wissenschaftliche Beiträge konnten, mit Hilfe der Unterstützung der amerikanischen National Science Foundation, in über drei Dutzend wissenschaftlichen Fachzeitschriften erscheinen, darunter Science, American Scientist, Psychological Science und American Psychologist. Neben seinen wissenschaftlichen Veröffentlichungen und seinen Lehrbüchern bereitet er auch wissenschaftliche Erkenntnisse der Psychologie für die Allgemeinheit auf. Seine Artikel sind in vier Dutzend Zeitschriften erschienen, von Today’s Education bis Scientific American. Er ist auch Verfasser von fünf Büchern für ein allgemeines Lesepublikum. So schrieb er beispielsweise The Pursuit of Happiness und Intuition: Its Powers and Perils. David Myers übernahm den Vorsitz in der Human Relations Commission in seiner Heimatstadt, half bei der Gründung eines erfolgreichen Zentrums für verarmte Familien und hielt Vorträge an Hunderten von Hochschulen und Gemeindezentren sowie vor Vertreter:innen verschiedener Berufsgruppen. Aufgrund seiner eigenen Erfahrungen schrieb er mehrere Artikel und ein Buch (A Quiet World) über Gehörverlust und setzt sich für einen Wandel in der unterstützenden Hörtechnologie in den USA ein (7 www.hearingloop.org). Für seine Arbeit erhielt er Auszeichnungen von der American Academy of Audiology, der Hörgeräteindustrie und der Hearing Loss Association of America. David und Carol Myers lernten sich während ihres Studiums kennen und heirateten noch vor ihrem Abschluss. Sie haben zwei Söhne (Peter und Andrew), eine Tochter (Laura) und mittlerweile auch ein Enkelkind (Allie, . Abb. 6.19).
LII
Über die Autoren
Nathan DeWall ist Professor für Psychologie und Leiter des Labors für Sozialpsychologie an der University of Kentucky. Er erhielt seinen Bachelor-Abschluss am St. Olaf College, einen Master-Abschluss in Sozialwissenschaften an der University of Chicago und einen Master-Abschluss sowie Doktor in Sozialpsychologie an der Florida State University. DeWall erhielt den „College of Arts and Sciences Outstanding Teaching Award“, mit dem herausragende Leistungen in der Lehre gewürdigt werden. Die amerikanische Association for Psychological Science zeichnete DeWall schon früh in seiner Karriere als „Rising Star“ aus, weil er „bedeutende Beiträge zum Bereich der psychologischen Wissenschaft“ geleistet hat. DeWalls Forschung befasst sich mit engen Beziehungen, Selbstkontrolle und Aggression. Mit der finanziellen Unterstützung der National Institutes of Health und der National Science Foundation hat er über 190 wissenschaftliche Artikel und Kapitel veröffentlicht. Für seine Arbeit erhielt DeWall zahlreiche Forschungspreise wie den „SAGE Young Scholars Award“ der Foundation for Personality and Social Psychology, den „Young Investigator Award“ der International Society for Research on Aggression und den „Early Career Award“ der International Society for Self and Identity. Über seine Forschung wurde auch in den Medien berichtet, darunter in Good Morning America, The Wall Street Journal, Newsweek, The Atlantic Monthly, The New York Times, The Los Angeles Times, Harvard Business Review, USA Today, National Public Radio, der BBC und The Guardian. DeWall hat auf nationaler und internationaler Ebene Vorträge gehalten, unter anderem in Hongkong, China, den Niederlanden, England, Griechenland, Ungarn, Schweden und Australien. Nathan ist glücklich mit Alice DeWall verheiratet und stolzer Vater von Beverly „Bevy“ und Ellis. Er spielt gerne mit seinen beiden Golden Retrievern Finnegan und Atticus. In seiner Freizeit schreibt er Romane, sieht sich Sport an, kümmert sich um seine Hühner und Ziegen und läuft, läuft, läuft. Er hat allen Klimazonen getrotzt – von den verschneiten Pfaden in Michigan bis zur sengenden Hitze der Sahara – und dabei über 1000 Meilen Ultramarathon absolviert, darunter 2017 auch den Badwater 135 (der als „härtester Wettlauf der Welt“ bekannt ist).
1
Prolog: Die Geschichte der Psychologie Inhaltsverzeichnis 1.1
Was ist Psychologie? – 2
1.1.1 1.1.2 1.1.3 1.1.4 1.1.5 1.1.6
Psychologie als Wissenschaft – 2 Kritisches Denken – 3 Die Geburtsstunde der psychologischen Wissenschaft – 6 Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie – 9 Moderne Psychologie – 11 Mit Psychologie besser leben und lernen – 20
1.2
Rückblick: Was ist Psychologie? – 22
1.2.1 1.2.2 1.2.3
Verständnisfragen – 22 Schlüsselbegriffe – 22 Master the Material – 22
Weiterführende deutsche Literatur – 23
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_1
1
2
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
Owen Gingerich, Astronom in Harvard, beschreibt das menschliche Gehirn als „bei weitem das komplexeste uns bekannte physische Gebilde des gesamten Kosmos“ (Gingerich 2006, S. 29). In der Größenordnung des Weltalls sind wir weniger als ein einzelnes Sandkorn an den Stränden aller Ozeane und unsere Lebenszeit entspricht lediglich einer Nanosekunde. Dennoch gibt es nichts Beeindruckenderes und Faszinierenderes als unsere eigene innere Welt. Unser Bewusstsein – unser Verstand, der irgendwie aus Materie hervorgeht – bleibt ein tiefgreifendes Geheimnis. Unser Denken, unsere Emotionen und Handlungen (und ihre Wechselwirkung mit Gedanken, Gefühlen und Handlungen anderer) faszinieren uns. Das Weltall mit seinem ungeheuerlichen Ausmaß verschlägt uns den Atem. Unsere innere Welt dagegen bezaubert uns. Nehmen Sie teil an der psychologischen Wissenschaft! Für Menschen, die ihr Wissen über Psychologie aus Zeitschriften, Fernsehsendungen und Populärliteratur beziehen, scheint ein Psychologe die Persönlichkeit zu analysieren, Beratung anzubieten und Ratschläge zur Kindererziehung zu geben. Sind das die Arbeitsfelder der Psychologie? Ja, durchaus, und noch viele weitere. Vielleicht haben auch Sie sich schon einmal Gedanken zu einigen der folgenden Fragen der Psychologie gemacht: Haben Sie schon einmal erlebt, dass Sie auf eine Situation genauso reagieren wie Ihre biologischen Eltern reagiert hätten, vielleicht sogar so, wie Sie es nie von sich gedacht hätten? Und haben Sie sich dann gefragt, wie viel von Ihrer Persönlichkeit Sie durch Vererbung mitbekommen haben? Wie stark sind die Persönlichkeitsunterschiede zwischen einer Person und einer anderen von den Genen vorherbestimmt? Und wie stark sind sie durch Umwelt, Elternhaus und Nachbarschaft beeinflusst? Haben Sie sich je Gedanken darüber gemacht, wie Sie sich in Gegenwart von Menschen verhalten sollen, die aus einem anderen Kulturkreis stammen, einer anderen ethnischen Gruppe angehören oder eine andere Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung haben? Wo liegen die Ähnlichkeiten innerhalb der Menschenfamilie? Worin unterscheiden wir uns voneinander? Sind Sie je aus einem Alptraum hochgeschreckt und haben sich dann erleichtert gefragt, warum Sie so etwas Verrücktes geträumt haben? Warum träumen wir? Haben Sie je mit einem sechs Monate alten Kind „Guckguck“ gespielt und sich gefragt, warum das Baby dieses Spiel so hinreißend findet? Was kann ein Baby wahrnehmen? Was denkt es? Haben Sie sich je gefragt, worauf Erfolg in der Schule und im Arbeitsleben beruht? Ist angeborene Intelligenz der Grund dafür, warum manche Menschen reicher werden, kreativer denken oder in Beziehungen einfühlsamer sind als andere? Oder spielen harte Arbeit und
-
-
-
die Überzeugung, dass wir klüger werden können, eine größere Rolle? Waren Sie je in depressiver oder ängstlicher Stimmung und haben sich gefragt, ob Sie sich jemals wieder „normal“ fühlen können? Wodurch wird eine schlechte – oder gute – Stimmung ausgelöst? Wo liegt die Grenze zwischen einer normalen Gemütsschwankung und einer psychischen Störung?
Die Psychologie ist eine Wissenschaft, die nach Antworten auf solche Fragen sucht, die uns Menschen betreffen – wie und warum wir so denken, fühlen und handeln, wie wir es tun. 1.1
Was ist Psychologie?
In längst vergangenen Zeiten geschah es, dass auf unserem Planeten der Mensch entstand. Bald darauf begannen diese Geschöpfe, sich sehr intensiv für sich selbst und füreinander zu interessieren. Sie fragten: „Wer sind wir? Woher kommen unsere Gedanken? Unsere Gefühle? Unsere Handlungen? Und wie können wir die anderen Geschöpfe, die auch hier leben, verstehen, beherrschen oder kontrollieren?“ 1.1.1
Psychologie als Wissenschaft
?? 1.1 Was zeichnet die Psychologie als Wissenschaft aus
und warum „hat die Ratte immer Recht“?
Aller Wissenschaft liegt in erster Linie der Wunsch zugrunde, Neues zu erforschen und zu verstehen, ohne dabei in die Irre zu führen oder geführt zu werden. Manche Fragen gehen über die Wissenschaft hinaus (Gibt es ein Leben nach dem Tod?). Die Antwort auf solche Fragen erfordert auch ein Stück Glauben. Wie bei vielen anderen Ideen (Gibt es Menschen mit übersinnlicher Wahrnehmung?) ist auch hier die Frage des Beweises ausschlaggebend. Lassen Sie die Fakten für sich selbst sprechen. >>Um einen aktiven Lernprozess zu unterstützen, erschei-
nen am Anfang jedes Unterkapitels nummerierte Lernziele in Frageform. Sie können einen kleinen Selbsttest vornehmen, indem Sie versuchen, jede Frage sowohl vor als auch nach dem Lesen zu beantworten.
Der Zauberer James Randi bedient sich dieser empirischen Methode, wenn er die auf den Prüfstand stellt, die behaupten, die Aura des Menschen sehen zu können: >>Im gesamten Text sind wichtige Begriffe fettgedruckt.
Während des Lesens finden Sie diese Begriffe mit ihren Definitionen im Text sowie im Glossar am Ende des Buches.
3
1.1 • Was ist Psychologie?
..Abb. 1.1 Die Einstellung von Menschen aus der Wissenschaft: Skepsis ohne Zynismus und Offenheit ohne Leichtgläubigkeit. (NON SEQUITUR © 1997 Wiley Ink, Inc.. Dist. By UNIVERSAL UCLICK. Reprinted with permission. All rights reserved.)
Randi: Aura-Seher: Randi: Aura-Seher: Randi:
Sehen Sie eine Aura um meinen Kopf ? Ja, ich sehe tatsächlich Ihre Aura. Und wenn ich diese Zeitschrift vor mein Gesicht halte, können Sie die Aura dann immer noch sehen? Natürlich. Wenn ich mich also hinter diese Wand stelle, die kaum höher ist als ich, dann könnten Sie feststellen, wo ich stehe, weil die Aura über meinem Kopf zu sehen ist. Richtig?
Nach Randis Aussage war noch nie ein Aura-Seher bereit, sich dieser Prüfung zu unterziehen. Empirische Methode („empirical approach“) – eine evi-
denzbasierte Methode, die sich auf Beobachtungen und Experimente stützt. Ganz gleich, wie sinnvoll oder wie verrückt eine Idee auch sein mag: Die hartnäckige Frage lautet: Klappt es? Lässt sich das, was vorhergesagt wird, durch Überprüfung bestätigen? Manchmal finden verrückt klingende Ideen Unterstützung, wenn sie einer so genauen Prüfung unterzogen werden. Im 18. Jahrhundert spotteten Gelehrte über die Idee, dass Meteoriten von außerhalb der Erde kämen. Als zwei Forscher aus Yale die gängige Meinung in Frage stellten, höhnte Thomas Jefferson: „Meine Herren, eher glaube ich, dass diese zwei Yankee-Professoren lügen, als dass Steine vom Himmel gefallen sind.“ Manchmal verwandelt wissenschaftliche Forschung Buhrufe in Beifall. Doch meistens nutzt die Gesellschaft die Wissenschaft zur Abfallbeseitigung: Verrückt klingende Ideen werden auf den Müllhaufen der vergessenen Behauptungen geworfen, wo sich bereits angebliche Perpetuummobile-Maschinen, Wunderheilmittel gegen Krebs und körperlose Reisen in längst vergangene Jahrhunderte befinden. Wenn wir Fantasie von Wirklichkeit und Sinn von Unsinn unterscheiden wollen, brauchen wir die Einstellung von Menschen aus der Wissenschaft: Skepsis ohne Zynismus und Offenheit ohne Leichtgläubigkeit (. Abb. 1.1). In der Arena der miteinander konkurrierenden Ideen kann ein skeptischer Test aufzeigen,
welche Idee am besten zu den Fakten passt. Kann ein Astrologe aufgrund der Planetenposition im Augenblick Ihrer Geburt Ihre Zukunft vorhersagen? Ist die Elektrokrampftherapie (die Verabreichung elektrischer Stromstöße an das Gehirn) eine effiziente Therapiemethode bei schweren Depressionen? Wie wir sehen werden, hat eine genaue Überprüfung dieser Behauptungen Psychologen dazu gebracht, die erste Frage mit Nein, die zweite mit Ja zu beantworten. Die praktische Umsetzung der wissenschaftlichen Haltung erfordert nicht nur Neugier und Skepsis, sondern auch Bescheidenheit – ein Bewusstsein für unsere eigene Anfälligkeit zu irren und eine Offenheit für neue Perspektiven. Nicht meine oder Ihre Meinung zählt bei der abschließenden Analyse, sondern die Wahrheiten, die unser Fragen und Forschen offenlegen. Wenn sich die Menschen oder andere Tiere nicht so verhalten, wie unsere Vorstellungen das vorhersagen, dann ist das Pech für unsere Vorstellungen. Das ist die bescheidene Einstellung, die in einem frühen Motto der Psychologie zum Ausdruck kommt: „Die Ratte hat immer Recht.“ Siehe hierfür . Abb. 1.2. ?? 1.2 Was sind die drei Hauptkomponenten der wissen-
schaftlichen Haltung und auf welche Weise unterstützen sie wissenschaftliches Arbeiten?
1.1.2
Kritisches Denken
?? 1.3 Auf welche Weise fördert kritisches Denken eine
wissenschaftliche Haltung? Und wie kann es uns im Alltag klüger machen?
Die wissenschaftliche Haltung (Neugier + Skepsis + Bescheidenheit) erlaubt es uns, klügere Entscheidungen zu treffen. Kluges oder kritisches Denken unterzieht Vorannahmen einer Prüfung, beurteilt die Glaubwürdigkeit von Informationsquellen, erkennt verborgene Werte, überprüft Beweise auf ihre Richtigkeit hin und erfasst daraus resultierende Schlussfolgerungen. Ob beim Lesen eines Forschungsberichts oder eines Online-Artikels, beim Anhören der Nachrichten oder einer Talk-Show: Ein kritischer Denker stellt Fragen. Er verhält sich wie ein
1
4
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
1NEUGIER:
Funktioniert das?
Können die Vorhersagen bestätigt werden, wenn sie einer Prüfung unterzogen werden?
Können manche Menschen Gedanken lesen?
Hat Stress Auswirkungen auf die Gesundheit und das Wohlbefinden?
2 SKEPSIS:
Was meinst du?
Woher weißt du das?
Um Realität von Fantasie unterscheiden zu können, ist eine gesunde Skepsis erforderlich, also eine Einstellung, die weder zynisch (alles anzweifeln) noch leichtgläubig (alles glauben) ist.
3 BESCHEIDENHEIT: Forschende müssen bereit sein, sich überraschen zu lassen und neuen Ideen zu folgen. Menschen und andere Tiere verhalten sich nicht immer so, wie unsere Vorstellungen und Überzeugungen es vorhersagen würden.
Beeinflussen unsere Mimik und Körperhaltung, wie wir uns tatsächlich fühlen?
Beeinflusst elterliches Verhalten die sexuelle Orientierung eines Kindes oder nicht?
Bisher konnte noch niemand übersinnliches Gedankenlesen nachweisen.
Unsere Mimik und Körperhaltung können beeinflussen, wie wir uns fühlen.
Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass höherer Stress mit einer schlechteren Gesundheit einhergeht.
Wie wir in Kapitel 12 sehen werden, gibt es keinen Zusammenhang zwischen dem elterlichen Verhalten und der sexuellen Orientierung eines Kindes.
Die Ratte hat immer Recht.
..Abb. 1.2 Kritisch nachdenken über: Die wissenschaftliche Haltung. Drei Hauptkomponenten haben die moderne Wissenschaft erst möglich gemacht
Wissenschaftler: Woher weiß man das? Welche Ziele verfolgt die Person mit dem, was sie sagt? Beruht die Schlussfolgerung auf anekdotischen Berichten oder gibt es einen Beweis? Erlaubt dieser Beweis eine Schlussfolgerung auf Ursache und Wirkung? Welche alternativen Erklärungen wären möglich?
» „Das Problem mit Zitaten im Internet ist, dass man nie weiß, ob sie echt sind.“ Abraham Lincoln (zitiert nach einem Tweet)
Kritisches Denken („critical thinking“) – eine Art zu den-
ken, die Argumente und Schlussfolgerungen nicht einfach blindlings akzeptiert. Stattdessen werden Vorannahmen einer Prüfung unterzogen, die Glaubwürdigkeit von Informationsquellen beurteilt, Abweichungen werden aufgedeckt, Beweise auf ihre Richtigkeit hin überprüft und daraus resultierende Schlussfolgerungen werden erfasst. Kritische Denker erschaudern, wenn Menschen aus dem Bauch heraus Tatsachenbehauptungen aufstellen: „Ich
5
1.1 • Was ist Psychologie?
a
b
..Abb. 1.3 a,b Das Leben nach dem Psychologiestudium. Das Psychologiestudium und die darin vermittelten Strategien des kritischen Denkens können Studierende auf ganz verschiedene Berufe vorbereiten, wie die Beispiele des Facebook-Gründers Mark Zuckerberg (der in Harvard Psychologie und Informatik studierte) und der Schau-
spielerin Natalie Portman (die in Harvard Psychologie als Hauptfach studierte und als Co-Autorin an einem wissenschaftlichen Artikel mitwirkte – und während einer ihrer Semesterferien in Star Wars: Episode I mitspielte) zeigen. (a: © Paul Sakuma/ASSOCIATED PRESS/ picture alliance; b: © Mary Evans Picture Library/picture-alliance)
habe das Gefühl, der Klimawandel findet (nicht) statt.“ „Ich habe das Gefühl, dass selbstfahrende Autos gefährlicher (oder sicherer) sind.“ „Ich habe das Gefühl, dass meine Partei ehrlicher ist.“ Solche Überzeugungen, die häufig fälschlicherweise als Gefühle bezeichnet werden, können wahr sein oder auch nicht. Kritische Denker akzeptieren, dass sie mit ihren Meinungen falsch liegen können. Manchmal bestätigen empirische Funde unsere Intuitionen. Manchmal stellen sie sie in Frage und führen uns zu einer anderen Denkweise. Kritisches Denken – auf wissenschaftlicher Basis – lässt unsere durch Voreingenommenheit gefärbten Linsen klar werden. Denken Sie einmal nach: Bedroht der Klimawandel unsere Zukunft und, wenn ja, wird er vom Menschen verursacht? 2016 interpretierten Klimaschützer Rekordüberschwemmungen in Louisiana als Belege für den Klimawandel. Im Winter 2015 führten Klimawandelskeptiker die bittere Kälte in Nordamerika an, um die globale Erwärmung in Frage zu stellen. Statt dass sie ihr Verständnis des Klimawandels vom Tageswetter beeinflussen lassen oder von ihren eigenen politischen Ansichten, verlangen kritische Denker Beweise. Erwärmt sich die Erde langfristig betrachtet tatsächlich? Schmelzen die polaren Eiskappen? Verändern sich Vegetationsmuster? Und produziert die menschliche Aktivität Gase, die uns solche Veränderungen erwarten lässt?
Wenn sie über solche Themen nachdenken, werden kritische Denker die Glaubwürdigkeit von Quellen berücksichtigen. Sie werden die Beweislage anschauen („Werden sie von Fakten unterstützt oder erfinden sie das Ganze bloß?“). Sie werden vielfältige Perspektiven erkennen. Und sie werden sich Informationsquellen aussetzen, die ihre vorgefassten Meinungen in Frage stellen (. Abb. 1.3). Manche tief religiöse Menschen sehen die Wissenschaft, einschließlich der wissenschaftlichen Psychologie, als Bedrohung. Und doch ist die wissenschaftliche Revolution meist von tief religiösen Menschen – dazu gehörten Kopernikus und Newton – angeführt worden, die nach der religiösen Vorstellung handelten, dass man, „um Gott zu lieben und zu achten, die Wunder seiner Schöpfung auch ganz würdigen muss“ (Stark 2003a, b).
» „Der eigentliche Zweck der wissenschaftlichen Methode
ist es, sich zu vergewissern, ob die Natur einen nicht zu der falschen Annahme verleitet hat, man wüsste etwas, was man in Wirklichkeit nicht weiß.“ Robert M. Pirsig, Zen und die Kunst ein Motorrad zu warten, 1974
» „Ich glaube zutiefst, dass, wenn irgendein Gott der tradi-
tionellen Sorte existiert, unsere Neugier und Intelligenz durch solch einen Gott gegeben ist. Wir würden diese Geschenke nicht schätzen … wenn wir unsere Leidenschaft unterdrückten, das Universum und uns selbst zu erforschen.“ Carl Sagan, Broca’s Brain, 1979
Kritische Untersuchungen der Psychologie können zu unerwarteten Ergebnissen führen. Ein größerer Verlust von Hirngewebe zu einem frühen Zeitpunkt des Lebens hat evtl. nur minimale Langzeiteffekte (7 Kap. 3). Neugeborene können den Geruch ihrer Mutter innerhalb weniger Tage nach der Geburt erkennen (7 Kap. 6). Nach einer Hirnverletzung kann ein Mensch neue Fähigkeiten erlernen, sich jedoch nicht bewusst sein, dass er sie erlernt hat (7 Kap. 9). Unterschiedliche Gruppen – Männer und Frauen, Alte und Junge, Wohlhabende
1
6
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
und Mittelschicht, Menschen mit und ohne Behinderung – berichten über ein ungefähr vergleichbares Niveau persönlichen Glücks (7 Kap. 13). Die Kapitel dieses Buches werden auch zeigen, dass kritische Untersuchungen mitunter weitverbreitete Annahmen widerlegen. Schlafwandler setzen nicht ihre Träume in Handlungen um (7 Kap. 4). Die Erfahrungen, die wir im Lauf unseres Lebens gemacht haben, sind nicht alle als Worte im Gehirn gespeichert. Man kann durch Hirnstimulation oder Hypnose nicht einfach „das Tonband zurückspulen“ und tief vergrabene oder verdrängte Erinnerungen wieder zum Leben erwecken (7 Kap. 9). Die meisten Menschen leiden nicht unter einem unrealistisch geringen Selbstwertgefühl und ein hohes Selbstwertgefühl ist nicht immer positiv (7 Kap. 15). Gegensätze ziehen sich im Allgemeinen nicht an (7 Kap. 14). Bei jedem dieser Beispiele und bei weiteren ist das, was man weithin glaubt, durchaus nicht das, was sich als wahr herausgestellt hat. Kritische psychologische Untersuchungen können auch wirksame politische Maßnahmen aufzeigen. Sollten wir zur Verbrechensabschreckung Geld in die Verlängerung von Haftstrafen investieren oder die Wahrscheinlichkeit einer Verhaftung erhöhen? Um Menschen dabei zu helfen, sich von einem Trauma zu erholen, sollten Therapeut:innen sie dazu bewegen, ihr Trauma erneut zu durchleben oder nicht? Sollten wir, um die Wahlbeteiligung zu erhöhen, unsere Mitmenschen über das Problem der niedrigen Wahlbeteiligung informieren oder eher betonen, dass ihre Altersgenossen wählen gehen? Es kommt nicht darauf an, was uns wahr erscheint, sondern was tatsächlich wahr ist. Unterzieht man diese Fragen einer kritischen Untersuchung, zeigt sich – im Gegensatz zur gängigen Praxis –, dass in allen Beispielen dieses Abschnitts die zweite Alternative die überlegene ist (Shafir, 2013). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Beschreiben Sie, was genau kritisches Denken ausmacht.
>>Lernhinweis: Die Gedächtnisforschung macht einen
„testing effect“ deutlich: Wir können Informationen viel besser behalten, wenn wir sie aktiv durch Selbsttest und Prüfung abfragen. (Mehr darüber in 7 Abschn. 1.1.6.) Um Ihr Lernen und Erinnern zu fördern, „prüfen Sie Ihr Wissen“, indem Sie die Fragen beantworten, die Sie in den entsprechenden Kästen durchgehend im Text finden. Die Antworten finden Sie im vorhergehenden Text oder gebündelt auf 7 http://www.lehrbuch-psychologie.de.
..Abb. 1.4 Ein Lächeln ist überall auf der Welt ein Lächeln. In diesem Buch werden Sie die Psychologie als eine globale Wissenschaft kennenlernen, die die Unterschiede und Ähnlichkeiten zwischen Menschen unterschiedlicher Kultur und Geschlechtszugehörigkeit untersucht. Gelächelt wird in allen Kulturen, und ein natürliches fröhliches Lächeln hat überall auf der Welt die gleiche Bedeutung, doch wann und wie oft man lächelt, hängt vom jeweiligen Kulturkreis ab. (© erichon/Fotolia)
1.1.3
Die Geburtsstunde der psychologischen Wissenschaft
?? 1.4 Was sind die wichtigen Meilensteine in der frühen
Entwicklung der Psychologie?
Es liegt in unserer Natur als Menschen, dass wir uns für uns selbst und unsere Umwelt interessieren. Schon über 300 Jahre vor unserer Zeitrechnung stellte der griechische Naturforscher und Philosoph Aristoteles Theorien über Lernen und Gedächtnis, Motivation und Emotion, Wahrnehmung und Persönlichkeit auf. Heute schmunzeln wir über einige seiner Annahmen, wie etwa seine Vermutung, dass uns Nahrung schläfrig macht, da sie für eine Ansammlung von Gas und Hitze um den Sitz unserer Persönlichkeit, das Herz, sorgt. Dennoch muss man Aristoteles zugutehalten, die richtigen Fragen gestellt zu haben (. Abb. 1.4). zz Das erste psychologische Labor
Bis zur Geburtsstunde der Psychologie, wie wir sie heute kennen, dachten die Philosophen weiterhin über das Denken nach. Es war im Jahr 1879 an einem Dezembertag in einem kleinen Raum im dritten Stock der Universität Leipzig; zwei junge Männer halfen einem ernst dreinblickenden Professor mittleren Alters bei der Entwicklung eines Versuchsgeräts: Dieser Mann war Wilhelm Wundt (. Abb. 1.5). Eine Versuchsperson sollte die Taste eines Telegrafengeräts drücken, sobald sie den Aufprall eines Balles auf einer Rampe hörte; und das Gerät sollte den zeitlichen Abstand zwischen Hören und Tastendruck messen (Hunt, 1993). Zu ihrem Er-
1.1 • Was ist Psychologie?
7
..Abb. 1.5 Wilhelm Wundt (1832–1920). Begründer des ersten psychologischen Labors an der Universität Leipzig
..Abb. 1.6 Edward Bradford Titchener (1867–1927). Titchener wandte Introspektion an, um die Elemente des Geistes aufzudecken
staunen fanden sie, dass die Versuchsteilnehmenden in ungefähr einem Zehntel einer Sekunde reagierten, wenn sie die Taste drücken sollten, sobald das Geräusch auftrat, dass sie aber zwei Zehntel einer Sekunde brauchten, wenn sie die Anweisung erhielten, die Taste erst in dem Augenblick zu drücken, in dem ihnen bewusst wurde, dass sie das Geräusch hörten (sich seiner Bewusstheit bewusst zu sein, dauert etwas länger). Wundt versuchte, „die Elemente des Seelenlebens“ zu erfassen, nämlich die einfachsten und am schnellsten ablaufenden seelischen Prozesse. Unter Wundts Leitung und unter Mitarbeit der ersten Absolventen eines Psychologiestudiums war das erste psychologische Labor entstanden.
die sie machten, wenn sie eine Rose betrachteten, einem Metronom zuhörten, einen Duft rochen oder den Geschmack einer Substanz wahrnahmen. Welches waren ihre unmittelbaren Empfindungen, ihre Bilder, ihre Gefühle? Und welchen Zusammenhang gab es zwischen ihnen? Die Introspektion erwies sich jedoch als unberechenbar: Sie erforderte kluge, wortgewandte Menschen und führte bei jedem Menschen und bei jeder Erfahrung zu anderen Ergebnissen. So verschwand die Introspektion und mit ihr der Strukturalismus. Der Versuch, die Struktur der Seele einfach aus ein paar Elementen zu konstruieren, ist ungefähr so erfolgreich wie der Versuch, die Funktionsweise eines Autos anhand seiner Einzelteile verstehen zu wollen.
zz Die ersten Denkschulen der Psychologie
Es dauerte nicht lange, bis sich verschiedene Subdisziplinen und Denkschulen dieser neuen Wissenschaft Psychologie entwickelten – begründet durch Vordenker und Pioniere. Zwei frühe Schulen waren der Strukturalismus und der Funktionalismus. Strukturalismus. So wie in Physik und Chemie die Struk-
tur der Materie aufgedeckt wurde, wollte Wundts Schüler, Edward Bradford Titchener, die Elemente des Geistes entdecken. Seine Methode bestand darin, Menschen zur selbstreflektierenden Introspektion (nach innen gerichtete Selbstbeobachtung) anzuregen (. Abb. 1.6). Er brachte ihnen bei, die Einzelheiten der Erfahrungen zu berichten,
Funktionalismus. Der Philosoph und Psychologe Wil-
liam James versprach sich mehr davon, die Funktionen unserer Gedanken und Gefühle zu betrachten. Riechen ist das, was die Nase macht, und Denken ist das, was der Geist tut. Doch warum tun sie das? Beeinflusst durch den Evolutionstheoretiker Charles Darwin ging James von der Annahme aus, dass sich die Fähigkeit zum Denken – wie die Fähigkeit zum Riechen – entwickelt hatte, weil sie eine Anpassung darstellte und damit zur Überlebensfähigkeit unserer Vorfahren beitrug. Bewusstsein erfüllt eine Funktion: Es versetzt uns in die Lage, unsere Vergangenheit zu bedenken, uns an gegenwärtige Umstände anzupassen und unsere Zukunft zu planen. Um
1
8
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
..Abb. 1.7 a,b William James (1842–1910) und Mary Whiton Calkins (1863–1930). William James, legendärer Lehrer und Autor, verfasste im Jahr 1890 ein einflussreiches psychologisches Lehrbuch. Er war auch Mentor für Mary Calkins, aus der eine bahnbrechende Gedächtnisforscherin und die erste weibliche Präsidentin der American Psychological Association wurde
a
diese adaptiven Geistesfunktionen zu begreifen, untersuchte James ganz alltägliche Emotionen, Erinnerungen, die Willenskraft, Gewohnheiten und den momentanen Bewusstseinsstrom. Durch James’ zahlreiche Artikel wurde der Verleger Henry Holt dazu bewogen, ihm einen Vertrag für ein Lehrbuch über diese neue Wissenschaft, die Psychologie, anzubieten. James nahm den Auftrag an und begann 1878 mit der Arbeit, wobei er sich dafür entschuldigte, für die Fertigstellung seines Werkes voraussichtlich zwei Jahre zu benötigen. Bald zeigte sich jedoch, dass sich die Arbeit an dem Buch unerwartet schwierig gestaltete und er brauchte schließlich 12 Jahre, um es fertigzustellen (eigentlich gar nicht überraschend). Noch heute, mehr als 100 Jahre nach ihrem Erscheinen werden die Principles of Psychology immer noch gelesen, und die Leser haben ihre Freude an der brillanten, eleganten Art, mit der William James das gebildete Publikum in die Psychologie einführte. Die erste deutsche Auflage erschien übrigens unter dem Titel Psychologie 1909 in Leipzig. Strukturalismus („structuralism“) – frühe Denkrichtung,
die von Wundt und Titchener repräsentiert wurde. Sie nutzte Introspektion, um die Struktur der menschlichen Psyche aufzudecken. Funktionalismus („functionalism“) – frühe Denkrichtung, die von James repräsentiert und von Darwin beeinflusst wurde. Sie untersuchte, wie mentale Prozesse und Verhaltensweisen funktionieren und inwiefern sie dazu beitragen, dass sich Organismen anpassen, überleben und gedeihen. zz Die ersten Frauen in der Psychologie
Das wichtigste Vermächtnis von William James sind seine Lehrtätigkeit an der Harvard Universität und seine Publikationen. Im Jahre 1890 – 30 Jahre bevor Frauen in den
b
Vereinigten Staaten das Wahlrecht erhielten – nahm er trotz der Einwände des Universitätspräsidenten von Harvard Mary Whiton Calkins in sein Graduiertenseminar auf (Scarborough u. Furumoto 1987; . Abb. 1.7). Als sie kam, gingen alle anderen (allesamt männlichen) Studenten. Daher hielt James das Seminar allein mit ihr ab. Später erfüllte sie alle Voraussetzungen für einen Doktortitel in Harvard und war in ihrer Abschlussprüfung besser als die männlichen Studierenden. Trotzdem weigerte sich Harvard, ihr den Doktortitel zu verleihen. Man bot ihr stattdessen einen Abschluss am Radcliffe College an, einer kooperierenden Hochschule, bei der Frauen einen Bachelor-Abschluss machen konnten. Calkins wehrte sich gegen die Ungleichbehandlung und lehnte den Abschluss ab. Dennoch wurde sie eine bekannte Gedächtnisforscherin und 1905 die erste weibliche Präsidentin der American Psychological Association (APA). Die Ehre, die erste Frau mit einem offiziellen Doktortitel in Psychologie zu sein, fiel später Margaret Floy Washburn zu, die auch ein einflussreiches Buch mit dem Titel The Animal Mind schrieb und 1921 als zweite Frau Präsidentin der APA wurde (. Abb. 1.8). Doch auch ihr blieben aufgrund ihrer Geschlechtszugehörigkeit einige Türen versperrt. Obwohl Wilhelm Wundt ihre Doktorarbeit als erste ausländische Untersuchung in seiner Zeitschrift veröffentlichte, durfte sie nicht der Organisation der Experimentalpsychologen beitreten, deren Gründer Edward Titchener, der Betreuer ihrer Doktorarbeit, war (Johnson 1997). Wir haben es heute mit einer ganz anderen Welt zu tun als damals: Zwischen 1997 und 2017 waren 10 von 20 gewählten Präsidenten der wissenschaftsorientierten Association for Psychological Science Frauen. Von 2004 bis 2006 war Hannelore Weber Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und von 2008 bis 2010 bekleidete Ursula Staudinger dieses Amt. In den Vereinigten Staaten, Kanada und Europa werden heute die meisten Doktortitel in Psychologie an Frauen vergeben.
9
1.1 • Was ist Psychologie?
zentrierten sich auf die inneren Empfindungen, Bilder und Gefühle. Auch James legte seinen Schwerpunkt auf die Introspektion und wollte den Bewusstseinsstrom und die Emotionen untersuchen. Für diese und andere frühe Pioniere wurde die Psychologie als „die Wissenschaft vom Seelenleben“ definiert. zz Behaviorismus
..Abb. 1.8 Margaret Floy Washburn (1871–1939). Die erste Frau, die einen Doktortitel in Psychologie erhielt. Washburn trug in The Animal Mind Forschungen über das Verhalten von Tieren zusammen
Diese Definition herrschte bis in die 1920er Jahre vor, als der erste von zwei provokativen amerikanischen Psychologen auf der Bildfläche erschien. John B. Watson, sowie später auch Burrhus F. Skinner, lehnte die Introspektion ab und definierte die Psychologie neu als „die wissenschaftliche Untersuchung des beobachtbaren Verhaltens“. Letztendlich, sagten sie, wurzelt die Wissenschaft doch in der Beobachtung: Was nicht beobachtet und gemessen werden kann, entzieht sich somit einer wissenschaftlichen Untersuchung. Eine Empfindung, ein Gefühl oder einen Gedanken kann man nicht beobachten; aber es ist durchaus möglich, das konditionierte Verhalten von Menschen zu beobachten und aufzuzeichnen, also wie sie in unterschiedlichen Situationen lernen und reagieren. Viele stimmten ihnen zu und der Behaviorismus wurde zu einem der beiden Hauptströme der Psychologie bis in die 1960er Jahre (. Abb. 1.9, 1.10). Behaviorismus („behaviorism“) – Sichtweise, dass Psy-
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welches Ereignis definierte den Beginn der wissenschaftlichen Psychologie? – Warum versagte die Introspektion als Methode zum Verständnis, wie die Seele funktioniert? – Der ___ nutzte Introspektion, um den Aufbau der Seele zu definieren; der ___ konzentrierte sich darauf, wie es uns mentale Prozesse ermöglichen, uns anzupassen, zu überleben und zu gedeihen.
1.1.4
Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie
?? 1.5 Wie trieben Behaviorismus, Freud’sche Psycho-
logie und humanistische Psychologie die Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie voran?
In den frühen Tagen des Fachs teilten viele Psychologen die Meinung des englischen Essayisten C. S. Lewis, dass es „nur ein einziges Ding im Universum gibt, über das wir mehr wissen, als wir durch äußere Beobachtung erfahren können“. Dieses einzige Ding, sagte Lewis, sind wir selbst. „Wir haben gewissermaßen Informationen von innen“ (1960, S. 18–19). Wundt und Titchener kon-
chologie 1. eine objektive Wissenschaft sein sollte, die 2. Verhalten ohne Bezug auf mentale Prozesse untersucht. Heutzutage stimmen die meisten in der Forschung tätigen Psychologen Punkt 1 zu, aber nicht Punkt 2. zz Freud’sche Psychologie
Die andere Hauptströmung war die Freud’sche Psychologie, die sich vor allem mit der Art und Weise beschäftigte, wie emotionale Reaktionen auf Kindheitserfahrungen und unbewusste Denkprozesse unser Verhalten beeinflussen (. Abb. 1.11). (In späteren Kapiteln werden wir uns die Lehren von Sigmund Freud, einschließlich seiner Persönlichkeitstheorie sowie seine Ansichten über unbewusste sexuelle Konflikte und die Abwehrmechanismen der Seele gegen ihre eigenen Wünsche und Impulse, näher ansehen.) zz Humanistische Psychologie
So wie die Behavioristen die Definition der Psychologie vom Anfang des 20. Jahrhunderts abgelehnt hatten, wiesen andere Gruppen die behavioristische Definition zurück. Die humanistische Psychologie der 1960er Jahre, unter der Führung von Carl Rogers und Abraham Maslow, fand sowohl die Freud’sche Psychologie als auch den Behaviorismus zu eingeschränkt. Statt frühe Kindheitserinnerungen hervorzulocken oder sich auf erlerntes Verhalten zu konzentrieren, betonten die humanistischen Psychologen die Bedeutung der momentanen Umwelteinflüsse für unser Wachstumspotenzial und die
1
10
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
1
a ..Abb. 1.9 a,b John B. Watson (1878–1958) und Rosalie Rayner (1898–1935). Watson verfocht gemeinsam mit Rayner die Idee von der Psychologie als der Wissenschaft vom Verhalten. In einer umstrittenen
..Abb. 1.10 B. F. Skinner (1904–1990). Ein führender Behaviorist. Er lehnte die Introspektion ab und untersuchte, wie Verhalten durch Konsequenzen geformt wird
b Untersuchung demonstrierten sie an einem Baby, das als „kleiner Albert“ bekannt wurde, dass Angst erlernt werden kann
..Abb. 1.11 Sigmund Freud (1856–1939). Berühmter Persönlichkeitstheoretiker und Therapeut, dessen kontrovers diskutierte Vorstellungen das Verständnis des Menschen vom Selbst beeinflussten
1.1 • Was ist Psychologie?
Bedeutung der Tatsache, dass unsere Bedürfnisse nach Liebe und Akzeptanz erfüllt werden (mehr darüber in 7 Kap. 14.). Humanistische Psychologie („humanistic psychology“) –
historisch bedeutsame Auffassung, bei der das Wachstumspotenzial des Menschen betont wird. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Von den 1920er bis zu den 1960er Jahren waren die beiden Hauptströme in der Psychologie ___ und ___ Psychologie.
1.1.5
Moderne Psychologie
?? 1.6 Inwiefern konzentriert sich die moderne Psycho-
logie auf Kognition, Biologie und Erfahrung, Kultur und Geschlechtszugehörigkeit sowie die Entfaltung des Menschen?
Psycholog:innen der 1960er Jahre bahnten den Weg für eine kognitive Wende, durch die die Psychologie allmählich zu ihrem ursprünglichen Interesse an mentalen Prozessen zurückkehrte; sie betonte etwa die Bedeutung der Art und Weise, wie unser Verstand Informationen verarbeitet und speichert. Noch heute untersucht die kognitive Psychologie wissenschaftlich, wie wir Informationen wahrnehmen, verarbeiten und erinnern sowie wie unsere Gedanken und Emotionen bei Angststörungen, Depression und anderen Störungen zusammenwirken. Die Verknüpfung der kognitiven Psychologie (die Wissenschaft des Geistes) mit der Neurowissenschaft (die Wissenschaft des Gehirns) brachte die kognitive Neurowissenschaft hervor. Dieses Fachgebiet, an dem Forschende aus vielen Disziplinen beteiligt sind, untersucht die Hirnaktivitäten, die geistigen Aktivitäten zugrunde liegen. Kognitive Psychologie („cognitive psychology“) – die
Untersuchung mentaler Prozesse wie sie beim Wahrnehmen, Lernen, Erinnern, Denken, Kommunizieren und Problemlösen auftreten. Kognitive Neurowissenschaft („cognitive neuroscience“)
– die interdisziplinäre Untersuchung der Gehirnaktivität in Verbindung mit Kognition (einschließlich Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis und Sprache). Die moderne Psychologie baut auf der Arbeit vieler früherer Wissenschaftler:innen und Denkrichtungen auf. Um das psychologische Interesse an beobachtbaren Verhaltensweisen mit den Vorstellungen über innere Gedanken und Gefühle unter einen Hut bringen zu können, wird die Psychologie heute als die Wissenschaft vom Verhalten und von den mentalen Prozessen definiert. Wir wollen diese De-
11
finition etwas ausarbeiten. Verhalten ist alles, was ein Organismus macht – jede Handlung, die wir beobachten und registrieren können. Schreien, lächeln, blinzeln, schwitzen, reden und das Ankreuzen von Fragebögen sind allesamt beobachtbare Verhaltensweisen. Mentale Prozesse sind innere subjektive Erfahrungen, die wir aus dem Verhalten erschließen: Empfindungen, Wahrnehmungen, Träume, Überzeugungen, Gedanken und Gefühle. Psychologie („psychology“) – die Wissenschaft vom Verhalten und von den mentalen Prozessen.
Das Schlüsselwort in der Definition von Psychologie ist wissenschaftlich. Bei der Psychologie handelt es sich weniger um eine Aneinanderreihung einzelner Befunde, sondern um eine Methode, Fragen zu stellen und sie zu beantworten. Mein Ziel in diesem Text besteht somit darin, nicht nur Ergebnisse zu berichten, sondern auch zu zeigen, nach welchen Spielregeln sich Psycholog:innen richten. Sie werden sehen, wie Forscher einander widersprechende Meinungen und Vorstellungen bewerten. Und Sie werden erfahren, wie wir alle, seien wir nun Wissenschaftler:innen oder nur neugierige Menschen, tiefgründiger denken können, wenn wir die Ereignisse in unserem Leben beschreiben und erklären. Die Wurzeln der Psychologie liegen in verschiedenen Disziplinen und Ländern. Sie ist eine junge Wissenschaft, die sich aus den etablierteren Feldern der Philosophie und der Biologie heraus entwickelt hat. Wundt war sowohl Philosoph als auch Physiologe, James war ein amerikanischer Philosoph, Freud ein österreichischer Mediziner. Ivan Pavlov, der Pionierarbeit in der Lehre des Lernens leistete (7 Kap. 8), war ein russischer Physiologe und Jean Piaget, der einflussreichste Beobachter von Kindern (7 Kap. 6) des letzten Jahrhunderts, war ein Schweizer Biologe. Diese „Magellane des Geistes“, wie Morton Hunt (1993) sie nannte, machen den vielfältigen Ursprung der Psychologie deutlich. Die heutigen schätzungsweise über eine Million Psycholog:innen kommen wie ihre Wegbereiter:innen aus vielen Staaten (Zoma & Gielen, 2015). Der International Union of Psychological Science gehören 82 Staaten an, von Albanien bis Zimbabwe. Der Berufsverband Deutscher Psychologen hatte 1946 bei seiner Gründung 22 Mitglieder, heute gehören dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen ca. 10.000 Mitglieder in 13 Landesgruppen und 11 Fachsektionen an. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (Vereinigung der wissenschaftlich tätigen Psycholog:innen) wurde 1904 gegründet und hat heute etwa 5400 Mitglieder sowie 22 Ehrenmitglieder. 1960 gab es in Deutschland 2000 erwerbstätige Psycholog:innen, im Jahr 2000 waren es bereits über 45.000 und 2015 lag die Zahl der Erwerbstätigen mit einem Abschluss in Psychologie laut Mikrozensus bei 121.000, von denen rund 92.000 angaben, als Psycholog:in tätig zu sein. In China gab es 1978 das erste
1
12
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
psychologische Institut an einer Universität; 2016 waren es nahezu 270 (Zhang, 2016). Dank internationaler Publikationen, gemeinsamer Treffen und dem Internet überschreitet die Zusammenarbeit und die Kommunikation zudem häufiger als je zuvor die Ländergrenzen. Die Psychologie wächst und zwar in globalem Maßstab. Die Geschichte der Psychologie, die Gegenstand dieses Buches ist, wird an vielen Orten und auf vielen Ebenen weitergeschrieben, wobei die Interessen von Nervenzellaktivitäten bis zur Untersuchung internationaler Konflikte reichen. Die moderne Psychologie, die von vielen Seiten beeinflusst wird, ist besonders von unserem Verständnis von Biologie und Erfahrung, Kultur und Geschlecht und der Entfaltung des Menschen geprägt.
Evolutionäre Psychologie und Verhaltensgenetik Entwickeln sich die Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen durch Erfahrung oder bringen wir sie bereits mit auf die Welt? Dies ist das wichtigste Thema der Psychologie (und der Schwerpunkt von 7 Kap. 5), das uns immer wieder beschäftigt. Die Anlage-Umwelt-Debatte wird allerdings schon seit der Antike geführt. Der griechische Philosoph Platon (428–348 v. Chr.) vertrat den Standpunkt, dass Charakter und Intelligenz weitgehend vererbt und dass sogar manche Ideen angeboren sind. Dagegen ging Aristoteles (348–322 v. Chr.) von der Annahme aus, dass es im menschlichen Geist nichts gibt, was nicht schon zuvor über die Sinne aus der Außenwelt aufgenommen wurde. Anlage-Umwelt-Debatte (auch Erbe-Umwelt-Debatte, „nature-nurture issue“) – die alte Kontroverse darüber,
wie groß im Vergleich zu Erfahrung und Lernen der Einfluss der Gene auf die Ausbildung psychischer Merkmale und die Entwicklung von Verhaltensweisen ist. Heutzutage wird angenommen, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen durch die Wechselwirkung von Anlage und Umwelt entstehen. Die europäischen Philosophen des 17. Jahrhunderts nahmen die Debatte wieder auf. John Locke trug seine Auffassungen vom Geist als „unbeschriebenes Blatt“ vor, das von der Erfahrung beschrieben wird. René Descartes war anderer Meinung: Er glaubte, dass bestimmte Gedanken und Ideen angeboren seien. Zwei Jahrhunderte später wurde Descartes’ Auffassung durch einen neugierigen Naturforscher bestätigt. Ein Student, den das Studium langweilte, der jedoch ein leidenschaftlicher Sammler von Käfern, Weichtieren und Muscheln war, brach 1831 zu einer Seereise auf, die sich als historisch erweisen sollte. Der Reisende war der 22-jährige Charles Darwin, der nach seiner Reise darüber grübelte, wie es zu der unglaublichen Vielfalt von Arten gekommen ist, auf die er unterwegs gestoßen war; darunter Schildkröten auf einer Insel, die sich von denen auf
..Abb. 1.12 Charles Darwin (1809–1882). Behauptete, dass Körperformen und Verhaltensweisen durch natürliche Selektion ausgebildet werden
den benachbarten Inseln unterschieden. 1859 erschien Darwins Buch Origins of Species (dtsch. Die Entstehung der Arten), in dem er darlegte, dass die Mannigfaltigkeit der Lebensformen durch den evolutionären Prozess der natürlichen Selektion zustande gekommen ist: Die Natur wählt aus zufällig entstandenen Veränderungen bei einem Lebewesen diejenige Variation aus, die zum Überleben und zur Fortpflanzung eines Lebewesens in einer bestimmten Umwelt beiträgt (. Abb. 1.12). Darwins Prinzip der natürlichen Selektion – „Die beste Idee, die jemals jemand hatte“, so der Philosoph Daniel Dennett (1996) – ist auch heute noch, über 150 Jahre später, ein Ordnungsprinzip der Biologie. Auch für die Psychologie des 21. Jahrhunderts ist das Evolutionsprinzip ein wichtiges Prinzip. Das hätte Darwin sicher gefreut; denn er glaubte, seine Theorie erkläre nicht nur Strukturen bei Lebewesen (z. B. die Frage, warum Eisbären ein weißes Fell haben), sondern auch das Verhalten von Lebewesen (beispielsweise den Ausdruck von Emotionen in Verbindung mit Lust oder Wut). Natürliche Selektion („natural selection“) – das Prinzip,
dass aus der Menge der ererbten Merkmalsvarianten diejenigen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, die am meisten zur Fortpflanzung und zum Überleben der Lebewesen in einer bestimmten Umwelt beitragen.
13
1.1 • Was ist Psychologie?
a
b
..Abb. 1.13 a,b Ein natürliches Anlage-Umwelt-Experiment. Da eineiige Zwillinge die gleichen Gene haben, sind sie ideale Versuchspersonen in Untersuchungen zum Einfluss von Anlage und Umwelt auf Temperament, Intelligenz und andere Merkmale. Zweieiige Zwillinge unterschei-
den sich genetisch, leben aber oft in derselben Umwelt. Zwillingsstudien weisen darauf hin, dass sowohl Anlagen als auch Umwelt einen großen Einfluss haben (wir kommen später darauf zurück). (a: © Alex Bartel/ Science Photo Library; b: © Vladimir Godnik/fStop/picture alliance)
Die Anlage-Umwelt-Debatte taucht durch das ganze Buch hindurch immer wieder auf, da Psycholog:innen heute den jeweiligen Beitrag von Biologie und Erfahrung erforschen. So fragen sie beispielsweise, worin wir Menschen uns dank unserer gemeinsamen Biologie und Evolutionsgeschichte gleichen. Dies ist der Schwerpunkt der evolutionären Psychologie. Und worin unterscheiden wir uns aufgrund unserer unterschiedlichen Umwelten? Dies ist der Schwerpunkt der Verhaltensgenetik.
Spezies mit einer enormen Lern- und Anpassungsfähigkeit ausgestattet. Außerdem ist alles, was sich psychisch abspielt (jeder Gedanke, jedes Gefühl), gleichzeitig auch ein physiologisches Ereignis. Deshalb kann Depression sowohl eine Störung des Gehirns als auch eine Störung des Denkens sein (. Abb. 1.13).
Evolutionäre Psychologie („evolutionary psychology“) –
die Untersuchung der Evolution von Geist und Verhalten unter Anwendung des Prinzips der natürlichen Selektion. Verhaltensgenetik („behavior genetics“) – die Untersuchung der relativen Bedeutung und Grenzen der Einflüsse von Genen und der Umwelt auf das Verhalten. Wir können beispielsweise die folgenden Fragen stellen: Beruhen Geschlechtsunterschiede auf einer biologischen Prädisposition oder werden sie durch die Gesellschaft hervorgebracht? Kommen Kinder im Allgemeinen mit einer „angeborenen Grammatik“ zur Welt oder wird die Grammatik durch Lernen und Erfahrung erworben? Auf welche Weise haben die Erbanlagen bzw. die Umwelt einen Einfluss auf individuelle Unterschiede bezüglich Intelligenz und Persönlichkeit? Wird sexuelles Verhalten stärker durch die biologische Veranlagung angetrieben oder mehr durch äußere Anreize hervorgerufen? Sollten wir psychische Störungen – wie z. B. Depressionen – als Krankheit des Gehirns, als Denkstörung oder als beides behandeln? Die Diskussion geht ständig weiter. Doch immer wieder werden wir feststellen, dass sich in der modernen Wissenschaft der Gegensatz zwischen Anlage und Umwelt allmählich auflöst: Die Umwelt arbeitet mit dem, was durch die Anlage vorgegeben ist. Biologisch ist unsere
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie beeinflusste die kognitive Wende das Feld der Psychologie? – Was ist natürliche Selektion? – Welche Position vertritt die moderne Psychologie hinsichtlich der Anlage-Umwelt-Debatte?
Interkulturelle Psychologie und Gender-Psychologie Was können wir über Menschen im Allgemeinen lernen aus psychologischen Untersuchungen, die zu einer bestimmten Zeit und an einem bestimmten Ort durchgeführt wurden – zumeist mit Teilnehmenden aus kulturellen Kontexten, die von Psycholog:innen als „WEIRD“, also seltsam, bezeichnet werden („Western, Educated, Industrialized, Rich, and Democratic“; Deutsch: „Westlich, Gebildet, Industrialisiert, Reich und Demokratisch“ [Henrich et al., 2010])? Wir werden es immer wieder erleben: Die Kultur, d. h. die Gemeinschaft von Menschen mit gleichen Vorstellungen und Verhaltensweisen, die von Generation zu Generation weitergegeben werden, ist ein wichtiger Faktor. Unsere jeweilige Kultur formt unser Verhalten. Sie beeinflusst unsere Reaktionsschnelligkeit und Offenheit, unsere Einstellung gegenüber vorehelichem Sex und unsere wechselnden Vorstellungen von der Idealfigur, unsere Tendenz zur Förmlichkeit oder
1
14
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
1
a
b
..Abb. 1.14 a,b Kultur und Küssen. Menschen küssen kulturübergreifend. Doch wie wir es tun, unterscheidet sich. Stellen Sie sich vor, Sie küssen jemanden auf die Lippen. Neigen Sie Ihren Kopf nach rechts oder links? In westlichen Kulturen, in denen von links nach rechts gelesen wird, küssen etwa zwei Drittel aller Paare mit Neigung
nach rechts, wie in William und Kates berühmtem Kuss oder in Auguste Rodins Skulptur „Der Kuss“. In einer Studie küssten 77 % der hebräisch- und arabischsprachigen Rechts-Links-Leser nach links geneigt (Shaki, 2013). (a: © ASSOCIATED PRESS/John Stillwell/ picture alliance; b: © Photoshot/picture alliance)
zur Formlosigkeit, unseren Blickkontakt, unsere Distanz beim Gespräch und vieles andere mehr. Sobald wir uns dieser Unterschiede bewusst sind, können wir uns von der Annahme trennen, dass alle anderen Menschen genauso denken und handeln wie wir.
& Kemmelmeier, 2014). Doch über die kulturellen Grenzen hinweg verstärken Schüchternheit, geringes Selbstwertgefühl und Unverheiratetsein die Einsamkeit (Jones et al., 1985; Rokach et al., 2002).
Kultur („culture“) – dauerhafte Verhaltensweisen, Vor-
stellungen, Einstellungen, Werte und Traditionen einer Gruppe von Menschen, die von einer Generation zur nächsten überliefert werden.
» „Alle Menschen sind gleich, nur ihre Gewohnheiten unterscheiden sich.“ Konfuzius, 551–479 v. Chr.
Unser gemeinsames biologisches Erbe macht uns indessen zu einer großen Familie von Menschen. Es sind dieselben zugrunde liegenden Prozesse, die Menschen überall auf der Welt steuern. Hier sind ein paar Beispiele: Ganz egal, ob in Italien, Frankreich oder Großbritannien: Bei Menschen, die an einer spezifischen Lernstörung (früher als Legasthenie bezeichnet) leiden, ist überall auf dieser Welt dieselbe Hirnfunktion gestört (Paulesu et al., 2001). Unterschiedliche Sprachen mögen die Kommunikation über die kulturellen Grenzen hinweg behindern. Doch alle Sprachen gehorchen den Prinzipien der Grammatik und Menschen aus verschiedenen Erdteilen können sich mit einem Lächeln oder einem Stirnrunzeln verständigen. Menschen verschiedener Kulturen leiden nicht auf die gleiche Art und Weise unter Einsamkeit (Lykes,
-
-
In mancher Hinsicht sind wir wie alle anderen, in mancher Hinsicht sind wir wie manche anderen und in mancher Hinsicht sind wir wie sonst niemand auf der Welt. Die Beschäftigung mit anderen Völkern und Kulturen hilft uns, Ähnlichkeiten und Unterschiede, Gemeinsamkeit und Andersartigkeit zu erkennen (. Abb. 1.14). Auch die Themen „Geschlechtsrolle“ und „Geschlechtszugehörigkeit“ werden in diesem Buch immer wieder angesprochen. Wissenschaftler:innen fanden Geschlechtsunterschiede in unseren Träumen, in der Art, wie wir Emotionen ausdrücken und bei anderen erkennen, im Risiko, abhängig von Alkohol zu werden, an einer Depression zu erkranken oder eine Essstörung zu entwickeln. Geschlechtsunterschiede faszinieren uns. Sie zu untersuchen, ist außerdem potenziell nützlich. So haben viele Wissenschaftler:innen beispielsweise beobachtet, dass Frauen eine Unterhaltung führen, um eine Beziehung herzustellen, Männer dagegen eher, um Informationen und Ratschläge zu geben (Tannen, 2001). Wenn uns dieser Unterschied bewusst ist, können wir Konflikte und Missverständnisse in unseren alltäglichen Beziehungen leichter vermeiden. Psychologisch und biologisch sind Frauen und Männer allerdings einander überaus ähnlich. Männliche und weibliche Kinder lernen ungefähr zur gleichen Zeit gehen. Ob Mann oder Frau, wir haben die gleiche Licht-
15
1.1 • Was ist Psychologie?
und Klangempfindung. Auch das Gefühl von Hunger, Begehren und Angst ist für beide Geschlechter gleich. Intelligenz und Wohlbefinden sind ähnlich. Merken Sie sich: Auch wenn bestimmte Einstellungen und Verhaltensweisen über die kulturellen Grenzen hinweg und je nach Geschlecht variieren, wie es häufig der Fall ist, so sind doch die ihnen zugrunde liegenden Prozesse im Wesentlichen die gleichen.
leben, in der Waffengewalt zur Tagesordnung gehört? All diese Sichtweisen ergänzen sich gegenseitig, denn „alles hängt mit allem zusammen“ (Brewer, 1996). Zusammen bilden die unterschiedlichen Analyseebenen einen integrierten biopsychosozialen Ansatz, bei dem die Einflüsse biologischer, psychologischer und soziokultureller Faktoren berücksichtigt werden (. Abb. 1.15).
Positive Psychologie
lichen sich gegenseitig ergänzenden Auffassungen zur Analyse irgendeines vorgegebenen Phänomens, die von der biologischen über die psychologische bis zur soziokulturellen Auffassung reichen.
In den ersten 100 Jahren der Psychologie ging es häufig darum, Probleme wie Missbrauch und Angst, Depression und Krankheit, Vorurteile und Armut besser zu verstehen und zu behandeln. In der modernen Psychologie ist die Erforschung solcher Herausforderungen auch weiterhin ein wichtiges Thema. Ohne die Notwendigkeit, Schäden zu reparieren und Krankheiten zu heilen, in Frage zu stellen, haben Martin Seligman und andere (2002, 2005, 2011) zu mehr Forschung über die Entfaltung des Menschen aufgerufen. Diese Psychologen nennen ihren Ansatz positive Psychologie. Sie glauben, dass Glück ein Nebenprodukt eines angenehmen, engagierten und sinnvollen Lebens ist. Daher verwendet die positive Psychologie wissenschaftliche Methoden, um den Aufbau eines „guten Lebens“ zu erforschen, bei dem die eigenen Fähigkeiten genutzt werden, und eines „sinnvollen Lebens“, das über uns selbst hinausweist. Positive Psychologie („positive psychology“) – die wis-
senschaftliche Untersuchung der Funktionsfähigkeit des Menschen mit dem Ziel, die Stärken und guten Eigenschaften zu entdecken und zu fördern, die das Gedeihen des Einzelnen und der Gemeinschaft ermöglichen.
Drei zentrale Analyseebenen der Psychologie ?? 1.7 Was sind die zentralen Analyseebenen der Psycho-
logie und welche Sichtweisen sind damit verbunden?
Jeder von uns ist ein komplexes System, ist aber auch Teil eines größeren sozialen Systems. Doch wir alle bestehen auch aus kleineren Systemen, wie etwa unserem Nervensystem oder den Organen des Körpers, die wiederum aus noch kleineren Systemen zusammengesetzt sind – Zellen, Molekülen und Atomen. Diese abgestuften Systeme legen nahe, auf unterschiedlichen Analyseebenen zu arbeiten, die einander ergänzende Sichtweisen liefern. Es ist ein wenig so, als wolle man erklären, warum es an US-Schulen immer wieder zu furchtbaren Schießereien kommt. Liegt es daran, dass die Schützen bestimmte Hirnstörungen haben oder genetisch zu Gewalttaten neigen? Weil sie Brutalität und Chaos in den Medien beobachtet oder gewalttätige Videospiele gespielt haben? Weil sie in einer Gesellschaft
Analyseebenen („levels of analysis“) – die unterschied-
Biopsychosozialer Ansatz („biopsychosocial approach“)
– eine integrierende Sichtweise, die biologische, psychologische und soziokulturelle Analyseebenen berücksichtigt. Jede Analyseebene bietet eine eigene Perspektive auf eine Verhaltensweise oder einen mentalen Prozess, aber ohne Hinzunahme der anderen bleiben sie unvollständig. Jede Perspektive, die in . Tab. 1.1 beschrieben wird, stellt andere Fragen und weist andere Begrenzungen auf. Denken Sie beispielsweise einmal darüber nach, wie sie Wut in einem anderen Licht erscheinen lassen (. Abb. 1.16). Ein Psychologe mit einem neurowissenschaftlichen Ansatz würde die Hirnströme untersuchen, die den körperlichen Zustand der Wut hervorbringen: „gerötetes Gesicht“ oder „der Kragen wird zu eng“. Ein Psychologe mit einem evolutionstheoretischen Ansatz würde analysieren, wie Wut bei unseren Urahnen das Überleben der Gene förderte. Ein Psychologe mit einem verhaltensgenetischen Ansatz würde untersuchen, auf welche Weise Anlage und Erfahrung die jeweils individuellen Temperamentsunterschiede beeinflussen. Ein Psychologe mit einem psychodynamischen Ansatz würde einen Wutausbruch als Ventil für eine unbewusste Feindseligkeit betrachten. Ein Psychologe mit einem verhaltenstheoretischen Ansatz würde herauszufinden versuchen, welche äußeren Reize zu wütenden Reaktionen oder aggressiven Handlungen führen. Ein Psychologe mit einem kognitiven Ansatz würde untersuchen, wie unsere Interpretation einer Situation unsere Wut beeinflusst und wie die Wut auf unser Denken wirkt. Ein Psychologe mit einem soziokulturellen Ansatz würde erforschen, wie sich der Ausdruck von Wut von einer Kultur zur anderen unterscheidet.
-
Merken Sie sich: Wie verschiedene zweidimensionale Ansichten beim Betrachten eines dreidimensionalen Gegenstands, ist jede der psychologischen Perspektiven hilfreich. Jede für sich zeigt jedoch nie das ganze Bild.
1
16
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
Biologische Einflüsse: • genetische Prädispositionen (genetisch beeinflusste Merkmale) • genetische Mutationen (zufällige Fehler in der Genreproduktion) • natürliche Selektion adaptiver Merkmale und Verhalten, die über Generationen weitergegeben wurden • Gene, die auf die Umgebung reagieren
Psychologische Einflüsse: • erlernte Ängste und andere erlernte Erwartungen • emotionale Reaktionen • kognitive Verarbeitung und Wahrnehmungsinterpretationen
Verhalten oder mentale Prozesse
Psychologisch
a
Biologisch
Soziokulturelle Einflüsse: • Anwesenheit anderer • Erwartungen der Kultur, der Gesellschaft und der Familie • Einflüsse vonseiten der Gleichaltrigen und einer anderen Gruppe • Rollenmodelle, denen man nicht widerstehen kann (wie etwa in den Medien)
Soziokulturell
Verhaltensweise oder mentaler Prozess
b
..Abb. 1.15 a,b Biopsychosozialer Ansatz. Diese integrierte Sichtweise umfasst verschiedene Analyseebenen und bietet ein vollständigeres Bild für jedes beliebige Verhalten oder jeden beliebigen mentalen Prozess
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welchen Vorteil haben wir, wenn wir den biopsychosozialen Ansatz beim Untersuchen psychischer Ereignisse verwenden? – Die _____ Perspektive der Psychologie beschäftigt sich damit, inwiefern sich Verhalten und Denken zwischen Situationen und Kulturen unterscheiden; die _____ Perspektive konzentriert sich hingegen auf Beobachtungen, die zeigen, wie wir in unterschiedlichen Situationen reagieren und lernen.
Teilfelder der Psychologie ?? 1.8 Was sind die Hauptteilfelder der Psychologie?
Wenn Sie sich einen Chemiker bei der Arbeit vorstellen, dann haben Sie vor Ihrem inneren Auge wahrscheinlich das Bild eines Wissenschaftlers im weißen Kittel, umgeben von Glasgefäßen und Hightechgeräten. Stellen Sie sich einen Psychologen vor, und Sie liegen richtig, wenn Sie folgende Bilder vor Augen haben: einen Wissenschaftler im weißen Kittel, der ein Rattenhirn untersucht; einen Intelligenzforscher, der misst, wie schnell ein Säugling mit Langeweile reagiert, indem er von einem bekannten Bild wegschaut;
-
-
einen leitenden Angestellten, der ein neues Programm zum Thema „Lebensstil und Gesundheit für Angestellte“ begutachtet; einen Forscher, der am Computer „Big Data“ von Twitter- und Facebook-Profilen analysiert; einen Therapeuten, der aufmerksam den depressiven Gedankengängen eines Patienten folgt; einen Reisenden auf dem Weg zu einer anderen Kultur, um dort Daten über die unterschiedlichen Ausprägungen menschlicher Grundwerte und Verhaltensweisen zu sammeln; einen Dozenten oder Autor, der anderen seine Freude an der Psychologie vermittelt (. Abb. 1.17).
Die verschiedenen Teilgebiete, die unter den Begriff „Psychologie“ fallen, sind ein Treffpunkt für unterschiedliche Disziplinen. „Die Psychologie ist ein Knotenpunkt wissenschaftlicher Fachrichtungen“, so John Cacioppo (2007), der Präsident der Association of Psychological Science. Deshalb ist sie das ideale Feld für Menschen mit weit gespannten Interessen. Trotz ihrer unterschiedlichen Tätigkeiten, die von biologischen Experimenten bis hin zu kulturvergleichenden Studien reichen, eint die Gemeinschaft der Psychologen eine gemeinsame Fragestellung: die Beschreibung und Erklärung des Verhaltens und der mentalen Prozesse, die ihm zugrunde liegen. Einige Psycholog:innen betreiben Grundlagenfor schung und arbeiten damit an der Wissensbasis der
17
1.1 • Was ist Psychologie?
..Tab. 1.1 Aktuelle Ansätze in der Psychologie Sichtweise
Zentrale Fragestellung
Typische Fragen
Arbeitsfelder, die mit dieser Sichtweise arbeiten
Neurowissenschaftlicher Ansatz
Auf welche Weise werden durch den Körper und das Gehirn Emotionen, Erinnerungen und sensorische Erfahrungen überhaupt erst möglich?
Wie werden Schmerzinformationen von unserer Hand in unser Gehirn weitergeleitet? Welche Verbindung gibt es zwischen der chemischen Zusammensetzung des Bluts und Stimmung bzw. Antrieb?
Biologische, kognitive und klinische Psychologie
Evolutionstheoretischer Ansatz
Wie fördert die natürliche Selektion von Merkmalen die Weitergabe der eigenen Gene?
Auf welche Weise beeinflusst die Evolution bestimmte Verhaltenstendenzen?
Biologische, Entwicklungs- und Sozialpsychologie
Verhaltensgenetischer Ansatz
Inwieweit sind unsere Gene und unsere Umwelt für unsere individuellen Unterschiede verantwortlich?
Wie stark sind psychologische Merkmale wie Intelligenz, Persönlichkeit, sexuelle Orientierung oder Depressionsanfälligkeit genetisch bestimmt? Wie stark werden sie durch die Umwelt geprägt?
Persönlichkeits- und Entwicklungspsychologie sowie Rechts- und forensische Psychologie
Psychodynamischer Ansatz
Wie entwickelt sich Verhalten aus unbewussten Trieben und Konflikten?
Wie können wir die Persönlichkeitsmerkmale eines Menschen oder eine psychische Störung durch unerfüllte Wünsche und Kindheitstraumata erklären?
Persönlichkeits- und klinische Psychologie sowie psychologische Beratung
Verhaltenstheoretischer Ansatz
Wie erlernen wir beobachtbare Reaktionen?
Wie lernen wir, vor bestimmten Objekten oder Situationen Angst zu haben? Welche wirksamen Methoden gibt es, unser Verhalten zu ändern, etwa abzunehmen oder nicht mehr zu rauchen?
Klinische Psychologie, psychologische Beratung und Arbeits- und Organisationspsychologie
Kognitiver Ansatz
Wie kodieren, verarbeiten und speichern wir Informationen, und wie rufen wir sie wieder ab?
Wie benutzen wir Informationen, wenn wir uns erinnern, argumentieren oder ein Problem lösen?
Kognitive und klinische Psychologie, psychologische Beratung sowie Arbeits- und Organisationspsychologie
Soziokultureller Ansatz
Wie variiert Verhalten und Denken je nach Kultur und Situation?
Inwiefern werden wir von den Menschen um uns herum und von der uns umgebenden Kultur beeinflusst?
Entwicklungs‑, Sozial- und klinische Psychologie sowie psychologische Beratung
Psychologie. Auf den folgenden Seiten werden wir eine große Vielfalt dieser Forschenden kennenlernen, darunter Biologische Psycholog:innen, welche die Verbindungen zwischen Gehirn und Verstand erforschen; Entwicklungspsychologen:innen, die untersuchen, wie sich unsere Fähigkeiten im Lauf unseres Lebens verändern; Kognitionspsychologen:innen, die damit experimentieren, wie wir wahrnehmen, denken und Probleme lösen; Persönlichkeitspsycholog:innen, die unsere überdauernden Persönlichkeitsmerkmale erkunden; und schließlich Sozialpsycholog:innen, die erforschen, wie wir einander wahrnehmen und beeinflussen. Grundlagenforschung („basic research“) – reine Wissenschaft mit dem Ziel der Vergrößerung des wissenschaftlich fundierten Basiswissens.
Diese und andere Psycholog:innen können auch angewandte Forschung betreiben, die sich praktischen Problemen zuwendet. Arbeits- und Organisationspsycholog:innen z. B. nutzen psychologische Konzepte und Methoden am Arbeitsplatz, um Organisationen und Firmen bei der Einstellung und Weiterbildung von Mitarbeitenden zu helfen, die Arbeitsmoral und die Produktivität zu fördern, Produkte zu entwerfen oder neue Verfahren einzuführen (s. auch . Abb. 1.18). Angewandte Forschung („applied research“) – wissen-
schaftliche Untersuchungen zur Lösung praktischer Probleme. Psychologie ist eine Wissenschaft, aber auch ein Berufsfeld, das Menschen dabei helfen möchte, positive Be-
1
18
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
1
..Abb. 1.16 Ausdruck von Wut. (© Mika Volkmann/picture-alliance)
..Abb. 1.18 Psychologie vor Gericht. Forensische Psychologen wenden psychologische Prinzipien und Methoden im Strafjustizsystem an. Sie können die Glaubwürdigkeit von Zeugen einschätzen oder vor Gericht Aussagen über den Geisteszustand oder das zukünftige Risikopotenzial von Angeklagten machen, so wie hier im Prozess gegen den antisemitischen Attentäter von Halle. (© dpa/AFP/POOL/Ronny Hartmann/picture alliance)
Psychologische Beratung („counseling psychology“) –
ein Zweig der Psychologie, der Menschen bei Problemen hilft, die sie im Leben (oft in Bezug auf Studium, Arbeit oder Ehe) und beim Erreichen eines besseren Allgemeinzustands haben. Klinische Psychologie („clinical psychology“) – Teildisziplin der Psychologie, die Menschen mit psychischen Störungen untersucht, testet und behandelt. Psychiatrie („psychiatry“) – Teildisziplin der Medizin, die sich mit psychischen Störungen beschäftigt; wird von Ärzt:innen ausgeübt, die sowohl medizinische Behandlung (z. B. Medikamente) als auch Psychotherapie anbieten.
..Abb. 1.17 (© Claudia Styrsky)
ziehungen aufzubauen, Ängste oder Depressionen zu überwinden und Kinder so zu erziehen, dass sie sich gut entwickeln. Psycholog:innen, die in der Beratung tätig sind, helfen den Menschen dabei, Herausforderungen und Krisen (darunter Probleme beim Studium, im Beruf und in Partnerbeziehungen) zu bewältigen und ihre persönliche und soziale Funktionsfähigkeit zu verbessern. Klinische Psycholog:innen diagnostizieren und behandeln mentale, emotionale und Verhaltensprobleme. Sowohl psychologische Berater:innen als auch klinische Psycholog:innen führen Tests durch und werten diese aus, bieten Beratung und Therapie an und führen manchmal auch Grundlagen- oder angewandte Forschung durch. Ein Psychiater dagegen, der auch Psychotherapie anbieten kann, ist Arzt und darf Medikamente verordnen und die physischen Ursachen psychischer Störungen auch auf andere Weise behandeln.
Statt die Menschen so ändern zu wollen, dass sie in ihre Umwelt passen, arbeiten Gemeindepsycholog:innen daran, soziale und physische Umgebungen zu schaffen, die für alle gesund sind (Bradshaw et al., 2009; Trickett, 2009). Um Mobbing vorzubeugen, könnten Gemeindepsycholog:innen etwa über mögliche Wege nachdenken, über die sich die Kultur einer Schule oder Nachbarschaft verbessern lässt, und darüber, wie sie Umstehende dazu bewegen können, in kritischen Situationen einzugreifen (Polanin et al., 2012). Gemeindepsychologie („community psychology“) – ein
Zweig der Psychologie, der untersucht, wie Menschen mit ihrem sozialen Umfeld interagieren und wie soziale Institutionen Individuen und Gruppen beeinflussen. Mit Sichtweisen, die biologische bis hin zu sozialen Bereichen umfassen, und mit Arbeitsplätzen, die vom Labor bis zur Klinik reichen, hat die Psychologie einen Bezug zu vielen anderen Disziplinen. Psycholog:innen lehren an medizinischen Schulen, juristischen Fakultäten
19
1.1 • Was ist Psychologie?
a
b
c
..Abb. 1.19 a–c Psychologie: Wissenschaft und Beruf. Psycholog:innen experimentieren mit, beobachten, testen und behandeln Verhalten. Hier sehen wir, wie sie a ein Kind testen, b emotionsbezogene
Physiologie messen und c ein Therapiegespräch führen. (a: © alexsokolov/Fotolia; b: © mujdatuzel/Getty Images/iStock; c: aus Hoyer u. Knappe, 2020, S. 508, mit freundlicher Genehmigung)
und sogar in theologischen Seminaren; sie arbeiten in Krankenhäusern, Fabriken und den Büros der großen Konzerne. Sie beteiligen sich an interdisziplinären Studien, wie etwa der Psychohistorie (der psychologischen Analyse historischer Persönlichkeiten), der Psycholinguistik (der Untersuchung von Sprache und Denken) und der Psychokeramik (der Untersuchung eines Sprungs in der Schüssel) (. Abb. 1.19).1
Neues lernen, wie sich die Menschen dieser Welt voneinander unterscheiden bzw. einander ähnlich sind – und sobald Sie mit diesen Gedanken in Berührung gekommen sind, denken Sie nicht mehr so wie vorher.
>>Wollen Sie mehr erfahren? Dann sehen Sie sich An-
Berücksichtigen Sie aber die Grenzen der Psychologie. Erwarten Sie nicht, dass die Psychologie so grundsätzliche Fragen beantwortet wie die, die der russische Schriftsteller Leo Tolstoi (1904) gestellt hat: „Warum sollte ich leben? Warum sollte ich irgendetwas tun? Gibt es irgendeinen Lebenszweck, den der unausweichliche Tod, der uns alle erwartet, nicht ungeschehen macht und zerstört?“ Obwohl viele der bedeutendsten Fragen des Lebens nicht durch die Psychologie beantwortet werden können, werden einige sehr wichtige bereits in einem ersten Psychologiekurs beleuchtet. Durch sorgfältige Forschung haben Psycholog:innen Einblicke in Gehirn und Geist, Träume und Erinnerungen, Depression und Freude gewonnen. Selbst die unbeantworteten Fragen können unsere Sinne öffnen für das Mysteriöse, das wir noch nicht verstehen. Außerdem kann Ihnen das Psychologiestudium helfen zu lernen, wie man wichtige Fragen stellt und sie beantwortet – wie Sie kritisch denken können, indem Sie konkurrierende Gedanken und Behauptungen gegeneinander abwägen. Die Psychologie vertieft unsere Wertschätzung dafür, wie wir als Menschen wahrnehmen, denken, fühlen und handeln. Dabei kann sie in der Tat unser Leben bereichern und unseren Blick erweitern. Mit Hilfe dieses Buchs hoffen wir, unseren Beitrag zu leisten, dass Sie auf dieses Ziel zusteuern. Der Hochschullehrer Charles Eliot sagte vor einem Jahrhundert: „Bücher sind die ruhigsten und beständigsten Freunde und die geduldigsten Lehrer.“
hang B, „Arbeitsfelder der Psychologie“, am Ende dieses Buches an und besuchen Sie das Job-Portal „PsychJob“ (7 http://www.hogrefe.de/psychjob), um mehr über die vielen interessanten Möglichkeiten zu erfahren, die jemandem mit Bachelor‑, Master- und Doktor-Abschluss zur Auswahl stehen.
Die Psychologie nimmt auch Einfluss auf die moderne Kultur. Wissen verändert uns. Neue Erkenntnisse über das Sonnensystem oder die Theorie der Krankheitserreger verändern die Art, wie Menschen denken und handeln. Auch die Erkenntnisse der Psychologie bewirken Veränderungen bei den Menschen: Sie verurteilen psychische Störungen seltener als moralisches Fehlverhalten, das durch Bestrafung oder Ausgrenzung behandelbar ist. Sie sehen Frauen nicht mehr so oft als den Männern geistig unterlegen an. Sie betrachten und erziehen Kinder seltener als unwissende, willige Tiere, die gezähmt werden müssen. „In all diesen Beispielen“, vermerkt Morton Hunt (1990, S. 206), „hat Wissen zu einer veränderten Einstellung und damit zu einer Verhaltensänderung beigetragen.“ Die Psychologie hat wohlfundierte und gründlich überprüfte Ideen zu bieten: in welcher Beziehung Körper und Geist zueinander stehen, wie sich das Denken eines Kindes allmählich entwickelt, wie wir unsere Wahrnehmungen konstruieren, wie wir uns an unsere Erfahrungen erinnern und 1 Geständnis: Den letzten Teil des Satzes habe ich am 1. April geschrieben.
» „Hat sich der Geist erst einmal der Dimension einer größeren Idee geöffnet, kehrt er nie zu seiner früheren Größe zurück.“ Oliver Wendell Holmes (1809–1894)
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
20
Prüfen Sie Ihr Wissen
1
– Ordnen Sie die Fachgebiete 1 bis 3 den Beschreibungen a bis c zu. 1. Klinische Psychologie 2. Psychiatrie 3. Gemeindepsychologie
1.1.6
a. Arbeitet daran, soziale und physische Umgebungen zu schaffen, die für alle gesund sind b. Untersucht, testet und behandelt Menschen mit psychischen Störungen, bietet aber gewöhnlich keine medizinische Behandlung an c. Teildisziplin der Medizin, die sich mit psychischen Störungen beschäftigt
Mit Psychologie besser leben und lernen
?? 1.9 Wie können Ihnen psychologische Prinzipien
dabei helfen, Ihre Lern- und Merkfähigkeit oder gar Ihr Leben allgemein zu verbessern?
In diesem Buch werden Sie immer wieder evidenzbasierte Vorschläge dahingehend finden, wie Sie ein glückliches, erfolgreiches und erfüllendes Leben führen können. Dazu gehören: Schlafen Sie sich gut aus. Im Gegensatz zu Menschen mit Schlafentzug, die sich erschöpft und niedergeschlagen fühlen, gehen gut ausgeruhte Menschen mit mehr Energie, Wachsamkeit und Produktivität durch den Tag. Schaffen Sie Zeit für Bewegung. Körperliche Aktivität fördert nicht nur die Gesundheit und macht energetischer, sondern ist auch ein wirksames Mittel gegen leichte bis mittlere Depression und Angstzustände. Setzen Sie sich langfristige Ziele mit täglichen Teilzielen. Erfolgreiche Menschen nehmen sich jeden Tag Zeit, auf ihre Ziele hinzuarbeiten, wie z. B. sich zu bewegen, mehr zu schlafen oder sich gesünder zu ernähren. Mit der Zeit beobachten sie häufig, wie ihre tägliche Praxis zur Gewohnheit wird. Glauben Sie an Ihre Möglichkeit zu wachsen. Anstatt ihre Fähigkeiten als starr anzusehen, stellen sich erfolgreiche Menschen ihre mentalen Fähigkeiten wie einen Muskel vor – etwas, das mit mühevollem Einsatz stärker wird. Geben Sie Beziehungen den Vorrang. Als Menschen sind wir soziale Tiere. Wir gedeihen, wenn wir in engen Beziehungen mit anderen verbunden sind. Wir sind sowohl glücklicher als auch gesünder, wenn wir von fürsorglichen Freunden unterstützt werden (und sie im Gegenzug unterstützen).
-
Die psychologische Forschung zeigt auch, wie wir neue Informationen am besten lernen und behalten können. Viele Studierende nehmen an, dass der beste Weg, neu Gelerntes zu festigen, wiederholtes Lesen ist. Was noch mehr hilft – und wozu dieses Buch daher ermutigt – ist wiederholtes Selbsttesten und Prüfen des vorher gelernten Materials. Die Gedächtnisforscher Henry Roediger und Jeffrey Karpicke (2006) nennen dieses Phänomen „testing effect“ (wird manchmal auch als „retrieval practice effect“ bezeichnet.) Sie betonen, dass Testen „ein leistungsstarkes Mittel zur Verbesserung, nicht nur zur Beurteilung des Lernens“ ist. In einer ihrer Untersuchungen konnten sich englischsprachige Studierende, wenn sie wiederholt getestet wurden, an die Bedeutung von 40 zuvor gelernten Swahili-Wörtern viel besser erinnern als Studierende, die dieselbe Zeit damit verbrachten, die Wörter erneut zu lernen (Karpicke & Roediger, 2008). Viele weitere Studien, von denen einige in Hörsälen stattfanden, bestätigen ebenfalls, dass häufiges Fremd- und Selbsttesten das Erinnerungsvermögen von Studierenden erhöht (McDaniel et al., 2015; Trumbo et al., 2016).
» „Wenn du einen Text zwanzig Mal durchliest, wirst du
ihn nicht so leicht auswendig lernen, wie wenn du ihn zehnmal liest, während du versuchst, ihn von Zeit zu Zeit zu rezitieren und den Text zu konsultieren, wenn dein Gedächtnis versagt.“ Francis Bacon, Novum Organum, 1620
Testing Effect („testing effect“) – verbesserte Erinnerung
nach Abruf statt einfachem erneuten Lesen von Informationen. Auch manchmal bezeichnet als „retrieval practice effect“. Wie Sie in 7 Kap. 9 sehen werden, müssen Sie Informationen aktiv aufarbeiten, um sie zu bewältigen. Ihr Verstand ist nicht wie Ihr Magen etwas, das passiv gefüllt wird, er ist vielmehr wie ein Muskel, der durch Übung stärker wird. Unzählige Experimente zeigen, dass Menschen am besten lernen und sich erinnern, wenn sie den Lernstoff in eigenen Worten formulieren, ihn wiederholen und dann abrufen und noch einmal überdenken. Die SQ3R-Lernmethode berücksichtigt diese Prinzipien (McDaniel et al., 2009; Robinson, 1970). SQ3R ist ein Akronym für fünf Schritte: Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen, abrufen, noch einmal durchsehen („survey, question, read, retrieve2, review“). SQ3R – Eine Lernmethode, die fünf Schritte umfasst:
Survey, Question, Read, Retrieve und Review, also Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen, abrufen und nochmal durchdenken. 2
Auch manchmal „recite“ genannt.
1.1 • Was ist Psychologie?
Beim Bearbeiten eines Kapitels verschaffen Sie sich zunächst aus der Vogelperspektive einen Überblick. Überfliegen Sie die Überschriften und stellen Sie fest, wie das Kapitel aufgebaut ist. Bevor Sie jeden Hauptabschnitt lesen, versuchen Sie die nummerierten Verständnisfragen zu beantworten (in diesem Abschnitt: „Wie können Ihnen psychologische Prinzipien dabei helfen, Ihre Lern- und Merkfähigkeit oder gar Ihr Leben allgemein zu verbessern?“). Roediger und Finn (2009) haben herausgefunden: „Bei dem Versuch, eine Antwort abzurufen, zu scheitern, ist tatsächlich hilfreich für das Lernen“. Wer sein Verständnis vor dem Lesen testet, und herausfindet, dass er etwas noch nicht weiß, wird besser lernen und sich besser erinnern. Dann lesen Sie, wobei Sie aktiv nach der Antwort auf die Frage suchen. Lesen Sie bei jeder Lernsitzung nur so viel von einem Kapitel (für gewöhnlich einen einzelnen Hauptabschnitt), wie sie aufnehmen können ohne zu ermüden. Lesen Sie aktiv und kritisch. Stellen Sie Fragen. Machen Sie sich Notizen. Machen Sie die Ideen zu Ihren eigenen: Wie lässt sich das, was Sie gerade gelesen haben, mit Ihrem eigenen Leben in Verbindung bringen? Unterstützt es Ihre Vorannahmen oder stellt es diese in Frage? Wie überzeugend sind die Beweise? Wenn Sie einen Abschnitt gelesen haben, rufen Sie sich seine Hauptgedanken noch einmal ins Gedächtnis. Wie Karpicke (2012) schreibt: „Aktives Abrufen führt zu bedeutsamem Lernen.“Testen Sie sich also selbst. Dies wird ihnen nicht nur helfen, herauszufinden, was Sie wissen; das Testen an sich wird Ihnen helfen, die Informationen effektiver zu lernen und zu speichern. Noch besser: Testen Sie sich selbst wiederholt. Um dies zu erleichtern, werden Ihnen im Verlauf jedes Kapitels regelmäßig Möglichkeiten zum Prüfen Ihres Wissens angeboten (sehen Sie sich z. B. die Fragen in diesem Kapitel an). Nachdem Sie sich selbst diese Fragen beantwortet haben, können Sie ihre Antworten anhand der auf 7 http://www.lehrbuchpsychologie.de aufgeführten Lösungen überprüfen und falls nötig nochmals lesen. Zu guter Letzt, denken Sie noch einmal darüber nach: Lesen Sie sich die Notizen, die Sie gemacht haben, wieder mit Blick auf den Aufbau des Kapitels durch und denken Sie schnell noch einmal über das ganze Kapitel nach. Definieren Sie ein Konzept schriftlich oder mündlich, bevor Sie es noch einmal nachlesen, um Ihr Verständnis zu überprüfen.
» „Es ist besser, abzuwarten und sich durch eine innere Anstrengung zu erinnern, als noch einmal ins Buch zu schauen.“ William James, Principles of Psychology, 1890
Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen, abrufen, noch einmal durchdenken. Die Kapitel dieses Buches sind so aufgebaut, dass sie den Gebrauch der SQ3RArbeitstechnik erleichtern. Jedes Kapitel beginnt mit einer Gliederung, die Ihnen dabei hilft, sich einen ersten
21
Überblick zu verschaffen. Überschriften und Verständnisfragen weisen auf Themen und Konzepte hin, die Sie berücksichtigen sollten, während Sie lesen. Der Stoff ist in Abschnitte lesbarer Länge gegliedert. Die Fragen in den Kästen „Prüfen Sie Ihr Wissen“ werden Sie dazu auffordern, noch einmal abzurufen, was Sie gelernt haben, sodass Sie sich besser daran erinnern können. Die Rückblicke am Ende des Kapitels bieten weitere Möglichkeiten für aktives Aufarbeiten und Selbsttesten, mit Fokus auf die Schlüsselbegriffe und Verständnisfragen des Kapitels sowie „Master the Material“-Fragen in verschiedenen Formaten. Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen … Vier weitere Studientechniken können Ihr Lernen zusätzlich fördern: Teilen Sie sich Ihre Lernzeit auf Einer der ältesten Be-
funde der Psychologie besteht darin, dass über die Zeit verteiltes Üben zu besserem Behalten führt als geballtes Üben. Sie werden Inhalte besser erinnern, wenn Sie Ihre Lektüre auf mehrere Zeitabschnitte aufteilen – vielleicht eine Stunde pro Tag an sechs Tagen die Woche –, statt alles in einem langen Lektüremarathon abzuarbeiten. Statt beispielsweise den Versuch zu unternehmen, in einer Lernsitzung ein ganzes Kapitel zu lesen, sollten Sie einfach nur einen Abschnitt lesen und sich dann etwas anderem zuwenden. Während Ihres Studiums der Psychologie auch immer wieder für andere Fächer zu lernen, fördert langfristige Speicherung und schützt vor übersteigertem Selbstvertrauen (Kornell & Bjork, 2008; Taylor & Rohrer, 2010). Wenn Sie Ihre Lernsitzungen auf mehrere Zeitabschnitte aufteilen, so erfordert das zudem eine disziplinierte Vorgehensweise beim Zeitmanagement. Lernen Sie, kritisch zu denken. Ob beim Lesen oder in
einer Lehrveranstaltung, beachten Sie die Annahmen und Werte der Menschen in Ihrem Umfeld. Welche Sichtweise oder Voreingenommenheit liegt einem Argument zugrunde? Bewerten Sie Beweise. Sind sie anekdotisch? Oder beruhen sie auf aussagefähigen Experimenten? Bewerten Sie Schlussfolgerungen. Gibt es alternative Erklärungen? Verarbeiten Sie Informationen in Lehrveranstaltungen aktiv. Hören Sie sich die Hauptgedanken und Teilgedan-
ken einer Vorlesung an. Schreiben Sie sie auf. Stellen Sie während und nach der Veranstaltung Fragen. Verarbeiten Sie die Informationen in einer Lehrveranstaltung, aber auch, wenn Sie für sich alleine lernen, aktiv und Sie werden sie besser verstehen und behalten. Der Psychologe William James forderte schon vor mehr als 100 Jahren: „Keine Rezeption ohne Reaktion, kein Eindruck ohne … Ausdruck.“ Machen Sie sich die Informationen zu eigen. Setzen Sie, was Sie lesen, in Bezug zu dem, was Sie bereits wissen. Erzählen Sie jemand anderem davon.
1
Kapitel 1 • Prolog: Die Geschichte der Psychologie
22
1
(Wie jeder Lehrer bestätigen wird, bedeutet lehren sich erinnern.) Fertigen Sie Ihre Notizen zudem am besten handschriftlich an. Handschriftliche Notizen, die Inhalte in Ihren eigenen Worten wiedergeben, führen in aller Regel zu einer aktiveren Verarbeitung und damit zu einem besseren Behalten als ein wortwörtliches Niederschreiben am Laptop (Mueller & Oppenheimer, 2014). Lernen Sie mehr als nötig. Die Psychologie lehrt uns,
dass wir Gelerntes besser abspeichern, wenn wir mehr lernen als verlangt wird. Wir sind dafür anfällig zu überschätzen, wie viel wir wissen. Sie können ein Kapitel verstehen, während Sie es lesen, doch dieses Gefühl der Vertrautheit kann Sie in falscher Sicherheit wiegen. Widmen Sie zusätzliche Lernzeit der Prüfung Ihres „zu großen“ Wissens, indem Sie die Fragen in den Kästen „Prüfen Sie Ihr Wissen“ sowie das Online-Lernangebot nutzen. Die Gedächtnisexperten Elizabeth Bjork und Robert Bjork (2011) schlagen als Quintessenz zur Verbesserung Ihrer Merkfähigkeit und Ihrer Noten Folgendes vor:
» „Verbringen Sie weniger Zeit auf der Input-Seite und
mehr Zeit auf der Output-Seite, indem Sie z. B. aus dem Gedächtnis zusammenfassen, was Sie gerade gelesen haben, oder sich mit Freunden treffen und sich gegenseitig Fragen stellen. Alle Aktivitäten, die beinhalten, dass Sie sich selbst prüfen – d. h., Aktivitäten, die von Ihnen verlangen, dass Sie Informationen abrufen oder erzeugen, anstatt sie nur für sich zu wiederholen – werden Ihr Lernen sowohl beständiger als auch flexibler machen.“ (S. 63) Prüfen Sie Ihr Wissen
– Der ___ beschreibt die verbesserte Erinnerung, die durch wiederholten Abruf (wie beim Selbsttesten) statt einfachem erneuten Lesen neuer Informationen entsteht. – Wofür steht das Akronym SQ3R?
1.2
Rückblick: Was ist Psychologie?
1.2.1 Verständnisfragen 1.1 – Was zeichnet die Psychologie als Wissenschaft aus und warum „hat die Ratte immer Recht“? 1.2 – Was sind die drei Hauptkomponenten der wissenschaftlichen Haltung und auf welche Weise unterstützen sie wissenschaftliches Arbeiten? 1.3 – Auf welche Weise fördert kritisches Denken eine wissenschaftliche Haltung? Und wie kann es uns im Alltag klüger machen?
1.4 – Was sind die wichtigen Meilensteine in der frühen Entwicklung der Psychologie? 1.5 – Wie trieben Behaviorismus, Freud’sche Psychologie und humanistische Psychologie die Entwicklung der wissenschaftlichen Psychologie voran? 1.6 – Inwiefern konzentriert sich die moderne Psychologie auf Kognition, Biologie und Erfahrung, Kultur und Geschlechtszugehörigkeit sowie die Entfaltung des Menschen? 1.7 – Was sind die zentralen Analyseebenen der Psychologie und welche Sichtweisen sind damit verbunden? 1.8 – Was sind die Hauptteilfelder der Psychologie? 1.9 – Wie können Ihnen psychologische Prinzipien dabei helfen, Ihre Lern- und Merkfähigkeit oder gar Ihr Leben allgemein zu verbessern? 1.2.2 Schlüsselbegriffe
-------------
Analyseebenen Angewandte Forschung Anlage-Umwelt-Debatte Behaviorismus Biopsychosozialer Ansatz Empirische Methode Evolutionäre Psychologie Funktionalismus Gemeindepsychologie Grundlagenforschung Humanistische Psychologie Klinische Psychologie Kognitive Neurowissenschaft Kognitive Psychologie Kritisches Denken Kultur Natürliche Selektion Positive Psychologie Psychiatrie Psychologie Psychologische Beratung SQ3R Strukturalismus Testing Effect Verhaltensgenetik
1.2.3
Master the Material
Testen Sie sich wiederholt selbst während des Lernens. Dies wird Ihnen nicht nur offenbaren, was Sie bereits wissen und was noch nicht; das Testen selbst wird Ihnen dank des Testing Effects auch dabei helfen, effektiver zu lernen und das Gelernte besser zu behalten.
Rückblick: Was ist Psychologie?
1. Wie kann Ihnen kritisches Denken dabei behilflich sein, Medienberichte besser zu hinterfragen, selbst wenn sie nicht vom Fach sind? 2. Im ersten psychologischen Experiment im Jahr 1879 maßen ___ und seine Studenten den zeitlichen Abstand zwischen dem Hören eines Ballaufpralls und eines Tastendrucks. 3. William James kann als Vertreter des/der ___ angesehen werden; Wilhelm Wundt und Edward Titchener als Vertreter des/der ___. a. Funktionalismus; Strukturalismus. b. Strukturalismus; Funktionalismus. c. Evolutionäre Theorie; Strukturalismus. d. Funktionalismus; evolutionäre Theorie 4. Im frühen 20. Jahrhundert definierte ___ die Psychologie als „die wissenschaftliche Untersuchung des beobachtbaren Verhaltens“. a. John B. Watson b. Abraham Maslow c. William James d. Sigmund Freud 5. Das Verhältnis zwischen Anlage und Umwelt entspricht dem zwischen … a. Persönlichkeit und Intelligenz. b. Biologie und Erfahrung. c. Intelligenz und Biologie. d. Psychologischen Traits und Verhalten. 6. Erklären Sie, was mit der folgenden Aussage gemeint ist: „Die Umwelt arbeitet mit dem, was durch die Anlage vorgegeben ist“. 7. Welche der folgenden Aussagen bezüglich Geschlechtsunterschieden und -gemeinsamkeiten trifft zu? a. Geschlechtsunterschiede sind größer als Gemeinsamkeiten. b. Obwohl es ein paar Geschlechtsunterschiede gibt, sind die zugrunde liegenden Prozesse bei allen Menschen gleich. c. Sowohl Unterschiede als auch Gemeinsamkeiten zwischen Geschlechtern hängen mehr von der Biologie als von der Umwelt ab. d. Geschlechtsunterschiede sind so vielzählig, dass es schwierig ist, aussagekräftige Vergleiche anzustellen. 8. Martin Seligman und andere Forschende, die sich mit verschiedenen Aspekten der menschlichen Entfaltung befassen, nennen ihr Wissenschaftsfeld ___. 9. Ein Psychologe, der Jugendliche mit emotionalen Problemen in einer lokalen Einrichtung für psychologische Gesundheit behandelt ist wahrscheinlich … a. Forscher. b. Psychiater. c. Arbeits- und Organisationspsychologe. d. Klinischer Psychologe.
23
10. Ein Experte für psychologische Gesundheit mit einer medizinischen Ausbildung, der Medikamente verschreiben darf, ist ___ 11. Ein Psychologe, der Grundlagenforschung betreibt, um die Wissensbasis der Psychologie auszubauen, könnte Folgendes tun: a. Einen Computerbildschirm mit Blendschutz entwickeln und den Effekt auf die Augen von Nutzern nach einem Arbeitstag erfassen. b. Ältere Menschen mit Depression behandeln. c. Drei- bis Sechsjährige beim Lösen eines Puzzles beobachten und Unterschiede in ihren Fähigkeiten analysieren. d. Kinder mit Verhaltensauffälligkeiten interviewen und Behandlungsvorschläge machen.
Weiterführende deutsche Literatur Galliker, M., Klein, M., & Rykart, S. (2007). Meilensteine der Psychologie: Die Geschichte der Psychologie nach Personen, Werk und Wirkung. Stuttgart: Kröner. Graumann, C. F. (1985). Psychologie im Nationalsozialismus. Heidelberg: Springer. Lück, H. E. & Guski-Leinwand, S. (2014). Geschichte der Psychologie: Strömungen, Schulen, Entwicklungen (7. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Schneider, W. (2005). Zur Lage der Psychologie in Zeiten hinreichender, knapper und immer knapperer finanzieller Ressourcen: Entwicklungstrends der letzten 35 Jahre. Psychologische Rundschau, 56, 2–19. Schönpflug, W. (2013). Geschichte und Systematik der Psychologie (3. Aufl.). Weinheim: Beltz. Volkmann-Raue, S., & Lück, H. E. (2011). Bedeutende Psychologinnen des 20. Jahrhunderts. Biographien und ausgewählte Schriften. Wiesbaden: Springer VS.
1
25
Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie Contents 1.1 Ipsum Quia Dolor Sit Amet – 16 Inhaltsverzeichnis 1.1.1
Minima Veniam – 16
2.1 1.2
Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Ut Perspiciatis Unde Omnis Iste Natus Error – 21 Fragen Veniam – 21 stellen und beantworten – 26 Minima
1.2.1 2.1.1 2.1.2 2.1.3 2.1.4
Die Notwendigkeit der Psychologie als Wissenschaft – 26 Die wissenschaftliche Methode – 29 Die Forschungsethik der Psychologie – 43 Rückblick: Forschungsstrategien – 46
2.2
Statistische Argumentation im Alltag – 48
2.2.1 2.2.2 2.2.3
Datenbeschreibung – 49 Signifikante Unterschiede – 51 Rückblick: Statistische Argumentation im Alltag – 54
Weiterführende deutsche Literatur – 54
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_2
2
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
26
2
Millionen von Menschen interessieren sich für „Psychologie“, weil sie neugierig auf Menschen sind und weil sie hoffen, ihre eigenen kleinen Leiden heilen zu können. Manche sehen sich Fernsehsendungen an, die Menschen dabei helfen sollen, ihre Probleme zu bewältigen, ihre Süchte zu überwinden oder ihre Ehen zu retten. Andere lesen Artikel über die Kräfte der Seele, nehmen an Hypnoseseminaren zur Raucherentwöhnung teil oder spielen Online-Spiele in der Hoffnung, ihre Denkfähigkeit zu verbessern. Wieder andere tauchen in Selbsthilfe-Internetseiten ein und verschlingen Selbsthilfebücher über die Bedeutung der Träume, den Pfad zur ekstatischen Liebe und darüber, wie man persönliches Glück erlangt. Und dann gibt es solche Menschen, die sich angesichts mancher psychologischer Wahrheiten wiederum fragen: Wie – und in welchem Ausmaß – prägt die Erziehung die Persönlichkeit und Fähigkeiten eines Kindes? Sind erstgeborene Kinder stärker leistungsorientiert? Haben Träume wirklich eine Bedeutung? Erinnern wir uns manchmal an Dinge, die nie passiert sind? Kann Psychotherapie heilen? Wie können wir bei solchen Fragen simple Meinungen von stichhaltigen Schlussfolgerungen unterscheiden? Lassen Sie uns gemeinsam entdecken, wie psychologische Forschende die wissenschaftliche Methode in die Tat umsetzen, um mehr über dieses faszinierende Gebiet zu erfahren. 2.1 Forschungsstrategien:
Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
2.1.1
Die Notwendigkeit der Psychologie als Wissenschaft
bekannt gewesen wären. Viele Menschen glauben, dass Liebe Glück hervorbringt – und sie haben Recht (wir alle haben ein tiefes „Bedürfnis nach Zugehörigkeit“, wie wir in 7 Kap. 12 erfahren werden). Aber manchmal liegt Omas gesunder Menschenverstand, der von unzähligen beiläufigen Beobachtungen geformt wird, auch falsch. In späteren Kapiteln werden wir sehen, wie die Wissenschaft verbreitete Vorstellungen über den Haufen geworfen hat – dass Aufdringlichkeit zu Geringschätzung führt, dass Träume die Zukunft vorhersagen oder dass die meisten von uns nur 10 % des Gehirns nutzen. Wir werden auch sehen, welche Überraschungen uns die Forschung mit ihrer Entdeckung der chemischen Botenstoffe des Gehirns bereitet, die unsere Stimmungen und unsere Erinnerungen steuern, oder mit den Forschungsergebnissen dazu, über welche Fähigkeiten Tiere verfügen und wie sich Stress auf unsere Fähigkeit zur Krankheitsabwehr auswirkt. Andere Dinge wirken nur deshalb wie banale Wahrheiten des gesunden Menschenverstandes, weil sie so oft wiederholt werden. Die bloße Wiederholung von Aussagen, egal, ob sie wahr oder falsch sind, macht sie leichter zu verarbeiten und zu merken, was sie wahr erscheinen lässt (Dechêne et al., 2010; Fazio et al., 2015). Falsche Vorstellungen, die sich leicht merken lassen („Vitamin C beugt Erkältungen vor.“), können daher harte Wahrheiten überlagern. Die Macht bekannter, schwer zu löschender Unwahrheiten ist eine Lektion, die politische Manipulatoren gut gelernt haben und die von kritischen Denkern stets im Auge behalten wird. Drei Hindernisse, die kritischem Denken im Wege stehen – Hindsightbias, übertriebenes Selbstvertrauen und die Mustererkennung in zufälligen Ereignissen – veranschaulichen, warum wir uns nicht allein auf den gesunden Menschenverstand verlassen können.
» „Wer sich auf seinen Verstand verlässt, ist ein Tor.“ Sprüche 28, 26
?? 2.1 Auf welche Weise führt uns unser alltägliches
Denken manchmal zu falschen Schlussfolgerungen?
Manche Menschen sagen, Psychologie sei letztlich nichts anderes als in einen Fachjargon gepresstes Allgemeinwissen. „Ihr werdet dafür bezahlt, dass ihr mit ausgefallenen Methoden das beweist, was meine Großmutter schon immer wusste.“ Oma hat in der Tat oft Recht. Wie die Baseball-Legende Yogi Berra (1925–2015) einst sagte: „Du kannst vieles beobachten, wenn du genau hinschaust.“ (Wir müssen Berra für weitere Diamanten aus der Sprüchekiste danken, wie beispielsweise „Niemand kommt je hierher – es ist ein zu großes Gedränge.“ und „Wenn die Leute nicht raus auf den Baseballplatz kommen wollen, wird sie niemand daran hindern können.“) Wir alle sind Verhaltensbeobachter:innen. Deshalb wäre es schon erstaunlich, wenn nicht zumindest ein paar Ergebnisse der psychologischen Forschung schon vorher
Wussten wir das schon lange? Verzerrung durch nachträgliche Einsicht (Hindsightbias) Es ist leicht, das Schwarze erst dann um den Pfeil zu malen, wenn er schon getroffen hat. Nach jedem Abwärtstrend der Börse sagen die Investmentgurus, die Börse sei doch ganz offensichtlich überreif für eine Korrektur gewesen. Nach dem Fußballspiel loben wir den Coach für das „kämpferische Spiel“, welches zum Sieg führte. Hat die Mannschaft jedoch keinen Erfolg, machen wir den Coach hinterher für das „lahme Spiel“ verantwortlich. Nach einem Krieg oder einer Wahl scheint uns das jeweilige Ergebnis offensichtlich. Obwohl uns die Geschichte im Rückblick wie eine Folge unvermeidlicher Ereignisse vorkommen kann, wird die tatsächliche Zukunft selten vorhergesehen. Keine Person hat je in ihrem Tagebuch festgehalten: „Heute begann der 100-jährige Krieg.“
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
» „Wir leben das Leben vorwärts, aber wir verstehen es rückwärts.“ Der Philosoph Søren Kierkegaard (1813–1855)
Der Hindsightbias (auch bekannt als Rückschaufehler) ist leicht zu demonstrieren: Geben Sie der Hälfte der Mitglieder einer Gruppe einen angeblich wissenschaftlichen Befund, während Sie der anderen Hälfte das genaue Gegenteil präsentieren. Zu der ersten Gruppe sagen Sie: „Psycholog:innen haben herausgefunden, dass eine Trennung die romantische Anziehung abschwächt. Das Sprichwort sagt es ja auch: ‚Aus den Augen, aus dem Sinn‘“. Dann bitten Sie die Teilnehmenden, darüber nachzudenken, warum das so ist. Die meisten Menschen können und werden an diesem wahren Befund nichts Erstaunliches finden. Der zweiten Gruppe erzählen Sie das genaue Gegenteil, nämlich: „Psycholog:innen haben herausgefunden, dass romantische Anziehung durch eine Trennung stärker wird. Wie das Sprichwort sagt: ‚Liebe wächst mit der Entfernung‘“. Die Teilnehmenden werden auch dieses unwahre Resultat mühelos erklären, und die überwiegende Mehrheit wird nicht überrascht sein. Wenn zwei gegensätzliche Befunde mit dem „gesunden Menschenverstand“ erklärt werden können, dann haben wir ein Problem.
» „Alles scheint ein Gemeinplatz zu sein, wenn es erst einmal erklärt ist.“ Dr. Watson zu Sherlock Holmes
Hindsightbias (Verzerrung durch nachträgliche Einsicht, „hindsight bias“) – Tendenz, nach dem Eintreten eines
Ereignisses zu glauben, man hätte es vorhersehen können (auch bekannt als Rückschaufehler).
27
Serwas → Wasser Tessmy → System Hartox → Thorax Was glauben Sie, wie viele Sekunden Sie etwa gebraucht hätten, um jedes dieser Anagramme aufzulösen? Sobald man die Lösung kennt, sorgt die nachträgliche Einsicht dafür, dass sie uns absolut selbstverständlich erscheint. Das führt zu übertriebenem Selbstvertrauen. Wir glauben, wir hätten die Lösung in höchstens zehn Sekunden gefunden, während tatsächlich der Durchschnitt bei drei Minuten liegt. Und diese drei Minuten hätten Sie auch gebraucht, wenn Sie die Lösung nicht gekannt hätten. Probieren Sie es mit einem weiteren Anagramm aus: ACHENFI.2 Sind wir besser, wenn es darum geht, soziales Verhalten vorherzusagen? Der Psychologe Philip Tetlock (1998, 2005) von der University of Pennsylvania sammelte mehr als 27.000 Vorhersagen von Fachleuten zu Weltereignissen, beispielsweise zur Zukunft von Südafrika oder zur Frage, ob sich Quebec von Kanada unabhängig machen wird. Sein wiederholter Befund: Expert:innen, die angegeben hatten, ihrer Sache zu durchschnittlich 80 % sicher zu sein, hatten in weniger als 40 % der Fälle Recht behalten. Nichtsdestotrotz behielten sogar die Expert:innen mit den falschen Prognosen ihr Selbstvertrauen, indem sie anmerkten, „beinahe Recht“ gehabt zu haben. „Die Separatisten in Quebec haben das Sezessionsreferendum beinahe gewonnen.“
» „Ihr Sound gefällt uns nicht. Gitarrengruppen sind nicht
mehr gefragt.“ Erklärung von Decca Records, warum sie mit den Beatles 1962 keinen Plattenvertrag schließen wollten „Die Computer der Zukunft werden wahrscheinlich nicht einmal eineinhalb Tonnen wiegen.“ Popular Mechanics, 1949 „Sie könnten nicht einmal einen Elefanten treffen auf diese Entfernung.“ Die letzten Worte des Generals John Sedgwick vor seinem Tod in einer Schlacht des Amerikanischen Bürgerkriegs, 1864 „Für unsere amerikanischen Vettern mag das Telefon ja eine nützliche Erfindung sein, aber nicht für uns. Wir haben genügend Botenjungen.“ Urteil einer britischen Expertengruppe über die Erfindung des Telefons
Derartige Irrtümer bei unserem Erinnerungsvermögen und unseren Erklärungsversuchen machen deutlich, weshalb wir psychologische Forschung brauchen. Es ist keineswegs so, dass der gesunde Menschenverstand in der Regel falsch liegt. Vielmehr ist er besser darin, im Nachhinein das zu beschreiben, was geschehen ist, als das vorherzusagen, was geschehen wird. Mehr als 800 wissenschaftliche Studien haben den Hindsightbias bei jungen und alten Menschen überall auf der Welt nachgewiesen (Roese & Vohs, 2012; . Abb. 2.1, 2.2). Wie der Physiker Niels Bohr angeblich sagte: „Vorhersagen sind recht schwierig, vor allem wenn es um die Zukunft geht.“
Übertriebene Selbstsicherheit Prüfen Sie Ihr Wissen
Wir Menschen neigen dazu, zu glauben, wir wüssten mehr, als wir tatsächlich wissen. Auf die Frage, wie sicher wir sind, die richtigen Antworten auf Sachfragen zu wissen (Liegt Boston nördlich oder südlich von Paris?) antworten wir eher mit Selbstvertrauen als mit korrektem Wissen.1 Schauen Sie sich einmal die drei folgenden Anagramme an: 1
Boston befindet sich südlich von Paris.
– Wenn Freunde von uns anfangen, miteinander auszugehen, haben wir oft das Gefühl, wir hätten von Anfang an gewusst, dass die beiden füreinander bestimmt sind. Wieso ist das so?
2
Die Lösung des Anagramms: EINFACH.
2
28
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
2
..Abb. 2.1 Hindsightbias. Bei den Arbeiten an der Ölbohrplattform Deepwater Horizon im Jahr 2010 nahmen BP-Angestellte einige „Abkürzungen“ und ignorierten ein paar Warnschilder. Dabei hatten sie nicht die Absicht, ihre Teammitglieder oder die Umwelt gravierenden
Risiken auszusetzen. Nach der Ölkatastrophe wurde – mit dem Vorteil der späteren Einsicht – die Dummheit dieser Entscheidungen offensichtlich. (© Tom Atkeson/MCT/picture alliance)
Wahrnehmung von Ordnung bei zufälligen Ereignissen
..Abb. 2.2 Hindsightbias. (© Claudia Styrsky)
Die meisten Menschen finden eine zufallsbedingte, unberechenbare Welt beunruhigend (Tullett et al., 2015). Wir sind daher stets bestrebt, unsere Welt mit Sinn zu füllen. Menschen sehen ein Gesicht im Mond, hören satanische Botschaften in Musikstücken oder erblicken das Abbild der Jungfrau Maria auf einem gegrillten Käsesandwich. Selbst in zufällig zusammengewürfelten Informationen finden wir oftmals Ordnung, denn – und damit müssen wir uns wohl oder übel abfinden – eine zufällige Abfolge von Daten sieht häufig nicht zufällig aus (Falk et al., 2009; Nickerson, 2002, 2005). Wenn Sie eine Münze 50 Mal werfen, werden Sie wahrscheinlich überrascht sein, wenn Sie längere Sequenzen von Kopf oder Zahl beobachten – wie es auch bei vermeintlichen Glücks- oder Pechsträhnen im Sport der Fall sein mag. Tatsächlich treten in Zufallssequenzen Muster oder Reihen (wie wiederholte Ziffern) öfter auf, als Menschen glauben (Oskarsson et al., 2009). Das macht es auch schwer für Menschen, selbst
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
29
verbindet. Das Rüstzeug der wissenschaftlich arbeitenden Psychologen ist die wissenschaftliche Methode – eine sich selbst korrigierende Vorgehensweise, Ideen zu bewerten, indem man beobachtet und untersucht. Bei ihrem Versuch, die menschliche Natur zu beschreiben und zu erklären, greift die psychologische Wissenschaft gerne vage Vorstellungen und plausibel klingende Theorien auf – und testet sie. Wenn eine Theorie funktioniert – wenn die Daten mit den Vorhersagen übereinstimmen – dann umso besser für die Theorie. Wenn die Vorhersagen versagen, wird die Theorie revidiert oder verworfen.
Wie stellen Psycholog:innen Theorien auf? ..Abb. 2.3 Bizarre Sequenz computergenerierter Zufallszahlen. Sieht zwar merkwürdig aus, ist aber tatsächlich nicht unwahrscheinlicher als jede andere Zahlenfolge. (© Renate Schulz)
zufallsartige Sequenzen zu produzieren. Beim Versuch, in betrügerischer Absicht Zufallszahlen zu simulieren, können nicht zufällige Muster Verdacht bei Fachleuten erregen (Poundstone, 2014). Manche Ereignisse, wie z. B. ein zweifacher Lottogewinn, erscheinen uns so außergewöhnlich, dass es uns schwer fällt, eine gewöhnliche, zufallsbedingte Erklärung zu finden. Tatsächlich können die unglaublichsten Dinge geschehen, sagen die Statistiker Persi Diaconis und Frederick Mosteller (1989), „wenn die Stichprobe nur groß genug ist“. Ein Ereignis, das täglich nur einen Menschen aus einer Milliarde betrifft, kommt immerhin 7-mal täglich vor, das heißt, 2500-mal pro Jahr (. Abb. 2.3).
» „Ein wirklich außergewöhnlicher Tag wäre ein Tag ohne
außergewöhnliche Ereignisse.“ Statistiker Persi Diaconis (2002)
Merken Sie sich: Hindsightbias, übertriebene Selbstsicherheit und die Wahrnehmung von Ordnung bei zufälligen Ereignissen bringen uns dazu, unsere Intuition zu überschätzen. Aber die wissenschaftliche Forschung kann uns dazu verhelfen, Realität und Täuschung voneinander zu unterschieden. >>Überlegen Sie sich, wie wissenschaftliche Untersuchun-
gen Ihnen dabei helfen können, schlauer über zufällige Glückssträhnen im Sport nachzudenken, indem Sie sich online mit Immersive Learning: „Wie würden Sie wissen, ob es Glückssträhnen im Basketball gibt?“ auseinandersetzen.
2.1.2
Die wissenschaftliche Methode
Die Grundlage jeder Wissenschaft ist eine wissenschaftliche Haltung, die Neugier, Skepsis und Bescheidenheit
?? 2.2 Wie bringen Theorien die Psychologie als Wissen-
schaft voran?
Im Alltag sagen wir oft Theorie, wenn wir eine „bloße Vermutung“ meinen. Beispielsweise könnte jemand die Evolution als „nur eine Theorie“ abtun – als wäre sie reine Spekulation. Eine wissenschaftliche Theorie erklärt Verhaltensweisen oder Ereignisse, indem sie Ideen dafür anbietet, wie die Beobachtungen organisiert werden können. Eine Theorie ist eine hilfreiche Zusammenfassung und Vereinfachung, da sie Einzelfaktoren zu tieferliegenden Prinzipien verbindet. Sobald wir die einzelnen Punkte unserer Beobachtung miteinander verbinden, können wir ein kohärentes Bild erkennen. Theorie („theory“) – auf Prinzipien gestütztes Erklä-
rungsmodell, das Beobachtungen in einen Zusammenhang stellt und Verhalten oder Ereignisse vorhersagt. Eine gute Theorie über die Auswirkungen von Schlafentzug auf die Gedächtnisleistung fasst beispielsweise die unzähligen Beobachtungen hinsichtlich des Schlafs in einer kurzen Liste von Prinzipien zusammen. Stellen Sie sich vor, wir beobachten immer wieder, dass Menschen mit guten Schlafgewohnheiten Fragen im Unterricht richtig beantworten können und bei Prüfungen gut abschneiden. Wir könnten also daraus die Theorie ableiten, dass Schlaf die Gedächtnisleistung verbessert. So weit, so gut: Unsere Schlaf-Merkfähigkeits-Annahme fasst auf elegante Weise eine Liste von Merkmalen über die Auswirkungen guter Schlafgewohnheiten zusammen. Doch eine Theorie kann noch so vernünftig klingen – und Schlafmangel scheint eine akzeptable Erklärung für geringere Merkfähigkeit zu sein –, sie muss getestet werden. Eine gute Theorie führt zu überprüfbaren Vorhersagen, die wir Hypothesen nennen. Hypothesen geben an, welche Resultate die Theorie stützen und welche damit nicht vereinbar sind. Wenn wir unsere Theorie zum Einfluss von Schlaf auf die Merkfähigkeit testen wollen, könnten wir die Hypothese aufstellen, dass sich Personen, die unter Schlafentzug leiden, schlechter an Vortagsereignisse erinnern werden. Wir könnten diese Hypo-
2
30
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
Theorien Beispiel: Schlaf verbessert die Gedächtnisleistung
2
Forschung und Beobachtung: Beispiel: Legen Sie das Untersuchungsmaterial Proband:innen vor a) einem ausgedehnten Nachtschlaf oder b) einem verkürzten Nachtschlaf vor; prüfen Sie anschließend die Gedächtnisleistung
Hypothesen Beispiel: Nach Schlafentzug erinnern die betreffenden Personen weniger vom vorigen Tag
..Abb. 2.4 Die wissenschaftliche Methode. Eine sich selbst korrigierende Vorgehensweise, bei der Fragen gestellt und die Antworten beobachtet werden, die die Natur gibt
these testen, indem wir prüfen, wie gut sich Studierende nach einer ausgiebigen oder verkürzten Nachtruhe an Kursmaterialien erinnern (. Abb. 2.4). Unser Ergebnis würde die Theorie dann entweder bestätigen oder uns dazu bewegen, sie zu revidieren oder gar zu verwerfen. Hypothese („hypothesis“) – meist aus einer Theorie abge-
leitete überprüfbare Vorhersage. Unsere Theorien können unsere Beobachtungen verzerren (Bias, Urteilsfehler). Da unsere Theorie lautet, dass mehr Schlaf zu einem besseren Erinnerungsvermögen führt, lässt es sich nicht ausschließen, dass wir sehen, was wir erwarten zu sehen: Möglicherweise nehmen wir die Aussagen von schläfrigen Personen als weniger einsichtsvoll wahr. Der Drang zu sehen, was wir erwarten zu sehen, ist eine überall lauernde Versuchung, sowohl außerhalb als auch innerhalb des Versuchsraums, etwa wenn unsere Ansichten über den Klimawandel beeinflussen, wie wir das Wetter um uns herum interpretieren. Um diesen Bias zu kontrollieren, veröffentlichen Psychologen ihre Forschungsergebnisse mit eindeutigen operationalen Definitionen der Vorgehensweisen und Konzepte. Schlafmangel kann beispielsweise als „X Stunden weniger“ als die gewöhnliche Schlafdauer einer Person definiert werden. Sofern solch sorgsam formulierte Aussagen benutzt werden, können andere Forschende die ursprünglichen Beobachtungen mit anderen Teilnehmenden, anderem Testmaterial und in anderen Situationen replizieren (wiederholen). Kommen
verschiedene Forschende zu ähnlichen Ergebnissen, dann wächst das Vertrauen in die Reliabilität (Zuverlässigkeit) der Ergebnisse. Die erste Untersuchung zum Hindsightbias weckte die Neugier der Psycholog:innen. Heute, nach vielen erfolgreichen Replikationen mit jeweils anderen Menschen und anderen Fragen, sind wir uns der Bedeutung dieses Phänomens bewusst. Replikation bedeutet Bestätigung. Operationale Definition („operational definition“) – eine sorgfältig formulierte Darstellung der genauen Verfahren (Operationen), die in einer Forschungsstudie verwendet werden. So kann menschliche Intelligenz beispielsweise operational definiert werden als „das, was ein Intelligenztest misst“. Replikation („replication“) – Wiederholung der wesentlichen Parameter eines Experiments, in der Regel mit anderen Versuchsteilnehmenden in anderen Situationen, um zu prüfen, ob das grundlegende Ergebnis reproduzierbar ist.
Die Replikation ist ein wesentlicher Bestandteil guter wissenschaftlicher Arbeit. In der Psychologie haben die jüngsten Replikationsbemühungen gemischte Ergebnisse hervorgebracht. Eine erste Serie von Replikationen lieferte vor ein paar Jahren ermutigende Befunde: Lediglich 2 von 13 Experimenten konnten nicht erfolgreich repliziert werden (Klein et al., 2014). Als kurz darauf eine Gruppe von 270 Psycholog:innen gemeinsam 100 psychologische Studien erneut durchführte, waren die Ergebnisse jedoch sehr viel beunruhigender: Nur 36 % der Ergebnisse wurden repliziert (Open Science
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
Collaboration, 2015). (Keiner der nicht reproduzierbaren Befunde erscheint in diesem Buch.) Ein anderes Team fand allerdings, dass die meisten fehlgeschlagenen Replikationen ihre ursprüngliche Studie nicht exakt nachbildeten. Ihre Schlussfolgerung war, dass die „Reproduzierbarkeit psychologischer Wissenschaft“ eigentlich „ziemlich hoch“ sei (Gilbert et al., 2016). Wieder andere argumentierten, dass bestimmte Forschungsthemen die Replikation erschweren (Van Bavel et al., 2016). Trotz der unterschiedlichen Ergebnisse sind sich die meisten einig, dass die Wissenschaft von mehr Replikationen und einer größeren Transparenz profitieren würde, wenn Forscher:innen ihre detaillierten Methoden und Daten zunehmend offenlegen (Munafò et al., 2017; Open Science Collaboration, 2017).
» „Scheiternde Replikation ist kein Fehler, sondern ein
Feature. Es ist das, was uns entlang des Weges – des wunderbar gewundenen Weges – der wissenschaftlichen Entdeckung führt.“ Lisa Feldman Barrett, „Psychology Is Not in Crisis“ (2015)
Auch in anderen Feldern, u. a. der Medizin, gibt es Befunde, die nicht repliziert werden können (Collins & Tabak, 2014). Insbesondere wenn man von einer kleinen Stichprobe ausgeht, muss eine einzelne fehlgeschlagene Replikation selbst repliziert werden (Maxwell et al., 2015). In allen wissenschaftlichen Bereichen bestätigt die Replikation entweder Befunde oder ermöglicht es uns, unser Verständnis zu verbessern. Sowohl in der Psychologie als auch in der Medizin ist ein weiteres wichtiges Werkzeug die Metaanalyse. Eine Metaanalyse ist die statistische Kombination der Ergebnisse zahlreicher Studien, die zu einem Gesamtergebnis „unter dem Strich“ führt. Letztlich ist unsere Theorie nützlich, wenn sie 1. Beobachtungen organisiert und 2. Vorhersagen impliziert, die jeder zur Überprüfung der Theorie oder zur Ableitung praktischer Anwendungen nutzen kann. (Sagt das Schlafverhalten einer Person ihre Merkfähigkeit voraus?) Letzten Endes kann unsere Forschung 3. weitere Forschungsarbeiten anregen, die zu einer überarbeiteten Theorie führen, die besser organisiert und vorhersagt. Wie wir als Nächstes erfahren werden, können wir mit Hilfe deskriptiver Methoden (die Verhaltensweisen beschreiben, oftmals durch Einzelfallstudien, Umfragen oder Feldbeobachtungen), Korrelationsberechnungen (die verschiedene Faktoren zueinander in Beziehung setzen) und Experimenten (die Faktoren manipulieren, um ihre Effekte zu erkennen) unsere Hypothesen überprüfen und unsere Theorien revidieren. Wenn wir verbreitete psychologische Behauptungen mit kritischem Verstand überprüfen wollen, müssen wir mit diesen Methoden vertraut sein und wissen, welche Schlussfolgerungen wir mit ihrer Hilfe ziehen können.
31
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was zeichnet eine gute Theorie aus? – Warum ist Replikation so wichtig?
Beschreibung ?? 2.3 Wie nutzen Psycholog:innen Einzelfallstudien,
Feldbeobachtungen und Umfragen, um Verhalten zu beobachten und zu beschreiben, und weshalb ist es wichtig, Zufallsstichproben zu ziehen?
Der Ausgangspunkt jeder Wissenschaft ist die Beschreibung. In unserem Alltag beobachten wir unsere Mitmenschen und beschreiben sie. Auf diese Weise versuchen wir oft, ihre Gedanken, ihre Gefühle oder ihr Verhalten zu verstehen. Im Wesentlichen tun professionelle Psycholog:innen auch nichts anderes, nur gehen sie dabei systematischer vor und bemühen sich stärker um Objektivität. Dazu verwenden sie Einzelfallstudien (Untersuchungen bestimmter Individuen oder Gruppen), Feldbeobachtung (das natürliche Verhalten vieler Individuen wird beobachtet und aufgezeichnet) sowie Umfragen und Interviews (den untersuchten Personen werden Fragen gestellt).
-
zz Einzelfallstudie
Die Einzelfallstudie gehört zu den ältesten Forschungsmethoden überhaupt. In der Fallstudie wird ein Individuum oder eine Gruppe gründlich untersucht, in der Hoffnung, dabei Dinge zu entdecken, die für alle Individuen gelten. Einige Beispiele: Hirnschaden. Viel von unserem frühen Wissen über das Gehirn stammt aus Fallstudien mit Menschen, die nach der Schädigung einer bestimmten Hirnregion in bestimmten Bereichen beeinträchtigt waren. Kindliches Denken. Jean Piaget erklärte, wie Kinder denken, nachdem er ein paar Kinder aufmerksam beobachtet und befragt hatte. Intelligenz von Tieren. Untersuchungen, die mit nur wenigen Schimpansen durchgeführt wurden, erbrachten den Beweis, dass die Tiere über die Fähigkeit zum Verstehen und über sprachliche Fähigkeiten verfügen.
-
Intensive Fallstudien bringen manchmal sehr viel ans Licht und geben oftmals Richtungen für die weitere Forschung vor. Einzelfallstudie („case study“) – Beobachtungstechnik,
bei der ein Individuum oder eine Gruppe gründlich und intensiv beobachtet wird in der Hoffnung, auf diese Weise universelle Prinzipien entdecken zu können.
2
32
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
» „‚Nun ja, mein Lieber‘, sagte Miss Marple, ‚das Wesen 2
des Menschen ist eigentlich an allen Orten gleich, aber natürlich hat man in einem Dorf bessere Möglichkeiten, es sich genauer anzusehen.‘“ Agatha Christie, Der Dienstagabend-Klub (1933)
Die Beobachtung untypischer Individuen kann uns aber auch manchmal in die Irre führen. Sowohl in unserem täglichen Leben als auch in der Wissenschaft können Informationen, die nicht repräsentativ sind, zu Fehleinschätzungen und falschen Schlussfolgerungen führen. Und auch Folgendes ist zu bedenken: Sobald ein wissenschaftlicher Befund veröffentlicht wird („Raucher sterben jünger: 95 % der Männer über 85 sind Nichtraucher.“), findet sich sicher jemand, der widerspricht („Nun, ich habe einen Onkel, der täglich zwei Päckchen rauchte und 89 wurde.“). Dramatische Geschichten und persönliche Erfahrungen (sogar psychologische Fallbeispiele) erregen unsere Aufmerksamkeit und setzen sich im Gedächtnis fest. Journalist:innen wissen das und beginnen ihre Artikel häufig mit fesselnden Geschichten. Geschichten bewegen uns. Aber sie können uns auch täuschen. Welche der folgenden Aussagen finden Sie denkwürdiger? 1. „In einer Untersuchung mit 1300 Berichten über Träume, die das Schicksal eines entführten Kindes betrafen, sahen tatsächlich nur 5 % den Tod des Kindes vorher und hatten damit Recht (Murray & Wheeler, 1937).“ 2. „Ich kenne einen Mann, der träumte, dass seine Schwester einen Autounfall hätte, und zwei Tage später starb sie bei einer Frontalkollision!“ Zahlen können langweilig sein, aber viele Anekdoten geben noch lange keinen Beweis ab. Eine Einzelgeschichte von jemandem, der angeblich homosexuell war und dann heterosexuell wurde, ist kein Beweis dafür, dass die sexuelle Orientierung eine freie Wahl darstellt. Der Psychologe Gordon Allport (1954, S. 9) drückte es so aus: „Einen Fingerhut voll [dramatischer] Ereignisse verallgemeinern wir schleunigst auf Badewannengröße.“ Merken Sie sich: Aus Einzelfällen können fruchtbare Hypothesen abgeleitet werden. Was auf uns alle zutrifft, kann man schon am einzelnen Beispiel erkennen. Um aber die allgemeinen Wahrheiten in den Einzelfällen zu entdecken, müssen wir andere Methoden anwenden (. Abb. 2.5). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Durch Einzelfallstudien erfahren wir nichts über generelle Prinzipien, die für uns alle gelten. Wieso nicht?
..Abb. 2.5 Freud und der kleine Hans. Sigmund Freuds Fallstudie über den 5-jährigen Hans, der an einer extremen Angst vor Pferden litt, führte Freud zu seiner Sexualitätstheorie der Kindheit. Er vermutete, dass Hans ein unbewusstes Verlangen nach seiner Mutter empfand, sich vor der Kastration durch den rivalisierenden Vater fürchtete und diese Angst dann in seine Phobie übertrug, von einem Pferd gebissen zu werden. Wie in 7 Kap. 15 erläutert wird, weist die heutige psychologische Wissenschaft Freuds Theorie der kindlichen Sexualität zurück, stimmt aber zu, dass ein Großteil des menschlichen Geistes außerhalb unseres bewussten Denkens operiert. (© Наталья/ stock.adobe.com)
zz Beobachtung in natürlicher Umgebung (Feldbeobachtung)
Eine zweite beschreibende Forschungsmethode erfasst Verhaltensweisen in natürlicher Umgebung. Beobachtungen in natürlicher Umgebung oder Feldbeobachtungen reichen von der Beobachtung von Schimpansengesellschaften im Dschungel bis zur Videoaufnahmen und Analyse von Eltern-Kind-Interaktionen in verschiedenen Kulturen oder der Beschreibung der Platzwahl in der Cafeteria einer Schule, die von Schüler:innen verschiedener Kulturen besucht wird. Beobachtung in natürlicher Umgebung (auch Feldbeobachtung; „naturalistic observation“) – eine deskriptive
Methode zur Beobachtung und Erfassung von Verhalten in natürlichen Situationen unter Verzicht auf Manipulation oder Kontrolle der Situation. Feldbeobachtungen stellten in der Vergangenheit meist „Small Science“ dar – Wissenschaft, die mit Stift und Papier statt mit ausgefallener Ausrüstung und großem Budget betrieben werden kann (Provine, 2012). Aber neue Technologien wie Smartphone-Apps, am Körper getragene Sensoren und soziale Medien ermöglichen Beobachtungen mit sog. „Big Data“. Mit Hilfe solcher Werkzeuge können Forscher:innen den Aufenthaltsort, die Aktivitäten und die Meinungen von Menschen verfolgen, ohne dass diese dabei gestört werden. Die Milliarden von Nutzer:innen auf Facebook, Twitter und Google stellen zudem eine riesige neue Gelegenheit für Feldbeobachtungen mit großen Datenmengen dar. Ein
..Abb. 2.6 Stimmungen in Tweets, sortiert nach Tag und Tageszeit. Diese Grafik zeigt, wie es große Datenmengen ermöglichen, menschliches Verhalten in großem Maßstab zu untersuchen, ohne die Identität der teilnehmenden Personen zu kennen. Es ist heute auch möglich, die Stimmungen von Personen z. B. mit ihrem Aufenthaltsort oder dem Wetter in Verbindung zu bringen oder die Verbreitung von Ideen über soziale Netzwerke zu untersuchen. (Daten von Golder & Macy, 2011)
Positive Wörter in Posts
So.
2
33
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
Positive Posts waren samstagnachts am häufigsten
Sa. Positive Posts waren dienstagnachmittags am seltensten
Do. Mo. Fr. Mi. Di.
0 Uhr
6 Uhr
12 Uhr
18 Uhr
23 Uhr
Tageszeit
Forschungsteam untersuchte das Auf und Ab menschlicher Stimmungen, indem es positive und negative Wörter in 504 Mio. Tweets aus 84 Ländern zählte (Golder & Macy, 2011). Wie . Abb. 2.6 zeigt, scheinen Menschen an Wochenenden, kurz nach dem Aufwachen und am Abend glücklicher zu sein. (Sind Sie auch oft glücklich an späten Samstagabenden?) Eine andere Studie fand heraus, dass der Anteil negativer emotionaler Wörter (insbesondere bezogen auf Wut) in 148 Mio. Tweets aus 1347 US-Counties ihre Rate für Herzerkrankungen vorhersagt. Diese Vorhersage war zudem sogar genauer als die Vorhersage mit anderen Prädiktoren wie Rauchen oder Adipositas (Eichstaedt et al., 2015). Genau wie Fallstudien können Feldbeobachtungen Verhalten nicht erklären, sondern lediglich beschreiben. Solche Beschreibungen können jedoch sehr aufschlussreich sein. So glaubten wir beispielsweise einst, dass nur Menschen Werkzeuge benutzen. Feldbeobachtungen zeigten jedoch, dass Schimpansen manchmal einen Stock in einen Termitenhügel stecken und ihn wieder herausziehen, um die auf diese Weise ergatterten Termiten zu verspeisen. Solche unaufdringlichen Feldbeobachtungen ebneten den Weg für weitere Studien zur Denkfähigkeit, Sprache und Gefühl von Tieren, die unser Wissen über andere Spezies erweitert haben. Dank der Beobachtungen von Forschenden wissen wir, dass Schimpansen und Paviane Täuschung nutzen: Psycholog:innen sahen wiederholt, dass ein junger Pavian vorgab, von einem anderen angegriffen worden zu sein, um seine Mutter dazu zu bringen, den anderen Pavian von seinem Futter zu vertreiben (Whiten & Byrne, 1988; . Abb. 2.7). Feldbeobachtungen lehren uns auch sehr viel über menschliches Verhalten. Hier sind drei Befunde, an denen Sie gewiss Spaß haben werden: Ein witziges Ergebnis. In sozialen Situationen lachen wir Menschen 30-mal öfter, als wenn wir allein sind (Provine, 2001). (Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, wie selten Sie lachen, wenn Sie allein sind?)
-
..Abb. 2.7 Eine geborene Beobachterin. Die Schimpansenbeobachterin Jane Goodall (1988) schrieb: „Beobachtungen, die im natürlichen Lebensraum gemacht wurden, halfen uns zu verstehen, dass die Gesellschaften und das Verhalten von Tieren weitaus komplexer sind als bisher angenommen.“ (© United Archives/IFTN/picture alliance)
-
Aushorchen von Studierenden. Was sagen und machen Erstsemester der Psychologie eigentlich den lieben langen Tag? Um das herauszufinden, statteten Matthias Mehl und seine Kollegen (2010) 79 Studierende mit elektronischen Aufzeichnungsgeräten aus. Mithilfe dieser Erfahrungsstichprobenmethode belauschten die Forscher dann mehr als 23.000 halbminütige Episoden während der Wachstunden der Studieren-
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
34
2
den. Hatte Glücklichsein mit einfachen Gesprächen oder tiefgründigen Unterhaltungen zu tun? Die glücklichsten Teilnehmenden vermieden Smalltalk und bevorzugten bedeutsame Gespräche. Glückliche Menschen zogen Unterhaltungen auch dem Tweeten vor. Überrascht Sie das? Kultur und Lebensrhythmus. Mit Hilfe der Feldbeo bachtung konnten Robert Levine und Ara Norenzayan (1999) den Lebensrhythmus, etwa die Schrittgeschwindigkeit oder die Genauigkeit von Uhren in öffentlichen Plätzen, in 31 Ländern miteinander vergleichen. Sie kamen zu dem Ergebnis, dass der Lebensrhythmus in Japan und Westeuropa am schnellsten ist und langsamer in wirtschaftlich weniger hoch entwickelten Ländern.
-
Die Feldbeobachtung liefert uns interessante Schnappschüsse aus dem alltäglichen Leben. Dies geschieht jedoch ohne Kontrolle all der Faktoren, die das Verhalten beeinflussen können. Es ist eine Sache, das Lebenstempo an verschiedenen Orten zu beobachten, eine andere jedoch, zu verstehen, weshalb manche Menschen schneller gehen als andere. Dennoch können Beschreibungen sehr aufschlussreich sein – sie stellen den Ausgangspunkt der Wissenschaft dar. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind die Vor- und Nachteile der Feldbeobachtung, wie sie Mehl und Pennebaker (2010) in dieser Studie angewandt haben (. Abb. 2.8)?
zz Befragung
Bei der Methode der Befragung werden viele Fälle einbezogen, die Fragen bleiben aber eher an der Oberfläche. Bei einer Umfrage werden die Menschen gebeten, Auskunft über ihr Verhalten oder ihre Ansichten zu geben. Thema der Befragung kann alles sein, von sexuellen Praktiken bis hin zu politischen Meinungen. In neueren Studien gaben im Vergleich zu Menschen, die in den 1960er und 1970er Jahren geboren worden waren, doppelt so viele Millennials mit einem Geburtsjahr nach 1990 an, seit dem 18. Lebensjahr keinen Sexualpartner gehabt zu haben (Twenge et al., 2016b). gab quer verteilt über 22 Länder eine von fünf Personen an, zu glauben, dass Aliens zur Erde gekommen sind und nun – getarnt als Menschen – unter uns weilen (Ipsos, 2010). sagen 68 % aller Menschen – das sind etwa fünf Mrd. Menschen –, dass die Religion in ihrem Alltag eine wichtige Rolle spielt (Diener et al., 2011).
-
Aber die Fragen richtig zu stellen, ist eine heikle Sache; und die Antworten können auch von Formulierungen und von der Auswahl der Befragten abhängen.
..Abb. 2.8 Feldbeobachtung mit Electronically Activated Recorder. Die Psychologen Matthias Mehl und James Pennebaker verwendeten Kassettenrekorder, um natürliche Ausschnitte aus dem Alltagsleben einzufangen. (Courtesy of Matthias Mehl)
Befragung („survey“) – deskriptive Technik, bei der die
von ihnen selbst berichteten Einstellungen oder Verhaltensweisen der Menschen einer bestimmten Gruppe ermittelt werden; im Allgemeinen wird eine repräsentative Zufallsstichprobe befragt. kFormulierungseffekte k
Schon ganz leichte Abänderungen in der Reihenfolge oder Wortstellung der Fragen können eine große Wirkung haben. Leute sprechen sich viel eher für „Hilfe für Bedürftige“ aus als für „Sozialhilfe“, für „Förderung“ als für „bevorzugte Behandlung“, sie stimmen weit eher dafür, Pornografie im Fernsehen „nicht zu erlauben“ als zu „zensieren“ und befürworten eher eine „Ausweitung der Staatseinnahmen“ als „Steuererhöhungen“. Vom Wortlaut der Frage hängt sehr viel ab, deshalb hinterfragen kritische Denker:innen immer, auf welche Weise die Fragestellung die Meinung der Befragten beeinflusst haben könnte. kZufallsstichprobe k
Im Alltagsdenken generalisieren wir ständig aufgrund der Stichproben, die wir beobachten, vor allem, wenn es um Fälle geht, die lebhaft vorgetragen werden. Nehmen wir folgendes Szenario: Dem Verwaltungsdirektor liegt (a) die statistische Zusammenfassung der Bewertung eines Professors durch seine Studierenden vor, und gleichzeitig hört er (b) die heftigen Proteste zweier aufgebrachter Studierenden, die eine nicht repräsentative Stichprobe
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
bilden. Da kann der Eindruck des Verwaltungsdirektors ebenso von den beiden Pechvögeln beeinflusst werden wie von den vielen positiven Bewertungen dieses Professors, die in der Statistik aufgeführt sind. Der Versuchung, den Stichprobenfehler zu ignorieren und von ein paar intensiven, aber nicht repräsentativen Eindrücken zu verallgemeinern, kann man jedoch kaum widerstehen. Aber wie erhalten wir eine repräsentative Stichprobe? Angenommen, Sie möchten erfahren, was die Studierenden einer Hochschule von einer vorgeschlagenen Erhöhung der Studiengebühren halten. Es ist nicht immer möglich, jede Person einer Gruppe zu befragen. Wie erhalten Sie also eine repräsentative Stichprobe aller Studierenden? Typischerweise würden Sie eine Zufallsstichprobe ziehen, eine Stichprobe, bei der jede einzelne Person in der Population die gleichen Chancen hat teilzunehmen. Sie würden etwa die Namen in einer Auflistung der Studierenden nummerieren und dann einige Zufallszahlen generieren, um die Umfrageteilnehmerinnen und -teilnehmer auszuwählen. (Jeder Person einen Fragebogen zuzusenden, würde nicht funktionieren, denn die gewissenhaften Menschen, die ihn zurückschicken, wären keine Zufallsstichprobe.) Große repräsentative Stichproben sind besser als kleine; aber eine kleine repräsentative Stichprobe von 100 Personen ist besser als eine nicht-repräsentative Stichprobe von 500 Personen. Zufallsstichprobe („random sample“) – Stichprobe, die
eine Population weitgehend repräsentiert, weil jedes Mitglied der Population mit der gleichen Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe aufgenommen werden kann. Population („population“) – sämtliche Fälle in einer Gruppe, aus der eine Stichprobe für eine Studie gezogen wird. (Achtung: Mit Ausnahme von nationalen Studien ist damit nicht die gesamte Population eines Landes gemeint.) Politische Meinungsforschende erhalten ihre Stichprobe für landesweite Wählerbefragungen genau auf diesem Weg. Nur 1500 zufällig ausgewählte Personen aus allen Teilen des Landes liefern ein bemerkenswert genaues Bild von den im Land herrschenden Meinungen. Ohne Zufallsstichprobe führen große Stichproben – und dazu gehören auch Telefonbefragungen und Fernseh- oder Website-Abstimmungen – oft bloß zu irreführenden Ergebnissen. Merken Sie sich: Bevor man den Ergebnissen einer Umfrage Glauben schenkt, sollte man sie kritisch hinterfragen: Betrachten Sie die Stichprobe. Die beste Grundlage für Verallgemeinerungen stellen repräsentative Stichproben dar. Man kann die Nachteile einer nicht repräsentativen Stichprobe nicht dadurch wettmachen, dass man einfach weitere Personen hinzunimmt. >>Schätzungen mit sehr großen Stichproben sind recht
zuverlässig (reliabel). Der Buchstabe E hat schätzungs-
35
weise einen Anteil von 12,7 % an allen Buchstaben in englischsprachigen schriftlichen Texten. In Melvilles Moby Dick stellt E tatsächlich 12,3 % der 925.141 Buchstaben des Textes, 12,4 % der 586.747 Buchstaben in Dickens’ A Tale of Two Cities und 12,1 % der 3.901.021 Buchstaben, aus denen 12 Werke von Mark Twain bestehen (Chance News, 1997). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist eine nicht repräsentative Stichprobe und wie vermeiden Forschende eine solche?
Korrelation ?? 2.4 Was bedeutet es, wenn zwei Merkmale miteinan-
der korrelieren, und was sind positive und negative Korrelationen?
Die Verhaltensbeschreibung ist der erste Schritt zur Verhaltensvorhersage. Beobachtungen in natürlicher Umgebung und Befragungen zeigen uns häufig, dass ein bestimmtes Merkmal oder ein Verhalten mit einem anderen zusammen auftritt. In solchen Fällen sprechen wir von einer Korrelation. Eine statistische Maßzahl (der Korrelationskoeffizient) zeigt uns, wie eng zwei Faktoren miteinander verknüpft sind und wie gut der eine Faktor den anderen vorhersagt. Wenn wir wissen, wie stark ein hoher Punktwert (Score) in einem Eignungstest mit Schulerfolg korreliert, dann wissen wir auch, wie gut diese Punktzahl Schulerfolg vorhersagt. Korrelation („correlation“) – Maßeinheit, welche das Aus-
maß des Zusammenhangs zwischen zwei Merkmalsvariablen angibt und damit ausdrückt, wie gut eine Variable die andere Variable vorhersagt. Korrelationskoeffizient („correlation coefficient“) – statistische Maßzahl des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen (von −1 bis +1). In diesem Buch werden wir immer wieder die Frage stellen, wie stark der Zusammenhang zwischen zwei Variablen ist: Wie eng hängen beispielsweise die Persönlichkeitsscores eineiiger Zwillinge zusammen? Wie genau kann man anhand der Punktzahl in einem Intelligenztest die berufliche Leistung vorhersagen? Wie eng hängt Stress mit Krankheit zusammen? In solchen Fällen können Scatterplots bzw. Punkt- oder Streudiagramme Klarheit schaffen. Variable („variable“) – alles, was variieren kann und dessen Messung möglich und ethisch vertretbar ist. Streudiagramm (auch Punktdiagramm; „scatterplot“) – grafisch dargestellte Punktewolke. Jeder Punkt in einem Streudiagramm gibt die Werte von zwei Merkmalsvari-
2
36
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
2
a Perfekte positive Korrelation (r = +1,00)
b Kein Zusammenhang (r = 0,00)
..Abb. 2.9 a–c Streudiagramme (Scatterplots), die verschiedene Korrelationsmuster zeigen. Korrelationskoeffizienten (als r abgekürzt) variieren zwischen +1,00 (die Werte einer Variablen wachsen direkt propor-
ablen an. Der Verlauf der Verbindungslinie zwischen den Punkten zeigt die Richtung des Zusammenhangs zwischen den beiden Variablen an. Die Konzentration der Punkte verweist auf die Stärke des Zusammenhangs (eng beieinanderliegende Punkte bedeuten hohe Korrelation). Jeder Punkt in einem Streudiagramm gibt den Wert von zwei Variablen an. Die drei Streudiagramme in . Abb. 2.9 illustrieren die Bandbreite möglicher Korrelationen – von einer perfekten positiven bis hin zu einer perfekten negativen Korrelation. (Perfekte Korrelationen kommen in der „realen Welt“ allerdings kaum vor.) Eine positive Korrelation bedeutet, dass zwei Wertereihen wie etwa Körpergröße und Gewicht jeweils gemeinsam größer bzw. kleiner werden. Eine „negative“ Korrelation sagt nichts darüber aus, ob der Zusammenhang zwischen zwei Variablen stark oder schwach ist. Zwei negativ korrelierende Variablen bedeuten, dass hier ein umgekehrter Zusammenhang vorliegt: Die Punktzahl der einen Variable steigt, während die Punktzahl der anderen sinkt. Die Korrelation zwischen der Körpergröße und dem Abstand des Kopfes zur Decke ist stark (sogar perfekt) negativ. Mit Hilfe der Statistik können wir Dinge erkennen, die wir sonst nicht sehen würden. Probieren Sie es doch einmal mit einem eigenen imaginären Projekt aus. Sie könnten sich fragen, ob hochgewachsene Männer gelassener oder nervöser sind als kleine. Zu diesem Zweck sammeln Sie zwei Datensätze: die Körpergröße der Männer und ihr Temperament. Sie messen die Körpergröße von 20 Männern und bitten einen unbeteiligten Kollegen, das Temperament dieser Männer zu bewerten (dabei bedeutet 0 „sehr ruhig“ und 100 „extrem nervös“). Können Sie mit diesen Daten (. Tab. 2.1) vor Augen schon sagen, ob es eine positive oder eine negative Korrelation zwischen Körpergröße und Nervosität gibt? Oder ist die Korrelation schwach oder gar nicht vorhanden? Beim Vergleich der beiden Zahlenreihen in . Tab. 2.1 können die meisten Menschen kaum einen Zusammenhang zwischen Körpergröße und Temperament erkennen. Tatsächlich ist die Korrelation in diesem fiktiven Beispiel positiv, nämlich +.63. Das erkennen wir, wenn
c Perfekte negative Korrelation (r = –1,00)
tional mit den Werten der anderen Variablen) und −1,00 (die Werte einer Variablen sinken direkt proportional mit dem Ansteigen der anderen Variablen)
..Tab. 2.1 Körpergröße und Temperament von 20 Männern Versuchsperson
Körpergröße in cm
Temperament
1
200
75
2
158
66
3
165
60
4
195
90
5
185
60
6
173
42
7
155
42
8
183
60
9
188
81
10
151
39
11
163
48
12
189
69
13
178
72
14
165
57
15
182
63
16
175
75
17
159
30
18
180
57
19
171
84
20
175
39
wir die Daten in einem Punktdiagramm anordnen (. Abb. 2.10). Wenn wir schon bei der systematischen Darbietung der Daten in . Tab. 2.1 keinen Zusammenhang erkennen können, dann verstehen wir, dass wir mögliche Zusammenhänge, die uns im Alltag begegnen, leicht übersehen. Manchmal brauchen wir die Klarheit und Deutlichkeit der Statistik, um zu erkennen, was direkt vor unseren Augen liegt. Mit Hilfe von statistisch aufbereiteten Informationen über das Anforderungsniveau der beruflichen Tätigkeit, Führungspositionen, Leistung, Geschlecht
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
37
Korrelationen machen nicht nur Beziehungen sichtbar, die wir andernfalls eventuell übersehen würden; sie hemmen auch unsere Tendenz, Zusammenhänge dort zu „sehen“, wo keine Zusammenhänge vorliegen. Wenn wir glauben, dass zwischen zwei Merkmalen eine Beziehung vorliegt, ist es wahrscheinlicher, dass uns Situationen auffallen, die unsere Überzeugung bestätigen, oder dass wir uns an solche Situationen erinnern. Wenn wir glauben, dass Träume tatsächliche Ereignisse vorhersagen, bemerken und erinnern wir uns vielleicht eher an Fälle, die unsere Annahme bekräftigen, und nicht an solche, die sie widerlegen. Das Ergebnis ist eine illusorische Korrelation. Illusorische Korrelation („illusory correlation“) – die ..Abb. 2.10 Streudiagramm für Körpergröße und Temperament. Die dargestellten Daten von 20 fiktiven Personen (jede Person wird durch einen Punkt dargestellt) zeigen einen nach oben führenden Verlauf und weisen damit auf eine positive Korrelation hin. Die Punkte sind über das ganze Diagramm verstreut; das zeigt, dass die Korrelation deutlich unter +1,0 liegt
und Einkommen können wir ohne Schwierigkeiten erkennen, wo Geschlechtsdiskriminierung vorliegt. Doch wir nehmen die Diskriminierung häufig nicht wahr, wenn die gleiche Information in Form von Einzelfällen präsentiert wird (Twiss et al., 1989). Merken Sie sich: Der Korrelationskoeffizient kann uns helfen, die Welt dadurch deutlicher wahrzunehmen, dass wir die Stärke des Zusammenhangs zwischen zwei Faktoren erkennen können. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Geben Sie an, welche Studien über positive Korrelationen berichten und welche über negative. 1. Je häufiger sich Ehemänner Internetpornografie anschauen, desto schlechter sind ihre ehelichen Beziehungen (Muusses et al., 2015). ___ 2. Je mehr sexuell geprägte Inhalte sich Jugendliche im Fernsehen ansehen, desto wahrscheinlicher ist es, dass sie sexuell aktiv werden (Collins et al., 2004). ___ 3. Je länger Kinder gestillt werden, desto besser ist später ihre schulische Leistung (Horwood & Fergusson, 1998). ___ 4. Je stärker das Einkommen bei einer Stichprobe armer Familien anwuchs, desto weniger psychiatrische Symptome hatten ihre Kinder (Costello et al., 2003). ___
zz Illusorische Korrelation und Regression zur Mitte ?? 2.5 Was sind illusorische Korrelationen und was ist
eine Regression zur Mitte?
Wahrnehmung einer Beziehung dort, wo keine existiert, oder die Annahme, dass eine Beziehung stärker ist als es tatsächlich der Fall ist. Illusorische Korrelationen nähren eine Kontrollillusion – ein Gefühl, das zufällige Ereignisse unserer persönlichen Kontrolle unterliegen. Würfelspielende, die sich an glückliche Würfe erinnern, können etwa zu der Überzeugung gelangen, dass sie gewürfelte Zahlen beeinflussen können, indem sie für niedrige Zahlen sanft und für hohe Zahlen hart würfeln. Die Illusion, dass unkontrollierbare Ereignisse mit unseren Handlungen korrelieren, wird auch durch ein weiteres statistisches Phänomen verstärkt, das als Regression zur Mitte bezeichnet wird. Durchschnittliche Ergebnisse sind wahrscheinlicher als extreme Ergebnisse. So neigen die Dinge nach einem ungewöhnlichen Ereignis dazu, sich wieder dem Durchschnittswert anzunähern; auf außergewöhnliche Ereignisse folgen meist gewöhnlichere. Regression zur Mitte („regression toward the mean“) – die
Tendenz, dass sich extreme oder ungewöhnliche Werte oder Ereignisse wieder in Richtung des Durchschnitts bewegen (Regression). Dieser Punkt mag offensichtlich erscheinen, aber wir übersehen ihn oft: Manchmal führen wir etwas, was aufgrund einer normalen Regression (d. h. der erwarteten Rückkehr zur Normalität) geschieht, auf unsere eigenen Handlungen zurück. Schauen Sie sich etwa diese beiden Beispiele an: Studierende, die bei einer Prüfung viel weniger oder mehr Punkte als gewöhnlich erreichen, werden bei einer erneuten Prüfung wahrscheinlich zu ihrem Durchschnitt zurückkehren. Ungewöhnliche Versuchspersonen mit übersinnlichen Wahrnehmungen, die bei ihrem ersten Test dem Zufall trotzen, verlieren bei einer erneuten Testung fast immer ihre „psychischen Kräfte“.
-
Das Versäumnis, Regressionen zu identifizieren, ist eine häufige Ursache für Aberglauben sowie auch einige un-
2
38
2
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
wirksame Praktiken. Nachdem er einen Mitarbeiter für eine unterdurchschnittliche Leistung gescholten hat, mag sich ein Manager – wenn der Mitarbeiter wieder zu seiner normalen Leistung zurückkehrt – in seinem „harten Durchgreifen“ bestätigt fühlen. Nach überschwänglichem Lob für eine außergewöhnlich gute Leistung könnte der Manager hingegen enttäuscht sein, wenn sich das Verhalten des Mitarbeiters wieder dem Durchschnitt annähert. Ironischerweise kann die Regression zur Mitte dann dazu führen, dass wir uns nach Kritik an anderen belohnt und nach Lob an ihnen bestraft fühlen (Tversky & Kahneman, 1974).
» „Sobald man dafür empfänglich wird, sieht man überall Regression.“ Der Psychologe Daniel Kahneman (1985)
Merken Sie sich: Wenn sich ein wechselndes Verhalten wieder normalisiert, ist es nicht nötig, sich ausgefallene Erklärungen dafür auszudenken. Wahrscheinlich handelt es sich lediglich um eine Regression zur Mitte. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Sie hören, wie die Basketballtrainerin ihrer Schule einer Freundin berichtet, wie sie die Siegesserie ihres Teams gerettet hat, indem sie die Spielerinnen nach einer ungewöhnlich schlechten ersten Hälfte anschrie. Was ist eine alternative Erklärung dafür, warum sich die Leistung der Mannschaft verbessert hat?
Die Korrelationsforschung deckt zwar Zusammenhänge auf, erklärt sie aber nicht. Siehe hierfür . Abb. 2.11. ?? 2.6 Warum erlauben Korrelationen Vorhersagen, aber
keine kausalen Erklärungen? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die Dauer einer Ehe korreliert mit dem Verlust von Haaren bei Männern. Bedeutet das, dass die Ehe den Haarverlust verursacht (oder dass kahl werdende Männer die besseren Ehemänner sind)?
Experiment ?? 2.7 Welches sind die Eigenschaften von Experimen-
ten, die es möglich machen, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten?
„Glücklich ist, wer die Ursachen der Dinge erkennen kann“, sagte der römische Dichter Vergil. Wie können Psycholog:innen Ursachen in Korrelationsstudien erkennen, z. B. die Korrelation zwischen Stillen und Intelligenz?
zz Experimentelle Manipulation
Einige Forschende (aber nicht alle) haben herausgefunden, dass gestillte Kinder in Intelligenztests etwas besser abschneiden als Flaschenkinder, die mit Kuhmilch ernährt wurden – ein Unterschied von durchschnittlich drei IQPunkten in einer Übersicht von 17 Studien (Horta et al., 2015; von Stumm & Plomin, 2015; Walfisch et al., 2014). Zudem ist der spätere IQ höher, je länger Kinder gestillt werden (Jedrychowski et al., 2012; Victora et al., 2015). Was bedeuten diese Ergebnisse? Fördern die Nährstoffe in der Muttermilch die Gehirnentwicklung? Oder haben klügere Mütter klügere Kinder? (Gestillte Kinder sind in der Regel gesünder und leistungsfähiger als ihre Altersgenossen. Aber ihre Geschwister, die mit der Flasche gestillt werden und die in denselben Familien geboren und aufgewachsen sind, sind in der Regel ähnlich gesund und leistungsstark [Colen & Ramey, 2014].) Selbst große Datenmengen von einer Million oder gar einer Milliarde Müttern und ihrem Nachwuchs konnten diese Beobachtung nicht erklären. Um solche Fragen zu beantworten – um Ursache und Wirkung voneinander zu trennen – können Forschende experimentieren. Mit Hilfe eines Experiments können sie sich auf die möglichen Wirkungen eines oder mehrerer Faktoren konzentrieren, indem sie 1. die interessierenden Faktoren manipulieren und 2. andere Faktoren konstant halten („kontrollieren“). Dazu schaffen sie oft eine Versuchsgruppe, bei der die Teilnehmenden eine Behandlung bekommen, und eine Kontrollgruppe, bei der dies nicht der Fall ist. Um irgendwelche vorher bestehenden Unterschiede zwischen den zwei Gruppen gering zu halten, weisen die Forschenden die Teilnehmenden nach dem Prinzip der Randomisierung den zwei Bedingungen zu. Die randomisierte Zuweisung (etwa mit Tabellen von Zufallszahlen oder Münzwürfen) macht die zwei Gruppen vergleichbar. Wenn ein Drittel der Personen, die freiwillig an einem Experiment teilnehmen, mit den Ohren wackeln kann, dann wird ungefähr ein Drittel der Teilnehmenden in jeder Gruppe zu der Spezies der Ohrenwackler:innen gehören. Auch in Bezug auf andere Faktoren – Alter, Einstellung und weitere Merkmale – werden die Experimental- und Kontrollgruppe ähnlich sein. Deshalb können wir, wenn sich die Gruppen am Ende des Experiments unterscheiden, davon ausgehen, dass die Behandlung einen Effekt hatte. Experiment („experiment“) – Forschungsmethode, bei der
der Forschende einen oder mehrere Faktoren (unabhängige Variablen) manipuliert, um die Auswirkung auf eine Verhaltensweise oder einen mentalen Prozess (abhängige Variable) zu beobachten. Durch Zufallszuweisung der Teilnehmenden können andere wichtige Faktoren kontrolliert werden. Versuchsgruppe („experimental group“) – Gruppe in einem Experiment, deren Teilnehmende einer Behandlung
39
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
Psychische Störungen korrelieren mit dem Rauchverhalten. Das bedeutet, dass ein Mensch, der eine psychische Störung hat, mit größerer Wahrscheinlichkeit auch raucht.1 Sagt dieser Zusammenhang etwas über die Ursachen psychischer Störungen oder des Rauchens aus? NEIN. Es könnte eine dritte Variable geben (wie z. B. Menschen mit Rauchen könnte auf irgendpsychischen Störungen ODER ein stressiges Familienleeine Weise zu psychischen ben), die sowohl zum neigen möglicherweise Störungen führen. Rauchen als auch zu eher zum Rauchen. psychischen Störungen führt.
?
Wie könnte man also diese Forschungsergebnisse interpretieren? a) Unverbindlicher Geschlechtsverkehr korreliert mit dem Auftreten von Depressionen bei weiblichen Studierenden; und b) das Hinauszögern sexueller Intimität korreliert mit positiven Folgen wie einer größeren Beziehungszufriedenheit und -stabilität?2
Mögliche Erklärungen: 1. Sexuelle Zurückhaltung
Bessere psychische Gesundheit und Beziehungsqualität
2. Depression
Menschen gehen eher unverbindlichem Geschlechtsverkehr nach
3. Eine dritte Variable wie z. B. verringerte Impulsivität
Sexuelle Zurückhaltung, psychische Gesundheit und bessere Beziehungen
Korrelationen helfen uns bei Vorhersagen. Beispiel: Das Selbstwertgefühl korreliert negativ mit Depressionen (und sagt sie daher voraus). Je geringer das Selbstwertgefühl eines Menschen ist, desto höher ist sein Depressionsrisiko.
Mögliche Interpretationen: 1. Geringes Selbstwertgefühl
Depression
2. Depression
Geringes Selbstwertgefühl
3. Eine dritte Variable wie z. B. belastende Ereignisse oder eine biologische Veranlagung
Sowohl geringes Selbstwertgefühl als auch Depression
Probieren Sie es aus! Eine Umfrage unter mehr als 12.000 Jugendlichen ergab, dass diese eine geringere Wahrscheinlichkeit haben, sich ungesund zu verhalten (früher Sex, Rauchen, Alkohol- und Drogenmissbrauch, Gewalt), wenn sie sich von ihren Eltern geliebt fühlen.3 Welche drei Möglichkeiten gibt es, dieses Ergebnis zu interpretieren?4
Merken Sie sich: Korrelation bedeutet nicht Kausalität. Eine Korrelation deutet auf eine mögliche Ursache-Wirkungs-Beziehung hin, beweist sie aber nicht. Denken Sie an diesen Grundsatz und Sie werden klüger sein, wenn Sie Nachrichten über wissenschaftliche Studien lesen und hören. 1Belluck, 2013. 2Fielder et al., 2013; Willoughby et al., 2014. 3Resnick et al., 1997. 4ANTWORTEN: A. Elterliche Liebe könnte zu gesunden Jugendlichen führen. B. Jugendliche, die sich gesund verhalten, könnten mehr elterliche Liebe und Zustimmung fühlen. C. Eine dritte Variable (z. B. das Einkommen oder die Wohngegend) könnte sowohl die elterliche Liebe als auch das Verhalten von Jugendlichen beeinflussen.
..Abb. 2.11 Kritisch nachdenken über: Korrelation und Kausalität
unterzogen werden, die in diesem Fall eine Ausprägung der unabhängigen Variable darstellt. Kontrollgruppe („control group“) – Gruppe in einem Experiment, die keine Behandlung erhält; die Kontrollgruppe steht der Versuchsgruppe gegenüber und wird als Vergleich herangezogen, um die Wirkung der Behandlung zu evaluieren. Randomisierung (auch Zufallszuweisung; „random assignment“) – die Teilnehmenden an der Versuchs- und an
der Kontrollbedingung werden zufällig ausgewählt. Dadurch wird es höchst unwahrscheinlich, dass die beiden Gruppen sich vorher bereits unterscheiden.
>>Erinnern Sie sich daran, dass bei einer gut durchgeführ-
ten Umfrage eine Zufallsstichprobe wichtig ist. Dies trifft gleichermaßen auf das Experiment zu.
Im Rahmen eines Experiments zum Stillen wurden etwa 17.000 Neugeborene aus Weißrussland und ihre Mütter per Zufallsprinzip entweder einer Stillförderungsgruppe oder einem normalen Kinderpflegeprogramm zugewiesen (Kramer et al., 2008). In einem Alter von 3 Monaten, wurden 43 % der Kinder in der Experimentalgruppe ausschließlich gestillt. In der Kontrollgruppe waren es nur 6 %. Im Alter von 6 Jahren wurden beinahe 14.000 der
2
40
2
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
Kinder erneut untersucht und einem Intelligenztest unterzogen. Dabei erzielten die Kinder, welche in der Stillförderungsgruppe waren, im Durchschnitt um 6 Punkte höhere Werte als die Kinder aus der Kontrollgruppe. Mit elterlicher Erlaubnis experimentierte ein britisches Forschungsteam direkt mit Muttermilch. Sie teilten 424 hospitalisierte Frühgeborene nach dem Zufallsprinzip einer Gruppe, die mit Flasche gefüttert wurde, oder einer Stillgruppe zu (Lucas et al., 1992). Das Ergebnis der Untersuchung zeigte, dass im Alter von 8 Jahren die Kinder, die gestillt worden waren, in Intelligenztests signifikant besser abschnitten, als diejenigen, die mit Flasche gefüttert worden waren. Muttermilch war erneut überlegen! Natürlich erlaubt ein einzelnes Experiment keine endgültige Schlussfolgerung, doch in diesem Fall konnten die Forschenden durch die Zufallszuweisung der Versuchspersonen zu der einen oder anderen Ernährungsgruppe alle Faktoren mit Ausnahme der Ernährung konstant halten. Sofern sich die Testleistung verändert, wenn wir die Ernährung der Säuglinge variieren, können wir daraus schließen, dass die Ernährung eine Rolle spielt. Merken Sie sich: Im Gegensatz zu Korrelationsstudien, die natürlich auftretende Zusammenhänge aufdecken, wird bei einem Experiment ein Faktor manipuliert, um seinen Effekt zu bestimmen. zz Vorgehensweisen und der Placeboeffekt
Überlegen Sie sich nun, wie wir den Wert therapeutischer Interventionen bemessen könnten. Unsere Neigung, nach neuen Heilmitteln zu suchen, wenn wir krank oder niedergeschlagen sind, kann irreführende Belege hervorbringen. Wenn wir am dritten Tag einer Erkältung Zink nehmen und feststellen, dass sich die Symptome bessern, dann führen wir das auf die Tabletten zurück und nicht darauf, dass die Erkältung automatisch nach ein paar Tagen abklingt. Im 18. Jahrhundert schien Aderlass ein wirksames Heilmittel zu sein. Manchmal ging es dem Kranken nach der Behandlung besser; war das nicht der Fall, dann schloss der Arzt daraus, dass die Krankheit schon zu weit fortgeschritten war. Ganz gleich, ob ein Heilmittel tatsächlich heilt oder nicht, es wird immer begeisterte Anhänger finden. Um seinen Effekt festzustellen, müssen wir andere Faktoren kontrollieren. In genau dieser Weise werden neue Medikamente und neue psychologische Therapiemethoden evaluiert (7 Kap. 17). Die Versuchspersonen werden in diesen Studien zufällig Untersuchungsgruppen zugewiesen. Eine Gruppe erhält eine Behandlung (beispielsweise ein Medikament), die andere erhält eine Pseudobehandlung – ein wirkungsloses Placebo (z. B. eine Tablette ohne Wirkstoff). Die Studienteilnehmenden sind oftmals „blind“, d. h., sie wissen nicht, welche Behandlung sie erhalten oder ob sie überhaupt behandelt werden. Wenn es sich bei der Studie um einen Doppelblindversuch handelt, dann wissen weder die Teilnehmenden noch die Assistierenden der Versuchsleitung, die die Arznei ver-
abreichen und die Daten sammeln, welche Gruppe das Medikament erhält. Doppelblindversuch („double-blind procedure“) – expe-
rimentelles Vorgehen, bei dem sowohl die Versuchspersonen als auch die Mitarbeitenden der Versuchsleitung nicht wissen („blind“ sind), ob die Teilnehmenden eine Behandlung oder ein Placebo erhalten. Diese Methode wird im Allgemeinen bei der Evaluation von Studien zur Wirkung von Medikamenten angewandt. Mit solchen Studien können die Wissenschaftler:innen die tatsächliche Wirkung einer Behandlung prüfen, unabhängig davon, ob die Teilnehmer:innen oder die Forschungsgruppe an die heilende Kraft der Behandlung glauben. Schon der bloße Gedanke, dass man behandelt wird, kann die Lebensgeister wieder wecken, den Körper entspannen und zu einer Verringerung der Symptome führen. Dieser Placeboeffekt ist bei der Reduktion von Schmerzen, Depression und Angst gut dokumentiert (Kirsch, 2010). Sportler:innen laufen schneller, wenn sie ein angeblich leistungssteigerndes Medikament genommen haben (McClung & Collins, 2007). Konsument:innen koffeinfreien Kaffees berichten über mehr Energie und gesteigerte Wachsamkeit, wenn sie glauben, dass ihr Getränk Koffein enthält (Dawkins et al., 2011). Personen fühlen sich nach der Einnahme gefälschter stimmungsaufhellender Medikamente besser (Michael et al., 2012). Und je teurer ein Placebo ist, desto „echter“ wirkt es auf uns – eine falsche Pille, die 3 € kostet, bringt bessere Ergebnisse als eine für 10 Cent (Waber et al. 2008). Um herauszufinden, wie wirksam eine Therapie wirklich ist, müssen Forschende einen möglichen Placeboeffekt kontrollieren. Placeboeffekt (Aussprache Betonung: Platsebo; lateinisch für „Ich werde gefallen“; „placebo effect“) – experimen-
telle Ergebnisse, die nur durch Erwartungen zustande kommen; jede Auswirkung auf das Verhalten, die durch die Verabreichung einer unwirksamen Substanz hervorgerufen wird, von der die Versuchsteilnehmenden jedoch annehmen, dass sie wirkt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Zu welcher Maßnahme greifen Forschende, um zu verhindern, dass der Placeboeffekt ihre Resultate durcheinanderbringt?
zz Unabhängige und abhängige Variablen
Die Viagrastudie ist ein noch überzeugenderes Beispiel. Viagra erhielt die Zulassung, nachdem das Präparat in 21 klinischen Versuchen getestet worden war. Zu diesen Versuchen gehörte auch ein Experiment, bei dem 329 Männer, die an Impotenz litten, entweder einer Ex-
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
perimentalgruppe (die Viagra erhielt) oder einer Kontrollgruppe (die ein Placebo erhielt) zuwiesen wurden. Das Experiment war als Doppelblindversuch angelegt, d. h., weder die Teilnehmenden noch die Assistierenden, die das Präparat austeilten, wussten, wer Viagra und wer das Placebo erhielt. Das Ergebnis: Mit der Höchstdosis Viagra war der Geschlechtsverkehr in 69 % der Fälle erfolgreich; bei den Männern, die das Placebo erhalten hatten, waren es nur 22 % (Goldstein et al., 1998). Viagra hatte demnach einen Effekt. >>Ein ähnliches Experiment mit einem Medikament,
das zur Steigerung der sexuellen Erregung von Frauen zugelassen ist, ergab ein als eher antiklimaktisch beschriebenes Ergebnis – eine zusätzliche „Hälfte eines befriedigenden sexuellen Kontaktes pro Monat“ (Ness, 2016; Tavernise, 2016).
Dieses einfache Experiment manipulierte nur einen Faktor: Die Dosierung des Arzneistoffes (kein Viagra vs. Höchstdosis). Diesen Experimentalfaktor nennen wir die unabhängige Variable. Unabhängig deshalb, weil wir sie unabhängig von anderen Faktoren variieren können wie etwa dem Alter der Männer, ihrem Körpergewicht oder ihrer Persönlichkeit. Diese anderen Faktoren, welche die Resultate des Experiments eventuell beeinflussen können, nennt man Störvariablen. Die Zufallszuweisung kontrolliert mögliche Störvariablen. Experimente untersuchen die Wirkung von einer oder mehreren unabhängigen Variablen auf ein messbares Verhalten. Dieses Verhalten wird abhängige Variable genannt, weil es sich – abhängig von den Ereignissen im Experiment – verändern kann. Beide Variablen werden genauestens operationalisiert. Die operationale Definition der Variablen spezifiziert den Prozess, der die unabhängige Variable manipuliert (bei dem Viagraexperiment war das die genaue Viagradosis und das Timing) oder die abhängige Variable misst (die Fragen, mit denen die Reaktionen der Männer erfasst wurden). Diese operationalen Definitionen beantworten die Frage „Was meinen Sie damit?“ so genau, dass andere die Untersuchung wiederholen (replizieren) können (s. das Design der Stillstudie in . Abb. 2.12) Unabhängige Variable („independent variable“) – Faktor
im Experiment, der manipuliert wird und dessen Wirkung untersucht wird. Störvariable („confounding variable“) – ein anderer Faktor als die unabhängige Variable, der in einem Experiment eine Wirkung entfalten könnte. Abhängige Variable („dependent variable“) – Ergebnisfaktor; diese Variable kann sich als Reaktion auf die Manipulationen der unabhängigen Variablen verändern. Halten wir kurz inne und überprüfen unser Wissen anhand eines einfachen psychologischen Experiments: Um den Effekt der wahrgenommenen ethnischen Zugehörig-
41
keit auf die Bereitschaft, dieser Person eine Wohnung zu vermieten, zu testen, sandten Adrian Carpusor und William Loges (2006) identisch formulierte Mail-Anfragen an 1115 Hausbesitzer aus dem Gebiet um Los Angeles. Die Forscher variierten den Namen des Absenders, sodass er auf eine bestimmte ethnische Zugehörigkeit hinwies, und erfassten den Prozentsatz an positiven Antworten (Einladungen zur Wohnungsbesichtigung). „Patrick McDougall“, „Said Al-Rahman“ und „Tyrell Jackson“ wurden zu jeweils 89, 66 und 56 % eingeladen. (Testfrage: Welche war die unabhängige Variable in diesem Experiment? Welche die abhängige?3)
» „Wir müssen uns nicht nur gegen rassistische Bemerkun-
gen wappnen, sondern auch gegen den subtilen Impuls, Johnny zu einem Jobinterview einzuladen, nicht aber Jamal.“ US-Präsident Barack Obama, Lobrede für Clementa Pinckney (26. Juni 2015)
Experimente können auch hilfreich dabei sein, sozialpolitische Programme zu evaluieren. Lassen sich durch Bildungsprogramme in der frühen Kindheit die Erfolgschancen benachteiligter Kinder erfolgreich verbessern? Worin bestehen die Wirkungen unterschiedlicher Kampagnen gegen das Rauchen? Lässt sich durch Sexualerziehung in der Schule die Anzahl der Teenager-Schwangerschaften verringern? Um diese Fragen zu beantworten, können wir Experimente entwerfen: Wenn ein Programm allgemein gutgeheißen wird, aber die Ressourcen knapp sind, können wir ein Losverfahren dazu nutzen, einige Personen (oder Regionen) nach zufälligen Kriterien einem neuen Programm zuzuweisen und andere einer Kontrollbedingung. Sollten sich die beiden Gruppen später unterscheiden, wurde der Effekt der Intervention bestätigt (Passell, 1993). Lassen Sie uns rekapitulieren: Eine Variable ist alles, was variieren kann (Säuglingsnahrung, Intelligenz, Fernsehkonsum – alles, was innerhalb der Grenzen des Möglichen und des ethisch Vertretbaren bleibt). Ein Experiment dient dazu, eine unabhängige Variable zu manipulieren, eine abhängige Variable zu messen und alle anderen Variablen durch die randomisierte Gruppenzuweisung zu kontrollieren. Ein Experiment besteht aus mindestens zwei verschiedenen Bedingungen: einer Experimentalbedingung und einer Vergleichs- oder Kontrollbedingung. Die Zufallszuweisung hat zur Folge, dass – bevor irgendwelche Behandlungseffekte auftreten – die Ausgangsbedingungen in beiden Gruppen so ähnlich wie möglich gehalten werden. Dadurch kann das Experiment Aufschluss über die Wirkung von mindestens einer unabhängigen Variable (dem, was wir manipulieren) auf 3 Die unabhängige Variable, welche die Forscher manipulierten, war der Name, der jeweils auf eine andere Ethnie hinwies. Die abhängige Variable, welche die Forscher maßen, war die Rate an positiven Antworten.
2
42
2
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
Zufällige Zuweisung (Kontrolle anderer Variablen wie Intelligenz der Eltern und Umwelt)
Bedingung
Unabhängige Variable
Abhängige Variable
Versuchsbedingung
Stillen
Intelligenztestwert im Alter von 8 Jahren
Kontrollbedingung
Fertigmilch
Intelligenztestwert im Alter von 8 Jahren
..Abb. 2.12 Experiment. Um Kausalität festzustellen, kontrollieren Psycholog:innen Störvariablen, indem sie einige Versuchspersonen zufällig einer experimentellen Behandlung zuweisen, andere einer
Kontrollbedingung. Durch die Messung einer abhängigen Variable (Intelligenztestwert in der späteren Kindheit) wird die Wirkung der unabhängigen Variable bestimmt (Art der Milch)
mindestens eine abhängige Variable (dem Ergebnis, das wir erfassen) geben (. Abb. 2.13). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Durch eine Zufallszuweisung bekommen Forschende Kontrolle über ___. Es handelt sich dabei um andere Faktoren nebst der unabhängigen Variable(n), welche die Studienergebnisse beeinflussen könnten. – Ordnen Sie die Begriffe auf der linken Seite den zugehörigen Beschreibungen auf der rechten Seite zu. 1. Doppelblindversuch 2. Zufallsstichprobe 3. Zufallszuweisung
a. hilft Forschenden, die Ergebnisse der Befragung einer kleinen Stichprobe auf eine größere Population zu generalisieren b. hilft, vorher bestehende Unterschiede zwischen der Experimental- und den Kontrollgruppen zu minimieren c. kontrolliert den Placeboeffekt; weder die Forschenden noch die Teilnehmenden wissen, wer die echte Behandlung erhält
– Ein neues blutdrucksenkendes Mittel soll geprüft werden. Warum werden wir mehr Informationen über die Wirksamkeit dieses Mittels bekommen, wenn wir es der Hälfte der 1000 Teilnehmenden verabreichen, als wenn wir es allen 1000 Teilnehmenden geben?
Forschungsdesigns ?? 2.8 Was gilt es bei der Wahl des Forschungsdesigns zu
bedenken?
In den Kapiteln dieses Buches werden Sie zahlreiche erstaunliche Entdeckungen der psychologischen Wissenschaft kennenlernen. Aber wie können wir Fakten von Fiktion unterscheiden? Wie wählen Psycholog:innen ihre Forschungsmethoden aus und gestalten ihre Studien so, dass sie aussagekräftige Ergebnisse liefern? Zu ver-
..Abb. 2.13 (Peter C. Vey/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
stehen, wie genau Forschung betrieben wird – wie also prüfbare Fragen entwickelt und untersucht werden – hilft uns immens dabei, die Psychologie in ihrer Gesamtheit wertzuschätzen. . Tab. 2.2 vergleicht die Merkmale der wichtigsten psychologischen Forschungsmethoden. In späteren Kapiteln werden Sie weitere Forschungsdesigns kennenlernen, etwa Zwillingsstudien (7 Kap. 5) sowie Querschnitts- und Längsschnittforschung (7 Kap. 11). In der psychologischen Forschung sind keine Fragen tabu, außer solche, die nicht überprüft werden können: Gibt es einen freien Willen? Sind Menschen von Geburt an böse? Gibt es ein Leben nach dem Tod? Psycholog:innen können diese Fragen nicht untersuchen. Aber sie können testen, ob der Glaube an den freien Willen, aggressive Persönlichkeiten und der Glaube an ein Leben nach dem Tod das Denken, Fühlen und Handeln von Menschen beeinflusst (Dechesne et al., 2003; Shariff et al., 2014; Webster et al., 2014).
Die Vorhersage alltäglichen Verhaltens ?? 2.9 Können vereinfachte Laborversuche etwas über
den Alltag aussagen?
43
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
..Tab. 2.2 Forschungsmethoden im Überblick Forschungsmethode
Forschungsziel
Praktische Durchführung
Manipuliert wird
Schwächen
Beschreibung
Verhalten beobachten und beschreiben
Fallstudien, naturalistische Beobachtungen oder Befragungen
Keine der Variablen
Keine Kontrolle der Variablen; Einzelfälle möglicherweise irreführend
Korrelationsstudie
Aufdeckung naturgegebener Zusammenhänge; Beurteilung, wie gut man eine Variable aufgrund einer anderen vorhersagen kann
Zu zwei oder mehreren Variablen werden Daten gesammelt; keine Manipulation
Keine der Variablen
Macht keine Aussage über Ursache und Wirkung
Experiment
Erkundung von UrsacheWirkungs-Zusammenhängen
Ein oder mehrere Faktoren werden manipuliert; Zufallszuweisung
Die unabhängige(n) Variable(n)
Manchmal nicht durchführbar; Ergebnisse nicht immer über andere Kontexte hinweg generalisierbar; unethisch, bestimmte Variablen zu manipulieren
Wenn Sie einen Artikel über psychologische Forschung lesen oder etwas darüber hören, fragen Sie sich vielleicht, ob das Verhalten von Menschen im Labor wohl als Vorhersage für ihr Verhalten im realen Leben dienen kann. Kann bei einem Versuch, bei dem das Blinken eines schwachen roten Lichts in einem dunklen Raum wahrgenommen werden soll, irgendetwas Hilfreiches für Nachtflüge herauskommen? Oder folgender Versuch: Einem Mann wird ein Film mit sexuellen Gewaltszenen gezeigt und seine Bereitschaft steigt, auf einen Knopf zu drücken, mit dem er, wie er glaubt, eine Frau einem lauten Geräusch aussetzt. Sagt so ein Versuch tatsächlich etwas darüber aus, ob Gewaltpornografie bei Männern die Wahrscheinlichkeit erhöht, eine Frau zu misshandeln? Doch lassen Sie uns, ehe Sie antworten, über ein paar Dinge nachdenken. Die Absicht der Versuchsleitung ist es, im Labor eine vereinfachte Realität herzustellen, eine Realität, in der wichtige Merkmale des Alltags simuliert und kontrolliert werden. Beim Flugzeugdesign benutzt man einen Windkanal, um atmosphärische Kräfte unter kontrollierten Bedingungen zu untersuchen. Genauso können Psycholog:innen beim Laborversuch psychische Kräfte unter kontrollierten Bedingungen untersuchen. Es ist nicht Zweck eines Experiments, alltägliche Verhaltensweisen genau zu reproduzieren, sondern die theoretischen Prinzipien zu testen (Mook, 1983). Was Aggressionsstudien betrifft: Einen Knopf zu drücken, der ein lautes Geräusch auslöst, ist vielleicht nicht dasselbe, wie jemanden ins Gesicht zu schlagen; doch das Prinzip ist das gleiche. Es sind die zugrunde liegenden Prinzipien – nicht die spezifischen Befunde –, mit deren Hilfe Alltagsverhalten erklärt werden kann. Wenn Psycholog:innen beispielsweise die Ergebnisse der Aggressionsforschung im Labor auf tatsächliches Gewaltverhalten anwenden, dann verwenden sie ihre Kenntnisse über die theoretischen Grundlagen, auf denen aggressives Verhalten beruht, und damit Prinzipien, die sie in zahlreichen Versuchen verfeinert ha-
ben. So verhält es sich auch mit den Erkenntnissen zu Grundlagen des visuellen Systems, die mit Hilfe von Experimenten in einer künstlichen Umgebung entwickelt wurden (wie beispielsweise auf rote Lichter in einem dunklen Raum schauen) und dann auf komplexeres Verhalten (Nachtflug) angewandt werden. Zahlreiche Untersuchungen zu diesem Thema haben gezeigt, dass sich die im Labor herausgearbeiteten Prinzipien tatsächlich auf Alltagsbedingungen anwenden lassen (Anderson et al., 1999). Merken Sie sich: In der Psychologie interessieren uns weniger bestimmte Verhaltensweisen, uns interessieren die allgemeinen Prinzipien, mit deren Hilfe viele Verhaltensweisen erklärt werden können. 2.1.3
Die Forschungsethik der Psychologie
?? 2.10 Warum führen Psycholog:innen Experimente mit
Tieren durch und welche ethischen Richtlinien schützen menschliche und tierische Versuchsteilnehmende? Auf welche Weise beeinflussen die Wertvorstellungen von Psycholog:innen die Psychologie?
Wir haben darüber nachgedacht, wie eine wissenschaftliche Vorgehensweise Verzerrungen (Biases) gering halten kann. Wir haben gesehen, wie Verhalten mit Hilfe von Fallstudien, Befragungen und Beobachtungen in einer natürlichen Umgebung beschrieben werden kann. Wir haben auch bemerkt, dass Korrelationsstudien den Zusammenhang zwischen zwei Faktoren erfassen und damit anzeigen, wie gut man einen Faktor aufgrund eines anderen vorhersagen kann. Dann sind wir auf die Logik von Experimenten mit Kontrollbedingung und Zufallszuweisung der Versuchspersonen eingegangen, bei denen die Wirkung einer unabhängigen Variable auf eine abhängige Variable isoliert betrachtet werden kann.
2
44
2
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
Aber auch vor dem Hintergrund dieses Wissens werden Sie vielleicht mit einer Mischung aus Neugier und Vorsicht an die Psychologie herangehen. Wir wollen uns deshalb, bevor wir richtig anfangen, näher mit einigen typischen Fragen über die ethischen Richtlinien und Werte der Psychologie beschäftigen.
» „Vergessen Sie bitte nicht jene von uns, die an unheil-
baren Krankheiten oder an Behinderungen leiden und die auf Heilung hoffen; hier hilft eine Forschung, bei der Tiere eingesetzt werden.“ Der Psychologe Dennis Feeney (1987)
Viele Psycholog:innen arbeiten mit Tieren, weil sie sie faszinierend finden. Sie wollen verstehen, auf welche Weise die verschiedenen Arten lernen, denken und sich verhalten. Experimente mit Tieren dienen aber auch dazu, mehr über Menschen zu erfahren. Wir Menschen sind nicht wie Tiere; wir sind Tiere, denn wir teilen dieselbe Biologie. Tierversuche haben daher schon häufig zur Entwicklung von Behandlungsmöglichkeiten gegen menschliche Krankheiten geführt: Insulin bei Diabetes oder Impfstoffe gegen Polio und Tollwut. Auch Organtransplantationen wurden zunächst an Tieren durchgeführt. Menschen sind komplex. Aber die gleichen Prozesse, die menschlichem Lernen zugrunde liegen, finden wir auch bei Ratten, Affen, ja sogar bei Meeresschnecken. Gerade der einfache Aufbau des Nervensystems der Meeresschnecke macht sie zu einem guten Modell für die neuronalen Abläufe beim Lernen. Sollten wir Tiere nicht mehr achten, wenn wir einander doch so ähnlich sind? Die Tierschutzbewegung protestiert gegen die Verwendung von Tieren in der psychologischen, biologischen und medizinischen Forschung. „Wir können unsere wissenschaftliche Arbeit mit Tieren nicht einerseits mit der Ähnlichkeit zwischen ihnen und uns verteidigen und andererseits moralisch mit der Unterschiedlichkeit rechtfertigen“, sagte Roger Ulrich (1991).
Wenn wir dem menschlichen Leben oberste Priorität zugestehen, dann ist das zweite Thema das Wohlergehen der Tiere, mit denen wir Forschung betreiben. Mit welchen Maßnahmen können wir sie schützen? Eine Befragung von Forschenden, die mit Tieren arbeiten, lieferte hierzu eine Antwort. Etwa 98 % unterstützten die von der Regierung erlassenen Vorschriften zum Schutz von Primaten, Hunden und Katzen; 74 % traten dafür ein, den humanen Umgang mit Ratten und Mäusen durch entsprechende Vorschriften zu gewährleisten (Plous & Herzog, 2000). Viele Berufsverbände und Institutionen der Forschungsförderung haben bereits Richtlinien für den humanen Umgang mit Tieren. Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychologie (DGPs) und der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) haben gemeinsame ethische Richtlinien zum Einsatz von Tieren in Forschung und Lehre formuliert. Sie stellen eine grundsätzliche Verpflichtung der Psycholog:innen zur Achtung des Lebens fest und fordern, Schmerzen, Leiden und Schäden für Versuchstiere soweit möglich zu verhindern. Die Richtlinien der American Psychological Association fordern, dass Forschende das „Wohl, die Gesundheit und die humane Behandlung“ von Tieren gewährleisten und „Unannehmlichkeiten“ auf ein Minimum reduzieren (APA, 2012). Das Europäische Parlament ist nun dabei, die Ausarbeitung von Standards für die Behandlung und Unterbringung von Tieren in Auftrag zu geben (Vogel, 2010). Die meisten Universitäten überprüfen Studienvorschläge, oft mit Hilfe einer Ethikkommission für Tierpflege; und Laboratorien werden reguliert und inspiziert.
» „Ratten und Menschen sind sich ziemlich ähnlich, nur
» „Die Größe einer Nation kann man an ihrem Umgang
In dieser hitzigen Debatte zeichnen sich zwei Themen ab. Die grundsätzliche Frage lautet, ob wir berechtigt sind, menschliches Wohlbefinden über das der Tiere zu stellen. Haben wir das Recht, Experimente zu Stress und Krebs durchzuführen und Mäuse Tumore bekommen zu lassen in der Hoffnung, dass wir Menschen keine bekommen? Dürfen wir ein paar Affen einem HIV-ähnlichen Virus aussetzen, wenn wir nach einem Impfstoff gegen Aids suchen? Jedes Jahr züchten und schlachten wir Menschen 56 Mrd. Tiere (Worldwatch Institute, 2013). Wenn wir Tiere für unsere Zwecke opfern, verhalten wir uns da so natürlich wie fleischfressende Falken, Katzen oder Wale?
Die Tiere selbst sind auch Nutznießer der Tierexperimente (. Abb. 2.14). Ein psychologisches Forscherteam in Ohio maß die Ausschüttung von Stresshormonen bei Stichproben von Millionen von Hunden, die jedes Jahr in Tierheime gebracht werden. Die Forschenden entwickelten Methoden, wie man die Tiere behandeln und streicheln müsste, um den Stress zu mildern und ihnen den Übergang in eine neue Familie zu erleichtern (Tuber et al., 1999). Andere Studien trugen dazu bei, die Betreuung und die Behandlung von Tieren in ihrer natürlichen Umgebung zu verbessern. In Versuchen wurde auch die bemerkenswerte Intelligenz von Schimpansen, Gorillas und anderen Tieren nachgewiesen; ebenso wurde die Ähnlichkeit des Verhaltens bei Mensch und Tier deutlich, was wiederum bei den Menschen zu verstärkter Em-
Das Wohlergehen von Versuchsteilnehmenden zz Ethische Forschung mit Tieren
sind die Ratten nicht so dumm, Lotterielose zu kaufen.“ Dave Barry (2. Juli 2002)
mit Tieren ablesen.“ Mahatma Gandhi (1869–1948)
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
45
Psychologen erarbeiteten ethischen Grundsätze fordern von den Versuchsleitern, dass sie 1. die informierte Einwilligung („informed consent“) der potenziellen Teilnehmenden einholen, 2. die Teilnehmenden vor schädlichen Einflüssen und Unannehmlichkeiten schützen, 3. Informationen über einzelne Teilnehmende vertraulich behandeln und 4. die Versuchspersonen in einer Nachbesprechung („debriefing“) vollständig aufklären (hinterher die Untersuchung erklären).
..Abb. 2.14 Forschung mit Tieren nützt Tieren. Psycholog:innen haben Zoos dabei geholfen, die Lebensverhältnisse ihrer Tiere zu verbessern, indem sie beispielsweise die durch Gefangenschaft hervorgebrachte „erlernte Hilflosigkeit“ mit Hilfe vergrößerter Wahlmöglichkeiten verringert haben (Kurtycz, 2015; Weir, 2013). Diese Gorillas im Zoo der Bronx in New York verdanken ihre bessere Lebensqualität teilweise den Untersuchungen zu den positiven Auswirkungen von Anregung, Kontrolle und dem Kontakt mit neuen, unbekannten Dingen. (D. Shapiro, © Wildlife Conservation Society)
pathie mit ihren Mitgeschöpfen sowie zu deren Schutz führte. Im besten Fall kommt eine Psychologie, die Interesse am Menschen und Einfühlungsvermögen für Tiere hat, beiden zugute. zz Ethische Forschung mit Menschen
Wie steht es mit Versuchen an Menschen? Erschreckt Sie das Bild von Wissenschaftler:innen in weißen Kitteln, welche Elektroschocks verabreichen? Wenn ja, dann werden Sie mit Erleichterung zur Kenntnis nehmen, dass die meisten psychologischen Untersuchungen ohne derartigen Stress durchgeführt werden. In der Regel geht es bei Versuchen mit Menschen um blinkende Lichter, flackernde Wörter und angenehme soziale Interaktionen. Außerdem sind psychologische Experimente harmlos verglichen mit dem Stress und der Demütigung, die in Reality-TV-Shows erzeugt werden. In einer Folge von Der Bachelor gab ein Mann – auf Wunsch des Regisseurs – seiner neuen Verlobten vor laufender Kamera den Laufpass und entschied sich für eine Frau, die zuvor auf dem zweiten Platz gelandet war (Collins, 2009). Gelegentlich allerdings müssen Wissenschaftler:innen die Menschen hinters Licht führen oder sie einem kurzen Stress aussetzen, doch nur, wenn es ihnen zur Klärung einer wichtigen Frage unabdingbar erscheint. Manche Experimente erbrächten kein Ergebnis, wenn die Teilnehmenden vorher wüssten, was auf sie zukommt. (In der Absicht, hilfreich zu sein, würden sie möglicherweise versuchen, die Erwartungen der Versuchsleitung zu erfüllen.) Die von der American Psychological Association wie auch die von der Deutschen Gesellschaft für Psychologie und dem Berufsverband Deutscher Psychologinnen und
Wie dies auch für Forschung mit Tieren der Fall ist, haben viele Universitäten heute einen Ethikrat, der Forschungsanträge prüft und das Wohlergehen der Teilnehmenden sicherstellt. Informierte Einwilligung („informed consent“) – ein ethi-
scher Grundsatz, der darin besteht, dass Versuchspersonen genügend informiert werden, um entscheiden zu können, ob sie an einem Versuch teilnehmen möchten. Nachbesprechung („debriefing“) – Aufklären der Versuchspersonen nach Abschluss des Experiments über die Studie, inklusive ihres Ziels und der verwendeten Täuschungen.
Werte in der Psychologie Wertvorstellungen bestimmen, was wir untersuchen, wie wir es untersuchen und wie wir die Ergebnisse interpretieren. Die Wertvorstellungen der Psycholog:innen beeinflussen ihre Wahl des Forschungsthemas. Sollen wir die Produktivität von Angestellten oder ihre Arbeitsmoral untersuchen? Geschlechtsdiskriminierung oder Geschlechtsrollenunterschiede? Sozial angepasstes oder unabhängiges Verhalten? Werte können auch die „nackten Tatsachen“ sowie unsere Beobachtungen und Interpretationen beeinflussen. Manchmal sehen wir genau das, was wir sehen wollen oder zu sehen erwarten (. Abb. 2.15). Selbst in den Worten, mit denen wir Traits und Tendenzen beschreiben, können sich unsere Wertvorstellungen spiegeln. Mit Bezeichnungen beschreiben wir nicht nur, sondern bewerten gleichzeitig – in der Psychologie wie auch in unserer Alltagssprache: Was wir rigide nennen, nennen andere unbeugsam. Was einer als Arbeiter ohne Dokumente ansieht, ist ein illegaler Einwanderer für den nächsten. Je nach Wertvorstellung wird aus festem Glauben ein Fanatismus. Und die „erweiterten Befragungsmethoden“ eines Landes, wie Eintauchen in kaltes Wasser, werden zur Folter, wenn sie von dessen Feinden angewandt werden. Wenn wir jemanden als standhaft oder stur, vorsichtig oder mäkelig, verschwiegen oder heimlichtuerisch bezeichnen, kommen darin unsere eigenen Einstellungen zum Ausdruck. Auch in den gängigen praktischen Anwendungen enthält die Psychologie verborgene Wertvorstellungen. Wenn Sie bei der Gestaltung Ihres Lebens „professio-
2
46
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
2
a
b
c
“There can be no peace until they renounce their Rabbit God and accept our Duck God”
..Abb. 2.15 a–c Was sehen Sie hier? Unsere Erwartungen beeinflussen unsere Wahrnehmung. Haben Sie hier eine Ente oder ein Kaninchen gesehen? Zeigen Sie dieses Bild einigen Freunden, wobei Sie das nebenstehende Foto des Kaninchens abdecken. Finden Sie heraus, ob
Ihre Freunde unter dieser Bedingung eher eine Ente sehen, die auf dem Rücken liegt. (Nach Shepard 1990; a: © Eric Isselée/Fotolia; b: © Roger Shepard; c: Paul Noth)
nellen“ Rat berücksichtigen, etwa, wie Sie Ihre Kinder erziehen, persönliche Erfüllung finden, mit sexuellen Gefühlen umgehen oder mit Ihrer Arbeit vorankommen sollen, dann akzeptieren Sie wertebeladene Antworten. Eine Wissenschaft vom Verhalten und von mentalen Prozessen kann uns helfen, unsere Ziele zu erreichen, doch sie kann nicht entscheiden, welche Ziele wir erreichen sollten. Manche Menschen halten Psychologie für nichts weiter als gesunden Menschenverstand, doch andere betrachten sie mit Sorge: Sie befürchten, die Psychologie könnte eine gefährliche Macht erlangen. Sie fragen sich, ob die Psychologie dazu benutzt werden könnte, Menschen zu manipulieren. Wie jede Macht kann die Macht des Wissens für gute oder schlechte Zwecke eingesetzt werden. Atomkraft wird genutzt, um Städte zu beleuchten – und auch, um sie zu zerstören. Überzeugungskraft dient dazu, Menschen zu erziehen – und dazu, sie zu täuschen. Obwohl die Psychologie die Macht hat zu täuschen, liegt ihr Zweck doch darin aufzuklären. Tag für Tag suchen Psycholog:innen nach neuen Wegen, um Lernen, Kreativität und Menschlichkeit zu fördern. Die Psychologie spricht viele der großen Probleme unserer Welt an: Krieg, Überbevölkerung, Vorurteile, zerfallende Familien und Verbrechen; denn alle diese Probleme haben mit Einstellungen und Verhaltensweisen zu tun. Und die Psychologie spricht unser
tiefes inneres Verlangen an, unser Bedürfnis nach Nahrung, Liebe und Glück. Freilich kann die Psychologie nicht alle großen Lebensfragen ansprechen, wohl aber einige, die uns auf den Nägeln brennen (. Abb. 2.16). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wodurch werden Versuchsteilnehmende (Mensch oder Tier) geschützt?
2.1.4
Rückblick: Forschungsstrategien
Verständnisfragen
2.1 – Auf welche Weise führt uns unser alltägliches Denken manchmal zu falschen Schlussfolgerungen? 2.2 – Wie bringen Theorien die Psychologie als Wissenschaft voran? 2.3 – Wie nutzen Psycholog:innen Einzelfallstudien, Feldbeobachtungen und Umfragen, um Verhalten zu beobachten und zu beschreiben, und weshalb ist es wichtig, Zufallsstichproben zu ziehen? 2.4 – Was bedeutet es, wenn zwei Merkmale miteinander korrelieren, und was sind positive und negative Korrelationen?
2.1 • Forschungsstrategien: Wie Psycholog:innen Fragen stellen und beantworten
..Abb. 2.16 Die Psychologie sagt aus. 1954 fällte das oberste Gericht der USA, der Supreme Court, seine historische Entscheidung, dass nach Rassen getrennte Schulen verfassungswidrig sind. Es berief sich dabei auf die Expertenaussage und Forschung der Psychologen Kenneth Clark und Mamie Phipps Clark (1947). Die Clarks berichteten, dass, wenn man afroamerikanischen Kindern die Wahl zwischen schwarzen und weißen Puppen ließ, sich die meisten von ihnen für die weißen entschieden. Dies war ein Hinweis auf internalisierte Vorurteile gegenüber Schwarzen. (Image courtesy of University Archives, Rare Book & Manuscript Library, Columbia University Libraries)
2.5 – Was sind illusorische Korrelationen und was ist eine
Regression zur Mitte? 2.6 – Warum erlauben Korrelationen Vorhersagen, aber keine kausalen Erklärungen? 2.7 – Welches sind die Eigenschaften von Experimenten, die es möglich machen, Ursache und Wirkung auseinanderzuhalten? 2.8 – Was gilt es bei der Wahl des Forschungsdesigns zu bedenken? 2.9 – Können vereinfachte Laborversuche etwas über den Alltag aussagen? 2.10 – Warum führen Psycholog:innen Experimente mit Tieren durch und welche ethischen Richtlinien schützen menschliche und tierische Versuchsteilnehmende? Auf welche Weise beeinflussen die Wertvorstellungen von Psycholog:innen die Psychologie?
-------
Schlüsselbegriffe Abhängige Variable Befragung Beobachtung in natürlicher Umgebung Doppelblindversuch Einzelfallstudie Experiment Hindsightbias Hypothese Illusorische Korrelation Informierte Einwilligung Kontrollgruppe Korrelation
47
--------
Korrelationskoeffizient Nachbesprechung Operationale Definition Placeboeffekt Population Randomisierung Regression zur Mitte Replikation Störvariable Streudiagramm Theorie Unabhängige Variable Variable Versuchsgruppe Zufallsstichprobe
Master the Material 1. ___ bezieht sich auf unsere Tendenz, Ereignisse als offensichtlich oder unabwendbar anzusehen, nachdem sie eingetroffen sind. 2. Als Wissenschaftler:innen … a. behalten Psycholog:innen ihre Methoden für sich, damit andere sie nicht wiederholen. b. nehmen Psycholog:innen an, dass Artikel, die in führenden Zeitschriften veröffentlicht wurden, der Wahrheit entsprechen. c. lehnen Psycholog:innen Ergebnisse ab, die traditionellen Befunden widersprechen. d. sind Psycholog:innen bereit dazu, Fragen zu stellen und Aussagen zurückzuweisen, die nicht verifiziert werden können. 3. Theoriebasierte Vorhersagen werden als ___ bezeichnet. 4. Welche der folgenden Methoden ist keine deskriptive Methode, die Psycholog:innen zur Beobachtung und Beschreibung von Verhalten nutzen? a. Einzelfallstudie b. Beobachtung in natürlicher Umgebung (Feldbeobachtung) c. Korrelationsstudie d. Telefonumfrage 5. Für eine Umfrage benötigen wir eine Gruppe von Individuen, die die gesamte Erwachsenenpopulation eines Landes repräsentieren. Dafür müssen wir eine ___ Stichprobe aus der Population befragen. 6. Eine Studie stellt fest, dass Frauen weniger Schmerzmedikamente während der Geburt benötigen, je häufiger sie an Geburtsvorbereitungskursen teilgenommen haben. Dieser Befund stellt eine ___ (positive/ negative) Korrelation dar. 7. Ein ___ ist eine visuelle Repräsentation der Richtung und Stärke des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen. 8. Bei einer ___ Korrelation nehmen die Werte gemeinsam ab oder zu; bei einer ___ Korrelation nimmt ein Wert ab, während der andere zunimmt.
2
48
2
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
a. positiven; negativen b. positiven; illusorischen c. negativen; schwachen d. starken; schwachen 9. Was ist Regression zur Mitte und auf welche Weise kann sie unsere Interpretation von Ereignissen beeinflussen? 10. Das Wissen, dass zwei Ereignisse miteinander korrelieren, bietet … a. die Möglichkeit einer Vorhersage. b. eine Erklärung dafür, warum diese Ereignisse zusammenhängen. c. einen Beweis dafür, dass wenn eines der Ereignisse zunimmt, das andere ebenfalls zunimmt. d. einen Hinweis darauf, dass ein dritter zugrunde liegender Faktor Einfluss nimmt. 11. Hier sind ein paar Korrelationen, die in jüngerer Vergangenheit berichtet wurden, zusammen mit den Interpretationen, die Journalist:innen für sie vorgeschlagen haben. Welche Alternativerklärungen können Sie sich mit lediglich den Korrelationen als Hintergrundwissen vorstellen? a. Alkoholkonsum ist mit gewalttätigem Verhalten assoziiert. (Interpretation: Alkohol führt zu ungehemmtem aggressivem Verhalten.) b. Menschen mit höherem Bildungsgrad leben durchschnittlich länger als solche mit geringerem Bildungsgrad. (Interpretation: Bildung verlängert die Lebensdauer und fördert die Gesundheit.) c. Jugendliche, die Teamsport betreiben, haben eine geringere Wahrscheinlichkeit, Drogen zu nehmen, zu rauchen, Sex zu haben, Waffen mit sich zu führen und Fast Food zu essen, als solche, die keinen Teamsport betreiben. (Interpretation: Teamsport fördert eine gesunde Lebensweise.) d. Jugendliche, die häufig Filme anschauen, in denen Schauspieler rauchen, rauchen eher selbst. (Interpretation: Das Verhalten von Filmstars hat einen starken Einfluss auf das Verhalten Jugendlicher.) 12. Um Verhalten zu erklären und Kausalitäten aufzudecken, nutzen Psycholog:innen ___. 13. Um den Effekt eines neuen Medikaments auf Depression zu untersuchen, weisen wir Versuchspersonen zufällig einer Kontroll- und einer Experimentalgruppe zu. Diejenigen in der Kontrollgruppe nehmen eine Tablette ein, die das neue Medikament nicht enthält. Diese Tablette ist ein ___. 14. Bei einem Doppelblindverfahren … a. wissen nur die Teilnehmenden, ob sie in der Kontroll- oder in der Versuchsgruppe sind. b. wird genau darauf geachtet, dass die Kontroll- und Versuchsgruppe hinsichtlich Alter, Geschlecht, Einkommen und Bildungsstand übereinstimmen. c. wissen weder die Teilnehmenden noch die Forschenden, wer in der Kontroll- oder Versuchsgruppe ist.
d. bittet eine Person, die selbst nicht die Untersuchung durchführt, die Teilnehmenden darum, sich freiwillig für die Kontroll- oder Versuchsgruppe zu melden. 15. Eine Forscherin möchte herausfinden, ob sich der Lärmpegel auf den Blutdruck von Arbeitskräften auswirkt. In einer Untersuchungsgruppe variiert sie den Lärmpegel, der um die Versuchspersonen herum herrscht, und dokumentiert ihren Blutdruck. In diesem Experiment stellt der Lärmpegel eine ___ dar. 16. Eine Laboruntersuchung wird so entworfen, dass sie … a. alltägliche Ereignisse exakt nachbildet. b. psychologische Einflussfaktoren unter kontrollierten Bedingungen nachbildet. c. psychologische Einflussfaktoren unter randomisierten Bedingungen nachbildet. d. den Einbezug von Tieren und Menschen in der psychologischen Forschung minimal hält. 17. Zur Rechtfertigung experimenteller Forschung an Tieren haben Psycholog:innen darauf verwiesen, dass … a. uns die Physiologie und das Verhalten von Tieren sehr viel über unsere eigene Physiologie und unser eigenes Verhalten lehren kann. b. Forschung an Tieren manchmal auch Tieren selbst hilft. c. Tiere faszinierende Geschöpfe sind, die einer genaueren Erforschung würdig sind. d. Alle diese Aussagen treffen zu. 2.2
Statistische Argumentation im Alltag
In der deskriptiven Forschung, in Korrelationsstudien und Experimenten sind die statistischen Methoden Werkzeuge, mit deren Hilfe man Ergebnisse sehen und interpretieren kann, die ohne statistische Aufbereitung nicht erkennbar wären. Aber akkurates statistisches Wissen bringt allen Vorteile. Als gebildeter Mensch sollte man heutzutage in der Lage sein, einfache statistische Prinzipien im Alltag anzuwenden. Wir müssen uns dabei nicht an komplizierte Formeln erinnern, um klarer und kritischer mit den Daten umzugehen. >>Wenn wir uns Ziele setzen, bevorzugen wir große, runde
Zahlen. Es ist sehr viel wahrscheinlicher, dass wir uns vornehmen, 10 kg abzunehmen als 9 oder 11 kg. Und mit Hilfe von Verhaltensanpassungen ist es beinahe 4-mal wahrscheinlicher, dass Schlagmänner im Baseball die Saison mit einem Durchschnitt von 0,300 anstatt von 0,299 abschließen (Pope & Simonsohn, 2011).
Oft wird die Wirklichkeit durch spontane Schätzungen verfälscht, was wiederum dazu führt, dass die Öffentlichkeit falsche Informationen erhält. Jemand wirft eine große runde Zahl in die Diskussion. Andere nehmen sie auf, und
49
2.2 • Statistische Argumentation im Alltag
-
in kürzester Zeit wird aus der großen runden Zahl eine öffentliche Fehlinformation. Hier ein paar Beispiele: 10 % der Bevölkerung sind homosexuell (Männer und Frauen). Oder sind es nur 2–4 %, wie das Ergebnis verschiedener landesweiter Befragungen lautet (7 Kap. 12)? Wir nutzen normalerweise nur 10 % unseres Gehirns. Oder doch fast 100 % (7 Kap. 3)? Merken Sie sich: Große runde Zahlen, die nicht belegt sind, sollten Sie immer mit Vorsicht betrachten. Lesen Sie etwa, dass 1 Mio. Kinder vermisst werden, 2 Mio. Menschen obdachlos sind oder 3 Mio. Ehepartner:innen ihre Lebensgefährt:innen misshandeln, können Sie sich ziemlich sicher sein, dass es sich lediglich um Schätzungen handelt. Wenn jemand ein Problem hervorheben möchte, werden diese Schätzungen eher hoch ausfallen. Will jemand ein Problem hingegen herunterspielen, fallen sie tendenziell niedrig aus. Statistisches Unwissen löst auch unnötige Gesundheitssorgen aus (Gigerenzer, 2010). In den 1990er Jahren berichtete die britische Presse über eine Studie zu einer bestimmten empfängnisverhütenden Pille. Es war zu lesen, dass Frauen, die diese Pille einnehmen, ein um 100 % erhöhtes Risiko für Blutgerinnsel haben und dass dies zu Schlaganfällen führen kann. Als Folge setzten Tausende von Frauen die Pille ab. Es kam zu einer Welle von ungewollten Schwangerschaften und ungefähr 13.000 Abtreibungen (die ebenfalls mit einem erhöhten Thromboserisiko in Verbindung stehen). Doch was hat die erwähnte Studie eigentlich gefunden? Tatsächlich ein um 100 % erhöhtes Risiko – es handelte sich dabei aber um einen Anstieg von 1 von 7000 Fällen auf 2 von 7000 Fällen. Solche falschen Alarme zeigen, wie wichtig es ist, den Umgang mit Statistik zu lehren und statistische Informationen transparenter zu präsentieren. 2.2.1 Datenbeschreibung
..Abb. 2.17 Umgang mit Rohdaten. (© Patrick Hardin/Search ID: phan123, Rights Available from CartoonStock.com)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Ein amerikanischer Lastwagenhersteller präsentierte die Grafik in . Abb. 2.18a mit tatsächlichen Markennamen, um die viel längere Haltbarkeit seiner Lastwagen hervorzuheben. Was macht die Grafik in . Abb. 2.18b in Bezug auf die verschiedenen Haltbarkeiten klar und wie schafft sie das?
Merken Sie sich: Lassen Sie sich nichts vormachen. Wenn Sie sich Diagramme ansehen, lesen Sie die Bezeichnung der Achsen und achten Sie auf den dargestellten Bereich (Variationsbreite, „range“).
Maße der zentralen Tendenz ?? 2.11 Wie können wir Daten mit drei Maßen der zen-
tralen Tendenz beschreiben und was ist der relative Nutzen der beiden Maße der Variabilität?
Sind die Rohdaten gesammelt, können Wissenschaftler:innen sie mit Hilfe deskriptiver Statistiken ordnen (. Abb. 2.17). Eine Möglichkeit dafür ist die Verwendung eines einfachen Säulendiagramms wie in . Abb. 2.18, die die Verteilung von Lastwagen verschiedener Marken zeigt, die nach 10 Jahren noch in Betrieb sind. Bei derartigen Diagrammen ist allerdings Vorsicht geboten. Je nachdem, was betont werden soll, kann das Diagramm so gezeichnet werden, dass Unterschiede groß (. Abb. 2.18a) oder gering (. Abb. 2.18b) ausfallen. Das Geheimnis liegt darin, wie man die Ordinate (die y-Achse) beschriftet.
Der nächste Schritt bei der Bearbeitung der Rohdaten ist die Zusammenfassung mit Hilfe der Maße zur „zentralen Tendenz“, eines einzigen Wertes, mit dessen Hilfe die Gesamtmenge der Werte dargestellt wird. Die einfachste Maßzahl ist der Modalwert, das ist der Wert, der am häufigsten auftritt (bzw. die Werte, die am häufigsten auftreten). Die bekannteste Maßzahl ist der Mittelwert, das arithmetische Mittel. Dabei werden sämtliche Werte addiert und durch die Anzahl der Werte dividiert. Der Median teilt die Menge der Daten genau in der Mitte; er entspricht also dem 50. Perzentil. Auf einer unterteilten Autobahn stellt der Mittelstreifen den Median dar. Dies gilt ebenso für Daten. Wenn Sie die Werte der Größe nach grafisch anordnen, liegt die eine Hälfte unter dem Median, die andere Hälfte darüber.
2
50
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
Mittelwert jeweils sehr unterschiedliche Geschichten (. Abb. 2.19). Das liegt daran, dass der Mittelwert durch ein paar Extremwerte verfälscht wird. Wenn sich Bill Gates, der Mitbegründer von Microsoft, in ein kleines Café setzt, wird der Durchschnittsgast (Mittelwert) mit einem Mal zum Milliardär. Das mittlere Einkommen (Median) im Café hat sich jedoch nicht verändert. Wenn Sie das verstanden haben, können Sie nachvollziehen, warum laut der US-Volkszählung von 2010 fast 65 % aller US-Haushalte ein „unterdurchschnittliches“ Einkommen haben. Die untere Hälfte verdient weit weniger als die Hälfte des nationalen Gesamteinkommens. Die meisten Amerikaner:innen verdienen also weniger als der Durchschnitt (der Mittelwert). Mittelwert und Median besagen beide etwas Wahres, aber eben auch etwas Unterschiedliches.
2
a
>>Der Durchschnittsmensch hat einen Eierstock und
einen Hoden.
Merken Sie sich: Achten Sie immer darauf, welches Maß der zentralen Tendenz berichtet wird. Handelt es sich dabei um den Mittelwert, dann schauen Sie nach, ob nicht ein paar untypische Werte den Mittelwert verzerren.
Maße der Variabilität
b ..Abb. 2.18 a,b Achten Sie auf die Skaleneinteilung
Modalwert („mode“) – der Wert oder die Werte, die in
einer Verteilung am häufigsten auftreten. Mittelwert („mean“) – das arithmetische Mittel wird berechnet durch die Addition sämtlicher Werte; diese Summe wird durch die Gesamtzahl der Werte dividiert. Median („median“) – der mittlere Wert in einer Verteilung; eine Hälfte der Werte liegt unterhalb, die andere Hälfte oberhalb des Medianwertes.
Die Maße der zentralen Tendenz können uns bereits eine große Menge an Informationen vermitteln. Doch in einer einzigen Zahl sind nicht alle Informationen enthalten. Es ist hilfreich, über die Variabilität (Streuung) innerhalb der Datenmenge Bescheid zu wissen, beispielsweise, ob die Werte dicht beieinander liegen oder sehr unterschiedlich ausfallen. Mittelwerte von Daten mit geringer Variabilität sagen mehr aus als Mittelwerte von Daten mit hoher Variabilität. Nehmen wir einmal die Handballer als Beispiel: Von einer Spielerin, die in den ersten 10 Spielen der Saison jeweils zwischen 4 und 6 Treffer erzielte, erwarten wir, dass sie in ihrem nächsten Spiel etwa 5-mal trifft. Hätte ihre Trefferquote zwischen 2 und 10 geschwankt, dann könnten wir unserer Prognose nicht allzu sehr vertrauen. Die Variationsbreite der Daten, d. h. der Abstand zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wert, liefert nur eine grobe Schätzung der Variation, denn schon ein paar „Ausreißer“ können eine sonst durchaus einheitliche Gruppe sprengen. In . Abb. 2.19 ist zu sehen, wie zwei Einkommen von 475.000 € und 710.000 € für eine fälschlich viel zu große Variationsbreite sorgen. Variationsbreite („range“) – Differenz zwischen dem
Die Maße der zentralen Tendenz bringen die Daten in eine gewisse Ordnung. Doch achten Sie darauf, was mit dem Mittelwert geschieht, wenn die Verteilung wegen ein paar extremer Werte nach einer Seite hängt, also schief ist. Wenn wir Daten betrachten, die das Einkommen beschreiben, dann berichten Median, Modal- und
höchsten und dem niedrigsten Wert einer Verteilung. Ein besserer Standard, um zu erfassen, wie stark die Werte voneinander abweichen, ist die Standardabweichung. In die Berechnung der Standardabweichung fließen Informationen über jeden einzelnen Messwert ein. Dadurch
51
2.2 • Statistische Argumentation im Alltag
..Abb. 2.19 Schiefe Verteilung. Diese grafische Darstellung der Einkommensverteilung in einem Dorf illustriert die drei Maße der zentralen Tendenz: Modalwert, Median und Mittelwert. Beachten Sie,
wie einige wenige hohe Einkommen den Mittelwert – den Dreh- und Angelpunkt, der die Einkünfte oberhalb und unterhalb austariert – nach oben verschieben
lässt sich besser erkennen, ob die Daten eng beieinander liegen oder über die gesamte Variationsbreite verstreut sind. Bei der Berechnung4 der Standardabweichung wird berücksichtigt, um wie viel sich die Messwerte der einzelnen Individuen vom Mittelwert unterscheiden. Nehmen wir beispielsweise an, dass die Testergebnisse einer Klasse A und einer Klasse B denselben Mittelwert haben (75 % richtig), aber sehr unterschiedliche Standardabweichungen (5,0 für Klasse A und 15,0 für Klasse B). Haben Sie so etwas schon einmal selbst erlebt – Tests, in denen zwei Drittel Ihrer Klassenkamerad:innen in einem Kurs eine Punktzahl zwischen 70 und 80 % erreicht haben, während die Ergebnisse in einem anderen Kurs stärker verteilt waren (zwei Drittel zwischen 60 und 90)? Die Standardabweichung sowie der Mittelwert sagen uns, wie genau die einzelnen Klassen abschneiden.
der Fälle im Bereich von einer Standardabweichung um den Mittelwert (in beide Richtungen) zu liegen kommen. Ungefähr 95 % der Fälle befinden sich innerhalb von zwei Standardabweichungen. Darum werden – wie in 7 Kap. 11 erwähnt wird – bei einem Intelligenztest ungefähr 68 % der Menschen einen Wert zwischen 85 und 115 Punkten erreichen, der also im Bereich ±15 Punkte von 100 liegt. Ungefähr 95 % erzielen einen Wert im Bereich ±30 Punkte.
Standardabweichung („standard deviation“) – berechnete
Maßzahl, die die Streuung der Daten um den Mittelwert angibt. Die Bedeutung der Standardabweichung wird klar, wenn Sie sich vor Augen führen, wie Werte in einem natürlichen Umfeld verteilt sind. Große Datenmengen – Angaben zu Größe oder Gewicht, Intelligenzwerte, Noten (jedoch nicht Einkommensbezifferungen) – bilden oft eine symmetrische, glockenförmige Verteilung. Die meisten Fälle ordnen sich um den Mittelwert an; an den beiden Extremen finden wir weniger Fälle. Diese glockenförmige Verteilung ist so typisch, dass wir sie als Normalverteilung bezeichnen. Wie . Abb. 2.20 zeigt, besteht eine nützliche Eigenschaft der Normalverteilung darin, dass ungefähr 68 % 4 Die Formel zur Berechnung der Standardabweichung lautet: s S umme der.Abweichunge n vom M it t elwert /2 Anzahl der W ert e
Normalverteilung („normal curve“, „normal distribution“)
– symmetrische, glockenförmige Kurve, mit der die Verteilung vieler Datentypen beschrieben wird. Die meisten Werte finden sich in der Nähe des Durchschnitts (ungefähr 68 % liegen im Bereich einer Standardabweichung links oder rechts des Durchschnitts). Je weiter man sich zu den Extremen hin bewegt, desto weniger Werte findet man. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Der Durchschnitt einer Werteverteilung ist der ___. Der Wert, der am häufigsten auftritt, ist der ___. Den Wert, der sich genau in der Mitte einer Verteilung befindet (die Hälfte der Werte liegt über, die andere Hälfte unter ihm) nennt man ___. Wir bestimmen, wie die Messwerte um den Mittelwert streuen, indem wir die ___ berechnen. Dabei erhalten wir auch Informationen zur ___ von Werten (Unterschied zwischen dem größten und dem kleinsten Wert).
2.2.2
Signifikante Unterschiede
?? 2.12 Wie können wir herausfinden, ob sich ein be-
obachteter Unterschied auf eine andere Population übertragen lässt?
2
52
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
68% der Menschen liegen mit ihren Werten innerhalb von 15 Punkten über oder unter 100
2 Anzahl der Werte
Etwa 95% aller Menschen erzielen Werte, die in einer Bandbreite von 30 Punkten über oder unter 100 liegen 68%
95% 0,1%
2,5% 55
13,5% 70
34% 85
34% 100
115
0,1%
2,5%
13,5% 130
145
Wechsler-Intelligenzwerte
..Abb. 2.20 Normalverteilung. Die bei einem Eignungstest erzielten Werte haben die Tendenz, eine glockenförmige Normalverteilung zu bilden. Beim „Wechsler Intelligenztest für Erwachsene“ etwa ist der Mittelwert 100
Daten sind mehrdeutig. Wenn sich das Durchschnittsergebnis einer Gruppe (Muttermilchbabys) von dem der anderen Gruppe (Fertigmilchbabys) unterscheidet: Wie können wir sicher sein, dass der Unterschied tatsächlich besteht und nicht durch zufällige Fluktuationen in der Stichprobe hervorgerufen wurde? Wie viel Vertrauen können wir in unsere Schlussfolgerung setzen, dass die beobachtete Differenz nicht bloß ein Zufallsergebnis ist? Zur Orientierung können wir fragen, wie reliabel (zuverlässig) und signifikant die Unterschiede sind. Inferenzstatistiken helfen uns dabei, zu entscheiden, ob sich vorliegende Ergebnisse auf eine größere Population übertragen lassen (. Abb. 2.21).
Wann ist ein beobachteter Unterschied reliabel (zuverlässig)? Wenn wir entscheiden müssen, ob unser Ergebnis zuverlässig genug ist, um eine Generalisierung auf Basis der Stichprobe zu erlauben, müssen wir drei Grundsätze beachten. 1. Repräsentative Stichproben sind besser als verzerrte Stichproben. Nicht die außergewöhnlichen und denkwürdigsten Einzelfälle, die man an den Rändern einer Verteilung findet, sind die beste Grundlage für eine Verallgemeinerung, sondern eine repräsentative Stichprobe von Fällen. Keine Studie umfasst eine repräsentative Stichprobe der gesamten Menschheit. Deshalb muss man darauf achten, aus welcher Population eine Studie ihre Stichprobe genommen hat. 2. Weniger variierende Beobachtungen sind zuverlässiger als jene, die eine größere Variation aufweisen. Wir haben dazu das Beispiel der Handballspielerin gesehen,
deren Punktzahl nur geringfügig variierte: Ein Durchschnittswert vermittelt zuverlässigere Informationen, wenn er aus Scores mit geringer Streuung berechnet wird. 3. Mehr Fälle sind besser als wenige. Ein eifriger künftiger Student besucht zwei Universitäten und verbringt an jeder einen Tag. In der ersten Universität besucht er zwei zufällig ausgewählte Vorlesungen und findet die Professoren witzig und anregend. In der zweiten Uni sind die zufällig gewählten Professoren langweilig und wenig anregend. Zu Hause berichtet der Student (er lässt die kleine Stichprobengröße von nur zwei Dozenten in jeder Hochschule außer Acht) dann seinen Freunden von den „tollen Lehrern“ der ersten Uni und den „schrecklichen Langweilern“ der zweiten. Hier haben wir wieder den Fall, den wir so gut kennen und doch immer wieder vergessen: Durchschnittswerte, die auf der Grundlage von vielen Einzelfällen berechnet werden, sind zuverlässiger (weniger variabel) als Durchschnittswerte auf der Basis einiger weniger Fälle. Nachdem festgestellt wurde, dass kleine Universitäten unter den erfolgreichsten überrepräsentiert sind, investierten mehrere Stiftungen in die Aufspaltung größerer Institutionen in kleinere – ohne dabei zu berücksichtigen, dass kleine Universitäten auch unter den am wenigsten erfolgreichen überrepräsentiert sind, da Lehreinrichtungen mit geringerer Studierendenzahl sehr viel variablere Ergebnisse aufweisen (Nisbett, 2015). Auch in diesem Fall liefert eine größere Fallzahl einen zuverlässigeren Durchschnitt.
53
2.2 • Statistische Argumentation im Alltag
beobachtet haben, wahrscheinlich nicht auf eine zufällige Variation zwischen den Stichproben zurückzuführen ist. Statistische Signifikanz („statistical significance“) – statisti-
sche Aussage über die Wahrscheinlichkeit, mit der das Ergebnis einer Untersuchung dem Zufall zuzuschreiben ist.
..Abb. 2.21 (Joseph Mirachi/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Merken Sie sich: Clevere Köpfe lassen sich von ein paar Einzelfällen nicht übermäßig beeindrucken. Verallgemeinerungen auf der Basis einiger unrepräsentativer Fälle sind nicht reliabel.
Wann ist ein Unterschied signifikant? Vielleicht haben Sie die Werte von Männern und Frauen bei einem Aggressionstest im Labor verglichen und einen Geschlechtsunterschied gefunden. Aber Individuen unterscheiden sich immer. Wie wahrscheinlich ist es, dass der Unterschied nur ein Zufallsbefund war? Eine statistische Überprüfung kann die Wahrscheinlichkeit abschätzen, mit der das Ergebnis zufällig entstanden ist. Die Logik, die hinter diesem Vorgehen liegt, ist die folgende: Wenn die Durchschnittswerte (Mittelwerte) von zwei Stichproben reliable (zuverlässige) Maßzahlen für die jeweilige Population sind (wenn also jeder Mittelwert auf vielen Beobachtungen beruht und nur wenig Variabilität aufweist), dann ist der Unterschied zwischen den Gruppen wahrscheinlich gleichfalls reliabel. (Beispiel: Je geringer die Variabilität bei den jeweiligen Scores zu Aggression bei Männern und Frauen ausfällt, desto sicherer können wir sein, dass der beobachtete Gender- oder Geschlechtsunterschied reliabel ist.) Und wenn die Differenz zwischen den Mittelwerten der Stichproben groß ist, dann können wir noch sicherer sein, dass diese Differenz eine echte Differenz in den jeweiligen Populationen spiegelt. Also: Wenn die Mittelwerte der Stichproben reliabel und der Unterschied zwischen den Mittelwerten relativ groß ist, dann sagen wir: Der Unterschied ist statistisch signifikant. Das bedeutet, dass der Unterschied, den wir
Psycholog:innen sind konservativ, wenn es darum geht, statistische Signifikanz zu bewerten. Sie sind wie ein Geschworenengericht, das so lange von der Unschuld einer angeklagten Person auszugehen hat, bis die Schuld bewiesen ist. Für die meisten Psycholog:innen fängt der Beweis über einen vernünftigen Zweifel hinaus erst dann an, wenn die Chance, dass das Ergebnis durch Zufall entstanden ist, unter 5 % liegt (. Abb. 2.22). Wenn Sie Forschungsberichte lesen, sollten Sie daran denken, dass bei ausreichend großen oder homogenen Stichproben die Differenz zwischen den Stichproben zwar „statistisch signifikant“ sein, aber nur wenig praktische Signifikanz haben kann. In einer umstrittenen Untersuchung mit fast 700.000 Facebook-Nutzern konfrontierten die Forschenden Menschen mit Statusnachrichten, die mehr oder weniger positive Wörter nutzten. Angesichts der „statistischen Power“ der übergroßen Stichprobe ergab ihre Optimierung einen „statistisch signifikanten“ Effekt, der jedoch trivial war. So antworteten beispielsweise diejenigen, die weniger Beiträge mit positiven Wörtern erhielten, selbst mit 0,1 % weniger positiven Wörtern – ein „statistisch signifikanter“ Effekt, der jedoch zu gering ist, um in der realen Welt aussagekräftig zu sein (Morin, 2014). Der Vergleich der Werte bei einem Intelligenztest von Hunderttausenden erstgeborenen Kindern und ihren nachgeborenen Geschwistern ergab eine hoch signifikante Tendenz, dass die Erstgeborenen höhere Werte erzielten als ihre jüngeren Geschwister (Kristensen & Bjerkedal, 2007; Zajonc & Marcus, 1975). Da die Scores aber nur um 1 bis 3 Punkte differieren, hat dieser Unterschied wenig praktische Bedeutung. Merken Sie sich: Statistische Signifikanz drückt die Wahrscheinlichkeit aus, mit der ein Ergebnis auf Zufall zurückzuführen ist. Sie sagt nichts über die Bedeutung des Ergebnisses aus. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Können Sie dieses Rätsel lösen? – Das Sekretariat der University of Michigan hat festgestellt, dass durchschnittlich 100 Studierende der Geistes- und Naturwissenschaften am Ende ihres ersten Semesters an der Universität hervorragende Noten haben. Doch nur 10–15 Studierende schließen ihr Studium mit hervorragenden Noten ab. Welches ist Ihrer Meinung nach die wahrscheinlichste Erklärung für die Tatsache, dass es am Ende des ersten Semesters mehr hervorragende Noten gibt als beim Studienabschluss (Jepson et al., 1983)?
2
Kapitel 2 • Kritisch denken mit wissenschaftlicher Psychologie
54
2
..Abb. 2.22 Zufallsergebnis. (© Peanuts Worldwide LLC./Dist. By Universal Uclick/Distr. Bulls)
– ___ Statistik fasst Daten zusammen, während ___ Statistik bestimmt, ob sich Ergebnisse auf andere Populationen übertragen lassen.
2.2.3
Rückblick: Statistische Argumentation im Alltag
Verständnisfragen
2.11 – Wie können wir Daten mit drei Maßen der zentra-
len Tendenz beschreiben und was ist der relative Nutzen der beiden Maße der Variabilität? 2.12 – Wie können wir herausfinden, ob sich ein beobachteter Unterschied auf eine andere Population übertragen lässt?
----
Schlüsselbegriffe Median Mittelwert Modalwert Normalverteilung Standardabweichung Statistische Signifikanz Variationsbreite
Master the Material 1. Welches der drei Maße der zentralen Tendenz wird am stärksten durch extrem große oder kleine Werte verzerrt? a. Modalwert b. Mittelwert c. Median d. Alle drei werden in gleichem Ausmaß durch solche Werte verzerrt. 2. Die Standardabweichung stellt das nützlichste Variabilitätsmaß dar, weil sie uns zeigt, … a. wie sehr sich die höchsten und niedrigsten Werte in einem Datensatz unterscheiden.
b. wie sehr die genutzte Stichprobe von der größeren Population, die sie repräsentiert, abweicht. c. wie stark individuelle Werte vom Modalwert abweichen. d. wie stark individuelle Werte vom Mittelwert abweichen. 3. Ein anderer Name für die glockenförmige Verteilung, in der sich die meisten Werte der Mitte annähern und weniger Werte extrem ausfallen, lautet ___. 4. Wenn Stichprobenmittelwerte ___ sind und der Unterschied zwischen ihnen ___ ist, dann sagen wir, dass dieser Unterschied statistisch signifikant ist. a. reliabel; groß b. reliabel; klein c. zufällig; groß d. zufällig; klein
Weiterführende deutsche Literatur Bortz, J., & Schuster, C. (2010). Statistik für Human- und Sozialwissenschaftler (7. Aufl.). Heidelberg: Springer. Döring, N. (2023). Forschungsmethoden und Evaluation in den Sozialund Humanwissenschaften (6. Aufl.). Heidelberg: Springer. BDP, & DGPs (2016). Ethische Richtlinien des Berufsverbandes Deutscher Psychologinnen und Psychologen e.V. und der Deutschen Gesellschaft für Psychologie e.V. https://www.dgps.de/die-dgps/ aufgaben-und-ziele/berufsethische-richtlinien/. Zugegriffen: 15. März 2023. Eid, M., Gollwitzer, M., & Schmitt, M. (2017). Statistik und Forschungsmethoden (5. Aufl.). Weinheim: Beltz. Gadenne, V. (2004). Philosophie der Psychologie. Göttingen: Hogrefe. Herrmann, T., & Tack, W. H. (Hrsg.). (1994). Forschungsmethoden der Psychologie). Methodologische Grundlagen der Psychologie. Enzyklopädie der Psychologie, Bd. 1. Göttingen: Hogrefe. Moosbrugger, H., & Kelava, A. (Hrsg.). (2020). Testtheorie und Fragebogenkonstruktion (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Rasch, B., Friese, M., Hofmann, W., & Naumann, E. (2021). Quantitative Methoden. Einführung in die Statistik für Psychologie, Sozial- & Erziehungswissenschaften (5. Aufl.). Bd. 1, 2. Heidelberg: Springer. Westermann, R. (2000). Wissenschaftstheorie und Experimentalmethodik. Ein Lehrbuch zur psychologischen Methodenlehre. Göttingen: Hogrefe.
55
Neurowissenschaft und Verhalten Contents 1.1 Ipsum Quia Dolor Sit Amet – 16 Inhaltsverzeichnis 1.1.1
Minima Veniam – 16
3.1 1.2
Neuronale undUnde hormonelle 56 – 21 Ut Perspiciatis Omnis Systeme Iste Natus– Error
3.1.1 1.2.1 3.1.2 3.1.3 3.1.4 3.1.5 3.1.6
Biologie, Verhalten und Verstand – 56 Minima Veniam – 21 Die Macht der Plastizität – 57 Neuronale Kommunikation – 59 Nervensystem – 66 Endokrines System – 70 Rückblick: Neuronale und hormonelle Systeme – 72
3.2
Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System – 73
3.2.1 3.2.2 3.2.3 3.2.4
Forschungswerkzeuge – 73 Ältere Hirnstrukturen – 78 Limbisches System – 80 Rückblick: Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System – 83
3.3
Zerebraler Kortex – 84
3.3.1 3.3.2 3.3.3 3.3.4 3.3.5
Struktur des Kortex – 84 Funktionen des Kortex – 85 Reaktionen auf Schädigungen – 92 Zur Zweiteilung des Gehirns – 94 Rückblick: Zerebraler Kortex – 99
Weiterführende deutsche Literatur – 100
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_3
3
56
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Ein chinesischer Transplantationschirurg, Xiaoping Ren, baut ein internationales Team auf, das ein höchst gewagtes medizinisches Unterfangen in Angriff nehmen will – eine Ganzkörpertransplantation (Kean, 2016; Tatlow, 2016). Wang Huanming, der vom Hals abwärts gelähmt ist, meldete sich als einer von zehn Freiwilligen für dieses irrsinnige Experiment. Wangs voll funktionsfähiges Gehirn würde also in den noch funktionsfähigen Körper eines frisch verstorbenen, hirntoten Menschen übertragen werden müssen. Ignorieren Sie vorerst die gravierenden ethischen Probleme des Experiments, einschließlich der Tatsache, dass die Operation mit ziemlicher Sicherheit Wangs Leben beenden wird (Kean, 2016). Und ignorieren Sie die scheinbare Unmöglichkeit, die Gehirn-RückenmarkNerven präzise miteinander zu verbinden. Stellen Sie sich einfach vor, dass das Verfahren funktionieren könnte! Wäre Wang dann immer noch Wang? In wessen Haus sollte er nach seiner Genesung zurückkehren? Wenn der alte Wang ehemals ein erfahrener Musiker war, würde der neue Wang diese Fähigkeit beibehalten, oder würde das von dem im neuen Körper gespeicherten Muskelgedächtnis abhängen? Und wenn er (vorausgesetzt, der neue Körper ist männlich) später ein Kind bekommen würde, wen sollte die Geburtsurkunde als Vater aufführen? Die meisten von uns Menschen des 21. Jahrhunderts (Sie auch?) vermuten, dass Wang auch mit einem neuen Körper immer noch Wang wäre. Wir gehen davon aus, dass unser Gehirn, welches von unseren Genen konzipiert und durch unsere Erfahrungen geformt wurde, unsere Identität bestimmt und unseren Verstand (und unsere Seele) ermöglicht. Kein Gehirn, kein Verstand. Wir sind in der Tat lebende Gehirne, aber ebenso sind wir auch lebende Körper. Tatsächlich ist kein Prinzip für die heutige Psychologie – und auch für dieses Buch – so zentral wie das folgende: Alles, was psychisch ist, ist gleichzeitig auch biologisch. Jede Idee, die Sie haben, jede Stimmung und jedes Bedürfnis ist ein biologisches Geschehen. Sie lieben, lachen und weinen mit Ihrem Körper. Körperlos zu denken, zu fühlen oder zu handeln, wäre wie ohne Beine zu laufen. Ohne Ihren Körper, d. h. ohne Ihre Gene, Ihr Gehirn und ohne Ihre äußere Erscheinung, sind Sie einfach niemand, ein „Nobody“. Darüber hinaus beeinflussen Ihr Körper sowie das dazugehörige Gehirn Ihre Erfahrungen und umgekehrt. In diesem Buch werden Sie zahlreiche Beispiele für das Zusammenspiel von Biologie und Psychologie finden. Wie Sie in diesem Buch ebenfalls sehen werden, weisen wir Menschen alle das gleiche biologische Grunddesign auf. Dank unserer individuellen Gene und Erfahrungen unterscheiden wir uns jedoch auch voneinander. Unsere Eigenschaften und Verhaltensweisen ergeben sich aus dem Zusammenspiel von Natur und Kultur. Unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen beeinflussen unseren Blutdruck, unsere Hormone, unsere Gesundheit
– und unser Gehirn. Auf unserem Weg von der Wiege bis zur Bahre verändert sich unsere Biologie abhängig von unseren Verhaltensweisen und unserer Umwelt. In diesem Kapitel erkunden wir die Biologie des Geistes. Wir beginnen mit der kleinsten Einheit des Systems und arbeiten uns dann weiter in komplexere Bereiche vor – von den Nervenzellen zum Gehirn. Wir werden aber auch die umgekehrte Wirkrichtung kennenlernen und sehen, wie unser Verhalten und unsere Umwelt unsere Biologie beeinflussen. Das Leben verändert uns. Sie haben es schon einmal gehört und werden es immer wieder hören: Die Umwelt arbeitet mit dem, was durch die Anlage vorgegeben ist. 3.1 3.1.1
Neuronale und hormonelle Systeme Biologie, Verhalten und Verstand
?? 3.1 Wieso beschäftigen sich Psycholog:innen mit der
menschlichen Biologie?
Seit Urzeiten versuchen die Menschen, zu verstehen, wie in unserem Gehirn Verstand oder Seele entstehen kann. Schon der antike griechische Arzt Hippokrates lokalisierte unsere Seele richtigerweise im Gehirn. Sein Zeitgenosse, der Philosoph Aristoteles, glaubte dagegen, dass die Seele ihren Platz im Herzen habe, das Wärme und Lebenskraft durch den Körper des Menschen pumpt. Heute steht das Herz zwar noch als Symbol für die Liebe, aber beim Thema „Verstand“ hat die Wissenschaft die Philosophie inzwischen überholt. Heute ist klar: Es ist Ihr Gehirn, das sich verliebt, und nicht Ihr Herz. Anfang des 19. Jahrhunderts entwickelte der deutsche Physiker Franz Gall die Phrenologie. Nach dieser Auffassung konnte man aus den Unebenheiten und Einkerbungen im Schädel eines Menschen auf seine mentalen Fähigkeiten und Charaktereigenschaften schließen. Auf dem Höhepunkt der Bewegung gab es in Großbritannien 29 phrenologische Gesellschaften und ihre Mitglieder reisten nach Nordamerika, um Vorträge über Schädel zu halten (Dean, 2012; Hunt, 1993). Der satirische Schriftsteller Mark Twain nahm einen berühmten Phrenologen aufs Korn, als er zu einer solchen Veranstaltung ging und sich dabei unter einem anderen Namen anmeldete. „Er fand eine Vertiefung und überraschte mich, als er sagte, diese Vertiefung spräche dafür, dass ich überhaupt keinen Sinn für Humor hätte!“ Drei Monate später kam Twain zu einer zweiten Sitzung und gab sich diesmal zu erkennen. Jetzt „war die Vertiefung verschwunden, und an seine Stelle trat der am stärksten emporragende Humorhöcker, den er je in seinem Leben gesehen hatte“ (Lopez, 2000). Die „Wissenschaft“ der Phrenologie erinnert bis heute an die Notwendigkeit kritischen Denkens und wissenschaftlicher Analyse. Immerhin gelang es der
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
57
-
bestimmte Gehirnsysteme bestimmte Funktionen haben (jedoch nicht die, die Gall vorschlug) und wir durch die Informationen, die in diesen verschiedenen Systemen verarbeitet werden, unsere Erfahrungswelt aufbauen: was wir sehen und hören, welche Bedeutungen wir erkennen, sowie Erinnerungen, Schmerzen und Leidenschaften.
..Abb. 3.1 Sein oder Nichtsein. (© Claudia Styrsky)
Wir haben auch gelernt, dass jeder von uns ein System ist, das aus Subsystemen besteht, die wiederum aus anderen, noch kleineren Subsystemen bestehen. Kleine Zellen organisieren sich zu Organen wie dem Magen, dem Herz und dem Gehirn. Diese Organe wiederum bilden größere Systeme, die Verdauung, Durchblutung und Informationsverarbeitung erst möglich machen. Und auch diese Prozesse sind Teil eines noch größeren Systems – das Individuum, das seinerseits Teil einer Familie, einer Kultur und einer Gemeinschaft ist. Jede und jeder von uns ist ein biopsychosoziales System. Um das menschliche Verhalten verstehen zu können, müssen wir also untersuchen, wie diese biologischen, psychologischen und soziokulturellen Systeme funktionieren und interagieren. Beginnen wir mit der Fähigkeit des Gehirns, sich neu zu vernetzen, indem es sich an Erfahrungen anpasst. Prüfen Sie Ihr Wissen
Phrenologie, den Fokus auf die Lokalisation von Funktion zu richten – die Idee, dass die einzelnen Gehirnregionen verschiedene, festgelegte Funktionen haben (. Abb. 3.1). Wir leben in einer Zeit, von der Gall nur träumen könnte. Biologische Psycholog:innen verwenden Spitzentechnologien, um die Zusammenhänge zwischen biologischen (genetischen, neuronalen, hormonellen) und psychologischen Prozessen zu untersuchen. Psycholog:innen und andere Forschende im Bereich der Biologie machen in einem rasanten Tempo stetig neue Entdeckungen zum Zusammenspiel zwischen Biologie einerseits und den Verhaltens- und Denkprozessen andererseits (. Abb. 3.2). Biologische Psychologie („biological psychology“) – Teil-
bereich der Psychologie, der das Zusammenspiel von biologischen (genetischen, neuronalen, hormonellen) und psychologischen Prozessen untersucht. Sie wird von manchen auch bezeichnet als Verhaltensneurowissenschaft, Neuropsychologie, Verhaltensgenetik, Physiologische Psychologie oder Biopsychologie.
-
Etwa seit Beginn des letzten Jahrhunderts wissen wir von neurowissenschaftlichen Untersuchungen, dass die Nervenzellen in unserem adaptiven Gehirn durch unsere Erfahrungen vernetzt werden, unter den Körperzellen Nervenzellen sind, die kleinen elektrischen Leitungen ähneln und miteinander „sprechen“, indem sie chemische Botschaften über die winzigen Zellzwischenräume hinweg senden,
– Was haben die Phrenologie und die biologische Psychologie gemein?
3.1.2
Die Macht der Plastizität
?? 3.2 Wie spielen Biologie und Erfahrung zusammen?
Das Gehirn wird nicht nur durch unsere Gene, sondern auch durch unser Leben modelliert. Unter der Oberfläche unseres Bewusstseins verändert sich das Gehirn ständig und bildet neue Verbindungen, während es sich an kleine Missgeschicke und neue Erfahrungen anpasst. Diese neurale Veränderung bezeichnet man als Plastizität. Diese Fähigkeit ist zwar in der Kindheit am stärksten ausgeprägt, setzt sich jedoch zeitlebens fort (Gutchess, 2014). Wie Plastizität funktioniert, lässt sich am Beispiel von Taxifahrer:innen in London aufzeigen. Wie lange würde es Ihrer Meinung nach dauern, sich 25.000 Straßen und ihre Verbindungen zu merken? Auszubildende zum Taxifahrer in London brauchen dafür zwei bis vier Jahre. Denjenigen, die die schwierige Abschlussprüfung bestehen, winken große Belohnungen: nicht nur ein besseres Einkommen, sondern auch ein vergrößerter Hippocampus – eines der Gedächtniszentren des Gehirns, das räumliche Erinnerungen verarbeitet. Londons Busfahrer:innen, die eine kleinere Anzahl an
3
58
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Bewegung
Planen
Raumwahrnehmung Berührung
3
Denken Beurteilen Sprache
Verstehen
Sound
Visuelle Verarbeitung Wiedererkennen
Emotion Gedächtnis
Fühlen Schmecken Riechen
Sehen Koordination Erregung
a ..Abb. 3.2 a,b Eine unglückselige Theorie. a Obwohl die Annahmen von Franz Gall zunächst weite Verbreitung fanden, ist heute klar, dass Dellen und Unebenheiten des Schädels keine Aussagen über die tatsächlichen Funktionen des Gehirns zulassen. (© World History Archive/pic-
b ture alliance) b Einige der Annahmen der Phrenologie haben sich jedoch bestätigt. So z. B., dass verschiedene Teile des Gehirns verschiedene Verhaltensaspekte steuern – auch wenn dies nicht die von Gall vorgeschlagenen Aspekte sind. Mehr dazu können Sie in diesem Kapitel lesen
Straßen befahren, erhalten keine ähnlichen neuronalen Belohnungen (Maguire et al., 2000, 2006). Plastizität („plasticity“) – Fähigkeit des Gehirns, sich an-
zupassen, vor allem während der Kindheit. Geschieht durch Reorganisation nach einer Verletzung oder durch Bilden neuer Verbindungen basierend auf Erfahrungen. Ihr Gehirn entwickelt sich ständig weiter. Mit wiederholter Übung erzeugt es einzigartige Muster, die Ihre Erfahrungen widerspiegeln. Betrachten Sie den Fall von Daniel Kish, einem begeisterten Abenteurer und gelernten Koch, der außerdem noch völlig blind ist (. Abb. 3.3). Um seine Umgebung zu „sehen“, lernte er die Echoortung – mit der Zunge schnalzen und dem Nachhall des Tons lauschen (Kish, 2015). Plastizität sieht man auch bei gut geübten Pianist:innen, die einen größeren auditorischen Kortexbereich (eine schallverarbeitende Region), welcher Klavierklänge kodiert (Bavelier et al., 2000; Pantev et al., 1998), als gewöhnlich aufweisen. Nach jahrelanger Praxis zeigen die Gehirne von Menschen, die Ballett tanzen oder jonglieren, wiederum andere Veränderungen auf, die mit der verbesserten Leistung zusammenhängen (Draganski et al., 2004; Hänggi et al., 2010; Herholz & Zatorre, 2012). Auch Ihr Gehirn verändert sich, da es die Praxis und die
..Abb. 3.3 Das geistige Auge. Daniel Kish, der völlig blind ist, geht gerne im Wald spazieren. Um sicher zu gehen, nutzt er die Echoortung – die gleiche Navigationsmethode, die auch von Fledermäusen und Delfinen verwendet wird. Blinde Echoortungsfachleute wie Kish setzen die Sehzentren des Gehirns ein, um sich in ihrer Umgebung zurechtzufinden (Thaler et al., 2011, 2014). Obwohl Kish blind ist, hilft ihm sein flexibles Gehirn dabei, zu „sehen“. (© Volker Corell Photography)
Hingabe widerspiegelt, die Sie Ihren Ideen, Fähigkeiten und den Menschen, die Ihnen wichtig sind, widmen. Das Gehirn, mit dem Sie geboren wurden, ist nicht das Gehirn, mit dem Sie sterben werden.
59
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
..Abb. 3.4 Motoneuron
Dendriten (erhalten Botschaften von anderen Zellen)
Axonale Endigung (Verbindungsstelle zu anderen Neuronen)
Axon (leitet die Botschaften vom Zellkörper weiter zu anderen Neuronen, Muskeln oder Drüsen)
Soma oder Zellkörper (Versorgungszentrale des Neurons)
Plastizität ist ein Teil dessen, was das menschliche Gehirn einzigartig macht (Gómez-Robles et al., 2015). Mehr als bei jeder anderen Spezies ist unser Gehirn darauf ausgelegt, sich zu verändern. Unser flexibles Gehirn ermöglicht große und kleine Veränderungen, durch die wir uns an unsere sich verändernde Welt anpassen können. 3.1.3
Neuronale Kommunikation
Für Wissenschaftler:innen ist es ein glücklicher Umstand der Natur, dass die Informationssysteme von Menschen und Tieren in ihrer Funktionsweise einander ähnlich sind. Dies geht so weit, dass es bei einer kleinen Probe von Hirngewebe nicht möglich ist, zu bestimmen, ob sie vom Menschen oder vom Affen stammt. Diese Ähnlichkeit erlaubt es, anhand einfacherer Lebewesen (Tintenfischen oder Wasserschnecken) herauszufinden, wie unsere neuronalen Systeme funktionieren. Sie ermöglicht es, anhand von Gehirnen anderer Säugetiere zu erkennen, wie unser Gehirn aufgebaut ist. Jedes Auto ist anders, aber alle Autos haben einen Motor, ein Gaspedal, ein Lenkrad und Bremsen. Ein außerirdisches Wesen könnte jedes einzelne von ihnen untersuchen und die Funktionsprinzipien verstehen. Ebenso unterscheiden sich Tiere, ihre Nervensysteme funktionieren jedoch ähnlich.
Neurone ?? 3.3 Was sind Neurone und wie übermitteln sie Infor-
Neuronaler Impuls (Aktionspotenzial; elektrischer Impuls, der am Axon entlang wandert)
Myelinschicht (bedeckt die Axone mancher Neurone und beschleunigt dadurch die Impulsweiterleitung)
Neuronen absterben (O’Leary et al., 2014; Shors, 2014). Um unsere Gedanken und Handlungen, Erinnerungen und Stimmungen zu ergründen, müssen wir zunächst verstehen, wie Neuronen funktionieren und untereinander kommunizieren. Neuron („neuron“) – Nervenzelle, der Grundbaustein des
Nervensystems. Es gibt unterschiedliche Arten von Nervenzellen, aber alle sind Variationen desselben Bauplans (. vgl. z. B. Motoneuron in Abb. 3.4): Jede besteht aus einem Zellkörper und den davon abzweigenden Fasern, den Dendriten. Diese empfangen die Informationen und leiten sie zum Zellkörper weiter (Stuart & Spruston, 2015). Von dort aus übermitteln die langen Axonbündel der Zelle die Botschaft über die axonalen Endigungen an andere Neuronen, Muskeln oder Drüsen (. Abb. 3.5). Die Dendriten hören zu. Die Axone sprechen. Zellkörper („cell body“) – Teil eines Neurons, der den
Zellkern enthält; das Lebenserhaltungszentrum der Zelle. Dendriten („dendrites“) – vielfach verzweigte Erweiterungen einer Nervenzelle, mit denen Botschaften empfangen und Impulse an den Zellkörper weitergegeben werden. Axon („axon“) – Erweiterung eines Neurons, mit der Botschaften an andere Neurone bzw. an Muskeln oder Drüsen weitergeleitet werden; die Verzweigungen des Axons werden axonale Endigungen oder Kollaterale genannt.
mationen?
Das neuronale Informationssystem unseres Körpers ist ein komplexes System, das aus einfachen Bausteinen zusammengesetzt ist. Die Grundbausteine sind Neurone, also Nervenzellen. Im Laufe des Lebens werden immer wieder neue Neuronen geboren, während ungenutzte
Anders als die kurzen Dendriten sind die Axone manchmal sehr lang und erstrecken sich über weite Bereiche innerhalb des Körpers. Beispielsweise entspricht ein menschliches Neuron, das einen Befehl an einen Muskel im Bein weiterleitet, einem Basketball, der an einem sechs Kilometer langen Seil hängt. Ähnlich wie Stromkabel isoliert
3
60
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
zen und beim Lernen, Denken und Erinnern eine Rolle spielen. Wenn wir die Entwicklung der Lebewesen auf eine höhere Stufe verfolgen, so nimmt der Anteil der Gliazellen gegenüber den Neuronen zu. Bei einer an Albert Einsteins Gehirn durchgeführten Untersuchung fand man nicht mehr oder größere Neuronen als gewöhnlich, sondern es zeigte sich eine viel stärkere Konzentration der Gliazellen, als man sie üblicherweise im Kopf eines Menschen findet (Fields, 2004).
3
Nervenimpuls
..Abb. 3.5 Kommunizierende Neuronen. Wenn wir uns mit Neuronen auseinandersetzen, betrachten wir oftmals ein Neuron nach dem anderen, um ihre Einzelteile zu lernen. Doch unsere Milliarden von Neuronen existieren in einem riesigen und dicht verschachtelten Geflecht. Die Endverzweigungen eines Neurons übermitteln Botschaften an benachbarte Dendriten. Lesen Sie weiter, um mehr über diesen komplexen und faszinierenden elektrochemischen Kommunikationsprozess zu erfahren. (© De Angelis Maurizio/Science Photo Library)
sind, sind einige Axone von einer Myelinschicht umgeben, eine Schicht aus Fettgewebe, die isolierend wirkt und die Weiterleitung der Impulse beschleunigt. Da Myelin bis zum Alter von 25 Jahren gebildet wird, wächst bis dahin die Effizienz der Nerven, die Fähigkeit zur Bewertung von Reizen sowie die eigene Kontrollfähigkeit (Fields, 2008). Bildet sich die Myelinschicht zurück, entsteht multiple Sklerose; Folge ist eine Verlangsamung der Steuerung der Muskeln bis hin zum vollständigen Verlust der Kontrolle über die Muskeln. Myelinschicht (auch Markscheide; „myelin sheath“) –
Schicht von fettreichem Gewebe, das die Axone vieler Neuronen abschnittsweise umspannt. Durch die Myelinisierung wird die Geschwindigkeit der Informationsvermittlung erhöht, weil die Impulse von einem Knoten (Ranvier-Schnürring) zum nächsten springen. Diese Milliarden Nervenzellen werden von spinnenförmigen Gliazellen („Klebezellen“) gestützt. Neuronen sind wie Bienenköniginnen; auf sich allein gestellt, können sie sich nicht ernähren oder ummanteln. Gliazellen sind die Arbeiterbienen, die Nährstoffe und isolierendes Myelin zur Verfügung stellen, neuronale Verbindungen leiten sowie Ionen und Neurotransmitter aufnehmen. Sie spielen auch eine wichtige Rolle beim Lernen, Denken und Erinnern. Sie kommunizieren mit den Neuronen und sind dadurch an der Informationsweiterleitung und am Gedächtnis beteiligt (Fields, 2011, 2013; Martín et al., 2015). Gliazellen („glial cells“) – Zellen innerhalb des Nerven-
systems, die die Neuronen stützen, ernähren und schüt-
Nervenzellen übermitteln Botschaften, wenn sie von unseren Sinnesrezeptoren oder von benachbarten Neuronen stimuliert wurden. Die Nervenzelle löst einen Impuls aus. Dieser Impuls, Aktionspotenzial genannt, ist eine kurze elektrische Ladung, die das Axon entlangwandert. Aktionspotenzial („action potential“) – Nervenimpuls,
also eine kurzfristige elektrische Ladung, die am Axon entlangwandert. Abhängig von der Art des Gewebes, wandert der Nervenimpuls mit Geschwindigkeiten von gemütlichen 3 km/h bis zu halsbrecherischen 320 km/h. Trotzdem ist sogar seine Höchstgeschwindigkeit noch 3 Mio. Mal langsamer als die Geschwindigkeit, mit der sich Elektrizität durch ein Stromnetz bewegt. Gehirnaktivität wird in Millisekunden gemessen (Tausendstelsekunden), Computeraktivität dagegen in Nanosekunden (Milliardstelsekunden). Das erklärt zum Teil, warum menschliche Reaktionen auf ein plötzliches Ereignis, wie z. B. ein vor Ihrem Auto auftauchendes Kind, eine Viertelsekunde oder länger dauern als die beinahe unverzögerte Reaktion eines Computers. Ihr Gehirn ist einem Computer zwar in der Komplexität der Verarbeitung um ein Vielfaches überlegen, nicht aber, wenn es darum geht, wie schnell einfache Reaktionen ausgeführt werden. Noch langsamer sind die Reflexe bei Elefanten. Wird ihnen am Schwanz gezogen, dauert es 100-mal länger als bei einer kleinen Spitzmaus, bis der Nervenimpuls vom Elefantenschwanz hin zum Gehirn und wieder zurück gewandert ist (More et al., 2010).
» „Ich singe den Körper elektrisch.“ Walt Whitman, Children of Adam (1855)
Neuronen erzeugen durch chemische Prozesse Elektrizität, so wie Batterien es tun. Der Prozess der Umwandlung von Chemie in Elektrizität erfolgt durch den Austausch von elektrisch geladenen Atomen, sogenannten Ionen. In der Flüssigkeit außerhalb der Axonmembran befinden sich meist positiv geladene Natriumionen, während der flüssige Innenraum eines ruhenden Axons, das sowohl große, negativ geladene Proteinionen als auch kleinere, positiv geladene Kaliumionen enthält, überwiegend ne-
61
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
gativ geladen ist. Ähnlich wie beim Zugang zu einem gut bewachten Gebäude ist die Oberfläche des Axons sehr wählerisch darin, wen oder was sie durchlässt. Man sagt, die Oberfläche ist semipermeabel. Dieser Zustand eines positiv geladenen Umfelds und eines negativ geladenen Inneren am Axon wird als Ruhepotenzial bezeichnet. Wenn jedoch die Weiterleitung eines Impulses beginnt – wir reden davon, dass „das Neuron feuert“ –, verändert sich die Durchlässigkeit. Am Beginn des Axons öffnen sich Tore in der Zellmembran, ähnlich wie Kanaldeckel, die von unten aufgedrückt werden, und die positiv geladenen Natriumionen, die vom negativen Inneren angezogen werden, strömen durch nun offene Kanäle ins Neuron hinein (. Abb. 3.6). Die Aufhebung innerer und äußerer Ladungsdifferenz, Depolarisation genannt, bewirkt, dass sich der betroffene Abschnitt der Axonkanäle öffnet. Danach öffnen sich die Tore noch ein Stück weiter hinten, und immer so weiter, ähnlich wie bei einer Reihe umfallender Dominosteine. Jede Nervenzelle ist wie ein winziger Computer, der Entscheidungen trifft und dafür sehr komplizierte Berechnungen anstellen muss, während sie Signale von Hunderten, wenn nicht Tausenden anderen Neuronen empfängt. Es ist kaum zu fassen, dass sich diese chemischen Prozesse 100- bis 1000-mal pro Sekunde wiederholen. Doch solch unglaublichen Vorgängen werden wir noch öfter begegnen. Die meisten dieser Signale sind exzitatorisch (erregend); sie wirken wie das Gaspedal der Nervenzelle. Andere wiederum sind inhibitorisch (hemmend) und drücken auf die Bremse. Wenn trotz der hemmenden Impulse die erregenden Impulse eine Mindestintensität, den sogenannten Schwellenwert, übersteigen, wird durch die Menge an erregenden Impulsen ein Aktionspotenzial ausgelöst. (Stellen Sie sich das so vor: Wenn auf einer Party die Anzahl der gut gelaunten Stimmungskanonen größer ist als die Zahl derjenigen, die gelangweilt in der Küche herumsitzen, kann die Party losgehen.) Das Aktionspotenzial bewegt sich am Axon entlang fort, das sich verzweigt und Verbindungen mit Hunderten oder Tausenden anderer Neuronen oder mit den Muskeln und Drüsen des Körpers herstellt. Schwellenwert („threshold“) – Grad an Stimulation, der
benötigt wird, um einen neuronalen Impuls auszulösen. Neuronen brauchen kurze Pausen (ein winziger Bruchteil eines Wimpernschlags). Während einer Ruhepause, der sogenannten Refraktärphase, können nachfolgende Aktionspotenziale nicht auftreten, bis das Axon in seinen Ruhezustand zurückkehrt. Erst dann kann das Neuron wieder feuern. Refraktärphase („refractory period“) – kurze Ruhepause
bei der neuronalen Verarbeitung, die eintritt, nachdem ein Neuron gefeuert hat; nachfolgende Aktionspotenziale können erst auftreten, wenn das Axon in seinen Ruhezustand zurückkehrt.
Es ist allerdings nicht möglich, durch die Verstärkung des stimulierenden Impulses auch die Stärke des Aktionspotenzials zu vergrößern, das an der Zelle entsteht. Die Reaktion des Neurons ist eine Alles-oder-nichts-Reaktion: Wie eine Pistole feuert es oder feuert nicht. Wie aber spüren wir dann die Intensität eines Reizes? Wie unterscheiden wir eine leichte Berührung von einer heftigen Umarmung? Ein starker Reiz kann insgesamt mehr Neuronen dazu bringen, zu feuern und häufiger zu feuern. Er hat aber keinen Einfluss auf die Stärke oder Schnelligkeit des Aktionspotenzials, ebenso wie das stärkere Drücken des Pistolenabzugs nicht dafür sorgt, dass die Kugel schneller fliegt. Alles-oder-nichts-Reaktion („all-or-none response“) –
Reaktion des Neurons, entweder (mit voller Stärke) zu feuern oder nicht zu feuern.
» „Was ein Neuron einem anderen Neuron mitteilt, ist ein-
fach, wie erregt es ist.“ Francis Crick, The Astonishing Hypothesis (1994)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wenn ein Neuron ein Aktionspotenzial auslöst, wandert die Information durch das Axon, die Dendriten und den Zellkörper, jedoch nicht in dieser Reihenfolge. Bringen Sie diese drei Strukturen in die richtige Reihenfolge. – Wie lässt uns unser Nervensystem den Unterschied zwischen einem harten Schlag und einem leichten Klopfen auf den Rücken erkennen?
Wie Nervenzellen kommunizieren ?? 3.4 Wie kommunizieren Nervenzellen miteinander?
Neuronen sind so dicht miteinander verwoben, dass selbst mit einem Mikroskop schwer zu erkennen ist, wo ein Neuron endet und wo das nächste beginnt. Früher nahm man an, dass die Axone der Zellen direkt mit den Dendriten der anderen Zellen verbunden sind. Dann aber entdeckte der britische Physiologe Sir Charles Sherrington (1857–1952), dass neuronale Impulse unerwartet lange brauchen, um sich auf den Nervenbahnen fortzubewegen. Er folgerte, dass es bei der Übertragung kurze Unterbrechungen geben musste und nannte die Verbindungsstelle zwischen den Neuronen Synapse. Synapse („synapse“) – Verbindungsstelle zwischen der
axonalen Endigung des präsynaptischen Neurons, das Impulse weitergibt, und einem Dendriten oder dem Zellkörper des postsynaptischen Neurons, das die Impulse empfängt. Der winzige Zwischenraum zwischen den beiden Zellen wird als synaptischer Spalt bezeichnet.
3
62
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
+60 Aktionspotenzial
3
Elektrische Aufladung der Axonmembran in Millivolt (mV)
Natrium-Ionen (Na+)
2. Diese Depolarisation bewirkt die Entstehung eines anderen Aktionspotenzials etwas weiter unten am Axon. Jetzt sind Tore in der Nachbarregion geöffnet und geladene Natriumatome strömen ein. Eine Pumpe in der Zellmembran (die Natrium-Kalium-Pumpe) transportiert die Natriumionen wieder aus der Zelle heraus.
+40 Eine neuronale Stimulation verursacht +20 eine elektrische Ladung, die den Schwellenwert von 0 –55mV überschreitet und -20 ein Aktionspotenzial auslöst. -40 Schwellenwert -60 -80
Ruhepotenzial
Ruhepotenzial
-100 Zeit in Millisekunden
Kalium (K+) Na+
3. Während das Aktionspotenzial sich schnell am Axon hinab bewegt, ist der vorderste Abschnitt bereits wieder komplett aufgeladen. K+ Na+
1. Wird das Neuron stimuliert, verändert sich seine elektrische Ladung für kurze Zeit. Wenn die Veränderung groß genug ist, entsteht eine Depolarisation und damit ein Aktionspotenzial. Richtung des neuronalen Impulses: hin zur axonalen Endigung
..Abb. 3.6 Aktionspotenzial. Körperliche Empfindungen und Handlungen – das Erkennen einer Umarmung oder das Treten eines Fußballs – treten ein, wenn unsere Neuronen so stimuliert werden, dass die elektrische Ladung ihrer Membran einen Schwellenwert erreicht (−55 mV in diesem Beispiel – siehe Grafik oben rechts). Dies veran-
lasst jedes dieser Neuronen, einen Impuls – ein Aktionspotenzial – zu „feuern“, welcher sich in seinem Axon nach unten bewegt (siehe nummerierte Zeichnungen oben) und eine Botschaft an andere Neuronen, Muskeln oder Drüsen übermittelt
Heute wissen wir, dass die axonale Endigung eines Neurons in Wirklichkeit von der nachfolgenden, sprich postsynaptischen Zelle, die die Informationen erhält, durch einen winzigen synaptischen Spalt getrennt ist. Der spanische Anatom Santiago Ramon y Cajal (1852–1934) war von diesen „Beinahe-Verbindungen“ wie verzaubert und bezeichnete sie als „protoplasmische Küsse“. „Vergleichbar mit eleganten Damen, die ihr Make-up nicht ruinieren wollen und nur so tun, als würden sie jemanden küssen, berühren sich die Dendriten und Axone nicht richtig“, merkt die Lyrikerin Diane Ackerman (2004, S. 37) an. Wie aber bewerkstelligen die Neuronen diesen protoplasmischen Kuss? Wie gelangen die Informationen über den synaptischen Spalt? Die Antwort auf diese Frage ist eine der wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnisse unseres Zeitalters.
Wenn das Aktionspotenzial die runden Endigungen des Axons erreicht, bewirkt es die Ausschüttung von chemischen Botenstoffen, sogenannten Neurotransmittern (. Abb. 3.7). Im 10.000sten Teil einer Sekunde überqueren die Neurotransmittermoleküle den synaptischen Spalt und docken an einem Rezeptor am postsynaptischen Neuron an, so präzise, wie ein Schlüssel ins richtige Schloss passt. Für einen Moment bewirken die angedockten Neurotransmitter, dass die Rezeptormoleküle dann kleine Kanäle am postsynaptischen Neuron öffnen. Dadurch können Ionen, d. h. elektrisch geladene Atome, in das Neuron strömen und damit die Wahrscheinlichkeit für das Auslösen eines Aktionspotenzials erhöhen oder verringern. Die Neurotransmitter, die sich noch im Spalt befinden, treiben weg, werden von Enzymen abgebaut oder vom präsynaptischen Neuron wieder aufgenommen. Dieser Vorgang wird auch als Reuptake (Wiederaufnahme) bezeichnet (. Abb. 3.8).
» „Bei jeder Informationsverarbeitung im Gehirn sprechen
die Neuronen an den Synapsen miteinander.“ Solomon H. Snyder, Neurowissenschaftler (1984)
3
63
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
1. Elektrische Impulse (Aktionspotenziale) wandern am Axon eines Neurons entlang, bis sie eine kleine Verbindungsstelle erreichen, die Synapse genannt wird.
Präsynaptisches Neuron
Postsynaptisches Neuron
Aktionspotenz ial
Synapse
Präsynaptisches Neuron Aktionspotenzial
Reuptake
Axonale Endigung
Synaptischer Spalt
Rezeptorstellen am postsynaptischen Neuron
Neurotransmitter
2. Wenn ein Aktionspozential eine axonale Endigung erreicht, bewirkt es die Ausschüttung von Neurotransmittermolekülen. Diese Moleküle überqueren den synaptischen Spalt und binden sich an die Rezeptoren am postsynaptischen Neuron. Dadurch können elektrisch geladene Atome in das postsynaptische Neuron eindringen und die Entstehung eines neuen Aktionspotenzials bewirken oder verhindern.
3. Das präsynaptische Neuron nimmt normalerweise überschüssige Neurotransmittermoleküle wieder auf; dieser Vorgang wird als Reuptake (Wiederaufnahme) bezeichnet.
..Abb. 3.7 Wie Neurone kommunizieren
Nachricht wird über den synaptischen Spalt gesendet.
Nachricht wird empfangen; überschüssige Serotoninmoleküle werden vom sendenden Neuron wiederaufgenommen.
Fluoxetin blockiert teilweise die normale Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin; überschüssiges Serotonin in der Synapse verstärkt seine stimmungshebende Wirkung.
Präsynaptisches Neuron Aktionspotential Reuptake
Synaptischer Spalt
Postsynaptisches Neuron Serotoninmolekül
a
Serotonin
Rezeptor
b
Fluoxetin
c
..Abb. 3.8 a–c Biologie der Antidepressiva. Selektive Serotoninwiederaufnahmehemmer (SSRI) sind häufig verschriebene Antidepressiva. Sie lindern Depressionen, indem sie die Wiederaufnahme des Neu-
rotransmitters Serotonin teilweise blockieren. Hier ist die Wirkung des SSRI Fluoxetin dargestellt
Neurotransmitter („neurotransmitter“) – chemische Bo-
postsynaptischen Neuron, wo sie an Rezeptormoleküle gebunden werden. Damit haben die Neurotransmitter einen Einfluss darauf, ob in der postsynaptischen Zelle ein neuronaler Impuls entsteht.
tenstoffe, die den synaptischen Spalt zwischen den Neuronen überqueren. Die Stoffe werden vom präsynaptischen Neuron ausgeschüttet und wandern über den Spalt zum
64
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Wiederaufnahme („reuptake“) – Prozess, bei dem die aus-
geschütteten Neurotransmitter aus dem synaptischen Spalt wieder vom präsynaptischen Neuron aufgenommen werden.
3
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was geschieht im synaptischen Spalt? – Was versteht man unter Reuptake (Wiederaufnahme)? Welche zwei anderen Dinge können mit ausgeschütteten Neurotransmittern passieren, nachdem ein Neuron reagiert hat?
Wie uns Neurotransmitter beeinflussen ?? 3.5 Wie beeinflussen Neurotransmitter das Verhalten
und welche Auswirkungen haben Drogen und andere chemische Stoffe auf die neuronale Übertragung?
Bei dem Versuch, die neuronale Informationsübermittlung zu verstehen, entdeckten Wissenschaftler:innen Dutzende verschiedener Neurotransmitter. Dadurch ergaben sich auch vergleichbar viele neue Fragen: Sind spezielle Transmitter nur in bestimmten Bereichen zu finden? Wie wirken sie bei uns auf Stimmungen, Erinnerungen und geistige Fähigkeiten? Kann man ihre Wirkung dadurch verstärken oder abschwächen, dass man spezielle Medikamente zu sich nimmt oder sich auf eine bestimmte Weise ernährt?
» „Beim Gehirn gilt Folgendes: Wollen Sie es in Aktion
sehen, dann folgen Sie den Neurotransmittern.“ Floyd Broom, Neurowissenschaftler (1993)
In späteren Kapiteln werden wir näher darauf eingehen, welchen Einfluss Neurotransmitter bei der Entstehung von Hunger und Gedanken, von Depressionen und Euphorie sowie von Sucht haben und welche Rolle sie in der Therapie spielen. Hier wollen wir jedoch schon einmal einen Blick darauf werfen, wie Neurotransmitter unsere Motorik und unsere Emotionen beeinflussen. Heute wissen wir, dass in bestimmten Gehirnbahnen jeweils nur ein oder zwei Neurotransmitter wie etwa Serotonin und Dopamin vorkommen und dass bestimmte Neurotransmitter bestimmte Effekte auf unser Verhalten und unsere Emotionen haben. . Tab. 3.1 zeigt Beispiele dafür. Die Neurotransmittergruppen arbeiten aber nicht jede für sich; vielmehr interagieren sie miteinander. Ihre Wirkung variiert dabei zwischen den Rezeptoren, die sie durch das Andocken stimulieren. Acetylcholin (ACh) ist einer der am besten untersuchten Neurotransmitter. Neben der Rolle des Acetylcholins bei Prozessen wie Lernen und Gedächtnis ist ACh auch ein Botenstoff, der in jeder Verbindungsstelle zwischen einem Motoneuron, welches Informationen vom Gehirn
und vom Rückenmark an das Körpergewebe weiterleitet, und einem Skelettmuskel vorkommt. Wenn das ACh zu den Muskelzellen ausgeschüttet wird, kontrahiert der Muskel. Wird die Übertragung des ACh blockiert, wie es z. B. bei bestimmten Betäubungsmitteln und einigen Giften der Fall ist, können die Muskeln nicht kontrahiert werden und wir sind somit gelähmt. Eine aufregende Entdeckung im Bereich der Neurotransmitter machten Pert und Snyder (1973), als sie Morphium radioaktiv markierten (radioaktive Markierungen übermitteln harmlose, aber nachweisbare Energie, wenn sie durch den Körper strömen). Morphium ist eine Droge, ein sogenanntes Opiat mit schmerzlindernder und stimmungsaufhellender Wirkung. Die Markierung lieferte ihnen einen Hinweis darauf, wo dieser Stoff im Gehirn eines Tieres aufgenommen wird. Ihre Entdeckung: Die Droge bindet genau in jenen Gehirnbereichen an Rezeptoren, die mit Stimmung und Schmerzempfindung in Zusammenhang gebracht wurden. Warum aber sollte das Gehirn solche „Opiatrezeptoren“ bereitstellen, wenn ihm nicht selbst irgendwelche natürlich vorkommenden Opiate, die an diese Rezeptoren andocken, zur Verfügung stünden? Warum sollte das Gehirn ein chemisches Schloss – ein natürliches Schmerzmittel – haben, aber keinen dazu passenden Schlüssel besitzen? Wissenschaftler:innen bestätigten bald darauf, dass es im Gehirn tatsächlich einige Arten von im Körper produzierten Neurotransmittern gibt, die Morphinen ähneln. Diese natürlichen Opiate werden ausgeschüttet, wenn der Mensch Schmerzen empfindet oder hart trainiert. Sie wurden Endorphine genannt (kurz für endogene [im Körper produzierte] Morphine) und mögen auch die guten Gefühle erklären, die z. B. beim Joggen aufkommen, ebenso die schmerzlindernde Wirkung von Akupunktur, oder warum manche schwerverletzten Menschen keine Schmerzen mehr spüren (Boecker et al., 2008; Fuss et al., 2015). Doch wieder einmal führte das neue Wissen auch zu neuen Fragen. Endorphine („endorphins“) – „innere Morphine“; natür-
liche, den Opiaten ähnelnde Neurotransmitter, die mit Schmerzlinderung und Lust in Zusammenhang gebracht werden. Der Physiker Lewis Thomas über Endorphine:
» „Da ist er, ein biologisch universeller Gnadenakt. Ich
kann ihn nicht erklären, außer vielleicht mit den folgenden Worten: Ich hätte ihn einbauen lassen, wenn ich ganz am Anfang Mitglied des Planungsausschusses gewesen wäre.“ The Youngest Science (1983) Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie werden die chemischen Botenstoffe Serotonin, Dopamin und Endorphine auch bezeichnet?
65
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
..Tab. 3.1 Einige Neurotransmitter und ihre Funktionen Neurotransmitter
Funktion
Beispiele für Fehlfunktionen
Acetylcholin (ACh)
Ermöglicht Muskelbewegungen, Lernen und Gedächtnis
Bei der Alzheimer-Krankheit sterben die Neuronen ab, die ACh produzieren
Dopamin
Beeinflusst Bewegung, Lernen, Aufmerksamkeit und Gefühle
Eine übermäßige Aktivität von Dopaminrezeptoren wird mit Schizophrenie in Verbindung gebracht. Wenn zu wenig Dopamin vorhanden ist, kommt es zum Zittern und zur eingeschränkten Beweglichkeit bei der Parkinson-Krankheit (. Abb. 3.9)
Serotonin
Hat einen Einfluss auf Stimmung, Hunger, Schlaf und Erregung
Eine Unterversorgung ist bei Depressionen zu finden, Antidepressiva wie Fluctin und andere erhöhen den Serotoninspiegel
Noradrenalin
Trägt zur Steuerung von Wachheit und Erregung bei
Eine Unterversorgung kann zu gedrückter Stimmung führen
GABA (γ-Aminobuttersäure)
Einer der wichtigsten hemmenden Neurotransmitter
Die Unterversorgung korreliert mit Anfällen, Zittern und Schlaflosigkeit
Glutamat
Einer der wichtigsten anregenden Neurotransmitter; am Gedächtnisprozess beteiligt
Eine Überversorgung kann zu einer Überstimulation des Gehirns führen und Migräne oder Anfälle auslösen (darum vermeiden manche Menschen Natriumglutamat im Essen)
a
b
..Abb. 3.9 a,b Dopaminabhängig. Der Neurotransmitter Dopamin hilft uns beim Bewegen, Denken und Fühlen. Zu viel davon erhöht die Wahrscheinlichkeit, an Schizophrenie zu erkranken; zu wenig davon kann das Zittern und den Verlust der motorischen Kontrolle der Parkinson-Krankheit auslösen (NIH, 2016). Weltweit leiden etwa sieben
Millionen Menschen an der Parkinson-Krankheit (de Lau & Breteler, 2006). Bekannte Personen, bei denen die Krankheit diagnostiziert wurde, sind a der Schauspieler Michael J. Fox (© Richard Shotwell/AP Photo/picture alliance) und b die verstorbene Boxlegende Muhammad Ali (© Geisler-Fotopress/Clemens Niehaus/picture alliance)
zz Wie Drogen und andere chemische Stoffe die neuronale Übertragung verändern
Neurotransmittern im eigenen Körper unterdrückt, muss also einen hohen Preis dafür zahlen. Viele Drogen und andere chemische Stoffe beeinflussen die Hirnchemie, oft durch Erregung oder Hemmung der Reizweiterleitung. Ein Molekül eines Agonisten verstärkt die Wirkung eines Neurotransmitters. Einige Agonisten können die Produktion oder Freisetzung von Neurotransmittern erhöhen oder die Wiederaufnahme in der Synapse blockieren. Andere Agonisten können einem Neurotransmitter so sehr ähneln, dass sie beim Binden an den Rezeptor die gleichen erregenden oder hemmenden Effekte haben. Beispielsweise sind manche Opiate Agonisten und machen zeitweise „high“, indem sie das normale Gefühl von Erregung oder Lust verstärken.
Wenn natürliche Endorphine Schmerzen lindern und die Stimmung heben, warum verstärken wir die Wirkung nicht einfach, indem wir unser Gehirn mit künstlichen Opiaten überschwemmen und damit die dem Gehirn eigene „Gutfühlchemie“ erhöhen? Weil es das chemische Gleichgewicht des Gehirns stören würde. Wenn das Gehirn mit Opiaten wie Heroin oder Morphium überschwemmt wird, könnte es aufhören, die eigenen, natürlichen Opiate zu produzieren, um das chemische Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Bei Drogenentzug wären dann im Gehirn plötzlich gar keine Opiate mehr vorhanden, was zu körperlichen Qualen führen würde. Wer die Produktion von
3
66
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Antagonisten verringern hingegen die Wirkung eines Neurotransmitters, indem sie die Produktion oder Freisetzung blockieren. Botulin, ein Gift, das sich in unsachgemäß hergestellten Dosengerichten bilden kann, führt zu einer Lähmung, weil es die Ausschüttung des ACh beim postsynaptischen Neuron blockiert (so glätten geringe Injektionen von Botulin oder BotoxSpritzen Falten dadurch, dass sie die darunter liegenden Gesichtsmuskeln lähmen). Oder ein Antagonist ähnelt dem natürlichen Neurotransmitter so sehr, dass er an die spezifischen Rezeptoren andocken und seine Wirkung blockieren kann, jedoch nicht genug, dass er auch den Rezeptor stimulieren könnte (ähnlich ausländischen Münzen, die in einen Zigarettenautomaten zwar hineinpassen, mit denen man aber keine Zigaretten ziehen kann). Curare, ein Gift, das bestimmte indigene Völker Südamerikas zum Jagen auf die Pfeilspitzen auftragen, besetzt und blockiert die ACh-Rezeptoren von Muskeln. Wenn ihre Beute von einem dieser Pfeile getroffen wird, ist sie sofort gelähmt. Agonist („agonist“) – Molekül, das die Wirkung eines
Neurotransmitters verstärkt. Antagonist („antagonist“) – Molekül, das die Wirkung eines Neurotransmitters hemmt oder blockiert. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Eine Curare-Vergiftung führt bei den Betroffenen zur Lähmung, weil die ACh-Rezeptoren, die an den Muskelbewegungen beteiligt sind, blockiert werden. Morphium wiederum ahmt die Wirkung von Endorphinen nach. Welcher Stoff ist ein Agonist, welcher ein Antagonist?
3.1.4 Nervensystem ?? 3.6 Welche Funktionen haben die Hauptkomponen-
ten des Nervensystems und wie heißen die drei Hauptgruppen von Neuronen?
Mit Neurotransmittern kommunizierende Neuronen bilden das Nervensystem unseres Körpers, ein Kommunikationsnetzwerk, das Informationen aus der Welt und dem Körpergewebe aufnimmt, Entscheidungen trifft und Informationen und Befehle an das Körpergewebe zurücksendet (. Abb. 3.10). Schneller Überblick: Das Gehirn und das Rückenmark bilden das zentrale Nervensystem (ZNS), den Entscheidungsträger unseres Körpers. Das periphere Nervensystem (PNS) sammelt Informationen und leitet die Entscheidungen des ZNS an andere Körperpartien weiter. Axone sind zu elektrischen Kabeln gebündelt, die
uns als Nerven bekannt sind und verbinden das zentrale Nervensystem mit den Sinnesrezeptoren, den Muskeln und den Drüsen. Der Sehnerv z. B. ist ein einziges Kabel bestehend aus einem Bündel aus einer Million Axone; sie übertragen die Informationen, die jedes der beiden Augen zum Gehirn sendet (Mason & Kandel, 1991). Nervensystem („nervous system“) – elektrochemisches
Hochgeschwindigkeitskommunikationsnetz in unserem Körper, das aus allen Nervenzellen des peripheren und zentralen Nervensystems besteht. Zentrales Nervensystem (ZNS; „central nervous system“)
– Gehirn und Rückenmark. Peripheres Nervensystem (PNS; „peripheral nervous system“) – sensorische Neuronen und Motoneuronen,
die das zentrale Nervensystem (ZNS) mit dem Rest des Körpers verbinden, sowie die Neuronen des autonomen Nervensystems. Nerven („nerves“) – neuronale „Kabel“, die aus vielen gebündelten Axonen bestehen. Diese sind Teil des peripheren Nervensystems und verbinden das zentrale Nervensystem mit Muskeln, Drüsen und Sinnesorganen. In unserem Nervensystem werden die Informationen mit Hilfe dreier Arten von Neuronen weitergeleitet. Die sensorischen Neuronen schicken Informationen von der Körperoberfläche und den Sinnesorganen in den Körper hinein – sind also afferent – zum Gehirn und zum Rückenmark, die die eingehenden Informationen verarbeiten. Motoneurone – welche efferent sind – wiederum erhalten Informationen vom ZNS und leiten diese an die Muskeln weiter. Zwischen sensorischem Input und motorischem Output werden Informationen mit Hilfe der Interneuronen verarbeitet. Unsere Komplexität liegt vor allem an diesen Interneuronen. Unser Nervensystem besteht aus einigen Millionen sensorischer Neuronen, einigen Millionen Motoneuronen sowie Milliarden und Abermilliarden von Interneuronen. Sensorische Neuronen („sensory neurons“) – Afferente
Nervenzellen, die von den Sinnesrezeptoren eingehende Informationen zum zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) übermitteln. Motoneurone („motor neurons“) – Efferente Neuronen, die den Muskeln und Drüsen die Informationen vom zentralen Nervensystem übermitteln. Interneurone („interneurons“) – Neuronen des zentralen Nervensystems, deren Aufgabe es ist, die interne Kommunikation zu gewährleisten sowie Informationen zwischen sensorischem Input und motorischem Output zu verarbeiten.
Peripheres Nervensystem Das periphere Nervensystem hat zwei Komponenten: eine somatische und eine vegetative. Das somatische
67
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
..Abb. 3.10 Funktionelle Aufteilung des menschlichen Nervensystems
Peripheres Nervensystem
Zentrales Nervensystem Nervensystem
Peripher
Vegetativ (sich selbst organisierendes System der Körperorgane und Drüsen)
Sympathisch (Erregung, aktivitätssteigernd)
Somatisches Nervensystem („somatic nervous system“)
– Teil des peripheren Nervensystems, der die Skelettmuskulatur kontrolliert. Das vegetative bzw. autonome Nervensystem (VNS bzw. ANS) übt die Kontrolle über die Drüsen und die Muskeln unserer inneren Organe aus. So steuert es unsere Körperfunktionen, z. B. unseren Herzschlag, die Verdauung und die Drüsenaktivität (autonom bedeutet „selbstregulierend“). Wie ein Autopilot wird es gelegentlich bewusst außer Kraft gesetzt, meistens jedoch arbeitet es eigenständig (autonom). Autonomes (vegetatives) Nervensystem (ANS bzw. VNS; „autonomic nervous system“) – Teil des peripheren Ner-
vensystems, der die Drüsen und Muskeln der Körperorgane (z. B. des Herzens) kontrolliert. Der sympathische Teil sorgt für Erregung, der parasympathische für Beruhigung. Die Unterteilung des autonomen Nervensystems erfüllt zwei wichtige Funktionen (. Abb. 3.11). Der Sympathikus versetzt uns in Erregung und verbraucht
Somatisch
Parasympathisch (Beruhigung, aktivitätshemmend)
Sensorischer Input
Nervensystem ermöglicht es uns, die Bewegungen unserer Skelettmuskulatur willkürlich unter Kontrolle zu halten. Wenn Sie das Ende dieser Seite erreichen, wird das somatische Nervensystem Ihrem Gehirn Informationen über den momentanen Zustand Ihrer Skelettmuskeln übermitteln und daraufhin Instruktionen über die Bewegungen zurücksenden, damit Sie umblättern und weiterlesen können.
Zentral (Gehirn und Rückenmark)
Motorischer Output (kontrolliert die Skelettmuskulatur)
dabei Energie. Das heißt, er bereitet uns in Gefahr- bzw. Stresssituationen oder bei Herausforderungen (wie etwa bei einem heiß ersehnten Vorstellungsgespräch) auf eine angemessene Reaktion vor. Dies geschieht dadurch, dass er die Herzfrequenz zunehmen lässt, den Blutdruck erhöht, die Verdauung verlangsamt, den Blutzuckerspiegel steigen lässt und uns durch Schwitzen abkühlt. Dadurch sind wir aufmerksam und bereit, uns der Situation zu stellen. Lässt der Stress nach (wenn das Vorstellungsgespräch vorbei ist), ruft der Parasympathikus die umgekehrten Effekte hervor. Energie wird nicht verbraucht, sondern eingespart, während der Parasympathikus u. a. durch Verlangsamung des Herzschlags und Senkung des Blutzuckers beruhigend wirkt. Sympathikus und Parasympathikus arbeiten zusammen, um unseren inneren Zustand stabil zu halten. Diesen Zustand bezeichnet man als Homöostase (mehr dazu in 7 Kap. 11). Sympathikus („sympathetic nervous system“) – Teil des
vegetativen Nervensystems, der für körperliche Erregung und damit für das Bereitstellen von Energie sorgt. Parasympathikus („parasympathetic nervous system“) – Teil des vegetativen Nervensystems, der für Beruhigung sorgt und es damit dem Körper ermöglicht, neue Energie zu speichern bzw. Energie zu sparen. Vor Kurzem erlebte ich [DM] mein ANS in Aktion. Bevor ich für eine Routineuntersuchung meiner Schulter in eine MRT-Maschine geschickt wurde, fragte die Technikerin, ob ich Klaustrophobie habe. „Nein, enge Räume machen mir nichts aus“, versicherte ich ihr,
3
68
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
..Abb. 3.11 Funktionelle Zweiteilung des vegetativen Nervensystems. Das vegetative Nervensystem kontrolliert die eher autonomen afferent (oder selbstregulierenden) internen Funktionen. Der sympathische Teil sorgt für Erregung und verbraucht Energie, während der parasympathische Teil für Beruhigung und die Neuaufladung mit Energie sorgt, wobei die normale Erhaltungsaktivität bestehen bleibt. Zum Beispiel erhöht der Sympathikus den Herzschlag, während der Parasympathikus ihn verlangsamt
SYMPATHIKUS (Erregung)
Gehirn
Verengt die Pupille
Erweitert die Pupille
Verlangsamt den Herzschlag
Herz Beschleunigt den Herzschlag Magen Bauchspeicheldrüse
Leber
Nebenniere Niere
PARASYMPATHIKUS (Beruhigung)
Rückenmark
Hemmt die Verdauung Regt die Verdauung an Stimuliert die Glukoseausschüttung durch die Leber
Stimuliert die Gallenblase
Stimuliert die Ausschüttung von Adrenalin und Noradrenalin
Kontrahiert die Blase
Entspannt die Blase
Stimuliert beim Mann die Ejakulation
mit ein wenig Machogehabe. Minuten später, als ich auf meinem Rücken in einer sarggroßen Box lag und mich nicht bewegen konnte, hatte mein Sympathikus aber eine andere Meinung. Die Klaustrophobie überwältigte mich. Mein Herz begann schneller zu schlagen und ich fühlte den dringenden Zwang zu fliehen. Kurz bevor ich danach schrie, hinausgelassen zu werden, fühlte ich, wie mein beruhigender Parasympathikus zu arbeiten begann. Mein Herzschlag wurde langsamer und mein Körper entspannte sich, obwohl meine Aufregung wieder aufkam, bevor die 20-minütige Gefangenschaft vorbei war. „Das haben Sie gut gemacht!“, teilte mir die Technikerin mit, nichts ahnend von der Achterbahnfahrt meines ANS.
Steuert die Blutzufuhr zu Genitalien
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Ordnen Sie die Beschreibungen den verschiedenen Arten von Neuronen zu – Neurone: 1. Motoneurone 2. sensorische Neurone 3. Interneurone – Beschreibungen: a. übermitteln Input der Sinnesrezeptoren an das ZNS b. sorgen für interne Kommunikation im ZNS und verarbeiten Informationen zwischen In- und Output c. übermitteln Informationen vom ZNS an Muskeln und Drüsen – Welche körperlichen Veränderungen verursacht Ihr ANS vor und nach einer wichtigen Rede?
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
69
sorische Informationen nach oben, während absteigende Nervenfasern motorische Informationen zurücksenden. Die Nervenbahnen, die für unsere Reflexe, also für unsere automatischen Reaktionen auf Reize zuständig sind, sind das beste Beispiel für die Aufgaben des Rückenmarks. Ein einfacher Reflexbogen über das Rückenmark besteht aus einem einzigen sensorischen Neuron und einem einzigen Motoneuron. Oft sind diese durch ein Interneuron miteinander verbunden. Der Kniesehnenreflex z. B. besteht aus solch einer einfachen Nervenbahn; er könnte sogar noch ausgelöst werden, wenn die Reizleitung zum Gehirn völlig unterbrochen ist. Reflex („reflex“) – automatische Reaktion auf einen sen-
sorischen Reiz, wie z. B. der Kniesehnenreflex.
..Abb. 3.12 (© Tom Swick/Search ID: tswn96, Rights Available from CartoonStock.com)
Zentrales Nervensystem Aus der Kommunikation der einzelnen Neuronen untereinander entwickelt sich die Komplexität unseres Gehirns und Rückenmarks, also des zentralen Nervensystems. Es ist unser Gehirn, das uns erst zu Menschen macht: unsere Gefühle, unsere Gedanken und unser Handeln. Zig Milliarden von Neuronen, jedes davon mit Tausenden anderen verbunden, bieten ein sich ständig veränderndes Schaltbild. Nach einer Schätzung – ausgehend von der Neuronenzahl in kleinen Gehirnproben – hat unser Gehirn etwa 86 Mrd. Neuronen (Azevedo et al., 2009; Herculano-Houzel, 2012; . Abb. 3.12). Die Neuronen im Gehirn schließen sich zu Arbeitsgruppen, sog. neuronalen Netzen, zusammen. Zum besseren Verständnis dieser Tatsache schlagen uns Kosslyn und Koenig (1992, S. 12) vor, „darüber nachzudenken, warum Städte existieren: Warum verteilen sich die Menschen nicht einfach gleichmäßig auf die ländlichen Gegenden?“ Genauso wie sich Menschen zusammenschließen, schließen sich auch Neuronen mit benachbarten Neuronen zusammen, mit denen sie dann schnell Verbindung aufnehmen können. Die Zellen sind in jeder Schicht eines neuronalen Netzes mit vielen Zellen aus der nächsten Schicht verbunden. Lernprozesse – beim Spielen einer Geige, beim Sprechen einer fremden Sprache oder beim Lösen eines mathematischen Problems – finden statt, wenn durch das Feedback über das erreichte Ergebnis neuronale Verbindungen entstehen bzw. gestärkt werden. Neuronen, die bei einer Tätigkeit gemeinsam feuern, werden also miteinander verbunden. Das Rückenmark ist als weiterer Teil des Zentralnervensystems die Autobahn, auf der Informationen vom peripheren Nervensystem zum Gehirn reisen und umgekehrt. Aufsteigende Nervenfasern übermitteln sen-
Ein anderer neuronaler Schaltkreis ist für den Schmerzreflex verantwortlich (. Abb. 3.13). Wenn Sie eine Flamme mit dem Finger berühren, wandert die neuronale Aktivität, die durch die Wahrnehmung der Hitze entstanden ist, über sensorische Neuronen zu Interneuronen in Ihrem Rückenmark. Diese Interneurone wiederum reagieren mit einer Aktivierung der Motoneurone, die zu den Muskeln im Arm führen. Da die einfache Reflexbahn für die Schmerzempfindung nur durch das Rückenmark geht, wird die Hand von der Flamme zurückgezogen, bevor das Gehirn die Informationen über den Schmerz erhält und darauf reagieren kann. Darum hat man den Eindruck, dass die Hand nicht willentlich zurückgezogen wird, sondern von selbst zurückzuckt. Informationen bewegen sich über das Rückenmark zum Gehirn und wieder zurück, es sei denn, diese Verbindung wird unterbrochen (wie im Fall der Ganzkörpertransplantation bei Wang Huanming). Wäre der obere Teil Ihres Rückenmarks durchtrennt, könnten Sie Schmerz unterhalb der durchtrennten Stelle nicht empfinden, genauso wenig wie angenehme Berührungen. Ihr Körper wäre im wörtlichen Sinne außer Reichweite Ihres Gehirns. Es würden bei Ihnen sämtliche Empfindungen und die Willkürmotorik in den Körperregionen ausfallen, die über Neuronen mit den Teilen des Rückenmarks unterhalb der Verletzung verbunden sind. Ihr Knie würde bei der Untersuchung des Kniesehnenreflexes hochschnellen, ohne dass Sie die Berührung des kleinen Gummihammers spüren. Ein von der Taille ab gelähmter Mann könnte eine Erektion (ein einfacher Reflex) bekommen, wenn sein Geschlechtsteil stimuliert wird (Goldstein, 2000). Frauen mit einer ähnlichen Lähmung können auf Stimulation mit vaginaler Lubrikation reagieren. Aber es hängt vom Ort und vom Ausmaß der Verletzung des Rückenmarks ab, ob solcherart gelähmte Patient:innen überhaupt noch auf erotische Bilder reagieren und ob sie noch Gefühle im Genitalbereich haben (Kennedy & Over, 1990; Sipski & Alexander, 1999). Um körperlichen Schmerz oder körperliche Lust zu ver-
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
70
..Abb. 3.13 Einfacher Reflex
3
1. Bei diesem einfachen Handrückziehreflex wird die Information von den Sensoren in der Haut aufgenommen und über ein sensorisches Neuron an das Rückenmark weitergegeben (roter Pfeil). Von hier aus wird sie über Motoneurone zu den Muskeln in der Hand und im Arm weitergeleitet (blaue Pfeile).
Muskel Hautsensoren
Gehirn Sensorisches Neuron (Information wird aufgenommen)
Interneuron
Rückenmark Motoneuron (Information wird weitergeleitet) 2. Da diese Reflexbahn nur über das Rückenmark verläuft, zuckt die Hand von der Flamme weg, schon bevor die Information über das Ereignis das Gehirn erreicht hat und der Mensch den Schmerz fühlt.
spüren, müssen die sensorischen Informationen bis zum Gehirn vordringen.
» „Ist das Nervensystem zwischen dem Gehirn und anderen
Körperregionen unterbrochen, dann sind Erfahrungen dieser anderen Teile für den Geist gar nicht vorhanden. Das Auge ist dann blind, das Ohr taub, die Hand ist empfindungs- und bewegungslos.“ William James, Principles of Psychology (1890)
3.1.5
Endokrines System
?? 3.7 Wie übermittelt das endokrine System Informa-
tionen und welche Wechselwirkung besteht mit dem Nervensystem?
Bisher haben wir uns mit dem schnellen elektrochemischen Informationssystem des Körpers beschäftigt. Mit dem Nervensystem ist jedoch noch ein anderes Kommunikationssystem verbunden, das endokrine System (. Abb. 3.14). Die Drüsen des endokrinen Systems schütten eine andere Art von chemischen Botenstoffen aus, die Hormone. Hormone werden durch die Blutbahn weitergeleitet und beeinflussen andere Gewebe, auch das Gehirn. Wenn sie auf das Gehirn wirken, beeinflussen sie unser Interesse an Nahrung, Sexualität und Aggression. Endokrines System („endocrine system“) – „langsames“
chemisches Kommunikationssystem des Körpers; es besteht aus einer Reihe von Drüsen, die Hormone ins Blut ausschütten.
Hormone („hormones“) – von den endokrinen Drüsen
hergestellte chemische Botenstoffe, die sich durch den Blutkreislauf fortbewegen und andere Gewebe beeinflussen. Manche Hormone sind chemisch identisch mit Neurotransmittern (den chemischen Botenstoffe, die in eine Synapse ausgeschüttet werden und die postsynaptische Nervenzelle erregen oder hemmen). Das endokrine System und das Nervensystem sind somit eng miteinander verwandte Systeme: Beide sorgen für die Produktion und das Ausschütten von Molekülen, die bei Rezeptoren an einer anderen Stelle im Körper wirken. Aber im Unterschied zum schnellen Nervensystem, das Botschaften in Bruchteilen einer Sekunde vom Auge zum Gehirn zur Hand schwirren lässt, werden endokrine Botschaften deutlich langsamer übermittelt. Einige Sekunden oder mehr vergehen, bis ein Hormon über die Blutbahn von einer endokrinen Drüse bis ins Zielgewebe gespült wird. Wenn das Nervensystem Informationen wie per SMS übermittelt, ist das endokrine System wie das Schicken eines Briefes. Zwar ist die Informationsübertragung des endokrinen Systems vergleichsweise langsam, dafür halten die Effekte der endokrinen Botschaften meist länger an als die einer neuronalen Botschaft. Haben Sie sich schon einmal wütend gefühlt, lange nachdem die Ursache Ihrer Wutgefühle behoben war (z. B. trotz einer Entschuldigung)? Möglicherweise haben Sie einen „endokrinen Kater“ durch fortbestehende emotionsbedingte Hormone erlebt. Das Fortbestehen von Emotionen – selbst wenn man sich der Ursache nicht bewusst ist – wurde in einem genialen Experiment eindrucksvoll demonstriert. Hirngeschädigte Patient:innen, die nicht in der Lage waren, neue bewusste Erinnerungen zu bilden, sahen erst einen traurigen und dann einen fröhlichen Film. Zwar konnten
71
3.1 • Neuronale und hormonelle Systeme
..Abb. 3.14 Endokrines System Hypothalamus (Gehirnregion, die die Hypophyse beeinflusst)
Schilddrüse (beeinflusst unter anderem den Metabolismus des Körpers)
Nebenniere (der innere Teil, das Nebennierenmark, löst die "Flucht-oder-Kampf"Reaktion des Körpers aus)
Hoden (schüttet männliche Sexualhormone aus)
sie sich danach nicht bewusst an die Filme erinnern, das traurige oder glückliche Gefühl blieb jedoch bestehen (Feinstein et al., 2010). In einer gefährlichen Situation gibt das autonome Nervensystem den Nebennieren, die sich auf den Nieren befinden, den Befehl, Adrenalin und Noradrenalin auszuschütten (auch Epinephrin und Norepinephrin genannt). Diese Hormone beschleunigen den Herzschlag, erhöhen den Blutdruck und den Blutzuckerspiegel und stellen uns damit einen zusätzlichen Energieschub zur Verfügung. Ist der Notfall dann vorbei, dauert es eine Weile, bis die Hormone wieder abgebaut sind; deshalb bleibt auch das Gefühl der Erregung noch eine Weile bestehen. Nebennieren („adrenal glands“) – Paar endokriner Drü-
Hypophyse (schüttet viele verschiedene Hormone aus, die zum Teil andere Drüsen beeinflussen) Nebenschilddrüsen (Teil der Kontrolle des Kalziumgehalts im Blut)
Bauchspeicheldrüse (reguliert den Blutzuckerspiegel)
Eierstock (schüttet weibliche Sexualhormone aus)
anregt. Ein weiteres, Oxytocin, sorgt beim Gebären für die Wehen, für den Milchfluss beim Stillen und für Orgasmen. Oxytocin fördert zudem die Bindung zwischen zwei Menschen in einer Beziehung, den Zusammenhalt von Gruppen und soziales Vertrauen (De Dreu et al., 2010; Zak, 2012). So vertrauten Versuchspersonen, die mit einem Nasenspray Oxytocin verabreicht bekamen, während einer Simulation im Labor Fremden eher ihr Geld an, als Personen, die ein Placebo erhielten (Kosfeld et al., 2005; Marsh et al., 2015; Mikolajczak et al., 2010). Einige Forschende zweifeln daran, dass sich die Einnahme von Oxytocin auf Hirnstrukturen oder Vertrauen auswirkt (Nave et al., 2015). Andere argumentieren, dass Oxytocin einige Menschen stärker beeinflusst als andere (Bartz, 2016).
sen direkt oberhalb der Niere. Sie schütten die Hormone Adrenalin (oder Epinephrin) und Noradrenalin (oder Norepinephrin) aus, die den Körper bei Stresssituationen in Erregung versetzen.
Hypophyse („pituitary gland“) – wichtigste Drüse des
Die endokrine Drüse mit dem größten Einfluss ist die Hypophyse, eine erbsengroße Struktur im mittleren Teil des Gehirns; dort wird sie von einer angrenzenden Struktur, dem Hypothalamus, gesteuert (mehr dazu gleich). Unter den von der Hypophyse ausgeschütteten Hormonen ist ein Wachstumshormon, das die körperliche Entwicklung
Zudem schüttet die Hypophyse Hormone aus, die die Hormonausschüttung in anderen endokrinen Drüsen steuern. Die Hypophyse ist also die Königsdrüse (deren Kaiser der Hypothalamus ist). Zum Beispiel bringt die Hypophyse unter dem Einfluss des Gehirns die Sexualdrüsen dazu, Sexualhormone auszuschütten. Diese beein-
endokrinen Systems. Unter dem Einfluss des Hypothalamus reguliert sie das Wachstum und kontrolliert die Aktivität anderer endokriner Drüsen.
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
72
3
flussen wiederum das Gehirn und das Verhalten (Goetz et al., 2014). Gleiches gilt für eine stressige Situation: Hier schüttet die Hypophyse unter dem Einfluss des Hypothalamus Hormone aus, die wiederum die Nebennieren dazu veranlassen, den Körper mit Kortisol zu versorgen, einem Stresshormon, das den Blutzuckerspiegel erhöht. Dieses Rückkopplungssystem (Gehirn → Hypophyse → andere Drüsen → Hormone → Körper und Gehirn) ist ein Hinweis auf die direkte Verbindung zwischen Nervensystem und endokrinem System: Das Nervensystem bewirkt die Ausschüttung von Hormonen durch das endokrine System, die dann wiederum das Nervensystem beeinflussen. Und dieses ganze elektrochemische Orchester wird vom flexiblen Maestro, den wir Gehirn nennen, dirigiert und koordiniert. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum wird die Hypophyse als „Königsdrüse“ bezeichnet? – Worin ähneln und worin unterscheiden sich das Nerven- und das endokrine System?
3.1.6
Rückblick: Neuronale und hormonelle Systeme
Verständnisfragen
3.1 – Wieso beschäftigen sich Psycholog:innen mit der
menschlichen Biologie? 3.2 – Wie spielen Biologie und Erfahrung zusammen? 3.3 – Was sind Neurone und wie übermitteln sie Informationen? 3.4 – Wie kommunizieren Nervenzellen miteinander? 3.5 – Wie beeinflussen Neurotransmitter das Verhalten und welche Auswirkungen haben Drogen und andere chemische Stoffe auf die neuronale Übertragung? 3.6 – Welche Funktionen haben die Hauptkomponenten des Nervensystems und wie heißen die drei Hauptgruppen von Neuronen? 3.7 – Wie übermittelt das endokrine System Informationen und welche Wechselwirkung besteht mit dem Nervensystem?
-----
Schlüsselbegriffe Agonist Aktionspotenzial Alles-oder-nichts-Reaktion Antagonist Autonomes (vegetatives) Nervensystem (ANS bzw. VNS) Axon Biologische Psychologie oder Perspektive Dendriten
--------------
Endokrines System Endorphine Gliazellen Hormone Hypophyse Interneurone Motoneurone (efferent) Myelinschicht Nebennieren Nerven Nervensystem Neuron Neurotransmitter Parasympathikus Peripheres Nervensystem (PNS) Plastizität Reflex Refraktärphase Schwellenwert Sensorische Neuronen (afferent) Somatisches Nervensystem Sympathikus Synapse Wiederaufnahme (Reuptake) Zellkörper Zentrales Nervensystem (ZNS)
Master the Material 1. Was meinen Psycholog:innen, wenn sie sagen, das Gehirn sei „plastisch“? 2. Die Neuronenfaser, die durch ihre Verzweigungen Botschaften an andere Neuronen oder an Muskeln und Drüsen übermittelt, ist das ___. 3. Wie bezeichnet man den winzigen Raum zwischen dem Axon eines Neurons und den Dendriten oder dem Zellkörper eines anderen? a. Axonale Endigung b. Verzweigte Faser c. Synaptischer Spalt d. Schwellenwert 4. Hinsichtlich der Reaktion eines Neurons auf eine Stimulation bestimmt die Intensität des Reizes, … a. ob ein Impuls erzeugt wird oder nicht. b. wie schnell ein Impuls übertragen wird. c. wie intensiv ein Impuls sein wird. d. ob eine Wiederaufnahme erfolgt. 5. Wenn ein Aktionspotenzial in einer sendenden Nervenzelle eine axonale Endigung erreicht, bewirkt der Impuls die Freisetzung chemischer Botenstoffe, sog. ___. 6. Als Reaktion worauf werden im Gehirn Endorphine freigesetzt? a. Morphium oder Heroin b. Schmerzen oder starke körperliche Anstrengung c. die Alles-oder-nichts-Reaktion d. alle der oben genannten Punkte
73
3.2 • Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
7. Das autonome (vegetative) Nervensystem steuert innere Funktionen wie Herzfrequenz und Drüsenaktivität. Das Wort „autonomes System“ bedeutet … a. beruhigend. b. freiwillig. c. selbstregulierend. d. erregend. 8. Der Sympathikus erregt uns, der Parasympathikus beruhigt uns. Zusammen bilden die beiden Systeme das ___ Nervensystem. 9. Die Nervenzellen des Rückenmarks sind Teil des ___ Nervensystems. 10. Die einflussreichste endokrine Drüse, auch bekannt als die „Königsdrüse“, ist … a. die Hypophyse. b. der Hypothalamus. c. die Schilddrüse. d. die Bauchspeicheldrüse. 11. Die von den ___ ausgeschütteten Hormone, Adrenalin und Noradrenalin, helfen, den Körper in Zeiten von Stress zu erregen. 3.2
Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
Wir sind davon überzeugt, dass wir „irgendwo nördlich unseres Halses wohnen“ (Fodor, 1999). Und dies mit gutem Grund: Schließlich macht das Gehirn unsere komplexen Verstandesleistungen erst möglich – sehen, hören, riechen, fühlen, erinnern, denken, sprechen und träumen. Eine Bekannte von mir [DM] erhielt ein neues Herz von einer Frau, die in einer ungewöhnlichen Operation eine passende Herz-Lungen-Transplantation erhalten hatte. Als sich die beiden zufällig auf der Krankenstation trafen, stellte sie sich folgendermaßen vor: „Ich glaube, Sie haben mein Herz.“ Aber nur ihr Herz. Ihr Selbst, so nahm sie an, befand sich noch immer in ihrem Kopf. Das Gehirn analysiert selbstreflexiv das Gehirn. Wenn wir über unser Gehirn nachdenken, denken wir mit dem Gehirn – indem wir über unsere Billionen von Synapsen Milliarden von Transmittermoleküle ausschütten. Die Effekte von Hormonen auf Erfahrungen wie die erste Liebe erinnern uns daran, dass wir als körperloses Gehirn nicht dasselbe empfinden würden, d. h., dass wir unseren Körper und unsere Hormone für derartige Empfindungen ebenso benötigen wie das Gehirn. Dennoch sagen Neurowissenschaftler:innen, unser Geist sei das Ergebnis unserer Gehirntätigkeit. Gehirn, Verhalten und Kognition sind ein zusammengehöriges Ganzes. Aber wo genau und wie sind die Funktionen des Denkens mit dem Gehirn verknüpft? Wir wollen uns zunächst damit beschäftigen, wie Wissenschaftler:innen solchen Fragen nachgehen.
..Abb. 3.15 Ein freigelegtes lebendes menschliches Gehirn. Die heutigen Werkzeuge der Neurowissenschaften ermöglichen es uns, „unter die Haube zu schauen“ und unsere Gehirntätigkeit, deren Ergebnis unser Verstand ist, nachzuvollziehen. (© Jose Luis Calvo/Science Photo Library)
» „Ich bin ein Gehirn, Watson. Der Rest von mir ist nur ein
Anhängsel.“ Sherlock Holmes in Arthur Conan Doyles The Adventure of the Mazarin Stone (1921)
3.2.1 Forschungswerkzeuge ?? 3.8 Wie untersuchen Neurowissenschaftler:innen die
Verbindungen vom Gehirn zum Verhalten und zum Verstand bzw. Bewusstsein?
Den Großteil der Menschheitsgeschichte hindurch hatte man keine Werkzeuge, die leistungsstark, aber behutsam genug waren, um die Aktivität eines lebenden Gehirns aufzudecken. Frühere Fallstudien halfen bei der Lokalisierung einiger Hirnfunktionen. Verletzungen auf einer Seite des Gehirns führten oft zu Taubheitsgefühlen oder Lähmungen auf der gegenüberliegenden Seite des Körpers, woraus gefolgert wurde, dass die rechte Seite des Körpers mit dem linken Teil des Gehirns verbunden ist und umgekehrt. Andere leiteten aus ihren Beobachtungen ab, dass eine Verletzung des hinteren Teils des Gehirns zu Störungen der visuellen Wahrnehmung führt und Verletzungen des vorderen linken Teils zu Störungen der Sprache. Nach und nach lokalisierten die frühen Forschenden die einzelnen Hirnareale. Dies hat sich jetzt innerhalb einer Generation geändert: Die heutigen „neuralen Kartografen“ erforschen das faszinierendste Organ des uns bekannten Universums und ordnen bestimmten Gehirnarealen bestimmte Tätigkeiten und Funktionen zu (. Abb. 3.15). Wissenschaftler:innen können heutzutage gezielt kleine Zellansammlungen normaler oder defekter Gehirnzellen zerstören, am Gehirn also sog. Läsionen setzen, ohne das umliegende Gewebe zu schädigen. Zum Beispiel haben Laborversuche dieser Art gezeigt, dass eine Läsion eines
3
74
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Bereichs des Hypothalamus der Ratte dazu führt, dass sie weniger isst und verhungert, während eine Läsion in einem anderen Bereich zu verstärkter Nahrungsaufnahme führt.
3
Läsion („lesion“) – Zerstörung von Gewebe. Eine Hirnläsion ist eine auf natürliche Weise, durch ein Experiment oder eine andere Operation entstandene Zerstörung von Hirngewebe.
Wissenschaftler:innen sind heutzutage ebenso in der Lage, verschiedene Teile des Gehirns elektrisch, chemisch oder magnetisch zu stimulieren und zu beobachten, welche Effekte dadurch hervorgerufen werden. Abhängig davon, welcher Teil des Gehirns stimuliert wird, fangen die betroffenen Personen z. B. an zu kichern, Stimmen zu hören, ihren Kopf zur Seite zu bewegen, das Gefühl zu haben, sie würden fallen, oder sie haben eine außerkörperliche Erfahrung (Selimbeyoglu & Parvizi, 2010). Wissenschaftler:innen können sogar die Botschaften einzelner Neurone verfolgen. Die Spitzen der modernen Mikroelektroden sind so fein, dass sie die elektrischen Impulse eines einzigen Neurons entschlüsseln können. So können wir z. B. heutzutage genau beobachten, wie die Informationen über die Berührung der Schnurrhaare einer Katze in ihrem Gehirn weitergeleitet werden. Forschende können außerdem die Kommunikation von Milliarden von Neuronen abhören und Bilder analysieren, auf denen die energetischen Prozesse im Gehirn farblich dargestellt sind. Zu den vielversprechenden neuen Werkzeugen gehört die Optogenetik, eine Technik, die es Neurowissenschaftlern ermöglicht, die Aktivität einzelner Nervenzellen zu kontrollieren (Boyden, 2014). Indem sie Neuronen so programmieren, dass sie für Licht empfänglich werden, können Forscher:innen die biologischen Grundlagen von Angst, Geruch, Gedächtnis und verschiedenen Krankheiten untersuchen (Drew et al., 2016; Gradinaru et al., 2009; Liu et al., 2012; Shusterman et al., 2011). Genau in diesem Moment sendet Ihre geistige Aktivität eine Fülle „verräterischer“ elektrischer, metabolischer und magnetischer Impulse aus, die es Neurowissenschaftler:innen erlauben würde, die Aktivität in Ihrem Gehirn zu beobachten. Die elektrische Aktivität der Milliarden von Neuronen des Gehirns rauscht in regelmäßigen Wellen über seine Oberfläche. Beim Elektroenzephalogramm (EEG) werden Hirnstromwellen verstärkt und zum Ablesen dargestellt. Forschende zeichnen die Gehirnwellen durch eine Duschkappen-ähnliche Kopfbedeckung auf. Diese ist übersät von Elektroden, die von einem leitfähigen Gel bedeckt sind. Ein EEG der Gehirnaktivität zu betrachten ist so, als wolle man den Motor eines Autos anhand seines Motorengeräusches begutachten. Ohne das Gehirn operativ direkt zugänglich machen zu müssen, kann mit einem EEG allein durch die wiederholte Darstellung eines Reizes die elektrische Welle, die durch
den Reiz verursacht wird, beobachtet werden. Dies geschieht mit Hilfe eines geeigneten Computerfilters, der die Gehirnaktivität, die nicht mit dem Reiz zusammenhängt, aussortiert, sodass nur die durch den Reiz ausgelösten Gehirnwellen gemessen werden. Elektroenzephalogramm (EEG; „electroencephalogram“)
– Verstärkung von Hirnstromwellen, also Wellen elektrischer Aktivität, die über die Oberfläche des Gehirns laufen. Diese Wellen werden von Elektroden gemessen, die am Schädel befestigt werden. Eine verwandte Technik, die Magnetoenzephalografie (MEG), misst die Magnetfelder der natürlichen elektrischen Gehirnaktivität. Um die Magnetfelder des Gehirns zu isolieren, werden spezielle Räume eingerichtet, welche andere magnetische Signale, z. B. das Erdmagnetfeld, aufheben. Die Teilnehmenden sitzen unter einer Kopfspule, die einem Föhn im Friseursalon ähnelt. Während die Teilnehmer:innen bestimmte Tätigkeiten ausführen, erzeugen Zehntausende von Neuronen elektrische Impulse, die wiederum Magnetfelder erzeugen. Die Geschwindigkeit und Stärke der Magnetfelder ermöglichen es den Forschenden, zu verstehen, wie bestimmte Aufgaben die Aktivität des Gehirns beeinflussen. Magnetoenzephalografie (MEG; „magnetoencephalography“) – ein bildgebendes Verfahren, das Magnetfelder aus
der natürlichen elektrischen Aktivität des Gehirns misst. „Du musst das Innere ebenso betrachten wie das Äußere“ riet Lord Chesterfield seinem Sohn in einem Brief von 1746. Mit neueren, bildgebenden Techniken können wir wie Superman mit seinem Röntgenblick ins lebende Gehirn blicken. Eines dieser Verfahren ist die Positronenemissionstomografie (PET; . Abb. 3.16), die das Gehirn in Aktion zeigt, indem sie den Glukoseverbrauch jedes Teils des Gehirns sichtbar macht (Glukose ist der „chemische Brennstoff“ des Gehirns). Aktive Neuronen verbrauchen große Mengen an Glukose. Obwohl unser Gehirn nur etwa 2 % unseres Körpergewichts ausmacht, verbraucht es 20 % unserer Kalorienzufuhr. Injiziert man einer Person schwach radioaktiv angereicherte Glukose, so kann man mit Hilfe der PET, die die Gammastrahlung lokalisiert, beobachten, wie sich das „Nervenfutter“ im Gehirn verteilt, während die Person eine bestimmte Aufgabe bearbeitet. In etwa so wie ein Wetterradar, das Regenfälle anzeigt, zeigen PET-Scans anhand sog. Hot Spots an, welche Areale des Gehirns am aktivsten sind, wenn der Mensch Rechenaufgaben löst, Bilder von Gesichtern anschaut oder Tagträumen nachhängt. Positronenemissionstomografie (PET; „positron-emission tomography“) – Form der Visualisierung von Gehirn-
aktivität, bei der die Verteilung radioaktiv markierter
3.2 • Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
75
..Abb. 3.16 Positronenemissionstomografie (PET). Um eine PET durchführen zu können, wird freiwilligen Versuchspersonen eine niedrige und harmlose Dosis radioaktiven Zuckers mit kurzer Halbwertszeit injiziert. Detektoren rund um den Kopf der Versuchsperson messen den Ausstoß der Gammastrahlen des Zuckers, der sich in den aktiven Teilen des Gehirns konzentriert hat. Ein Computer verarbeitet und übersetzt dann aus diesen Signalen einen Plan vom arbeitenden Gehirn. (© Morgan Hank/Science Photo Library)
Glukose im Gehirn beobachtet werden kann, während eine vorgegebene Aufgabe ausgeführt wird. Bei der Kernspintomografie oder Magnetresonanztomografie (MRT) wird der Kopf der Testperson in ein starkes Magnetfeld gelegt, das die sich drehenden Atomkerne des Gehirns zum Magnetfeld hin ausrichtet. Dann wird die Ausrichtung der Kerne kurz durch eine elektromagnetische Welle gestört. Kehren sie daraufhin in ihren ursprünglichen Zustand zurück, senden sie Signale aus, aus denen man ein detailliertes Bild von weichem Gewebe wie dem Gehirn erstellen kann. MRT-Scans lassen bei Musiker:innen mit dem absoluten Gehör ein größeres neuronales Areal in der linken Hirnhälfte erkennen als bei der Durchschnittsbevölkerung (Schlaug et al., 1995). Ebenso zeigten sie bei manchen Patient:innen mit Schizophrenie, einer schweren psychischen Erkrankung, vergrößerte Ventrikel – Teile des Gehirns, die mit Hirnflüssigkeit gefüllt sind (in . Abb. 3.17 durch die roten Pfeile markiert). Magnetresonanztomografie (MRT, auch Kernspintomografie; „magnetic resonance imaging“ oder MRI) – ein
Verfahren, das mit Hilfe von Magnetfeldern und elektromagnetischen Wellen computergestützt Bilder von weichem Gewebe erstellt. MRT-Scans stellen die Strukturen innerhalb des Gehirns dar. Mit einer speziellen Anwendung der MRT, der fMRT (der funktionellen MRT), kann man die Funktionsweise, aber auch die Struktur des Gehirns erkennbar machen. Das Blut fließt an die Stellen, wo das Gehirn besonders aktiv ist. Durch den Vergleich von MRT-Scans, die im
Abstand von weniger als einer Sekunde gemacht werden, können die Forschenden sehen, wie bestimmte Stellen im Gehirn aktiviert werden, da dort mehr sauerstoffreiches Blut fließt. Schaut die Person z. B. ein Gesicht an, dann weist eine funktionelle MRT Blutfluss in den hinteren Teil des Gehirns auf, in dem visuelle Informationen verarbeitet werden (. Tab. 3.2 für einen Vergleich dieser Techniken). Wenn das Gehirn unbeschäftigt ist, fließt das Blut weiterhin über ein Netz von Hirnregionen, das als Ruhezustandsnetzwerk bezeichnet wird (Mason et al., 2007). Die Hirnaktivität im Ruhezustandsnetzwerk begünstigt das Abschweifen von Gedanken („mind-wandering“) sowie Tagträume (Christoff et al., 2009; Smallwood & Schooler, 2015). funktionelle MRT (fMRT; „functional MRI“) – ein Verfahren
zur Darstellung von Blutfluss und damit Hirnaktivität, indem man zeitlich aufeinander folgende MRT-Scans miteinander vergleicht. Mit Hilfe von fMRT-Scans kann man sowohl die Funktionen als auch die Struktur des Gehirns erkennen. Diese Momentaufnahmen der sich verändernden Aktivität des Gehirns liefern uns neue Erkenntnisse darüber, wie das Gehirn seine Arbeit aufteilt. Eine Menge aktueller fMRT-Studien zeigt, welche Areale des Gehirns am aktivsten sind, wenn Menschen Schmerzen oder Zurückweisung empfinden, sich verärgerte Stimmen anhören, an gruselige Dinge denken, glücklich oder sexuell erregt sind. Die Technologie ermöglicht bislang aber nur ein ungenaues Gedankenlesen. Ein Team an Neurowissenschaftler:innen untersuchte Gehirne von 129 Personen per fMRT, während diese acht verschiedene mentale Auf-
3
76
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
..Abb. 3.17 a,b Magnetresonanztomografie (MRT) eines gesunden Menschen (a) und eines Schizophreniepatienten (b). Auffallend sind die vergrößerten, mit Gehirnflüssigkeit gefüllten Bereiche neben der Pfeilspitze auf dem rechten Bild. (Mit freundlicher Genehmigung von Daniel R. Weinberger)
a
b
..Tab. 3.2 Arten der Nervenzellenmessung Name
Funktionsweise
Beispiel
Elektroenzephalogramm (EEG)
Auf der Kopfhaut platzierte Elektroden messen die elektrische Aktivität in Neuronen.
Depressions- und Angstsymptome korrelieren mit erhöhter Aktivität im rechten Frontallappen, einem Hirnareal, das mit sozialem Rückzug und negativen Emotionen assoziiert ist (Thibodeau et al., 2006).
Magnetoenzephalografie (MEG)
Eine Kopfspule zeichnet Magnetfelder der natürlichen elektrischen Ströme des Gehirns auf.
Soldaten mit posttraumatischer Belastungsstörung (PTBS) zeigen im Vergleich zu denen, die keine PTBS haben, stärkere Magnetfelder im visuellen Kortex, wenn sie traumabezogene Bilder betrachten (Todd et al., 2015).
Positronenemissionstomografie (PET)
Verfolgt, wohin eine vorübergehend radioaktive Glukoseform fließt, während das Gehirn der Person, der sie verabreicht wird, eine bestimmte Aufgabe erfüllt.
Affen mit einem ängstlichen Temperament haben Gehirne, die mehr Glukose in jenen Bereichen verbrauchen, die mit Angst, Gedächtnis sowie Belohnungs- und Bestrafungserwartungen zusammenhängen (Fox et al., 2015).
Magnetresonanztomografie (MRT)
Personen sitzen oder liegen in einer Kammer, die Magnetfelder und Radiowellen nutzt, um eine Karte der Gehirnstruktur zu erstellen.
Menschen mit einer gewalttätigen Vergangenheit neigen dazu, kleinere Frontallappen zu haben, vor allem in Regionen, die moralisches Urteilsvermögen und Selbstkontrolle fördern (Glenn & Raine, 2014).
funktionelle MRT (fMRT)
Misst den Blutfluss in Hirnregionen durch den Vergleich kontinuierlicher MRT-Scans.
Jahre, nachdem sie einen Beinahe-Flugzeugabsturz überlebt hatten, zeigten Passagiere, die traumabezogenes Material sahen, eine stärkere Aktivierung in den Angst‑, Gedächtnis- und Sehzentren des Gehirns, als wenn sie Filmmaterial im Zusammenhang mit den Terroranschlägen vom 11. September sahen (Palombo et al., 2015).
gaben bearbeiteten (wie z. B. Lesen, Wetten oder Reimen). Anschließend konnten sie beim Ansehen der Scans zu 80 % korrekt benennen, welche der Aufgaben von den Personen durchgeführt wurden (Poldrack et al., 2009). Andere Forschungen haben anhand der Hirnaktivität zukünftige Verhaltensweisen vorhergesagt, beispielsweise Schulleistungen, Drogenkonsum und die Wirksamkeit von Gesundheitskampagnen (Falk et al., 2012, 2016; Gabrieli et al., 2015).
Heutzutage wollen Forschende nicht mehr nur untersuchen, wie Hirnregionen unabhängig voneinander arbeiten. Analysen der funktionellen Konnektivität helfen den Wissenschaftler:innen zu verstehen, wie gut verschiedene Hirnregionen zusammenarbeiten, und können Hinweise auf die zugrunde liegenden Ursachen psychischer Störungen geben. Beispielsweise neigen Menschen mit einer schweren depressiven Störung dazu, eine geringe Konnektivität zwischen den Hirnregionen zu zeigen, die für das Erleben
77
3.2 • Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
von Emotionen und die Gefühlsregulation relevant sind; diese beiden Arten von Hirnregionen „kommunizieren“ nicht besonders gut miteinander (Kaiser et al., 2015). Dies könnte eine Erklärung dafür sein, warum Menschen mit Depression oft Schwierigkeiten haben, ihre Emotionen zu regulieren (Etkin et al., 2015; Miller et al., 2015). Sie kennen vermutlich die Bilder bunter Gehirne mit Überschriften wie „die Macht der Musik“ – Gehirne machen Schlagzeilen (Bowers, 2016; Fine, 2010). In einer Studie bewerteten Studierende wissenschaftliche Erklärungen als glaubwürdiger und interessanter, wenn sie neurowissenschaftliche Inhalte enthielten (FernandezDuque et al., 2015). Aber „neuroskeptische“ Personen warnen vor übertriebenen Behauptungen über die Fähigkeit, Produktpräferenzen vorherzusagen, Lügen aufzudecken und Verbrechen vorherzusagen (Satel & Lilienfeld, 2013; Schwartz et al., 2016; Vul et al. 2009a,b). Begriffe wie Neuromarketing, Neurorecht, Neuropolitik und Neurotheologie sind oftmals nur Neurohype. Bildgebende Verfahren beleuchten zwar die Struktur und Aktivität des Gehirns und helfen uns manchmal, verschiedene Verhaltenstheorien zu testen (Mather et al., 2013). Aber angesichts der Tatsache, dass die gesamte menschliche Erfahrung auf dem Gehirn basiert, ist es keine Überraschung, dass verschiedene Hirnareale aktiv werden, wenn man einem Vortrag zuhört oder sich nach einem geliebten Menschen sehnt. Die heutigen Techniken, um in das denkende und fühlende Gehirn hineinzuschauen, sind für die Psychologie in etwa das, was das Mikroskop für die Biologie und das Fernrohr für die Astronomie war. Durch sie haben wir in den letzten 30 Jahren mehr über das Gehirn erfahren als in den 30.000 Jahren davor. Und das nächste Jahrzehnt wird noch viel mehr hervorbringen, da jedes Jahr massive finanzielle Mittel in die Hirnforschung fließen. Das europäische Human Brain Project verspricht 1 Mrd. Dollar für die Entwicklung eines Gehirncomputers. Das Projekt PsychENCODE ermöglicht es Forschenden, Unterschiede zwischen den Gehirnen gesunder Menschen und solchen mit verschiedenen Störungen wie Autismus-Spektrum-Störung, bipolarer Störung und Schizophrenie zu untersuchen (Akbarian et al., 2015). Das 40 Millionen Dollar teure Human Connectome Project sucht nach Nervenbahnen, die Auskunft darüber geben sollen, was den Menschen einzigartig macht und was den einzelnen Menschen von anderen unterscheidet (Human Connectome Project, 2013; Gorman, 2014; Smith et al., 2015). Es macht sich die Leistungsfähigkeit der Diffusionsspektrum-Bildgebung zunutze, einer MRT-Technik, die Hirnfaserverbindungen über große Entfernungen abbildet (Jarbo & Verstynen, 2015; . Abb. 3.18). Solche Bemühungen haben zur Entstehung einer neuen Hirnkarte mit 100 bisher noch nicht beschriebenen neuronalen Zentren geführt (Glasser et al., 2016). Heute Neurowissenschaften zu studieren, ist vielleicht vergleichbar damit, in der Zeit, als Magellan die Welt-
..Abb. 3.18 Schöne Gehirnverbindungen. Das Human Connectome Project verwendet modernste Methoden, um die Nervenverbindungen des menschlichen Gehirns abzubilden. Wissenschaftler:innen erzeugen eine bunte „Symphonie“ von Nervenfasern, die Wasser durch verschiedene Hirnregionen transportieren. Diese Hirnkarten haben zur Identifizierung von über 100 neuen neuronalen Zentren beigetragen (Glasser et al. 2016; © Tom Barrick/Chris Clark/SGHMS/ Science Photo Library)
meere erforschte, Geograf gewesen zu sein. Die heutigen Bemühungen um die Kartierung des gesamten Gehirns wurden mit dem Apollo-Programm des letzten Jahrhunderts verglichen, das die Menschen auf den Mond brachte. Wir leben heute tatsächlich im goldenen Zeitalter der Neurowissenschaften. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Ordnen Sie den Forschungswerkzeugen die korrekte Beschreibung zu – Forschungswerkzeug 1. fMRT 2. PET 3. MRT – Beschreibung a. zeigt die Verteilung radioaktiver Glukose im Gehirn, um die Aktivität des Gehirns zu visualisieren b. vergleicht nacheinander aufgenommene Bilder vom Hirngewebe, um die Funktionen des Gehirns sichtbar zu machen c. nutzt Magnetfelder und elektromagnetische Wellen, um die Anatomie des Gehirns darzustellen
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
78
3
..Abb. 3.19 Hirnstamm und Thalamus. Der Hirnstamm mit der Medulla oblongata und der Brücke (Pons) ist die Verlängerung des Rückenmarks. Der Thalamus liegt am oberen Ende des Hirnstamms. Die Formatio reticularis reicht durch beide Strukturen hindurch
Thalamus
Formatio reticularis
Brücke (Pons) Hirnstamm Medulla oblongata
3.2.2
Ältere Hirnstrukturen
?? 3.9 Aus welchen Strukturen besteht der Hirnstamm
und welche Funktionen haben Hirnstamm, Thalamus, Formatio reticularis und Kleinhirn?
Die Fähigkeiten eines Tieres sind in dessen Hirnstrukturen begründet. Bei einfachen Wirbeltieren, wie z. B. dem Hai, reguliert das wenig komplexe Gehirn vor allem die grundlegenden lebenserhaltenden Funktionen: Atmung, Schlaf und Nahrungsaufnahme. Einfachere Säugetiere (wie z. B. Nager) haben ein komplexeres Gehirn, das Gefühle und ein besseres Gedächtnis ermöglicht. Bei weiter entwickelten Säugetieren, wie uns Menschen, verarbeitet das Gehirn mehr Informationen, und wir sind deshalb imstande, vorausschauend zu handeln. Diese zunehmende Komplexität des Gehirns entstand dadurch, dass sich bei den einzelnen biologischen Arten neue Systeme über den alten gebildet haben, ähnlich wie auf der Erde neue Landschaften die älteren bedecken. Wenn man etwas tiefer gräbt, entdeckt man die fossilen Überreste aus der Vergangenheit – Komponenten des Hirnstamms, die noch immer fast genau die gleichen Funktionen haben wie schon bei unseren entfernten Vorfahren. Um das Gehirn zu erkunden, fangen wir mit dem Hirnstamm, dem „Untergeschoss des Gehirns“, an und gehen dann weiter nach oben zu den neueren Systemen.
Zustand sehen kann, brauchen wir kein komplexes Gehirn oder einen bewussten Verstand, um unser Herz zum Schlagen und unsere Lungen zum Atmen zu bekommen. Der Hirnstamm übernimmt diese Aufgaben. Direkt über der Medulla befindet sich die Brücke (Pons), die dazu beiträgt, die Bewegungen miteinander zu koordinieren und den Schlaf zu kontrollieren. Hirnstamm („brain stem“) – ältester Teil und Kern des
Gehirns, der dort beginnt, wo das Rückenmark in den Schädel eintritt und etwas dicker wird. Der Hirnstamm ist für die automatische Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen zuständig. Medulla oblongata („medulla“) – unterer Teil des Hirnstamms, der Herzschlag und Atmung kontrolliert. Wird bei einer Katze der Hirnstamm vom Rest des darüber liegenden Gehirns abgetrennt, überlebt das Tier; es atmet, rennt, klettert und putzt sogar sein Fell (Klemm, 1990). Doch da dieser Teil von den höheren Gehirnbereichen abgeschnitten ist, wird das Tier nicht mehr absichtlich rennen oder klettern, um an Futter zu gelangen. Außerdem ist der Hirnstamm der Kreuzungspunkt, durch den hindurch viele Nerven zu und von den beiden Hemisphären laufen und das Gehirn mit der anderen Seite des Körpers verbinden (. Abb. 3.20). Diese sonderbare Überkreuzverbindung ist nur eine der Überraschungen, die das Gehirn zu bieten hat.
Hirnstamm
Prüfen Sie Ihr Wissen
Der Hirnstamm ist der älteste und innerste Teil des Gehirns. Er fängt dort an, wo das Rückenmark in den Schädel eintritt und etwas dicker wird. Dieser Abschnitt wird Medulla oblongata genannt (. Abb. 3.19). Von hier aus werden Herzschlag und Atmung kontrolliert. Wie man an einigen hirngeschädigten Patient:innen im vegetativen
– Der ___ ist ein Kreuzungspunkt, an dem Nerven von der linken Hemisphäre meistens mit der rechten Seite des Körpers verbunden sind und vice versa.
3.2 • Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
79
Thalamus („thalamus“) – Schaltzentrale für sensorische
Signale im Gehirn, die am oberen Ende des Hirnstamms lokalisiert ist. Der Thalamus übermittelt Informationen zu sensorischen Arealen im Kortex und leitet die Reaktionen zum Kleinhirn sowie zur Medulla oblongata weiter.
Formatio reticularis Im Inneren des Hirnstamms, zwischen Ihren Ohren, liegt die Formatio reticularis („vernetztes Gebilde“), ein neuronales Netz, das vom Rückenmark durch den Thalamus reicht. Wenn die sensorischen Informationen vom Rückenmark zum Thalamus weitergeleitet werden, wird ein Teil davon durch die Formatio reticularis geschleust, wo die eingehenden Informationen gefiltert und wichtige Informationen an andere Gehirnbereiche weitergeleitet werden. Haben Sie heute schon Multitasking betrieben? Sie können sich bei Ihrer Formatio reticularis bedanken (Wimmer et al., 2015). Formatio reticularis („reticular formation“) – neuronales Netz, das durch den Hirnstamm in den Thalamus wandert und eine wichtige Rolle bei der Steuerung der Erregung spielt.
Die Formatio reticularis steuert auch die Erregung, wie Giuseppe Moruzzi und Horace Magoun im Jahr 1949 entdeckten. Die elektrische Stimulation der Formatio reticularis einer schlafenden Katze führt fast sofort dazu, dass sie aufwacht und sehr aufmerksam ist. Als Magoun die Verbindungen zu und von der Formatio reticularis abtrennte, ohne dabei die umliegenden sensorischen Verbindungen zu zerstören, waren die Auswirkungen ähnlich aufsehenerregend: Die Katze fiel in ein Koma, aus dem sie nie wieder erwachte.
Kleinhirn ..Abb. 3.20 Die Nervenverbindungen des Körpers
Thalamus Über dem Hirnstamm sitzt die Schaltzentrale für sensorische Signale, ein Paar eiförmiger Strukturen, das Thalamus genannt wird (. Abb. 3.19). Der Thalamus empfängt Informationen von allen Sinnen mit Ausnahme des Geruchssinns und leitet sie zu den höheren kortikalen Arealen weiter, die für Sehen, Hören, Schmecken und die Empfindung von Berührung und Schmerz zuständig sind. Der Thalamus empfängt aber auch die Antworten der höheren Gehirnregionen, die er dann wiederum an die Medulla oblongata und an das Kleinhirn weiterleitet (s. unten). Stellen Sie sich den Thalamus als Knotenpunkt für sensorische Signale vor, so wie der Flughafen Frankfurt am Main Knotenpunkt für den europäischen Luftverkehr ist: Ein Drehkreuz, durch das der Verkehr auf seinem Weg zu den verschiedenen Zielen ein- und ausfließt.
Am hinteren Teil des Hirnstamms liegt das Kleinhirn (Zerebellum), das etwa so groß ist wie eine Orange, zwei gefurchte Hälften hat und damit wirklich aussieht wie ein kleines Gehirn (. Abb. 3.21a,b). Das Kleinhirn (zusammen mit den Basalganglien, tiefen Hirnstrukturen, die an motorischen Bewegungen beteiligt sind) ist an einer Form von nonverbalem Lernen und Fähigkeitsgedächtnis beteiligt. Es trägt auch dazu bei, Zeit abzuschätzen, unsere Emotionen zu regulieren sowie Töne und Muster zu unterscheiden (Bower & Parsons, 2003). Zusätzlich koordiniert das Kleinhirn (mit Hilfe der Brücke) die Willkürbewegung. Wenn beispielsweise eine Fußballspielerin den Ball gekonnt kontrolliert, hat auch ihr Kleinhirn etwas Beifall verdient. Unter dem Einfluss von Alkohol leidet die Koordination. Und wenn Ihr Kleinhirn verletzt würde, hätten Sie Schwierigkeiten beim Gehen und mit dem Gleichgewicht, oder Ihre Hände würden zittern. Ihre Bewegungen wären ruckartig und übertrieben. Vorbei wären die Träume, Tänzer oder Gitarrist zu werden.
3
80
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Informationen, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Wir sind uns zwar bewusst, zu welchen Ergebnissen die Arbeit unseres Gehirns führt (als Beispiel: wir merken ja, dass wir sehen), aber nicht wie wir die visuellen Bilder konstruieren. Genauso übt der Hirnstamm seine lebenserhaltenden Funktionen aus, ganz gleich, ob wir wach sind oder schlafen, sodass die neueren Gehirnregionen den Freiraum bekommen zu träumen, nachzudenken, zu reden oder einer Erinnerung nachzuhängen.
3
Prüfen Sie Ihr Wissen Kleinhirn Rückenmark
a
– In welcher Hirnregion würde eine Schädigung sehr wahrscheinlich dazu führen, dass 1. Ihre Fähigkeit, Seil zu springen gestört wird, 2. Ihre Fähigkeit, zu Hören und zu Schmecken gestört wird, 3. Sie in ein Koma fallen könnten, 4. Ihr Herz stehen bleibt und Sie aufhören zu atmen?
3.2.3
Limbisches System
?? 3.10 Was sind die Strukturen und Funktionen des
limbischen Systems?
Wir haben bisher die ältesten Areale des Gehirns betrachtet, uns aber noch nicht seinen neuesten und am weitesten oben liegenden Regionen, den zerebralen Hemisphären (den beiden Hälften des Gehirns) beschäftigt. An der Grenze zwischen den ältesten und den neuesten Bereichen des Gehirns liegt das limbische System (lat. „limbus“ = Rand, Begrenzung). Dieses System besteht aus der Amygdala, dem Hypothalamus und dem Hippocampus (. Abb. 3.22).
b ..Abb. 3.21 a,b Der für Bewegungen zuständige Teil des Gehirns. a Hinten am Gehirn liegt das Kleinhirn, das unsere willkürlichen Bewegungen koordiniert, wie wenn b der Fußballstar Cristiano Ronaldo den Ball kontrolliert. (© Robert Michael/dpa/picture alliance)
Kleinhirn (Zerebellum; „cerebellum“) – „kleines Gehirn“ am hinteren Teil des Hirnstamms, das für die Verarbeitung der sensorischen Signale, für die Koordination zwischen motorischen Reaktionen und dem Gleichgewichtssinn sowie für das Ermöglichen von nonverbalem Lernen und Erinnern zuständig ist.
Hypothalamus Hypophyse Amygdala
Es bleibt festzuhalten: All diese älteren Hirnfunktionen laufen ohne jede bewusste Anstrengung ab. Damit wird eines der immer wiederkehrenden Themen dieses Buches illustriert: Unser Gehirn verarbeitet einen Großteil aller
Hippocampus
..Abb. 3.22 Limbisches System. Das neuronale System befindet sich zwischen den älteren Teilen des Gehirns und den beiden zerebralen Hemisphären. Als Teil des limbischen Systems steuert der Hypothalamus die unter ihm liegende Hypophyse
81
3.2 • Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
Limbisches System („limbic system“) – neuronales System
(beinhaltet die Amygdala, den Hypothalamus und den Hippocampus), das unter den zerebralen Hemisphären liegt. Die Aktivität des Systems wird in Zusammenhang gebracht mit Gefühlen und Trieben.
Amygdala Die Forschung hat einen Einfluss der Amygdala (Mandelkern), zwei bohnengroßen Neuronenverbänden, auf Aggression und Angst festgestellt. 1939 entfernten der Psychologe Heinrich Klüver und der Neurochirurg Paul Bucy bei einem Rhesusaffen operativ die Amygdala, woraufhin das vorher eher gereizte Tier die sanfteste aller Kreaturen wurde. Spätere Untersuchungen an anderen Tieren (darunter Luchse, Wölfe und wilde Ratten) führten zum gleichen Ergebnis. So auch bei menschlichen Patient:innen. Jene mit Amygdalaläsionen zeigen häufig eine verminderte Erregung gegenüber angst- und wutauslösenden Reizen (Berntson et al., 2011). Eine solche Frau, Patientin S. M., galt als „die Frau ohne Angst“, selbst wenn sie mit einer Waffe bedroht wurde (Feinstein et al., 2013). Amygdala (auch Mandelkern; „amygdala“) – zwei boh-
nengroße Neuronenverbände, die Teil des limbischen Systems und an der Entstehung von Emotionen beteiligt sind. Was könnte aber geschehen, wenn wir die Amygdala bei normalen, friedlichen Haustieren wie einer Katze elektrisch stimulieren? Stimulieren Sie im Experiment eine bestimmte Stelle, wird sich die Katze zum Angriff bereit machen, fauchen und den Rücken zum Buckel hochdrücken, während sich die Pupillen weiten und das Fell sich sträubt. Bewegen Sie die Elektrode in der Amygdala nur ein wenig weiter und sperren Sie die Katze mit einer kleinen Maus in einen Käfig, wird sich die Katze verschreckt ducken. Diese Experimente bestätigen die Rolle der Amygdala bei Prozessen wie Angst und Wut. Eine Studie fand einen Zusammenhang zwischen Mathe-Angst und Hyperaktivität in der rechten Amygdala (Young et al., 2012). Affen und Menschen mit Amygdalaschäden haben weniger Angst vor Fremden (Harrison et al., 2015). Andere Studien sehen eine Verbindung zwischen kriminellem Verhalten und Amygdaladysfunktion (Boccardi et al., 2011; Ermer et al., 2012). Wenn Menschen wütende und glückliche Gesichter sehen, erhöhen nur die wütenden die Aktivität in der Amygdala (Mende-Siedlecki et al., 2013). Dennoch müssen wir vorsichtig sein. Das Gehirn ist nicht fein säuberlich in Strukturen aufgeteilt, die sich unmittelbar auf Verhaltenskategorien übertragen lassen. Wenn wir uns ängstlich fühlen oder aggressiv verhalten, entwickelt sich neuronale Aktivität in vielen Bereichen des Gehirns – nicht nur in der Amygdala. Wenn Sie Ihre Autobatterie zerstören, können Sie zwar den Motor nicht
..Abb. 3.23 Der Hypothalamus. Diese kleine, aber wichtige Struktur, auf diesem MRT-Scan rot bzw. orange dargestellt, trägt dazu bei, die Lebensfunktionen des Körpers im Gleichgewicht zu halten. (© Steven Needell/Science Photo Library)
mehr starten, jedoch stellt die Batterie nur einen Teil des komplexen Systems Motor dar. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Elektrische Stimulation der Amygdala einer Katze führt zu angriffslustigen Reaktionen. Welcher Teil des autonomen Nervensystems wird durch die Stimulation aktiviert?
Hypothalamus Direkt unterhalb des Thalamus liegt der Hypothalamus (lat. „hypo“ = unter), ein wichtiges Glied in der Befehlskette, die die Versorgung und Erhaltung des Körpers steuert (. Abb. 3.23). Einige Neuronencluster im Hypothalamus beeinflussen das Hungergefühl, andere regulieren den Durst, die Körpertemperatur und das Sexualverhalten. Zusammen helfen sie, einen stabilen (homöostatischen) inneren Zustand aufrechtzuerhalten. Hypothalamus („hypothalamus“) – neuronale Struktur,
die unterhalb („hypo“) des Thalamus liegt; steuert die lebenserhaltenden Aktivitäten (wie Essen, Trinken und die Körpertemperatur), beeinflusst über die Hypophyse das endokrine System und wird mit Emotionen in Zusammenhang gebracht. Der Hypothalamus überwacht den Zustand Ihres Körpers, indem er auf die chemische Zusammensetzung Ihres
3
82
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Blutes und jegliche Anweisungen von anderen Teilen des Gehirns achtet. Wenn Sie z. B. an Sex denken, empfängt Ihr Hypothalamus Signale vom zerebralen Kortex und schüttet daraufhin Hormone aus. Über diese Hormone steuert der Hypothalamus wiederum die wichtigste aller Drüsen, die Hypophyse (. Abb. 3.22), die ihrerseits die Hormonausschüttung bestimmter Drüsen beeinflusst. Deren Hormone verstärken dann die Gedanken an Sex in Ihrem zerebralen Kortex. (Beachten Sie das Zusammenspiel von Nerven- und Hormonsystem: Das Gehirn beeinflusst das Hormonsystem; dies wiederum wirkt auf das Gehirn zurück.) Die Geschichte einer bemerkenswerten Erkenntnis über den Hypothalamus zeigt, auf welche Weise es zu Fortschritten in der wissenschaftlichen Forschung kommt: nämlich wenn neugierige, aufgeschlossene Wissenschaftler unerwartete Beobachtungen machen. Zwei junge Neuropsychologen der McGill University, James Olds und Peter Milner, versuchten 1954, eine Elektrode in der Formatio reticularis einer Ratte zu implantieren, machten dabei jedoch einen großen Fehler: Sie implantierten die Elektrode an einer falschen Stelle (Olds, 1975). Interessanterweise lief die Ratte immer wieder zu dem Ort zurück, an dem sie durch die falsch eingesetzte Elektrode der Stimulation ausgesetzt war, als ob sie immer mehr Stimulation haben wollte. Als Olds und Milner bemerkten, dass sie die Elektrode versehentlich in einen Bereich, der zum Hypothalamus gehörte, gesetzt hatten, erkannten sie, dass sie auf einen Teil des Gehirns gestoßen waren, der das angenehme Gefühl vermittelt, belohnt zu werden (Olds, 1975). Spätere Experimente fanden weitere „Lustzentren“ (Olds, 1958). (Was die Ratten tatsächlich erleben, wissen nur sie; sie erzählen es uns nicht. Deshalb bezeichnen wir diese Zentren heute lieber als „Belohnungszentren“ oder „Verstärkerzentren“, denn wir wollen den Ratten ja keine menschlichen Gefühle andichten.) Doch wie belohnend sind diese Belohnungszentren? Jedenfalls genug, um Ratten dazu zu bringen, diese Hirnregionen mehr als 1000-mal pro Stunde selbst zu stimulieren. Darüber hinaus waren sie sogar bereit, ein elektrisches Gitter zu überqueren, was nicht einmal eine hungernde Ratte täte, um an Futter zu kommen. Weitere Belohnungszentren des limbischen Systems, wie den Nucleus accumbens vor dem Hypothalamus, entdeckten Forscher:innen später bei vielen anderen Arten, darunter bei Delfinen und Affen (Hamid et al., 2016). Tierversuche haben gezeigt, dass es ein generelles Belohnungssystem gibt, das die Ausschüttung des Neurotransmitters Dopamin bewirkt, und zusätzlich spezifische Zentren, die mit der Lust an Essen, Trinken und Sexualität assoziiert sind. Tiere sind anscheinend mit Systemen ausgestattet, die lebenserhaltende Aktivitäten belohnen.
» „Wenn Sie einen mobilen Roboter entwerfen würden, der
in die Zukunft reisen und überleben soll, … würden Sie
ihn so verdrahten, dass Verhalten, das das eigene Überleben oder das Überleben der Art gewährleistet – wie etwa Sexualität oder Essen –, auf natürliche Weise verstärkend wäre.“ Candace Pert (1986)
Forschende experimentieren mit neuen Möglichkeiten, die limbische Stimulation zur Verhaltenssteuerung von Tieren zu nutzen und diese in Zukunft z. B. bei Suchund Rettungsaktionen zu nutzen. Indem sie Ratten durch Stimulation entsprechender Hirnareale belohnten, wenn sie sich richtig nach rechts oder links wandten, konnte ein Forschungsteam Ratten darin trainieren, sich in einer natürlichen Umgebung zurechtzufinden, auch wenn sie vorher noch nie im Freien waren (Talwar et al., 2002). Durch Drücken einer Taste auf einem Laptop konnten die Forscher die Ratten steuern, die einen Empfänger, eine Stromquelle und einen Videorekorder auf dem Rücken trugen. Die Ratten bewegten sich auf Knopfdruck, kletterten auf Bäume, rannten über Äste, drehten sich um und kamen zurück. Haben auch Menschen ein limbisches Lustzentrum? Ein Neurochirurg machte den Versuch, Elektroden in solchen Arealen zu implantieren, um gewalttätige Patient:innen zu beruhigen. Die solcherart stimulierten Personen erklärten, leichte Glücksgefühle zu haben, wurden jedoch im Gegensatz zu Olds Ratten nicht zur Raserei getrieben (Deutsch, 1972; Hooper & Teresi, 1986). Darüber hinaus zeigen neuere Forschungen, dass die Stimulation der „hedonischen Hotspots“ des Gehirns (seiner Belohnungsschaltkreise) mehr Verlangen als reines Vergnügen erzeugt (Kringelbach & Berridge, 2012). Experimente haben auch die Effekte eines über Dopamin wirkenden Belohnungssystems bei Menschen aufgedeckt. Zum Beispiel erzeugt die Dopaminfreisetzung das angenehme Kribbeln als Reaktion auf ein Musikstück, das wir mögen (Zatorre & Salimpoor, 2013). Manche Forscher:innen glauben, dass substanzbezogene Störungen von einem Belohnungsdefizitsyndrom stammen könnten, also von genetisch prädisponierten Störungen bei den Gehirnsystemen, die für Glück und Wohlbefinden zuständig sind. Menschen mit dieser Störung greifen laut dieser Theorie nach allem, was ihnen ein wenig der ihnen sonst fehlenden Befriedigung verspricht oder wenigstens die negativen Gefühle vermindert (Blum et al., 1996).
Hippocampus Der Hippocampus – eine seepferdchenförmige Gehirnstruktur – verarbeitet bewusste Erinnerungen, explizite Erinnerungen und nimmt mit zunehmendem Alter an Größe und Funktion ab. Wenn Tiere oder Menschen ihren Hippocampus durch einen Unfall oder einen chirurgischen Eingriff verlieren, verlieren sie auch die Fähigkeit, neue Erinnerungen von Fakten und Erlebnissen zu bilden (Clark & Maguire, 2016). Personen, die einen Hippocampus-Hirntumor in der Kindheit überleben,
83
3.2 • Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
Linke Hemisphäre
Corpus callosum: Axonfasern, die die beiden Hemisphären verbinden Thalamus: leitet Botschaften zwischen den niederen Hirnregionen und dem zerebralen Kortex weiter
Rechte Hemisphäre
Zerebraler Kortex: oberstes Kontrollund Informationsverarbeitungszentrum
Hypothalamus: kontrolliert die lebenserhaltenden Funktionen wie z. B. die Nahrungsaufnahme; unterstützt die Steuerung des endokrinen Systems; steht in Verbindung mit Emotionen und Belohnung Hypophyse: zentrale Drüse des endokrinen Systems Formatio reticularis: unterstützt die Erregungskontrolle Pons: unterstützt die Bewegungskoordination Medulla oblongata: kontrolliert den Herzschlag und die Atmung
Amygdala: mit Emotionen verbunden Hippocampus: mit dem Gedächtnis verbunden
Zerebraler Kortex
Limbisches System
Hirnstamm
Medulla spinalis (Rückenmark) Bahn für Nervenfasern vom und zum Gehirn; kontrolliert einfache Reflexe Zerebellum: koordiniert Willkürbewegungen und Gleichgewicht und unterstützt das Gedächtnis
..Abb. 3.24 Gehirnstrukturen und ihre Funktionen
haben im Erwachsenenalter Schwierigkeiten, sich an neue Informationen zu erinnern (Jayakar et al., 2015). Fußballspielende, die eine Gehirnerschütterung erleiden, können später einen geschrumpften Hippocampus und ein schlechtes Gedächtnis haben (Strain et al., 2015). 7 Kap. 6 enthält zusätzliche Informationen darüber, wie Größe und Funktion des Hippocampus mit zunehmendem Alter abnehmen. 7 Kap. 9 erklärt, wie unser Verstand unsere Erinnerungen verarbeitet. Hippocampus („hippocampus“) – neuronales Zentrum,
das sich im limbischen System befindet; hilft bei der Verarbeitung expliziter (bewusster) Erinnerungen an Fakten und Ereignisse. In . Abb. 3.24 sind die Areale des Gehirns, die wir bis jetzt behandelt haben dargestellt, ebenso der zerebrale Kortex, mit dem wir uns im nächsten Abschnitt beschäftigen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Aus welchen drei Hauptstrukturen besteht das limbische System und welche Funktionen erfüllen diese?
3.2.4
Rückblick: Forschungswerkzeuge, ältere Hirnstrukturen und limbisches System
Verständnisfragen
3.8 – Wie untersuchen Neurowissenschaftler:innen die
Verbindungen vom Gehirn zum Verhalten und zum Verstand bzw. Bewusstsein? 3.9 – Aus welchen Strukturen besteht der Hirnstamm und welche Funktionen haben Hirnstamm, Thalamus, Formatio reticularis und Kleinhirn? 3.10 – Was sind die Strukturen und Funktionen des limbischen Systems?
-----
Schlüsselbegriffe Amygdala Elektroenzephalogramm (EEG) fMRT (funktionelle MRT) Formatio reticularis Hippocampus Hirnstamm Hypothalamus Kleinhirn (Zerebellum)
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
84
3
----
Läsion Limbisches System Magnetoenzephalografie (MEG) Magnetresonanztomografie (MRT, auch Kernspintomografie) Medulla oblongata Positronenemissionstomografie (PET) Thalamus
Master the Material 1. Der Teil des Hirnstamms, der den Herzschlag und die Atmung steuert, ist … a. das Kleinhirn. b. das Rückenmark. c. der Kortex. d. der Thalamus. 2. Der Thalamus fungiert als … a. Gedächtnisbank. b. Gleichgewichtszentrum. c. Atmungsregler. d. sensorische Schaltzentrale. 3. Der untere Teil der Hirnstruktur, der die Erregung steuert, ist … a. das Rückenmark. b. das Kleinhirn (Zerebellum). c. die Formatio reticularis. d. das Rückenmark. 4. Der Teil des Gehirns, der willkürliche Bewegungen koordiniert und nonverbales Lernen und Erinnern ermöglicht, ist das ___. 5. Zwei Teile des limbischen Systems sind die Amygdala und … a. die zerebralen Hemisphären. b. der Hippocampus. c. der Thalamus. d. die Hypophyse. 6. Die heftige Reaktion einer Katze auf elektrische Hirnstimulation würde Sie zu der Annahme verleiten, dass die Elektrode die ___ berührt hat. 7. Die neurale Struktur, die das Essen und Trinken sowie die Körpertemperatur unmittelbar reguliert, ist … a. das endokrine System. b. der Hypothalamus. c. der Hippocampus. d. die Amygdala. 8. Das erste von Olds und Milner entdeckte Belohnungszentrum befand sich im ___. 3.3
Zerebraler Kortex
?? 3.11 Welche vier Lappen bilden den zerebralen
Kortex und was sind die Funktionen des motorischen Kortex, des somatosensorischen Kortex und der Assoziationsfelder?
Die älteren Netzwerke im Gehirn sorgen für die Aufrechterhaltung der grundlegenden Lebensfunktionen und machen Gedächtnis, Emotionen und elementare Triebe erst möglich. Die neueren neuronalen Netze im Großhirn – die beiden Hirnhälften, die 85 % des Gewichts unseres Gehirns ausmachen – bilden spezialisierte Arbeitsgruppen, die es uns ermöglichen wahrzunehmen, zu denken und zu sprechen. Wie andere Strukturen über dem Hirnstamm (z. B. der Thalamus, der Hippocampus und die Amygdala), kommen auch die zerebralen Hemisphären als Paar vor. Wie die Rinde eines Baumes werden die zerebralen Hemisphären vom zerebralen Kortex, auch Großhirnrinde genannt, bedeckt, einer dünnen Oberflächenschicht bestehend aus miteinander verbundenen Neuronen. In der Evolutionsgeschichte unseres Gehirns ist der zerebrale Kortex relativ neu. Er ist die denkende Oberfläche des Gehirns, das oberste Steuerungs- und Informationsverarbeitungszentrum des Körpers. Zerebraler Kortex („cerebral cortex“) – komplizierte
Struktur miteinander verbundener Nervenzellen, die die Hirnhälften abdeckt; das oberste Steuerungs- und Informationsverarbeitungszentrum des Körpers. >>Die Menschen, die als Erste das Gehirn präparierten
und benannten, benutzten die Sprachen der Gelehrten, Latein und Griechisch. Die Namen sind ein Versuch, das Benannte anschaulich zu beschreiben: Zum Beispiel bedeutet Kortex „Rinde“, Zerebellum bedeutet „kleines Gehirn“ und Thalamus „inneres Zimmer“.
Je höher entwickelt das Gehirn von Tieren ist, desto größer ist der zerebrale Kortex, der starke Einfluss der Gene wird abgeschwächt und die Anpassungsfähigkeit des Organismus wächst. Frösche und andere Amphibien haben einen kleinen Kortex und handeln starr nach genetischen Vorgaben. Der größere Kortex der Säugetiere bietet mehr Möglichkeiten, Lern- und Denkfähigkeiten zu steigern und zu verbessern und ermöglicht es ihnen, anpassungsfähiger zu werden. Was uns zum Menschen macht, ist vor allem auf die komplexen Funktionen des zerebralen Kortex zurückzuführen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welches Areal des menschlichen Gehirns ist dem von weniger komplexen Tieren am ähnlichsten? – Welcher Teil des menschlichen Gehirns differenziert uns am meisten von weniger komplexen Tieren?
3.3.1
Struktur des Kortex
Wenn Sie einen menschlichen Schädel öffnen würden und einen Blick auf das darunter liegende Gehirn werfen
85
3.3 • Zerebraler Kortex
..Abb. 3.25 Hauptunterteilung des Kortex
Das Gehirn hat eine rechte und linke Gehirnhälfte
Stirnlappen (Frontallappen)
Scheitellappen (Parietallappen)
Schläfenlappen (Temporallappen)
Hinterhauptslappen (Okzipitallappen)
könnten, würden Sie ein gefurchtes Organ sehen, das ungefähr wie ein riesiger Walnusskern aussieht. Ohne diese Furchen würde der zerebrale Kortex dreimal so groß sein und dementsprechend auch mehr Platz benötigen – etwa so viel wie eine große Pizza. Die beiden Hirnhälften bestehen vor allem aus axonalen Verbindungen zwischen der Oberfläche, also dem Kortex, und anderen Bereichen des Gehirns. Der zerebrale Kortex – die dünne Oberflächenschicht – enthält 20–23 Mrd. Nervenzellen und etwa 300 Billionen synaptische Verbindungen (De Courten-Myers, 2005). Um Mensch zu sein, braucht man ganz schön viele Nerven. Jede Hirnhemisphäre ist in vier Lappen unterteilt, die durch herausragende Furchen (Fissuren) oder Falten getrennt werden (. Abb. 3.25). Wenn man an der Vorderseite des Gehirns beginnt und dann über den Scheitel weitergeht, trifft man zunächst auf die Frontallappen (Stirnlappen; hinter der Stirn), dann auf die Parietallappen (Scheitellappen; oben und weiter hinten), die Okzipitallappen (Hinterhauptslappen; am Hinterkopf) und die Temporallappen (Schläfenlappen; an der Seite Ihres Kopfes, genau über den Ohren). Jeder Lappen erfüllt zahlreiche Funktionen, und viele Funktionen machen es erforderlich, dass mehrere Hirnlappen zusammenwirken. Frontallappen („frontal lobes“) – Teil des zerebralen
Kortex, der direkt hinter der Stirn liegt. Beteiligt an der Sprache und Willkürmotorik und an der Planung und Urteilsfindung. Parietallappen („parietal lobes“) – Teil des zerebralen Kortex, der oben und weiter hinten am Kopf liegt. Erhält sensorische Signale für Berührungen und Körperposition.
Okzipitallappen („occipital lobes“) – Teil des zerebralen
Kortex, der am Hinterkopf liegt. Umfasst Areale, die Informationen aus dem Blickfeld erhalten. Temporallappen („temporal lobes“) – Teile des zerebralen Kortex, die etwas oberhalb der Ohren liegen; sie enthalten die auditorischen Areale, die hauptsächlich Informationen vom jeweils gegenüberliegenden Ohr empfangen. 3.3.2
Funktionen des Kortex
Schon vor mehr als einem Jahrhundert zeigten Autopsien von Menschen, die partiell gelähmt oder stumm waren, dass Teile ihres Kortex geschädigt waren. Diese etwas unscharfen Befunde konnten nicht belegen, dass bestimmte Teile des Kortex komplexe Funktionen wie Bewegung oder Sprache kontrollieren. Wenn man das Stromkabel des Laptops durchtrennt, wird der Bildschirm schwarz; aber wir würden uns lächerlich machen, wenn wir deswegen annähmen, die Bilder befänden sich im Kabel.
Motorische Funktionen Einfachere Gehirnfunktionen konnten jedoch von Wissenschaftlern lokalisiert werden. Die deutschen Ärzte Gustav Fritsch und Eduard Hitzig machten z. B. eine wichtige Entdeckung: Leichte elektrische Stimulation an den Kortizes von Tieren veranlasste verschiedene Körperteile dazu, sich zu bewegen. Die Effekte waren aber selektiv: Sie traten nur dann auf, wenn eine bestimmte bogenförmige Region am hinteren Teil des Frontallappens stimuliert wurde, die in etwa von Ohr zu Ohr oben am Gehirn entlangläuft. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Stimulation von Teilen dieser Region auf der linken oder
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
86
3
Input: sensorischer Kortex (die linke Hemisphäre erhält Signale von der rechten Körperhälfte)
Output: motorischer Kortex (die rechte Hemisphäre steuert die linke Körperhälfte) Rumpf Handgelenk
Arm
Hüfte
Hals
Knie
Hand
Fußgelenk
Finger
Rumpf Hüfte Knie
Arm
Finger Daumen
Daumen
Fuß
Zehen
Hals Braue Auge
Bein
Zehen Auge Nase Gesicht
Gesicht Lippen
Genitalien
Lippen
Kiefer
Zähne Zahnfleisch
Zunge
Kiefer Schlucken
Zunge
motorischer Kortex
sensorischer Kortex
..Abb. 3.26 Zuordnung des Hirngewebes im motorischen und somatosensorischen Kortex zu den Körperteilen. Wie Sie auf diesem klassischen, aber nicht sehr exakten Bild sehen können, ist die Größe des Kortexabschnitts, der einem Körperteil im motorischen Kortex (im Frontallappen) oder im somatosensorischen Kortex (im Parietallap-
pen) zugeordnet ist, nicht proportional zur Größe des Körperteils selbst. Es ist vielmehr so, dass für die Teile, die sehr sensitiv sind oder für die sehr präzise motorische Kontrolle benötigt wird, mehr Hirngewebe zur Verfügung steht. Deshalb sind die Finger auf einer größeren Fläche repräsentiert als der Oberarm
rechten Hemisphäre zur Bewegung bestimmter Körperteile auf der gegenüberliegenden Seite des Körpers führte. Fritsch und Hitzig hatten damit die heute als motorischer Kortex bekannte Hirnregion entdeckt.
ihn so dazu, die rechte Hand zur Faust zu ballen. Als der Patient gebeten wurde, bei der nächsten Stimulation die Finger gespreizt zu halten, dies aber nicht schaffte, merkte er an: „Herr Doktor, ich glaube, Ihre Elektrizität ist stärker als mein Wille“ (Delgado, 1969, S. 114).
Motorischer Kortex („motor cortex“) – Areal im hinteren
Teil des Frontallappens, das die Willkürbewegung steuert.
Prüfen Sie Ihr Wissen
zz Kartierung des motorischen Kortex
– Versuchen Sie, Ihre rechte Hand kreisförmig zu bewegen, als ob Sie einen Tisch putzen wollten. Nun bewegen Sie Ihren rechten Fuß synchron mit Ihrer Hand. Dann bewegen Sie Ihren Fuß andersherum im Kreis, aber nicht Ihre Hand. Zum Schluss lassen Sie Ihren linken statt dem rechten Fuß in die der Hand entgegengesetzte Richtung kreisen. 1. Warum ist es so schwer, den rechten Fuß entgegengesetzt zur rechten Hand im Kreis zu bewegen? 2. Warum ist es einfacher, den linken Fuß entgegengesetzt zur rechten Hand im Kreis zu bewegen?
Zum Glück für Gehirnchirurg:innen und ihre Patient:innen verfügt das Gehirn nicht über Schmerzsensoren. Dies wissend konnten die Neurochirurgen Otfrid Foerster und Wilder Penfield die motorischen Kortizes bei Hunderten wacher Patient:innen vermessen. Sie stimulierten verschiedene kortikale Areale und notierten die Reaktionen des Körpers. Sie fanden heraus, dass die Teile des Körpers, die Bewegungen präzise steuern müssen, z. B. die Finger und der Mund, den größten kortikalen Platz beanspruchen (. Abb. 3.26). In einer seiner vielen Demonstrationen davon, welche Mechanismen dem motorischen Verhalten zugrunde liegen, stimulierte der spanische Neurowissenschaftler José Delgado einen Punkt auf dem linken motorischen Kortex eines Patienten und brachte
3.3 • Zerebraler Kortex
87
..Abb. 3.27 Sieg des Geistes über die Materie. Ein Schlaganfall im Bereich des Hirnstamms führte dazu, dass diese 58-Jährige weder sprechen noch ihre Gliedmaßen bewegen kann. Doch dank eines winzigen
96-Elektroden-Implantats in ihrem motorischen Kortex haben sie und andere gelernt, einen Roboterarm mit ihren Gedanken zu steuern (Collinger et al. 2013; aus Hochberg et al. 2012)
Wissenschaftler:innen bewerkstelligten es vor einiger Zeit auch, die Armbewegung eines Affen eine Zehntelsekunde vor der tatsächlichen Bewegung vorherzusagen: Sie hatten wiederholt die Aktivität im motorischen Kortex unmittelbar vor spezifischen Bewegungen gemessen (Gibbs, 1996). Solche Ergebnisse führten zu der Erforschung der Möglichkeit, Computer mit dem Gehirn bzw. gedanklich zu steuern.
steuern. Wenn ein Affe nur an eine Bewegung dachte, bewegte der Gedanken lesende Computer den Cursor mit fast derselben Genauigkeit wie der Belohnung suchende Affe. In Folgeexperimenten haben sowohl Affen als auch Menschen gelernt, einen Roboterarm oder Rollstuhl, der ihnen bei der Nahrungsaufnahme helfen konnte, zu steuern (Collinger et al., 2013; Hochberg et al., 2012; Rajangam et al., 2016; Velliste et al., 2008; . Abb. 3.27). In der Forschung wurden nicht nur die Botschaften der Motoneuronen aufgezeichnet, die den Arm des Affen steuern, sondern auch die aus einem Gehirnareal, das an Planung und Absicht beteiligt ist (Leuthardt et al., 2009; Musallam et al., 2004). In einer Studie wartete ein Affe auf einen Hinweisreiz, der ihn aufforderte, nach einem Punkt zu greifen (um Saft als Belohnung zu bekommen), der an einer von bis zu acht möglichen Stellen auf dem Bildschirm aufgeblitzt war. Ein Computerprogramm zeichnete seine mit der ausgeführten Aufgabe zusammenhängende neuronale Aktivität auf. Dadurch dass die Gehirnaktivität mit der anschließenden Zeigebewegung des Affen in Zusammenhang gebracht wurde, konnten die Gedanken lesenden Forschenden nun einen Cursor so programmieren, dass er sich in Reaktion auf die Gedanken des Affen bewegte. Der Affe denkt, der Computer handelt.
zz Gehirn-Computer-Schnittstellen
Wenn wir ein Gehirn belauschen könnten, könnten wir es dann vielleicht einem gelähmten Menschen ermöglichen, die Gliedmaßen eines Roboters zu bewegen? Könnte eine Verbindung zwischen Gehirn und Computer einen Cursor steuern, um eine E-Mail zu schreiben oder eine Online-Recherche durchzuführen? Um das herauszufinden, implantierten Forschende an der Brown University bei drei Affen 100 kleine Elektroden in die motorischen Kortizes (Nicolelis, 2011; Serruya et al., 2002). Während die Affen Belohnungen erhielten, indem sie einen Joystick benutzten, um mit einem Cursor ein rotes Zielobjekt zu verfolgen, stimmten die Wissenschaftler:innen die Signale aus dem Gehirn mit den Pfotenbewegungen ab. Dann ließen sie die Signale von einem Computerprogramm beobachten und den Computer den Joystick
3
88
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Im Parietallappen implantierte Elektrode
3
Visuomotorischer Teil des Parietallappens
Dekodierung kognitiver neuronaler Signale
Kontrolle externer Hilfsmittel
Somatosensorischer Kortex Motorischer Kortex
Durchtrenntes Rückenmark
..Abb. 3.28 Interaktion zwischen Gehirn und Computer. Implantierte Elektroden in einer Region des Parietallappens, die bei der Planung von Greifbewegungen des Arms involviert ist, könnten einer Person ermöglichen, mit ihren Gedanken einen Roboterarm zu bewegen,
Muskeln zu stimulieren, die eine gelähmte Gliedmaße bewegen, einen Rollstuhl zu steuern, den Fernseher zu bedienen und das Internet zu nutzen (Andersen et al. 2010)
Wenn diese Technik funktioniert, warum sollte man sie nicht dazu einsetzen, die Worte zu erfassen, die eine Person denken, aber nicht sagen kann (z. B. nach einem Schlaganfall)? Der Neurowissenschaftler Richard Andersen (2005) und Kollegen (2004) von der TU Kalifornien (Cal Tech) mutmaßten, dass Forschende Elektroden in Sprachzentren implantieren und „einen Patienten auffordern könnten, an verschiedene Wörter zu denken, um zu beobachten, wie die Neuronen bei den unterschiedlichen Begriffen feuern. So würde man eine Datenbank aufbauen. Wenn die Patient:innen dann an ein bestimmtes Word denken, vergleicht man die Signale mit denen in der Datenbank und man kann das Wort, an das gedacht wurde, vorhersagen. Diese Informationen verknüpft man anschließend mit einem Sprachgenerator. Dies wäre identisch zu dem, was wir bereits im Bereich der Motorik tun.“ Vor diesem Hintergrund hat die US-Armee Millionen von Dollar in neurowissenschaftliche Forschung investiert, um einen Helm zu bauen, der die Gedanken der Soldat:innen lesen und übermitteln kann (Piore, 2011). Klinische Untersuchungen solcher kognitiver neuronaler Prothetik werden mittlerweile mit Personen, die schwer gelähmt sind oder eine Gliedmaße verloren haben, durchgeführt (Andersen et al., 2010; Nurmikko et al., 2010). Der erste Patient, ein gelähmter 25-jähriger Mann, konnte mit seinen Gedanken einen Fernseher steuern, an einem Computer Formen zeichnen und Videospiele spielen – alles dank eines Aspirin-großen
Chips mit 100 Mikroelektroden, der die Aktivität in seinem motorischen Kortex aufzeichnete (Hochberg et al., 2006). Seitdem haben andere gelähmte Personen, die Implantate erhalten haben, gelernt, Roboterarme mit ihren Gedanken zu lenken (Collinger et al., 2013; Hochberg et al., 2012). Und dann gibt es noch Ian Burkhart, der vor einigen Jahren, im Alter von 19 Jahren, die Fähigkeit verloren hat, seine Arme und Beine zu benutzen. Hirnforscher der Ohio State University implantierten Aufzeichnungselektroden in seinen motorischen Kortex (Bouton et al., 2016). Mit Hilfe einer Technik, dem sogenannten maschinellen Lernen („machine learning“) weisen sie Ian an, auf einen Computerbildschirm, der eine sich bewegende Hand zeigt, zu schauen. Als nächstes stellt sich Ian vor, seine eigene Hand zu bewegen. Die Hirnsignale aus seinem motorischen Kortex gelangen in den Computer, der die Botschaft erhält, dass Ian seinen Arm bewegen will und deshalb die entsprechenden Muskeln stimuliert. Das Ergebnis? Ian greift mit seinem eigenen gelähmten Arm nach einer Flasche, schüttet den Inhalt aus und nimmt einen Stock in die Hand. „Die Dinge, die ich im Labor bewerkstellige“, sagt Ian, „würde ich gerne im Alltag tun“ (Marcus, 2016). Wenn alles, was psychisch ist, gleichzeitig auch biologisch ist – wenn z. B. jeder Gedanke auch ein neuronales Geschehnis ist – dann könnten Mikroelektroden komplexe Gedanken eines Tages so gut messen, dass einer Person eine immer präzisere Kontrolle ihrer Umwelt ermöglicht würde (. Abb. 3.28).
89
3.3 • Zerebraler Kortex
..Abb. 3.29 Ohne Augen sehen. Die psychoaktive Droge LSD erzeugt häufig lebhafte Halluzinationen. Diese fMRT-Scans zeigen eine drastisch erhöhte Verbindung des visuellen Kortex im Okzipitallappen (die Farbe steht für einen erhöhten Blutfluss) mit anderen Hirnregionen. In einem Scan (b) steht ein Forschungsteilnehmer mit geschlossenen Augen unter dem Einfluss von LSD. Der andere (a) zeigt dieselbe Person, wenn ihr ein Placebo verabreicht wird. (Carhart-Harris et al. 2016; Cormier 2016; © Imperial College London)
a
>>In einer anderen Darbietung maschinellen Lernens
wurden die Gehirne von Physikstudierenden gescannt, als diese über 30 physikrelevante Konzepte wie Schwerkraft und Impuls nachdachten (Mason & Just, 2016). Ein Computerprogramm lernte, die Verbindungen zwischen der Aktivierung bestimmter Hirnregionen und den Konzepten genau zu bestimmen.
Sensorische Funktionen Der motorische Kortex sendet Informationen zu den Körperteilen, aber wo im Kortex kommen die eingehenden Nachrichten an? Wilder Penfield (1969, 1975) machte einen kortikalen Bereich – an der Vorderseite des Parietallappens, parallel zu und direkt hinter dem motorischen Kortex befindet – aus, der darauf spezialisiert ist, Informationen von den Sinnesrezeptoren der Haut und über die Bewegung von Körperteilen zu empfangen. Dieses Gebiet wird heute als somatosensorischer Kortex bezeichnet. Stimuliert man einen Punkt oben auf dem Teil dieses Kortex, berichtet die Versuchsperson vielleicht, dass sie an der Schulter berührt worden sei, bei der Stimulierung eines Punkts an der Seite fühlt sie möglicherweise eine Berührung im Gesicht.
b
In der Forschung wurden weitere Kortexareale entdeckt, die Signale von den anderen Sinnen als dem Berührungssinn bekommen. Jede visuelle Information, die Sie jetzt empfangen, geht in den visuellen Kortex in Ihrem Okzipitallappen im hinteren Teil Ihres Gehirns (. 3.30). Wenn Sie normal sehen und in Ihrem Okzipitallappen stimuliert würden, sähen Sie Lichtblitze oder Farben. (Also ist es doch wahr, wir haben Augen hinten im Kopf!) Ein Freund von mir [DM], der durch eine Tumorentfernung einen großen Teil seines rechten Okzipitallappens verloren hatte, erblindete auf der linken Hälfte seines Blickfeldes. Visuelle Informationen wandern vom Okzipitallappen aus in andere Gehirnareale, die darauf spezialisiert sind, z. B. Wörter, Emotionen und Gesichter zu erkennen.
Somatosensorischer Kortex („sensory cortex“) – vorderer
Teil des Parietallappens, in dem die Empfindungen für Körperberührungen und Bewegungen registriert und verarbeitet werden. Je sensibler ein Bereich des Körpers ist, desto größer ist der Abschnitt des somatosensorischen Kortex, der diese Region repräsentiert (. Abb. 3.26). So sind Ihre sehr sensiblen Lippen z. B. mit einem größeren Gebiet verbunden als Ihre Zehen, was auch einer der Gründe ist, warum wir mit den Lippen küssen, statt uns mit den Zehen zu berühren. Bei Ratten wiederum widmet sich ein großer Teil des Gehirns den Berührungsempfindungen der Schnurrhaare und bei Eulen geht es vor allem um die Hörempfindung mit Hilfe der Ohren.
Auditorischer Kortex Visueller Kortex
..Abb. 3.30 Visueller und auditorischer Kortex. Der visuelle Kortex im Okzipitallappen hinten am Gehirn erhält Input von den Augen. Ein auditorisches Gebiet, das auf dem Temporallappen über den Ohren liegt, erhält Informationen von den Ohren
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
90
1
Die elektrische Stimulierung eines Assoziationsfeldes führt zu keiner beobachtbaren Reaktion.
3
2 4
Diese „Stille“ in einem riesigen Assoziationsfeld hat zu der falschen Behauptung geführt, dass wir nur 10 Prozent unseres Gehirns nutzen — „eines der widerstandsfähigsten Unkräuter im Garten der Psychologie“.1
3
Besteht tatsächlich eine 90-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass die Kugel in einem ungenutzten Bereich unseres Gehirns landet, wenn uns in den Kopf geschossen würde?
Tiere und Menschen mit Hirnschädigungen bezeugen: Assoziationsfelder interpretieren, integrieren und verarbeiten sensorische Informationen und verknüpfen sie mit gespeicherten Erinnerungen. Intelligentere Tiere haben größere Assoziationsfelder.
Nein.
Motorische Areale Assoziationsfelder Somatosensorische Areale
Ratte
Katze
Schimpanse
Mensch
McBurney, 1996, p. 44
1
..Abb. 3.31 Kritisch nachdenken über: Mehr als 10 % unseres Gehirns nutzen
Jedes Geräusch, das Sie in diesem Moment hören, wird im auditorischen Kortex des Temporallappens verarbeitet (direkt über Ihren Ohren, . Abb. 3.30). Der größte Teil dieser auditorischen Informationen durchläuft den Weg von einem Ohr zum auditorischen Kortex über dem anderen Ohr. Wenn Sie in ihrem auditorischen Kortex stimuliert würden, würden Sie wahrscheinlich ein Geräusch hören. Etwas Ähnliches scheint bei Patient:innen mit Schizophrenie abzulaufen: MRT-Untersuchungen zeigen, dass ihre auditorischen Kortizes aktiviert sind, wenn sie täuschende Sinneserfahrungen akustischer Halluzinationen haben (Lennox et al., 1999). Sogar die Scheingeräusche, die Menschen mit schlechter werdendem Gehör wahrnehmen, hängen mit einer Aktivität des Temporallappens auf der gegenüberliegenden Seite des betroffenen Ohrs zusammen (Muhlnickel, 1998). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Der ___ Kortex unseres Gehirns registriert und verarbeitet die Empfindungen für Körperberührungen und Bewegungen. Der ___ Kortex unseres Gehirns kontrolliert unsere willkürlichen Bewegungen.
Assoziationsfelder Bis jetzt haben wir uns mit den kleinen kortikalen Arealen befasst, die entweder sensorische Signale empfangen oder Signale an die Muskeln aussenden. Zusammen machen diese etwa ein Viertel der dünnen, gefurchten Oberfläche des menschlichen Gehirns aus. Was geschieht dann in den restlichen großen Bereichen des Kortex? Die Nervenzellen in diesen Assoziationsfeldern führen höhere
mentale Funktionen aus – viele von den Aufgaben, die uns zu Menschen machen. Werden die Assoziationsfelder elektrisch stimuliert, zeigt sich keine beobachtbare Reaktion. Deshalb können wir – im Gegensatz zu den somatosensorischen und motorischen Arealen – die Funktionen dieser Gebiete nicht so eindeutig angeben. Bedeutet das, dass wir sie nicht benutzen? Siehe hierfür . Abb. 3.31. Assoziationsfelder („association areas“) – Bereiche des ze-
rebralen Kortex, die nicht an den primären motorischen und sensorischen Funktionen beteiligt sind, sondern an höheren geistigen Fähigkeiten wie Lernen, Erinnern, Denken und Sprechen. ?? 3.12 Benutzen wir wirklich nur 10 % unseres Gehirns?
Assoziationsfelder finden sich in allen vier Hirnlappen. Der präfrontale Kortex im vorderen Teil des Frontallappens ermöglicht es uns, zu urteilen, zu planen und neues Wissen zu verarbeiten (de la Vega et al., 2016). Menschen mit einem verletzten Frontallappen erreichen zwar vielleicht hohe Werte bei Intelligenztests und sind in der Lage, einen Kuchen zu backen – trotzdem ist es ihnen nicht möglich, so weit im Voraus zu planen, dass sie schon vor der Geburtstagsfeier damit beginnen, einen Kuchen zu backen (Huey et al., 2006). Und wenn sie doch mit dem Backen begännen, würden sie vielleicht das Rezept vergessen (MacPherson et al., 2016). Eine Schädigung des Frontallappens kann auch zu einer Veränderung der Persönlichkeit führen und die persönlichen Hemmungen wegfallen lassen. Dies lässt sich am Fall des Bahnarbeiters Phineas Gage veranschaulichen. Eines Nachmittags im Jahre 1848 war Gage, damals
3.3 • Zerebraler Kortex
91
a
..Abb. 3.33 Fehlende Frontallappenbremsen. Nachdem ein Teil seines linken Frontallappens (in diesem nach unten gerichteten Gehirnscan) durch eine Verletzung verloren gegangen war, wurde Cecil Clayton impulsiver und tötete einen Hilfssheriff. 19 Jahre später wurde er für dieses Verbrechen hingerichtet. (Cecil Claytons Hirnscan, der dem beim Obersten Gerichtshof eingereichten Antrag auf Aussetzung der Hinrichtung beigefügt ist, zeigt einen fehlenden Teil seines Frontallappens.)
b ..Abb. 3.32 a,b Eine Begegnung mit der Vergangenheit. a Phineas Gages Schädel blieb der Forschung erhalten. Durch das Ausmessen von Gages Schädel und mit Hilfe moderner bildgebender Verfahren konnte man den Weg rekonstruieren, den das Werkzeug vermutlich durch Gages Hirn genommen hatte (Van Horn et al., 2012). b Dieses Foto zeigt Gage nach seinem Unfall. (Das Bild wurde gedreht, um sein Gesicht korrekt darzustellen. Frühere Fotos, darunter auch dieses, sind tatsächlich spiegelverkehrt; gemeinfrei)
25-jährig, gerade dabei, Sprengstoff mit einem Eisen in ein Bohrloch zu stopfen. Das Schießpulver wurde durch einen Funken entzündet und die Explosion katapultierte das längliche Werkzeug durch seinen Schädel. Es trat durch die linke Wange ein, am oberen Teil der Schädel-
decke wieder heraus und führte zu einer Verletzung des Frontallappens (. Abb. 3.32). Zur allgemeinen Verwunderung war Gage sofort in der Lage, sich aufrecht hinzusetzen und zu sprechen; nachdem die Wunde geheilt war, kehrte er wieder an seine Arbeitsstelle zurück. Da er aber einige jener Nervenbahnen verloren hatte, die es seinem Frontallappen ermöglichten, seine Emotionen zu kontrollieren, war der freundliche, sanfte Gage nun reizbar, respektlos und unaufrichtig (Van Horn et al., 2012). Dieser Mensch, so seine Freunde, sei „nicht mehr Gage“. Seine Intelligenz und sein Gedächtnis waren zwar intakt, seine Persönlichkeit jedoch hatte sich verändert. (Gage verlor später seinen Arbeitsplatz, doch mit der Zeit konnte er sich seiner Verletzung anpassen und fand Arbeit als Postkutschenführer [Macmillan & Lena, 2010].) Studien mit anderen Menschen mit geschädigtem Frontallappen haben ähnliche Effekte aufgezeigt. Sie werden nicht nur enthemmter (ohne die „Impulsbremse“ des Frontallappens), auch ihr moralisches Urteilsvermögen kann ungehemmt wirken. Cecil Clayton verlor im Jahr 1972 bei einem Sägewerksunfall 20 % seines linken Frontallappens. Danach fiel sein Intelligenztestergebnis auf Grundschulniveau und er zeigte eine erhöhte Im-
3
92
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
pulsivität. 1996 erschoss er einen Hilfssheriff. Im Jahr 2015, als er 74 Jahre alt war, wurde er vom Staat Missouri hingerichtet (Williams, 2015; . Abb. 3.33). Würden Sie dazu raten, einen Menschen vor ein außer Kontrolle geratenes Fahrzeug zu schubsen, um fünf andere Menschen zu retten? Die meisten würden dies nicht tun, Menschen mit Schädigungen des präfrontalen Kortex jedoch bleiben von solchen ethischen Dilemmata oft unbeeindruckt. (Koenigs et al., 2007). Der Frontallappen trägt dazu bei, uns von gewalttätigen Handlungen abzuhalten (Molenberghs et al., 2015; Yang & Raine, 2009). Durch die Verletzung des Frontallappens scheint der moralische Kompass bei diesen Menschen keinen Einfluss mehr auf das Verhalten zu haben. Assoziationsfelder erfüllen auch andere geistige Funktionen. So ermöglichen z. B. Teile des parietalen Kortex, die bei Einsteins ansonsten normalem Gehirn größer und ungewöhnlich geformt waren, rechnerisches und räumliches Denken (Burrell, 2015; Ibos & Freedman, 2014). Bei Patient:innen, die am Gehirn operiert wurden, führte die Stimulation eines Areals des Parietallappens zu dem Gefühl, einen Arm, die Lippen oder die Zunge zu bewegen, jedoch ohne die tatsächliche Bewegung durchzuführen. Bei verstärkter Stimulation glaubten die Patient:innen fälschlicherweise, dass sie sich tatsächlich bewegt hätten. Wenn Chirurg:innen ein anderes Assoziationsfeld nahe des motorischen Kortex im Frontallappen stimulierten, bewegten sich die Patient:innen zwar, waren sich dessen interessanterweise aber nicht bewusst (Desmurget et al., 2009). Diese erstaunlichen Befunde legen nahe, dass unsere Wahrnehmung von Bewegung nicht von der Bewegung an sich ausgelöst wird, sondern vielmehr von unserer Absicht und den Ergebnissen, die wir erwarteten. Ein weiteres Assoziationsfeld, ein Gebiet am unteren rechten Temporallappen, befähigt uns, Gesichter zu erkennen. Wenn ein Schlaganfall oder eine Kopfverletzung dieses Areal in Ihrem Gehirn schädigen würde, könnten Sie noch immer die Einzelheiten eines Gesichts beschreiben sowie das Geschlecht und das ungefähre Alter der Person nennen, die vor Ihnen steht. Sie wären jedoch plötzlich nicht mehr in der Lage, diese Person als Billie Eilish oder gar als Ihre Großmutter zu identifizieren. Dennoch sollten wir, um es noch einmal zu betonen, uns davor hüten, Scans von aktiven Hirnarealen im Sinne einer neuen Phrenologie so zu interpretieren, dass komplexen Funktionen bestimmte Hirnareale zugeordnet werden (Beck, 2010; Shimamura, 2010; Uttal, 2001). Während einer komplexen Aufgabe zeigt ein Hirnscan viele Hirnaktivitätsinseln, die zusammenarbeiten – einige laufen automatisch im Hintergrund, andere unter bewusster Kontrolle (Chein & Schneider, 2012). Ihr Gedächtnis, Ihre Sprache und Ihre Aufmerksamkeit sind das Ergebnis des engen Zusammenwirkens vieler verschiedener Gehirnareale und neuronaler Netzwerke
(Knight, 2007; differenzierte Informationen zu neuronalen Sprachnetzwerken finden Sie in 7 Kap. 10). Das gleiche gilt für religiöse Erfahrungen. Dass über 40 bestimmte Gehirnregionen in verschiedenen religiösen Phasen, z. B. Beten und Meditation, aktiv sind, deutet darauf hin, dass es nicht den einen „Religionspunkt“ (Fingelkurts & Fingelkurts, 2009) gibt. Und was lernen wir daraus? Unsere geistigen Erfahrungen entstehen durch koordinierte Gehirnaktivität. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum sind Assoziationsfelder so wichtig?
3.3.3
Reaktionen auf Schädigungen
?? 3.13 In welchem Ausmaß kann sich ein geschädigtes
Gehirn neu organisieren? Was ist Neurogenese?
Wir haben uns bereits mit der Plastizität des Gehirns befasst – wie sich unser Gehirn an neue Situationen anpasst. Was passiert, wenn uns große und kleine Missgeschicke widerfahren? Erkunden wir die Fähigkeit des Gehirns, sich nach einer Schädigung selbst zu verändern. Die meisten Auswirkungen von Hirnschädigungen lassen sich auf zwei harte Fakten zurückführen: 1. Die meisten beschädigten Gehirn- und Rückenmarksneuronen werden sich nicht wieder neu bilden, wie Ihre Haut, wenn Sie sich geschnitten haben (wäre z. B. Ihr Rückenmark durchtrennt worden, würden Sie für immer gelähmt bleiben). 2. Einigen Hirnfunktionen scheinen von vornherein bestimmten Arealen zugewiesen zu werden. Ein Neugeborenes, das eine Hirnschädigung in Arealen erlitt, die in beiden Temporallappen für die Gesichtserkennung zuständig sind, erlangte nie wieder die normale Fähigkeit, Gesichter zu erkennen (Farah et al., 2000). Doch es gibt auch gute Nachrichten: Einige Neuronen können sich nach einer Verletzung reorganisieren. Auch nach einer schwerwiegenden Schädigung zeigt sich die Plastizität unseres Gehirns und das besonders deutlich bei kleinen Kindern (Kolb, 1989; . Abb. 3.34). Die Constraint-Induced Therapie (im Deutschen u. a. als „einschränkungsinduzierte Therapie“ bezeichnet) zielt darauf ab, neue neuronale Verbindungen im Gehirn zu bilden und das Gehirn sozusagen neu zu verdrahten. Durch die Therapie sollen die Fertigkeiten von Kindern mit Hirnschädigung oder sogar Erwachsenen nach einem Schlaganfall verbessert werden (Taub, 2004). Durch das Einschränken einer voll funktionsfähigen Extremität werden Betroffene dazu gezwungen, die „schlechte“ Hand oder das „schlechte“ Bein zu nutzen, wodurch das Gehirn nach und nach umprogrammiert wird. Ein Schlaganfallopfer,
93
3.3 • Zerebraler Kortex
a
b
..Abb. 3.34 a,b Gehirnarbeit ist ein Kinderspiel. a Diese 6-Jährige wurde operiert, um ihre lebensbedrohlichen epileptischen Anfälle zu beenden. Obwohl eine Hirnhälfte fast komplett entfernt wurde (b MRT einer Hemisphärektomie), glich die übrig gebliebene Hirnhälfte dies aus, indem sie andere zusätzliche Areale veranlasste zu arbeiten. Ein medizinisches Team der Johns Hopkins University nahm sich noch einmal die Hemisphärektomien vor, die es an Kindern vorgenommen hatte, und berichtete, dass man – auch wenn die Nutzung
der Hand, die von der nun entfernten Hirnhälfte gesteuert wurde, beeinträchtigt war – „von Ehrfurcht ergriffen“ gewesen sei, wie gut die Kinder ihr Gedächtnis, ihre Persönlichkeit und ihren Humor behalten hatten (Vining et al., 1997). Je jünger das Kind ist, desto größer sind die Chancen, dass die verbleibende Hirnhälfte die Funktionen der chirurgisch entfernten übernehmen kann (Choi, 2008; Danelli et al., 2013). (a: © Joe McNally/Getty Images; b: © Living Art Enterprises/ LLC/Science Photo Library)
ein Chirurg in seinen Fünfzigern, bekam die Aufgabe, Tische zu putzen, während sein noch funktionierender Arm und die funktionierende Hand bewegungsunfähig gemacht waren. Mit der Zeit erlangte der „schlechte“ Arm seine Fähigkeiten wieder. Die Fähigkeiten, die vorher in nun geschädigten Hirnarealen gespeichert waren, wanderten durch die Übung in andere Hirnregionen über. Schritt für Schritt erlernte der Chirurg wieder das Lesen und sogar das Tennisspielen (Doidge, 2007). Das Wissen um die Plastizität des Gehirns bietet neue Perspektiven für Menschen mit einer Beeinträchtigung des Sehens oder Hörens. Blind- oder Taubheit bedeutet, dass die ungenutzten Hirnareale für andere Verwendungen zur Verfügung stehen (Amedi et al., 2005). Bei Menschen mit einer Beeinträchtigung des Sehens, die mit ihrem Finger Blindenschrift (Braille) lesen, vergrößert sich der Abschnitt des sensorischen Kortex, der diesen Finger repräsentiert, in dem Maße, in dem der Tastsinn dann auch den visuellen Kortex besetzt, der sonst dem Sehen gewidmet ist (Baringa, 1992a; Sadato et al., 1996). Plastizität erklärt auch, warum man bei einigen Untersuchungen herausfand, dass Menschen ohne die Fähigkeit des Hörens, welche die Gebärdensprache vor einer anderen Sprache gelernt haben, eine bessere Fähigkeit zum peripheren Sehen und Bewegungssehen aufweisen
(Bosworth & Dolkins, 1999; Shiell et al., 2014). Bei gehörlosen Menschen, die sich normalerweise in Gebärdensprache unterhalten, wartet der auditorische Kortex im Temporallappen sozusagen vergeblich auf Signale und sucht sich schließlich Stimulation aus anderen Quellen, z. B. vom visuellen System, um sie zu verarbeiten. Ähnliche Neuzuordnungen können auftreten, wenn durch Krankheit oder Schädigung andere Hirnareale nicht mehr für ihre normalerweise vorgesehenen, spezifischen Funktionen genutzt werden. Wenn ein langsam wachsender Tumor in der linken Hirnhälfte die Sprache stört (die zum größten Teil von der linken Hirnhälfte gesteuert wird), kann die rechte Hirnhälfte dies kompensieren (Thiel et al., 2006). Wenn man einen Finger verliert, wird der somatosensorische Kortex, an den dessen Signale weitergeleitet wurden, anfangen, Signale von den benachbarten Fingern zu erhalten, die dann sensibler werden (Oelschläger et al., 2014). Was glauben Sie also, fühlte ein Patient, dessen Unterschenkel amputiert wurde, beim Sex? „Ich fühle meinen Orgasmus jetzt im [Phantom-]Fuß. [Bedenken Sie auch, dass, wie in . Abb. 3.26 zu sehen ist, die Zehen neben den Genitalien repräsentiert werden.] Und dort ist er weitaus stärker als früher, weil er nicht mehr nur auf meine Genitalien beschränkt ist“ (Ramachandran & Blakeslee, 1998, S. 36).
3
94
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Corpus callosum
3
a
b
..Abb. 3.35 a,b Corpus callosum. Dieses breite Band neuronaler Fasern verbindet die beiden Gehirnhälften. a Um die links abgebildete Gehirnhälfte zu fotografieren, wurden die Hemisphären durch das Durchschneiden des Corpus callosums und tieferer Gehirnregionen chirurgisch getrennt. b Das hochauflösende Diffusionsspektrumbild
rechts, das ein Gehirn von oben zeigt, veranschaulicht die neuronalen Netzwerke des Gehirns innerhalb der beiden Hemisphären sowie die neuronale Brücke des Corpus callosum zwischen ihnen. (a: Aus Tillmann, 2009; b: © Dr. Patric Hagmann/CHUV, UNIL, Lausanne, Schweiz)
Obwohl das Gehirn oft den Versuch unternimmt, sich selbst wieder instandzusetzen, indem es vorhandenes Gewebe reorganisiert, versucht es manchmal auch, sich durch Neurogenese selbst zu reparieren, indem es neue Neuronen produziert. Forscher:innen haben bei erwachsenen Mäusen, Vögeln, Affen und Menschen solche neuen Neuronen (Babyneuronen) nachgewiesen (He & Jin, 2016; Jessberger et al., 2008). Diese Neuronen können dann an eine andere Stelle wandern und Verbindungen mit benachbarten Neuronen eingehen (Aimone et al., 2010; Egeland et al., 2015; Gould, 2007).
Universitäten und in Biotech-Unternehmen erschließen immer wieder neue Wege, Stammzellen herzustellen, die funktionierenden menschlichen Neuronen ähneln (Lu et al., 2016; Paşca et al., 2015). Eine solche Stammzellenforschung hilft nicht nur bei der Behandlung des erkrankten oder geschädigten Gehirns, sondern auch beim Verstehen der Gehirnentwicklung, des Gedächtnisses und anderer grundlegender psychologischer Prozesse (Mariani et al., 2012; Sun et al., 2015; Zhang et al., 2016). Könnten Chirurg:innen vielleicht eines Tages geschädigte Gehirne wieder aufbauen, so wie wir einen zerstörten Rasen durch neuen Samen auffrischen? Bleiben Sie dran. In der Zwischenzeit können wir jedoch alle von den natürlichen Förderern der Neurogenese profitieren, wie z. B. Sport, Sex, Schlaf und einer anregenden, aber nicht stressigen Umgebung (Iso et al., 2007; Leuner et al., 2010; Pereira et al., 2007; Sexton et al., 2016; Stranahan et al., 2006).
Neurogenese („neurogenesis“) – Bildung neuer Neuronen.
Die Atomtests des Kalten Krieges zwischen 1945 und 1963 ermöglichten es den Wissenschaftler:innen seltsamerweise später, die Geburt neuer Neuronen zu bestätigen. Die Explosionen setzten radioaktive Kohlenstoffisotope frei, die bei den Betroffenen zu einer Radiokarbondatierung der Neuronen im Hippocampus, einem für die Gedächtnisbildung sehr wichtigen Hirnzentrum, führten. Durch die Untersuchung jener Neuronen, die seitdem neu entstanden sind, entdeckten die Forschenden, dass täglich 700 neue Hippocampusneuronen geboren werden, was einer jährlichen Fluktuationsrate von fast 2 % entspricht. (Kempermann, 2013; Spalding et al., 2013). Unsere Bomben lehrten uns etwas über unsere Gehirne. Beim menschlichen Embryo wurden übergeordnete Stammzellen gefunden, die sich in jede Form von Gehirnzellen entwickeln können. Könnten diese neuronalen Stammzellen in großen Mengen im Labor nachgezüchtet und in verletzte Gehirne injiziert werden, damit sie dort die zerstörten Gehirnzellen ersetzen? Forscher:innen an
3.3.4
Zur Zweiteilung des Gehirns
?? 3.14 Wie trägt die Forschung zur Trennung der Hemi-
sphären zu einem besseren Verständnis der Funktionen unserer rechten und linken Hirnhälfte bei?
Unsere beiden ähnlich aussehenden Gehirnhälften haben unterschiedliche Funktionen. Diese Lateralisierung wird bei geschädigten Gehirnen deutlich. Seit mehr als einem Jahrhundert gesammelte Forschungsergebnisse haben gezeigt, dass Unfälle, Schlaganfälle und Tumore in der linken Hemisphäre das Lesen, Schreiben, Sprechen, mathematisch-logische Denken
95
3.3 • Zerebraler Kortex
Linkes Blickfeld
Rechtes Blickfeld
Axonfasern verbindet die beiden Hemisphären miteinander und übermittelt Nachrichten zwischen ihnen. Vogel und Bogen wussten, dass die Psychologen Roger Sperry, Ronald Myers und Michael Gazzaniga Katzen- und Affengehirne derartig durchtrennt hatten, ohne gravierende Effekte hervorzurufen. Corpus callosum (auch Balken; „corpus callosum“) – breites Band aus Nervenfasern, das die beiden Gehirnhälften miteinander verbindet und über das Informationen weitergeleitet werden.
Nervus opticus
Chiasma opticum Sprache
Also operierten die Chirurgen. Und was war das Ergebnis? Die Anfälle traten fast gar nicht mehr auf, und die sog. Split-Brain-Patient:innen waren überraschend normal; ihre Persönlichkeit und ihr Intellekt kaum betroffen. Ein Patient konnte sogar nach dem Aufwachen aus der Narkose das Späßchen machen, dass er „geteilte Kopfschmerzen“ habe (Gazzaniga, 1967). Dadurch, dass sie ihre Erfahrungen mitgeteilt haben, konnten diese Patienten unser Verständnis der komplementären Funktionen der beiden Hemisphären in einem noch intakten Gehirn erheblich erweitern. Split-Brain („split-brain“) – Zustand nach einer Operation,
bei der die beiden Gehirnhälften voneinander getrennt wurden, nachdem die sie verbindenden Fasern, vor allem die des Corpus callosum, durchgeschnitten wurden.
Linkshemisphärische visuelle Areale
Corpus callosum
Rechtshemisphärische visuelle Areale
..Abb. 3.36 Informationsbahnen vom Auge zum Gehirn
sowie das Verstehen beeinträchtigen können. Ähnliche Läsionen in der rechten Hemisphäre haben nur selten solche dramatischen Auswirkungen. Bedeutet dies, dass die rechte Gehirnhälfte nur ein stiller Begleiter ist? Viele dachten so, bis sich in den 1960er Jahren ein faszinierendes Kapitel in der Geschichte der Psychologie zu entfalten begann: Forscher:innen fanden heraus, dass die „weniger wichtige“ rechte Hemisphäre doch nicht so eingeschränkt ist.
Hemisphärentrennung Zwei Neurochirurgen aus Los Angeles, Philip Vogel und Joseph Bogen, stellten 1961 die Hypothese auf, dass viele epileptische Anfälle auf eine Verstärkung abnormaler Gehirnaktivität zurückgehen, die zwischen den beiden Hemisphären hin- und herspringt. Wenn dies der Fall wäre, fragten sie sich, ob sie dieses biologische Tennisspiel beenden könnten, indem sie das Corpus callosum (. Abb. 3.35) durchtrennten. Dieses breite Band aus
Um diese Befunde angemessen verstehen zu können, müssen wir uns zunächst kurz mit der seltsamen Verkabelung unseres visuellen Systems beschäftigen, wie in . Abb. 3.36 dargestellt. Beachten Sie, dass jedes Auge Informationen aus dem gesamten Blickfeld erhält. Aber in jedem Auge werden die Informationen aus der linken Hälfte Ihres Blickfeldes in der rechten Gehirnhälfte repräsentiert und die aus der rechten Hälfte des Blickfelds in der linken Gehirnhälfte, wo normalerweise auch die Sprache repräsentiert ist. Die Informationen, die in einer Hemisphäre ankommen, werden dann schnell über das Corpus callosum zur anderen Hemisphäre übermittelt. Diese Informationsübertragung geschieht allerdings nicht mehr, wenn das Corpus callosum bei einem Menschen durchtrennt ist. Dies wissend konnten Sperry und Gazzaniga gezielt Informationen in die linke oder in die rechte Hemisphäre des Patienten einspeisen. Dazu musste der Patient auf einen Punkt schauen, dann wurde links oder rechts davon für kurze Zeit ein Stimulus eingeblendet. Man könnte das auch mit Ihnen machen, aber in Ihrem intakten Gehirn würde die Hemisphäre, die die Information empfängt, die Neuigkeit sofort an die andere Seite weitererzählen. Doch die Split-Brain-Operation hatte die Kommunikationsmöglichkeit zwischen den Hemisphären gekappt. Dadurch wurde es den Wissenschaftlern möglich, jede Hemisphäre einzeln zu befragen.
3
96
3
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
..Abb. 3.37 a–c Ein Schädel, zwei Gehirne. Wenn man in einem Experiment das Wort HEART ins Blickfeld einer SplitBrain-Patientin einblendet, berichtet diese verbal, nur den Teil des Wortes zu sehen, der die linke Hemisphäre erreicht hat. Zeigt sie jedoch mit der linken Hand auf das Wort, das sie gesehen hatte, zeigte sie auf das, welches die rechte Hemisphäre erreicht hatte. (Nach Gazzaniga, 1983)
a »Schauen Sie auf den Punkt.«
b Zwei Wörter, die durch einen Punkt getrennt sind, werden für einen kurzen Moment auf den Bildschirm projiziert.
c »Welches Wort haben Sie gesehen?«
» „… lass deine linke Hand nicht wissen, was deine rechte tut.“ Matthäus 6, Vers 3
In einem frühen Experiment bat Gazzaniga (1967) die Split-Brain-Patient:innen, einen Punkt auf einem Bildschirm zu betrachten, und blendete HE•ART ein (. Abb. 3.37). HE erschien im linken Blickfeld (das mit der rechten Hemisphäre verbunden ist) und ART im rechten (verbunden mit der linken Gehirnhälfte). Als die Patient:innen dann gefragt wurden, was sie gesehen hatten, sagten sie, dass sie das Wort ART gesehen hatten. Wenn sie jedoch gebeten wurden, auf das Wort zu zeigen, waren sie selbst erstaunt darüber, dass ihre linke Hand (von der rechten Hemisphäre gesteuert) auf das Wort HE zeigte. Gibt man jeder Hemisphäre einzeln die Möglichkeit sich auszudrücken, teilt sie nur das mit, was sie wahrgenommen hat. Die rechte Hirnhälfte, die die linke Hand steuert, wusste genau, was sie gesehen hatte, auch wenn sie es nicht verbal ausdrücken konnte. Als man der rechten Gehirnhälfte der Patient:innen das Bild eines Löffels „zeigte“, konnten sie nicht sagen, was sie gesehen hatten. Wenn sie jedoch gebeten wurden, den gesehenen Gegenstand zu identifizieren, indem sie mit der linken Hand einen Haufen verschiedener, versteckter Gegenstände ertasteten, wählten sie zielsicher
oder
»Zeigen Sie mit Ihrer linken Hand auf das Wort, das Sie gesehen haben.«
den Löffel aus. Wenn die Versuchsleitung die Wahl als korrekt bestätigte, hätte die Antwort lauten können: „Was? Richtig? Wie ist es möglich, dass ich den richtigen Gegenstand aufnehme, wenn ich nicht einmal weiß, was ich gesehen habe?“ Hier spricht natürlich die linke Hemisphäre, die sich darüber wundert, was die nonverbale rechte Hemisphäre weiß. Einige Menschen, die sich einer Split-Brain-Operation unterzogen hatten, waren für einige Zeit von der ungewöhnlichen Unabhängigkeit ihrer linken Hand beunruhigt. Es schien so, als ob die linke Hand wirklich nicht wusste, was die rechte Hand tat. Es konnte ihnen passieren, dass die linke Hand ein Hemd aufknöpfte, das die rechte Hand gerade zuknöpfte, oder im Supermarkt Sachen wieder ins Regal stellte, die von der rechten Hand gerade in den Wagen gelegt worden waren. Es erschien, als ob jede Hemisphäre unabhängig für sich dachte: „Ich bin mir halb sicher, dass ich heute mein blaues (oder eben zur anderen Hälfte: mein grünes) Hemd tragen sollte.“ Es ist laut Sperry (1964) tatsächlich so, dass die Split-BrainChirurgie Menschen mit „zwei einzelnen Gehirnen“ erschafft. Mit voneinander abgetrennten Hirnhälften können beide Hemisphären eine Anweisung verstehen und ihr folgen, sodass sie – gleichzeitig – unterschiedliche Figuren mit der linken und mit der rechten Hand nachzeichnen
3.3 • Zerebraler Kortex
97
..Abb. 3.38 Versuchen Sie das mal! Split-Brain-Patienten können gleichzeitig zwei verschiedene Formen malen
sollen (Franz et al., 2000; . Abb. 3.38). (Können Sie sich beim Lesen dieser Berichte vorstellen, wie ein Split-BrainPatient mit sich allein das Spiel „Schere – Stein – Papier“ spielt, und zwar linke gegen rechte Hand?) Wenn die „beiden Gehirne“ sich nicht mehr miteinander verständigen können, versucht die linke Gehirnhälfte verzweifelt, die Reaktionen zu erklären, die sie nicht verstehen kann. Wenn der Patient also einer Anweisung („Geh!“) folgt, die der rechten Hemisphäre gegeben wurde, passiert etwas Seltsames. Sich der Anweisung nicht bewusst, weiß die linke Hemisphäre nicht, warum der Patient anfängt zu laufen. Fragt man den Patienten aber nach dem Grund dafür, dass er losgelaufen ist, antwortet dieser nicht: „Ich weiß es nicht.“ Stattdessen improvisiert die linke, interpretative Hemisphäre – „Ich möchte ins Haus gehen, um mir eine Cola zu holen.“ Gazzaniga (1988), der diese Patient:innen als die „interessantesten Menschen der Welt“ beschrieb, erkannte, dass die bewusste linke Hemisphäre einem Interpreten ähnelt, der unverzüglich Erklärungen formuliert. Daraus schloss er, dass das Gehirn oft auf Autopilot läuft; es handelt zuerst und dann erklärt es sich. Prüfen Sie Ihr Wissen
– 1. Wenn wir im Sichtfeld der rechten Hemisphäre eines Split-Brain-Patienten ein rotes Licht aufleuchten lassen und im Sichtfeld der linken Hemisphäre ein grünes Licht, würde jede Hemisphäre nur die jeweilig gezeigte Farbe wahrnehmen? 2. Würde sich die Person bewusst sein, dass sich die Farben unterscheiden? 3. Wenn die Person verbal ausdrückt, was sie gesehen hat, was würde sie sagen?
Unterschiede zwischen der linken und der rechten Hemisphäre im intakten Gehirn Aber was ist mit den mehr als 99,99 % der Menschen, die kein geteiltes Gehirn haben? Erfüllen auch unsere Gehirnhälften jeweils bestimmte Funktionen? Kurz gesagt lautet die Antwort Ja. Wenn eine Versuchsperson z. B. eine Aufgabe ausführt, die etwas mit Wahrnehmung zu tun hat, zeigt ein Hirnscan (Gehirnwellen, Blutfluss und Glukoseverbrauch) eine verstärkte Aktivität in der rechten Gehirnhälfte; wenn sie aber spricht oder rechnet, ist vor allem die linke Hemisphäre aktiviert. Eine eindrucksvolle Demonstration der spezialisierten Funktionen der Hemisphären findet vor bestimmten Arten von Gehirnoperationen statt. Um festzustellen, wo im Gehirn eines Patienten die Sprache repräsentiert ist, kann eine Ärztin Sedativa in die Nackenarterie des Patienten injizieren, die die linke Hemisphäre, die normalerweise die Sprache und das Sprechen kontrolliert, mit Blut versorgt. Bevor das Medikament gegeben wird, legt sich der Patient hin und streckt die Arme in die Luft, dabei unterhält er sich mit der Ärztin. Können Sie vorhersagen, was wahrscheinlich passieren wird, wenn das Medikament die linke Gehirnhälfte in den Schlaf versetzt? Schon nach wenigen Sekunden fällt der rechte Arm des Patienten schlaff herab. Falls die Sprache in seiner linken Hemisphäre repräsentiert ist, verstummt er, bis die Wirkung des Medikaments abnimmt. Wird das Medikament aber in die Arterie injiziert, die die rechte Hemisphäre versorgt, fällt der linke Arm schlaff herunter, aber der Patient kann immer noch sprechen. Für das Gehirn ist Sprache Sprache, ganz gleich, ob gesprochen oder in Gebärden. Ebenso wie Hörende gewöhnlich ihre linke Hemisphäre für das Sprachverstehen nutzen, nutzen Gehörlose ihre linke Gehirnhälfte für das Verstehen von Zeichen (Corina et al., 1992; Hickok et al.,
3
98
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
2001). Ein Schlaganfall in der linken Hemisphäre würde die Zeichensprache eines gehörlosen Menschen genauso beeinträchtigen wie die Sprechfähigkeit eines hörenden Menschen (Corina, 1998).
3
>>Hirnscans zeigen, dass Hunde, wie Menschen, Wörter
normalerweise mit ihrer linken Hemisphäre und die Betonung mit einer Region der rechten Hemisphäre verarbeiten. Eine Studie zeigte, dass Lob nicht wirksam war, wenn das von den Hunden Gehörte nicht mit der Aussprache übereinstimmte (Andics et al., 2016).
-
Obwohl die linke Hemisphäre die Sprache schnell und wörtlich versteht, ist es die rechte Hemisphäre, die: unübertrefflich darin ist, ausgeklügelte Schlussfolgerungen zu ziehen (Beeman & Chiarello, 1998; Bowden & Beeman, 1998; Mason & Just, 2004). Wenn man der linken Hemisphäre das Wort Fuß nur für den Bruchteil einer Sekunde als Prime (Reiz, der Erwartungen weckt) darbietet, gelingt es ihr besonders schnell, das Wort Ferse zu erkennen, das mit Fuß eng assoziiert ist. Gibt man aber den Versuchspersonen eine Verständnisaufgabe – „Welches Wort lässt sich mit den folgenden verbinden: lernen, Kind, Gebäude?“ –, kommt die rechte Hemisphäre schneller auf die Lösung (Schule) als die linke. Ein Patient erklärte nach einem Schlaganfall, der die rechte Hemisphäre schädigte: „Ich verstehe die Wörter, aber nicht ihre subtile Bedeutung.“ Auch beim Nachzeichnen von Bildern, Erkennen von Gesichtern, Bemerken von Unterschieden, Wahrnehmen von Emotionen und Ausdrücken von Gefühlen durch die ausdrucksstärkere linke Gesichtshälfte ist die rechte Gehirnhälfte besser als die linke. Eine Schädigung der rechten Hemisphäre kann diese Fähigkeiten stark beeinträchtigen. uns hilft, die Wörter so zu betonen, dass die Bedeutung erkennbar wird. Dies geschieht z. B., wenn wir sagen: „Ich möchte so klug wie Einstein sein!“ Dies könnte sonst auch verstanden werden als: „Ich möchte so klug wie ein Stein sein!“ (vgl. Heller, 1990) uns hilft, unsere Selbstwahrnehmung abzugleichen. Personen, die von einer partiellen Lähmung betroffen sind, werden ihre Beeinträchtigung manchmal hartnäckig leugnen und, seltsamerweise, behaupten, sie könnten eine gelähmte Gliedmaße bewegen – wenn die Schädigung in der rechten Hemisphäre vorhanden ist (Berti et al., 2005).
-
Wenn man die beiden Hemisphären betrachtet, die für das bloße Auge genau gleich aussehen, wer würde vermuten, dass sie beide in ihrer eigenen Art zur Harmonie des Ganzen beitragen? Wenn man sich jedoch die Fülle der heute vorliegenden Beobachtungen – bei Split-Brain-Patient:innen, bei Menschen mit einem normalen Gehirn und sogar bei Gehirnen anderer Spezies – ansieht, lässt sich daraus zweifellos schließen, dass
..Abb. 3.39 (Roz Chast/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
unser Gehirn ein Ganzes mit spezialisierten Teilen ist (Hopkins & Cantalupo, 2008; MacNeilage et al., 2009; . Abb. 3.39). Resümee: In diesem Kapitel konnten wir einen kurzen Einblick in ein übergreifendes Prinzip erhalten: Alles, was psychisch ist, ist gleichzeitig auch biologisch. Wir haben uns damit beschäftigt, wie unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen aus unserem spezialisierten und dennoch ganzheitlichen Gehirn entstehen. In weiteren Kapiteln werden wir die Bedeutung der biologischen Revolution in der Psychologie noch näher erläutern. Es war ein langer Weg von der Phrenologie des 19. Jahrhundert bis zur heutigen Neurowissenschaft. Trotzdem stellt das, was wir nicht wissen, noch immer das, was wir wissen, in den Schatten. Wir können das Gehirn beschreiben. Wir können lernen, welche Funktionen seine verschiedenen Teile haben. Und wir können untersuchen, wie die einzelnen Teile miteinander kommunizieren. Aber wie kann aus diesem Zellhaufen unser Verstand entstehen? Wie kann ein elektrochemisches Summen in einem Gewebebrocken von der Größe eines Kopfsalats zu einem Hochgefühl, einer kreativen Idee oder zur Erinnerung an unsere Großmutter führen? Ähnlich wie aus Gas und Luft etwas Neues entstehen kann, nämlich Feuer, so könnte auch das komplexe menschliche Gehirn etwas Neues erschaffen: den Verstand. Davon war zumindest Sperry überzeugt. Verstand, argumentierte er, entsteht aus dem Tanz der Ionen im Gehirn, kann jedoch nicht auf ihn reduziert werden. Wie der Neurowissenschaftler Donald MacKay (1978) feststellte: „[Meine Hirnaktivität] spiegelt das wider, was ich denke, so wie die [Computer-]Aktivität die Gleichung widerspiegelt, die sie löst“. Der Verstand und die Gehirnaktivitäten sind zwar miteinander verbunden, bemerkte er, aber sie sind komplementär und konzeptionell verschieden.
99
Zerebraler Kortex
Zellen können nicht allein durch die Aktivitäten von Atomen erklärt werden, ebenso wenig kann der Verstand durch die Aktivität von Zellen erklärt werden. Die Psychologie hat ihre Wurzeln in der Biologie, die wiederum auf der Chemie beruht, die ihrerseits auf der Physik basiert. Trotzdem ist die Psychologie mehr als angewandte Physik. Sexuelle Liebe ist mehr als verstärkte Blutzufuhr in den Genitalien. Moral und Verantwortungsbewusstsein lassen sich erst erklären, wenn wir unseren Verstand als „holistisches System“, d. h. als ganzheitlich, verstehen, wie Sperry (1992) feststellte. Wir sind mehr als plappernde Roboter. Gehirne machen Gedanken und Gedanken verändern Gehirne.
» „Alle psychologischen Phänomene werden durch das
Gehirn verursacht, aber viele werden auf der Ebene des Geistes besser verstanden.“ Tweet des Psychologen Steven Pinker (10. Juni 2013)
Der Verstand versucht, das Gehirn zu verstehen; dies ist in der Tat eine der größten Herausforderungen der Wissenschaft. Und das wird immer so sein. Um es mit den Worten des Kosmologen John Barrow zu sagen: Ein Gehirn, das so einfach ist, dass man es vollständig verstehen kann, ist zu einfach, um einen Verstand hervorzubringen, der es versteht. 3.3.5
Rückblick: Zerebraler Kortex
Verständnisfragen
3.11 – Welche vier Lappen bilden den zerebralen Kortex
und was sind die Funktionen des motorischen Kortex, des somatosensorischen Kortex und der Assoziationsfelder? 3.12 – Benutzen wir wirklich nur 10 % unseres Gehirns? 3.13 – In welchem Ausmaß kann sich ein geschädigtes Gehirn neu organisieren? Was ist Neurogenese? 3.13 – Wie trägt die Forschung zur Trennung der Hemisphären zu einem besseren Verständnis der Funktionen unserer rechten und linken Hirnhälfte bei?
------
Schlüsselbegriffe Assoziationsfelder Corpus callosum (auch Balken) Frontallappen Motorischer Kortex Neurogenese Okzipitallappen Parietallappen Somatosensorischer Kortex Split-Brain Temporallappen Zerebraler Kortex
Master the Material 1. Wenn ein Neurochirurg Ihren rechten motorischen Kortex stimulieren würde, würden Sie höchstwahrscheinlich … a. Licht sehen. b. ein Geräusch hören. c. eine Berührung auf dem rechten Arm spüren. d. das linke Bein bewegen. 2. Wie kommunizieren verschiedene neuronale Netzwerke miteinander, sodass Sie antworten können, wenn Sie auf einer Party von einem Freund begrüßt werden? 3. Welche der folgenden Körperregionen ist im somatosensorischen Kortex am stärksten vertreten? a. Oberarm b. Zehen c. Lippen d. Alle Regionen sind zu gleichermaßen vertreten 4. Urteilen und Planen werden durch die ___lappen ermöglicht. 5. Die Bereiche, die nicht eindeutig zugeordnet werden können und etwa drei Viertel des zerebralen Kortex ausmachen, werden als ___ bezeichnet. 6. Die Fähigkeit des flexiblen Gehirns, auf Schädigungen zu reagieren, zeigt sich insbesondere in den Gehirnen von … a. Split-Brain-Patient:innen. b. jungen Erwachsenen. c. kleinen Kindern. d. Rechtshändern:innen. 7. Eine Versuchsleitung blendet das Wort SCHLÜSSELRING ins Blickfeld eines Mannes, dessen Corpus callosum durchtrennt wurde, ein. SCHLÜSSEL wird auf seine rechte Hemisphäre und RING auf seine linke Hemisphäre übertragen. Auf die Frage, was er gesehen hat, sagt der Mann, er habe ___ gesehen, seine linke Hand zeigt jedoch auf ___. 8. Studien mit Split-Brain-Patient:innen sowie Hirnscans von Menschen ohne geteiltes Gehirn zufolge Worin ist die linke Hemisphäre unübertrefflich bei … a. der Verarbeitung von Sprache. b. der visuellen Wahrnehmung. c. Schlussfolgerungen. d. der Neurogenese. 9. Eine Schädigung der rechten Hemisphäre beeinträchtigt höchstwahrscheinlich die Fähigkeit einer Person, … a. … das Alphabet schnell aufzusagen. b. … Schlussfolgerungen zu ziehen. c. … verbale Anweisungen zu verstehen. d. … arithmetische Probleme zu lösen.
3
100
Kapitel 3 • Neurowissenschaft und Verhalten
Weiterführende deutsche Literatur
3
Birbaumer, N., & Schmidt, R. F. (2010). Biologische Psychologie (7. Aufl.). Heidelberg: Springer. Hülshoff, T. (2008). Das Gehirn. Funktionen und Funktionseinbußen (3. Aufl.). Bern: Huber. Jäncke, L. (2021). Lehrbuch Kognitive Neurowissenschaften (3. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Kandel, E. R., Schwartz, J. H., & Jessel, T. M. (2012). Neurowissenschaften. Eine Einführung. Heidelberg: Spektrum. Karnath, H. O., & Thier, P. (2012). Kognitive Neurowissenschaften. Heidelberg: Springer. Lautenbacher, S., Güntürkün, O., & Hausmann, M. (2007). Gehirn und Geschlecht. Heidelberg: Springer. Markowitsch, H. J. (Hrsg.). (1996). Grundlagen der Neuropsychologie. Enzyklopädie der Psychologie: Biologische Psychologie, Bd. 1. Göttingen: Hogrefe. Thompson, R. F. (2001). Das Gehirn. Von der Nervenzelle zur Verhaltenssteuerung (3. Aufl.). Heidelberg: Spektrum.
101
Bewusstsein und der zweigleisige Verstand Inhaltsverzeichnis 4.1
Gehirnzustände und Bewusstsein – 102
4.1.1 4.1.2 4.1.3 4.1.4 4.1.5
Definition von Bewusstsein – 102 Die Wissenschaft des Bewusstseins – 103 Selektive Aufmerksamkeit – 104 Parallelverarbeitung: Der zweigleisige Verstand – 108 Rückblick: Gehirnzustände und Bewusstsein – 110
4.2
Schlaf und Träume – 111
4.2.1 4.2.2 4.2.3 4.2.4 4.2.5
Biologischer Rhythmus und Schlaf – 111 Warum schlafen wir? – 117 Schlafentzug und Schlafstörungen – 119 Träume – 124 Rückblick: Schlaf und Träume – 129
4.3
Drogen und Bewusstsein – 129
4.3.1 4.3.2 4.3.3 4.3.4
Toleranz und Sucht bei Substanzkonsumstörungen – 129 Arten psychoaktiver Substanzen – 130 Einflussfaktoren auf den Drogenkonsum – 141 Rückblick: Drogen und Bewusstsein – 144
Weiterführende deutsche Literatur – 145
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_4
4
102
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
Das Bewusstsein ist manchmal eine komische Sache. Es beschert uns seltsame Erlebnisse – z. B. kurz vor dem Einschlafen oder Aufwachen – und manchmal fragen wir uns, wer wirklich die Kontrolle über unsere Gedanken hat. Nachdem mich [DM] mein Zahnarzt mit Lachgas in eine Halbnarkose versetzt hat, sagt er mir, ich solle meinen Kopf nach links drehen. Mein Verstand widerspricht und ich denke: „Nein, du kannst mich nicht herumkommandieren“. Dennoch dreht sich mein Kopf automatisch – er gehorcht somit dem Zahnarzt und ignoriert meinen Verstand. Während meines mittäglichen Basketballspielens bin ich manchmal ein bisschen verwirrt, wenn mein Körper den Ball abgeben will, während mein Verstand sagt: „Stopp! Sarah wird ihn abfangen!“. Dennoch vollführt mein Körper die Ballabgabe. In Illusion of Conscious Will (2002) schreibt der Psychologe Daniel Wegner, dass Menschen glauben, ihr Verstand kontrolliere ihre Taten – auch wenn dies nicht der Fall sei. In einem Experiment haben zwei Personen zusammen eine Computermaus bedient. Sogar als ihr Partner (der in Wahrheit ein Assistent des Experimentators war) die Maus auf einer vorher bestimmten Markierung stoppte, glaubten die Teilnehmer, sie selbst hätten die Maus dort zum Stehen gebracht. Darüber hinaus gibt es Zeiten, in denen sich das Bewusstsein in zwei Teile zu spalten scheint. Manchmal schweifen meine [NDs] Gedanken umher, während ich eine gut eingeübte Rede halte. Wenn ich einem meiner [DMs] Vorschüler Green Eggs and Ham zum x-ten Mal vorlese, kann mein Mund die Wörter aussprechen, während meine Gedanken mal hier, mal da sind. Und falls jemand an meinem Büro vorbeikommt, während ich diesen Satz schreibe, ist das auch kein Problem. Meine Finger können den Satz beenden, obwohl ich mich gleichzeitig unterhalte. Was zeigen solche Erlebnisse nun? Ist ein von Medikamenten beeinflusstes Erlebnis beim Zahnarzt ähnlich wie die Erfahrungen anderer Personen mit psychoaktiven Drogen (stimmungs- und wahrnehmungsverändernden Substanzen)? Zeigt der Umstand, dass die Gedanken beim Lesen oder Schreiben woanders sind, eine Spaltung des Bewusstseins auf ? Und wie sieht es im Schlaf aus: Wann und vor allem warum tauchen diese seltsamen Träume auf ? Bevor wir diese und weitere Fragen betrachten, sollten wir uns eine grundlegende Frage stellen: Was ist Bewusstsein? 4.1
Gehirnzustände und Bewusstsein
In jeder Wissenschaft gibt es Konzepte, die derart fundamental sind, dass es beinahe unmöglich ist, sie zu definieren. Biologen sind zwar einer Meinung darüber, was lebendig ist, aber nicht, was genau Leben an sich bedeutet. In der Physik entziehen sich die Begriffe Materie und Energie einer einfachen Definition. Gleichermaßen stellt das Bewusstsein für Psychologen zwar ein fundamentales, aber dennoch unscharfes Konzept dar.
4.1.1
Definition von Bewusstsein
?? 4.1 Wo lässt sich das Bewusstsein in der Geschichte
der Psychologie verorten?
In ihren Anfängen wurde die Psychologie als die Wissenschaft der „Beschreibung und Erklärung von Bewusstseinszuständen“ (Ladd, 1887) verstanden. Während der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erwies sich die wissenschaftliche Untersuchung des Bewusstseins jedoch zunehmend als schwierig, was viele Psycholog:innen dazu veranlasste, sich dem direkt beobachtbaren Verhalten zuzuwenden. Unter ihnen waren auch einige aus der neu entstehenden Schule des Behaviorismus (7 Kap. 8). In den 1960er Jahren verlor die Psychologie das Bewusstsein fast völlig aus dem Blick und verstand sich als „Wissenschaft vom Verhalten“. Das Bewusstsein wurde mit dem Tacho eines Autos verglichen: „Er bringt das Auto nicht zum Laufen, er spiegelt lediglich wider, was geschieht“ (Seligman, 1991).
» „Die Psychologie muss sich jeglichen Bezugs auf das Be-
wusstsein entledigen.“ Der Behaviorist John B. Watson (1913)
Nach 1960 tauchten mentale Konzepte wieder in der Psychologie auf. Dank der Fortschritte in den Neurowissenschaften konnte man die Aktivitäten des Gehirns verschiedenen Bewusstseinszuständen zuordnen, wie z. B. schlafen oder träumen. Die Wissenschaftler:innen begannen, das durch Hypnose, Drogen oder Meditation veränderte Bewusstsein zu untersuchen (mehr zu Hypnose in 7 Kap. 6 und zu Meditation in 7 Kap. 12). Psycholog:innen aller Fachrichtungen erkannten die zentrale Bedeutung der Kognition, also der mentalen Prozesse. Die Psychologie hatte das Bewusstsein wieder für sich entdeckt. Heute bedeutet Bewusstsein für die meisten Psycholog:innen die bewusste Wahrnehmung von uns selbst und unserer Umgebung (Feinberg & Mallatt, 2016): Diese bewusste Wahrnehmung erlaubt uns, vielfältige Informationen zu sammeln und zu nutzen, wenn wir unsere Vergangenheit reflektieren, uns an unsere Gegenwart anpassen und unsere Zukunft planen. Erstsemester denken an ihre Schulzeit zurück, gewöhnen sich an die Höhen und Tiefen des akademischen Lebens und blicken auf ihr Leben nach dem Studium. Es lenkt beim Lernen komplexer Konzepte oder Verhaltensweisen unsere Aufmerksamkeit auf genau diese Sache. So konzentrieren wir uns beim Fahrenlernen ausschließlich auf das Auto und den Verkehr. Mit fortschreitender Übung wird das Autofahren zu einer halbautomatisierten Tätigkeit und beansprucht unsere ungeteilte Aufmerksamkeit nicht mehr. Im Laufe der Zeit springen wir immer zwischen verschiedenen Bewusstseinszuständen hin und her – nor-
-
-
103
4.1 • Gehirnzustände und Bewusstsein
Einige treten spontan auf
Tagträumen
Schläfrigkeit
Träumen
Einige sind physiologisch bedingt
Halluzinationen
Orgasmus
Nahrungsoder Sauerstoffmangel
Einige sind psychologisch bedingt
Sensorische Deprivation
Hypnose
Meditation
Patient
Gesunde Freiwillige ..Abb. 4.1 Veränderte Bewusstseinszustände. Zusätzlich zum normalen Wachbewusstsein gibt es verschiedene andere Bewusstseinszustände, dazu gehören Tagträumen, Schlafen, durch Drogen hervorgerufenes Halluzinieren und Meditieren
malem Wachbewusstsein und vielfältigen veränderten Zuständen (. Abb. 4.1). Bewusstsein („consciousness“) – Gesamtheit der unmittelbaren Erfahrung, die sich aus der Wahrnehmung von uns selbst und unserer Umgebung, unseren Kognitionen, Vorstellungen und Gefühlen zusammensetzt. Kognitive Neurowissenschaft („cognitive neuroscience“)
– interdisziplinäre Studie der Gehirnaktivität in Zusammenhang mit Kognition (u. a. Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis und Sprache). Die heutige Wissenschaft erforscht die Biologie des Bewusstseins. Evolutionspsycholog:innen nehmen an, dass das Bewusstsein einen reproduktiven Vorteil bietet (Barash, 2006; Murdik et al., 2011). Das Bewusstsein hilft uns, mit neuartigen Situationen umzugehen und gemäß unseren langfristigen Interessen zu handeln – statt den Fokus lediglich auf die kurzzeitige Befriedigung und die Vermeidung von Schmerzen zu legen. Zudem befördert das Bewusstsein unser Überleben, da wir erahnen, wie wir auf andere wirken und gleichzeitig andere einschätzen können: „Er sieht wirklich verärgert aus, ich laufe lieber davon!“ Solche Erklärungen helfen uns jedoch immer noch nicht bei dem grundsätzlichen Problem weiter: Wie kann die Kommunikation der Gehirnzellen untereinander unsere Wahrnehmung vom Geschmack eines Tacos, die Idee von Unendlichkeit oder das Gefühl von Angst hervorrufen? Die Frage, wie das Bewusstsein aus dem materiellen Gehirn entsteht, ist eines der größten Rätsel des Lebens. 4.1.2
Die Wissenschaft des Bewusstseins
zz Kognitive Neurowissenschaften
Gemäß den Worten des Neurowissenschaftlers Marvin Minsky (1986) vermuten Wissenschaftler:innen, „der Verstand ist das, was das Gehirn tut“. Wir wissen nur nicht, dass es das tut. Selbst mit sämtlichen Chemikalien, Computerchips und Energien der Welt haben wir noch
Darstellung Tennisspiel
Darstellung Orientierung im Raum
..Abb. 4.2 Beweis von Bewusstsein? Wenn ein nichtkommunikativer Patient gebeten wird, sich vorzustellen, er würde Tennis spielen oder in seinem Haus herumlaufen, so zeigt sein Gehirn (oben) ähnliche Aktivitäten wie das Gehirn einer gesunden Person (unten). Forschende möchten herausfinden, ob solche fMRT-Scans ein „Gespräch“ mit Patient:innen, die nicht antworten können, ermöglichen. So könnten die Betroffenen z. B. mit „ja“ auf eine Frage antworten, indem sie sich vorstellen, Tennis zu spielen (oben und unten links) – und mit „nein“, indem sie sich vorstellen, im Haus herumzulaufen (oben und unten rechts). (Courtesy of Adrian M. Owen, MRC Cognition and Brain Sciences Unit, University of Cambridge)
immer keine Ahnung, wie man einen mit Bewusstsein ausgestatteten Roboter baut. Die heutige kognitive Neurowissenschaft, welche als interdisziplinäre Disziplin die Gehirnfunktionen mit Denkprozessen verknüpft, setzt dennoch bestimmte Gehirnzustände in Beziehung zu Bewusstseinserfahrungen (Koch et al., 2016). Eine beeindruckende Demonstration von Bewusstsein zeigt sich in Ultraschallbildern des Gehirns einer 23-jährigen Patientin. Die Frau zeigt seit einem Autounfall keine äußerlichen Zeichen einer bewussten Wahrnehmung (Owen, 2014; Owen et al., 2006). Als Forschende sie jedoch darum baten, sich vorzustellen, dass sie Tennis spielt, zeigten fMRT-Scans eine Gehirnaktivität in den Bereichen, die normalerweise die Bewegung von Armen und Beinen steuert (. Abb. 4.2). Die Forscher:innen schlossen daraus, dass das Gehirn – und der Verstand – selbst in einem bewegungslosen Körper aktiv sein kann. In einer weiterführenden Analyse mit 42 Patient:innen, die nicht antworten können, zeigten 13 davon ebenfalls sinnvolle Gehirnaktivitäten auf Fragen (Stender et al., 2014). Viele kognitive Neurowissenschaftler:innen erforschen und verorten die Bewusstseinsfunktionen des Kortex. Ausgehend von Ihren kortikalen Aktivitätsmustern können sie nun sogar Ihre Gedanken lesen – natürlich nur in bestimmtem Maße (Bor, 2010). So können sie z. B.
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
104
4
..Abb. 4.3 Ablenkung beim Fahren. In Fahrsimulationsexperimenten machen Fahrer, die durch Handygespräche abgelenkt sind, häufiger Fehler. (© Claudia Styrsky)
sagen, welches von zehn ähnlichen Objekten Sie gerade anschauen (Shinkareva et al., 2008). Bewusste Erfahrungen werden durch synchrone Aktivitäten im Gehirn hervorgerufen (Chennu et al., 2014; Gaillard et al., 2009; Schurger et al., 2010). Wenn ein Reiz genug aufeinander abgestimmte Nerven im Gehirn aktiviert – während starke Signale in einem Gehirnbereich an anderer Stelle eine Aktivität auslösen – so übertritt er die Schwelle zum Bewusstsein. Ein schwächerer Reiz – vielleicht ein Wort, das nicht bewusst wahrgenommen wird – löst eventuell nur Aktivitäten in der näheren Umgebung des visuellen Kortex aus, wird jedoch nicht weitergeleitet. Ein stärkerer Reiz wird in andere Gehirnbereiche eindringen, z. B. in solche, die für Sprache, Aufmerksamkeit und Gedächtnis zuständig sind. Diese zurückstrahlenden Aktivitäten, die sich durch Ultraschallbilder des Gehirns nachweisen lassen, sind ein Musterbeispiel für bewusste Wahrnehmung (Boly et al., 2011; Silverstein et al., 2015). Zum Beispiel erfordert die Wahrnehmung des eigenen Körpers eine Kommunikation zwischen mehreren Hirnarealen (Blanke, 2012; Olivé et al., 2015). Wie genau jedoch die synchrone Aktivität Bewusstsein hervorruft – wie also die Materie den Verstand erschafft – bleibt ein Rätsel. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Diejenigen, die in dem interdisziplinären Bereich der ___ arbeiten, untersuchen den Zusammenhang zwischen Gehirnaktivität und Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis sowie Sprache.
4.1.3
Selektive Aufmerksamkeit
?? 4.2 Wie lenkt selektive Aufmerksamkeit unsere Wahr-
nehmung?
..Abb. 4.4 Selektive Aufmerksamkeit im Straßenverkehr. (© Bill Whitehead/Search ID: CS202371, Rights Available from CartoonStock.com)
Selektive Aufmerksamkeit bedeutet, dass wir unser Bewusstsein in jedem Moment – wie im Licht eines Scheinwerfers – immer nur auf einen begrenzten Aspekt von all dem richten, was wir erleben. Wir denken vielleicht, dass wir einem Gespräch oder einer Vorlesung in der Klasse uneingeschränkt folgen können, während wir Nachrichten lesen und beantworten. Tatsächlich konzentriert sich unser Bewusstsein aber immer nur auf eine einzelne Sache auf einmal. Einer Schätzung zufolge nehmen unsere fünf Sinne pro Sekunde 11.000.000 Bits an Informationen auf, von denen wir bewusst nur etwa 40 Bits verarbeiten (Wilson, 2002). Intuitiv macht die unbewusste Spur unseres Verstandes jedoch auch von den anderen 10.999.960 Bits Gebrauch. Selektive Aufmerksamkeit („selective attention“) – Kon-
zentration des Bewusstseins auf einen bestimmten Stimulus, wie etwa beim Cocktailpartyeffekt. Was erregt unsere begrenzte Aufmerksamkeit? Dinge, die wir für wichtig erachten. Ein klassisches Beispiel für selektive Aufmerksamkeit ist der sogenannte Cocktailpartyeffekt – Ihre Fähigkeit, sich im Stimmengewirr auf nur eine Stimme zu konzentrieren. Was passiert jedoch, wenn eine andere Stimme Ihren Namen ausspricht? Ihr kognitiver Radar wird Ihnen auf der unbewussten Spur Ihres Verstandes (und in Ihrem rechten frontalen Kortex) sofort diese Stimme zu Bewusstsein bringen (Demeter & Woldorff, 2016). Dieser Effekt hätte vielleicht eine peinliche und zugleich gefährliche Situation im Jahre 2009 verhindern können, als zwei Piloten der Northwest Airlines „sich in der Zeit vertan haben“. Konzentriert auf ihre Laptops und vertieft in ein Gespräch, ignorierten
4.1 • Gehirnzustände und Bewusstsein
105
..Abb. 4.5 Blindheit durch Unaufmerksamkeit. Die Zuschauer:innen, welche die Würfe der drei Basketballspieler in den schwarzen Trikots beobachteten, bemerkten in der Regel nicht, dass eine junge Frau mit einem Regenschirm über den Bildschirm schlenderte (Neisser, 1979)
sie die verzweifelten Rufe der Fluglots:innen, während sie 150 Meilen an ihrem Ziel Minneapolis vorbeiflogen. Wenn die Fluglotsen doch nur gewusst hätten, dass sie nur die Namen der Piloten hätten nennen müssen, um deren Aufmerksamkeit zu bekommen.
Selektive Aufmerksamkeit und Unfälle Haben Sie, wie 60 % der amerikanischen Autofahrer:innen, im letzten Monat beim Fahren eine Nachricht gelesen oder gesendet oder eine Navi-App auf ihrem Handy benutzt (Glicklich, 2016)? Dies führt dazu, dass Ihre selektive Aufmerksamkeit zwischen der Straße und seiner elektronischen Konkurrenz hin und her wechseln. In der Tat verschiebt sich unsere Aufmerksamkeit öfter, als uns bewusst ist. Bei einer Studie blieben die Teilnehmer 28 Minuten lang in einem Raum mit vollem Internetund Fernsehzugang. Im Durchschnitt schätzten sie, dass ihre Aufmerksamkeit 15-mal umgeschaltet wurde. Aber sie lagen nicht einmal annähernd richtig. Mittels EyeTracking wurden 8-mal so viele Aufmerksamkeitswechsel festgestellt – insgesamt 120 (Brasel & Gips, 2011). Schnelles Umschalten zwischen verschiedenen Tätigkeiten ist in der heutigen Zeit der große Gegner einer anhaltenden, konzentrierten Aufmerksamkeit. Wir bezahlen für zu schnelles Fahren, insbesondere wenn komplexe Aufgaben hinzukommen, wie z. B. andere Autos wahrnehmen und einen Zusammenstoß vermeiden. Die Gebühr ist eine leichte, manchmal fatale Verspätung in der Bewältigung (Rubenstein et al., 2001). Wenn der Fahrer in ein Gespräch verwickelt ist, nimmt die Gehirnaktivität in den Bereichen, die wichtig beim Fahren sind, um durchschnittlich 37 % ab (Just et al., 2008). Etwa 28 % der Verkehrsunfälle passieren, weil die Fahrer:innen mit dem Handy telefonieren oder Nachrichten schreiben – etwas, das einer von vier Fahrern zugibt zu tun (NSC, 2010; Pew, 2011; . Abb. 4.3).
Eine Videokamerastudie mit jugendlichen Fahrer:innen ergab, dass die Person am Steuer bei 58 % der Unfälle kurz vorher von Beifahrer:innen oder Handys abgelenkt wurde (AAA, 2015). Mit Beifahrern zu sprechen, erhöht das Risiko eines Autounfalls um das 1,6-fache. Beim Telefonieren mit dem Handy (auch mit einer Freisprechanlage) ist das Risiko viermal höher – gleich dem Risiko von Trunkenheit am Steuer (McEvoy et al., 2005, 2007). Noch gefährlicher als Reden ist das Schreiben am Steuer. In einer Studie wurden Langstreckenfahrer:innen 18 Monate lang beobachtet. Die Videokameras in den Fahrerkabinen zeigten, dass, wenn die Fahrenden Nachrichten auf dem Handy schrieben, das Risiko eines Unfalls 23mal höher war (Olson et al., 2009)! Viele europäische Länder und die meisten amerikanischen Bundesstaaten und kanadischen Provinzen verbieten mittlerweile das Nachrichtenschreiben während des Fahrens (CBC News, 2014; Rosenthal, 2009). Wenn Sie also das nächste Mal hinter dem Steuer sitzen, verzichten Sie auf das Texten. Ihre Beifahrenden werden es Ihnen danken (. Abb. 4.4).
Blindheit durch Unaufmerksamkeit Auf dem Level der bewussten Aufmerksamkeit sind wir „blind“ gegenüber dem Großteil der visuellen Reize. Neisser (1979) sowie Becklen und Cervone (1983) demonstrierten diese Blindheit durch Unaufmerksamkeit (oder auch Unaufmerksamkeitsblindheit) auf eindrucksvolle Weise. Sie zeigten Versuchspersonen ein einminütiges Video von drei Basketballspielern, drei in schwarzen Trikots und drei in weißen Trikots, die einen Basketball hin und her warfen. Die Zuschauer wurden gebeten, jedes Mal einen Knopf zu drücken, wenn zwischen den Spielern im schwarzen Trikot ein Ballwechsel stattfand. Etwa nach der Hälfte des Videos schlenderte eine junge Frau mit einem Regenschirm über den Bildschirm (. Abb. 4.5). Die meisten hatten ihre Aufmerksamkeit so vollständig
4
106
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
auf die Spieler im schwarzen Trikot konzentriert, dass sie die Frau gar nicht bemerkten. Als ihnen das Video noch gespielt wurde, waren die Versuchspersonen erstaunt, sie zu sehen (Mack & Rock, 2000). Diese Blindheit durch Unaufmerksamkeit ist ein Nebenprodukt eines Prozesses, in dem wir sehr gut sind: die Aufmerksamkeit auf einen bestimmten Teil unserer Umwelt zu fokussieren.
4
Blindheit durch Unaufmerksamkeit (auch Unaufmerksamkeitsblindheit; „inattentional blindness“) – Die Unfähig-
keit, sichtbare Objekte zu sehen, wenn die Aufmerksamkeit woanders ist. Bei einer Wiederholung des Experiments schickten Forschende einen Assistenten im Gorillakostüm durch eine Gruppe herumwirbelnder Basketballspieler (Simons & Chabris, 1999). Bei seinem fünf bis neun Sekunden dauernden Komparsenauftritt hielt der Gorilla inne und trommelte sich auf die Brust. Doch der Gorilla stahl den Spielern nicht die Show: Die Hälfte der Teilnehmenden, die gewissenhaft die Ballwechsel im Spiel zählten, sah den Gorilla nicht. Psycholog:innen amüsieren sich gerne und haben dies auch weiterhin mit unsichtbaren Gorillas getan. Bei einer Studie über „Taubheit durch Unaufmerksamkeit“ wurde den Teilnehmer:innen, gesondert für jedes Ohr, je eine Aufnahme von sprechenden Männern und von sprechenden Frauen vorgespielt. Als Freiwillige angewiesen wurden, den Frauen Aufmerksamkeit zu schenken, hörten 70 % von ihnen 19 Sekunden lang nicht, wie einer der Männer immer wieder „Ich bin ein Gorilla“ sagte (Dalton & Fraenkel, 2012). Und als 24 Radiolog:innen in Lungenscans nach Krebsknötchen suchten, übersahen 20 von ihnen den Gorilla, der oben rechts in . Abb. 4.6 hinzugefügt ist, obwohl sie dank ihres Fokus das viel winzigere Krebsgewebe erkennen konnten (Drew et al., 2013). Die ernste Seite dieser scheinbaren psychologischen Streiche: Aufmerksamkeit ist stark selektiv. Ihr bewusster Verstand ist nur an einem Ort zur gleichen Zeit. Die meisten Menschen bemerken eine andere Person im Gorilla- oder Clownskostüm nicht, während ihre Aufmerksamkeit woanders gefesselt ist – im Hinblick auf diese Tatsache kann man sich den Spaß vorstellen, den andere bei der Manipulation unserer selektiven Aufmerksamkeit haben können. Lenke die Aufmerksamkeit der Zuschauenden in eine bestimmte Richtung und sie werden die Hand, die in die Tasche gleitet, nicht bemerken. „Jedes Mal, wenn du einen Zaubertrick vorführst, arbeitest du in der experimentellen Psychologie“, sagt der Magier und Meister der Verstandsverwirrungsmethoden Teller (2009). Auch gewiefte Kriminelle wissen das. Ein schwedischer Psychologe wurde in Stockholm von einer Frau überrascht, die ihren nackten Körper entblößte; erst später erkannte er, dass er von Langfingern, die die Grenzen unserer selektiven Aufmerksamkeit erkannten, überlistet worden war (Gallace, 2012).
..Abb. 4.6 Der unsichtbare Gorilla schlägt wieder zu. Bei wiederholter Einblendung des Gorillas oben rechts (rot eingekreist), haben Radiolog:innen, die nach viel winzigeren Krebsknötchen suchten, ihn in der Regel nicht gesehen (Drew et al., 2013, © 2013 Association for Psychological Science)
» „Hat eine Generation von Textern, Internetsurfern und
Twitterern die beneidenswerte Fähigkeit entwickelt, mehrfache Stränge neuer Informationen gleichzeitig zu verarbeiten? Die meisten kognitiven Psychologen bezweifeln es.“ Steven Pinkler, Not At All (2010)
In anderen Experimenten zeigten Menschen eine Form der Unaufmerksamkeitsblindheit, die als Veränderungsblindheit bezeichnet wird. Indem sie unsere Aufmerksamkeit selektiv auf die Bewegung der linken Hand lenken, bemerken wir Änderungen mit der rechten Hand nicht. In Laborversuchen bemerkten Zuschauende nach einer kurzen Unterbrechung des Blickkontakts nicht, dass sich die Kleiderfarbe einer Person geändert hatte, eine große Cola-Flasche von der Szene verschwunden oder ein Geländer höher geworden war – und Bauarbeiter die Positionen gewechselt hatten (Chabris & Simons, 2010; Resnick et al., 1997; . Abb. 4.7). Aus den Augen, aus dem Sinn. Veränderungsblindheit („change blindness“) – Unfähig-
keit, Veränderungen in der Umgebung wahrzunehmen; eine Art von Blindheit durch Unaufmerksamkeit Ein schwedisches Forschungsteam entdeckte, dass sich die Blindheit der Menschen auf ihre eigenen Entscheidungen erstreckt. Petter Johansson und seine Kollegen (2005, 2014) zeigten 120 Freiwilligen zwei weibliche Gesichter und fragten, welches Gesicht attraktiver sei.
107
4.1 • Gehirnzustände und Bewusstsein
a
b
..Abb. 4.7 a–c Veränderungsblindheit. a Während der Mann rechts einem Passanten mit Karte einen Weg erklärt, b drängen sich zwei eingeweihte Mitarbeiter der Versuchsleitung, die eine Tür tragen, plump zwischen ihnen hindurch. c Bei dieser Unterbrechung wird der
c ursprüngliche Passant durch eine andere Person mit andersfarbigen Kleidern ersetzt. Die meisten Menschen, die darauf konzentriert sind, Anweisungen zu geben, bemerken gar nicht, dass die Personen ausgetauscht wurden (Simons & Levin, 1998)
a
b
c
d
..Abb. 4.8 a–d Wahlblindheit. Die Forschenden Lars Hall, Petter Johansson und andere (2010) baten Leute, aus zwei Gesichtern ihren Favoriten zu wählen. Gelegentlich fragten sie die Leute danach, ihre
Wahl des nicht gewählten Fotos zu erklären. Die meisten – die den Wechsel nicht bemerkten – taten dies bereitwillig. (© Mark Hanlon)
Nachdem sie beide Fotos umgedreht hatten, überreichten sie den Betrachtenden das ausgewählte Gesicht und baten sie, zu erklären, warum sie es bevorzugten. Bei 3 von 15 Gelegenheiten vertauschten die Forschenden jedoch heimlich die Fotos, sodass die Betrachter:innen das Gesicht, das sie nicht ausgesucht hatten, zu sehen bekamen (. Abb. 4.8). Die Menschen bemerkten den Wechsel nur in 13 % der Fälle und erklärten bereitwillig, warum sie das Gesicht bevorzugten, das sie eigentlich abgelehnt hatten. „Ich habe sie gewählt, weil sie lächelt“, sagte eine Person (nachdem sie sich für das ernst blickende Gesicht entschieden hatte). Auf die Frage, ob sie einen solchen Wechsel in einem „hypothetischen Experiment“ bemerken würden, bestanden 84 % darauf, dies zu tun. Veränderungstaubheit kann ebenfalls auftreten. In einem Experiment bemerkten 40 % der Personen, die
sich darauf konzentrierten, eine Liste von gesprochenen Wörtern zu wiederholen, keine Veränderung bei der sprechenden Person (Vitevitch, 2003). In zwei anschließenden Telefoninterviewexperimenten bemerkten nur 2 von 40 Personen, dass die Interviewerin nach der dritten Frage wechselte – ein Wechsel, der auffiel, wenn man davor gewarnt wurde (Fenn et al., 2011). Einige Stimuli sind jedoch so stark, so auffallend deutlich, dass wir ein Popout erleben. Als zum Beispiel die weibliche Telefoninterviewerin zu einem männlichen Interviewer wechselte, haben es praktisch alle bemerkt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Erklären Sie drei Aufmerksamkeitsprinzipien, mit denen Magier uns täuschen können.
4
108
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
4.1.4 Parallelverarbeitung:
Der zweigleisige Verstand
?? 4.3 Was versteht man in der Kognitiven Neurowissen-
schaft unter Parallelverarbeitung?
4
Herauszufinden, welche Gehirnregion bei einem bestimmten bewussten Erlebnis aktiv wird, ist für viele Menschen interessant, aber nicht überaus erstaunlich. (Wenn alles Psychologische gleichzeitig biologisch ist, dann müssen all unsere Ideen, Emotionen und Spiritualität in irgendeiner Weise enthalten sein.) Was für viele wirklich erstaunlich ist, ist der zunehmend sichere Beweis, dass wir sozusagen ein zweigeteiltes Bewusstsein haben, wobei jeder Teil von seiner eigenen neuronalen Ausstattung unterstützt wird. Zu jeder Zeit nehmen wir kaum mehr als das, was auf der Oberfläche unseres Bewusstseins ist, wahr. Aber unterhalb der Oberfläche findet unbewusste Informationsverarbeitung auf mehreren parallelen Ebenen gleichzeitig statt. Wenn wir einen Vogel fliegen sehen, ist uns das Ergebnis unserer kognitiven Verarbeitung bewusst („Es ist ein Kolibri!“), nicht aber die unterschwellige Verarbeitung der Informationen. Unbewusst nehmen wir wahr, welche Farbe und Form der Vogel hat, wie er fliegt und wie weit er entfernt ist. Eine der bedeutendsten Ideen der modernen kognitiven Neurowissenschaft ist, dass ein Großteil unserer Gehirnarbeit unbewusst abläuft, ohne dass wir es mitbekommen. Wahrnehmung, Gedächtnis, Denken, Sprache und Verhalten laufen alle auf zwei Spuren ab – einer bewussten, reflektierten Spur und einer unbewussten, automatischen Spur (Evans & Stanovich, 2013; Kahneman, 2011). Heutige Forscher:innen nennen dies Parallelverarbeitung. Wir wissen mehr, als wir glauben zu wissen. Parallelverarbeitung („dual processing“) – Prinzip, dass
Informationen oftmals gleichzeitig auf getrennten bewussten und unbewussten Spuren verarbeitet werden. Wenn Sie Autofahren können, überlegen Sie, wie Sie sich auf die rechte Fahrspur bewegen. Autofahrer:innen wissen dies unbewusst, können es aber nicht genau erklären (Eagleman, 2011). Die meisten sagen, sie würden nach rechts abbiegen und dann geradeaus fahren – ein Verfahren, das sie tatsächlich von der Straße lenken würde. In Wirklichkeit drehen erfahrene Personen, nachdem sie sich nach rechts bewegt haben, das Lenkrad automatisch genauso weit links von der Mitte zurück und kehren erst dann wieder in die Mittelposition zurück. Die Lektion: Das menschliche Gehirn ist ein Gerät zur Umwandlung von bewusstem in unbewusstes Wissen. Oder betrachten Sie diese Geschichte, die zeigt, wie Wissenschaft seltsamer sein kann als Science Fiction. Während meiner Aufenthalte in Schottland an der Uni-
versity of St. Andrews lernte ich [DM] die Neurowissenschaftler David Milner und Melvyn Goodale (2008) kennen. Sie untersuchten eine Frau aus dem Ort, die, nachdem sie einer großen Menge Kohlenmonoxid ausgesetzt war, einen Gehirnschaden erlitt, sodass sie Objekte weder visuell erkennen noch unterscheiden konnte. Bewusst konnte sie nichts mehr sehen. Dennoch zeigte sie „blindes Sehen“ – sie verhielt sich so, als könnte sie sehen. Auf die Bitte, sie solle eine Postkarte in einen vertikalen oder horizontalen Briefschlitz stecken, tat sie dies ohne Fehler. Obwohl sie nicht die Größe eines vor ihr liegenden Schreibblocks sagen konnte, griff sie nach diesem, als würde sie genau wissen, wo er liegt. Genauso werden Sie, wenn Ihr rechtes und Ihr linkes Auge unterschiedliche Bilder sehen, jeweils nur eines auf einmal bewusst wahrnehmen. Dennoch werden Sie ein gewisses Blindsehen des jeweils anderen zeigen (Baker & Cass, 2013). Blindes Sehen („blindsight“) – Zustand, in dem eine Per-
son auf einen visuellen Stimulus reagieren kann, ohne diesen bewusst zu erleben. Wie kann das sein? Haben wir nicht nur ein einziges visuelles System? Goodale und Milner wissen aus Tierexperimenten, dass das Auge Informationen gleichzeitig an verschiedene Gehirnbereiche sendet, welche wiederum unterschiedliche Aufgaben erfüllen (Weiskrantz, 2009, 2010). Sicherlich zeigt eine Schichtaufnahme vom Gehirn der genannten Frau normale Aktivitäten in den Bereichen, die für das Armausstrecken, Festhalten und Bewegen von Objekten zuständig sind, aber Schädigungen in jenen Bereichen, die für das bewusste Erkennen von Objekten benötigt werden1 (ein weiteres Beispiel sehen Sie in . Abb. 4.9). Wie seltsam komplex das Sehen doch ist, schlussfolgern Goodale und Milner in ihrem Buch mit dem treffenden Titel Sight Unseen. Wir mögen unser Sehvermögen als ein System zur Steuerung unserer visuell geleiteten Taten sehen, vielmehr ist es jedoch ein parallelverarbeitendes System (Foley et al., 2015): Eine visuelle Wahrnehmungsspur erlaubt es uns, „über die Welt zu denken“ – Dinge zu erkennen und unsere zukünftigen Taten zu planen – und eine visuelle Aktionsspur leitet unsere Bewegung in jedem Moment. Der zweigleisige Verstand tauchte auch bei einem Patienten auf, der aufgrund des Verlustes seines gesamten visuellen Kortex keine Objekte in seinem rechten Blickfeld sehen konnte. Dennoch konnte er den Ausdruck in anderen Gesichtern spüren, die er nicht bewusst wahrnahm (De Gelder, 2010). Das Gleiche gilt für Personen ohne Einschränkung des Sehvermögens, deren visueller 1
Würde nun ein umgekehrter Schaden gegenteilige Symptome auslösen? Tatsächlich gibt es einige solcher Patienten, die Objekte sehen und erkennen können, jedoch Schwierigkeiten beim darauf Zeigen oder danach Greifen haben.
4.1 • Gehirnzustände und Bewusstsein
..Abb. 4.9 Wenn Blinde „sehen“ können. In dieser beeindruckenden Demonstration von „blindem Sehen“ und zweigleisigem Verstand beobachtete der Forscher Lawrence Weiskrantz einen blinden Patienten, während dieser durch einen zugestellten Gang lief. Obwohl ihm gesagt wurde, der Gang wäre leer, umwanderte der Patient alle Hindernisse, ohne sie bewusst wahrzunehmen
Kortex nun jedoch mit Hilfe von magnetischer Stimulation abgeschaltet wird. Solche Befunde lassen vermuten, dass Gehirnbereiche unterhalb des Kortex emotionsbezogene Informationen verarbeiten. Menschen haben oftmals Schwierigkeiten zu verstehen, dass ein Großteil unseres alltäglichen Denkens, Fühlens und Handelns außerhalb unserer bewussten Wahrnehmung abläuft (Bargh & Chartrand, 1999). Etwa „80 bis 90 Prozent dessen, was wir tun, ist unbewusst“, sagt der Nobelpreisträger und Gedächtnisexperte Eric Kandel (2008). Wir sind verständlicherweise voreingenommen in unserem Glauben, dass unsere Intentionen und durchdachten Entscheidungen unser Leben bestimmen. Aber das tun sie nicht. Obwohl uns das Bewusstsein ermöglicht, willentliche Kontrolle durchzuführen und unsere inneren Befindlichkeiten mit anderen zu kommunizieren, so ist es doch nur die Spitze des Eisberges der Informationsverarbeitung. Fragen Sie einfach die Freiwilligen, die eine Karte gewählt haben, nachdem sie einem Magier beim Mischen des Kartendecks zugesehen haben (Olson et al., 2015b). In fast allen Fällen beeinflusste der Zauberer die Entscheidungen der Teilnehmer:innen, indem er eine Karte auf subtile Weise länger aufgedeckt ließ – 91 % der Teilnehmenden glaubten jedoch, dass sie die Entscheidung selbst getroffen hatten. Bei einer hohen Konzentration auf eine Tätigkeit (wie hoffentlich beim Lesen dieses Kapitels) übersteigt Ihre
109
..Abb. 4.10 Ist das Gehirn dem Denken voraus? In einer entsprechenden Studie beobachteten Freiwillige eine Uhr auf einem Computerbildschirm, deren Zeiger alle 2,56 Sekunden eine Umdrehung macht, und notierten die Zeit, in der sie sich entschieden, ihr Handgelenk zu bewegen. Ungefähr ein Drittel einer Sekunde, bevor sich eine Person entscheidet, sich zu bewegen, steigt die Aktivität der Hirnwellen stark an, was auf ein „Bereitschaftspotenzial“ zur Bewegung hindeutet. Wenn sich die Forscher:innen die Videobilder der Szene erneut in Zeitlupe ansehen, können sie vorhersagen, wann sich die Person in etwa entscheiden wird, sich zu bewegen – worauf sich das Handgelenk tatsächlich bewegen wird (Libet, 1985, 2004). Skeptiker stellen diese Methode allerdings in Frage (Miller et al., 2011)
absolute Gehirnaktivität nicht mehr als 5 % ihrer Ausgangsrate. Sogar wenn Sie schlafen, wirbelt Aktivität durch Ihren Kopf (Reichle, 2010). Hier ist ein weiterer seltsamer (und herausfordernder) Befund: Experimente zeigen, dass man die Entscheidung für die willentliche Bewegung des Handgelenkes ca. 0,2 Sekunden vor der tatsächlichen Bewegung erlebt (Libet, 1985, 2004). Das ist noch keine Überraschung. Aber die Aktivität Ihrer Gehirnwellen nimmt bereits 0,35 Sekunden vor Ihrer bewussten Entscheidung sprunghaft zu (. Abb. 4.10)! Die verblüffende Schlussfolgerung aus diesen Experimenten lautet: Das Bewusstsein kommt manchmal etwas zu spät zu der Party, auf der die Entscheidung getroffen wird. Diese Schlussfolgerung hat zu weiteren Untersuchungen und vielen Diskussionen geführt. Trifft unser Gehirn wirklich Entscheidungen, bevor wir davon wissen? Wenn ja, ist der freie Wille eine Illusion? Mit Hilfe von fMRT-Scans, EEG-Aufnahmen oder implantierten Elektroden scheinen einige Studien zu bestätigen, dass die Gehirnaktivität den Entscheidungen der Menschen, einen Knopf zu drücken oder eine Karte in einem vereinfachten Pokerspiel zu wählen, vorausgeht und hilft, diese vorherzusagen (Carter et al., 2012; Fried et al., 2011; Soon et al., 2008). Vielleicht können Sie sich als alltägliches Beispiel dafür, dass das Bewusstsein erst ankommt, nachdem „die meiste Arbeit bereits erledigt ist“
4
110
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
(Haynes, 2008), daran erinnern, dass Sie morgens im Bett lagen und wussten, dass Sie aufstehen sollten. Das Bett fühlt sich gut an, also verweilt man … bis man plötzlich beobachtet, wie man die Decke weglegt und sich aufrichtet. Hat Ihr Gehirn eine Millisekunde, bevor es Ihnen die Entscheidung ankündigte, bereits beschlossen aufzustehen? Andere Studien weisen jedoch darauf hin, dass die Hirnaktivität kontinuierlich ab- und zunimmt, auch während der Vorentscheidungsphase der Experimente, unabhängig davon, ob die Entscheidung getroffen und ausgeführt wird (Parkinson & Haggard, 2015; Schurger et al., 2012). Die eigentliche Entscheidung, sich zu bewegen, erfolgt, wenn die Hirnaktivität eine Schwelle überschreitet, die mit der durchschnittlichen „Wahrnehmungsdauer der Bewegungsabsicht“ zusammenfällt (etwa 0,15 Sekunden vor der Bewegung). Nach dieser Sichtweise sind die Entscheidung des Geistes und die Aktivität des Gehirns, wie die Problemlösung eines Computers und seine elektronische Aktivität, gleichzeitig und parallel. Unbewusste Parallelverarbeitung läuft schneller als der Reihe nach ablaufende bewusste Prozesse – beide sind jedoch notwendig. Parallel ablaufende Prozesse ermöglichen es Ihrem Verstand, sich um Routineaufgaben zu kümmern. Nacheinander ablaufende Prozesse eignen sich für die Lösung neuer Probleme, die unsere ungeteilte Aufmerksamkeit benötigen. Versuchen Sie einmal Folgendes: Falls Sie rechtshändig sind, bewegen Sie Ihren rechten Fuß kreisförmig gegen den Uhrzeigersinn und schreiben mit der rechten Hand mehrmals die Zahl 3 – beides gleichzeitig. Probieren Sie etwas vergleichbar Schweres: Klopfen Sie mit der linken Hand einen gleichmäßigen Rhythmus mit drei Schlägen, während Sie mit der rechten einen Rhythmus mit vier Schlägen klopfen. Beide Aufgaben erfordern bewusste Aufmerksamkeit, die zur gleichen Zeit nur auf eine Aufgabe gerichtet sein kann. Hat die Natur die Zeit geschaffen, damit nicht alles gleichzeitig geschieht, dann hat sie unser Bewusstsein geschaffen, damit wir nicht alles gleichzeitig denken und tun. Parallel ablaufende Prozesse („parallel processing“) –
Verarbeitung vieler Aspekte eines Problems gleichzeitig; wird im Allgemeinen verwendet, um gut gelernte Informationen zu verarbeiten oder einfache Probleme zu lösen. Nacheinander ablaufende Prozesse („sequential processing“) – Verarbeitung jeweils eines Aspekts eines
Problems; wird im Allgemeinen verwendet, um neue Informationen zu verarbeiten oder schwierige Probleme zu lösen. Indem unser Bewusstsein auf Autopilot läuft, kann es – als „Firmenchef“ des Verstandes – das gesamte System überwachen und auf neue Herausforderungen reagieren, während viele „Assistenten“ im Nervensystem automatisch die Routinearbeit erledigen. Das Gehirn und
der Körper eines geübten Tennisspielers reagieren automatisch auf einen nahenden Aufschlag, bevor er bewusst die Flugbahn des Tennisballs wahrnimmt – dies dauert etwa 0,3 Sekunden. Das gleiche gilt für andere talentierte Sportler:innen, bei denen die Aktion der Wahrnehmung vorausgeht. Zusammengefasst bedeutet dies: Im alltäglichen Leben funktionieren wir meist wie eine automatische Kamera, jedoch mit manueller (bewusster) Beeinflussung. In großen Mythen gibt es oft einfache Paare: die gute Cinderella und die böse Stiefmutter, die langsame Schildkröte und der schnelle Hase, der logische Sherlock Holmes und der emotionale Dr. Watson. Die Mythen haben bleibende Kraft, weil sie unsere menschliche Realität ausdrücken. Dualitäten sind wir. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welches sind die zwei Spuren des Verstandes und was bedeutet Parallelverarbeitung?
4.1.5
Rückblick: Gehirnzustände und Bewusstsein
Verständnisfragen
4.1 – Wo lässt sich das Bewusstsein in der Geschichte der
Psychologie verorten? 4.2 – Wie lenkt selektive Aufmerksamkeit unsere Wahrnehmung? 4.3 – Was versteht man in der Kognitiven Neurowissenschaft unter Parallelverarbeitung?
-----
Schlüsselbegriffe Bewusstsein Blindes Sehen Blindheit durch Unaufmerksamkeit Kognitive Neurowissenschaft Nacheinander ablaufende Prozesse Parallel ablaufende Prozesse Parallelverarbeitung Selektive Aufmerksamkeit Veränderungsblindheit
Master the Material 1. Das Unvermögen, sichtbare Objekte zu erkennen, weil unsere Aufmerksamkeit anderweitig beschäftigt ist, nennt man ___. 2. Wir registrieren und reagieren auf Reize außerhalb unserer Wahrnehmung mittels ___ Verarbeitung. Wenn wir uns gezielt auf Reize konzentrieren, benutzen wir ___ Verarbeitung. 3. Blindheit durch Unaufmerksamkeit ist das Ergebnis unserer ___ Aufmerksamkeit.
111
4.2 • Schlaf und Träume
4.2
Schlaf und Träume
?? 4.4 Was ist Schlaf ?
Schlaf – die unwiderstehliche Versuchung, der wir letztlich immer erliegen. Schlaf – der keinen Unterschied zwischen Präsidentin und Bauer macht. Schlaf – süßer, erholsamer und mysteriöser Schlaf. Während Sie schlafen, fühlen Sie sich vielleicht weit weg von allem, was um Sie herum passiert – aber das sind Sie nicht. Selbst wenn Sie tief und fest schlafen, ist Ihr Wahrnehmungsfenster ein Stück weit geöffnet. Sie bewegen sich auf Ihrem Bett, fallen aber nicht herunter. Während das Getöse des Müllwagens in meiner Nachbarschaft meinen [NDs] Schlaf nicht stört, unterbricht ihn der Schrei meines Babys jedes Mal. Auch das Ertönen Ihres Namens kann dazu führen, dass sich Ihr unbewusster Körper aufrichtet. EEG-Aufzeichnungen bestätigen, dass der auditorische Kortex sogar im Schlaf auf Geräuschreize reagiert (Kutas, 1990). Ob Sie nun wach sind oder schlafen – die meisten Informationen verarbeiten Sie außerhalb Ihrer bewussten Wahrnehmung.
» „Ich liebe es zu schlafen. Sie auch? Ist es nicht wunder-
bar? Es ist wirklich das Beste beider Welten. Man ist lebendig und unbewusst.“ Comedian Rita Rudner (1993)
Schlaf („sleep“) – periodischer, natürlicher Bewusstseins-
verlust – im Gegensatz zu Bewusstseinsverlusten, die durch Koma, Narkose oder Winterschlaf hervorgerufen werden (nach Dement, 1999) Die uralten Geheimnisse des Schlafs werden nun gelöst: Schlafforschende zeichnen die Gehirnwellen und die Muskelaktivität von Schlafenden auf, sie beobachten sie und wecken sie hin und wieder auf. Vielleicht können Sie einige ihrer Entdeckungen erahnen: Sind die folgenden Aussagen wahr oder falsch? 1. Wenn Menschen davon träumen, dass sie sich bewegen, bewegen sich ihre Glieder häufig im Gleichklang mit dem Traum. 2. Ältere Erwachsene schlafen mehr als jüngere Erwachsene. 3. Schlafwandelnde spielen ihren Trauminhalt nach. 4. Schlafexpert:innen raten, Schlaflosigkeit mit der gelegentlichen Einnahme eines Schlafmittels zu behandeln. 5. Manche Menschen träumen jede Nacht, andere fast nie. Alle diese Aussagen (nach Palladino & Carducci, 1983) sind falsch. Warum das so ist, werden Sie gleich erfahren.
4.2.1
Biologischer Rhythmus und Schlaf
Wie der Ozean folgt auch das Leben einer Art Gezeitenrhythmus. Unsere Körperfunktionen folgen einem Rhythmus, und so auch unser Seelenleben. Zwei dieser biologischen Rhythmen wollen wir genauer betrachten: unsere biologische 24-Stunden-Uhr und unsere 90-minütigen Schlafphasen.
Zirkadianer Rhythmus ?? 4.5 Wie beeinflussen unsere biologischen Rhythmen
unser alltägliches Leben?
Der Rhythmus eines Tages ähnelt dem des Lebens – vom Aufwachen bei der Geburt eines neuen Tages zur allnächtlichen Rückkehr zum „Abbild des Todes“, wie Shakespeare den Schlaf nannte. Unsere Körper passen sich dem 24-Stunden-Rhythmus von Tag und Nacht annähernd mit Hilfe einer biologischen Uhr an, die als zirkadiane Rhythmik bezeichnet wird (lat. „circa“ = ungefähr, „dies“ = Tag). Unsere Körpertemperatur steigt an, wenn sich der Morgen nähert, erreicht ihren Höhepunkt mitten am Tag, sinkt am frühen Nachmittag für kurze Zeit ab (dann halten viele Menschen einen Mittagsschlaf oder trinken ein koffeinhaltiges Getränk) und fällt noch weiter in den Abendstunden. Unser Denken und unser Gedächtnis funktionieren am besten, wenn wir uns auf dem Höhepunkt unseres zirkadianen Aktivierungsniveaus befinden. Wenn Sie die ganze Nacht durchmachen oder in der Nachtschicht arbeiten, werden Sie sich mitten in der Nacht am müdesten fühlen, aber zu ihrer gewöhnlichen Aufstehzeit neue Energie gewinnen. Zirkadiane Rhythmik („circadian rhythm“) – unsere bio-
logische Uhr; reguläre Rhythmik der Körperfunktionen (z. B. der Körpertemperatur und des Wachzustands) in einem 24-stündigen Zyklus. Alter und Erfahrung können unseren zirkadianen Rhythmus verändern. Die meisten 20-Jährigen sind nachtaktive „Eulen“ (May & Hasher, 1998), deren Leistungsfähigkeit normalerweise im Laufe des Tages immer besser wird. Die meisten älteren Menschen sind dagegen „Lerchen“, die den frühen Morgen lieben. Ihre Leistungsfähigkeit lässt im Laufe des Tages nach. In Altersheimen ist es am frühen Abend schon ruhig, während für viele junge Erwachsene der Tag erst so richtig beginnt. Der Übergang von „Eule“ zu „Lerche“ setzt etwa im Alter von 20 Jahren ein, bei Frauen ein wenig eher (Roenneberg et al., 2004). Bei Frauen ist der frühere Übergang auch damit zu erklären, dass sie Kinder haben und zudem in die Menopause kommen (Leonhard & Randler, 2009; Randler & Bausback, 2010). Generell neigen Nachtmenschen dazu, intelligent und kreativ zu sein (Giampietro
4
112
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
..Abb. 4.11 Messung der Schlafaktivität. Schlafforschende messen die Aktivität der Gehirnwellen, Augenbewegungen und die Muskelspannung über Elektroden, die selbst schwache elektrische Signale von Gehirn, Augen und Gesichtsmuskeln registrieren (Dement, 1978)
Bewegungen linkes Auge Bewegungen rechtes Auge EMG (Muskelspannung)
4 EEG (Gehirnwellen)
& Cavallera, 2007). Die Morgenmenschen sind oftmals besser in der Schule, zeigen mehr Initiative, sind pünktlicher und weniger anfällig für Depressionen (Preckel et al., 2013; Randler, 2008, 2009; Werner et al., 2015).
Schlafstadien
REM-Schlaf („REM sleep“) – Schlafphase, in der sich die
Augen schnell bewegen („rapid eye movements“). In diesem sich wiederholenden Schlafstadium kommt es in der Regel zu lebhaften Träumen. Der REM-Schlaf wird auch als paradoxer Schlaf bezeichnet, weil die Muskeln entspannt sind (kleinere Zuckungen ausgenommen), andere Körperfunktionen aber aktiv.
?? 4.6 Wie sieht der biologische Rhythmus unserer
Schlaf- und Traumstadien aus?
Wenn uns der Schlaf früher oder später übermannt und die verschiedenen Teile des Kortex aufhören, miteinander zu kommunizieren, lässt das Bewusstsein nach (Massimini et al., 2005). Dennoch bleibt das schlafende Gehirn aktiv und folgt seinem eigenen biologischen Rhythmus. Etwa alle 90 Minuten durchlaufen wir vier verschiedene Schlafstadien. Diese grundlegende Erkenntnis war nicht bekannt, bis der 8-jährige Armond Aserinsky eines Nachts im Jahre 1952 zu Bett ging. Sein Vater Eugene, der an der Universität von Chicago studierte, musste einen Elektroenzephalografen testen, den er tags zuvor repariert hatte (Aserinsky, 1988; Seligman & Yellen, 1987). Er befestigte die Elektroden nahe Armonds Augen, um die Augenbewegungen aufzuzeichnen, die angeblich im Schlaf auftraten. Kurz darauf arbeitete das Gerät wie wild und produzierte eine große Zickzacklinie auf dem Papier. War die Maschine etwa immer noch kaputt? Im weiteren Verlauf der Nacht trat die Aktivität in regelmäßigen Abständen immer wieder auf. Aserinsky schloss daraus, dass die schnellen, ruckartigen Augenbewegungen von einer energetischen Gehirnaktivität begleitet wurden. Als Armond während einer solchen Phase aufwachte, berichtete er von einem Traum. Aserinsky hatte das entdeckt, was wir heute als REM-Schlaf bezeichnen („rapid eye movements“ = Schlaf mit schnellen Augenbewegungen).
Ähnliche Testverfahren mit tausenden Freiwilligen haben gezeigt, dass diese Zyklen ein normaler Bestandteil des Schlafes sind (Kleitman, 1960). Um diese Studien nachvollziehen zu können, versetzen Sie sich doch einmal selbst in die Lage einer solchen Versuchsperson. Mit fortschreitender Zeit werden Sie immer müder und gähnen in Folge eines herabgesetzten Gehirnstoffwechsels. Das Gähnen streckt die Muskulatur in Ihrem Nacken und erhöht die Frequenz Ihres Herzschlags, wodurch Sie wieder etwas wacher werden (Moorcroft, 2003). Wenn Sie nun kurz vor dem Einschlafen sind, befestigt die Untersuchungsleitung Elektroden an Ihrem Kopf (um Ihre Gehirnwellen zu messen), an Ihrem Kinn (um dort die Muskelspannung festzustellen) und direkt neben den Augen (um Ihre Augenbewegungen zu registrieren) (. Abb. 4.11). Zusätzliche Messinstrumente erfassen Ihren Herzschlag, Ihren Atemrhythmus und den Grad der sexuellen Erregung. Während Sie mit geschlossenen Augen im Bett liegen, man im Nebenzimmer auf dem EEG die relativ langsamen α-Wellen (Alphawellen) beobachten (. Abb. 4.12), die auftreten, wenn Sie sich in einem entspannten Wachzustand befinden (. Abb. 4.13). Während Sie sich an all die Gerätschaften gewöhnen und schließlich müde werden, gleiten Sie allmählich in den Schlaf (. Abb. 4.14). Der Übergang in den Schlaf ist gekennzeichnet durch eine verlangsamte Atmung sowie durch die unregelmäßige Hirnwellenaktivität des 1. Schlafstadiums. Laut der Klassifikation der Schlafstadien der neuen American
113
4.2 • Schlaf und Träume
Wach, Betawellen Wach, Alphawellen
100 nV
NREM-1
NREM-2
NREM-3 ..Abb. 4.12 Alpha-Wellen. (© Sidney Harris/Search ID: CS444089, Rights Available from CartoonStock.com)
Academy of Sleep Medicine wird dieses Stadium als NREM-1 bezeichnet (Silber et al., 2007).
REM
>>Delfine, Schweinswale und Wale schlafen immer nur mit
einer Seite des Gehirns (Miller et al., 2008). 6 sek
Alphawellen (α-Wellen; „alpha waves“) – relativ langsame
Hirnwellen, die kennzeichnend für einen entspannten Wachzustand sind. An einer seiner 15.000 schlafenden Versuchspersonen beobachtete der Schlafforscher Dement (1999) den Zeitpunkt, an dem sich das Wahrnehmungsfenster des Gehirns zur Außenwelt schließt. Dement bat einen jungen Mann, dem man den Schlaf entzogen hatte und dem man künstlich die Augenlider offen hielt, immer dann eine Taste zu drücken, wenn ihn der Lichtreiz eines Stroboskops blendete – dies geschah ca. alle 6 Sekunden. Nach ein paar Minuten verpasste er einen Lichtreiz und reagierte nicht. Als er nach dem Grund gefragt wurde, antwortete er: „Weil kein Lichtreiz da war.“ Er hatte den Lichtreiz übersehen, weil er für 2 Sekunden eingeschlafen war – das Muster seiner Gehirnwellen verriet dies. Ohne es zu merken, entging ihm damit nicht nur der 20 cm von seiner Nase entfernte Lichtreiz, sondern auch die Wahrnehmung des Augenblicks, in dem er eingeschlafen war. Während dieses leichten NREM-Schlafes (non-REM Schlafes) nehmen Sie unter Umständen faszinierende Bilder wahr, die an Halluzinationen erinnern – sensorische Eindrücke, die ohne sensorische Reizaufnahme erlebt werden. Sie mögen das Gefühl haben zu fallen (dann zuckt Ihr Körper vielleicht plötzlich) oder schwerelos dahinzuschweben. Solche „hypnoiden“ Empfindungen
..Abb. 4.13 Gehirnwellen und Schlafstadien. Die Betawellen des alarmierten Wachzustandes sowie die regelmäßigen Alphawellen des entspannten Wachzustandes unterscheiden sich deutlich von den langsameren, stärker ausgeprägten Deltawellen des Tiefschlafs im 4. Schlafstadium. Obwohl die hochfrequenten Wellen des REMSchlafs den Wellen im 1. Schlafstadium ähnlich sind, ist der Körper während des REM-Schlafs innerlich deutlich stärker erregt als im NREM (non-REM)-Schlaf. (Rebecca Spencer, University of Massachusetts, half bei dieser Abbildung)
können später als Teile von Erinnerungen wieder auftauchen. Menschen, die behaupten, von Außerirdischen entführt worden zu sein – oft kurz, nachdem sie zu Bett gegangen waren – berichten häufig, aus ihren Betten emporgeschwebt oder an ihr Bett geheftet zu sein (Clancy, 2005; McNally, 2012). Halluzinationen („hallucinations“) – irrtümliche sensori-
sche Wahrnehmungen, wie etwa das Sehen von Objekten ohne äußere visuelle Reize. >>Um Ihre eigene hypnagoge Erfahrung zu machen, kön-
nen Sie die Snooze-Funktion Ihres Weckers benutzen.
Kurz nach dem 1. Schlafstadium vertieft sich Ihre Entspannung und Sie verbringen ungefähr 20 Minuten im 2. Schlafstadium NREM-2. Dieses ist gekennzeichnet
4
114
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
Schlaf
1s
..Abb. 4.14 Der Moment des Einschlafens. Wir scheinen uns des Moments des Einschlafens nicht bewusst zu sein, aber jemand, der unsere Gehirnaktivität beobachtet, könnte ihn bestimmen (Dement, 1999)
4
durch periodische, kurzfristig stark ansteigende rhythmische Aktivitäten der Gehirnwellen, sog. Schlafspindeln. Obwohl Sie während dieses Stadiums immer noch relativ einfach aufzuwecken sind, schlafen Sie bereits eindeutig. Anschließend gehen Sie über in das 3. Schlafstadium NREM-3. Während dieser etwa 30 Minuten andauernden Tiefschlafphase strahlt Ihr Gehirn stark ausgeprägte, langsame Deltawellen ab – Sie sind nun sehr schwer zu wecken. Am Ende dieser Tiefschlafphase kann es vorkommen, dass Kinder das Bett nässen. Deltawellen (δ-Wellen; „delta waves“) – langsame Hirnwellen mit großer Amplitude. δ-Wellen gehen mit Tiefschlaf einher.
REM-Schlaf Ungefähr eine Stunde, nachdem Sie eingeschlafen sind, geschieht etwas Merkwürdiges. Anstatt in den Tiefschlaf überzugehen, tauchen Sie aus ihrem anfänglichen Schlafstadium wieder auf. Sie kehren zurück zum NREM-2Schlaf (in dem Sie fast die Hälfte der Nacht verbringen) und treten dann in die faszinierendste der vier Schlafphasen ein, den REM-Schlaf (. Abb. 4.15). Für etwa 10 Minuten sind Ihre Hirnwellen schnell und zackenförmig ausgeprägt, ungefähr so wie in der 1. Schlafphase. Aber im Gegensatz zum 1. Schlafstadium schlägt ihr Herz während des REM-Schlafs schneller, zudem atmen Sie schneller und unregelmäßiger. Dazu bewegen sich Ihre Augäpfel ungefähr alle 30 Sekunden ruckartig. Diese Augenbewegungen kündigen den Beginn eines Traums an, welcher oft emotional und reichlich sinnestäuschend sowie üblicherweise wie eine Geschichte aufgebaut ist. Da diese Augenbewegungen von jedem wahrnehmbar sind, der die Augen eines Schläfers beobachtet, ist es erstaunlich, dass der REM-Schlaf bis 1952 nicht von der Wissenschaft zur Kenntnis genommen wurde. Mit Ausnahme von Schlafphasen mit Albträumen kommt es während des REM-Schlafes zu Erregungen im Genitalbereich. Sie haben daher eine Erektion oder eine stärker durchblutete Vagina in Verbindung mit einer vergrößerten Klitoris – unabhängig davon, ob der Traum sexuellen Inhalts ist oder nicht (Karacan et al., 1966). Die morgendliche Erektion, die bei Männern oft kurz vor dem Erwachen auftritt, ist ein Überbleibsel der letzten REM-Phase. Bei jungen Männern überdauert die sexuelle Erregung die REM-Phasen und bleibt durchschnittlich für 30–45 Minuten erhalten (Karacan et al.,
1983; Schiavi & Schreiner-Engel, 1988). Der typische 25-jährige Mann hat daher während nahezu der Hälfte seines Schlafes eine Erektion, ein 65-jähriger Mann noch während eines Viertels der Nacht. Viele Männer mit gelegentlichen Erektionsschwierigkeiten haben morgendliche Erektionen, die darauf hindeuten, dass sich das Problem nicht zwischen ihren Beinen befindet. Obwohl der motorische Kortex Ihres Gehirns während der REM-Phasen aktiv ist, blockiert der Hirnstamm dessen Signale. Dadurch bleiben Ihre Muskeln so entspannt, dass Sie – abgesehen von einer gelegentlich auftretenden Bewegung eines Fingers, eines Zehs oder einem Zucken der Gesichtsmuskulatur – vollständig gelähmt sind. Es ist nicht einfach, Sie in dieser Phase aufzuwecken. Wenn man aus dem REM-Schlaf aufwacht, bleibt diese Unbeweglichkeit manchmal bestehen und verursacht ein beunruhigendes Erlebnis von Schlafparalyse (Santomauro & French, 2009). Aus diesem Grund wird der REM-Schlaf auch als paradoxer Schlaf bezeichnet – der Körper ist im Inneren erregt und zeigt Gehirnaktivitäten wie im wachen Zustand, gleichzeitig schläft er jedoch und scheint nach außen hin ruhig. Der Schlafzyklus wiederholt sich bei jüngeren Erwachsenen etwa alle 90 Minuten (mit kürzeren, häufigeren Zyklen bei älteren Erwachsenen). Während die Nacht weiter voranschreitet, nimmt der Tiefschlafanteil NREM-3 immer weiter ab und verschwindet schließlich vollständig. Die REM- und NREM-2-Phasen dauern dafür immer länger an (. Abb. 4.15). Wenn wir morgens aufwachen, haben wir ungefähr 25 % der Nacht im REMSchlaf verbracht – das entspricht etwa 100 Minuten. In Schlaflaborstudien gaben 37 % der Teilnehmenden an, selten oder nie einen Traum gehabt zu haben, „an den man sich am nächsten Morgen erinnern kann“ (Moore, 2004). Dennoch konnten sogar sie sich in über 80 % der Fälle an einen Traum erinnern, nachdem sie aus dem REM-Schlaf aufgeweckt wurden. Wir verbringen etwa 600 h pro Jahr träumend und erleben dabei ungefähr 1500 Träume, das entspricht mehr als 100.000 Träumen umgerechnet auf die durchschnittliche Lebensspanne – Träume, die im Dunkeln der Nacht verborgen bleiben, aber aufgrund der schützenden Lähmung des REMSchlafes nie ausgelebt werden. >>Pferde verbringen 92 % ihres Tages mit Stehen und
können auch im Stehen schlafen – für den REM-Schlaf müssen sie sich jedoch hinlegen (Morrison, 2003).
115
4.2 • Schlaf und Träume
a
b ..Abb. 4.15 a,b Typische Nachtschlafphasen. Mehrmals in der Nacht durchläuft man einen mehrphasigen Schlafzyklus, wobei der Anteil der Tiefschlafphasen abnimmt und der Anteil der REM-Phasen zunimmt. Je älter man wird, desto schwächer wird der Schlaf – Auf-
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum bringt gemeinschaftliches Schlafen zusätzlichen Schutz für diejenigen, deren Sicherheit von Wachsamkeit abhängt, wie bei diesen Soldaten in . Abb. 4.16? – Welches sind die vier Schlafphasen und in welcher Reihenfolge durchleben wir sie normalerweise? – Können Sie das kognitive Erlebnis der jeweiligen Schlafphase zuordnen? 1. NREM-1 2. NREM-3 3. REM a. geschichtenähnlicher Traum b. vorbeiziehende Bilder c. geringe Aufmerksamkeit
wachen mitten in der Nacht ist bei älteren Menschen normal (Kamel & Gammack, 2006, Copyright 2006, reprinted with permission from Elsevier; Neubauer, 1999)
Was beeinflusst unsere Schlafmuster? ?? 4.7 Wie wirken sich Biologie und Umfeld auf unsere
Schlafmuster aus?
Wahr oder falsch? „Jede:r braucht 8 Stunden Schlaf.“ Falsch. Neugeborene verbringen oftmals zwei Drittel des Tages schlafend, die meisten Erwachsenen nicht mehr als ein Drittel (wobei manche Menschen weniger als 6 Stunden pro Nacht schlafen, andere regelmäßig 9 Stunden und mehr schlafen). Die Dauer des Schlafs ist nicht nur vom Alter abhängig. Einige sind zwischen den nächtlichen Schlafperioden wach – was manchmal auch als „erster Schlaf“ und „zweiter Schlaf“ bezeichnet wird (Randall, 2012). Andere wiederum finden, dass ein 15-minütiger Mittagsschlaf genauso wirksam ist wie eine weitere Stunde nächtlichen Schlafes (Horne, 2011).
4
116
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
..Abb. 4.16 Sicherheit in der Menge? Bundeswehrsoldaten ruhen sich nach einer anstrengenden Nacht nahe Kundus, Afghanistan, aus. (© Maurizio Gambarini/dpa/picture alliance)
4
Schlafmuster sind genetisch bedingt. Forscher:innen gehen den schlafregulierenden Genen bei Menschen und anderen Tieren nach (Hayashi et al., 2015; Mackenzie et al., 2015). Darüber hinaus sind Schlafmuster auch kulturell beeinflusst. In Großbritannien, Kanada, Deutschland, Japan und den Vereinigten Staaten liegt die durchschnittliche Schlafdauer eines Erwachsenen an Werktagen bei 7 Stunden pro Nacht und an anderen Tagen bei 7 bis 8 Stunden (NSF, 2013). Der werktägliche Schlaf vieler Student:innen und Arbeiter:innen liegt jedoch unter diesem Durchschnitt (NSF, 2008). Ein früherer Unterrichtsbeginn, mehr außerschulische Aktivitäten und ein Mangel an von den Eltern festgelegten Bettzeiten führen dazu, dass amerikanische Jugendliche weniger Schlaf bekommen als australische (Short et al., 2013). Aufgrund von künstlicher Beleuchtung, Schichtarbeit und Zeitvertreib in sozialen Medien bleiben viele Menschen bis 23 Uhr oder später auf, anstatt wie vor einem Jahrhundert um 21 Uhr ins Bett zu gehen. So wie im wachen Zustand interagieren Biologie und Umfeld auch im Schlaf. >>Menschen schnarchen selten, während sie träumen. In
der Regel hört das Schnarchen auf, sobald die REMPhasen einsetzen.
Ob bei der Arbeit oder beim Spielen, helles Licht bringt die zirkadiane Uhr in Schwung, indem lichtsensitive Proteine in der Retina aktiviert werden. Diese Proteine steuern wiederum die zirkadiane Uhr durch das Auslösen von Signalen zum Nucleus suprachiasmaticus im Gehirn – zwei reiskorngroße Gewebegruppen bestehend aus etwa 10.000 Zellen, die sich im Hypothalamus befinden (. Abb. 4.17). Die Aufgabe des Nucleus suprachiasmaticus besteht darin, die Produktion des schlaffördernden
Hormons Melatonin in der Epiphyse (Zirbeldrüse) im Gehirn zu steuern. So wird die Produktion von Melatonin morgens herabgesetzt und abends wieder gesteigert (Chang et al., 2015; Gandhi et al., 2015). Nucleus suprachiasmaticus („suprachiasmatic nucleus“)
– ein Zellhaufen-Paar im Hypothalamus, das die zirkadiane Rhythmik steuert. Als Reaktion auf Licht veranlasst der Nucleus suprachiasmaticus die Zirbeldrüse, die Melatoninproduktion zu regulieren und so unser Müdigkeitsgefühl zu verändern. Ständig von Licht (oder Dunkelheit) umgeben, wird unsere biologische Uhr in ihrem 24-Stunden-Rhythmus gestört (Czeisler et al., 1999; Dement, 1999). Nachtschichtarbeitende können einen chronischen Zustand der Desynchronisation erleben. In der Folge entwickeln sie mit größerer Wahrscheinlichkeit Müdigkeit, Magenprobleme, Herzkrankheiten und – bei Frauen – Brustkrebs (Knutsson & Bøggild, 2010; Lin et al., 2015; Puttonen et al., 2009). Die innere Uhr unserer Vorfahren war auf den Auf- und Untergang der Sonne an einem 24-StundenTag eingestellt. Erstaunlicherweise schaffen es heute viele junge Erwachsene, sich auf einen 25-Stunden-Tag einzustellen, indem sie zu lange wach bleiben, um 8 Stunden schlafen zu können. Dafür können wir Thomas Edison, dem Erfinder der Glühbirne, danken (oder ihn beschuldigen). Ungefähr 90 % der Amerikaner:innen geben an, eine Stunde vor dem Schlafengehen ein lichterzeugendes elektronisches Gerät zu benutzen (Chang et al., 2015). Solch künstliches Licht verzögert den Schlaf. >>Ein zirkadianer Nachteil: Eine Studie über mehr als
24.000 Baseballspiele der Major League ergab, dass die Teams, die über drei Zeitzonen gereist sind, mit einer
117
4.2 • Schlaf und Träume
Nucleus suprachiasmaticus
Zirbeldrüse
Unterdrückung der Melatoninproduktion
Produktion von Melatonin
f lu
ss
Licht ut
Bl
a
b
..Abb. 4.17 a,b Die biologische Uhr. Licht, das auf die Retina trifft, veranlasst den Nucleus suprachiasmaticus, die Produktion des Schlafhormons Melatonin in der Zirbeldrüse zu unterdrücken. In der Nacht
ist der Nucleus suprachiasmaticus normalerweise ruhig, sodass die Zirbeldrüse Melatonin in den Blutkreislauf abgeben kann
Wahrscheinlichkeit von 60 % ihr erstes Spiel verlieren (Winter et al., 2009).
unserer Vorfahren tagtäglich ein natürliches Ende bereitete und das Umherziehen in der Dämmerung zunehmend von Gefahren begleitet war, waren sie schlafend in einer Höhle besser und sicherer aufgehoben. Diejenigen unserer entfernten Vorfahr:innen, die nicht mitten in der Nacht um Klippen herumwanderten, hatten größere Chancen, Nachkommen zu hinterlassen. Dies entspricht einem weiteren Grundsatz: Die Schlafgewohnheiten einer Spezies entsprechen ihrer ökologischen Nische (Siegel, 2009). Tiere, die viel Zeit mit Grasen verbringen oder sich nicht gut verstecken können, schlafen am wenigsten. Auch schlafen Tiere während der Paarungs- und Wanderungszeiten ohne negative Folgen weniger (Siegel, 2012; für ein Beispiel von Schlafzeiten s. . Abb. 4.18). 2. Schlaf dient der Erholung. Schlaf trägt zur Wiederherstellung des Immunsystems und Erholung des Gehirngewebes bei. Schlaf verschafft man ruhenden Nervenzellen die Zeit, sich selbst zu reparieren, während gleichzeitig ungenutzte Verbindungen schwächer werden (Ding et al., 2016). Fledermäuse und andere Tiere mit einer starken Stoffwechselaktivität im Wachzustand verbrennen viele Kalorien und produzieren freie Radikale – das sind Moleküle, die Gift für die Nervenzellen sind. Schlaf beseitigt diesen Giftmüll (Xie et al., 2013). Stellen Sie sich das so vor: Wenn das Bewusstsein das Haus verlässt, kommen die Putzkräfte zum Saubermachen herein und sagen „Gute Nacht. Schlafen Sie gut.“ 3. Schlaf ist wichtig für das Gedächtnis. Im Schlaf werden unsere verblassenden Erinnerungen an die Erlebnisse des Tages wiederhergestellt und neu aufgebaut. Schlafen heißt stärken. Schlaf festigt unser Gedächtnis, indem er kürzlich Gelerntes wieder abruft und die Nervenverbindungen stärkt (Pace-Schott et al., 2015; Yang et al., 2014). Er reaktiviert neuere Erfahrungen, die im Hippocampus gespeichert sind und verlagert sie
Schlaf entzieht sich meist denjenigen, die abends lange wach bleiben oder am Wochenende lange schlafen, um dann mit Blick auf die kommende Arbeitswoche am Sonntagabend wieder früh ins Bett zu gehen (Oren & Terman, 1998). Wie New Yorker, die sich nach einer Reise nach Kalifornien erst wieder umgewöhnen müssen, erleben sie einen „sozialen Jetlag“. Nordamerikaner:innen, die nach Europa geflogen sind, hilft helles Licht, ihre biologische Uhr zurückzusetzen (z. B. indem sie den nächsten Tag draußen verbringen), wenn sie aufbleiben müssen, aber ihr zirkadianer Rhythmus „SCHLAF“ schreit (Czeisler et al., 1986, 1989; Eastman et al., 1995). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Der Nucleus ___ unterstützt die Freisetzung von Melatonin im Gehirn, welches unseren ___ Rhythmus beeinflusst.
4.2.2
Warum schlafen wir?
?? 4.8 Welche Funktionen hat der Schlaf ?
» „Schlaf schneller, wir brauchen die Kissen.“ Jüdisches Sprichwort
Unsere Schlafmuster unterscheiden sich also von Person zu Person und von Kultur zu Kultur. Aber warum haben wir überhaupt dieses Bedürfnis nach Schlaf ? Psycholog:innen nennen fünf mögliche Gründe: 1. Schlaf hat eine schützende Funktion. Wenn das Einbrechen der Dunkelheit dem Jagen und Sammeln
4
118
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
4
..Abb. 4.18 a–h Schlafzeiten von Tieren. Wären Sie lieber eine Fledermaus, die 20 Stunden am Tag schläft, oder eine Giraffe, die täglich nur 2 Stunden schläft? (a: © Melanie/Stock.adobe.com; b: © Serhiy
Kobyakov/Stock.adobe.com; c: © gitusik/Fotolia; d: © caan2gobelow/ Fotolia; e: © fizkes/Stock.adobe.com; f: © Nata Bene/Stock.adobe. com; g: © Daniel/Stock.adobe.com; h: © Rodney/Stock.adobe.com)
zur dauerhaften Speicherung an einen anderen Ort im Kortex (Racsmány et al., 2010; Urbain et al., 2016). Erwachsene, Kinder und Kleinkinder, denen man beigebracht hat, eine Aufgabe auszuführen, können sich daher nach einer Nacht Schlaf, oder auch nur nach einem kurzen Nickerchen, besser daran erinnern, als wenn sie mehrere Stunden wach bleiben (Friedrich et al., 2015; Seehagen et al., 2015). Der häufiger gestörte Schlaf älterer Erwachsener beeinträchtigt auch die Gedächtnisfestigung (Boyce et al., 2016; PaceSchott & Spencer, 2011). Nachdem sie gut geschlafen haben, können sich ältere Menschen besser an kürzlich gelernte Dinge erinnern (Drummond, 2010). Schlaf scheint also das Gedächtnis in einer Weise zu stärken, wie es der Wachzustand nicht tut. 4. Schlaf fördert kreatives Denken. Träume können nennenswerte künstlerische und wissenschaftliche Leistungen hervorbringen, wie die Träume, die den Chemiker August Kekulé auf die Struktur von Benzol brachten (Ross, 2006) und den Medizinforscher Carl Alving (2011) zur Erfindung des Impfpflasters
bewegten. Weitaus gewöhnlicher ist der Anstieg unserer Denk- und Lernleistung, nachdem wir eine komplette Nacht geschlafen haben. Nachdem sie an einer Aufgabe gearbeitet und danach geschlafen haben, lösen Menschen Probleme einsichtiger als jene, die wach geblieben sind (Barrett, 2011; Sio et al., 2013). Zudem finden sie schneller Zusammenhänge in neuen Informationen (Ellenbogen et al., 2007; Whitehurst et al., 2016). Um clever zu denken und Zusammenhänge zu begreifen, lohnt es sich meist, kurz vor dem Schlafengehen über ein Problem nachzudenken und dann eine Nacht darüber zu schlafen. 5. Schlaf unterstützt das Wachstum. Während des Schlafs mit langsamen EEG-Wellen, welcher meist in der ersten Hälfte der Nachtruhe auftritt, schüttet die Schilddrüse ein Wachstumshormon aus, welches wichtig für die Muskelentwicklung ist. Der gewöhnliche Schlaf einer ganzen Nacht kann zudem „eine dramatische Steigerung Ihrer sportlichen Fähigkeiten bewirken“, sagen James Maas und Rebecca Robbins
4.2 • Schlaf und Träume
(2010). Die REM- und NREM-2-Phasen, die hauptsächlich in den letzten Stunden eines langen Schlafs auftreten, unterstützen auch die Stärkung der Nervenverbindungen des Langzeitgedächtnisses. Dies umfasst auch das „Muskelgedächtnis“ nach der sportlichen Übung, wie z. B. Tennisspielen oder Körbewerfen beim Basketball. Schlaf fördert sowohl einen starken Körper als auch einen starken Geist. Ausgeruhte Sportler:innen haben schnellere Reaktionszeiten, mehr Energie und eine größere Ausdauer. Und Teams, die täglich 8 bis 10 Stunden Schlaf in ihr Training einbauen, zeigen eine verbesserte Leistung. Eine Studie über die männlichen Basketballspieler der Stanford University ergab, dass, wenn ihr durchschnittlicher Schlaf über mehrere Wochen hinweg um 110 Minuten pro Nacht zunahm, ihre Sprintzeiten geringer wurden und sich ihre Freiwurf- sowie Dreierquote um jeweils 9 % erhöhte (Mah et al. 2011). Der Schwimmer Conner Jaeger, der bei den Olympischen Spielen 2016 eine Silbermedaille gewann, nimmt den Schlaf ernst. „Ein Teil unseres Trainings, auf den wir uns erst jetzt wirklich zu konzentrieren beginnen“, sagt er, „ist der Schlaf“ (Mayberry, 2016). Maas, der als Schlafberater für studentische und professionelle Athlet:innen und Teams arbeitete, empfahl auch dem Basketballverein Orlando Magic und der Eiskunstläuferin Sara Hughes, die frühmorgendlichen Übungen als Teil einer vorgeschlagenen Schlafkur zu reduzieren. Bald darauf verbesserte sich Hughes’ Leistung und sie gewann 2002 die olympische Goldmedaille. Betrachtet man all diese Vorteile von Schlaf, so ist es kein Wunder, dass uns Schlafmangel so zusetzt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche sind die fünf genannten Gründe für unser Bedürfnis nach Schlaf ?
4.2.3
Schlafentzug und Schlafstörungen
?? 4.9 Welche Auswirkungen hat Schlafmangel und was
sind die wesentlichen Schlafstörungen?
Wenn unser Körper nach Schlaf verlangt, ihn aber nicht bekommt, fühlen wir uns entsprechend schlecht. Wer versucht, wach zu bleiben, verliert letzten Endes immer. In diesem ermüdenden Kampf geht der Schlaf immer als Sieger hervor. >>1989 wurde Michael Doucette mit dem Titel des si-
chersten Autofahrers von Amerika unter 20 Jahren ausgezeichnet. Als er 1990 von der Universität nach Hause fuhr, schlief er am Steuer ein und prallte frontal mit einem entgegenkommenden Wagen zusammen. Bei dem Unfall kamen er selbst und der andere Fahrer ums Leben. Michaels Fahrlehrer gestand später ein, er hätte
119
mit ihm nie über Übermüdung im Straßenverkehr gesprochen. (Dement, 1999)
Auswirkungen von Schlafmangel Mehr denn je lassen uns unsere heutigen Schlafmuster schläfrig fühlen und rauben uns darüber hinaus Energie und gute Laune. Diese Müdigkeitstendenz hat so stetig zugenommen, dass einige Forscher:innen die heutige Zeit als „Große Schlafrezession“ bezeichnet haben (Keyes et al., 2015). Schlafen wir mehrmals hintereinander nur 5 Stunden pro Nacht, häufen wir ein Schlafdefizit an, welches zwar nicht vollständig aufgeholt werden muss, aber auch nicht durch einen einzigen langen Schlaf ausgeglichen werden kann. „Das Gehirn führt über mindestens zwei Wochen Buch über die Schlafzeiten“, schreibt Schlafforscher William Dement (1999, S. 64). Haben wir zu wenig geschlafen, fühlen wir uns entsprechend schlecht, da der Körper nach Schlaf verlangt. Es ist also offensichtlich, dass wir Schlaf brauchen. Er bestimmt ungefähr ein Drittel unseres Lebens – das sind im Durchschnitt etwa 25 Jahre. Wenn sie so lange schlafen können, wie sie möchten, werden die meisten Erwachsenen mindestens 9 Stunden pro Nacht schlafen (Coren, 1996). Mit so viel Schlaf wachen wir frisch und erholt auf, sind in besserer Stimmung und erbringen effizientere und präzisere Leistungen. Die U.S. Navy und das amerikanische National Institute of Health wollten in zwei Experimenten die Vorteile des uneingeschränkten Schlafens demonstrieren. Zu diesem Zweck haben Freiwillige mindestens eine Woche lang mindestens 14 Stunden pro Tag im Bett verbracht. In den ersten paar Tagen schliefen die Versuchspersonen beider Untersuchungen pro Tag durchschnittlich 12 Stunden und mehr. Offenbar glichen sie dadurch ein Schlafdefizit von durchschnittlich 25–30 Stunden Schlaf aus. Als dies erledigt war, pendelte sich ihr Schlafbedürfnis bei 7,5 bis 9 Stunden pro Nacht ein, und frei von jeglichem Schlafdefizit fühlten sie sich fitter und zufriedener (Dement, 1999). Bei einer GallupUmfrage (Mason, 2005) berichteten 63 % der Erwachsenen, die ihren Angaben nach genügend Schlaf bekamen, dass sie mit ihrem persönlichen Leben „sehr zufrieden“ seien (dies war bei nur 36 % derjenigen der Fall, die mehr Schlaf bräuchten). Als 909 berufstätige Frauen ihre tägliche Stimmung angeben sollten, waren die Forscher:innen erstaunt, welche Faktoren dabei eine Rolle spielen. So hat Geld nur sehr wenig Einfluss auf die Stimmung (solange die Frau nicht mit Armut zu kämpfen hatte), wohingegen weniger Zeitdruck am Arbeitsplatz und guter Schlaf am wichtigsten seien (Kahneman et al., 2004). Insbesondere Studierende an Colleges und Universitäten sind von Schlafmangel betroffen: 69 % berichten einer nationalen Studie zufolge, sie hätten sich innerhalb der letzten zwei Wochen an mindestens einigen Tagen „müde gefühlt“ oder „wenig Energie gehabt“ (AP, 2009). Für Studierende bedeutet weniger Schlaf auch mehr Konflikte in Freundschaften und romantischen Bezie-
4
120
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
rican Academy of Pediatrics (2014) spricht sich ebenfalls für einen späteren Unterrichtsbeginn bei Jugendlichen aus, um „den Schülern die Möglichkeit zu geben, ein optimales Schlafniveau zu erreichen (8,5 bis 9,5 Stunden).“
» „Sie wachen mitten in der Nacht auf und schnappen sich
Ihr Smartphone, um nach der Uhrzeit zu sehen – es ist 3 Uhr morgens – und sehen einen Alarm. Ehe Sie sich versehen, geraten Sie in den Sog von E-Mails und Twitter. Schlafen? Vergessen Sie es.“ Nick Bilton, Disruptions: For a Restful Night, Make Your Smartphone Sleep on the Couch (2014)
4
..Abb. 4.19 ZZZ. (© Marty Bucella/Search ID: CS170466, Rights Available from CartoonStock.com)
hungen (Gordon & Chen 2014; Tavernier & Willoughby, 2014). Müdigkeit löst Gereiztheit aus. In einer anderen Studie mit High-School-Schüler:innen bemerkten 28 %, sie würden mindestens einmal pro Woche während des Unterrichts einschlafen (NSF, 2006; . Abb. 4.19). >>Bei einer Umfrage des Gallup-Instituts von 2001 gaben
61 % der Männer, aber nur 47 % der Frauen an, in ausreichendem Maß Schlaf zu bekommen.
Schlaflosigkeit ist auch ein Vorbote von Depressionen (Baglioni et al., 2016). Eine Studie mit 15.500 jungen Leuten im Alter von 12 bis 18 Jahren zeigt, dass diejenigen, die maximal 5 Stunden pro Nacht schliefen, ein um 71 % höheres Risiko für eine Depression hatten, als die Jugendlichen mit mindestens 8 Stunden Schlaf pro Nacht (Gangwisch et al., 2010). Dieser Zusammenhang erklärt jedoch nicht die Auswirkungen einer Depression auf den Schlaf. Wenn man Kinder und Jugendliche im Laufe der Jahre beobachtet, so bedingt Schlafmangel eher eine Depression als andersherum (Gregory et al., 2009). Darüber hinaus schützt die Verarbeitung der emotionalen Erlebnisse im REM-Schlaf vor Depressionen (Walker & van der Helm, 2009). Nach einem erholsamen Schlaf fühlen wir uns meist am nächsten Tag besser. Und dies mag erklären, warum bei Kindern, deren Eltern feste Schlafenszeiten vorgeben, weniger Depressionen zu finden sind, und warum ein späterer Schulbeginn am Morgen den Schlaf und folglich die Aufmerksamkeit und Stimmung der Jugendlichen verbessert (Perkinson-Gloor et al., 2013; Winsler et al., 2015). Daher beginnt der Unterricht in manchen europäischen Ländern für Oberstufen häufig erst nach 9 Uhr morgens (Fischetti, 2014). Und die Ame-
Schüler:innen und Studierende mit Schlafmangel arbeiten oftmals unter ihrer Höchstleistung. Und sie wissen es: 4 von 5 Jugendlichen und 3 von 5 der 18- bis 29-Jährigen wünschen sich mehr Schlaf unter der Woche (Mason, 2003, 2005). „Schlafentzug hat seine Konsequenzen – Schwierigkeiten beim Lernen, geringere Produktivität, Reizbarkeit, Erschöpfung und die Tendenz, häufiger Fehler zu machen“, so Dement (1999, S. 231). Ein hohes Schlafdefizit „macht Sie dumm“. Dennoch: Wer nach dem morgendlichen Weckerklingeln aus dem Bett taumelt, sich durch die ersten Vorlesungsstunden gähnt und sich die meiste Zeit des Tages über halb depressiv fühlt, kann gegen 23 Uhr wieder energiegeladen sein – ungeachtet der drohenden Schläfrigkeit am folgenden Tag (Carskadon, 2002).
» „Vergiss nicht zu schlafen, denn du brauchst den Schlaf, um nichts zu vergessen.“ James B. Maas und Rebecca S. Robbins, Sleep for Success (2010)
-
Schlafmangel kann auch zu Gewichtszunahme führen. Infolge von Schlafentzug steigt die Produktion von Ghrehlin, einem Hunger auslösenden Hormon, – gleichzeitig sinkt die Produktion des Hunger unterdrückenden Hormons Leptin (Shilsky et al., 2012). sinkt die Stoffwechselrate, ein Maß für den Energieverbrauch (Buxton et al., 2012). wird mehr vom Stresshormon Cortisol produziert, welches wiederum die Fettproduktion anregt. verbessern sich die limbischen Gehirnreaktionen auf den bloßen Anblick von Nahrung und verschlechtern sich die kortikalen Reaktionen, die uns helfen, der Versuchung zu widerstehen (Benedict et al., 2012; Greer et al., 2013; St-Onge et al., 2012). So wiegen Kinder und Erwachsene, die weniger schlafen, im Durchschnitt mehr. In den vergangenen Jahrzehnten haben Menschen weniger geschlafen und mehr gewogen (Shiromani et al., 2012; Suglia et al., 2014). Darüber hinaus zeigte in Experimenten beobachteter Schlafentzug einen Anstieg des Appetits und Essens; ein müdes Gehirn findet fettiges Essen verlockender (Fang et al., 2015; Hanlon et al., 2015). Die verbreitete Gewichtszunahme
121
bei Studierenden lässt sich daher mit zu wenig Schlaf erklären (Hull et al., 2007). Schlaf beeinflusst auch unsere körperliche Gesundheit. Wenn Infektionen auftreten, schlafen wir in der Regel auch länger, um unsere Immunzellen zu stärken. Schlafentzug kann zu einer Unterdrückung der Produktion von Immunzellen führen, die Virusinfektionen und Krebs bekämpfen (Möller-Levet et al., 2013; Motivala & Irwin, 2007; Opp & Krueger, 2015). In einem Experiment wurden Freiwillige einem Erkältungsvirus ausgesetzt. Diejenigen, die durchschnittlich weniger als 5 Stunden Schlaf pro Nacht hatten, waren 4,5-mal so anfällig für eine Erkältung, wie diejenigen mit mehr als 7 Stunden Schlaf pro Nacht (Prather et al., 2015). Der schützende Effekt des Schlafs mag erklären, weshalb Menschen, die jede Nacht 7 bis 8 Stunden schlafen, im Durchschnitt länger leben als jene, die chronisch unter Schlafmangel leiden, und weshalb ältere Erwachsene, die keine Einschlaf- und Durchschlafprobleme haben, in der Regel länger leben als Gleichaltrige mit wenig Schlaf (Dew et al., 2003; Parthasarathy et al., 2015; Scullin & Bliwise, 2015).
» „So shut your eyes, kiss me goodbye, and sleep, just sleep.“ My Chemical Romance, Sleep
Schlafentzug verlangsamt die Reaktion und vermehrt die Fehler bei visuellen Aufgaben, wie etwa bei der Überprüfung des Gepäcks auf einem Flughafen, bei chirurgischen Eingriffen und bei der Bewertung von Röntgenbildern (Caldwell, 2012; Lim & Dinges, 2010). Aus langsamen Reaktionen können unter anderem verheerende Folgen für die Bedienung technischer Anlagen, den Straßenverkehr und die Luftfahrt resultieren. Müdigkeit der Person am Steuer war der Grund für etwa einem von sechs Verkehrsunfällen in Amerika (AAA, 2010) sowie etwa 30 % der Verkehrsunfälle mit Todesfolge auf australischen Autobahnen (Maas, 1999). In einer zweijährigen Studie wurden die Verkehrsunfälle von über 20.000 16- bis 18-Jährigen aus Virginia in zwei Großstädten untersucht. In der einen Stadt begannen die Oberstufenschüler:innen 75–80 Minuten später als in der anderen. Die Spätanfänger:innen hatten etwa 25 % weniger Unfälle (Vorona et al., 2011). Wenn schläfrige Frontallappen mit einer unerwarteten Situation konfrontiert werden, geschehen oft Unglücke. Stanley Coren befasste sich mit einem Phänomen, welches für die meisten Nordamerikaner:innen und auch Europäer:innen wohl ein halbjährliches, den Schlaf beeinflussendes Experiment ist – die Umstellung von Sommer- auf Winterzeit und andersherum. Die Recherche von Millionen von Berichten aus Kanada und den Vereinigten Staaten ergab, dass die Anzahl der Unfälle kurz nach der Zeitumstellung, die den Schlaf verkürzt, ansteigt (. Abb. 4.20). Derselbe Umstellungseffekt trat in einer anderen Studie auf, die zeigte, dass müde Menschen eher „cyberloafen“ – die Zeit online vertrödeln. Am Montag nach
Unfallhäufigkeit
4.2 • Schlaf und Träume
2800 Weniger Schlaf, mehr Unfälle 2700
4200
2600
4000
2500
3800
2400
Mehr Schlaf, weniger Unfälle
3600 Umstellung auf Sommerzeit (1 Stunde Schlaf verloren)
Umstellung auf Winterzeit (1 Stunde Schlaf gewonnen)
Montag vor der Zeitumstellung
Montag nach der Zeitumstellung
..Abb. 4.20 Weniger Schlaf = mehr Unfälle. An den Montagen nach der Umstellung der Uhr auf Sommerzeit (als die Menschen 1 Stunde weniger schliefen) kam es zu mehr Autounfällen als am Montag vorher. Im Herbst gibt es wegen Schnee, Glätte und Dunkelheit mehr Unfälle, aber nach der Zeitumstellung werden es wieder weniger. (Nach Coren, 1996)
der Umstellung der Uhr auf Sommerzeit war die unterhaltungsbezogene Google-Suche 3,1 % höher als am Montag davor und 6,4 % höher als am Montag danach (Wagner et al., 2012a). . Abb. 4.21 fasst die negativen Auswirkungen von Schlafentzug zusammen. Aber es gibt auch eine gute Botschaft! Psycholog:innen haben eine Behandlung entdeckt, durch die das Gedächtnis besser wird, die Konzentration zunimmt, die Stimmung heiterer wird, der Hunger und die Fettleibigkeit zurückgehen, die körpereigene Immunabwehr gestärkt wird und das Risiko für Unfälle mit tödlichem Ausgang sinkt. Und eine noch bessere Botschaft: Die Behandlung vermittelt ein gutes Gefühl, sie kann ohne fremde Hilfe begonnen werden, und sie ist frei verfügbar! Wenn Sie zu den typischen Studierenden gehören, oft erst gegen 2 Uhr ins Bett gehen und nach 6 Stunden vom grauenhaften Lärm eines Weckers aus dem Bett getrieben werden, ist die Behandlung ziemlich einfach: Fügen Sie Ihrem Schlaf pro Nacht eine Viertelstunde hinzu, bis Sie sich mehr wie ein ausgeruhter und vitaler Student und weniger wie ein Zombie fühlen. Im Folgenden finden Sie einige zusätzliche Tipps für einen besseren Schlaf:
-
Einige natürliche Einschlafhilfen Treiben Sie regelmäßig Sport, aber nicht am späten Abend (der späte Nachmittag ist am besten). Vermeiden Sie Koffein nach dem frühen Nachmittag und essen und trinken sie nicht kurz vor dem Zubettgehen. Ausnahme wäre ein Glas Milch, die das Ausgangsmaterial zur Produktion von Serotonin bereitstellt, einem Neurotransmitter, der das Einschlafen erleichtert.
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
122
Gehirn Verringerung des Aufmerksamkeitsfokus und der Gedächtniskonsolidierung; erhöhtes Depressionsrisiko; verringerte Stoffwechselrate; erhöhtes Cortisol; erweiterte limbische Reaktionen des Gehirns beim Anblick von Essen; verringerte kortikale Reaktionen, die die Fähigkeit reduzieren, Versuchungen zu widerstehen
4
Herz Erhöhtes Risiko für Bluthochdruck
Magen Erhöhte Produktion von Hunger auslösendem Ghrelin und verringerte Produktion von Hunger unterdrückendem Leptin
Immunsystem Unterdrückung der Produktion von Immunzellen und erhöhtes Risiko für Virusinfektionen, wie z. B. Erkältungen
Fettzellen Erhöhte Produktion und somit größeres Risiko für Fettleibigkeit
Muskeln Verringerte Kraft, Verlangsamung der Reaktionszeit und des motorischen Lernens
Gelenke Erhöhtes Risiko für Entzündungen und Arthritis
..Abb. 4.21 Wie sich Schlafentzug auf uns auswirkt
-
Entspannen Sie sich vor dem Zubettgehen, indem Sie das Licht dimmen. Schlafen Sie nach einem regelmäßigen Plan (stehen Sie immer zur gleichen Zeit auf, auch wenn Sie in der Nacht wenig geschlafen haben) und vermeiden Sie es, zwischendurch kleine Nickerchen zu machen. Drehen Sie die Uhr um, sodass sie nicht versucht sind, ständig die Uhrzeit zu prüfen. Machen Sie sich klar, dass zeitweise Schlaflosigkeit Sie nicht ernsthaft beeinträchtigt. Denken Sie an entspannte Dinge wie Songtexte oder Urlaubsreisen (Gellis et al., 2013). Wenn das alles nicht hilft, dann begnügen Sie sich mit weniger Schlaf, indem sie entweder später zu Bett gehen oder früher aufstehen.
Die wesentlichen Schlafstörungen Haben Sie Schlafprobleme, wenn Sie ängstlich oder aufgeregt sind? Die meisten von uns haben welche. Ein gelegentlicher Schlafverlust ist kein Grund zur Sorge. Aber für diejenigen, die an einer schweren Schlafstörung leiden
– Insomnie, Narkolepsie, Schlafapnoesyndrom, Schlafwandeln, Sprechen im Schlaf oder Pavor nocturnus – kann das Schlafengehen zu einem Albtraum werden. (Eine Zusammenfassung dieser Störungen finden Sie in . Tab. 4.1.) Insomnie („insomnia“) – wiederholt auftretende Ein-
schlaf- oder Durchschlafschwierigkeiten. Narkolepsie („narcolepsy“) – Schlafstörung, die durch unkontrollierbare Schlafattacken gekennzeichnet ist. Betroffene Personen fallen unter Umständen direkt in REMSchlafstadien, oft zu den unpassendsten Gelegenheiten. Schlafapnoesyndrom („sleep apnea“) – Schlafstörung, die durch ein gelegentliches Aussetzen der Atmung während des Schlafes und das anschließende kurze Erwachen gekennzeichnet ist. Pavor nocturnus („night terrors“) – hohes Erregungsniveau und ein Gefühl starker Angst sind typisch für diese Schlafstörung. Im Gegensatz zu Albträumen treten diese Phasen nächtlicher Panik im NREM-3-Schlaf innerhalb der ersten 2 bis 3 Stunden nach dem Einschlafen auf; in der Regel können sich die Betroffenen am nächsten Tag nicht daran erinnern.
123
4.2 • Schlaf und Träume
..Tab. 4.1 Schlafstörungen Störung
Häufigkeit
Beschreibung
Effekt
Insomnie
1 von 10 Erwachsenen; 1 von 4 älteren Erwachsenen
Anhaltende Einschlaf- oder Durchschlafschwierigkeiten
Chronische Müdigkeit (. Abb. 4.22). Abhängigkeit von Schlaftabletten und Alkohol, die den REM-Schlaf verkürzen und zu Toleranz führen – ein Zustand, in dem höhere Dosen erforderlich sind, um eine Wirkung zu erzielen
Narkolepsie
1 von 2000 Erwachsenen
Plötzliche überwältigende Schlafattacken
Gefahr des Einschlafens in einem gefährlichen Moment. Narkolepsieattacken dauern in der Regel weniger als 5 Minuten, aber sie können in den schlimmsten und emotionalsten Momenten auftreten. Alltägliche Aktivitäten, wie z. B. Autofahren, erfordern besondere Vorsicht
Schlafapnoesyndrom
1 von 20 Erwachsenen
Gelegentliches Aussetzen der Atmung während des Schlafes
Müdigkeit und Depressionen (als Folge von Tiefschlafmangel). Verbunden mit Fettleibigkeit (besonders bei Männern; . Abb. 4.23)
Schlafwandeln und Sprechen im Schlaf
Schlafwandeln: 1–15 von 100 in der Allgemeinbevölkerung bei Schlafwandeln (NSF, 2016b); Im Schlaf sprechen: etwa die Hälfte der Kleinkinder (Reimão & Lefévre, 1980)
Normale Tätigkeiten im Wachzustand (Aufsetzen, Gehen, Sprechen) während des Schlafs. Sprechen im Schlaf kann in jeder Schlafphase auftreten. Schlafwandeln tritt im NREM3-Schlaf auf
Wenige ernsthafte Bedenken. Schlafwandler kehren allein oder mit Hilfe eines Familienmitglieds in ihre Betten zurück und erinnern sich am nächsten Morgen nur selten an ihren nächtlichen Ausflug
Pavor nocturnus
1 von 100 Erwachsenen; 1 von 30 Kindern
Angstgefühle, sinnfreies Sprechen, Aufstehen und Herumlaufen während des NREM-3-Schlafs; anders als Albträume
Verdoppelung der Herz- und Atemfrequenz eines Kindes während der Attacke. Glücklicherweise erinnern sich Kinder am nächsten Tag nur wenig oder gar nicht an das schreckliche Ereignis. Mit zunehmendem Alter tritt Pavor nocturnus immer seltener auf
..Abb. 4.22 (Mark Parisi/offthemark.com)
..Abb. 4.23 War Brahms auf seine eigenen Wiegenlieder angewiesen? Der reizbare und übergewichtige Johannes Brahms, der gerne ein Nickerchen machte, zeigte einige der für Apnoe typischen Symptome. (Margolis, 2000)
4
124
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
Etwa einer von zehn Erwachsenen und einer von vier älteren Erwachsenen klagt über Insomnie – anhaltende Einschlaf- oder Durchschlafprobleme (Irwin et al., 2006). Die Folge ist Müdigkeit sowie ein erhöhtes Risiko für Depressionen (Baglioni et al., 2016). Gelegentliches Aufwachen aus dem Schlaf ist ab etwa der Mitte unseres Lebens durchaus normal und kein Grund, sich Sorgen zu machen oder auf Medikamente zurückzugreifen (Vitello, 2009). Insomnie wird ironischerweise umso schlimmer, je mehr Sorgen man sich darum macht. In Laborstudien schlafen Menschen mit Insomnie weniger als beschwerdefreie Personen. Sie überschätzen aber in der Regel die eigentliche Zeit, die sie zum Einschlafen benötigen und unterschätzen gleichzeitig, wie lange sie tatsächlich geschlafen haben (Harvey & Tang, 2012). Auch wenn wir nur 1 oder 2 Stunden wach gelegen haben, denken wir oftmals, wir hätten nur sehr wenig geschlafen, da wir uns nur an die wach verbrachte Zeit erinnern. Die gebräuchlichen Mittel gegen Insomnie – Schlaftabletten und Alkohol – verschlimmern das Problem, da sie den Anteil des REM-Schlafes reduzieren und dazu führen können, dass man sich am nächsten Tag unausgeglichen fühlt. Die Einnahme solcher Hilfsmittel führt zu einer höheren Toleranz, sodass man immer höhere Dosen einnehmen muss, um den gleichen Effekt zu erzielen.
» „Schlaf ist wie Liebe oder Freude. Wenn du ihn zu sehr verfolgst, wird er dir entkommen.“ Wilse Webb, Sleep: The Gentle Tyrant (1992) Prüfen Sie Ihr Wissen
– Eine gut ausgeruhte Person hätte eher ___ (Konzentrationsschwierigkeiten/schnelle Reaktionszeiten) und eine Person mit Schlafmangel würde eher ___ (zunehmen/eine Erkältung abwehren).
4.2.4 Träume ?? 4.10 Wovon träumen wir? Was sind Theoretiker:innen
zufolge die Aufgaben von Träumen?
Jetzt in einem inneren Kino ganz in der Nähe: Die Premiere des lebhaften Traums eines schlafenden Menschen. Ein innerer Film, wie er noch nie zuvor gesehen wurde und dessen Mitwirkende in eine derart originelle und unwahrscheinliche, doch gleichzeitig so wirklichkeitsgetreue und scheinbar reale Handlung verstrickt sind, dass der Betrachter dieser Schöpfung voll Verwunderung gegenübersteht. Im Gegensatz zu Tagträumen sind Träume während des REM-Schlafs lebhaft, emotional gefärbt und bizarr (Loftus & Ketcham, 1994). Wenn wir aus einem solchen Traum erwachen, wundern wir uns darüber, wie unser
Gehirn – so kreativ, farbenfroh und detailliert – diese alternative Welt erzeugen kann. In der Grauzone zwischen Traum- und Wachbewusstsein fragen wir uns manchmal sogar für einen Moment, welche von diesen Welten die reale ist (. Abb. 4.24). Aus einem Albtraum erwachend mag ein Vierjähriger sicher sein, ein Bär sei im Haus. Die Entdeckung des Zusammenhangs von REMSchlaf und dem Träumen öffnete die Tür für eine neue Ära der Traumforschung. Im Gegensatz zu den vagen Traumberichten eines Menschen Stunden oder Tage nachdem er geträumt hatte, sind Forschende nun in der Lage, Träume direkt zum Zeitpunkt des Geschehens zu beobachten. Sie können einen Schläfer während des REM-Schlafs oder innerhalb eines Zeitraums von 3 Minuten danach aufwecken und sich dessen lebhaften Bericht anhören.
Was wir träumen
» „Ich glaube nicht, dass ich jetzt gerade träume, aber ich
kann es auch nicht beweisen.“ Der Philosoph Bertrand Russell (1872–1970)
Wir verbringen ungefähr sechs Jahre unseres Lebens in Träumen, manche davon sind allerdings alles andere als angenehm. Sowohl bei Frauen als auch bei Männern sind 8 von 10 Träumen von mindestens einem negativen Ereignis oder Gefühl belastet (Domhoff, 2007). Häufig träumen Menschen davon, angegriffen, verfolgt oder zurückgewiesen zu werden, wiederholt vergeblich etwas zu versuchen, oder Unglücksfälle zu erleben (Hall et al., 1982). Träume mit sexuellen Bildern treten weniger häufig auf, als Sie vielleicht vermuten. Während einer Studie hatte lediglich 1 von 10 Träumen junger Männer und 1 von 30 Träumen junger Frauen einen sexuellen Inhalt (Domhoff, 1996). Für gewöhnlich tauchen in Träumen nichtsexuelle Erlebnisse und Sorgen der letzten Tage auf (De Koninck, 2000): Nach einem Trauma berichten viele Personen von Albträumen. Diese helfen bei der Bewältigung von Ängsten (Levin & Nielsen, 2007, 2009). Einige Amerikaner:innen, die im September 2001 ihre Träume aufzeichneten, berichteten von einer starken Zunahme von Albträumen nach dem 9/11-Anschlag (Propper et al., 2007). Im Vergleich zu palästinensischen Kindern, die in einer friedlichen Stadt in Galiläa leben, träumen diejenigen, die im konfliktbeladenen Gazastreifen leben, häufiger von Gewalt (Punamäki & Joustie, 1998). Musikschaffende berichten doppelt so häufig von Träumen mit Musik wie Nichtmusizierende (Uga et al., 2006). Studien in vier Ländern zeigten, dass Personen ohne Sehvermögen meist träumen, indem sie ihre nichtvisuellen Sinne benutzen (Buquet, 1988; Taha, 1972; Vekassy, 1977). Aber sogar von Geburt an von einem Verlust des Sehvermögens betroffene Menschen „sehen“ manchmal in ihren Träumen (Bértolo, 2005).
-
-
125
4.2 • Schlaf und Träume
..Abb. 4.24 Ein traumhafter Film über die Traumwelt. Der Film Inception (2010) spielt kreativ mit unserem Interesse, Sinn in unseren Träumen zu entdecken und die verschiedenen Ebenen unseres Bewusstseins zu verstehen. Darüber hinaus zeigt er die Idee, falsche Erinnerungen durch die Macht der Suggestion zu erzeugen – eine Idee, die wir in 7 Kap. 9 untersuchen. (© Warner Bros/dpa/Stephen Vaughan/picture alliance)
Ebenso träumen Menschen, die von der Taille abwärts gelähmt geboren wurden, manchmal vom Gehen, Stehen, Laufen oder Radfahren (Saurat et al., 2011; Voss et al., 2011).
» „Wobei du am Tag verweiltest, das wird dir folgen in die Nacht.“ Menander von Athen (342–292 v. Chr., Fragmente)
Traum („dream“) – Abfolge von Bildern, Emotionen und Gedanken, die sich im Geist eines Schläfers abspielt. Bemerkenswert an Träumen sind die halluzinationsartigen Bilder, die Wandelbarkeit und Inkongruenz des Traumgeschehens sowie die beinahe wahrhafte Bereitschaft des Träumenden, das Traumgeschehen und den inhaltlich oft nicht nachvollziehbaren Zusammenhang des Erlebten zu akzeptieren. >>Ein verbreiteter Mythos zum Thema Schlaf: Wenn sie
träumen, sie fielen und würden auf den Boden aufprallen (oder wenn sie träumen, sie würden sterben), sterben sie. Leider stehen uns die Menschen, die diese Vorstellung bestätigen könnten, nicht mehr zur Verfügung, um sie befragen zu können. Einige Menschen jedoch haben solche Träume gehabt, sind noch am Leben und können darüber berichten.
Während wir schlafen, beobachtet unser zweigleisiger Verstand auch unser Umfeld. Sensorische Reize – ein bestimmter Geruch oder das Klingeln eines Telefons – werden manchmal unmittelbar in das Traumgeschehen integriert. In einem klassischen Experiment bespritzten die Forschenden die Gesichter der träumenden Versuchspersonen mit kaltem Wasser (Dement & Wolpert, 1958). Im Vergleich zu anderen Versuchspersonen, denen diese Prozedur erspart blieb, hatte ihr Traumgeschehen häufi-
ger mit Wasser zu tun: Sie träumten von einem Wasserfall, von einem undichten Dach oder sogar davon, mit Wasser bespritzt zu werden. Wäre es also möglich, eine Sprache im Schlaf zu lernen, indem wir entsprechende Kassetten anhören? Wenn es doch nur so einfach wäre! Während des Schlafes sind wir in der Lage, eine Assoziation zwischen einem Klang und einem schwachen elektrischen Schock herzustellen (und auf den Klang entsprechend zu reagieren). Wir können auch lernen, ein bestimmtes Geräusch mit einem angenehmen oder unangenehmen Geruch in Verbindung zu bringen (Arzi et al., 2012). Allerdings können wir uns nicht an Tonbandinformationen erinnern, die während des Schlafes abgespielt werden (Eich, 1990; Wyatt & Bootzin, 1994). Tatsächlich entzieht sich alles dem Gedächtnis, was während der letzten 5 Minuten vor dem Einschlafen passiert (Roth et al., 1988). Das erklärt, weshalb Apnoepatienten sich nicht daran erinnern können, wenn sie nachts mehrmals nach Luft japsend aufwachen und unmittelbar darauf wieder einschlafen. Dasselbe gilt für jemanden, der für einen kurzen Augenblick wach wird, eine Nachricht verschickt und sich am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern kann. Und deshalb können wir uns morgens nicht an Träume erinnern, bei denen wir für einen kurzen Moment aufgewacht sind. Wenn Sie sich also an einen Traum erinnern wollen, stehen Sie auf und bleiben Sie ein paar Minuten lang wach.
» „Lebe deine Träume – außer jenen, in dem du nackt auf der Arbeit bist.“ Henny Youngman gewidmet
Warum wir träumen
Traumforschende bieten verschiedene mögliche Erklärungen dafür, warum wir träumen. Dazu gehören die folgenden:
4
126
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
4
a
b Lernen
c Schlaf festigt das Gelernte im Langzeitgedächtnis.
Das Gelernte wird behalten.
..Abb. 4.25 a–c Ein schlafendes Gehirn ist ein funktionierendes Gehirn
zz Erfüllung unserer Wünsche
In seinem berühmten Buch Die Traumdeutung (1900) sprach Sigmund Freud von etwas, das er für „die wertvollste aller Entdeckungen, die ich machen durfte“, hielt. Er argumentierte, dass Träume als psychisches Sicherheitsventil wirken, indem sie dem Träumenden das Ausleben von Gefühlen ermöglichen, die im gewohnten Umfeld des Alltags inakzeptabel wären. Nach Freud sei der manifeste Inhalt eines Traumes (die offensichtliche und erinnerte Handlung) eine zensierte und symbolische Version des latenten Inhaltes, der aus unbewussten Trieben und (oftmals erotischen) Wünschen besteht, die offen geäußert bedrohlich wären. Somit könnte eine Pistole beispielsweise die versteckte Darstellung eines Penis sein. Manifester Trauminhalt („manifest content“) – nach Freud
die erinnerte Handlung eines Traums (im Unterschied zu seinem latenten Inhalt). Latenter Trauminhalt („latent content“) – nach Freud die verborgene Bedeutung eines Traumes (im Gegensatz zum manifesten Inhalt). Freud war davon überzeugt, dass der latente Inhalt von Träumen die Funktion eines Sicherheitsventils hat. Freud betrachtete Träume als Schlüssel für das Verständnis innerer Konflikte. Kritische Stimmen plädieren allerdings dafür, dass es an der Zeit sei, sich von dieser Traumtheorie zu verabschieden, die nichts anderes als ein wissenschaftlicher Albtraum sei. „Es gibt keinen Grund, irgendeiner der spezifischen Behauptungen von Freud über Träume und die dahinter liegenden Ursachen Glauben zu schenken“, bemerkt der Traumforscher William Domhoff (2003). Einige Kritiker:innen wenden ein, dass Träume – selbst wenn sie einen Symbolcharakter besitzen – immer unterschiedlich interpretiert werden können. Andere behaupten wiederum, dass in Träumen
überhaupt nichts Verborgenes zu finden sei: Ein Traum von einer Pistole bleibt ein Traum von einer Pistole. Der Legende nach sagte selbst Freud, der Zigarren liebte, dass „eine Zigarre manchmal eben nur eine Zigarre ist.“ Freuds Theorie der Wunscherfüllung in Träumen ist zum großen Teil anderen Theorien gewichen.
» „Wenn Menschen einen Traum so interpretieren, als habe
er eine Bedeutung und dann anderen diese Interpretation des Traums aufschwatzen, ist das Quacksalberei.“ Der Schlafforscher J. Allan Hobson (1995)
zz Abspeicherung von Erinnerungen
Forschende, die Träume als Informationsverarbeitungsprozess betrachten, glauben, dass Träume dazu dienen, die Erlebnisse des Tages zu verarbeiten, zu ordnen und im Gedächtnis zu verankern. Einige Studien bestätigen diese Theorie. Seit einiger Zeit weiß man, dass die Funktion des REM-Schlafs darin besteht, die Speicherung von Gedächtnisinhalten zu erleichtern (McGrath & Cohen, 1978). Versuchspersonen, die nach dem Lernen einer Aufgabe zu wenig Schlaf mit langsamen EEG-Wellen oder zu wenig REM-Schlaf bekommen hatten, konnten die Aufgabe am nächsten Tag nicht so gut ausführen wie diejenigen, die ungestört schlafen konnten (Stickgold, 2012). Andere Studien zeigten, dass Menschen, die zu Beginn einer REM-Phase geweckt wurden, am nächsten Morgen ähnliche Gedächtnislücken in Bezug auf neu gelernte Dinge aufwiesen (Empson & Clarke, 1970; Karni & Sagi, 1994). Gehirnscans bestätigen den Zusammenhang zwischen REM-Schlaf und Gedächtnis. Die aktiven Regionen des Gehirns, während eine Ratte lernt, durch ein Labyrinth zu laufen, oder während Versuchspersonen eine visuelle Unterscheidungsaufgabe lernen, sind später während des REM-Schlafs erneut aktiv (Louie & Wilson, 2001; Maquet, 2001). Die Aktivierungsmuster stimmten so genau
24 Durchschnittliche Schlafdauer pro Tag (Stunden)
..Abb. 4.26 Schlaf im Verlauf des Lebens. Wenn wir älter werden, ändern sich unsere Schlafgewohnheiten. In den ersten Lebensmonaten nimmt der Anteil an REM-Schlaf immer weiter ab. Die Gesamtschlafdauer sinkt während der ersten 20 Lebensjahre. (Nach Snyder & Scott, 1972)
4
127
4.2 • Schlaf und Träume
Deutliche Verringerung des REM-Schlafs im Kleinkindalter
16 14
Wachzustand
12 REM-Schlaf
10 8 6 4
Nicht-REM-Schlaf 2 0 1–15 3–5 6–23 2 3–4 5–13 14–18 Tage Monate Monate Jahre Jahre Jahre Jahre Kleinkind
überein, dass die Forscher angeben konnten, an welcher Stelle im Labyrinth sich die Ratte gerade befinden würde, wenn sie wach wäre. Schlaf festigt ganz nebenbei Erinnerungen. Das sind wichtige Neuigkeiten für Schüler:innen und Studierende, findet der Forscher Robert Stickgold (2000): Viele Studierende leiden an einer Art von Schlafbulimie, mit Schlafmangel an Wochentagen und extremen Schlafperioden am Wochenende. „Wenn Sie nicht gut und nicht genug schlafen, nachdem Sie neuen Stoff gelernt haben, werden Sie diesen neuen Lernstoff nicht effektiv in Ihrem Gedächtnis verankern“, warnt Stickgold. Das könnte erklären, weshalb ältere Schüler:innen mit guten Leistungen durchschnittlich 25 Minuten pro Nacht mehr schlafen als ihre Mitschüler:innen mit schlechteren Leistungen (Wolfson & Carskadon, 1998; . Abb. 4.25). Wenn man auf Schlaf verzichtet, um stattdessen noch zu lernen, verschlechtert sich die schulische Leistung, da es am nächsten Tag schwieriger wird, den Unterrichtsstoff zu verstehen oder in einem Test gut abzuschneiden (Gillen-O’Neel et al., 2013). zz Entwicklung und Erhalt von Nervenbahnen
Vielleicht haben Träume – oder die damit in Zusammenhang stehende Gehirnaktivität während der REMPhasen – eine physiologische Funktion, indem sie eine regelmäßige Stimulation des schlafenden Gehirns bewirken. Entwicklungsphysiologisch klingt diese Theorie einleuchtend. Stimulierende Ereignisse erhalten und erweitern die neuronale Vernetzung des Gehirns. Bei Kleinkindern vollzieht sich die neuronale Vernetzung in ungeheurem Tempo – der Anteil an REM-Phasen ist bei ihnen besonders hoch (. Abb. 4.26).
Kind
19–30 Jahre
Jugendliche:r
31–45 Jahre
90 Jahre
Erwachsener und älterer Mensch
>>Schnelle Augenbewegungen versetzen auch die Flüssig-
keit hinter der Netzhaut in Schwingung; Dadurch wird frischer Sauerstoff in die Zellen der Netzhaut transportiert und deren Unterversorgung verhindert.
zz Erregungsmuster sinnvoll interpretieren
Andere Theorien deuten Träume als Ergebnis neuronaler Aktivität, die sich vom Hirnstamm aus nach oben hin ausbreitet (Antrobus, 1991; Hobson, 2003, 2004, 2009). Das Aktivierungs-Synthese-Modell besagt, dass diese neuronale Aktivität zufällig geschieht und die Träume ein Versuch des Gehirns sind, diese Erregungsmuster zusammenzuführen. So wie eine Neurochirurgin Halluzinationen durch die Reizung verschiedener Bereiche des Kortex eines Patienten hervorrufen kann, kann dies auch durch eine dem Gehirn entstammende Stimulation geschehen. Wie Freud wohl vermutet haben mag, zeigen PET-Schichtaufnahmen schlafender Menschen während eines emotionalen Traumes ebenfalls eine erhöhte Aktivität in Teilen des limbischen Systems (in der Amygdala), die an der Entstehung von Emotionen beteiligt sind (Schwartz, 2012). Im Gegensatz dazu scheinen die Areale des Frontallappens, die für Hemmung und logisches Denken verantwortlich sind, vor sich hinzudämmern. Das könnte erklären, weshalb unsere Träume hemmungsloser sind, als wir im wachen Zustand (Maquet et al., 1996). Mischen Sie die emotionale Einfärbung des limbischen Systems mit den visuellen Erregungsausbrüchen des Gehirns, und – voilà! – wir träumen. Werden das limbische System oder die visuellen Zentren, die während des Träumens aktiv sind, geschädigt, so wird die gesamte Traumaktivität beeinträchtigt (Domhoff, 2003).
128
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
..Tab. 4.2 Traumtheorien
4
Theorie
Erklärung
Kritische Anmerkungen
Freuds Konzept der Wunscherfüllung
Träume liefern ein „psychisches Sicherheitsventil“ – bringen ansonsten nicht akzeptierbare Gefühle zum Ausdruck; enthalten einen manifesten (erinnerten) Inhalt und eine tiefer liegende Schicht mit einem latenten Inhalt – einer versteckten Bedeutung
Dafür fehlt jeglicher wissenschaftliche Beleg; Träume können auf viele unterschiedliche Weisen gedeutet werden
Informationsverarbeitung
Träume tragen dazu bei, sich Klarheit über die Ereignisse des Tages zu verschaffen und unsere Erinnerungen zu festigen
Aber warum träumen wir manchmal über etwas, was wir gar nicht oder in der Vergangenheit erlebt haben?
Physiologische Funktion
Eine regelmäßige Stimulierung des Gehirns durch REM-Schlaf kann dazu beitragen, dass Nervenbahnen entwickelt und erhalten werden
Das mag stimmen, aber es erklärt nicht, warum wir bedeutungsvolle Träume erleben
AktivierungsSyntheseModell
REM-Schlaf löst eine neuronale Aktivität aus, die zufällige visuelle Erinnerungen hervorruft, die unser Gehirn zu Geschichten zusammenfügt
Das Gehirn eines Individuums fügt die Geschichten zusammen, die uns allerdings etwas über den Träumenden sagen
Kognitive Theorie
Der Inhalt eines Traums bringt die kognitive Entwicklung eines Träumenden zum Ausdruck – sein Wissen und sein Verständnis. Träume simulieren unser Leben, einschließlich Worst-Case-Szenarien
Beschäftigt sich nicht mit der adaptiven Funktion von Träumen
>>Frage: Träumt man mehr, wenn man scharfe Gerichte
gegessen hat? Antwort: Jedes Essen, das ein häufiges Aufwachen in der Nacht bewirkt, erhöht Ihre Chancen, sich an einen Traum zu erinnern (Moorcroft, 2003).
zz Ausdruck der kognitiven Entwicklung
Einige Traumforscher:innen gehen stattdessen davon aus, dass Träume eine Rolle bei der Reifung des Gehirns und der kognitiven Entwicklung spielen (Domhoff, 2010, 2011; Foulkes, 1999). Vor dem 9. Lebensjahr gleichen die Träume von Kindern beispielsweise eher einer Art Diashow mit aufeinander folgenden Bildern und weniger einer Geschichte, an der die Träumenden aktiv beteiligt ist. Träume überlappen sich mit der Wahrnehmung im Wachzustand und weisen eine kohärente Sprache auf. Sie simulieren unsere Realität, indem sie sich unserer Begriffe und unseres Wissens bedienen. Sie nehmen Netzwerke des Gehirns ein, die auch während des Tagträumens aktiv sind – und können daher als durch visuelle Eindrücke verstärktes gedankliches Abschweifen betrachtet werden (Fox et al., 2013). Entgegen der Idee, dass Träume durch Gehirnaktivität hervorgerufen werden, wird der Trauminhalt laut dieser kognitiven Sichtweise durch den Verstand bestimmt (Nir & Tononi, 2010). Träume, so G. William Domhoff (2014), „dramatisieren unsere Wünsche, Ängste, Sorgen und Interessen in eindrucksvollen Szenarien, die wir als reale Ereignisse erleben.“ In . Tab. 4.2 werden die wichtigsten Traumtheorien miteinander verglichen. Obwohl sich Schlafforscher:innen bis heute über die Funktion von Träumen uneinig sind – einige glauben auch, dass Träume keiner Aufgabe dienen – stimmen sie in einem Punkt überein: Wir brauchen den REM-Schlaf. Menschen, denen der REM-Schlaf durch wiederholtes
Aufwecken entzogen wird, fallen nach dem erneuten Einschlafen immer schneller in dieses Schlafstadium. Sobald es den Versuchspersonen wieder gestattet wird, ungestört zu schlafen, schlafen sie im wahrsten Sinne des Wortes wie Babys – nämlich mit einem erhöhten REM-Schlaf-Anteil. Dieses Phänomen wird als REM-Rebound bezeichnet. Bei den meisten anderen Säugetieren kommt der REMRebound ebenfalls vor. Die Gründe und Funktionen des REM-Schlafs scheinen folglich tief biologisch verwurzelt zu sein. (Die Tatsache, dass nur Säugetiere REM-Schlaf zeigen, nicht aber andere Tiergattungen wie z. B. Fische, deren Verhalten weniger von Lernen bestimmt wird, unterstützt die Informationsverarbeitungstheorie der Träume.) Wenn Träume also physiologischen Zwecken dienen und die normale Kognition erweitern, verlieren sie dann ihre psychologische Relevanz? Nicht unbedingt. Jede psychologisch bedeutsame Erfahrung basiert auf einem aktiven Gehirn. All das erinnert uns wieder an eine zentrale Aussage: Biologische und psychologische Erklärungsansätze sind Partner, keine Konkurrenten. Träume sind faszinierend veränderte Bewusstseinszustände. Aber sie sind nicht die einzigen veränderten Zustände. Wie wir im Folgenden sehen werden, verändern Drogen ebenfalls unsere bewusste Wahrnehmung. REM-Rebound („REM rebound“) – Tendenz zur Verlänge-
rung der REM-Schlaf-Phasen nach einem REM-SchlafEntzug. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche fünf Theorien bieten Erklärungen dafür, warum wir träumen?
129
4.3 • Drogen und Bewusstsein
4.2.5
Rückblick: Schlaf und Träume
Verständnisfragen 4.4 – Was ist Schlaf ?
4.5 – Wie beeinflussen unsere biologischen Rhythmen
unser alltägliches Leben? 4.6 – Wie sieht der biologische Rhythmus unserer Schlafund Traumstadien aus? 4.7 – Wie wirken sich Biologie und Umfeld auf unsere Schlafmuster aus? 4.8 – Welche Funktionen hat der Schlaf ? 4.9 – Welche Auswirkungen hat Schlafmangel und was sind die wesentlichen Schlafstörungen? 4.10 – Wovon träumen wir? Was sind Theoretikern zufolge die Aufgaben von Träumen?
--------
Schlüsselbegriffe Alphawellen Deltawellen Halluzinationen Insomnie Latenter Trauminhalt Manifester Trauminhalt Narkolepsie Nucleus suprachiasmaticus Pavor nocturnus REM-Rebound REM-Schlaf Schlaf Schlafapnoesyndrom Traum Zirkadiane Rhythmik
Master the Material 1. Unsere Körpertemperatur neigt dazu, synchron mit einer biologischen Uhr zu steigen und zu sinken, was als ___ bezeichnet wird. 2. Während der NREM-1-Schlafphase erlebt eine Person höchstwahrscheinlich … a. Schlafspindeln. b. Halluzinationen. c. Pavor nocturnus oder Alpträume. d. schnelle Augenbewegungen. 3. Das Gehirn strahlt während des ___-Schlafs stark ausgeprägte, langsame Deltawellen ab. 4. Was passiert im Laufe der Nacht mit dem REMSchlafstadium? 5. Welcher der folgenden Punkte ist KEINER der Gründe, die zur Erklärung unseres Schlafbedürfnisses genannt wurden? a. Schlaf hat einen Überlebenswert. b. Schlaf hilft uns, uns zu erholen. c. Schlaf beruhigt die Augen. d. Schlaf spielt eine Rolle im Wachstumsprozess.
6. Was ist der Unterschied zwischen Narkolepsie und dem Schlafapnoesyndrom? 7. Freud interessierte sich bei der Deutung von Träumen vor allem für deren … a. informationsverarbeitende Funktion. b. physiologische Funktion. c. manifesten Inhalt oder Handlungsstrang. d. latenten Inhalt oder verborgene Bedeutung. 8. Inwiefern wurde mithilfe des Aktivierungs-SyntheseModells erklärt, warum wir träumen? 9. „Wobei du am Tag verweiltest, das wird dir folgen in die Nacht“ (Menander von Athen, Fragmente). Wie könnte man dieses altgriechische Zitat mithilfe der informationsverarbeitenden Perspektive auf das Träumen interpretieren? 10. Die tendenzielle Zunahme des REM-Schlafs nach REM-Schlafentzug bezeichnet man als ___. 4.3
Drogen und Bewusstsein
4.3.1
Toleranz und Sucht bei Substanzkonsumstörungen
?? 4.11 Was versteht man unter Substanzkonsum-
störungen? ?? 4.12. Welche Rolle spielen Toleranz und Sucht bei
Substanzkonsumstörungen und wie hat sich der Begriff „Sucht“ verändert?
Stellen wir uns einen Tag im Leben eines Konsumenten von legalen Drogen vor. Er beginnt mit einem Aufwachkaffee. Bis zur Mittagszeit haben bereits einige Zigaretten die angespannten Nerven beruhigt, bevor bei einem Termin bei einem plastischen Chirurgen mit Botox-Injektionen die Falten geglättet werden. Ein Energy-Drink am Nachmittag gibt den nötigen Auftrieb. Eine Schlankheitspille vor dem Abendessen verringert den Appetit. Ihre anregenden Effekte können später mit einem Bier und einer Schlaftablette gemildert werden. Und wenn die Leistungsfähigkeit verbessert werden soll, gibt es Betablocker für Bettakrobaten: Viagra für Männer mittleren und höheren Alters und Amphetamine für Studierende, die sich dadurch eine verbesserte Konzentrationsfähigkeit erhoffen. Solche Substanzen sind psychoaktive Drogen – chemische Stoffe, die Wahrnehmungen und Stimmungen verändern. Die meisten von uns konsumieren psychoaktive Drogen in Maßen und ohne negative Auswirkungen auf unser Leben. Manche von uns überschreiten jedoch die Grenze zwischen gemäßigtem Konsum und einer Substanzkonsumstörung:
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
130
Wann wird der Drogenkonsum zu einer Störung?
4
Laut der American Psychiatric Association kann bei einer Person eine Substanzkonsumstörung diagnostiziert werden, wenn der Drogenkonsum trotz erheblicher Störungen des Lebens fortgesetzt wird. Daraus resultierende Veränderungen im Gehirn können auch nach Beendigung des Konsums der Substanz fortbestehen (und somit in Situationen, die Erinnerungen an den Drogenkonsum auslösen, ein starkes Verlangen danach auslösen). Der Grad der Substanzkonsumstörung erstreckt sich von leicht (2–3 der unten aufgeführten Indikatoren) über mittelschwer (4–5 Indikatoren) bis schwer (6 oder mehr Indikatoren) (Quelle: American Psychiatric Association, 2013). Verminderte Kontrolle – Einnahme der Substanz in einer größeren Menge oder über einen längeren Zeitraum als ursprünglich beabsichtigt – Unfähigkeit, den Substanzkonsum zu kontrollieren – Erhebliche Zeitinvestition, um die Substanz zu beschaffen, zu konsumieren oder sich von den Wirkungen der Substanz zu erholen – Verlangen nach der Substanz Verminderte soziale Funktionsfähigkeit – Beeinträchtigung der Verpflichtungen am Arbeitsplatz, in der Schule oder Zuhause – Fortgesetzter Gebrauch trotz sozialer Probleme – Soziale, Freizeit- und Arbeitsaktivitäten werden aufgegeben oder reduziert Gefährlicher Gebrauch – Fortgesetzter Gebrauch trotz Gefahren – Fortgesetzter Gebrauch trotz sich verschlimmernder physischer oder psychischer Probleme Wirkung im Organismus – Toleranz (der gewünschte Effekt erfordert eine immer höhere Dosis) – Entzugserscheinungen beim Absetzen der Substanz
-
Der Gesamteffekt einer Substanz hängt nicht nur von ihren biologischen Auswirkungen ab, sondern auch von den Erwartungen des Konsumenten, die sich abhängig von sozialem Kontext sowie dem Kulturkreis unterscheiden (Gu et al., 2015; Ward, 1994). Herrscht in einer Kultur die Annahme vor, dass eine bestimmte Substanz Euphorie bewirkt (oder Aggression oder sexuelle Erregung), in einer anderen aber nicht, dann erfüllen sich die jeweiligen Erwartungen dieser Kulturen. Wir werden uns diese Einflussfaktoren in Bezug auf die Nutzung und den potenziellen Missbrauch psychoaktiver Drogen genauer anschauen. Aber zuerst betrachten wir, was zum gestörten Konsum verschiedener Substanzen beiträgt (siehe . Abb. 4.27).
Psychoaktive Droge („psychoactive drug“) – ein che-
mischer Stoff, der Wahrnehmungen und Stimmungen verändert. Substanzkonsumstörung („substance use disorder“) – eine Störung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das Verlangen nach und der Gebrauch von Substanzen trotz erheblicher Beeinträchtigung des Lebens und/oder eines körperlichen Risikos fortgesetzt wird. Toleranz („tolerance“) – die abnehmende Wirkung, wenn
man dieselbe Dosis einer Droge regelmäßig nimmt; der Konsument muss dann immer größere Dosen nehmen, bis er die Wirkung der Droge erlebt. Entzug („withdrawal“) – unangenehme und quälende Folgen des Absetzens einer suchterzeugenden Substanz oder des Aufhörens mit einem Suchtverhalten. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie entwickelt sich eine Drogentoleranz?
4.3.2
Arten psychoaktiver Substanzen
Es gibt mindestens drei Klassen psychoaktiver Substanzen: Dämpfende Substanzen, Stimulanzien und Halluzinogene. Alle davon entfalten ihre Wirkung an den Synapsen im Gehirn, indem sie die Aktivität der chemischen Botenstoffe des Gehirns – der Neurotransmitter – verstärken, hemmen oder nachahmen.
Dämpfende Substanzen ?? 4.13 Was sind dämpfende Substanzen und welche
Auswirkungen haben sie?
Dämpfende Substanzen sind Drogen wie z. B. Alkohol, Barbiturate (Tranquilizer) und Opiate, die die neuronale Aktivität abflauen lassen und die Körperfunktionen verlangsamen. Dämpfende Substanzen („depressant“) – Substanzen
(wie Alkohol, Barbiturate und Opiate), die die neuronale Aktivität reduzieren und die Körperfunktionen verlangsamen zz Alkohol
Wahr oder falsch? In großen Mengen gehört Alkohol zu den dämpfenden Substanzen, in geringen Mengen jedoch zu den Stimulanzien. Falsch. Unabhängig von der Menge ist Alkohol eine dämpfende Substanz. Geringe Dosen von Alkohol können tatsächlich beleben, aber sie tun dies durch die verlangsamte Gehirnaktivität in Bereichen, die die Ur-
Toleranz
Trinkt selten
Fortgesetzter Konsum von Alkohol und einigen anderen Substanzen (jedoch nicht Marihuana) führt zur Entwicklung einer Toleranz, da sich die Gehirnchemie anpasst, um die Wirkung der Substanz auszugleichen (Neuroadaption). Um die gleiche Wirkung zu erzielen, ist der Konsum immer höherer Dosen erforderlich, was das Risiko erhöht, süchtig zu werden und eine Substanzkonsumstörung zu entwickeln.
Sucht
Große Wirkung
Trinkt oft Reaktion bei erster Nutzung
Substanzwirkung
Geringe Wirkung Niedrig
4% der Weltbevölkerung haben eine Alkoholkonsumstörung2
Nach mehrfachem Konsum ist eine höhere Dosis der Substanz nötig, um den gleichen Effekt zu erzielen
Substanzdosis
Eine Sucht wird durch ständig steigende Dosen der meisten psychoaktiven 4% Substanzen (einschließlich verschreibungspflichtiger Schmerzmittel) Die Wahrscheinlichkeit, dass man zeit seines Lebens nach verursacht. Sie veranlasst die dem Konsum verschiedener Substanzen süchtig wird: betroffene Person dazu, nach der Substanz zu verlangen, den Konsum 9% Marihuana trotz negativer Folgen fortzusetzen 21% Kokain und Schwierigkeiten damit zu haben, die Substanz abzusetzen. Diese Ver23% Alkohol haltensweisen deuten auf eine 68% Tabak Substanzkonsumstörung hin. Menschen mit einer Sucht verlangen Quelle: National Epidemiologic Survey on mehr nach der Substanz, als dass sie Alcohol and Related Conditions3 1 sie mögen.
Hoch
Eine Therapie oder die Unterstützung durch eine Gruppe, z. B. die Anonymen Alkoholiker, kann helfen. Es hilft auch zu glauben, dass Sucht kontrollierbar ist und dass sich Menschen verändern können. Viele Menschen hören freiwillig und ohne Behandlung mit ihrem Substanzkonsum auf. Die meisten Menschen, die mit dem Rauchen aufhören, haben ihre Sucht eigenständig überwunden.4
Verhaltenssüchte In der Psychologie versucht man, den Begriff „Sucht“ zu vermeiden, wenn von getriebenen, exzessiven Verhaltensweisen wie Essen, Arbeit, Sex und Vermögensanhäufung die Rede ist. Ich bin SÜCHTIG nach Cheeseburgern!
4
131
4.3 • Drogen und Bewusstsein
Einige Verhaltensweisen können jedoch zwanghaft und dysfunktional werden – ähnlich wie bei problematischem Alkoholund Drogenkonsum. 5 • Zu den Verhaltenssüchten gehört die Glücksspielstörung. • Computerspielsucht wurde „zur weiteren Untersuchung“ vorgeschlagen.6 Einige Internetnutzende können offenbar nicht widerstehen, sich einzuloggen und im Internet zu bleiben, selbst wenn diese exzessive Nutzung ihre Arbeit und Beziehungen beeinträchtigt.7
Psychologische und medikamentöse Behandlungen können bei problematischem Internetgebrauch „überaus wirksam“ sein.8
1 Berridge et al., 2009; Robinson & Berridge, 2003. 2 WHO, 2014. 3 Lopez-Quintero et al., 2011. 4 Newport, 2013. 5 Gentile, 2009; Griffiths, 2001; Hoeft et al., 2008. 6American Psychiatric Association, 2013. 7Cheng & Li, 2014; Ko et al., 2005. 8 Winkler et al., 2013.
..Abb. 4.27 Kritisch nachdenken über: Toleranz und Sucht
teilskraft und Hemmung steuern. Alkohol wirkt je nach Situation unterschiedlich: Er verstärkt (enthemmt) die Tendenzen, anderen zu helfen, z. B. wenn ein angetrunkener Restaurantbesucher ungewöhnlich hohe Trinkgelder gibt oder bei Gesellschaftstrinker:innen eine Gruppenbindung entsteht (Fairbairn & Sayette, 2014; Lynn, 1988). Auf der anderen Seite verstärkt Alkohol negative Absichten, wenn beispielsweise sexuell erregte Männer eher zu sexueller Gewalt neigen. Eine Studie der University of Illinois ergab, dass vor einem sexuellen Übergriff 80 % der männlichen Täter und 70 % der weiblichen Opfer Alkohol getrunken hatten (Camper, 1990). Eine weitere Studie mit 89.874 amerikanischen College-Stu-
dierenden zeigt, dass in 79 % der Fälle von ungewolltem sexuellem Verkehr Alkohol oder andere Drogen konsumiert wurden (Presley et al., 1997). Sowohl Männer als auch Frauen sind eher zu unverbindlichem Sex bereit, wenn sie Alkohol getrunken haben (Claxton et al., 2015; Johnson & Chen, 2015). Zusammengefasst bedeutet dies: Es sind die Bedürfnisse, die Sie im nüchternen Zustand haben, die Sie höchstwahrscheinlich im betrunkenen Zustand befriedigen. Anhaltendes und exzessives Trinken, das für eine Alkoholkonsumstörung charakteristisch ist, kann zur Schrumpfung des Gehirns führen (. Abb. 4.28). Frauen sind besonders gefährdet, da bei ihnen ein Magenenzym
132
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
..Abb. 4.28 a,b Gestörter Alkoholkonsum lässt das Gehirn schrumpfen. Bei MRT-Schichtaufnahmen zeigt sich a bei Frauen mit einer Alkoholkonsumstörung eine Verringerung der Gehirnmasse, wenn man dies b mit Frauen aus der Kontrollgruppe vergleicht. (Mit freundlicher Genehmigung des National Institute on Alcohol Abuse and Alcoholism/National Institutes of Health, Daniel Hommer)
a
b MRT einer Frau mit Alkoholismus
zum Abbau des Alkohols fehlt (Wuethrich, 2001). Mädchen und junge Frauen können zudem schneller von Alkohol abhängig werden als Jungen und junge Männer; und bei ihnen werden schon bei einem weniger extremen Konsumniveau Lunge, Gehirn und Leber geschädigt (CASA, 2003). Verlangsamung der Verarbeitung im Nervensystem Al-
kohol verlangsamt die Aktivität des sympathischen Nervensystems. Geringe Dosen entspannen. Bei größeren Dosen hat er zu Folge, dass sich die Reaktionen verlangsamen, die Sprache schleppend wird und die Bewegungen ungelenk werden. Zusammen mit Schlafentzug wirkt Alkohol wie ein Beruhigungsmittel. Diese physiologischen Effekte können in Verbindung mit der herabgesetzten Hemmschwelle tödlich enden: Weltweit passieren hunderttausende tödlich ausgehende Unfälle und Gewalttaten pro Jahr, bei denen Alkohol im Spiel ist. Mit steigender Promillezahl sinkt das moralische Urteilsvermögen und die Bedenken gegenüber alkoholisiertem Fahren schwinden (. Abb. 4.29). In Experimenten beschlossen praktisch alle trinkenden Versuchspersonen, die im nüchternen Zustand noch beteuert hatten, nicht unter Alkoholeinfluss zu fahren, später von der Bar nach Hause zu fahren, selbst wenn bei einem Alkoholtest festgestellt wurde, dass sie betrunken sind (Denton & Krebs, 1990; MacDonald et al., 1995). Alkohol kann lebensgefährlich werden, wenn starkes Trinken auf eine vorangegangene Phase moderaten Trinkens, das den Brechreiz unterdrückt, folgt. Die Alkoholkonsumierenden können sich mit einer Überdosis vergiften, die sie normalerweise erbrechen würden. Gedächtnisstörungen Alkohol kann die Verarbeitung
aktueller Erfahrungen im Langzeitgedächtnis beeinträchtigen. Zudem kann häufiges exzessives Trinken das Gehirn und die Kognition dauerhaft beeinträchtigen. Bei Ratten führt exzessives Trinken – in einer Entwicklungsphase, die der menschlichen Jugend ähnelt – zum Absterben von Nervenzellen und zu einer reduzierten
MRT einer Frau ohne Alkoholismus
Produktion neuer Nervenzellen. Ebenfalls beeinträchtigt es das Wachstum von synaptischen Verbindungen (Crews et al., 2006, 2007). Bei Menschen kann starkes Trinken zu Blackouts führen, weshalb sie sich am nächsten Tag nicht mehr an Leute erinnern können, die sie getroffen haben, oder daran, was sie in der letzten Nacht gesagt oder getan haben. Gedächtnislücken nach dem Trinken resultieren teilweise daraus, dass Alkohol den REM-Schlaf unterdrückt, welcher dazu beiträgt, die täglichen Erlebnisse auf Dauer im Gedächtnis zu speichern. Alkoholkonsumstörung („alcohol dependance“) – Alko-
holkonsum, der von Toleranz, Entzug und dem Drang zur Fortsetzung des problematischen Konsums geprägt ist. Verringerung von Selbstaufmerksamkeit (Ich-Bewusstsein) und Selbstkontrolle In einem Experiment schweiften
diejenigen, die Alkohol konsumierten (statt eines Placebogetränks), während einer Leseaufgabe etwa doppelt so oft mit ihren Gedanken ab – bemerkten aber seltener, dass sie dies taten (Sayette et al., 2009). Manchmal schalten wir gedanklich wir ab, um unserem Gehirn eine Pause zu gönnen. Unbeabsichtigt mit den Gedanken woanders zu sein – z. B. beim Fahren – kann jedoch später Grund zur Reue geben, vor allem wenn wir uns selbst oder andere gefährdet haben (Seli et al., 2016). Alkohol verringert nicht nur die Selbstaufmerksamkeit, sondern führt darüber hinaus zu einer Art „Kurzsichtigkeit“, indem er die Aufmerksamkeit auf die unmittelbare Situation richtet (z. B. eine Provokation), sodass normale Hemmungen wegfallen und zukünftige Konsequenzen nicht mehr bedacht werden (Giancola et al., 2010; Hull & Bond, 1986; Steele & Josephs, 1990). Dieser Effekt der verringerten Selbstaufmerksamkeit kann erklären, warum diejenigen, die ihr Gefühl des Versagens und der Unzulänglichkeit verdrängen wollen, eher zum Trinken neigen als selbstbewusste Menschen. Nach dem Scheitern einer geschäftlichen Transaktion, einem
133
4.3 • Drogen und Bewusstsein
..Abb. 4.29 Vorführung einer Alkoholkatastrophe. Feuerwehrleute stellten das Trauma eines alkoholbedingten Autounfalls nach und boten so den Schüler:innen dieser High-School eine denkwürdige Vorführung. Alkoholkonsum erzeugt ein Gefühl der Unverwundbarkeit, welches besonders gefährlich beim Autofahren ist. (© Lon C. Diehl/PhotoEdit)
verlorenen Spiel oder einer Trennung kommt es leicht zu exzessivem Alkoholgenuss. Erwartungseffekte Wie bei anderen psychoaktiven Sub-
stanzen beeinflussen Erwartungen das Verhalten. Erwartungen liefern eine Erklärung dafür, warum Jugendliche – in der Annahme, dass Alkohol ihre Stimmung hebt – manchmal trinken, wenn sie aufgewühlt und allein sind. Alleine zu trinken bewirkt allerdings keine Verbesserung der Stimmung, sondern erhöht vielmehr die Wahrscheinlichkeit, eine Substanzkonsumstörung zu entwickeln (Creswell et al., 2014; Fairbairn & Sayette, 2014). Der bloße Glaube, Alkohol konsumiert zu haben, kann dazu führen, dass Menschen sich auch so verhalten, als hätten sie tatsächlich getrunken (Christiansen et al., 2016; Moss & Albery, 2009). In einem mittlerweile klassischen Experiment wurde Männern der Rutgers University (die sich freiwillig für eine Studie zum Thema „Alkohol und sexuelle Stimulation“ gemeldet hatten) ein alkoholisches oder ein nicht alkoholisches Getränk gegeben (Abrams & Wilson, 1983). (Beide Getränke hatten einen so starken Geschmack, dass der Geschmack des teilweise vorhandenen Alkohols überdeckt wurde.) Dann zeigte man ihnen einen erotischen Videofilm. Die Männer, die dachten, sie hätten Alkohol getrunken, berichteten mit höherer Wahrscheinlichkeit, dass sie starke sexuelle Phantasien gehabt hätten, sich aber nicht schuldig fühlten. Die Möglichkeit, ihre sexuelle Reaktion dem Alkohol zuzuschreiben, nahm ihnen die Hemmungen, unabhängig davon, ob sie tatsächlich getrunken hatten oder nicht. Die Auswirkungen von Alkohol sind also zum Teil abhängig vom Verstand. Vierzehn „Interventionsstudien“ haben Trinker:innen an Hochschulen über genau
diesen Punkt aufgeklärt (Scott-Sheldon et al., 2014). Die meisten Teilnehmer:innen zeigten im Anschluss weniger positive Erwartungen an Alkohol und reduzierten ihren Alkoholkonsum im darauffolgenden Monat. zz Barbiturate
Wie Alkohol unterdrücken Barbiturate oder Tranquili des Nervensystems. Barbiturate wie z. B. Nembutal, Seconal und Amytal werden manchmal als Schlafmittel und zur Angstreduzierung verordnet. In größeren Dosen können sie zu Gedächtnisstörungen und einer Verminderung der Urteilsfähigkeit führen. In Kombination mit Alkohol – wenn man etwa nach einem „feuchtfröhlichen“ Abend eine Schlaftablette nimmt – kann der hemmende Effekt auf die Körperfunktionen tödlich sein. Barbiturate („barbiturates“) – Substanzen, die zur Ver-
ringerung der Aktivität des zentralen Nervensystems führen. Sie wirken angstreduzierend, schränken jedoch das Gedächtnis und die Urteilsfähigkeit ein. zz Opiate
Opiate – Opium und seine Derivate – verringern ebenfalls die neuronale Aktivität. Zu den Opiaten gehören Heroin und auch ärztlich verordnete schmerzstillende Betäubungsmittel wie Kodein, Morphin und Methadon (ein synthetisches Opiat, das manchmal als Heroinersatz verschrieben wird). Für einige Stunden werden Schmerz und Angst von Glückseligkeit abgelöst. Dabei verengen sich die Pupillen, die Atmung wird langsamer und der Konsument lethargisch. Diejenigen, die von diesem kurzen Glück abhängig werden, zahlen möglicherweise einen hohen Preis: Das quälende Bedürfnis nach dem nächsten Schuss, dem Drang nach immer höheren Dosen (mit zunehmender Toleranz) und extreme Beschwerden
4
134
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
des Entzugs. Wird das Gehirn immer wieder mit einem künstlichen Opiat überschwemmt, hört es irgendwann auf, Endorphine zu produzieren – seine eigenen Opiate. Kommt es dann zum Entzug, fehlt dem Gehirn die normale Menge dieser schmerzlindernden Neurotransmitter. In den letzten Jahren waren immer mehr Menschen nicht in der Lage oder nicht willens, diesen Zustand zu tolerieren und zahlten schließlich den höchsten Preis: Tod durch Überdosis (CDC, 2015). Opiate („opiates“) – Opium und seine Derivate wie Morphium und Heroin vermindern die neuronale Aktivität und lindern daher zeitweise Schmerzen und Angstgefühle. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Kann man „süchtig“ nach Shopping werden? – Alkohol, Barbiturate und Opiate gehören alle zur Kategorie der ___.
Stimulanzien ?? 4.14 Was sind Stimulanzien und welche Auswirkun-
gen haben sie?
Stimulanzien wirken sich zeitweilig anregend auf die neuronale Aktivität und die Körperfunktionen aus. Sie erweitern die Pupillen, beschleunigen den Herzschlag und die Atmung und bewirken eine Steigung des Blutzuckerspiegels und folglich eine Verringerung des Appetits. Zudem steigern sie die Energie und das Selbstbewusstsein. Zu den Stimulanzien gehören Koffein, Nikotin und stärkere Substanzen, wie Kokain, Amphetamine, Methamphetamine („Speed“) und Ecstasy. Menschen verwenden diese Substanzen, um wach zu bleiben, abzunehmen und die Stimmung oder die sportliche Leistungsfähigkeit zu steigern. Allerdings sind die Resultate solcher Stimulanzien eher bescheiden (Ilieva et al., 2015). Stimulanzien können auch abhängig machen, wie Sie vielleicht wissen, wenn Sie einer von vielen sind, die täglich koffeinhaltige Getränke wie Kaffee, Tee, Limonade oder Energydrinks konsumieren. Sobald Sie nicht ihre gewöhnliche Dosis erhalten, leiden Sie möglicherweise an Müdigkeit, Kopfschmerzen, Reizbarkeit oder sogar Depression (Silverman et al., 1992). Eine geringe Dosis Koffein hält normalerweise 3 bis 4 Stunden an, am Abend konsumiert kann somit der Schlaf beeinträchtigt werden. Stimulanzien („stimulants“) – Substanzen (wie Koffein,
Nikotin und stärkere, wie Kokain, Amphetamine, Methamphetamine und Ecstasy), die die neuronale Aktivität verstärken und die Körperfunktionen beschleunigen.
Nikotin („nicotine“) –eine stimulierende und höchst süch-
tig machende psychoaktive Substanz in Tabak. zz Nikotin
Zigaretten, E-Zigaretten und andere Tabakprodukte enthalten stark abhängig machendes Nikotin. Stellen Sie sich vor, Zigaretten wären völlig ungefährlich – bis auf eine von 25.000 Schachteln, in der eine harmlos aussehende Zigarette nicht mit Tabak, sondern mit Dynamit gefüllt ist. Ihr Risiko, in die Luft zu gehen, wäre also nicht besonders hoch. Aber bei über 250 Mio. Schachteln Zigaretten, die täglich weltweit geraucht werden, könnten wir mit über 10.000 grauenvollen Todesfällen pro Tag rechnen – das sollte ausreichen, Zigaretten überall verbieten zu lassen (modifiziert nach Saunders, zit. nach Cole, 1998).
» „In Medizin und Wissenschaft herrscht einhellig die Mei-
nung, dass das Rauchen von Zigaretten bei Rauchern zu Lungenkrebs, Herzkrankheiten, Lungenemphysemen und anderen schweren Krankheiten führt. Raucher haben ein wesentlich höheres Risiko, Lungenkrebs zu bekommen, als Nichtraucher.“ Philip Morris Companies Inc. (1999)
Die vielen Leben, die durch diese mit Dynamit gefüllten Zigaretten verloren gingen, entsprechen annähernd der aktuellen Zahl an Toten durch Zigaretten. Wer als Jugendlicher im Jugendalter mit dem Rauchen angefangen hat und bis zum Tod raucht, stirbt mit 50%iger Wahrscheinlichkeit an dieser Gewohnheit, und jedes Jahr tötet Tabak fast 5,4 Mio. der insgesamt 1,3 Mrd. Rauchenden weltweit. (Stellen Sie sich das Entsetzen vor, wenn Terroristen heute einen Anschlag auf die gleiche Menge Menschen in 25 Jumbojets ausgeübt hätten, nicht zu sprechen von morgen und jedem einzelnen Tag danach.) Bis 2030 werden die jährlichen Todesfälle durch Tabakkonsum Schätzungen zufolge auf 8 Mio. ansteigen. Das würde bedeuten, dass 1 Mrd. Menschen im 21. Jahrhundert durch Tabak getötet würden (WHO, 2012). >>Für HIV-Infizierte, die rauchen, ist das Virus jetzt viel
weniger tödlich als das Rauchen (Helleberg et al., 2013).
Zu den Tabakprodukten gehören Zigaretten, Zigarren, Kautabak, Pfeifentabak, Schnupftabak und – seit kurzem – E-Zigaretten. E-Zigaretten geben den Benutzern einen Schuss Nikotin ohne krebserzeugenden Teer. Infolgedessen ist ihr Verkauf in die Höhe geschnellt: Zwischen 2011 und 2013 hat sich der Konsum von E-Zigaretten bei Jugendlichen verdreifacht (Arrazola et al., 2015; Noland et al., 2016). Aber es gibt auch eine Kehrseite: E-Zigaretten beinhalten giftige Chemikalien und können die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass man konventionelle Zigaretten raucht (Barrington-Trimis et al., 2016; Farsalinos et al., 2014). Anders als die Herstellenden manchmal behaupten, scheinen E-Zigaretten den der-
135
4.3 • Drogen und Bewusstsein
..Abb. 4.30 Wo Rauch ist …: Die physiologischen Effekte von Nikotin. Nikotin erreicht das Gehirn innerhalb von 7 s, ist also doppelt so schnell wie intravenöses Heroin. Innerhalb von Minuten dringt die inhalierte Nikotinmenge in den gesamten Blutkreislauf
1. Bringt das Gehirn in einen Zustand erhöhter Wachsamkeit 4. Reduziert die Blutzirkulation in den Extremitäten
2. Erhöht Herzschlag und Blutdruck
3. Auf einem hohen Niveau, entspannt die Muskeln und löst die Freisetzung von Neurotransmittern, die Stress reduzieren können, aus
zeitigen Raucher:innen auch nicht dabei zu helfen, mit dem Rauchen aufzuhören (Wang et al., 2015c). Rauche eine Zigarette, und das Leben wird dir dafür 12 Minuten berechnen – ironischerweise ist das in etwa die Zeit, die man für eine Zigarette braucht (Discover, 1996). (Forschende wissen noch nicht, wie sich das Rauchen von E-Zigaretten auf die Lebenserwartung auswirkt.) Im Vergleich zu Nichtraucher:innen ist die Lebenserwartung von Raucher:innen „mindestens zehn Jahre kürzer“ (CDC, 2013b). Das Verbot von Nikotinkonsum würde die Lebenserwartung mehr als jede andere präventive Maßnahme steigern. Warum also rauchen so viele Menschen? Tabakprodukte machen stark und schnell abhängig. Versuche, mit dem Rauchen aufzuhören, scheitern oft – sogar, wenn man bereits in den ersten Wochen, nachdem man zu Rauchen angefangen hat, wieder aufhören möchte (DiFranza, 2008). Wie bei jeder Sucht werden auch Rauchende abhängig und entwickeln eine Toleranz. Aufhören führt zu Entzugserscheinungen, u. a. starkes Verlangen nach Nikotin, Schlaflosigkeit, Angst, Reizbarkeit und Ablenkbarkeit. Raucher:innen zeigen nach dem Aufhören eine dreimal so hohe Ablenkungsrate wie Nichtraucher:innen, wenn sie sich auf eine Aufgabe konzentrieren sollen (Sayette et al., 2010). Wenn sie sich gerade nicht nach einer Zigarette sehnen, unterschätzen sie die Stärke ihres Verlangens bei einem zukünftigen Entzug (Sayette et al., 2008). Man braucht nur einen einzigen Zug an einer Zigarette, um sich von den unangenehmen Zuständen des Entzugs zu befreien. Innerhalb von 7 Sekunden löst der Nikotinstoß im zentralen Nervensystem eine Ausschüttung von Neurotransmittern aus (. Abb. 4.30).
5. Unterdrückt den Appetit auf Kohlenhydrate
Adrenalin und Noradrenalin zügeln den Appetit und steigern Aufmerksamkeit sowie geistige Leistungsfähigkeit. Dopamin und Opioide vermindern zwischenzeitlich Angstgefühle und Schmerzempfinden (Ditre et al., 2011; Gavin, 2004). Kein Wunder, dass ehemalige Rauchende manchmal wieder anfangen zu rauchen, wenn sie gestresst sind – wie etwa 1 Mio. Amerikaner:innen nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001 (Pesko, 2014). Gleiches gilt für Menschen mit einer schweren depressiven Störung, bei denen die Wahrscheinlichkeit höher ist als bei anderen, dass sich ihre Bemühungen aufzuhören in Rauch auflösen (Zvolensky et al., 2015). Diese Belohnungen lassen die Menschen weiter rauchen, auch wenn sie gerne aufhören würden – bei 3 von 4 Raucher:innen ist dies der Fall (Newport, 2013). Jedes Jahr schafft es weniger als 1 von 7 Raucher:innen, aufzuhören – auch wenn sie wissen, dass sie Selbstmord auf Raten begehen (Saad, 2002). Dennoch lohnt es sich, nicht sofort aufzugeben. Die Hälfte aller Amerikaner:innen, die je geraucht haben, hat endgültig aufgehört – manchmal mit Hilfe von Nikotinersatzmitteln, Beratung oder einer Selbsthilfegruppe. Einige Forschenden argumentieren, dass es am besten ist, abrupt aufzuhören und auf „kalten Entzug“ zu gehen (Lindson-Hawley et al., 2016). Andere sind der Meinung, dass der Erfolg unabhängig davon ist, ob man abrupt oder schrittweise aufhört (Fiore et al., 2008; Lichtenstein et al., 2010). Bei denjenigen, die durchhalten, lassen das akute Verlangen und die Entzugssymptome allmählich in den folgenden sechs Monaten nach (Ward et al., 1997). Nach einem Jahr Abstinenz werden nur 10 % im darauffolgenden Jahr rückfällig (Hughes, 2010). Diese Nichtraucher:in-
4
136
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
Präsynaptisches Neuron Aktionspotenzial
Reuptake
Synaptischer Spalt
4 Postsynaptisches Neuron Neurotransmittermolekül
Kokain
Rezeptoren
a
b
c
Neurotransmitter übertragen eine Botschaft von einem präsynaptischen Neuron über eine Synapse zu den Rezeptoren der postsynaptischen Nervenzelle
Das präsynaptische Neuron nimmt normalerweise die überschüssigen Neurotransmittermoleküle wieder auf; dieser Prozess wird als Reuptake bezeichnet
Indem Kokain die Kanäle besetzt, durch die normalerweise die Neurotransmittermoleküle wieder aufgenommen werden, blockiert die Droge die Wiederaufnahme von Dopamin, Noradrenalin und Serotonin (Ray & Ksir, 1990). Die zusätzlichen Neurotransmittermoleküle verbleiben daher in der Synapse, und ihre normale stimmungshebende Wirkung wird verstärkt: So entsteht der euphorische Rausch. Sinkt der Kokainspiegel, führt das Fehlen dieser Neurotransmitter zum Zusammenbruch
..Abb. 4.31 a–c Kokaineuphorie und Zusammenbruch
nen leben nicht nur gesünder, sondern wahrscheinlich auch glücklicher. Rauchen korreliert mit höheren Depressionsraten, chronischen Behinderungen und Scheidung (Doherty & Doherty, 1998; Edwards & Kendler, 2012; Vita et al., 1998). Gesund zu leben bedeutet nicht nur, dass man länger lebt, sondern auch, dass man in diesen Jahren mehr vom Leben hat.
» „Argumente gegen das Rauchen: ‚Es handelt sich um eine
abstoßende Sucht, die Sie langsam, aber sicher in einen keuchenden, grauhäutigen, von einem Tumor geplagten Pflegefall verwandelt, der bräunliche Klumpen giftigen Abfalls aus einer seiner noch verbliebenen Lungenhälften hustet.‘ Argumente für das Rauchen: ‚Andere Teenager machen es auch.‘ So viel dazu. Lasst uns eine rauchen!“ Der Komiker Dave Barry (1995), der sich daran erinnert, warum er in dem Sommer, in dem er 15 wurde, seine erste Zigarette rauchte.
» „Mit dem Rauchen aufzuhören ist die leichteste Sache, die ich je vollbracht habe; ich sollte es wissen, denn ich habe es schon 1000-mal gemacht.“ Mark Twain (1835–1910). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Mit welchen Entzugserscheinungen muss Ihre Freundin rechnen, wenn sie sich endlich entscheidet, mit dem Rauchen aufzuhören?
zz Kokain
Kokain ist ein starkes und abhängig machendes Stimulanzmittel, das aus der Kokapflanze gewonnen wird. Das Rezept für Coca-Cola enthielt im Original einen Extrakt dieser Pflanze, war also ein Kokaintonikum für müde ältere Menschen. Zwischen 1896 und 1905 war die Coke tatsächlich „the real thing“. Aber auch nicht länger. Kokain wird nun gesnifft, injiziert oder geraucht (manchmal in Form der Straßendroge Crack, eine schneller wirkende kristalline Form von Kokain, die ein kürzeres, aber intensiveres „High“ produziert, gefolgt von einem ebenso heftigeren Absturz). Es erreicht den Blutkreislauf sehr schnell und bewirkt einen Euphorierausch, welcher wiederum den Vorrat des Gehirns an den Neurotransmittern Dopamin, Serotonin und Noradrenalin aufbraucht (. Abb. 4.31). Innerhalb einer Stunde kommt es zum Absturz in eine agitierte Depression, sobald die Drogenwirkung nachlässt. Das Verlangen nach mehr Kokain nimmt nach einigen Stunden ab, tritt allerdings Tage später wieder auf (Gawin, 1991). Kokain („cocaine“) – ein starkes und abhängig machen-
des Stimulanzmittel, das aus der Kokapflanze gewonnen wird; bewirkt vorübergehend erhöhte Wachsamkeit und Euphorie. In Situationen, die Aggressionen hervorrufen können, kann Kokain die Aggressivität noch steigern. Eingesperrte Ratten kämpfen, wenn sie Elektroschocks erhalten, und sie
137
4.3 • Drogen und Bewusstsein
a
b
..Abb. 4.32 Faces of Meth. Von Los Angeles in den USA (a) bis Teheran im Iran (b) leiden Menschen unter ihrer Methamphetaminsucht und dem damit verbundenen körperlichen Abbau. Das Multnomah County Sheriff’s Office im US-Bundesstaat Oregon dokumentierte
diesen dramatischen Verfall in Vorher-Nachher-Fotos unter https:// www.facesofmeth.us/, um vor den Folgen des Meth-Konsums zu warnen und beim Ausstieg zu helfen. (a: © Jae C. Hong/AP Photo/picture alliance; b: © brahim Noroozi/AP Images/picture alliance)
kämpfen umso mehr, wenn sie Kokain und Elektroschocks erhalten. Menschen, die freiwillig eine hohe Dosis Kokain eingenommen haben, muten bei Laborexperimenten einer vermeintlich gegnerischen Person höhere Elektroschocks zu, als diejenigen, denen ein Placebo verabreicht wurde (Licata et al., 1993). Der Konsum von Kokain kann zudem zu emotionalen Störungen, Misstrauen, Krämpfen, Herzstillstand oder Atemversagen führen. Der psychologische Effekt von Kokain ist zum Teil abhängig von der Dosierung und der Art der Verabreichung. Aber wie bei allen psychoaktiven Substanzen spielen auch die jeweilige Situation sowie die Erwartungen und die Persönlichkeit der Konsumierenden eine große Rolle. Gibt man Kokainkonsumierenden ein Placebo, während sie glauben, sie würden Kokain erhalten, sind ihre Erfahrungen häufig die gleichen wie nach einem tatsächlichen Kokainkonsum (Van Dyke & Byck, 1982). In nationalen Studien gaben 2,5 % der amerikanischen Oberstufenschüler:innen und 6 % der britischen 18- bis 24-Jährigen an, im vorigen Jahr Kokain probiert zu haben (ACMD, 2009; Johnston et al., 2017). Fast die Hälfte unter ihnen sagte, sie hätten Crack geraucht. In Deutschland berichten laut „Europäischer Schülerstudie zu Alkohol und anderen Drogen“ (Kraus et al., 2011) 3,1 % der Schüler:innen der 9. und 10. Klasse, schon einmal Kokain genommen zu haben. 1,9 % geben an, Erfahrung mit Crack zu haben.
steigt der Energiepegel und die Stimmung verbessert sich. Methamphetamine lassen sich chemisch von den Amphetaminen ableiten (NIDA, 2002, 2005), haben aber noch stärkere Auswirkungen. Methamphetamin löst die Freisetzung des Neurotransmitters Dopamin aus, wodurch wiederum die Gehirnzellen stimuliert werden, die für die Steigerung der Energie und der Stimmung zuständig sind. Das kann z. B. zu einem mehr als acht Stunden andauernden Zustand höherer Energie und Euphorie führen. Zu den Nachwirkungen gehören Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Krampfanfälle, soziale Isolation, Depression und gelegentlich gewalttätiges Verhalten (Homer et al., 2008). Langfristig scheint Methamphetamin auch das Ausgangsniveau des Dopaminspiegels zu verringern, was bei Konsumierenden zu einer dauerhaft herabgesetzten Funktionsfähigkeit führt (. Abb. 4.32).
» „Kokain macht aus dir einen neuen Menschen. Und das erste, was dieser neue Mensch möchte, ist mehr Kokain.“ Der Comedian George Carlin (1937–2008)
zz Methamphetamine
Amphetamine stimulieren die neuronale Aktivität. Mit zunehmender Beschleunigung der Körperfunktionen
Amphetamine („amphetamines“) – Substanzen, die die
neuronale Aktivität stimulieren und zu einer Beschleunigung der Körperfunktionen führen. Der Energiepegel steigt an und die Stimmung verbessert sich. Methamphetamin („methamphetamine“) – stark süchtig machende Droge, die das zentrale Nervensystem stimuliert; führt zu beschleunigten Körperfunktionen und Veränderungen in Bezug auf Energie und Stimmung; mit der Zeit scheint sie das Ausgangsniveau des Dopaminspiegels zu verringern. zz Ecstasy
MDMA (3-Methoxy-4,5-Methylen-Dioxyphenil-isopropyl-Amin, auch in Pulverform als Molly bekannt), bekannt unter dem Namen Ecstasy, ist gleichzeitig Stimulanz und schwaches Halluzinogen. Als Derivat von Amphetamin verstärkt Ecstasy die Ausschüttung von
4
138
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
..Abb. 4.33 Die Schmusedroge. MDMA, auch bekannt als Ecstasy, ruft Euphorie und Gefühle der Intimität hervor. Regelmäßiger Konsum zerstört jedoch die serotoninproduzierenden Nervenzellen und kann somit das Gedächtnis schädigen und dauerhaft die Stimmung trüben. (© Diorgi/stock.adobe.com)
Dopamin. Doch der Haupteffekt liegt in der Ausschüttung von gespeichertem Serotonin und der Blockade seiner Wiederaufnahme – und somit in der Verlängerung des Wohlgefühls durch das Serotonin (Braun, 2001). Den Effekt erleben die Konsumierenden meist eine halbe Stunde nach der Einnahme einer Ecstasypille. Für drei vier Stunden fühlen sie sich sehr energiegeladen und erleben ein emotionales Hochgefühl und (in einem entsprechenden sozialen Kontext) ein Gefühl der Verbundenheit mit den anderen Anwesenden („Ich liebe alle“). Ecstasy (auch MDMA, „ecstasy“) – synthetisches Stimulans
und schwaches Halluzinogen. Führt zu Euphorie und dem Gefühl sozialer Nähe, birgt jedoch kurzfristige Gesundheitsrisiken und beschädigt längerfristig serotonerge Neuronen; wirkt auf Stimmung und Kognition. In den 1990er Jahren war Ecstasy als „Partydroge“ äußerst beliebt in Clubs und Diskotheken, wenn man die ganze Nacht tanzen wollte (Landry, 2002). Die Droge gewann über nationale Grenzen hinaus an Popularität – allein in Großbritannien werden jährlich schätzungsweise 60 Mio. Ecstasypillen konsumiert (ACMD, 2009). Es gibt jedoch keinen Grund zur Ekstase gegenüber Ecstasy. Ein unmittelbarer Effekt ist die Dehydrierung des Körpers, die – verbunden mit lang anhaltendem Tanzen – zur starken Überhitzung, Blutdruckanstieg und zum Tod führen kann. Einer der Langzeiteffekte des ständig erhöhten Serotoninspiegels ist die Zerstörung von Neuronen, die Serotonin produzieren – die Folge ist eine Senkung des Serotoninspiegels und eine Erhöhung des Risikos für eine dauerhaft gedrückte Stimmung (Croft et al., 2001; McCann et al., 2001; Roiser et al., 2005). Weitere Untersuchungen zeigen, dass Ecstasy
das Immunsystem hemmt, das Gedächtnis und andere kognitive Funktionen beeinträchtigt sowie Schlafstörungen verursacht, da es in den durch Serotonin gesteuerten zirkadianen Rhythmus eingreift (Laws & Kokkalis, 2007; Schilt et al., 2007; Wagner et al., 2012b). Ecstasy erhellt die Nacht, verdunkelt jedoch den nächsten Morgen (. Abb. 4.33).
Halluzinogene ?? 4.15 Was sind Halluzinogene und welche Auswirkun-
gen haben sie?
Halluzinogene verzerren die Wahrnehmung und wecken sensorische Vorstellungen ohne sensorischen Input (weswegen einige dieser Substanzen als psychedelisch bezeichnet werden, also als „bewusstseinserweiternd“). Manche von ihnen sind natürliche Substanzen, wie z. B. das schwächere Halluzinogen Marihuana. Andere werden synthetisch hergestellt, wie LSD und MDMA (Ecstasy). Halluzinogene („hallucinogens“) – psychedelische („be-
wusstseinserweiternde“) Substanzen, wie LSD, die Wahrnehmungen verzerren und sensorische Bilder ohne sensorischen Input generieren. Wird das Gehirn zum Halluzinieren gebracht – sei es durch Drogen, Sauerstoffmangel oder extreme sensorische Deprivation – so halluziniert es im Wesentlichen auf die gleiche Art und Weise (Siegel, 1982). Zuerst sieht man normalerweise einfache geometrische Formen wie Gitter, Spinnennetze und Spiralen. Die nächste Phase besteht aus bedeutungsreicheren Bildern. So dehnen sich einige zu Trichtern und Tunneln aus, oder spiegeln frühere emo-
139
4.3 • Drogen und Bewusstsein
tionale Erfahrungen wider. Hirnscans von Menschen in einem LSD-Rausch zeigen, dass ihr visueller Kortex überempfindlich wird und stark mit den Emotionszentren ihres Gehirns verbunden ist (Carhart-Harris et al., 2016). Erreicht die halluzinogene Erfahrung ihren Höhepunkt, fühlen sich die Konsument:innen häufig von ihrem Körper getrennt und erleben Traumszenen. Ihr Ich-Empfinden löst sich auf, wodurch sich auch die Grenze zwischen ihnen und der Außenwelt auflöst (Lebedev et al., 2015). Diese Empfindungen weisen auffallende Ähnlichkeiten zu Nahtoderfahrungen auf – einem veränderten Bewusstseinszustand, von dem etwa 15 % derjenigen, die nach einem Herzstillstand wieder zum Leben erwacht sind, berichtet haben (Agrillo, 2011; Greyson, 2010; Parnia et al., 2014). Oftmals tauchen alte Erinnerungen wieder auf, oder es entstehen Visionen von Tunneln (. Abb. 4.34), hellen Lichtern oder Lichtgestalten. Zudem erleben viele das Gefühl, aus ihrem Körper herausgetreten zu sein und sich selbst von außen zu betrachten (Siegel, 1980). Diese Erfahrungen können später die Spiritualität verstärken und Gefühle des persönlichen Wachstums hervorrufen (Khanna & Greyson, 2014, 2015). Die Tatsache, dass Sauerstoffmangel oder andere Gefahren für das Gehirn Halluzinationen erzeugen, lässt vermuten, dass Stress eine Nahtoderfahrung hervorrufen kann. Bei epileptischen Anfällen und Migräne können Menschen ähnliche Halluzinationen mit geometrischen Mustern erleben (Billock & Tsou, 2012). In der Einsamkeit des Segelns oder der Polarforschung haben Menschen ebenfalls solche Erlebnisse, wenn sie unter der Monotonie, Isolation und Kälte leiden (Suedfeld & Mocellin, 1987). Die Philosophin und Neurowissenschaftlerin Patricia Churchland (2013, S. 70) vermutet, dass solche Erfahrungen eine „neuronale Alberei“ darstellen. Nahtoderfahrung („near-death experience“) – veränder-
ter Bewusstseinszustand, der häufig von Menschen erlebt wird, die dem Tod nahe sind (z. B. bei einem Herzstillstand); ähnelt oft drogeninduzierten Halluzinationen zz LSD
Der Chemiker Albert Hofmann kreierte LSD (Lysergsäurediethylamid) – und nahm an einem Freitagnachmittag im Jahre 1943 zufällig etwas von dem Stoff zu sich. Die Wirkung – „ein ununterbrochener Strom phantastischer Bilder und unglaublicher Formen in einem intensiven, kaleidoskopischen Farbenspiel“ – erinnerte ihn an ein mystisches Erlebnis in der Kindheit, nach welchem er einen weiteren Blick einer „wunderbaren, kraftvollen, unergründlichen Realität“ erhaschen wollte (Siegel, 1984; Smith, 2006). Die Gefühle, die bei einem LSD- (oder Acid‑)Trip entstehen, reichen von Euphorie bis zu Panik. Die momentane Stimmungslage und die Erwartungen der Konsumierenden färben die Erfahrungen bei dem Trip deutlich ein. Trotz der unterschiedlichen Gefühle haben
..Abb. 4.34 Nahtoderfahrung oder Halluzination? Psychologe Ronald Siegel (1977) berichtet, dass Menschen unter dem Einfluss halluzinogener Drogen häufig „ein helles Licht im Zentrum ihres Blickfelds sehen … Die Stelle, an der sich dieser Lichtpunkt befindet, vermittelt eine tunnelähnliche Perspektive.“ Dies entspricht auch den Berichten anderer Personen mit Nahtoderfahrungen. (© Harlekin-Graphics/ Stock.adobe.com)
die Wahrnehmungsverzerrungen und Halluzinationen einige Gemeinsamkeiten. LSD (Lysergsäurediethylamid; „lysercig acid diethylamide“) – starke halluzinogene Droge, auch als „Acid“
bekannt. zz Marihuana
Die pure Wahrheit über Marihuana: Marihuanablätter und -blüten enthalten den Hauptwirkstoff THC (Tetrahydrocannabinol). Die Substanz kann geraucht oder gegessen werden und produziert so unterschiedliche Effekte. (Geraucht erreicht die Droge in ungefähr sieben Sekunden das Gehirn und wirkt stärker, gegessen wird die stärkste Wirkung langsamer und unberechenbarer erreicht.) Es wird allgemein als ein schwaches Halluzinogen eingestuft, weil es die Farb‑, Geräusch‑, Geschmacksund Geruchswahrnehmung verändert. Wie Alkohol entspannt und enthemmt Marihuana und kann zu einem euphorischen Hochgefühl führen. Beide Drogen schränken die motorische Koordination, die Wahrnehmung und die Reaktionsfähigkeit ein, welche nötig sind, um Auto zu fahren oder Maschinen zu bedienen. „Durch THC werden Tiere dazu gebracht, Situationen falsch einzuschätzen“, berichtet Ronald Siegel (1990). „Tauben reagieren nicht rechtzeitig auf die Töne oder Lichter, die ihnen signalisieren, dass für kurze Zeit Futter zur Verfügung steht, und Ratten verirren sich in Labyrinthen.“ THC (Tetrahydrocannabinol; „tetrahydrocannabinol“)
– Hauptwirkstoff von Marihuana. Hat verschiedene Wirkungen, unter anderem führt es zu leichten Halluzinationen.
4
140
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
..Tab. 4.3 Zusammenstellung einiger psychoaktiver Substanzen
4
Substanz
Art
Erwünschte Wirkung
Unerwünschte Wirkung
Alkohol
Dämpfend
Hochgefühl, gefolgt von Entspannung und Enthemmung
Depression, Gedächtnislücken, Organschädigungen, schlechtere Reaktionsfähigkeit
Heroin
Dämpfend
Euphorierausch, Schmerzlinderung
Verlangsamung der Körperfunktionen, qualvoller Entzug
Koffein
Stimulierend
Wachheit und Energie
Ängstlichkeit, Unruhe und Schlaflosigkeit bei hohen Dosen; unangenehmer Entzug
Nikotin
Stimulierend
Anregung und Entspannung, Wohlgefühl
Herzerkrankungen, Krebs (durch den Teer)
Kokain
Stimulierend
Ausbruch einer Euphorie, Selbstvertrauen, Energie
Belastung des Herz-Kreislauf-Systems, Misstrauen, Absturz in die Depression
Methamphetamin
Stimulierend
Euphorie, Wachheit, Energie
Reizbarkeit, Schlaflosigkeit, Bluthochdruck, Krampfanfälle
Ecstasy (MDMA)
Stimulierend, leicht halluzinogen
Stimmungsaufhellend, enthemmend
Dehydrierung und Überhitzung, Depression und Störung der kognitiven Funktionen
LSD
Halluzinogen
Visueller „Trip“
Panikgefahr
Marihuana (THC)
Leicht halluzinogen
Verstärkte Empfindungen, Linderung von Schmerzen, Verlust des Zeitgefühls, Entspannung
Störung des Gedächtnisses, erhöhtes Risiko für psychische Störungen
Im Gegensatz zu Alkohol bleiben THC und seine Nebenprodukte jedoch nicht für ein paar Stunden im Körper, sondern mehr als eine Woche. So erleben Personen, die regelmäßig THC konsumieren, seltener einen abrupten Entzug und erreichen das Hochgefühl mit geringeren Mengen der Substanz als üblich. Dieser Effekt stellt das Gegenteil der normalen Toleranzentwicklung dar, bei der ein regelmäßiger Konsument eine immer höhere Dosis für die gleiche Wirkung einnehmen muss. >>Synthetisches Marihuana (K2, auch Spice genannt)
ahmt die Wirkungen von THC nach. Zu seinen schädlichen Nebenwirkungen können innere Unruhe und Halluzinationen gehören (Fattore, 2016; Sherif et al., 2016).
Nach Prüfung von mehr als 10.000 wissenschaftlichen Berichten kamen die U.S. National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (2017) zu dem Schluss, dass Marihuanakonsum chronische Schmerzen und chemotherapiebedingte Übelkeit lindert nicht mit tabakbedingten Krebsarten wie Lungenkrebs in Verbindung steht, ein erhöhtes Risiko für Verkehrsunfälle, chronische Bronchitis, Psychosen, soziale Angststörungen und Selbstmordgedanken mit sich bringt, und wahrscheinlich zu Aufmerksamkeits‑, Lern- und Gedächtnisbeeinträchtigungen und möglicherweise zu schlechten akademischen Leistungen beiträgt.
-
Wie bei anderen Drogen sind auch die Erlebnisse beim Marihuanakonsum unterschiedlich und von der Situation abhängig. Fühlt man sich ängstlich oder depressiv, kann die Einnahme der Droge diese Gefühle verstärken. Und je mehr man sie konsumiert, desto größer ist das Risiko von Angstgefühlen oder einer Depression – insbesondere bei jugendlichen Konsument:innen (Bambico et al., 2010; Hurd et al., 2013; Volkow et al., 2016). In einigen US-Bundesstaaten und Ländern wurde der Besitz geringer Mengen an Marihuana legalisiert. Die größere rechtliche Akzeptanz könnte eine Erklärung dafür sein, warum sich der Marihuanakonsum in den Vereinigten Staaten zwischen 2013 und 2016 von 7 auf 13 % fast verdoppelt hat (McCarthy 2016). Trotz all der Unterschiede der psychoaktiven Drogen, die in . Tab. 4.3 zusammengefasst sind, zeigt sich doch eine Gemeinsamkeit: Die negativen Nachwirkungen übersteigen die kurzzeitigen positiven Wirkungen der Substanzen bei weitem und verstärken sich bei regelmäßigem Konsum (. Abb. 4.35). So erklären sich die Toleranzentwicklung und die Entzugsproblematik.
» „Was für ein eigenes Ding, ihr Männer, ist es doch um das, was die Menschen angenehm nennen; wie wunderlich es sich verhält zu dem, was ihm entgegengesetzt zu sein scheint, dem Unangenehmen … wenn jemand das eine hat, komme ihm das andere nach.“ Platon, Phaidon (4. Jahrhundert v. Chr.)
141
4.3 • Drogen und Bewusstsein
einer realistischen, weniger glamourösen Darstellung von Drogen in den Medien sank der Konsum wieder rapide ab (bis auf einen kleinen Anstieg Mitte der 1980er Jahre). Nach den frühen 1990er Jahren wurden die Stimmen leiser, die sich in der Gesellschaft gegen Drogen aussprachen, und Drogen wurden in bestimmten Musikrichtungen und Filmen für eine gewisse Zeit wieder positiver dargestellt. Sehen Sie sich beispielsweise einige der historischen Trends im Hinblick auf den Marihuanakonsum an: Bei der jährlichen Umfrage der Universität von Michigan unter 15.000 amerikanischen Oberstufenschüler:innen lag der Anteil derer, die glauben, dass der regelmäßige Konsum von Marihuana ein „großes Risiko“ birgt, 1978 bei 35 %, stieg 1991 auf 79 % und sank 2015 wieder auf 32 % (Johnston et al., 2017). 1978 erreichte der Marihuanakonsum von Oberstufenschüler:innen in den USA seinen Höhepunkt, sank dann bis 1992, stieg erneut wieder an, nimmt aber seit Kurzem nicht mehr zu (. Abb. 4.36). In Deutschland wie im gesamteuropäischen Raum nahm spätestens seit Mitte der 1990er Jahre – insbesondere bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen – die Popularität von Ecstasy und verwandten Substanzen zu, und zwar mit steigender Tendenz. Der Konsum dieser Substanz erreichte Anfang bis Mitte des ersten Jahrzehnts des 21. Jahrhunderts seinen höchsten Wert und war zwischen 2006 und 2011 in den meisten Ländern gleichbleibend bis rückläufig (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 2013). Der Konsum sedierender Substanzen verlor dagegen an Bedeutung: Tendenziell ist die Gesamtzahl der neuen Heroinpatient:innen in
..Abb. 4.35 Mögliche Nachwirkungen des Konsums psychoaktiver Substanzen. (© Claudia Styrsky)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie passt diese Beschreibung von Freude und Schmerz zum regelmäßigen Konsum von psychoaktiven Substanzen?
4.3.3 Einflussfaktoren
auf den Drogenkonsum
?? 4.16 Warum werden manche Menschen zu regelmäßi-
gen Konsument:innen von bewusstseinsverändernden Drogen?
Der Drogenkonsum amerikanischer Jugendlicher stieg in den 1970er Jahren an. Dank der Drogenaufklärung und
-
80%
Schulabgänger, die angeben, Drogen genommen zu haben
70 60
Alkohol
50 40 30
Marihuana/ Haschisch
20 Kokain
10 0 1975 ’77 ’79 ’81 ’83 ’85 ’87 ’89 ’91 ’93 ’95 ’97 ’99 ’01 ’03 ’05 ’07 ’09 ’11 ’13 ’15 ’17
Jahr ..Abb. 4.36 Trends des Drogenkonsums. Der Prozentsatz der USamerikanischen Schulabgänger, die angaben, in den letzten 30 Tagen Alkohol, Marihuana oder Kokain konsumiert zu haben, ging von den
späten 1970er Jahren bis 1992 zurück. Seither stieg der Drogenkonsum teilweise für einige Jahre wieder an. (Aus Johnston et al., 2017; Miech et al., 2016.)
4
4
142
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
-
Europa seit 2007 rückläufig (Europäische Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht, 2013). Gemäß einer Studie der Europäischen Beobachtungsstelle für Drogen und Drogensucht (2012) ist Cannabis nach wie vor die am häufigsten konsumierte Droge in Europa, wobei zahlreiche Länder die Lebenszeitprävalenz (Anteil derjenigen, die in ihrem bisherigen Leben die Droge konsumiert haben) mit über 20 % der Allgemeinbevölkerung angeben. In der Gruppe der 15- bis 24-Jährigen liegt der Konsum mit knapp 30 % im europäischen Durchschnitt allerdings deutlich höher.
Für manche Heranwachsenden dient die gelegentliche Drogeneinnahme dazu, etwas Spannung in ihr Leben zu bringen. Doch warum werden einige Jugendliche zu regelmäßigen Konsumenten, andere aber nicht? Bei der Beantwortung dieser Fragen sehen Forscher biologische, psychologische und soziokulturelle Aspekte als relevant an.
Biologische Einflüsse Möglicherweise haben manche Menschen eine biologisch bedingte Anfälligkeit für bestimmte Drogen. Verschiedene Ergebnisse zeigen z. B., dass einige Aspekte der Alkoholprobleme genetisch bedingt sind, vor allem jene, die im frühen Erwachsenenalter auftreten (Crabbe, 2002): Hat ein eineiiger Zwilling eine Alkoholkonsumstörung, so hat der andere ein erhöhtes Risiko, selbst auch Alkoholprobleme zu bekommen – bei zweieiigen Zwillingen ist dies nicht so (Kendler et al., 2002). Forscher haben Gene identifiziert, die mit einer Alkoholkonsumstörung in Verbindung stehen; sie sind auch auf der Suche nach Genen, die zur Tabaksucht beitragen (Stacey et al., 2012). Diese Gene könnten für eine Unterfunktion des natürlichen dopaminergen Belohnungssystems des Gehirns verantwortlich sein: Die Drogen lösen ein durch Dopamin produziertes Hochgefühl aus und stören das normale Dopamingleichgewicht. Studien zur Umprogrammierung des Belohnungssystems im Gehirn durch Drogen wecken die Hoffnung auf nicht abhängig machende Mittel, die den Effekt von Alkohol und anderen Drogen blockieren oder mindern können (Miller, 2008; Wilson & Kuhn, 2005). Biologische Einflüsse auf den Drogenkonsum erstrecken sich auch auf andere Drogen. Eine Studie untersuchte 18.115 adoptierte Personen in Schweden. Diejenigen, bei deren biologischen Eltern Drogenmissbrauch festgestellt wurde, wiesen ein doppelt so hohes Drogenmissbrauchsrisiko auf, was auf einen genetischen Einfluss hindeutet. Aber auch Personen mit drogenmissbrauchenden Adoptivgeschwistern hatten ein doppelt so hohes Risiko für Drogenmissbrauch, was wiederum auf Umwelteinflüsse hinweist (Kendler et al., 2012). Was könnten diese Umwelteinflüsse nun sein?
-
Biologische Einflüsse: genetische Prädispositionen Schwankungen in den Neurotransmittersystemen
• •
Psychologische Einflüsse: Ziellosigkeit schwerer Stress psychische Störungen wie Depression
• • •
Gestörter Drogenkonsum Soziokulturelle Einflüsse: schwierige Umwelt Zugehörigkeit zu einer Subkultur, die Drogen konsumiert Einflüsse von Seiten der Gleichaltrigen
• • •
..Abb. 4.37 Analyseebenen beim gestörten Drogenkonsum. Der biopsychosoziale Ansatz erlaubt es den Forschenden, gestörten Drogenkonsum aus komplementären Perspektiven zu betrachten
---
>>Warnzeichen von Alkoholismus:
Exzessiver Alkoholgenuss Verlangen nach Alkohol Nichterledigung der Verpflichtungen am Arbeitsplatz, in der Schule oder Zuhause aufgrund des Konsums Gescheiterte Beschlüsse, weniger zu trinken Fortgesetzter Gebrauch trotz Gesundheitsrisiko Vermeidung von Begegnungen mit der Familie oder dem Freundeskreis, wenn man trinkt
Psychologische und soziokulturelle Einflüsse Überall in diesem Buch werden Sie sehen, dass biologische, psychologische und soziokulturelle Faktoren zusammenspielen und Verhalten hervorrufen. So ist es auch mit problematischem Drogenkonsum (. Abb. 4.37). In Studien zur Situation von Jugendlichen und jungen Erwachsenen tauchte der psychologische Faktor auf, dass die Teilnehmenden ihr eigenes Leben als bedeutungslos und ohne bestimmte Richtung ansehen (Newcomb & Harlow, 1986). Dieses Gefühl ist weit verbreitet bei unterprivilegierten Schulabbrecher:innen, die ohne Qualifikationen und Zukunftsaussichten leben. Manchmal ist der psychologische Einfluss eindeutig. Menschen, die mehr als nur gelegentlich Alkohol, Marihuana oder Kokain konsumieren, leiden häufig unter großem Stress, Versagen oder einer Depression. Mädchen, die eine Depression, Essstörung, Misshandlung oder Missbrauch hinter sich haben, haben ein erhöhtes Risiko für problematischen Substanzkonsum. Dies gilt auch für junge Menschen nach einem Schulwechsel oder Umzug in eine neue Nachbarschaft (CASA, 2003; Logan et al., 2002). Studierende, die noch keine klare Identität entwickelt haben, sind ebenfalls anfälliger für Drogen (Bishop et al., 2005). Psychoaktive Drogen betäuben den Schmerz der Selbsterkenntnis für eine Weile und bieten dadurch einen Fluchtweg aus Depressionen, Aggressio-
Prozentsatz der 11- bis 17-Jährigen, die in den vergangenen 30 Tagen mindestens einmal eine Zigarette geraucht haben
4.3 • Drogen und Bewusstsein
143
45% 30 15 0
Alle/die meisten Einige in Niemand in meinem meinem in meinem Freundeskreis Freundeskreis Freundeskreis rauchen rauchen raucht ..Abb. 4.38 Einfluss der Gleichaltrigen. Kinder rauchen nicht, wenn es ihre Freund:innen nicht tun. (Philip Morris, 2003) Beweist dieser enge Zusammenhang den Einfluss der Gleichaltrigen? Oder suchen sich Jugendliche vielmehr Freunde aus, die gleichen Interessen haben? Oder sogar beides?
nen, Ängsten oder Schlafstörungen. (Wie in 7 Kap. 8 erläutert wird, lässt sich Verhalten eher durch sofortige als durch spätere Konsequenzen steuern.) Rauchen beginnt normalerweise in der frühen Adoleszenz – in Deutschland im Durchschnitt mit 14,4 Jahren (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2013). (Wenn Sie das College oder die Universität besuchen und die Tabakindustrie sie bisher noch nicht zu anhänglicher Kundschaft machen konnte, wird sie es vermutlich niemals schaffen.) Heranwachsende – sich ihrer selbst sehr bewusst und glaubend, die Welt beobachte jede einzelne ihrer Regungen – sind sehr anfällig für die Reize des Rauchens. Sie fangen vielleicht mit dem Rauchen an, um berühmte Stars nachzuahmen, reifer zu wirken, mit Stress besser zurechtzukommen oder als soziale Belohnung die Anerkennung anderer Rauchender zu erhalten (Cin et al., 2007; DeWall & Pond, 2011; Tickle et al., 2006). Unbeeindruckt von solchen Tendenzen gestalten die Zigarettenkonzerne das Rauchen mit Themen, die Jugendliche ansprechen: Attraktivität, Unabhängigkeit, Abenteuerlust, soziale Anerkennung (Surgeon General, 2012). Typischerweise haben Jugendliche, die mit dem Rauchen beginnen, auch Freund:innen, die bereits rauchen, ihnen suggerieren, dass Rauchen toll sei, und ihnen Zigaretten anbieten (Rose et al., 1999). Unter den Jugendlichen, deren Eltern und beste Freund:innen nicht rauchen, liegt die Rauchendenquote fast bei null (Moss et al., 1992; auch . Abb. 4.38; 4.39). Die Abhängigkeitsraten unterscheiden sich bei den verschiedenen kulturellen und ethnischen Gruppen. Eine Erhebung von europäischen Jugendlichen ergab, dass 5 % der Jugendlichen in Norwegen, aber mehr als 8-mal so viele Jugendliche in Tschechien in ihrem Leben bereits Marihuana konsumiert haben (Romelsjö et al., 2014). Bei unabhängigen Untersuchungen der Regierung über den Drogenkonsum in Haushalten landesweit und unter Oberstufenschüler:innen in allen Regionen der USA zeigte sich, dass afroamerikanische Jugendliche deutlich geringere Raten beim Trinken, Rauchen und beim Kokainkonsum aufweisen (Johnston et al., 2007). In den USA
..Abb. 4.39 Nic-A-Teen. Kaum jemand fängt nach den leicht beeinflussbaren Teenager-Jahren mit dem Rauchen an. Die Tabakindustrie fokussiert sich auf Jugendliche, um Kundschaft für die nächsten Jahrzehnte zu binden und somit ihren Gewinn zu sichern. Fotos von rauchenden Promis, so wie Wilson Gonzalez Ochsenknecht, verleiten die Jugendlichen zum Nachahmen. (© Marijan Murat dpa/picture- alliance)
sind die Abhängigkeitsraten bei religiös Aktiven gering und bei Mitgliedern amischer, mennonitischer, mormonischer und orthodox jüdischer Glaubensgemeinschaften extrem niedrig (DeWall et al., 2014; Salas-Wright et al., 2012). Unabhängig von Stadt oder Land beeinflussen Gleichaltrige die Einstellung zu Drogen. Sie schmeißen auch die Partys und besorgen die Drogen – oder eben nicht. Konsumiert der Freund eines Jugendlichen Drogen, wird er oder sie das mit großer Wahrscheinlichkeit auch probieren. Nehmen die Freund:innen keine Drogen, ergibt sich vielleicht nie eine Gelegenheit zum Ausprobieren. Jugendliche aus glücklichen Familien, die frühestens ab 15 Jahren Alkohol trinken und gut in der Schule sind, neigen nicht dazu, Drogen zu nehmen – vor allem, weil sie kaum in Kontakt mit Menschen kommen, die Drogen nehmen (Bachmann et al., 2007; Hingson et al., 2006; Odgers et al., 2008). Der Einfluss der Gleichaltrigen besteht nicht nur in dem, was diese tatsächlich sagen oder tun. Die Erwartungen von Jugendlichen – was sie glauben, dass ihre Freund:innen tun oder welche Interessen sie haben – beeinflussen ihr eigenes Verhalten (Vitória, 2009). In einer Umfrage unter Kindern der sechsten Schulklasse in 22 amerikanischen Bundesstaaten glaubten 14 %, dass ihre Freund:innen Marihuana geraucht hätten, doch nur 4 % bestätigten diese Annahme (Wren, 1999). Selbst Universitätsstudierende schätzen das Verhalten anderer Personen oftmals falsch ein: Unter Studierenden dominiert Alkohol bei sozialen Aktivitäten
4
144
4
Kapitel 4 • Bewusstsein und der zweigleisige Verstand
zum Teil deshalb, weil sie die Begeisterung ihrer Kommiliton:innen für Alkohol überschätzen und ihre eigene Besorgnis über die Risiken unterschätzen (Prentice & Miller, 1993; Self, 1994). Korrigiert man diese Fehleinschätzung der Jugendlichen, dann verringert sich ihr eigener Alkoholkonsum meistens (Moreira et al., 2009). Menschen, die unter dem Einfluss Gleichaltriger mit dem Drogenkonsum begonnen haben, hören mit höherer Wahrscheinlichkeit auf, Drogen zu konsumieren, wenn auch ihre Freund:innen damit aufhören oder wenn sich ihr soziales Netzwerk verändert (Chassin & MacKinnon, 2015). In einer Studie wurden 12.000 Erwachsene über einen Zeitraum von 32 Jahren beobachtet und es stellte sich heraus, dass Raucher:innen meist in Gruppen mit dem Rauchen aufhören (Christakis & Fowler, 2008). Innerhalb eines sozialen Netzwerkes erhört sich die Wahrscheinlichkeit, dass eine Person mit dem Rauchen aufhört, sobald eine Bekannte, ein Freund oder eine Arbeitskollegin damit aufhört. Ebenso gaben die meisten Soldat:innen, die in Vietnam süchtig wurden, die Drogen auf, als sie nach Hause zurückkehrten (Robins et al., 1974). Wie immer bei Korrelationen kann man nicht sagen, in welcher Richtung ein Kausalzusammenhang zwischen dem eigenen Drogenkonsum und dem der Freund:innen besteht: Unsere Freundeskreise und sozialen Netzwerke beeinflussen uns. Aber wir suchen uns auch die Bezugspersonen aus, die unsere Vorlieben teilen. Diese Ergebnisse zeigen drei Möglichkeiten, wie Drogenprävention und Behandlungsprogramme wirken können: Aufklärung insbesondere junger Leute über die langfristigen Nachteile und den hohen Preis für das kurzfristige Vergnügen des Drogenkonsums. Stärkung des Selbstbewusstseins der Betroffenen und Unterstützung bei der Suche nach dem Sinn und Zweck des Lebens. Versuche, den Freundeskreis zu verändern, oder aber „Impfen“ von Jugendlichen gegen Gruppendruck durch Selbstsicherheitstraining, indem sie darin trainiert werden, etwas abzulehnen.
-
Menschen verfallen selten dem Drogenmissbrauch, wenn sie begreifen, welche physischen und psychischen Folgen sich daraus ergeben, wenn sie sich selber mögen, wenn sie zufrieden mit ihrem Leben sind und wenn ihr Umfeld den Drogenkonsum missbilligt. Diese psychologischen, soziokulturellen und Bildungsfaktoren erklären zum Teil, warum 26 % der amerikanischen Schulabbrecher:innen rauchen, aber nur 6 % der Studierenden (CDC, 2011).
» „Substanzkonsumstörungen diskriminieren nicht; sie
betreffen die Reichen und die Armen; sie betreffen alle ethnischen Gruppen. Es handelt sich um eine Krise des Gesundheitswesens, aber wir haben durchaus Lösungen.“ Vivek Murthy, Sanitätsinspekteur der Vereinigten Staaten (2016)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum versucht die Tabakindustrie unbedingt, Jugendliche als Kundschaft zu gewinnen? – Studien zeigen, dass Personen, die bereits im Jugendalter Alkohol konsumierten, ein höheres Risiko einer Alkoholkonsumstörung haben als Personen, die frühestens im Alter von 21 Jahren Alkohol trinken. Welche Erklärung mag es für diesen Zusammenhang geben?
4.3.4
Rückblick: Drogen und Bewusstsein
Verständnisfragen
4.11 – Was versteht man unter Substanzkonsumstörungen? 4.12 – Welche Rolle spielen Toleranz und Sucht bei Sub-
stanzkonsumstörungen und wie hat sich der Begriff „Sucht“ verändert? 4.13 – Was sind dämpfende Substanzen und welche Auswirkungen haben sie? 4.14 – Was sind Stimulanzien und welche Auswirkungen haben sie? 4.15 – Was sind Halluzinogene und welche Auswirkungen haben sie? 4.16 – Warum werden manche Menschen zu regelmäßigen Konsument:innen von bewusstseinsverändernden Drogen?
----------
Schlüsselbegriffe Alkoholkonsumstörung Amphetamine Barbiturate Dämpfende Substanzen Ecstasy (MDMA) Entzug Halluzinogene Kokain LSD Methamphetamin Nahtoderfahrung Nikotin Opiate Psychoaktive Droge Stimulanzien Substanzkonsumstörung THC Toleranz
Master the Material 1. Nach Fortsetzung des Konsums einer psychoaktiven Droge muss die konsumierende Person höhere Dosen einnehmen, um die gewünschte Wirkung zu erzielen. Dies wird als ___ bezeichnet.
Weiterführende deutsche Literatur
2. Zu den Beruhigungsmitteln gehören Alkohol, Barbiturate und … a. Opiate. b. Kokain und Morphium. c. Koffein, Nikotin und Marihuana. d. Amphetamine. 3. Warum könnte Alkohol eine Person hilfsbereiter oder aggressiver machen? 4. Langfristiger Konsum von Ecstasy kann … a. die Aktivität des Sympathikus dämpfen. b. die Versorgung des Gehirns mit Epinephrin beeinträchtigen. c. die Versorgung des Gehirns mit Dopamin beeinträchtigen. d. die serotoninproduzierenden Nervenzellen schädigen. 5. Nahtoderfahrungen sind den durch ___ hervorgerufenen Erfahrungen verblüffend ähnlich. 6. Marihuanakonsum … a. beeinträchtigt die motorische Koordination, Wahrnehmung, Reaktionszeit und das Gedächtnis. b. hemmt Emotionen. c. führt zu Dehydrierung und Überhitzung. d. regt die Entwicklung von Gehirnzellen an. 7. Was ist ein wichtiger psychologischer Faktor, der zum Konsumieren von Drogen führt? a. Ein aufgeblasenes Ego b. Das Gefühl, dass das Leben sinnlos und ohne Perspektive ist c. Die genetische Veranlagung d. Überfürsorgliche Eltern
Weiterführende deutsche Literatur Koch, C. (2013). Bewusstsein: Bekenntnisse eines Hirnforschers. Heidelberg: Springer Spektrum. Lindenmeyer, J. (2016). Alkoholabhängigkeit. Fortschritte der Psychotherapie (3. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Mulder, T. (2006). Das adaptive Gehirn. Über Bewegung, Bewusstsein und Verhalten. Stuttgart: Thieme. Revenstorf, D., & Peter, B. (2015). Hypnose in Psychotherapie, Psychosomatik und Medizin: Manual für die Praxis (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Roth, G. (2009). Aus Sicht des Gehirns (2. Aufl.). Frankfurt: Suhrkamp.
145
4
147
Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen Inhaltsverzeichnis 5.1
Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede – 148
5.1.1 5.1.2 5.1.3 5.1.4 5.1.5 5.1.6
Gene: Unsere Codes für das Leben – 148 Zwillings- und Adoptionsstudien – 150 Temperament und Vererbung – 154 Erblichkeit – 155 Anlage-Umwelt-Interaktion – 156 Rückblick: Verhaltensgenetik – 159
5.2
Evolutionspsychologie: Wie man die Natur des Menschen versteht – 159
5.2.1 5.2.2 5.2.3 5.2.4
Natürliche Selektion und Anpassung – 160 Evolutionärer Erfolg hilft, Ähnlichkeiten zu erklären – 160 Evolutionstheoretische Erklärung der menschlichen Sexualität – 162 Rückblick: Evolutionspsychologie – 165
5.3
Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse – 165
5.3.1 5.3.2 5.3.3 5.3.4 5.3.5
Wie beeinflussen Erfahrungen die Entwicklung? – 166 Kulturelle Einflüsse – 170 Entwicklung des sozialen Geschlechts – 176 Überlegungen zu Anlage und Umwelt – 187 Rückblick: Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse – 190
Weiterführende deutsche Literatur – 191
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_5
5
148
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
Was macht den Menschen zum Menschen? In wichtigen Aspekten sind wir jeder für uns einzigartig. Jeder von uns ist ein einzigartiger Mix aus Aussehen, Sprache, Persönlichkeit, Interessen und kulturellem Hintergrund. Wir sind aber auch wie Blätter am selben Baum. Die Familie Mensch hat nicht nur ein gemeinsames biologisches Erbe – wir alle bluten, wenn wir uns schneiden –, sondern auch gemeinsame Verhaltenstendenzen: Der uns allen gemeinsame Aufbau des Gehirns sorgt dafür, dass wir mit Hilfe der gleichen Mechanismen die Welt über unsere Sinnesorgane wahrnehmen, unsere Sprache entwickeln und Hunger empfinden. Ganz gleich, ob wir nun in der Arktis oder der Atacama-Wüste leben, wir bevorzugen süße Geschmacksrichtungen gegenüber sauren. Wir teilen das Farbspektrum in die gleichen Farben ein. Und wir fühlen uns zu Verhaltensweisen hingezogen, die Nachkommenschaft hervorbringen und schützen. Unsere Verwandtschaft zeigt sich auch in unserem Sozialverhalten. Ganz gleich, ob unser Familienname Gonzales, Nkomo, Ahmadi, Meier, Smith oder Wong lautet, wir beginnen mit ungefähr acht Monaten zu fremdeln, während wir als Erwachsene die Gesellschaft von Menschen suchen, deren Einstellungen und Merkmale den unseren ähnlich sind. Auch wenn wir aus unterschiedlichen Teilen der Erde stammen, so wissen wir doch das Lächeln und das Stirnrunzeln der anderen einzuschätzen. Als Angehörige einer Spezies schließen wir uns mit anderen Menschen zusammen, passen uns an, tauschen Gefälligkeiten aus, bestrafen Vergehen, organisieren Statushierarchien und betrauern den Tod eines Kindes. Außerirdischer Besuch könnte irgendwo auf der Erde landen und würde immer Menschen finden, die tanzen und Feste feiern, singen und beten, Sport treiben und spielen, lachen und weinen, in Familien leben und Gruppen bilden. Zusammenfassend lässt sich sagen: Solche universellen Verhaltensweisen definieren unsere menschliche Natur. Was ist die Ursache für die erstaunliche Unterschiedlichkeit der Menschen, aber auch unsere gemeinsame menschliche Natur? Wie sehr werden unsere Verhaltensunterschiede von unseren genetischen Unterschieden beeinflusst? Und wie sehr durch unsere Umwelt? Durch jeden äußeren Einfluss, angefangen mit der Ernährung im Mutterleib bis hin zur sozialen Unterstützung kurz vor dem Tod. Genauer: Wie stark werden wir durch unsere Erziehung geformt? Durch unsere Kultur? Durch unsere momentanen Lebensumstände? Durch die Reaktionen anderer Menschen auf unsere genetischen Dispositionen? Durch unsere eigenen Entscheidungen und Bemühungen? Das folgende Kapitel beschäftigt sich mit der wissenschaftlichen Frage, wie unsere Gene (Anlage) und unsere Umwelt (äußere Einflüsse) gemeinsam uns miteinander verbinden.
5.1
Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede
?? 5.1 Was sind Chromosomen, DNA, Gene und
menschliches Genom? Wie erklären Verhaltensgenetiker:innen unsere individuellen Unterschiede?
Wenn sich Blue Ivy, Tochter von Beyoncé und Jay Z, später zu einer erfolgreichen Musikerin entwickelt, sollten wir dann ihre musikalische Begabung ihren „SuperstarGenen“ zuschreiben? Der Tatsache, dass sie in einer Umwelt aufgewachsen ist, in der es immer um Musik ging? Den hohen Erwartungen? Solche Fragen beschäftigen die Verhaltensgenetik, die die Unterschiede zwischen uns untersucht und die Effekte und das Zusammenspiel von Anlage und Umwelt zu gewichten versucht (. Abb. 5.1). Verhaltensgenetik („behavior genetics“) – die Unter-
suchung der relativen Gewichte und Grenzen von genetischen und Umwelteinflüssen auf das Verhalten. Vererbung („heredity“) – die genetische Übertragung von Merkmalen und Eigenschaften von den Eltern auf die Nachkommen. Umwelt („environment“) – jeder nichtgenetische Einfluss, von der pränatalen Ernährung bis zu den Menschen und Dingen in unserer Umgebung. 5.1.1
Gene: Unsere Codes für das Leben
Hinter der Geschichte unseres Körpers und unseres Gehirns – sicherlich das Beeindruckendste auf unserem kleinen Planeten – steckt die Vererbung, die mit unseren Erfahrungen interagiert und so sowohl unsere universelle Eigenart als Menschen hervorbringt als auch unsere individuelle und soziale Vielfalt (. Abb. 5.2). Vor kaum mehr als einem Jahrhundert hätte niemand geglaubt, dass jeder Zellkern in unserem Körper den gesamten genetischen Code für den ganzen Körper enthält. Das ist so, als befände sich in jedem Raum des Burj Khalifa in Dubai (das höchste Gebäude der Welt) ein Buch, in dem die Baupläne für das ganze Gebäude aufbewahrt werden. Die Pläne für Ihr eigenes Lebensbuch umfassen 46 Kapitel – 23 stammen von der Eizelle Ihrer Mutter und 23 von der Samenzelle Ihres Vaters. Jedes dieser 46 Kapitel, die sog. Chromosomen, ist jeweils aus einer spiralförmig zusammengerollten Kette des Moleküls DNA (Desoxyribonukleinsäure) zusammengesetzt. Die Gene, die kleinen Segmente dieser gigantischen DNA-Moleküle, bilden sozusagen die Wörter in diesen Chromosomenbüchern (. Abb. 5.3). Alles in allem besitzt jeder von uns 20.000 bis 25.000 Gene, welche entweder aktiv (exprimiert) oder inaktiv sein können. Umweltereignisse „schalten Gene
149
5.1 • Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede
..Abb. 5.1 Die Umwelt der Anlage. Überall auf der Welt fragen sich Eltern: Wird mein Baby später ein friedlicher oder ein aggressiver Mensch? Unattraktiv oder attraktiv? Wird es erfolgreich sein oder um jeden einzelnen Schritt kämpfen müssen? Was ist angeboren und was beruht auf Erziehung? Und wie funktioniert das? Die Forschung zeigt, dass Anlage und Umwelt gemeinsam unsere Entwicklung prägen: für jeden Schritt auf diesem Weg. (© Michael Barton)
an“, so wie heißes Wasser dazu führt, dass das im Teebeutel eingeschlossene Aroma sich entfaltet. Wenn sie „angeschaltet“ werden, stellen Gene einfach den Code bereit, um die Proteinmoleküle, die Bausteine für unseren Körper, aufzubauen. Chromosomen („chromosomes“) – fadenähnliche Struk-
turen aus DNA-Molekülen, die Gene enthalten. DNA/DNS (Desoxyribonukleinsäure; „deoxyribonucleic acid“) – komplexes Molekül, das die genetische Infor-
mation enthält, die die Chromosomen bildet. Gene („genes“) – biochemische Bausteine für die Vererbung, aus denen die Chromosomen bestehen. Gene sind Segmente der DNA, die fähig sind, Proteine zu synthetisieren (aufzubauen). Genetisch gesprochen ist jedes menschliche Wesen nahezu unser eineiiger Zwilling. Genomforscher haben die gemeinsame Sequenz innerhalb der menschlichen DNA entdeckt. Genau dieses gemeinsame genetische Profil macht uns zu Menschen und nicht zu Tulpen, Bananen oder Schimpansen. Genom („genome“) – enthält die vollständigen Informa-
tionen, um einen Organismus herzustellen; besteht aus dem gesamten genetischen Material in den Chromosomen des Organismus.
» „Ihre DNA und meine sind zu 99,9 % gleich. … Auf der
Ebene der DNA sind wir ganz klar alle Teil einer großen, weltweiten Familie.“ Francis Collins, Leiter des Human Genome Project (2007)
..Abb. 5.2 Vererbung. (© Claudia Styrsky)
Dennoch unterscheiden wir uns gar nicht so sehr von einem Schimpansen. Auf genetischer Ebene sind Mensch und Schimpanse zu 96 % identisch (Mikkelsen et al., 2005). An „funktional wichtigen“ Stellen der DNA erreicht diese Zahl 99,4 % (Wildmann et al., 2003). Doch diese winzigen 0,6 % an Unterschieden sind von Bedeutung. Es war ein Mensch, Shakespeare, der das schaffte, was ein Schimpanse nicht kann – zur Erschaffung seiner Meisterwerke 17.677 Wörter auf eine komplexe Weise zu kombinieren. Und selbst kleine Unterschiede zwischen anderen Spezies sind durchaus von Bedeutung. Gewöhnliche Schimpansen und Bonobos ähneln sich in vielerlei Hinsicht. Sollten sie auch – ihre Genome unterscheiden sich schließlich um viel weniger als 1 %. Aber sie weisen offensichtliche Unterschiede in ihrem Verhalten auf. Schimpansen sind aggressiv und von den Männchen dominiert. Bonobos sind friedvoll und werden von den Weibchen angeführt. Die zufälligen Veränderungen, die man an bestimmten Genorten in der DNA findet, faszinieren Genetiker:innen und Psycholog:innen. Geringe interpersonelle Abweichungen vom gemeinsamen Muster geben Hinweise auf unsere Einzigartigkeit. Warum leidet der eine unter einer Krankheit und der andere nicht? Warum ist eine Person klein und die andere groß? Warum ist jemand ängstlich und ein anderer ruhig? Die Persönlichkeitsmerkmale des Menschen haben komplexe genetische Wurzeln. Wie groß ein Mensch ist, kommt letztendlich auch in der Länge seines Gesichts, der Ausdehnung der Wirbelsäule, der Länge der Beinknochen etc. zum Ausdruck – wobei jeder Größen-
5
150
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
Eineiige Zwillinge
Zweieiige Zwillinge
Nur gleichgeschlechtliche Kinder
Gleich- oder verschiedengeschlechtliche Kinder
Chromosom
Zelle
Gen
5
Nucleus DNA ..Abb. 5.3 Der Lebenscode. Der Zellkern jeder menschlichen Zelle enthält Chromosomen, welche jeweils aus zwei DNA-Strängen bestehen, die in einer Doppelhelix verbunden sind. Gene sind DNA-Segmente, die, wenn sie exprimiert (eingeschaltet) werden, die Entwicklung von Proteinen steuern, die wiederum die individuelle Entwicklung eines Menschen beeinflussen
..Abb. 5.4 Dieselbe befruchtete Eizelle, die gleichen Gene; unterschiedliche Eizellen, unterschiedliche Gene. Eineiige Zwillinge entwickeln sich aus einer einzelnen befruchteten Eizelle, zweieiige Zwillinge aus zwei Eizellen
indikator durch verschiedene Gene in ihrer Wechselwirkung mit der Umwelt beeinflusst werden kann. Ähnlich werden menschliche Eigenschaften wie Intelligenz, Fröhlichkeit und Aggressivität durch Gruppen von Genen beeinflusst. In der Tat ist eine der großen Erkenntnisse der heutigen Verhaltensgenetik, dass es kein einzelnes schlaues Gen, kein einzelnes Gen für homooder heterosexuelle Orientierung und kein einzelnes Gen für Schizophrenie gibt. Vielmehr werden unsere unterschiedlichen Eigenschaften von „vielen Genen mit geringer Wirkung“ beeinflusst (Okbay et al., 2016; Plomin et al., 2016). Unsere zahlreichen Gene tragen folglich dazu bei, sowohl unsere gemeinsamen Merkmale als Menschen als auch die Vielfalt der Menschen zu erklären. Aber – eine weitere Erkenntnis, die wir mit nach Hause nehmen – das Wissen um unsere Vererbung erzählt nur einen Teil unserer Geschichte. Um uns zu formen, interagieren Umwelteinflüsse mit unseren genetischen Veranlagungen.
5.1.2
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Ordnen Sie die folgenden Zellstrukturen nach ihrer Größe, beginnend mit dem kleinsten: Nucleus, Gen, Chromosom
Zwillings- und Adoptionsstudien
?? 5.2 Wie helfen uns Zwillings- und Adoptionsstudien
dabei, die Auswirkungen und das Zusammenspiel von Natur und Umwelt zu verstehen?
Um Umwelt- und Vererbungseinflüsse wissenschaftlich voneinander trennen zu können, müssten Verhaltensgenetiker:innen zwei Arten von Experimenten durchführen. Im ersten Experiment würden die Vererbungsfaktoren kontrolliert, während die häusliche Umgebung variiert. Im zweiten würde die häusliche Umgebung kontrolliert, während die Vererbungsfaktoren variieren. Solche Experimente mit menschlichen Kindern durchzuführen wäre zwar unethisch, aber die Natur hat uns diese Arbeit abgenommen.
Eineiige und zweieiige Zwillinge im Vergleich
Eineiige (monozygote) Zwillinge entwickeln sich aus einer einzigen befruchteten Eizelle, die sich aufteilt. Folglich sind sie genetisch identisch – es handelt sich um natürliche Klone (. Abb. 5.4, 5.5). Tatsächlich haben sie nicht nur dieselben Gene, sondern teilen auch die Empfängnis und die Gebärmutter, und für gewöhnlich das Geburtsdatum und den kulturellen Hintergrund. Zwei kleine Einschränkungen:
151
5.1 • Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede
..Abb. 5.5 a,b Verhalten sich gleich aussehende Personen gleich? Menschen, die einander ähnlich sehen, aber genetisch nicht verwandt sind, wie die Schauspielerinnen a Nilam Farooq und b Mila Kunis, haben in der Regel keine besonders ähnlichen Persönlichkeiten (Segal 2013; a: © Geisler Fotopress/ Frederic Kern/picture alliance; b: © AP Images/Re/Westcom/ Star Max/Ipx/picture alliance)
a
-
Obwohl eineiige Zwillinge dieselben Gene haben, haben sie nicht immer die gleiche Anzahl an Kopien dieser Gene, die sich in ihrem Genom wiederholen. Diese Variation hilft zu erklären, weshalb ein Zwilling ein größeres Risiko für bestimmte Krankheiten und Störungen, einschließlich Schizophrenie, haben kann (Maiti et al., 2011). Die meisten eineiigen Zwillinge teilen sich eine Plazenta während der pränatalen Entwicklung, aber eines von drei Zwillingspärchen hat zwei getrennte Plazentas. Die Plazenta des einen Zwillings könnte ihn oder sie ein wenig besser mit Nahrung versorgen, was zu einigen wenigen Unterschieden zwischen eineiigen Zwillingen beitragen könnte (Marceau et al., 2016; van Beijsterveldt et al., 2016).
-
Eineiige (monozygote) Zwillinge („identical twins“) – ent-
wickeln sich aus einer einzigen befruchteten Eizelle, die sich dann in zwei Eizellen teilt und somit zwei genetisch identische Organismen bildet. Zweieiige (dizygote) Zwillinge entwickeln sich aus separaten befruchteten Eizellen. Als fötale Partner:innen teilen sie eine pränatale Umwelt, genetisch sind sie sich allerdings nicht ähnlicher als gewöhnliche Geschwister. Zweieiige (dizygote) Zwillinge („fraternal twins“) – ent-
wickeln sich aus separaten Eizellen. Sie sind sich genetisch nicht näher als Geschwister, aber sie teilen sich eine pränatale gemeinsame Umwelt. Geteilte Gene können zu geteilten Erfahrungen führen. So hat ein Mensch, dessen eineiiger Zwilling eine Autismus-Spektrum-Störung hat, ein 3:4-Risiko, ähn-
b
lich diagnostiziert zu werden. Wenn der Betroffene ein zweieiiger Zwilling ist, beträgt das Risiko nur noch 1:3 (Ronald & Hoekstra, 2011). Um die Effekte von Anlage und Umwelt zu untersuchen, haben mehrere tausend medizinische und psychologische Forscher:innen fast 15 Millionen eineiige und zweieiige Zwillingspärchen untersucht (Polderman et al., 2015). Weisen eineiige Zwillinge auch mehr Verhaltensähnlichkeiten auf als zweieiige Zwillinge? Studien mit tausenden von Zwillingspaaren in Deutschland, Australien und den Vereinigten Staaten haben gezeigt, dass sich eineiige Zwillinge in Bezug auf Extraversion und Neurotizismus (emotionale Instabilität) sehr viel ähnlicher sind als zweieiige Zwillinge (Kandler, 2011; Laceulle et al., 2011; Loehlin, 2012). Gene beeinflussen auch viele spezifische Verhaltensweisen. Verglichen mit den Zahlen für zweieiige Zwillinge ist beispielsweise die Wahrscheinlichkeit, wegen Trunkenheit am Steuer verurteilt zu werden, bei jemandem, dessen/deren eineiiger Zwilling bereits dafür verurteilt wurde, 12-mal so hoch (Beaver & Barnes, 2012). Wenn eineiige Zwillinge älter werden, bleiben ihre Verhaltensweisen ähnlich (McGue & Christensen, 2013). Eineiige Zwillinge sehen sich ähnlich und zwar mehr als zweieiige Zwillinge. Sind demnach die Reaktionen der Menschen auf ihr Aussehen für diese Ähnlichkeit verantwortlich? Nein. In einer Studie verglich die Forscherin (und Zwillingsschwester) Nancy Segal (2013; Segal et al., 2013) die Persönlichkeitsähnlichkeiten zwischen eineiigen Zwillingen und nicht verwandten Doppelgängerpaaren. Nur die eineiigen Zwillinge berichteten von ähnlichen Persönlichkeiten (. Abb. 5.5). Andere Studien haben gezeigt, dass eineiige Zwillinge, die von ihren Eltern nahezu gleich erzogen wurden (z. B. indem sie sie identisch anzogen), sich psychologisch nicht ähnlicher waren als
5
152
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
unterschiedlich behandelte eineiige Zwillinge (Kendler et al., 1994; Loehlin & Nichols, 1976). Auf der Suche nach Erklärungen für individuelle Unterschiede spielen die Gene also eine Rolle.
Getrennt aufwachsende Zwillinge
5
Stellen Sie sich folgendes Science-Fiction-Experiment vor: Ein skrupelloser Wissenschaftler beschließt, eineiige Zwillinge nach der Geburt voneinander zu trennen und sie dann in verschiedenen Umwelten aufzuziehen. Aber halten wir uns lieber an eine wahre Geschichte: Im Jahr 1979, einige Zeit nach der Scheidung von seiner ersten Frau, wachte Jim Lewis neben seiner zweiten Frau auf. Jim hatte sich vorgenommen, dass diese Ehe nun halten sollte, und hatte es sich zur Gewohnheit gemacht, überall im Haus Zettelchen mit Liebesbezeugungen zu hinterlassen. Als Jim so im Bett lag, dachte er an die Menschen, die er geliebt hatte, besonders an seinen Sohn James Alan und seinen treuen Hund Toy. Jim genoss es, einige Stunden seinem Schreinerhobby zu widmen. Dafür hatte er sich in einer Kellerecke einen Arbeitsplatz eingerichtet, wo er Möbel, Bilderrahmen und andere Gegenstände anfertigte, darunter eine runde weiße Bank um einen Baum in seinem Vorgarten. Jim fuhr auch gerne seinen Chevy durch die Gegend, sah sich Formel-1-Autorennen an und trank Bier der Marke „Miller Lite“. Im Großen und Ganzen konnte man Jim als gesund bezeichnen. Gelegentlich hatte er Migräne – Kopfschmerzen, die jeweils einen halben Tag andauerten –, und sein Blutdruck war etwas hoch, was vielleicht auf sein Kettenrauchen zurückzuführen war. Vor einer Weile schon war er etwas übergewichtig geworden, hatte aber schon wieder einige Pfunde abgenommen. Nach einer Vasektomie konnte er außerdem keine Kinder mehr zeugen. Das Ungewöhnliche an Jim Lewis war (und das ist jetzt keine Erfindung!), dass es zur selben Zeit einen anderen Mann gab, der auch Jim hieß und für den all diese Dinge einschließlich des Namens, den er seinem Hund gegeben hatte, ebenfalls zutrafen1. Der andere Jim – Jim Springer – war 38 Jahre zuvor sein Mitbewohner im Mutterleib gewesen. 37 Tage nach ihrer Geburt wurden diese genetisch gleichen Zwillinge voneinander getrennt, jeweils von einer Arbeitendenfamilie adoptiert und wuchsen ohne Kontakt miteinander und ohne Wissen über den Verbleib des anderen auf – bis zu dem Tag, an dem Jim Lewis’ Telefon klingelte. Der Anrufer war sein genetischer Klon (der sich auf die Suche nach ihm gemacht hatte, nachdem ihm von seinem Zwilling erzählt worden war). Einen Monat später wurden die Brüder als erstes Zwillingspaar von Thomas Bouchard und seinen Kolleg:innen an der Universität von Minnesota getestet 1
Tatsächlich gibt es einen Fehler in dieser Beschreibung der beiden Jims: Jim Lewis nannte seinen Sohn James Alan. Jim Springer nannte seinen Sohn James Allan.
..Abb. 5.6 Eineiige Zwillinge sind Doppelgänger. Die eineiigen Zwillingsschwestern Mia (links) und Alexandra (rechts), die im Film Twin Sisters (2013) zu sehen sind, wurden als Kleinkinder von verschiedenen Familien adoptiert und wuchsen völlig getrennt voneinander auf. Der Film zeigt, wie Mia in einem kalifornischen Vorort und Alexandra in einem norwegischen Dorf aufwächst. Dennoch haben die Zwillinge erstaunliche Gemeinsamkeiten, darunter eine Abneigung gegen Tomaten, Oliven und unordentliche Räume sowie eine Leidenschaft für Schokolade. (© Mona Friis Bertheussen/Moment Film)
(Miller, 2012c). Ihre Intonation und Modulation der Stimme ähnelten sich derartig, dass Jim Springer sagte: „Das bin ich“, als ihm die Aufnahme eines Interviews auf Tonband vorgespielt wurde. Falsch – es war sein Bruder. Nachdem man Persönlichkeit, Intelligenz, Herzfrequenz und Gehirnwellen untersucht hatte, stellte man fest, dass sich die Zwillinge trotz ihrer 38 Jahre andauernden Trennung praktisch so ähnlich waren, als wäre dieselbe Person zweimal getestet worden. Beide heirateten eine Frau namens Dorothy Jane Scheckelburger. Gut, das Letzte war nur ein Witz. Wie jedoch Judith Rich Harris (2006) anmerkt, ist es kaum verrückter, als einige andere Ähnlichkeiten, die berichtet wurden (. Abb. 5.6). Mit Hilfe von Zeitungsannoncen haben Bouchard (2009) und seine Kolleg:innen 74 nicht gemeinsam aufgewachsene Zwillingspaare ausfindig gemacht und untersucht. Sie fanden Gemeinsamkeiten, die sich nicht nur auf Geschmack und Körpermerkmale bezogen, sondern auch auf die Persönlichkeit, Fähigkeiten, Einstellungen, Interessen und sogar Ängste. In Schweden stießen Forschende auf 99 getrennt lebende eineiige und mehr als 200 getrennt lebende zweieiige Zwillingspaare (Pedersen et al., 1988). Im Vergleich zu einer Stichprobe aus gemeinsam aufgewachsenen eineiigen Zwillingen hatten die getrennt aufgewachsenen eineiigen Zwillinge eher voneinander abweichende Persönlichkeiten. Dennoch waren sich die getrennt aufgewachsenen, genetisch gleichen Zwillinge immer noch ähnlicher als zweieiige. Eine Trennung kurz nach ihrer Geburt (im Gegensatz zu beispielsweise im Alter von acht Jahren) bewirkte keine Zunahme ihrer Persönlichkeitsunterschiede. Bouchards Kritiker, die uns daran erinnern, dass „der Plural von Anekdote nicht Belege heißt“, lassen sich von den aufregenden Geschichten über die Ähnlichkeiten der Zwillinge nur wenig beeindrucken. Sie behaupten,
5.1 • Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede
153
..Abb. 5.7 Anlage, Umwelt oder beides? Wenn Talent in der Familie vorhanden ist, wie bei Meret Becker, Monika Hansen, Otto Sander und Ben Becker, wie arbeiten Vererbung und Umwelt dann zusammen? (© Stephan Schraps/Geisler-Fotopress/ picture alliance)
dass zwei beliebige, einander unbekannte Menschen, die stundenlang ihre Verhaltens- und Lebensgeschichten vergleichen müssten, mit hoher Wahrscheinlichkeit viele zufällige Ähnlichkeiten entdecken würden. Würden denn Paare, die zu einer von den Forschenden gebildeten Kontrollgruppe aus biologisch nicht verwandten Paaren des gleichen Alters, des gleichen Geschlechts und der gleichen ethnischen Gruppe gehörten und nicht zusammen aufgewachsen waren, sich aber bezüglich ihres wirtschaftlichen und kulturellen Hintergrundes genauso ähnlich wären wie viele der getrennt aufgewachsenen Zwillinge, nicht genauso frappierende Ähnlichkeiten aufweisen (Joseph, 2001)? Zwillingsforscher:innen haben darauf entgegnet, dass sich getrennt aufwachsende zweieiige Zwillinge in Bezug auf ihre Ähnlichkeiten nicht mit getrennt aufwachsenden eineiigen Zwillingen vergleichen lassen. Selbst die besonders eindrucksvollen Befunde aus der Persönlichkeitsdiagnostik werden davon überschattet, dass sich viele der Zwillinge bereits einige Jahre vor Durchführung der Tests wiedergefunden hatten. Auch versuchen die Stellen, die über Adoptionen entscheiden, voneinander getrennte Zwillinge in ähnlichen familiären Verhältnissen unterzubringen. Trotz dieser Kritik haben die erstaunlichen Ergebnisse der Zwillingsstudien dazu geführt, dass genetischen Einflüssen in wissenschaftlichen Theorien mehr Bedeutung beigemessen wird.
Biologische und Adoptivfamilien im Vergleich Für Verhaltensgenetiker:innen führt ein weiteres praktisches, realitätsnahes Experiment, die Adoption, zu zwei Gruppen von Verwandten: den genetischen Verwandten (biologische Eltern und biologische Geschwister) und denjenigen, mit denen die Adoptivkinder eine gemein-
same Umwelt teilen (Adoptiveltern und ‑geschwister). Bei der Untersuchung der Persönlichkeit oder irgendeinem anderen Merkmal kann man daher immer danach fragen, ob Adoptivkinder eher ihren Adoptiveltern gleichen (die Teil der Familienumwelt sind) oder ihren biologischen Eltern (die die Gene beisteuerten). Können adoptierte Kinder, die gemeinsam mit den leiblichen Kindern eines Paares aufwachsen und demnach denselben familiären Bedingungen ausgesetzt sind, auch dieselben Merkmale entwickeln wie die biologischen Kinder? Das völlig überraschende Forschungsergebnis aus Untersuchungen, die an Hunderten von Adoptivfamilien durchgeführt wurden, lautet, dass sich, abgesehen von eineiigen Zwillingen, zusammen aufwachsende Menschen wenig in Bezug auf ihre Persönlichkeit ähneln, und zwar unabhängig von ihrer biologischen Verwandtschaft (McGue & Bouchard, 1998; Plomin, 2011; Rowe, 1990). Adoptivkinder haben in ihren Persönlichkeitsmerkmalen (Extraversion, Verträglichkeit etc.) mehr Ähnlichkeiten mit ihren biologischen Eltern als mit den für sie sorgenden Adoptiveltern (. Abb. 5.7). Das Ergebnis ist so bedeutsam, dass man es noch einmal wiederholen sollte: Die normalen Umweltfaktoren, die für die Kinder innerhalb einer Familie die gleichen sind, haben nur einen geringen Einfluss auf ihre Persönlichkeit. Zwei in derselben Familie aufgewachsene, adoptierte Kinder haben in Bezug auf ihre Persönlichkeitsmerkmale ebenso wenig miteinander gemein wie mit irgendeinem Kind, das nur in derselben Gegend wohnt. Die Anlagen formen die Persönlichkeit auch bei anderen Primaten. So zeigten Makaken, die von Pflegemüttern großgezogen werden, ein Sozialverhalten, das eher dem ihrer biologischen Mütter ähnelt als dem ihrer Pflegemütter (Maestripieri, 2003).
5
154
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
Warum sind Kinder aus derselben Familie so unterschiedlich? Warum hat die gemeinsame Umwelt so geringe Auswirkungen auf die Persönlichkeiten der Kinder? Liegt es daran, dass jedes Kind verschiedenen Einflüssen durch Gleichaltrige und Lebensereignisse unterliegt? Oder ist es eher darauf zurückzuführen, dass die Beziehungen zwischen Geschwistern zur Entfremdung führen, was wiederum ihre Unterschiede verstärkt? Geht es darauf zurück, dass Geschwister, obwohl sie die Hälfte der Gene gemeinsam haben, sehr unterschiedliche Genkombinationen aufweisen und sehr unterschiedliche Erziehungsstile hervorrufen können? Solche Fragen nähren die Neugier der Verhaltensgenetiker:innen. Die genetischen Vorgaben begrenzen zwar den Einfluss der Familienumwelt auf die Persönlichkeit, aber das bedeutet nicht, dass die Erziehung von Adoptivkindern ein fruchtloses Unterfangen ist. Als Adoptivelternteil finde ich [ND] es besonders ermutigend zu wissen, dass Eltern die Einstellungen, Werte, das Benehmen, Vorstellungen in Glaubensfragen und politische Auffassungen ihrer Kinder beeinflussen (Kandler & Riemann, 2013). Dies wurde auf dramatische Weise am Beispiel der getrennten eineiigen Zwillinge Jack Yufe, der jüdisch erzogen wurde, und Oskar Stöhr, Mitglied der deutschen Hitlerjugend, deutlich. Nachdem sie Jahre später wieder vereint waren, sinnierte Oskar zu Jack: „Wären wir vertauscht worden, wäre ich der Jude gewesen und du der Nazi“ (Segal, 2005, S. 70). Zwei adoptierte Kinder oder eineiige Zwillinge verfügen über ähnlichere religiöse Vorstellungen, wenn sie dasselbe Zuhause haben, vor allem solange sie als Jugendliche noch im Elternhaus wohnen (Koenig et al., 2005). Die Erziehung – und das kulturelle Umfeld, in das Eltern ihre Kinder setzen – hat also durchaus eine Bedeutung! >>Ungleiche Geschwister: Hermann Göring war kontakt-
freudig, liebte Menschenmengen und wurde Hitlers rechte Hand sowie Gründer der nationalsozialistischen Gestapo. Sein jüngerer Bruder Albert Göring war ruhig und zurückgezogen und setzte sich für die Rettung von Juden ein, die das Regime von Bruder Hermann tötete (Brennan, 2010).
Darüber hinaus sind Vernachlässigung, Misshandlung und Missbrauch von Kindern und sogar Ehescheidungen bei Adoptiveltern selten. (Adoptiveltern werden im Gegensatz zu leiblichen Eltern sorgfältig überprüft.) Es überrascht folglich nicht, dass sich die meisten Adoptivkinder trotz eines größeren Risikos für psychische Störungen gut entwickeln, vor allem wenn sie als Kleinkinder adoptiert wurden (Loehlin et al., 2007; van IJzendoorn & Juffer, 2006; Wierzbicki, 1993). Sieben von acht adoptierten Kindern berichten, dass sie sich einem oder beiden Adoptivelternteilen stark verbunden fühlen. Als Kinder von sich selbst aufopfernden Eltern wachsen sie so auf, dass sie sich auch selbst mehr einbringen und altruistischer verhalten als der Durchschnitt (Sharma et al.,
1998). In Intelligenztests erreichen viele höhere Werte als ihre biologischen Eltern und Geschwister und die meisten werden glücklichere und stabilere Erwachsene, als diese es waren (Kendler et al., 2015b; van IJzendoorn et al., 2005). In einer schwedischen Studie wuchsen im Kleinkindalter adoptierte Kinder mit weniger Problemen auf als Kinder, deren biologische Mütter sie zuerst zur Adoption freigeben wollten und sich dann doch anders entschieden hatten (Bohman & Sigvardsson, 1990). Fazit: Gleichgültig wie groß die Persönlichkeitsunterschiede zwischen Adoptivfamilienmitgliedern sind, die meisten Adoptivkinder profitieren von der Adoption (. Abb. 5.8). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie nutzen Forschende Zwillings- und Adoptionsstudien, um mehr über psychologische Prinzipien zu erfahren?
5.1.3
Temperament und Vererbung
?? 5.3 Was haben Psycholog:innen über das Tempera-
ment gelernt?
Die meisten Eltern mit zwei Kindern berichten, dass sich Babys bereits vor ihrem ersten Atemzug voneinander unterscheiden. Ein Aspekt der Persönlichkeit fest – das Temperament (emotionale Reaktivität und Erregbarkeit) – ist früh erkennbar und genetisch beeinflusst (Kandler et al., 2013; Raby et al., 2012). Temperament („temperament“) – charakteristische emo-
tionale Reaktionsbereitschaft und Reaktionsstärke eines Menschen. Eineiige Zwillinge haben häufig ein ähnliches Temperament, und zwar mehr als zweieiige Zwillinge (Fraley & Tancredy, 2012; Kandler et al., 2013). Temperamentsunterschiede bleiben normalerweise bestehen. Die Neugeborenen, die am stärksten emotional reagieren, zeigen diese Reaktionsbereitschaft auch im Alter von neun Monaten (Wilson & Matheny, 1986; Worobey & Blajda, 1989). Heftig reagierende Vorschulkinder zeigen auch als junge Erwachsene vergleichsweise vehemente Reaktionen (Larsen & Diener, 1987). Eine Studie mit 900 Neuseeländer:innen ergab, dass stark emotional reagierende und impulsive Kinder sich zu noch impulsiveren, aggressiveren und konfliktsuchenden 21-Jährigen entwickelten (Caspi, 2000). Der Effekt der Gene zeigt sich in physiologischen Unterschieden. Ängstliche, gehemmte Kinder haben einen erhöhten und unregelmäßigen Herzschlag sowie ein leicht erregbares Nervensystem. Wenn sie mit neuen
155
5.1 • Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede
..Abb. 5.8 a,b Adoption ist von Bedeutung. Der Schauspieler Jack Nicholson und der verstorbene Apple-Gründer Steve Jobs profitierten beide von einem der größten Geschenke der Liebe: der Adoption. (a: © Ursula Düren/dpa/picture-alliance; b: © Monica M. Davey/dpa/picture alliance)
a
und fremden Situationen konfrontiert werden, reagieren sie mit einer stärkeren physiologischen Erregung (Kagan & Snidman, 2004; Roque et al., 2012). 5.1.4 Erblichkeit
?? 5.4 Was ist Erblichkeit und in welchem Zusammen-
hang steht sie zu Individuen und Gruppen?
Unsere Biologie trägt also zur Herausbildung unserer Persönlichkeit bei. Aber die Frage, ob Ihre Persönlichkeit eher ein Produkt Ihrer Gene oder Ihrer Umwelt ist, ist als würde man darüber rätseln, ob sich die Fläche eines Spielfeldes eher aus seiner Länge oder seiner Breite ergibt. Wir könnten jedoch die Frage stellen, ob die unterschiedlichen Flächen verschiedener Felder eher das Ergebnis von Unterschieden in der Länge oder in der Breite sind. Ebenso könnten wir fragen, ob die Unterschiede zwischen einer Person und einer anderen eher durch die Anlage oder die Umwelt beeinflusst werden. Anhand von Zwillings- und Adoptionsstudien können Verhaltensgenetiker:innen die Erblichkeit eines Persönlichkeitsmerkmals mathematisch berechnen, d. h. das Ausmaß, in dem die Unterschiede zwischen Individuen auf ihre unterschiedlichen Gene zurückgeführt werden können. Bei vielen Persönlichkeitsmerkmalen beträgt die Erblichkeit 40 %; bei der allgemeinen Intelligenz wurde die Vererblichkeit auf etwa 66 % geschätzt (Haworth et al., 2010; Turkheimer et al., 2014). Das heißt aber nicht, dass Ihre Intelligenz zu 66 % genetisch bedingt ist. Es bedeutet vielmehr, dass wir 66 % der beobachteten Variation
b
unter Menschen genetischen Einflüssen zuschreiben können. Wir können nicht sagen, zu welchem Prozentsatz die Persönlichkeit oder Intelligenz einer bestimmten Person vererbt ist. Es ist unsinnig, zu sagen, Ihre Persönlichkeit gehe zu x Prozent auf Ihre Anlagen und zu y Prozent auf Ihre Umwelt zurück. Dieser Punkt wird so häufig missverstanden, dass ich es wiederholen möchte: Bei prozentualen Angaben zur Erblichkeit geht es vielmehr um das Ausmaß, in dem die Unterschiede zwischen Menschen allgemein auf Gene zurückzuführen sind. Erblichkeit („heritability“) – Ausmaß, in dem individuelle
Unterschiede auf Gene zurückgeführt werden können. Die Erblichkeit eines Persönlichkeitsmerkmals kann in Abhängigkeit von der ausgewählten Population und den untersuchten Umweltbedingungen variieren. Die Erblichkeit von Intelligenz variiert von einer Studie zur anderen. Würden wir dem Vorschlag des für seine sarkastischen Beschreibungen bekannten Schriftstellers Mark Twain (1835–1910) folgen, Jungen bis zum Alter von 12 Jahren in Fässern aufzuziehen und sie durch ein Loch zu füttern, würden sie einen vergleichsweise geringen Intelligenzquotienten aufweisen. Da sie alle unter den gleichen Umweltbedingungen leben, könnte man dann jedoch die individuellen Unterschiede bezüglich ihres Intelligenzquotienten als 12-Jährige ausschließlich auf Vererbungsfaktoren zurückführen. Mit anderen Worten: Die intellektuellen Unterschiede zwischen ihnen wären zu fast 100 % anlagebedingt (. Abb. 5.9). Je ähnlicher die Umweltbedingungen sind, desto größer wird der Stellenwert der Vererbung als Erklärung für die Unterschiede. Hätten alle Schulen die gleiche Quali-
5
156
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
erklärt das nicht, warum sich einige Gruppen aggressiver verhalten als andere. Versetzt man Menschen in einen neuen sozialen Kontext, kann sich dadurch ihre Aggressivität verändern. Die friedvollen Skandinavier von heute tragen viele Gene in sich, die ihnen von ihren Wikingervorfahren vererbt wurden. Prüfen Sie Ihr Wissen
5
..Abb. 5.9 Anlage oder Umwelt? (Michael Shaw/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
tät, alle Familien eine gleich liebevolle Atmosphäre und funktionierte das Leben in allen sozialen Gemeinschaften gleichermaßen gut, so würde die Erbanlage – also die genetisch bedingten Unterschiede – mehr Gewicht bekommen (da Unterschiede, die auf die Umwelt zurückgeführt werden könnten, abnehmen). Aber betrachten Sie das andere Extrem: Wenn alle Menschen ähnliche Erbfaktoren hätten, aber in drastisch unterschiedlichen Umgebungen aufwüchsen (z. B. einem Fass im Gegensatz zu einer gut situierten Familie), wäre der Einfluss der Erbanlage relativ gering. Können wir dieses Denken auf Gruppenunterschiede ausweiten? Wenn genetische Einflüsse zur Erklärung der individuellen Vielfalt bei Persönlichkeitsmerkmalen innerhalb einer Gruppe beitragen, stellt sich die Frage, ob das nicht auch auf Merkmalsunterschiede zwischen Gruppen zutrifft. Die Antwort lautet: nicht notwendigerweise. Körpergröße ist zu 90 % erblich bedingt, jedoch muss man eher Ernährungs- (ein Umweltfaktor) als genetische Einflüsse heranziehen, will man erklären, warum die Gruppe der Erwachsenen gewachsen ist (Floud et al., 2011). Im Jahr 1850 war der durchschnittliche amerikanische Mann 1,70 m groß; in den 1980er Jahren war sein Pendant 7,5 cm größer. Die beiden Gruppen unterscheiden sich nicht etwa, weil sich die menschlichen Gene innerhalb dieser winzigen Zeitspanne verändert hätten. Heutzutage sind Südkoreaner dank ihrer besseren Ernährung durchschnittlich 15 cm größer als die genetisch ähnlichen Nordkoreaner (Johnson et al., 2009). Gene sind wichtig, aber ebenso die Umwelt. Was für die Größe und das Gewicht zutrifft, gilt auch für Werte in Persönlichkeits- und Intelligenztests: Vererbbare Unterschiede zwischen Menschen müssen keine vererbbaren Gruppenunterschiede mit sich bringen. Und auch wenn einige Individuen eine stärkere genetische Disposition für die Entwicklung von Aggressivität haben,
– Die Personen, die die Erblichkeit eines Persönlichkeitsmerkmals untersuchen, versuchen zu bestimmen, in welchem Ausmaß die Unterschiede in diesem Persönlichkeitsmerkmal zwischen einer Person und einer anderen innerhalb einer Gruppe auf ihre unterschiedlichen ___ zurückzuführen sind.
5.1.5 Anlage-Umwelt-Interaktion
Die wichtigste gemeinsame Eigenschaft der Menschen ist ihre enorme Anpassungsfähigkeit. Sie ist zugleich ein untrügliches Verhaltenskennzeichen unserer Art. Einige menschliche Merkmale entwickeln sich praktisch in jeder Umwelt gleich. Andere Merkmale kommen nur in einer spezifischen Umwelt zum Ausdruck. Gehen Sie einen Sommer lang barfuß, dann bekommen Sie abgehärtete, mit Schwielen bedeckte Füße; dies ist eine biologische Anpassung an die Reibung. Gleichzeitig wird Ihr Schuhe tragender Nachbar seine zarten Füße behalten. Der Unterschied zwischen Ihnen beiden ist umweltbedingt. Aber er ist das Ergebnis eines biologischen Mechanismus, genannt Adaptation. Unsere gemeinsame biologische Ausstattung ermöglicht uns die Entwicklung unserer Vielfalt (Buss, 1991). Wenn man also sagt, dass sowohl die Gene als auch Erfahrungen wichtig sind, ist das nicht falsch. Präziser ausgedrückt müsste man jedoch sagen, dass sie interagieren. Wie unsere Gene und unsere Erfahrungen zusammenwirken und uns so zu einzigartigen Individuen zu formen, ist eines der spannendsten Themen der heutigen Psychologie. Studien zum Zusammenspiel von Genen und Umwelt geben beispielsweise Aufschluss darüber, wer am meisten Gefahr läuft, durch Stress oder Missbrauch dauerhaft geschädigt zu werden und wer am ehesten von Interventionen profitieren könnte (Manuck & McCaffery, 2014; . Abb. 5.10).
» „Die Erbanlage verteilt die Karten, die Umwelt spielt das Blatt aus.“ Der Psychologe Charles L. Brewer (1990)
Interaktion („interaction“) – das Zusammenspiel, das
auftritt, wenn die Auswirkung eines Faktors (z. B. der Umwelt) von einem anderen Faktor abhängt (z. B. den Anlagen).
5.1 • Verhaltensgenetik: Die Vorhersage individueller Unterschiede
157
molekularen Verhaltensgenetik, einige der vielen Gene zu finden, die zusammen die komplexen Merkmale des Menschen beeinflussen, wie etwa das Körpergewicht, die sexuelle Orientierung und die Impulsivität. Molekulare Verhaltensgenetik („molecular behavior genetics“) – Untersuchung der Art und Weise, wie die Struktur
und Funktion von Genen mit unserer Umwelt interagieren und so unser Verhalten beeinflussen. kkEpigenetik: Auslöser, die Gene ein- und ausschalten
..Abb. 5.10 Genetische Weltraumforschung. 2015 nahmen Scott (links) und Mark (rechts) Kelly an einer Zwillingsstudie teil, die buchstäblich nicht von dieser Welt war. Scott verbrachte 340 Tage auf der Internationalen Raumstation in der Erdumlaufbahn, während sein eineiiger Zwilling Mark auf der Erde blieb. Beide Zwillinge wurden den gleichen physischen und psychologischen Tests unterzogen. Die Ergebnisse dieser Untersuchung können zu unserem Verständnis darüber beitragen, wie Genetik und Umwelt zusammenwirken – sowohl im Weltraum als auch auf der Erde. (© Pat Sullivan/AP Photo/picture alliance)
zz Molekulare Verhaltensgenetik ?? 5.5 Wie verändert die molekulargenetische Forschung
unser Verständnis der Auswirkungen von Natur und Umwelt?
Verhaltensgenetiker:innen sind mittlerweile über die Frage „Beeinflussen Gene unser Verhalten?“ hinweg. Die neueste Herausforderung in der verhaltensgenetischen Forschung ist die „Bottom-up“-Suche (datengeleitete Suche) der Molekulargenetik, die die molekulare Struktur und Funktion von Genen untersucht. Molekulargenetik („molecular genetics“) – Teilgebiet der
Biologie, das sich mit der Untersuchung der molekularen Struktur und Funktion von Genen befasst. kDie k Suche nach bestimmten Genen, die das Verhalten beeinflussen
Die meisten Merkmale werden beim Menschen durch Gruppen von Genen beeinflusst. So wird zwar aus Zwillings- und Adoptionsstudien berichtet, dass sich die Vererbung auf das Körpergewicht auswirkt; doch es gibt nicht ein einzelnes „Übergewichtsgen“. Einige Gene üben Einfluss darauf aus, wie schnell der Magen dem Gehirn mitteilt: „Ich bin voll“ (Adetunji, 2014). Andere Gene geben möglicherweise vor, wie viel Energie die Muskeln verbrauchen, wie viele Kalorien durch Herumzappeln verbrannt werden und wie wirkungsvoll der Körper zusätzliche Kalorien in Fett umwandelt (Vogel, 1999). Angesichts der Tatsache, dass Gene normalerweise keine Einzelspieler sind, ist eines der Ziele der
Gene sind entweder aktiv (exprimiert; also in etwa so, wie wenn das heiße Wasser den Teebeutel aktiviert) oder inaktiv. Die Epigenetik (was „zusätzlich zur Genetik“ oder „über Genetik hinaus“ bedeutet), untersucht die molekularen Mechanismen, durch welche die Umwelt Genexpressionen auslösen oder blockieren kann. Gene sind selbstregulierend. Statt als Planvorgaben zu handeln, die egal in welchem Kontext immer zu demselben Ergebnis führen, reagieren die Gene. Ein afrikanischer Schmetterling, der im Sommer grün ist, ändert im Herbst aufgrund eines genetischen Schalters, der von der Außentemperatur gesteuert wird, seine Farbe: Er wird braun. Dieselben Gene, die in der einen Situation grün produzieren, produzieren in einer anderen Situation braun. Unsere Erfahrungen erzeugen auch epigenetische Marker, die oft organische Methylmoleküle sind, die an einem Teil eines DNA-Strangs angehängt sind (. Abb. 5.11). Wenn ein Marker der Zelle die Instruktion gibt, jedes Gen, das auf diesem DNA-Abschnitt vorhanden ist, zu ignorieren, werden diese Gene „ausgeschaltet“ – und dadurch verhindert, dass die DNA die Proteine produziert, die normalerweise durch diese Gene codiert sind. Wie ein Genetiker erklärte: „Dinge, die mit dem Kugelschreiber geschrieben sind, kann man nicht ändern. Das ist DNA. Dinge, die mit Bleistift geschrieben wurden, kann man ändern. Das ist Epigenetik“ (Reed, 2012). Epigenetik („epigenetics“) – „über“ oder „zusätzlich zu“
(epi) der Genetik; die Untersuchung von Umwelteinflüssen auf die Genexpression, die auftreten, ohne die DNA zu verändern. Umweltfaktoren, wie Ernährung, Drogen und Stress, können die epigenetischen Moleküle, die die Genexpression regulieren, beeinflussen. Rattennachwuchs wird normalerweise von der Mutter abgeleckt. In Experimenten, in denen dies verhindert wurde, besaßen die jungen Ratten eine höhere Anzahl an Molekülen, die den Zugang zum Schalter des Gehirns für die Entwicklung von Stresshormonrezeptoren blockierten. Wenn diese Tiere gestresst wurden, hatten sie überdurchschnittlich hohe Werte an sich frei bewegenden Stresshormonen und waren stärker gestresst (Champagne et al., 2003; Champagne & Mashoodh, 2009). Die Epigenetik bietet einen Mechanismus, durch den die Auswirkungen von Kindheitstraumata, Armut
5
158
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
Gene
5
Pränatal
Drogen, Toxine, Ernährung, Stress
Postnatal
Vernachlässigung, Missbrauch, Unterschiede in der Versorgung
Jugendliche
Erwachsene
Sozialer Kontakt, Komplexität der Umgebung Kognitive Herausforderungen, Bewegung, Ernährung
Die Genexpression wird durch epigenetische Moleküle blockiert. ..Abb. 5.11 Die Epigenetik beeinflusst die Genexpression. Beginnend mit der Zeit im Mutterleib hinterlassen Lebenserfahrungen epigenetische Marker – oftmals organische Methylmoleküle – die die Aktivierung jedes Gens im betroffenen DNA-Segment beeinflussen können. (Aus Champagne, 2010; Copyright © 2010 by SAGE Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications)
oder Unterernährung ein Leben lang anhalten können (Nugent et al., 2016; Peter et al., 2016; Swartz et al., 2016). Unsere Erfahrungen können uns auf der tiefsten Ebene prägen. Kindesmissbrauch kann seine Spuren im Genom einer Person hinterlassen. Darüber hinaus scheint es inzwischen so, dass einige epigenetische Veränderungen an künftige Generationen weitergegeben werden (. Abb. 5.12). In einem Experiment waren Mäuse, deren Großeltern gelernt hatten, den Geruch von Orangenblüten mit einem Schock zu assoziieren, selbst erschrocken, als sie dem Duft zum ersten Mal ausgesetzt waren (Dias & Ressler, 2014). Es ist denkbar, dass Ihre Gesundheit und Ihr Wohlbefinden durch Belastungen oder Schadstoffe beeinträchtigt werden, die Ihre Eltern oder sogar Großeltern erfahren haben (McCarrey, 2015; Skinner, 2014; Yehuda et al., 2016). In einer Studie teilten Überlebende von Holocaust-Traumata epigenetische Veränderungen mit ihren Nachkommen (Yehuda et al., 2016).
..Abb. 5.12 Nachhaltige Auswirkungen. Der kanadische Senator Murray Sinclair, der hier zusammen mit Premierminister Justin Trudeau zu sehen ist, wurde für einen ausführlichen Bericht über die verheerenden Auswirkungen des langjährigen kanadischen ResidentialSchool-Programms geehrt, durch das indigene kanadische Kinder von ihren Familien getrennt und in internatartige Schulen gesteckt wurden. Wie die Psychologin Susan Pinker (2015) beobachtete, können sich die epigenetischen Auswirkungen einer erzwungenen Familientrennung „nicht nur bei den Überlebenden der Internate, sondern auch bei den nachfolgenden Generationen auswirken“. (© ASSOCIATED PRESS/ Adrian Wyld/picture alliance)
Dank der Epigenetikforschung könnten einige wissenschaftliche Rätsel gelöst werden. Dazu gehören Fragen wie, warum nur einer von zwei eineiigen Zwillingen eine genetisch beeinflusste psychische Störung entwickelt (Spector, 2012). Die Epigenetik kann ebenfalls zur Erklärung beitragen, warum eineiige Zwillinge leicht unterschiedlich aussehen können. Forscher:innen, die Mäuse untersuchen, haben herausgefunden, dass die Exposition mit bestimmten Chemikalien im Uterus dazu führen kann, dass genetisch eineiige Zwillinge unterschiedlich gefärbtes Fell haben (Dolinoy et al., 2007). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Verbinden Sie die folgenden Begriffe mit der jeweils richtigen Erklärung: 1. Epigenetik 2. Molekulare Verhaltensgenetik 3. Verhaltensgenetik
a. Untersuchung der relativen Gewichte von genetischen und Umwelteinflüssen auf das Verhalten b. Untersuchung der Art und Weise, wie die Struktur und Funktion von Genen mit unserer Umwelt interagieren und so unser Verhalten beeinflussen c. Untersuchung der Umweltfaktoren, die einen Einfluss darauf haben, wie unsere Gene exprimiert werden
159
5.2 • Evolutionspsychologie: Wie man die Natur des Menschen versteht
5.1.6
Rückblick: Verhaltensgenetik
Verständnisfragen
5.1 – Was sind Chromosomen, DNA, Gene und mensch-
liches Genom? Wie erklären Verhaltensgenetiker:innen unsere individuellen Unterschiede? 5.2 – Wie helfen uns Zwillings- und Adoptionsstudien dabei, die Auswirkungen und das Zusammenspiel von Natur und Umwelt zu verstehen? 5.3 – Was haben Psycholog:innen über das Temperament gelernt? 5.4 – Was ist Erblichkeit und in welchem Zusammenhang steht sie zu Individuen und Gruppen? 5.5 – Wie verändert die molekulargenetische Forschung unser Verständnis der Auswirkungen von Natur und Umwelt?
--------
5. 6.
7.
Schlüsselbegriffe Chromosomen DNA/DNS (deoxyribonucleic acid; Desoxyribonukleinsäure) Eineiige (monozygote) Zwillinge Epigenetik Erblichkeit Gene Genom Interaktion Molekulare Verhaltensgenetik Molekulargenetik Temperament Umwelt Vererbung Verhaltensgenetik Zweieiige (dizygote) Zwillinge
Master the Material 1. Die fadenähnlichen Strukturen, die größtenteils aus DNA-Molekülen bestehen, werden ___ genannt. 2. Ein kleines Segment der DNA, das den Code für bestimmte Proteine bereitstellt, wird als ___ bezeichnet. 3. Wenn die Eizelle der Mutter und die Samenzelle des Vaters sich vereinigen, steuert jeder … a. … ein Chromosomenpaar bei. b. … 23 Chromosomen bei. c. … 23 Chromosomenpaare bei. d. … 25.000 Chromosomen bei. 4. Zweieiige Zwillinge entstehen, wenn … a. … eine einzelne Eizelle von einem einzelnen Spermium befruchtet wird und sich dann teilt. b. … eine einzelne Eizelle von zwei Spermien befruchtet wird und sich dann teilt. c. … zwei Eizellen von zwei Spermien befruchtet werden.
8. 9.
d. … zwei Eizellen von einem einzelnen Spermium befruchtet werden. ___ Zwillinge haben die gleiche DNA. Adoptionsstudien versuchen, genetische Einflüsse im Hinblick auf Persönlichkeitsmerkmale zu verstehen. Sie tun dies hauptsächlich, indem sie … a. … adoptierte Kinder mit nicht adoptierten Kindern vergleichen. b. … untersuchen, ob die Persönlichkeit von Adoptivkindern denen ihrer Adoptiveltern oder ihrer biologischen Eltern ähnlicher sind. c. … die Auswirkungen früherer Vernachlässigung auf adoptierte Kinder untersuchen. d. … die Auswirkungen des Alters eines Kindes zum Zeitpunkt der Adoption untersuchen. Von den ersten Lebenswochen an unterscheiden sich Kleinkinder in ihren charakteristischen emotionalen Reaktionen, wobei einige Kleinkinder heftig reagierend und ängstlich sind, während andere locker und entspannt sind. Diese Unterschiede werden gewöhnlich als Unterschiede im ___ erklärt. Die ___ ist der Anteil an Unterschieden zwischen Individuen innerhalb von Gruppen, den wir den Genen zuschreiben können. Die Epigenetik ist die Untersuchung jener molekularen Mechanismen, durch die ___ Genexpressionen auslösen oder blockieren.
5.2
Evolutionspsychologie: Wie man die Natur des Menschen versteht
?? 5.6 Wie erklären Evolutionspsycholog:innen mithilfe
der Prinzipien der natürlichen Selektion Verhaltenstendenzen?
Verhaltensgenetiker:innen untersuchen die genetischen und umweltbedingten Ursachen für Unterschiede zwischen den Menschen. Im Gegensatz dazu konzentrieren sich die Vertreter:innen der Evolutionspsychologie meist darauf, was uns Menschen einander so ähnlich macht. Sie benutzen die Prinzipien der natürlichen Selektion von Charles Darwin – „die wohl bedeutsamste Idee, die jemals einem Menschen in den Sinn gekommen ist“, sagt Richard Dawkins (2007) – um die Wurzeln bestimmter Verhaltensweisen und mentaler Prozesse zu verstehen. Evolutionspsychologie („evolutionary psychology“) – die
Untersuchung der Evolution des Verhaltens und des Denkens mithilfe der Prinzipien der natürlichen Selektion. Natürliche Selektion („natural selection“) – Prinzip, dass vererbte Merkmale, die es einem Organismus besser ermöglichen, in einer bestimmten Umwelt zu überleben und sich fortzupflanzen, eher an nachfolgende Generationen
5
160
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
weitergegeben werden als andere (konkurrierende) Merkmale.
5
-
Die Idee ist vereinfacht diese: Der Nachwuchs verschiedener Organismen konkurriert im Kampf ums Überleben. Gewisse biologische und Verhaltensvarianten erhöhen die Fortpflanzungs- und Überlebenswahrscheinlichkeit des Organismus in seiner jeweiligen Umwelt. Nachwuchs, der überlebt, gibt die eigenen Gene mit höherer Wahrscheinlichkeit an die darauffolgenden Generationen weiter. Folglich können sich die Merkmale einer Population im Laufe der Zeit verändern. Um zu verstehen, wie diese Prinzipien wirken, lassen Sie uns zunächst auf ein einfaches Beispiel eingehen: auf Füchse. 5.2.1
Natürliche Selektion und Anpassung
Ein Fuchs ist ein unbändiges und misstrauisches Tier. Wenn Sie einen Fuchs einfangen und versuchen, sich mit ihm anzufreunden, rate ich Ihnen, auf der Hut zu sein. Wenn der scheue Fuchs nicht fliehen kann, wird er wahrscheinlich Ihre Finger verspeisen. Der russische Wissenschaftler Dmitri Belyaew fragte sich, wie unsere Vorfahren es bewerkstelligt haben, die Hunde, die von genauso wilden Wölfen abstammen, zu zähmen. Er überlegte, ob er es schaffen würde, in einer vergleichsweise kurzen Zeitspanne ein ähnliches Kunststück zu vollbringen, und einen furchtsamen Fuchs in einen kontaktfreudigen Fuchs verwandeln könnte. Dieses Ziel vor Augen begann Belyaew, mit 30 männlichen und 100 weiblichen Füchsen zu arbeiten. Von ihren Nachkommen wählte er die zahmsten 5 % der männlichen und die zahmsten 20 % der weiblichen Füchse aus und paarte sie (er maß die Zähmbarkeit durch die Reaktion der Füchse auf Fütterungs- und Berührungsversuche wie Anfassen und Streicheln). Über 30 Fuchsgenerationen hinweg wiederholten Belyaew und seine Nachfolgerin Lyudmilla Trut diese einfache Vorgehensweise. Vierzig Jahre und 45.000 Füchse später hatten sie eine neue Aufzucht von Füchsen, die nach Trut (1999) „sanftmütig und kontaktfreudig sind und unzweifelhaft als gezähmt gelten können. … Da das aggressive Verhalten des wilden Rudels (Vorfahren) vollständig verschwand, verwandelte sich das wilde Tier vor unseren Augen in ein zahmes Haustier.“ Sie sind derart zugänglich und versessen auf menschliche Kontakte – sie lieben es zu winseln, um Aufmerksamkeit zu erregen, und lecken Menschen ab wie anhängliche Hunde –, dass das mittellose Institut dazu überging, seine Füchse als Haustiere zu vermarkten, um sich zusätzliche finanzielle Mittel zu erschließen.
Nach einer gewissen Zeit werden bestimmte Merkmale, die einem einzelnen Lebewesen oder einer Art einen Vorteil bei der Fortpflanzung einräumen, selektiert und sich so durchsetzen. Experimente mit Tierzüchtungen manipulieren die genetische Selektion. Die Hundezucht gab uns Hirtenhunde zum Hüten der Schaf- oder Rinderherden, Apportierhunde, Such- und Spürhunde für die Jagd (Plomin et al., 1997). Psycholog:innen züchteten ebenfalls Tiere, deren Gene sie dazu prädisponierten, gelassen oder schnell zu reagieren und schnelle oder langsame Lerner zu sein. Funktioniert derselbe Prozess auch mit natürlich auftretender Selektion? Kann die natürliche Selektion auch die menschliche Entwicklung erklären? Die Natur hat tatsächlich vorteilhafte Variationen unter den Mutationen (Zufallsfehler in der Genkopie) und unter den mit jeder Empfängnis entstehenden neuen Genkombinationen selektiert. Aber die spezifischen genetischen Anlagen, die Hunde zum Apportieren, Katzen zum Anspringen oder Ameisen zum Bau eines Hügels prädisponieren, sind wie eine straff geführte Leine: Sie geben einen engen Korridor für ein bestimmtes Verhalten vor. Anders beim Menschen: Unsere Gene, die im Lauf der Geschichte unserer Ahnen selektiert wurden, sind weitaus mehr als eine lange Leine, an der wir uns bewegen: Sie statten uns mit einer großen Lernfähigkeit und somit einer Fähigkeit aus, uns an ein Leben unter verschiedenen Umweltbedingungen anzupassen – von der Tundra bis hin zum Dschungel. Sowohl die Gene als auch Erfahrungen beeinflussen die Nervenverbindungen in unserem Gehirn. Unsere Flexibilität bei der Anpassung der Reaktionen auf verschiedene Umweltbedingungen trägt zu unserer Fitness bei – und somit zu unserer Überlebens- und Reproduktionsfähigkeit. Mutation („mutation“) – Zufallsfehler bei der Genreplikation, der zu einer Veränderung führt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Worin ähnelt das Vorgehen von Belyaev und Trut bei der Züchtung von Füchsen dem normalen Verlauf der natürlichen Selektion, worin unterscheidet es sich?
5.2.2
Evolutionärer Erfolg hilft, Ähnlichkeiten zu erklären
Unterschiede zwischen Menschen ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich. Guinness-Weltrekorde unterhalten uns mit den größten, ältesten, behaartesten und meisttätowierten Menschen. Aber auch die großen Ähnlichkeiten müssen erklärt werden. Am internationalen Ankunftsbereich des Frankfurter Flughafens sieht man, dass die Gesichter
161
5.2 • Evolutionspsychologie: Wie man die Natur des Menschen versteht
aller indonesischen Großmütter, aller chinesischen Kinder und aller heimkehrenden Deutschen genau gleich vor Freude strahlen. Der Evolutionspsychologe Steven Pinker (2002, S. 73) stellte fest, dass dank der menschlichen Evolution die gemeinsamen Merkmale der Menschen – unsere Emotionen, Triebe und Denkfähigkeiten – „über die Kulturen hinweg einer gemeinsamen Logik unterliegen“.
Unser genetisches Erbe Unsere Ähnlichkeiten sind das Resultat unseres gemeinsamen menschlichen Genoms, unseres gemeinsamen genetischen Profils. Nicht mehr als 5 % der genetischen Unterschiede zwischen Menschen gehen auf Unterschiede zwischen den Gruppen in der Population zurück. Mehr als 95 % der genetischen Variation tritt innerhalb einer Population auf (Rosenberg et al., 2002). Der spezifische genetische Unterschied zwischen zwei isländischen Dorfbewohner:innen oder zwischen zwei Kenianer:innen ist viel größer als der durchschnittliche Unterschied zwischen diesen beiden Gruppen. Das bedeutet, selbst wenn nach einer weltweiten Katastrophe nur die Menschen in Island und Kenia überleben würden, müsste die menschliche Spezies lediglich eine im Grunde „belanglose Reduktion“ ihrer genetischen Vielfalt hinnehmen (Lewontin, 1982). Und wie hat sich dieses gemeinsame menschliche Genom entwickelt? In den Anfängen der menschlichen Geschichte waren unsere Ahnen mit bestimmten Fragen konfrontiert: Wer ist mein Verbündeter, wer ist mein Feind? Mit wem soll ich Nachkommen zeugen? Welche Nahrung soll ich zu mir nehmen? Manche Individuen beantworteten diese Fragen mit mehr Erfolg als andere. Beispielsweise prädisponiert manche Frauen das Erlebnis, dass ihnen in den wichtigen ersten drei Monaten der Schwangerschaft schlecht wird, genetisch dazu, bestimmte bittere, intensiv schmeckende und neuartige Nahrungsmittel zu meiden. Die Meidung dieses Essens hat einen Sinn fürs Überleben, da es sich gerade um jene Nahrungsmittel handelt, die am häufigsten Gift für die pränatale Entwicklung sind (Profet, 1992; Schmitt & Pilcher, 2004). Diejenigen, die es schafften, gesunde anstelle von giftiger Nahrung zu sich zu nehmen, überlebten und konnten ihre Gene an spätere Generationen weitergeben; diejenigen, die Leoparden für nette Streicheltiere hielten, überlebten oft nicht. Ähnlich erfolgreich waren jene, die sich ein Gegenüber suchten, mit dem sie Nachkommen zeugen und ernähren konnten. Über Generationen hinweg gingen gewöhnlich die Gene der Individuen, die diese Disposition nicht hatten, dem menschlichen Genpool verloren. Durch die fortlaufende Selektion erfolgreicher Gene ergaben sich Verhaltenstendenzen und ein Lernvermögen, das schon unsere Vorfahr:innen im Steinzeitalter zum Überleben, zur Fortpflanzung und damit zur Weitergabe ihrer Gene an zukünftige Generationen befähigte. Quer durch alle Kulturen teilen wir sogar eine „universelle moralische Grammatik“ (Mikhail, 2007). Männer
und Frauen, Junge und Alte, Liberale und Konservative, in Sidney oder Seoul Lebende, alle reagieren auf negative Weise, wenn sie Folgendes gefragt werden: „Wenn ein tödliches Gas durch ein Loch in die Lüftung gelangt und zu einem Raum mit sieben Menschen strömt, ist es okay jemanden in den Lüftungsschacht zu schubsen – und ihn damit umzubringen, aber dafür die anderen sieben zu retten?“ Und sie alle reagieren eher zustimmend, wenn sie gefragt werden, ob es okay ist zuzulassen, dass eine Person in den Lüftungsschacht fällt, sodass wiederum diese Person stirbt, die anderen sieben jedoch gerettet werden. Unsere gemeinsamen moralischen Instinkte aus einer fernen Vergangenheit stammen, in welcher wir in kleinen Gruppen gelebt haben, innerhalb welcher das direkte Zufügen von Leid bestraft wurde. Für alle solchen universellen menschlichen Verhaltenstendenzen, angefangen bei dem starken Bedürfnis, als Eltern für Nachwuchs zu sorgen, bis zu unseren gemeinsamen Ängsten und Gelüsten, bietet die Evolutionspsychologie eine „Alles-aus-einer-Hand“-Erklärung (Schloss, 2009). Als Erb:innen dieses prähistorischen Vermächtnisses sind wir genetisch dazu prädisponiert, Verhaltensweisen zu zeigen, die unseren Ahnen das Überleben und Fortpflanzen gesichert haben. In gewisser Weise sind wir biologisch für eine Welt konzipiert, die es gar nicht mehr gibt. Wir lieben den Geschmack von Süßem und Fettem, Nährstoffe, die einst schwer zu bekommen waren, aber unsere körperlich aktiven Vorfahr:innen dazu befähigten, bei Nahrungsknappheit zu überleben. Aber nur wenige von uns jagen und sammeln jetzt ihre Nahrung; stattdessen finden wir Süßigkeiten und Fette in Geschäftsregalen, Imbisstheken und Verkaufsautomaten. Unsere natürlichen Dispositionen, die tief in unserer Geschichte verwurzelt sind, passen einfach nicht zu unserem heutigen Fastfood- und oftmals inaktiven Lebensstil.
Evolutionspsychologie heute Darwins Evolutionstheorie ist zu einem der grundlegenden Organisationsprinzipien für die Biologie geworden und lebt in der „Zweiten Darwinschen Revolution“ weiter: die Anwendung der Evolutionstheorien auf die Psychologie. In der Zusammenfassung seines Werkes On The Origin of Species (dtsch. Über die Entstehung der Arten) sah er „offene Felder für weitaus wichtigere Forschungen voraus. Die Psychologie wird auf einer neuen Grundlage basieren“ (S. 346). >>Diejenigen, die der scheinbare Konflikt zwischen wis-
senschaftlicher und religiöser Darstellung der Herkunft des Menschen beunruhigt, mögen es hilfreich finden, sich an den Prolog dieses Textes zu erinnern, der besagt, dass verschiedene Ansichten des Lebens sich ergänzen können. Zum Beispiel versucht die wissenschaftliche Darstellung uns zu sagen, wann und wie; die religiöse Schöpfungsgeschichte zielt darauf ab, uns über das wer und warum zu erzählen. Wie Galileo es der Großher-
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
162
5
..Abb. 5.13 Was Evolutionspsychologen untersuchen. Die Größe jedes Wortes in dieser Wortwolke zeigt, wie häufig es in den Titeln von evolutionspsychologischen Artikeln erschienen ist. (Nach Gregory Webster, Peter Jonason und Tatiana Schember [2009] aus allen in der Zeitschrift Evolution and Human Behavior veröffentlichten Artikeln in den Jahren 1979 bis 2008, mit freundlicher Genehmigung von Gregory D. Webster)
zoginmutter Christine von Lothringen erklärte, „daß es nämlich die Absicht des Heiligen Geistes ist, uns zu lehren, wie man in den Himmel kommt, nicht, wie der Himmel sich bewegt“.
An anderer Stelle in diesem Text behandeln wir Fragen, für die sich die Evolutionspsychologie heute interessiert. Dazu gehören beispielsweise folgende: Warum beginnen Kinder zu fremdeln, sobald sie sich fortbewegen können? Warum haben so viel mehr Menschen Angst vor Spinnen, Schlangen und Höhe als vor Waffen und Elektrizität, die eigentlich gefährlicher sind? Und warum fürchten wir uns so viel mehr vor dem sicheren Fliegen als vor dem gefährlichen Autofahren? Lassen Sie uns eine kurze Pause machen und den folgenden zwei Fragen nachgehen, um zu sehen, wie Evolutionspsycholog:innen denken und argumentieren: Wie ähnlich sind sich Mann und Frau? Wie und warum unterscheiden sich aus der Sicht der Evolutionspsychologie die weibliche und die männliche Sexualität? 5.2.3
Evolutionstheoretische Erklärung der menschlichen Sexualität
?? 5.7 Wie könnte ein Evolutionspsychologe Unterschie-
de zwischen Männern und Frauen in der Sexualität und in den Vorlieben bei der Partnerwahl erklären?
Angesichts vieler ähnlicher Herausforderungen in ihrer Geschichte haben Männer und Frauen ähnliche Vorgehensweisen entwickelt, um damit umzugehen: Wir essen das Gleiche, meiden dieselben Gefahren, nehmen ähnlich wahr, lernen auf ähnliche Weise und erinnern uns ähnlich. Die Evolutionspsychologie sagt, dass wir uns nur in jenen Bereichen unterscheiden, in denen wir mit unterschiedlichen Herausforderungen zur Anpassung konfrontiert waren – am offensichtlichsten bei Verhaltensweisen, die etwas mit Fortpflanzung zu tun haben (. Abb. 5.13).
Unterschiede zwischen Männern und Frauen in Bezug auf die Sexualität Und wir unterscheiden uns doch. Denken Sie an den Sexualtrieb. Sowohl Männer als auch Frauen sind sexuell motiviert, einige Frauen mehr als viele Männer. Doch wer von beiden denkt mehr an Sex, masturbiert häufiger, ergreift eher die Initiative, um sexuelle Kontakte zu haben, und schaut häufiger pornografische Filme? Die Antworten lauten weltweit: „die Männer“ (Baumeister et al., 2001; Lippa, 2009; Petersen & Hyde, 2010). Es ist daher wenig überraschend, dass in einer von der BBC in 53 Ländern durchgeführten Befragung von mehr als 200.000 Personen, Männer aus allen Ländern stärker den Aussagen „Ich habe einen starken Sexualtrieb“ und „Es braucht nicht viel, um mich sexuell zu erregen“ zustimmten (Lippa, 2008). In der Tat sind sich Marshall Segal, ein interkultureller Psychologe, und seine Kolleg:innen (1990, S. 244) darin einig, dass Männer „bis auf wenige Ausnahmen mit höherer Wahrscheinlichkeit als Frauen sexuelle Aktivitäten initiieren.“ Dies ist einer der größten Sexualitätsunterschiede zwischen Männern und Frauen – doch es gibt noch mehr (Hyde, 2005; Petersen & Hyde, 2010; Regan & Atkins, 2007). Um zu sehen, ob Sie einige dieser Unterschiede bei Amerikaner:innen vorhersagen können, machen Sie das Quiz in . Tab. 5.1.
» „Das heißt nicht, dass Schwule ein übersteigertes sexuelles Interesse haben; sie sind einfach nur Männer, deren männliche Bedürfnisse mit anderen männlichen Bedürfnissen statt mit weiblichen Bedürfnissen zusammentreffen.“ Steven Pinker, Wie das Denken im Kopf entsteht (1997)
Männer mit heterosexueller Orientierung sind wachsam für das Interesse von Frauen und deuten die Freundlichkeit einer Frau oft fälschlicherweise als sexuelle Anmache (Abbey, 1987). In einer Speed-Dating-Studie glaubten Männer, dass ihre Dating-Partnerinnen mehr sexuelles Interesse bekundeten als sie tatsächlich zum Ausdruck brachten (Perilloux et al., 2012). Dieser sexuelle Überwahrnehmungsbias ist bei denjenigen Männern am
163
5.2 • Evolutionspsychologie: Wie man die Natur des Menschen versteht
..Tab. 5.1 Sagen Sie die Antworten voraus. Forschende fragten stichprobenweise erwachsene US-Amerikaner:innen, ob sie mit den folgenden Aussagen einverstanden seien oder nicht. Geben Sie für jeden Punkt Ihre beste Schätzung über den prozentualen Anteil derer an, die der Aussage zugestimmt haben. (Nach Bailey et al., 2000; Dugan, 2015; Laumann et al., 1994; Pryor et al., 2005) Aussage
Prozentualer Anteil der Männer, die zugestimmt haben
Prozentualer Anteil der Frauen, die zugestimmt haben
1. Wenn sich zwei Menschen ehrlich zueinander hingezogen fühlen, sollten sie miteinander schlafen, selbst wenn sie sich erst sehr kurz kennen.
___
___
2. Ich kann mir vorstellen, Gelegenheitssex mit verschiedenen Partnern zu genießen.
___
___
3. Zuneigung war der Grund, warum ich zum ersten Mal Geschlechtsverkehr hatte.
___
___
4. Ich denke jeden Tag oder mehrmals am Tag an Sex.
___
___
5. Pornographie ist „moralisch akzeptabel“.
___
___
ANTWORTEN: (1) Männer, 58 %; Frauen, 34 %. (2) Männer: 48 %; Frauen: 12 %. (3) Männer: 25 %; Frauen: 48 %. (4) Männer: 54 %; Frauen: 19 %. (5) Männer: 43 %; Frauen: 25 %.
stärksten ausgeprägt, die vor dem Geschlechtsverkehr wenig emotionale Nähe benötigen (Howell et al., 2012; Perilloux et al., 2012). Viele geschlechtsspezifische Ähnlichkeiten und Unterschiede gehen über die sexuelle Orientierung hinaus. Im Vergleich zu lesbischen Frauen berichten schwule (wie heterosexuelle) Männer über ein vermehrtes Ansprechen auf visuelle sexuelle Stimuli und eine größere Bedeutung der körperlichen Attraktivität des Partners (Bailey et al., 1994; Doyle, 2005; Schmitt, 2007; Sprecher et al., 2013). Schwule Paare berichten zudem von häufigerem Sex als lesbische Paare (Peplau & Fingerhut, 2007). Und schwule (ebenso wie heterosexuelle) Männer berichten über ein stärkeres Interesse an ungebundenem Sex.
Natürliche Selektion und Vorlieben bei der Partnerwahl Natürliche Selektion ist die natürliche Auswahl von Eigenschaften und Gelüsten, die zum Überleben und zur Fortpflanzung beitragen. Evolutionspsycholog:innen dient dieses Prinzip als Erklärung dafür, inwiefern sich Männer und Frauen eher im Schlafzimmer als im Konferenzraum unterscheiden. Unser natürliches Verlangen entspricht der Vorgehensweise, mit der sich unsere Gene reproduzieren. „Menschen sind lebende Fossilien – eine Ansammlung von Mechanismen, die durch früheren Selektionsdruck entstanden sind“ (Buss, 1995). Warum sind Frauen bei der Auswahl von Sexualpartnern tendenziell wählerischer als Männer? Für Frauen steht mehr auf dem Spiel. Um ihre Gene in die Zukunft an zukünftige Generationen weiterzugeben, muss eine Frau – mindestens – schwanger werden und den Fötus, der in ihrem Körper wächst, bis zu 9 Monate lang schützen. Es überrascht daher nicht, dass heterosexuelle Frauen Partner bevorzugen, die ihren gemeinsamen Nachkommen Unterstützung und Schutz bieten: einen Mann, der zu Hause
bleibt, statt einen, der ständig ausgeht. Heterosexuelle Frauen fühlen sich zu großen Männern mit einer schmalen Taille und breiten Schultern hingezogen – alles Anzeichen für eine erfolgreiche Fortpflanzung (Mautz et al., 2013). Sie bevorzugen Männern, die reif, dominant, kühn und wohlhabend aussehen (Conroy-Beam et al., 2015; Fales et al., 2016; Lukaszewski et al., 2016). In einer Studie mit hunderten von walisischen Fußgänger:innen bewerteten Männer eine Frau als gleich attraktiv, unabhängig davon, ob sie auf dem Bild am Steuer eines bescheidenen Ford Fiesta oder eines eleganten Bentley saß. Im Gegensatz dazu fanden Frauen einen Mann attraktiver, wenn er im Luxusauto saß (Dunn & Searle, 2010; . Abb. 5.14). Die Daten belegen es, sagen Evolutionsforscher:innen: Frauen zeichnen sich durch eine kluge Partnerwahl aus. Männer dagegen suchen sich viele Partnerinnen. Und welche Aspekte der Attraktivität erachten heterosexuelle Männer denn nun als wünschenswert? Einige, wie eine weiche Haut und eine jugendliche Figur bei Frauen, scheinen unabhängig von Zeit und Ort zu sein und sie vermitteln Gesundheit und Fruchtbarkeit (Buss, 1994). Die Paarung mit solchen Frauen könnte bei einem Mann die Wahrscheinlichkeit erhöhen, seine Gene an zukünftige Generationen weiterzugeben. Tatsächlich fühlen sich Männer überall auf der Welt am meisten von Frauen angezogen, deren Taille gut ein Drittel schmaler ist als ihre Hüften; denn dies wird als Zeichen künftiger Fruchtbarkeit interpretiert (Lewis et al., 2015; Perilloux et al., 2010). Selbst Männer ohne Sehvermögen zeigen diese Präferenz für Frauen mit einem geringen TaillenHüft-Verhältnis (Karremans et al., 2010). Männer fühlen sich am stärksten von Frauen angezogen, deren Alter in der Vergangenheit unserer Vorfahr:innen (als der Eisprung später einsetzte als heute) mit dem Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeit assoziiert wurde (Kendrick et al., 2009). Folglich fühlen sich Jungen im Teenageralter am
5
164
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
5
..Abb. 5.14 (© Claudia Styrsky)
stärksten von Frauen, die einige Jahre älter sind als sie selber, angezogen, während Mittzwanziger Frauen ihres Alters bevorzugen und ältere Männer am liebsten junge Frauen haben. Dieses Muster zeigt sich konsistent und quer durch europäische Zeitungsannoncen, indische Heiratsanzeigen und Heiratsakten aus Nord- und Südamerika, Afrika und von den Philippinen (Singh, 1993; Singh & Randall, 2007). Nach Meinung der Evolutionspsycholog:innen gilt folgendes Prinzip: Die Natur wählt Verhaltensweisen aus, die genetischen Erfolg wahrscheinlicher werden lassen. Als mobile Gentransportmaschinen sind wir dafür ausgestattet, solchen Verhaltensweisen den Vorzug zu geben, die auch für unsere Ahnen innerhalb ihrer Umwelt nützlich waren. Sie waren genetisch dazu prädisponiert, so zu handeln, dass sie Kinder, Enkel und mehr bekommen. Wären sie es nicht gewesen, dann gäbe es uns gar nicht. Und als Träger:innen ihres genetischen Erbes haben wir ähnliche Prädispositionen.
Kritik an der evolutionstheoretischen Perspektive ?? 5.8 Welches sind die Hauptkritikpunkte an evolutions-
theoretischen Erklärungen menschlicher Sexualität und wie antworten Evolutionspsycholog:innen darauf ?
Die meisten Psycholog:innen sind sich darin einig, dass die natürliche Selektion uns auf das Überleben und die Fortpflanzung vorbereitet. Kritische Stimmen weisen jedoch darauf hin, dass es eine Schwäche in der evolutionspsychologischen Erklärung unserer Vorlieben bei der Partner:innenwahl gibt. Lassen Sie uns überlegen, wie eine Evolutionspsychologin die Ergebnisse einer verblüffenden Studie (Clark & Hatfield, 1989) erklären könnte und wie ein Kritiker Einwände erheben könnte. Bei diesem Experiment näherte sich eine ihnen unbekannte Person Menschen des anderen Geschlechts und sagte: „Ich habe Sie auf dem Campus bemerkt. Ich finde Sie sehr attraktiv“. Die fremde Person stellte dann eine Frage, die manchmal „Würden Sie heute Abend mit mir ins Bett gehen?“ lautete. Wie viel Prozent der Männer und Frauen waren Ihrer Meinung nach einverstanden? Eine evolutionäre Erklärung der Sexualität würde voraussagen, dass Frauen bei der Auswahl ihrer Sexualpartner wählerischer sind als Männer. Tatsächlich stimmte keine einzige Frau zu – 70 % der Männer jedoch schon. Eine Wiederholung dieser Studie in Frankreich führte zu einem ähnlichen Ergebnis (Guéguen, 2011). Die Untersuchung schien eine evolutionäre Erklärung zu bestätigen. Aber ist dem auch so? Es wird kritisiert, dass in der Evolutionspsychologie von einem bestimmten Effekt – in diesem Fall dem Ergebnis der Umfrage, wonach Männer eher Gelegenheitssexangebote annehmen – im Nachhinein auf eine Erklärung geschlossen wird. Stellen Sie sich vor, wir machen eine ganz andere Beobachtung und schließen zurück. Was wäre aber, wenn die Forschung den umgekehrten Effekt feststellen würde? Wenn Männer Gelegenheitssex ablehnen würden, könnten wir dann nicht argumentieren, dass Männer, die ihr Leben lang mit einer Frau zusammen sind, bessere Väter abgeben, deren Kinder öfter überleben? Andere stellen die Frage, warum unser heutiges Verhalten auf der Grundlage von Entscheidungen, die unsere entfernten Vorfahr:innen vor Tausenden von Jahren getroffen haben, erklärt werden sollte. Alice Eagly und Wendy Wood (1999; Eagly, 2009) weisen auf die geringeren Verhaltensunterschiede zwischen Männern und Frauen in Kulturen mit größerer Geschlechtergleichheit hin. Solche Kritiker:innen glauben, dass die Theorie des sozialen Lernens eine bessere, direktere Erklärung für diese Ergebnisse bietet. Wir alle lernen soziale Skripte – den Leitfaden unserer Kultur, wie sich Menschen in bestimmten Situationen verhalten sollten. Indem sie andere in ihrer Kultur beobachten und imitieren, können Frauen lernen, dass sexuelle Begegnungen mit Fremden gefährlich sein können und dass Gelegenheitssex möglicherweise nicht viel sexuelles Vergnügen bietet (Conley, 2011). Diese alternative Erklärung der Studieneffekte legt nahe, dass Frauen auf sexuelle Begegnungen so reagieren, wie es ihnen ihre moderne Kultur lehrt. Und die Reaktionen der Männer spiegeln möglicherweise ihre
165
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Prüfen Sie Ihr Wissen
erlernten sozialen Skripte wider: „Echte Männer“ nutzen jede Gelegenheit, Sex zu haben.
– Wie erklären Evolutionspsycholog:innen sozial beeinflusste Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Personen in Bezug auf die Sexualität? – Welches sind die drei Hauptkritikpunkte an der evolutionstheoretischen Erklärung der menschlichen Sexualität?
Soziales Skript („social script“) – kulturell geformter
Leitfaden, der bestimmt, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll. Ein dritter Kritikpunkt betrifft die sozialen Folgen der Akzeptanz einer evolutionären Erklärung. Sind heterosexuelle Männer wirklich so veranlagt, dass sie mit jeder Frau, die sich ihnen annähert, Sex haben? Wenn ja, bedeutet das, dass Männer keine moralische Verantwortung haben, ihren Partner:innen treu zu bleiben? Entschuldigt diese Erklärung die sexuelle Aggression der Männer – „Jungs sind nun einmal Jungs“ – aufgrund unserer Evolutionsgeschichte? Evolutionspsycholog:innen sind sich einig, dass ein Großteil dessen, was wir sind, nicht in uns angelegt ist. „Die Evolution weist einen genetischen Determinismus mit Nachdruck zurück“, insistierte ein Forschungsteam (Confer et al., 2010). Gene sind keine Bestimmung. Und Evolutionspsycholog:innen erinnern uns daran, dass die Geschlechter weitaus ähnlicher sind als unterschiedlich. Durch die natürliche Selektion sind wir so ausgestattet, dass wir flexibel sein können. Wir Menschen verfügen über eine ausgeprägte Fähigkeit zum Lernen und sorgen damit für sozialen Fortschritt. Wir stellen uns auf unterschiedlichste Umgebungen ein. Wir passen uns an und überleben, egal ob wir in der Arktis oder in der Wüste leben. Evolutionspsycholog:innen stimmen mit ihren Kritiker:innen auch darin überein, dass einige Eigenschaften und Verhaltensweisen, wie beispielsweise Suizid, im Hinblick auf natürliche Selektion schwer zu erklären sind (Barash, 2012; Confer et al., 2010). Aber sie erinnern uns an das wissenschaftliche Ziel der Evolutionspsychologie: die Erklärung von Verhaltensweisen und mentalen Eigenschaften durch die Bereitstellung überprüfbarer Vorhersagen auf der Grundlage von Prinzipien natürlicher Selektion. Wir können beispielsweise vorhersagen, dass Menschen andere in dem Maße bevorzugen, in dem sie uns genetisch ähneln oder sich für einen Gefallen später revanchieren können. Stimmt das? (Die Antwort lautet Ja). Und sie erinnern uns daran, dass die Suche danach, wie wir so geworden sind, wie wir es jetzt sind, nicht notwendigerweise eine Anweisung dafür ist, wie wir handeln sollen. Manchmal trägt es, wenn wir unsere Neigungen verstehen, schon dazu bei, sie zu überwinden.
» „Es ist gefährlich, einem Mann zu genau zu zeigen, wie
ähnlich er dem Tier ist, ohne ihm gleichzeitig seine Größe zu zeigen. Es ist ebenfalls gefährlich, ihm eine zu klare Vorstellung seiner Größe zu erlauben, ohne eine Vorstellung seiner Niedrigkeit. Am gefährlichsten ist es, ihn über beides in Unwissenheit zu lassen.“ Blaise Pascal, Gedanken (1659)
5.2.4
Rückblick: Evolutionspsychologie
Verständnisfragen
5.6 – Wie erklären Evolutionspsycholog:innen mithilfe
der Prinzipien der natürlichen Selektion Verhaltenstendenzen? 5.7 – Wie könnte ein Evolutionspsychologe Unterschiede zwischen Männern und Frauen in der Sexualität und in den Vorlieben bei der Partnerwahl erklären? 5.8 – Welches sind die Hauptkritikpunkte an evolutionstheoretischen Erklärungen menschlicher Sexualität und wie antworten Evolutionspsycholog:innen darauf ?
---
Schlüsselbegriffe Evolutionspsychologie Mutation Natürliche Selektion Soziales Skript
Master the Material 1. Verhaltensgenetiker:innen sind vor allem daran interessiert, ___ (Gemeinsamkeiten/Unterschiede) in unseren Verhaltensweisen zu erforschen. Evolutionspsycholog:innen sind vor allem daran interessiert, ___ (Gemeinsamkeiten/Unterschiede) zu erforschen. 2. Evolutionspsycholog:innen befassen sich am ehesten mit … a. … der Frage, wie sich Individuen voneinander unterscheiden. b. … den sozialen Folgen erlernter Verhaltensweisen. c. … der natürlichen Selektion von Eigenschaften, die unseren Ahnen beim Überleben und bei der Fortpflanzung geholfen haben. d. … sozialen Skripten. 5.3
Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Ab dem Zeitpunkt der Empfängnis sind wir das Produkt einer Abfolge von Interaktionen zwischen unseren genetischen Anlagen und der uns umgebenden Umwelt (McGue, 2010). Unsere Gene beeinflussen, wie andere Menschen auf uns reagieren und wirken. Vergessen Sie
5
166
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
Anlage gegen Umwelt, denken Sie stattdessen Anlage via Umwelt. Stellen Sie sich zwei Babys vor, von denen das eine genetisch prädisponiert ist, attraktiv, kontaktfreudig und unbeschwert zu sein, während das andere nur eine geringe Prädisposition für diese Eigenschaften mitbringt. Nehmen Sie weiter an, dass das erste Baby mehr liebevolle und anregende Fürsorge erhält als das zweite und sich insofern zu einer warmherzigeren und offeneren Person entwickelt. Wenn es älter wird, sucht sich das von Natur aus offenere Kind möglicherweise häufiger Aktivitäten und Freund:innen, die zum Aufbau weiteren sozialen Zutrauens ermutigen. Was führte nun am Ende zu den Persönlichkeitsunterschieden? Weder die Vererbung noch die Erfahrung haben für sich genommen einen Einfluss. Umwelten lösen eine Genaktivität aus. Und unsere genetisch beeinflussten Persönlichkeitsmerkmale rufen bedeutsame Reaktionen bei anderen hervor. Bei einem Elternteil oder einer Lehrkraft lösen z. B. die Impulsivität und Aggressivität eines Kindes möglicherweise Ärger aus – während sie auf wohlerzogene Kinder in der Familie oder im Klassenzimmer freundlich reagieren. In diesen Fällen interagieren die Anlage des Kindes und die Erziehung durch die Eltern. Anlage und Umwelt agieren gemeinsam. Eineiige Zwillinge haben nicht nur die gleichen genetischen Veranlagungen, sie suchen und machen auch ähnliche Erfahrungen, die ihre gemeinsamen Gene zum Ausdruck bringen (Kandler et al., 2012). Dies hilft uns dabei, zu verstehen, warum sich in unterschiedlichen Familien aufgewachsene, eineiige Zwillinge an die Herzlichkeit ihrer Eltern in bemerkenswert ähnlicher Weise erinnern – fast so ähnlich, als hätten sie dieselben Eltern gehabt (Plomin et al., 1988, 1991, 1994). Zweieiige Zwillinge haben stärker variierende Erinnerungen an ihr frühes Familienleben – sogar dann, wenn sie in der gleichen Familie aufgezogen wurden! „Je nachdem, welche Eigenschaften Kinder selbst haben, erleben sie uns als andere Eltern“, merkt Sandra Scarr (1990) an. 5.3.1
Wie beeinflussen Erfahrungen die Entwicklung?
Unsere Gene, die in bestimmten Umwelten zum Ausdruck kommen, haben einen Einfluss auf Entwicklungsunterschiede. Wir sind wie Malbücher mit bestimmten Linien, die festgelegt sind und die durch Erfahrungen zu einem vollständigen Bild ausgefüllt werden. Wir werden geformt durch Anlage und Umwelt, aber was sind die wirkungsvollsten Elemente dieser äußeren Einflüsse? Wie wird unsere Entwicklung durch die frühen Erfahrungen, die Familie und die Bezugspersonen geleitet, und wie trägt all dies zu unserer Vielfalt bei? Die formende Umwelt, die mit den Anlagen zusammenwirkt, fängt bei der Empfängnis mit der pränatalen
Entwicklung an. Umweltunterschiede gibt es bereits im Mutterleib, wenn Embryos – entsprechend den Ernährungsgewohnheiten der Mütter – verschiedene Arten von Nahrung bekommen und in unterschiedlichem Maße toxischen Substanzen ausgesetzt sind. Die Unterschiede in der Umwelt setzen sich außerhalb des Mutterleibs fort, wenn unsere frühen Erfahrungen die Entwicklung des Gehirns fördern.
Frühe Erfahrungen und Gehirnentwicklung ?? 5.9 Wie können frühe Erfahrungen das Gehirn ver-
ändern?
Die Ausbildung von Nervenverbindungen bereitet unser Gehirn auf das Denken, den Spracherwerb und auch auf spätere Erfahrungen vor. Doch wie hinterlassen diese frühen Erfahrungen ihre Spuren im Gehirn? Mark Rosenzweig, David Krech und ihre Kolleg:innen (1962) erlaubten Einblicke in diesen Prozess, als sie einige junge Ratten jeweils getrennt in einem Einzelkäfig aufzogen und andere auf einem allen zugänglichen „Rattenspielplatz“. Als im Anschluss daran ihre Gehirne untersucht wurden, hatten die Ratten mit dem meisten Spielzeug einen Vorteil. Diejenigen, die in einer gut ausgestatteten Umwelt lebten, die eine natürliche Umgebung simulierte, entwickelten für gewöhnlich einen stärkeren und dickeren Kortex (Großhirnrinde) (. Abb. 5.15). Rosenzweig war so überrascht, dass er vor der Veröffentlichung seiner Ergebnisse das Experiment einige Male wiederholte (Renner & Rosenzweig, 1987; Rosenzweig, 1984). Die Effekte waren so deutlich, dass man beim Ansehen eines kurzen Videoclips allein aufgrund der Aktivität und Neugier der Ratten sagen konnte, ob sie in einer reizarmen oder gut ausgestatteten Umwelt aufgezogen worden waren (Renner & Renner, 1993). Nach 60 Tagen der Aufzucht in einer gut ausgestatteten Umwelt, so berichten Kolb und Whishaw (1998), nimmt das Gewicht des Gehirns um 7–10 % zu, und die Anzahl der Synapsen vermehrt sich um ungefähr 20 %. Die gut ausgestattete Umwelt erhöht in der Tat die Hirnleistung. Derartige Ergebnisse waren Anlass dafür, dass die Lebensbedingungen für Tiere in Labors, auf Bauernhöfen und auch im Zoo verbessert wurden – aber auch für Heimkinder. Stimulation durch Berührung oder Massage wirkt sich sowohl auf junge Ratten als auch auf frühgeborene Babys positiv aus (Field et al., 2007; Sarro et al., 2014). Beide, Ratten und Kinder, die häufig berührt werden, nehmen rascher an Gewicht zu und weisen eine schnellere neurologische Entwicklung auf. Frühgeborene, die häufig von ihren Müttern berührt werden, schlafen besser, empfinden weniger Stress und zeigen zehn Jahre später eine bessere kognitive Entwicklung auf (Feldman et al., 2014). Die Interaktion zwischen Anlage und Umwelt formt unsere Synapsen. Das reifende Gehirn stattet uns mit
167
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Reizarme Umgebung
Gehirnzelle einer Ratte aus reizarmer Umgebung
Gut ausgestattete Umgebung
Gehirnzelle einer Ratte aus gutausgestatteter Umgebung
..Abb. 5.15 Erfahrung wirkt sich auf die Gehirnentwicklung aus. Rosenzweig, Krech und ihre Kolleg:innen (1962) zogen Ratten entweder in einer Umwelt ohne Spielzeug allein auf oder zusammen mit anderen in einer Umwelt, die mit täglich wechselndem Spielzeug ausgestattet
war. In 14 von 16 Wiederholungen dieses grundlegenden Experiments entwickelten die Ratten in der gut ausgestatteten Umwelt signifikant mehr Gewebe in der Großhirnrinde (im Vergleich zum restlichen Hirngewebe) als jene, die der reizarmen Umwelt ausgesetzt waren
einer Fülle von Nervenbahnen aus. Erfahrung – Bilder und Gerüche, Berührungen und Geschmäcker, Musik und Bewegung – aktiviert und stärkt unsere aktivierten Nervenverbindungen, während unsere nicht genutzten Nervenverbindungen degenerieren. Ähnlich wie bei Waldwegen verschwinden weniger benutzte Verbindungen langsam, während häufig genutzte verbreitert werden (Gopnik et al., 2015). Bis zur Pubertät resultiert dieser Selektionsprozess („pruning process“) in einem massiven Verlust an nicht genutzten Verbindungen. Hier an der Schnittstelle von Umwelt und Anlage aktiviert und bewahrt die gut ausgestattete Umwelt eines Kindes jene Nervenbahnen, die im Falle spärlicher Erfahrungen aufgrund von mangelndem Gebrauch abgestorben wären. Es gibt also eine biologische Realität der Früherziehung. Während der frühen Kindheit können die Kleinen am leichtesten die Grammatik und den Akzent einer Fremdsprache meistern, solange nämlich noch das Übermaß an Verbindungen abrufbereit ist. Kommt es jedoch vor der Adoleszenz nicht zu irgendeiner Auseinandersetzung mit einer geschriebenen Sprache oder Zeichensprache, so wird dieser Mensch nie irgendeine Sprache beherrschen (. Abb. 5.16). Entsprechend entwickeln Menschen, die wegen eines grauen Stars während der Kindheit mit unzureichenden visuellen Erfahrungen aufwuchsen, keine normale Wahrnehmung, selbst wenn ihr Sehvermögen durch die Entfernung des grauen Stars wiederhergestellt wird (Gregory, 1978; Wiesel, 1982). Ohne diese frühe visuelle Stimulation sterben die Hirnzellen, die normalerweise für das Sehen zuständig sind, ab oder werden für andere Zwecke umfunktioniert. Beim reifenden Gehirn scheint eine Regel besonders wichtig zu sein: Nutze es, sonst geht es verloren.
..Abb. 5.16 Die Schaltkreise früh besaiten. Spieler von Streichinstrumenten, die vor dem Alter von 12 Jahren mit dem Spielen beginnen, weisen größere und komplexere Nervenschaltkreise auf, die die Finger der linken Hand kontrollieren, mit denen die Tonhöhe kontrolliert wird, als Streicher, die später mit dem Unterricht angefangen haben (Elbert et al., 1995). (© chomplearn_2001/Stock.adobe.com)
» „Gene und Erfahrungen sind nur zwei Arten dasselbe zu
machen – Synapsen miteinander zu verbinden.“ Joseph LeDoux, The Synaptic Self (2002)
Obwohl normale Stimulation in den ersten Lebensjahren entscheidend ist, endet die Hirnentwicklung allerdings nicht mit der Kindheit. Dank der beeindruckenden Plastizität des Gehirns verändert und reorganisiert sich unser Nervengewebe das ganze Leben hindurch als Reaktion auf neue Erfahrungen. Neue Neuronen werden ebenso gebildet. Wenn ein Affe mehrmals am Tag übt, mit einem Finger einen Hebel zu drücken, verändert sich das Hirnareal, das den Finger steuert, und es bildet auf diese Weise die Erfahrung ab (. Abb. 5.17). Menschliche Gehirne funktionieren ähnlich. Ob wir nun lernen, auf einem Keyboard zu spielen, Skateboard zu fahren oder uns in Berlin zurechtzufinden, wir verbessern in dem Maße unsere Fähigkeiten, in dem unser Gehirn den Lernprozess verinnerlicht (Ambrose, 2010; Maguire et al., 2000).
5
168
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
..Abb. 5.17 a,b Ein trainiertes Gehirn. Eine gut gelernte Fingerklopfaufgabe aktiviert mehr Nervenzellen im motorischen Kortex (b, orangefarbene Fläche), als vor dem Training im Gehirn dieses Affen aktiv waren (a). (Aus Karni et al., 1998, both photos courtesy of Avi Karni and Leslie Ungerleider, National Institute of Mental Health)
5 a
Wie viel Lob (oder Tadel) haben die Eltern verdient? ?? 5.10 Inwiefern formen Eltern und Gleichaltrige die
Entwicklung eines Kinds?
Wie beim Kartenspiel mischen Frau und Mann bei der Fortpflanzung ihre Genkarten. Sie geben ein lebensentscheidendes Blatt an ihr künftiges Kind aus, das dann zahllosen Einflüssen ausgesetzt sein wird, die ihrer Kontrolle entzogen sind. Trotzdem sind Eltern im Allgemeinen sehr zufrieden mit den Erfolgen ihrer Kinder, entwickeln aber auch Schuld- und Schamgefühle, wenn diese versagen. Angesichts eines Kindes, das gerade eine Auszeichnung erhalten hat, strahlen sie vor Freude. Andererseits fragen sie sich, was sie mit ihrem Kind falsch gemacht haben, wenn es immer wieder in Schwierigkeiten gerät. Psychoanalytische Ansätze in der Psychiatrie und Psychologie förderten die Vorstellung, „unzureichende mütterliche Fürsorge“ sei die Ursache für Probleme von Asthma bis Schizophrenie. Wer glaubt, dass Eltern ihre Nachkommen formen wie ein Töpfer den Ton, ist schnell dabei, Eltern für die Tugenden ihrer Kinder zu rühmen und sie für ihre schlechten Angewohnheiten und den psychischen Schaden, den „Rabeneltern“ ihren zarten, schwachen Kindern zufügen, zu tadeln. Da ist es wenig verwunderlich, dass es als riskant erscheinen kann, Kinder zu haben und sie großzuziehen (. Abb. 5.18). Ist es denn wirklich so, dass zu gutmütige – oder unbeteiligte – Eltern „verwundete“ zukünftige Erwachsene produzieren? Oder sind es die Eltern, die ihre Kinder zu sehr antreiben, oder die, die sich nicht durchsetzen können? Liegt das Problem vielleicht bei den überbehütenden oder etwa bei den zu distanzierten Eltern? Ist es dann richtig, unsere Eltern für unsere Fehler und uns selbst für das Versagen unserer Kinder verantwortlich zu machen (. Abb. 5.19)? Oder ist es denkbar, dass durch das ganze Gerede über verletzte, schwache Kinder normaler Eltern die Brutalität einer wirklichen Misshandlung trivialisiert wird?
b
Eltern sind wirklich wichtig. In Extremsituationen wird der elterliche Einfluss am deutlichsten: Missbrauchte Menschen, die selbst missbrauchen, vernachlässigte Menschen, die ihre Kinder vernachlässigen, die geliebten, aber streng erzogenen Kinder, die selbstbewusst und sozial kompetent werden. Welch starke Wirkung die Familie hat, kommt zum Vorschein in den bemerkenswerten schulischen und beruflichen Erfolgen der Kinder von Flüchtlingen, die aus Vietnam und Kambodscha geflohen waren – Erfolge, die man auf die eng miteinander verbundenen, unterstützenden, ja sogar fordernden Familien zurückführt (Caplan et al., 1992). Asiatische und europäische Amerikaner:innen unterscheiden sich oftmals in ihren elterlichen Erwartungen. Eine asiatischamerikanische Mutter treibt ihre Kinder vielleicht eher zu guten Leistungen an, aber in der Regel nicht in einer Weise, die ihre Beziehung belastet (Fu & Markus, 2014). Eine unterstützende „Tigermutter“ – eine, die ihre Kinder antreibt und an ihrer Seite arbeitet – motiviert die Kinder dazu, härter zu arbeiten. Europäische Amerikaner:innen könnten dies jedoch als aufdringliche Erziehung, welche die Motivation der Kinder untergräbt, auffassen (Deal, 2011; . Abb. 5.20).
..Abb. 5.18 (Julia Suits/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
169
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
..Abb. 5.19 (Barbara Smaller/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Doch in Bezug auf Persönlichkeitsmerkmale können die gemeinsamen Umwelteinflüsse von der Zeit im Mutterleib an generell nur weniger als 10 % der Unterschiede zwischen den Kindern erklären. In den Worten der Verhaltensgenetiker:innen Robert Plomin und Denise Daniels (1987; Plomin, 2011) heißt das: „Zwei Kinder aus derselben Familie sind im Durchschnitt (abgesehen von ihren gemeinsamen Genen) so unterschiedlich wie zwei Kinder, die zufällig aus einer Population ausgewählt werden.“ Die Entwicklungspsychologin Sandra Scarr (1993) zieht daraus die Schlussfolgerung, dass „Eltern für Kinder, die sich großartig entwickeln, weniger gelobt, und für Kinder, bei denen das nicht der Fall ist, weniger gescholten werden sollten“. Wenn Eltern wissen, dass Kinder nicht so einfach durch Erziehung geformt werden können, können sie sich möglicherweise entspannen und ihre Kinder für das lieben, was sie sind.
Einfluss der Gleichaltrigen
» „Mehr als ihren Vätern gleichen die Menschen ihrer Zeit.“ Altes arabisches Sprichwort
Welche Rolle spielen äußere Einflüsse, wenn die Kinder heranwachsen? In jedem Alter, aber insbesondere in der Kindheit und Jugend, sind wir bestrebt, uns in verschiedene Gruppen einzupassen (Harris 1998, 2000; . Abb. 5.21): Kleinkinder, die trotz elterlichen Drängens eine bestimmte Mahlzeit verschmähen, essen sie, wenn andere Kinder dabei sind, die dieses Essen mögen. Ein Kind, das zu Hause seine Muttersprache mit einem bestimmten Akzent hört und gleichzeitig einen
-
..Abb. 5.20 Eine kontrollierende Mutter. Amy Chua, Juraprofessorin und Autorin von Battle Hymn of the Tiger Mother (2011), löste eine Kontroverse aus, indem sie strenge „chinesische“ und liberalere „westliche“ Erziehungsstile verglich. Bei der Erziehung ihrer beiden Töchter lernte Chua die Vorteile und den Preis, welche die stärker von außen kontrollierte traditionelle chinesische Elternschaft mit sich bringt, zu schätzen. (© Peter S. Mahakian/dpa/picture alliance)
anderen Akzent in seiner Nachbarschaft und Schule, nimmt unweigerlich den Akzent der Altersgenossen an und nicht den der Eltern. Akzent (und Slang) reflektieren die Kultur, „und Kinder erhalten ihre Kultur durch Gleichaltrige“, bemerkt Judith Rich Harris (2007). Jugendliche, die anfangen zu rauchen, haben üblicherweise Freund:innen, die ihnen das Rauchen vormachen, ihnen seine Vorzüge vorgaukeln und ihnen Zigaretten anbieten (Rose, J. S. et al., 1999; Rose, R. J. et al., 2003). Zum Teil mag die Ähnlichkeit unter Gleichaltrigen auch auf einen Selektionseffekt zurückzuführen sein. Denn Kinder suchen sich Gleichaltrige aus, die ähnliche Einstellungen und Interessen haben wie sie selbst. Die Rauchenden (oder Nichtrauchenden) suchen sich Bekannte, die ebenfalls rauchen (oder eben nicht).
-
Die Macht einiger Eltern, die Wohngegend und Schulen ihrer Kinder auszuwählen, ermöglicht ihnen, auf das soziale Umfeld einzuwirken, und so Einfluss auf die Gruppe der Gleichaltrigen, die Peergroup, zu nehmen. Und da der Einfluss der Wohngegend wichtig ist, möchten Eltern an Interventionsprogrammen, die auf die ganze Schule und das gesamte Wohnviertel abzielen, beteiligt sein. Wenn ein schlechtes allgemeines Klima
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
170
..Abb. 5.21 Die Macht der Gleichaltrigen. Während wir uns entwickeln, spielen wir mit Gleichaltrigen, wir arbeiten und gehen freundschaftliche Beziehungen mit ihnen ein. Es ist deshalb kein Wunder, dass Kinder und Jugendliche so sensibel auf die Einflüsse der Gleichaltrigengruppe reagieren. (© William Perugini/Westend61/ picture alliance)
5
kennzeichnend für die Umgebung eines Kindes ist, muss dieses Klima – und nicht das Kind alleine – geändert werden. Gleichaltrige sind nur eine von vielen Quellen kulturellen Einflusses. Ein afrikanisches Sprichwort besagt denn auch: „Man braucht ein Dorf, um ein Kind großzuziehen.“ Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist der Selektionseffekt und wie kann er die Entscheidung eines Teenagers, bestimmten Sportgruppen an der Schule beizutreten, beeinflussen?
5.3.2
Kulturelle Einflüsse
?? 5.11 Wie beeinflusst Kultur unser Verhalten?
Im Vergleich zu dem schmalen Grat, auf dem sich Fliegen, Fische und Füchse bewegen, hat die Natur für uns eine längere und breitere Straße gebaut, auf der uns die Umwelt vorantreibt. Die Fähigkeit, zu lernen und uns anzupassen, ist das Kennzeichen unserer Spezies und damit das größte Geschenk der Natur an uns. Wir kommen zur Welt, ausgestattet mit einer riesigen zerebralen Festplatte, und sind bereit, kulturelle Software aufzunehmen. Kultur umfasst die Verhaltensweisen, Vorstellungen, Einstellungen, Werte und Traditionen, die von einer Gruppe von Menschen geteilt und von einer Generation an die nächste weitergegeben werden (Brislin, 1988; Cohen, 2009). Roy Baumeister (2005) merkt an, dass die Eigenart des Menschen für die Kultur gemacht zu
sein scheint. Wir sind soziale Lebewesen, aber noch mehr. Wölfe sind soziale Lebewesen; sie leben und jagen in Rudeln. Ameisen sind unaufhörlich sozial und nie allein. Doch Baumeister schreibt: „Kultur ist eine bessere Methode, sozial zu sein.“ Wölfe leben noch ungefähr genauso, wie sie es vor 10.000 Jahren taten. Wir kommen in den Genuss unzähliger Dinge, die den meisten unserer Ahnen vor 100 Jahren unbekannt waren. Die Kultur funktioniert. Kultur („culture“) – überdauernde Verhaltensweisen, Vor-
stellungen, Einstellungen, Werte und Traditionen, die von einer großen Gruppe von Menschen geteilt und von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. Andere Tiere weisen kleinere Ansätze von Kultur auf. Schimpansen entwickeln manchmal Gewohnheiten – sie benutzen Blätter, um ihren Körper zu reinigen, schlagen auf Äste, um Aufmerksamkeit zu erregen und führen einen „Regentanz“ auf, indem sie sich bei Regenbeginn langsam zur Schau stellen – und geben sie an Gleichaltrige und an Nachkommen weiter (Whiten et al., 1999). Kultur trägt viel zum Überleben und zur Fortpflanzung bei, indem sie erlernte Verhaltensweisen weitergibt, die einer Gruppe einen Vorteil verschafft. Aber bei der Kultur des Menschen geschieht mehr. Dank der Tatsache, dass wir in unserer Kultur die Sprache beherrschen, genießen wir Menschen die dauerhafte Bewahrung der Innovation. Im Verlauf des heutigen Tags haben wir Google, Smartphones, digitale Hörtechnologien [DM] und eine GPS-Laufuhr [ND] benutzt. Wir haben es auch dem gesammelten Wissen der Kultur zu verdanken, dass sich im letzten Jahrhundert die durchschnittliche Lebenserwartung der Menschen (in den
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
171
meisten Ländern, in denen dieses Buch gelesen wird) um 30 Jahre erhöhte. Außerdem ermöglichte die Kultur eine kosteneffiziente Arbeitsteilung. Obwohl zwei Personen das Glück haben, dass ihr Name auf dem Umschlag dieses Buchs (welches angehäuftes kulturelles Wissen vermittelt) steht, ist das Produkt eigentlich das Ergebnis der Koordinierung und des Engagements eines begabten Teams von Frauen und Männern, von denen keiner allein in der Lage ist, es hervorzubringen. Über die Kulturen hinweg unterscheiden wir uns. Doch hinter den Unterschieden steckt eine ganz große Ähnlichkeit – unsere Fähigkeit zur Kultur, zu gemeinsamen und überlieferten Sitten und Gebräuchen sowie zu Überzeugungen, die uns in die Lage versetzen zu kommunizieren, Geld gegen Dinge einzutauschen, zu spielen, zu essen und Auto nach Regeln zu fahren, auf die wir uns geeinigt haben, und dabei nicht miteinander zu kollidieren.
Unterschiede zwischen Kulturen Den Grad unserer Anpassungsfähigkeit erkennt man an kulturellen Unterschieden in unseren Überzeugungen und Wertvorstellungen, daran, wie wir unsere Kinder erziehen und unsere Toten begraben, sowie daran, welche Kleidung wir tragen (sofern wir überhaupt bekleidet sind). Wir sind uns bewusst, dass die weltweiten Leser:innen dieses Buches sich kulturell unterscheiden. Sie und Ihre Vorfahren erstrecken sich von Australien nach Afrika und von Singapur nach Schweden. Das Mitschwimmen in einer vereinheitlichten Kultur ist vergleichbar mit dem Radfahren in Windrichtung: Während wir fortgetragen werden, spüren wir kaum einen Widerstand. Wenn wir allerdings versuchen, gegen den Wind zu radeln, bemerken wir, wie stark er ist. Erst im Augenblick der Konfrontation mit einer bestimmten Kultur werden uns die kulturellen „Strömungen“ bewusst. So fallen den meisten Amerikaner:innen bei einem Besuch in Europa z. B. die kleineren Autos, der linkshändige Gebrauch der Gabel und das ungehemmte Aus- und Anziehen an den Stränden auf. Europäische und amerikanische Soldat:innen merkten erst, als sie in Irak, Afghanistan und Kuwait stationiert waren, wie liberal ihre heimatlichen Kulturen waren. Für die in Nordamerika ankommenden Besucher:innen aus Japan und Indien ist es schwer zu verstehen, warum Menschen im Haus schmutzige Straßenschuhe tragen. Dennoch teilen Menschen aus verschiedensten Kulturen gewisse moralische Grundsätze. Schon bevor Babys überhaupt gehen können, bevorzugen sie hilfsbereite gegenüber ungezogenen Menschen (Hamlin et al., 2011). Auf der ganzen Welt schätzen die Menschen Ehrlichkeit, Fairness und Freundlichkeit (McGrath, 2015). Doch jede kulturelle Gruppe entwickelt auch eigene Normen – Regeln für akzeptiertes und erwartetes Verhalten. So benutzen viele Menschen aus Südasien zum Essen nur ihre rechte Hand. Die Briten haben die Norm, sich ordentlich
..Abb. 5.22 (Harry Bliss/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
in einer Reihe anzustellen. Manchmal wirken soziale Normen einengend: „Warum sollte es von Bedeutung sein, wie ich mich anziehe?“ Andererseits ölen Normen – wie man grüßt, wie man isst – die soziale Maschinerie. Norm („norm“) – allgemein verstandene Regel für akzep-
tiertes und erwartetes Verhalten. Normen schreiben ein „angemessenes“ Verhalten vor. Wenn Kulturen aufeinandertreffen, sorgen die verschiedenen Normen häufig für Verwirrung. Soll man jemanden mit der Hand, einer Verbeugung oder mit einem Wangenkuss begrüßen? Wenn wir wissen, welche Komplimente und Gesten kulturell angemessen sind, können wir uns entspannen und die Gesellschaft anderer ohne Angst vor Verlegenheit oder Kränkungen genießen (. Abb. 5.22). Wenn wir nicht verstehen, welches Verhalten erwartet oder akzeptiert wird, können wir einen Kulturschock erleben. Menschen aus Mittelmeerregionen sehen Nordeuropäer:innen als effizient an, nehmen sie aber gleichzeitig auch als kalt und pünktlichkeitsbesessen wahr (Triandis, 1981). Dagegen bemerken Menschen aus dem zeitbewussten Japan – wo die Uhren der Banken immer die exakte Zeit anzeigen, die Fußgänger:innen flott gehen und Postangestellte Wünsche in Höchstgeschwindigkeit erfüllen – vielleicht, dass sie bei einem Besuch in Indonesien, wo das Tempo im Allgemeinen langsamer ist, zunehmend ungeduldiger werden (Levine & Norenzayan, 1999). Eine Person aus Europa, die an 20 bezahlte Urlaubstage pro Jahr gewohnt ist, kann auch einen Kulturschock erleben, wenn sie in den Vereinigten Staaten ar-
5
172
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
beitet, wo den Arbeitnehmenden kein bezahlter Urlaub garantiert wird (Ray et al., 2013).
Veränderungen im Laufe der Zeit
5
Wie biologische Lebewesen variieren Kulturen, kämpfen um Ressourcen und entwickeln sich so im Laufe der Zeit (Mesoudi, 2009). Denken Sie doch einmal daran, wie schnell sich Kulturen über die Zeit hinweg verändern können. Der englische Dichter Geoffrey Chaucer (1342–1400) ist von einem modernen Briten nur 25 Generationen entfernt, doch die beiden würden nur unter größten Schwierigkeiten miteinander kommunizieren können. Zu Beginn des letzten Jahrhunderts lebten Ihre Ahnen in einer Welt ohne Autos, Rundfunk oder flächendeckende Strom- und Lichtversorgung. In dem kürzeren Kapitel der Geschichte seit 1960 haben sich die meisten westlichen Kulturen mit erstaunlicher Geschwindigkeit verändert. Menschen aus der Mittelschicht genießen die Bequemlichkeit einer klimatisierten Wohnumgebung, des Online-Shoppings und der überall und jederzeit verfügbaren elektronischen Kommunikationsmittel. Sie essen – ermöglicht durch die Verdoppelung ihres Realeinkommens – mehr als zweimal so oft im Restaurant wie ihre Großeltern in den 60ern. Viele Menschen profitieren von einer zunehmenden Umsetzung der Menschenrechte. Und bedingt durch größere ökonomische Unabhängigkeit heiraten die Frauen von heute eher aus Liebe und müssen mit geringerer Wahrscheinlichkeit aus ökonomischer Notwendigkeit heraus Beziehungen ertragen, in denen sie misshandelt oder missbraucht werden. Doch manche Veränderungen waren durchaus nicht positiv. Wären Sie im Jahre 1960 in den USA eingeschlafen und heute aufgewacht, hätten Sie Ihre Augen in einer Kultur mit mehr Depression und größerer ökonomischer Ungleichheit geöffnet. Zudem verbringen die Amerikaner:innen – genau wie ihre Kolleg:innen in Großbritannien, Australien und Neuseeland – mehr Stunden bei der Arbeit, weniger Stunden mit Schlaf und weniger Stunden mit Freund:innen und der Familie (BLS, 2011; Putnam, 2000). Obwohl nach den Angaben des Statistischen Bundesamtes die Deutschen in Umfragen angeben, im Vergleich zu den 50er Jahren heute deutlich mehr Freizeit zu haben, zeigen sich auch negative Entwicklungen: Im Vergleich zu den 1970er Jahren hat sich laut Bundesministerium des Inneren die Anzahl der Raubüberfälle auf Straßen, Wegen und Plätzen mehr als verdoppelt und die Anzahl der Drogentoten stieg um das 15-fache. Die Arbeitslosigkeit, die 1960 zu Zeiten der Vollbeschäftigung überhaupt keine Rolle spielte, ist inzwischen zu einem der zentralen gesellschaftspolitischen Probleme geworden. Ganz gleich, ob uns diese Veränderungen gefallen oder nicht: Ihr atemberaubendes Tempo ist beeindruckend. Sie lassen sich nicht durch Veränderungen im menschlichen Genpool erklären, da sich dieser für solche
kulturellen Hochgeschwindigkeitstransformationen viel zu langsam entwickelt. Kulturen sind unterschiedlich, Kulturen verändern sich, und sie geben unserem Leben eine bestimmte Form.
Kultur und Selbst ?? 5.12 Wie unterscheiden sich individualistische und
kollektivistische Kulturen in ihren Werten und Zielen?
Stellen Sie sich einmal vor, Sie würden aus Ihren sozialen Bezügen herausgerissen und wären allein auf der Flucht in einem fremden Land: Wie viel von Ihrer Identität würde intakt bleiben? Wenn Sie ein Individualist sind, dann ein Großteil. Sie hätten ein unabhängiges Ich-Gefühl und ein Bewusstsein für Ihre einzigartigen persönlichen Überzeugungen und Wertvorstellungen. Individualist:innen räumen persönlichen Zielen eine relativ hohe Priorität ein. Ihre Identität definiert sich hauptsächlich über persönliche Eigenschaften. Sie streben nach persönlicher Kontrolle und individueller Leistung. Individualismus („individualism“) – Die Priorität für
die eigenen Ziele ist höher als die für Gruppenziele; die eigene Identität definiert sich eher über persönliche Eigenschaften als über Gruppenmerkmale. Individualisten teilen das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Sie treten Gruppen bei. Aber sie achten weniger stark auf die Harmonie innerhalb der Gruppe und ihre Pflichten für dieselbe (Brewer & Chen, 2007). Und da sie im Wesentlichen auf sich selbst bezogen sind, wechseln sie leichter ihre sozialen Gruppen. Sie empfinden es als ihre Entscheidung, eine Arbeitsstelle oder einen Andachtsort zu wechseln oder sogar die Großfamilie zu verlassen und sich an einem anderen Ort anzusiedeln. Eine Ehe hält häufig nur so lange, wie beide Partner:innen es wollen. Wenn man als Kollektivist in einem fremden Land hilflos ausgesetzt wird, würde man wahrscheinlich einen sehr viel schlimmeren Identitätsverlust erleben als ein Individualist. Abgeschnitten von der Familie, von Gruppen und loyalen Freund:innen, würde man die Verbindungen verlieren, die darüber bestimmten, wer man ist. Die Identifikation mit der Gruppe verschafft ein Zugehörigkeitsgefühl, sie bietet einen Satz von Wertvorstellungen und die Gewährleistung von Sicherheit. Kollektivist:innen haben eine tiefe Bindung an ihre Gruppe, die oft die Familie, der Clan oder die Firma ist. Ältere Menschen werden respektiert. Beispielsweise besagt das Gesetz der Volksrepublik China über den Schutz der Rechte und Interessen älterer Menschen, dass Eltern ab 60 Jahren ihre Söhne und Töchter verklagen können, wenn sie nicht „für die Älteren sorgen, sie pflegen und trösten und ihren besonderen Bedürfnissen Rechnung tragen“ (. Abb. 5.23).
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
173
..Abb. 5.24 Individualist oder Kollektivist? (© Buddy Hickerson)
..Abb. 5.23 Rücksichtsvolle Kollektivisten. Die kollektivistischen Werte Japans, dazu gehören die Verpflichtung gegenüber anderen und soziale Harmonie, zeigten sich 2011 nach dem verheerenden Erdbeben mit anschließendem Tsunami. Es wurden praktisch keine Plünderungen gemeldet und die Einwohner blieben ruhig und geordnet, wie hier auf dem Bild beim Warten auf den Bus. (© picture alliance/dpa)
Kollektivismus („collectivism“) – Die Ziele der Gruppe
(oft die Großfamilie oder die Arbeitsgruppe) haben Priorität, die Definition der eigenen Identität richtet sich an ihnen aus. Kollektivist:innen sind wie Athlet:innen, die sich mehr über den Sieg ihrer Mannschaft freuen als über ihre eigene Leistung. Sie sind damit zufrieden, die Interessen ihrer Gruppen zu verfolgen, auch auf Kosten der persönlichen Bedürfnisse. Sie erhalten die Harmonie in der Gruppe aufrecht, indem sie direkte Konfrontation, schonungslose Ehrlichkeit und kontroverse Themen vermeiden. Sie schätzen Demut, nicht Selbstherrlichkeit (Bond et al., 2012). Statt Gespräche zu dominieren, halten sich Kollektivist:innen zurück und zeigen Schüchternheit gegenüber Fremden (Cheek & Melchio, 1990). Wenn das „Wir“ Priorität hat, und nicht das „Ich“, hört sich der individualisierte Kaffeewunsch – großer Latte macchiato mit Karamell und besonders heiß –, der bei uns nicht ungewöhnlich ist, in Seoul eher wie selbstsüchtiges forderndes Auftreten an (Kim & Markus, 1999; . Abb. 5.24). Eine Frage: Was halten Sie von Menschen, die bereitwillig ihr Verhalten ändern, um es an verschiedene Menschen und Situationen anzupassen? Menschen in individualistischen Ländern (Vereinigte Staaten und Brasilien) beschreiben sie typischerweise als „unehrlich“,
„nicht vertrauenswürdig“ und „unaufrichtig“ (Levine, 2016). In traditionell kollektivistischen Ländern (China, Indien und Nepal) werden sie von den Menschen häufiger als „reif“, „ehrlich“, „vertrauenswürdig“ und „aufrichtig“ beschrieben.
» „Man muss den Geist kultivieren, bei dem man das kleine
Ich opfert, um an die Vorteile des großen Ichs zu gelangen.“ Chinesisches Sprichwort
Selbstverständlich gibt es Unterschiede innerhalb der Kulturen. In vielen Ländern existieren zudem unterschiedliche Subkulturen, die mit der jeweiligen Religion, dem ökonomischen Status und der Region in Zusammenhang stehen (Cohen, 2009; . Abb. 5.25). In China findet ein stärker kollektivistisches Denken in denjenigen Provinzen statt, die Reis produziert haben. Diese schwer anzubauende Kulturpflanze erfordert Zusammenarbeit, um die Bewässerung dauerhaft zu gewährleisten (Talhelm et al., 2014). Im kollektivistischen Japan kennzeichnet ein individualistischer Geist die „nördliche Grenzinsel“ Hokkaido (Kitayama et al., 2006). Und selbst in den am stärksten individualistisch ausgerichteten Ländern gibt es Personen, die kollektivistische Werte vertreten. Aber im Allgemeinen bieten individualistische Kulturen (vor allem für Männer) mehr persönlichen Freiraum, erlauben mehr Stolz auf die eigene Leistung; ihre Mitglieder sind geografisch weniger an die Familie gebunden und haben mehr Privatsphäre (. Tab. 5.2). Die Psychologin Jean Twenge bemerkte bei der Suche nach einem Namen für ihr erstes Kind, dass Mitglieder individualistischer Kulturen sogar ungewöhnliche Namen bevorzugen. Als Twenge und ihre Kolleg:innen (2010a,
5
174
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
5 ..Abb. 5.25 Kollektivismus. Obwohl die Vereinigten Staaten mehrheitlich individualistisch geprägt sind, herrscht in vielen kulturellen Untergruppen der Kollektivismus. So beispielsweise bei den Eingeborenen aus Alaska, die den Stammesältesten Respekt zollen und deren Identität mehrheitlich aus ihrer Gruppenzugehörigkeit entspringt. (© Clark James Mishler/Design Pics/picture alliance)
2016a) die Vornamen von 358 Millionen amerikanischen Babys, die zwischen 1880 und 2015 geboren wurden, analysierten, stellten sie fest, dass die häufigsten Babynamen seltener geworden waren. . Abb. 5.26 illustriert, dass der Anteil an Jungen und Mädchen, die einen der zehn häufigsten Namen ihres Jahrgangs bekamen, rasant gesunken ist. Das kollektivistische Japan stellt einen Gegensatz dar: Die Hälfte der japanischen Babynamen zählt zu den zehn häufigsten Namen des Landes (Ogihara et al., 2015). Die Kluft zwischen individualistischen und kollektivistischen Kulturen zeigte sich in den Reaktionen der Medaillengewinner:innen während der Olympischen Spiele in den Jahren 2000 und 2002. Amerikanische Goldmedaillengewinner:innen und die amerikanischen
Medien, die über sie berichteten, schrieben die Leistung meistens den Athlet:innen selber zu (Markus et al., 2006). „Ich glaube, ich blieb einfach fokussiert“, erklärte der Schwimmer Misty Hyman, der eine Goldmedaille gewonnen hatte. „Es war an der Zeit, der Welt zu zeigen, wozu ich fähig bin.“ Die japanische Goldmedaillengewinnerin im Marathonlauf, Naoko Takahashi, hatte eine andere Erklärung: „Ich habe den besten Trainer der Welt, den besten Manager der Welt und alle diese Menschen, die mich unterstützen – alle diese Dinge … wurden zur Goldmedaille.“ Individualist:innen erwarten von einer Ehe auch eher romantische Liebe und mehr persönliche Erfüllung (Dion & Dion, 1993). In einer Umfrage wurde „romantische Liebe lebendig halten“ von 78 % der amerikanischen Frauen als wichtig für eine gute Ehe bewertet, aber nur 29 % der japanischen Frauen vertraten diese Auffassung (American Enterprise, 1992). In China geht es in Liebesliedern häufig um eine lebenslange Bindung und um Freundschaft (Rothbaum & Tsang, 1998). In einem Lied heißt es: „Wir werden von nun an zusammen sein … ich werde von nun an für immer die Gleiche sein.“ Wenn sich Kulturen entwickeln, lassen einige Trends nach und andere nehmen zu. Individualismus und Unabhängigkeit wurden durch freiwillige Migration, eine kapitalistische Wirtschaft und eine bevölkerungsarme, herausfordernde Umwelt gefördert (Kitayama et al., 2009, 2010; Varnum et al., 2010). In westlichen Ländern hat der Individualismus, auf dem Fuße von zunehmendem Wohlstand folgend, in den letzten 100 Jahren stark zugenommen (Grossmann & Varnum, 2015). Dieser Trend erreichte in den Jahren 2013 und 2014 einen neuen Höchststand, als US-amerikanische Schüler:innen und Student:innen über eine erhöhte Toleranz berichteten, aber auch über das bis dato größte Interesse, Vorteile für sich selbst zu erlangen,
..Tab. 5.2 Entgegengesetzte Wertvorstellungen bei Individualismus und Kollektivismus. (Adaptiert nach Schoeneman, 1994; Triandis, 1994) Konzept
Individualismus
Kollektivismus
Selbst
Unabhängig (Identität durch individuelle Merkmale)
Wechselseitige Abhängigkeiten (Identität durch Gruppenzugehörigkeit)
Lebensaufgabe
Die eigene Einmaligkeit entdecken und ausdrücken
Beziehungen aufrechterhalten, sich einpassen, eine Rolle ausfüllen
Wichtig ist
Ich: persönliche Leistung und Erfüllung; Rechte und Freiheiten; Selbstwertgefühl
Wir: Gruppenziele und Solidarität; soziale Verantwortung und soziale Beziehungen; Pflichten innerhalb der Familie
Methoden
Die Realität verändern
Sich der Realität anpassen
Moral und Ethik
Vom Einzelnen definiert (Basis: das eigene Selbst)
Von sozialen Netzen definiert (Basis: Pflichtgefühl)
Beziehungen
Zahlreiche, häufig kurzfristige oder Gelegenheitsbeziehungen; Konfrontation akzeptabel
Wenige, enge und beständige Beziehungen; Harmonie hoch bewertet
Attributionsverhalten
Bringt Persönlichkeit und Einstellungen eines Individuums zum Ausdruck
Bringt soziale Normen und Rollen zum Ausdruck
175
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
40%
Prozent mit 35 einem der 10 häufigsten 30 Namen
Neugeborene Jungen
25 20 15
Neugeborene Mädchen
10 5 0 1870
1920
1970
2020
Jahr
..Abb. 5.26 Ein Kind wie kein anderes. Die individualistischen Tendenzen der Amerikaner:innen spiegeln sich in der Namenswahl für ihre Kinder wider. In den vergangenen Jahren ist der Anteil an amerikanischen Babys, die einen der zehn häufigsten Namen ihres Jahrgangs bekamen, rasant gesunken. (Nach Twenge et al., 2010a, 2016b)
und die bislang geringste Bereitschaft, für wohltätige Zwecke zu spenden (Twenge, 2016; Twenge et al., 2012).
» „Früher hatte ich die People abonniert. Dann wechselte
ich zur Us. Jetzt lese ich nur noch die Self.“ Lenny, zitiert von Robert Levine, Stranger in the Mirror: The Scientific Search for Self (2016)
Kultur und Kindererziehung Auch in den Erziehungspraktiken zeigen sich nicht nur individuelle Werte, sondern je nach Ort und Zeit auch unterschiedliche kulturelle Werte (. Abb. 5.27). Sollten Kinder eher unabhängig oder gehorsam sein? Wenn Sie ..Abb. 5.27 Kulturen unterscheiden sich. Überall auf der Welt lieben Eltern ihre Kinder, aber sie erziehen und beschützen sie unterschiedlich, abhängig von der sie umgebenden Kultur. In Großstädten behalten Eltern ihre Kinder nahe bei sich. In kleineren, engen Gemeinden wie Stromness, einer Stadt auf den schottischen Orkney-Inseln, macht es das Vertrauen in die soziale Gemeinschaft möglich, Kinderwagen samt Kleinkindern vor einem Geschäft abzustellen. (© Steve Reehl)
in einer westlichen Kultur leben, entscheiden Sie sich wahrscheinlich für die erste Wahlmöglichkeit. Westliche Familien und Schulen bringen ihren Kindern Prinzipien bei wie: „Du bist für dich selbst verantwortlich. Folge deinem Gewissen. Sei ehrlich zu dir selbst. Entdecke deine Fähigkeiten.“ Einige westliche Eltern gehen noch weiter und sagen ihren Kindern, dass sie besonderer seien als andere Kinder (Brummelman et al., 2015). (Es überrascht nicht, dass diese Kinder dazu neigen, Jahre später eine übertriebene Selbstwahrnehmung zu haben.) In der Vergangenheit legten die Eltern im Westen mehr Wert auf die Vermittlung von Eigenschaften wie Gehorsam, Respekt und Sensibilität gegenüber anderen (Alwin, 1990; Remley, 1988). Sie lehrten ihre Kinder: „Bleibt euren Traditionen treu“ und „Seid loyal gegenüber eurem kulturellen Erbe und eurem Land. Habt Respekt vor euren Eltern und Vorgesetzten.“ Kulturen verändern sich. Kinder haben sich unabhängig von Ort und Zeit unter den verschiedensten Erziehungssystemen gut entwickelt. Viele Nordamerikaner:innen geben ihren Kindern inzwischen ein eigenes Schlafzimmer und vertrauen sie einer Tagesbetreuung an. Britische Eltern aus der Oberschicht überließen die alltägliche Erziehung traditionell einem Kindermädchen und schickten ihre Kinder schon mit etwa zehn Jahren auf ein Internat. Diese Kinder sollten sich zu den tragenden Säulen der britischen Gesellschaft entwickeln. Asiat:innen und Afrikaner:innen leben häufiger in Kulturen, die auf den Aufbau emotionaler Nähe ausgerichtet sind. Kinder und Kleinkinder schlafen üblicherweise bei ihren Müttern und verbringen ihre Tage in der Nähe eines Familienmitglieds (Morelli et al., 1992; Whiting & Edwards, 1988). Diese Kulturen fördern einen
5
176
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
starken Sinn für das Familien-Selbst. Damit ist ein Gefühl gemeint, das sich darin äußert, dass die Schande des Kindes auch die Schande der Familie ist. Andererseits bringt das, was der Familie zur Ehre gereicht, auch dem Selbst des Kindes Ehre ein. In der traditionellen afrikanischen Gesellschaft der Gusii wuchsen die Babys ziemlich frei auf, verbrachten aber die meiste Zeit des Tages auf dem Rücken ihrer Mutter oder Geschwister. Somit hatten sie viel Körperkontakt, aber wenig direkte und sprachliche Interaktion. Mit der Zeit wurde das Kleinkind entwöhnt und jemand anderem, oft einem älteren Geschwister, übergeben. Was vielen Angehörigen westlicher Kulturen als mangelnde Interaktion erscheinen mag, könnte diesen Gusii-Eltern weitaus lieber sein als der geringere Körperkontakt, den Babys erfahren, die im Kinderwagen umhergeschoben und in Laufställchen gesetzt werden (Small, 1997). Eine solche Vielfalt bei der Kindererziehung sollte uns davon abhalten, einfach zu unterstellen, dass die Kindererziehung in unserer Kultur die einzig erfolgversprechende ist.
Gruppenübergreifende Ähnlichkeiten in der Entwicklung Da wir uns so sehr auf unsere Unterschiede konzentrieren, vernachlässigen wir häufig die Ähnlichkeiten, die durch unsere gemeinsame biologische Ausstattung bereits im Voraus angelegt sind. Eine Studie, an welcher Personen aus 49 Ländern teilnahmen, zeigte, dass die Länderunterschiede bei Persönlichkeitseigenschaften wie Gewissenhaftigkeit und Extraversion kleiner waren, als dies erwartet wurde (Terracciano et al., 2006). Länderstereotype übertreiben Unterschiede, die zwar vorhanden, aber eher bescheiden sind: Australier:innen sehen sich selber als kontaktfreudig, Deutschschweizer:innen empfinden sich als gewissenhaft und Kanadier:innen halten sich für liebenswürdig. Im Vergleich zu den Unterschieden zwischen Personen innerhalb einer Gruppe sind die Unterschiede zwischen Gruppen jedoch nur gering. Ganz unabhängig von unserer Kultur sind wir Menschen uns eher ähnlich als verschieden. Wir unterliegen alle demselben Lebenszyklus. Wir alle reden ähnlich mit unseren Kindern, reagieren ähnlich auf ihr Brabbeln und ihr Schreien (Bornstein et al., 1992a, b). Sogar Unterschiede innerhalb einer Kultur, die manchmal auf die Zugehörigkeit zu einer Ethnie attribuiert werden, können oft eine Folge der Interaktion zwischen unserer Biologie und unserer Kultur sein. David Rowe und seine Kolleg:innen (1994, 1995) illustrieren dies durch folgende Analogie: Schwarze Männer haben gewöhnlich einen höheren Blutdruck als weiße Männer. Nehmen Sie an, dass zum einen in beiden Gruppen der Salzkonsum mit dem Blutdruck korreliert und zum anderen der Salzkonsum bei Schwarzen Männern höher ist als bei weißen Männern. Ein Unterschied zwischen den beiden ethnischen Gruppen in Bezug auf den Blut-
druck wäre dann – zumindest teilweise – eigentlich ein Ernährungsunterschied – eine kulturelle Vorliebe für bestimmte Nahrungsmittel. Rowe et al. sehen hierzu auch eine Parallele bei psychologischen Forschungsergebnissen: Obwohl sich spanischsprachige, asiatische, Schwarze und weiße Amerikaner:innen sowie amerikanische Ureinwohner:innen in den Schulleistungen und in der Kriminalität unterscheiden, sind diese Unterschiede im Grunde kaum der Rede wert. In dem Maße, in dem Familienstruktur und wirtschaftliche Verhältnisse, Einflüsse von Gleichaltrigen und die elterliche Erziehung das Verhalten in einer dieser ethnischen Gruppen vorhersagen, gilt dies auch für die anderen Gruppen. Deshalb mögen wir uns als Angehörige verschiedener ethnischer und kultureller Gruppen zwar an der Oberfläche unterscheiden, doch scheinen wir als Angehörige einer Spezies denselben psychologischen Zwängen unterworfen zu sein. Zwar unterscheiden sich unsere Reaktionen nach außen – und doch beruhen sie auf universellen emotionalen Prinzipien. Unser Geschmack ist unterschiedlich, dennoch liegt ihm als gemeinsames Prinzip der Hunger zugrunde. Unser Sozialverhalten variiert, doch spiegelt es die überall wirkenden Prinzipien des menschlichen Einflusses wider. Interkulturelle Forschung hilft uns, sowohl unsere kulturelle Vielfalt als auch unsere menschliche Ähnlichkeit zu schätzen.
» „Sollte jemand herausfinden, warum die Männer in der
Bond Street schwarze Hüte tragen, dann würde er im gleichen Moment den Grund dafür entdecken, dass die Männer in Timbuktu rote Federn tragen.“ G. K. Chesterton, Heretics (1905) Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie unterscheiden sich individualistische und kollektivistische Kulturen?
5.3.3
Entwicklung des sozialen Geschlechts
?? 5.13 Wie unterscheidet sich das soziale vom bio-
logischen Geschlecht?
Wir Menschen haben einen unwiderstehlichen Drang, unsere Welt in einfachen Kategorien zu ordnen. Unter den Arten, wie wir Personen (und uns selbst) klassifizieren – als groß oder klein, dumm oder klug, fröhlich oder mürrisch –, sticht eine besonders hervor: Unmittelbar nach Ihrer Geburt (oder davor) wollten die Menschen insbesondere eins wissen: „Junge oder Mädchen?“ Mög-
Biologisches Geschlecht („sex“) – in der Psychologie Bezeichnung für die biologisch („sex“) beeinflussten Charakteristika, die Menschen als männlich und weiblich definieren. Soziales Geschlecht („gender“) – in der Psychologie Bezeichnung für die sozial („gender“) beeinflussten Charakteristika, die Menschen als Junge, Mädchen, Mann und Frau definieren. >>Rosa und blaue Babykleidung zeigen, wie sich kulturelle
Normen unterscheiden und verändern. „Die allgemein akzeptierte Regel ist rosa für Jungen und blau für Mädchen“, verkündete das Earnshaw’s Infants’ Department im Juni 1918 (Frassanito & Pettorini, 2008). „Rosa ist als entschlossenere und stärkere Farbe angemessener für Jungen, während blau, eine zartere und anmutigere Farbe, hübscher an Mädchen ist.“
Ähnlichkeiten und Unterschiede ?? 5.14 Welche biologischen und psychologischen
Ähnlichkeiten sowie Unterschiede gibt es zwischen Männern und Frauen?
Ob männlich oder weiblich, jeder von uns erhält 23 Chromosomen von seiner Mutter und 23 von seinem Vater. Von diesen 46 Chromosomen sind 45 für beide Geschlechter gleich. Unsere ähnliche biologische Ausstattung half unseren evolutionären Vorfahr:innen, sich ähnlichen adaptiven Herausforderungen zu stellen. Sowohl Männer als auch Frauen mussten überleben, sich fortpflanzen und Raubtiere vermeiden. Deshalb sind wir uns heute in vielerlei Hinsicht ähnlich. Um zu überleben, mussten sowohl Männer als auch Frauen lange Strecken zurücklegen und bei den heutigen Ultramarathons sind Männer und Frauen ähnlich konkurrenzfähig. Ob Sie sich als Frau oder Mann identifizieren, gibt keinerlei Hinweise auf Ihren Wortschatz, Ihre Intelligenz, Ihre Zufrieden-
Frauen Männer Anzahl Personen
licherweise haben Ihre Eltern durch rosa oder blaue Kleidung Hinweise gegeben. Ihre Antwort beschrieb Ihr biologisches Geschlecht („sex“), Ihren biologischen Status, definiert durch Ihre Chromosomen und Ihre Anatomie. Für die meisten Menschen tragen diese biologischen Merkmale dazu bei, das ihnen zugewiesene soziale Geschlecht („gender“) und die Erwartungen ihrer Kultur daran, was es bedeutet, ein Mann oder eine Frau zu sein, zu bestimmen. Einfach gesagt: Ihr Körper bestimmt Ihr biologisches Geschlecht. Ihr Verstand definiert Ihr soziales Geschlecht, dieses ergibt sich aber aus dem Zusammenspiel zwischen Ihrer Biologie und Ihren Erfahrungen (Eagly & Wood, 2013). Bevor wir dieses Wechselspiel näher betrachten, wollen wir uns zunächst einige Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Männern und Frauen genauer ansehen.
5
177
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Niedrigere Werte Selbstwertgefühl
Höhere Werte
..Abb. 5.28 Viel Aufhebens um kleine Unterschiede im Selbstwertgefühl. Diese zwei Normalverteilungen unterscheiden sich in der ungefähren Größe (0,21 Standardabweichung) des biologischen Geschlechtsunterschieds im Selbstwertgefühl, gemittelt über alle vorhandenen Stichproben (Hyde, 2005). Zudem zeigen solche Vergleiche nur die Unterschiede zwischen der durchschnittlichen weiblichen und männlichen Person. Die Streuung innerhalb der Gruppe weiblicher Personen übertrifft diesen Unterschied in hohem Maße, genauso die Streuung innerhalb der Gruppe männlicher Personen
heit oder auf ihr Seh‑, Hör‑, Lern- und Erinnerungsvermögen. Männer und Frauen haben im Durchschnitt eine vergleichbare Kreativität und Intelligenz und empfinden dieselben Emotionen und Sehnsüchte (Hyde, 2014). Das „andere“ Geschlecht ist in Wahrheit ein sehr ähnliches Geschlecht. In manchen Bereichen aber gibt es durchaus einige Unterschiede und diese rufen Aufmerksamkeit hervor. Einige häufig festgestellte Unterschiede (wie der in . Abb. 5.28 gezeigte Unterschied im Selbstwertgefühl) sind eigentlich recht gering (Zell et al., 2015). Andere wiederum sind offensichtlicher. Das Durchschnittsmädchen kommt etwa ein Jahr früher in die Pubertät als der Durchschnittsjunge und hat eine fünf Jahre längere Lebensspanne. Sie bringt Emotionen freier zum Ausdruck, lächelt und weint mehr und drückt in FacebookUpdates häufiger „Liebe“ und „sooo aufgeregt!!!“ aus. (Fischer & LaFrance, 2015; Schwartz et al., 2013). Sie kann schwächere Gerüche wahrnehmen, erhält häufiger Hilfsangebote und kann nach dem Orgasmus schneller wieder sexuell erregt sein. Außerdem hat sie ein doppelt so hohes Risiko für Depressionen und Ängste und ein zehnmal höheres Risiko für Essstörungen. Dennoch ist es beim Durchschnittsmann viermal so wahrscheinlich, dass er Suizid begeht oder unter Alkoholismus leidet; es ist weitaus wahrscheinlicher, dass er die Diagnose Autismus-Spektrum-Störung, Farbenfehlsichtigkeit und Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bekommt. Und als Erwachsener ist er einem höheren Risiko für eine antisoziale Persönlichkeitsstörung ausgesetzt. Entscheiden Sie sich für ein Geschlecht, dann
178
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
entscheiden Sie sich auch für dessen Anfälligkeit für diese Störungen bzw. Krankheiten. Ob männlich oder weiblich, beide haben ihren eigenen Anteil an Risiken. Im gesamten Buch werden wir es immer wieder mit Geschlechtsunterschieden zu tun haben, aber für den Moment wollen wir uns drei geschlechtsspezifische Unterschiede genauer ansehen. Obwohl Individuen sehr verschieden sind, gibt es Unterschiede zwischen der durchschnittlichen männlichen und weiblichen Person bei der Aggression, der sozialen Macht und der sozialen Einbindung. zz Aggression
Für Psycholog:innen ist Aggression jedes körperliche oder verbale Verhalten, das mit der Absicht ausgeführt wird, jemanden körperlich oder emotional zu verletzen. Denken Sie an Beispiele von aggressiven Menschen. Sind die meisten von ihnen Männer? Wahrscheinlich ja. Im Allgemeinen geben Männer häufiger zu, Aggressionen zu haben, insbesondere in Bezug auf schwere körperliche Gewalt (Bushman & Huesmann, 2010; Wölfer & Hewstone, 2015). In romantischen Beziehungen zwischen Männern und Frauen sind kleinere körperliche Aggressionen wie etwa Klapse ungefähr gleich stark ausgeprägt, die gewalttätigsten Handlungen werden jedoch meist von Männern verübt (Archer, 2000; Johnson, 2008). Laborexperimente bestätigen einen geschlechtsspezifischen Unterschied bei der Aggression. Männer sind eher dazu gewillt, Menschen mit einem ihrer Meinung nach intensiven und langanhaltenden Lärm zu konfrontieren (Bushman et al., 2007). Und außerhalb des Labors begehen Männer – weltweit – mehr Gewaltverbrechen (Antonaccio et al., 2011; Caddick & Porter, 2012; Frisell et al., 2012). Auch bei Jagen, Kämpfen, Kriegsführung und -unterstützung haben Männer die Nase vorn (Liddle et al., 2012; Wood & Eagly, 2002, 2007). Eine weitere Frage: Denken Sie an Beispiele von Menschen, die anderen schaden, indem sie verletzenden Klatsch verbreiten oder jemanden aus einer sozialen Gruppe oder Situation ausschließen. Waren die meisten dieser Menschen Männer? Vielleicht nicht. Diese Verhaltensweisen sind Akte relationaler Aggression und werden von Frauen etwas häufiger begangen als von Männern (Archer, 2004, 2007, 2009; . Abb. 5.29). Aggression („aggression“) – jedes körperliche oder ver-
bale Verhalten, das mit der Absicht ausgeführt wird, jemanden körperlich oder emotional zu verletzen. Relationale Aggression („relational aggression“) – ein Akt der Aggression (körperlich oder verbal), der darauf abzielt, die Beziehung oder die soziale Stellung einer Person zu schädigen. zz Soziale Macht
Stellen Sie sich vor, Sie sind in ein Vorstellungsgespräch gekommen und werfen einen ersten Blick auf die beiden
..Abb. 5.29 Tödliche relationale Aggression. Sladjana Vidovic war eine Highschool-Schülerin, die Suizid beging, nachdem sie unter ständiger relationaler Aggression durch Mobbing zu leiden hatte. (© ASSOCIATED PRESS/Amy Sancetta/picture alliance; Hier finden Sie Hilfe in einer suizidalen Krise: 7 https://www.suizidprophylaxe.de/ hilfsangebote)
Interviewer:innen. Die nichtlächelnde Person auf der linken Seite strahlt Selbstvertrauen und Unabhängigkeit aus und hält ständigen Blickkontakt. Die Person auf der rechten Seite schenkt Ihnen ein warmes, einladendes Lächeln, nimmt weniger Augenkontakt auf und scheint zu erwarten, dass die andere Person die Führung übernimmt. Welche der beiden Personen ist männlich? Wenn Sie sagen, die Person links, sind Sie nicht allein. Überall auf der Welt, von Nigeria bis Neuseeland, nehmen Menschen geschlechtsspezifische Machtunterschiede wahr (Williams & Best, 1990; . Abb. 5.30). ?? 5.15 Welche Faktoren tragen zu geschlechtsspezifi-
schen Vorurteilen am Arbeitsplatz bei?
zz Soziale Einbindung
Ob männlich oder weiblich, wir alle haben das Bedürfnis, dazuzugehören, auch wenn wir dieses Bedürfnis auf unterschiedliche Weise befriedigen können (Baumeister, 2010). Männliche Personen sind eher unabhängig. Jungen spielen typischerweise in großen Gruppen mit einem Fokus auf Aktivitäten und Wettbewerben und in denen weniger intime Gesprächen stattfinden (Rose & Rudolph, 2006). Als Erwachsene haben Männer Spaß an Aktivitäten, die sie Seite an Seite machen und ihre Gespräche drehen sich oft um Problemlösungen (Tannen, 1990; Wright, 1989). Wenn man schwierige Fragen stellt, z. B. „Haben Sie irgendeine Vorstellung davon, warum der Himmel blau ist?“, wagen Männer eher als Frauen eine Antwort, statt zuzugeben, dass sie es nicht wissen. Hier handelt es sich um ein Phänomen, das Forscher:innen als das männliche Antwortsyndrom bezeichnen (Giuliano et al., 1998).
179
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Unterschiede in der WAHRNEHMUNG Unter Politiker:innen, die als machthungrig wahrgenommen werden, sind Frauen weniger erfolgreich als Männer.1
2015 hatten Männer 78% der Sitze in den regierenden Parlamenten der Welt inne.2
Politische Amtsträger:innen
Menschen auf der ganzen Welt neigen dazu, Männer als mächtiger wahrzunehmen.3 Frauen
Wenn Gruppen gebildet werden, sei es in der Form von Jurys oder Unternehmen, gehen Führungsrollen in der Regel an Männer.4
Unterschiede bei der ENTLOHNUNG Medizin Gehaltsunterschiede zwischen Ärztinnen und Ärzten in den USA: 6
Die meisten politischen Amtsträger sind Männer:
Er ist so selbstbewusst!
Sie ist so aggressiv!
Frauen in traditionell männlichen Berufen bekommen ein niedrigeres Gehalt als ihre männlichen Kollegen.5
$211,526
$150,053
Männer
Frauen
Wissenschaft Weibliche Bewerberinnen für
Forschungsstipendien erhielten schlechtere Bewertungen hinsichtlich ihrer „Forschendenqualität“ und wurden seltener finanziert.7 (Wie wir jedoch sehen werden, verändern sich die Einstellungen gegenüber den Geschlechtern sowie Geschlechterrollen).
Unterschiede bei der KINDERBETREUUNG
In den USA kümmern sich Mütter immer noch fast doppelt so oft um ihre Kinder wie Väter.8 Auf der Arbeit streben Frauen seltener nach Geld und Status, gehen mehr Kompromisse ein und entscheiden sich häufiger für eine reduzierte Arbeitszeit.9
Was trägt noch zu
GESCHLECHTSUNTERSCHIEDEN AM ARBEITSPLATZ bei?
Soziale Normen
Führungsstile
Männer sind eher direktiv, sie sagen anderen, was sie tun sollen und wie sie es tun sollen.
Frauen sind eher demokratisch, sie ermutigen andere, einen Beitrag zur Entscheidungsfindung zu leisten.11
Verhalten im Alltag
Interaktions-
stile In den meisten Gesellschaften legen Männer mehr Wert auf Macht und Leistung und sind in sozialen Situationen Männer dominant.10 äußern eher ihre Meinung.12
Frauen bekunden eher ihre Unterstützung.12
Männer sprechen eher mit Nachdruck, unterbrechen andere, initiieren Berührungen und starren.13 Frauen lächeln und entschuldigen sich mehr als Männer.13
Doch GESCHLECHTERROLLEN
UNTERSCHEIDEN SICH je nach Ort und Zeit SEHR STARK. Frauen sind zunehmend in Führungspositionen (mittlerweile 50% der kanadischen Kabinettsmitglieder) und in der Arbeitswelt vertreten. 1963 nahm die Harvard Business School ihre ersten Studentinnen auf. In der Abschlussklasse 2016 waren 41% der Studierenden Frauen.14 1960 waren 6% der Medizinstudierenden in den USA Frauen. Heute sind es etwa die Hälfte.15
1Okimoto & Brescoll, 2010. 2IPU, 2015. 3Williams & Best, 1990. 4Colarelli et al., 2006. 5Willett et al., 2015. 6Census Bureau, 2014. 7van der Lee et al., 2015. 8Parker & Wang, 2013; Pew, 2015; CEA, 2014. 9Nikolova & Lamberton, 2016; Pinker, 2008. 10Schwartz & Rubel-Lifschitz, 2009; Gino et al., 2015. 11Eagly & Carli, 2007; van
Engen & Willemsen, 2004. 12Aries, 1987; Wood, 1987. 13Leaper & Ayres, 2007; Major et al., 1990; Schumann & Ross, 2010. 14Peck, 2015. 15AAMC, 2014.
..Abb. 5.30 Kritisch nachdenken über: Geschlechtsspezifische Voreingenommenheit am Arbeitsplatz
>>Frage: Warum braucht man 200 Mio. Samenzellen, um
eine Eizelle zu befruchten? Antwort: Weil sie nicht anhalten, um nach dem Weg zu fragen.
Scans von mehr als 1400 Gehirnen zeigen keine auffälligen Geschlechtsunterschiede: „Menschliche Gehirne können nicht in zwei verschiedene Klassen – männliches Gehirn/weibliches Gehirn – kategorisiert werden“ (Joel et al., 2015). Hirnscans deuten jedoch darauf hin, dass das Gehirn einer Frau mehr als das eines Mannes in einer Weise beschaffen ist, die soziale Beziehungen ermöglicht
(Ingalhalikar et al., 2013). Dies hilft zu erklären, warum Frauen tendenziell in stärkerem Maße interdependent sind. In der Kindheit spielen Mädchen gewöhnlich in kleineren Gruppen, oft nur mit einer Freundin. Ihr Spiel ist weniger wettbewerbsorientiert als bei Jungen und imitiert eher soziale Beziehungen (Maccoby, 1990; Robert, 1991). Als Jugendliche verbringen Mädchen mehr Zeit mit Freundinnen und Freunden und weniger Zeit alleine (Wong & Csikszentmihalyi, 1991). In der späten Jugend verbringen sie mehr Zeit in sozialen Netzwerken und im Durchschnitt doppelt so viel mit Textnachrichten pro Tag wie Jungen (Lenhart, 2015a; Pryor et al., 2007, 2011).
5
180
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
5 a
b
..Abb. 5.31 a,b Konkurrenz oder Miteinander? Zu Geschlechtsunterschieden bezogen darauf, wie wir mit anderen interagieren, kommt
es schon in einem sehr frühen Alter. (a: © Riccardo Meloni/Stock. adobe.com, b: © Olesia Bilkei/Stock.adobe.com)
Frauen haben intimere Freundschaften und nutzen Gespräche eher dazu, Beziehungen zu erkunden (Maccoby, 2002). In einer Analyse von zehn Millionen FacebookBeiträgen waren die Status-Updates von Frauen genauso selbstsicher wie die von Männern, enthielten jedoch wärmere Worte, während Männer häufiger fluchten oder Wut ausdrückten (Park et al., 2016). Eine Analyse von über 700 Millionen Facebook-Wörtern ergab, dass Frauen auch mehr familienbezogene Wörter verwendeten, während Männer mehr arbeitsbezogene Wörter gebrauchten (Schwartz et al., 2013). Ein Geschlechtsunterschied im Kommunikationsstil zeigte sich sogar in E-Mails von Studentierenden: So konnten die Teilnehmenden einer Studie in Neuseeland in zwei Dritteln der Fälle erraten, ob die absendende Person männlich oder weiblich war (Thomson & Murachver, 2001). In Frankreich führen Frauen 63 % der Telefongespräche; und wenn sie mit einer Frau sprechen, dann bleiben sie im Durchschnitt länger (7,2 Minuten) am Telefon, als dies Männer machen (4,6 Minuten), wenn sie mit anderen Männern sprechen (Smoreda & Licoppe, 2000). Bestätigen solche Befunde die Annahme, dass Frauen einfach redseliger sind als Männer? Nein. In einer anderen Studie zählten Forscher:innen bei 396 Studierenden, wie viele Wörter sie an einem durchschnittlichen Tag sprachen (Mehl et al., 2007). Es überrascht nicht, dass die Redseligkeit stark variierte – 45.000 Wörter war die Differenz zwischen der redseligsten und der schweigsamsten Person. (Wie viele Wörter sagen Sie ihrer Schätzung nach pro Tag?) Im Gegensatz zum Stereotyp der plappernden Frau sprachen sowohl Männer als auch Frauen im Durchschnitt etwa 16.000 Wörter pro Tag. Zwar können die verbalen Aussagen von Frauen und Männern nicht als Grundlage dafür dienen, sie als gesprächiger abzustempeln, dennoch zeigen sie uns etwas über unsere Interessen auf. Die Antworten von mehr als einer halben Million Menschen in verschiedenen Interessensfragebögen zeigen, dass „Männer lieber mit Dingen
arbeiten und Frauen Arbeit mit Menschen bevorzugen“ (Su et al., 2009). Bei Studienbeginn zeigen Männer mit siebenmal höherer Wahrscheinlichkeit Interesse an Computerwissenschaften (Pryor et al., 2011). Wenn sie Verständnis haben wollen und eine Person brauchen, mit der sie über Sorgen und Verletzungen sprechen können, wenden sich Menschen gewöhnlich an Frauen. Und sowohl Männer als auch Frauen berichten darüber, dass ihre Freundschaft mit Frauen intimer, vergnüglicher und hilfreicher ist (Kuttler et al., 1999; Rubin, 1985; Sapadin, 1988). Bindungen und Gefühle der Unterstützung sind bei Frauen stärker als bei Männern (Rossi & Rossi, 1993). Die Verbindungen zwischen den Frauen – als Mütter, Töchter, Schwestern, Tanten und Großmütter – sind das gemeinsame Band der Familie. Als Freundinnen reden Frauen häufiger und offener miteinander (Berndt, 1992; Dindia & Allen, 1992). „Vielleicht aufgrund des (bei den Frauen) größeren Bedürfnisses nach Intimität“, bemerken Joyce Benenson und Kolleg:innen (2009), ist es bei Frauen doppelt so wahrscheinlich wie bei Männern, dass sie im ersten Jahr am College oder an der Universität ihre Mitbewohner:innen wechseln. Und wie bewältigen Frauen Stress? Im Vergleich zu Männern wenden sie sich wegen Unterstützung eher an andere – sie gehen auf andere zu und schließen Freundschaft (Tamres et al., 2002; Taylor, 2002; . Abb. 5.31). Wie Menschen mit Macht allgemein betonen Männer gerne Freiheit und Selbstsicherheit. Das kann zu einer Erklärung der Tatsache beitragen, dass Männer aller Altersgruppen weltweit der Religion und dem Beten weniger Bedeutung beimessen als Frauen (Benson, 1992; Stark, 2002). Auch unter den Berufsskeptikern nehmen Männer eine dominierende Stellung ein. Alle 10 Gewinner und 14 Zweitplatzierte auf der Liste der Zeitschrift Skeptical Inquirer, in der herausragende rationalistische Skeptiker des 20. Jahrhunderts aufgeführt werden, waren Männer. In der Rubrik „Die Naturwissenschaft und das Paranormale“ beim Verlag Prometheus Books (dem führenden Haus für Skeptizismus) enthielt das Prospekt
181
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
für 2010 98 Autoren und nur 4 Autorinnen. Frauen sind mit weitaus größerer Wahrscheinlichkeit Autorinnen von Büchern über Spiritualität. Geschlechtsunterschiede in der sozialen Einbindung und Macht erreichen ihren Höhepunkt in der späten Jugend und im jungen Erwachsenenalter – und das sind auch Jahre, in denen am meisten Verabredungen getroffen und Beziehungen eingegangen werden. Im Jugendalter werden Mädchen immer weniger bestimmend und flirten mehr; Jungen werden dominanter und zeigen weniger Gefühle. Im Erwachsenenalter, nach der Geburt des ersten Kindes, erreichen die Unterschiede hinsichtlich Einstellung und Verhalten oft ihren Höhepunkt. Insbesondere Mütter werden oft traditioneller in ihren geschlechtsspezifischen Einstellungen und Verhaltensweisen (Ferriman et al., 2009; Katz-Wise et al., 2010). Im Alter von 50 Jahren sind die meisten mit der Elternschaft verbundenen Geschlechtsunterschiede abgeflaut. Männer werden dann weniger dominant und können sich besser in andere Personen einfühlen und Frauen – insbesondere diejenigen mit einer bezahlten Beschäftigung – können sich besser behaupten und werden selbstbewusster (Kassen et al., 2006; Maccoby, 1998). Weltweit arbeiten weniger Frauen als Männer in Vollzeit für einen Arbeitgeber (19 % gegenüber 33 %), sind aber ähnlich zufriedener als Männer mit ihrem Leben, wenn sie beschäftigt sind, als wenn sie arbeitslos sind (Ryan, 2016). Obwohl sich also Frauen und Männer mehr ähneln als unterscheiden, gibt es einige Verhaltensunterschiede zwischen der Durchschnittsfrau und dem Durchschnittsmann. Sind solche Unterschiede biologisch bedingt? Geprägt von unseren Kulturen und anderen Erfahrungen? Unterscheiden wir uns darin, inwieweit wir männlich oder weiblich sind? Lesen Sie weiter.
» „In den vielen langen Jahren müssen sie einander ähnlicher werden; der Mann muss mehr wie eine Frau werden, sie mehr wie ein Mann.“ Alfred Lord Tennyson, The Princess (1847)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– ___ (Männer/Frauen) neigen eher zu relationalen Aggressionen und ___ (Männer/Frauen) eher zu körperlichen Aggressionen.
Biologische Grundlagen des Geschlechts ?? 5.16 Wie beeinflussen Geschlechtshormone die
pränatale und jugendliche geschlechtliche Entwicklung und was ist Intergeschlechtlichkeit?
In den meisten körperlichen Bereichen, in denen Männer und Frauen mit ähnlichen Herausforderungen konfron-
tiert waren (wie z. B. der Regulierung des Wärmehaushalts durch die Schweißproduktion, der Bevorzugung energiereicher Nahrungsmittel oder dem Entwickeln von Hornhaut an Stellen, wo es viel Reibung gibt), sind sich die Geschlechter ähnlich. Sowohl Männer als auch Frauen schätzen bei der Suche nach der idealen Partnerschaft Persönlichkeitsmerkmale wie freundlich, aufrichtig und intelligent. Evolutionspsycholog:innen behaupten allerdings, dass Männer in Bereichen, die mit dem Paarungsverhalten in Zusammenhang stehen, ein typisch männliches Verhalten zeigen – ganz gleich, ob es sich um Schimpansen, Elefanten, einfache Leute vom Lande oder Vorsitzende eines großen Unternehmens handelt (Geary, 2010). Das soziale Geschlecht wird nicht von der Biologie vorgegeben. Aber auf zwei Arten beeinflusst die Biologie das soziale Geschlecht: genetisch – durch unsere unterschiedlichen Geschlechtschromosomen. physiologisch – durch die Unterschiede in der Konzentration von Sexualhormonen, die wiederum andere anatomische Unterschiede auslösen.
-
Diese beiden Einflüsse beginnen uns zu formen, lange bevor wir geboren werden. zz Pränatale Geschlechtsentwicklung
Nach der Zeugung gibt es sechs Wochen hinsichtlich des Aussehens keine großen Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Dann erst beginnen die Gene das biologische Geschlecht zu determinieren. Dies geschieht durch das 23. Chromosomenpaar, die Geschlechtschromosomen. Ob männlich oder weiblich, von der Mutter erhält man ein X-Chromosom. Vom Vater kommt das Einzige der 46 Chromosomen, das nicht bei beiden Geschlechtern vorhanden ist. Dabei handelt es sich entweder um ein X-Chromosom, was die Entwicklung des weiblichen Geschlechts zur Folge hat, oder um ein Y-Chromosom, wodurch das männliche Geschlecht entsteht. Ungefähr in der 7. Schwangerschaftswoche löst ein einzelnes, alles entscheidendes Gen auf dem Y-Chromosom das Hodenwachstum und die Produktion des wichtigsten Androgens (männliches Hormon), des Testosterons, das die Entwicklung der männlichen Geschlechtsorgane fördert, aus. (Auch Frauen haben Testosteron, nur weniger.) X-Chromosom („X chromosome“) – Geschlechtschromo-
som, das sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Personen vorhanden ist. Weibliche Personen haben typischerweise zwei X-Chromosomen, männliche dagegen typischerweise nur eines. Aus jeweils einem X-Chromosom von beiden Elternteilen entsteht ein Kind mit weiblichem Geschlecht.
5
182
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
Y-Chromosom („Y chromosome“) – Geschlechtschromo-
Später, während des 4. und 5. Schwangerschaftsmonats, benetzen die Sexualhormone das Gehirn des Fötus und beeinflussen die neuronale Verdrahtung. Unter dem Einfluss des bei Männern stärker vorhandenen Testosterons und der weiblichen Ovarialhormone entwickeln sich unterschiedliche neuronale Mechanismen im Gehirn (Hines, 2004; Udry, 2000). Wenn weibliche Personen jedoch vor der Geburt ungewöhnlich hohen Konzentrationen männlicher Hormone ausgesetzt sind, neigen sie dazu, mit eher typisch männlichen Aktivitätsinteressen aufzuwachsen (Endendijk et al., 2016). Pränatale Hormone tragen zur Gestaltung dessen bei, was wir mögen und gerne tun. zz Adoleszente Geschlechtsentwicklung
Eine Flut an Hormonen löst eine weitere Periode drastischer körperlicher Veränderungen in der Adoleszenz aus, wenn Jungen und Mädchen in die Pubertät kommen. In dieser zweijährigen Phase intensiver sexueller Reifung zeigen sich ausgeprägte Geschlechtsunterschiede. Eine Vielzahl von Veränderungen beginnt bei Mädchen mit etwa 11 Jahren und bei Jungen mit etwa 12 Jahren, wobei die subtilen Anfänge der Pubertät, wie die Vergrößerung der Hoden, früher auftreten (Herman-Giddens et al., 2012). Ein oder zwei Jahre bevor die körperlichen Veränderungen sichtbar werden, treten die ersten Anzeichen von sexueller Anziehung auf (McClintock & Herdt, 1996). Aufgrund des etwas früheren Eintritts der Mädchen in die Pubertät können sie zunächst mehr wachsen als gleichaltrige Jungen (. Abb. 5.32). Aber Jungen holen ihren Rückstand auf, wenn sie in die Pubertät kommen und sind mit 14 Jahren in der Regel größer als Mädchen. In diesen Wachstumsphasen entwickeln sich die primären Geschlechtsmerkmale – die Fortpflanzungsorgane und die äußeren Genitalien – mit atemberaubender Geschwindigkeit, desgleichen die sekundären Geschlechtsmerkmale, d. h. die nicht unmittelbar für die Fortpflanzung erforderlichen Geschlechtsmerkmale: Brüste bei den Mädchen, Barthaare und tiefere Stimme bei den Jungen, Scham- und Achselhöhlenbehaarung bei beiden Geschlechtern (. Abb. 5.33). Pubertät („puberty“) – Zeit, in der der menschliche Körper die Geschlechtsreife und damit die biologische Fortpflanzungsfähigkeit erlangt.
Jungen wachsen nach dem Alter von 14 Jahren weiter und werden größer als Mädchen
190 170 150 Größe in cm
5
som, das typischerweise nur bei Personen männlichen Geschlechts vorhanden ist. Wenn es mit einem X-Chromosom der Mutter zusammentrifft, entsteht daraus ein Kind mit männlichem Geschlecht. Testosteron („testosterone“) – wichtigstes männliches Sexualhormon. Es ist bei Frauen und Männern vorhanden, allerdings stimuliert die zusätzliche Menge an Testosteron bei Männern die Entwicklung männlicher Sexualorgane im Fötus sowie das Wachstum der männlichen Geschlechtsmerkmale während der Pubertät.
130 Mädchen haben einen durch die Pubertät ausgelösten früheren Wachstumsschub
110 90 70 50 30 0
2
4
6
8
10
12
14
16
18
Alter in Jahren Jungen
Mädchen
..Abb. 5.32 Größenunterschiede. Über die gesamte Kindheit hinweg sind Jungen und Mädchen in etwa gleich groß. In der Pubertät überragen die Mädchen kurzzeitig die Jungen, doch dann holen die Jungen sie etwa im Alter von 14 Jahren wieder ein. (Nach Tanner, 1978)
Primäre Geschlechtsmerkmale („primary sex characteristics“) – zur Fortpflanzung nötige Organe und Strukturen
(Eierstöcke, Hoden und äußere Genitalien). Sekundäre Geschlechtsmerkmale („secondary sex characteristics“) – nicht zur Fortpflanzung erforderliche Merk-
male wie weibliche Brüste und Hüften sowie männliche Stimme und Körperbehaarung. Für Jungen ist der Markstein der Pubertät die erste Ejakulation, die oft erstmals im Schlaf (als „feuchter Traum“) geschieht. Dieses als Spermarche bezeichnete Ereignis tritt gewöhnlich im Alter von etwa 14 Jahren ein. Bei Mädchen ist der Markstein die erste Regelblutung, Menarche genannt mit etwa 12½ Jahren (Anderson et al., 2003). Gene spielen eine wichtige Rolle dabei, den Zeitpunkt der Menarche eines Mädchens vorherzusagen (Perry et al., 2014). Aber auch die Umwelt ist wichtig. Die Menarche scheint sich bei Mädchen, die Belastungen aufgrund der Abwesenheit des Vaters, durch sexuellen Missbrauch, unsicheren Bindungen oder deren Mütter während der Schwangerschaft geraucht haben, ein paar Monate früher zu ereignen (Rickard et al., 2014; Shrestha et al., 2011; Sung et al., 2016). Bei Mädchen in verschiedenen Ländern setzt das Wachstum der Brüste früher ein (manchmal vor dem 10. Lebensjahr) und sie
183
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Die Hypophyse setzt Hormone frei, die stimulierend wirken auf
Haarwachstum im Gesicht und unter den Achseln
Haarwachstum unter den Achseln
Vergrößerung des Kehlkopfs
Entwicklung der Brust
Vergrößerung der Gebärmutter Einsetzen der Menstruation
Nebennieren
Wachstum der Schamhaare
Eierstöcke
Nebennieren Hoden
die wiederum Hormone freisetzen, die stimulierend wirken auf
Wachstum der Schamhaare Wachstum von Penis und Hoden Einsetzen der Ejakulation
..Abb. 5.33 Körperliche Veränderungen in der Pubertät. Mit etwa 11 Jahren bei Mädchen und 13 Jahren bei Jungen kommt es zu ei-
nem Hormonschub, der eine Reihe von körperlichen Veränderungen auslöst
kommen früher als in der Vergangenheit in die Pubertät. Zu den mutmaßlichen Auslösern gehören erhöhtes Körperfett, eine Ernährung voller hormonähnlicher Chemikalien und möglicherweise auch größerer Stress aufgrund familiärer Probleme (Biro et al., 2010, 2012; Ellis et al., 2012; Herman-Giddens, 2013). Werden die Mädchen auf das Einsetzen der Menarche vorbereitet, dann betrachten sie sie im Allgemeinen als positiv (Chang et al., 2009). Jungen berichten überwiegend über positive emotionale Reaktionen auf die Spermarche (Fuller & Downs, 1990).
nen und Anatomie auftritt; das Baby weist biologische Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter auf.
Spermarche („spermarche“) – die erste Ejakulation bei
Jungen. Menarche („menarche“) – die erste Regelblutung bei
Mädchen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die pränatale geschlechtliche Entwicklung beginnt etwa ___ Wochen nach der Empfängnis. Die Adoleszenz ist durch den Beginn der ___ gekennzeichnet.
zz Variationen in der Geschlechtsentwicklung
Die Natur kann die biologische Grenze zwischen männlichen und weiblichen Personen verwischen. Intergeschlechtliche Menschen können mit ungewöhnlichen Kombinationen von männlichen und weiblichen Chromosomen, Hormonen und Anatomie geboren werden. Intergeschlechtlichkeit („intersex“) – ein Zustand, der bei
der Geburt aufgrund ungewöhnlicher Kombinationen von männlichen und weiblichen Chromosomen, Hormo-
In der Vergangenheit rieten Mediziner:innen in solchen Fällen häufig zu einem chirurgischen Eingriff zur Geschlechtsumwandlung, um für diese Kinder eine eindeutige geschlechtliche Identität zu schaffen. In einer Studie mit 14 genetischen Jungen, die zu einem frühen Zeitpunkt einer Operation zur Geschlechtsangleichung unterzogen wurden und als Mädchen aufwuchsen, erklärten sich 6 später zu Männern, 5 lebten als Frauen, und bei 3 Personen war die Geschlechtsidentität unklar (Reiner & Gearhart, 2004; . Abb. 5.34). Bei einem berühmten Fall folgten die Eltern eines Jungen, der seinen Penis bei einer misslungenen Beschneidung verlor, dem Rat eines Psychiaters und zogen ihn als Mädchen auf, nicht als beschädigten Jungen. Bildete nun die Natur oder die Umwelt die geschlechtliche Identität dieses Kindes mit männlichen Chromosomen und Hormonen und einer weiblichen Erziehung? Obwohl sie als Mädchen aufgezogen wurde, war „Brenda“ Reimer nicht wie die anderen Mädchen. „Sie“ mochte Puppen nicht. Sie zerriss beim wild herumtollenden Spielen ihre Kleider. In der Pubertät wollte sie keine Jungen küssen. Am Ende erklärten Brendas Eltern, was geschehen war. Daraufhin legte Brenda sofort ihre weibliche Identität ab, ließ sich die Haare kurz schneiden und nahm einen Männernamen an, David. Er heiratete schließlich eine Frau, wurde Stiefvater und suizidierte sich traurigerweise später (Colapinto, 2000). Heute empfehlen Expert:innen im Allgemeinen, die Operation so lange aufzuschieben, bis das sich natürlich entwickelnde körperliche Erscheinungsbild und die geschlechtliche Identität des Kindes deutlich werden.
5
184
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
zz Geschlechtsrollen
Kulturen formen unser Verhalten, indem sie bestimmen, wie wir uns in einer bestimmten sozialen Position oder Rolle verhalten sollen. Wir können diese formende Kraft in den Geschlechtsrollen sehen – den sozialen Erwartungen, die unser Verhalten als Männer oder als Frauen leiten. Rolle („role“) – Reihe von Erwartungen (Normen) an eine
soziale Position. Sie definieren, wie sich jemand in dieser Position verhalten sollte. Geschlechtsrolle („gender role“) – Reihe von Erwartungen an das Verhalten, Einstellungen und Eigenschaften von Männern und Frauen.
5
..Abb. 5.34 „Ich bin, wer ich bin.“ Angesichts der deutlichen Leistungssteigerung der südafrikanischen Mittelstreckenläuferin Caster Semenya ordnete der Leichtathletikverband IAAF im Jahr 2009 einen Test zur Überprüfung ihres Geschlechts an. Es hieß, Semenya habe körperliche Merkmale, die weder typisch männlich noch typisch weiblich seien. Sie erhielt offiziell die Genehmigung, weiterhin als Frau an Wettkämpfen teilzunehmen. Semenya erklärte: „Gott hat mich so gemacht, wie ich bin, und ich akzeptiere mich selbst. Ich bin, wer ich bin“ (YOU, 2009). Im Jahr 2016 gewann sie eine olympische Goldmedaille. (© Kamran Jebreili/AP Photo/picture alliance)
Fazit: „Das biologische Geschlecht ist wichtig“, schließt die National Academy of Sciences (2001). Geschlechtsbezogene Gene und die damit zusammenhängenden physiologischen Prozesse führen „zu Verhaltensunterschieden und zu kognitiven Unterschieden zwischen Männern und Frauen“. Dennoch spielen auch Umweltfaktoren eine Rolle, wie wir im Folgenden sehen werden. Anlage und Umwelt arbeiten zusammen.
Soziale Einflüsse auf das Geschlecht: Kultur und Erfahrungen ?? 5.17 Wie unterscheiden sich Geschlechtsrollen und
Geschlechtsidentität?
Für viele Menschen koexistieren biologisches und soziales Geschlecht in Einklang. Die Biologie zeichnet die Umrisse und die Kultur malt die Details. Die körperlichen Merkmale, die ein neugeborenes Kind als männlich oder weiblich definieren, sind weltweit dieselben. Aber die geschlechtsspezifischen Merkmale, die bestimmen, wie Männer (oder Jungen) und Frauen (oder Mädchen) sich verhalten, miteinander umgehen oder sich selbst empfinden sollten, sind je nach Zeit und Ort verschieden (Zentner & Eagly, 2015).
Geschlechtsrollen haben weltweit innerhalb kürzester Zeit eine tiefgreifende Veränderung erfahren. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts gewährte nur ein Land auf der Welt den Frauen das Wahlrecht, nämlich Neuseeland (Briscoe, 1997). Seit 2015 ist dieses Recht in allen Ländern gewährleistet. Vor einem Jahrhundert konnten amerikanische Frauen nicht an nationalen Wahlen teilnehmen, nicht beim Militär dienen und sich nicht ohne triftigen Grund von ihrem Ehemann scheiden lassen. Und wenn eine Frau gegen Bezahlung arbeitete, war sie eher Hebamme oder Schneiderin als Chirurgin oder Hochschulprofessorin. Mittlerweile schließen in den USA mehr Frauen als Männer das College ab und knapp die Hälfte der Erwerbstätigen ist weiblich (DOL, 2015). In Deutschland lag der Anteil weiblicher Studierender 1960 sowohl in der Bundesrepublik als auch in der DDR bei etwa einem Viertel: 28 bzw. 25 % (Geißler 2002); inzwischen hat sich der Frauenanteil mit 47 % fast verdoppelt (Statistisches Bundesamt, 2013; . Abb. 5.35). In den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik) besetzen Männer derzeit die meisten akademischen Stellen (Ceci et al., 2014; Sheltzer & Smith, 2014). Als Forscher:innen US-Professor:innen einluden, Kandidat:innen für MINTPositionen zu empfehlen, gaben die meisten jedoch an, dass sie lieber hochqualifizierte Frauen als gleichermaßen qualifizierte Männer einstellen (Williams & Ceci, 2015). Die moderne Wirtschaft hat Berufe geschaffen, die keine rohe Kraft benötigen, sondern soziale Intelligenz, offene Kommunikation und die Fähigkeit, still zu sitzen und sich auf etwas zu konzentrieren (Rosin, 2010). In nomadischen Sammelgesellschaften gibt es kaum eine geschlechtsspezifische Arbeitsteilung. Jungen und Mädchen wachsen nahezu gleich auf. In Ackerbaugesellschaften hingegen arbeiten die Frauen in der Regel auf den Feldern nahe beim Haus; Männer ziehen oft ungebunden von einem Ort zum anderen und hüten die Rinder oder Schafe. Kulturen haben Kinder dahingehend geformt, dass sie deutlicher voneinander unterschiedene Geschlechtsrollen einnehmen (Segall et al., 1990; Van Leeuwen, 1978). Nehmen Sie sich eine Minute Zeit, um Ihre eigenen geschlechtsspezifischen Erwartungen zu überprüfen.
185
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind Geschlechtsrollen, und was verrät uns ihre Variation über die Lern- und Anpassungsfähigkeit des Menschen?
zz Geschlecht lernen
..Abb. 5.35 Der geschlechtsspezifische Tsunami. In Sri Lanka, Indonesien und Indien trägt die Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern dazu bei, zu erklären, warum beim Tsunami im Jahre 2004 mehr Frauen als Männer starben. In einigen Dörfern waren 80 % der Getöteten Frauen, die sich meist im Haus befanden, während die Männer eher auf dem Meer beim Fischen waren oder Arbeiten außerhalb des Haushalts verrichteten (Oxfam 2005; © Saurabh Das/AP Photo/picture alliance)
Würden Sie der folgenden Aussage zustimmen: „Wenn es wenige Arbeitsstellen gibt, sollten Männer ein größeres Recht auf eine Arbeit haben“? In Amerika, Großbritannien und Spanien stimmen kaum mehr als 12 % der Erwachsenen zu, in Nigeria, Pakistan und Indien sind es etwa 80 % (Pew, 2010). Wir sind alle Menschen – aber Mensch, wie verschieden unsere Ansichten doch sind! In Nordeuropa ist die Gleichberechtigung der Geschlechter am größten, in den Ländern des Nahen Ostens und Nordafrikas am geringsten (UN, 2015a). >>Der Anteil der Frauen, die 2016 in den nationalen
Parlamenten vertreten waren, variierte zwischen 14% in der Pazifikregion und 41% in Skandinavien (IPU, 2016).
» „Man kann Frauen und Männer nicht gleichstellen. Das
ist wider die Natur.“ Recep Tayyip Erdoǧan, Präsident der Türkei (2014)
Eine Geschlechtsrolle gibt die Erwartungen anderer an unser Denken, Fühlen und Handeln an. Unsere Geschlechtsidentität ist unser persönliches Gefühl, männlich, weiblich oder zuweilen auch eine Kombination aus beidem zu sein. Wie entwickeln wir diese persönliche Sichtweise? In der Theorie des sozialen Lernens wird angenommen, dass unsere Identität in der Kindheit erwerben, indem wir geschlechtstypisches Verhalten bei anderen beobachten und dies nachahmen und dafür belohnt bzw. bestraft werden. „Nicole, du bist so eine gute Puppenmutter“; „Große Jungen weinen nicht, Alex“. Einige Kritiker:innen sind jedoch der Meinung, dass es bei der Geschlechtsidentität um mehr geht, als nur die Eltern nachzuahmen und für bestimmte Antworten immer wieder belohnt zu werden. Sie weisen darauf hin, dass die Geschlechtstypisierung – die Einnahme einer traditionellen männlichen oder weiblichen Rolle – von Kind zu Kind variiert (Tobin et al., 2010). Eltern tragen dazu bei, die Ansichten ihrer jeweiligen Kultur zu Geschlechterfragen weiterzugeben. In einer Analyse von 43 Studien wurde festgestellt, dass Eltern mit traditionellen geschlechtsspezifischen Ansichten eher geschlechtstypisierte Kinder haben, welche die jeweiligen kulturellen Erwartungen an das Verhalten von Männern und Frauen teilen (Tenenbaum & Leaper, 2002). Wenn Väter gleichermaßen im Haushalt mitarbeiten, entwickeln ihre Töchter höhere Ambitionen auf Tätigkeiten außerhalb des Hauses (Croft et al., 2014).
» „Wir müssen die Einstellung ändern, die unsere Mädchen dazu erzieht, sittsam zu sein, und unsere Jungs dazu, selbstbewusst zu sein. Die unsere Töchter dafür kritisiert, wenn sie ihre Stimmen erheben, und unsere Söhne dafür, wenn sie eine Träne vergießen.“ Barack Obama, ehemaliger Präsident der Vereinigten Staaten (2016)
Doch ungeachtet dessen, wie sehr Eltern traditionelles geschlechtsspezifisches Verhalten fördern oder unterbinden, können Kinder sich in eine Richtung entwickeln, die sich für sie richtig anfühlt. Einige organisieren sich selbst in „Jungen- und Mädchenwelten“, die jeweils regeln, wie man sich zu verhalten hat (. Abb. 5.36). Andere gehen flexibler mit diesen Regeln um. Wieder andere scheinen Androgynie zu bevorzugen: Eine Mischung aus männlichen und weiblichen Rollen fühlt sich für sie richtig an. Androgynie hat ihre Vorzüge. Als Erwachsene sind androgyne Menschen anpassungsfähiger. Sie sind flexibler
5
186
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
..Abb. 5.36 Das soziale Lernen des sozialen Geschlechts. Kinder beobachten und imitieren elterliche Modelle. (Photo courtesy of David Myers)
5
in ihrer Handlungsweise und in ihren Karriereentscheidungen (Bem, 1993). Sie neigen dazu, widerstandsfähiger zu sein und sich selbst zu akzeptieren und sind seltener depressiv (Lam & McBride-Chang, 2007; Mosher & Danoff-Burg, 2008; Ward, 2000). Geschlechtsidentität („gender identity“) – das Gefühl
einer Person, Mann, Frau oder eine Kombination aus beidem zu sein. Theorie des sozialen Lernens („social learning theory“) – besagt, dass wir Sozialverhalten lernen, indem wir etwas beobachten und nachahmen und indem wir dafür belohnt oder bestraft werden. Geschlechtstypisierung („gender-typing“) – bezeichnet den Erwerb einer traditionell männlichen oder weiblichen Rolle. Androgynie („androgyny“) – das Aufweisen sowohl traditionell männlicher als auch weiblicher psychologischer Merkmale. Gefühle haben einen Einfluss, aber ebenso das Denken. Schon früh im Leben entwickeln wir alle Konzepte oder Schemata, die uns helfen, Sinn in unsere Umwelt zu bringen. Unsere Geschlechtsschemata organisieren unsere Erfahrungen mit typischen Jungen- oder Mädcheneigenschaften und helfen uns dabei, über unsere Geschlechtsidentität nachzudenken und darüber, wer wir sind (Bem, 1987, 1993; Martin et al., 2002). Als kleine Kinder sind wir „Detektive in Fragen des sozialen Geschlechts“ (Martin & Ruble, 2004). Schon vor unserem ersten Geburtstag können wir männliche und weibliche Stimmen und Gesichter unterscheiden (Martin et al., 2002). Nach dem Ende des 2. Lebensjahres zwingt uns die Sprache dazu, die Welt auf der Grundlage von
Geschlechtsrollen zu organisieren. Es werden z. B. die Pronomina „er“ und „sie“ benutzt, viele Sprachen klassifizieren Objekte als männlich („der Zug“) oder weiblich („die Gabel“). Haben Kinder erst einmal begriffen, dass es zwei Sorten von Menschen gibt – und dass sie selbst zu einer dieser beiden Sorten gehören –, suchen sie nach Hinweisreizen für das Geschlecht. In jeder Kultur teilen Menschen ihr soziales Geschlecht auf vielfältige Weise mit. Ihr geschlechtsspezifischer Ausdruck ist nicht nur in ihrer Sprache, sondern auch in ihrer Kleidung, ihren Interessen und Habseligkeiten erkennbar. Nachdem 3-Jährige solche Hinweisreize gefunden haben, teilen sie die Welt möglicherweise in zwei Hälften ein. Sie sind dann lieber mit Angehörigen ihres eigenen Geschlechts zusammen und wählen sich ihre eigene Gruppe zum Spielen aus. „Mädchen“, könnten sie entscheiden, sind diejenigen, die My Little Pony anschauen und lange Haare haben. „Jungen“ schauen Transformers und tragen keine Kleider. Ausgerüstet mit ihren neu gesammelten „Beweisen“ passen sie dann ihr Verhalten an ihre Vorstellung von Geschlecht an. Die Rigidität der Stereotype über Jungen und Mädchen erreicht im Alter von etwa 5 oder 6 Jahren ihren Höhepunkt. Wenn die neue Nachbarin ein Mädchen ist, nimmt ein 6-jähriger Junge vielleicht an, dass er keine gemeinsamen Interessen mit ihr hat. Bei kleinen Kindern spielen Geschlechtsschemata eine große Rolle. Bei transidentischer Persönlichkeit stimmt die Geschlechtsidentität nicht mit den Verhaltensweisen oder Merkmalen, die als typisch für das Geburtsgeschlecht dieser Person gelten, überein (APA, 2010; Bockting, 2014). Selbst als 5- bis 12-Jährige fühlen sich Kinder mit transidentischer Persönlichkeit in der Regel eher ihrem ausgedrückten Geschlecht als ihrem biologischen Ge-
187
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
schlecht bei der Geburt (Olson et al., 2015b) zugehörig. So mag eine Person sich von Kindheit an wie ein Mann in einem Frauenkörper fühlen oder wie eine Frau in einem Männerkörper. Der Biologe Robert Sapolsky (2015) erklärt: „Es ist nicht so, dass diese Personen denken, sie hätten ein anderes Geschlecht. Es geht darum, dass sie in Körpern gefangen sind, die ein anderes Geschlecht haben als das, was sie eigentlich sind.“ In den meisten Ländern der Welt ist es nicht leicht, eine transidentische Persönlichkeit zu haben. In einer nationalen Umfrage unter lesbischen, schwulen, bisexuellen und transidentischen Amerikaner:innen sahen 71 % „etwas“ oder „viel“ gesellschaftliche Akzeptanz für schwule Männer und 85 % für lesbische Frauen. Aber nur 18 % sahen eine ähnliche Akzeptanz für Personen mit transidentischer Persönlichkeit (Sandstrom, 2015), von denen in den Vereinigten Staaten etwa 1,4 Millionen leben (Flores et al. 2016). Und das ist die Erfahrung von Personen mit transidentischer Persönlichkeit: 46 % von ihnen berichteten in einer Umfrage unter 27.175 Amerikaner:innen mit transidentischer Persönlichkeit, im letzten Jahr verbal belästigt worden zu sein (James et al., 2016). In der Psychiatrie gilt geschlechtsspezifische Nonkonformität nicht mehr als psychische Störung, weshalb Personen mit transidentischer Persönlichkeit nicht mehr mit einer „Geschlechtsidentitätsstörung“ diagnostiziert werden. Aber einige Personen mit transidentischer Persönlichkeit können (was angesichts der sozialen Ablehnung nicht überraschend ist) tiefes Leid erfahren und mit einer Geschlechtsdysphorie diagnostiziert werden. Manchmal versuchen Menschen mit transidentischer Persönlichkeit, ihr äußeres Erscheinungsbild und ihr Alltagsleben mit ihrer inneren Geschlechtsidentität in Einklang zu bringen. Hirnscans zeigen, dass diejenigen, die eine medizinische Geschlechtsumwandlung wünschen, einige Nervenbahnen haben, die sich von denen unterscheiden, deren Geschlechtsidentität mit ihrem biologischen Geschlecht bei der Geburt übereinstimmt (Kranz et al., 2014; Van Kesteren et al., 1997). Dabei ist zu beachten, dass sich Geschlechtsidentität von sexueller Neigung unterscheidet. Menschen mit transidentischer Persönlichkeit können sich zu Menschen des anderen Geschlechts, desselben Geschlechts, beider Geschlechter oder zu niemandem sexuell hingezogen fühlen. Unsere sexuelle Neigung ist, wie manche sagen, diejenige Person, mit der wir uns vorstellen, ins Bett zu gehen; unsere Geschlechtsidentität ist die Person, als die wir ins Bett gehen (. Abb. 5.37). Transidentische Persönlichkeit („transgender“) – Über-
begriff für Personen, deren Geschlechtsidentität oder Ausdruck ihres Geschlechts sich von dem, was man mit ihrem Geburtsgeschlecht assoziiert, unterscheidet.
..Abb. 5.37 „Mein Vater … ist … eine Frau.“ Das sagte Mark Morris (2015) über seinen berühmten Elternteil, die transsexuelle walisische Schriftstellerin Jan Morris. Nach einer Operation zur Geschlechtsangleichung im Jahr 1973 war Jan Morris per Gesetz gezwungen, sich von Marks Mutter scheiden zu lassen. „Sie lebten weiterhin in einem bemerkenswert starken Ehebündnis zusammen“, bis sie erneut heirateten, als gleichgeschlechtliche Ehen in Großbritannien legal wurden. (© Yui Mok/empics/picture alliance)
5.3.4
Überlegungen zu Anlage und Umwelt
?? 5.18 Wie beeinflussen Natur, Umwelt und unsere
eigenen Entscheidungen Geschlechtsrollen?
„Es gibt triviale Wahrheiten und große Wahrheiten“, so die Überlegungen des Physikers Niels Bohr zu einigen Paradoxen der modernen Wissenschaft. „Das Gegenteil einer trivialen Wahrheit ist einfach falsch. Das Gegenteil einer großen Wahrheit kann allerdings auch wahr sein.“ Die Geschichte unserer Vorfahren leistete einen wesentlichen Beitrag zu unserer Entwicklung als Spezies. Dort, wo es Veränderung, eine natürliche Selektion und Vererbung gibt, findet auch Evolution statt. Als sich die Eizelle der Mutter mit der Samenzelle des Vaters vereinigte, prädisponierte uns die dabei entstandene einzigartige Genkombination sowohl zu unseren Gemeinsamkeiten als Menschen als auch zu unseren individuellen Unterschieden. Unsere Gene prägen uns. Dies ist eine große Wahrheit über die menschliche Natur. Doch auch unsere Erfahrungen leisten einen wesentlichen Beitrag zu unserer Entwicklung. Wir lernen in der Familie und in den sozialen Beziehungen zu den Menschen unserer Generation, wie wir denken und handeln sollen. Sogar anlagebedingte Unterschiede können durch
5
188
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
..Abb. 5.38 Der biopsychosoziale Ansatz zur Entwicklung
Biologische Einflüsse: Gemeinsames Genom des Menschen Individuelle genetische Unterschiede Pränatale Umwelt Geschlechtsspezifische Gene, Hormone und Physiologie
• • • •
Psychologische Einflüsse:
• Anlage-Umwelt-Interaktion Auswirkungen früher Erfahrungen • Neurologische Reaktionen, die von unserem eigenen Temperament, • Geschlecht etc. hervorgerufen werden • Überzeugungen, Gefühle und Erwartungen Individuelle Entwicklung
5 Soziokulturelle Einflüsse: Einflüsse vonseiten der Eltern Einflüsse vonseiten der Gleichaltrigen Kultureller Individualismus oder Kollektivismus Geschlechtsbezogene Normen einer Kultur
• • • •
äußere Einflüsse und Erfahrung verstärkt werden. Wenn die genetische Ausstattung und die Hormone Männer dazu prädisponieren, sich körperlich aggressiver zu verhalten als Frauen, mag die Kultur diesen Geschlechtsunterschied noch verstärken. Dies geschieht anhand von Normen, die Männer zu einem Machoverhalten und Frauen zu der Rolle als Repräsentantinnen des freundlicheren und sanfteren Geschlechts ermutigen. Wenn Männer stärker in Rollen gedrängt werden, die körperliche Kraft erfordern, und Frauen zu Rollen, die mit der Erziehung von Kindern zu tun haben, dann zeigen vielleicht beide Geschlechter genau das Verhalten, das von ihnen erwartet wird. Die Rollen definieren ihre Inhaber:innen. Präsident:innen verhalten sich während ihrer Präsident:innenschaft zunehmend präsident:innenhaft, während sich Bedienstete immer stärker als Bedienstete geben. In ähnlicher Weise prägen uns Geschlechtsrollen. Aber die Unterschiede zwischen den Geschlechtsrollen schwinden. In dem Maße, in dem die rohe Kraft für Macht und Status immer irrelevanter geworden ist (denken Sie etwa an die „Philanthrokapitalisten“ Priscilla Chan und Mark Zuckerberg). Zwischen 1965 und 2016 stieg der Frauenanteil unter den Medizinstudierenden in den USA von 9 auf 47 % (AAMC, 2014, 2016). Im Jahr 1965 widmeten verheiratete Frauen in den USA achtmal so viele Stunden dem Haushalt wie ihre Ehemänner; im Jahr 2012 hatte sich dieser Abstand auf weniger als doppelt so viele Stunden verringert (Parker & Wang, 2013; Sayer, 2016). Solche raschen Veränderungen zeigen, dass die Biologie keine festen Geschlechtsrollen vorgibt. Wenn uns nun beides prägt, Anlage und Umwelt, sind wir dann nichts anderes als ein „Produkt“ aus Anlage und Umwelt? Sind wir rigide auf etwas festgelegt? Wir sind das Produkt aus Anlage und Umwelt, doch darüber hinaus sind wir auch ein offenes System (. Abb. 5.38). Gene durchdringen alles, sind aber nicht allmächtig. Manchmal trotzen Menschen ihrem geneti-
schen Drang zur Fortpflanzung, ihrer evolutionären Rolle. Auch die Kultur durchdringt alle Bereiche, sie ist aber nicht allmächtig. Manchmal widerstehen Menschen dem Druck ihres Freundeskreises und widersetzen sich sozialen Erwartungen. Außerdem können wir Anlage und Umwelt nicht als Rechtfertigung für unser Versagen heranzuziehen, indem wir es schlechten Genen oder schlechten Einflüssen anlasten. Tatsächlich sind wir sowohl Geschöpfe als auch Schöpfende unserer je eigenen Welt. So vieles an uns – einschließlich unserer Geschlechtsrollen – ist das Produkt unserer Gene und unserer Umwelten. Dennoch sind an der Kausalkette, die unsere Zukunft bestimmt, unsere momentanen Entscheidungen beteiligt. Unsere Entscheidungen von heute beeinflussen unsere Umwelt von morgen. Die menschliche Umwelt ist nicht wie das Wetter, das sich einfach ereignet. Vielmehr sind wir die Architekten unserer Umwelt. Unsere Hoffnungen, Ziele und Erwartungen wirken sich auf unsere Zukunft aus. Genau dies führt dazu, dass sich Kulturen so stark unterscheiden und verändern. Dafür haben wir den Verstand. zz Ein Wort zum Schluss …
Wir wissen aus unserer Post und aus Meinungsumfragen, dass einige Lesende nicht so glücklich damit sind, dass der Naturalismus und die Evolutionstheorie in der heutigen Forschung einen solch wichtigen Platz einnehmen. (Ein Hinweis für die Lesenden aus anderen Ländern: In den USA gibt es eine große Kluft zwischen den wissenschaftlichen Ansichten zur Evolution und denjenigen der Laien.) „Die Vorstellung, dass der menschliche Verstand ein Produkt der Evolution ist, … ist eine unanfechtbare Tatsache“, verkündete ein Leitartikel 2007 in der Zeitschrift Nature, einem führenden Wissenschaftsmagazin. In seinem Buch The Language of God (dtsch. Die Sprache Gottes) trägt der Leiter des Human Genome Project Francis Collins (2006, S. 141, 146), nach eigener Beschreibung Protestant, „absolut überzeugende“ Beweise
5.3 • Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
zusammen, die ihn schlussfolgern lassen, dass Darwins große Idee „unzweifelhaft korrekt“ ist. Dennoch berichtet Gallup, dass 42 % der erwachsenen Amerikaner:innen glauben, der Mensch sei „ziemlich genau in seiner heutigen Form“ innerhalb der letzten 10.000 Jahre geschaffen worden (Newport, 2014). Viele von denjenigen, die die wissenschaftliche Sichtweise anzweifeln, befürchten, dass eine Wissenschaft des Verhaltens (und im Speziellen eine evolutionstheoretische Wissenschaft) unser Gefühl für die Schönheit, das Geheimnis und die geistige Bedeutung des menschlichen Wesens zerstören wird. Für diejenigen, die davon betroffen sind, haben wir einige beruhigende Gedanken.
» „Hoffen wir, dass es nicht wahr ist; aber falls es wahr ist, hoffen wir, dass nicht viele es wissen werden.“ Lady Ashley, Kommentar zu Darwins Evolutionstheorie
Als Isaac Newton den Regenbogen als Licht mit unterschiedlichen Wellenlängen erklärte, befürchtete der britische Poet John Keats, dass Newton die geheimnisvolle Schönheit des Regenbogens zerstört hatte. Doch Newtons Analyse, so der Evolutionsbiologe Richard Dawkins (1998) in seinem Buch Unweaving the Rainbow (dtsch. Der entzauberte Regenbogen), führte zu einem noch größeren Mysterium – Einsteins Relativitätstheorie. Nichts an Newtons Optik muss unsere Wertschätzung der eindrucksvollen Eleganz eines Regenbogens, der sich über den aufhellenden Himmel wölbt, verringern.
» „Es ist nicht beunruhigend, zu verstehen, wie die Welt tatsächlich funktioniert – dass weißes Licht aus Farben besteht, dass die Farbe die Länge der Lichtwelle bestimmt, dass durchsichtige Luft Licht reflektiert …? Es schadet der Romantik eines Sonnenuntergangs nicht, ein bisschen darüber zu wissen.“ Carl Sagan, Skies of Other Worlds (1988)
Als Galileo Belege dafür sammelte, dass die Erde sich um die Sonne dreht und nicht umgekehrt, fand er keinen unwiderlegbaren Beweis für seine Theorie. Er bot eher eine schlüssige Erklärung für eine Vielzahl von Beobachtungen, wie die sich verändernden Schatten, die von den Bergen auf dem Mond geworfen wurden. Seine Erklärung trug am Ende den Sieg davon, denn sie erklärte die Dinge auf eine Art, die Sinn machte und kohärent war. Ebenso ist Darwins Evolutionstheorie eine stimmige Darstellung der Geschichte der Natur. Sie bietet ein Organisationsprinzip, das verschiedene Beobachtungen miteinander in Einklang bringt. Viele gläubige Personen sehen die wissenschaftliche Vorstellung der menschlichen Herkunft als mit ihrer Spiritualität kompatibel an. Im 5. Jahrhundert schrieb Augustinus von Hippo (zit. nach Wilford, 1999): „Das Universum begann zu existieren, als es noch nicht fertig geformt war. Aber es wurde beschenkt mit der Möglichkeit, sich aus ungeformter Materie in eine wahrhaftig
189
wunderbare Anordnung von Strukturen und Lebensformen zu verwandeln.“ Etwa 1600 Jahre später begrüßte Papst Franziskus 2014 einen Dialog zwischen Wissenschaft und Religion und sagte Folgendes: „Die Evolution in der Natur ist nicht unvereinbar mit der Vorstellung der Schöpfung, weil die Evolution die Erschaffung von Wesen erfordert, die sich entwickeln.“ Währenddessen sind viele Wissenschaftler:innen von Ehrfurcht ergriffen in Anbetracht des zunehmenden Verständnisses des Universums und des menschlichen Wesens. Die Vorstellung ist einfach umwerfend – das ganze Universum, das vor 14 Milliarden Jahren aus einem Punkt herausspringt und sofort zu kosmologischer Größe anwächst. Wäre die Energie des Urknalls nur das kleinste bisschen geringer gewesen, wäre das Universum wieder in sich selbst zusammengefallen. Wäre die Energie das kleinste bisschen größer gewesen, wäre das Resultat eine Suppe gewesen, die zu dünn gewesen wäre, um Leben zu ermöglichen. Der Astronom Sir Martin Rees beschrieb in seinem Buch Just Six Numbers (1999, dtsch. Nur sechs Zahlen) sechs Zahlen, die bei der leichtesten Veränderung einen Kosmos produzieren würden, in welchem Leben nicht möglich wäre. Wäre die Erdanziehungskraft ein bisschen stärker oder schwächer oder das Gewicht eines Kohlenstoffprotons ein winziges bisschen anders gewesen, hätte unser Universum nicht funktioniert. Was verursachte dieses fein abgestimmte Universum, das fast zu gut ist, um wahr zu sein? Warum ist hier etwas statt nichts? Wie wurde es, um es mit den Worten des Harvard Astrophysikers Owen Gingerich (1999) zu sagen, „so außergewöhnlich richtig, dass es scheint, das Universum wurde ausdrücklich dazu konzipiert, intelligente, empfindsame Wesen zu erzeugen“? Bei solchen Themen ist ein demütiges, ehrfürchtiges wissenschaftliches Schweigen angemessen, meinte der Philosoph Ludwig Wittgenstein: „Worüber man nicht sprechen kann, darüber soll man schweigen.“ Statt die Wissenschaft zu fürchten, können wir ihr Vermögen, unseren Verstand zu erweitern und unsere Ehrfurcht zu wecken, begrüßen. In seinem Buch The Fragile Species (dtsch. Die fragile Spezies) beschrieb Lewis Thomas (1992) sein großes Erstaunen darüber, dass die Erde seinerzeit Bakterien hervorbrachte und schließlich Bachs Messe in h-Moll. In der kurzen Zeitspanne von vier Milliarden Jahren wurde das Leben auf der Erde von einem Nichts zu so komplexen Strukturen wie einem sechs Milliarden Einheiten umfassenden DNA-Strang und der unglaublichen Komplexität des menschlichen Gehirns. Atome, die sich nicht von denjenigen unterschieden, die einen Stein bildeten, formten irgendwie dynamische Einheiten, die außergewöhnliche, sich selbst reproduzierende, informationsverarbeitende Systeme – uns – hervorbrachten (Davies, 2007). Obwohl es scheint, dass wir aus Staub erschaffen wurden, ist das Resultat nach Äonen ein unschätzbares Lebewesen, mit einem Potenzial, das weit über unsere Vorstellungen hinausgeht.
5
Kapitel 5 • Anlage, Umwelt und die Vielfalt der Menschen
190
» „Die Gründe für die Geschichte des Lebens (können) das
Rätsel vom Sinn des Lebens nicht lösen.“ Stephen Jay Gould, Rock of Ages: Science and Religion in the Fullness of Life (1999)
5.3.5
5
Rückblick: Kultur, soziales Geschlecht und andere Umwelteinflüsse
Verständnisfragen
5.9 – Wie können frühe Erfahrungen das Gehirn ver-
ändern? 5.10 – Inwiefern formen Eltern und Gleichaltrige die Entwicklung eines Kinds? 5.11 – Wie beeinflusst Kultur unser Verhalten? 5.12 – Wie unterscheiden sich individualistische und kollektivistische Kulturen in ihren Werten und Zielen? 5.13 – Wie unterscheidet sich das soziale vom biologischen Geschlecht? 5.14 – Welche biologischen und psychologischen Ähnlichkeiten sowie Unterschiede gibt es zwischen Männern und Frauen? 5.15 – Welche Faktoren tragen zu geschlechtsspezifischen Vorurteilen am Arbeitsplatz bei? 5.16 – Wie beeinflussen Geschlechtshormone die pränatale und jugendliche geschlechtliche Entwicklung und was ist Intergeschlechtlichkeit? 5.17 – Wie unterscheiden sich Geschlechtsrollen und Geschlechtsidentität? 5.18 – Wie beeinflussen Natur, Umwelt und unsere eigenen Entscheidungen Geschlechtsrollen?
----------
Schlüsselbegriffe Aggression Androgynie Biologisches Geschlecht (sex) Geschlechtsidentität Geschlechtsrolle Geschlechtstypisierung Individualismus Intergeschlechtlichkeit Kollektivismus Kultur Menarche Norm Primäre Geschlechtsmerkmale Pubertät Relationale Aggression Rolle Sekundäre Geschlechtsmerkmale Soziales Geschlecht (gender)
----
Spermarche Testosteron Theorie des sozialen Lernens Transidentische Persönlichkeit X-Chromosom Y-Chromosom
Master the Material 1. Individualistische Kulturen schätzen eher ___; kollektivistische Kulturen schätzen eher ___. a. Interdependenz; Unabhängigkeit. b. Unabhängigkeit; Interdependenz c. Solidarität; Einzigartigkeit d. Pflicht; Erfüllung 2. In der Psychologie bezeichnet ___ die biologisch beeinflussten Merkmale, nach denen wir männlich und weiblich definieren. Die gesellschaftlich beeinflussten Merkmale, anhand derer wir Jungen, Mädchen, Mann und Frau definieren, nennt man ___. 3. Weibliche und männliche Personen sind einander sehr ähnlich. Aber sie unterscheiden sich unter anderem darin, dass … a. … weibliche Personen körperlich aggressiver sind als männlich. b. … männliche Personen in Führungsrollen demokratischer sind als weibliche. c. … weibliche Personen als Kinder eher in kleinen, männliche eher in großen Gruppen spielen. d. … weibliche Personen mit größerer Wahrscheinlichkeit Suizid begehen. 4. Eine befruchtete Eizelle wird sich zu einem Jungen entwickeln, wenn sie vom Vater ein ___-Chromosom erhält. 5. Primäre Geschlechtsmerkmale beziehen sich auf ___; sekundäre Geschlechtsmerkmale beziehen sich auf ___. a. die Spermarche; die Menarche b. Brüste und Gesichtsbehaarung; Eierstöcke und Hoden c. die emotionale Reife; Hormonschwankungen d. die Fortpflanzungsorgane; die nicht zur Fortpflanzung erforderliche Merkmale 6. Im Durchschnitt kommen Mädchen etwa im Alter von ___ Jahren in die Pubertät, Jungen etwa im Alter von ___ Jahren. 7. Eine Person, die mit einer sexuellen Anatomie geboren wurde, die sich von der typischen männlichen oder weiblichen Anatomie unterscheidet, kann als ___ betrachtet werden. 8. Die Geschlechtsrolle bezieht sich auf … a. … unser persönliches Gefühl, männlich oder weiblich zu sein. b. … unsere kulturellen Erwartungen hinsichtlich der „richtigen“ Art und Weise, wie sich Männer und Frauen verhalten sollen.
Weiterführende deutsche Literatur
c. … unser biologisches Geschlecht bei der Geburt – unsere Chromosomen und Anatomie. d. … diejenigen Merkmale, die für beide Geschlechter gleich sind. 9. Unser Gefühl, männlich, weiblich oder eine Kombination aus beidem zu sein, nennt man ___.
Weiterführende deutsche Literatur Hennig, W. (2010). Genetik (5. Aufl.). Heidelberg: Springer. Kasten, H. (2003). Weiblich – männlich: Geschlechterrollen durchschauen. München: Reinhardt. Lautenbacher, S., Güntürkün, O., & Hausmann, M. (2007). Gehirn und Geschlecht. Heidelberg: Springer. Wink, M. (Hrsg.). (2001). Vererbung und Milieu. Heidelberg: Springer.
191
5
193
Entwicklung über die Lebensspanne Inhaltsverzeichnis 6.1
Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen – 194
6.1.1 6.1.2 6.1.3
Hauptfragen der Entwicklungspsychologie – 194 Pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen – 197 Rückblick: Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen – 201
6.2
Kleinkindalter und Kindheit – 202
6.2.1 6.2.2 6.2.3 6.2.4
Körperliche Entwicklung – 202 Kognitive Entwicklung – 204 Soziale Entwicklung – 215 Rückblick: Kleinkindalter und Kindheit – 224
6.3
Adoleszenz – 226
6.3.1 6.3.2 6.3.3 6.3.4 6.3.5
Körperliche Entwicklung – 227 Kognitive Entwicklung – 229 Soziale Entwicklung – 232 Übergang ins Erwachsenenalter – 236 Rückblick: Adoleszenz – 238
6.4
Erwachsenenalter – 238
6.4.1 6.4.2 6.4.3 6.4.4
Körperliche Entwicklung – 239 Kognitive Entwicklung – 243 Soziale Entwicklung – 246 Rückblick: Erwachsenenalter – 252
Weiterführende deutsche Literatur – 253
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_6
6
194
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Das Leben ist eine Reise, vom Bauch bis zur Bahre. Das gilt für mich [DM] ebenso wie für Sie. Unsere Geschichten begannen jeweils mit einem Mann und einer Frau, die mehr als 20.000 Gene zu einer Eizelle zusammenbrachten, die schließlich zu einem einzigartigen Menschen heranwuchs. Jene Gene codierten die Proteinbausteine, die mit erstaunlicher Präzision unsere Körper hervorbrachten und unsere Persönlichkeitsmerkmale vorbestimmten. Meine Großmutter vermachte meiner Mutter eine seltene Einschränkung des Gehörs, das sie ihrerseits an mich weitergab (nicht gerade ihr schönstes Geschenk). Mein Vater war ein liebenswerter Extravertierter und auch mir fällt es manchmal schwer, mit dem Reden aufzuhören, obwohl ich als Kind schwer stotterte (weswegen ich in der Seattle Public Schools eine Sprachtherapie bekam). Gemeinsam mit den Anlagen meiner Eltern wurde mir auch ihre Umwelt zuteil. Genau wie Sie wuchs auch ich in einer ganz bestimmten Familie innerhalb einer ganz bestimmten Kultur auf, die ihre ganz eigene Weltanschauung vertritt. Mein persönliches Wertesystem setzt sich aus mehreren Einflüssen zusammen: einem familiären Umfeld voll von Unterhaltungen und gemeinsamem Lachen, einem religiösen Umfeld, das Liebe und Gerechtigkeit lehrt, und einem akademischen Umfeld, das zum kritischen Denken anregt (etwa mit den Fragen: Was meinst du damit? Woher weißt du das?). Sowohl unsere Gene als auch unsere Umgebung formen uns, sodass sich unsere Lebensgeschichten voneinander unterscheiden. Doch in vielerlei Hinsicht sind wir genau wie die meisten anderen Menschen dieser Welt. Als Menschen teilen wir das Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Meine mentale Videothek, die nach meinem vierten Lebensjahr einsetzt, ist voller Aufzeichnungen, die soziale Bindungen zeigen. Mit der Zeit wurde die Beziehung zu meinen Eltern immer sporadischer, während neue Freundschaften mit Gleichaltrigen entstanden. Nachdem mir in der High School der Mut gefehlt hatte, mit Mädchen auszugehen, verliebte ich mich in eine Kommilitonin an der Universität und heiratete mit 20. Die natürliche Selektion prädisponiert uns, zu überleben und unsere Gene weiterzugeben, und tatsächlich bekamen wir zwei Jahre später ein Kind und ich wurde vertraut mit einer neuen Form der Liebe, deren Stärke mich überraschte. Aber Leben bedeutet Veränderung. Dieses Kind und sein Bruder leben heute 2000 Meilen entfernt und ihre Schwester fand ihre eigene Berufung in Südafrika. Das enge Gummiband, das Eltern und Kinder zusammenhält, hat sich gelöst, wie es gewiss auch bei Ihnen irgendwann der Fall war. Veränderungen bestimmen auch das Berufsleben. Für mich bedeutete das den Übergang von der Arbeit in der Versicherungsagentur meiner Familie als Jugendlicher über ein auf den Arztberuf vorbereitendes Chemiestudium mit Stelle als Krankenpfleger zum Psychologieprofessor und Autor (nachdem ich meine halb ausgefüllte Bewerbung für die Medical School verworfen hatte). Ich
bin mir sicher, dass auch Sie in zehn Jahren etwas tun werden, das Sie heute noch nicht erahnen können. Auch Stabilität bestimmt unsere Entwicklung: Unsere Lebensumstände ändern sich, aber wir erleben uns als beständiges Selbst. Wenn ich in den Spiegel schaue, sehe ich nicht den Menschen, der ich einmal war, aber ich fühle mich wie derjenige, der ich schon immer gewesen bin. Ich bin dieselbe Person, die im späten Jugendalter Basketball spielte und die Liebe entdeckte. Ein halbes Jahrhundert später spiele ich noch immer Basketball und liebe (mit weniger Leidenschaft, aber mehr Sicherheit) dieselbe Lebenspartnerin, mit der ich die Freuden und Sorgen des Lebens teile. Kontinuität wandelt sich über die Lebensphasen – aufwachsen, Kinder großziehen, eine Karriere genießen und schließlich der letzte Lebensabschnitt, der meine Anwesenheit erfordert. Während ich mich in diesem Kreislauf von Leben und Tod bewege, denke ich daran, dass das Leben eine Reise ist, ein fortlaufender Entwicklungsprozess, von der Natur gesät und von der Umwelt geformt, durch Liebe beseelt und durch Arbeit fokussiert, dass es mit weit aufgerissenen, neugierigen Augen begann und – für diejenigen, die das Glück haben, ein gesundes hohes Alter zu erreichen – mit Frieden und nie endender Hoffnung seinen Abschluss findet. Im Laufe unseres Lebens wachsen wir vom Neugeborenen zum Kleinkind, vom Kleinkind zum Teenager und vom Teenager zum Erwachsenen heran. Jeder von uns durchläuft diesen Weg der körperlichen, kognitiven und sozialen Entwicklung. Wir beginnen mit der pränatalen Entwicklung und dem Neugeborenen. Danach richten wir unsere Aufmerksamkeit auf das Kleinkindalter und Kindheit, die Adoleszenz und schließlich auf das Erwachsenenalter. 6.1
Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
6.1.1 Hauptfragen
der Entwicklungspsychologie
?? 6.1 Mit welchen drei Fragestellungen befassen sich
Entwicklungspsycholog:innen?
Forschende finden die menschliche Entwicklung aus denselben Gründen interessant wie die meisten anderen von uns – sie wollen mehr darüber verstehen, wie wir zu unserem heutigen Selbst geworden sind und wie wir uns in den kommenden Jahren verändern könnten. Die Entwicklungspsychologie befasst sich mit der physischen, kognitiven und sozialen Entwicklung über die Lebensspanne. Bei dieser Forschung geht es immer wieder um drei große Themen:
6.1 • Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
195
1. Anlage und Umwelt: Wie wirken unsere genetischen Anlagen („nature“) mit unseren Erfahrungen („nurture“) zusammen, um unsere Entwicklung zu beeinflussen? (Dies haben wir in 7 Kap. 5 behandelt.) 2. Kontinuität und stufenweiser Verlauf: Welche Bereiche der Entwicklung sind ein geradliniger und kontinuierlicher Prozess, der wie eine Fahrt im Lift vor sich geht? Welche Bereiche erfolgen abrupt in einer Abfolge verschiedener Stufen, so wie man die Sprossen einer Leiter emporsteigt? 3. Stabilität und Veränderung: Welche unserer Eigenschaften bleiben über unser ganzes Leben hinweg erhalten? Wie verändern wir uns mit dem Alter? Entwicklungspsychologie („developmental psychology“)
– Teildisziplin der Psychologie, die die im Verlauf des Lebens auftretenden Veränderungen auf der physischen, kognitiven und sozialen Ebene untersucht.
» „Anlage ist alles, was der Mensch mit sich in die Welt
bringt; Erfahrung ist jeder Einfluss, der nach seiner Geburt Einfluss auf ihn nimmt.“ Francis Galton, English Men of Science (1874)
Kontinuierliche und stufenweise Entwicklung Unterscheiden sich Erwachsene und Kinder auf die gleiche Weise, wie die alte Eiche sich vom Eichenschößling unterscheidet – ein Unterschied, der auf allmählichem Wachstum beruht? Oder lässt sich der Unterschied zwischen Erwachsenen und Kindern eher mit dem zwischen Raupe und Schmetterling vergleichen? Durchlaufen wir in unserer Entwicklung verschiedene Stadien? Grob gesehen gibt es zwei Richtungen in der Entwicklungspsychologie: Die Wissenschaftler:innen, die den Akzent auf Lernen und Erfahrung legen, sehen Entwicklung normalerweise als langsamen, kontinuierlichen Prozess der Ausformung. Steht aber die biologische Reifung im Vordergrund, dann wird Entwicklung als eine Abfolge durch genetische Prädispositionen festgelegter Stufen oder Schritte gesehen; die Stufen können schnell oder langsam durchlaufen werden, doch die Reihenfolge ist für alle Menschen die gleiche (. Abb. 6.1). Gibt es in der psychischen Entwicklung diese scharf voneinander abgegrenzten Stadien, die wir aus der körperlichen Entwicklung kennen, bei der jedes Kind erst krabbelt, ehe es zu laufen beginnt? Die Stufentheorien, die wir kennenlernen werden – Jean Piaget und seine Theorie von den Stadien der kognitiven Entwicklung, desgleichen die Stufen der moralischen Entwicklung, die Lawrence Kohlberg definierte, und nicht zuletzt die von Erik Erikson beschriebenen Stufen der psychosozialen Entwicklung – gehen von einer stufenweisen Entwicklung aus (. Abb. 6.2). Aber wie wir auch sehen werden, meldet die Forschung Zweifel an der Vorstellung an, dass das Leben in klar definierten, altersbedingten Stufen abläuft.
..Abb. 6.1 Lebensphasen. (© Shannon Wheeler)
Obwohl sich viele moderne Entwicklungspsycholog:innen nicht als Stufentheoretiker:innen sehen, bleibt das Stufenkonzept auch weiterhin nützlich. In Kindheit und Jugend durchläuft das Gehirn des Menschen Phasen raschen Wachstums, die in etwa den Stadien von Piagets Modell entsprechen (Thatcher et al., 1987). Darüber hinaus stärken Stadientheorien die Betrachtungsweise der Entwicklung über die gesamte Lebensspanne, indem sie Annahmen darüber formulieren, auf welche Weise Personen einer bestimmten Altersgruppe denken und handeln, wenn sie älter werden.
Stabilität und Veränderung Bleibt die Persönlichkeit eines Menschen über die Zeit hinweg konstant oder verändert sie sich? Wenn Sie einen alten Schulfreund wieder treffen, den Sie seit der Schulzeit nicht gesehen haben, erkennen Sie dann sofort den „guten alten Peter“ wieder? Oder ist der Mensch, den Sie heute treffen, nicht mehr derselbe wie damals? (Zumindest einer meiner [DMs] Bekannten würde letzter Aussage zustimmen. Er erkannte eine ehemalige Klassenkameradin auf einem Klassentreffen 40 Jahre nach dem College nicht. Die entgeisterte Klassenkameradin war vor langer Zeit seine erste Ehefrau gewesen!) Unser Leben ist sowohl von Stabilität als auch von Veränderung geprägt. Einige unserer Merkmale, wie etwa unser Temperament, sind sehr stabil: Ein Forschendenteam, das 1000 Personen im Alter von 3 bis 38 Jahren untersuchte, war erstaunt über die Beständigkeit von Temperament und Emotionalität über die Jahre hinweg (Moffitt et al., 2013; Slutske et al., 2012). Verhaltensauffällige 3-Jährige wurden
-
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
196
Lawrence Kohlberg Präkonventionelle Moral
Konventionelle Moral
Postkonventionelle Moral bei manchen
Erik Erikson Urver- Autonomie trauen
Initiative
Kompetenz
Identität
Intimität
Generativität
Integrität
Jean Piaget Sensomotorisch
Geburt
6
1
2
Präoperatorisch
3
4
5
Konkretoperatorisch 6
7
8
9
10
Formal-operatorisch
11
12
13
14
Tod
Alter in Jahren ..Abb. 6.2 Stadientheorien im Vergleich. (Vielen Dank an Dr. Sandra Gibbs, Muskegon Community College, für die Inspiration zu diesem Schaubild)
am ehesten zu rauchenden Jugendlichen oder spielsüchtigen bzw. kriminellen Erwachsenen. In einer anderen Studie hatten 6-jährige kanadische Jungen mit Verhaltensproblemen ein 4-mal höheres Risiko als andere Jungen, bis zum Alter von 24 Jahren wegen eines Gewaltverbrechens verurteilt zu werden (Hodgins et al., 2013). Ein anderes Team zeigte, dass Extraversion bei britischen 16-Jährigen die zukünftige Zufriedenheit als 60-Jährige vorhersagte (Gale et al., 2013). Und diejenigen, die auf Fotos aus der Kindheit und im Studienalter am strahlendsten lächeln, haben später mit größerer Wahrscheinlichkeit eine beständige Ehe (Hertenstein et al., 2009; . Abb. 6.3). Eine Studie über einen Zeitraum von 40 Jahren ergab, dass verantwortungsbewusste Grundschulkinder sogar ihre unkontrollierten Klassenkamerad:innen überleben (Spengler et al., 2016).
-
-
„Wie mit 7, so mit 70“ besagt ein jüdisches Sprichwort. Die Leute gehen davon aus, dass sie sich in Zukunft nicht großartig verändern werden (Quoidbach et al., 2013). In gewisser Weise haben Sie Recht. Je älter Menschen werden, desto mehr festigt sich ihre Persönlichkeit (Briley & Tucker-Drob, 2014; Specht et al., 2014; . Abb. 6.4). Allerdings können wir nicht alle Aspekte unseres zukünftigen Selbst auf der Grundlage unseres früheren Lebens vorhersagen. Beispielsweise sind unsere sozialen Einstellungen weit weniger stabil als unser Temperament, vor allem während der beeinflussbaren späten Adoleszenzjahre (Krosnick & Alwin, 1989; Rekker et al., 2015). Ältere Kinder und Jugendliche erlernen neue Wege, mit Schwierigkeiten umzugehen. Obwohl straffällig gewordene Kinder erhöhte Raten bei Problemen aufweisen, sind doch aus vielen Kindern mit Störungen, die falsche Wege eingeschlagen haben, letztlich reife und erfolgreiche Erwachsene geworden (Moffit et al., 2002; Roberts, B. W. et al., 2013; Thomas & Chess, 1986). Das Leben ist ein immerwährender Entstehungsprozess. Unsere Heraus-
forderungen von heute können das Fundament für eine glücklichere Zukunft legen. In gewisser Weise verändert sich jeder Mensch mit zunehmendem Alter. Die meisten schüchternen, ängstlichen Kleinkinder beginnen mit 4 Jahren, offener zu werden, und die meisten Menschen werden in den Jahren nach der Adoleszenz ruhiger und zeigen mehr Selbstdisziplin, sie werden liebenswürdig und selbstsicher (Lucas & Donnellan, 2009; Shaw et al., 2010; Van den Akker et al., 2014). Aus risikofreudigen Jugendlichen werden tendenziell eher vorsichtige Erwachsene (Mata et al., 2016). In der Tat reifte so mancher, der mit 18 unverantwortlich handelte, zum verantwortungsbewussten Leiter eines Geschäfts oder einer kulturellen Institution heran. (Wenn Sie sich selbst als Teil der ersteren Gruppe sehen, bedenken Sie: Sie sind noch nicht fertig.) Solche Veränderungen können eintreten, ohne dass sich die Position im Verhältnis zu den Gleichaltrigen ändert: Der ehrgeizige junge Erwachsene mag wohl im späteren Leben etwas weicher werden, doch wird er im Vergleich zu anderen immer noch ehrgeizig sein. Letztlich sollten wir uns daran erinnern, dass wir im Leben beides brauchen: Stabilität und Veränderung. Stabilität vermittelt uns Identität. Sie macht es möglich, sich auf andere Menschen und auf uns selbst zu verlassen. Unser Potenzial für Veränderung lässt uns auf eine bessere Zukunft hoffen und gibt uns die Möglichkeit, uns anzupassen und durch Erfahrungen zu wachsen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Entwicklungsforscher:innen, die Lernen und Erfahrung betonen, sehen die Entwicklung als ___; diejenigen, die die biologische Reifung betonen, als ___. – Welche Befunde unterstützen 1. Stadientheorien der Entwicklung und 2. die Annahme einer stabilen Persönlichkeit über die Lebensspanne?
197
6.1 • Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
..Abb. 6.3 a,b Das Lächeln kann die Stabilität der Ehe vorhersagen. In einer Untersuchung mit 306 Universitätsabsolventen zeigte sich, dass Scheidungen bei 1 von 4 Personen, die im Jahrbuch einen Gesichtsausdruck wie auf der linken Seite hatten, aber nur bei 1 von 20 Personen mit einem Lächeln wie auf der rechten Seite auftraten. (Hertenstein et al., 2009; © Racle Fotodesign/Stock.adobe.com)
a
..Abb. 6.4 Mit zunehmendem Alter zeigt sich bei Erwachsenen eine Kontinuität des Selbst. (Peter Mueller/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
6.1.2
Pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
?? 6.2 Wie verläuft die pränatale Entwicklung und wie
wirken Teratogene auf diese Entwicklung?
Empfängnis Nichts ist natürlicher, als dass sich eine Spezies fortpflanzt. Für Sie begann der Prozess im Inneren Ihrer Großmutter – als sich eine Eizelle im Inneren einer sich entwickelnden Frau bildete. (Ihre Mutter hat bei ihrer Geburt bereits alle ihre Eizellen mit zur Welt gebracht, allerdings in unreifem Zustand.) Ihr Vater hat dagegen
b
erst in der Pubertät mit der ununterbrochenen Spermienproduktion begonnen – anfangs mit einer Rate von über 1000 Spermien in dem kurzen Moment, den Sie brauchen, um diesen Satz zu lesen. Einige Zeit nach Eintreten der Pubertät haben die Eierstöcke Ihrer Mutter eine reife Eizelle abgestoßen, die ungefähr so groß ist wie der Punkt am Ende dieses Satzes. Wie Weltraumreisende beim Anflug auf einen riesigen Planeten haben etwa 250 Millionen Spermien ihren rasanten Wettlauf stromaufwärts begonnen und sich einer Zelle genähert, die 85.000-mal größer ist als sie selbst. Die geringe Anzahl an Spermien, die es bis zur Eizelle geschafft haben, haben Enzyme abgegeben, die die Schutzhülle der Eizelle weggefressen haben (. Abb. 6.5a). Das eine siegreiche Spermium ist in die Schutzhülle eingedrungen (. Abb. 6.5b), wobei die Oberfläche der Eizelle allen anderen Spermien den Zugang blockiert hat. Bevor ein halber Tag vergangen ist, sind der Zellkern der Eizelle und der des Spermiums verschmolzen: Sie sind eins geworden. Das können Sie als den glücklichsten Augenblick Ihres Lebens betrachten. Von den 250 Millionen Spermien hat genau dasjenige, das sich mit genau dieser Eizelle verbinden musste, das Rennen gemacht, damit Sie der Mensch werden konnten, der Sie sind. Und auf ebendiese Weise fand es in unzählbaren Generationen vor uns statt. Wenn nur ein:e einzige:r unserer Vorfahr:innen durch ein anderes Spermium oder eine andere Eizelle gezeugt worden oder vor der Empfängnis verstorben wäre oder wenn er oder sie keinen Partner bzw. keine Partnerin hätte finden können oder … Unser Verstand ist nicht in der Lage, die unwahrscheinliche, ununterbrochene Ereigniskette zu durchdringen, die uns hervorgebracht hat.
6
198
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
a
b
..Abb. 6.5 a,b Leben wird sexuell übertragen. a Spermienzellen umrunden eine Eizelle. b Dringt ein Spermium in die gallertartige Außenhaut, dann startet der Ablauf einer Reihe von chemischen Vorgängen, die bewirken, dass das Spermium und die Eizelle zu einer
einzigen Zelle verschmelzen. Wenn alles klappt, wird sich diese Zelle immer wieder teilen, bis sie neun Monate später als ein 37-BillionenZellen-Mensch ins Leben tritt. (© Sebastian Schreiter/Springer Medizin Verlag GmbH)
Pränatale Entwicklung
nats sind Organe wie der Magen hinreichend ausgebildet, um einem zu früh geborenen Fötus eine Überlebenschance zu bieten.
Wie viele befruchtete Eizellen, die Zygoten, überleben die ersten 2 Wochen? Nicht einmal die Hälfte (Grobstein, 1979; Hall, 2004). Doch uns war das Schicksal gnädig. Am Anfang unserer Existenz steht eine einzelne Zelle, dann werden es 2, dann 4 Zellen, und jede Zelle ist mit der ersten identisch. Im Verlauf der 1. Woche, wenn die Zygote etwa 100 Zellen groß ist, beginnen sich die Zellen zu differenzieren, d. h., sie spezialisieren sich je nach Funktion in ihrer Struktur („Ich werde eine Hirnzelle, du wirst eine Darmzelle“). Zygote („zygote“) – befruchtete Eizelle; tritt in eine 2-wö-
chige Phase rascher Zellteilung ein und entwickelt sich zu einem Embryo. Etwa 10 Tage nach der Empfängnis binden sich diese zunehmend unterschiedlichen Zellen an die Uteruswand der Mutter. Nun beginnen die etwa 37 Wochen der engsten menschlichen Beziehung, die es gibt. Aus den inneren Zellen der Zygote bildet sich der Embryo (. Abb. 6.6a). Einige seiner äußeren Teile bilden mit der Uteruswand die Plazenta, die lebenswichtige Verbindung, die Nährstoffe und Sauerstoff von der Mutter zum Embryo transportiert. Im Lauf der folgenden 6 Wochen bilden sich allmählich die Organe und nehmen ihre Arbeit auf. Das Herz beginnt zu schlagen. Embryo („embryo“) – sich entwickelnder menschlicher Organismus. Die Embryonalphase dauert etwa von der 2. Woche nach der Befruchtung bis zum Ende des 2. Monats
Etwa 9 Wochen nach der Empfängnis hat der Embryo eindeutig menschliche Züge (. Abb. 6.6b) und ist jetzt ein Fötus (lat. Leibesfrucht, Kind). Während des 6. Mo-
Fötus („fetus“) – Bezeichnung für den sich entwickeln-
den menschlichen Organismus ab der 9. Woche nach der Empfängnis bis zur Geburt.
--
>>Pränatale Entwicklung
Zygote: Empfängnis bis 2. Schwangerschaftswoche Embryo: 2. Schwangerschaftswoche bis 9. Schwangerschaftswoche Fötus: 9. Schwangerschaftswoche bis Geburt
In jeder pränatalen Phase wird die Entwicklung sowohl durch genetische Faktoren als auch durch Umweltfaktoren beeinflusst. Mikrofonaufnahmen aus dem Uterus haben gezeigt, dass der Fötus ab dem 6. Monat auf Geräusche reagiert und den gedämpften Klang der mütterlichen Stimme hört (Ecklund-Flores, 1992; Hepper, 2005). Unmittelbar nach der Geburt reagiert das Kind mehr auf diese Stimme als auf die Stimme einer anderen Frau oder auf die seines Vaters (DeCasper et al., 1984, 1994; Lee & Kisilevsky, 2014). Zudem bevorzugt es auch den Klang jener Sprache, die die Mutter spricht. In einer Studie machten amerikanische und schwedische Neugeborene einen Tag nach der Geburt mehr Pausen beim Schnullerlutschen, wenn sie bekannte Laute aus der Sprache ihrer Mutter hörten (Moon et al., 2013). Nachdem sie im Mutterleib wiederholt ein Scheinwort (tatata) gehört hatten, zeigten die Gehirnwellen finnischer Neugeborener eine Wiedererkennung, wenn sie das Wort nach der Geburt hörten (Partanen et al., 2013). In Fällen, in denen die Mutter während der Schwangerschaft zwei Sprachen spricht, zeigten Neugeborene ein Interesse an beiden (Byers-
199
6.1 • Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
a
b
c
..Abb. 6.6 a–c Pränatale Entwicklung. a Der Embryo wächst und entwickelt sich rasch. Im Alter von 40 Tagen wird die Wirbelsäule sichtbar, und Arme und Beine beginnen zu wachsen. b Zu Beginn der 9. Woche beginnt die Fötalzeit. Gesichtszüge, Hände und Füße haben
sich gebildet. c Zu Beginn der 16. Woche passt der knapp 60 g schwere Fötus noch mühelos auf eine Handfläche. (a–c: Computergrafiken; © SCIEPRO/SCIENCE PHOTO LIBRARY/Agentur Focus)
Heinlein et al., 2010). Und direkt nach der Geburt neigten Babys französischsprachiger Mütter dazu, mit der steigenden Intonation des Französischen zu schreien, wohingegen etwa Babys deutschsprachiger Mütter in den abfallenden Tönen des Deutschen weinten (Mampe et al., 2009). Hätten Sie das geahnt? Der Spracherwerb beginnt im Mutterleib. In den 2 Monaten vor der Geburt zeigen Föten noch weitere Lernfähigkeiten, etwa wenn sie sich an einen vibrierenden und hupenden Apparat gewöhnen, der am Bauch ihrer Mutter angebracht wird (Dirix et al., 2009). Genau wie Personen, die sich auf den Lärm vorbeifahrender Züge in ihrer Nachbarschaft einstellen, gewöhnen sich Föten an das Hupen. Darüber hinaus erinnern sie sich noch 4 Wochen später an das Geräusch (wie ihre gleichgültige Reaktion im Vergleich zu anderen Föten, die mit dem Hupen nicht vertraut waren, gezeigt hat). Geräusche sind nicht die einzigen Umweltfaktoren, welche die fötale Entwicklung beeinflussen. Die Plazenta leitet Nährstoffe und Sauerstoff von der Mutter zum Fötus und hält dabei viele potenziell schädliche Substanzen zurück. Doch manche Substanzen schlüpfen durch die Kontrolle. Der Plazentaschutzwall lässt manche Teratogene passieren: Schadstoffe wie etwa bestimmte Viren und Drogen. Dies ist einer der Gründe dafür, dass schwangeren Frauen davon abgeraten wird, zu rauchen oder Alkohol zu trinken. Eine schwangere Frau raucht oder trinkt niemals allein. Der Alkohol geht ins Blut der Mutter über – und somit auch in das des Fötus – und lässt bei beiden die Aktivität des Zentralnervensystems geringer werden. Alkoholkonsum in der Schwangerschaft kann dazu führen, dass der Nachwuchs der trinkenden Mütter Alkohol lieber mag. Dies führt zu einem erhöhten Risiko übermäßigen Alkoholkonsums und sogar einer Alkoholkonsumstörung im Jugendalter. In Tierversuchen konnte nachgewiesen werden, dass Rat-
tenkinder, deren Mütter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hatten, später den Geschmack und Geruch von Alkohol mögen (Youngentob et al., 2007, 2009). Teratogene (wörtlich: „Monstermacher“; „teratogens“) –
Wirkstoffe (wie chemische Stoffe und Viren), die zum Embryo bzw. Fötus durchdringen und ihn während der pränatalen Entwicklung schädigen können. Sogar mäßiges Trinken oder nur gelegentlicher exzessiver Konsum („binge drinking“) können einen Einfluss auf das fötale Gehirn haben (Braun, 1996; Marjonen et al., 2015). Ist die Mutter eine starke Trinkerin, dann besteht für den Säugling ein erhöhtes Risiko für ein gefährlich niedriges Geburtsgewicht, Geburtsschäden sowie für spätere Verhaltensprobleme und geringere Intelligenz. Bei einem von 700 Kindern zeigt sich die Wirkung als fötales Alkoholsyndrom (FAS): die schwerste aller fötaler Alkoholspektrumstörungen, gekennzeichnet durch lebenslange Körper- und Gehirnanomalien (May et al., 2014). Der fötale Schaden kann auftreten, weil Alkohol einen epigenetischen Effekt hat: Er hinterlässt chemische Marker in der DNS, durch die Gene anormal ein- und ausgeschaltet werden (Liu et al., 2009). Rauchen während der Schwangerschaft hinterlässt auch epigenetische Narben, die die Fähigkeit des Kindes, mit Stress umzugehen, schwächen (Stroud et al., 2014). Wenn eine schwangere Frau unter extremem Stress steht, können die Stresshormone, die ihren Körper überschwemmen, auf eine Überlebensgefahr für den Fötus hinweisen und eine frühere Entbindung bewirken (Glynn & Sandman, 2011). Etwas Stress im frühen Leben bereitet uns darauf vor, mit späteren Belastungen umzugehen. Aber eine erhebliche pränatale Stressbelastung setzt ein Kind einem erhöhten Risiko für gesundheitliche
6
200
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
a
b
..Abb. 6.7 a,b Darauf vorbereitet, zu füttern und zu essen. Tiere und Menschen sind von Natur aus darauf angelegt, auf die Nahrungsbedürfnisse ihrer Jungen zu reagieren, selbst wenn sie sich mitten in
einem Ultramarathon befinden, so wie ich [ND], als meine 18 Monate alte Tochter Bevy beschloss, dass nur Papa sie füttern kann. (a: © Alexandr Ozerov/Fotolia; b: © atlang/Fotolia)
Probleme wie Bluthochdruck, Herzerkrankungen, Fettleibigkeit und psychiatrische Störungen aus.
rück, um einem Schmerz auszuweichen. Legt uns jemand ein Tuch aufs Gesicht, das uns am Atmen hindert, dann drehen wir den Kopf von einer Seite zur anderen und versuchen, das Tuch wegzuschieben. Andere adaptive Reflexe sind der Schreckreflex (wenn sich Arme und Beine ausfahren, schnell gefolgt von Faustballen und lautem Schreien) und der überraschend starke Greifreflex, die beide dazu beigetragen haben könnten, dass Säuglinge in der Nähe ihrer Bezugspersonen bleiben. Junge Eltern sind oft erstaunt über die koordinierten Reflexabfolgen, mit Hilfe derer ihr Baby Nahrung aufnimmt. Berührt man das Baby an der Wange, dann dreht es sich zu der Berührung um, öffnet den Mund und sucht nach einer Brustwarze. Sobald es sie findet, schließt es den Mund fest um die Warze und beginnt zu saugen. (Wird dem Baby die Befriedigung versagt, beginnt es zu schreien – ein Verhalten, das Eltern höchst unerfreulich finden.) Sie sind dann sehr rasch bereit, diesen Zustand zu beenden (. Abb. 6.7). William James, ein Pionier der amerikanischen Psychologie, nahm an, dass das Neugeborene in einer Art „blühender und summender Verwirrung“ lebt, und bis in die 60er Jahre des letzten Jahrhunderts hinein widersprach ihm auch kaum jemand. Doch dann entdeckten Wissenschaftler:innen, dass einem ein Baby vieles erzählen kann – vorausgesetzt, man weiß, wie man fragen muss. Beim Fragen muss man sich an dem orientieren, was ein Baby tun kann: schauen, saugen und den Kopf drehen. Und ausgestattet mit Geräten, die die Augenbewegungen registrierten, und mit Schnullern, die mit Elektronik versehen waren, machten sich die Wissenschaftler:innen auf, die uralten Fragen der Eltern zu beantworten: Was kann mein Baby sehen, hören, schmecken und denken? Betrachten wir etwa, wie Forscher:innen Habituation nutzen – das abnehmende Ansprechen auf einen wiederholten Reiz. Wir haben dieses Phänomen bereits oben beschrieben: Föten, die sich an einen vibrierenden, hupen-
Fötales Alkoholsyndrom (FAS, „fetal alcohol syndrome“) –
körperliche und kognitive Anomalien, verursacht durch mütterlichen Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft. In schweren Fällen kann es zu auffallenden Veränderungen der Kopfproportionen und zu Gesichtsanomalien kommen.
» „Siehe, du wirst schwanger werden und einen Sohn ge-
bären. So trinke nun keinen Wein noch starkes Getränk und iss nichts Unreines …“ Bibel, Buch der Richter, Kap. 13, Vers 7 Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die ersten beiden Wochen der pränatalen Entwicklung werden als Phase der ___ bezeichnet. Die Phase des ___ dauert von der 9. Lebenswoche nach der Empfängnis bis zur Geburt. Der Zeitraum zwischen diesen beiden Abschnitten wird als Phase des ___ bezeichnet.
Fähigkeiten des Neugeborenen ?? 6.3 Über welche Fähigkeiten verfügen Neugeborene
und wie untersuchen Forschende die mentalen Fähigkeiten von Säuglingen?
Babys verfügen über so manche vorinstallierte App. Haben wir die Risiken und Gefahren der pränatalen Zeit überstanden, dann kommen wir zur Welt, und zwar ausgestattet mit Reflexen, die unser Überleben auf hervorragende Weise sichern. Wir ziehen die Gliedmaßen zu-
201
6.1 • Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
a
b
..Abb. 6.8 a,b Neugeborene zeigen eine Vorliebe für Gesichter. Werden diese beiden Reize dargeboten, die aus identischen Elementen zusammengesetzt sind, dann schauen italienische Neugeborene fast doppelt so viele Sekunden auf das Bild, das an ein Gesicht erinnert (Johnson & Morton, 1991, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley & Sons). In einer Studie mit kanadischen Neugeborenen (Mondloch et al., 1999), die im Durchschnitt erst 53 Minuten alt waren, zeigte sich die gleiche, offenbar angeborene Präferenz für Gesichter
den Apparat, der auf dem Bauch der Mutter angebracht wurde, gewöhnt haben. Ein neuer Stimulus zieht die Aufmerksamkeit des Kindes auf sich, wenn er zum ersten Mal dargeboten wird. Doch je öfter der Reiz präsentiert wird, desto schwächer fallen die Reaktionen des Babys aus. Diese scheinbare Langeweile, mit der das Baby auf schon bekannte Reize reagiert, gibt uns die Möglichkeit herauszufinden, was ein Säugling sehen und woran er sich erinnern kann. Habituation („habituation“) – Abnahme der Reaktions-
bereitschaft bei wiederholter Stimulusdarbietung. In dem Maß, wie ein Säugling durch wiederholte Darbietung mit einem Stimulus vertraut wird, schwindet sein Interesse; er fixiert den Stimulus immer kürzer und wendet früher den Blick ab. Tatsächlich sind wir von Geburt an für soziale Beziehungen prädestiniert und bringen die entsprechenden Fähigkeiten mit. Ein Neugeborenes dreht den Kopf dorthin, wo es menschliche Stimmen hört; ein Bild, das Ähnlichkeit mit einem Gesicht hat (. Abb. 6.8), wird länger betrachtet als ein rundes Muster. Das Neugeborene richtet den Blick am liebsten auf Gegenstände in 10–15 cm Entfernung. Und wen wundert es, dass das in etwa die Entfernung zwischen den Augen des Kindes und denen der Mutter beim Stillen ist (Maurer & Maurer, 1988)? Die Voreinstellungen unseres Gehirns helfen uns bei sozialen Beziehungen. Schon in den ersten Tagen nach der Geburt wird das Neuronennetz im Gehirn auf den Geruch des mütterlichen Körpers geprägt. Wenn man ein Baby, das gestillt wird, im Alter von 1 Woche zwischen zwei Stilleinlagen legt, von denen eine aus dem BH seiner Mutter stammt
und die andere von einer anderen stillenden Mutter, dann wendet sich das Baby im Allgemeinen zu dem Stück Mull hin, das den spezifischen Geruch seiner Mutter aufgenommen hat (MacFarlane, 1978). Darüber hinaus bleibt die Präferenz erhalten: Ein Experiment nutzte den Umstand, dass einige stillende Mütter in einer französischen Entbindungsstation einen Balsam mit Kamillengeruch anwandten, um Schmerzen an den Brustwarzen vorzubeugen (Delaunay-El Allam, 2010). 21 Monate später spielten ihre Kinder lieber mit Spielzeugen, die nach Kamille rochen! Gleichaltrige, die diesen Geruch beim Stillen nicht gerochen hatten, zeigten keine solche Präferenz. (Das wirft die Frage auf: Werden diese Kinder, die gelernt haben, den Geruch von Kamille mit der mütterlichen Brust zu assoziieren, leidenschaftliche Kamillenteetrinker?) Solche Studien offenbaren die bemerkenswerten Fähigkeiten, mit denen wir unsere Welt betreten. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die ___ von Säuglingen an einen wiederholten Stimulus hilft Entwicklungspsycholog:innen zu untersuchen, was sie lernen und sich merken können.
6.1.3
Rückblick: Entwicklungsfragen, pränatale Entwicklung und erste Lebenswochen
Verständnisfragen
6.1 – Mit welchen drei Fragestellungen befassen sich Ent-
wicklungspsycholog:innen? 6.2 – Wie verläuft die pränatale Entwicklung und wie wirken Teratogene auf diese Entwicklung? 6.3 – Über welche Fähigkeiten verfügen Neugeborene und wie untersuchen Forschende die mentalen Fähigkeiten von Säuglingen?
----
Schlüsselbegriffe Embryo Entwicklungspsychologie Fötales Alkoholsyndrom (FAS) Fötus Habituation Teratogene Zygote
Master the Material 1. Die drei Hauptthemen, an denen Entwicklungspsycholog:innen interessiert sind, sind Natur/Umwelt, Stabilität/Veränderung, und ___. 2. Obwohl die Entwicklung ein Leben lang andauert, gibt es eine Stabilität der Persönlichkeit im Laufe der Zeit. Zum Beispiel …
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
202
6
a. … bilden sich die meisten Persönlichkeitsmerkmale in der Kindheit heraus und bleiben ein Leben lang erhalten. b. … bleibt das Temperament in der Regel ein Leben lang stabil. c. … verändern sich nur wenige Menschen nach der Pubertät signifikant. d. … neigen Menschen dazu, größere Persönlichkeitsveränderungen zu zeigen, wenn sie älter werden. 3. Die ersten Organe des Körpers beginnen sich in der Phase des ___ zu bilden und zu funktionieren; innerhalb von 6 Monaten, in der Phase des ___, sind die Organe ausreichend funktionsfähig, sodass sie überleben und wachsen können. a. Zygote; Embryo b. Zygote; Fötus c. Embryo; Fötus d. Plazenta; Fötus 4. Chemikalien, die von der Plazenta nicht zurückgehalten werden und einen Embryo oder Fötus Schaden zufügen können, werden als ___ bezeichnet. 6.2
Kleinkindalter und Kindheit
Eine Blume entfaltet sich entsprechend ihren genetischen Instruktionen. Auch der Mensch erlebt eine geordnete Abfolge von biologischen Wachstumsprozessen, die genetisch begründet sind. Diese Prozesse werden Reifung genannt. Die Reifung hat einen bestimmenden Einfluss auf viele menschliche Gemeinsamkeiten im Entwicklungsverlauf: Jedes Kind lernt stehen, ehe es laufen lernt, und es verwendet Substantive früher als Adjektive. Schwere Deprivation, Misshandlung oder Missbrauch können diesen Prozess verzögern. Doch die Tendenz zum Wachsen und zur Entwicklung ist genetisch bedingt, also angeboren. Die Reifung („nature“) legt die grundlegende Richtung der Entwicklung fest, über die Erfahrungen („nurture“) erfolgt die Feinabstimmung. Gene und Umwelt interagieren. 6.2.1
Körperliche Entwicklung
?? 6.4 Wie entwickeln sich unser Gehirn und unsere moto-
rischen Fähigkeiten im Kleinkind- und Kindesalter?
Entwicklung des Gehirns Bereits im Mutterleib nimmt die Zahl der Nervenzellen explosionsartig zu: fast eine Viertelmillion pro Minute. In der Aufbauphase des Kortex kommt es zu einer Überproduktion von Neuronen, in der 28. Schwangerschaftswoche erreicht die Produktion ihren Höhepunkt (Rabinowicz et al., 1996, 1999).
Bei der Geburt
Mit 3 Monaten
Mit 15 Monaten
..Abb. 6.9 Entwicklung des Säuglingsgehirns. Der Mensch kommt mit einem unausgereiften Gehirn zur Welt. Während des biologischen Reifungsprozesses bildet das neuronale Netz immer neue Verbindungen aus und wird zunehmend komplexer
Von Geburt an entwickeln sich Gehirn und Verstand – neuronale Hardware und kognitive Software – gemeinsam. Am Tag Ihrer Geburt waren bereits fast alle Gehirnzellen vorhanden, die Sie je haben werden. Zu diesem Zeitpunkt war das Nervensystem jedoch noch unreif: Das neuronale Netz, das Ihnen die Fähigkeit zu laufen verleiht, zu sprechen und sich zu erinnern, legte einen stürmischen Wachstumsschub hin (. Abb. 6.9). Diese schnelle Entwicklung kann erklären, warum die Gehirngröße von Säuglingen in den ersten Tagen nach der Geburt schnell zunimmt (Holland et al., 2014; . Abb. 6.10). Zwischen dem 3. und dem 6. Lebensjahr wachsen die Nervenverbindungen in den Frontallappen am schnellsten; sie sind für rationales Planen zuständig. Das Gehirn benötigt in diesen Jahren große Mengen an Energie (Kuzawa et al., 2014). Dieser kräftezehrende Prozess sorgt für rasche Fortschritte in der Fähigkeit, Aufmerksamkeit und Verhalten zu kontrollieren (Garon et al., 2008; Thompson-Schill et al., 2009). Die Assoziationsfelder des Großhirns – die mit Denken, Gedächtnis und Sprache in Zusammenhang gebracht werden – sind die letzten Bereiche des Gehirns, die sich entwickeln. In dem Maße, wie dies geschieht, nehmen die geistigen Fähigkeiten rapide zu (Chugani & Phelps, 1986; Thatcher et al., 1987). Die Nervenbahnen, die eine unterstützende Funktion für die Beweglichkeit, die Sprache und die Selbstkontrolle haben, breiten sich bis zur Pubertät weiter aus. Unter dem Einfluss von Nebennierenhormonen bilden und organisieren sich danach dutzende Milliarden von Synapsen, während überzählige Verbindungen allmählich in einem Ausdünnungsprozess nach dem Prinzip „use it or lose it“, gestutzt werden und verschwinden (Paus et al., 1999; Thompson et al., 2000).
203
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
..Abb. 6.10 Das Babyexperiment. Technologie hilft Forscher:innen, die Gehirne von Säuglingen zu verstehen und was passiert, wenn die Entwicklung schiefläuft. (Geddes, 2015; © empics/Owen Humphreys/ picture alliance)
..Abb. 6.11 Die körperliche Entwicklung. Sitzen – krabbeln – laufen – rennen: Die Reihenfolge dieser Stufen der motorischen Entwicklung des Kleinkindes ist überall auf der Welt gleich; variabel ist jedoch das Alter, in dem das Kind eine neue Stufe erobert. (© dglimages/Stock. adobe.com)
Motorische Entwicklung Die Entwicklung des Gehirns ermöglicht die Koordination der Bewegungen. Mit dem fortschreitenden Reifungsprozess der Muskeln und des Nervensystems werden komplexere Bewegungsabläufe möglich. Bis auf wenige Ausnahmen verläuft die körperliche (motorische) Entwicklung überall auf der Welt in derselben Reihenfolge. Ehe das Baby ohne Hilfe sitzen kann, rollt es sich herum; bevor es laufen kann, krabbelt es (. Abb. 6.11). Dieses Verhalten ist keine Nachahmung – auch blinde Kinder krabbeln, ehe sie laufen –, sondern es ist Ausdruck des reifenden Nervensystems. Reifung („maturation“) – biologische Wachstumspro-
zesse, die die Grundlage für systematisch und von äußeren Verhältnissen und Erfahrungen relativ unbeeinflusst ablaufende Verhaltensänderungen sind. Die genetische Veranlagung spielt eine wichtige Rolle. So können im westlichen Kulturkreis beispielsweise 25 % aller Babys mit 11 Monaten laufen, 50 % innerhalb einer Woche nach ihrem 1. Geburtstag und 90 % mit 15 Monaten (Frankenburg et al., 1992). Eineiige Zwillinge können typischerweise fast zeitgleich laufen (Wilson, 1979). Der biologische Reifungsprozess – und dazu gehört die rasche Entwicklung des Kleinhirns an der Rückseite des Gehirns – schafft die Voraussetzungen dafür, dass wir mit etwa 1 Jahr laufen lernen. Das gilt auch für andere körperliche Fähigkeiten, z. B. für die Kontrolle von Blase und Darm. Ehe die dazu erforderlichen Muskeln und Nerven nicht ausgereift sind, wird das Kind nicht sauber, weder mit Bitten noch mit Drängen oder Strafen. Dennoch kann die Umwelt ändern, was die Natur beabsichtigt. In einigen Regionen Afrikas, der Karibik und Indien massieren und trainieren die Betreuer die Babys häufig, was den Prozess des Laufenlernens beschleunigen kann (Karasik et al., 2010). Das für Säuglinge empfohlene Schlafen in Rücken-
lage (wenn man Babys zum Schlafen auf den Rücken legt, verringert sich das Risiko eines plötzlichen Kindstods) wurde damit in Zusammenhang gebracht, dass sie etwas später krabbeln, aber nicht damit, dass sie später gehen können (Davis et al., 1998; Lipsitt, 2003). >>Nachdem im Jahr 1994 in den USA die Kampagne
„Back to Sleep“ („Schlafen in Rückenlage“) angelaufen war, fiel der Prozentsatz von Säuglingen, die auf dem Bauch schliefen, von 70 % auf 11 %. In derselben Zeit reduzierte sich die Auftretenshäufigkeit des plötzlichen Kindestodes um die Hälfte (Braiker, 2005). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Der biologische Prozess der ___ erklärt, warum die meisten Kleinkinder zwischen dem 12. und dem 15. Lebensmonat laufen lernen.
Reifungsprozess und kindliches Gedächtnis Können Sie sich an die Feier zu Ihrem 3. Geburtstag erinnern? Studien legen nahe, dass wir uns bewusst an wenig aus der Zeit vor dem 4. Lebensjahr erinnern (. Abb. 6.12). Auch Mäuse und Affen vergessen ihr frühes Leben, da das schnelle Neuronenwachstum die Schaltkreise unterbricht, in denen alte Erinnerungen gespeichert sind (Akers et al., 2014). Aber wenn Kinder reifen, schwindet diese „infantile Amnesie“, und sie werden zunehmend fähig, sich an Erfahrungen zu erinnern, sogar über einen Zeitraum von einem Jahr oder mehr (Bauer & Larkina, 2014; Morris et al., 2010). Die Gehirnregionen, die bedeutsam sind für das Gedächtnis, wie etwa der Hippocampus und der Frontallappen, reifen während und nach der Adoleszenz weiter (Luby et al., 2016; Murty et al., 2016).
6
204
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
6
..Abb. 6.12 Infantile Amnesie. (Michael Maslin/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Zwar gibt es so gut wie keine bewussten Erinnerungen an unsere früheren Jahre, doch arbeitet das Gedächtnis bereits in dieser Zeit. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit in Psychologie beobachtete Carolyn Rovee-Collier das nonverbale Gedächtnis von Säuglingen in Aktion. Ihr 2 Monate alter, unruhiger Sohn Benjamin beruhigte sich beim Anblick der Bewegung eines Mobiles, das über seinem Kinderbett angebracht war. Als sie vom Anstoßen des Mobiles gelangweilt war, brachte sie eine Stoffschnur an, die das Mobile mit Benjamins Fuß verband. Bald darauf begann er mit seinem Fuß zu treten, um das Mobile in Bewegung zu setzen. Als sie über ihr unbeabsichtigtes Heimexperiment nachdachte, erkannte Rovee-Collier, dass Babys entgegen der weit verbreiteten Meinung der 1960er Jahre durchaus zum Lernen imstande sind. Um sicherzustellen, dass es sich bei ihrem Sohn nicht einfach nur um einen Senkrechtstarter handelte, wiederholte sie das Experiment mit anderen Säuglingen (Rovee-Collier, 1989, 1999). Und tatsächlich traten auch diese Säuglinge häufiger mit ihren Füßen, wenn sie mit einem Mobile verbunden waren, und das sowohl am Tag des Experiments als auch noch am Folgetag. Die Kinder hatten die Verknüpfung zwischen ihren eigenen Fußtritten und der Bewegung des Mobiles gelernt. In Fällen allerdings, in denen Kinder am Folgetag mit einem anderen Mobile verbunden wurden, zeigten die Säuglinge keinerlei Anzeichen des beobachteten Lernprozesses. Diese Beobachtung zeigte, dass sich die Kinder an das ursprüngliche Mobile erinnern konnten und den Unterschied zum neuen Mobile erkannten. Darüber hinaus erkannten sie das ursprüngliche Mobile auch noch einen Monat später und begannen zu treten, wenn ihre Füße erneut mit ihm verbunden wurden (. Abb. 6.13).
..Abb. 6.13 Säugling bei der Arbeit. Wenn man den Fuß eines Säuglings durch eine Schnur mit einem Mobile verbindet, können schon 3 Monate alte Säuglinge lernen, dass Strampeln das Mobile in Bewegung setzt, und sie können sich an das Gelernte etwa 1 Monat lang erinnern (Rovee-Collier, 1989, 1997; © Michael Barton)
Auch Spuren einer als Kind gehörten Sprache können erhalten bleiben. In einer Studie zu diesem Thema wurden englischsprachige britische Erwachsene untersucht, die keine bewussten Erinnerungen an die Sprachen Hindi und Zulu hatten, die sie als Kleinkinder gesprochen hatten. Dennoch konnten sie bis zum Alter von 40 Jahren feine Lautunterscheidungen in diesen Sprachen wiedererlernen, die andere Probanden nicht erlernen konnten (Bowers et al., 2009). Chinesische Adoptivkinder, die seit dem 1. Lebensjahr in Kanada leben, verarbeiten chinesische Laute wie Menschen, deren Erstprache Chinesisch ist, auch wenn sie keine bewusste Erinnerung an chinesische Wörter haben (Pierce et al., 2014). Wieder ist unser zweigleisiger Verstand am Werk: Das Nervensystem und das Unbewusstsein erinnern sich an etwas, was vom Bewusstsein nicht erkannt wird und nicht in Worten ausgedrückt werden kann. 6.2.2
Kognitive Entwicklung
?? 6.5 Wie entwickelt sich der kindliche Verstand aus
der Sicht von Piaget, Vygotsky und heutiger Wissenschaftler:innen?
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
An irgendeiner Stelle auf unserer heiklen Reise „vom Ei zur Person“ (Broks, 2007) werden wir uns unserer selbst bewusst. Doch wann geschah dies? Auf der Suche nach den bewussten Gedanken eines Säuglings – oder vielmehr nach einem neuronalen Signal, das ein frühes bewusstes Bewusstsein kennzeichnet – blendete ein französisches Forschungsteam Gesichter auf einem Bildschirm ein. Zunächst erschienen die Gesichter so kurz, dass selbst ein typischer Erwachsener sie nicht bewusst wahrnehmen konnte. Nach und nach wurde die Präsentation verlangsamt, bis eine erwachsene Hirnwellenreaktion etwa 300 Millisekunden nach Erscheinen eines Bildes bewusste Wahrnehmung signalisierte. Mit genügend Zeit, um die Gesichter zu verarbeiten, zeigten 5 Monate alte Säuglinge die gleiche Gehirnsignatur visueller Wahrnehmung (Dehaene, 2014; Kouider et al., 2013). Wie hat sich unser Verstand von diesem Moment an weiterentwickelt? Der Entwicklungspsychologe Jean Piaget widmete sich zeit seines Lebens der Beantwortung dieser Fragen. Er untersuchte die Kognition – die Gesamtheit der geistigen Aktivitäten im Zusammenhang mit Denken, Wissen, Erinnern und Kommunizieren – von Kindern. Sein Interesse an der kognitiven Entwicklung von Kindern wurde 1920 geweckt, als er in Paris Fragen zu einem Intelligenztest für Kinder ausarbeitete (. Abb. 6.14). Als er die Tests durchführte, war er fasziniert von den falschen Antworten, die bei Kindern einer bestimmten Altersgruppe erstaunlich ähnlich waren. Wo andere nur den Fehler sahen, sah Piaget Intelligenz in Aktion. Solche zufälligen Entdeckungen gehören zu den Verdiensten der Psychologie.
205
..Abb. 6.14 Jean Piaget (1896–1980). „Wenn wir die intellektuelle Entwicklung eines Individuums oder der gesamten Menschheit betrachten, müssen wir feststellen, dass der menschliche Verstand durch eine bestimmte Anzahl von Stufen verläuft, die sich alle voneinander unterscheiden“ (Piaget, 1930). (© Courtesy Everett Collection/Everett Collection/picture alliance)
Kognition („cognition“) – Gesamtheit der geistigen Ak-
tivitäten im Zusammenhang mit Denken, Wissen, Erinnern und Kommunizieren. Ein halbes Jahrhundert Arbeit mit Kindern überzeugte Piaget davon, dass das kindliche Denken keine Miniaturausgabe des erwachsenen Denkens ist. Wenn wir heute Verständnis dafür aufbringen, dass „Kinder in höchst unlogischer Weise mit Problemen umgehen,“ (Brainerd, 1996), dann verdanken wir das zum Teil den Arbeiten von Piaget. Des Weiteren glaubte Piaget, dass die Entwicklung des kindlichen Denkens in Stadien erfolgt, eine Art Vorwärtsbewegung von den einfachen Reflexen des Neugeborenen hin zur Abstraktionsfähigkeit des Erwachsenen. Ein 8-jähriges Kind versteht Dinge und Zusammenhänge, die ein 3-jähriges nicht verstehen kann. Ein 8-jähriges Kind kann die Analogie erfassen, die in dem Satz ausgedrückt wird: „Einen Gedanken entwickeln, ist wie Licht im Kopf anschalten.“ Piaget war der Auffassung, dass unser intellektuelles Wachstum einen unaufhörlichen Kampf des Menschen widerspiegelt, seinen Erfahrungen Sinn zu verleihen. Um dieses Ziel zu erreichen, konstruiert der heranreifende
Geist Konzepte, die Piaget Schemata nannte. Unter einem Schema verstand er eine Art kognitive Struktur, in die unsere Erfahrungen eingeordnet werden. Schema („schema“) – kognitive Struktur, mit der Informationen geordnet und erklärt werden.
Für die Anwendung und Erweiterung der Schemata schlug Piaget zwei Prozesse vor. Neue Erfahrungen werden zunächst assimiliert, d. h. sie werden mit den Begriffen des jeweils aktuellen Verständnisses (Schema) erklärt. Hat ein Kleinkind beispielsweise ein einfaches Schema für den Begriff Hund, dann wird es wahrscheinlich alle Vierbeiner zunächst einmal „Wauwau“ nennen. Dann wird das Schema der neuen Erfahrung angepasst, oder, wie Piaget es nannte, akkommodiert. Das Kind aus unserem Beispiel lernt sehr schnell, dass das anfängliche Wauwau-Schema zu grob ist, und akkommodiert es, indem es die Kategorien verfeinert. In dem Maße, wie Kinder mit ihrer Umwelt interagieren, konstruieren sie ihre Schemata und modifizieren sie, wenn neue Erfahrungen in ihr Weltbild integriert werden müssen. Als Er-
6
206
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
a
b
..Abb. 6.15 a,b Ein sich veränderndes Heiratsschema. Vor einer Generation hatten die meisten Menschen ein Schema der Ehe als Verbindung zwischen einem Mann und einer Frau. Die Niederlande waren das erste Land, das seine Ehegesetze änderte, um die gleich-
geschlechtliche Ehe zu ermöglichen (2001). Heute haben mehr als 30 andere Länder die gleichgeschlechtliche Ehe ebenfalls legalisiert. (a: © imtmphoto/Stock.adobe.com; b: © Tony Marturano/Stock. adobe.com)
wachsene verfügen wir über eine Vielzahl von Schemata, von unserem Bild von Hunden und Katzen bis zu unserer Vorstellung von Liebe (. Abb. 6.15).
Ganz kleine Kinder leben offenbar nur in der Gegenwart: Was sie nicht sehen können, existiert nicht. Einer von Piagets Versuchen bestand darin, dem Kleinkind ein begehrenswertes Spielzeug zu zeigen und es dann unter seiner Mütze verschwinden zu lassen. Vor ihrem 6. Lebensmonat verhielten die Säuglinge sich so, als existiere das Spielzeug nicht mehr. Kinder bis zu diesem Alter haben keine Objektpermanenz, d. h. es ist ihnen nicht bewusst, dass ein Gegenstand weiterhin existiert, auch wenn sie ihn nicht sehen können. Mit etwa 8 Monaten zeigt das Kind, dass es sich an Dinge erinnert, die es in diesem Augenblick nicht sehen kann. Wird das Spielzeug versteckt, dann wird das Kind unmittelbar nach dem Verschwinden des Spielzeugs danach suchen (. Abb. 6.16). Ein bis zwei Monate später wird das Kind auch dann nach dem Spielzeug suchen, wenn es ein paar Sekunden lang davon abgehalten wurde.
Assimilation („assimilation“) – Interpretation neuer Er-
fahrungen mit Hilfe von Begriffen der bereits existierenden Schemata. Akkommodation („accommodation“) – Modifizierung des bisherigen Schemas, um neue Informationen integrieren zu können.
Wie stehen wir heute zu Piagets Theorie? Piaget war der Ansicht, dass Kinder ihr Weltverständnis aufbauen, während sie parallel dazu mit ihrer Umgebung interagieren. Die kognitive Entwicklung des Kindes verläuft sprunghaft, wobei nach jedem kognitiven Entwicklungssprung eine Phase der relativen Ruhe eintritt. Nach Piagets Ansicht bestand die kognitive Entwicklung aus vier Hauptstadien – sensomotorisch, präoperatorisch, konkret-operatorisch und formal-operatorisch.
Objektpermanenz („object permanence“) – Wissen, dass ein Gegenstand weiterhin existiert, auch wenn er gerade nicht wahrgenommen werden kann.
zz Sensomotorisches Stadium
Während des von Piaget postulierten sensomotorischen Stadiums (von der Geburt bis etwa zum 2. Lebensjahr) erlebt der Säugling die Welt durch die sensorische und motorische Interaktion mit den Objekten seiner Umwelt: durch Sehen, Hören, Berühren, Belutschen und Greifen. In dem Maß, in dem sich seine Hände und Glieder bewegen können, lernt er, auf seine Umwelt einzuwirken. Sensomotorisches Stadium („sensorimotor stage“) –
Nach Piagets Theorie wird auf dieser Stufe (von der Geburt bis etwa zum 2. Lebensjahr) die Welt primär als Sinneseindruck wahrgenommen und mit motorischen Aktivitäten erforscht.
Kommt die Objektpermanenz bei Kindern mit 8 Monaten tatsächlich mit einer solchen Selbstverständlichkeit, wie die Tulpen im Frühling blühen? Heutige Entwicklungspsychologen sehen den Entwicklungsprozess stärker als ein Kontinuum, als Piaget dies tat; und die Objektpermanenz entfaltet sich ihrer Meinung nach allmählich und schrittweise. Auch ganz kleine Kinder suchen schon zumindest für eine gewisse Zeit nach einem Spielzeug, wenn sie gesehen haben, wie es gerade eben versteckt wurde (Wang et al., 2004). Die Wissenschaft glaubt heute, dass Piaget und seine Anhänger:innen die Kompetenz der Kleinen und Kleinsten unterschätzt haben. Kleine Kinder denken wie kleine
207
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
a
b
Ereignisse die Erwartungen von Säuglingen nicht erfüllen (Baillargeon et al., 2016). Kindliches Verständnis von Mathematik: Karen Wynn (1992, 2000, 2008; . Abb. 6.17) zeigte 5 Monate alten Kindern einen oder zwei Gegenstände. Dann versteckte sie die Gegenstände hinter einem Stück Pappe und fügte anschließend – gut sichtbar für die Kinder – entweder einen weiteren Gegenstand hinzu oder nahm einen weg. Wurde die Pappe entfernt, dann schauten die Babys zweimal hin bzw. fixierten die Gegenstände länger, wenn die Anzahl falsch war. Dabei ist noch unklar, ob sich die Reaktion der Babys tatsächlich auf die veränderte Anzahl der Gegenstände oder nur auf das veränderte Erscheinungsbild bezog, das sich ihnen bot, nachdem die Pappe entfernt wurde (Feigenson et al., 2002). Spätere Versuche zeigten aber, dass sich der Zahlensinn von Babys auch auf größere Zahlen sowie auf Verhältnisse, Töne (Trommelschläge) und Bewegungen erstreckt (Lipton & Brannon, 2009; McCrink & Wynn, 2004; Spelke et al., 2013). Wenn eine Daffy-Duck-Puppe immer 3-mal auf der Bühne hochspringt, dann sind die Kinder daran gewöhnt und reagieren mit Erstaunen, wenn die Puppe nur 2-mal springt.
Ganz offensichtlich sind Babys klüger, als Piaget annahm. Auch schon als Babys haben wir viel im Kopf.
» „Es ist ein seltsames Glück, das Erwachen, das Wachsen
c ..Abb. 6.16 Objektpermanenz. Für Kinder unter 6 Monaten gilt: Aus den Augen, aus dem Sinn. Sie können nicht begreifen, dass ein Gegenstand weiter existiert, auch wenn er nicht mehr sichtbar ist. (Fotos aus Lohaus & Vierhaus, 2013, mit freundlicher Genehmigung)
Wissenschaftler:innen. Sie testen Ideen, ziehen kausale Schlussfolgerungen und lernen aus statistischen Mustern (Gopnik et al., 2015). Betrachten wir etwa folgende einfache Experimente: Kindliches Verständnis von Physik: Erwachsene starren ungläubig auf einen Zaubertrick (das „Na, sowas“ im Blick); Kleinkinder tun dasselbe, wenn sie länger auf eine unmögliche Szene schauen, bei der ein Auto scheinbar durch einen festen Gegenstand hindurchfährt. Oder wenn ein Ball einfach in der Luft stehen bleibt oder wenn ein Gegenstand die Gesetze der Objektpermanenz verletzt und auf magische Weise verschwindet (Baillargeon, 2008; Shuwairi & Johnson, 2013; Stahl & Feigenson, 2015). Warum zeigen Säuglinge diese visuelle Neigung? Weil unmögliche
-
und die ersten schwachen Betätigungen eines lebendigen Geistes zu beobachten.“ Annie Sullivan in Helen Kellers Mein Weg aus dem Dunkel. Blind und gehörlos – das Leben einer mutigen Frau, die ihre Behinderung besiegte (1903)
zz Präoperatorisches Stadium
Piaget glaubte, dass Kinder im Vorschulalter und bis zum 6. oder 7. Lebensjahr ein präoperatorisches Stadium durchlaufen, in dem sie bereits Dinge mit Worten und Bildern darstellen können, aber noch keine Denkprozesse vollziehen (z. B. sich eine Handlung vorstellen, etwas in Gedanken rückgängig machen). Gibt man einem 5-jährigen Kind ein schmales, hohes Glas Milch, dann findet es, dass das „zu viel“ ist, akzeptiert jedoch die gleiche Menge, wenn man die Milch in ein kleines, breites Glas gießt. Offenbar sieht das Kind nur die Dimension der Höhe und ist nicht fähig, eine Operation auszuführen, bei der die Milch in der Vorstellung ins schmale, hohe Glas zurückgegossen wird. Nach Piaget fehlt Kindern vor dem 6. Lebensjahr das Konzept der Mengenerhaltung, das Prinzip nämlich, dass eine Menge gleich bleibt, auch wenn sie eine andere Form annimmt (. Abb. 6.18). Präoperatorisches Stadium („preoperational stage“) – in Piagets Theorie die Phase (etwa vom 2. bis zum 6. oder 7. Lebensjahr), in der ein Kind lernt, Sprache zu verwen-
6
208
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Dann entweder: mögliches Ergebnis Pappe wird entfernt und 1 Gegenstand wird sichtbar
2 Gegenstände werden in die Schachtel gestellt
Ein Stück Pappe verdeckt die Gegenstände
Eine leere Hand greift hinter die Pappe
Ein Gegenstand wird entfernt
e oder: unmögliches Ergebnis Pappe wird entfernt und 2 Gegenstände werden sichtbar
6
a
b
c
d f
..Abb. 6.17 Mathematik für Babys. Zeigt man einem Säugling ein zahlenmäßig unmögliches Ergebnis, dann schaut er länger hin. (Aus
Wynn, 1992. Reprinted and translated by permission from Macmillan Publishers Ltd: Nature, Copyright © 1992)
den, jedoch die Denkoperationen der konkreten Logik noch nicht begreift. Mengenerhaltung („conservation“) – Wissen, dass Masse, Volumen und Anzahl von Gegenständen gleich bleiben, wenn diese die Form verändern. Piaget hielt das Erfassen dieses Prinzips für einen Bestandteil des konkret-operatorischen Denkens.
das sie gemalt hatte: Sie hielt es sich selbst vor die Augen. Der 3-jährige Gary machte sich unsichtbar, indem er sich die Augen zuhielt: Er glaubte, wenn er seine Großeltern nicht sehen könne, dann können ihn auch seine Großeltern nicht sehen. Der kindliche Egozentrismus kommt auch in folgendem Gespräch mit einem kleinen Jungen zum Ausdruck (Phillips, 1969, S. 61): „Hast du einen Bruder?“ „Ja.“ „Wie heißt er denn?“ „Jim.“ „Hat Jim einen Bruder?“ „Nein.“
kSo-tun-als-ob-Spiel k
Symbolisches Denken und So-tun-als-ob-Spiel finden schon in einem früheren Alter statt, als Piaget annahm. DeLoache (1987) machte dazu folgendes Experiment: Sie zeigte Kindern das Puppenstubenmodell eines Zimmers und versteckte einen Spielzeughund hinter dem Spielzeugsofa. Zweieinhalbjährige Kinder konnten sich gut daran erinnern, wo der Spielzeughund versteckt war, konnten jedoch das Spielzeugmodell nicht auf die Wirklichkeit übertragen: Den Stoffhund hinter dem Sofa im Zimmer fanden sie nicht. Doch 3-jährige Kinder – nur 6 Monate älter! – gingen in der Regel direkt zum Stoffhund hinter dem konkreten Sofa. Das heißt, sie waren fähig, das Puppenhaus als Symbol für das konkrete Zimmer zu sehen. Obwohl Piaget nicht glaubte, dass sich der Übergang von einem Entwicklungsstadium zum nächsten abrupt vollzieht, hätte er sich über symbolisches Denken in so einem frühen Alter sehr gewundert. kEgozentrismus k
Piaget brachte uns bei, dass Vorschulkinder egozentrisch sind: Sie hatten Schwierigkeiten damit, die Dinge aus der Perspektive eines anderen zu sehen. Sie sind wie die Person, die, wenn sie von jemandem auf der anderen Seite eines Flusses gefragt wird: „Wie komme ich auf die andere Seite?“, antwortet: „Sie sind auf der anderen Seite.“ Die 2-jährige Gabriella sollte ihrer Mutter das Bild zeigen,
Steht ein Vorschulkind vor dem Fernseher und versperrt Ihnen die Sicht, dann geht es wie Gabriella davon aus, dass Sie dasselbe sehen, was es selbst sieht (. Abb. 6.19). Das Kind hat noch nicht die Fähigkeit entwickelt, einen anderen Standpunkt als den eigenen einzunehmen. Selbst als Erwachsene überschätzen wir noch das Ausmaß, in dem andere unsere Meinungen, unser Wissen und unsere Standpunkte teilen. Wir nehmen an, dass Dinge, die uns klar erscheinen, auch anderen Personen klar sind, oder dass ein Empfänger merken wird, wenn wir in einer E-Mail etwas schreiben, das nur scherzhaft gemeint ist (Epley et al., 2004; Kruger et al., 2005). Kinder sind aber noch anfälliger für solche Annahmen. Vielleicht können Sie sich daran erinnern, dass Sie jemanden gebeten haben, eine einfache Melodie wie „Happy Birthday“ zu erraten, während Sie geklatscht oder geklopft haben. Mit der Melodie in Ihrem Kopf schien es so offensichtlich! Aber Sie litten unter dem egozentrischen „Fluch des Wissens“, weil Sie annahmen, dass das, was in Ihrem Kopf war, auch in dem von jemand anderem war.
209
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
a ..Abb. 6.19 Egozentrismus in Aktion. „Guck, Opi, zwei gleiche!“ Das sagte meine [DMs] Enkelin, Allie, im Alter von 4 Jahren, als sie mir zwei Memory-Spiel-Karten mit übereinstimmenden Bildern zeigte – und zwar in ihre Richtung. (© David Myers)
Egozentrismus („egocentrism“) – in Piagets Entwick-
lungstheorie die mangelnde Fähigkeit des Kindes im präoperatorischen Stadium, den Standpunkt eines anderen Menschen einzunehmen.
» „Der Fluch des Wissens ist die bestmögliche Erklärung, b
die ich kenne, warum gute Menschen schlechte Prosa schreiben. Es kommt der Verfasserin einfach nicht in den Sinn, dass ihre Leser nicht wissen, was sie weiß.“ Steven Pinker, Psychologe, The Sense of Style (2014)
kTheory k of Mind
Als Rotkäppchen erkennt, dass ihre „Großmutter“ in Wirklichkeit ein Wolf ist, revidierte es seine Vorstellungen über die Absichten dieser Kreatur. Obwohl Vorschulkinder noch egozentrisch sind, entwickeln sie diese Fähigkeit, Schlüsse über mentale Zustände anderer Personen zu ziehen, wenn sie anfangen, eine Theory of Mind (Theorie über mentale Zustände) zu bilden (Premack & Woodruff, 1978).
c ..Abb. 6.18 a–c Piagets Test zum Prinzip der Mengenerhaltung. Dieses Kind im präoperatorischen Stadium versteht das Prinzip der Mengenerhaltung noch nicht. Wenn der Orangensaft in das niedrige, breite Glas gegossen wird, erscheint es ihm auf einmal weniger zu sein, als es im hohen, dünnen Glas war. In etwa einem Jahr wird das Kind verstehen, dass das Volumen unverändert bleibt. (© Bianca Moscatelli/Worth Publishers)
Theory of Mind (Theorie über mentale Zustände; „theory of mind“) – naive Psychologie, mit deren Hilfe sich Men-
schen die mentalen Zustände und inneren Prozesse anderer Menschen erklären. Dadurch sind sie in der Lage, die Gefühle, Wahrnehmungen und Gedanken anderer einzuordnen und Verhaltensweisen vorab einzuschätzen. Schon mit 7 Monaten verfügen Säuglinge teilweise über Wissen über die Vorstellungen anderer Menschen (Kovács et al., 2010). Allmählich entwickelt sich beim Kleinkind die Fähigkeit, innere Zustände anderer Menschen zu erkennen. Es wird versuchen, zu verstehen, was den Spielkameraden geärgert hat, wann die große Schwester
6
210
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
wohl bereit ist zu teilen und wie man es anstellen muss, damit der Vater ein Spielzeug kauft. In dem Maß, in dem das Kind die Fähigkeit entwickelt, die Perspektive eines anderen Menschen einzunehmen, wächst auch seine Fähigkeit zu necken, etwas nachdrücklich zu verlangen und andere zu überzeugen. Und wenn Kinder Entscheidungen treffen, nutzen sie ihr Verständnis dafür, wie sich andere durch ihre Handlungen fühlen werden (Repacholi et al., 2016). Kinder, die eine fortgeschrittene Fähigkeit haben, die Gedanken anderer nachzuvollziehen, sind eher hilfsbereit und beliebt (Imuta et al., 2016; Slaughter et al. 2015). Im Alter von 3½–4½ Jahren wird den Kindern allmählich klar, dass andere Menschen falsche Überzeugungen haben können (Callaghan et al., 2005; RubioFernández & Geurtz, 2013; Sabbagh et al., 2006). Jennifer Jenkins und Janet Astington (1996) machten folgenden Versuch mit kanadischen Kindern: Sie zeigten ihnen eine Heftpflasterschachtel und fragten sie, was da wohl drin sei. Da die Kinder dachten, es seien Heftpflaster drin, waren sie sehr erstaunt, als sie entdeckten, dass die Schachtel Bleistifte enthielt. Auf die Frage, was wohl ein Kind, das nicht in die Schachtel gesehen hatte, glauben würde, was in der Schachtel wäre, lautete die typische Antwort der 3-Jährigen: „Bleistifte“. Bei 4- bis 5-jährigen Kindern hat die Theory of Mind einen Entwicklungssprung gemacht, und sie erwarten, ihre Freunde könnten irrigerweise glauben, in der Schachtel seien Heftpflaster. In einem späteren Experiment sahen Kinder, wie die Puppe Sally ihren Ball in einen roten Schrank legt (. Abb. 6.20). Die Puppe Anne holt den Ball heraus und legt ihn in einen blauen Schrank. Dann wird das Kind gefragt: In welchem Schrank wird Sally nach ihrem Ball suchen, wenn sie zurückkommt? Kinder mit AutismusSpektrum-Störung haben Probleme, zu begreifen, dass Sallys Gedankengang nicht der gleiche ist wie ihrer und dass Sally, die ja nicht weiß, dass der Ball herausgenommen wurde, ihren Ball in dem roten Schrank sucht. Autistische Kinder können auch ihre eigenen inneren Zustände nicht erkennen. Sie verwenden beispielsweise die Personalpronomina „ich“ und „mir“ oder „mich“ relativ selten. Ähnliche Probleme haben gehörlose Kinder, deren Eltern normal hören und die wenig Gelegenheit zur Kommunikation haben. Auch sie können nur mühsam die Gefühlszustände anderer Menschen erkennen (Peterson & Siegal, 1999). zz Konkret-operatorisches Stadium
Nach Piagets Theorie erreichen Kinder etwa im Alter von 7 Jahren das konkret-operatorische Stadium. Bietet man ihnen die entsprechenden konkreten Möglichkeiten zum Ausprobieren, begreifen sie sehr schnell das Prinzip der Mengenerhaltung, dass nämlich eine veränderte Form nicht bedeutet, dass die Menge verändert wurde. Sie brauchen auch keinen praktischen Beweis mehr, sondern können sich vorstellen, Milch von einem hohen schmalen in ein kleines breites Glas zu gießen. In diesem Alter haben Kinder Spaß an Witzen, bei denen sie ihr
Das ist Sally.
Das ist Anne.
Sally legt ihren Ball in den roten Schrank.
Sally geht weg.
Anne nimmt den Ball und legt ihn in den blauen Schrank.
Wo wird Sally nach ihrem Ball suchen? ..Abb. 6.20 Untersuchung der Theory of Mind von Kindern. Dieses einfache Problem ist ein Beispiel dafür, auf welche Weise Wissenschaftler:innen herausfinden, wie sich ein Kind das Denken anderer Menschen vorstellt. (Nach Baron-Cohen et al., 1985, Copyright 1985, reprinted with permission from Elsevier)
neu erworbenes Verständnis für die Mengenerhaltung anwenden können: Mr. Jones geht in ein italienisches Lokal und bestellt eine ganze Pizza zum Abendessen. Der Kellner fragt ihn, ob er die Pizza in 6 oder in 8 Stücke schneiden soll. Mr. Jones antwortet: „Bitte nur 6 Stücke, denn 8 Stücke würde ich nicht schaffen.“ (McGhee, 1976) Konkret-operatorisches Stadium („concrete operational stage“) – in Piagets Theorie das Stadium der kognitiven
Entwicklung (vom 6./7. bis zum 11. Lebensjahr), in dem Kinder die geistigen Operationen entwickeln, die sie dazu befähigen, logisch über konkrete Ereignisse nachzudenken. Piaget glaubte, dass Kinder während des konkret-operatorischen Stadiums anfangen, mathematische Transformationen und Erhaltung zu verstehen. Als meine [DMs]
211
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
..Tab. 6.1 Stadien der kognitiven Entwicklung nach Piaget Typischer Altersbereich
Stadienbeschreibung
Entwicklungsmerkmale
Geburt bis ca. 2 Jahre
Sensomotorisch Erfahren der Welt durch Handlungen und Sinneswahrnehmung (schauen, hören, anfassen, in den Mund nehmen, greifen)
Objektpermanenz Fremdeln
Ca. 2.–6. oder 7. Lebensjahr
Präoperatorisch Darstellen von Dingen mit Worten oder Bildern; eher Einsatz des intuitiven als des logischen Denkens
So-tun-als-ob-Spiel Egozentrismus
Ca. 7.–11. Lebensjahr
Konkret-operatorisch Logisches Nachdenken über konkrete Ereignisse; konkrete Analogien erfassen; mathematische Operationen durchführen
Mengenerhaltung Mathematische Transformationen
Ca. 12. Lebensjahr bis zum Erwachsenenalter
Formal-operatorisch Abstraktes Denken
Abstrakte Logik Potenzial für reifes moralisches Denken
Tochter Laura 6 Jahre alt war, war ich überrascht, dass sie arithmetische Operationen nicht umkehren konnte. Für die Antwort auf die Frage: „Wie viel ist 8+4?“ brauchte sie fünf Sekunden, und dann nochmals fünf Sekunden, um auszurechnen, wie viel 12−4 ist. Mit 8 Jahren konnte sie die zweite Aufgabe sofort beantworten. zz Formal-operatorisches Stadium
Laut Piaget erweitern sich unsere Denkprozesse vom konkreten (auf Erfahrung basierenden) zum abstrakten Denken (einschließlich der Fähigkeit, Fantasiewelten zu schaffen und Symbole zu verstehen), wenn wir das 12. Lebensjahr erreichen. Viele Kinder erlangen in der Adoleszenz die Fähigkeit, hypothetische Probleme zu lösen und Konsequenzen abzuleiten. Das Kind verwendet „Wenn-dann“-Denkmuster. Dieses systematische Schlussfolgern nannte Piaget formale Operationen. Formal-operatorisches Stadium („formal operational stage“) – nach Piaget das Stadium der kognitiven Ent-
wicklung, das normalerweise mit dem 12. Lebensjahr beginnt. In dieser Phase erwirbt das Kind die Fähigkeit, logisch über abstrakte Konzepte nachzudenken.
..Abb. 6.21 Roger hat seinen kindlichen Egozentrismus noch nicht überwunden. (David Sipress/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Ein alternativer Standpunkt: Lev Vygotsky Obwohl die vollständig ausgeprägte Logik und das und das soziale Kind Schlussfolgern bis in die Adoleszenz warten müssen, setzt rudimentäres Denken in formalen Operationen früher ein, als Piaget dachte. Der Entwicklungsschritt vom konkreten zum formalen Denken wird an folgendem einfachen Beispiel deutlich: Wenn John in der Schule ist, dann ist Mary in der Schule. John ist in der Schule. Was kannst du über Mary aussagen? Kinder, die das formal-operatorische Stadium erreicht haben, haben keinerlei Schwierigkeiten, diese Frage richtig zu beantworten, doch auch die meisten 7-jährigen Kinder können das (Suppes, 1982). Jedes der vier Entwicklungsstadien ist durch ganz spezifische Merkmale gekennzeichnet, die eine spezifische Art des Denkens bewirken (. Tab. 6.1; . Abb. 6.21).
Genau wie Jean Piaget eine Theorie der kognitiven Entwicklung aufstellte, befasste sich auch der russische Psychologe Lev Vygotsky mit dem kindlichen Denken und Lernen (. Abb. 6.22). Während Piaget betonte, wie sich das kindliche Denken durch die Interaktion mit der physischen Umwelt entwickelt, setzte Vygotsky seinen Schwerpunkt auf die Entwicklung durch die Interaktion mit der sozialen Umwelt. Während das Kind in Piagets Vorstellung ein junger Wissenschaftler war, machte Vygotsky Kinder zu jungen Lehrlingen. Wenn Eltern, Lehrer und andere Kindern Wörter präsentieren und als Mentor:innen agieren, liefern sie ihnen ein Gerüst, auf das Kinder steigen können, um ein höheres Denkniveau zu erreichen (Renninger & Granott, 2005). Kinder lernen am besten, wenn ihr soziales Umfeld ih-
6
212
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Für welche Stadien nach Piaget stellen Objektpermanenz, So-tun-als-ob-Spiel, Mengenerhaltung und abstrakte Logik jeweils Meilensteine in der Entwicklung dar? – Ordnen Sie die folgenden Stadien der kognitiven Entwicklung (a–d) dem jeweiligen Entwicklungsphänomen (1–6) zu: a. Sensomotorisch, b. Präoperatorisch, c. Konkret-operatorisch, d. Formal-operatorisch
6
..Abb. 6.22 Lev Vygotsky (1896–1934). Der russische Entwicklungspsychologe Lev Vygotsky (hier mit seiner Tochter) erforschte, wie das kindliche Denken durch Sprache und soziale Interaktion angeregt wird. (Mit freundlicher Genehmigung von James V. Wertsch)
nen etwas bietet, das im Grenzbereich zwischen zu leicht und zu schwer liegt. Vygotsky (der im selben Jahr geboren wurde wie Piaget, jedoch jung an Tuberkulose starb) sah die Sprache als zentralen Bestandteil des sozialen Umfeldes, der die Bausteine des Denkens bereitstellt. Mit 7 Jahren denken Kinder in Wörtern und lösen mit Hilfe dieser Wörter Probleme. Dies gelingt, indem die Kinder die Sprache ihrer Kultur internalisieren und auf den inneren Dialog vertrauen. Wenn Eltern die Hand des Kindes vom Kuchen wegschieben und dabei „nein“ sagen, dann geben sie dem Kind ein Werkzeug zur Selbstkontrolle an die Hand. Ist es später einmal nötig, einer Versuchung zu widerstehen, dann sagt das Kind wahrscheinlich „nein“ zu sich selbst. Zweitklässler, die beim Rechnen vor sich hin murmeln, erfassen die Mathematik der 3. Klasse im folgenden Jahr leichter (Berk, 1994). Laute oder auch unhörbare Selbstgespräche helfen Kindern, Verhalten und Gefühle zu steuern und neue Fertigkeiten zu erwerben. (Es hilft auch Erwachsenen. Erwachsene, die sich durch Selbstgespräche motivieren – „Du schaffst das!“ – zeigen bessere Leistungen [Kross et al., 2014].) Scaffolding („scaffold“) – in Vygotskys Theorie ein Ge-
rüst, das Kindern vorübergehend Unterstützung bietet, während sie ein höheres Denkniveau erreichen.
1. Nachdenken über abstrakte Konzepte, z. B. „Freiheit“. 2. Spaß an Phantasiespielen (z. B. Verkleiden). 3. Verständnis, dass physikalische Eigenschaften auch dann erhalten bleiben, wenn Objekte ihre Form verändern. 4. Fähigkeit, mathematische Operationen umzukehren. 5. Verständnis, dass etwas nicht verschwindet, wenn man es nicht mehr sehen kann, z. B. wenn die Mutter hinter dem Duschvorhang „verschwindet“. 6. Schwierigkeiten dabei, den Standpunkt einer anderen Person einzunehmen (z. B. wenn man die Sicht einer anderen Person auf den Fernseher versperrt).
Überlegungen zu Piagets Theorie
» „Wenn man Piagets Einfluss auf die Entwicklungspsy-
chologie einschätzen soll, dann ist das so, als wolle man den Einfluss von Shakespeare auf die englische Literatur einschätzen.“ Der Entwicklungspsychologe Harry Beillin (1992)
Was ist von Piagets Vorstellungen über das Denken von Kindern und seine Entwicklung geblieben? Viel, sehr viel, und auf jeden Fall genug, dass die Wochenzeitschrift Time ihn zu einem der einflussreichsten Wissenschaftler und Denker des 20. Jahrhunderts ernannte und er nach einer Umfrage unter britischen Psychologen als der bedeutendste Psychologe des 20. Jahrhunderts eingestuft wurde (Psychologist, 2003). Piaget entdeckte die Meilensteine der kognitiven Entwicklung und lenkte überall auf der Welt das Interesse auf die Frage, wie sich das Denken entwickelt. Er legte die Betonung weniger auf das Alter, in dem ein Kind ein bestimmtes Entwicklungsstadium erreicht, sondern eher auf die Reihenfolge der Stadien.
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
213
Rund um den Erdball, bei den Aborigines in Australien über Algerien bis nach Nordamerika, wurden Studien durchgeführt, die von seinen Vorstellungen geleitet waren; sie stützten seine Auffassung, dass die kognitive Entwicklung des Menschen im Wesentlichen so verläuft, wie er es dargestellt hat (Lourenco & Machado, 1996; Segall et al., 1990). Heute sehen Wissenschaftler:innen jedoch die Entwicklung stärker als Piaget als kontinuierlichen Prozess. Sie entdeckten, dass die Anfänge bestimmter typischer Denkprozesse früher liegen, als Piaget annahm, und sie fanden konzeptuelle Fähigkeiten, die Piaget übersah. Während Piaget die formale Logik für einen entscheidenden Teil der Kognition hielt, misst die heutige Wissenschaft ihr etwas weniger Bedeutung in Bezug auf die Kognition bei. Seine Vorstellungen sind heute zu einem Bestandteil unserer eigenen kognitiven Entwicklung geworden: Wir passen seine Ideen unseren Vorstellungen an, um neue Befunde akkommodieren zu können.
eines von 2500 Kindern von ASS betroffen ist (wobei man einfach von Autismus sprach), finden sich ASS heute bei einem von 68 US-amerikanischen Kindern. Die Angaben variieren jedoch je nach Ort: In New Jersey ist die Prävalenz 4-mal so hoch wie in Alabama, in Großbritannien liegt sie bei 1 zu 100 und in Südkorea bei 1 zu 38 (CDC 2014; Kim et al., 2011; NAS 2011). Die Zunahme von ASS-Diagnosen ist mit einer Abnahme von Kindern, bei denen geistige Behinderung oder Lernstörungen diagnostiziert wurden, einhergegangen, was den Verdacht nahelegt, dass es sich in vielen Fällen um eine Umbenennung der Diagnosen handelt (Gernsbacher et al., 2005; Grinker, 2007; Shattuck, 2006).
zz Implikationen für Eltern und Lehrer
Der Autismus-Spektrum-Störung scheint eine unzureichende Kommunikation zwischen Hirnarealen zugrunde zu liegen, die normalerweise zusammenarbeiten, um uns die Übernahme fremder Sichtweisen zu gestatten. Während andere Kinder ab einem Alter von 2 Monaten mehr und mehr Zeit damit verbringen, anderen in die Augen zu schauen, geschieht dies bei denjenigen, die später ASS entwickeln, immer weniger (Jones & Klin, 2013). Menschen mit ASS wird deswegen eine beeinträchtigte Theory of Mind nachgesagt (Rajendran & Mitchell, 2007; Senju et al., 2009). Intuitives Gedankenlesen (Bringt das Gesicht ein selbstzufriedenes Lächeln oder ein verächtliches Grinsen zum Ausdruck?) ist für Menschen mit ASS eine schwierige Angelegenheit. Sie haben Schwierigkeiten, die Gedanken und Gefühle anderer Menschen wahrzunehmen (. Abb. 6.23). Sie können nicht akzeptieren, dass Spielkamerad:innen oder Eltern die Dinge anders sehen und Lehrer:innen mehr wissen als sie selbst (Boucher et al., 2012; Frith & Frith, 2001; Knutsen et al., 2015). Teilweise aus solchen Gründen ergab eine nationale Umfrage unter Eltern und Schulpersonal, dass 46 % der Jugendlichen mit ASS unter den Hänseleien und Quälereien des Mobbings gelitten hatten – 4-mal mehr als die 11 % bei anderen Kindern (Sterzing et al., 2012). Kinder mit ASS finden zwar Freunde, aber diese empfinden solche Beziehungen oft als emotional unbefriedigend (Mendelson et al., 2016). Die Autismus-Spektrum-Störung hat unterschiedliche Schweregrade. Bei etwa der Hälfte der Menschen mit ASS kommt es zu einem „mittelmäßigen“ oder sogar „guten“ Verlauf (Steinhausen et al., 2016). Einige (diejenigen, bei denen die früher als Asperger-Syndrom bezeichnete Diagnose gestellt wurde; . Abb. 6.24) funktionieren im Allgemeinen auf einem hohen Niveau. Sie zeichnen sich durch eine normale Intelligenz aus, die
Zukünftige Eltern und Lehrer:innen sollten nicht vergessen, dass die Logik der Erwachsenen für Kinder nicht nachvollziehbar ist. Vorschulkinder, die unsere Sicht auf den Fernseher versperren, haben einfach noch nicht gelernt, die Perspektive einer anderen Person einzunehmen. Ein für uns Erwachsene simpler und offensichtlicher Tatbestand – wenn das eine Kind von der Wippe springt, schlägt das andere Kind heftig auf dem Boden auf – ist für ein 3-jähriges Kind nicht einsichtig. Darüber hinaus sind Kinder keine passiven Aufnahmebehälter, die darauf warten mit Wissen gefüllt zu werden. Es ist besser, an die Dinge anzuknüpfen, die sie bereits wissen, sie durch Vormachen anzuregen und sie dazu zu bringen, selbst nachzudenken. Wir müssen die fehlende kognitive Reife von Kindern als Anpassungsprozess verstehen, als eine von der Natur vorgesehene Strategie, deren Zweck es ist, Kinder im Schutz von Erwachsenen aufwachsen zu lassen und ihnen dadurch Zeit zum Lernen und zur Sozialisation zu geben (Bjorklund & Green, 1992).
» „Die Kindheit hat ihre eigene Art zu sehen, zu denken
und zu empfinden; nichts ist unvernünftiger, als unsere Art an Stelle dessen zu setzen.“ Jean-Jacques Rousseau, Philosoph (1798)
Autismus-Spektrum-Störung ?? 6.6 Was ist eine Autismus-Spektrum-Störung?
Diagnosen von Autismus-Spektrum-Störungen (ASS) – eine psychische Störung, die sich durch soziale Schwierigkeiten und repetitives Verhalten auszeichnet – haben zugenommen. Während früher angenommen wurde, dass
Autismus-Spektrum-Störung (ASS, „autism spectrum disorder“) – Störung, die im Kindesalter auftritt und durch
signifikante Defizite in der Kommunikation und sozialer Interaktion sowie durch starr fixierte Interessen und sich wiederholende Verhaltensweisen gekennzeichnet ist.
6
214
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
6 ..Abb. 6.23 Autismus-Spektrum-Störung. Diese Sprachpathologin hilft einem Jungen mit Autismus-Spektrum-Störung (ASS), Laute und Wörter zu bilden. ASS ist gekennzeichnet durch mangelhafte soziale Kommunikation und Schwierigkeiten, die Gemütszustände anderer zu erfassen. (© Ozier Muhammad/The New York Times/Redux)
oft zusammenfällt mit außergewöhnlichen Fähigkeiten oder einem besonderen Talent in einem spezifischen Bereich (. Abb. 6.24). Gleichzeitig zeigen sich jedoch eingeschränkte soziale und kommunikative Fähigkeiten sowie die Tendenz, sich leicht von irrelevanten Reizen ablenken zu lassen (Remington et al., 2009). Diejenigen, die sich am schwereren Ende des Spektrums befinden, haben mit sprachlichen Schwierigkeiten zu kämpfen. Biologische Faktoren, einschließlich genetischer Einflüsse und anomaler Gehirnentwicklung, tragen zu ASS bei (Colvert et al., 2015; Makin, 2015; Tick et al., 2015). Studien deuten darauf hin, dass die pränatale Umgebung eine Rolle spielt, insbesondere wenn sie durch mütterliche Infektionen und Entzündungen, PsychopharmakaKonsum oder Stresshormone verändert wird (NIH, 2013; Wang, 2014). Impfungen in der Kindheit tragen nicht zu ASS bei (Taylor et al., 2014). Basierend auf einer gefälschten Studie aus dem Jahr 1998 – „der schädlichste medizinische Schwindel der letzten 100 Jahre“ (Flaherty, 2011) – wurde einigen Eltern vorgegaukelt, dass die Impfung gegen Masern, Mumps und Röteln (MMR) im Kindesalter das Risiko für ASS erhöht. Die unglückliche Folge war ein Rückgang der Impfzahlen und ein Anstieg der Fälle von Masern und Mumps. Einige ungeimpfte Kinder erleiden Langzeitschäden oder sogar den Tod. Ungeimpfte Kinder gefährden auch jene Kinder, die zu jung sind, um vollständig geimpft zu werden. In einem Verhältnis von 3:1 sind Jungen häufiger von ASS betroffen als Mädchen (Loomes et al., 2017). Der Psychologe Simon Baron-Cohen (2010) vertritt die Auffassung, dass dies daran liegt, dass Jungen oft „Systematisierer“ sind. Sie neigen dazu, die Dinge nach Regeln oder Gesetzen wie in mathematischen und mechanischen Systemen zu verstehen. Baron-Cohen behauptet, Mädchen
..Abb. 6.24 „Autismus“-Fall Nummer 1. Im Jahr 1943 erhielt Donald Gray Triplett, ein „seltsames“ Kind mit ungewöhnlichen Begabungen und sozialen Defiziten, als erste Person die Diagnose „Autismus“. (Nach einer Änderung des Diagnosehandbuchs im Jahr 2013 wird sein Zustand nun „Autismus-Spektrum-Störung“ genannt.) Im Jahr 2016, im Alter von 82 Jahren, lebte Triplett immer noch in seinem Familienhaus und in der Stadt Mississippi, wo er oft Golf spielte. (Atlas, 2016; © Yuval Levental, lizensiert unter CC BY-SA 4.0, 7 https:// creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0/deed.en, es wurden keine Änderungen vorgenommen)
seien dafür prädisponiert, empathisch, also mitfühlend zu sein. Sie sind eher imstande, etwas aus Gesichtern und von Gesten abzulesen (van Honk et al., 2011). Und egal, ob männlich oder weiblich, Menschen mit ASS sind Systematisierer, die größere Schwierigkeiten beim Lesen von Gesichtsausdrücken haben (Baron-Cohen et al., 2015). Zahlreiche Studien bestätigen biologische Einflüsse. Wenn ein eineiiger Zwilling die Diagnose ASS erhält, dann liegt die Wahrscheinlichkeit dafür, dass auch beim zweiten Zwilling Autismus vorliegt, bei 50–70 % (Tick et al., 2015; . Abb. 6.25). Jüngere genetische Geschwister von Kindern mit ASS weisen ebenfalls ein erhöhtes Risiko auf (Sutcliffe, 2008). Nicht ein einzelnes „Autismus-Gen“ ist für die Störung verantwortlich. Vielmehr scheinen viele Gene – bisher wurden mehr als 400 gefunden – eine Rolle zu spielen (Krishnan et al., 2016; Yuen et al., 2016). Auch zufällige Mutationen in Spermazellen könnten eine Rolle spielen. Bei älteren Männern kommt es häufiger zu solchen Mutationen, was erklären könnte, weswegen Männer über 40 ein sehr viel höheres Risiko haben, Kinder mit ASS zu zeugen, als Männer unter 30 (Reichenberg et al., 2007). Die Wissenschaft erforscht auch Anzeichen von ASS in der Struktur des Gehirns. Mehrere Studien haben „Unterkonnektivität“ festgestellt – weniger Nervenbahnen, die den vorderen Teil des Gehirns mit dem hinteren verbinden, als dies normalerweise der Fall ist (Picci et al., 2016). Bei Unterkonnektivität gibt es im gesamten Gehirn weniger Synchronität, die z. B. visuelle und emotionale Informationen zusammenführt.
215
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
empfinden und ausdrücken (siehe 7 http://www.thetransporters.com). Die Forschenden waren überrascht über das Ausmaß, in dem es den Kindern gelang, das Gelernte auf neue, reale Situationen zu übertragen. Am Ende der Intervention entsprach ihre zuvor eingeschränkte Fähigkeit, Gefühle an echten Gesichtern abzulesen, derjenigen von Kindern ohne ASS. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie hängt die Theory of Mind mit einer Autismus-Spektrum-Störung zusammen?
..Abb. 6.25 Teilen mehr als nur das Aussehen. Die Zwillinge Johanna und Eva teilen eine genetisch bedingte leichte Autismus-SpektrumStörung. (© Lisa Wiltse/Getty Images)
Die Rolle der Biologie bei ASS zeigt sich auch in der Hirnfunktion. Personen ohne ASS gähnen häufig, wenn sie andere Personen gähnen sehen. Und wenn sie sehen, wie eine andere Person lächelt oder die Stirn runzelt, und dies imitieren, dann empfinden sie etwas davon nach, was diese andere Person fühlt. Bei Personen mit ASS zeigt sich jedoch viel weniger Imitationsverhalten. Zudem weisen sie auch sehr viel weniger Aktivität in Hirnarealen auf, die mit dem Nachahmen anderer Personen zusammenhängen (Edwards, 2014; Yang & Hoffman, 2015). Wenn Menschen mit ASS beispielsweise die Handbewegung einer anderen Person beobachten, zeigt ihr Gehirn weniger Spiegelungsaktivität, als dies gewöhnlich der Fall ist (Oberman & Ramachandran, 2007; Théoret et al., 2005). Wissenschaftler:innen erforschen und diskutieren die Idee eines „kaputten Spiegels“ bei Personen mit ASS (Gallese et al., 2011; Schulte-Rüther et al., 2016). Und sie erforschen, ob eine Behandlung mit Oxytocin, dem Hormon, das die soziale Bindung fördert, soziales Verstehen bei Menschen mit ASS verbessern könnte (Gordon et al., 2013; Lange & McDougle, 2013). Auf der Suche nach einem Weg, um „Empathie zu systematisieren“, arbeiteten Baron-Cohen und seine Kolleg:innen an der Cambridge University (2007; Golan et al., 2010) mit der britischen National Autistic Society und einer Filmproduktionsfirma zusammen. Basierend auf der Beobachtung, dass sich Fernsehsendungen, in denen Fahrzeuge vorkommen, bei Kindern mit ASS großer Beliebtheit erfreuen, entwickelten sie Animationen, in denen Spielzeugstraßenbahnen, -züge und -traktoren im Kinderzimmer eines fiktiven Jungen Gesichter mit verschiedenen Emotionsausdrücken aufgesetzt wurden (. Abb. 6.26). Nachdem der Junge sein Zimmer verlassen hatte, um zur Schule zu gehen, beginnen die Fahrzeuge, sich zu bewegen. Dabei machen sie verschiedene Erfahrungen, bei denen sie unterschiedliche Emotionen
6.2.3
Soziale Entwicklung
?? 6.7 Wie entsteht die Eltern-Kind-Bindung?
Säuglinge sind meist von Geburt an gesellig und entwickeln eine intensive Bindung zu ihren Betreuungspersonen. Neugeborene zeigen von Anfang an eine Vorliebe für vertraute Gesichter und Stimmen, und bald reagieren sie mit Gurren und Glucksen, wenn die Mutter oder der Vater sich ihnen zuwendet. Doch dann geschieht etwas Merkwürdiges: Kaum kann ein Kind sich aus eigener Kraft fortbewegen (krabbeln) und entwickelt ein Gefühl für Objektpermanenz, zeigt es in den meisten Kulturen Angst vor unbekannten Personen: Es „fremdelt“ (. Abb. 6.27). Nach etwa 8 Monaten reagiert es möglicherweise mit Schreien auf unbekannte Menschen und streckt die Ärmchen nach den vertrauten Bezugspersonen aus, als wolle es sagen: „Nein! Lass mich nicht allein!“ In diesem Alter verfügen Kinder über Schemata für vertraute Gesichter, und wenn sie ein neues Gesicht nicht in diese Schemata assimilieren können, geraten sie aus der Fassung (Kagan, 1984). Einmal mehr zeigt sich hier ein wichtiges Prinzip: Das Gehirn, der Verstand und das sozial-emotionale Verhalten entwickeln sich gemeinsam. Fremdeln („stranger anxiety“) – Furcht vor Menschen, die
dem Kind unbekannt sind. Das Fremdeln tritt allgemein bei Kindern ab dem 8. Lebensmonat erstmals auf.
Ursprünge des Bindungsverhaltens Mit 12 Monaten klammern sich viele Kinder an einen Elternteil, wenn sie Angst haben oder eine Trennung befürchten. Sind Kind und Bezugsperson nach einer Trennung wieder vereint, überschüttet das Kind den vermissten Menschen mit Lächeln und Umarmungen. Diese starke Eltern-Kind-Bindung ist eine wirkungsvolle Triebkraft zum Überleben, die Kinder nah bei ihren Betreuungspersonen bleiben lässt. Der Säugling entwickelt in der Regel eine Bindung an die Menschen – normalerweise seine Eltern –, die ihm vertraut sind und die ihm
6
216
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Der Hund des Nachbarn hat Louise schon einmal gebissen. Jetzt bellt er sie an.
Welches der drei Gesichter zeigt, wie sich Louise dabei fühlt?
14
6 Fehlerfreiheit
13 12
Nach der Intervention hatten Kinder mit Autismus weniger Schwierigkeiten, einen Gesichtsausdruck dem Kontext zuzuordnen.
11 10 9
a
8 Zeitpunkt 1
b
Kontrollgruppe
Zeitpunkt 2 Versuchsgruppe
..Abb. 6.26 a,b Fahrzeuge in einer Welt der Gefühle. Ein Forscherteam am Autism Research Centre der Cambridge University zeigte Kindern mit Autismus-Spektrum-Störung a Spielzeugfahrzeuge und b menschliche Gesichter, die Gefühle empfanden und zeigten. (© Mit freundlicher Genehmigung von Simon Baron-Cohen,
https://www.autismcentreofexcellence.org/transporters/). Die Kinder ordneten das richtige Gesicht der Geschichte zu („Der Hund des Nachbarn hat schon einmal Menschen gebissen. Er bellt Louise an. Zeig auf das Gesicht, das zeigt, wie sich Louise fühlt“). (Die Grafik zeigt die Daten für zwei Versuche.)
Geborgenheit bieten. Viele Jahre lang hatten die Entwicklungspsycholog:innen geglaubt, Säuglinge bauten eine Bindung zu den Menschen auf, die ihr Bedürfnis nach Nahrung befriedigen. Doch ein Zufallsbefund stellte diese Erklärung radikal in Frage.
entwickelten die Affenbabys eine intensive Beziehung zu ihrer weichen Decke: Nahm man sie ihnen weg, um sie zu waschen, zeigten die kleinen Affen alle Zeichen von Kummer und Stress. Diese Bindung an die Decke widersprach nach Auffassung der Harlows der Vorstellung, dass sich Bindungsverhalten auf die Assoziation mit Nahrung zurückführen lässt. Doch wie ließ sich das noch überzeugender demonstrieren? Die Harlows wollten die Anziehungskraft einer Futterquelle gegen den tröstlichen Kontakt mit der Decke ausspielen und schufen deshalb zwei künstliche „Mütter“. Die eine war ein Drahtzylinder mit einem Kopf aus Holz, an der eine Saugflasche angebracht war, die andere ein Drahtzylinder, der von einer Plüschdecke umhüllt war. Wurden die Äffchen mit beiden großgezogen, dann zogen sie mit überwältigender Mehrheit die tröstliche Plüschmutter vor (. Abb. 6.28). Wie Säuglinge, die sich an ihre Mutter klammern, klammerten sich die Äffchen an ihre Plüschmutter, wenn sie Angst hatten. Sie benutzten sie auch als geschützte Basis, von der aus sie Ausflüge in die Umgebung wagten, als wären sie durch
Bindung („attachment“) – emotionales Band zwischen
dem sehr kleinen Kind und seiner Bezugsperson. Das Kind sucht die Nähe zur Bezugsperson und reagiert auf Trennung mit Kummer und Schmerz. zz Körperkontakt
In den 50er Jahren des vorigen Jahrhunderts zogen die Psycholog:innen Margaret und Harry Harlow von der University of Wisconsin Affen groß, die sie für ihre Lernexperimente brauchten. Sie wollten alle Affenkinder unter den gleichen Bedingungen aufziehen und sie gegen Krankheiten abschirmen. Deshalb trennten sie die Affenkinder kurz nach der Geburt von ihren Müttern, brachten sie in einzelnen Käfigen unter und gaben ihnen eine weiche Babydecke aus Mull (Harlow et al., 1971). Zur Überraschung der Wissenschaftler:innen
217
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
..Abb. 6.27 Fremdeln. Die neu auftauchende Fähigkeit, Menschen als unbekannt und damit möglicherweise als bedrohlich einzuschätzen, trägt dazu bei, Säuglinge im Alter von 8 oder mehr Monaten vor Schaden zu bewahren. (© anoushkatoronto/Stock.adobe.com)
ein unsichtbares Gummiband, das sich ein Stück weit dehnte und dann das Affenkind zurückzog, mit der Mutter verbunden. In weiteren Studien wurden noch andere Eigenschaften gefunden, die das Bindungsverhalten beeinflussen: auf den Armen wiegen, Wärme und Nahrung spenden – all das machte die Plüschmutter nur noch attraktiver. Auch Babys entwickeln eine Bindung zu den Eltern, die weich und warm sind, das Kind in den Armen wiegen, füttern und streicheln. Ein Großteil der emotionalen Kommunikation zwischen Säugling und Eltern vollzieht sich über Berührungen, die entweder tröstend (Kuscheln) oder erregend (Kitzeln) sein können (Hertenstein et al., 2006). Tatsächlich stimmen Menschen auf der ganzen Welt bei der Frage nach der Beschreibung der idealen Mutter darin überein, dass sie „Zuneigung durch Berührungen zeigt“ (Mesman et al., 2015). Auch bei Menschen bedeutet Bindungsverhalten, dass ein Mensch für den anderen ein sicherer Zufluchtsort in Augenblicken der Not ist und eine geschützte Basis, von der aus man die Umgebung erforschen kann. In dem Maß, wie wir heranwachsen und uns entwickeln, verlagert sich dieses Sicherheitsgefühl von den Eltern auf Gleichaltrige und auf Partner:innen (Cassidy & Shaver, 1999). Gesellige Wesen sind wir allerdings in jedem Alter. Wenn uns jemand mit Worten oder Taten ein Gefühl der Sicherheit gibt, gibt uns dies Stärke: „Ich bin da. Mein Interesse gilt dir. Komme, was da kommen mag, ich unterstütze dich“ (Crowell & Waters, 1994). >>Für manche Menschen hat die wahrgenommene Bezie-
hung zu Gott die gleiche Funktion wie andere Bindungen – sie bietet eine geschützte Basis zum Erkunden und einen sicheren Zufluchtsort bei Bedrohungen (Granqvist et al., 2010; Kirkpatrick, 1999).
..Abb. 6.28 Harlows Mütter. Die Psycholog:innen Harry Harlow and Margaret Kuene Harlow zogen Affen mit zwei künstlichen Müttern auf: Die eine war ein nur aus Draht bestehender Zylinder und hatte einen hölzernen Kopf. An dieser „Mutter“ war eine Nuckelflasche befestigt. Die andere „Mutter“ war auch ein Drahtzylinder, hatte keine Nuckelflasche, war aber mit Schaumstoff umhüllt und mit einer Plüschdecke bezogen. Was Harlow and Kuene Harlow entdeckten, überraschte viele Psycholog:innen: Die Äffchen suchten weit mehr den Kontakt mit der tröstlich-weichen Plüschmutter, obwohl die Nuckelflasche an der anderen Draht-Mutter hing. (Mit freundlicher Genehmigung des Harlow Primate Laboratory, University of Wisconsin. Das Foto wurde 1958 aufgenommen.)
zz Vertrautheit
Kontakt ist der eine Schlüsselbegriff für Bindungsverhalten, ein anderer ist Vertrautheit. Bei vielen Tieren bildet sich eine auf Vertrautheit beruhende Bindung während einer kritischen Phase aus. Dabei handelt es sich um einen optimalen Zeitpunkt kurz nach der Geburt, zu dem bestimmte Dinge geschehen müssen, wenn die Entwicklung richtig verlaufen soll (Bornstein, 1989). Kritische Phase („critical period“) – wird ein Organismus zu diesem optimalen, frühen Zeitpunkt bestimmten Reizen oder Erfahrungen ausgesetzt, so wird der angemessene Entwicklungsprozess in Gang gesetzt.
Wenn ein Gänse‑, Enten- oder Hühnerküken aus dem Ei schlüpft, ist normalerweise die Mutter das erste Objekt, das es erblickt und das sich bewegt. Von diesem Moment an folgt das Junge der Mutter und zwar nur ihr. Dieser starre Bindungsprozess, Prägung genannt, wurde von Konrad Lorenz (1937) erforscht. Er stellte
6
218
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
gehen. Vertrautheit bedeutet für Kinder Sicherheit und schafft Zufriedenheit. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Inwiefern unterscheidet sich Prägung von Bindung?
Unterschiede in der Bindung ?? 6.8 Wie haben Forscher:innen Unterschiede in der
Bindung untersucht und zu welchen Erkenntnissen kamen sie dadurch?
6
..Abb. 6.29 Prägung. Schreikraniche lernen ihr Wanderverhalten normalerweise dadurch, dass sie ihren Eltern folgen. Diese Kraniche wurden beim Schlüpfen auf einen kranichförmigen Ultraleicht-Flieger geprägt, der sie im Winter zu Brutgebieten führt (Mooallem, 2009; © Boris Roessler/picture-alliance/dpa)
sich folgende Frage: Was würden Entenküken tun, wenn er selbst das erste Lebewesen wäre, das sie erblickten? Nun, sie taten, was sie tun mussten: Sie folgten ihm überall hin. Weitere Tests zeigten, dass bei Vogeljungen zwar die beste Prägung die auf ein Tier ihrer eigenen Art war, dass sie sich jedoch auch auf Tiere einer anderen Gattung oder auf bewegliche Objekte prägen ließen, etwa auf eine Kiste auf Rädern oder einen hüpfenden Gummiball (Colombo, 1982; Johnson, 1992; . Abb. 6.29). Hat sich diese Bindung erst einmal entwickelt, lässt sie sich nur schwer rückgängig machen. Prägung („imprinting“) – Vorgang, der bei manchen Tie-
ren zur Ausbildung eines Bindungsverhaltens führt. Die Prägung erfolgt in der kritischen Phase. Kinder sind keine Entenküken, bei ihnen findet keine Prägung statt. Sie entwickeln Bindungen zu dem, was sie kennengelernt haben. Das bloße Zusammensein mit Menschen und Dingen verstärkt die Zuneigung. Kinder lieben es, immer wieder dasselbe Buch vorgelesen zu bekommen, denselben Film anzuschauen und Familientraditionen nachzuspielen. Sie bevorzugen es, bekannte Speisen zu essen, dieselben vertrauten Nachbarn zu haben und mit denselben alten Freund:innen zur Schule zu
Wie lassen sich Unterschiede bei der Bindung erklären? Um dieser Frage nachzugehen, entwickelte Mary Ainsworth (1979) einen Test, der als „fremde Situation“ bezeichnet wird. Während der ersten 6 Lebensmonate beobachtete sie Mutter-Kind-Dyaden im häuslichen Umfeld. Spätere Beobachtungen mit einjährigen Kindern fanden in einer fremden Umgebung statt, üblicherweise das Spielzimmer eines Psychologischen Instituts, mit und ohne ihre Mütter. In solchen Beobachtungen zeigen ungefähr 60 % junger Kinder ein sicheres Bindungsverhalten (Moulin et al., 2014). In Gegenwart der Mutter spielen sie unbefangen und erforschen fröhlich die neue Umgebung. Verlässt die Mutter den Raum, werden sie unruhig; kommt die Mutter zurück, suchen sie den Kontakt mit ihr. Andere Kinder zeigen ein unsicheres Bindungsverhalten, das sich durch Ängstlichkeit oder das Vermeiden von Vertrauensbeziehungen auszeichnet. Diese Kinder sind weniger eifrig damit beschäftigt, die neue Umgebung zu erforschen, manchmal klammern sie sich in dieser Situation sogar an die Mutter. Wenn diese den Raum verlässt, weinen sie laut und wirken verstört, oder sie reagieren überhaupt nicht auf das Verschwinden und die Rückkehr der Mutter (Ainsworth, 1973, 1989; Kagan, 1995; van IJzendoorn & Kroonenberg, 1988). Die Ergebnisse von Ainsworth und anderen Forschenden zeigen, dass die Kinder von aufgeschlossenen, einfühlsamen Müttern, die beobachteten, was ihr Baby tat, und angemessen darauf reagierten, ein sicheres Bindungsverhalten zeigten (De Wolff & van IJzendoorn, 1997). Kinder von wenig aufgeschlossenen, wenig einfühlsamen Müttern – Mütter, die sich nur um ihr Kind kümmerten, wenn ihnen gerade danach zu Mute war, es aber ansonsten ignorierten – zeigten häufig ein unsicheres Bindungsverhalten. Die Versuche der Harlows mit jungen Affen, bei denen die Drahtgestelle sicher die prototypische Form einer uneinfühlsamen Mutter darstellten, erbrachten noch deutlichere Effekte: Wurden die Äffchen ohne ihre künstliche Mutter einer „fremden Situation“ ausgesetzt, reagierten sie mit Angst und Schrecken (. Abb. 6.30).
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
..Abb. 6.30 Soziale Deprivation und Furcht. Junge Affen, die von leblosen Müttern aufgezogen worden waren, waren überfordert, wenn sie in fremde Situationen ohne diese Quelle emotionaler Sicherheit gebracht wurden. (Heute achtet man mehr darauf, dass sich die Tiere wohlfühlen, weshalb diese Art von Studie reglementiert werden würde.) (Mit freundlicher Genehmigung des Harlow Primate Laboratory, University of Wisconsin)
Obwohl Harry Harlow einigen als der Forscher in Erinnerung geblieben ist, der hilflose Affen quälte, verteidigte er seine Methoden: „Denken Sie daran, für jeden misshandelten Affen gibt es eine Million misshandelte Kinder“, sagte er und äußerte die Hoffnung, dass seine Forschung die Menschen für das Thema Kindesmissbrauch und–vernachlässigung sensibilisieren würde. „Niemand, der Harrys Arbeit kennt, könnte jemals behaupten, dass Babys ohne Begleitung auskommen, dass eine fürsorgliche Mutter nicht wichtig ist“, bemerkte Harlows Biografin Deborah Blum (2011, S. 292, 307). „Und da wir … das nicht ganz geglaubt haben, bevor Harry Harlow auftauchte, mussten wir vielleicht – nur einmal – richtig hart von dieser Wahrheit getroffen werden, damit wir nie wieder daran zweifeln können.“ Fürsorgliche Eltern sind also wichtig. Die Frage ist allerdings, ob Bindungsverhalten als Folge von Erziehung anzusehen ist oder ob der Bindungsstil vom genetisch beeinflussten Temperament des Kindes abhängt – also von der charakteristischen emotionalen Reaktionsbereitschaft und–intensität? Zwillings- und Entwicklungsstudien zeigen, dass die Erblichkeit das Temperament und das Temperament den Bindungsstil beeinflusst (Picardi et al., 2011; Raby et al., 2012). Kurz nach der Geburt sind einige Babys deutlich erkennbar „schwierig“ – irritierbar, heftig und unvorhersehbar reagierend. Andere sind „einfach“ – fröhlich, entspannt, mit vorhersagbaren Schlaf- und Nahrungsmustern (Chess & Thomas, 1987). Werden bei diesen Studien derartige angeborene Unterschiede nicht berücksichtigt, dann werden „Jagdhunde, die im Zwinger aufgezogen wurden, mit Pudeln verglichen, die in einer Wohnung aufgewachsen sind“, kommentiert Judith
219
Harris (1998). Um also die Faktoren Anlage und Umwelt voneinander zu trennen, müsste man das elterliche Verhalten variieren und gleichzeitig das Temperament des Kindes kontrollieren. (Legen Sie das Buch einen Augenblick beiseite und denken Sie nach: Wie wären Sie an dieses Problem herangegangen?) Die niederländische Wissenschaftlerin Dymphna van den Boom (1994) entschied sich für folgende Lösung: Sie wies 100 Kinder im Alter von 6–9 Monaten, die ein eher „schwieriges“ Temperament hatten, entweder einer Versuchsgruppe zu, in der die Mütter in einfühlsamem Verhalten trainiert wurden, oder einer Kontrollgruppe, in der die Mütter nicht trainiert wurden. Im Alter von 12 Monaten wurde bei den Kindern das Bindungsverhalten getestet, und es zeigte sich, dass 68 % von ihnen aus der Versuchsgruppe ein sicheres Bindungsverhalten zeigten, während es in der Kontrollgruppe nur 28 % waren. Andere Studien haben bestätigt, dass man durch Interventionsprogramme die Sensibilität der Eltern verbessern kann und, in geringerem Maße, die Bindungssicherheit des Säuglings (Bakermans-Kranenburg et al., 2003; Van Zeijl et al., 2006). Diese Beispiele zeigen, dass die Betreuung durch die Mutter häufiger Gegenstand der Forschung war als die Betreuung durch den Vater. Wenn Kleinkinder nicht von der Mutter betreut werden, dann nennt man das „Deprivation“; fehlt jedoch die Betreuung durch den Vater, dann heißt es lediglich, das Kind mache die Erfahrung des „abwesenden Vaters“. „Fathering a child“ bedeutet im Englischen, ein Kind zu zeugen; „mothering“ dagegen bedeutet, ein Kind zu betreuen. Auch im Deutschen gibt es nur den Ausdruck „bemuttern“ für das Verhalten einer überbehütenden Mutter; das väterliche Gegenstück fehlt. Doch es zeigt sich immer deutlicher, dass Väter mehr sind als mobile Samenbanken. In fast 100 Studien, die weltweit durchgeführt wurden, waren väterliche Liebe und Akzeptanz und mütterliche Liebe bei Prognosen über die Gesundheit und das Wohlbefinden der Kinder miteinander vergleichbar (Rohner & Veneziano, 2001; . Abb. 6.31; 6.32; Vorteile der gemeinsamen Elternschaft). Bei einer groß angelegten britischen Studie, bei der 7259 Kinder von der Geburt bis ins Erwachsenenalter wissenschaftlich begleitet wurden, zeigte sich, dass jene, deren Väter sich am stärksten in ihrer Elternrolle engagierten (dazu gehörten Ausflüge, Vorlesen und aktives Interesse an der Erziehung der Kinder), in der Schule gewöhnlich bessere Leistungen erbrachten, selbst wenn man nachträglich viele weitere Faktoren kontrollierte wie den Bildungsstand der Eltern und die materielle Stellung der Familie (Flouri & Buchanan, 2004). Zunehmende nichteheliche Geburten und die größere Instabilität von Lebensgemeinschaften im Vergleich zu verheirateten Partnerschaften haben jedoch dazu geführt, dass es mehr Familien ohne Vater gibt (Hymowitz et al., 2013).
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
220
6 ..Abb. 6.31 Elternschaft ist auch etwas für Väter. Kaiserpinguin-Väter können in den 2 Monaten, die sie damit verbringen, ein kostbares Ei während des strengen antarktischen Winters warm zu halten, die Hälfte ihres Körpergewichts verlieren. Nachdem die Mutter vom Meer zurückgekehrt ist, kümmern sich beide Elternteile abwechselnd um das Küken und füttern es. (© Dr. P. Marazzi/Science Photo Library)
-
Vorteile der gemeinsamen Elternschaft Aktive Väter kümmern sich mehr. Heutige miterziehende Väter sind engagierter, mit doppelt so vielen Wochenstunden, die sie mit ihren Kindern verbringen, verglichen mit Vätern im Jahr 1965 (Livingston & Parker, 2011). Paare, die sich Hausarbeit und Kinderbetreuung teilen, sind in ihrer Beziehung glücklicher und weniger scheidungsanfällig (Wilcox & Marquardt, 2011). Gemeinsame Elternschaft fördert die Kinder. Nach Kontrolle anderer Faktoren haben Kinder im Durchschnitt bessere Lebenserfolge, „wenn sie von beiden Elternteilen aufgezogen werden“ (Taylor, 2014). Das Geschlecht der Eltern hat keinen Einfluss auf das Wohlbefinden der Kinder. Die American Academy of Pediatrics (2013) berichtet, dass es auf kompetente, sichere und fürsorgliche Eltern ankommt, unabhängig von deren Geschlecht und sexueller Orientierung. Die American Sociological Association (2013) stimmt dem zu: Jahrzehnte der Forschung bestätigen, dass elterliche Stabilität und Ressourcen eine Rolle spielen. „Ob ein Kind von gleich- oder andersgeschlechtlichen Eltern aufgezogen wird, hat keinen Einfluss auf das Wohlbefinden des Kindes.“
Ob in Nordamerika, Europa, Guatemala oder der Kalahari-Wüste, ob ein Kind zu Hause betreut wird oder in einer Kindertagesstätte: Die Furcht vor einer Trennung von den Eltern erreicht ihren Höhepunkt mit etwa 13 Monaten und nimmt dann allmählich ab
..Abb. 6.32 Vollzeit-Papa. Immer mehr Väter nutzen die Möglichkeit, zeitweise zu Hause bei ihren kleinen Kindern zu bleiben. Einige erfahren dabei, wie schwierig Sorgearbeit sein kann: „Manchmal kann man im Job einfach abschalten, aber hier muss man die ganze Zeit dabei sein.“ (© troyanphoto/Stock.adobe.com)
(. Abb. 6.33). Heißt dies, dass auch das Bedürfnis nach anderen Menschen oder die Liebe zu ihnen dahinschwindet? Wohl kaum. Die Liebesfähigkeit nimmt zu, und die Lust, die es uns bereitet, die Menschen, die wir lieben, zu berühren oder im Arm zu halten, hört nie auf. zz Bindungsverhalten und spätere Beziehungen
Den Entwicklungspsychologe Erik Erikson (1902–1994) hätte das nicht überrascht. Erikson und seine Frau und Mitarbeiterin Joan Erikson (1902–1997) stellten fest, dass Kinder mit sicherem Bindungsverhalten auf das Leben mit einem Grundgefühl von Urvertrauen zugehen – mit dem Gefühl, dass die Welt vertrauenswürdig und verlässlich ist. Er schrieb dieses Grundvertrauen nicht nur dem positiven Umfeld oder einer angeborenen Veranlagung zu, sondern der Art, wie die Eltern mit dem Neugeborenen und dem Säugling umgingen. Seine Theorie lautete, dass Kinder, die unter dem segensreichen Einfluss von einfühlsamen und liebenden Bezugspersonen leben, eher eine vertrauensvolle als eine furchtsame Haltung entwickeln, die sie ihr Leben lang beibehalten. Urvertrauen („basic trust“) – Laut Erik Erikson ist Urver-
trauen das Gefühl, dass die Welt ein sicherer und vertrauenerweckender Ort ist. Dieses Vertrauen entsteht in der frühen Kindheit durch die entsprechenden Erfahrungen mit aufgeschlossenen und einfühlsamen Bezugspersonen.
» „Aus dem Konflikt zwischen Vertrauen und Misstrauen
entwickelt das Kind Hoffnung; dies ist die früheste Form dessen, was allmählich zum Sich-Verlassen auf Erwachsene wird.“ Erik Erikson (1983)
Viele Wissenschaftler:innen glauben heute, dass unser frühes Bindungsverhalten die Grundlage für unsere Beziehungen als Erwachsene bildet und beeinflusst, wie wohl
221
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
dazu zählt etwa die Hälfte aller Menschen) muss man auch zugutehalten, dass ihre ängstlichen und vermeidenden Verhaltensweisen dabei hilfreich sind, Gefahren zu erkennen und ihnen aus dem Weg zu gehen (Ein-Dor et al., 2010).
Prozentsatz der Säuglinge, die weinten, wenn ihre Mutter den Raum verließ
% 100 Tagesbetreuung 80
Fehlende oder mangelhafte Bindung 60
?? 6.9 Inwiefern beeinflussen Vernachlässigung oder
Misshandlung das kindliche Bindungsverhalten?
40
» „Was man in der Wiege lernt, bleibt bis zum Grab er-
Zu Hause
halten.“ Französisches Sprichwort
20
0 3½
5½
7½
9½
11½
13½
20
29
Alter in Monaten ..Abb. 6.33 Die Trennung von den Eltern ist für kleine Kinder eine schmerzliche Erfahrung. Im Rahmen eines Versuchs mussten sich Kinder ohne ihre Mütter in einem Raum aufhalten, den sie nicht kannten. Unabhängig davon, ob die Kinder in einer Kindertagesstätte oder zu Hause betreut wurden, war der Prozentsatz der Kinder, die mit Schreien reagierten, wenn die Mutter hinausging, im Alter von 13 Monaten am höchsten. (Nach Kagan, 1976)
wir uns bei Zuneigung und Intimität fühlen (Birnbaum et al., 2006; Fraley et al., 2013). Menschen, die über sichere Beziehungen zu ihren Eltern berichten, haben tendenziell auch sichere Freundschaften (Gorrese & Ruggieri, 2012). Schüler, die von zu Hause weggehen, um eine Hochschule zu besuchen – eine andere Art von „fremder Situation“ – passen sich in der Regel gut an, wenn sie eine enge Bindung zu ihren Eltern haben (Mattanah et al., 2011). Kinder mit einfühlsamen, ansprechbaren Müttern sind eher sozial und akademisch erfolgreich (Raby et al., 2014). Ein unsicheres Bindungsgefühl zu anderen kann eine von zwei Hauptformen annehmen (Fraley et al., 2011). Eine davon ist die ängstliche Bindung, bei der sich Menschen ständig nach Akzeptanz sehnen, aber wachsam gegenüber Anzeichen möglicher Ablehnung bleiben. (Da ängstlich gebundene Menschen empfindlich auf Bedrohungen reagieren, neigen sie auch dazu, geschickte Lügendetektoren und Pokerspieler zu sein [Ein-Dor & Perry, 2012, 2013].) Die andere ist die vermeidende Bindung, bei der Menschen Unbehagen empfinden, sich anderen zu nähern und Vermeidungsstrategien anwenden, um Distanz zu anderen zu wahren. In romantischen Beziehungen führt ein ängstlicher Bindungsstil zu ständiger Sorge vor Zurückweisung, was dazu führt, dass sich Menschen an ihre Partner klammern. Ein vermeidender Stil verringert die Hingabe und erhöht Konflikte (DeWall et al., 2011; Overall et al., 2015). Bindungsstile von Erwachsenen können auch die Beziehungen zu den eigenen Kindern beeinflussen. Aber den vorsichtigen, unsicher gebundenen Personen (und
Wenn, wie wir gesehen haben, ein sicheres Bindungsverhalten zur Ausbildung sozialer Kompetenz führt, was geschieht dann, wenn ein Kind kein Bindungsverhalten entwickeln kann, weil es die Umstände nicht erlauben? In der gesamten psychologischen Fachliteratur gibt es nichts Traurigeres als die Ergebnisse dieser Untersuchungen. Babys, die zu Hause in eine Ecke abgeschoben und misshandelt oder extrem vernachlässigt werden, ziehen sich häufig in sich selbst zurück, sind ängstlich und schreckhaft, manchmal sogar sprachlos. Dasselbe gilt für solche Kinder, die in Institutionen aufwachsen, in denen ihnen die Anregung und Aufmerksamkeit durch eine ständige Bezugsperson fehlt. Im Rumänien der 70er und 80er Jahre des letzten Jahrhunderts wurde dies für viele Kinder auf tragische Weise Realität. Nachdem er den Entschluss gefasst hatte, dass für eine Anregung des Wirtschaftswachstums des verarmten Landes mehr Humankapital vonnöten war, verbat der kommunistische Diktator Rumäniens Nicolai Ceauşescu Empfängnisverhütung und Abtreibungen und führte erhöhte Steuerabgaben für Familien ein, die weniger als fünf Kinder hatten. Tatsächlich stieg die Geburtenrate sprunghaft an. Da jedoch vielen Familien die Mittel fehlten, sich um ihre Kinder, zu welchen sie regelrecht gezwungen worden waren, zu kümmern, mussten sie sie an vom Staat eingerichtete Waisenhäuser abgeben, und überließen sie damit dem dortigen ungeschulten und überforderten Personal. Das Verhältnis zwischen Kindern und Pflegern lag in vielen Fällen bei 15:1, sodass den Kindern eine gesunde Bindung an zumindest einen Erwachsenen verwehrt blieb (. Abb. 6.34). Nach Ceauşescus Hinrichtung im Jahr 1989 zeigte eine Untersuchung, dass diese sozial vernachlässigten Kinder geringere Intelligenzwerte, eine beeinträchtigte Gehirnentwicklung, anormale Stressreaktionen und eine 4-fach höhere Anzahl der Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörungen (ADHS) hatten als Kinder, die in qualitativ hochwertigen Pflegefamilien untergebracht waren (Bick et al., 2015; Kennedy et al., 2016; McLaughlin et al., 2015; Nelson et al., 2014). Zahlreiche weitere Studien aus 19 Ländern konnten bestätigen, dass verwaiste Kinder bessere Intelligenzwerte erreichen, wenn sie in einer neuen Familie aufwachsen.
6
222
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
..Abb. 6.34 Bindungsdeprivation. In diesem rumänischen Waisenhaus aus dem Jahr 1980 liegt das Verhältnis der 250 Kinder zwischen 1 und 5 Jahren zu ihren Pfleger:innen bei 15:1. (© Michael Carroll)
6
Dies ist besonders dann der Fall, wenn sie bei der Adoption noch sehr jung sind (Van IJzendoorn et al., 2008). Von den Kindern, die unter extrem schwierigen Bedingungen aufwuchsen (wie z. B. die überlebenden Kinder des Holocaust und Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kindheit), haben die meisten genügend Widerstandskraft, um das Trauma zu überstehen und zu ganz normalen Erwachsenen heranzuwachsen (Clancy, 2010; Helmreich, 1992; Masten, 2001). Und Härte, die kein Trauma ist, fördert oft die mentale Stärke (Seery, 2011). Während außerdem die Härte des Aufwachsens in Armut Kinder einem Risiko für einige soziale Pathologien aussetzt, setzt das Aufwachsen in Reichtum sie einem Risiko für andere Probleme aus. Wohlhabende Kinder haben ein erhöhtes Risiko für Drogenmissbrauch, Essstörungen, Angstzustände und depressive Störungen (Lund & Dearing, 2012; Luthar et al., 2013). Wenn Sie also mit Widrigkeiten konfrontiert werden, denken Sie an den möglichen Hoffnungsschimmer. Ihre Bewältigung kann Ihre Resilienz stärken – Ihre Tendenz, wieder aufzustehen und ein besseres Leben zu führen. Aber viele, die anhaltenden Missbrauch erleben, erholen sich nicht so schnell wieder. Die Äffchen der Harlows, die nicht einmal mit einer künstlichen Mutter in vollkommener Isolation aufwuchsen, trugen Narben davon, die ein Leben lang blieben. Sie verkrochen sich ängstlich oder wurden sehr aggressiv, wenn man sie als erwachsene Tiere mit Gleichaltrigen zusammenbrachte. Bei Erreichen der Geschlechtsreife waren die meisten nicht dazu fähig, sich zu paaren. Weibchen, die künstlich befruchtet wurden, vernachlässigten oder missbrauchten häufig ihre erstgeborenen Jungen. Manchmal brachten sie diese sogar um. Eine weitere Primatenstudie bestätigt den Befund, dass Misshandlung wiederum Misshandlung
hervorbringt. In dieser Studie zeigten 9 von 16 Weibchen, die von ihren Müttern misshandelt worden waren, selbst misshandelndes Elternverhalten, wohingegen dies auf keines der nicht selbst misshandelten Weibchen zutraf (Maestripieri, 2005). Auch für Menschen gilt, dass die Nichtgeliebten manchmal zu Nichtliebesfähigen werden. Die meisten Eltern, die ihre Kinder auf die eine oder andere Weise missbrauchen, – und viele verurteilte Mörder – berichten, dass sie als Kinder vernachlässigt oder geschlagen worden sind (Kempe & Kempe, 1978; Lewis et al., 1988). Etwa 30 % der Personen, die als Kinder misshandelt wurden, misshandeln später ihre eigenen Kinder. Obwohl dieser Wert geringer ist als derjenige, der in den Primatenstudien gefunden wurde, liegt er doch um das Vierfache über der nationalen Rate von Kindesmisshandlung in den USA (Dumont et al., 2007; Kaufman & Zigler, 1987). Obwohl die meisten misshandelten Kinder später keine Gewaltverbrechen begehen oder selbst misshandelnde Eltern werden, können frühe Traumata dennoch Spuren im Gehirn hinterlassen (Romens et al., 2015; Teicher & Samson, 2016). Wie kriegsgestresste Soldat:innen weisen die Gehirne misshandelter Kinder bei wütenden Gesichtern eine erhöhte Aktivität in jenen Bereichen auf, die Bedrohungen erkennen (McCrory et al., 2011). In konfliktreichen Haushalten zeigen sogar die Gehirne schlafender Säuglinge eine erhöhte Reaktivität, wenn sie wütende Sprache hören (Graham et al., 2013). Als Erwachsene haben diese Kinder stärkere Schreckreaktionen (Jovanic et al., 2009). Werden Goldhamster, die normalerweise recht gelassen sind, als Jungtiere wiederholt bedroht oder angegriffen, verhalten sie sich wie Feiglinge, wenn sie mit gleichgroßen Hamstern zusammengebracht werden, allerdings geradezu tyrannisch, sofern sie mit schwächeren
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
Hamstern eingesperrt werden (Ferris, 1996). Bei diesen Goldhamstern findet man Veränderungen beim Serotoninspiegel im Gehirn (Serotonin dämpft aggressive Impulse). Eine vergleichbar reduzierte Serotoninproduktion fand sich bei missbrauchten Kindern, die sich als Teenager und Erwachsene aggressiv verhielten. Durch die Sensibilisierung des Stressreaktionssystems kann früher Stress die Reaktionen auf späteren Stress dauerhaft verstärken und stressbedingte Krankheiten fördern (Fagundes & Way, 2014; van Zuiden et al., 2012; Wei et al., 2012). Wie wir in 7 Kap. 5 festgestellt haben, kann Kindesmissbrauch auch epigenetische Spuren – chemische Markierungen – hinterlassen, die die normale Genexpression verändern können. Solche Befunde helfen uns dabei zu verstehen, warum Kinder, die schwerwiegende oder langandauernde physische und sexuelle Misshandlung durchgestanden haben, Mobbing oder während eines Krieges Grausamkeiten miterleben mussten, ein erhöhtes Risiko für Gesundheitsprobleme, psychische Störungen, Substanzmissbrauch und Kriminalität haben (Lereya et al., 2015; Trickett et al., 2011; Whitelock et al., 2013; Wolke et al., 2013). In einer nationalen Studie mit 43.093 Erwachsenen berichteten 8 %, dass sie vor ihrem 18. Lebensjahr zumindest einigermaßen häufig körperliche Misshandlungen erlebt hatten (Sugaya et al., 2012). Unter diesen hatten 84 % mindestens eine psychiatrische Störung erlebt. Je größer der Missbrauch war, desto größer war auch die Wahrscheinlichkeit von Angstzuständen, depressiven Störungen, Substanzkonsumstörungen und Suizidversuchen. Opfer von Misshandlung sind einem beträchtlichen Depressionsrisiko ausgesetzt, sofern sie eine Genvariante in sich tragen, die die Produktion von Stresshormonen anregt (Bradley et al., 2008). Wie wir wieder und wieder sehen werden, entstehen Verhalten und Emotionen durch die Interaktion zwischen einer bestimmten Umgebung mit bestimmten Genen. Auch Erwachsene leiden, wenn eine Bindung zerbricht. Sei es durch Tod oder durch Trennung, der Bruch führt zu einer vorhersagbaren Abfolge von Verhaltensweisen: Erregung, Beschäftigung mit dem verlorenen Gegenüber, dann tiefe Trauer und vielleicht die ersten Anzeichen einer emotionalen Loslösung und schließlich die Rückkehr zum normalen Leben (Hazan & Shaver, 1994). Paare, deren Trennung noch nicht lange zurückliegt und die schon lange keine Zuneigung mehr empfinden, sind manchmal von ihrem Bedürfnis überrascht, dem früheren Partner bzw. der früheren Partnerin nahe zu sein. Loslösung ist kein einmaliges Ereignis, sondern ein Prozess.
Entwicklung eines Selbstkonzepts ?? 6.10 Wie entwickelt sich das kindliche Selbstkonzept?
Im Säuglings- und Kleinkindalter ist es die wichtigste soziale Errungenschaft, Bindungen zu entwickeln und Bindungsverhalten zu lernen. Die größte soziale Errungenschaft in der Kindheit ist die Ausbildung eines positi-
223
..Abb. 6.35 Selbstwahrnehmung. Vom 6. Lebensmonat an sind Kinder von Spiegelbildern fasziniert. Doch erst mit etwa 18 Monaten erkennt ein Kind, dass das Bild im Spiegel „Ich“ ist. (© Antonio Gravante/Shotshop/picture alliance)
ven Selbstgefühls. Mit etwa 12 Jahren, also am Ende der Kindheit, haben die meisten Kinder ein Selbstkonzept entwickelt, ein Gefühl für die eigene Identität und den eigenen Wert. Eltern fragen sich oft, wann und auf welche Weise dieses Selbstgefühl entsteht. „Ist sich mein Baby seiner selbst bewusst? Weiß mein kleines Mädchen, wer sie ist? Weiß sie, dass sie eine eigenständige Persönlichkeit ist, anders als alle anderen?“ Selbstkonzept („self-concept“) – alle unsere Gedanken
und Gefühle über uns selbst, als Antwort auf die Frage: „Wer bin ich?“. Auch hier können wir das Baby nicht direkt befragen, doch wir können wieder einmal das betrachten, was es kann. Denn das Verhalten des kleinen Mädchens liefert uns die Hinweise darauf, wann es beginnt, sich seiner selbst bewusst zu sein. Der Naturforscher Charles Darwin vertrat dazu 1877 die folgende Auffassung: Das Bewusstsein des eigenen Selbst beginnt dann, wenn wir uns in einem Spiegel wiedererkennen. Doch woher wissen wir, wann das Kind erkennt, dass das Mädchen im Spiegel tatsächlich es selbst ist und nicht einfach eine nette Spielkameradin? Wissenschaftler:innen variierten auf sehr einfache Weise den Spiegeltest, indem sie den Kindern heimlich einen Tupfer Rot auf die Nase verpassten, ehe sie sie vor den Spiegel setzten. Der Prozess beginnt grob gerechnet im 6. Lebensmonat, wenn ein Kind nach dem Spiegel greift und das Spiegelbild so berührt, als sei dort ein anderes Kind (Courage & Howe, 2002; Damon & Hart, 1982, 1988, 1992; . Abb. 6.35). Mit etwa 15–18 Monaten fangen Kinder an, ihre eigene Nase anzufassen, wenn sie den roten Fleck im Spiegel sehen (Butterworth, 1992; Gallup & Suarez, 1986). Offensichtlich haben Kinder im Alter von 18 Monaten ein Schema
6
224
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
davon, wie ihr Gesicht aussehen sollte und wundern sich: „Was macht denn dieser Fleck auf meinem Gesicht?“ Ungefähr im Schulalter beschreiben Kinder sich selbst mit Begriffen der Geschlechtszugehörigkeit, als Mitglieder einer Gruppe und mit psychologischen Merkmalen, und sie vergleichen sich mit anderen Kindern (Newman & Ruble, 1988; Stipek, 1992). Sie beurteilen sich selbst bei manchen Dingen als geschickt, bei anderen jedoch nicht. Sie bilden ein Konzept aus, das beinhaltet, welche Charakterzüge sie gerne hätten, und entwickeln eine Vorstellung von ihrem idealen Selbst. Mit 8–10 Jahren verfügen sie über ein recht stabiles Selbstbild. Was ein Kind tut, wird davon beeinflusst, wie es sich selbst sieht. Kinder mit positivem Selbstkonzept haben mehr Vertrauen, sind unabhängig, optimistisch, durchsetzungsfähig und gesellig (Maccoby, 1980). Dieser Befund wirft wichtige Fragen auf: Wie können Eltern die Bildung eines positiven, aber realitätsangemessenen Selbstkonzepts fördern?
Erziehungsstile ?? 6.11 Welche sind die vier wichtigsten Erziehungsstile?
Manche Eltern versohlen ihren Kindern den Hintern, während andere mit ihnen über Fehlverhalten sprechen. Manche Eltern sind streng, andere sind nachsichtig. In manchen Familien wird Zuneigung kaum gezeigt, in anderen dagegen wird viel geschmust und geküsst. Wie wirken sich diese Unterschiede auf die Kinder aus? Der Aspekt der elterlichen Kontrolle wurde am besten untersucht: Auf welche Weise, wie stark und wie weit kontrollieren Eltern ihre Kinder? Erziehungsstile können als eine Kombination aus zwei Merkmalen beschrieben werden: wie entgegenkommend und wie fordernd Eltern sind (Kakinami et al., 2015). Die Forscher haben vier Erziehungsstile ausgemacht (Baumrind, 1966, 1967; Steinberg, 2001): 1. Autoritäre Eltern sind zwingend. Sie stellen Regeln auf und erwarten Gehorsam. „Unterbrich mich nicht!“ „Räum dein Zimmer auf!“ „Komm nicht so spät nach Hause, sonst gibt’s Ärger!“ „Warum? Weil ich es gesagt habe.“ 2. Permissive Eltern sind nicht einschränkend. Sie stellen wenig Ansprüche und bestrafen nur selten. 3. Nachlässige Eltern sind unbeteiligt. Sie sind weder fordernd noch entgegenkommend. Sie sind sorglos, unaufmerksam und streben keine enge Beziehung zu ihren Kindern an. 4. Autoritative Eltern sind konfrontativ. Auf sie trifft beides zu: Sie stellen Forderungen und sie sind empathisch. Sie üben Kontrolle dadurch aus, dass sie Regeln aufstellen, aber sie ermuntern vor allem ihre älteren Kinder dazu, offen mit ihnen zu diskutieren, und sie lassen es zu, dass es Ausnahmen von der Regel gibt.
Siehe . Abb. 6.36 für weitere Informationen zu Erziehungsstilen und ihren Auswirkungen. Wenn sich Eltern mit dem Stress der Kindererziehung und mit einander widersprechenden Ratschlägen herumschlagen, dann sollten sie daran denken, dass alle Ratschläge das Wertesystem der beratenden Person widerspiegeln. Für Eltern, die Wert auf strikten Gehorsam legen, oder deren Kinder in gefährlichen Gegenden leben, mag ein autoritärer Stil die gewünschte Wirkung erbringen. Den Eltern, die Wert darauf legen, aufgeschlossene und selbstständige Kinder zu haben, ist der offene und dabei konsequente autoritative Erziehungsstil zu empfehlen. In die Erziehung der Kinder werden viele Jahre investiert, und dabei geht es nicht immer nur um Freude und Liebe, sondern oft auch um Kummer und Sorgen. Doch für die meisten Eltern ist ein Kind ein biologisches und soziales Vermächtnis, eine Investition in die Zukunft der Menschheit. Um es mit C. G. Jung zu sagen: Durch unsere Eltern sind wir mit der Vergangenheit verbunden, durch unsere Kinder mit der Zukunft und durch deren Kinder wiederum mit einer Zukunft, die wir nicht erleben werden, um die wir uns aber trotzdem kümmern müssen.
» „Ihr seid die Bogen, von denen aus eure Kinder als lebende Pfeile ausgeschickt werden.“ Kahlil Gibran, Der Prophet (1923)
?? 6.12 Welche Auswirkungen gehen mit den jeweiligen
Erziehungsstilen einher? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die vier Erziehungsstile sind als „zu streng“, „zu weich“, „zu sorglos“ und „genau richtig“ bezeichnet worden. Welcher Erziehungsstil passt zu jeder dieser Beschreibungen, und wie profitieren Kinder vom „genau richtigen“ Stil?
6.2.4
Rückblick: Kleinkindalter und Kindheit
Verständnisfragen
6.4 – Wie entwickeln sich unser Gehirn und unsere motorischen Fähigkeiten im Kleinkind- und Kindesalter? 6.5 – Wie entwickelt sich der kindliche Verstand aus der Sicht von Piaget, Vygotsky und heutiger Wissenschaftler:innen? 6.6 – Was ist eine Autismus-Spektrum-Störung? 6.7 – Wie entsteht die Eltern-Kind-Bindung? 6.8 – Wie haben Forscher:innen Unterschiede in der Bindung untersucht und zu welchen Erkenntnissen kamen sie dadurch?
225
6.2 • Kleinkindalter und Kindheit
In der Forschung wurden vier Erziehungsstile identifiziert1, die mit unterschiedlichen Folgen in Verbindung gebracht werden.
1
Autoritäre Eltern
Kinder mit geringerer sozialer Kompetenz und geringerem Selbstwertgefühl und einem Gehirn, das überreagiert, wenn sie Fehler machen 2
2
Permissive Eltern
Kinder, die aggressiver und unreifer sind 3
Jedoch gilt: Korrelation ≠ Kausalität! Welche anderen Faktoren könnten diesen Zusammenhang zwischen elterlichem Verhalten und kindlicher Kompetenz erklären? Die Charaktereigenschaften ihrer Kinder könnten das Erziehungsverhalten der Eltern beeinflussen. Selbst innerhalb derselben Familie variieren die elterliche Wärme und Kontrolle von Kind zu Kind.6 Eventuell rufen sozial reife, angenehme und unkomplizierte Kinder mehr Vertrauen und Wärme bei ihren Eltern hervor? Zwillingsstudien legen diese Möglichkeit nahe.7 Möglicherweise spielt ein dritter Faktor eine Rolle. Eventuell haben zum Beispiel kompetente Eltern und ihre kompetenten Kinder dieselben Gene, die soziale Kompetenz begünstigen. Auch diese Möglichkeit wurde durch Zwillingsstudien gestützt.8
3
Nachlässige Eltern
Kinder mit schlechten schulischen Leistungen und sozialen Kompetenzen 4
4
Autoritative Eltern
Kinder mit dem höchsten Selbstwertgefühl sowie der höchsten Selbstständigkeit, Selbstregulierung und sozialen Kompetenz 5
1Kakinami et al., 2015. 2Meyer et al., 2015. 3Luyckx et al., 2011. 4Pinquart, 2015; Steinberg et al., 1994. 5Baumrind, 1996, 2013; Buri et al.,1988; Coopersmith, 1967; Sulik et al., 2015. 6Holden & Miller, 1999; Klahr & Burt, 2014. 7Kendler, 1996. 8South et al., 2008.
..Abb. 6.36 Kritisch nachdenken über: Erziehungsstile – zu streng, zu weich, zu sorglos und genau richtig?
6.9 – Inwiefern beeinflussen Vernachlässigung oder Miss-
handlung das kindliche Bindungsverhalten? 6.10 – Wie entwickelt sich das kindliche Selbstkonzept? 6.11 – Welche sind die vier wichtigsten Erziehungsstile? 6.12 – Welche Auswirkungen gehen mit den jeweiligen Erziehungsstilen einher?
--
Schlüsselbegriffe Akkommodation Assimilation Autismus-Spektrum-Störung (ASS)
-------
Bindung Egozentrismus Formal-operatorisches Stadium Fremdeln Kognition Konkret-operatorisches Stadium Kritische Phase Mengenerhaltung Objektpermanenz Prägung Präoperatorisches Stadium Reifung
6
226
----
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Scaffolding Schema Selbstkonzept Sensomotorisches Stadium Theory of Mind (Theorie über mentale Zustände) Urvertrauen
Master the Material
6
1. Streicheln Sie die Wange eines Neugeborenen, und der Säugling wird nach einer Brustwarze suchen. Dies veranschaulicht … a. einen Reflex. b. eine Veranlagung. c. eine Vorliebe. d. Kontinuität. 2. Im Alter zwischen 3 und 6 Jahren erfährt das menschliche Gehirn das größte Wachstum in den ___lappen, die eine rationale Planung ermöglichen und das Gedächtnis unterstützen. 3. Welche der folgenden Aussagen zur Entwicklung der motorischen Fähigkeiten trifft zu? a. Sie wird ausschließlich durch genetische Faktoren bestimmt. b. Die Reihenfolge, aber nicht der Zeitpunkt, ist universell. c. Der Zeitpunkt, aber nicht die Reihenfolge, ist universell. d. Sie wird ausschließlich durch Umweltfaktoren bestimmt. 4. Warum können wir uns nicht bewusst daran erinnern, wie wir als Säugling das Laufen gelernt haben? 5. Erklären Sie anhand der ersten drei Stufen der kognitiven Entwicklung von Piaget, warum kleine Kinder in ihrer Denkweise nicht einfach Miniaturerwachsene sind. 6. Obwohl Piagets Stufentheorie weiterhin unser Verständnis des kindlichen Denkens prägt, glauben viele Forscher:innen, dass … a. Piagets Stufen früher beginnen und die Entwicklung kontinuierlicher verläuft, als er es erkannt hat. b. Kinder nicht so schnell Fortschritte machen, wie Piaget es vorhergesagt hat. c. nur wenige Kinder bis zum konkret-operatorischen Stadium vordringen. d. es nicht möglich ist, einen Großteil der theoretischen Arbeit von Piaget zu testen. 7. Ein 8 Monate alter Säugling, der auf einen neuen Babysitter mit Weinen und Anklammern an der Schulter seines Vaters reagiert, zeigt ___. 8. In einer Reihe von Experimenten fanden die Harlows heraus, dass Affen, die mit künstlichen Müttern aufgezogen wurden, dazu neigten, sich bei Angst eher an ihre Stoffmutter zu klammern, als an eine Mutter aus Draht, die die Nuckelflasche hielt. Warum war diese Erkenntnis wichtig?
6.3 Adoleszenz ?? 6.13 Wie wird Adoleszenz definiert und wie wirken
sich die körperlichen Veränderungen auf die sich entwickelnden Jugendlichen aus?
Früher glaubten viele Psycholog:innen, dass sich unsere Persönlichkeitsmerkmale („traits“) in der Kindheit bilden und dann nicht mehr verändern. Heute sehen Psycholog:innen die Entwicklung als lebenslangen Prozess. Bei Klassentreffen wenige Jahre nach dem Schulabschluss sind ehemalige enge Freund:innen vielleicht erstaunt darüber, welch unterschiedliche Wege sie eingeschlagen haben; 10 Jahre später haben sie möglicherweise sogar Probleme, ein Gespräch miteinander zu führen (. Abb. 6.37). Als die Vorstellung von Entwicklung als lebenslanger Prozess aufkam, interessierten sich Psycholog:innen dafür, auf welche Weise Individuen durch den Reifeprozess und die Erfahrungen geformt werden, und zwar nicht nur während des Kleinkindalters und der Kindheit, sondern auch in der Adoleszenz und in der Zeit danach. Das Jugendalter ist die Spanne zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Sie beginnt mit den ersten körperlichen Anzeichen der Geschlechtsreife und endet mit dem Erreichen des Status unabhängigen und selbstständigen Erwachsenseins (was bedeutet, dass in manchen Kulturen, in denen sich Jugendliche um sich selbst kümmern müssen, kaum von einer Adoleszenz gesprochen werden kann). Adoleszenz oder Jugendalter („adolescence“) – Über-
gangsperiode zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Sie beginnt mit der Pubertät und endet mit dem Erreichen der Selbstständigkeit im Erwachsenenalter. Und wie sehen diese Jahre in industrialisierten Ländern aus, in denen wir als Teenager leben? Tolstoi lässt seine „Anna Karenina“ sagen, diese Jahre seien „die glückliche Zeit, in der die Kindheit allmählich endet und sich aus dem großen, fröhlichen und unbeschwerten Kreis allmählich ein Pfad herausschält“. Doch Anne Frank notierte in ihrem Tagebuch, das sie schrieb, als sie sich vor den Nazis verbergen musste, die Gefühlsstürme der Teenager:
» „Ich werde unterschiedlich behandelt. Den einen Tag ist Anne so vernünftig und darf alles wissen, am nächsten höre ich wieder, dass Anne noch ein kleines dummes Schaf ist, das nichts weiß und nur glaubt, Wunder was aus Büchern gelernt zu haben! … Ach, mir kommt so viel hoch, wenn ich abends allein bin, wenn ich die Leute aushalten muss, die mir zum Hals heraushängen oder meine Absichten immer verkehrt auffassen.“
G. Stanley Hall, einer der ersten Psychologen, die das Jugendalter beschrieben haben, nannte den Spannungszustand zwischen der biologischen Reife und der sozialen
6.3 • Adoleszenz
227
Pubertät („puberty“) – Zeit, in der der menschliche Körper die Geschlechtsreife und damit die biologische Fortpflanzungsfähigkeit erlangt. Der Zeitpunkt der Pubertät. Wie in den früheren Ent-
..Abb. 6.37 Who is who? (Mit freundlicher Genehmigung von Andy Singer, http://www.andysinger.com/)
Abhängigkeit die „Sturm-und-Drang-Phase“. Es ist eine Zeit, in der sich Jugendliche nach sozialer Akzeptanz sehnen, sich aber oft sozial ausgegrenzt fühlen. Drei von vier Freundschaften in den USA, die in der 7. Klasse begonnen wurden, lösen sich auf, wenn die Jugendlichen die 8. Klasse beenden (Hartl et al., 2015). Viele Menschen über 30, die in der westlichen Gesellschaft mit ihrer starken Betonung von Selbstständigkeit und Unabhängigkeit aufgewachsen sind, wollen diese Zeit nicht noch einmal durchleben müssen, als so viel vom Urteil Gleichaltriger abhing, die Richtung, die man im Leben einschlagen wollte, sich nur undeutlich abzeichnete und das Gefühl der Entfremdung von den Eltern am stärksten war (Arnett, 1999; Macfarlane, 1964). Doch für viele ist die Adoleszenz eine Zeit der Vitalität und Lebensfreude ohne die Sorgen des Erwachsenenlebens, eine Zeit tiefer Freundschaften, eine Zeit, in der der Idealismus Höhenflüge unternimmt, und auch die Zeit, in der man sehr stark fühlt, welche aufregenden Möglichkeiten das Leben zu bieten hat. 6.3.1
Körperliche Entwicklung
Die Adoleszenz beginnt mit der Pubertät, dem Zeitpunkt der sexuellen Reife. Der Pubertät folgt ein Hormonschub, der Gemütszustände verstärken kann und der die in 7 Kap. 5 besprochenen körperlichen Veränderungen auslöst.
wicklungsphasen ist die Reihenfolge der körperlichen Veränderungen in der Pubertät (z. B. Brüste und sichtbare Schambehaarung vor der Menarche – die erste Regelblutung) immer die gleiche, der Zeitpunkt jedoch ist individuell verschieden. Bei manchen Mädchen setzt der Wachstumsschub mit 9 Jahren ein, bei manchen Jungen vielleicht erst mit 16. Wie erleben Mädchen und Jungen die frühe Entwicklung? Eine frühe Entwicklung kann für einen Jungen positive und negative Folgen haben. Solche Jungen sind schon in den ersten Teenagerjahren stärker und athletischer, dadurch sind sie auch beliebter, selbstsicherer und unabhängiger. Allerdings laufen sie auch eher Gefahr, zu früh zu viel zu trinken, mit dem Gesetz in Konflikt zu geraten und verfrüht sexuell aktiv zu werden (Conley & Rudolph, 2009; Copeland et al., 2010; Lynne et al., 2007). Für Mädchen kann Frühreife zum Stressfaktor werden (Mendle et al., 2007). Wenn sich der Körper eines jungen Mädchens nicht im Gleichklang mit ihrer emotionalen Reife entwickelt, wenn ihre eigene Entwicklung und ihre Erfahrungen nicht synchron zu denen ihrer Freundinnen verlaufen, dann identifiziert sie sich möglicherweise mit älteren Mädchen, wird gehänselt, leidet unter sexuellen Belästigungen oder erlebt starke Ängste (Ge & Natsuaki, 2009; Weingarden & Renshaw, 2012). In verschiedenen Kulturen setzen Brustwachstum und Pubertät bei Mädchen heute früher ein als in der Vergangenheit. Für dieses Phänomen werden verschiedene Ursachen in Betracht gezogen, etwa ein erhöhter Körperfettanteil, erhöhte hormonähnliche Chemikalien in der Ernährung und ein erhöhter Stress in auseinanderfallenden Familien (Biro et al., 2010; Ellis et al., 2012; Herman-Giddens, 2013). Aber die gute Nachricht ist, dass eine sichere Kind-Mutter-Bindung einen Puffer gegen Belastungen in der Kindheit bieten kann, einschließlich solcher, die mit der frühen Pubertät zusammenhängen (Sung et al., 2016). Auch für die Entwicklung in der Adoleszenz gilt: Anlage und Umwelt sind interagierende Faktoren. Das jugendliche Gehirn. Das Gehirn gleicht während des
Jugendalters noch einer Baustelle. Wie ein Baum immer mehr Wurzeln und Zweige treibt, so lassen die Hirnzellen bis zur Pubertät immer weitere Verbindungen sprießen. In der Zeit der Adoleszenz werden dann die nicht genutzten Neuronen und Verbindungen gestutzt (Blakemore, 2008). Was wir nicht benutzen, geht verloren. Dieser Prozess erinnert ein bisschen an Verkehrsplaner:innen, die Engpässe dadurch beseitigen, indem sie den Verkehr von den Straßen auf die Autobahn verlagern, durch die der Verkehr leichter fließt.
6
228
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Wert 0.40 0.35
Sensationslust
0.30 0.25 0.20 0.15 0.10 0.05 Impulskontrolle
0.00 –0.05
6
–0.10 –0.15
12–13
14–15
16–17
18–19
20–21
22–23
24–25
Alter in Jahren ..Abb. 6.38 Pubertät. (Barbara Smaller/The New Yorker Collection/ The Cartoon Bank)
Zur Entwicklung des Frontallappens während der Adoleszenz gehört auch das kontinuierliche Wachstum des Myelins, des Fettgewebes um die Axone, das die Übertragung der neuronalen Impulse beschleunigt und den Informationsaustausch zwischen verschiedenen Hirnarealen verbessert (Whitaker et al., 2016). Diese Entwicklungen verbessern Urteilsvermögen, Impulskontrolle und langfristiges Planen (. Abb. 6.38). >>Wie werden Sie in 10 Jahren auf Ihr Leben zurückbli-
cken? Treffen Sie heute Entscheidungen, mit denen Sie eines Tages zufrieden sein werden?
Doch die Reifung des Frontallappens hinkt der des limbischen Systems, das mit Emotionen assoziiert ist, hinterher. Die Hormonaufwallungen und die Entwicklung des limbischen Systems können als Erklärung für die gelegentliche Impulsivität von Teenagern dienen, für ihr risikoreiches Verhalten und für ihre Gefühlsstürme – Türenknallen und das laute Aufdrehen von Stereoanlagen (Casey et al., 2008; Casey & Caudle, 2013; Fuhrmann et al., 2015). Es ist also kein Wunder, dass jüngere Teenager (deren noch nicht ganz entwickelter Frontallappen nicht vollständig darauf vorbereitet ist, langfristige Pläne zu machen und Impulse zu kontrollieren) so oft der Versuchung des Rauchens erliegen. Allerdings unterschätzen Jugendliche die Gefahren des Rauchens (oder zu schnellen Autofahrens und ungeschützten Geschlechtsverkehrs) keineswegs. Bei Bauchentscheidungen gewichten sie die Vorzüge eines solchen Verhaltens einfach stärker (Reyna & Farley, 2006; Steinberg, 2007, 2013). Teenager finden Belohnungen spannender als Erwachsene. Sie sind auf der Suche nach Nervenkitzel und Belohnungen, allerdings noch nicht in der Lage dazu, das Bremspedal für ihre Impulse auszumachen (. Abb. 6.39).
..Abb. 6.39 Impulskontrolle verzögert die Belohnungssuche. Umfragen unter mehr als 7000 amerikanischen 12- bis 24-Jährigen zeigen, dass die Sensationslust in der Mitte des Teenageralters ihren Höhepunkt erreicht, während sich die Impulskontrolle mit der Reifung der Frontallappen langsamer entwickelt. („National Longitudinal Study of Youth and Children and Young Adults“-Befragungsdaten präsentiert von Steinberg, 2013)
» „Ich habe einem sogenannten Freund geholfen, einen
bewaffneten Raubüberfall und Mord zu begehen … Ich war gerade 17 Jahre alt … Ich war über 20 Jahre im Gefängnis … länger als ich jemals frei war … Ich gehöre zu den über 300 ‚Juvenile Lifers‘ in den Gefängnissen von Michigan … Ich habe seit meiner Zeit in der Haft viel gelernt und bin gereift. Ich empfinde große Reue und Bedauern über die Tragödie, an der ich schändlicherweise mitgewirkt habe. Aber ich rette diese Erfahrung, indem ich aus ihr lerne und wachse.“ M. H., Gefängnisinsasse aus Michigan, persönliche Korrespondenz (2015)
Wenn der Jugendliche also rücksichtslos Auto fährt und sich in der Schule selbstzerstörerisch verhält, sollten die Eltern dann zu sich selbst sagen: „Er kann nichts dafür, sein Frontalkortex ist noch nicht vollständig entwickelt“? Es besteht zumindest Hoffnung. Hirnveränderungen liegen dem neuen Selbstbewusstsein von Teenagern in Bezug auf das, was andere denken, sowie ihrer Bewertung von riskanten Belohnungen zugrunde (Barkley-Levenson & Galván, 2014; Somerville et al., 2013). Und das Gehirn zu Beginn des Teenageralters ist anders als das Gehirn am Ende dieser Zeitspanne. Sofern der oder die Jugendliche seine Gehirnentwicklung nicht durch starken Alkoholkonsum verlangsamt – was anfällig für Impulsivität und Sucht macht – werden die Frontallappen bis zum Alter von etwa 25 Jahren weiter reifen (Crews et al., 2007; Giedd, 2015). Sie werden auch besser mit dem limbischen System verbunden, was eine bessere Emotionsregulation ermöglicht (Cohen et al., 2016; Steinberg, 2012; . Abb. 6.40).
229
6.3 • Adoleszenz
nun wirklich nicht, wie es ist, verliebt zu sein“ (Elkind, 1978). In dem Maße, wie bei jungen Teenagern die Fähigkeit zunimmt, über ihr eigenes Denken nachzudenken und sich Gedanken darüber zu machen, wie andere Menschen denken, fangen sie auch an, sich vorzustellen, was andere über sie denken. (Die Jugendlichen würden sich weniger Sorgen darum machen, was andere über sie denken, wenn ihnen klar wäre, dass ihre Kamerad:innen genauso stark mit sich selbst beschäftigt sind wie sie selber.) Zunehmend gelingt es ihnen jedoch, abstrakter zu denken.
» „Als der Pilot uns sagte, wir sollten unsere Fußknöchel
fest umklammern, war das Erste, was mir durch den Kopf ging, dass wir nun alle ziemlich blöd aussehen müssen.“ Jeremiah Rawlings, 12 Jahre, nach dem Absturz einer DC-10 in Sioux City (Iowa) im Jahr 1989
..Abb. 6.40 (Robert Leighton/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Entwicklung der Fähigkeit zum Schlussfolgern
Im Jahr 2004 brachte die American Psychological Association (APA), gemeinsam mit sieben weiteren Berufsverbänden aus dem Bereich der Medizin und der Versorgung von Personen mit psychischen Störungen, die Todesstrafe für 16- und 17-Jährige vor den Obersten Gerichtshof der Vereinigten Staaten. Im Schriftsatz wurde die Unreife des Gehirns bei Teenagern „in Bereichen, die erwachsene Entscheidungen voraussetzen“, dokumentiert. Hirnscans von jungen Teenagern zeigen, dass die Unreife der Frontallappen bei straffälligen und drogenkonsumierenden Jugendlichen am deutlichsten ist (Shannon et al., 2011; Whelan et al., 2012). Teenagern kommt also „wegen der Adoleszenz eine geringere Schuld“ zu, trugen der Psychologe Laurence Steinberg und die Juraprofessorin Elizabeth Scott (2003; Steinberg et al., 2009) vor. Im Jahr 2005 wurde in den USA die Todesstrafe für Jugendliche, so entschied das Gericht mit einer Mehrheit von 5 zu 4 Stimmen, als verfassungswidrig erklärt. Im Jahr 2012 bot die APA ähnliche Argumente gegen die Verurteilung von Jugendlichen zu lebenslanger Haft ohne Bewährung (Banville, 2012; Steinberg, 2013). Auch hier stimmte das Gericht mit einer knappen Mehrheit von 5 zu 4 Stimmen zu.
Sobald Jugendliche die höchste Stufe der kognitiven Entwicklung erreichen, die Jean Piaget als formal-operatorisches Stadium bezeichnete, setzen sie ihre neuen Fähigkeiten ein, um über die Welt, die sie umgibt, nachzudenken. Sie denken darüber nach, was idealerweise möglich wäre, und vergleichen diese Vorstellung mit der unvollkommenen Realität ihrer Gesellschaft, ihrer Eltern und sogar sich selbst. Sie führen Gespräche und Diskussionen über die menschliche Natur, Gut und Böse, Wahrheit und Gerechtigkeit. Ihre Vorstellung davon, was gerecht ist, verändert sich von einem einfachen Gleichheitsbegriff über Verteilungsgerechtigkeit hin zu einer Verteilung gemäß individueller Leistungen (Almås et al., 2010). Nachdem Jugendliche die anschaulichen Bilder aus ihrer Kindheit abgelegt haben, suchen sie nun nach Spiritualität und einem tieferen Sinn des Lebens (Boyatzis, 2012; Elkind, 1970). Mit ihrer neu gewonnenen Fähigkeit, hypothetisch zu denken und Konsequenzen abzuleiten, entdecken sie die logischen Fehler in den Ausführungen anderer und legen den Finger auf alles, was ihnen geheuchelt scheint. Das führt manchmal zu hitzigen Diskussionen mit den Eltern und bei den Jugendlichen zu dem geheimen Schwur, nie, nie die eigenen Ideale aus dem Blick zu verlieren (Peterson et al., 1986).
6.3.2
Entwicklung von moralischem Denken und Urteilen
Kognitive Entwicklung
?? 6.14 Wie haben Piaget, Kohlberg und spätere Wissen-
schaftler die kognitive und moralische Entwicklung im Jugendalter beschrieben?
In den frühen Teenagerjahren kreist das Denken oft um die eigene Person. Jugendliche neigen dazu, zu glauben, ihre Erfahrungen seien einzigartig, etwas, was ihre Eltern einfach nicht verstehen können. „Aber Mami, du weißt doch
Zwei entscheidende Aufgaben müssen in der Kindheit und in der Jugend bewältigt werden: die Unterscheidung von richtig und falsch und die Ausbildung eines Charakters, wobei Charakter so etwas ist wie die psychischen Muskeln, die zur Impulskontrolle benötigt werden. Kinder lernen, sich in andere einzufühlen, eine Fähigkeit, die sich in der Adoleszenz weiter entwickelt. Eine moralische Haltung haben bedeutet, moralisch zu denken und entsprechend zu handeln (. Abb. 6.41). Jean Piaget und Lawrence Kohlberg nahmen an, dass moralisches Den-
6
230
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
..Tab. 6.2 Stufen des moralischen Denkens nach Kohlberg
6 ..Abb. 6.41 Sie demonstrieren ihre Fähigkeit zum schlussfolgernden Denken. Alle diese Jugendlichen demonstrieren ihre Fähigkeit, logisch über abstrakte Themen nachzudenken. Nach Piaget befinden sie sich in der letzten Phase ihrer kognitiven Entwicklung, dem formal-operatorischen Stadium. (© Pacific Press/Albin Lohr-Jones/picture alliance)
ken moralischem Handeln zugrunde liegt. Eine neuere Sichtweise basiert auf der wegweisenden Erkenntnis, dass vieles, was wir tun, nicht durch bewusstes, gesteuertes Denken zustande kommt, sondern seine Ursachen in unbewussten, automatischen Prozessen hat. zz Moralisches Denken
Piaget (1932) glaubte, dass das moralische Urteil bei Kindern auf ihrer kognitiven Entwicklung beruht. Kohlberg (1981, 1984) nahm Piagets Gedanken auf und versuchte, die Entwicklung des moralischen Denkens zu beschreiben, d. h., wie wir und was wir denken, wenn wir uns die Frage nach richtig und falsch stellen. Kohlberg stellte Kinder, Jugendliche und Erwachsene vor ein moralisches Dilemma (z. B. ob eine Person ein Medikament stehlen sollte, um das Leben eines geliebten Menschen zu retten) und fragte, ob diese Handlung richtig oder falsch war. Seine Analyse ihrer Antworten führte ihn zu der Auffassung, dass wir, wenn wir uns geistig entwickeln, drei grundlegende Niveaus des moralischen Denkens durchlaufen: präkonventionelle Moral, konventionelle Moral und postkonventionelle Moral (. Tab. 6.2). Kohlberg sah diese Stufen als eine Art moralische Stufenleiter. Wie bei allen Theorien, die mit Stufen arbeiten, gibt es auch hier keine Abweichung von der Reihenfolge: Wir fangen auf der untersten Sprosse an und steigen unterschiedlich weit empor, wobei wir das Wohlbefinden anderer über unser eigenes stellen können (Crockett et al., 2014; . Abb. 6.42). Säuglinge erkennen richtig und falsch und bevorzugen moralisches gegenüber unmoralischem Handeln (Cowell & Decety, 2015). Vorschulkinder identifizieren sich für gewöhnlich mit ihrer kulturellen Gruppe, passen sich deren moralischen Normen an und setzen sie durch (Haun et al., 2014; Schmidt & Tomasello, 2012). Wenn diese Normen freundliches Handeln belohnen, helfen Vorschulkinder anderen (Carragan & Dweck, 2014).
Stufe (ungefähres Alter)
Fokus
Beispiel
Präkonventionelle Moral (bis 9 Jahre)
Eigenes Interesse; gehorchen, um Strafe zu vermeiden oder um eine konkrete Belohnung zu bekommen
„Wenn du deine sterbende Ehefrau rettest, bist du ein Held.“
Konventionelle Moral (frühes Jugendalter)
Sich an Gesetze und soziale Regeln halten, um soziales Ansehen zu erlangen oder die soziale Ordnung aufrechtzuerhalten
„Wenn du das Medikament für sie stiehlst, wird jeder denken, dass du ein Verbrecher bist.“
Postkonventionelle Moral (Jugendalter und älter)
Handlungen reflektieren den Glauben an Grundrechte und selbst definierte ethische Prinzipien
„Menschen haben das Recht zu leben.“
Kritiker:innen der Theorie Kohlbergs haben vor allem bemängelt, dass die postkonventionelle Stufe kulturellen Einschränkungen unterworfen ist, sodass sie vor allem bei Menschen aus größeren Gesellschaften aufzufinden ist, die Individualismus einen hohen Wert einräumen (Barrett et al., 2016; Eckensberger, 1994; Miller & Bersoff, 1995). zz Moralisches Empfinden
Der Psychologe Jonathan Haidt (2002, 2012) glaubt, dass menschliche Moral in moralischem Empfinden verwurzelt ist, das sich als „kurzes instinktives Gefühl oder eine affektgeladene Intuition“ beschreiben lässt. Nach dieser Sichtweise fällt der Verstand moralische Urteile, wie er ästhetische Urteile fällt: schnell und automatisch. Nach Haidt veranlassen uns Gefühle von Empörung oder Begeisterung zu moralischem Denken. Eine Frau erinnert sich an eine Fahrt durch ihre verschneite Nachbarschaft in Gesellschaft von drei jungen Männern. Sie fuhren an „einer älteren Frau vorbei, die mit einer Schaufel in ihrer Einfahrt stand … Einer von den Jungen … bat den Fahrer, ihn aussteigen zu lassen. Als … mir klar wurde, dass er ihr anbot, den Schnee aus ihrer Einfahrt wegzukehren, blieb mir vor Staunen der Mund offen stehen.“ Diese unerwartete Freundlichkeit zu erleben, löste ein Gefühl der Erhabenheit aus. „Mir war, als müsste ich sofort aus dem Auto springen und den Mann umarmen. Mir war, als müsste ich singen und rennen oder lachen und hüpfen. Ich hatte Lust, Nettes über die Menschen zu sagen“ (Haidt, 2000). „Kann die Moral des Menschen tatsächlich von den moralischen Gefühlen geleitet werden?“, lautet seine Frage. „Das moralische Denken behauptet doch immer
231
6.3 • Adoleszenz
..Abb. 6.42 Moralisches Denken. Im Jahr 2012 waren einige Bewohner von Staten Island, New York, mit einem moralischen Dilemma konfrontiert, als Hurrikan Sandy katastrophale Überschwemmungen verursachte: Sollten sie für den Versuch, Familie, Freunde und Nachbarn in gefährlich überfluteten Gebieten zu retten, ihr Leben riskieren? Ihre Denkweise und die Schlussfolgerungen daraus brachten entsprechend unterschiedliche Niveaus moralischen Denkens zum Ausdruck, selbst wenn sich die Betreffenden ähnlich verhielten. (© ASSOCIATED PRESS/Seth Wenig/picture alliance)
großspurig, es sei die Steuerzentrale.“ Betrachten wir den Wunsch, andere zu bestrafen. Laboruntersuchungen zeigen, dass das Bedürfnis danach, Fehlverhalten zu bestrafen, vor allem durch emotionale Reaktionen, wie etwa Empörung oder Rachegelüste, ausgelöst wird. Rationale Überlegungen – z. B. die objektive Annahme, dass Bestrafung anderen Vergehen vorbeugen kann – spielen eine untergeordnete Rolle (Chester & DeWall, 2016; Darley, 2009). Unser moralisches Denken versucht nach dem emotionalen Impuls, als eine Art Pressesprecher unseres Verstandes, uns selbst und andere von der Logik unserer Intuition zu überzeugen. Unterstützt wird die These von der sozialen Intuition durch eine Studie, in der ein moralisches Paradox untersucht wurde. Stellen Sie sich folgende Szene vor: Ein Straßenbahnwagen hat sich losgerissen und rast auf eine Gruppe von fünf Menschen zu. Die werden alle überfahren werden und tot sein, wenn Sie nicht einen Schalter umlegen und den Wagen auf ein anderes Gleis lenken, wo er nur einen Menschen überfahren wird. Sollten Sie diesen Schalter umlegen? Die meisten sagen Ja. Einen Menschen opfern, um fünf zu retten. Aber nun stellen Sie sich dasselbe Dilemma vor, allerdings mit veränderten Bedingungen: Sie können die fünf Menschen nur retten, wenn Sie einen hochgewachsenen Fremden auf das Gleis stoßen. Sein Körper wird den Straßenbahnwagen stoppen, und er wird dabei ums Leben kommen. Einen Menschen töten und fünf retten? Beide Entscheidungen unterliegen derselben Logik, doch die meisten Menschen verneinen die zweite Frage. Auf der Suche nach den Gründen dafür setzen Forscher:innen bildgebende Verfahren ein, um neuronale Reaktionen aufzuspüren, die im Gehirn der Menschen ablaufen,
wenn sie über ein solches Dilemma nachdenken. Nur das moralische Dilemma, in dem es darum ging, einen Menschen zu schubsen, aktivierte die Emotionsareale im Gehirn (Greene et al., 2001). Somit stellen unsere moralischen Urteile ein weiteres Beispiel für den zweigleisigen Verstand der Parallelverarbeitung dar (Feinberg et al., 2012). Moralisches Denken, zentriert in einem Hirnareal, sagt: „Leg den Schalter um.“ Unsere intuitiven moralischen Emotionen, die in anderen Hirnarealen verwurzelt sind, setzen die Vernunft außer Kraft, wenn wir sagen, dass wir den Mann nicht schubsen sollen. Joshua Greene (2010) vergleicht unser moralisches Denken mit einer Kamera: Normalerweise verlassen wir uns auf den Automatikmodus und knipsen einfach darauf los. Gelegentlich nehmen wir jedoch bewusste Veränderungen an den automatischen Einstellungen vor.
» „Es ist eine wunderbare Harmonie, wenn Wort und Tat übereinstimmen.“ Michel Eyquem de Montaigne (1533– 1592)
zz Moralisches Handeln
Unser moralisches Denken und Fühlen hat zweifellos Einfluss auf unsere moralischen Aussagen. Aber sprechen kostet nicht viel, und Emotionen kommen und gehen. Zur Moral gehört, das Richtige zu tun, und was wir tun, hängt gleichfalls von sozialen Einflüssen ab. Die Politologin und Philosophin Hannah Ahrendt (1963) bemerkte, dass viele Wachposten in den Konzentrationslagern des NS-Regimes im Zweiten Weltkrieg ganz normale „moralische“ Menschen waren, korrumpiert von der Banalität des Bösen, der sie ausgesetzt waren. Die heute in den USA bestehenden Programme zur Charakterbildung konzentrieren sich gewöhnlich sowohl auf Diskussionen über moralische Themen und auf die Schlussfolgerungen daraus als auch darauf, wie man moralisch richtig handeln kann. Wenn Teenager im Rahmen von Programmen zum gesellschaftlichen Engagement Nachhilfestunden geben, in ihrer Nachbarschaft den Dreck wegräumen und älteren Menschen helfen, nimmt ihr Gefühl der eigenen Kompetenz und ihr Bedürfnis zu helfen zu; in der Schule fehlen sie seltener unentschuldigt, die Wahrscheinlichkeit sinkt, dass sie vorzeitig die Schule verlassen und ihr gewalttätiges Verhalten nimmt ab (Andersen, 1998; Heller, 2014; Piliavin, 2003). Moralisches Handeln führt zu moralischen Einstellungen (. Abb. 6.43). Ein großer Teil der moralischen Entwicklung ist die Selbstdisziplin, die nötig ist, um die eigenen Impulse zu zügeln – kleine Belohnungen jetzt aufzuschieben, um später größere Belohnungen zu ermöglichen. Eines der bekanntesten Experimente der Psychologie wurde durch Walter Mischels Beobachtungen der „bemerkenswerten Fortschritte“ in der Selbstkontrolle seiner drei Töchter im Vorschulalter ausgelöst (2014). Er gab den 4-Jährigen im Stanford-Kindergarten die Wahl zwischen einem Marshmallow sofort oder zwei Marshmallows, wenn er
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
232
Der Theoretiker Erik Erikson (1963) vertrat die Auffassung, dass jede Lebensphase ihre eigene psychosoziale Aufgabe hat, eine Krise, die es zu lösen gilt. Kleine Kinder ringen mit Themen wie Vertrauen, später geht es dann um Autonomie (Selbstständigkeit) und Initiative. Schulkinder kämpfen um Kompetenz, um sich als fähig und produktiv erleben zu können, während laut Erikson die Aufgabe der Jugendlichen darin besteht, frühere, aktuelle und zukünftige Möglichkeiten zu einem deutlicheren Selbstgefühl zusammenzuschweißen (. Tab. 6.3). Jugendliche fragen sich: „Wer bin ich? Was will ich mit meinem Leben anfangen? Welche Werte sollen mein Leben bestimmen? Woran glaube ich?“ Diese Fragen der Jugendlichen nannte Erikson die Suche nach der eigenen Identität.
6
» „Irgendwo zwischen dem 10. und 13. Lebensjahr (in ..Abb. 6.43 Moralisches Denken?! (© Claudia Styrsky)
ein paar Minuten später zurückkam. Die Kinder, die die Willenskraft hatten, die Befriedigung hinauszuzögern, hatten später höhere College-Abschlussraten und Einkommen und litten seltener unter Suchtproblemen. Zudem blieben die Unterschiede bestehen, als eine Stichprobe von Mischels Marshmallow-Absolventen 40 Jahre später erneut mit einem neuen Willenskrafttest getestet wurde (Casey et al., 2011). Unsere Fähigkeit, Belohnungen hinauszuzögern – augenblickliche kleine Belohnungen für spätere größere Belohnungen abzulehnen – ist grundlegend für unseren zukünftigen akademischen, beruflichen und sozialen Erfolg (Daly et al., 2015; Funder & Block, 1989; Sawyer et al., 2015). Eine Vorliebe für große spätere Belohnungen anstelle von kleinen sofortigen Belohnungen minimiert das Risiko von problematischem Glücksspiel, Rauchen und Straffälligkeit (Callan et al., 2011; Ert et al., 2013; Lee et al., 2017). Die Moral von der Geschicht’: Das Aufschieben der Befriedigung – ein Leben mit einem Blick auf die Zukunft – fördert das Gedeihen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Im Rahmen von Kohlbergs Theorie basiert Moral auf dem eigenen Interesse, ___ Moral selbst definierten ethischen Prinzipien und Moral auf Gesetzen und sozialen Regeln. – Wie lautet die Kritik an Kohlbergs Theorie moralischen Denkens?
___ auf ___ des
Abhängigkeit davon, wie viele Hormone ihrem Fleisch beigesetzt waren) treten Kinder in die Adoleszenz ein, auch bekannt als ‚Entniedlichung‘.“ Jon Stewart et al., Earth (The Book), (2010)
Wie es bisweilen in der Psychologie vorkommt, waren Eriksons Interessen aus seiner eigenen Lebenserfahrung erwachsen. Mit einer jüdischen Mutter und einem dänischen, nicht jüdischen Vater war er „in doppelter Hinsicht ein Außenseiter“, schreibt Hunt (1993, S. 391). Er wurde „in der Schule als Jude verspottet und in der Synagoge wegen seines blonden Haares und seiner blauen Augen als Goj belächelt.“ Aus solchen Erlebnissen speiste sich sein Interesse an dem Kampf um die eigene Identität, den jeder Jugendliche in der Adoleszenz durchfechten muss.
Identitätsbildung Jugendliche in individualistischen Kulturen probieren in unterschiedlichen Situationen verschiedene „Selbste“ aus und schärfen dadurch ihr Gefühl für ihre eigentliche Identität. Sie haben vielleicht ein Selbst für zu Hause, ein anderes Selbst für das Zusammentreffen mit Freund:innen und noch ein anderes für Schule und online. Treffen zwei Situationen – und zwei Selbste – aufeinander (etwa, wenn man neue Freund:innen mit nach Hause bringt), dann kann das zu erheblichem Unbehagen führen (Klimstra et al., 2015). Teenager fragen sich oftmals: „Welches Selbst sollte ich sein? Welches ist mein wirkliches Ich?“ Die mögliche Lösung ist eine Selbstdefinition, die die verschiedenen „Selbste“ miteinander verknüpfen kann und zu einem konsistenten und angenehmen Gefühl davon führt, wer man ist: eine Identität. Identität („identity“) – Gefühl für das eigene Selbst. Nach
6.3.3
Soziale Entwicklung
?? 6.15 Welche sind die sozialen Aufgaben und Heraus-
forderungen des Jugendalters?
Erikson besteht die Aufgabe der Adoleszenz darin, das Selbstgefühl zu festigen; dabei werden verschiedene Rollen erprobt und ggf. integriert. Sowohl bei Jugendlichen als auch bei Erwachsenen werden Gruppenidentitäten oft aufgrund der Unterschiede zu
233
6.3 • Adoleszenz
..Tab. 6.3 Stufen der psychosozialen Entwicklung nach Erikson Identitätsstufe (ungefähres Alter)
Themen
Aufgabenbeschreibung
Säugling und Kleinkind (0–1 Jahr)
Vertrauen vs. Misstrauen
Wenn Bedürfnisse angemessen befriedigt werden, entwickelt das Kleinkind ein Urvertrauen
Kleinkind (1–3 Jahre)
Autonomie vs. Scham und Selbstzweifel
Das Kind lernt, seinen Willen durchzusetzen und Dinge selbstständig zu erledigen, oder es zweifelt an seinen Fähigkeiten
Vorschulkind (3–6 Jahre)
Initiative vs. Schuld
Das Vorschulkind lernt, Dinge aus eigener Initiative zu erledigen und Pläne durchzuführen, oder es entwickelt Schuldgefühle wegen seiner Unabhängigkeitsbestrebungen
Schulkind (ab 6. Lebensjahr bis zur Pubertät)
Kompetenz vs. Minderwertigkeit
Das Kind erfährt die Lust an der Erfüllung einer Aufgabe, oder es fühlt sich minderwertig
Adoleszenz (vom 13. bis etwa 20. Lebensjahr)
Identität vs. Rollendiffusion
Teenager verfeinern ihr Selbstbild durch Erproben verschiedener Rollen, die dann integriert werden und die Identität bilden, oder geraten in Verwirrung und wissen nicht, wer sie sind
Frühes Erwachsenenalter (von etwa 20 bis etwa 40 Jahre)
Intimität vs. Isolation
Junge Erwachsene kämpfen darum, enge Beziehungen einzugehen und die Fähigkeit zu Liebe und Intimität zu erlangen, oder sie fühlen sich einsam und isoliert
Mittleres Erwachsenenalter (40–60 Jahre)
Generativität vs. Stagnation
Im mittleren Erwachsenenalter will der Mensch seinen Beitrag zur Welt leisten, meist durch Familiengründung und Arbeit, sonst entwickelt er ein Gefühl der Sinn- und Zwecklosigkeit
Spätes Erwachsenenalter (ab 60 Jahre)
Ich-Integrität vs. Verzweiflung
Denkt der ältere Mensch über sein Leben nach, geschieht dies mit dem Gefühl der Befriedigung oder dem des Gescheitertseins
Menschen in unserer unmittelbaren Umgebung gebildet. Wenn ich [DM] in Großbritannien lebe, wird mir meine US-amerikanische Herkunft bewusst. Wenn ich [ND] Zeit in Hongkong verbringe, wird mir (als Minderheit) meine weiße Hautfarbe bewusst. Bei internationalen Studierenden, Personen, die einer ethnischen Minderheit angehören, Homosexuellen, transgeschlechtlichen Menschen oder Personen mit körperlicher Behinderung bildet sich um ihre Unterschiedlichkeit herum oft eine soziale Identität.
che einer Reihe von Aussagen sie am besten beschreibt, sagen 81 %: „Ich würde mich für das Leben entscheiden, wie ich es jetzt lebe.“ Die anderen 19 % stimmten der Aussage zu: „Ich wünschte, ich wäre jemand anders“ (Lyons, 2004). Wenn sie über ihr Leben nachdenken, sagen 75 % der amerikanischen Studierenden, dass sie mit Freund:innen „über Religion oder Spiritualität diskutieren“, „beten“ und stimmen der Aussage zu, dass „wir alle
Soziale Identität („social identity“) – das Wir-Gefühl als
Teil unseres Selbstkonzepts; derjenige Teil unserer Antwort auf die Frage „Wer bin ich?“, der durch unsere Gruppenzugehörigkeit bestimmt wird. Erikson bemerkte, dass sich manche Jugendliche schon sehr früh auf eine Identität festlegen, indem sie einfach die Werte und Erfahrungen ihrer Eltern übernehmen. Andere Jugendliche nehmen die Identität einer bestimmten Peergroup an: Sportler:in, Computerfreak, Nerd, Gothic (. Abb. 6.44). (In traditionellen, kollektivistischen Kulturen bestimmt die Gesellschaft über die Identität der Jugendlichen und gestattet ihnen nicht, selbst herauszufinden, wer sie sind.) Bikulturelle Heranwachsende bilden komplexe Identitäten, da bei ihnen mehrere Gruppenzugehörigkeiten und ihre Gefühle darüber zusammenkommen (Marks et al., 2011; . Abb. 6.45). Die meisten jungen Leute sind mit ihrem Leben zufrieden. Wenn man amerikanische Jugendliche fragt, wel-
..Abb. 6.44 (SIX CHIX © 2002 Margaret Shulock Dist. By King Features Syndicate, World Rights Reserved)
6
234
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
..Abb. 6.45 a,b Wer will ich heute sein? Jugendliche verändern ihr Aussehen und probieren auf diese Weise verschiedene „Selbste“ aus. Zwar entwickeln wir eine konsistente und stabile Identität, doch das „Selbst“, das wir darstellen, kann je nach Situation ein anderes sein. (a: © Lars Racozy; b: © Laura Barton)
6
a
spirituelle Wesen sind“ und „nach einem Sinn bzw. Ziel im Leben suchen“ (Astin et al., 2004; Bryant & Astin, 2008). Das wäre für den Psychologen William Damon und seine Kolleg:innen in Stanford keine Überraschung; denn sie behaupten, dass es eine Schlüsselaufgabe der Entwicklung während der Adoleszenz sei, ein Ziel zu erreichen – ein Bedürfnis, etwas persönlich Sinnvolles zu leisten, was eine große Bedeutung für die Welt außerhalb ihres eigenen Bereichs hat (Damon et al., 2003). In mehreren Untersuchungen haben Wissenschaftler:innen gezeigt, dass das Selbstwertgefühl für gewöhnlich von den frühen bis zu den mittleren Teenagerjahren zunächst abnimmt und bei Mädchen depressive Störungen oft zunehmen. Das Selbstwertgefühl festigt sich dann bis zum Ende der Teenagerzeit und mit Anfang 20 wieder, wobei sich die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Selbstwertgefühl verringern (Zuckerman et al., 2016). Die späte Adoleszenz ist auch die Zeit, in der Verträglichkeit und emotionale Stabilität zunehmen (Klimstra et al., 2009). Dies sind die Jahre, in denen viele Menschen in industrialisierten Ländern neue Möglichkeiten erkunden, indem sie entweder auf die Universität wechseln oder ins Berufsleben eintreten. Am Ende ihres Studiums haben viele Studierende ein klareres Bild von ihrer Identität als zu Beginn (Waterman, 1988). Studierende mit einem klareren Selbstbild sind weniger anfällig für Alkoholmissbrauch (Bishop et al., 2005). Erikson postulierte, dass auf die Identitätsbildung in der Jugend (die sich bis ins Erwachsenenalter fortsetzt) die beginnende Fähigkeit zur Intimität folgt, d. h., der junge Erwachsene kann nun enge emotionale Beziehungen aufnehmen. Als Mihaly Csikszentmihalyi (ausgesprochen als Tschicksendmihaji) und Jeremy Hunter (2003) einen Piepser einsetzten, um die alltäglichen Er-
b
fahrungen amerikanischer Jugendlicher zu dokumentieren, fanden sie heraus, dass diese sich am unglücklichsten fühlten, wenn sie allein waren, und am glücklichsten, wenn sie zusammen mit Freund:innen waren. Zwei von drei 17-Jährigen in Nordamerika berichten davon, sich in Liebesbeziehungen zu befinden, die sich durch besonders starke Emotionalität auszeichnen. In kollektivistischen Kulturen wie China sind es weniger (Collins et al., 2009; Li et al., 2010). Diejenigen, die gute (also enge und unterstützende) Beziehungen zu Familie und Freund:innen unterhalten, haben oft auch ebensolche romantischen Beziehungen im Jugendalter, in dem die Voraussetzungen für gesunde Beziehungen im Erwachsenenalter geschaffen werden. Solche Beziehungen sind für die meisten von uns etwas, was uns große Freude bereitet. Wir Menschen sind „staatenbildende Lebewesen“, wie Aristoteles schon vor langer Zeit erkannte. Beziehungen sind wichtig. Intimität („intimacy“) – nach Eriksons Theorie die Fä-
higkeit, enge Liebesbeziehungen einzugehen. Intimität zulassen zu können, ist die primäre Entwicklungsaufgabe im jungen Erwachsenenalter.
Beziehungen zu Eltern und Gleichaltrigen ?? 6.16 Wie werden Jugendliche von ihren Eltern und
Gleichaltrigen beeinflusst?
Auf der Suche nach der eigenen Identität beginnen Jugendliche in westlichen Kulturen, sich von den Eltern zu lösen (Shanahan et al., 2007; . Abb. 6.46). Aus dem Kindergartenkind, das gar nicht nah genug bei der Mutter sein kann, sie anfassen und sich an sie klammern will, wird ein Teenager, der um keinen Preis gesehen werden
6
235
6.3 • Adoleszenz
Prozent, die von 50% einer guten Beziehung zu 40 ihren Eltern 30 berichten
Männlich Weiblich
20
10 0 7. Klasse
8. Klasse
9. Klasse
10. Klasse
11. Klasse
Schuljahr ..Abb. 6.47 Veränderungen in der Eltern-Kind-Beziehung. Im Rahmen einer breit angelegten Studie mit kanadischen Familien zeigte sich, dass sich die normale enge und warme Beziehung zwischen Kindern und ihren Eltern lockerte, als sie Jugendliche wurden. (Pepler & Craig, 2012) ..Abb. 6.46 Ablösung von den Eltern. (© David Sipress/Search ID: CX903186, Rights Available from CartoonStock.com)
möchte, wenn er mit der Mutter Hand in Hand geht. Der Übergang vollzieht sich allmählich (. Abb. 6.47). In der Adoleszenz kommt es häufiger zum Streit zwischen Eltern und Kindern, meist über sehr banale Dinge: Hilfe im Haushalt, Schlafenszeit, Hausaufgaben (Tesser et al., 1989). Die Konflikte während der Übergangszeit zur Pubertät fallen mit Erstgeborenen heftiger aus als mit späteren Kindern und sind in der Regel stärker zwischen Kindern und ihren Müttern als ihren Vätern (Burk et al., 2009; Shanahan et al., 2007).
» „I love u guys.“ Die letzte SMS von Emily Keyes an ihre Eltern, bevor sie bei einer Schießerei in einer Schule in Colorado 2006 getötet wurde.
Bei einigen wenigen Eltern mit heranwachsenden Kindern führen diese Differenzen zu Entfremdung und zu Stress (Steinberg & Morris, 2001). Doch die meisten erleben die Streitereien und das Gezänk nicht als destruktiv. Bei Söhnen geht es oft um Verhaltensprobleme, wie z. B. Ausagieren oder Hygiene; bei Töchtern geht es meist um Beziehungen, wie z. B. Verabredungen und Freundschaften (Schlomer et al., 2011). Eine Studie mit 6000 interviewten Jugendlichen aus 10 Ländern, darunter Australien, Bangladesh und die Türkei ergab, dass die meisten ihre Eltern mochten (Offer et al., 1988). „Wir kommen normalerweise miteinander aus, aber …“ berichten Jugendliche oft (Galambos, 1992; Steinberg, 1987). Positive Beziehungen zu den Eltern sind hilfreich für positive Beziehungen zu Gleichaltrigen. Bei Mädchen im Alter von 14–17 Jahren, die die liebevollste Beziehung zu ihrer Mutter hatten, waren tendenziell auch die Freundschaften mit anderen Mädchen sehr eng (Gold & Yanof, 1985). Und Teenager, die sich ihren Eltern verbunden fühlten, waren tendenziell gesund und glücklich und waren gute Schüler (Resnick et al. 1997). Natürlich können wir diese Korrelation auch anders interpretieren: Teenager,
die Regeln nicht respektieren, haben mit größerer Wahrscheinlichkeit eine gespannte Beziehung zu ihren Eltern. Es ist typisch für das Jugendalter, dass der elterliche Einfluss ab- und der Einfluss der Gleichaltrigen zunimmt. In einer Studie wurden Eltern in den USA gefragt, ob sie „je ein ernstes Gespräch“ mit ihrem Kind über illegale Drogen geführt hätten. 85 % der Eltern bejahten die Frage. Doch scheinen diese ernst gemeinten Ratschläge bei den Teenagern nicht anzukommen, denn nur 45 % konnten sich an ein solches Gespräch erinnern (Morin & Brossard, 1997). Wie schon in 7 Kap. 5 ausgeführt, lässt sich vieles, wenn es um Ausbildung individueller Unterschiede in Bezug auf den Charakter und die Persönlichkeit geht, durch die Erbanlagen erklären. Für den Rest ist jedoch vor allem die Peergroup ausschlaggebend. Wenn sie mit Gleichaltrigen zusammen sind, lassen Jugendliche die Zukunft außer Acht und konzentrieren sich mehr auf unmittelbare Belohnungen (O’Brien et al., 2011). Teenager sind Herdentiere. Sie sprechen, handeln und kleiden sich eher wie ihre Peergroup und nicht wie ihre Eltern. Sie werden oft so, wie ihre Freund:innen bereits sind, und sie machen das, „was jede:r macht“. Die Nutzung sozialer Medien durch Jugendliche verdeutlicht die Macht des Einflusses von Gleichaltrigen. Im Vergleich zu Fotos mit wenigen Likes bevorzugen Teenager Fotos mit vielen Likes – sogar Fotos von riskanten Verhaltensweisen wie Marihuana-Rauchen. Wenn Jugendliche darüber hinaus Fotos betrachten, die vielen Menschen gefallen, werden jene Hirnareale aktiver, die mit Belohnungsverarbeitung und Nachahmung in Verbindung stehen (Sherman et al., 2016). Das zu mögen und zu tun, was alle anderen mögen und tun, fühlt sich gut an (. Abb. 6.48). Ein Teil dessen, was jeder tut, ist Networking – eine Menge. US-Teenager verschicken typischerweise 30 Textnachrichten pro Tag und haben durchschnittlich 145 Facebook-Freund:innen (Lenhart, 2015b). Sie tweeten, posten Videos auf Snapchat und teilen Bilder auf Instagram. Online-Kommunikation regt intime Selbstoffenbarungen
236
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
6 ..Abb. 6.48 (David Sipress/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
an. Dies zeigt sich sowohl in positiven Bereichen (OnlineHilfegruppen) als auch in negativen Bereichen (Sexualstraftaten im Internet und extremistische Vereinigungen) (Subrahmanyam & Greenfield, 2008; Valkenburg & Peter, 2009; Wilson et al., 2012). Eine Facebook-Studie mit englischsprachigen Nutzer:innen ergab, dass es im Durchschnitt 371 Tage dauerte, bis sich Eltern und ihre Kinder „anfreundeten“ (Burke et al., 2013). Sowohl online als auch im realen Leben ist es überaus schmerzlich, aus der Peergroup ausgeschlossen zu werden. Die meisten Schüler:innen, die ausgegrenzt werden, „leiden stillschweigend … manche gehen gewalttätig auf ihre Klassenkameraden los“ (Aronson, 2001). Auch bleibt der Schmerz der Ausgrenzung bestehen. In einer umfassenden Studie wiesen diejenigen, die als Kinder gemobbt wurden, 40 Jahre später eine schlechtere körperliche Gesundheit und größeren psychischen Stress auf (Takizawa et al., 2014). Für Jugendliche ist es also wichtig, von Gleichaltrigen akzeptiert zu werden. Dennoch ist auf eine andere Weise auch die Anerkennung durch die Eltern wichtig. Teenager empfinden ihre Eltern als einflussreich bei der Prägung ihres religiösen Glaubens und beim Nachdenken über Studien- und Berufsentscheidungen (Emerging Trends, 1997). Die meisten Heranwachsenden identifizieren sich mit den politischen Ansichten ihrer Eltern (Ojeda & Hatemi, 2015; . Abb. 6.49). 6.3.4
Übergang ins Erwachsenenalter
?? 6.17 Was bedeutet der Übergang ins Erwachsenenalter?
In der westlichen Welt entspricht die Adoleszenz heute grob den Teenagerjahren, in früheren Zeiten jedoch – und
..Abb. 6.49 (Barbara Smaller/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
in einigen Teilen der Welt auch heute – war die Adoleszenz ein kurzes Zwischenspiel zwischen der Abhängigkeit in der Kindheit und der Selbstverantwortung im Erwachsenenalter (Baumeister & Tice, 1986). Kurz nach der Geschlechtsreife verlieh die Gesellschaft dem jungen Menschen die Selbstverantwortung und den Status des Erwachsenseins, wobei dies oft mit einem komplizierten Initiationsritus begangen wurde. Frisch gebackene Erwachsene arbeiteten dann, heirateten und hatten Kinder. Mit dem Aufkommen der Schulpflicht in vielen westlichen Nationen dauerte die Abhängigkeit länger an. Junge Menschen brauchen länger, um erwachsen zu werden. So ist in den USA beispielsweise das durchschnittliche Heiratsalter seit 1960 um 5 Jahre angestiegen (auf 29 Jahre für Männer und 27 Jahre für Frauen). In Deutschland liegt das Heiratsalter sogar noch höher: Während 1960 Frauen durchschnittlich im Alter von knapp 24 Jahren heirateten, lag ihr Heiratsalter im Jahr 2011 bei 30½ Jahren. Bei Männern stieg im gleichen Zeitraum das Heiratsalter von ca. 26 Jahren auf etwas mehr als 33 Jahre (Statistisches Bundesamt, 2013). 3 von 4 Frauen und 2 von 3 Männern hatten 1960 im Altern von 30 Jahren bereits ihre schulische Laufbahn abgeschlossen, ihr Elternhaus verlassen, standen finanziell bereits auf eigenen Beinen, waren verheiratet und hatten ein Kind. Heutzutage haben in den USA weniger als die Hälfte aller 30-jährigen Frauen und ein Drittel aller 30-jährigen Männer diese Meilensteine erreicht (Henig, 2010). Die später einsetzende Unabhängigkeit hat zusammen mit der früher einsetzenden Geschlechtsreife das einst kurze Zwischenspiel zwischen biologischer Reife und sozialer Unabhängigkeit verlängert (. Abb. 6.50). Die Zeit zwischen dem 18. und dem 25. Lebensjahr ist in wohlhabenden Gesellschaften immer mehr eine Lebensphase, in der man noch nicht ganz fertig ist und die heute oft als Übergang ins Erwachsenenalter bezeichnet wird (Arnett, 2006, 2007; Reitzle, 2006). Diese „allmählich
237
6.3 • Adoleszenz
1890, Frauen
Intervall von 7,2 Jahren Menarche (erste Periode)
10
Heirat
15
20
25
30
Alter in Jahren 2006, Frauen
Intervall von 14,2 Jahren
Menarche
10
Heirat
15
20
25
30
Alter in Jahren ..Abb. 6.50 Die Adoleszenz beginnt früher und endet später. Um 1890 lagen zwischen der ersten Menstruation einer Frau und ihrer Heirat, die typischerweise für den Übergang ins Erwachsenenalter stand, durchschnittlich 7 Jahre; Bis 2006 hat sich dieser Abstand in
den Industrienationen auf 14 Jahre vergrößert (Finer & Philbin, 2014; Guttmacher Institute, 1994). Obwohl viele Erwachsene unverheiratet sind, trägt die späte Heirat zusammen mit einer längeren Ausbildung und einer früheren Menarche dazu bei, die Adoleszenz zu verlängern
laubt die US-Regierung von ihren Eltern abhängigen Kindern neuerdings bis zum Alter von 26 Jahren, in der elterlichen Gesundheitsversicherung zu bleiben (Cohen, 2010); in Deutschland können Kinder, die noch in der Berufsausbildung sind, bis zum Alter von 25 Jahren bei den Eltern mitversichert bleiben (. Abb. 6.51). Übergang ins Erwachsenenalter („emerging adulthood“)
– in modernen Kulturen der Zeitraum zwischen dem späten Jugendalter und etwa 25 Jahren, der als Zwischenstadium zwischen jugendlicher Abhängigkeit und vollkommener Unabhängigkeit und Verantwortung des Erwachsenenalters angesehen wird. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Verbinden Sie die Stadien der psychosozialen Entwicklung (1–8) mit den jeweiligen Themen, deren Bewältigung nach Erikson jeweils zentral ist (a–h). ..Abb. 6.51 (© Barbara Smaller/Search ID: CX903184, Rights Available from CartoonStock.com)
erwachsen Werdenden“ kann man nicht mehr zu den Adoleszenten rechnen, doch die Verantwortung des selbstständigen Erwachsenen haben sie auch noch nicht übernommen. Sie fühlen sich irgendwo „dazwischen“. Nach dem Ende der Schulzeit kümmern sich diejenigen, die in den Arbeitsmarkt eintreten oder auf eine Universität gehen, um ihre eigene Zeit und ihre eigenen Prioritäten. Dabei leben sie allerdings oft noch mit ihren Eltern zusammen, da sie sich oft keine eigene Wohnung leisten können und eventuell auch emotional noch von ihren Eltern abhängig sind. Als Reaktion auf diesen schrittweise verlaufenden Übergang ins Erwachsenenalter er-
1. Säuglingsalter 2. Kleinkindalter 3. Vorschulalter 4. Schulalter 5. Jugendalter 6. Frühes Erwachsenenalter 7. Mittleres Erwachsenenalter 8. Hohes Erwachsenenalter
a. Generativität vs. Stagnation b. Ich-Integrität vs. Verzweiflung c. Initiative vs. Schuld d. Intimität vs. Isolation e. Identität vs. Rollendiffusion f. Kompetenz vs. Minderwertigkeit g. Vertrauen vs. Misstrauen h. Autonomie vs. Scham und Selbstzweifel
6
238
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
6.3.5
Rückblick: Adoleszenz
Verständnisfragen
6.13 – Wie wird Adoleszenz definiert und wie wirken sich
6
die körperlichen Veränderungen auf die sich entwickelnden Jugendlichen aus? 6.14 – Wie haben Piaget, Kohlberg und spätere Wissenschaftler die kognitive und moralische Entwicklung im Jugendalter beschrieben? 6.15 – Welche sind die sozialen Aufgaben und Herausforderungen des Jugendalters? 6.16 – Wie werden Jugendliche von ihren Eltern und Gleichaltrigen beeinflusst? 6.17 – Was bedeutet der Übergang ins Erwachsenenalter?
----
Schlüsselbegriffe Adoleszenz oder Jugendalter Identität Intimität Pubertät Soziale Identität Übergang ins Erwachsenenalter
..Abb. 6.52 (© Claudia Styrsky)
Master the Material 1. Die Adoleszenz ist gekennzeichnet durch das Auftreten … a. einer Identitätskrise. b. der Pubertät. c. von Trennungsangst. d. eines Eltern-Kind-Konflikts. 2. Nach Piaget befindet sich eine Person, die logisch über Abstraktionen denken kann, im ___ Stadium. 3. Nach Eriksons Stadienmodell ist die primäre Aufgabe während der Adoleszenz … a. das Erlernen formaler Operationen. b. das Herausbilden einer Identität. c. ein Gefühl der Intimität mit einer anderen Person zu entwickeln. d. unabhängig von den Eltern zu leben. 4. Einige Entwicklungspsycholog:innen bezeichnen die Periode, die in einigen westlichen Kulturen vom 18. Lebensjahr bis zur Mitte der 20er Jahre und darüber hinaus (bis zum Zeitpunkt der vollen Unabhängigkeit als Erwachsener) auftritt, als ___.
aussagen. Der gleiche Altersunterschied bei Erwachsenen lässt keine generellen Aussagen zu. Vorgesetzte können ebenso gut 30 wie 60 Jahre alt sein, Marathonläufer:innen mögen 20 oder 50 sein, 19-Jährige können Kinder haben, für die sie sorgen, sie können aber auch selbst noch Kinder sein, die Unterstützung brauchen. Trotzdem gibt es Ähnlichkeiten bei unseren Lebensläufen. In körperlicher, kognitiver und vor allem in sozialer Hinsicht sind wir mit 50 Jahren ganz anders als mit 25 Jahren. Wir werden solche Unterschiede in unseren anknüpfenden Betrachtungen berücksichtigen, indem wir drei Abschnitte voneinander unterscheiden: frühes Erwachsenenalter (etwa in den 20ern und 30ern), mittleres Erwachsenenalter (bis etwa 65 Jahre) und hohes Erwachsenenalter (ab etwa 65 Jahre). Innerhalb jedes dieser Lebensabschnitte zeigen sich große physische, psychologische und soziale Unterschiede zwischen verschiedenen Personen.
» „Ich lerne immer noch.“ Michelangelo (1560, im Alter von 85 Jahren)
6.4 Erwachsenenalter
Die Entfaltung unseres Lebens setzt sich über die gesamte Lebensspanne fort. Generelle Aussagen über die Phasen des Erwachsenenlebens lassen sich jedoch nicht so leicht formulieren wie die über die ersten Jahre des Lebens. Wenn Sie wissen, dass James 1 Jahr alt ist und Jamal 10, dann könnten Sie schon eine ganze Menge über jedes der Kinder
>>Welches Alter muss ein Mensch haben, ehe Sie ihn oder
sie für alt halten? Die Aussage der 18- bis 29-Jährigen lautet 67 Jahre; die 60-Jährigen und Älteren sagen 76 Jahre (Yankelovich, 1995).
239
6.4 • Erwachsenenalter
a ..Abb. 6.53 Was Erwachsene können, unterscheidet sich sehr. 2002 schaffte es Les „Dizzy“ Seales als ältester Wingwalker der Welt in die Rekordbücher. Diese Fotos zeigen den Briten im Alter von 88 Jahren mit seiner Beinprothese, lediglich durch einige Gurte an einem Rückengestänge befestigt, wie er auf dem oberen Flügel eines Doppel-
6.4.1
b deckers stehend über die Landschaft von Sussex fliegt. Seinen Spitznamen „Dizzy“ bekam er im Zweiten Weltkrieg, als er während des Fluges auf der Tragfläche eines Flugzeugs entlanglief, um einen eingeklemmten Piloten zu retten. (© Johnny Green/dpa/dpaweb/epa PA/ picture-alliance)
Körperliche Entwicklung
?? 6.18 Wie verändern wir uns im mittleren und hohen
Erwachsenenalter körperlich?
All unsere körperlichen Fähigkeiten – Muskelkraft, Reaktionszeit, Sinnesschärfe und Herztätigkeit – erreichen ihren Höhepunkt Mitte 20. So wie das Tageslicht nach Sonnenuntergang allmählich abnimmt, so setzt der Prozess des Absinkens der Höchstleistung fast unmerklich ein. Leistungssportler:innen sind oft die ersten, die es spüren. Baseballspieler:innen bringen ihre Höchstleistung im Alter von etwa 27 Jahren – 60 % der Most Valuable Player, die seit 1985 ausgezeichnet wurden, befanden sich mit einer Abweichung von 2 Jahren in diesem Alter (Silver, 2012). Doch die meisten von uns, vor allem die, denen der Alltag keine körperlichen Höchstleistungen abverlangt, spüren diese frühen Zeichen des Nachlassens kaum (. Abb. 6.52).
Körperliche Veränderungen im mittleren Erwachsenenalter Sportler:innen in den mittleren Jahren (nach 40) sind nur zu gut vertraut mit der Tatsache, dass der körperliche Abbau sich allmählich beschleunigt (. Abb. 6.53). Als lebenslanger Basketballspieler, stelle ich [DM] vermehrt fest, dass ich nicht mehr jedem Ball hinterherlaufe. Doch für normale Aktivitäten ist auch die verminderte Kraft ausreichend. Zudem hat die Körperkraft im frühen und mittleren Erwachsenenleben weniger mit den Jahren als mit dem Gesundheitszustand und den Trainingsgewohnheiten zu tun. Viele 50-Jährige, die körperlich fit sind, laufen mit Leichtigkeit 6 km, während 23-Jährige, die vorwiegend sitzen, schon bei zwei Stockwerken ins Schnaufen und Pusten kommen.
..Abb. 6.54 (Tom Cheney/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Für Frauen geht mit dem Altern eine Abnahme der Fruchtbarkeit einher. Für eine Frau zwischen 35 und 39 führt ein Geschlechtsverkehr nur halb so oft zu einer Schwangerschaft wie bei einer Frau zwischen 19 und 26 (Dunson et al., 2002; . Abb. 6.54). Männer erleben ein allmähliches Absinken der Spermienzahl und des Testosteronspiegels und ein Nachlassen der Erektions- und Ejakulationsgeschwindigkeit. Frauen kommen in die Wechseljahre (Menopause), wenn ihre Menstruationszyklen enden; ein Prozess, der in der Regel nach dem 50. Lebensjahr einsetzt. Einige können darunter leiden, ebenso wie manche Männer, die eine nachlassende Potenz und körperliche Leistungsfähigkeit erleben. Doch die meisten Menschen altern ohne derartige Probleme. Menopause („menopause“) – das natürliche Ende der
Menstruation. Bezieht sich auch auf die biologischen
6
240
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
..Abb. 6.55 a,b Der Weltrekord in Langlebigkeit? Die Französin Jeanne Calment war der älteste Mensch, dessen Alter bestätigt worden ist. Sie starb 1998 im Alter von 122 Jahren. Mit 100 fuhr sie noch Fahrrad. Mit 114, als sie im Film Vincent and Me sich selbst spielte, wurde sie die älteste Filmschauspielerin, die es je gegeben hat. (a: gemeinfrei; b: © AP Photo/psison/File 10/5/2016 5:34:42 PM/Anonymous/picture alliance)
6
a
b
Veränderungen, die mit der Abnahme der Reproduktionsfähigkeit der Frau einhergehen.
es zur Neige geht“ (Seneca, Epistulae ad Lucilium)? Wie fühlt sich Altwerden an?
Die sexuelle Aktivität nimmt mit dem Alter ab. 9 von 10 US-Amerikaner:innen zwischen 25 und 29 geben an, im Laufe des vergangenen Jahres Geschlechtsverkehr gehabt zu haben, wohingegen es bei den über 70-Jährigen nur 22 % der Frauen und 43 % der Männer sind (Herbenick et al., 2010; Reece et al., 2010). Dennoch können die meisten Männer und Frauen auch weiterhin eine befriedigende Sexualität genießen. Dies traf in Befragungen auf 70 % der zwischen 40 und 64 Jahre alten Befragten in Kanada zu sowie auf 75 % der Befragten zwischen 65 und 74 in Finnland (Kontula & Haavio-Mannila, 2009; Wright, 2006). In einer weiteren Befragung gaben 75 % der Befragten an, bis über ihr 80. Lebensjahr hinaus sexuell aktiv zu sein (Schick at al., 2010). In der Sexualitätsbefragung der American Association of Retired Persons gaben erst im Alter von 75 Jahren die meisten Frauen und mehr als die Hälfte der Männer an, wenig Verlangen nach Sexualität zu verspüren (DeLamater, 2012; DeLamater & Sill, 2005). Obwohl die Aktivität heruntergefahren wird, bleibt das sexuelle Verlangen bei guter Gesundheit und einem ebenfalls gewillten Gegenüber erhalten.
zz Lebenserwartung
» „Die Gründe, die Sie im Alter davon abhalten, Sex zu
haben, sind genau die gleichen, die Sie davon abhalten, Fahrrad zu fahren (schlechter Gesundheitszustand; die Auffassung, das sähe blöd aus; kein Fahrrad).“ Alex Comfort, The Joy of Sex (2002)
Körperliche Veränderungen im späteren Erwachsenenalter Muss man das Alter „mehr fürchten als den Tod“ (Juvenal, Satiren)? Oder ist das Leben „am köstlichsten, wenn
Weltweit steigt die Lebenserwartung: 1950 betrug sie 46½ Jahre, stieg bis 2015 auf 71 Jahre an und erreichte in 29 Ländern sogar 80 Jahre (WHO, 2016b). Das bedeutet ein 2 Jahrzehnte längeres Leben! In China, den USA, dem Vereinigten Königreich, Kanada und Australien (einige der Länder, in denen Studierende dieses Buch lesen) ist die Lebenserwartung auf jeweils 76, 79, 81, 82 und 82 Jahre angestiegen (WHO, 2016b). Diese steigende Lebenserwartung (einige meinen, dies sei die größte Errungenschaft der Menschheit) steht in Verbindung mit sinkenden Geburtenraten: Die Gruppe der Älteren wird zu einem immer größeren Bevölkerungssegment. Dies vergrößert den Bedarf an Hörhilfen, Altenpflegeheimen und Senior:innenzentren. Heute ist eine von 10 Personen auf der Welt älter als 60 Jahre. Die Vereinten Nationen (2015b) prognostizieren, dass sich diese Zahl bis 2100 auf 3 von 10 verdreifachen wird (und in Europa sogar 4 von 10 erreichen wird). Über die gesamte Lebensspanne hinweg haben Männer ein höheres Todesrisiko als Frauen. Zwar kommen 126 männliche auf 100 weibliche Embryos, doch liegt das Verhältnis der Geschlechter bei der Geburt nur noch bei 105 Jungen auf 100 Mädchen (Strickland, 1992). Im 1. Lebensjahr übersteigt die Sterblichkeit männlicher Säuglinge die der weiblichen um ein Viertel. Frauen überleben Männer weltweit um 4,7 Jahre (WHO, 2016b). (Anstatt einen Mann zu heiraten, der älter ist als sie, sollten 20-jährige Frauen, die einen Ehemann haben möchten, der so lange lebt wie sie, besser darauf warten, dass die 16-jährigen Jungen erwachsen werden.) Im Alter von 100 Jahren gibt es 5-mal mehr Frauen als Männer (. Abb. 6.55).
6.4 • Erwachsenenalter
..Abb. 6.56 (© Betsy Streeter/Search ID: CS165778, Rights Available from CartoonStock.com)
Doch nur wenige von uns erreichen das 100. Lebensjahr. Krankheiten schlagen zu. Der Körper altert. Die Körperzellen hören auf, sich zu teilen. Der Körper wird gebrechlich, ist anfällig für geringfügige Beeinträchtigungen – eine Hitzewelle, ein Sturz, eine leichte Erkältung –, die mit 20 Jahren lächerlich gewesen wären. Die Chromosomenspitzen, Telomere genannt, nutzen sich allmählich ab, ganz so wie die Enden von Schnürsenkeln. Diese Abnutzung wird durch Rauchen, Übergewicht und Stress beschleunigt. Gestillte Kinder haben längere Telomere, während diejenigen, die häufig Missbrauch oder Mobbing erleiden, die biologischen Narben verkürzter Telomere aufweisen (Shalev et al., 2013). In dem Ausmaß, in dem Telomere absterben, sterben auch alternde Zellen, ohne dabei von perfekten genetischen Replikaten ersetzt zu werden (Epel, 2009).
» „Ich habe vor, ewig zu leben – so weit, so gut.“ Steven Wright, Komiker
Genau wie geringer Stress und förderliches Gesundheitsverhalten Langlebigkeit begünstigen, wirkt sich auch eine gute Stimmung positiv aus. Chronische Wut und Depression erhöhen das Risiko, frühzeitig zu sterben. Wissenschaftler:innen konnten auch ein faszinierendes Phänomen ausmachen, das den Tod hinauszögern kann (Shimizu & Pelham, 2008; . Abb. 6.56). In einer über einen 15-Jahres-Zeitraum durchgeführten Studie zeigte sich, dass 2000 bis 3000 mehr US-Amerikaner:innen an den beiden Tagen nach Weihnachten starben als an Weihnachten selbst oder den beiden Tagen davor. Die Todesrate erhöht sich ebenfalls dann, wenn Menschen ihren Geburtstag erreichen, oder wenn sie bis zu einem bestimmten Schlüsselereignis, wie dem ersten Tag des neuen Jahrtausends, überleben.
241
..Abb. 6.57 Eine Simulation des hohen Alters. Ein langes Leben ist ein Geschenk. Ein hohes Alter zu erreichen, bedarf guter Gene, einer bereichernden Umwelt und ein bisschen Glück. Neue Technologien ermöglichen es uns, uns in die Lage älterer Menschen zu versetzen. Studierende der Berlin-Brandenburger Akademie der Gesundheit simulieren das fortgeschrittene Alter mit schweren Manschetten an Rumpf und Gelenken, die die Beweglichkeit stark einschränken. Eine spezielle Brille erzeugt den Eindruck eines geminderten Sehvermögens, Kopfhörer erschweren das Hören. (© Hans Wiedl/zb/picture alliance)
zz Sensorische Fähigkeiten, Kraft und Ausdauer
Wie oben dargestellt, setzt der körperliche Abbau bereits im frühen Erwachsenenalter ein, doch normalerweise bemerken wir dies in seiner ganzen Tragweite erst viel später. Im höheren Lebensalter werden die Treppen steiler, alles ist kleiner gedruckt, und die Leute nuscheln mehr. Die Sehschärfe und Distanzwahrnehmung verringern sich und die Adaption des Auges auf wechselnde Helligkeit erfolgt langsamer. Muskelkraft, Reaktionszeit und Ausdauer nehmen gleichfalls deutlich ab, ebenso die Hörfähigkeit, der Geruchssinn und der Tastsinn (. Abb. 6.57). In einem Lebensmittelladen in Wales wurden herumhängende Jugendliche mit einem hohen Ton vertrieben, den beinahe niemand über 30 hören kann (Lyall, 2005).
» „Aus irgendeinem Grund, wahrscheinlich um Drucker-
schwärze zu sparen, haben die meisten Restaurants begonnen, ihre Speisekarten mit Buchstaben in der Größe eines Bakteriums zu drucken.“ Dave Barry, Dave Barry Turns Fifty (1998)
Mit zunehmendem Alter schrumpfen die Pupillen, die Augenlinsen sind nicht mehr so durchsichtig; dadurch kommt weniger Licht in die Retina. Zu der Retina eines 65-Jährigen dringt tatsächlich nur noch ein Drittel des Lichts, das eine 20-jährige Retina empfängt (Kline & Schieber, 1985). Deshalb braucht ein 65-jähriger Mensch zum Lesen und zum Autofahren 3-mal so viel Licht wie ein 20-Jähriger und sollte beim Autokauf auf nicht getönte Scheiben achten. Das erklärt auch, warum Ältere manchmal jüngere Leute fragen: „Brauchst du nicht mehr Licht zum Lesen?“
6
242
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Die Häufigkeit der Unfälle mit Todesfolge geht ab 65 Jahren schnell nach oben, insbesondere wenn sie auf Basis der gefahrenen Kilometer berechnet wird
Zahl der Unfälle mit Todesfolge
12 10 8
Unfälle mit Todesfolge pro 160 Mio. km
Unfälle mit Todesfolge pro 10.000 Fahrer
6 4 2 0
6
16–19
20–24
25–29
30–34
35–39
40–44
45–49
50–54
Alter in Jahren
55–59
60–64
65–69
70–74 75 und älter
..Abb. 6.58 Alter und Unfälle mit Todesfolge. Langsamere Reaktionen erhöhen das Unfallrisiko ab 75 und die zunehmende körperliche Gebrechlichkeit erhöht das Risiko, bei einem Unfall auch zu sterben (NHTSA, 2000, mit freundlicher Genehmigung). Würden Sie eine
Fahrprüfung auf der Basis von Fahrtüchtigkeit statt auf der Basis des Lebensalters befürworten, damit die Fahrer:innen herausgefiltert werden können, deren langsame Reaktionen oder eingeschränkte Wahrnehmung ein Unfallrisiko anzeigen?
>>Die meisten Treppenstürze von älteren Leuten passieren
etwas mehr Zeit, um sich an Namen zu erinnern (Bashore et al., 1997; Verhaeghen & Salthouse, 1997). Die meisten 70-Jährigen können sich bei Videospielen nicht mit einem 20-Jährigen messen. Dieser Verarbeitungsverzug kann auch tödliche Folgen haben (Aichele et al., 2016). Wie . Abb. 6.58 zeigt, steigt die Zahl der Unfälle mit Todesfolge bei den über 75-Jährigen steil an. Ältere Fahrer:innen scheinen sich gut auf die Straße vor ihnen zu konzentrieren, achten aber weniger auf andere Fahrzeuge, die sich von der Seite nähern (Pollatsek et al., 2012). Ab dem Alter von 85 Jahren liegt sie höher als bei 16-Jährigen. Trotzdem macht dies weniger als 10 % der Zusammenstöße aus, weil ältere Menschen weniger fahren (Coughlin et al., 2004). Im Verlauf des Alterungsprozesses schrumpfen allmählich die Hirnregionen, die für das Gedächtnis wichtig sind (Fraser et al., 2015; Ritchie et al., 2015). Auch die Blut-Hirn-Schranke bricht, beginnend im Hippocampus, zusammen, was den kognitiven Abbau vorantreibt (Montagne et al., 2015). Kein Wunder, dass sich ältere Erwachsene nach einem Gedächtnistest älter fühlen: Es ist, als würde man „in 5 Minuten um 5 Jahre altern“, scherzte ein Forscherteam (Hughes et al., 2013). Im frühen Erwachsenenalter setzt ein allmählicher Verlust von Hirnzellen ein, der bis zum Alter von 80 Jahren zu einer Reduktion des Hirngewichts um etwa 5 % führt. Wir haben bereits gesehen, dass die späte Entwicklung des Frontallappens, mit dessen Hilfe wir unsere unerwünschten Triebe unterdrücken können, bei Jugendlichen zu erhöhter Impulsivität führt. Im hohen Erwachsenenalter kehrt ein Teil dieser Impulsivität oft zurück, da die Frontallappen zu verkümmern beginnen, was möglicherweise die manchmal etwas direkten Fragen („Hast du zugenommen?“) oder unangemessen Kommentare erklärt (von Hippel, 2007, 2015). Aber eine gute
auf der obersten Stufe, genau dort, wo sie von einem hellen Flur in ein dunkleres Treppenhaus kommen (Fozard & Popkin, 1978). Unser Wissen über das Altern könnte uns dabei helfen, die Umwelt so zu gestalten, dass solche Unfälle verringert werden könnten (National Research Council, 1990).
zz Gesundheit
Wenn Menschen älter werden, kümmern sie sich weniger darum, wie ihr Körper aussieht und mehr darum, wie er funktioniert. Für die Alternden gibt es zum Thema Gesundheit sowohl gute als auch schlechte Nachrichten. Zunächst die schlechte: Das körpereigene Immunsystem wird schwächer, kann Krankheiten nicht mehr so gut abwehren und macht ältere Erwachsene anfälliger für lebensbedrohliche Krankheiten wie Krebs oder Lungenentzündung. Die gute Nachricht: Dank der lebenslangen Akkumulation von Antikörpern leiden alte Menschen seltener an relativ harmlosen Krankheiten wie einer normalen Grippe oder Viruserkältungen. Eine Studie ergab, dass die Wahrscheinlichkeit, sich jedes Jahr eine Infektion der oberen Atemwege zuzuziehen, für über 65-Jährige nur halb so hoch ist wie für einen 20-Jährigen und nur ein Fünftel so hoch wie für ein Vorschulkind (National Center for Health Statistics, 1990). zz Das alternde Gehirn
Bis zum Alter von 20 Jahren verarbeiten wir die eingehenden Informationen mit ständig wachsender Geschwindigkeit (Fry & Hale, 1996; Kall, 1991). Doch im Vergleich zu Teenagern und jungen Erwachsenen brauchen ältere Menschen ein bisschen länger für ihre Reaktionen oder beim Lösen von Problemen, die etwas mit der Wahrnehmung zu tun haben; sie brauchen auch
6.4 • Erwachsenenalter
243
Nachricht: Es gibt immer noch eine gewisse Plastizität im alternden Gehirn, die teilweise kompensiert, was es verliert, indem es neuronale Netzwerke erneuert und neu organisiert (Park & McDonough, 2013). Bei Gedächtnisaufgaben zum Beispiel sind die linken Frontallappen in jungen Erwachsenengehirnen besonders aktiv, während ältere Erwachsenengehirne sowohl den linken als auch den rechten Frontallappen nutzen. zz Körperliches Training und Altern
Und eine weitere gute Nachricht: Körperliches Training verlangsamt das Altern, wie in Studien mit eineiigen Zwillingspaaren, bei denen nur ein Zwilling körperlich trainierte, gezeigt wurde (Iso-Markku et al., 2016; Rottensteiner et al., 2015; . Abb. 6.59). Wenn man sportlich aktiv ist, so wird auch das Gehirn trainiert. Körperliches Training verstärkt Muskeln und Knochen, verschafft Energie und verhindert Übergewicht und Herzkrankheiten. Es erhält die Telomere, die die Chromosomenenden schützen, und scheint sogar das Fortschreiten der Alzheimer-Krankheit zu verlangsamen (Leslie, 2011; Loprinzi et al., 2015; Smith et al., 2014) Körperliches Training stimuliert auch die Entwicklung von Hirnzellen und–verbindungen, möglicherweise aufgrund der erhöhten Sauerstoff- und Nährstoffzufuhr (Erickson et al., 2013; Fleischman et al., 2015; Pereira et al., 2007). Ältere Erwachsene mit vorwiegend sitzender Lebensweise, die nach dem Zufallsprinzip einem Programm mit aerobischen Übungen zugewiesen wurden, weisen anschließend bessere Gedächtnisleistungen, ein schärferes Urteilsvermögen und ein geringeres Risiko für einen schweren kognitiven Abbau auf (Raji et al., 2016; Smith, 2016). Bei alternden Gehirnen reduziert Bewegung die Schrumpfung des Gehirns (Gow et al., 2012). Körperliche Betätigung fördert die Neurogenese (Entstehung neuer Nervenzellen) im Hippocampus, einer Gehirnstruktur, die eine wichtige Rolle für das Gedächtnis spielt (Erickson, 2009; Pereira et al., 2007). Und sie stärkt die zellulären Mitochondrien, die zur Versorgung sowohl der Muskeln als auch der Gehirnzellen beitragen (Steiner et al., 2011). Für uns alle gilt: „Wer rastet, der rostet“, d. h., wir rosten eher durch Nichtgebrauch, als dass wir uns durch übermäßigen Gebrauch abnutzen. Fitte Körper halten auch den Geist fit. 6.4.2
Kognitive Entwicklung
Altern und Gedächtnis ?? 6.19 Wie verändert sich das Gedächtnis mit dem Alter?
Eine sehr umstrittene Frage bei der Untersuchung der Lebensdauer des Menschen ist folgende: Nehmen die kognitiven Fähigkeiten – Gedächtnis, Kreativität und Intelligenz – parallel zu den körperlichen Fähigkeiten ab?
..Abb. 6.59 (Kaamran Hafeez/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
An manche Dinge erinnern wir uns gut, wenn wir älter werden. Werden Erwachsene gebeten, sich an ein oder zwei sehr wichtige Ereignisse der letzten 50 Jahre zu erinnern, tendieren sie dazu, Dinge zu nennen, die sich in ihrer Teenagerzeit oder in ihren Zwanzigern ereignet haben (Conway et al., 2005; Rubens et al., 1998). Sie zeigen diesen „Reminiszenzeffekt“ auch, wenn sie gebeten werden, ihre Lieblingsmusik,–filme und–sportler:innen zu nennen (Janssen et al., 2012). Was immer man in diesem Alter erlebt haben mag – den Zweiten Weltkrieg, die Teilung Deutschlands, die Studentenbewegung, die Ölkrise, die Wiedervereinigung Deutschlands oder den Krieg im Irak –, es war von zentraler Bedeutung (Pillemer, 1998; Schuman & Scott, 1989). Die Zeit als Teenager bis Ende 20 ist auch die Zeit, in der so viele erinnerungswürdige Dinge zum ersten Mal in unserem Leben passieren: der erste Kuss, die erste Arbeitsstelle, das erste Semester an der Uni, die erste Begegnung mit den Eltern unseres Liebespartners bzw. unserer Liebespartnerin. >>Wenn Sie zwischen 15 und 25 sind: Welche Erfah-
rungen, die Sie im vergangenen Jahr gemacht haben, werden Sie wahrscheinlich nie vergessen? (Das ist die Zeit in Ihrem Leben, an die Sie sich am besten erinnern werden, wenn Sie einmal 50 sind.)
Für gewisse Arten des Lernens und Erinnerns sind tatsächlich die frühen Erwachsenenjahre die beste Zeit. In einem Experiment baten Crook und West (1990) die Teilnehmenden, ein paar Namen zu lernen. In einem Video sagten 14 Menschen ihren Namen, so wie man sich normalerweise vorstellt: „Hallo, ich bin Larry.“ Dann tauchten dieselben Leute noch einmal auf und sagten
6
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
244
% 100 Nach dreimaligem Zeigen
24
90 Ältere Erwachsene zeigen schlechtere Leistungen
20 Anzahl erinnerter Wörter
6
Prozentsatz erinnerter Namen
80 70 60 50 40
Nach zweimaligem Zeigen
30
Die Anzahl wiedererkannter Wörter ändert sich nicht mit dem Alter
16
12
8 Die Anzahl erinnerter Wörter nimmt mit dem Alter ab
20 10
4
Nach einmaligem Zeigen
0 18–39
40–49
50–59
60–69
70–90
Altersgruppen ..Abb. 6.60 Gedächtnistests. Sich an neue Namen zu erinnern, die ein-, zwei- oder dreimal gezeigt werden, fällt jüngeren Erwachsenen leichter als älteren. (Daten aus Crook & West, 1990)
beispielsweise: „Ich bin aus Philadelphia.“ Sie lieferten damit einen visuellen und einen akustischen Anhaltspunkt, an dem die Erinnerung an den Namen festgemacht werden konnte. Wie . Abb. 6.60 zeigt, erinnerten sich alle Teilnehmer nach dem 2. oder 3. Durchgang an mehr Namen, doch junge Erwachsene erinnerten sich jedes Mal an mehr Namen als die älteren Erwachsenen. Wie gut sich ältere Menschen an etwas erinnern können, scheint von der jeweiligen Aufgabe abzuhängen. In einem weiteren Experiment zeigten ältere Menschen keine Abnahme in der Gedächtnisleistung, wenn die Versuchspersonen darum gebeten wurden, eine Liste von 24 Wörtern, die sie sich zuvor hatten merken sollen, wiederzuerkennen. Die Gedächtnisabnahme war größer, wenn sich die Proband:innen ohne jeden Anhaltspunkt an die Wörter erinnern sollen (. Abb. 6.61). Jugendliche und junge Erwachsene übertreffen sowohl junge Kinder als auch 70-Jährige bei Aufgaben zum prospektiven Gedächtnis („Denk daran …“) (Zimmerman & Meier, 2006). Das prospektive Gedächtnis lässt einen nicht im Stich, wenn ein bestimmtes Ereignis (an einem Lebensmittelladen vorbeigehen) als Auslöser („… Milch einzukaufen“) eingesetzt werden kann. Termingebundene Pflichten („Vergessen Sie die Sitzung um 15 Uhr nicht“) und vor allem regelmäßig zu erfüllende Aufgaben („Nimm die Medikamente um 9, 14 und 18 Uhr“) stellen für Menschen fortgeschrittenen Alters eher ein Problem
0 20
30
40
50
60
70
Alter in Jahren ..Abb. 6.61 Reproduktion und Wiedererkennen bei Erwachsenen. Dieses Experiment zeigt, dass die Fähigkeit zur Reproduktion neuer Informationen im frühen und mittleren Erwachsenenalter abnimmt, das gilt jedoch nicht für die Fähigkeit, neue Information wiederzuerkennen. (Aus Schonfield & Robertson, 1966)
dar (Einstein & McDaniel, 1990; Einstein et al., 1995, 1998). Um die Probleme im Zusammenhang mit dem abnehmenden prospektiven Gedächtnis möglichst gering zu halten, müssen sich ältere Erwachsene stärker auf Maßnahmen zur Zeitstrukturierung und auf den Einsatz von Hinweisreizen als Gedächtnishilfen verlassen, wie etwa Notizzettel für sich selbst (Henry et al., 2004). Dies hätte vielleicht auch dem 76-jährigen John Basinger geholfen, der bezüglich eines Artikels in einer psychologischen Fachzeitschrift darüber, dass er im hohen Alter alle 12 Bände des epischen Gedichts Paradise Lost von John Milton auswendig wusste, von einer Lokalzeitung interviewt werden sollte (Seamon et al., 2010; Weir, 2010). Er vergaß seinen Termin mit dem Reporter. Als er bei der Zeitung anrief, um sich zu entschuldigen, verwies er auf die Situationskomik, dass er ein Interview über das Gedächtnis vergessen hatte. Auch in unseren späten Jahren gleichen wir uns nicht einander an, sondern wir driften weiter auseinander und werden vielfältiger. 20-Jährige unterscheiden sich beträchtlich in ihrem Lern- und Erinnerungsvermögen, aber die Unterschiede innerhalb der Gruppe der 70-Jährigen sind viel ausgeprägter. Laut dem Wissenschaftler Patrick Rabbitt (2006) gilt: „Die Unterschiede zwischen den 70-Jährigen mit den größten und
6.4 • Erwachsenenalter
den geringsten Fähigkeiten sind viel größer als dieselben Unterschiede bei 50-Jährigen.“ Manche 70-Jährige bleiben mit ihrer Leistung unterhalb des Niveaus fast aller 20-Jährigen, aber es gibt auch 70-Jährige, die es dem durchschnittlichen 20-Jährigen gleichtun oder ihn sogar übertreffen. Unabhängig davon, wie schnell oder langsam wir jeweils sind, unsere Erinnerungsleistung scheint auch davon abzuhängen, welche Art von Information wir abrufen möchten. Für bedeutungslose Informationen – etwa sinnfreie Silben oder unwichtige Ereignisse – gilt, dass wir viel eher Fehler machen, wenn wir älter werden. Ist die Information jedoch bedeutungshaltig, wie es Paradise Lost für John Basinger war, finden ältere Menschen Unterstützung durch ihr umfangreiches Netz aus Vorwissen. Es kann jedoch länger als bei jüngeren Erwachsenen dauern, die Wörter und Dinge, die sie wissen, zu produzieren. Ältere Erwachsene erleben auch häufiger das Zungenspitzenphänomen (Ossher et al., 2012). In Game Shows, bei denen es um schnelles Nachdenken geht, gewinnen in der Regel jüngere bis mittelalte Erwachsene (Burke & Shafto, 2004).
Aufrechterhaltung der mentalen Fähigkeiten Psycholog:innen, die den alternden Verstand studieren, debattieren darüber, ob computergestützte „Gehirn-Fitness“-Trainingsprogramme mentale Muskeln aufbauen und den kognitiven Abbau aufhalten können. Unser Gehirn bleibt das ganze Leben lang plastisch (Gutchess, 2014). Kann also das Trainieren unseres Gehirns auf einem „kognitiven Laufband“ – mit Gedächtnis-, visuellen Verfolgungs- und Problemlösungsübungen – den Verlust unseres Verstandes verhindern? „Zu jedem Zeitpunkt unseres Lebens gibt uns die natürliche Plastizität des Gehirns die Möglichkeit, die … Funktionalität zu verbessern“, sagte ein Neurowissenschaftler (Merzenich, 2007). Eine Analyse von kognitiven Trainingsprogrammen zeigte, dass sie die Ergebnisse in Tests, die sich auf ihr Training bezogen, durchweg verbesserten (Simons et al., 2016). Ausgehend von solchen Erkenntnissen haben einige Computerspielfirmen tägliche Gehirntrainingsprogramme für ältere Erwachsene auf den Markt gebracht. Andere Forscher:innen raten jedoch nach Durchsicht aller verfügbaren Studien zur Vorsicht (Melby-Lervåg et al., 2016). Ein Expert:innenteam berichtete über „umfangreiche Belege dafür, dass Gehirntrainingsinterventionen die Leistung bei den trainierten Aufgaben verbessern, weniger Belege dafür, dass solche Interventionen die Leistung bei eng verwandten Aufgaben verbessern, und wenig Belege dafür, dass das Training die Leistung bei entfernt verwandten Aufgaben verbessert oder dass das Training die kognitive Leistung im Alltag verbessert“ (Simons et al., 2016, S. 103). Wie der Forscher Zach Hambrick (2014) erklärt: „Spielen Sie ein Videospiel und Sie werden besser in diesem Videospiel und vielleicht in sehr ähnlichen Vi-
245
deospielen“ – aber nicht beim Autofahren oder Ausfüllen Ihrer Steuererklärung. Im Jahr 2016 wurde der Hersteller eines bekannten Gehirntrainingsprogramms, Lumosity, zu einer Geldstrafe von 2 Mio. US-Dollar verurteilt, weil er Kund:innen über die angeblichen Vorteile des Programms getäuscht hatte. „Lumosity nutzte die Ängste der Verbraucher vor altersbedingtem kognitivem Abbau aus“, so Jessica Rich von der Federal Trade Commission (FTC, 2016). „Aber Lumosity hatte einfach nicht die wissenschaftliche Grundlage, um seine Werbung zu unterstützen.“ 7 Kap. 11 wird sich mit einer weiteren Dimension der kognitiven Entwicklung befassen: der Intelligenz. Wie wir sehen werden, haben Querschnittstudien, bei denen Personen verschiedener Altersgruppen miteinander verglichen werden, und Längsschnittstudien, bei denen dieselben Personen über einen Zeitraum wiederholt untersucht werden, verschiedene mentale Fähigkeiten ausgemacht, die sich mit dem Alter verändern oder nicht. Das Alter ist weniger aussagekräftig für die Vorhersage von Gedächtnisleistung und Intelligenz als die Nähe zum Tod. Das Wissen darüber, ob eine Person 8 Monate oder 8 Jahre davon entfernt ist, eines natürlichen Todes zu sterben, gibt unabhängig vom Alter dieser Person einen wichtigen Hinweis auf ihre mentalen Fähigkeiten. In den letzten 3 oder 4 Jahren des Lebens und vor allem, wenn der Tod näher rückt, verstärken sich für gewöhnlich negative Gefühle und der kognitive Abbau (Wilson et al., 2007). Forschende sprechen in diesem Zusammenhang von einem „Terminal Decline“ (Backman & MacDonald, 2006). Auch unsere Ziele verschieben sich: Wir streben weniger danach, zu lernen, und mehr danach, uns sozial zu vernetzen (Carstensen, 2011).
» „Das plötzliche Wissen um die Zerbrechlichkeit seines
Lebens verengte seinen Fokus und veränderte seine Wünsche… Es veranlasste ihn, seine Enkelkinder öfter zu besuchen, eine zusätzliche Reise zu seiner Familie in Indien einzuplanen und neue Abenteuer zu wagen.“ Atul Gawande, Being Mortal: Medicine and What Matters in the End (2014), beschreibt den unheilbaren Zustand seines Vaters und die Art und Weise, wie dies seine Perspektive veränderte
Querschnittstudie („cross-sectional study“) – eine wissen-
schaftliche Methode, bei der zu einem Untersuchungszeitpunkt Menschen verschiedener Altersstufen miteinander verglichen werden. Längsschnittstudie („longitudinal study“) – eine wissenschaftliche Methode, bei der die gleichen Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder untersucht und getestet werden.
6
246
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Neurokognitive Störungen und Alzheimer-Krankheit ?? 6.20 Wie wirken sich neurokognitive Störungen und
die Alzheimer-Krankheit auf die kognitiven Fähigkeiten aus?
6
Die meisten Menschen, die über das 90. Lebensjahr hinaus leben, bewahren ein klares Bewusstsein. Andere leiden unter einem massiven psychologischen Abbau, der nicht mit dem normalen Altern zusammenhängt. Bei älteren Erwachsenen sagt Hörverlust und die damit verbundene soziale Isolation das Risiko einer Depression und eines beschleunigten geistigen Abbaus voraus (Lin et al., 2011a,b, 2013; Mick & Pichora-Fuller, 2016). Im Vergleich zu Menschen mit gutem Gehör zeigen Menschen mit Hörverlust etwa 3 Jahre früher Verschlechterungen in den Bereichen Gedächtnis, Aufmerksamkeit und Lernen. Auch eine Reihe kleinerer Schlaganfälle, ein Hirntumor oder eine Alkoholkonsumstörung können zu einer zunehmenden Schädigung des Gehirns und damit zu dem Krankheitsbild führen, das wir als neurokognitive Störung (NCD, früher Demenz genannt) bezeichnen. Starkes Rauchen im mittleren Erwachsenenalter kann das Risiko der Störung mehr als verdoppeln (Rusanen et al., 2011). Die gefürchtetste aller Krankheiten des Gehirns, die Alzheimer-Krankheit, betrifft weltweit 3 % der 75-Jährigen. Bis zum Alter von 95 Jahren verdoppelt sich das Vorkommen von geistigem Verfall etwa alle 5 Jahre. Neurokognitive Störungen (NCDs, „neurocognitive disorders“) – erworbene (nicht lebenslange) Störungen, die
durch kognitive Defizite gekennzeichnet sind; oft im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit, einer Hirnverletzung oder–erkrankung oder Drogenmissbrauch. Bei älteren Erwachsenen wurden die neurokognitiven Störungen früher als Demenz bezeichnet. Alzheimer-Krankheit („Alzheimer’s disease“) – Eine neurokognitive Störung, die durch neuronale Plaques (Ablagerungen) gekennzeichnet ist, häufig nach dem 80. Lebensjahr auftritt und mit einer fortschreitenden Abnahme des Gedächtnisses und anderer kognitiver Fähigkeiten einhergeht. Die Alzheimer-Krankheit zerstört auch die klügsten Köpfe. Zuerst wird das Gedächtnis schlechter, dann die Fähigkeit zum logischen Denken. (Ab und an zu vergessen, wo man die Autoschlüssel hingelegt hat, ist kein Grund zur Sorge; zu vergessen, wie man nach Hause kommt, könnte ein Anzeichen für Alzheimer sein.) Robert Sayre (1979) erinnert sich, wie sein Vater die von der Alzheimer-Erkrankung betroffene Mutter anschrie, sie solle „besser nachdenken“, während die Mutter, verwirrt und verlegen, das Haus nach verloren gegangenen Gegenständen durchsuchte. Im Verlauf der Krankheit kommt es nach 5 bis 20 Jahren zu einer Gefühlsverflachung, dann
verliert der Mensch die Orientierung an Ort und Zeit, wird inkontinent, enthemmt und zuletzt geistig leer, zugleich tot und am Leben, nur noch ein Leib, dem fast alles verloren gegangen ist, was einen Menschen ausmacht. Was den Alzheimer-Symptomen zugrunde liegt, ist ein Verlust von Hirnzellen und ein Abbau von Neuronen, die den Neurotransmitter Acetylcholin ausschütten. Ohne diesen lebenswichtigen chemischen Botenstoff können Gedächtnis und Denkfähigkeit nicht arbeiten. Eine Autopsie zeigt zwei aufschlussreiche Anomalien bei den Acetylcholin produzierenden Neuronen: schrumpelige Proteinfäden im Zellkörper und Plaques (Klumpen frei herumtreibender Proteinfragmente) an den Enden der Neuronenverzweigungen, wo normalerweise die synaptische Kommunikation stattfindet. Mit Hilfe neuer Technologien kann die Anfälligkeit für eine Alzheimer-Demenz heutzutage lange vor dem Auftauchen von Symptomen bestimmt werden, indem Tests auf verantwortliche Gene vorgenommen werden oder über die Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit das Vorkommen verantwortlicher Proteinfragmente überprüft wird (De Meyer et al., 2010; Luciano et al., 2009). Aufgrund solcher Entdeckungen begannen Wissenschaftler fieberhaft Medikamente zu entwickeln und zu testen, mit deren Hilfe der Ausbruch der Krankheit verhindert werden soll, indem sie z. B. die Aktivität eines gedächtnishemmenden Neurotransmitters namens GABA verringern (Chen et al., 2014). Die neuerliche Entdeckung von 21 hiermit zusammenhängenden Genen könnte neue Erkenntnisse liefern (Lambert et al., 2013). Ein verschlechterter Geruchssinn scheint ebenfalls mit Abweichungen zusammenzuhängen, die Alzheimer vorhersagen lassen (Wilson et al., 2007). Bei Menschen, bei denen ein Risiko für diese Krankheit besteht, zeigt möglicherweise eine Kernspintomografie des Gehirns (. Abb. 6.62) schon vor dem Auftreten von Symptomen, dass die hier entscheidenden Hirnzellen degeneriert sind (Apostolova et al., 2006; Johnson et al., 2006; Wu & Small, 2006) und dass die Hirnaktivität beim Erinnern von Wörtern weniger klar abgegrenzt ist. Es ist fast so, als wäre eine größere Anstrengung erforderlich, um dieselbe Leistung zu erbringen (Bookheimer et al., 2000). Alzheimer-Demenz tritt weniger häufig bei Menschen auf, die sowohl ihren Verstand als auch ihren Körper durch Tätigkeiten wie Lesen, den Besuch von Bildungsvorträgen und Laufen oder das Heben von Gewichten aktiv halten (Agrigoroaei & Lachman, 2011). Was für die Muskeln gilt, gilt auch für das Gehirn: Die, die es benutzen, büßen es nicht so oft ein. 6.4.3
Soziale Entwicklung
?? 6.21 Welche Themen und Einflüsse sind entscheidend
für unsere soziale Entwicklung zwischen dem frühen Erwachsenenalter und dem Tod?
247
6.4 • Erwachsenenalter
a
b
..Abb. 6.62 a,b Möglichkeiten der Vorhersage der Alzheimer-Erkrankung. Eine Kernspintomografie des Gehirns von Alzheimer-Risikopatient:innen (a) während eines Gedächtnistests zeigte im Vergleich mit einem gesunden Gehirn (b) stärkere Aktivität (gelb, gefolgt von orange und rot). Man kann mit Hilfe von Schichtaufnahmen des Ge-
hirns und genetischen Untersuchungen Menschen identifizieren, die wahrscheinlich die Alzheimer-Krankheit bekommen werden: Würden Sie sich diesem Test unterziehen? In welchem Alter? (Aus Bookheimer et al., 2000, mit freundlicher Genehmigung von Susan Bookheimer)
Viele Unterschiede zwischen jüngeren und älteren Erwachsenen entstehen durch kritische Lebensereignisse („life events“). Eine neue Arbeitsstelle bedeutet gleichzeitig neue Beziehungen, neue Erfahrungen und neue Anforderungen. Eine Heirat bringt das Glück der intimen Beziehung und gleichzeitig den Stress, der damit verbunden ist, das eigene Leben mit dem eines anderen Menschen zu einem gemeinsamen Leben zu verschmelzen. Die drei Jahre vor und nach der Geburt eines Kindes erhöhen die Lebenszufriedenheit der Eltern (Dyrdal & Lucas, 2011). Der Tod eines geliebten Menschen bedeutet einen unersetzlichen Verlust. Bilden diese normalen Ereignisse im Leben eines Erwachsenen eine vorhersagbare Abfolge von Veränderungen?
Suizid wird am häufigsten von 70- bis 80-Jährigen verübt. Eine Untersuchung, in die fast 10.000 Männer und Frauen einbezogen waren, erbrachte „nicht den geringsten Hinweis“ darauf, dass Kummer und Leid („distress“) irgendwann in den mittleren Jahren besonders gravierend sind (McCrae & Costa, 1990).
Stufen und Phasen des Erwachsenenalters Wenn Menschen 40 werden, kommen sie ins mittlere Erwachsenenalter. In diesen Jahren wird einem klar, dass der größere Teil des Lebens nicht mehr vor, sondern bald hinter einem liegt. Manche Psycholog:innen vertreten die Ansicht, dass dieser Übergang in der Mitte des Lebens eine kritische Zeit ist, eine Zeit, in der große Kämpfe ausgefochten werden, in der man vieles bedauert und manchmal sogar das Gefühl hat, vom Leben besiegt worden zu sein. Das weit verbreitete Bild der Midlife-Crisis – ein Mann Anfang 40, der für eine jüngere Liebespartnerin und einen schnittigen Sportwagen seine Familie aufgibt – ist eher ein Mythos als Realität. Sich unglücklich fühlen, am Arbeitsplatz nicht zufrieden sein, nicht glücklich verheiratet sein, Scheidung, Angst und Suizid treten nicht Anfang 40 auf (Hunter & Sundel, 1989; Mroczek & Kolarz, 1998). Am häufigsten ist die Scheidung bei Menschen zwischen 20 und 30;
» „Die wichtigen Ereignisse im Leben eines Menschen sind
das Ergebnis einer Verkettung höchst unwahrscheinlicher Vorkommnisse.“ Joseph Traub, Traub’s Law (2003)
Bei einem von vier Erwachsenen, die angeben, eine Lebenskrise durchzumachen, ist der Auslöser nicht das Alter, sondern ein einschneidendes Ereignis wie Krankheit, Scheidung oder Verlust des Arbeitsplatzes (Lachman, 2004). Einige Menschen im mittleren Erwachsenenalter sehen sich selbst als Teil einer „Sandwich-Generation“, die sich gleichzeitig sowohl um ihre alternden Eltern als auch um ihre Kinder, die gerade im Übergang zum Erwachsenenalter sind, oder gar um Enkelkinder kümmern muss (Riley & Bowen, 2005). Lebensereignisse können Übergänge zu neuen Lebensabschnitten in unterschiedlichem Alter einläuten (. Abb. 6.63). Die soziale Uhr, die kulturellen Vorgaben für „den richtigen Zeitpunkt“ bestimmter einschneidender Veränderungen – das Elternhaus verlassen, eine Arbeit annehmen, heiraten, Kinder haben, in den Ruhestand gehen – geht nicht in allen Kulturen im gleichen Takt und ändert sich auch von einer Generation zur anderen. Und auch die einst rigide Vorgabe hat sich gelockert. Die soziale Uhr tickt zwar immer noch, aber die Menschen fühlen sich ihr nicht mehr unterworfen.
6
248
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
6 ..Abb. 6.63 (Kim Warp/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Soziale Uhr („social clock“) – die in einer Kultur vorgege-
benen Zeiträume für bestimmte soziale Ereignisse wie Heirat, Elternschaft oder Ruhestand. Auch zufällige Ereignisse können dauerhafte Folgen haben, denn oft lassen sie uns von dem bereits eingeschlagenen Weg abweichen und einen anderen beschreiten. Bandura (1982, 2005) erinnert sich an die witzige, aber wahre Geschichte von einem Verlagslektor, der zu einer seiner Vorlesungen über die „Psychologie der zufälligen Begegnungen und Lebenswege“ kam und am Ende die Frau heiratete, die zufällig neben ihm saß. Der Auslöser dafür, dass ich [DM] dieses Buch geschrieben habe (es war nicht meine Idee), war, dass ich während einer internationalen Konferenz einen angesehenen Kollegen kennengelernt habe. Der Weg zu meiner [NDs] Mitautorschaft an diesem Buch begann auf eine ähnlich ungeplante Weise: Nachdem er über einen Artikel über mein Berufsleben gestolpert war, lud mich DM ein, seine Universität zu besuchen. Dort begannen wir ein Gespräch, das in unserer Zusammenarbeit mündete. Zufällige Ereignisse können unser Leben verändern.
Verpflichtungen des Erwachsenseins Zwei grundlegende Aspekte beherrschen das Leben des erwachsenen Menschen. Erik Erikson nannte sie Intimität (enge Beziehungen eingehen) und Generativität (sich fortpflanzen und die neue Generation unterstützen). Sigmund Freud (1935/1960) drückte dies sehr einfach aus. Er sagte: Der gesunde Erwachsene ist ein Mensch, der lieben und arbeiten kann. zz Liebe
In der Regel flirten wir, verlieben uns und gehen eine Verpflichtung gegenüber dem anderen ein, und zwar nur gegenüber einem Partner oder einer Partnerin auf einmal. „Die Paarbindung ist ein Merkmal des menschlichen Wesens“, beobachtete die Anthropologin Helen
Fisher (1993). Evolutionär gesehen ist das ein sinnvolles Arrangement: Eltern, die kooperierten, um ihre Kinder zur Reife zu bringen, konnten mit größerer Wahrscheinlichkeit ihre Gene an die Nachkommen weitergeben als Eltern, die dies nicht taten. Die Liebesbindung bei Erwachsenen ist am stabilsten und bringt die größte Befriedigung, wenn sie auf gleich gelagerten Interessen und ähnlichen Wertvorstellungen beruht, wenn emotionale und materielle Unterstützung von beiden getragen wird und wenn sich die Partner:innen in einer intimen Beziehung einander öffnen. Es scheint auch eine „Kraft des Gelübdes“ zu geben. Heterosexuelle und homosexuelle Beziehungen, in denen Paare eine Verpflichtung eingehen, halten mit größerer Wahrscheinlichkeit (Balsam et al., 2008; Rosenfeld, 2014). Solche Bindungen halten besonders dann, wenn das Paar erst nach Erreichen des 20. Lebensjahres heiratet und beide eine gute Bildung haben. Im Vergleich zur Situation vor 30 Jahren verfügen die Menschen in den westlichen Ländern heute über eine höhere Bildung und heiraten später (Wolfinger, 2015). Diese Trends können erklären, warum die amerikanische Scheidungsrate, die von 1960 bis 1980 stark angestiegen war, sich seitdem eingependelt hat und in einigen Gebieten sogar leicht zurückgegangen ist (Schoen & Canudas-Romo, 2006). In Kanada folgen die Scheidungsraten seit den 1980er Jahren einem ähnlichen Muster (Statistics Canada, 2011). Trotz des Rückgangs der Scheidungen sind unsere Erwartungen gestiegen. Wir erhoffen uns heute nicht nur eine dauerhafte Bindung, sondern wir suchen auch nach einer Gefährtin, die für das Einkommen sorgt, einem Versorger, einer echten Freundin sowie einem warmherzigen und einfühlsamen Liebhaber (Finkel, 2017). In der Vergangenheit haben sich Paare in der Schule, am Arbeitsplatz oder durch Freund:innen und Familie kennengelernt. Dank des Internets treffen sich heute viele Paare online – laut einer aktuellen nationalen Umfrage fast ein Viertel der heterosexuellen Paare und etwa zwei Drittel der gleichgeschlechtlichen Paare (. Abb. 6.64). Bewirkt das „Zusammenleben auf Probe“, dass das Scheidungsrisiko geringer wird? In Europa, Kanada und den USA haben diejenigen, die vor der Ehe (und insbesondere vor der Verlobung) zusammenleben, höhere Scheidungsraten und mehr Eheprobleme als diejenigen, die nicht zusammengewohnt haben (Goodwin et al., 2010; Jose et al., 2010; Manning & Cohen, 2012; Stanley et al., 2010). Drei Faktoren tragen dazu bei. Erstens neigen diejenigen, die zusammenleben, dazu, anfangs weniger dem Ideal einer dauerhaften Ehe verpflichtet zu sein. Zweitens können sie während des Zusammenlebens noch weniger ehefreundlich werden. Drittens ist es unangenehmer, sich von einem Lebenspartner bzw. einer Lebenspartnerin zu trennen als von einem Date, was einige Lebenspartner:innen dazu veranlasst, jemanden zu heiraten, „den sie sonst zurückgelassen hätten“ (Stanley & Rhoades 2016a,b).
249
6.4 • Erwachsenenalter
Prozent 80% der Paare, 70 die sich online 60 kennen50 gelernt haben 40
Gleichgeschlechtliche Paare
30 20 10 0
Heterosexuelle Paare 1990
1995 2000 2005 Jahr des Kennenlernens
2010
..Abb. 6.64 Die Veränderung in der Weise, wie Amerikaner ihre Partner treffen. Eine nationale Umfrage unter 2452 heterosexuellen Paaren und 462 homosexuellen Paaren zeigt die zunehmende Bedeutung des Internets. (Daten aus Rosenfeld, 2013; Rosenfeld & Thomas, 2012)
Obwohl Beziehungen heutzutage vielfältiger sind, besteht die Ehe als Institution weiter. 95 % der Amerikaner:innen haben entweder geheiratet oder wollen es (Newport & Wilke, 2013). In westlichen Ländern heiraten die Menschen aus Liebe. Was gilt als „sehr wichtiger“ Grund zum Heiraten? Unter den Amerikaner:innen geben 31 % finanzielle Stabilität und 93 % Liebe an (Cohn, 2013). Die Ehe ist nicht nur ein Prädiktor für Glück, sondern auch für physische und psychische Gesundheit, sexuelle Befriedigung und Einkommen (Scott et al., 2010). So zeigten Befragungen von mehr als 50.000 heterosexuellen Amerikaner:innen zwischen 1972 und 2014 durch das National Opinion Research Center, dass 40 % der verheirateten Erwachsenen angaben, „sehr glücklich“ zu sein, aber nur 23 % der unverheirateten Erwachsenen. Auch lesbische Paare berichten von mehr Wohlbefinden als diejenigen, die alleinstehend sind (Peplau & Fingerhut, 2007; Wayment & Peplau, 1995). Darüber hinaus ist in Stadtvierteln mit einem hohen Anteil an Ehen der Anteil an typischen sozialpathologischen Phänomenen wie Kriminalität, Delinquenz und emotionalen Störungen bei Kindern geringer (Myers & Scanzoni, 2005). >>Was glauben Sie: Korreliert Ehe mit dem Gefühl des
Glücks, weil aus der intimen Beziehung und der partnerschaftlichen Unterstützung ein Glücksgefühl entsteht oder weil es häufiger die glücklichen Menschen sind, die heiraten und verheiratet bleiben? Oder ist beides richtig?
Beziehungen, die Bestand haben, sind nicht immer konfliktfrei. Manche Paare streiten sich heftig, doch sie überschütten einander auch mit Zeichen der Zuneigung. Andere wiederum werden nie laut, loben einander aber auch nur selten und sind auch nicht zärtlich zueinander. Jeder dieser Stile kann sich als dauerhaft erweisen. John Gottman (1994) beobachtete die Interaktionen von 2000 Paa-
ren und fand einen Indikator für eine erfolgreiche Ehe: Das Verhältnis zwischen positiven und negativen Interaktionen muss mindestens 5:1 betragen. In stabilen Ehen gibt es 5-mal mehr Gelegenheiten, einander anzulächeln, sich zu berühren, zu loben und miteinander zu lachen als Anlässe für Sarkasmus, Kritik und Kränkungen. Wenn Sie also eine Prognose darüber abgeben wollen, welches Paar zusammenbleiben wird, dann achten Sie weniger darauf, wie leidenschaftlich die beiden ineinander verliebt sind. Es sind die Paare, die sich damit zurückhalten, ihr Gegenüber herabzusetzen, die das Ziel erreichen und zusammenbleiben. Um das Krebsgeschwür der negativen Interaktionen gar nicht erst aufkommen zu lassen, lernen erfolgreiche Paare, fair zu streiten (die eigenen Gefühle in Worte fassen, ohne ihr Gegenüber zu kränken) und Konflikte zu umschiffen mit Aussagen wie „Ich weiß, dass du nicht schuld bist“ oder „Ich bin mal einen Moment still und höre dir zu“. Häufig entstehen aus einer Liebesbeziehung auch Kinder. Für die meisten Menschen ist diese auf einen längeren Zeitraum angelegte Veränderung ihrer Lebensumstände ein glückliches Ereignis – eines, das Sinn, Freude und gelegentlich auch Stress bringt (Nelson et al., 2013; Witters, 2014). 93 % der US-amerikanischen Mütter stimmten in einer nationalen Umfrage folgender Aussage zu: „Ich empfinde eine überwältigende Liebe für meine Kinder, die anders ist als alles, was ich für irgendjemanden sonst empfinde“ (Erikson & Aird, 2005). Viele Väter berichten dasselbe Gefühl. Einige Wochen nach der Geburt meines ersten Kindes realisierte ich [DM] mit einem Mal: „Dasselbe fühlten meine Eltern also auch mit mir.“
» „Die Liebe zu unseren Kindern unterscheidet sich grund-
legend von allen anderen menschlichen Gefühlen. Beinahe völlig unabhängig von ihren jeweiligen Eigenschaften, verliebte ich mich so schnell und schwer in meine Kinder. Dennoch war ich 20 Jahre später (mehr oder weniger) glücklich, sie gehen zu sehen – ich musste glücklich darüber sein, sie gehen zu sehen. Wir lieben sie hingebungsvoll, wenn sie klein sind, und doch ist alles, was wir als Lohn erwarten können, wenn sie erwachsen sind, dass sie uns mit irritierter und tolerierender Zuneigung betrachten.“ Entwicklungspsychologin Alison Gopnik, The Supreme Infant (2010)
Doch kann es geschehen, dass die Zufriedenheit mit der Beziehung abnimmt, wenn die Kinder allmählich Zeit, Geld und emotionale Energie absorbieren (Doss et al., 2009). Das gilt besonders für berufstätige Frauen, die mehr als erwartet auch die Last tragen können, mehr Hausarbeit zu erledigen. Doch die Mühe, die es kostet, eine faire Partnerschaft zu entwickeln, kann einen doppelten Nutzen haben; denn sie sorgt für mehr Zufriedenheit und das wiederum führt zu besseren ElternKind-Beziehungen (Erel & Burman, 1995).
6
250
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Auch wenn aus einer Liebesbeziehung Kinder entstehen, verlassen Kinder irgendwann das Elternhaus. Ihr Fortgehen ist ein wichtiges Ereignis, und manchmal fällt die Trennung schwer. Aber für die meisten ist das „leere Nest“ ein glücklicher Ort (Adelmann et al., 1989; Gorchoff et al., 2008). Viele Eltern erleben das, was die Soziologen White und Edwards (1970) „zweite Flitterwochen“ nennen, vor allem, wenn die Beziehung zu den Kindern weiterhin eng bleibt. So sagte es auch Daniel Gilbert (2006): „Das einzige bekannte Symptom des ‚Empty-Nest-Syndrom‘ ist verstärktes Lächeln.“
6
» „Um die Liebe Ihrer Eltern zu verstehen, gebären Sie Ihre eigenen Kinder.“ Chinesisches Sprichwort
zz Arbeit
Für viele Erwachsene hängt die Antwort auf die Frage „Wer bist du?“ unmittelbar mit der Frage „Was machst du?“ zusammen. Es ist für Frauen und Männer gleichermaßen schwierig, sich für einen Berufsweg zu entscheiden, besonders heute, wo das Arbeitsleben so starken Veränderungen unterworfen ist. In den ersten beiden College- oder Universitätsjahren können nur wenige Studierende vorhersagen, wo sie später arbeiten werden. Letztlich ist man glücklich, wenn man eine Arbeit hat, die den eigenen Interessen entspricht und einem das Gefühl gibt, etwas zu leisten und kompetent zu sein (. Abb. 6.65). Glück bedeutet, großzügig von seiner Zeit und seinen Ressourcen zu geben (Mogilner & Norton, 2016; Whillans et al., 2016). Und im privaten Bereich gehört zum Glück und zu einem erfüllten Leben ein Partner, ein enger, verlässlicher und vertrauter Gefährte, der das Besondere an seiner Frau oder seinem Mann erkennt (Campos et al., 2015). Und dazu gehören – für manche – Kinder, die man liebt und auf die man stolz ist. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Freud charakterisierte einen gesunden Erwachsenen als Menschen, der ___ und ___ kann.
Wohlbefinden über die Lebensspanne hinweg ?? 6.22 Wie verändert sich unser Wohlbefinden über die
Lebensspanne?
Wir alle werden älter. In diesem Augenblick sind Sie so alt, wie Sie noch nie waren, und so jung, wie Sie nie wieder sein werden. Das bedeutet, jeder hat etwas, auf das er mit Befriedigung oder mit Bedauern zurückschaut, und etwas, was man sich erhofft oder vor dem man sich fürchtet. Fragt man die Menschen, was sie anders machen würden, wenn sie ihr Leben noch einmal von vorn beginnen könnten, dann lautet die häufigste Antwort:
..Abb. 6.65 Arbeitszufriedenheit und Lebenszufriedenheit. Arbeit kann uns ein Gefühl von Identität und Kompetenz vermitteln und uns die Möglichkeit geben, etwas zu erreichen. Vielleicht ist das der Grund, warum herausfordernde und interessante Berufe unsere Lebenszufriedenheit steigern. Mehr zum Thema Arbeit, einschließlich der Entdeckung Ihrer eigenen Stärken, finden Sie in Anhang A. (© lubero/Stock.adobe.com)
„Meine Ausbildung hätte ich ernster nehmen und mehr dafür arbeiten sollen“ (Kinnier & Metha, 1989; Roese & Summerville, 2005). Auch andere Äußerungen des Bedauerns – „Ich hätte meinem Vater sagen sollen, dass ich ihn lieb habe“ oder „Es tut mir leid, dass ich nie nach Europa gereist bin“ – zielen weniger auf Fehler, die man vielleicht gemacht hat, sondern auf die Dinge, die man zu tun versäumt hat (Gilovich & Medvec, 1995).
» „Wenn du geboren wirst, weinst du, während sich die
Welt um dich herum freut. Lebe so, dass, wenn du stirbst, die Welt weint und du dich freust.“ Sprichwort amerikanischer Ureinwohner
Vom frühen Erwachsenenalter an bis zur Lebensmitte machen die Menschen typischerweise Erfahrung mit einem gestärkten Gefühl der Identität, des Selbstvertrauens und des Selbstwertes (Huang, 2010; Robins & Trzesniewski, 2005). Im späteren Leben werden die Herausforderungen größer: Das Einkommen schrumpft, Arbeitsmöglichkeiten fallen weg, der Körper baut ab, das Gedächtnis wird schlechter, die Energie versickert, Familienmitglieder und Freund:innen sterben oder ziehen weg, und der Tod, der große Feind, rückt immer näher. Für diejenigen in der Phase des Terminal Decline am Ende des Lebens sinkt die Lebenszufriedenheit in dem Maß, in dem der Tod näher rückt (Gerstorf et al., 2008). Doch bis zum Ende des Lebens sind die über 65-Jährigen nicht sonderlich unglücklich. Die Gallup Organization hat 658.038 Menschen weltweit gebeten, ihr Leben auf einer Skala von 0 („das schlechtestmögliche Leben“) bis 10 („das bestmögliche Leben“) zu bewerten. Das Alter – von 15 bis über 90 Jahren – gab keinen Hinweis auf die Lebenszufriedenheit (Morrison et al., 2014). Das
251
6.4 • Erwachsenenalter
Prozent, die von 80% stressfreiem 70 Vergnügen und Freude 60 am Vortag 50 berichten
Alter 65+
Alter 18–29
Biologische Einflüsse
Gene, die für Demenz • Keine oder andere Erkrankungen prädisponieren
• Angemessene Ernährung
Psychologische Einflüsse: Optimistischer Blick in die Zukunft Körperlich und geistig aktive Lebensweise
• •
40 30
Erfolgreiches Altern
20 10 0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
Stunden, die am Vortag mit anderen verbracht wurden ..Abb. 6.66 Menschen sind soziale Lebewesen. Sowohl jüngere als auch ältere Erwachsene berichten von größerer Zufriedenheit, wenn sie Zeit mit anderen verbringen. (Beachten Sie, dass diese Korrelation auch widerspiegeln könnte, dass glücklichere Menschen sozialer sind.) (Gallup-Umfragedaten nach Crabtree, 2011)
Selbstwertgefühl bleibt stabil (Wagner et al., 2013). Im Vergleich zu jüngeren chinesischen und amerikanischen Erwachsenen sind ältere Erwachsene aufmerksamer gegenüber positiven Neuigkeiten (Isaacowitz, 2012; Wang et al., 2015b). Wie Menschen jeden Alters sind ältere Erwachsene am glücklichsten, wenn sie nicht alleine sind (. Abb. 6.66). Ältere Erwachsene haben weniger Probleme in ihren sozialen Beziehungen – weniger Bindungsangst, Stress und Ärger (Chopik et al., 2013; Fingerman & Charles, 2010; Stone et al., 2010). Mit dem Alter werden wir beständiger und akzeptierender (Carstensen et al., 2011; Shallcross et al., 2013).
» Mit 70, würde ich sagen, ist der Vorteil, dass man das
Leben gelassener nimmt. Man weiß: „Auch das wird vorübergehen!“ Eleanor Roosevelt (1954)
Das alternde Gehirn könnte dabei helfen, diese positiven Gefühle zu unterstützen. Gehirn-Scans älterer Personen zeigen, dass ihre Amygdala, ein Zentrum für die neuronale Verarbeitung von Emotionen, eine abnehmende Aktivität in Reaktion auf negative Ereignisse zeigt (aber nicht auf positive Ereignisse; Mather et al., 2004). Auch die Reaktion der Gehirnströme auf negative Bilder nimmt mit dem Alter ab (Kisley et al., 2007). Wenn wir die späteren Abschnitte unseres Lebens erreichen, ermöglicht unser Gehirn einen zufriedenen Ausklang (Mather, 2016).
» „Mit 20 sorgen wir uns darum, was andere über uns denken. Mit 40 ist uns egal, was andere über uns denken. Und mit 60 merken wir, dass sie nie über uns nachgedacht haben.“ Anonym
Außerdem schwächen sich bei allen Altersgruppen die schlechten Gefühle, die wir mit negativen Ereignissen verbinden, schneller ab, als dies bei den guten Gefühlen,
Soziokulturelle Einflüsse: Unterstützung durch Familie und Freund:innen Respekt vor dem Alter in der Kultur Stabile und sichere Lebensbedingungen
• • •
..Abb. 6.67 Biopsychosoziale Einflüsse auf erfolgreiches Altern
die wir mit positiven Ereignissen verbinden, der Fall ist (Walker et al., 2003). Bei den meisten älteren Menschen trägt dies zum beruhigenden Gefühl bei, dass das Leben alles in allem meist gut war. Dank biologischer, psychologischer und soziokultureller Einflüsse blühen immer mehr Menschen bis ins hohe Alter auf (. Abb. 6.67). Das erstaunlich gleichbleibende Wohlbefinden über das ganze Leben hinweg überschatten jedoch einige interessante Befunde zu altersbezogenen Unterschieden im Bereich Emotionen. Forscher:innen legten eine „emotionale Landkarte“ an, indem sie ihre Versuchspersonen mit einem elektronischen Piepser in regelmäßigen Abständen anpiepsten und um einen Bericht über ihre augenblickliche Beschäftigung und ihre Gefühlslage baten. Sie fanden, dass Teenager typischerweise immer gerade von einer Hochstimmung herunter oder aus einem Tief herauskamen, und das in weniger als einer Stunde. Bei Erwachsenen ist die Stimmungslage weniger von Extremen geprägt und dafür stabiler (Csikszentmihalyi & Larson, 1984). Mit den Jahren werden unsere Gefühlslagen abgeklärter (Brose et al., 2015). Hochgefühle sind weniger hoch und Tiefpunkte weniger tief. Komplimente lösen weniger Stolz aus und Kritik weniger Verzweiflung, da beide lediglich zusätzliche Steinchen auf einem Berg kumulierter Lobeshymnen und Tadel darstellen. Im Alter gleicht das Leben immer weniger einer emotionalen Achterbahn.
» „Das Beste daran, 100 Jahre alt zu sein, ist, dass es kei-
nen Druck von Seiten der Gleichaltrigen gibt.“ Lewis W. Kuester, als er 100 wurde Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche sind einige der bedeutsamsten Herausforderungen und Vorzüge des Älterwerdens?
6
252
Kapitel 6 • Entwicklung über die Lebensspanne
Sterben und Tod ?? 6.23 Welche Reaktionen kann der Tod einer nahe-
stehenden Person auslösen?
Eine Warnung vorweg: Wenn Sie den nachfolgenden Abschnitt lesen, werden Sie sterben.
» „Liebe – nun, ich sage dir, was Liebe ist: Es ist du mit 75 6
und sie mit 71, jeder von euch den Schritten des anderen im Nebenzimmer lauschend, jeder von euch in der Angst davor, dass mit einem Mal Stille herrscht, dass ein plötzlicher Schrei das Ende eines lebenslangen Gesprächs bedeutet.“ Brian Moore, The Luck of Ginger Coffey (1960)
Aber natürlich wären Sie auch dann gestorben, wenn Sie diesen Satz nicht gelesen hätten. „Die Zeit ist ein großer Lehrer“, bemerkte der Komponist aus dem neunzehnten Jahrhundert, Hector Berlioz, „aber leider tötet sie alle ihre Schüler.“ Der Tod ist unser unausweichliches Ende. Wir betreten die Welt mit einem Wehklagen und verlassen sie meist in Stille. Die meisten Menschen müssen auch mit dem Tod von Verwandten und Freund:innen fertig werden. Für die meisten Menschen ist der Tod des Partners bzw. der Partnerin die schwerste Trennung, die sie erleben werden – ein Verlust, den 4-mal mehr Frauen erleiden als Männer. Die Aufrechterhaltung von alltäglichen Verpflichtungen und Beziehungen erhöht die Resilienz angesichts eines solchen Verlustes (Infurna & Luthar, 2016). Aber für manche ist die Trauer besonders groß, wenn der Tod eines geliebten Menschen plötzlich eintritt, ehe man ihn nach der sozialen Uhr erwarten konnte. Ich [ND] habe das am eigenen Leib erfahren, als ein tragischer Unfall das Leben meiner 60-jährigen Mutter forderte. Solche Tragödien können ein Jahr der Trauer auslösen, in dem man von Erinnerungen überschwemmt wird, und können sogar zu einer depressiven Störung führen, die manchmal mehrere Jahre lang anhält (Lehman et al., 1987). Für einige Menschen ist der Verlust jedoch unerträglich. In einer Studie, in die mehr als 1 Mio. Dän:innen während der zweiten Hälfte des 20. Jahrhundert einbezogen waren, fand man heraus, dass mehr als 17.000 Menschen unter dem Tod eines Kindes gelitten hatten, das jünger als 18 Jahre alt war. In den 5 Jahren nach diesem Todesfall war der Prozentsatz des ersten Aufenthalts in einer psychiatrischen Klinik mit 3 % um 67 % höher als der Prozentsatz, der für Eltern berichtet wurde, die kein Kind verloren hatten (Li et al., 2005). Dennoch ist die normale Bandbreite der Reaktionen auf den Tod eines geliebten Menschen breiter, als man annehmen sollte. In manchen Kulturen wird Weinen und Klagen in der Öffentlichkeit gutgeheißen, andere Kulturen trauern im Verborgenen. Innerhalb einer Kultur trauern manche Menschen offener und heftiger als andere
-
(Ott et al., 2007). Doch im Gegensatz zu allgemein verbreiteten Fehlannahmen lässt sich Folgendes feststellen: Todkranke und Hinterbliebene durchlaufen keine vorhersagbaren Phasen wie etwa Verleugnung, Wut etc. (Friedman & James, 2008; Nolen-Hoeksma & Larson, 1999). Diejenigen, die ihre Trauer sehr stark und unmittelbar ausdrücken, werden nicht schneller damit fertig (Bonanno & Kaltman, 1999; Wortman & Silver, 1989). Aber trauernde Eltern, die versuchen, ihren Partner bzw. ihre Partnerin zu schützen, indem sie „stark bleiben“ und nicht über den Tod ihres Kindes sprechen, können die Trauer tatsächlich verlängern (Stroebe et al., 2013). Bei den meisten Menschen tragen eine Therapie für Trauerfälle und Selbsthilfegruppen wenig dazu bei, die heilende Kraft der Zeit und unterstützender Freund:innen noch wirksamer werden zu lassen (Baddeley & Singer, 2009; Brown et al., 2008; Neimeyer & Currier, 2009). Trauernde hinterbliebene Ehepartner:innen, die häufig mit anderen sprechen oder die in einer Beratung für Trauernde sind, werden mit dem Tod des Partners bzw. der Partnerin nicht besser fertig als die, die eher für sich allein trauern (Bonanno, 2001, 2004; Genevro 2003; Stroebe et al., 2001, 2002, 2005).
-
» „Bedenke, Freund, der du hier stehst: Wie du jetzt bist,
so war auch ich, wie ich jetzt bin, so wirst du sein. Bereite dich vor, du wirst mir folgen.“ Grabinschrift auf einem schottischen Grabstein
Dem Tod würdevoll und offen zu begegnen, hilft dem Menschen, seinen Lebenszyklus mit dem Gefühl zu vollenden, dass es ein einmaliges und sinnvolles Leben war, dem Gefühl, dass das Leben gut war und das Leben und Tod Bestandteile eines anhaltenden Zyklus sind. Der Tod ist zwar oft nicht willkommen, doch im Augenblick des Todes findet das Leben seine Bestätigung. Das gilt insbesondere für die Menschen, die nicht voll Verzweiflung auf ihr Leben zurückblicken, sondern, wie Erikson sagt, mit einem Gefühl der Integrität, dass alles zusammengehört und dass das eigene Leben einen Sinn hatte und wert war, gelebt zu werden.
» „Ich würde sagen, der Vorteil um die 70 ist es, dass man das Leben ruhiger nimmt. Man weiß, dass ‚auch das vorübergehen wird‘!“ Eleanor Roosevelt (1954)
6.4.4
Rückblick: Erwachsenenalter
Verständnisfragen
6.18 – Wie verändern wir uns im mittleren und hohen
Erwachsenenalter körperlich?
6.4 • Erwachsenenalter
6.19 – Wie verändert sich das Gedächtnis mit dem Alter? 6.20 – Wie wirken sich neurokognitive Störungen und
die Alzheimer-Krankheit auf die kognitiven Fähigkeiten aus? 6.21 – Welche Themen und Einflüsse sind entscheidend für unsere soziale Entwicklung zwischen dem frühen Erwachsenenalter und dem Tod? 6.22 – Wie verändert sich unser Wohlbefinden über die Lebensspanne? 6.23 – Welche Reaktionen kann der Tod einer nahestehenden Person auslösen?
----
Schlüsselbegriffe Alzheimer-Krankheit Längsschnittstudie Menopause Neurokognitive Störungen (NCDs) Querschnittstudie Soziale Uhr
Master the Material 1. Im Alter von 65 Jahren ist es am wahrscheinlichsten, dass eine Person einen kognitiven Abbau in der Fähigkeit erfährt, … a. sich an alle wichtigen Begriffe und Konzepte eines Kapitels zu erinnern und diese aufzulisten. b. die richtige Definition in einer Multiple-ChoiceFrage auszuwählen. c. sich an das eigene Geburtsdatum zu erinnern. d. eine gut erlernte Fähigkeit, wie z. B. Stricken, auszuüben. 2. Inwiefern unterscheiden sich Querschnitt- und Längsschnittstudien? 3. Freud definierte den gesunden Erwachsenen als jemanden, der fähig ist zu lieben und zu arbeiten. Erikson stimmte zu und beobachtete, dass der Erwachsene um Intimität und ___ bemüht. 4. Entgegen der Annahme vieler Menschen … a. sind ältere Menschen deutlich unglücklicher als Heranwachsende. b. werden wir unglücklicher, wenn wir von unseren Teenagerjahren in die Lebensmitte kommen. c. nehmen positive Gefühle nach der Lebensmitte eher zu. d. sind diejenigen, deren Kinder vor kurzem das Elternhaus verlassen haben – die „empty nesters“ – von allen Gruppen am unglücklichsten.
253
Weiterführende deutsche Literatur Lohaus, A., & Vierhaus, M. (2019). Entwicklungspsychologie des Kindes- und Jugendalters für Bachelor (4. Aufl.). Heidelberg: Springer. Oswald, W.-D., Gatterer, G., & Fleischmann, U. M. (2008). Gerontopsychologie. Grundlagen und klinische Aspekte zur Psychologie des Alterns. Wien: Springer. Pinquart, M., Schwarzer, G., & Zimmermann, P. (2018). Entwicklungspsychologie – Kindes- und Jugendalter (2. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Scheithauer, H., & Niebank, K. (2022). Entwicklungspsychologie – Entwicklungswissenschaft des Kindes- und Jugendalters München: Pearson. Schneider, W., & Lindenberger, U. (2018). Entwicklungspsychologie (8. Aufl.). Weinheim: Beltz. Siegler, R., Saffran, J., R., Gershoff, E., T., & Eisenberg, N. (2021). Entwicklungspsychologie im Kindes- und Jugendalter (5. Aufl.). Heidelberg: Springer. Trautner, H. M. (2003). Allgemeine Entwicklungspsychologie (2. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
6
255
Wahrnehmung Inhaltsverzeichnis 7.1
Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung – 256
7.1.1 7.1.2 7.1.3 7.1.4 7.1.5 7.1.6 7.1.7
Wahrnehmungsverarbeitung – 256 Transduktion – 257 Schwellen – 258 Sensorische Adaptation – 261 Wahrnehmungsset – 263 Kontext, Motivation und Emotion – 265 Rückblick: Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung – 267
7.2
Sehen – 268
7.2.1 7.2.2 7.2.3 7.2.4 7.2.5
Lichtenergie und Augenstruktur – 268 Informationsverarbeitung im Auge und im Gehirn – 270 Visuelle Organisation – 277 Visuelle Interpretation – 286 Rückblick: Sehen – 288
7.3
Nichtvisuelle Sinne – 290
7.3.1 7.3.2 7.3.3 7.3.4
Hören – 290 Die anderen Sinne – 295 Sensorische Interaktion – 307 Außersinnliche Wahrnehmung – Wahrnehmung ohne Empfindung? – 308 Rückblick: Nichtvisuelle Sinne – 312
7.3.5
Weiterführende deutsche Literatur – 313
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_7
7
256
Kapitel 7 • Wahrnehmung
„Ich sehe perfekt“, erklärt Heather Sellers, eine gefeierte Schriftstellerin und Lehrerin. Ihr Sehvermögen mag ausgezeichnet sein, aber sie hat ein Problem mit ihrer Wahrnehmung. In ihren Memoiren You Don’t Look Like Anyone I Know (dtsch. Du ähnelst niemandem, den ich kenne), erzählt Sellers (2010) von peinlichen Momenten, die durch ihre lebenslange Prosopagnosie entstehen – durch ihre Gesichtsblindheit.
» „Als ich noch auf dem College war, bin ich bei einer Ver
abredung von den Toiletten zurückgekommen und habe mich in einen Sessel am falschen Tisch fallen lassen – dem falschen Mann gegenüber. Ich bemerkte nicht, dass er nicht mein Date war, sogar als mein Date (für mich ein Fremder) mein Gegenüber ansprach und dann aus dem Restaurant stürmte. (…) Ich erkenne mich selbst nicht auf Fotos oder in Videoaufnahmen. Ich erkenne meine Stiefsöhne nicht beim Fußballspielen. Ich habe es auf Partys, im Einkaufszentrum oder auf dem Markt nicht geschafft, festzustellen, welcher mein Ehemann war.“
7
„Stimmenblinden“ Menschen mit Phonagnosie, die ih nen bekannte Stimmen nicht wiedererkennen können, können ähnliche Fehler unterlaufen. Ein Mann flirtete am Telefon mit jemandem, von dem er annahm, es sei seine Ehefrau, ohne zu bemerken, dass es eine andere Frau war (Spiegel, 2010). Um nicht als versnobt oder abgehoben wahrgenommen zu werden, täuscht Sellers manchmal das Wiedererkennen vor. Sie lächelt oft Leute an, an denen sie vorbeigeht, falls sie diese kennen sollte. Oder sie gibt vor, die Person, mit der sie redet, zu kennen, ähnlich wie bei den Schwerhörigen unter uns, die vortäuschen zu hören. Aber es gibt auch eine gute Seite: Wenn sie jemanden trifft, über den sie sich zuvor geärgert hat, wird sie üblicherweise keinen Groll gegen ihn hegen, weil sie diese Person nicht erkennt. Anders als Sellers, haben die meisten von uns ein funktionierendes Areal an der Unterseite unserer rech ten Hemisphäre des Gehirns, das uns hilft, ein vertrautes menschliches Gesicht zu erkennen, sobald wir es ent decken. Dies gelingt uns nach lediglich einer Siebtelse kunde (Jacques & Rossion, 2006; Rossion & Boremanse, 2011). Diese Fähigkeit illustriert ein allgemeines Prinzip. Die von der Natur angelegte sensorische Ausstattung befähigt jeden Organismus dazu, an die Informationen heranzukommen, die er benötigt. Hier einige Beispiele: Unsere Ohren reagieren am empfindlichsten auf Schallfrequenzen, die den Lauten der menschlichen Stimme und besonders dem Schrei eines Babys ent sprechen. Frösche, die sich von fliegenden Insekten ernähren, haben Augen, die mit Rezeptorzellen ausgestattet sind, die nur auf kleine, dunkle Objekte in Bewegung reagieren. Solche Frösche könnten also verhungern, obwohl sie bis zu den Knien in unbeweglichen Flie gen stehen. Aber fliegt nur eine davon an ihm vorbei,
-
-
schalten die „Fliegendetektor“-Zellen des Froschs auf Alarm. (Wie Kermit der Frosch sagte: „Die Zeit vergeht im Flug, wenn man Fliegen hat.“) Männliche Seidenraupenmotten besitzen Rezeptoren, die so empfindlich auf den Geruch des weiblichen Se xualsekrets reagieren, dass eine einzige weibliche Sei denraupenmotte nur ein Milliardstel Gramm dieses Stoffes pro Sekunde absondern muss, um jede männ liche Seidenraupenmotte im Umkreis von anderthalb Kilometern anzulocken (Sagan, 1977). Deshalb gibt es heute auch immer noch Seidenraupen.
In diesem Kapitel werden wir uns genauer damit beschäf tigen, was die Psychologie darüber herausgefunden hat, wie wir die Welt um uns herum fühlen und wahrnehmen. Wir betrachten zunächst einige grundlegende Prinzipien, die für alle unsere Sinne gelten. 7.1
Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
Wie gewinnen wir Bedeutung aus dem Ansturm senso rischer Reize, die unsere Körper rund um die Uhr bom bardieren? Gleichzeitig befindet sich unser Gehirn in einer stillen, abgeschirmten inneren Welt in völliger Dunkelheit. Ohne Verbindung nach außen sieht es nichts. Es hört nichts und es fühlt auch nichts. Aber wie gelangt dann die äußere Welt in unser Inneres? Oder um diese Frage in wissenschaftlicher Begrifflichkeit zu formulieren: Wie kon struieren wir unsere Repräsentationen von der äußeren Welt? Wie aktiviert das Flackern, Knistern und der rau chige Geruch eines Lagerfeuers neuronale Verbindungen? Und wie lassen wir aus dieser lebendigen Neurochemie unsere bewusste Erfahrung der Bewegung und Tem peratur des Feuers, seines Geruchs und seiner Schönheit entstehen? Auf der Suche nach Antworten auf solche Fragen, betrachten wir einige grundlegende Prozesse, die sich durch alle unsere sensorischen Systeme ziehen. 7.1.1 Wahrnehmungsverarbeitung
?? 7.1 Was verstehen wir unter Sinnesempfindung und
Wahrnehmung? Und was unter „Top-down“- und „Bottom-up“-Verarbeitung?
Sellers seltsame Mischung aus „perfektem Sehvermögen“ und Gesichtsblindheit verdeutlicht die Unterscheidung zwischen Empfindung und Wahrnehmung. Wenn sie einen Freund ansieht, ist ihre Sinnesempfindung normal: Ihre Sinnesrezeptoren erkennen die gleichen Informationen wie Ihre es auch tun würden, und sie übermitteln die Informationen an ihr Gehirn. Und ihre Wahrnehmung – der Prozess, bei dem ihr Gehirn sensorischen Input
257
7.1 • Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
organisiert und interpretiert – ist fast normal. So mag sie Menschen an ihrer Frisur, ihrem Gang, ihrer Stimme oder ihrem jeweiligen Körperbau erkennen, nur nicht an ihrem Gesicht. Was sie erlebt, ist vergleichbar mit der Mühe, die Sie oder ich hätten, wenn wir versuchen würden, einen bestimmten Pinguin in einer Gruppe wat schelnder Pinguine zu erkennen. Sinnesempfindung („sensation“) – Prozess, bei dem
unsere Sinnesrezeptoren und unser Nervensystem Reiz energien aus unserer Umwelt empfangen und darstellen. Sinnesrezeptoren („sensory receptors“) – Sensorische Nervenenden, die auf Reize reagieren Wahrnehmung („perception“) – Prozess, bei dem die sensorischen Informationen organisiert und interpretiert werden; dies ermöglicht uns, die Bedeutung von Gegen ständen und Ereignissen zu erkennen. In unseren täglichen Erfahrungen gehen Sinnesempfin dung und Wahrnehmung in einen zusammenhängenden Prozess über. Unsere Bottom-up-Verarbeitung (aufsteigende oder datengesteuerte Informationsverarbeitung) beginnt bei den Sinnesrezeptoren und arbeitet sich bis auf die höheren Ebenen der Verarbeitung vor. Unsere Top-down-Verarbeitung (absteigende oder konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung) kon struiert Wahrnehmungen aus dem sensorischen Input und greift dabei auf unsere Erfahrungen und Erwar tungen zurück.
-
Bottom-up-Verarbeitung (aufsteigende, datengesteuerte Informationsverarbeitung; „bottom-up processing“) –
Analyse, die mit den Sinnesrezeptoren beginnt und auf steigend bis zur Integration der sensorischen Information durch das Gehirn erfolgt. Top-down-Verarbeitung (absteigende, konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung; „top-down processing“) – Infor
mationsverarbeitung, gesteuert durch höhere mentale Pro zesse, beispielsweise wenn wir Wahrnehmungen aufgrund unserer Erfahrungen und Erwartungen interpretieren. Wenn unser Gehirn die Informationen in . Abb. 7.1 auf nimmt, ermöglicht die Bottom-up-Verarbeitung es unse rem sensorischen System, die Linien, Winkel und Farben zu erkennen, die die Blume und Blätter bilden. Indem wir die Top-down-Verarbeitung nutzen, interpretieren wir das, was unsere Sinne aufnehmen. 7.1.2 Transduktion
?? 7.2 Welche drei Schritte sind grundlegend für alle
sensorischen Systeme?
..Abb. 7.1 Was geht hier vor? Zum Verständnis komplexer Bilder (so wie bei dem versteckten Paar in Sandro Del-Pretes Zeichnung „La vie en rose“) arbeiten unsere Empfindungs- und Wahrnehmungsprozesse zusammen. (© Sandro Del-Prete)
Jede Sekunde an jedem Tag vollbringen unsere sensori schen Systeme eine beeindruckende Meisterleistung: Sie wandeln eine Form von Energie in eine andere um. Beim Sehen wird Lichtenergie verarbeitet. Beim Hören Schall wellen. Alle unsere Sinne nehmen sensorische Informationen auf, oft über spe zialisierte Rezeptorzellen; wandeln diese Reize in neuronale Impulse um; überbringen diese neuronalen Informationen an unser Gehirn.
--
Der Prozess, bei dem eine Form von Energie in eine an dere, die von unserem Gehirn verarbeitet werden kann, umgewandelt wird, heißt Transduktion. Später in diesem Kapitel werden wir uns auf einzelne sensorische Systeme konzentrieren. Wie sehen wir? Wie hören wir? Wie neh men wir Schmerz wahr? Und Geschmack? Geruch? Wie halten wir unser Gleichgewicht? Bei jeder dieser Fragen werden wir diese drei Schritte betrachten – Information aufnehmen, umwandeln und an das Gehirn weitergeben. Wir werden auch sehen, welche Entdeckungen die Psychophysik über die physikalische Energie, die wir erfassen können, und deren Auswirkungen auf unser psychologi sches Erleben gemacht hat.
7
258
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Transduktion („transduction“) – Umwandlung einer Energieform in eine andere. Im sensorischen Bereich die Umwandlung von Reizenergien (wie Sehreize, Töne und Gerüche) in Nervenimpulse, die unser Gehirn inter pretieren kann. Psychophysik („psychophysics“) – Untersuchung der Be ziehungen zwischen den physikalischen Merkmalen von Reizen, z. B. Reizintensität, und unserem psychischen Erleben dieser Reize.
Aber zuerst werden wir einige Stärken und Schwächen unserer Fähigkeit untersuchen, Reize im weiten Meer von Energie um uns herum zu entdecken und zu inter pretieren.
7
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Worin besteht grob ausgedrückt der Unterschied zwischen Sinnesempfindung und Wahrnehmung?
7.1.3 Schwellen ?? 7.3 Was versteht man unter absoluter Schwelle und
Unterschiedsschwelle?
Genau in diesem Moment werden Sie und ich von Rönt genstrahlen, Radiowellen, UV- und Infrarotlicht sowie Schallwellen sehr hoher und sehr niedriger Frequenz getroffen. Für all diese Frequenzen sind wir blind und taub. Andere Tiere mit anderen Bedürfnissen nehmen eine Welt wahr, die jenseits der menschlichen Erfahrung liegt. Zugvögel bleiben mithilfe eines inneren magneti schen Kompasses auf Kurs. Fledermäuse und Delphine orten ihre Beute mit Sonar (durch Entfernungseinschät zung mithilfe der vom Objekt zurückgeworfenen Schall wellen). An bewölkten Tagen orientieren sich die Bienen mit Hilfe des polarisierten Lichts einer (für uns in dem Moment) unsichtbaren Sonne. Unsere Sinne scheinen mit Rollläden versehen zu sein, die nur einen winzigen Spalt geöffnet sind und nur eine beschränkte Wahrnehmung dieser ungeheuren Energiemenge zulassen. Aber für unsere Bedürfnisse ist das genug.
Absolute Schwellen Auf manche Reize reagieren wir höchst empfindlich. Wenn wir in einer stockdunklen, klaren Nacht auf dem Gipfel eines Berges stehen, könnten die meisten von uns bei normal ausgeprägten Sinnen ein Kerzenlicht auf einem 45 km entfernten Berg erkennen. Wir könnten es spüren, wenn uns der Flügel einer Biene an der Wange berührt. Wir können sogar einen einzigen Tropfen Par füm in einer Dreizimmerwohnung riechen (Galanter, 1962).
..Abb. 7.2 Absolute Schwelle. Kann ich diesen Ton hören oder nicht? Eine absolute Schwelle ist die Reizstärke, bei der eine Person einen Stimulus in der Hälfte der Fälle wahrnehmen kann. Hörtests ermitteln diese Schwellen für verschiedene Frequenzen
Der deutsche Wissenschaftler und Philosoph Gus tav Fechner (1801–1887) erforschte unsere bewusste Wahrnehmung dieser schwachen Reize und nannte sie absolute Schwellen – die minimale Stimulation, die not wendig ist, um ein bestimmtes Licht, einen bestimmten Schall, Druck, Geschmack oder Geruch in mindestens 50 % aller Fälle wahrzunehmen. Um Ihre absolute Schwelle für Geräusche und Töne zu testen, würde eine Gehörspezialistin Ihre beiden Ohren jeweils Tönen variierender Lautstärke aussetzen und dokumentieren, welche Töne Sie hören können (. Abb. 7.2). Für jede Frequenz würde der Test die Lautstärke ermitteln, bei der Sie in der Hälfte aller Fälle das Geräusch korrekt wahrnehmen, in der anderen jedoch nicht. Für je den Ihrer Sinne legt dieser 50/50-Punkt die absolute Schwelle fest. Absolute Schwelle („absolute threshold“) – Mindeststi
mulation, die erforderlich ist, um einen bestimmten Reiz in mindestens 50 % der Fälle wahrzunehmen. Unsere Fähigkeit, einen schwachen Reiz oder ein schwa ches Signal wahrzunehmen, hängt nicht allein von der Signalstärke ab (wie der Ton bei einem Hörtest), son dern auch von unserem seelischen Zustand – unseren Erfahrungen und Erwartungen, unserer Motivation, Aufmerksamkeit und Wachsamkeit. Die Signaldetektionstheorie (SDT) dient zur Voraussage, wann wir schwache Signale noch wahrnehmen, und zwar durch Ermittlung der Trefferrate im Verhältnis zu den Fehl alarmen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler, die sich mit der SDT beschäftigen, versuchen zu verstehen,
259
7.1 • Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
warum Menschen auf denselben Reiz unterschiedlich reagieren und warum die Reaktionen derselben Person bei veränderten Umgebungsbedingungen unterschied lich sind. Signaldetektionstheorie (SDT; Signalentdeckungstheorie; „signal detection theory“) – Theorie, die vorhersagt,
wie und wann wir das Vorhandensein eines schwachen Reizes (Signal) unter Hintergrundstimulation (Lärm) wahrnehmen; geht davon aus, dass es keine feste ab solute Schwelle gibt, sondern dass die Signalwahrneh mung teilweise von der Erfahrung, den Erwartungen, der Motivation und dem Grad an Müdigkeit der jewei ligen Person abhängt. Reize, die man in weniger als 50 % der Fälle entdeckt, sind subliminal, also unter der absoluten Schwelle (. Abb. 7.2). Wir wollen ein solches Experiment be trachten, das auch die tiefliegende Verankerung der sexuellen Orientierung verdeutlicht. Die Versuchsper sonen wurden gebeten, in die Mitte eines Bildschirms zu schauen und sahen dann auf einer Seite ein Foto einer nackten Person aufblitzen und auf der anderen eine stark verpixelte Version des gleichen Fotos (Jiang et al., 2006; . Abb. 7.3). Weil die Bilder sofort von ei nem farbigen Schachbrettmuster maskiert wurden, sahen die Freiwilligen nur Farbblitze und waren nicht in der Lage, zu erahnen, wo die nackte Person erschienen war. Dann ließ die Versuchsleitung eine geometrische Figur auf einer der beiden Seiten aufblitzen, um festzustellen, ob das unbemerkte Bild unbewusst die Aufmerksamkeit der Versuchspersonen auf sich zog. Dieser Darbietung folgte ebenfalls unmittelbar ein maskierender Reiz. Wenn sie darum gebeten wurden, die Ecke anzugeben, in der die Figur auftauchte, machten heterosexuelle Männer genauere Angaben, wenn die geometrische Figur dort er schien, wo direkt zuvor eine nackte Frau erschienen war (. Abb. 7.3). Homosexuelle Männer und heterosexuelle Frauen schätzten besser, wenn die geometrische Figur einen nackten Mann ersetzte. Wie weitere Experimente bestätigen, können wir einen Reiz sogar dann bewerten, wenn wir uns des Reizes nicht bewusst sind – und sogar, wenn wir uns nicht darüber bewusst sind, dass wir ihn bewerten (Ferguson & Zayas, 2009). Haben also sub liminale Botschaften Macht über uns? Mehr zu dieser Frage finden Sie in . Abb. 7.4. Subliminal („subliminal“) – unter der absoluten Schwelle
der bewussten Wahrnehmung. Priming („priming“) – oft unbewusste Aktivierung be stimmter Assoziationen; damit wird die Wahrnehmung, das Gedächtnis oder die Reaktion in bestimmter Weise empfänglich gemacht. ?? 7.4 Wie werden wir von subliminalen Reizen beein
flusst?
..Abb. 7.3 Die versteckte Psyche. Nachdem das Bild eines nackten Mannes oder einer nackten Frau auf einer Seite aufgeblitzt ist und maskiert wurde, bevor es wahrgenommen werden konnte, wurde die Aufmerksamkeit der Personen unbewusst auf die Bilder gelenkt, die ihre sexuelle Orientierung widerspiegelten (Jiang et al., 2006. Copy right © 2006 National Academy of Sciences, U.S.A.)
Unterschiedsschwellen Um effektiv zu funktionieren, brauchen wir absolute Schwellen, die niedrig genug sind, um wichtige Dinge zu sehen und wichtige Geräusche, Oberflächenstrukturen, Geschmäcker und Gerüche zu erkennen. Wir müssen aber auch kleine Unterschiede zwischen diesen Reizen ausmachen können. Ein Musiker muss beim Stimmen seines Instruments minimale Tonunterschiede bemer ken. Eltern müssen den Klang der Stimme ihres eigenen Kindes inmitten anderer Kinderstimmen hören können. Sogar nachdem ich 2 Jahre in Schottland gelebt habe, hört sich das Mäh von verschiedenen Schafen für meine Ohren immer noch gleich an. Nicht aber so für die Mut terschafe. Ich habe beobachtet, wie sie, nachdem sie ge schoren wurden, direkt zum Blöken ihres Lammes inmit ten des Chors anderer bekümmerter Lämmer rannten. Die Unterschiedsschwelle ist der eben noch merkliche Unterschied, den ein Mensch in der Hälfte aller Fälle zwi schen zwei Reizen ausmachen kann. Die Unterschieds schwelle nimmt mit der Intensität des Reizes zu. Wenn Sie sich etwa Musik in einer Lautstärke von 40 Dezibel anhören und die Laustärke noch um 5 Dezibel erhöhen, bemerken Sie wahrscheinlich einen Unterschied. Er höhen Sie jedoch den Ausgangswert auf 110 Dezibel, werden Sie einen Zuwachs um 5 Dezibel wohl kaum feststellen.
7
260
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Wir können von subliminalen Reizen beeinflusst werden.
Das sind Reize, die so schwach sind, dass wir sie nicht bewusst wahrnehmen. In der Forschung wird Priming verwendet, um unbewusste Assoziationen wachzurufen. Den Proband:innen werden Bilder von Personen gezeigt und sie sollen für jede Person eine positive oder negative Bewertung abgeben.
ABER einen Augenblick vor jedem Bild zeigt das pfiffige Forschungsteam den Proband:innen subliminal ein anderes Bild, das entweder angenehm (z. B. Kätzchen) oder unangenehm (z. B. ein Werwolf ) ist.
Das bedeutet also, dass Priming funktioniert. Aber können wir auch von subliminalen Reizen dazu gebracht werden, beispielsweise Gewicht abzunehmen, mit dem Rauchen aufzuhören oder unser Gedächtnis zu verbessern?
oder
7 Die Proband:innen nehmen diese Bilder bewusst nur als Lichtblitze wahr.
Beeinflusst das, wie die Proband:innen die Gesichter bewerten?
Negativere Bewertungen der Personen
Unser zweigleisiger Verstand: Das Priming findet statt, auch wenn unser Gehirn keine Zeit hat, die kurz aufblitzenden Bilder bewusst wahrzunehmen. Wir können einen Reiz selbst dann bewerten, wenn wir ihn nicht bewusst wahrnehmen.2 1Krosnick et al., 1992.
Audio- und Videobotschaften verkünden subliminal (ohne dass sich die empfangende Person dessen bewusst ist): „Ich bin dünn“, „Zigarettenrauch schmeckt schlecht“ und „Ich schneide in Tests gut ab. Ich kann mir Informationen vollständig merken.“
Ja!1
Positivere Bewertungen der Personen
Test
Die Ergebnisse von 16 Experimenten3 zeigten keinen starken, dauerhaften Einfluss auf das Verhalten. Keine der Aufnahmen half mehr als ein Placebo, das nur deswegen wirkt, weil wir daran glauben.
2Ferguson & Zayas, 2009. 3Greenwald et al., 1991, 1992.
..Abb. 7.4 Kritisch nachdenken über: Subliminale Wahrnehmung und subliminale Überzeugung
Unterschiedsschwelle („difference threshold“) – mini
maler Unterschied zwischen zwei Reizen, der erforderlich ist, damit er in 50 % der Fälle erkannt wird. Wir erleben die Unterschiedsschwelle als den eben noch merklichen Unterschied („just noticeable difference“). Im 19. Jahrhundert stellte Ernst Weber etwas so Ein faches und so umfassend Anwendbares fest, dass wir es immer noch als Weber’sches Gesetz bezeichnen. Dieses Gesetz besagt, dass sich zwei Reize in einem konstanten Verhältnis (nicht einer konstanten Größe) unterscheiden müssen, damit der Unterschied zwischen ihnen für eine Durchschnittsperson wahrnehmbar ist (. Abb. 7.5). Das genaue Verhältnis variiert je nach Reiz. Zwei Lichtquel len müssen sich beispielsweise durchschnittlich um 8 % in der Lichtintensität unterscheiden, zwei Gewichte müssen
einen Gewichtsunterschied von 2 % und zwei Töne eine unterschiedliche Tonfrequenz von nur 0,3 % aufweisen (Teghtsoonian, 1971). Weber’sches Gesetz („Weber’s law“) – Prinzip, das besagt,
dass sich zwei Reize um einen konstanten minimalen Prozentsatz (und nicht um einen konstanten Absolut betrag) unterscheiden müssen, damit sie als unterschied lich wahrgenommen werden. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Unterscheiden Sie am Beispiel Ton zwischen folgenden Konzepten: absolute Schwelle, sublimi nale Stimulation und Unterschiedsschwelle.
7.1 • Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
261
..Abb. 7.5 Die Unterschiedsschwelle. In dieser vom Computer erzeugten Fassung des 23. Psalms verändert sich die Schriftgröße in jeder Zeile unmerklich. Wie viele Zeilen sind nötig, bis Sie einen eben merklichen Unterschied feststellen?
7.1.4
Sensorische Adaptation
?? 7.5 Welchen Nutzen ziehen wir aus sensorischer
Adaptation?
Sie steigen in den Bus, setzen sich und werden vom schweren Parfüm Ihres Sitznachbarn überwältigt. Sie wundern sich, wie Ihr Nachbar diesen Geruch aus halten kann, doch schon nach wenigen Minuten fällt er Ihnen selbst nicht mehr auf. Die sensorische Adaptation ist Ihnen zu Hilfe gekommen. Werden wir einem gleich bleibenden Reiz ausgesetzt, sinkt unsere Empfindlichkeit für diesen Reiz, weil die Häufigkeit der Reizimpulse ab nimmt, die von den Nervenzellen weitergeleitet werden. (Um dieses Phänomen nachzuempfinden, krempeln Sie Ihren Ärmel hoch: Sie spüren sie – aber nur ein paar Augenblicke lang.) Sensorische Adaptation („sensory adaptation“) – vermin
derte Sensibilität als Folge konstanter Stimulation.
» „Wir müssen vor allem Veränderungen erkennen; nie mand will oder muss 16 Stunden am Tag daran erinnert werden, dass er Schuhe anhat.“ Der Neurowissenschaft ler David Hubel (1979)
Ein Gegenstand, den wir starr anschauen, müsste mit der Zeit aus unserem Gesichtsfeld verschwinden. Wa rum ist das aber nicht so? Weil wir, ohne es zu merken, unsere Augen ständig bewegen. Diese schnellen Augen bewegungen, sog. Sakkaden, sorgen dafür, dass sich die Stimulation der Rezeptoren in den Augen ständig ver ändert (. Abb. 7.6). Was würde jedoch passieren, wenn wir der Bewe gung unserer Augen tatsächlich Einhalt gebieten könn ten, würden sich dann die Bilder auflösen, wie es die Gerüche scheinbar tun? Um das herauszufinden, hat die psychologische Forschung geniale Instrumente er funden, um ein konstantes Bild auf der Netzhaut, der inneren Oberfläche des Auges, beizubehalten. Stellen Sie sich vor, wir hätten eine Versuchsteilnehmerin namens Maria mit einem dieser Instrumente ausgestattet – einer Art Miniprojektor, der auf einer Kontaktlinse befestigt ist (. Abb. 7.7a). Wenn sich Marias Augen bewegen, bewegt sich das vom Projektor erzeugte Bild ebenfalls mit. Egal wohin sie schaut, sie sieht immer die gleiche Szene. Was sieht Maria wohl, wenn wir nun Bilder mit Hilfe eines solchen Instruments projizieren? Zuerst sieht sie das komplette Bild. Doch innerhalb von wenigen Sekun den beginnen ihre Sinnesrezeptoren zu ermüden und selt same Dinge geschehen. Stück um Stück löst sich das Bild auf, taucht dann wieder auf und verschwindet wieder, in erkennbaren Fragmenten oder als Ganzes (. Abb. 7.7b).
7
262
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.6 Das sprunghafte Auge. Unsere Blicke springen etwa dreimal in der Sekunde von einem Punkt zum anderen, wie man an diesem Bild von den Princes Street Gardens in Edinburgh sehen kann, welches mit Hilfe einer Eye- Tracking-Vorrichtung entstand. (Henderson, 2007, Courtesy of John M. Henderson) Die Kreise stehen für Fixationen und die Zahlen geben die Dauer der Fixation in Millisekunden an (300 ms = 3 Zehntel einer Sekunde)
7
Zwar verringert die sensorische Adaptation unsere Sensibilität, doch sie bietet uns auch einen entschei denden Vorteil: Sie versetzt uns in die Lage, uns auf informative Veränderungen in unserer Umgebung zu konzentrieren. Dass verändernde Stimulation unsere Aufmerksamkeit so stark an sich zieht, erklärt, warum es uns so schwerfällt, Benachrichtigungen auf unserem Handy zu ignorieren. Neue Tweets, Likes, Snapchats und aktuelle Nachrichten tauchen ständig auf und verlangen unsere Aufmerksamkeit. Wenn wir anderen Aufgaben nachgehen, können diese Störungen unsere Leistung beeinträchtigen (Stothart et al., 2015). Dies trifft auch auf die Schnitte, Überblendungen, Nah aufnahmen und Schwenke eines Fernsehbildes zu. So
a ..Abb. 7.7 a,b Sensorische Anpassung: Mal sieht man es, mal ist es weg! a Ein auf eine Kontaktlinse montierter Projektor lässt das projizierte Bild mit dem Auge mitwandern. b Anfangs sieht die Ver suchsperson das stabilisierte Bild, doch bald darauf gewöhnt sich ihr
gibt ein Medienforscher freimütig zu, dass er selbst bei höchst interessanten Gesprächen nicht umhinkönne, zu mindest ab und zu mal kurz zum Bildschirm zu schauen (Tannenbaum, 2002). Sensorische Adaptation beeinflusst sogar, wie wir Emotionen wahrnehmen. Unter Verwendung eines künst lich hergestellten Gesichts, das zu einer Hälfte aus einem wütenden Gesicht und zur anderen aus einem ängstlichen Gesicht zusammengesetzt war, zeigte eine Untersuchung, dass sich unser visuelles System an einen stabilen Gesichts ausdruck gewöhnt, indem es schwächer auf ihn reagiert (Butler et al., 2008; . Abb. 7.8). Dieser Effekt wird nicht von unseren Netzhäuten erzeugt, sondern von unserem Gehirn. Wir wissen dies, weil dieser Effekt auch dann auf
b Auge aufgrund der sensorischen Adaptation daran. Statt des kom pletten Bildes sieht die Versuchsperson nur noch Fragmente davon verschwinden und wieder auftauchen. (Aus Pritchard, 1961, © R. M. Pritchard)
263
7.1 • Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
..Abb. 7.8 Emotionale Adaptation. Schauen Sie sich das wütende Gesicht auf der linken Seite für 20–30 Sekunden an und schauen Sie dann auf das Gesicht in der Mitte (es sieht ver ängstigt aus, richtig?). Schauen Sie dann 20–30 Sekunden lang auf das ängstliche Gesicht auf der rechten Seite, bevor Sie zum Gesicht in der Mitte zurück kehren (es sieht jetzt wütend aus, richtig?). (Aus Butler et al., 2008, Copyright 2008, reprinted with permission from Elsevier)
tritt, wenn wir mit einem Auge eines der Seitenbilder und mit dem anderen Auge das mittlere Bild betrachten. Merken Sie sich: Unsere Sinnesrezeptoren reagieren auf neuartige Reize. Werden sie mit Wiederholungen gelangweilt, machen sie unsere Aufmerksamkeit für wichtigere Dinge frei. Wir werden dieses Prinzip immer wieder beobachten: Wir nehmen die Welt um uns herum nicht genau so wahr, wie sie ist, sondern so, wie es für uns sinnvoll ist, sie wahrzunehmen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum ist es so, dass Sie nach einer Weile auf hören, zu spüren, dass Sie Schuhe tragen (bis Fra gen wie diese Ihre Aufmerksamkeit wieder darauf lenken)?
7.1.5 Wahrnehmungsset
Und nun fragen Sie sich einmal: Handelt es sich bei dem Bild in der Mitte von . Abb. 7.10 um eine junge oder eine alte Frau? Was wir in einer solchen Zeich nung sehen, kann davon beeinflusst sein, welches der beiden eindeutigeren Bilder daneben wir zuerst an geschaut haben (Boring, 1930). Ähnlich verhält es sich mit . Abb. 7.11. >>There
Are Two Errors in The The Title Of This Book Buchtitel von Robert M. Martin (2011) Haben Sie in diesem Buchtitel wahrgenommen, was Sie erwartet haben – und deswegen die Fehler übersehen? Sollten Sie immer noch unsicher sein, lesen Sie die Er klärung unten. (Der erste Fehler im Buchtitel ist die Wiederholung des Artikels „The“. Der ironische zweite Fehler ist die unzutreffende Behauptung, dass der Titel zwei Fehler enthält, obwohl es tatsächlich nur ein ein ziger ist.)
?? 7.6 Wie nehmen unsere Erwartungen, Kontexte,
Motivation und Emotionen Einfluss auf unsere Wahr nehmung?
Jeder weiß: Sehen heißt glauben. Was wir aber nicht so recht wahrhaben wollen, ist, dass ebenfalls das Umge kehrte gilt: Glauben heißt sehen. Durch Erfahrungen erwarten wir bestimmte Ergebnisse. Diese Erwartungen können uns ein Wahrnehmungsset vorgeben, ein Set men taler Tendenzen und Annahmen, welches das, was wir wahrnehmen, entscheidend beeinflusst (top-down). Ein Wahrnehmungsset kann beeinflussen, was wir hören, schmecken, fühlen und sehen (. Abb. 7.9). Wahrnehmungsset („perceptual set“) – mentale Prädis
position, etwas Bestimmtes wahrzunehmen und nicht etwas anderes.
..Abb. 7.9 (© Leo Cullum/Search ID: CC52652, Rights Available from CartoonStock.com)
7
264
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.10 Wahrnehmungsset. Zeigen Sie einem Freund entweder das rechte oder das linke Bild. Dann zeigen Sie ihm das mittlere Bild und fragen Sie: „Was siehst du?“ Ob Ihr Freund angibt, das Gesicht einer jungen Frau oder das Profil einer alten Frau zu sehen, mag daran liegen, welche der anderen beiden Zeichnungen er zuerst gesehen hat. In jedem dieser Bilder ist die Bedeutung eindeutig und wird Wahrnehmungserwartungen ent stehen lassen
7
Jeden Tag begegnen uns viele Beispiele von Wahrneh mungssets. Im Jahr 1972 veröffentlichte eine britische Zeitung die unretuschierten Originalbilder eines „Mons ters“ im schottischen Loch Ness – „die faszinierendsten Fotos, die je aufgenommen wurden“, so der Kom mentar der Zeitung. Wenn diese Information bei Ihnen dieselben Erwartungen hervorruft wie bei den meisten Lesern dieser Zeitung, werden auch Sie in dem Foto von . Abb. 7.12 ein Monster sehen. Doch als sich ein skeptischer Forscher die Fotos mit anderen Erwartungen anschaute, sah er darin einen gekrümmten Baumstamm, den auch andere an jenem Tag, als das Foto aufgenom men wurde, im Wasser gesehen hatten (Campbell, 1986). Darüber hinaus werden Sie jetzt mit diesem anderen Wahrnehmungsset feststellen, dass der Gegenstand be wegungslos im Wasser treibt und keine kleinen Wirbel oder Wellenbewegungen um sich herum erzeugt. Das passt nicht gerade zu dem, was wir von einem lebendigen Monster erwarten würden. Ein Wahrnehmungsset kann auch das beeinflussen, was wir hören. Ein Beispiel dafür ist der freundliche Pilot, der beim Beschleunigen zum Starten zu seinem deprimierten Kopiloten hinüberschaute und sagte: „Cheer up“ (Kopf hoch). Der Kopilot hörte das übliche „Gear up“ (Fahr
gestell einfahren) und fuhr prompt die Räder ein, bevor das Flugzeug abgehoben hatte (Reason & Mycielska, 1982). Wenn Sie Bekannten von einem Paar berichten, das unter seinen Erfahrungen mit „bad sects“ (schlechten Sekten) leidet, könnten Sie feststellen, dass Ihre Zuhöre rinnen und Zuhörer (je nachdem, was ihnen gerade durch den Kopf geht) eventuell etwas ganz anderes hören („bad sex“, schlechter Sex). Der Erzählkontext bestimmt, ob Sie „the stuffy nose“ (die verstopfte Nase) oder „the stuff he knows“ (das Zeug, das er weiß) hören. Und in Abhängig keit von Ihrem Wahrnehmungsset wird ein „meteorologist“ (Meteorologe), der das Wetter vorhersagt, schnell zu einem muskulösen Nierenspezialisten, einem „meaty urologist“. Oder betrachten Sie diese eigenartige Frage: Wenn Sie etwas sagen, sich selbst jedoch etwas Anderes sagen hören, was würden Sie annehmen, dass Sie tatsächlich gesagt haben? Um genau das herauszufinden, forderte ein cleveres schwedisches Forschungsteam seine Versuchs personen dazu auf, eine Schriftfarbe zu benennen, also etwa „grau“ zu sagen, wenn ihnen das Wort „grün“ in
..Abb. 7.11 Wenn wir von links nach rechts lesen, führen unsere Erwartungen dazu, dass wir das, was in der Mitte steht, anders wahr nehmen als wenn wir von oben nach unten lesen
..Abb. 7.12 Glauben ist Sehen. Was nehmen Sie auf diesem Foto wahr? Ist das Nessie, das Ungeheuer von Loch Ness, oder ein Baum stamm? (© Photoshot/picture alliance)
265
7.1 • Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
grauer Schrift gezeigt wurde (Lind et al., 2014). Die Ver suchspersonen hörten sich selbst über ein schalldichtes Headset. Allerdings spielte das verschlagene Forschungs team gelegentlich die eigene Stimme der Versuchsperso nen ab, die zuvor während der Untersuchung aufgenom men worden war, wobei sie z. B. „grün“ durch „grau“ ersetzten. Überraschenderweise bemerkten die Versuchs personen diesen Wechsel in der Regel nicht und nahmen an, dass Sie das abgespielte Wort selbst gesagt hatten. Was sie hörten, beeinflusste also ihre Wahrnehmung dessen, was sie gerade gesagt hatten. In gleicher Weise beeinflusst ein Wahrnehmungsset den Geschmack. In einem Experiment bewerteten Vorschulkinder Pommes frites auf einer Skala von 6 bis 1. Sie urteilten, dass die gleichen Pommes dann besser schmeckten, wenn sie in einer McDonalds-Tüte serviert wurden als in einer ein fachen weißen Tüte (Robinson et al., 2007). Bei einem anderen Experiment wurden Kneipeninhaber:innen auf dem Campus des Massachusetts Institute of Technology (MIT) dazu aufgefordert, Freibier zu kosten (Lee et al., 2006). Als die Forschenden ein paar Tropfen Essig in ein Markenbier kippten und es „MIT Brew“ nannten, bevor zugten die Verkoster:innen es gegenüber einem namen losen Bier – es sei denn ihnen wurde gesagt, dass sie Bier mit Essig trinken. Dann erwarteten sie einen schlechteren Geschmack und erlebten ihn für gewöhnlich auch.
» „Wir hören und begreifen nur, was wir schon halb wis sen.“ Henry David Thoreau, Journal (1860)
Was legt unser Wahrnehmungsset fest? Aufgrund unserer Erfahrungen bilden wir Konzepte oder Schemata, mit Hilfe derer wir unbekannte Informationen organisieren und interpretieren. Unsere bereits bestehenden Schemata von Monstern und Baumstämmen haben einen Einfluss darauf, wie wir uneindeutige Empfindungen nach dem Top-down-Prinzip interpretieren. Im Alltag können Geschlechterstereotype (ein weite res Beispiel für ein Wahrnehmungsset) die Wahrnehmung färben. Ohne die offenkundigen Hinweise der Farben Rosa oder Blau, quälen Leute sich mit der Frage, ob sie ein Neugeborenes „er“ oder „sie“ nennen sollen. Aber sobald ihnen gesagt wird, dass das Kleinkind „David“ heißt, werden die Menschen (besonders Kinder) „ihn“ als größer und stärker wahrnehmen, als wenn das gleiche Kind „Diana“ genannt wird (Stern & Karraker, 1989). Einige Unterschiede existieren, wie es scheint, nur im Auge des Betrachters bzw. der Betrachterin. 7.1.6
Kontext, Motivation und Emotion
Wahrnehmungssets beeinflussen, wie wir Reize inter pretieren. Aber auch unser unmittelbarer Kontext sowie die Motivation und Emotionen, die wir in eine Situation mitbringen, beeinflussen unsere Interpretationen.
Kontext Der Sozialpsychologe Lee Ross machte uns
mit den folgenden Worten auf unsere eigenen Wahr nehmungsunterschiede in unterschiedlichen Kontexten aufmerksam: „Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Sie, wenn Sie Auto fahren, Fußgänger hassen, die Art, wie sie über den Zebrastreifen schlendern und Sie fast dazu herausfordern, sie anzufahren, aber wenn Sie zu Fuß gehen, hassen Sie Autofahrer?“ (Jaffe, 2004). Hier sind einige weitere Beispiele, die uns auf Kon texteinflüsse aufmerksam machen: Menschen, die eine Schusswaffe in ihrer Hand hal ten, neigen eher dazu, andere Personen ebenfalls als bewaffnet wahrzunehmen. Dieses Phänomen hat dazu geführt, dass einige unbewaffnete Menschen erschossen wurden, die lediglich ein Handy oder eine Brieftasche in der Hand hielten (Witt & Brockmole, 2012). Stellen Sie sich vor, Sie hörten ein Geräusch, das von den Worten „ad am Wagen“ unterbrochen würde. In diesem Fall würden Sie das erste Wort wahrscheinlich als „Rad“ wahrnehmen. Lauteten die Worte hingegen „ad und WC“, würden Sie „Bad“ hören. Ein Zusam menhang erzeugt in beiden Fällen eine Erwartung, die nach dem Top-down-Prinzip wiederum unsere Wahrnehmung der zuvor gehörten Worte beeinflusst (Grossberg, 1995). Unser kultureller Kontext prägt unsere Wahrnehmun gen, weswegen es kaum überrascht, dass Menschen aus unterschiedlichen Kulturen Dinge unterschiedlich wahrnehmen, wie . Abb. 7.13 zeigt. Und wie fühlt sich die Frau in . Abb. 7.14? Der Kon text in . Abb. 7.15 sollte jeglichen Zweifel aufheben.
-
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Erfordert ein Wahrnehmungsset Bottom-up- oder Top-down-Verarbeitung? Warum?
Motivation Motive erfüllen uns mit der nötigen Energie,
um auf Ziele hinzuarbeiten. Wie auch der Kontext kön nen sie unsere Interpretationen neutraler Reize verzerren. Betrachten Sie etwa die folgenden Befunde: Begehrte Objekte, wie etwa eine Flasche Wasser, wenn man durstig ist, erscheinen näher als sie tatsächlich sind (Balcetis & Dunning, 2010). Dieser Wahrnehmungs bias gibt uns den Antrieb, uns dafür anzustrengen. Ein Hügel, der erklommen werden soll, wirkt stei ler, wenn wir einen schweren Rucksack tragen, und ein Wanderziel weiter entfernt, wenn wir müde sind (Burrow et al., 2016; Philbeck & Witt, 2015; Proffitt 2006a,b). Das Einhalten einer Diät kann unseren bio logischen „Rucksack“ leichter machen (Taylor-Covill & Eves, 2016). Wenn schwergewichtige Menschen Ge wicht verlieren, erscheinen ihnen Hügel und Treppen nicht mehr so steil.
-
7
266
7
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.13 Kultur und Kontexteffekte. Was befindet sich über dem Kopf der Frau? In einer klassischen Studie sagten fast alle Ostafrikaner, die befragt wurden, dass die Frau eine Metallkiste oder ‑dose auf ihrem Kopf balanciere (eine für die da malige Zeit gewöhnliche Art und Weise, Wasser zu transportieren) und dass die Familie unter einem Baum sitze. Menschen aus dem westlichen Kulturkreis, für die Ecken und kastenartige Archi tektur alltäglicher sind, nahmen mit größerer Wahrscheinlichkeit eine Familie wahr, die in einem Gebäude ist und eine Frau, die unter einem Fenster sitzt. (Nach Gregory & Gombrich, 1973)
beobachten: Ein Ziel als größer wahrzunehmen – wie es etwa der Fall ist, wenn Sportler:innen sich direkt auf ein Ziel konzentrieren – verbessert die Leistung (Witt et al., 2012). Emotion Andere raffinierte Experimente haben gezeigt,
-
dass unsere Emotionen unsere Wahrnehmungen in unter schiedliche Richtungen verschieben können. Wenn Menschen traurige Musik hören, kann es sie dahingehend beeinflussen, dass sie bei gesprochenen, homophonen (gleichklingenden) Wörtern eher eine traurige Bedeutung wahrnehmen (z. B. Leere statt Lehre; Halberstadt et al., 1995). Ein Hügel wirkt weniger steil, wenn Menschen das Gefühl haben, dass andere sie verstehen (Oishi et al., 2013b) Wenn Menschen wütend sind, nehmen sie neutrale Objekte häufiger als Schusswaffen wahr (Baumann & DeSteno, 2010). Wenn Menschen durch die unter schwellige Darbietung eines grimmigen Gesichtsaus drucks leicht verärgert wurden, nehmen sie ein neu trales Gesicht als weniger attraktiv und sympathisch wahr (Anderson et al., 2012). ..Abb. 7.14 Welche Emotion ist das? (Siehe . Abb. 7.15, Craig Klom parens/Hope College, mit freundlicher Genehmigung)
-
Ein Softball wirkt größer, wenn man ihn gut trifft, wie sich zeigt, wenn Spieler:innen gebeten werden, einen Kreis auszuwählen, der genau die Größe hat wie der Ball, den sie gerade gut oder schlecht getroffen haben. Auch ein gegenseitiges Phänomen lässt sich
» „Wenn du den Ball triffst, sieht er aus wie eine Grape
fruit, wenn er auf dich zukommt. Wenn du ihn nicht triffst, sieht er aus wie eine Bohne.“ Ehemaliger SpitzenBaseball-Spieler George Scott
Emotionen und Motive färben auch unsere sozialen Wahrnehmungen. Menschen nehmen Einzelhaft, Schlaf entzug und kalte Temperaturen häufiger als „Folter“ wahr, wenn sie selbst eine kleine Dosis davon erlebt ha
267
7.1 • Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
..Abb. 7.15 Kontext schafft Klarheit. Die Volleyballmann schaft des Hope College feiert den Gewinn der nationalen Meisterschaft. (Craig Klompa rens/Hope College, mit freund licher Genehmigung)
ben (Nordgren et al., 2011). Ehepartner:innen, die sich geliebt und geschätzt fühlen, nehmen belastende Ereig nisse in der Ehe als weniger bedrohlich wahr: „Er/Sie hat nur einen schlechten Tag“ (Murray et al., 2003). Was ist also die Moral von all diesen Beispielen? Vieles von dem, was wir wahrnehmen, kommt nicht nur daher, was wirklich um uns herum vor sich geht, sondern wird auch davon bestimmt, was sich hinter unseren Augen und zwischen unseren Ohren abspielt. Durch Top-downVerarbeitung können unsere Erfahrungen, Annahmen, Erwartungen – und sogar unser Kontext, unsere Moti vation und unsere Emotionen – unsere Sicht der Realität formen und färben. 7.1.7
Rückblick: Grundprinzipien sensorischer Wahrnehmung
Verständnisfragen
7.1 – Was verstehen wir unter Sinnesempfindung und
Wahrnehmung? Und was unter „Top-down“- und „Bot tom-up“-Verarbeitung? 7.2 – Welche drei Schritte sind grundlegend für alle sen sorischen Systeme? 7.3 – Was versteht man unter absoluter Schwelle und Unterschiedsschwelle? 7.4 – Wie werden wir von subliminalen Reizen beein flusst? 7.5 – Welchen Nutzen ziehen wir aus sensorischer Adap tation? 7.6 – Wie nehmen unsere Erwartungen, Kontexte, Mo tivation und Emotionen Einfluss auf unsere Wahrneh mung?
--------
Schlüsselbegriffe Absolute Schwelle Bottom-up-Verarbeitung Priming Psychophysik Sensorische Adaptation Signaldetektionstheorie Sinnesempfindung Sinnesrezeptoren Subliminal Top-down-Verarbeitung Transduktion Unterschiedsschwelle Wahrnehmung Wahrnehmungsset Weber’sches Gesetz
Master the Material 1. Sinnesempfindung verhält sich zu ___ wie Wahrneh mung zu ___. a. Absolute Schwelle; Unterschiedsschwelle b. Bottom-up-Verarbeitung; Top-down-Verarbei tung c. Interpretation; Detektion d. Grouping; Priming 2. Den Prozess, mit dessen Hilfe wir sensorische Infor mationen organisieren und interpretieren, bezeichnet man als ___ 3. Subliminale Reize sind … a. zu schwach, um vom Gehirn verarbeitet zu wer den. b. in mehr als 50 % aller Fälle bewusst wahrnehmbar. c. stark genug, um unser Verhalten in mindestens 75 % aller Fälle zu beeinflussen. d. unterhalb der absoluten Schwelle bewusster Wahr nehmung.
7
268
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.16 Die Wellenlängen, die wir sehen können. Was wir als Licht sehen ist nur ein winziger Ausschnitt eines breiten Spektrums elektromagnetischer Energie, das sich von den γ-Strahlen (Gammastrah len), die so kurz sind wie der Durchmesser eines Atoms, bis zu den Radiowellen, die über eine Meile lang sind, erstreckt. Die Wellenlängen, die für das menschliche Auge sichtbar sind (hier in Vergrößerung gezeigt), reichen von den kürzeren Wellen des blauvioletten Lichts bis zu den längeren Wellen des roten Lichts
Weißes Licht
Prisma
7 400
500
600
700
Für das menschliche Auge sichtbarer Spektrumsausschnitt
γ-Strahlen 10–5
10–3
Röntgenstrahlen 10–1
4. Ein anderer Begriff für Unterschiedsschwelle lautet _____. 5. Das Weber’sche Gesetz besagt, dass ein Unterschied nur dann bemerkt wird, wenn sich zwei Reize unter scheiden um … a. einen festen oder konstanten Wert. b. einen konstanten Mindestprozentsatz. c. einen sich kontinuierlich verändernden Wert. d. mehr als 7 %. 6. Sensorische Adaptation hilft uns dabei, uns auf ___ zu konzentrieren. a. visuelle Reize b. auditorische Reize c. konstante Eigenschaften unserer Umwelt d. wichtige Veränderungen in unserer Umwelt 7. Unser Wahrnehmungsset beeinflusst, was wir wahr nehmen. Diese mentale Verzerrung spiegelt unsere ___ wider. a. Erfahrungen, Annahmen und Erwartungen b. Sensorische Adaptation c. Primingfähigkeit d. Unterschiedsschwelle
UVStrahlen
InfrarotStrahlen
Radarwellen
Radiowellen
101 103 105 107 109 1011 Wellenlänge in Nanometer (ein Milliardstel Meter)
1013
7.2 Sehen 7.2.1
Lichtenergie und Augenstruktur
?? 7.7 Was sind die Eigenschaften der Energie, die wir
als sichtbares Licht sehen? Welche Strukturen in unserem Auge helfen dabei, diese Energie zu bündeln?
Unsere Augen empfangen Lichtenergie und wandeln diese in neuronale Botschaften um. In einem der größ ten Wunder der Natur verarbeitet unser Gehirn an schließend diesen neuronalen Input zu dem, was wir bewusst sehen. Wie vollzieht sich dieser bemerkenswerte Prozess, den wir als selbstverständlich voraussetzen, im Einzelnen?
Reizinput Lichtenergie Wenn Sie eine leuchtend rote Tulpe betrachten, sind das, was auf Ihr Auge trifft, nicht rote Farbpartikel, sondern es sind Wellen elektromagnetischer Energie, die unser visuelles System als rot wahrnimmt. Was wir als sichtbares Licht sehen, ist nur ein winziger Ausschnitt aus dem gesamten Spektrum der elektromagnetischen Energie, wie . Abb. 7.16 verdeutlicht. An einem Ende dieses Spektrums befinden sich die kurzen Wellenlängen
269
7.2 • Sehen
a
b
..Abb. 7.17 a,b Die physikalischen Eigenschaften von Wellen. a Wel len unterscheiden sich in ihrer Wellenlänge (dem Abstand zwischen aufeinanderfolgenden Scheitelpunkten). Die Frequenz ist die Anzahl vollständiger Wellenlängen, die einen Punkt in einem bestimmten Zeitraum durchlaufen können, und hängt von der Wellenlänge ab.
Je kürzer die Wellenlänge ist, desto höher ist die Frequenz. Die Wel lenlänge bestimmt, in welcher Farbe wir Licht wahrnehmen. b Wellen unterscheiden sich auch in ihrer Amplitude (dem Höhenunterschied zwischen Scheitelpunkt und Tiefpunkt). Die Amplitude einer Welle bestimmt die wahrgenommene Helligkeit des Lichtes
der γ-Strahlen (Gammastrahlen), deren Durchmesser lediglich dem eines Atoms entspricht. Am anderen Ende befinden sich die kilometerlangen Wellen der Radio übertragung. Dazwischen liegt der kleine Bereich, der für uns sichtbar ist. Andere Organismen verfügen über Sensibilität für andere Ausschnitte des Spektrums. So können Bienen beispielsweise kein Rot, dafür aber ultra violettes Licht sehen. Licht breitet sich in Wellen aus und die Form dieser Wellen beeinflusst, was wir sehen. Die Wellenlänge des Lichts – der Abstand zwischen den Scheiteln von zwei aufeinander folgenden Wellenbergen (. Abb. 7.17a) – bestimmt den Farbton (die Farbe, die wir wahrnehmen, wie etwa die grünen Blätter oder roten Blütenblätter der Tulpe). Die Amplitude oder Höhe einer Welle bestimmt ihre Intensität, d. h. die Energiemenge der Lichtwelle. Die Intensität bestimmt die Leuchtkraft der Farben (. Abb. 7.17b). Um zu verstehen, wie wir physikalische Energie in Farbe und Bedeutung umwandeln, müssen wir zunächst verstehen, wie das Auge, das Fenster unseres Sehver mögens, funktioniert.
nehmen und die von der Amplitude (Höhe) der Wellen abhängt. Retina (auch Netzhaut; „retina“) – lichtempfindliche innere Oberfläche des Auges, in der die Stäbchen und Zapfen der Fotorezeptoren sowie Neuronenschichten enthalten sind, in denen die Verarbeitung der visuellen Information beginnt. Akkommodation („accomodation“) – Anpassungsvor gang, bei dem die Augenlinse ihre Form verändert, um nahe oder entfernte Gegenstände auf der Retina scharf abzubilden.
Wellenlänge („wavelength“) – Abstand zwischen den
Scheitelpunkten von zwei aufeinander folgenden Wellen. Das Spektrum der elektromagnetischen Wellenlägen reicht von den kurzen Impulsen der kosmischen Strahlen bis zu den Langwellen, die für die Radioübertragung ver wendet werden. Farbton („hue“) – Farbdimension, die durch die Wellen länge des Lichts bestimmt wird und die wir als die uns bekannten Farben Blau, Grün etc. wahrnehmen. Intensität („intensity“) – Energiemenge von Licht oder Klangwellen, die wir als Helligkeit oder Lautstärke wahr
Das Auge Das Licht dringt in das Auge durch die Kornea (Horn haut) ein, die das Auge schützt und das Licht beugt, um die Strahlen zu bündeln (. Abb. 7.18). Das Licht pas siert dann die Pupille, eine kleine verstellbare Öffnung. Die Größe der Pupille wird von der Iris reguliert, einem farbigen Muskel, der die Pupille umgibt und sich in Ab hängigkeit der Lichtintensität erweitert oder verengt. Aufgrund der Einzigartigkeit jeder Iris kann mit Hilfe von Irisscannern die Identität eines Menschen eindeutig festgestellt werden. Die Iris reagiert auf Ihre kognitiven und emotionalen Zustände. Stellen Sie sich etwa einen sonnigen Himmel vor, verengt sie sich, wodurch Ihre Pupille kleiner wird. Stellen Sie sich hingegen einen dunklen Raum vor, weitet sich Ihre Iris (Laeng & Sulutvedt, 2014). Die Iris ver engt sich auch, wenn Sie im Begriff sind, eine Frage mit „Nein“ zu beantworten oder wenn Sie Ekel empfinden (de Gee et al., 2014; Goldinger & Papesh, 2012). Und wenn Sie sich verliebt fühlen, signalisieren Ihre deutlich geweiteten Pupillen und dunklen Augen auf subtile Weise Ihr Interesse. Hinter der Pupille sitzt eine Linse, die die einfallenden Lichtstrahlen bündelt und auf der Retina (Netzhaut),
7
270
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.18 Das Auge. Die von einer Kerze reflektierten Lichtstrahlen fallen durch die Kornea (Hornhaut), die Pupille und die Linse in das Auge ein. Die Krümmung und die Dicke der Linse verändern sich, um jeweils ein scharfes Bild von entfernten oder nahen Gegenständen auf der Retina entstehen zu lassen. Die Lichtstrahlen von der Spitze der Kerze treffen auf den unteren Teil der Retina auf und die von links kommenden Lichtstrahlen auf den rechten Teil. Das auf die Retina projizierte Bild ist damit seitenver kehrt und steht auf dem Kopf
7
Retina
Linse Pupille
Fovea (Sehgrube)
Iris
einem mehrschichtigen Gewebe auf der lichtempfindli chen inneren Oberfläche des Augapfels, zu einem Bild vereinigt. Dazu wird die Wölbung und Dicke der Linse verändert, ein Vorgang, der auch Akkommodation ge nannt wird. Seit Jahrhunderten kennen Wissenschaftler:innen fol gendes Phänomen: Projiziert man das Bild einer Kerze durch eine kleine Öffnung auf einen dunklen Hinter grund, dann steht ihr Abbild hinter der Öffnung auf dem Kopf. Wenn also die Retina ein auf dem Kopf stehendes Bild empfängt, wie in . Abb. 7.18, wie kommt es dann, dass wir die Welt nicht auf dem Kopf sehen? Der stets neugierige Leonardo da Vinci hatte eine Idee: Vielleicht lag es an den wässrigen Flüssigkeiten, die die Licht strahlen beugen und so eine erneute Umkehrung des auf dem Kopf stehenden Bildes bei Auftreffen auf der Retina erzeugen. Schließlich wies jedoch der Astronom Johannes Kepler, der sich auch mit den theoretischen Grundlagen der Optik beschäftigte, im Jahre 1604 nach, dass die Retina tatsächlich auf dem Kopf stehende Bilder von der Welt empfängt (Crombie, 1964). Wie können wir aber eine solche „verkehrte“ Welt verstehen? Der ratlose Kepler erwiderte darauf: „Das überlasse ich den eigent lichen Philosophen.“ Mittlerweile ist die Antwort klar: Die Retina „sieht“ das Bild nicht als Ganzes. Vielmehr wandeln ihre Millio nen von Rezeptorzellen Lichtenergie in Nervenimpulse um. Diese Impulse werden an das Gehirn weitergeleitet und dort zu einem wahrgenommenen Bild zusammen gebaut, das nicht auf dem Kopf steht. Und auf dem Weg dorthin durchreist die visuelle Informationsver arbeitung immer abstraktere Ebenen. Der Prozess ist in etwa so, als würde man ein Haus auseinandernehmen und mit unzähligen Fachkräften an anderer Stelle wie der aufbauen. Dass all dies kontinuierlich und mühelos geschieht, ist nicht nur beachtlich: Es ist ehrfurcht gebietend. Zudem geschieht dies alles mit erstaunlicher Ge schwindigkeit. Bedenken Sie: Wenn sich der Fastball eines Baseball-Pitchers dem Schlagmal nähert, bahnen sich die Lichtsignale ihren Weg von der Netzhaut des Schlägers zum visuellen Kortex, der wiederum den motorischen Kortex informiert, der zuletzt Befehle zur
Kornea (Hornhaut)
Blinder Fleck
Sehnerv zum visuellen Kortex des Gehirns
Muskelkontraktion sendet – und das alles innerhalb der Vierzehntelsekunde, in der der Ball im Flug ist. 7.2.2
Informationsverarbeitung im Auge und im Gehirn
?? 7.8 Wie verarbeiten die Stäbchen und Zapfen In
formationen und auf welchem Weg gelangen diese Informationen vom Auge zum Gehirn?
Der Weg vom Auge zum Gehirn Wenn Sie einem einzelnen Lichtenergieteilchen in Ihr Auge folgen könnten, würden Sie sehen, dass es zu nächst die äußere Zellschicht der Retina durchdringt und dann zu den beinahe 130 Mio. Fotorezeptor zellen darunter, den Stäbchen und Zapfen, gelangt (. Abb. 7.19). Dort bewirkt die auftreffende Licht energie chemische Veränderungen, die wiederum neu ronale Signale erzeugen. Diese Signale aktivieren die benachbarten Bipolarzellen, die ihrerseits die daneben liegenden Ganglienzellen aktivieren. Die Axone aus dem Netz von Ganglienzellen laufen wie die Stränge eines Seils im Sehnerv (Nervus opticus) zusammen. Nach einem kurzen Zwischenstopp im Thalamus kommen die Informationen dann an Ihrer Endstation an, dem visuellen Kortex im Okzipitallappen, der im hinteren Teil des Gehirns liegt. Der Sehnerv ist die Informationsschnellstraße vom Auge zum Gehirn. Er ist dazu in der Lage, nahezu 1 Mio. Botschaften gleichzeitig zu übersenden und zwar durch fast 1 Mio. Ganglienfasern. (Der Hör nerv, der das Hören ermöglicht, kann viel weniger Informationen durch seine 30.000 Nervenfasern über mitteln). Für diese Hochgeschwindigkeitsverbindung zahlen wir allerdings einen kleinen Preis. An der Stelle, an der der Sehnerv das Auge verlässt, sind keine Re zeptorzellen vorhanden, wodurch ein sog. blinder Fleck entsteht (. Abb. 7.20). Wenn Sie ein Auge schließen, dann werden Sie allerdings kein schwarzes Loch sehen. Ohne Ihre Zustimmung einzuholen, füllt Ihr Gehirn das Loch aus.
..Abb. 7.19 Reaktion der Retina auf Licht
7
271
7.2 • Sehen
2. Die chemische Reaktion wiederum aktiviert die Bipolarzellen.
1. Licht, das ins Auge fällt, löst eine chemische Reaktion in den Stäbchen und Zapfen auf der Rückseite der Retina aus.
3
2
1
Licht Zapfen Stäbchen GanglienGanglionzelle Bipolarzelle
Neuronaler Impuls
Licht 3 2
1 Querschnitt der Retina
Sehnerv
Zum visuellen Kortex des Gehirns über den Thalamus
3. Die Bipolarzellen aktivieren dann die Ganglienzellen, deren Axone zusammenlaufen und den Sehnerv bilden. Dieser Nerv leitet die Informationen (über den Thalamus) an das Gehirn weiter.
Stäbchen („rods“) – Fotorezeptoren auf der Retina, die
Schwarz, Weiß und Grau erkennen können und für das periphere Sehen und das Sehen in der Dämmerung er forderlich sind, wenn die Zapfen nicht reagieren. Zapfen („cones“) – Fotorezeptorzellen, die insbesondere um die Mitte der Retina angesiedelt sind und die am besten bei hellem Tageslicht und bei guter Beleuchtung funktionieren. Mit Hilfe der Zapfen können feine Details unterschieden und Farben empfunden werden. Sehnerv (Nervus opticus; „optic nerve“) – Nerv, über den die Nervenimpulse vom Auge ins Gehirn gelangen. Blinder Fleck („blind spot“) – Punkt der Netzhaut, an dem der Sehnerv das Auge verlässt und ein „blinder“ Fleck entsteht, weil hier keine Rezeptorzellen vorhanden sind. Prüfen Sie Ihr Wissen
– An der Stelle, an der der Sehnerv das Auge ver lässt, gibt es keine Rezeptorzellen. Das erzeugt beim Sehen einen blinden Fleck. Hier eine kleine
..Abb. 7.20 Der blinde Fleck
Demonstration: Schließen Sie das linke Auge, schauen Sie auf den Punkt in . Abb. 7.20 und be wegen Sie dann diese Seite langsam vom Gesicht, bis eines der beiden Autos nicht mehr sichtbar ist (welches wird das wohl sein?). Wiederholen Sie das mit Ihrem rechten Auge – und Sie werden sehen, dass nun das andere Auto verschwindet. Können Sie erklären, warum das so ist?
Die Stäbchen und die Zapfen unterscheiden sich darin, wo sie sich befinden und welche Aufgaben sie erfüllen (. Tab. 7.1). Die Zapfen treten gehäuft um die Fovea (Sehgrube) herum auf, den Bereich des schärfsten Sehens der Retina (. Abb. 7.18). Viele Zapfen haben eine direkte Verbindung zum Gehirn – Bipolarzellen, mit deren Hilfe die einzelnen Botschaften der Zapfen an die Sehrinde weitergeleitet werden, von der ein großer Bereich den Signalen aus der Fovea vorbehalten ist. Durch diese di rekten Verbindungen bleiben die präzisen Informationen der Zapfen erhalten, die eher imstande sind, feine Einzel
272
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Tab. 7.1 Rezeptorzellen im menschlichen Auge: stäbchen förmige Stäbchen und zapfenförmige Zapfen
7
Zapfen
Stäbchen
Anzahl
6 Mio.
120 Mio.
Ort auf der Netzhaut
Zentrum
Peripherie
Dämmerungsempfindlichkeit
Gering
Hoch
Farbempfindlichkeit
Ja
Nein
Detailempfindlichkeit
Ja
Nein
heiten zu unterscheiden. Obwohl Zapfen Weiß erkennen können, ermöglichen sie auch die Farbwahrnehmung (Sa besan et al., 2016). Aber bei schwachem Licht werden sie unempfindlich, sodass wir keine Farben sehen können.
..Abb. 7.21 Wie viele Punkte können Sie auf einmal sehen? Schauen Sie genau auf einen der zwölf Punkte oder in seine Nähe, können Sie ihn sehen, nicht aber in Ihrem peripheren Blickfeld. (Mit freundlicher Genehmigung von Akiyoshi Kitaoka)
Fovea (auch Sehgrube; „fovea“) – Punkt des schärfsten
Sehens auf der Retina, um den herum die Zapfen des Auges gehäuft vorkommen. Im Gegensatz zu den Zapfen, die sich in der Mitte der Retina sammeln, befinden sich die Stäbchen in den äu ßeren Bereichen. Stäbchen bleiben bei schwachem Licht empfindlich und ermöglichen das Schwarz-Weiß-Sehen, haben jedoch keine Direktschaltung zum Gehirn. Wenn Sie sich Zapfen als Solisten vorstellen, treten Stäbchen als Chor auf. Mehrere Stäbchen bündeln ihren schwachen Energieoutput und geben ihn an eine gemeinsame Bi polarzellen weiter, wodurch ihre einzelnen Botschaften kombiniert werden. Sowohl Zapfen als auch Stäbchen verfügen über eine besondere Sensibilität: Zapfen für Details und Farbe, Stäbchen für schwaches Licht. Zur Veranschaulichung dieses Unterschieds in Ihrer Netzhaut: Suchen Sie sich aus diesem Satz ein Wort aus und fixieren Sie es, so dass Sie ein scharfes Bild davon auf den Zapfen Ihrer Fovea erhalten. Bemerken Sie, dass die Wörter, die ein paar Zen timeter seitlich davon sind, verschwommen erscheinen? Das Bild dieser Wörter reicht bis in die periphere Region Ihrer Netzhaut, in der überwiegend Stäbchen vorkom men. Wenn Sie also Auto oder Fahrrad fahren, können Sie ein Auto in Ihrem peripheren Gesichtsfeld ausma chen, schon lange bevor Sie dessen Details wahrnehmen. Und in . Abb. 7.21, die zwölf schwarze Punkte zeigt, können Sie gerade mal zwei auf einmal sehen, wobei Ihr Gehirn den weniger deutlichen peripheren Input ausfüllt (Kitaoka, 2016, in Anlehnung an Ninio & Stevens, 2000). Wenn Sie in ein abgedunkeltes Theater kommen oder bei Nacht das Licht ausmachen, passen sich Ihre Augen an. Ihre Pupillen weiten sich, um mehr Licht auf die Re tina zu lassen. In der Regel dauert es aber etwa 20 min oder mehr, bis sich Ihre Augen vollständig adaptiert haben. Die Zeit, die es braucht, um die Augen an die Dunkelheit zu adaptieren, dauert genau so lange, wie der durchschnitt
liche Übergang zwischen Sonnenuntergang und Nacht (die Dämmerung). Welch ein Wunder der Schöpfung! Auf der Eingangsebene leiten die neuronalen Schichten der Retina nicht nur elektrische Impulse weiter. Sie helfen auch bei der Kodierung und Analyse sensorischer Infor mationen. (Die dritte neuronale Schicht im Auge eines Fro sches enthält beispielsweise jene „Fliegendetektor“-Zellen, die nur als Reaktion auf sich bewegende fliegenähnliche Reize feuern.) Im menschlichen Auge leitet jeder Netzhaut bereich seine Informationen an eine entsprechende Stelle im visuellen Kortex weiter, der sich im Okzipitallappen im hinteren Teil des Gehirns befindet (. Abb. 7.22). Dieselbe Empfindlichkeit, die es den Netzhautzel len ermöglicht, Nachrichten an das Gehirn zu senden, kann auch zu Fehlwahrnehmungen führen, wie Sie de monstrieren können. Drehen Sie Ihre Augen nach links, schließen Sie sie und reiben Sie dann vorsichtig mit Ihrer Fingerspitze über die rechte Seite Ihres rechten Augen lids. Beachten Sie den Lichtfleck auf der linken Seite, der sich mit der Bewegung Ihres Fingers bewegt. Warum sehen Sie Licht? Warum auf der linken Seite? Dies passiert, weil Ihre Netzhautzellen so empfindlich sind, dass sie selbst auf Druck ansprechen. Aber Ihr Gehirn interpretiert ihre Signale als Licht. Außerdem interpretiert es dieses Licht als von links kommend – die gewöhnliche Richtung, aus der Licht kommt, das die rechte Seite der Netzhaut aktiviert. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Manche Nachttiere wie Kröten, Mäuse, Ratten und Fledermäuse sehen auch bei schwachem Licht noch sehr gut, weil sie viel mehr ___ (Stäb chen/Zapfen) als ___ (Stäbchen/Zapfen) in ihrer Retina haben. Allerdings sehen diese Tiere wahr
7
273
7.2 • Sehen
..Abb. 7.22 Leitungsbahnen zwischen den Augen und der Sehrinde. Die Axone der Ganglien, aus denen sich der Nervus opticus bildet, setzen sich bis zum Thalamus fort und sind dort mittels Synapsen mit Neuronen verschaltet, die wiederum mit dem visuellen Kortex verbunden sind
Sehzentrum des Thalamus Sehnerv
Retina
Visueller Kortex
scheinlich nur sehr schlecht ___ (Farben/Schwarz und Weiß). – Katzen können ihre ___ viel weiter öffnen als wir und damit mehr Licht hineinlassen, sodass sie in der Nacht besser sehen können.
Farbensehen ?? 7.9 Wie nehmen wir Farben in unserer Umwelt wahr?
Wir reden, als hätten Gegenstände eine Farbe. Wir sagen: „Eine Tomate ist rot.“ Vielleicht haben Sie schon einmal über die alte Frage nachgedacht: „Und wenn nun ein Baum im Wald umfällt und niemand es hört, macht er dann ein Geräusch?“ Wir können uns dasselbe für die Farben fra gen: Wenn niemand die Tomate sieht, ist sie dann rot? Die Antwort ist: Nein. Zunächst ist die Tomate alles andere als rot, vielmehr wirft sie die langen Wellenlängen von Rot zurück, d. h., sie reflektiert sie. Und zweitens ist die Farbe der Tomate ein Produkt unseres Verstands. Denn wie Isaac Newton (1704) es ausdrückte: „Licht strahlen haben keine Farbe.“ Die Farbe ist, wie alle Aspekte des Sehens, keine Eigenschaft des Gegenstands, sondern des „Spektakels“ in unserem Gehirn. Sogar beim Träumen können wir Dinge in Farbe wahrnehmen.
» „Nur die Seele kann hören und sehen; alles andere ist taub und blind.“ Epicharmos, Fragmente (550 v. Chr.)
Wenn wir uns genauer mit dem Sehen beschäftigen, ist eines der grundlegenden und faszinierenden Geheimnisse
die Frage, wie wir die Welt in Farbe sehen. Wie stellt es das Gehirn an, aus der Lichtenergie, die auf die Retina trifft, unsere Erfahrung von Farbe zu erzeugen, noch dazu von einem so großen Spektrum von Farben? Die moderne Detektivarbeit hinsichtlich des Geheim nisses des Farbensehens begann im 19. Jahrhundert, als sich Hermann von Helmholtz, aufbauend auf den Er kenntnissen des englischen Physikers Thomas Young, mit dieser Frage beschäftigte. Young und von Helmholtz wussten, dass sich jede Farbe durch eine Kombination aus den Lichtwellen der drei Grundfarben Rot, Grün und Blau erzeugen lässt. Daraus schlossen sie, dass das Auge drei verschiedene Arten von Farbrezeptoren haben muss, eine für jede Grundfarbe des Lichts. Jahre später bestätigte die Forschung die Dreifarbentheorie von Young und Helmholtz. Mit Hilfe von Messun gen hinsichtlich der Reaktion verschiedener Zapfen auf verschiedene Farbreize, konnte gezeigt werden, dass die Retina tatsächlich über drei verschiedene Farbrezeptor typen verfügt, von denen jeder spezifisch empfindlich auf eine der drei Grundfarben reagiert. Diese Farben sind tat sächlich Rot, Grün oder Blau. Wenn wir Kombinationen dieser Zapfen stimulieren, sehen wir andere Farben. Es gibt beispielsweise keine Rezeptoren, die eine spezifische Sensibilität für Gelb hätten. Gelb sehen wir dann, wenn wir rotes und grünes Licht mischen, welches sowohl rot empfindliche als auch grünempfindliche Zapfen stimuliert. Einer Schätzung zufolge können wir Unterschiede zwischen mehr als 1 Mio. Farbvariationen erkennen (Neitz et al., 2001). Zumindest können das die meisten von uns. Unter 50 Personen gibt es etwa eine, deren Fähig keit des Farbensehens eingeschränkt ist. Diese Person ist in der Regel männlich, denn der Defekt ist genetisch be
274
Kapitel 7 • Wahrnehmung
a
7
b
..Abb. 7.23 a,b Farbenfehlsichtigkeit. a Das Foto links zeigt, wie Menschen mit Rotgrünblindheit ein Footballspiel zwischen den Buffalo Bills und den New York Jets 2015 wahrgenommen haben. „Für die 8 % der Amerikaner, die wie ich eine Rotgrünblindheit haben, ist es ein Alp
traum, dieses Spiel anzuschauen“, twitterte ein Fan. „Jeder sieht aus, als wäre er im selben Team“, schrieb ein anderer. b Das Foto auf der rechten Seite zeigt, wie das Spiel für Menschen mit normalem Farbseh vermögen aussah. (© The New York Times/Redux/laif)
dingt und geschlechtsspezifisch. Die meisten Menschen, die Farben nicht richtig sehen können, sind nicht wirk lich „farbenblind“. Ihnen fehlt es einfach an rot- oder grünempfindlichen Zapfen, manchmal auch an beiden. Ihre Farbenfehlsichtigkeit – vielleicht wissen sie gar nicht davon, weil ihnen das, was sie ein Leben lang gesehen ha ben, normal erscheint – wird als monochromatisch (eine Farbe) oder als dichromatisch (zwei Farben) bezeichnet, wodurch es ihnen unmöglich ist, zwischen dem Rot und dem Grün in . Abb. 7.23 zu unterscheiden (Boynton, 1979). Auch Hunde haben einen Mangel an Rezeptoren für die Wellenlängen von Rot, was dazu führt, dass sie nur über ein beschränktes Farbensehen verfügen, das dichromatisch ist (Neitz et al., 1989).
Grün. Fixieren Sie hingegen ein gelbes Viereck, werden Sie später dessen Gegenfarbe Blau auf dem weißen Pa pier sehen (wie beim Beispiel der Flagge in . Abb. 7.24). Hering vermutete, dass es noch zwei zusätzliche Farb prozesse geben müsse: einen, der für die Rotwahrneh mung im Gegensatz zur Grünwahrnehmung zuständig ist, und einen für die Blauwahrnehmung im Gegensatz zur Gelbwahrnehmung. Ein Jahrhundert später bestätigten Wissenschaftler tat sächlich auch Herings Gegenfarbentheorie. Diese Theorie ist kompliziert, aber hier ist das Wesentliche: Drei Gegen farbenprozesse in der Retina ermöglichen das Farben sehen: Rot und Grün, Blau und Gelb sowie Schwarz und Weiß. Während die entsprechenden Impulse an den visuel len Kortex gesendet werden, werden in der Retina und im Thalamus manche Neuronen durch Rot „eingeschaltet“ und durch Grün „abgeschaltet“. Andere werden wiederum durch Grün „eingeschaltet“ und durch Rot „abgeschaltet“ (DeValois & DeValois, 1975). Wie rote und grüne Mur meln, die man durch eine enge Röhre rollen lässt, können „rote“ und „grüne“ Nachrichten die Röhre nicht gleich zeitig passieren. Deshalb nehmen wir kein rötliches Grün wahr. (Rot und Grün sind somit Gegenspieler.) Aber Rot und Blau laufen durch getrennte Kanäle, daher können wir ein rötlich-blaues Magenta sehen.
Dreifarbentheorie von Young und Helmholtz („YoungHelmholtz trichromatic theory“) – Theorie, die besagt,
dass die Retina drei verschiedene Farbrezeptortypen enthält, von denen einer besonders empfindlich auf Rot reagiert, ein anderer auf Grün und ein dritter auf Blau. Werden sie in Kombination stimuliert, können sie die Wahrnehmung jedes beliebigen Farbtons erzeugen. Wie kommt es aber, dass Menschen, die farbenblind für Rot oder Grün sind (sog. Rotgrünblindheit), häufig trotz dem noch Gelb sehen können? Und warum kommt uns Gelb wie eine reine Farbe und nicht wie eine Mischung aus Rot und Grün vor, wie das bei Lila als Mischung von Rot und Blau der Fall ist? Bald nach Bekanntwerden der Dreifarbentheorie von Young und Helmholtz wies Ewald Hering darauf hin, dass nicht alle Geheimnisse des Farbensehens dadurch erklärt würden. Der Physiologe Hering fand die Lösung im wohl bekannten Auftreten von Nachbildern. Wenn Sie eine Weile ein grünes Quadrat fixieren und dann auf ein weißes Blatt blicken, sehen Sie Rot, die Gegenfarbe von
Gegenfarbentheorie („opponent-process theory“) –
Theorie, derzufolge das Farbensehen auf den retinalen Erregungsverhältnissen der Gegenfarbenpaare beruht (Rot/Grün, Gelb/Blau und Schwarz/Weiß). So werden beispielsweise manche Zellen durch Grün stimuliert und durch Rot gehemmt, andere werden durch Rot stimuliert und durch Grün gehemmt. Wie erklären wir also das Phänomen der Nachbilder, wie beim Beispiel der Flagge? Für Fälle, in denen Grün zu
7.2 • Sehen
275
..Abb. 7.24 Nachbildeffekt. Fixieren Sie eine Minute lang die Mitte der Flagge und schauen Sie dann mit den Augen auf den Punkt in dem weißen Feld daneben. Was sehen Sie? (Nachdem Sie die Reaktion Ih rer Nerven auf Schwarz, Grün und Gelb erschöpft haben, müssten Sie
eigentlich ihre Gegenfarben sehen.) Starren Sie auf eine weiße Wand und stellen Sie fest, wie die Größe der Flagge mit der Projektionsent fernung zunimmt!
Rot wird, lautet die Antwort folgendermaßen: Wir ermü den unsere Grünreaktion durch das Starren auf Grün. Wenn wir danach auf Weiß schauen (das alle Farben enthält, u. a. auch Rot), reagiert nur der rote Teil des Gegenfarbenpaars Grün/Rot normal. Die Farbverarbeitung erfolgt demnach nach heuti gem Forschungsstand grob gesprochen in zwei Phasen. 1. Wie von der Dreifarbentheorie von Young und Helmholtz vorgeschlagen, reagieren die Zapfen der Retina für Rot, Grün und Blau in unterschiedlichen Abstufungen auf verschiedene Farbreize. 2. Diese Signale werden dann vom Nervensystem auf dem Weg zur Sehrinde durch die Gegenfarbenzellen verarbeitet, wie es Hering vorschlug.
Mit Hilfe von Mikroelektroden hatten sie entdeckt, dass einige Neuronen aktiviert werden, wenn Katzen Li nien in einem bestimmten Winkel gezeigt wurden, wäh rend andere Neuronen auf Linien in anderen Winkeln reagierten. Sie vermuteten daher, dass diese spezialisier ten Neuronen, die nun als Merkmalsdetektoren bekannt sind, Informationen von bestimmten Ganglienzellen in der Netzhaut erhalten. Merkmalsdetektoren leiten diese Informationen an andere Areale des Kortex weiter, wo Zellverbindungen (Gruppen von Superzellen), auf kom plexere Reizmuster antworten. Die Forschung hat gezeigt, dass das Affenhirn (und sicher auch unseres) für biologisch signifikante Objekte und Ereignisse eine „riesige visuelle Enzyklopädie“ zur Verfügung hat, die in Form von spezialisierten Zellen verteilt ist (Perrett et al., 1988, 1992, 1994). Diese spre chen jeweils nur auf einen ganz bestimmten Reiz an, wie z. B. einen bestimmten Blick, eine Neigung des Kopfes, eine bestimmte Haltung oder Bewegung des Körpers. Andere Gruppen von Superzellen führen diese Infor mationen dann zusammen und übermitteln ihre Reiz antwort erst, wenn die Hinweisreize kollektiv auf die Richtung der Aufmerksamkeit und Annäherung eines Menschen hindeuten. Diese umgehende Reizauswertung, die unseren Vorfahren das Überleben sicherte, hilft auch beispielsweise einem Fußballtorwart die Richtung eines kurz bevorstehenden Schusses und einer Autofahrerin die nächste Bewegung eines Fußgängers vorherzusehen. Ein Areal des Temporallappens direkt hinter unserem rechten Ohr ermöglicht es uns, Gesichter wahrzunehmen (. Abb. 7.25). Dank eines spezialisierten neuronalen Netzwerks können wir diese auch von verschiedenen Standpunkten aus erkennen (Connor, 2010). Wird dieses fusiforme Gesichtsareal stimuliert, kann es sein, dass Sie spontan Gesichter sehen – so wie eine Versuchsperson, die während eines Experiments Folgendes berichtete: „Sie haben sich gerade in jemand anderen verwandelt. Ihr Gesicht hat sich verändert“ (Koch, 2015). Bei Be schädigung dieses Gehirnbereichs könnten Sie andere
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welches sind die beiden Schlüsseltheorien des Farbsehens? Würden Sie sagen, dass sie sich wi dersprechen oder ergänzen? Erklären Sie beide.
Merkmalserkennung ?? 7.10 Wo befinden sich Merkmalsdetektoren und was
ist ihre Aufgabe?
Die Forschung verglich unser Gehirn einst mit einer Kino leinwand, auf die das Auge Bilder projiziert. Dann zeig ten David Hubel und Torsten Wiesel (1979) jedoch, dass unsere visuelle Verarbeitung visuelle Bilder dekonstruiert und dann wieder zusammensetzt. Hubel und Wiesel beka men einen Nobelpreis für ihre Arbeit zu Merkmalsdetektoren. Diese spezifischen Neuronen in der Sehrinde des Okzipitallappens erhalten Informationen von einzelnen Ganglienzellen in der Retina. Merkmalsdetektorzellen tragen ihren Namen wegen ihrer Fähigkeit, auf spezifische Merkmale einer Szenerie zu reagieren, d. h. auf besondere Kanten, Linien, Winkel und Bewegungen.
7
276
Kapitel 7 • Wahrnehmung
den, wenn Menschen verschiedene Objekte betrachten (Downing et al., 2001). Die Hirnaktivität ist so spezifisch (. Abb. 7.26), dass Forschende mithilfe von Hirnscans feststellen können, ob Menschen „einen Schuh, einen Stuhl oder ein Gesicht betrachten, und zwar anhand des Musters ihrer Hirnaktivität“ (Haxby, 2001). Merkmalsdetektoren („feature detectors“) – Nervenzel
len im Gehirn, die auf bestimmte Merkmale von Reizen (z. B. Form, Winkel oder Bewegung) reagieren.
Parallelverarbeitung ?? 7.11 Auf welche Weise nutzt unser Gehirn Parallel
7
Gesichtserkennungsareal
..Abb. 7.25 Verarbeitung der Gesichtserkennung. Bei in Gruppen lebenden Lebewesen wie dem Menschen ist ein großer Bereich des rechten Temporallappens (hier in der rechten Gehirnhälfte dargestellt) für die wichtige Aufgabe der Gesichtserkennung zuständig
Formen und Gegenstände weiterhin erkennen, aber keine bekannten Gesichter. Wenn Forschende die Areale, die im Gehirn für die Verarbeitung von Gesichtern zuständig sind, vorüber gehend mit magnetischen Impulsen unterbrechen, sind Menschen unfähig, Gesichter zu erkennen. Sie können jedoch nach wie vor andere Gegenstände, z. B. Häu ser, erkennen, weil die Gesichtswahrnehmung des Ge hirns getrennt von der Objektwahrnehmung stattfindet (McKone et al., 2007; Pitcher et al., 2007). So kann man bei der funktionellen Kernspintomografie (fMRT) be obachten, dass verschiedene Gehirnareale aktiviert wer ..Abb. 7.26 Gut entwickelte Superzellen. Bei diesem Bundes ligaspiel 2022 verarbeitete der Frankfurter Stürmer Randal Kolo Muani seine visuelle Information über die Positionen und Bewegungen der Münchner Verteidiger und des Torhüters unmittelbar, und so gelang es ihm, irgendwie den Ball an ihnen vorbei und ins Netz zu bekom men. (© Foto Huebner/picture alliance)
verarbeitung, um visuelle Wahrnehmung zu kon struieren?
Unser Gehirn bewerkstelligt diese und andere bemer kenswerte Meisterleistungen anhand von Parallelverarbeitung: Es macht mehrere Dinge auf einmal. Das Gehirn unterteilt eine visuell vorgegebene Szenerie in Unterdimensionen wie Farbe, Bewegung, Form und Tiefe und arbeitet gleichzeitig an jedem einzelnen As pekt (. Abb. 7.27). Dann konstruieren wir unsere Wahr nehmungen, indem wir die Arbeit der unterschiedlichen Teams zu einem Ganzen vereinen (Bindung) und dabei parallel vorgehen (Livingstone & Hubel, 1988). Parallelverarbeitung („parallel processing“) – gleich
zeitiges Verarbeiten mehrerer Aspekte eines Problems. Die natürliche Arbeitsweise des Gehirns bei der Infor mationsverarbeitung für eine Vielzahl von Funktionen (u. a. beim Sehen). Um z. B. ein Gesicht zu erkennen, integriert das Gehirn die Informationen, die die Retina auf die Sehfelder im visuel len Kortex projiziert, vergleicht sie mit den gespeicherten
277
7.2 • Sehen
Bewegung
Form
..Abb. 7.27 Parallelverarbeitung. Untersuchungen an hirngeschä digten Patient:innen haben gezeigt, dass das Gehirn die Verarbeitung von Farbe, Bewegung, Form und Tiefe auf unterschiedliche Gehirn areale verteilt. Aber wie integriert das Gehirn, nachdem es die Szene auseinandergenommen hat, anschließend diese Unterbereiche zu ei
Informationen und versetzt Sie in die Lage, ein Gesicht wie etwa das Ihrer Großmutter zu erkennen. In der Forschung wird nach wie vor diskutiert, ob diese gespeicherten In formationen in einer einzelnen Zelle enthalten oder über ein riesiges Netzwerk von Zellen verteilt sind, wobei Letz teres wahrscheinlicher erscheint. Einige Superzellen, die sogenannten Großmutterzellen, scheinen tatsächlich sehr selektiv nur auf ein oder zwei von hundert Gesichtern zu antworten (Bowers, 2009; Quiroga et al., 2013). Der ge samte Vorgang der Gesichtserkennung benötigt enorme Ressourcen im Gehirn – etwa 30 % des Kortex. Das ist 10-mal so viel, wie das Gehirn dem Hören widmet. Zerstört man jedoch den neuronalen Hochgeschwin digkeitsrechner für eine visuelle Unteraufgabe oder beein trächtigt man ihn in seiner Funktionsfähigkeit, wie dies bei „Frau M.“ geschah (vgl. Hoffman, 1998), passiert etwas Seltsames: Sie hat einen Schlaganfall hinter sich, der beid seitig Schäden im hinteren Teil des Gehirns verursachte. Sie kann daher keine Bewegungen mehr wahrnehmen. Menschen, die sich im Zimmer herumbewegen, „scheinen plötzlich hier oder dort aufzutauchen, aber ich habe nicht gesehen, wie sie sich bewegten.“ Für sie ist es eine echte Herausforderung, sich Tee in eine Tasse zu gießen, da die Flüssigkeit wie gefroren wirkt, und sie das Ansteigen des Flüssigkeitspegels in der Tasse nicht wahrnehmen kann. Andere, deren Sehrinde durch chirurgische Eingriffe im Gehirn oder durch einen Schlaganfall zum Teil zer stört wurde, können Blindsehen ausgesetzt. Zeigt man ih nen eine Reihe von Stäben, geben sie an, nichts zu sehen. Werden sie jedoch gebeten zu raten, ob die Stäbe waa gerecht oder senkrecht daliegen oder ‑stehen, liefern sie meist untrüglich die richtige Antwort. Wenn man ihnen dann mitteilt: „Sie haben sie alle richtig geraten“, sind sie erstaunt. Es gibt anscheinend einen zweiten „Denk apparat“ – ein System der Parallelverarbeitung, das im Verborgenen arbeitet. Diese getrennten visuellen Systeme für Wahrnehmung einerseits und Handlung andererseits sind ein Beispiel für duale Verarbeitung – den zweiglei sigen Verstand.
Tiefe
Farbe
nem wahrgenommenen Bild? Die Antwort auf diese Frage, das sog. Bindungsproblem (wie verbindet das Gehirn verschiedene Wahrneh mungsinformationen zu einer einheitlichen Wahrnehmung?), ist die Gralssuche der Sehforschung
» „Ich danke dir dafür, dass ich wunderbar gemacht bin.“ König David, Psalm 139, Vers 14
Denken Sie einmal über die Wunder der visuellen Ver arbeitung nach: Während Sie diese Seite lesen, werden die gedruckten Kringel von reflektierten Lichtstrahlen auf Ihre Retina übermittelt. Das setzt einen Prozess in Gang, der formlose Nervenimpulse an mehrere Ihrer Hirnareale sendet, die die Information integrieren und die Bedeutung entschlüsseln. Das erstaunliche Ergebnis ist, dass wir Informationen über Zeit und Raum hinweg übertragen können: von unserem Verstand zu Ihrem (. Abb. 7.28). Dass all dies in einem einzigen Augenblick ohne jegliche Anstrengung und ständig passiert, ist wirk lich unglaublich eindrucksvoll. Wie Roger Sperry (1985) feststellte: „Die Einsichten der Wissenschaft liefern uns mehr und nicht weniger Gründe, der Natur gegenüber Ehrfurcht, Achtung und Ehrerbietung zu empfinden.“ Prüfen Sie Ihr Wissen
– Beschreiben Sie die schnelle Abfolge von Ereig nissen, die ablaufen, wenn Sie einen Freund oder eine Freundin sehen und erkennen.
7.2.3
Visuelle Organisation
?? 7.12 Wie haben die Gestaltpsycholog:innen Wahr
nehmungsorganisation verstanden und was tragen das Figur-Grund-Prinzip und Gruppierungsprinzipien zu unserer Wahrnehmung bei?
Es ist eine Sache, zu verstehen, wie wir Formen und Farben sehen. Aber wie organisieren und interpretieren wir das, was wir da sehen (oder hören, schmecken oder riechen), so, dass es eine bedeutungsvolle Wahrnehmung
7
278
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Szene
7
Retinale Verarbeitung: Stäbchen und Zapfen der Fotorezeptoren Bipolarzellen Ganglienzellen
Merkmalserkennung: Die Detektorzellen des Gehirns reagieren auf bestimmte Merkmale— Kanten, Linien und Winkel
Parallelverarbeitung: Gruppen von Gehirnzellen verarbeiten die gebündelten Informationen über Farbe, Bewegung, Form und Tiefe
Erkennen: Das Gehirn interpretiert das entstandene Bild auf der Grundlage von Informationen aus gespeicherten Bildern— Es ist ein Tiger!
..Abb. 7.28 Vereinfachte Zusammenfassung der visuellen Informationsverarbeitung. (Foto: © Puttachat/stock.adobe.com)
wird – eine blühende Rose, ein bekanntes Gesicht, ein Sonnenuntergang? Anfang des 20. Jahrhunderts stellte eine Gruppe deutscher Psycholog:innen Folgendes fest: Wenn wir eine Reihe von Empfindungen haben, organisieren wir sie so, dass eine Gestalt (also etwas Ganzes) entsteht. Wenn wir geradeaus schauen, können wir die wahrgenom mene Szene nicht in unser linkes und rechtes Sichtfeld (jeweils mit einem geschlossenen Auge) aufteilen. Unsere bewusste Wahrnehmung ist immerzu eine nahtlose Szene – ein integriertes Ganzes. Sehen Sie sich beispielsweise . Abb. 7.29 an. Achten Sie darauf, dass die einzelnen Elemente der Figur in Wirklichkeit nichts anderes sind als 8 blaue Kreise, von denen jeder 3 zusammenlaufende weiße Linien aufweist. Schauen wir sie uns jedoch alle im Zusammenhang an, sehen wir einen sog. Necker-Würfel, der manchmal seine Richtung umkehrt. Dieses Phänomen ist ein gutes Bei spiel für die These, die die Gestaltpsycholog:innen be geistert vertraten: Bei der Wahrnehmung ist das Ganze mehr als die Summe seiner Teile. Gestalt („gestalt“) – organisiertes Ganzes. Die Gestalt
psycholog:innen heben unsere Tendenz hervor, einzelne Informationselemente zu einem sinnvollen Ganzen zu sammenzufügen.
Sinn ergibt, auf Wahrnehmungen. Der Verstand und das Denken sind durchaus von Bedeutung dabei.
Formwahrnehmung Stellen Sie sich vor, Sie müssten ein System mit einer Videokamera und einem Computer entwickeln, das wie Ihr „System mit Augen und Gehirn“ Gesichter auf einen Blick erkennen kann. Welche Fähigkeiten müsste dieses System haben? zz Figur und Grund
Zunächst einmal müsste dieses System die Gesichter als etwas wahrnehmen, was sich vom Hintergrund ab hebt. So besteht auch unsere erste Wahrnehmungsauf gabe darin, jedes Objekt, Figur genannt, als ein Gebilde wahrzunehmen, das sich von seinem Hintergrund, Grund genannt, abhebt. Beim Lesen sind die Wörter die Figur. Das weiße Papier ist der Grund. Dasselbe Prinzip beein flusst auch unser Gehör. Von den Stimmen, die Sie bei einer Party hören, wird diejenige, auf die Sie achten, zur Figur. Alle anderen gehören zum Grund. Manchmal kann derselbe Reiz mehr als eine Wahrnehmung aus lösen. Bei . Abb. 7.30 kehrt sich die Figur-Grund-Beziehung ständig um, doch immer organisieren wir den Reiz zu einer Figur vor einem Grund. Figur-Grund-Beziehung („figure-ground“) – Organisation
Über die Jahre hinweg haben die Gestaltpsycholog:in nen viele Organisationsprinzipien aufgezeigt, mithilfe derer wir unsere Empfindungen als Wahrnehmungen organisieren (Wagemans et al., 2012a,b). Ihnen allen liegt eine elementare Wahrheit zugrunde: Unser Gehirn macht mehr, als nur Informationen über die Welt zu registrieren. Wahrnehmung besteht nicht nur darin, den Ka meraverschluss zu öffnen und passiv ein Bild im Gehirn abzulegen. Ständig filtern wir sensorische Informationen und schließen in einer Art und Weise, die für uns einen
des Gesichtsfelds in Objekte (Figuren), die sich von ihrer Umgebung abheben (Grund). zz Gruppierung
Nachdem wir (und unser System aus Videokamera und Computer) die Figur vom Grund unterschieden haben, müssen wir nun die Figur zu einer sinnvollen Form or ganisieren. Manche Grundmerkmale einer Szene, wie Farbe, Bewegung und Hell-Dunkel-Kontrast, verarbeiten wir sofort und automatisch (Treisman, 1987). Um Ord
279
7.2 • Sehen
..Abb. 7.30 Umkehrbare Figur-Grund-Beziehung ..Abb. 7.29 Ein Necker-Würfel. Was sehen Sie hier: Kreise mit wei ßen Linien oder einen Würfel? Wenn Sie den Würfel fixieren, merken Sie, dass er zwischen verschiedenen Positionen hin und her wechselt, wobei sich das kleine X in der Mitte von der Vorderkante des Würfels zur rückwärtigen Kante bewegt. Manchmal mag es Ihnen so erschei nen, als schwebe der Würfel vor der Seite und die Kreise befänden sich hinter ihm. Ein anderes Mal werden die Kreise zu Löchern in der Seite, durch die der Würfel zu sehen ist, der hinter der Seite zu schweben scheint. Da unsere Aufmerksamkeit selektiv ist, sehen wir jeweils immer nur eine Variante. (Aus Bradley et al., 1976)
nung und Form in diese grundlegenden Empfindungen zu bringen, folgt unser Denken bestimmten Gesetzen der Gruppierung dieser Reize. Diese Gesetze, die von den Ge staltpsycholog:innen entdeckt wurden, sogar schon bei Babys zur Anwendung kommen und selbst unseren Tast sinn beeinflussen, veranschaulichen die Auffassung, dass sich das wahrgenommene Ganze von der Summe seiner Teile unterscheidet – genau wie sich Wasser von seinen Bestandteilen Wasserstoff und Sauerstoff unterscheidet (Gallace & Spence, 2011; Quinn et al., 2002; Rock & Palmer, 1990). Hier drei Beispiele (. Abb. 7.31): Gruppierung („grouping“) – Tendenz unserer Wahrneh
Geschlossenheit Wir füllen die Lücken, um uns ein voll
ständiges, ganzes Objekt zu schaffen. Wir nehmen also an, dass die Kreise links vollständig sind, aber teilweise von einem (illusionären) Dreieck verdeckt werden. Man muss gar nicht mehr als ein paar kleine Kreisabschnitte hinzufügen, die den Kreis jeweils schließen, und schon hört Ihr Gehirn auf, ein Dreieck konstruieren zu wollen. In der Regel helfen uns diese Gruppierungsprinzi pien, die Wirklichkeit nachzubilden. Manchmal führen sie uns jedoch auf Abwege, wie etwa wenn wir uns die Hundehütte in . Abb. 7.32 anschauen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Im Sinne der Wahrnehmung würde die Leadsän gerin in einer Band als ___ (Figur/Grund) be trachtet werden, und die anderen Musiker als ___ (Figur/Grund). – Was meinen wir, wenn wir sagen, dass bei der Wahrnehmung das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile?
mung, Reize zu kohärenten Gruppen zusammenzufassen.
Tiefenwahrnehmung
Nähe Wir gruppieren Figuren, die räumlich nahe bei einander liegen. Wir sehen nicht 6 einzelne Linien, son dern 3 Gruppen von 2 Linien.
?? 7.13 Wie benutzen wir binokulare und monokulare
Kontinuität Wir nehmen Figuren als glatte, durch
Auf unsere Retina fallen zweidimensionale Bilder, aber irgendwie organisieren wir sie zu dreidimensionalen Wahrnehmungen. Das Sehen von Gegenständen in drei Dimensionen, die Tiefenwahrnehmung, sorgt dafür, dass wir deren Entfernung von uns abschätzen können. Auf einen Blick schätzen wir die Höhe eines Hauses oder die Entfernung eines Autos, das auf uns zukommt. Wie er
gehende und weniger als unterbrochene Muster wahr. Dieses Muster könnte auch als eine Reihe von Halbkrei sen bezeichnet werden, die abwechselnd oberhalb und unterhalb der Linie liegen, aber wir nehmen das Muster als zwei durchgehende Linien wahr: eine Wellenlinie und eine Gerade.
Hinweise, um die Welt in drei Dimensionen wahr zunehmen und Bewegung wahrzunehmen?
7
280
a
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Nähe
b
Kontinuität
c
Geschlossenheit
..Abb. 7.31 a–c Gruppierung von Reizen
(. Abb. 7.33). Die Mütter versuchten dann, die Babys zu überreden, auf das Glas zu krabbeln. Die meisten wei gerten sich, was darauf hindeutete, dass sie Tiefe wahr nehmen konnten.
7
Tiefenwahrnehmung („depth perception“) – Fähigkeit,
..Abb. 7.32 Gruppierungsprinzipien. Worin besteht das Geheimnis bei dieser unmöglichen Hundehütte? Wahrscheinlich nehmen Sie die Hundehütte als Gestalt wahr – als ganze Struktur (obwohl das nicht möglich ist). Tatsächlich verleitet Ihr Gehirn Sie bei diesem Bild dazu, eine Ganzheit zu empfinden. Wie . Abb. 7.37 zeigt, sind hier Gestalt gruppierungsprinzipien wie Geschlossenheit und Kontinuität im Spiel. (Mit freundlicher Genehmigung von Walter Wick)
Gegenstände in drei Dimensionen zu sehen, obwohl die Bilder, die auf die Retina projiziert werden, zweidimen sional sind. Die Tiefenwahrnehmung befähigt uns zur Einschätzung der Entfernung. Visuelle Klippe („visual cliff“) – Laboreinrichtung zum Testen der Tiefenwahrnehmung bei Kleinkindern und Jungtieren. Binokulare Hinweisreize („binocular cues“) – Tiefenmerk male, wie retinale Disparität, die voraussetzen, dass man beide Augen zu Hilfe nimmt. Retinale Disparität („retinal disparity“) – binokulares Merkmal zur Tiefenwahrnehmung: Anhand des Ver gleichs der beiden von den Augäpfeln übermittelten Bilder berechnet das Gehirn die Entfernung – je größer die Disparität (der Unterschied) zwischen den beiden Bildern, desto näher das Objekt. Monokulare Hinweisreize („monocular cues“) – Entfer nungsmerkmale, wie Zentralperspektive (auch Linear perspektive) und Überlappung, die jedes Auge für sich alleine erkennen kann.
langen wir diese Fähigkeit? Ist sie angeboren oder er lernt? Bei einem Picknick am Rande des Grand Canyon stellte Eleanor Gibson die folgende wissenschaftliche Frage: Würde ein Kleinkind, das über den Rand blickt, wohl den gefährlichen Abgrund wahrnehmen und zurückweichen? Um diese und weitere Fragen zu beantworten, führte Gibson mit Richard Walk (1960) in ihrem Labor an der Cornell University eine Reihe von Experimenten durch, bei denen sie visuelle Klippen einsetzten. Dabei handelte es sich um ein Klippenmodell mit einem „Fall bereich“, der tatsächlich mit einer dicken Glasplatte ab gesichert war. Gibson und Walk setzten Babys im Alter von 6–14 Monaten an den Rand eines sicheren Abgrunds
Haben sie gelernt, Tiefe wahrzunehmen? Lernen scheint ein Teil der Antwort zu sein, denn die Vorsicht von Babys nimmt mit ihrer Erfahrung beim Krabbeln zu, ganz gleich, in welchem Alter sie zu krabbeln anfan gen (Adolph et al., 2014; Campos et al., 1992). Doch Tiefenwahrnehmung ist teilweise auch angeboren (. Abb. 7.34). Neugeborene Tiere, die sich fortbewegen können, wagen sich nicht über die visuelle Klippe. Das trifft sogar auf solche zu, die praktisch keine visuelle Er fahrung haben – wie etwa junge Katzen, eine erst einen Tag alte Ziege und frisch geschlüpfte Küken. Also scheint unser Respekt vor Höhe biologisch angelegt, und unsere Erfahrung lässt ihn noch größer werden. Wenn wir die Fähigkeit zur Tiefenwahrnehmung in unser System aus Videokamera und Computer einbauen
281
7.2 • Sehen
..Abb. 7.33 a,b Visuelle Klippe. Diese Miniaturklippe mit einem glasüberdeckten, steilen Abgrund wurde von Eleanor Gibson und Richard Walk konzipiert, um herauszufinden, ob Krabbelkinder und neugeborene Tiere Tiefe wahrnehmen können. Auch wenn Kinder von ihren Müttern immer wieder dazu aufgefordert werden, sich auf das Glas über der Klippe hinauszubegeben, sträuben sie sich dagegen. (Fotos aus Lohaus & Vierhaus, 2013, mit freundlicher Genehmigung)
möchten, welche Regeln würden es ihm ermöglichen, zweidimensionale Bilder in eine einheitliche dreidimen sionale Wahrnehmung umzuwandeln? Ein guter Aus gangspunkt findet sich in den Informationen, die unser Gehirn nutzt, um diese Wahrnehmungen zu konstruie ren. Diese Informationen werden von einem oder von beiden Augen bereitgestellt. zz Binokulare Hinweisreize
Menschen, die mit beiden Augen sehen, nehmen Tiefen unterschiede teilweise aufgrund binokularer Hinweisreize wahr. Machen Sie einmal folgenden Test: Blicken Sie mit offenen Augen geradeaus, halten Sie zwei Kulis oder Blei stifte vor sich hin, und bewegen Sie sie so aufeinander zu, dass sie sich an den Spitzen berühren. Probieren Sie nun dasselbe mit einem geschlossenen Auge. Die Aufgabe dürfte mit einem Auge deutlich schwieriger werden. Binokulare Hinweisreize kommen zum Einsatz, wenn wir die Entfernung naher Objekte bestimmen. Ein solcher Hinweisreiz ist die retinale Disparität. Da der Abstand zwischen unseren Augen etwa 6 cm beträgt, bekommt die Retina der beiden Augen jeweils leicht unterschiedliche Bilder von der Welt. Wenn das Gehirn diese beiden Bilder miteinander vergleicht, kann es beurteilen, wie weit ent fernt von Ihnen ein Objekt ist. Je größer die Disparität (der Unterschied zwischen den beiden Bildern), desto nä her ist das Objekt. Probieren Sie es selbst. Wenn Sie Ihre beiden Zeigefinger direkt vor die Nase halten, wobei die Fingerspitzen ungefähr 1 cm voneinander entfernt sind,
..Abb. 7.34 (Tom Cheney/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
bekommt die Retina Ihrer beiden Augen ziemlich ver schiedene Ansichten (Sie können das sehen, wenn Sie erst ein Auge schließen und dann das andere, oder kreieren Sie eine Wurst aus Fingern wie in . Abb. 7.35). Bei einer größeren Entfernung, wenn Sie z. B. Ihren Finger in Arm länge vor Ihre Nase halten, ist die Disparität geringer. Diese Besonderheit könnten wir ganz einfach in unseren Sehcomputer einbauen. Bei der Filmproduktion simuliert oder überbetont man die retinale Disparität, indem man eine Szene mit zwei Kameras aufnimmt, die mehrere Zenti meter voneinander entfernt aufgestellt werden. Wenn wir uns den Film mit einer 3D-Brille ansehen, die dafür sorgt, dass das linke Auge nur die Bilder der linken Kamera sieht und das rechte Auge nur die Bilder der rechten Kamera, ahmt der 3D-Effekt die normale retinale Disparität nach oder übertreibt sie, wie alle Fans von 3D-Filmen wissen. zz Monokulare Hinweisreize
Wie können wir beurteilen, ob eine Person 10 oder 100 m entfernt ist? In diesem Fall ist uns die retinale Disparität keine Hilfe, weil es zwischen den Bildern, die auf die linke und die rechte Retina fallen, keinen großen Unterschied gibt. Bei diesen Entfernungen stützen wir uns auf monokulare Hinweisreize (Tiefenhinweise, die beiden Augen jeweils getrennt zur Verfügung stehen). In . Abb. 7.36 sehen Sie einige Beispiele. >>Fleischfresser – auch der Mensch – haben Augen, die
die Ausrichtung nach vorne auf ein Beutetier erlauben und durch Binokularsehen für verbesserte Tiefenwahr
7
282
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.35 Die Wurst aus den schwebenden Fingern. Halten Sie die beiden Zeigefinger ca. 13 cm vor Ihre Augen, wobei die Fingerspitzen etwa 1 cm voneinander entfernt sind. Jetzt blicken Sie über sie hinaus und bemerken einen verrückten Ef fekt. Wenn Sie die beiden Finger voneinander weg bewegen, wird die retinale Disparität – und die Fingerwurst – schrumpfen
7
nehmung sorgen. Grasende Pflanzenfresser, wie Pferde und Schafe, haben die Augen typischerweise an den Seiten ihres Schädels. Wenngleich ihnen die binokulare Tiefenwahrnehmung fehlt, haben sie eine weitreichende periphere Sicht. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie nehmen wir normalerweise Tiefe wahr?
Bewegungswahrnehmung Stellen Sie sich einmal vor, dass Sie die Welt, wie Frau M. es oben beschrieben hat, als etwas wahrnehmen, das über Farbe, Form und Tiefe verfügt, aber keine Bewegung se hen könnten. Es wäre dann für Sie nicht nur unmöglich, Fahrrad oder Auto zu fahren, sondern Sie hätten wahr scheinlich sogar Schwierigkeiten, zu schreiben, zu essen und zu gehen. Normalerweise berechnet Ihr Gehirn die Bewegung z. T. aufgrund der Annahme, dass schrumpfende Objekte sich zurückziehen (nicht kleiner werden) und größer werdende Objekte sich nähern. Aber unsere Bewegungs wahrnehmung ist nicht perfekt. Bei kleinen Kindern ist die Fähigkeit, sich nähernde (und vergrößernde) Fahrzeuge richtig wahrzunehmen, noch nicht voll aus gebildet, was sie anfälliger für Unfälle im Straßenver kehr macht (Wann et al., 2011). Aber nicht nur Kinder haben gelegentlich Schwierigkeiten mit der Bewegungs wahrnehmung. Erwachsene Gehirne werden ebenfalls mitunter dazu verleitet, zu glauben, was sie nicht sehen. Große Objekte scheinen sich in unseren Augen lang samer zu bewegen als kleine, wenn sie sich mit derselben
Geschwindigkeit bewegen. Deswegen scheinen sich Züge langsamer zu bewegen als Autos und Jumbojets lang samer zu landen als kleine Jets. Wie von Trickfilmen weithin bekannt, nimmt das Gehirn, wenn ihm eine rasche Abfolge geringfügig un terschiedlicher Bilder dargeboten wird, auch diese als kontinuierliche Bewegung wahr (ein Phänomen, das auch stroboskopische Bewegung genannt wird). Ein Film ruft diese Täuschung dadurch hervor, dass in jeder Se kunde 24 Einzelaufnahmen projiziert werden. Wir er zeugen diese Bewegung in unserem Kopf, genau wie wir Bewegung beim Betrachten blinkender Laufschriften und Lichterketten konstruieren. Wenn zwei stationäre Lichter dicht nebeneinander in rascher Folge ein- und ausgeschaltet werden, nehmen wir sie als ein einziges Licht wahr, das sich zwischen zwei Punkten hin und her bewegt. Leuchtreklametafeln nutzen das Phi-Phänomen durch eine Reihenfolge von Lichtern aus, die beispiels weise den Eindruck eines Pfeils, der sich bewegt, auf kommen lassen. Phi-Phänomen („phi phenomenon“) – Scheinbewegung, die
durch zwei oder mehr nebeneinander angeordnete Lichter erzeugt wird, die in rascher Folge an- und ausgehen. Erinnern Sie sich noch an die Aufgabe in . Abb. 7.32? Hier kommt endlich die Lösung (. Abb. 7.37).
Wahrnehmungskonstanz ?? 7.14 Wie helfen uns Wahrnehmungskonstanzen,
unsere Empfindungen als bedeutungsvolle Wahr nehmungen zu organisieren?
283
7.2 • Sehen
c Interposition: Versperrt uns ein Gegenstand teilweise die Sicht auf einen anderen, nehmen wir ihn als näher wahr.
a Relative Höhe: Objekte, die weiter oben in
unserem Blickfeld liegen, nehmen wir als weiter entfernt wahr. Da wir den unteren Teil eines Figur-Grund-Bildes als näher wahrnehmen, nehmen wir ihn als Figur wahr (Vecera et al., 2002). Wenn Sie dieses Bild auf den Kopf stellen, wird der schwarze Teil zum Grund und sieht wie ein Nachthimmel aus.
d Licht und Schatten:
Schattierung erzeugt eine Tiefenwahrnehmung, die auf unserer Annahme beruht, dass Licht von oben kommt. Wenn Sie diese Abbildung umdrehen, wird die Aushöhlung zu einem Hügel.
f Relative Bewegung: Wenn wir uns bewegen,
scheinen sich Objekte, die eigentlich unbeweglich sind, ebenfalls zu bewegen. Fixieren
b Relative Größe: Gehen wir von der Annahme Sie beispielsweise bei einer Zugfahrt irgendaus, dass zwei Gegenstände nahezu gleich groß sind, nehmen die meisten Menschen den Gegenstand, der das kleinere Bild auf der Retina erzeugt, als weiter entfernt wahr.
e Zentralperspektive: Parallele Linien scheinen in der Ferne zusammenzulaufen. Je stärker die Linien konvergieren, desto größer ist die wahrgenommene Entfernung.
ein Objekt, sagen wir einmal ein Haus, dann scheinen sich alle Gegenstände, die näher als das Haus (Fixationspunkt) sind, rückwärts zu bewegen. Hingegen scheinen sich Gegenstände hinter dem Fixationspunkt mit Ihnen mit zu bewegen. Je weiter entfernt vom Fixationspunkt ein Gegenstand ist, desto schneller wird er sich scheinbar bewegen.
Fixationspunkt
Bewegungsrichtung des Passagiers
..Abb. 7.36 a–f Monokulare Tiefenhinweisreize. (a: Copyright © 2002 by the American Psychological Association. Reproduced with per mission; b: BIZARRO © 2014 Dan Piraro, Dist. by King Features; c: © John Devries/Science Photo Library; d: © George V. Kelvin; e: King Features Syndicate)
Bisher haben wir also herausgefunden, dass unser System aus Videokamera und Computer Objekte zunächst so wahrnehmen muss, wie wir es tun – mit klarer Form, Position und möglicherweise Bewegung. Die nächste Aufgabe ist nun, Objekte zu erkennen, ohne sich durch Veränderungen von dessen Farbe, Helligkeit, Form oder Größe täuschen zu lassen – ein Top-down-Prozess, der Wahrnehmungskonstanz genannt wird. Unabhängig da von, aus welchem Blickwinkel, aus welcher Entfernung und in welcher Beleuchtung wir sie sehen, können wir Menschen und Dinge in einer Zeitspanne, die kürzer ist als ein Atemzug, erkennen. Diese Aufgabe bereitet selbst hochentwickelten Computern enorme Schwierigkeiten. Für ein System aus Videokamera und Computer würde sie eine riesige Herausforderung darstellen.
Wahrnehmungskonstanz („perceptual constancy“) – Fä
higkeit, Objekte als unverändert (mit gleichbleibender Helligkeit, Farbe, Form und Größe) wahrzunehmen, auch wenn sich die Beleuchtung und die Bilder auf der Retina verändern. zz Farb- und Helligkeitskonstanz
Unser Farbempfinden hängt vom Kontext des Objekts ab. Wenn wir eine einzelne Tomate einen ganzen Tag lang durch eine Papierrolle anschauen, scheint sich ihre Farbe mit dem wechselnden Licht – und damit den Wellenlän gen, die von ihrer Oberfläche reflektiert werden – zu ver ändern. Aber wenn wir die Tomate als einen Gegenstand in einer Schüssel mit frischem Gemüse sehen, empfinden wir ihre Farbe auch bei wechselnden Lichtverhältnissen
7
284
Kapitel 7 • Wahrnehmung
7
..Abb. 7.37 Die Lösung. Eine andere Ansicht der unmöglichen Hundehütte von . Abb. 7.32 zeigt uns, worin das Geheimnis dieser Täuschung besteht. Aus dem Blickwinkel der Kamera in . Abb. 7.32 verleitet uns das Gruppierungsprinzip der Geschlossenheit, die Bretter als durchgehend wahrzunehmen. (Mit freundlicher Genehmigung von Walter Wick)
als mehr oder weniger gleichbleibend. Diese Wahrneh mung von konstanten Farben ist unter dem Namen Farbkonstanz bekannt.
» „From there to here, from here to there, funny things are everywhere.“ Dr. Seuss, One Fish, Two Fish, Red Fish, Blue Fish (1960)
a
Obwohl wir die Farbkonstanz als etwas Selbstverständ liches ansehen, ist dieses Phänomen höchst bemerkens wert. Eine blaue Spielmarke bei Innenlichtverhältnis sen reflektiert Wellenlängen, die denen einer goldenen Spielmarke im Sonnenlicht entsprechen (Jameson, 1985). Bringen Sie hingegen einen Star mit blauschimmernden Federn ins Haus, so wird doch kein Goldfink daraus. Die Farbe steckt nicht in den Vogelfedern. Dank der Be rechnungen unseres Gehirns sehen wir die Farben des Lichts, das von einem Gegenstand reflektiert wird, im Verhältnis zu den Gegenständen in seinem Umfeld. An . Abb. 7.38 wird besonders deutlich, dass ein blaues Objekt in verschiedenen Zusammenhängen sehr unter schiedlich aussehen kann. Trotzdem haben wir keine Probleme damit, diese Scheiben als blau zu sehen. Auf ähnliche Weise verändert es nicht unsere Wahrnehmung, dass sie unterschiedlich aussehen, wenn wir wissen, dass die Scheiben tatsächlich dieselbe Farbe haben. Da unsere Wahrnehmungen Konstruktionen darstellen, können wir gleichzeitig alternative objektive und subjektive Realitä ten akzeptieren. Auf ähnliche Weise hängt auch Helligkeitskonstanz vom Kontext ab. Wir nehmen einen Gegenstand mit einer konstanten Helligkeit wahr, auch wenn sich die Beleuchtung verändert. Die wahrgenommene Helligkeit hängt von der relativen Luminanz (Leuchtdichte) ab, der Menge an Licht, die ein Gegenstand, relativ zu seiner Umgebung, reflektiert (. Abb. 7.39). Weißes Papier reflektiert 90 % des Lichts, das darauf fällt, schwarzes Papier nur 10 %. Wenn man sich ein schwarzes Papier im Sonnenlicht ansieht, kann es bis zu 100-mal mehr Licht reflektieren als ein weißes Blatt Papier, das man sich innen im Haus betrachtet; doch es sieht immer noch schwarz aus (McBurney & Collins, 1984). Aber wenn Sie
b
..Abb. 7.38 a,b Farbe hängt vom Kontext ab. Ob Sie es glauben oder nicht: Diese drei blauen Punkte haben alle dieselbe Farbe (a). Entfernen Sie den umliegenden Kontext und betrachten Sie das Ergebnis (b). (© R. Beau Lotto/Lottolab)
285
7.2 • Sehen
sich noch einmal nicht durch das Rohr an, ist es wieder schwarz. Denn es reflektiert sehr viel weniger Licht als die Gegenstände drum herum. Dieses Prinzip der Wahrnehmung von Objekten nicht als isolierte Gegenstände, sondern in ihrem Kontext, ist besonders in der Kunst, Innenarchitektur und im Mode design interessant. Unsere Wahrnehmung von der Farbe und Helligkeit einer Wand oder eines Pinselstrichs auf einer Leinwand wird nicht nur von der Farbe in der Dose bestimmt, sondern auch durch die umgebenden Farben. Was Sie sich merken sollten: Unsere Wahrnehmungen beruhen auf Vergleichen und sind damit umgebungsabhängig.
A
B
» „Manchmal frage ich mich: Warum wird diese FrisbeeScheibe größer? Und dann trifft sie mich.“ Anonym
zz Form- und Größenkonstanz
..Abb. 7.39 Relative Luminanz. Aufgrund ihres jeweils umliegenden Kontexts erscheint uns Quadrat A heller als Quadrat B. Aber ob Sie es glauben oder nicht: Quadrat A und B haben dieselbe Farbe. Um es mit den Worten des Komikers Richard Pryor zu sagen: „Wem glauben Sie: Mir oder Ihren lügenden Augen?“ Wenn Sie Ihren lügenden Augen (oder eigentlich Ihrem lügenden Gehirn) glauben, können Sie die Seite fotokopieren oder fotografieren und ausdrucken, die Quadrate aus schneiden und dann miteinander vergleichen. (Nach Edward Adelson)
sich ein sonnenbeschienenes schwarzes Papier durch ein enges Rohr anschauen (so dass nichts anderes sichtbar ist), kann es grau wirken; denn im grellen Sonnenlicht reflektiert es eine recht große Lichtmenge. Schauen Sie es
Aufgrund der Formkonstanz nehmen wir die Form be kannter Gegenstände als konstant wahr, auch wenn sich unsere Bilder von ihnen auf der Retina verändern. Die Tür in . Abb. 7.40 veranschaulicht dies. Unser Gehirn vollbringt diese Meisterleistung mithilfe von Neuronen im visuellen Kortex, die sehr schnell lernen, verschiedene Blickwinkel auf einen Gegenstand zu verknüpfen (Li & DiCarlo, 2008). Aufgrund der Größenkonstanz nehmen wir Objekte als etwas wahr, was eine konstante Größe hat, auch wenn unser Abstand zu ihnen variiert. Durch die Größenkon stanz können wir ein Auto als ausreichend groß zur Be förderung mehrerer Personen wahrnehmen, auch wenn wir es zwei Häuserblocks entfernt als winzig kleines Bild sehen. An diesem Beispiel lässt sich die enge Verbindung zwischen der wahrgenommenen Entfernung und der
..Abb. 7.40 Formkonstanz. Beim Öffnen einer Tür wird das Bild, das auf unsere Retina fällt, immer trapezförmiger, doch wir nehmen die Tür weiterhin als rechteckig wahr
7
286
7
Kapitel 7 • Wahrnehmung
wahrgenommenen Größe eines Objekts erkennen. Wenn wir die Entfernung eines Objekts wahrnehmen, können wir daraus Rückschlüsse auf seine Größe ziehen. Oder wenn wir die normale Größe eines Objekts, etwa eines Autos, kennen, liefert uns das Hinweisreize für seine Ent fernung. Sogar wenn wir sowohl die Größe als auch die Ent fernung beurteilen, betrachten wir den Kontext eines Gegenstandes. Das Wechselspiel zwischen wahrgenom mener Größe und wahrgenommener Entfernung erklärt viele der wohlbekannten optischen Täuschungen, wie die Mondtäuschung: Können Sie sich vorstellen, weshalb der Mond in der Nähe des Horizonts um bis zu 50 % größer wirkt, als wenn er hoch am Himmel steht? Über 2000 Jahre haben sich die Gelehrten den Kopf über die Gründe für diese „Mondtäuschung“ zerbrochen (Hershenson, 1989). Ein Grund besteht darin, dass die monokularen Hinweisreize für die Entfernung von Ob jekten am Horizont dafür sorgen, dass der Mond weiter entfernt erscheint. Unser Gehirn nimmt an, dass er, wenn er weiter weg ist, auch größer sein muss als der Mond hoch oben am Nachthimmel (Kaufman & Kaufman, 2000). Beseitigen Sie diese Hinweisreize auf Entfernung dadurch, dass Sie beispielsweise den Mond (oder jedes Monster) durch ein Papprohr anschauen, so fängt das Objekt sofort an zu schrumpfen. Wahrnehmungstäuschungen bestätigen eine grund legende Erkenntnis: Bei der Wahrnehmung wird nicht einfach die Welt auf unser Gehirn projiziert. Vielmehr werden die Empfindungen auseinandergenommen in kleine Informationseinheiten, die unser Gehirn dann wieder in ein eigenes funktionales Modell der Außen welt zusammenbaut. Während dieses Prozesses können uns unsere eigenen Annahmen – wie die gewohnten Be ziehungen zwischen Entfernung und Größe – in die Irre führen. Unser Gehirn konstruiert unsere Wahrnehmungen. Zusammenfassend lässt sich festhalten: Anhand von Formwahrnehmung, Tiefenwahrnehmung, Bewegungs wahrnehmung und Wahrnehmungskonstanz wird deut lich, wie wir unsere visuellen Erfahrungen organisieren. Aber Wahrnehmungsorganisation ist auch etwas, was mit den anderen Sinnen zu tun hat. Wenn wir eine Sprache hören, die wir nicht kennen, fällt es uns häu fig schwer, herauszuhören, wo ein Wort endet und das nächste beginnt. Wenn wir unsere Sprache hören, hö ren wir automatisch einzelne Wörter. Auch das ist eine Form von Wahrnehmungsorganisation. Es handelt sich sogar um noch mehr. Denn wir organisieren eine Buch stabenreihe wie THEDOGATEMEAT zu Wörtern, die einen logischen Satz bilden. Und das ist eher „The dog ate meat“ (Der Hund fraß Fleisch) als „The do gate me at“ (McBurney & Collins, 1984). Dieser Prozess beruht nicht nur auf der Organisation, mit der wir uns bisher befasst haben, sondern auch auf Interpretation: Wir erkennen Sinn und Bedeutung in dem, was wir wahr nehmen.
7.2.4
Visuelle Interpretation
Philosoph:innen haben darüber diskutiert, ob unsere Wahrnehmungsfähigkeit auf Anlage oder Umwelt zurückgeht. Inwieweit lernen wir wahrzunehmen? Der deutsche Philosoph Immanuel Kant (1724–1804) war der Meinung, dass Wissen auf unserer angeborenen Fä higkeit zur Organisation von Sinneseindrücken beruht. Wenn wir auf die Welt kommen, sind wir in der Tat schon mit einem System zur Verarbeitung sensorischer Informationen ausgestattet. Der britische Philosoph John Locke (1632–1704) ging hingegen davon aus, dass wir durch unsere Erfahrungen auch lernen, die Welt wahrzunehmen. Wir lernen ja tatsächlich, eine Ver bindung zwischen der Entfernung eines Gegenstands und seiner Größe herzustellen. Wie wichtig ist also die Erfahrung? Wie stark beeinflusst sie unsere Wahrneh mungsinterpretationen?
» „Wir wollen also einmal annehmen, der Geist sei ein leeres Blatt, frei von Merkmalen oder Gedanken. Doch auf welche Weise füllt sich das leere Blatt? … Meine Ant wort ist ein einziges Wort: ERFAHRUNG.“ John Locke, An Essay Concerning Human Understanding (1690; dtsch. Versuch über den menschlichen Verstand)
zz Erfahrung und visuelle Wahrnehmung ?? 7.15 Welchen Beitrag hat die Forschung zur Wieder
herstellung des Sehvermögens, zur sensorischen Deprivation und zur Wahrnehmungsadaptation zu unserem Verständnis davon geleistet, wie Erfahrungen unsere Wahrnehmung beeinflussen?
kWiederhergestelltes k Sehvermögen und sensorische Deprivation
In einem Brief an John Locke warf William Molyneux die Frage auf, ob wohl ein Mensch, der blind geboren ist und dem beigebracht wurde, über seinen Tastsinn zwi schen einem Würfel und einer Kugel zu unterscheiden, diese beiden Körper auch visuell unterscheiden könne, wenn er als Erwachsener sein Sehvermögen wiederer langt. Lockes Antwort lautete: nein. Denn dieser Mensch habe nie gelernt, den Unterschied zu sehen. Dieser hypothetische Fall von Molyneux ist seitdem bei einigen Dutzend Erwachsenen untersucht worden, die blind geboren wurden und später ihr Sehvermögen wiedererlangt haben (Gregory, 1978; Huber et al., 2015; von Senden, 1932). Die meisten waren mit einem Ka tarakt (grauer Star) zur Welt gekommen, einer Linsen trübung, die sie nur diffuses Licht sehen ließ (als ob Sie durch einen halbierten Tischtennisball nur diffusen Nebel sehen würden). Nachdem der Katarakt operativ beseitigt worden war, konnten die Betroffenen zwischen Figur und Grund unterscheiden und Farben nachemp
7.2 • Sehen
finden. Dies deutete darauf hin, dass diese Aspekte der Wahrnehmung angeboren sind. Doch ganz wie Locke vermutet hatte, konnten die ehemals blinden Patient:in nen Objekte häufig nicht visuell unterscheiden, die ihnen vom Betasten her vertraut waren. Um eine höhere Kontrollierbarkeit der Testbedin gungen als bei klinischen Fällen zu erreichen, haben Forscher:innen das Sehvermögen junger Katzen ein geschränkt (Hubel & Wiesel, 1963). Als das Sehver mögen der Tiere im Erwachsenenalter wiederhergestellt wurde, waren bei ihnen, ganz ähnlich wie bei Menschen mit angeborener Linsentrübung, Einschränkungen der Wahrnehmung erkennbar. Sie konnten sowohl Farben als auch Helligkeiten unterscheiden, nicht aber die Form eines Kreises von der eines Vierecks differenzieren. Ihre Augen waren nicht degeneriert; ihre Retina übermittelte immer noch Signale an die Sehrinde. Doch aufgrund mangelnder Stimulierung hatten die Sehrindenzellen keine normalen Verbindungen entwickelt. So blieben die Tiere funktional blind für Formen. Chirurgische Eingriffe bei Kindern in Indien zeigen, dass die Entfernung von Katarakten erhebliche Verbes serungen des Sehvermögens mit sich bringt, die umso größer ist, je jünger die Kinder zum Zeitpunkt der Ope ration sind. Ihre Sehschärfe erreicht jedoch möglicher weise nie das gewöhnliche Niveau (Chatterjee, 2015; Gandhi et al., 2014). Die normale Wahrnehmungs entwicklung weist eine sog. kritische Phase auf. Dabei handelt es sich um einen optimalen Zeitraum, in dem das Erleben bestimmter Reize oder Erfahrungen er forderlich ist. Sensorische Einschränkungen, die nach dem Ablauf dieser kritischen Phase auftreten, haben keine bleibenden Schäden zur Folge. Wenn das Auge eines erwachsenen Tieres mehrere Monate lang abge deckt wird, bleibt sein Sehvermögen nach Abnehmen der Augenklappe unverändert. Auch beim Menschen stellt sich bei operativer Entfernung von Katarakten, die sich nach der frühen Kindheit entwickelt hatten, im Anschluss an den Eingriff das normale Sehvermögen ein (. Abb. 7.41). kWahrnehmungsadaptation k
Wenn wir eine neue Brille bekommen, kann es sein, dass wir uns zunächst etwas desorientiert fühlen oder uns sogar schwindelig wird. Innerhalb von 1 oder 2 Tagen gewöhnen wir uns dann daran. Unsere Wahrnehmungsadaptation an veränderte visuelle Reize sorgt dafür, dass uns die Welt bald wieder normal erscheint. Aber stellen Sie sich einmal vor, Sie bekämen eine neue Brille, die die Welt extrem verändert erscheinen lässt und z. B. die Lage der Objekte um 40 Grad nach links verschiebt. Würden Sie sie zum ersten Mal aufsetzen und einem Freund einen Ball zuwerfen, würde der weit links an ihm vorbeifliegen. Würden Sie einen Schritt nach vorne machen, um jemand mit Handschlag zu begrüßen, würden Sie weit links am Ziel vorbeischießen (. Abb. 7.42).
287
..Abb. 7.41 Sehen lernen. Mit 3 Jahren hat Mike May sein Augen licht bei einer Explosion verloren. Als dann Jahrzehnte später durch Einsetzen einer neuen Kornea das Sehvermögen seines rechten Au ges wiederhergestellt wurde, konnte er einen ersten Blick auf seine Frau und seine Kinder werfen. Doch obwohl Signale seine Sehrinde erreichten, mangelte es ihm an Erfahrung, diese zu interpretieren. Mit Ausnahme solcher Merkmale wie Haare waren die Gesichter für ihn nicht erkennbar. Den Gesichtsausdruck konnte er nicht erfas sen. Er kann jedoch einen Gegenstand in Bewegung erkennen und lernt langsam, sich in seiner neuen Welt zurechtzufinden und über solche Dinge wie flirrenden Staub im Sonnenlicht zu staunen (Ab rams, 2002; © Marcio Jose Sanchez/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
Wahrnehmungsadaptation („perceptual adaptation“)
– Fähigkeit zur Anpassung an veränderte sensorische Reize wie z. B. ein künstlich verzerrtes oder gar auf den Kopf gestelltes Blickfeld. Glauben Sie, Sie könnten sich an eine so verzerrte Welt anpassen? Küken können das nicht. Verpasst man ihnen solche Brillen, dann picken sie weiterhin auf die Stelle, an der die Körner zu sein scheinen (Hess, 1956; Rossi, 1968). Doch wir Menschen gewöhnen uns rasch an ver zerrende Brillengläser. Schon nach wenigen Minuten würden Ihre Ballwürfe wieder treffen, und Sie würden wieder zielstrebig auf die andere Person zugehen. Nach Absetzen dieser Brille würde zunächst der gegenteilige Effekt eintreten. Ihre ersten Würfe würden in die entgegengesetzte Richtung ins Leere gehen, also rechts vor
7
288
Kapitel 7 • Wahrnehmung
schnell wieder readaptieren. In späteren Experimenten waren Versuchspersonen, die eine solche Brille trugen, dazu in der Lage, Motorrad zu fahren, in den Alpen Ski zu fahren und ein Flugzeug zu fliegen (Dolezal, 1982; Kohler, 1962). Die Welt um sie herum schien immer noch auf dem Kopf zu stehen und seitenverkehrt zu sein. Aber durch aktive Bewegung in dieser verkehrten Welt passten sie sich an den Kontext an und lernten, ihre Bewegungen zu koordinieren. Lernen wir also, die Welt wahrzunehmen? Teilweise ist dies der Fall, denn wir passen uns ständig an verän derte Sinneseindrücke an. Die Forschung zu kritischen Phasen zeigt, dass frühe Erfahrungen den angeborenen Sinnesapparat formen. In geringerem Ausmaß trifft dies auf unser gesamtes Leben zu. Unsere Erfahrungen len ken und stützen diejenigen Bereiche unseres Gehirns, die unsere Wahrnehmungen ermöglichen.
7
7.2.5
Rückblick: Sehen
Verständnisfragen
7.7 – Was sind die Eigenschaften der Energie, die wir als
..Abb. 7.42 Wahrnehmungsadaptation. „Hoppla, das ging da neben“, denkt der Forscher Hubert Dolezal beim Betrachten der Welt durch eine Umkehrbrille. Verblüffenderweise können Katzen, Affen und Menschen jedoch lernen, sich an eine Welt anzupassen, die auf dem Kopf steht. (Courtesy of Hubert Dolezal)
beifliegen. Aber auch in diesem Fall würde es nur wenige Minuten dauern, bis Sie sich wieder an die neue Situation angepasst hätten. Wenn man Ihnen nun tatsächlich eine noch extremere Brille gäbe, die buchstäblich die Welt auf den Kopf stellt, könnten Sie sich dennoch daran anpassen. Der Psycho loge George Stratton (1896) machte diese Erfahrung am eigenen Leibe, als er ein Linsensystem zum Aufsetzen erfand, das links mit rechts und gleichzeitig oben mit unten vertauschte, und es 8 Tage lang trug. Er wurde damit zum ersten Menschen, der in aufrechter Position Erfahrung mit einem seitenverkehrten und auf dem Kopf stehenden Bild auf der Retina machte. Der Boden war oben, der Himmel unten. Zunächst hatte Stratton, wenn er gehen wollte, Schwierigkeiten, seine Füße zu finden, die jetzt „oben“ waren. Essen war fast unmöglich. Ihm wurde übel, und er war deprimiert. Doch Stratton ließ nicht locker, und am achten Tag konnte er dann problemlos in die richtige Richtung nach einem Gegenstand greifen und herumlaufen, ohne ständig anzustoßen. Als er schließ lich diese Umkehrbrille wieder absetzte, konnte er sich
sichtbares Licht sehen? Welche Strukturen in unserem Auge helfen dabei, diese Energie zu bündeln? 7.8 – Wie verarbeiten die Stäbchen und Zapfen Infor mationen und auf welchem Weg gelangen diese Infor mationen vom Auge zum Gehirn? 7.9 – Wie nehmen wir Farben in unserer Umwelt wahr? 7.10 – Wo befinden sich Merkmalsdetektoren und was ist ihre Aufgabe? 7.11 – Auf welche Weise nutzt unser Gehirn Parallelver arbeitung, um visuelle Wahrnehmung zu konstruieren? 7.12 – Wie haben die Gestaltpsycholog:innen Wahr nehmungsorganisation verstanden und was tragen das Figur-Grund-Prinzip und Gruppierungsprinzipien zu unserer Wahrnehmung bei? 7.13 – Wie benutzen wir binokulare und monokulare Hinweise, um die Welt in drei Dimensionen wahrzuneh men und Bewegung wahrzunehmen? 7.14 – Wie helfen uns Wahrnehmungskonstanzen, unsere Empfindungen als bedeutungsvolle Wahrnehmungen zu organisieren? 7.15 – Welchen Beitrag hat die Forschung zur Wieder herstellung des Sehvermögens, zur sensorischen Depri vation und zur Wahrnehmungsadaptation zu unserem Verständnis davon geleistet, wie Erfahrungen unsere Wahrnehmung beeinflussen?
---
Schlüsselbegriffe Akkommodation Binokulare Hinweisreize Blinder Fleck Dreifarbentheorie von Young und Helmholtz
7.2 • Sehen
------------
Farbton Figur-Grund-Beziehung Fovea Gegenfarbentheorie Gestalt Gruppierung Intensität Merkmalsdetektoren Monokulare Hinweisreize Netzhaut Parallelverarbeitung Phi-Phänomen Retina Retinale Disparität Sehgrube Sehnerv Stäbchen Tiefenwahrnehmung Visuelle Klippe Wahrnehmungsadaptation Wahrnehmungskonstanz Wellenlänge Zapfen
Master the Material 1. Die Eigenschaft des Lichts, die bestimmt, welche Farben (z. B. Grün oder Blau) wir wahrnehmen, bezeichnet man als ___. 2. Die Amplitude von Lichtwellen bestimmt welche der folgenden Wahrnehmungen? a. Helligkeit b. Farbe c. Bedeutung d. Entfernung 3. Wo befindet sich der blinde Fleck auf der Retina? a. Wo es Stäbchen gibt, aber keine Zapfen b. Wo es Zapfen gibt, aber keine Stäbchen c. Wo der Sehnerv das Auge verlässt d. Wo Bipolarzellen auf Ganglionzellen treffen 4. Zapfen sind diejenigen Rezeptoren des Auges, die be sonders empfindlich auf ___ Licht reagieren und für unsere ___ zuständig sind. a. helles; Schwarz-Weiß-Wahrnehmung b. trübes; Farbwahrnehmung c. helles; Farbwahrnehmung d. trübes; Schwarz-Weiß-Wahrnehmung 5. Zwei Theorien erklären unsere Farbwahrnehmung. Die Dreifarbentheorie von Young und Helmholtz zeigt, dass unsere Augen ___ aufweisen, während die Theorie von Hering die ___ unseres Nervensystems erklärt. a. entgegengesetzte retinale Prozesse; drei Paare von Farbrezeptoren b. Zellen für entgegengesetzte Prozesse; drei Arten von Farbrezeptoren c. drei Paare von Farbrezeptoren; entgegengesetzte retinale Prozesse
289
d. drei Arten von Farbrezeptoren; Zellen für ent gegengesetzte Prozesse 6. Welcher mentale Prozess sorgt dafür, dass wir eine Zitrone als gelb wahrnehmen? 7. Diejenigen Zellen im visuellen Kortex, die auf be stimmte Linien, Kanten und Winkel reagieren, be zeichnet man als ___. 8. Die Fähigkeit unseres Gehirns, mehrere Eigenschaf ten eines Objekts oder eines Problems zu verarbeiten, heißt ___. 9. Welches Organisationsprinzip liegt unseren Tenden zen zugrunde, Lücken auszufüllen und Muster ganz heitlich wahrzunehmen? a. Interposition b. Tiefenwahrnehmung c. Formkonstanz d. Gruppierung 10. Während eines Konzerts achten Sie auf ein Solo instrument und nehmen das Orchester als Beglei tung wahr. Welches Ordnungsprinzip wird hier ver anschaulicht? a. Figur-Grund-Beziehung b. Formkonstanz c. Gruppierung d. Tiefenwahrnehmung 11. Was zeigt das Experiment der visuellen Klippe? a. Dass Säuglinge noch keine Tiefenwahrnehmung entwickelt haben. b. Dass krabbelnde Säuglinge und junge Tiere Tiefe wahrnehmen können. c. Dass es unmöglich ist, zu bestimmen, ob Säug linge bereits über Tiefenwahrnehmung verfügen. d. Dass Menschen im Gegensatz zu anderen Spezies dazu in der Lage sind, im Säuglingsalter Tiefe wahrzunehmen. 12. Welche unserer folgenden Fähigkeiten basiert auf Tiefenwahrnehmung? a. Ähnliche Objekte zu Gestalten zusammenzufassen. b. Die Form von Objekten als konstant wahrzuneh men. c. Entfernung einzuschätzen. d. Die Lücken eines Objekts auszufüllen. 13. Interposition und lineare Perspektive sind zwei Bei spiele für ___ Tiefenhinweisreize. 14. Die Tatsache, dass wir eine Tomate trotz Beleuch tungsunterschieden durchweg rot wahrnehmen, ist ein Beispiel für … a. Formkonstanz b. Wahrnehmungskonstanz c. einen binokularen Hinweisreiz d. Kontinuität 15. Welche der folgenden Aufgaben fällt Erwachsenen schwer, deren angeborene Blindheit operativ behoben wurde? a. Objekte per Tastsinn zu identifizieren b. Objekte visuell zu identifizieren
7
290
Kapitel 7 • Wahrnehmung
c. Figur von Grund zu unterscheiden d. Zwischen hellem und trüben Licht zu unterscheiden 16. In Experimenten haben Versuchspersonen Brillen ge tragen, die ihre visuelle Wahrnehmung auf den Kopf stellten. Nach einer Weile gewöhnten sie sich an diese Umstellung und konnten ihren Alltag ziemlich gut bewältigen. Wie nennt man diese Fähigkeit? 7.3
Nichtvisuelle Sinne
7.3.1 Hören
7
Wie unsere anderen Sinne ist auch unser Gehör äußerst anpassungsfähig und sichert unser Überleben. Unser Ge hör verschafft uns Zugang zu Informationen und ermög licht Beziehungen mit unseren Mitmenschen. Andere zu hören macht sie menschlicher: Menschen erscheinen uns rücksichtsvoller, kompetenter und sympathischer, wenn wir sie hören, als wenn wir nur ihre geschriebenen Worte lesen (Schroeder & Epley, 2015, 2016). Unser Gehör ist zudem auch überaus bemerkenswert. Es lässt uns auf un sichtbare Weise kommunizieren, indem wir unsichtbare Luftwellen durch den Raum schicken und solche Wellen von anderen empfangen. Schwerhörigkeit ist daher eine unsichtbare Beeinträchtigung. Den Namen einer Person nicht zu verstehen, eine Frage nicht begreifen zu können oder einen guten Witz zu verpassen, bedeutet, vom Wis sen anderer abgeschnitten zu sein. Mitunter führt Schwer hörigkeit auch zu einem Gefühl der Ausgeschlossenheit. Als Autor dieses Buches [DM], der selbst schwerhörig ist, kenne ich dieses Gefühl und kann verstehen, warum Erwachsene mit signifikantem Hörverlust ein doppeltes Depressionsrisiko haben (Li et al., 2014). Die meisten von uns hören jedoch eine große Band breite von Tönen und Geräuschen, am besten hören wir jedoch die Töne, die der menschlichen Stimme entspre chen. Darüber hinaus reagieren alle normal hörenden Menschen außerordentlich sensibel auf schwache Ge räusche (z. B. das Wimmern eines Kindes). Wären unsere Ohren noch um einiges empfindlicher, würden wir durch die Bewegung der Luftmoleküle ein ständiges Rauschen hören. Das Überleben unserer Ahnen hing von dieser Fähigkeit ab, als sie jagten oder gejagt wurden. Gehör („audition“) – Sinneskanal des Hörens oder unser
Hörvermögen. Frequenz („frequency“) – Anzahl von vollständigen
Schwingungen, die einen bestimmten Punkt in einem vorgegebenen Zeitraum passieren (z. B. pro Sekunde). Des Weiteren reagiert unser Gehör extrem sensibel auf Klangunterschiede. Wir können spielend die Unter schiede unter Tausenden von menschlichen Stimmen ausmachen und Freund:innen anhand ihrer Stimme er kennen, auch wenn wir sie nicht sehen können. Unser
Gehör ist auch sehr schnell. Wie der Neurowissenschaft ler Seth Horowitz (2021) schreibt: „Es kann eine ganze Sekunde dauern, bis Sie etwas aus dem Augenwinkel bemerken, Ihren Kopf danach richten, es erkennen und darauf reagieren. Dieselbe Reaktion auf ein neues oder plötzliches Geräusch erfolgt mindestens zehnmal so schnell.“ Den Bruchteil einer Sekunde später stimulieren solche Ereignisse die Rezeptoren im Ohr; Millionen von Neuronen wurden simultan koordiniert, um die wesent lichen Merkmale herauszukristallisieren, sie mit Vor erfahrungen zu vergleichen und den Reiz zu identifizieren (Freeman, 1991). Beim Hören wie beim Sehen bleibt eine der Grundfragen: Wie stellen wir es an?
Reizinput Schallwellen ?? 7.16 Welche Eigenschaften haben Luftdruckwellen,
die wir als Klang erleben?
Wenn Sie mit dem Bogen über eine Geige streichen, besteht die daraus entstandene Reizenergie aus Schallwellen: sich gegenseitig anstoßende Luftmoleküle, die den Anstoß von hinten nach vorne weitergeben. Die daraus entstehenden Wellen komprimierter und sich ausdehnender Luft gleichen den sich von der Mitte her ausbreitenden Wellen, die ent stehen, wenn man einen Stein in einen See wirft. Während wir uns nun in einer Unmenge von sich bewegenden Luft molekülen bewegen, nehmen unsere Ohren diese kurzen Veränderungen im Luftdruck wahr (. Abb. 7.43). Wie die Lichtwellen, haben auch Schallwellen unter schiedliche Formen (. Abb. 7.44). Die Stärke oder Amplitude von Schallwellen bestimmt ihre Lautstärke. Die Länge oder Frequenz der Schallwellen legt die von ihnen erzeugte Tonhöhe fest, die wir wahrnehmen: Lange Wellen haben eine niedrige Frequenz und damit eine tiefe Ton höhe. Kurze Wellen haben eine hohe Frequenz und damit eine hohe Tonhöhe. Eine Sopranistin erzeugt viel kürzere, schnellere Schallwellen als beispielsweise ein Baritonsänger. Tonhöhe („pitch“) – Höhe oder Tiefe eines Tons; sie hängt
von der Frequenz ab. Die Maßeinheiten für Schallenergie sind Dezibel (dB). Die absolute Hörschwelle wurde willkürlich als 0 dB fest gelegt. Jeder Schritt von 10 dB entspricht der Verzehn fachung der Lautstärke. Damit ist normales Sprechen (60 dB) 10.000-mal lauter als Flüstern (20 dB). Und das gerade noch erträgliche Geräusch einer an uns vorbei fahrenden U-Bahn (100 dB) ist 10-Mrd.-mal lauter als das schwächste wahrnehmbare Geräusch. Geräuschen über 85 dB über längere Zeit ausgesetzt zu sein, kann zu Hörverlusten führen. Erzählen Sie das einmal den Ame rican-Football-Fans der Kansas City Chiefs, die 2014 mit 142 dB den Guinness-Weltrekord für das lauteste Sta dion brachen (Liberman, 2015). Unser Gehör ist überaus kostbar, aber auch überaus empfindlich.
291
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
a
b
..Abb. 7.43 a,b Der Klang von Musik. Die kurzen, schnellen Schall wellen einer Geige erzeugen hohe Töne in einer hohen Tonlage. Die längeren, langsameren Schallwellen eines Cellos erzeugen tiefe Töne.
Unterschiede im Ausschlag von Schwingungen – in der Amplitude – erzeugen auch eine unterschiedliche Lautstärke. (a: © Voyagerix/Getty Images/iStock; b: © ra2studio/Getty Images/iStock)
Kurze Wellenlänge = hohe Frequenz (hohe Töne)
Große Amplitude (laute Töne)
Lange Wellenlänge = niedrige Frequenz (tiefe Töne)
Kleine Amplitude (leise Töne)
a
b
..Abb. 7.44 a,b Die physikalischen Eigenschaften von Wellen. a Wel len unterscheiden sich in ihrer Wellenlänge (dem Abstand zwischen aufeinanderfolgenden Scheitelpunkten). Die Frequenz ist die Anzahl vollständiger Wellenlängen, die einen Punkt in einem bestimmten Zeitraum durchlaufen können, und hängt von der Wellenlänge ab. Je
kürzer die Wellenlänge ist, desto höher ist die Frequenz. Die Wellen länge bestimmt die wahrgenommene Tonhöhe. b Wellen unterscheiden sich auch in ihrer Amplitude (dem Höhenunterschied zwischen Schei telpunkt und Tiefpunkt). Die Amplitude einer Welle bestimmt die wahrgenommene Lautstärke eines Geräusches
Das Ohr
Kochlea, einer schneckenförmigen Röhre im Innenohr weiter. Die zugeleiteten Schwingungen sorgen dafür, dass die Membran der Kochlea (das ovale Fenster) schwingt, wodurch die Flüssigkeit, mit der die Röhre gefüllt ist, in Bewegung versetzt wird. Dies führt zu wellenartigen Schwingungen in der Basilarmembran, die mit Haarzellen ausgekleidet ist. Die Haarzellen werden durch die wellenartigen Bewegungen der Basilarmembran zur Seite gebogen, als wenn der Wind über ein wogendes Weizen feld streicht. Die Bewegung der Haarzellen löst Impulse in den be nachbarten Nervenfasern aus, die ihrerseits zusammen laufen und den Hörnerv bilden, der wiederum neuronale
?? 7.17 Wie wandelt das Ohr Schallenergie in neuronale
Botschaften um?
Um zu hören, müssen wir Schallwellen auf irgendeine Weise in Nervenaktivität umwandeln, die unser Gehirn als Töne entschlüsseln kann. Zunächst kommen Schall wellen auf dem Trommelfell an, einer straff gespannten Membran, die mit den akustischen Schwingungen mit schwingt (. Abb. 7.45). Das Mittelohr leitet dann die Schwingungen des Trommelfells durch einen Mechanismus aus drei kleinen Knöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel) zur
7
292
Kapitel 7 • Wahrnehmung
AUßENOHR
MITTELOHR
Gehörknöchelchen
INNENOHR
Bogengänge Knochen Hörnerv Kochlea
Schallwellen Trommelfell
Ovales Fenster (an dem sich der Steigbügel befindet)
Gehörgang
7
a
Hammer
Vergrößerung des Mittel- und Innenohres; die Kochlea ist zum besseren Verständnis teilweise abgerollt dargestellt
b
Amboss
Kochlea, teilweise abgerollt
Hörnerv Nervenfasern zum auditorischen Kortex
Schallwellen
Trommelfell
Auditiver Kortex im Temporallappen
Steigbügel Ovales Fenster
Hervorstehende Haarzellen Basilarmembran Bewegung der Flüssigkeit in der Kochlea
..Abb. 7.45 a,b Wie wir Schallwellen in Nervenimpulse umwandeln, die unser Gehirn dann deutet. a Das äußere Ohr leitet die Schallwellen an das Trommelfell weiter. Die Mittelohrknöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel) verstärken die Schwingungen des Trommelfells und leiten sie durch das ovale Fenster in die flüssig keitsgefüllte Gehörgangschnecke (Kochlea) weiter. b Wie an dieser Detailzeichnung des Mittel- und Innenohrs erkennbar, erzeugen die
daraus entstehenden Druckveränderungen in der Flüssigkeit der Kochlea wellenartige Bewegungen der Basilarmembran, durch die die Haarzellen an deren Oberfläche gebeugt werden. Die Bewegun gen der Haarzellen lösen Impulse an der Basis der Nervenzellen aus, deren Fasern zusammenlaufen und den Gehörnerv bilden. Dieser Nerv sendet neuronale Botschaften zum Thalamus und weiter zum auditorischen Kortex
Botschaften (über den Thalamus) zur Hörrinde im Tem porallappen des Gehirns schickt. Von schwingender Luft über ein bewegliches Ventil zu Flüssigkeitswellen und zuletzt zu elektrischen Impulsen, die ans Gehirn weitergeleitet werden: Voilà! Und schon hören wir.
In der Kochlea befinden sich 16.000 Haarzellen. Das hört sich zwar viel an, ist aber noch gar nichts im Vergleich zu den etwa 130 Mio. Fotorezeptoren des Auges. Aber man be denke nur ihre Reaktionsfreudigkeit! Werden die winzigen Bündel aus Flimmerhaaren an der Spitze einer Haarzelle auch nur um die Breite eines Atoms zur Seite gebogen (was dem Verschieben des Eiffelturms um etwa einen Zentimeter entsprechen würde), löst die stets wachsame Haarzelle dank eines speziellen Proteins an ihrem oberen Ende sofort eine neuronale Reaktion aus (Corey et al., 2004). Verletzungen der Haarzellrezeptoren der Kochlea oder der damit verbundenen Nerven können zu Schallempfindungsschwerhörigkeit führen (auch Nervenschwer hörigkeit genannt). Bei einer Schädigung des Hörnervs können Menschen zwar Geräusche hören, haben aber Schwierigkeiten zu bestimmen, was genau jemand sagt (Liberman, 2015). Gelegentlich entsteht Schallempfindungsschwerhö rigkeit in Folge einer Krankheit. Als häufigere Ursache für diese Form der Schwerhörigkeit gelten jedoch bio logische Veränderungen, die mit der Anlage, dem Altern oder längerer Einwirkung von ohrenbetäubendem Lärm oder lauter Musik in Zusammenhang gebracht werden.
Mittelohr („middle ear“) – Kammer zwischen Trommelfell
und Kochlea; sie enthält drei Knöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel), die dafür sorgen, dass sich die Schwingungen des Trommelfells auf das ovale Fenster der Kochlea konzentrieren. Kochlea (Schnecke; „cochlea“) – spiralförmig aufgerollte, flüssigkeitsgefüllte knöcherne Röhre im Innenohr, über die die Schallwellen Nervenimpulse auslösen. Innenohr („inner ear“) – innerster Teil des Ohrs, der u. a. aus Kochlea, Bogengängen und Sacculi des Vestibular apparats besteht. Wenn ich den magischsten Teil des Hörvorgangs wählen müsste, so würde ich die Haarzellen wählen: „zitternde Bündel, die uns hören lassen“,und zwar dank ihrer „ex tremen Sensibilität und Schnelligkeit“ (Goldberg, 2007).
293
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
Eine seltenere Form der Schwerhörigkeit ist die Schallleitungsschwerhörigkeit, die durch Beschädigungen des mechanischen Systems entsteht, das die Schallwellen zur Kochlea weiterleitet. Schallempfindungsschwerhörigkeit („sensorineural hearing loss“) – Schwerhörigkeit infolge von Verletzungen
der Rezeptorzellen der Kochlea oder der Hörnerven; die häufigste Form des Hörverlusts, die auch als Nerven schwerhörigkeit bezeichnet wird.
einer Schädigung des mechanischen Systems, das Schall wellen zur Kochlea weiterleitet. Haarzellen können mit den Fasern eines Teppichs vergli chen werden. Läuft man auf ihnen herum, so können sie nach kurzer Reinigung mit dem Staubsauger wieder in ih ren alten Zustand versetzt werden. Stellt man jedoch lange Zeit ein schweres Möbelstück darauf, bleiben sie für immer platt und werden sich nie mehr in ihren früheren Zustand zurückversetzen lassen. Als Faustregel kann gelten, dass ein Geräusch, besonders wenn es anhaltend ist und wieder holt wird, potenziell schädlich ist, wenn man sich dabei überhaupt nicht unterhalten kann – beispielsweise laute Maschinen, jubelnde Fans in Sportarenen oder Musik in hoher Lautstärke (Roesser, 1998; . Abb. 7.46). Und wenn uns nach solchen Ereignissen die Ohren klingeln, sind wir nicht gut mit unseren armen, unglückseligen Haarzellen umgegangen. Genauso wie uns Schmerzen warnen, dass unser Körper möglicherweise Schaden nimmt oder genom men hat, warnt uns das Ohrenklingeln oder Ohrensausen vor einer möglichen Schädigung des Gehörs. Im Bereich des Hörens ist das so etwas wie Bluten. Weltweit leiden etwa 1,23 Mrd. Menschen an einem Hörverlust (Global Burden of Disease, 2015). Der Anteil der Teenager mit Gehörschädigung ist seit den frühen 1990er Jahren um ein Drittel angestiegen. Ein Fünftel aller Jugendlichen ist betroffen (Shargorodsky et al., 2010). Ein wichtiger Grund dafür ist laute Musik auf Live-Konzerten oder über Kopfhörer: Nach einem dreistündigen Rockkonzert mit einer durchschnittlichen Lautstärke von 99 dB gaben 54 % der Jugendlichen an, schlechter hören zu können, und einem Viertel klingel ten die Ohren. Männliche Jugendliche dröhnen sich mehr als Mädchen oder Erwachsene über lange Zeit räume mit hohen Lautstärken zu (Zogby, 2006). Das mag erklären, warum Männer im Durchschnitt eher ein weniger feines Gehör haben als Frauen. Aber egal ob Mann oder Frau: Diejenigen, die viele Stunden in lau ten Diskotheken, an einem Motorrasenmäher oder an einem Presslufthammer verbringen, sollten einen Hör schutz tragen. In der Sexualerziehung sagt man: „Kon dome oder, was noch sicherer ist, Abstinenz.“ In der Hörerziehung sagen die Spezialist:innen: „Hörschutz oder weggehen.“
120
Lauter Donner
110
Jet in etwa 170 m Höhe
100
U-Bahn in etwa 7 m Entfernung
Längerfristige Lärmexposition über 85 Dezibel kann zu Hörverlust führen
90 Dezibel
Schallleitungsschwerhörigkeit („conduction hearing loss“) – Eine seltenere Form der Schwerhörigkeit infolge
130
Rockband (mit Verstärkeranlage) aus der Nähe gehört
140
80
Straßenecke mit viel Verkehr
70 60
Normale Unterhaltung
50 40
Typische Geräusche in einem Zimmer
30 20
Flüstern
10 0
Hörschwelle
..Abb. 7.46 Lautstärke einiger alltäglicher Geräusche. Eine Studie mit 3 Mio. Deutschen ergab, dass Berufsmusiker fast 4-mal so häufig von lärmbedingtem Hörverlust betroffen sind wie ihre Mitmenschen (Schink et al., 2014). Einige moderne Kopfhörer blenden Umgebungs geräusche aus und reduzieren damit die Notwendigkeit, Musik in gefährlichen Lautstärken zu spielen
Bisher besteht für Menschen mit Nervenschwer hörigkeit die einzige Möglichkeit, das Hörvermögen wiederherzustellen, in einer Art bionischem Ohr, dem Kochleaimplantat (. Abb. 7.47), das jedes Jahr etwa 50.000 Menschen, darunter etwa 30.000 Kinder, erhalten (Hochmair, 2013). Es verwandelt Geräusche in elektri sche Signale, die verschiedene Schallinformationen über eine Verbindungsleitung zu den Nerven der Kochlea und anschließend zum Gehirn weiterleiten. Kochleaimplan tate, die gehörlose Kinder oder Kätzchen erhalten haben, scheinen das entsprechende Hirnareal zum „Aufwachen“ zu bringen (Klinke et al., 1999; Sirenteanu, 1999). Das Implantat hilft Kindern dabei, mündlich kommunizieren zu können (vor allem, wenn es noch vor der Schulzeit bei ihnen eingesetzt wird) (Dettman et al., 2007; Schorr et al., 2005). Genau wie das Sehen weist auch unsere Hörfähigkeit eine kritische Phase auf. Kochleaimplan tate können bei den meisten Erwachsenen das Gehör wiederherstellen. Allerdings gelingt dies nur dann, wenn ihr Gehirn während der Kindheit gelernt hat, Geräusche zu verarbeiten. Das wiederhergestellte Gehör kann auch das Gefühl sozialer Isolation sowie das Depressionsrisiko verringern (Mosnier et al., 2015).
7
294
Kapitel 7 • Wahrnehmung
zz Auf laute und leise Geräusche reagieren Transmitter
Empfänger/Stimulator
Elektrode
7
Sprachverarbeiter
Wie erkennen wir die Lautstärke? Nicht durch die In tensität der Reaktion der Haarzellen, wie man vielleicht vermuten könnte. Ein zarter, reiner Ton aktiviert nur die wenigen Haarzellen, die auf seine Frequenz ansprechen. Werden die Geräusche nun lauter, reagieren auch deren Nachbarzellen. Das Gehirn kann also die Lautstärke an der Anzahl der aktivierten Haarzellen ablesen. Wenn eine Haarzelle ihre Sensibilität für leise Töne verliert, kann sie häufig immer noch auf laute Geräusche reagieren. Das erklärt eine andere überraschende Tatsa che: Sehr laute Geräusche können für Menschen mit einer Beeinträchtigung des Hörvermögen und für Menschen, die normal hören, laut erscheinen. Als Schwerhöriger fragte ich mich schon oft, wenn ich wirklich lauter Musik ausgesetzt war, wie das für Personen klingen muss, die normal hören. Inzwischen habe ich erkannt, dass es ver mutlich in etwa genauso klingt; wir unterscheiden uns bei der Empfindung leiser Töne. Genau daher wollen wir Menschen mit Beeinträchtigung des Hörvermögens nicht, dass alle Geräusche (laute und leise) verstärkt werden. Leise Töne sollten bei uns idealerweise mehr verstärkt werden als laute (eine typische Eigenschaft der modernen digitalen Hörhilfen). zz Unterschiedliche Tonhöhen wahrnehmen
..Abb. 7.47 Hardware zum Hören. Kochleaimplantate funktio nieren, indem sie Töne in elektrische Signale umwandeln, die an die Kochlea übertragen und über den Hörnerv an das Gehirn weiterge leitet werden
Kochleaimplantat („cochlear implant“) – Gerät zur Um
wandlung elektrischer Signale und zur Stimulation des Hörnervs über Elektroden, die in die Kochlea eingefädelt werden. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind die grundlegenden Schritte, wenn Schall wellen in wahrnehmbare Töne umgewandelt wer den? – Die Amplitude einer Schallwelle bestimmt unsere Wahrnehmung der ___ (Lautstärke/Tonhöhe). – Je länger die Schallwellen, desto ___ (niedriger/ höher) sind ihre Frequenzen und desto ___ (hö her/tiefer) ist die Tonhöhe.
Lautstärke, Tonhöhe und Tonherkunft wahrnehmen ?? 7.18 Wie können wir Lautstärke wahrnehmen,
Tonhöhen unterscheiden und bestimmen, woher ein Geräusch kommt?
Wie wissen wir, ob es sich bei einem Geräusch um das hochfrequente, hohe Zwitschern eines Vogels oder das niedrigfrequente, tiefe Brummen eines Lastwagens han delt? Die heutige Vorstellung von der Art und Weise, wie wir die Tonhöhe unterscheiden, beruht auf der Kom bination von zwei Theorien. Die Ortstheorie geht davon aus, dass wir verschiedene Tonhöhen hören, weil verschiedene Schallwellen an verschiedenen Orten der Basilarmembran in der Kochlea Aktivität auslösen. Somit kann das Gehirn also die Höhe eines Tones dadurch feststellen, von welcher Stelle auf der Basilarmembran die neurona len Signale ausgehen. Als der spätere Nobelpreisträ ger Georg von Békésy (1957) Löcher in die Kochlea von Meerschweinchen und menschlichen Leichen schnitt und mit einem Mikroskop hineinschaute, ent deckte er, dass die Kochlea als Reaktion auf Schall wellen ins Schwingen gerät, und zwar ähnlich wie ein Bettlaken, das man ausschüttelt. Hohe Frequenzen erzeugen große Schwingungen nahe dem Anfang der Basilarmembran der Kochlea, niedrige Frequenzen hingegen nahe dem Ende. Zwar erklärt die Orts theorie, wie wir hohe Töne hören, nicht jedoch, wie wir tiefe Töne hören, da sich die Nervensignale, die dadurch erzeugt werden, nicht so genau auf der Basi larmembran lokalisieren lassen. Eine Alternativerklärung bietet die Frequenztheorie (auch als Zeittheorie bezeichnet): Das Gehirn kann die Tonhöhe von der Frequenz der Nervenimpulse ableiten, die den Hörnerv entlanglaufen. Die gesamte
-
-
295
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
Basilarmembran schwingt mit der ankommenden Schallwelle mit, wodurch Nervenimpulse ausgelöst und genauso schnell wie die Schallwelle ans Gehirn weiter geleitet werden. Hat die Schallwelle eine Frequenz von 100 Schwingungen pro Sekunde, dann werden 100 Im pulse pro Sekunde den Hörnerv entlang geschickt. Aber auch diese Theorie hat ihre Tücken, denn die ein zelnen Neuronen können nicht mehr als 1000-mal pro Sekunde einen Impuls auslösen. Wie können wir dann Geräusche mit Frequenzen über 1000 Schwingungen pro Sekunde hören (grob gesagt, das obere Drittel der Klaviertastatur)? Hier kommt das Salvenprinzip ins Spiel: Wie Soldat:innen, die abwechselnd Salven abfeu ern, damit ein Teil schießen kann, während die anderen nachladen, können sich Nervenzellen beim Entladen abwechseln. Durch Feuern in rascher Folge können die Neuronen so eine kombinierte Frequenz von über 1000 Impulsen pro Sekunde erzielen. Die beiden Theorien tragen damit zusammen zu unse rem Verständnis der Tonhöhenwahrnehmung bei. Die Ortstheorie erklärt am besten, wie wir hohe Töne wahr nehmen. Die Frequenztheorie im Zusammenspiel mit dem Salvenprinzip erklärt auch, wie wir tiefe Töne wahr nehmen. Für die Töne im Zwischenbereich scheint eine Kombination dieser beiden Theorien zuzutreffen. Ortstheorie („place theory“) – besagt, dass beim Gehör
jede Tonhöhe der Erregung eines bestimmten Orts der Basilarmembran der Kochlea entspricht. Frequenztheorie („frequency theory“) – besagt, dass beim Gehör die Anzahl der über den Hörnerv übertragenen Nervenimpulse der Frequenz eines Tons entspricht und uns damit ermöglicht, die Höhe dieses Tons wahrzunehmen.
Luft
Geräuschschatten
..Abb. 7.48 Wie wir Geräusche lokalisieren. Schallwellen treffen auf das eine Ohr früher und lauter als auf das andere. Diese Information benutzt unser flinkes Hirn, um den Entstehungsort des Geräuschs zu berechnen. Wie nicht anders zu erwarten, haben daher Menschen mit einem völligen Hörverlust auf einem Ohr Schwierigkeiten, Geräusche zu orten
Weil die Schallgeschwindigkeit 1200 km pro Stunde beträgt und unsere Ohren nur etwa 15 cm auseinander liegen, sind der Lautstärkenunterschied und die Zeitver schiebung extrem gering. Der gerade noch erkennbare Unterschied in der Richtung der beiden Schallquellen entspricht einem Zeitunterschied von nur 0,000027 Se kunden! Doch unser hochempfindliches Gehör kann solche winzigen Unterschiede glücklicherweise wahr nehmen (Brown & Deffenbacher, 1979; Middlebrooks & Green, 1991).
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Theorie zur Wahrnehmung von Tonhöhe würde am besten die Freude des Publikums eines Symphonieorchesters über die hohen Töne der Pikkoloflöte erklären? Und wie ist das mit den tiefen Tönen des Cellos?
zz Geräusche lokalisieren
Warum haben wir nicht einfach ein großes Ohr, bei spielsweise über der Nase? „Damit ich dich besser hören kann“, sagte schon der Wolf zu Rotkäppchen. Ebenso wie uns die Position unserer Augen erlaubt, einen op tischen Eindruck von räumlicher Tiefe zu gewinnen, ermöglicht uns die Position unserer Ohren den Genuss des räumlichen Hörens, auch Stereohören genannt. Aus mindestens zwei Gründen sind zwei Ohren besser als eins (. Abb. 7.48). Wenn rechts von uns ein Auto hupt, emp fängt unser rechtes Ohr ein lauteres Geräusch, und dies erreicht das rechte Ohr etwas früher als das linke.
7.3.2
Die anderen Sinne
Haie und Hunde verlassen sich auf ihren ausgeprägten Geruchssinn, der durch große, dem Geruchssinn vor behaltene Hirnareale unterstützt wird. Bei der Zuteilung von Hirnrindengewebe gibt das menschliche Gehirn Se hen und Hören den Vorrang. Aber auch unsere anderen Sinne funktionieren auf außergewöhnliche Weise. Ohne unseren Tastsinn, den Geschmacks- und Geruchssinn oder den kinästhetischen Sinn wären wir Menschen ernsthaft beeinträchtigt, und unsere Fähigkeiten, die Welt zu genießen, wären äußerst eingeschränkt.
Tastsinn ?? 7.19 Wie spüren wir Berührung?
Von Anfang an sind Berührungen für unsere Entwick lung entscheidend. Ganz kleine Ratten, denen man die
7
296
7
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Berührung der fürsorglichen Pflege ihrer Mutter vor enthält, produzieren weniger Wachstumshormone und haben einen herabgesetzten Stoffwechsel. Das ist ein guter Schutzmechanismus, um am Leben zu bleiben, be vor die Mutter zurückkommt, aber auch eine Reaktion, die das Wachstum behindert, wenn sie länger anhält. Ganz kleine Äffchen, die ihre Mutter sehen, hören und riechen, sie aber nicht berühren dürfen, werden schreck lich unglücklich (Suomi et al., 1976). Zu früh geborene Babys nehmen schneller zu und können früher aus dem Krankenhaus entlassen werden, wenn sie durch Mas sage mit den Händen stimuliert werden (Field et al., 2006). Als Erwachsene sehnen wir uns immer noch nach Berührung – zu küssen, zu streicheln, zu kuscheln (. Abb. 7.49). Der Satiriker Dave Barry mag Recht haben, darüber zu spotten, dass die Haut „andere Menschen davon abhält, ins Innere unseres Körpers zu schauen, was ab stoßend ist, und unsere Organe davon abhält, auf den Boden zu fallen“. Aber die Haut kann noch viel mehr. Berührt man verschiedene Punkte auf der Haut mit einem weichen Haar, einem warmen oder kalten Draht oder einer Nadelspitze, so entdeckt man, dass manche Punkte besonders empfindlich auf Druck reagieren, manche auf Wärme, andere auf Kälte und wieder andere auf Schmerz. Unser „Tast- oder Berührungssinn“ ist in Wirklichkeit eine Mischung aus mindestens vier ver schiedenen Sinneswahrnehmungen der Haut und unsere anderen Hautempfindungen sind Abwandlungen der vier Grundqualitäten Druck, Wärme, Kälte und Schmerz. Benachbarte Druckstellen zu streicheln, lässt beispiels weise ein Kitzeln aufkommen. Das wiederholte sanfte Streicheln eines Schmerzpunktes, lässt ein Juckgefühl entstehen. Werden benachbarte kälte- und druckemp findliche Punkte berührt, löst dies ein Gefühl von Nässe aus, das Sie spüren können, wenn Sie trockenes, kaltes Metall anfassen. Zur Berührungsempfindung gehört allerdings mehr als nur die taktile Stimulation. Ein selbst ausgelöstes Kitzeln führt zu einer sehr viel geringeren somatosenso rischen Kortexaktivierung, als dies beim selben Kitzeln der Fall wäre, wenn es durch etwas oder jemand anderen ausgelöst wird (Blakemore et al., 1998). Ebenso ruft ein sinnliches Beinstreicheln eine andere somatosensorische Kortexreaktion hervor, wenn ein heterosexueller Mann glaubt, dass sie von einer attraktiven Frau stammt und nicht von einem anderen Mann (Gazzola et al., 2012). Solche Reaktionen zeigen, wie schnell Kognition die sensorische Reaktion unseres Gehirns beeinflussen kann.
Schmerz ?? 7.20 Welche biologischen, psychologischen und sozio
kulturellen Faktoren beeinflussen unser Schmerzerle ben? Wie helfen Placebos, Ablenkung und Hypnose bei der Schmerzkontrolle?
..Abb. 7.49 Unser kostbarer Tastsinn. Wie schon William James in Die Prinzipien der Psychologie (1890) schrieb, ist „Berührung das A und O der Zuneigung“. (© Hooton Ian/Science Photo Library)
Seien Sie dankbar für gelegentliche Schmerzen. Durch Schmerzen teilt Ihnen Ihr Körper mit, dass etwas nicht stimmt. Indem er Ihre Aufmerksamkeit auf eine Ver brennung, einen Hautriss oder einen Bruch lenkt, meldet er Ihnen, dass Sie Ihr Verhalten sofort ändern müssen: „Tritt bloß nicht auf den verdrehten Knöchel!“ Schmerz erfüllt auch psychologische Funktionen. Er liefert einen Kontrast, der unsere Genusserleben verstärkt, und ver bessert unsere Selbstwahrnehmung. Darüber hinaus weckt er auch die Empathie anderer und fördert soziale Beziehungen (Bastian et al., 2014). Die wenigen Menschen, die ohne die Fähigkeit zur Schmerzempfindung geboren werden, können sich schwere Verletzungen zuziehen oder erreichen nicht ein mal das frühe Erwachsenenalter. Ohne das Unbehagen zu empfinden, das uns gelegentlich dazu veranlasst, die Stellung oder Körperhaltung zu wechseln, neigen sie zu einer Überbeanspruchung ihrer Gelenke, und ohne die Warnsignale des Schmerzes akkumulieren sich die Aus wirkungen von unkontrollierten Infektionen und Verlet zungen (Neese, 1991, . Abb. 7.50). Um einiges größer hingegen ist die Zahl der Men schen, die mit chronischem Schmerz leben, was etwa
297
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
..Abb. 7.50 „Schmerz ist ein Segen“. Dies sagte ein Arzt, der Ashlyn Blocker untersuchte, die aufgrund einer seltenen genetischen Mutation keine Schmerzen empfinden kann. Bei ihrer Geburt weinte sie nicht. Als Kind rannte sie zwei Tage lang mit einem gebrochenen Knöchel herum. Sie hat ihre Hände auf eine heiße Maschine gelegt,
bis ihr Fleisch verbrannte. Und sie griff in kochendes Wasser, um ei nen heruntergefallenen Löffel herauszuholen. „Jeder in meiner Klasse fragt mich danach und ich sage: ‚Ich kann Druck spüren, aber keinen Schmerz.‘ Autsch! Ich kann ihn nicht fühlen!“ (© STEPHEN MOR TON/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
mit einem Alarmsignal vergleichbar ist, das sich nie abschaltet. Das Leiden solcher Menschen und anderer mit ständigen oder ständig wiederkehrenden Rücken schmerzen, Kopfschmerzen und arthritis- oder krebs bedingten Schmerzen wirft zwei Fragen auf: Was ist eigentlich Schmerz? Und wie können wir ihn unter Kon trolle bringen?
Muskeln und Organen, und spüren schädigende Tem peraturen, Druck oder Chemikalien auf (. Abb. 7.52). Unser Schmerzerleben hängt teilweise von unseren genetischen Anlagen und unseren körperlichen Eigen schaften ab (Gatchel et al., 2007; Reimann et al., 2010). Frauen sind in der Regel schmerzempfindlicher als Män ner (auch ihr Hör- und Geruchssinn ist tendenziell emp findlicher) (Ruau et al., 2012; Wickelgren, 2009). Obwohl es keine Schmerztheorie gibt, die alle heute zur Verfügung stehenden Erkenntnisse erklären könnte, ist die klassische Gate-Control-Theorie des Psychologen Ronald Melzack und des Biologen Patrick Wall noch im
zz Schmerz verstehen
Unser Schmerzerleben wird sowohl von Bottom-up-Emp findungen als auch Top-down-Kognitionen beeinflusst. Schmerz ist ein biopsychosoziales Ereignis (Hadjistav ropoulos et al., 2011). Deswegen unterscheidet sich das Schmerzerleben zwischen verschiedenen Gruppen und Personen sehr. Wenn wir Schmerz biologisch, psycho logisch und soziokulturell betrachten, können wir ihn genauer verstehen, besser mit ihm umgehen und ihn effektiver behandeln (. Abb. 7.51). Biologische Einflüsse Wir erleben Schmerz körperlich
und dieses Erlebnis wird von unseren Sinnen erzeugt. Aber unser Schmerzempfinden unterscheidet sich von einigen unserer anderen Empfindungen. Während uns Licht sehen lässt, gibt es nicht nur einen einzigen Typ von Reiz, der Schmerzen auslöst. Zudem gibt es auch keine spezialisierten Rezeptoren, die Schmerzsignale ver arbeiten, wie es etwa unsere Retinarezeptoren mit Licht strahlen tun. Stattdessen gibt es verschiedene Arten von Nozizeptoren. Diese sensorischen Rezeptoren befinden sich vor allem in unserer Haut, aber auch in unseren
Biologische Einflüsse: • Aktivität in den dickeren und dünneren Fasern des Rückenmarks • genetische Unterschiede in Bezug auf die Endorphinproduktion • die Interpretation der ZNS-Aktivität durch das Gehirn
Soziokulturelle Einflüsse: • Anwesenheit anderer • Empathie gegenüber den Schmerzen anderer • kulturelle Erwartungen
Psychologische Einflüsse: • Aufmerksamkeit gegenüber Schmerzen • erfahrungsbasiertes Lernen • Erwartungen
Persönliche Schmerzerfahrung
..Abb. 7.51 Die biopsychosoziale Sichtweise des Schmerzes. Unser Schmerzempfinden besteht aus sehr viel mehr als lediglich neuronalen Botschaften, die an unser Gehirn gesendet werden
7
298
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.52 Der Schmerzschaltkreis. Sensorische Rezeptoren (Nozizeptoren) antworten auf möglicherweise schädliche Reize, indem sie Impulse an das Rücken mark senden, wo die Botschaft ans Gehirn weitergeleitet wird. Dort wird das Signal als Schmerz interpretiert
Weiterleitung ans Gehirn
Schmerzimpuls
7
Querschnitt des Rückenmarks
Zellkörper eines Nozizeptors Nervenzelle
Gewebeverletzung
mer ein nützliches Modell (1965, 1983; Melzack & Katz, 2013, mit Unterstützung von Foster et al., 2015). Diese Theorie geht davon aus, dass es im Rückenmark ein neu rologisches „Tor“ („gate“) gibt, das die Weitergabe von Schmerzsignalen an das Gehirn kontrolliert. Das Rückenmark enthält dünne Nervenfasern, über die die meisten Schmerzsignale weitergeleitet werden. Melzack und Wall gingen davon aus, dass die dünnen Fasern das neuronale Tor aktivieren und öffnen, wenn Gewebe verletzt wird. Diese Schmerzsignale werden dann an das Gehirn weitergeleitet und Sie spüren Schmerzen. Durch die Aktivität der dickeren Fasern (durch Massage, elektrische Stimulation oder Akupunktur) kann das Schmerztor jedoch geschlossen werden, wodurch die Schmerzsignale blockiert und daran gehindert werden, zum Gehirn vorzudringen. Nachrichten, die vom Gehirn an das Rückenmark gesendet werden, können das Tor ebenfalls schließen. Chronische Schmerzen können des halb mit „torschließenden“ Aktivitäten in den dickeren Nervenfasern wie Massagen oder mit mentalen Aktivitä ten wie Ablenkung behandelt werden (Wall, 2000). Gate-Control-Theorie („gate-control theory“) – besagt,
dass das Rückenmark über ein neurologisches „Tor“ („gate“) verfügt, das Schmerzsignale aufhält oder zum
Gehirn durchlässt. Das „Tor“ wird geöffnet durch die Aktivität von Schmerzsignalen, die über feine Nerven fasern nach oben steigen, und geschlossen durch die Ak tivität in dickeren Fasern oder durch vom Gehirn kom mende Informationen. Aber Schmerz ist nicht einfach nur ein physisches Pro blem, das durch verletzte Nerven verursacht wird, die ihre Impulse dann ans Gehirn übermitteln, als zöge man an einem Seil, um die Glocken zu läuten. Das Ge hirn kann den Schmerz auch kreieren. Denken Sie an Menschen mit Phantomempfindungen. Das Gehirn kann die spontane Aktivität des Zentralnervensystems, die in Abwesenheit von normalem sensorischem Input auftritt, falsch deuten. Wie Träumende mit geschlossenen Augen sehen können, so können nach Angaben von Melzack (1992, 1993) 70 % der Menschen mit Amputationen Schmerzen oder Bewegungen in nicht mehr vorhande nen Gliedern empfinden. Es kann auch vorkommen, dass ein von einer Amputation betroffener Mensch mit seinem nicht mehr vorhandenen Bein aus dem Bett auf stehen oder eine Tasse mit der nicht vorhandenen Hand hochheben will. Sogar Menschen, denen von Geburt an einzelne Gliedmaßen fehlen, nehmen manchmal Emp findungen in ihrem nicht vorhandenen Arm oder Bein
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
299
wahr. Melzack (1998) stellte daher die Vermutung an, unser Gehirn sei bereits von vornherein mit der Infor mation ausgestattet, „dass es Impulse von einem Körper erhalten wird, der über Glieder verfügt“. Ein ähnliches Phänomen ist auch bei unseren ande ren Sinnen zu beobachten. Menschen, vor allem jene mit einer Beeinträchtigung des Hörvermögens, empfinden oft den Klang der Stille, d. h. Phantomgeräusche, wie Ohrensausen, auch Tinnitus genannt (Sedley et al., 2015). Und wer durch Glaukom, grauen Star, Diabetes oder Makuladegeneration das Sehvermögen verloren hat, sieht manchmal Phantom- oder Trugbilder, die nichts anderes sind als unbedrohliche Halluzinationen (Rama chandran & Blakeslee, 1998). Nervenschädigungen im Geschmackszentrum können auf ganz ähnliche Weise einen Phantomgeschmack hervorrufen, beispielsweise Eiswasser, das ekelhaft süß zu schmecken scheint, oder frische Luft, die nach verdorbenem Essen riecht (Goode, 1999). Und was ist die Moral daraus? Wir sehen, hören, schmecken, riechen und fühlen mit unserem Gehirn, das auch ohne funktionierende Sinnesorgane wahrnehmen kann. Psychologische Einflüsse Unsere Schmerzwahrnehmung
wird stark davon beeinflusst, wie viel Aufmerksamkeit wir dem Schmerz zuwenden. Sportler:innen, die, aufs Gewinnen fokussiert sind, spielen etwa bis zum Ende weiter, obwohl sie Schmerzen haben. Auch hinter unseren Erinnerungen an Schmerz ver birgt sich mehr als der Schmerz, den wir empfunden ha ben. Bei Untersuchungen und nach medizinischen Ein griffen oder Geburten sehen Menschen über die Dauer des Schmerzes leicht hinweg. In Erinnerung behalten sie nur zwei Faktoren: den schlimmsten Schmerzmoment (was dazu führen kann, dass sie verschiedenartige Schmerzen, mit besonders schmerzhaften Spitzen, ins gesamt als schlimmer in Erinnerung behalten [Chajut et al., 2014; Stone et al., 2005]), und wie viel Schmerz sie am Ende spürten. Im Rahmen eines Experiments wurden die Versuchspersonen gebeten, eine Hand 60 Sekunden lang in schmerzhaft kaltes Wasser zu tauchen und dann die andere Hand 60 Sekunden lang in dasselbe eiskalte Wasser zu stecken sowie anschließend nochmals 30 Se kunden in etwas weniger kaltes (Kahnemann et al., 1993). Welche Erfahrung bleibt wohl am schmerzhaftes ten in Erinnerung? Interessanterweise gaben die meisten Personen auf die Frage, welche der beiden Prozeduren sie eher noch einmal über sich ergehen lassen würden, die längere an. Diese war zwar insgesamt mit mehr Schmerz verbunden, aber mit weniger Schmerz am Ende. Bei einem Versuch hielt sich ein Arzt bei einigen Patient:innen, die eine Kolonuntersuchung über sich ergehen lassen mussten, an diese Vorgabe: Er dehnte das unangenehme Gefühl um eine Minute aus, verringerte jedoch die Intensität (Kahneman, 1999). Obwohl dieses andauernde leicht un
..Abb. 7.53 Vom Schmerz abgelenkt. Nach einer Grätsche in der ersten Halbzeit eines Pflichtspiels sagte Mohammed Ali Khan (hier in Weiß), er habe „ein bisschen Schmerzen“, dachte aber, es sei „nur eine Prellung“. Er richtete seine gesamte Aufmerksamkeit auf den Rest des Spiels und machte weiter. In der zweiten Halbzeit überraschte ihn dann der behandelnde Arzt, als er ihm mitteilte, dass sein Bein gebrochen war. (© Reinhold Matay/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
angenehme Gefühl die Schmerzempfindung insgesamt stärker werden ließ, erinnerten sich die Patienten, die diese „ausklingende“ Behandlung erlebt hatten, später an die Untersuchung als weniger schmerzhaft als diejeni gen, bei denen der Schmerz abrupt endete (. Abb. 7.53). (Wenn die Kieferchirurgin Sie nach einer schmerzhaf ten Wurzelbehandlung fragt, ob Sie nach Hause gehen möchten, oder noch ein paar Minuten etwas weniger Un angenehmes ertragen wollen, spricht viel dafür, dass Sie Ihren Schmerz noch verlängern.) Das Ende eines Ereignisses kann unsere Erinnerung an positive Erfahrungen färben. In einem einfachen Experiment wurde einigen Versuchspersonen, die ein fünftes und letztes Stück Schokolade erhielten, gesagt, dass dies ihr „nächstes“ Stück sei. Anderen Versuchs personen, denen gesagt wurde, es sei ihr „letztes“ Stück, schmeckte es besser und sie bewerteten das Experiment insgesamt auch als angenehmer (O’Brien & Ellsworth, 2012). In diesem Fall galt: Ende gut, alles gut.
7
300
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Soziokulturelle Einflüsse Unsere Schmerzwahrnehmung
7
hängt von unserer Aufmerksamkeit, unseren Erwartun gen und selbst von unserem kulturellen Hintergrund ab (Gatchel et al., 2007; Reimann et al., 2010). Es überrascht daher kaum, dass sie je nach sozialer Situation oder kul turellen Traditionen variiert. Menschen nehmen mehr Schmerz wahr, wenn auch andere Schmerzen zu erleben scheinen (Symbaluk et al., 1997). Dieses Phänomen kann als Erklärung für die offensichtlichen sozialen Einflüsse auf Schmerz dienen. Dies war der Fall, als in Australien ganze Gruppen von Sekretärinnen in den 80er Jahren beim Schreibmaschineschreiben oder anderen sich stän dig wiederholenden Arbeiten plötzlich unter schweren Schmerzen litten – ohne jede erkennbare körperliche Anomalie (Gawande, 1998). Manchmal sitzt körperlicher Schmerz hauptsächlich im Gehirn. Und wenn sie wegen der Schmerzen Mitgefühl mit einem anderen Menschen empfinden, kann die eigene Hirnaktivität in Bezug auf den Schmerz teilweise eine gespiegelte Hirnaktivität des anderen sein (Singer et al., 2004). zz Schmerz kontrollieren
Wenn Schmerz dort ist, wo Körper und Seele aufeinan dertreffen, wenn er also tatsächlich ein physisches und psychisches Phänomen darstellt, müsste er eigentlich so wohl mit physischen als auch mit psychischen Methoden behandelbar sein. Je nach Art der Symptome wählen die Schmerzkliniken eine oder mehrere Therapien aus einer Liste aus, die Medikamente, chirurgische Eingriffe, Aku punktur, Elektrostimulation, Massage, Körperübungen, Hypnose, Entspannungstraining und Ablenkung der Ge danken umfasst (. Abb. 7.54). Wenn wir Schmerzen haben, kommt uns auch unsere eigene eingebauten Schmerzkontrolle zur Hilfe. In Re aktion auf starke Schmerzen oder sogar dann, wenn wir uns körperlich anstrengen, schüttet unser Gehirn ein na türliches Schmerzmittel aus (Endorphine). Der Schmerz, den wir empfinden, kann deswegen stark reduziert sein, wenn wir von ihm abgelenkt sind und Endorphine aus geschüttet werden. Sportverletzungen können bis zur Dusche nach dem Spiel unbemerkt bleiben. Menschen mit einem Gen, das die Verfügbarkeit von Endorphinen erhöht, werden weniger von Schmerzen geplagt und ihr Gehirn reagiert weniger auf Schmerzen (Zubieta et al., 2003). Andere, die ein mutiertes Gen tragen, das die Neurotransmission des Schmerzkreislaufs unterbricht, sind möglicherweise nicht dazu in der Lage, Schmerzen zu empfinden (Cox et al., 2006). Solche Entdeckungen weisen den Weg zu zukünftigen Schmerzmedikamenten, die diese genetischen Effekte nachahmen können. Placebos Selbst ein inaktives Placebo kann helfen,
indem es die Aufmerksamkeit und die Reaktionen des Zentralnervensystems auf schmerzvolle Erfahrungen ab schwächt und damit ein Schmerzmittel simuliert (Eippert et al., 2009; Wager & Atlas, 2013). Nach einer Injektion
..Abb. 7.54 Akupunktur: ein gut gesetzter Stich. Dieser Akupunk teur versucht, einer Frau dabei zu helfen, dass ihre Rückenschmerzen nachlassen, indem er Nadeln an bestimmten Stellen auf der Hand der Patientin anbringt. (© James Tye/Dorling Kindersley/picture alliance)
mit brennender Kochsalzlösung in den Kiefer haben Männer in einem Experiment ein Placebo erhalten, das angeblich die Schmerzen lindern sollte – und sofort fühlten sie sich besser. Dadurch dass ihnen angeblich schmerzstillende Chemikalien gegeben wurden, wurde das Gehirn veranlasst, echte auszuschütten. Das kann man an der Aktivität in einem Gehirnareal ablesen, das natürliche schmerztötende Opiate ausschüttet (Scott et al., 2007; Zubieta et al., 2005). „Der Glaube wird Realität“, bemerkte ein Kommentator (Thernstrom, 2006), und zwar sobald „sich der Geist mit dem Körper vereinigt“. In einem anderen Experiment wurden zwei Placebos – unechte Pillen und vorgespielte Akupunktur – mitei nander verglichen (Kaptchuk et al., 2006). Personen mit anhaltenden Armschmerzen erhielten entweder Schein akupunktur (mit Tricknadeln, die sich zurückzogen, ohne die Haut zu durchstechen) oder blaue Pillen aus Speisestärke, die wie Pillen aussahen, die oft bei Verlet zungen durch Überanstrengung verschrieben werden. Nach 2 Monaten berichteten beide Gruppen über weni ger Schmerz, wobei die Scheinakupunktur-Gruppe den größeren Schmerzrückgang vermeldete. Ein Viertel jener
301
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
Personen, die die scheinbaren Nadelstiche bekamen, und 31 % von denen, die die Pillen bekamen, klagten über Nebenwirkungen, wie etwa schmerzende Haut oder tro ckenen Mund und Müdigkeit.
ein paar Minuten dieser hypnotischen Induktion werden Sie in Hypnose sein. Die Worte beeinflussen Ihr Gehirn. Prüfen Sie Ihr Wissen
» „Schmerz wird noch verstärkt durch die Aufmerksam
– Welche der folgenden Phänomene lindert NICHT nachweislich Schmerzen? a. Ablenkung b. Hypnose c. Phantomempfindungen d. Endorphine
keit, die man ihm schenkt.“ Charles Darwin, Der Ausdruck der Gemütsbewegungen bei dem Menschen und den Tieren (1872)
Hypnose („hypnosis“) – eine soziale Interaktion, bei der
eine Person (der Hypnotiseur bzw. die Hypnotiseurin) ei ner anderen (der Testperson) suggeriert, dass bestimmte Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken oder Verhaltens weisen spontan auftreten werden. Dissoziation („dissociation“) – eine Bewusstseinsspaltung, die es ermöglicht, dass einige Gedanken und Verhaltens weisen gleichzeitig mit anderen auftreten. Posthypnotische Suggestion („posthypnotic suggestion“)
– ein Vorschlag, der während einer Hypnosesitzung ge macht wird und durchgeführt werden soll, nachdem die Person nicht mehr hypnotisiert ist; wird in einigen kli nischen Situationen verwendet, um unerwünschte Symp tome und Verhaltensweisen zu kontrollieren. Ablenkung Das Ablenken mit Hilfe angenehmer Bilder
(„Stellen Sie sich eine warme, behagliche Umgebung vor“) oder das Ablenken der Aufmerksamkeit – weg von der schmerzhaften Situation („Zählen Sie in Dreierschritten rückwärts“) – ist eine besonders wirksame Methode zur Aktivierung von schmerzhemmenden Kreisläufen und zur Erhöhung der Schmerztoleranz (Edwards et al., 2009). Wenn Brandopfer schmerzhafte Hautbehandlungen über sich ergehen lassen müssen, können die Schmerzen deutlich verringert werden, wenn die Betreffenden in eine 3-D-Welt eintauchen. Schichtaufnahmen mit Hilfe der funktionalen Kernspintomografie zeigen, dass man die schmerzbedingte Hirnaktivität verringern kann, wenn man ein Spiel mit virtueller Realität spielt (Hoffman, 2004). Da der Schmerz im Kopf sitzt, könnte es Linderung verschaffen, wenn man die Aufmerksamkeit ablenkt. Hypnose Forschungsergebnisse zeigen, dass Schmerzen
noch besser gelindert werden können, wenn ein Placebo mit Ablenkung kombiniert (Buhle et al., 2012) und ihre gemeinsame Wirkung mit Hypnose verstärkt wird. Stellen Sie sich vor, Sie werden gerade hypnotisiert. Ein Hypnoti seur weist Sie an, sich zurückzulehnen, den Blick auf einen Punkt an der Decke zu fixieren und sich zu entspannen. Sie hören eine leise, tiefe Stimme, die sagt: „Ihre Augen werden müde. … Ihre Augenlider werden schwer … immer schwerer. … Sie beginnen sich zu schließen. … Sie werden immer entspannter. … Ihre Atmung ist jetzt tief und regel mäßig. … Ihre Muskeln entspannen sich mehr und mehr. Ihr ganzer Körper beginnt sich wie Blei anzufühlen.“ Nach
Hypnotiseur:innen können nicht auf magische Weise unsere Gedanken kontrollieren. Sie lenken lediglich unsere Aufmerksamkeit auf bestimmte Bilder oder Ver haltensweisen. In einem bestimmten Ausmaß sprechen wir alle auf Suggestion an. Hochgradig hypnotisier bare Menschen sind jedoch besonders beeinflussbar und fantasievoll. Dazu gehören beispielsweise die 20 % der Menschen, die der Anweisung folgen können, nicht auf eine geöffnete Flasche geruchsintensiven Ammoniaks zu reagieren (Barnier & McConkey, 2004; Silva & Kirsch, 1992). Ihre Gehirne zeigen unter Hypnose auch eine ver änderte Aktivität (Jiang et al., 2016). Kann Hypnose Schmerzen lindern? Ja. Wenn nicht hypnotisierte Menschen ihren Arm in ein Eisbad legten, spürten sie innerhalb von 25 Sekunden starke Schmerzen (Elkins et al., 2012; Jensen, 2008). Wenn hypnotisierte Menschen dasselbe taten, nachdem ihnen suggeriert wurde, keinen Schmerz zu empfinden, berichteten sie hingegen, nur geringe Schmerzen zu spüren. Wie einige Zahnärzt:innen wissen, kann eine leichte Hypnose Angst reduzieren und damit Überempfindlichkeit gegen über Schmerzen verringern. Hypnose kann auch einige Formen von chronischen und behinderungsbedingten Schmerzen lindern (Adachi et al., 2014; Bowker & Dors tyn, 2016). In chirurgischen Experimenten benötigten hypnoti sierte Patient:innen weniger Medikamente, erholten sich schneller und verließen das Krankenhaus früher als nicht hypnotisierte Kontrollpersonen (Askay & Patterson, 2007; Hammond, 2008; Spiegel, 2007). Fast 10 % aller Menschen können so tief hypnotisiert werden, dass so gar größere Operationen ohne Anästhesie durchgeführt werden können. Die Hälfte von uns kann durch Hypnose zumindest eine gewisse Schmerzlinderung erreichen. Der chirurgische Einsatz von Hypnose ist in Europa weit ver breitet und ein belgisches Ärzt:innenteam hat mehr als 5000 Operationen mit einer Kombination aus Hypnose, lokaler Anästhesie und einem leichten Sedativum durch geführt (Song, 2006). In der Psychologie wurden zwei Theorien zur Funk tionsweise von Hypnose vorgeschlagen (. Abb. 7.55): Die Theorie des sozialen Einflusses besagt, dass Hyp nose ein Nebenprodukt normaler sozialer und men
-
7
302
Kapitel 7 • Wahrnehmung
niemand zusieht (Perugini et al., 1998). Sie bietet auch eine Erklärung dafür, warum Menschen, die zur Schmerzlinderung hypnotisiert wurden, Gehirn aktivität in Regionen zeigen können, die sensorische Informationen empfangen, nicht aber in Regionen, die normalerweise schmerzbezogene Informationen verarbeiten (Rainville et al., 1997). Selektive Aufmerksamkeit kann ebenfalls eine Rolle bei der hypnotischen Schmerzlinderung spielen. Gehirnscans zeigen, dass Hypnose die Aktivität in den Aufmerksam keitssystemen des Frontallappens erhöht (Oakley & Halligan, 2013). Während Hypnose demnach also nicht den sensorischen Input selbst blockiert, kann sie unsere Aufmerksamkeit auf diese Reize blockieren. Dies kann erklären, warum verletzte Soldat:innen, die in einen Kampf verwickelt sind, wenig oder keinen Schmerz emp finden, bis sie in Sicherheit sind.
7
Geschmackssinn ?? 7.21 Auf welche Weise ähneln sich Geschmack und
Geruch und wie unterscheiden sie sich?
..Abb. 7.55 Dissoziation oder sozialer Einfluss. Diese hypnotisierte Frau, die vom berühmten Forscher Ernest Hilgard untersucht wurde, gab an, keine Schmerzen zu empfinden, als ihr Arm in ein Eisbad ge legt wurde. Wurde sie jedoch gebeten, eine Taste zu drücken, wenn ein Teil von ihr den Schmerz spürte, tat sie dies. Für Hilgard (1986, 1992) war dies ein Beleg für Dissoziation, also ein geteiltes Bewusstsein. Die Perspektive des sozialen Einflusses behauptet jedoch, dass Menschen, die auf diese Weise reagieren, die Rolle der „guten Versuchsperson“ spielen. (Courtesy of Elizabeth Jecker)
taler Prozesse darstellt (Lynn et al., 1990; Spanos & Coe, 1992). Laut dieser Sichtweise verhalten sich hypnotisierte Menschen wie Schauspieler:innen, die eine Rolle spielen, und fühlen und verhalten sich so, wie es von einer „guten hypnotisierten Versuchsper son“ erwartet wird. Sie gestatten es dem Hypnotiseur oder der Hypnotiseurin auf diese Weise eventuell, ihre Aufmerksamkeit und Gedanken vom Schmerz wegzulenken. Die Dissoziationstheorie schlägt vor, dass Hypnose ein spezieller Zustand der Dissoziation ist – eine Spaltung zwischen verschiedenen Bewusstseinsebe nen. Die Dissoziationstheorie versucht zu erklären, warum zuvor hypnotisierte Personen posthypnotische Suggestionen (die während der Hypnose gemacht werden, aber ausgeführt werden, wenn die Person nicht mehr hypnotisiert ist) ausführen können, wenn
-
Wie der Tastsinn kann der Geschmackssinn mehrere Grundempfindungen unterscheiden. Bis vor kurzem dachte man noch, die Grundqualitäten der Geschmacks empfindung seien süß, sauer, salzig und bitter und alle übrigen Geschmacksempfindungen ließen sich auf Mi schungen aus diesen vier Geschmacksqualitäten zurück führen (McBurney & Gent, 1979). Als dann Wissenschaft ler:innen auf der Suche nach spezialisierten Nervenfasern für die vier Geschmacksqualitäten waren, entdeckten sie schließlich einen Rezeptor für eine fünfte Qualität – die fleischige Geschmacksqualität des Umami-Geschmacks, der im Geschmacksverstärker Glutamat weit verbreitet ist. Den Geschmackssinn gibt es nicht nur, damit wir ge nießen können (. Tab. 7.2). Genussvolle Geschmacks empfindungen lenkten die Aufmerksamkeit unserer Ahnen auf energie- und proteinreiche Nahrungsmittel, die es ihnen ermöglichten zu überleben. Abstoßende Ge schmacksempfindungen hielten sie von neuen Nahrungs mitteln fern, die giftig sein könnten. Das Erbe dieser biologischen Weisheit können wir bis heute bei 2- bis 6-jährigen Kindern sehen, die normalerweise wählerisch beim Essen sind, vor allem wenn man ihnen ungewohnte Fleischsorten oder bitter schmeckendes Gemüse wie Spinat oder Rosenkohl vorsetzt (Cooke et al., 2003). Fleisch- und Pflanzengifte waren bei unseren Vorfahr:in nen potenzielle Auslöser für gefährliche Nahrungsmittel vergiftungen, vor allem bei Kindern. Wenn man Kindern heutzutage unbeliebte ungewohnte Nahrungsmittel wiederholt in kleinen Mengen anbietet, werden sie sie allmählich akzeptieren (Wardle et al., 2003). Wir lernen mit der Zeit das, was wir essen, auch zu mögen. Im Ver gleich zu gestillten Babys wuchsen deutsche Babys, die
303
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
..Tab. 7.2 Die überlebenswichtigen Funktionen der Grund qualitäten des Geschmackssinns. (Adaptiert nach Cowart, 2005) Geschmack
Anzeichen für
Süß
Energielieferant
Salzig
Für physiologische Prozesse lebenswichtiges Natrium
Sauer
Eventuell giftige Säure
Bitter
Mögliche Gifte
Umami
Proteine, die zum Wachsen und für Reparatu ren des Gewebes benötigt werden
mit der Flasche Milch mit Vanillegeschmack erhielten, zu Erwachsenen mit einer auffälligen Vorliebe für Vanille geschmack heran (Haller et al., 1999). Dieses Phänomen der Geschmacksexposition erstreckt sich sogar bis in den Mutterleib. In einem Experiment entwickelten Babys, de ren Mütter gegen Ende der Schwangerschaft und in den ersten Wochen der Stillzeit Karottensaft tranken, eine Vorliebe für Müsli mit Karottengeschmack (Mennella et al., 2001). Der Geschmackssinn ist eine chemische Sinnesemp findung. In jeder der kleinen Erhebungen oben auf der Zunge und an den Seiten befinden sich mehr als 200 Ge schmacksknospen, die jeweils eine Pore enthalten, die die Chemikalien der Nahrung einfängt. Diese Moleküle werden von 50–100 Geschmacksrezeptorzellen, von denen ausgehend antennenartige Haare in die Pore hineinragen, sensorisch aufgenommen. Manche dieser Rezeptoren reagieren hauptsächlich auf süß schme ckende Moleküle, andere auf salzig, sauer oder bitter schmeckende. Jeder Rezeptor sendet seine Botschaft an eine bestimmte Partnerzelle im Temporallappen unseres Gehirns (Barretto et al., 2015). Manche Menschen haben mehr Geschmacksknospen als andere und können daher intensivere Geschmäcker erleben. Mit ihrem besseren Geschmackssinn können sie auch Dinge schmecken, die andere Menschen nicht schmecken können (Bartoshuk, 2000). Es dauert nicht lange, um eine Geschmacksreaktion auszulösen. Wenn über Ihre Zunge ein Wasserschwall gepumpt wird, wird der Zusatz eines konzentrierten sal zigen oder süßen Geschmacks für eine Zehntelsekunde ausreichen, um Ihre Aufmerksamkeit zu erregen (Kelling & Halpern, 1983). Wenn eine Freundin sagt, sie wolle „nur einmal kurz“ Ihr Getränk probieren, können Sie also den Strohhalm schon nach einem Sekundenbruch teil zudrücken. Die Geschmacksrezeptoren erneuern sich alle 1–2 Wochen. Wenn Sie also mit heißem Essen Ihre Zunge verbrennen, ist das nicht weiter schlimm. Doch mit dem Alter nehmen die Anzahl der Geschmacksknospen und die Geschmacksempfindung ab (Cowart, 1981). (Des
halb ist es nicht überraschend, dass Erwachsene gerne kräftig schmeckende Speisen zu sich nehmen, die Kinder oft nicht so gerne mögen.) Rauchen und Alkoholkonsum beschleunigen die Verringerung der Geschmacksknospen und ihrer Sensibilität. Menschen, die ihren Geschmacks sinn verlieren, berichten, dass Nahrung wie „Stroh“ schmeckt und schwer zu schlucken ist (Cowart, 2005). So wichtig die Geschmacksknospen auch sind: Es steckt mehr hinter dem Geschmackssinn als nur die Zunge. Erwartungen können den Geschmack beeinflus sen. Wenn Ihnen gesagt wurde, dass ein Wurstbrötchen „vegetarisch“ ist, urteilten die Versuchspersonen in ei nem Experiment, dass es deutlich schlechter schmeckte als das identische Wurstbrötchen mit der Aufschrift „Fleisch“ (Allen et al., 2008). In einem anderen Ex periment wurde den Versuchspersonen gesagt, dass ein Wein, der in Wahrheit 8 € kostete, 70 € wert sei. Dadurch schmeckte er ihnen besser und es wurde mehr Aktivität in einem Gehirnareal ausgelöst, das auf angenehme Er fahrungen reagiert (Plassmann et al., 2008). Shakespeare schrieb (in Romeo und Julia): „Was uns Rose heißt, wie es auch hieße, würde lieblich duften.“ Allerdings scheint dem nicht so zu sein. Namen und Etiketten haben einen großen Einfluss. Und wo wir gerade bei Gerüchen sind … >>Überraschen Sie Ihre Freund:innen mit Ihrem neuen
Wort des Tages: Von Menschen, die nichts sehen können, sagt man, dass sie unter Blindheit leiden. Von Leuten, die nichts hören können, sagt man, dass sie unter Taubheit leiden. Und von Menschen, die nichts riechen können, sagt man, dass sie unter Anosmie leiden. Der eine von 7500 Menschen, der mit Anosmie geboren wird, hat nicht nur Schwierigkeiten beim Kochen und Essen, sondern ist auch etwas anfälliger für depressive Störungen, Unfälle und Beziehungsunsicherheiten (Croy et al., 2012, 2013).
Geruchssinn Einatmen, ausatmen. Zwischen Geburt und Tod atmen Sie etwa 500 Mio. Mal lebenserhaltende Luft ein und aus und füllen dabei Ihre Nasenflügel mit einem Strom von Molekülen, die mit Duftstoffen angereichert sind. Die Geruchserfahrungen, die daraus entstehen (Olfaktion), sind auffallend intim: Sie atmen etwas von allem und jedem, was sie riechen, ein. Olfaktion („olfaction“) – der Geruchssinn
Ebenso wie der Geschmackssinn ist auch der Geruchs sinn eine chemische Sinneserfahrung. Wir riechen etwas, wenn in der Luft schwebende Moleküle einer Substanz eine winzige Gruppe von Rezeptorzellen im oberen Bereich jeder der beiden Nasenhöhlen erreichen (. Abb. 7.56). Diese 20 Mio. Riechrezeptorzellen, die wie Seeanemonen auf einem Korallenriff hin- und her wiegen, reagieren selektiv – auf den Duft eines frisch gebackenen Kuchens, auf eine Rauchwolke, auf den
7
304
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Riechkolben 4. Die Signale werden an höhere Gehirnregionen weitergeleitet.
Riechnerv Riechkolben Rezeptorzellen in der olfaktorischen Membran
3. Die Signale werden durch zusammenlaufende Axone weitergeleitet.
Knochen Olfaktorische Rezeptorzellen
2. Olfaktorische Rezeptorzellen werden aktiviert und senden elektrische Signale aus.
Geruchsmoleküle
7
1. Geruchsstoffe docken an den Rezeptoren an. Geruchsrezeptoren Luft mit Geruchsstoffmolekülen
..Abb. 7.56 Der Geruchssinn. Wenn Sie den Duft einer Rose riechen wollen, müssen die Moleküle ihres Dufts über die Luft zu den Rezep toren oben in der Nasenhöhle gelangen. Durch Riechen an der Rose wird Luft zu den Rezeptoren hochgewirbelt und der Duft verstärkt.
Die Rezeptorzellen schicken Botschaften zum Bulbus olfactorius (Riechkolben) im Gehirn und dann weiter zur primären Riechrinde des Temporallappens und zu jenen Teilen des limbischen Systems, die für Gedächtnis und Gefühle zuständig sind
Parfümduft einer Freundin. Über ihre Axonfasern ver setzen sie das Gehirn sofort in einen Zustand höchster Aufmerksamkeit. Als Teil eines alten, primitiven Sinnesapparats umge hen die Geruchsneuronen das sensorische Kontrollzen trum des Gehirns, den Thalamus. Lange Zeit bevor die hochspezifischen analytischen Regionen unserer Hirn rinde voll ausgebildet waren, suchten unsere Vorfahr:in nen aus der Welt der Säugetiere durch Schnüffeln ihre Nahrung, aber auch Spuren von Raubtieren, die ihnen gefährlich werden konnten. Sie rochen auch Moleküle, die von anderen Mitgliedern ihrer Spezies abgesondert wurden (Pheromone). Einige Pheromone dienen als se xuelle Lockstoffe. Geruchsmoleküle gibt es in vielen Formen und Grö ßen, so viele, dass eine ungeheure Menge verschiedener Rezeptoren erforderlich ist, um sie zu erkennen. Eine große Familie von Genen ist für die Erzeugung von etwa 350 Rezeptorproteinen zuständig, die bestimmte Geruchsmoleküle erkennen können (Miller, 2004) (. Abb. 7.57). Linda Buck und Richard Axel (1991) ent deckten bei einer Forschungsarbeit, für die sie 1994 den Nobelpreis erhielten, dass diese Rezeptorproteine auf der Oberfläche der Neuronen in der Nasenhöhle sitzen. Wie ein Schlüssel genau in das dazugehörige Schlüsselloch passt, so passen die Geruchsmoleküle in diese Rezepto ren. Allerdings hat es nicht den Anschein, als besäßen wir einen individuellen Rezeptor für jeden unterscheidbaren Geruch. Manche Düfte sprechen eine Kombination von
Rezeptoren an, deren Aktivität von der Riechrinde in terpretiert wird. Wie die 26 Buchstaben des Alphabets in allen möglichen Kombinationen auftreten und eine Vielzahl von Wörtern bilden können, so binden Geruchs moleküle an bestimmte Gruppen von Rezeptoren und lassen so die etwa 1 Billion Geruchsqualitäten, die wir unterscheiden können, entstehen (Bushdid et al., 2014). Es sind die Kombinationen der olfaktorischen Rezepto ren, die verschiedene Neuronenmuster aktivieren und es uns so ermöglichen, zwischen dem Aroma eines frisch gebrühten und dem eines abgestandenen Kaffees zu un terscheiden (Zou et al., 2005). Tiere haben viel mehr Geruchsrezeptoren als Men schen und benutzen ihren Geruchssinn auch zum Kom munizieren und Navigieren. Lange bevor ein Hai seine Beute oder das Mottenmännchen sein Weibchen sehen kann, werden sie von Gerüchen geleitet. Auch die Lachse folgen bei ihrer Wanderung schwachen Geruchsreizen zurück zu ihrem Heimatfluss. Lachse, die an ihrem Laichplatz einem von zwei Geruchsstoffen ausgesetzt wurden, werden bei ihrer späteren Rückkehr nach einem Fluss suchen, der mit dem bekannten Geruch versetzt ist (Barinaga, 1999). Mit Hilfe ihres Geruchsinns findet eine Mutter robbe, die an einen mit Jungtieren überfüllten Strand zurückkehrt, ihre eigenen. Auch menschliche Mütter und säugende Babys lernen schnell, sich gegenseitig am Geruch zu erkennen (McCarthy, 1986). Wie uns jeder Hund oder jede Katze mit einer guten Nase sagen
305
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
Verarbeitung von Geschmack
Verarbeitung von Geruch (in der Nähe des Gedächtnisareals)
..Abb. 7.57 Die Nase weiß Bescheid. Der Mensch verfügt in der Regel über 20 Mio. Geruchsrezeptoren. Ein Bluthund hat hingegen etwa 220 Mio. (Herz 2007; © Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild/dpa/ picture alliance)
kann, hat jede:r von uns eine eigene identifizierbare che mische Unterschrift. (Eine bemerkenswerte Ausnahme: Ein Hund folgt der Spur eines eineiigen Zwillings, als wären sie von dem anderen gemacht worden [Thomas, 1974].) Unser Gehirn weiß, was unserer Nase missfällt (Zou et al., 2016). Aber ob wir einen Geruch mögen oder nicht, hängt von unserem kulturellen Hintergrund ab (Herz, 2001). So kann erklärt werden, warum USAmerikaner:innen den Geruch von Wintergrün (den sie mit Bonbons und Kaugummi verbinden) mehr mögen als Brit:innen (wo er oft mit Medizin assoziiert wird). Bei einem weiteren Experiment zu Gerüchen, die un angenehme Emotionen auslösen, frustrierten Herz et al. (2004) Studierende der Brown University mit ei nem manipulierten Computerspiel in einem duftenden Zimmer. Wenn man sie später bei der Arbeit an einer verbalen Aufgabe dem gleichen Geruch aussetzte, wurde ihre Frustration neu belebt, und sie gaben eher auf als Studierende, die einem anderen Geruch oder gar keinem ausgesetzt wurden. Obwohl unser Geruchssinn überaus wichtig ist, ist er schwächer ausgeprägt als unser Sehvermögen und unser Gehör. Wenn wir uns einen Garten anschauen, sehen wir seine Formen und Farben in exquisiten Details und hören eine Vielzahl von Vögeln singen, aber wir riechen recht wenig, sofern wir unsere Nase nicht in eine Blüte stecken. Verglichen damit, wie wir das, was wir sehen und hören können, erleben und uns daran erinnern, sind Gerüche primitiv und es fällt uns schwerer, sie zu be schreiben (Richardson & Zucco, 1989; Zucco, 2003). Fragen Sie sich selbst: Ist es einfacher, das Geräusch des
..Abb. 7.58 Geschmack, Geruch und Gedächtnis. Die Geschmacks knospen senden Informationen an ein Areal zwischen dem Frontal- und Temporallappen des Gehirns (gelber Pfeil). Diese Informationen werden an einer Stelle registriert, die nicht weit vom Teil des Gehirns entfernt ist, an dem es Informationen von unserem Geruchssinn empfängt. Dies erklärt, warum sich diese beiden Sinne gegenseitig beeinflussen. Die Ge hirnschaltkreise für den Geruchssinn (roter Bereich) sind darüber hinaus auch mit Bereichen verbunden, die an der Speicherung von Erinnerun gen beteiligt sind. Deswegen können Gerüche Erinnerungen auslösen
Kaffeekochens zu beschreiben oder sein Aroma? Für die meisten Menschen ist es das Geräusch. Obwohl es uns auch schwerfällt, uns über die Namen und Bezeichnungen von Gerüchen an sie zu erinnern, ha ben wir jedoch eine bemerkenswerte Fähigkeit, lang ver gessene Gerüche und die damit assoziierten persönlichen Erlebnisse wiederzuerkennen (Engen, 1987; Schab, 1991). Der Geruch des Meeres, der Duft eines Parfüms oder der typische Geruch der Küche einer unserer Lieblings verwandten kann uns an glückliche Zeiten erinnern. Die Schaltkreise in unserem Gehirn können erklären, warum Gerüche Erinnerungen und Gefühle hervorrufen können (. Abb. 7.58). Zwischen der Hirnregion, die die Infor mationen von der Nase empfängt, und den entwicklungs geschichtlich alten limbischen Zentren des Gehirns, die für Gedächtnis und Gefühle von Bedeutung sind, besteht eine direkte Verbindung. So haben Versuchspersonen, wenn sie in einem faulig riechenden Raum saßen, härtere Urteile über unmoralische Handlungen gefällt (z. B. lü gen oder ein gefundenes Portemonnaie behalten) (Inbar et al., 2011; Schnall et al., 2008). Wenn Menschen einem Fischgeruch ausgesetzt sind, werden sie misstrauischer (Lee et al., 2015). Und bei der Fahrt in einem Zugwag gon, der nach dem Zitrusduft eines Reinigungsmittels riecht, ließen Menschen weniger Müll zurück (de Lange et al., 2012). Geschlecht und Alter beeinflussen, wie gut wir Gerüche unterscheiden können. Frauen und junge Er wachsene haben den besten Geruchssinn (Wickelgren, 2009; Wysocki & Gilbert, 1989). Auch die körperliche Verfassung spielt eine Rolle. Bei Personen, die rauchen, Alkohol konsumieren, an Alzheimer oder Parkinson er
7
306
Kapitel 7 • Wahrnehmung
7 ..Abb. 7.59 Körperlage. Jedes Mitglied dieses Cheerleading-Teams kann sich bei ihren Innenohren für die Informationen bedanken, die es ihrem Gehirn ermöglichen, die Lage ihres Körpers so gekonnt zu überwachen. (© Derek Regensburger/Newscom/picture alliance)
krankt sind, ist der Geruchssinn nachgewiesenermaßen herabgesetzt (Doty, 2001). Bei allen Menschen hat der Geruchssinn im frühen Erwachsenenalter seinen Höhe punkt und nimmt danach langsam ab.
» „In unserem Wohnzimmer könnte ein Haufen LKWReifen brennen und ich würde das nicht unbedingt riechen. Meine Frau dagegen kann eine einzelne ver dorbene Traube zwei Häuser weiter aufspüren.“ Dave Barry (2005)
ist auch ein Schritt nach vorne dank Ihres kinästhetischen Sinns möglich, der Ihnen die Lage und Bewegung Ihrer Gliedmaßen bewusst macht. Sie verfügen über Millionen von Lage- und Bewegungssensoren in Ihren Muskeln, Sehnen und Gelenken überall in Ihrem Körper. Diese Sensoren senden ständig Informationen an Ihr Gehirn. Drehen Sie Ihr Handgelenk um nur ein Grad, erhält Ihr Gehirn ein sofortiges Update. Man kann sich einen Moment lang vorstellen, blind oder taub zu sein. Machen Sie die Augen zu, verschlie ßen Sie Ihre Ohren mit Ohrstöpseln, und erleben Sie die dunkle Stille. Aber wie wäre es wohl, ohne Berührung oder Kinästhesie leben zu müssen, ohne beispielsweise die Lage Ihrer Gliedmaßen zu spüren, wenn Sie nachts auf wachen? Ian Waterman aus Hampshire in England weiß, wie es ist. Im Alter von 19 Jahren bekam er 1972 eine sel tene Virusinfektion, die die Nerven zerstörte, die ihm das Empfinden von leichten Berührungen sowie der Position und Bewegung des Körpers vermittelten. Menschen mit dieser Krankheit berichten, dass sie sich körperlos fühlen, als sei ihr Körper tot, nicht real oder nicht ihr eigener (Sacks, 1985). Mit viel Übung hat Waterman gehen und essen gelernt, indem er sich visuell auf seine Gliedmaßen konzentriert und sie entsprechend lenkt. Aber wenn das Licht ausgeht, fällt er auf den Boden (Azar, 1998). Auch bei gesunden Menschen findet eine Interaktion zwischen Sehen und Kinästhesie statt. Stellen Sie Ihre rechte Ferse vor die Zehen Ihres linken Fußes. Das ist einfach. Schließen Sie nun die Augen. Wahrscheinlich fangen Sie jetzt an zu wackeln. Kinästhesie („kinesthesis“) – Fähigkeit zur Wahrnehmung
der Position und Bewegung einzelner Gliedmaßen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie unterscheidet sich unser Geruchssystem von den sensorischen Systemen für Tasten und Ge schmack?
Lage und Bewegung des Körpers im Raum ?? 7.22 Wie spüren wir Lage und Bewegung unseres
Körpers im Raum?
Ohne die Fähigkeit, die Lage und Bewegung Ihres Kör pers zu spüren, könnten Sie keine Nahrung in den Mund nehmen, aufstehen oder die Hand ausstrecken, um je manden zu berühren (. Abb. 7.59). Auch wäre es Ihnen nicht möglich, einen Schritt nach vorne zu machen, was uns in der Regel so einfach erscheint. Diese Handlung er fordert die Rückmeldung von und die Anweisung an etwa 200 Muskeln und beansprucht eine Gehirnleistung, die die geistige Aktivität übersteigt, die mit dem Denken ver bunden ist. Wie alle anderen willkürlichen Bewegungen
Ein eng damit zusammenhängender Sinn, der Gleichgewichtssinn (auch vestibulärer Sinn genannt) überwacht die Lage und Bewegung des Kopfes (und damit des Körpers). Die beiden biologischen „Messgeräte“ für das Gleichge wicht befinden sich im Innenohr. Die Bogengänge, die wie dreidimensionale Brezeln aussehen (. Abb. 7.45), und die Sacculi des Vestibularapparats, die die Bogengänge mit der Kochlea verbinden, enthalten Flüssigkeiten, die sich bewegen, wenn sich der Kopf dreht oder kippt. Durch diese Bewegung werden haarähnliche Rezeptoren stimuliert, die daraufhin Botschaften an das Kleinhirn (Zerebellum) im hinteren Teil des Gehirns senden und es somit möglich machen, dass wir die Lage des Körpers im Raum wahrnehmen und das Gleichgewicht halten. Gleichgewichtssinn (auch vestibulärer Sinn; „vestibular sense“) – Sinnessystem zur Wahrnehmung der Bewegung
und Lage des Körpers. Dies umfasst den Gleichgewichts sinn. Wenn Sie sich schnell im Kreis drehen und plötzlich ste hen bleiben, werden weder die Flüssigkeit in den Bogen
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
gängen der Ohren noch die kinästhetischen Rezeptoren sofort wieder in ihre Ausgangsposition zurückkehren. Die Nachwirkung gaukelt Ihrem schwindeligen Gehirn die Empfindung vor, Sie würden sich immer noch drehen. Daran wird ein Prinzip deutlich, das die Grundlage der Wahrnehmungstäuschungen bildet: Mechanismen, die uns normalerweise eine genaue Wahrnehmung von der Welt um uns herum liefern, können uns unter bestimm ten Umständen in die Irre führen. Wenn wir verstehen, wie wir ausgetrickst werden, gibt uns das Anhaltspunkte zum Verständnis der Art und Weise, wie unser Wahr nehmungssystem normalerweise funktioniert. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wo befinden sich die Rezeptoren für Kinästhesie und vestibulären Sinn?
Eine wenig bekannte Tatsache über Ihren vestibulären Sinn ist, dass er sehr schnell ist. Wenn Sie ausrutschen, ordnen Ihre vestibulären Sensoren automatisch und so fort die Reaktion Ihres Skeletts an, lange bevor Sie sich bewusst entschieden haben, wie Sie sich aufrichten. Versuchen Sie nun dies: Halten Sie einen Ihrer Daumen vor Ihr Gesicht und bewegen Sie ihn schnell von rechts nach links und zurück. Beachten Sie, wie Ihr Daumen verschwimmt (Ihr Sehvermögen ist nicht schnell genug, um ihn zu verfolgen). Halten Sie nun den Daumen still und schwenken Sie Ihren Kopf von links nach rechts. Voilà! Ihr Daumen bleibt klar – weil Ihr ves tibuläres System, das Ihre Kopfposition überwacht, Ihre Augen schnell bewegt. Der Kopf bewegt sich nach rechts, die Augen bewegen sich nach links. Ihr Sehvermögen ist schnell, aber Ihr vestibulärer Sinn ist schneller. 7.3.3
Sensorische Interaktion
?? 7.23 Auf welche Weise beeinflusst sensorische Inter
aktion unsere Wahrnehmung und was ist Embodied Cognition?
Wir haben gesehen, dass Sehvermögen und Kinästhesie zusammenwirken. Tatsächlich arbeitet keiner unserer Sinne allein. Alle unsere Sinne – Sehen, Hören, Schme cken, Riechen, Tasten – haben die anderen im Blick und unser Gehirn verbindet ihre Eingaben, um die Welt zu in terpretieren (Rosenblum, 2013). Dieser Vorgang wird als sensorische Interaktion bezeichnet. Unsere Sinne beein flussen sich wechselseitig. Betrachten Sie etwa, wie der Geruchssinn seine Nase in den Geschmackssinn steckt. Halten Sie sich einmal die Nase zu, schließen Sie die Augen, und lassen Sie sich dann von jemand anderem mit verschiedenen Dingen
307
füttern. Ein Stück Apfel erscheint Ihnen dann kaum un terscheidbar von einem Stück roher Kartoffel. Ein Stück Steak kann wie Pappe schmecken. Ohne ihren Geruch kann eine Tasse kalter Kaffee schwer von einem Glas Rotwein zu unterscheiden sein. Ein großer Teil unseres Geschmackssinns liegt wortwörtlich vor unserer Nase. Um einen Geschmack auszukosten, atmen wir nor malerweise das Aroma über die Nase ein. Wie Rauch, der in einem Schornstein aufsteigt, steigen Nahrungsmole küle in unsere Nasenhöhle auf. Das ist auch der Grund dafür, weshalb Essen so wenig Spaß macht, wenn man stark erkältet ist. Der Geruch kann auch unsere Wahr nehmung von Geschmack ändern: Der Erdbeergeruch eines Getränks verstärkt unsere Wahrnehmung seiner Süße. Auch der Tastsinn und der Geschmack beein flussen sich gegenseitig. Abhängig von ihrer Konsistenz „schmecken“ Chips frisch oder alt (Smith, 2011). Ge ruch + Konsistenz + Geschmack = Geschmackserleben. Doch vielleicht haben Sie es schon bemerkt: Trotz des Beitrags des Geruchssinns erleben wir Geschmack im Mund und nicht in der Nase (Stevenson, 2014). Sensorische Interaktion („sensory interaction“) – Prinzip
der gegenseitigen Beeinflussung verschiedener Sinne, wie beispielsweise der Geruch von Essen seinen Geschmack beeinflusst. Sensorische Interaktion tritt auch beim Hören und Sehen auf. Ein schwaches Flackern, das wir kaum wahrnehmen können, wird besser sichtbar, wenn es von einem kurzen Ton begleitet wird (Kayser, 2007). Auch der umgekehrte Fall trifft zu: Wir können leise Geräusche einfacher hören, wenn sie zusammen mit visuellen Reizen auf treten. Wenn ich als Schwerhöriger ein Video mit Unter titel anschaue, habe ich keine Probleme, die Wörter zu hören. Wenn ich dann den Untertitel ausschalte, merke ich plötzlich, dass ich ihn brauche. Die Augen leiten die Ohren (. Abb. 7.60). Unsere Sinne sind also nicht voneinander isoliert, sondern arbeiten zusammen. Aber was geschieht, wenn sie nicht miteinander übereinstimmen? Was passiert etwa, wenn wir sehen, wie ein Sprecher eine Silbe spricht, während wir eine andere hören? Überraschung: wir wür den eine dritte Silbe wahrnehmen, in der beide Eindrücke miteinander verschmolzen werden. Wenn wir die Mund bewegungen für ga sehen und ba hören, können wir letzt endlich da wahrnehmen. Dieses Phänomen ist unter dem Namen McGurk-Effekt bekannt, benannt nach seinen Entdeckern, dem Psychologen Harry McGurk und sei nem Assistenten John MacDonald (1976). Für uns alle ist das Lippenlesen Teil des Hörens. Wir haben gesehen, dass unsere Wahrnehmungen zwei Hauptbestandteile haben: Unsere Bottom-up-Empfin dungen und unsere Top-down-Kognitionen (etwa Erwar tungen, Einstellungen, Gedanken und Erinnerungen). In unserem alltäglichen Leben sind Empfindung und Wahr
7
308
7
Kapitel 7 • Wahrnehmung
..Abb. 7.60 Sensorische Interaktion. Zu sehen, wie eine sprechende Person Wörter mit ihrem Mund formt, wie es inzwischen zahlreiche Videochat-Anwendungen ermöglichen, macht diese Wörter für Per sonen mit Beeinträchtigungen des Hörvermögens leichter verständlich (Knight 2004; © Albrecht Weisser/Westend61/picture alliance)
nehmung zwei Punkte auf einem Kontinuum. Es ist daher nicht überraschend, dass sich neuronale Schaltkreise, die unsere körperlichen Empfindungen verarbeiten, im Ge hirn mit solchen Schaltkreisen vernetzen, die für unsere Kognition verantwortlich sind. Das Ergebnis sind Embodied Cognitions. Wir denken aus unserem Körper heraus. Einige Beispiele aus spielerischen Experimenten: Physische Wärme begünstigt soziale Wärme. Wenn Menschen ein warmes Getränk anstelle eines kalten gehalten haben, schätzen sie jemanden eher als warm ein, fühlen sich dieser Person näher und verhalten sich großzügiger (IJzerman & Semin, 2009; Williams & Bargh, 2008). Trinken Sie heißen Tee mit José und Eistee mit seinem eineiigen Zwilling Juan, empfinden Sie José vielleicht als den warmherzigeren Bruder. Soziale Ausgrenzung fühlt sich wortwörtlich kalt an. Nachdem einem von anderen in einem Experiment die kalte Schulter gezeigt wurde, beurteilt man den Raum kälter, als wenn man freundlich behandelt wurde (Zhong & Leonardelli, 2008). Urteile über andere können Körperempfindungen nachahmen. Sitzen wir an einem wackeligen Schreibtisch und Stuhl erscheinen uns die Beziehungen anderer Menschen oder sogar unsere eigenen romantischen Beziehungen weniger stabil (Forest et al., 2015; Kille et al., 2013).
-
Embodied Cognition (auch Embodiment; „embodied cognition“) – der Einfluss von körperlichen Empfindungen,
Gesten und anderen Zuständen auf kognitive Vorlieben und Urteile. Um die Welt zu entschlüsseln, vermischt das Gehirn die Inputs aus verschiedenen Kanälen. Bei einigen wenigen
Menschen vereinen sich die Kanäle für zwei oder mehr Sinne zu einem Phänomen, das als Synästhesie bezeichnet wird. Dabei erzeugt eine Art von Empfindung (wie etwa einen Ton zu hören) eine andere (wie etwa Farbe zu sehen). Früh im Leben produziert eine „überschwängliche neuro nale Konnektivität“ einige willkürliche Assoziationen zwi schen den Sinnen, die später normalerweise, jedoch nicht immer, zurechtgeschnitten werden (Wagner & Dobkins, 2011). So kann das Hören von Musik oder das Sehen einer bestimmten Zahl farbempfindliche Regionen im Kortex aktivieren und eine Farbempfindung auslösen (Brang et al., 2008; Hubbard et al., 2005). Wenn man die Zahl 3 sieht, kann das eine Geschmacksempfindung erzeugen (Ward 2003). Menschen, die solche Sinnesverschiebungen erleben, werden als Synästhetiker:innen bezeichnet. Einen Überblick über unsere Sinnessysteme finden Sie in . Tab. 7.3 und . Abb. 7.61. 7.3.4
Außersinnliche Wahrnehmung – Wahrnehmung ohne Empfindung?
?? 7.24 Was wird im Rahmen der außersinnlichen Wahr
nehmung behauptet und welchen Schluss ziehen die meisten forschenden Psycholog:innen, wenn sie diese Behauptungen auf den Prüfstand gestellt haben?
Unsere Wahrnehmung wird immerzu von Empfindungen, Kognitionen und Emotionen gespeist. Doch wenn Wahr nehmung das Produkt dieser drei Quellen ist, sind wir auch ohne sensorische Information zu außersinnlicher Wahrnehmung in der Lage? Gibt es wirklich Leute, die Gedanken lesen, durch eine Wand hindurchsehen oder die Zukunft voraussagen können? Fast die Hälfte der Amerikaner:innen glaubt daran (AP, 2007; Moore, 2005). Außersinnliche Wahrnehmung („extrasensory perception“, ESP) – umstrittene These, dass Wahrnehmung auch
stattfinden kann, wenn keine sensorischen Signale ein treffen. Zusammenfassender Begriff für Phänomene wie Telepathie, Hellsehen und Präkognition. Wenn es außersinnliche Wahrnehmung wirklich gäbe, müssten wir unser wissenschaftliches Verständnis da von, dass wir Geschöpfe sind, deren Denken an unser physisches Gehirn gebunden ist und deren Wahrneh mungserfahrungen auf Empfindungen beruhen, völlig umkrempeln. Die am leichtesten überprüfbaren und für dieses Kapitel relevantesten Formen der außersinnlichen Wahrnehmung sind: die Telepathie oder Gedankenübertragung, bei der eine Person einer anderen Gedanken übermittelt oder die Gedanken einer anderen Person wahrnimmt, das Hellsehen (. Abb. 7.62) oder das Wahrnehmen von räumlich oder zeitlich weit entfernten Gescheh
-
309
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
..Tab. 7.3 Zusammenfassung der Sinne Sensorisches System
Quelle
Rezeptoren
Wichtige Gehirnbereiche
Sehen
Lichtwellen, die das Auge treffen
Zapfen und Stäbchen in der Retina
Okzipitallappen
Hören
Schallwellen, die auf das äußere Ohr treffen
Haarzellen in der Kochlea des Innen ohrs
Temporallappen
Tastsinn
Druck, Wärme oder Kälte, schädli che Chemikalien
Rezeptoren (inklusive Nozizeptoren für Schmerz) hauptsächlich in der Haut erfassen Druck, Wärme, Kälte und Schmerz
Somatosensorischer Kortex
Geschmack
Chemische Moleküle im Mund
Rezeptoren auf der Zunge für süß, sauer, salzig, bitter, und umami
Grenzbereich zwischen Frontal- und Temporal lappen
Geruch
Chemische Moleküle, die durch die Nase eingeatmet werden
Millionen von Rezeptoren oben in der Nasenhöhle
Bulbus olfactorius (Riechkolben)
Körperposition – Kinästhesie
Jegliche Veränderung der Position eines Körperteils im Zusammenspiel mit dem Sehen
Kinästhetische Sensoren in den Gelenken, Sehnen und Muskeln
Cerebellum
Körperbewegung – Gleichgewichtssinn
Bewegung von Flüssigkeiten im Innenohr, die durch Kopf- oder Körperbewegung verursacht wird
Haarähnliche Rezeptoren in den Bogengängen und Sacculi des Vestibularapparates
Cerebellum
Fühlen
Schmecken Hören
Riechen
Sehen
wird am besten durch die sarkastische Frage veranschau licht: „Können bitte alle, die an Psychokinese glauben, meine Hand heben?“) Die meisten Psycholog:innen und Naturwissenschaft ler:innen sind diesem Feld gegenüber weiterhin skeptisch eingestellt. Dennoch führen an einigen angesehenen Universitäten Forschungsabteilungen für Parapsychologie wissenschaftliche Experimente durch und suchen dabei nach möglichen außersinnlichen Wahrnehmungen (Storm et al., 2010a,b; Turpin, 2005). Aber lassen Sie uns, bevor wir uns diese Forschungsarbeit ansehen, ei nige verbreitete Ansichten betrachten. Parapsychologie („parapsychology“) – beschäftigt sich
mit paranormalen Phänomenen wie außersinnlicher Wahrnehmung und Psychokinese. ..Abb. 7.61 Sensorische Informationen werden an verschiedene Areale des Kortex geschickt
-
nissen, wie beispielsweise spüren, dass das Haus eines Freundes in einem anderen Land gerade brennt, das Wahrnehmen künftiger Ereignisse (auch als Präkognition bezeichnet), etwa einen unerwarteten Todesfall im kommenden Monat.
Eng verbunden mit diesen Themen ist die Psychokinese (der direkte seelische Einfluss eines Menschen auf ma terielle Dinge bzw. Vorgänge), durch die ein Tisch zum Schweben gebracht oder der Fall eines Würfels beein flusst werden kann. (Der Anspruch der Psychokinese
Vorahnungen oder Einbildungen? Gibt es Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten, die in die Zukunft sehen können? Auch wenn wir uns möglicher weise jemanden wünschen würden, der uns die Börsenent wicklung voraussagt, zeichnen sich die überprüften Vor hersagen „führender Hellseher:innen“ durch eine geringe Präzision aus. In den 1990er Jahren erwiesen sich alle Vorhersagen der Hellseher:innen in der Boulevardpresse über überraschende Ereignisse als falsch (Madonna wurde keine Gospelsängerin, die Freiheitsstatue verlor nicht bei einem Terroranschlag beide Arme, Königin Elisabeth von England verzichtete nicht auf ihren Thron, um in ein Kloster zu gehen). Und die Wahrsager:innen und Hellse her:innen des neuen Jahrtausends machten keine Angaben zu den großen Ereignissen, die in den Schlagzeilen stan
7
310
Kapitel 7 • Wahrnehmung
Radford, 2010; Reiser, 1982). Hellseher:innen, die mit der Polizei zusammenarbeiten, machen allerdings Hunderte von Vorhersagen. Dadurch wird die Chance größer, dass bisweilen eine korrekte darunter ist, mit der sich der Be treffende dann in der Öffentlichkeit rühmen kann. Da rüber hinaus können vage formulierte Vorhersagen im Nachhinein so interpretiert („nachträglich angepasst“) werden, dass sie unglaublich genau zu den tatsächlichen Ereignissen passen. Nostradamus, ein berühmter franzö sischer „Prophet“ des 16. Jahrhunderts, sagte einmal in einem unvorsichtigen Augenblick, dass seine nicht ein deutigen Prophezeiungen „eigentlich nicht verstanden werden könnten, bevor sie nach Eintreten des Ereignisses und durch dieses eine Deutung erführen“.
» „Um sicher zu sein, dass Sie das Ziel treffen, sollten Sie
7
zuerst schießen und dann das als Ziel benennen, was Sie getroffen haben.“ Schriftsteller und Künstler Ashleigh Brilliant
..Abb. 7.62 (© Dan Piraro/Distr. King Feature Syndicate, Inc./Distr. Bulls)
den, wie den schrecklichen Ereignissen des 11. September. Wo waren die Präkognostiker:innen, als wir sie wirklich brauchten, nämlich am 10. September? Warum konnte trotz einer ausgesetzten Belohnung von 50 Mio. Dollar keiner von ihnen helfen, Osama bin Laden nach dem 11. September ausfindig zu machen oder vortreten und den drohenden Börsenkrach 2008 vorhersagen? Und als 2010 33 Bergleute bei einem Minenunglück eingeschlossen wurden und die chilenische Regierung Berichten zufolge vier Menschen mit übernatürlichen Fähigkeiten befragte, warum sagten alle vier traurig: „Sie sind alle tot.“ (Kraul, 2010). Dass alle 33 dann 69 Tage später gerettet wurden, muss die Befragten ziemlich überrascht haben. Als Amanda Berry 2003 in Cleveland vermisst wurde, wandte sich ihre verstörte und verzweifelte Mutter auf der Suche nach Antworten an einen berühmten Fern sehhellseher. „Sie ist nicht am Leben“, sagte dieser der verzweifelten Mutter, die nicht mehr erlebte, wie ihre Tochter 2013 gerettet wurde (Radford, 2013). Laut einer Analyse brachte dieses Ergebnis die Bilanz dieses Hellse hers nach 116 Vermissten- und Todesfällen auf 83 unbe kannte, 33 falsche und 0 überwiegend richtige Ergebnisse. Für den Forscher Ryan Shaffer (2013) ist dies die Bilanz eines „hellsehenden Detektivs“. Analysen der Visionen von Hellseher:innen, die der Polizei ihre Dienste angeboten haben, ergaben, dass diese auch nicht genauer sind als Vermutungen, die von an deren Menschen angestellt wurden (Nickell, 1994, 2005;
Sind die spontanen „Visionen“ ganz normaler Durch schnittsmenschen genauer? Können Träume zum Beispiel die Zukunft voraussagen? Oder kommt uns das nur so vor, weil wir dazu neigen, uns eher an Träume zu erinnern oder jene zu rekonstruieren, die sich scheinbar bewahr heitet haben? Sind unsere Visionen lediglich Revisionen? Zwei Psychologen von der Harvard University (Murray & Wheeler, 1937) überprüften die prophetische Aussage kraft von Träumen, nachdem der kleine Sohn des Fliegers Charles Lindbergh 1932 gekidnappt und ermordet, aber seine Leiche noch nicht aufgefunden worden war. Als die Forscher die Öffentlichkeit baten, ihnen ihre Träume über das Kind mitzuteilen, lieferten 1300 Personen Traumbe richte ab. In wie vielen davon wurde der Wahrheit ent sprechend vorausgesagt, dass das Kind tot war? In 5 % der Fälle. Und in wie vielen Träumen wurde außerdem vorausgesehen, wo sich die Leiche genau befand (nämlich unter Bäumen vergraben)? In nur 4 von 1300. Auch wenn diese Zahl sicher nicht besser war als der Zufall, muss diesen vier Träumern die Genauigkeit ihrer scheinbaren Präkognition höchst unheimlich vorgekommen sein. Bei den Milliarden von Ereignissen pro Tag und bei einer ausreichenden Anzahl von Tagen muss es einfach zu einigen verblüffenden Zufällen kommen. Nach einer vor sichtigen Schätzung lässt sich nur aufgrund des Zufalls vorhersagen, dass mehr als 1000-mal pro Tag jemand auf der Erde an jemanden denkt und dann innerhalb der nächsten fünf Minuten vom Tod dieser Person erfährt (Charpak & Broch, 2004). Wenn man also ein erstaunliches Ereignis erklärt, sollte man dem Zufall eine Chance geben (Lilienfeld, 2009). Das Unwahrscheinliche wird also unver meidlich, wenn man nur genügend Zeit und Menschen zur Verfügung hat.
» „Wer viel erzählt, hat manchmal auch Recht.“ Spanisches Sprichwort
7.3 • Nichtvisuelle Sinne
311
..Abb. 7.63 Überprüfung der übernatürlichen Fähigkeiten an der britischen Bevölkerung. Psycholog:innen haben eine „Mind Machine“ geschaffen, um herauszufinden, ob Menschen den Fall einer Münze beeinflussen oder vorhersagen können (Wiseman & Greening, 2002). Mit Hilfe eines berührungsempfindlichen Bildschirms (Touchscreen) wurde Besucher:innen von Festivals und Volksfesten überall im Land
die Gelegenheit geboten, bei vier Versuchen Kopf oder Zahl vor herzusagen. Mit Hilfe eines Zufallsgenerators entschied der Com puter dann das Ergebnis des fiktiven Münzwurfs. Nach Abschluss des Experiments im Januar 2000 hatten nahezu 28.000 Menschen 110.959 Vorhersagen abgegeben, von denen 49,8 % richtig waren. (Courtesy of Claire Cole)
Außersinnliche Wahrnehmung auf dem Prüfstand
Meter vom Boden abhebt, um dann wieder einmal auf die Rollbahn zu prallen. Es hat nie für längere Zeit zum Fliegen abgehoben“. Wie könnten wir die Thesen der außersinnlichen Wahrnehmung in einem kontrollierten, replizierbaren Experiment überprüfen? Ein Experiment ist etwas ganz anderes als eine Vorführung auf der Bühne. Im Labor kontrolliert die Versuchsleitung, was der/die „Übernatür liche“ sieht und hört. Auf der Bühne kontrolliert der/die Übernatürliche, was das Publikum sieht und hört. Daryl Bem, ein angesehener Sozialpsychologe, der immer ein Skeptiker des Bühnenhellsehens war, scherzte einmal: „Ein Medium ist ein Schauspieler, der die Rolle eines Mediums spielt“ (1984). Und doch hat er wieder Hoffnungen aufflammen lassen, replizierbare Beweise zu finden. Dazu führte er neun Experimente durch, die scheinbar zeigten, wie Menschen zukünftige Ereig nisse voraussehen (Bem, 2011). Bei einem davon haben Versuchspersonen an der Cornell Universität in 53,1 der Fälle richtig geraten, wenn ein erotisches Motiv auf ei ner von zwei zufällig ausgewählten Positionen auf einem Bildschirm erschien (womit sie knapp, aber statistisch
Wie können wir, wenn wir mit Behauptungen über Ge dankenlesen, Astralreisen oder Kommunikation mit den Verstorbenen konfrontiert werden, seltsame Ideen von solchen unterscheiden, die seltsam klingen, aber wahr sind? Die Grundlage der Wissenschaft hat eine einfache Antwort darauf: Ausprobieren und sehen, ob sie funktionieren. Wenn sie funktionieren, umso besser für diese Ideen. Wenn nicht, dann umso besser für unsere Skepsis. Diese wissenschaftliche Haltung hat dazu geführt, dass Befürwortende und Skeptische in Folgendem über einstimmen: Die Parapsychologie braucht, wenn sie glaubwürdig sein will, ein reproduzierbares Phänomen und eine erklärende Theorie (. Abb. 7.63). Die Para psychologin Rhea White (1998) gesteht durchaus zu, dass „das Bild von der Parapsychologie, das mir nach fast 44 Jahren der Beschäftigung mit diesem Gebiet in den Sinn kommt, das eines kleinen Flugzeugs ist, das seit 1882 ständig die Landebahn des Flughafens der empiri schen Wissenschaft herunterfährt. … Seine Bewegung wird gelegentlich dadurch unterbrochen, dass es einige
7
312
7
Kapitel 7 • Wahrnehmung
signifikant über 50 % lagen). Bem fragte sich, ob seine „von der Norm abweichenden“ Ergebnisse einen evolu tionären Vorteil für diejenigen darstellen, die präkognitiv zukünftige Gefahren antizipieren können. Obwohl die Publikation kritische Reviews einer hochrangigen Zeitschrift überlebt hat, machten sich Kritiker:innen darüber lustig. Einige fanden die Me thoden „voller grober Fehler“ (Alcock, 2011) oder die statistischen Analysen „verzerrt“ (Wagenmakers et al., 2011). Andere sagten hervor, dass sich das Ergebnis nicht „von unabhängigen und skeptischen Wissenschaftlern“ replizieren lassen würde (Helfand, 2011). Und manche gingen noch einen Schritt weiter: „Wenn auch nur eine dieser Behauptungen wahr wäre“, schrieb ein Kogniti onswissenschaftler, „dann würde das Fundament, das der zeitgenössischen Forschung zugrunde liegt, in sich zusammenstürzen und wir müssten alles über die Natur des Universums neu überdenken“ (Hofstadter, 2011).
» „Im Herzen der Wissenschaft gibt es eine fundamentale
Spannung zwischen zwei scheinbar einander widerspre chenden Einstellungen: einer Offenheit gegenüber neuen Ideen, ganz gleich wie seltsam oder gegen die Intuition gerichtet sie sein mögen, und der unbarmherzigsten skep tischen Überprüfung aller Ideen, seien sie nun alt oder neu.“ Carl Sagan (1987)
Weil er diese Skepsis vorhersah, hat Bem seine Com putermaterialien jedem zugänglich gemacht, der seine Studien replizieren möchte. Mehrere Versuche zeigten minimalen Erfolg, weswegen die Kontroverse anhält (Bem et al., 2014; Galak et al., 2012; Ritchie et al., 2012; Wagenmakers, 2014). Dennoch leistet die Wissenschaft hier ihre Arbeit: Sie hat sich auf einen Befund eingelassen, der ihre eigenen Annahmen in Frage stellt. Durch Folgeforschung hat sie die Gültigkeit dieses Befundes bewertet.
-
Und auf diese Weise siebt die Wissenschaft verrückt klingende Ideen aus und lässt die meisten auf dem his torischen Müllhaufen liegen, während sie uns gelegent lich überrascht. Ein Skeptiker, der Zauberer James Randi, hatte für 19 Jahre einen Preis von 1 Mio. US-Dollar ausgesetzt – „für jeden, der eine genuine übernatürliche Kraft unter korrekten Beobachtungsbedingungen nachweist“ (Randi, 1999; Thompson, 2010). Französische, austra lische und indische Gruppen haben parallel dazu ähn liche Preise von bis zu 200.000 € ausgesetzt (CFI, 2003). So groß diese Summen sind, das Siegel der Anerkennung durch die Wissenschaft wäre weit mehr wert. Um dieje nigen zu widerlegen, die sagen, es gebe keine außersinn liche Wahrnehmung, brauchte man lediglich eine einzige Person, die ein einziges reproduzierbares Phänomen der außersinnlichen Wahrnehmung vorführen kann. (Um
diejenigen zu widerlegen, die sagen, Schweine könnten nicht sprechen, brauchte man bloß ein sprechendes Schwein.) Bisher hat sich nicht eine Person dieser Art gemeldet. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Stellen Sie sich vor, eine außersinnliche Wahrneh mung tritt unter kontrollierten Bedingungen auf. Was wäre der beste Folgeschritt, um zu belegen, dass außersinnliche Wahrnehmungen tatsächlich existieren?
Abschließend bleibt festzuhalten: Um Ehrfurcht zu emp finden und tiefen Respekt vor dem Leben zu haben, brau chen wir uns nur unser eigenes Wahrnehmungssystem anzusehen und dessen Fähigkeit, formlose Nervenim pulse in bunte Bilder, lebhafte Geräusche und verführe rische Gerüche umzuorganisieren. Shakespeares Hamlet erkannte schon: „Es gibt mehr Ding’ im Himmel und auf Erden, als Eure Schulweisheit sich träumt, Horatio.“ Un ter unseren ganz normalen Wahrnehmungserfahrungen gibt es vieles, was wirklich außerordentlich ist – sicherlich viel mehr, als wir bisher innerhalb der Psychologie zu träumen gewagt hätten. 7.3.5
Rückblick: Nichtvisuelle Sinne
Verständnisfragen
7.16 – Welche Eigenschaften haben Luftdruckwellen, die
wir als Klang erleben? 7.17 – Wie wandelt das Ohr Schallenergie in neuronale Botschaften um? 7.18 – Wie können wir Lautstärke wahrnehmen, Tonhö hen unterscheiden und bestimmen, woher ein Geräusch kommt? 7.19 – Wie spüren wir Berührung? 7.20 – Welche biologischen, psychologischen und sozio kulturellen Faktoren beeinflussen unser Schmerzerleben? Wie helfen Placebos, Ablenkung und Hypnose bei der Schmerzkontrolle? 7.21 – Auf welche Weise ähneln sich Geschmack und Geruch und wie unterscheiden sie sich? 7.22 – Wie spüren wir Lage und Bewegung unseres Kör pers im Raum? 7.23 – Auf welche Weise beeinflusst sensorische Inter aktion unsere Wahrnehmung und was ist Embodied Cognition? 7.24 – Was wird im Rahmen der außersinnlichen Wahr nehmung behauptet und welchen Schluss ziehen die meisten forschenden Psycholog:innen, wenn sie diese Behauptungen auf den Prüfstand gestellt haben?
Weiterführende deutsche Literatur
------------
Schlüsselbegriffe Außersinnliche Wahrnehmung Dissoziation Embodied Cognition Frequenz Frequenztheorie Gate-Control-Theorie Gehör Gleichgewichtssinn Hypnose Innenohr Kinästhesie Kochlea Kochleaimplantat Mittelohr Olfaktion Ortstheorie Posthypnotische Suggestion Parapsychologie Schallempfindungsschwerhörigkeit Schallleitungsschwerhörigkeit Sensorische Interaktion Tonhöhe
Master the Material 1. Wie nennt man die schneckenförmige Röhre im Innenohr, in der Schallwellen in neuronale Signale umgewandelt werden? 2. Was sind die grundlegenden Schritte, durch die Schallwellen in Hörwahrnehmung umgewandelt werden? 3. Die ___-Theorie erklärt, wie wir hohe Töne hören. Die ___-Theorie erklärt, wie wir tiefe Töne hören. 4. Wie nennt man die Rezeptoren, die sich haupt sächlich in der Haut befinden und schädliche Tem peraturen sowie schädlichen Druck oder Chemikalien wahrnehmen? 5. Was besagt die Gate-Control-Theory? a. Dass spezielle Schmerzrezeptoren Signale direkt an das Gehirn senden. b. Dass Schmerz eine Eigenschaft der Sinneswahr nehmung und nicht des Gehirns darstellt. c. Dass feine Nervenfasern die meisten Schmerzsig nale weiterleiten, dickere Fasern den Zugang zu diesen Signalen jedoch unterbrechen können. d. Dass Schmerz häufig erfolgreich durch den Ein satz von Entspannungstechniken kontrolliert und gelindert werden kann. 6. Wie erklärt der biopsychosoziale Ansatz unser Schmerzerleben? Geben Sie Beispiele. 7. Wir haben fünf spezialisierte Nervenrezeptoren, die fünf Geschmacksarten wahrnehmen? Auf welche Weise half diese Fähigkeit unseren Vorfahren? 8. ___ ist der Sinn, der uns über die Lage und Position unseres Körpers informiert. ___ überwacht die Bewe gung unseres Kopfes über Sensoren im Innenohr.
313
9. Warum ist uns direkt nach einer Achterbahnfahrt ein wenig schwindelig? 10. Das Aroma einer Speise kann ihren Geschmack stark beeinflussen. Dies ist ein Beispiel für … a. Olfaktion. b. Synästhesie. c. Kinästhesie. d. Sensorische Interaktion. 11. Welche der folgenden außersinnlichen Wahrnehmun gen wird von klaren und replizierbaren wissenschaft lichen Befunden unterstützt? a. Telepathie b. Hellsehen c. Präkognition d. Keine dieser Fähigkeiten
Weiterführende deutsche Literatur Anderson, J. R. (2013). Kognitive Psychologie (7. Aufl.). Heidelberg: Springer Spektrum. Birbaumer, N., & Schmidt, R. F. (2010). Biologische Psychologie (7. Aufl.). Heidelberg: Springer. Goldstein, E. B. (2015). Wahrnehmungspsychologie (9. Aufl.). Heidel berg: Springer. Guski, R. (2000). Wahrnehmung. Eine Einführung in die Psychologie der menschlichen Informationsaufnahme (9. Aufl.). Stuttgart: Kohl hammer. Schönhammer, R. (2013). Einführung in die Wahrnehmungspsychologie: Sinne, Körper, Bewegung (2. Aufl.). Stuttgart: UTB.
7
315
Lernen Inhaltsverzeichnis 8.1
Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung – 316
8.1.1 8.1.2 8.1.3
Wie lernen wir? – 316 Klassische Konditionierung – 319 Rückblick: Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung – 327
8.2
Operante Konditionierung – 328
8.2.1 8.2.2 8.2.3 8.2.4
Skinners Experimente – 328 Skinners Erbe – 336 Gegenüberstellung von klassischer und operanter Konditionierung – 338 Rückblick: Operante Konditionierung – 338
8.3
Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen – 340
8.3.1 8.3.2 8.3.3 8.3.4
Biologische Beschränkungen der Konditionierung – 340 Der Einfluss von Kognitionen auf die Konditionierung – 343 Beobachtungslernen – 346 Rückblick: Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen – 353
Weiterführende deutsche Literatur – 354
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_8
8
316
8
Kapitel 8 • Lernen
In den frühen 1940er Jahren machten die Diplomand:innen der Universität von Minnesota Marian Breland und Keller Breland Bekanntschaft mit einer mächtigen neuen Lerntechnologie. Ihr Mentor, B. F. Skinner, wurde berühmt dafür, das Verhalten von Ratten und Tauben zu formen, indem er die Tiere jedes Mal belohnte, wenn sie sich an ein gewünschtes Verhalten immer mehr anpassten. Beeindruckt von Skinners Ergebnissen, begannen die Brelands, das Verhalten von Katzen, Hühnern, Sittichen, Truthähnen, Schweinen, Enten und Hamstern zu formen (Bailey & Gillaspy, 2005). Sie gründeten schließlich Animal Behavior Enterprises und verbrachten das nächste halbe Jahrhundert damit, mehr als 15.000 Tiere von 140 Arten für Filme, Shows, Vergnügungsparks, Unternehmen und die Regierung zu trainieren. Als die Journalistin Amy Sutherland über Tiertraining schrieb, fragte sie sich, ob die Verhaltensformung nicht auch zu Hause eingesetzt werden könnte (2006a, b). Wenn man Paviane trainieren kann Skateboard zu fahren und Elefanten darauf zu malen, könnten doch „dieselben Techniken … bei dieser störrischen, aber liebenswerten Gattung amerikanischer Mann funktionieren“? Um das herauszufinden, trainierte sie ihren Mann Scott Schritt für Schritt. Sie begann, „sich bei Scott zu bedanken, wenn er ein schmutziges Hemd in den Wäschekorb warf. Wenn er zwei hineinwarf, küsste ich ihn [und] je mehr er sich in meiner Anerkennung sonnte, umso kleiner wurden die Wäschestapel.“ Nach zwei Jahren „Untersuchung ihres Mannes als exotische Tierspezies“, berichtete sie, „meine Ehe läuft wesentlich reibungsloser, es fällt viel leichter, ihn zu lieben.“ Das Lernen weckt Hoffnungen. Was erlernbar ist, können wir unter Umständen auch lehren – eine ermutigende Tatsache für Eltern, Lehrkräfte, Trainer:innen und Tierausbilder:innen. Was bereits gelernt wurde, können wir möglicherweise durch erneutes Lernen verändern – auf dieser Annahme beruhen Beratungsgespräche, Psychotherapie und Rehabilitationsmaßnahmen. Ganz gleichgültig, wie unglücklich, erfolglos oder gefühlskalt wir sind: Es muss nicht zwangsläufig so bleiben. Kein Thema kommt dem Kern der Psychologie näher als das Lernen. In den vorausgegangenen Kapiteln haben wir uns beispielsweise schon mit dem Lernen bei Kleinkindern, der Bedeutung des Lernens bei der visuellen Wahrnehmung, beim erwarteten Effekt von Drogen und bei Geschlechterrollen befasst. In den folgenden Kapiteln werden wir noch darauf eingehen, wie Lernen unser Denken und unsere Sprache, unsere Motivation und unsere Gefühle, unsere Persönlichkeit und unsere Einstellungen prägt. In diesem Kapitel untersuchen wir den Grundgedanken des Lernens: klassische Konditionierung, operante Konditionierung, die Auswirkungen von Biologie und Kognition auf das Lernen und Lernen durch Beobachtung.
8.1
Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
8.1.1
Wie lernen wir?
?? 8.1 Wie definieren wir Lernen und welches sind die
grundlegenden Formen des Lernens?
Durch Lernen passen wir Menschen uns unserer Umwelt an. Wir lernen, Ereignisse zu erwarten und uns auf signifikante Ereignisse wie etwa Nahrung oder Schmerz vorzubereiten (klassische Konditionierung). Auch lernen wir, Handlungen mit positiven Ergebnissen zu wiederholen und Handlungen mit negativen Ergebnissen zu vermeiden (operante Konditionierung). Dadurch, dass wir Ereignisse beobachten, lernen wir neue Verhaltensweisen. Und durch die Sprache lernen wir auch Dinge, die wir weder erlebt noch beobachtet haben (kognitives Lernen). Aber wie lernen wir? Lernen („learning“) – relativ dauerhafte Veränderung im Verhalten eines Organismus aufgrund von Erfahrung.
Vor mehr als 200 Jahren griffen Philosophen wie John Locke und David Hume eine These auf, die Aristoteles 2000 Jahre zuvor aufgestellt hatte: Wir lernen durch Assoziation. Unser Verstand verbindet auf natürliche Weise aufeinander folgende Ereignisse. Wenn Sie, nachdem Sie frisch gebackenes Brot gesehen und gerochen haben, es essen und es Ihnen schmeckt, wird Ihre Erfahrung Sie das nächste Mal, wenn Sie frisches Brot sehen und riechen, zu der Erwartung veranlassen, dass es Ihnen wieder schmeckt, wenn Sie es essen. Und wenn Sie mit einem Geräusch eine erschreckende Folgereaktion in Verbindung bringen, dann kann es sein, dass Ihre Angst allein durch dieses Geräusch ausgelöst wird. Nachdem ein 4-jähriges Kind gerade im Fernsehen gesehen hatte, wie jemand ausgeraubt worden war, rief es aus: „Wenn ich diese Musik gehört hätte, wäre ich nicht um die Ecke gegangen!“ (Wells, 1981). Gelernte Assoziationen werden oft unmerklich ausgelöst. Gibt man Menschen einen roten Stift (der mit der Markierung von Fehlern verbunden wird) anstelle eines schwarzen Stifts, werden sie beim Korrigieren von Aufsätzen mehr Fehler entdecken und schlechtere Noten geben (Rutchick et al., 2010). Bei Abstimmungen sind die Menschen eher bereit, Steuern zu unterstützen, die für die Bildung verwendet werden, wenn die Abstimmung in einer Schule stattfindet (Berger et al., 2008).
-
Gelernte Assoziationen prägen unsere Gewohnheiten (Wood & Neal, 2014b). Gewohnheiten können sich ausbilden, wenn wir ein Verhalten in einem bestimmten
317
8.1 • Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
Kontext wiederholen – im Bett in einer bestimmten Körperhaltung schlafen, im Unterricht an den Nägeln kauen, im Kino Popcorn essen. Wird das Verhalten mit dem Kontext verknüpft, löst unsere nächste Erfahrung mit dem Kontext unsere gewohnheitsbedingte Reaktion aus. Vor allem, wenn unsere Willenskraft erschöpft ist, weil wir geistig ermüdet sind, neigen wir dazu, in unsere Gewohnheiten zurückzufallen (Neal et al., 2013). Das gilt sowohl für gute Gewohnheiten (Obst essen) wie für schlechte (übermäßiger Alkoholgenuss) (Graybiel & Smith, 2014). Wollen wir unsere Selbstkontrolle erhöhen und unsere Vorsätze mit positiven Ergebnissen verknüpfen, liegt der Schlüssel in „guten Gewohnheiten“ (Galla & Duckworth, 2015). Wie lange dauert es, bis sich eine gute Gewohnheit formt? Um dies herauszufinden, bat ein britisches Forschungsteam 96 Universitätsstudierende, sich ein gesundes Verhalten auszusuchen – z. B. vor dem Abendessen zu joggen oder Obst zum Mittagessen zu essen – und dieses täglich für 84 Tage auszuführen. Die Studierenden sollten weiterhin festhalten, ob sich das Verhalten automatisch anfühlte (wie etwas, was sie taten, ohne darüber nachzudenken und es ihnen schwerfallen würde, es nicht zu tun). Im Durchschnitt wurde das Verhalten nach 66 Tagen zur Gewohnheit (Lally et al., 2010). Gibt es etwas, das Sie gerne zu einem routinemäßigen oder unverzichtbaren Bestandteil Ihres Lebens machen würden? Tun Sie dies einfach täglich 2 Monate lang, oder zur Übung etwas länger, und Sie werden wahrscheinlich bald eine neue Gewohnheit haben. Das erlebten wir beide – mit einem Workout am Mittag [DM] oder mit Jogging am Spätnachmittag [ND], was seit langem zur automatischen Routine geworden war. >>Achte auf deine Gedanken, denn sie werden deine Worte,
achte auf deine Worte, denn sie werden deine Handlungen, achte auf deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheit, achte auf deine Gewohnheiten, denn sie werden dein Charakter, achte auf deinen Charakter, denn er bestimmt deine Zukunft. Frank Outlaw (1977, zugeschrieben)
Auch andere Lebewesen lernen Assoziationen. Wenn die Meeresschnecke Aplysia von spritzendem Wasser belästigt wird, zieht sie zu ihrem Schutz die Kiemen zurück. Wenn es weiter spritzt, wie dies bei rauer See geschieht, nimmt ihre Rückzugsreaktion ab. Bekommt die Meeresschnecke immer wieder einen Elektroschock, nachdem sie bespritzt wurde, wird ihre Rückzugsreaktion auf das Spritzen stärker. Das Tier verbindet den Spritzer mit dem drohenden Schock. Höher entwickelte Lebewesen können Assoziationen zwischen ihrem eigenen Verhalten und seiner Wirkung lernen. Seehunde in einem Aquarium wiederholen Ver-
haltensweisen wie Klopfen oder Bellen, die die Menschen dazu bringen, ihnen einen Hering zuzuwerfen. >>Die meisten von uns könnten die Reihenfolge der Ti-
tel auf ihrem Lieblingsalbum oder ihrer Playlist nicht nennen. Wenn wir aber das Ende eines Stückes hören, löst dies (durch Assoziation) die Vorwegnahme des nächsten aus. Ebenso verbinden wir, wenn wir unsere Nationalhymne singen, das Ende jeder Zeile mit dem Beginn der nächsten. (Nehmen Sie eine Zeile aus der Mitte heraus und achten Sie darauf, wie viel schwieriger es ist, sich an die vorhergehende Zeile zu erinnern.)
Die Meeresschnecke und die Seehunde setzen zwei Ereignisse, die kurz nacheinander eintreten, zueinander in Beziehung und demonstrieren damit das Prinzip des assoziativen Lernens. Die Meeresschnecke verbindet den Spritzer mit dem drohenden Elektroschock; die Seehunde verbinden Klopfen und Bellen damit, einen Hering zu bekommen. Sowohl die Meeresschnecke als auch der Seehund haben etwas Überlebenswichtiges gelernt: die unmittelbare Zukunft vorherzusagen. Assoziatives Lernen („associative learning“) – Lernen,
dass bestimmte Ereignisse zusammen auftreten. Bei den Ereignissen kann es sich (in der klassischen Konditionierung) um zwei Reize oder (in der operanten Konditionierung) um eine Reaktion und ihre Konsequenzen handeln. Konditionierung nennt man den Prozess des Erlernens von Assoziationen und hierbei werden zwei Arten unterschieden. Bei der klassischen Konditionierung lernen wir, zwei Reize miteinander zu verbinden und auf diese Weise Ereignisse vorwegzunehmen (Reize können alle Ereignisse oder Situationen sein, die eine Reaktion auslösen). Wir lernen, dass ein Blitzschlag ein Signal für den darauf folgenden Donner ist, und wir beginnen, auf Donner gefasst zu sein, wenn es in der Nähe blitzt (. Abb. 8.1). Wir assoziieren Reize, die wir nicht kontrollieren, und reagieren automatisch (und zeigen respondentes Verhalten).
-
Durch die operante Konditionierung lernen wir (und andere Lebewesen), eine Reaktion (unser Verhalten) und deren Folgen in Verbindung zu bringen und auf diese Weise Handlungen mit guten Ergebnissen zu wiederholen (. Abb. 8.2) und Handlungen mit schlechten Ergebnissen zu vermeiden. Diese Assoziationen erzeugen operante Verhaltensweisen (die so auf die Umwelt einwirken, dass sie eine Konsequenz haben). Reiz (Stimulus; „stimulus“) – alle Ereignisse oder Situatio-
nen, die eine Reaktion auslösen. Respondentes Verhalten („respondent behavior“) – Ver-
halten, das als automatische Antwort auf einen Reiz folgt.
8
318
Kapitel 8 • Lernen
Zwei miteinander in Beziehung stehende Ereignisse: Stimulus 1:
Stimulus 2:
Reaktion:
Blitz
Donner
Schreckreaktion; Zusammenzucken
BOOM!
Ergebnis nach Wiederholung:
8
Stimulus:
Reaktion:
Wir sehen einen Blitz
Wir erwarten ein lautes Geräusch und zucken zusammen
..Abb. 8.1 Klassische Konditionierung
..Abb. 8.2 a–c Operante Konditionierung Bitte?
Ähm ... bitte?
a Reaktion: Höflich sein
Zum besseren Verständnis werden wir diese beiden Typen des assoziativen Lernens getrennt betrachten. Sie treten jedoch oft in derselben Situation auf. Ein cleverer japanischer Landwirt hütet sein Vieh, indem er es mit elektronischen Piepsern ausstattet, die er von seinem Handy aus aktiviert. Nach einer Woche Training lernen die Tiere, die beiden Reize – den Piepston und die Ankunft des Futters miteinander zu verbinden (klassische Konditionierung). Aber sie lernen auch, ihren eiligen Gang zum Futtertrog mit dem Fressvergnügen zu verbinden (operante Konditionierung). Konditionierung ist jedoch nicht die einzige Form des Lernens. Durch kognitives Lernen erwerben wir mentale Informationen, die unser Verhalten leiten. Beim Beobachtungslernen, einer Form des kognitiven Lernens, lernen wir aus den Erfahrungen anderer. Schimpansen beispielsweise lernen manchmal Verhaltensweisen nur dadurch, dass sie andere Schimpansen bei ihren Tätigkeiten beobachten. Wenn ein Tier einem anderen dabei zuschaut, wie es lernt, ein Puzzle zu legen, wofür es mit
b Ergebnis: Einen Keks bekommen
c Das Verhalten wurde verstärkt
Futter belohnt wird, führt das beobachtende Tier das Kunststück möglicherweise schneller vor. Dies funktioniert auch bei Menschen: Wir können zusehen und lernen. Kognitives Lernen („cognitive learning“) – Erwerb men-
taler Information durch Beobachten von Ereignissen oder Personen oder durch Sprache. Zunächst betrachten wir die klassische Konditionierung genauer. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum sind Gewohnheiten, wie beispielsweise etwas Süßes zu einer Tasse Kaffee zu essen, so schwer zu ändern?
319
8.1 • Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
8.1.2
Klassische Konditionierung
?? 8.2 Wie lässt sich Lernen aus der Sicht des Behavio-
rismus beschreiben?
Viele Menschen kennen den Namen Iwan Pawlow (1849–1936). Seine Experimente zu Beginn des 20. Jahrhunderts – die wohl berühmteste Forschungsarbeit in der Psychologiegeschichte – sind Klassiker, und das Phänomen, das er erforscht hat, nennen wir zu Recht klassische Konditionierung. Klassische Konditionierung („classical conditioning“) –
Form des Lernens, bei der wir zwei oder mehr Reize miteinander assoziieren; um es mit Pawlows klassischem Experiment zu verdeutlichen, löst der erste Reiz (ein Ton) als Ergebnis das Verhalten aus (Sabbern) in Vorwegnahme des zweiten Reizes (Futter). Pawlows Arbeit bildete auch die Grundlage für viele der Thesen des amerikanischen Psychologen John B. Watson. Während er die grundlegenden Gesetze des Lernens erforschte, drängte Watson (1913) seine Kolleg:innen dazu, den Bezugsrahmen von Gedanken, Gefühlen und innerer Motivationen aufzugeben. Stattdessen, so Watson, sollte die psychologische Forschung untersuchen, wie Organismen auf Reize in ihrer Umgebung reagieren. „Das Ziel der Theorie ist die Vorhersage und Kontrolle des Verhaltens. Introspektion steht nicht im Mittelpunkt der Methodik der Psychologie.“ Kurz gesagt sollte die Psychologie eine objektive Wissenschaft sein, die auf beobachtbarem Verhalten basiert. Diese Position, die die nordamerikanische Psychologie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts beeinflusste, nannte Watson Behaviorismus. Pawlow und Watson teilten beide eine Geringschätzung mentalistischer Konzepte wie etwa des Bewusstseins; ebenso waren sie sich darin einig, dass die grundlegenden Lerngesetze für alle Lebewesen – seien es Meeresschnecken, Hunde oder Menschen – dieselben seien. Obwohl die heutigen Forscher:innen im Allgemeinen darin übereinstimmen, dass die Psychologie mentale Prozesse untersuchen sollte, würden sie auch darin übereinstimmen, dass das klassische Konditionieren eine grundlegende Form des Lernens ist, durch die sich alle Organismen ihrer Umgebung anpassen. Behaviorismus („behaviorism“) – Sichtweise von der Psy-
chologie als 1. einer objektiven Wissenschaft, die 2. das Verhalten ohne Bezugnahme auf mentale Prozesse untersucht. Heute stimmen die meisten Psychologen, die in der Forschung tätig sind, lediglich der ersten Aussage zu.
..Abb. 8.3 Iwan Pawlow. „Experimentelle Forschung … sollte das unerschütterliche Fundament der zukünftigen wirklich wissenschaftlichen Psychologie bilden.“
Pawlows Experimente ?? 8.3 Wer war Pawlow, und was sind die Hauptbestand-
teile klassischer Konditionierung?
Pawlow wurde sein Leben lang von der Leidenschaft für die Forschung getrieben (. Abb. 8.3). Nachdem er seinen anfänglichen Plan fallen gelassen hatte, wie sein Vater russisch-orthodoxer Priester zu werden, machte er mit 33 Jahren seinen Abschluss als Arzt und verbrachte die nächsten zwei Jahrzehnte damit, das Verdauungssystem zu untersuchen. Diese Tätigkeit brachte ihm Russlands ersten Nobelpreis ein. Aber erst durch seine neuen Experimente zur Lernforschung, denen er die letzten drei Jahrzehnte seines Lebens widmete, erhielt der engagierte, ernsthafte Forscher seinen Platz in der Geschichte (Todes, 1914). Zu Pawlows Richtungswechsel in der Forschung kam es, als sein schöpferischer Geist sich auf ein zufälliges Ergebnis stürzte. Er fand heraus, dass ein Hund unwillkürlich Speichelfluss aufwies, sobald er ihm Futter ins Maul gab. Ihm fiel auch auf, dass dieser Hund nicht nur auf den Geschmack des Futters mit Speichelfluss reagierte, sondern etwa auch auf den bloßen Anblick des Futters, des Futternapfs oder auf die Anwesenheit der Person, die normalerweise das Futter brachte, oder sogar auf das Geräusch, das die sich nähernden Schritte dieser Person verursachten. Zuerst betrachtete Pawlow
8
320
Kapitel 8 • Lernen
..Abb. 8.4 Pawlows Vorrichtung zur Ermittlung des Speichelflusses. Eine Röhre in der Backe des Hundes sammelt den Speichel, der in einem Behälter außerhalb des Raumes gemessen wird
8
diese „psychischen Sekretionen“ als Ärgernis – bis er erkannte, dass sie auf eine einfache, aber wichtige Form des Lernens hindeuteten. Pawlow und seine Assistent:innen versuchten sich vorzustellen, was der Hund wohl dachte und fühlte, wenn er in Erwartung des Futters sabberte. Dies führte sie nur zu fruchtlosen Debatten. Um das Phänomen objektiver zu erforschen, begannen sie zu experimentieren. Um einen möglichen Einfluss äußerer Reize auszuschließen, isolierten sie den Hund in einem kleinen Zimmer, banden ihn mit einem Hundegeschirr fest und brachten an seinem Maul eine Vorrichtung an, die den abgesonderten Speichel in einen Messbehälter leitete (. Abb. 8.4). Vom Nachbarraum aus konnten sie ihn mit Futter versorgen. Zunächst schoben sie es ihm in einem Futternapf hin, später bliesen sie in einem bestimmten Moment Fleischpulver in das Maul des Hundes. Sie koppelten dann neutrale Reize (NS) – etwas, das der Hund sehen oder hören konnte, aber nicht mit Futter assoziierte – mit Futter im Maul des Hundes. Wenn der neutrale Reiz regelmäßig signalisierte, dass das Futter kommt, würde der Hund dann die beiden Reize miteinander assoziieren? Wenn ja, würde durch den neutralen Reiz in Erwartung des Futters Speichelfluss entstehen? Neutraler Stimulus bzw. Reiz (NS; „neutral stimulus“) – in
der klassischen Konditionierung ein Reiz, der vor der Konditionierung keine Reaktion auslöst. Beide Fragen konnten mit ja beantwortet werden. Unmittelbar bevor das Futter ins Maul des Hundes kam, um Speichelfluss hervorzurufen, ließ Pawlow einen Ton erklingen. Nach einigen Ton-Futter-Kombinationen begann der Hund beim Hören des Tons mit dem Speichelfluss, da er das Fleischpulver vorausahnte. Dies geschah auch, wenn der Ton allein erklang (. Abb. 8.5). In späteren Experimenten konditionierte Pawlow Hunde, auf andere Reize mit Speichelfluss zu reagieren
– auf einen Summer, auf Licht, auf eine Berührung des Beins, sogar auf das Sehen eines Kreises. (Das funktioniert auch mit Menschen. Als Gottfried et al. [2003] einigen hungrigen jungen Menschen in London abstrakte Figuren zeigten, bevor sie dem Aroma von Erdnussbutter oder Vanille ausgesetzt wurden, reagierte ihr Gehirn schon bald in freudiger Erwartung auf die abstrakten Bilder allein.) Da Speichelfluss als Reaktion auf Futter im Maul nicht gelernt war, nannte Pawlow dies eine unkonditionierte Reaktion (UR). Futter löst im Maul eher automatisch, unkonditioniert, einen Speichelfluss beim Hund aus (. Abb. 8.4). Daher nannte Pawlow den Futterreiz einen unkonditionierten Stimulus oder unkonditionierten Reiz (US). Unkonditionierte Reaktion (UR; auch unbedingte Reaktion; „unconditioned response“) – in der klassischen Kon-
ditionierung die nicht gelernte, natürlich auftretende Reaktion auf einen unkonditionierten Stimulus (US), wie etwa Speichelfluss, wenn sich Futter im Maul befindet. Unkonditionierter Stimulus bzw. Reiz (US; auch unbedingter Stimulus; „unconditioned stimulus“) – in der klas-
sischen Konditionierung ein Reiz, der unkonditioniert (ungelernt) – natürlich und automatisch – eine Reaktion (UR) auslöst. Speichelfluss als Reaktion auf den Ton wurde dadurch zu einem bedingten Reflex, dass der Hund lernte, den Ton mit dem Futter zu koppeln. Diese gelernte Reaktion nennen wir konditionierte Reaktion (CR). Den zunächst neutralen Reiz (in diesem Fall der zuvor bedeutungslose Tonreiz, der dann den konditionierten Speichelfluss auslöste) nennen wir den konditionierten Stimulus (CS). Diese beiden Arten von Reizen und Reaktionen lassen sich leicht unterscheiden; merken Sie sich einfach: konditioniert = gelernt, unkonditioniert = nicht gelernt (. Abb. 8.6).
321
8.1 • Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
Vor der Konditionierung
US (Futter)
UR (Speichelfluss)
NS (Ton)
Ein unkonditionierter Stimulus (US) löst eine unkonditionierte Reaktion (UR) aus
Ein neutraler Reiz (NS) löst keine Reaktion aus
Während der Konditionierung NS (Ton)
Kein Speichelfluss
Nach der Konditionierung
US (Futter)
UR (Speichelfluss) Der unkonditionierte Reiz (US) wird mehrfach unmittelbar nach dem neutralen Reiz (NS) dargeboten. Der unkonditionierte Reiz löst weiterhin eine unkonditionierte Reaktion (UR) aus
CS (Ton)
CR (Speichelfluss)
Der neutrale Reiz allein erzeugt jetzt eine konditionierte Reaktion (CR), wodurch er zu einem konditionierten Reiz wird (CS)
..Abb. 8.5 Pawlows klassisches Experiment. Pawlow bot einen neutralen Reiz (einen Ton) unmittelbar vor einem unkonditionierten Reiz (Futter im Maul) dar. Der neutrale Reiz wurde dann zum konditionierten Reiz, der eine konditionierte Reaktion auslöste
..Abb. 8.6 (© Peanuts Worldwide LLC./Dist. By Universal Uclick/Distr. Bulls)
Konditionierte Reaktion (CR; auch bedingte Reaktion; „conditioned response“) – in der klassischen Konditio-
nierung die gelernte Antwort auf einen zunächst neutralen, nun jedoch konditionierten Reiz (CS). Konditionierter Stimulus bzw. Reiz (CS; auch bedingter Stimulus; „conditioned stimulus“) – in der klassischen
Konditionierung ein zunächst irrelevanter Reiz, der nach der Assoziation mit einem unkonditionierten Reiz (US) eine konditionierte Reaktion (CR) auslöst. Wenn Pawlows Nachweis des assoziativen Lernens so einfach war, fragt man sich, was er in den folgenden drei Jahrzehnten getan hat. Welche Entdeckung wurde in seiner Forschungsfabrik gemacht, so dass anschließend 532 Arbeiten über Speichelkonditionierung geschrieben wurden (Windholz, 1997)? Er und seine Kolleg:innen fanden durch ihre Experimente fünf zentrale Konditionierungsprozesse: Erwerb, Löschung, Spontanerholung, Reizgeneralisierung und Reizdiskrimination.
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Ein Versuchsleiter lässt einen Ton erklingen, kurz bevor er einen Luftstoß in Ihr Auge bläst, was ein Blinzeln Ihres Auges hervorruft. Nach einigen Wiederholungen blinzeln Sie, auch wenn nur der Ton allein erklingt. Was ist der NS, der US, die UR, der CS und die CR?
zz Erwerb ?? 8.4 Was versteht man in der klassischen Konditionie-
rung unter folgenden Prozessen: Erwerb, Löschung, Spontanerholung, Reizgeneralisierung und Reizdiskrimination?
Um den ursprünglichen Lernprozess, den Erwerb des Zusammenhangs zwischen Reiz und Reaktion, zu verstehen fragten sich Pawlow und seine Kolleg:innen: Wie viel Zeit
8
322
Kapitel 8 • Lernen
..Abb. 8.7 Ein unerwarteter CS. Der Psychologe Tirrell (1990) erinnert sich: „Meine erste Freundin mochte Zwiebeln, so dass ich schließlich Zwiebelgeruch mit Küssen assoziierte. Bald führte der Zwiebelgeruch zu einem wunderbaren Kribbeln im Bauch. Oh, was für ein Gefühl!“
NS (Zwiebelgeruch)
UR (sexuelle Erregung)
US (leidenschaftlicher Kuss)
CS (Zwiebelgeruch)
8
UR (sexuelle Erregung)
US (leidenschaftlicher Kuss)
sollte zwischen der Darbietung des neutralen Reizes (Ton, Licht, Berührung) und dem unkonditionierten Reiz (Futter) vergehen? Sie fanden heraus, dass die Antwort „nicht viel“ hieß. Bei diversen Arten und Versuchsreihen ist eine halbe Sekunde wirklich ausreichend. Erwerb („acquisition“) – erste Phase der klassischen Kon-
ditionierung; die Phase, in der ein neutraler Reiz mit einem unkonditionierten Reiz gekoppelt wird, sodass der neutrale Reiz eine konditionierte Reaktion auslöst. Bei der operanten Konditionierung: die Bekräftigung einer verstärkten Reaktion. Was glauben Sie, würde passieren, wenn das Futter (US) vor dem Ton (NS) und nicht danach gebracht würde? Würde eine Konditionierung eintreten? Wahrscheinlich nicht. Zu einer Konditionierung kommt es normalerweise nicht, wenn der NS auf den US folgt. Dieses Forschungsergebnis passt zu der Annahme, dass die klassische Konditionierung eine biologische Anpassung ist. Sie hilft den Organismen, sich auf gute und schlechte Ereignisse vorzubereiten. Für Pawlows Hund ist der ursprünglich neutrale Ton zu einem CS geworden, nachdem dieser ein wichtiges biologisches Ereignis signalisierte: Es gibt Futter (US). Das Geräusch eines knackenden Zweiges (CS) kann für einen Hirsch im Wald ein Hinweis auf einen Jäger (US) sein. Domjan (1992, 1994, 2005) zeigte, wie der CS ein wichtiges biologisches Ereignis ankündigt, indem er die sexuelle Erregung eines japanischen Wachtelmännchens konditionierte. Die Forschenden schalteten ein rotes Licht ein, kurz bevor sie ihm ein paarungsfähiges Weibchen präsentierten. Dies führte nach und nach dazu – wenn das Licht weiterhin das nahende Kommen eines Weibchens ankündigte –, dass das Wachtelmännchen aufgeregter wurde. Außerdem entwickelte das Wachtelmännchen eine Vorliebe für den Rotlicht-Bereich des Käfigs. Wenn Wachtelmännchen sexuell konditionierten Reizen ausgesetzt waren, paarten sie sich schneller mit dem Weib-
CR (sexuelle Erregung)
chen, wenn es kam, und produzierten mehr Sperma und Samenflüssigkeit (Matthews et al., 2007). Die Fähigkeit zu einer klassischen Konditionierung, erweist sich für die Fortpflanzung des Wachtelmännchens somit als Vorteil. Sexuelle Konditionierung gibt es auch bei Ratten. Haben sie ihre frühen sexuellen Erfahrungen mit Partner:innen, die einen besonderen Geruch verströmen, zeigen diese Ratten später eine Präferenz für ähnlich riechende Partner:innen (Pfaus et al., 2012). Auch bei Menschen werden Gegenstände, Gerüche und Anblicke – selbst eine geometrische Figur in einem Experiment –, die mit sexuellen Lustgefühlen verbunden werden, zu konditionierten Reizen für sexuelle Erregung (Byrne, 1982; Hoffmann, 2012). Zwiebelduftender Atem löst normalerweise keine sexuelle Erregung aus. Aber wenn er mehrmals mit einem leidenschaftlichen Kuss verbunden ist, kann er zu einem CS werden und Erregung auslösen (. Abb. 8.7). Hierbei wird auch deutlich, dass Konditionierung eine bestimmte Funktion hat: Sie hilft einem Tier, zu überleben und sich fortzupflanzen – indem es auf Zeichen reagiert, die dazu beitragen, dass es Futter findet, Gefahren vermeidet, Weibchen aufspürt und Nachwuchs bekommt (Hollis, 1997). Lernen steigert die Lust. Durch Konditionierung höherer Ordnung kann ein neuer NS ohne das Vorhandensein eines US zu einem neuen CS werden. Hierzu muss dieser lediglich mit einem zuvor konditionierten Reiz verbunden werden. Wenn ein Ton regelmäßig Futter vorhersagt und Speichelfluss verursacht, kann ein Licht, welches mit dem Ton verbunden wird (Licht → Ton → Futter), ebenfalls Speichelfluss auslösen. Auch wenn diese Konditionierung höherer Ordnung (auch Konditionierung zweiter Ordnung genannt) meist schwächer ausgeprägt ist als die Konditionierung erster Ordnung, beeinflusst sie unser tägliches Leben. Stellen Sie sich vor, dass Ihnen etwas große Angst bereitet – vielleicht ein Pitbull, der Sie kürzlich gebissen hat. Wenn nun etwas anderes – wie z. B. das Bellen eines Hundes – Sie an diesen Pitbull erinnert, könnte das Bellen alleine schon ein wenig Angst in Ihnen auslösen.
..Abb. 8.8 Idealisierte Kurve für Erwerb, Löschung und Spontanerholung. Die ansteigende Kurve zeigt, wie die CR schnell stärker wird, wenn der NS durch wiederholtes Koppeln mit dem US zum CS wird (Erwerb). Die CR schwächt sich daraufhin schnell ab, sobald der CS allein dargeboten wird (Löschung). Nach einer Pause kehrt die (abgeschwächte) CR zurück (Spontanerholung)
8
323
8.1 • Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
Stark Erwerb/Aneignung (NS + US)
Löschung (nur CS)
Spontane Erholung der CR
Stärke der CR
Löschung (nur CS)
Schwach Pause Zeit
Konditionierung höherer Ordnung („higher-order conditioning“) – Prozess, bei dem der konditionierte Reiz
aus einer konditionierten Erfahrung mit einem neuen neutralen Reiz verbunden wird und dadurch ein zweiter (oftmals schwächerer) konditionierter Reiz geschaffen wird. Wenn ein Tier z. B. gelernt hat, dass ein Ton Futter vorhersagt, könnte es lernen, dass ein Lichtsignal den Ton vorhersagt und dann schon auf das Lichtsignal reagieren. (Auch Konditionierung zweiter Ordnung genannt.) >>Merken Sie sich:
US = Unkonditionierter Stimulus oder Reiz UR = Unkonditionierte Reaktion CS = Konditionierter Stimulus oder Reiz CR = Konditionierte Reaktion Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wenn Ihnen aufgrund von Kuchenduft das Wasser im Mund zusammenläuft, was ist dann der US, der CS und die CR?
zz Löschung und Spontanerholung
Was geschieht, wenn der CS nach einer Konditionierung wiederholt ohne den US auftritt? Löst der CS weiterhin die CR aus? Pawlow fand heraus, dass die Hunde, wenn er den Ton immer wieder erklingen ließ, ohne dabei Futter zu geben, immer weniger Speichelfluss aufwiesen. Der abnehmende Speichelfluss veranschaulicht die Löschung (Extinktion). Extinktion ist die verminderte Reaktion, die auftritt, wenn der CS (Ton) nicht als Signal für einen bevorstehenden US (Futter) dient. Pawlow fand aber auch heraus, dass der Speichelfluss als Reaktion auf den Ton spontan wieder auftrat (. Abb. 8.8), wenn er einige Stunden verstreichen ließ, bevor er erneut den Ton erklingen ließ. Diese Spontanerholung – das Wiederauftreten einer (abgeschwächten) CR nach einer Pause – brachte Pawlow auf den Gedanken, dass der Prozess der Löschung die CR eher unterdrückte als ausschaltete.
Löschung (auch Extinktion; „extinction“) – kontinuierliches
Schwächerwerden der konditionierten Reaktion. In der klassischen Konditionierung tritt Löschung ein, wenn dem konditionierten Reiz (CS) kein unkonditionierter Reiz (US) folgt; in der operanten Konditionierung geschieht dies, wenn eine Reaktion nicht mehr verstärkt wird. Spontanerholung („spontaneous recovery“) – erneutes Auftreten einer gelöschten konditionierten Antwort nach einer Pause. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Der erste Schritt in der klassischen Konditionierung, in der ein NS zum CS wird, heißt ___. Wenn einem CS kein US mehr folgt und die CR abgeschwächt wird, handelt es sich um ___.
zz Reizgeneralisierung
Pawlow und seinen Studierenden fiel auf, dass ein Hund nach der Konditionierung auf den Klang eines Tons auch in gewisser Weise auf den Klang eines anderen Tons reagierte. Ähnliche Auswirkungen hatte auch die Konditionierung eines Hundes, der Speichelfluss zeigte, wenn er gekrault wurde: Er reagierte nun auch in gewisser Weise mit Speichelfluss, wenn er gekratzt wurde (Windholz, 1989) oder wenn er an einem anderen Körperteil stimuliert wurde (. Abb. 8.9). Diese Tendenz, auf Reize zu reagieren, die dem CS ähnlich sind, wird Generalisierung (oder Reizgeneralisierung) genannt. Reizgeneralisierung („generalization“) – Tendenz, dass
nach Konditionierung einer Reaktion bestimmte Reize, die dem konditionierten Reiz ähneln, ähnliche Reaktionen hervorrufen. In der operanten Konditionierung tritt Reizgeneralisierung ein, wenn in einer Situation gelernte Reaktionen in anderen, ähnlichen Situationen auftreten. Reizgeneralisierung kann adaptiv sein, etwa, wenn kleinen Kindern beigebracht wird, sich vor fahrenden Autos auf der Straße in Acht zu nehmen, und diese dann auf
Kapitel 8 • Lernen
324
Stärkste Reaktion aus Bereichen in der Nähe des Oberschenkels
60
Anzahl Speicheltropfen
50
40
30
..Abb. 8.10 Missbrauch als Risikofaktor. Die sensibilisierten Gehirne von Kindern, die missbraucht wurden, reagieren intensiv auf zornige Gesichter (Pollak et al., 1998). Diese generalisierte Angstreaktion kann dazu beitragen, zu erklären, warum sie ein größeres Risiko für eine psychische Störung haben. (© UW-Madison News & Public Affairs, Photo by Jeff Miller. Diese Fotografie stellt Forschung dar, die an der University of Wisconsin-Madison durchgeführt wurde.)
20
8
10
0 Hinterpfote
Becken
Oberschenkel
Schulter Rumpf
Vorderpfote
Vorderbein
Stimulierter Körperteil ..Abb. 8.9 Reizgeneralisierung. Pawlow wies Reizgeneralisierung nach, indem er an verschiedenen Körperstellen eines Hundes kleine Vibratoren anbrachte. Nachdem er Speichelfluss durch die Stimulierung des Oberschenkels ausgelöst hatte, stimulierte er andere Bereiche des Körpers. Je näher der stimulierte Punkt dem Oberschenkel kam, desto stärker war die konditionierte Reaktion. (Nach Pawlow, 1927)
Lastwagen oder Motorräder ähnlich reagieren. Und die Reizgeneralisierung kann lange bestehen bleiben: Selbst Jahre nachdem ein argentinischer Schriftsteller unter Folter gelitten hatte, zuckt immer noch vor Angst zusammen, wenn er schwarze Schuhe sieht; dies war das Erste, was er von den Personen sah, als sie sich der Zelle näherten. Die Reizgeneralisierung wurde in Vergleichsstudien von misshandelten und nicht misshandelten Kindern wissenschaftlich aufgegriffen (. Abb. 8.10). Zeigte man misshandelten Kindern ein wütendes Gesicht auf dem Computerbildschirm, dann wiesen die Gehirnwellen dieser Kinder dramatisch stärkere und länger andauernde Reaktionen auf (Pollak et al., 1998). Reizgeneralisierung bewirkt, dass Reize, die von Natur aus ekelerregenden Objekten ähneln, durch Kopplung Ekel auslösen. Normalerweise ansprechendes Essen, wie z. B. Schokoladenpudding, ist nicht mehr appetitanregend, wenn er in der ekelerregenden Form eines Hundehaufens gereicht wird (Rozin et al., 1986). Das gleiche gilt für Abwasser, das zu reinem Trinkwasser recycelt wird (Rozin et al., 2015). Toilette → Wasserhahn → Igitt. In beiden Fällen werden emotionale Reaktionen auf einen Reiz auf ähnliche Reize übertragen (. Abb. 8.11).
zz Reizdiskrimination
Pawlows Hunde lernten auch, auf den Klang eines bestimmten Tons und nicht auf andere Töne zu reagieren. Reizdiskrimination ist die erlernte Fähigkeit, zwischen einem konditionierten Reiz (der auf den bevorstehenden US hinweist) und anderen, irrelevanten Reizen zu unterscheiden. Die Fähigkeit, diese Unterschiede zu erkennen, stellt eine Anpassungsleistung dar. Geringfügig unterschiedliche Reize haben manchmal deutlich unterschiedliche Folgen. Wenn Sie einem Pitbull gegenüberstehen, wird Ihr Herz möglicherweise schnell schlagen; bei einem Golden Retriever wäre das wahrscheinlich nicht der Fall. Reizdiskrimination („discrimination“) – bei der klassi-
schen Konditionierung die gelernte Fähigkeit, den konditionierten Reiz von anderen ähnlichen Reizen zu unterscheiden, die keinen unkonditionierten Reiz ankündigen (in der operanten Konditionierung die Fähigkeit, Reaktionen, die verstärkt werden, von ähnlichen Reaktionen, die nicht verstärkt werden, zu unterscheiden).
Pawlows Erbe ?? 8.5 Warum ist Pawlows Arbeit immer noch so
wichtig?
Was bleibt also von dem, was Pawlow über Konditionierung herausgefunden hat? Sehr viel. Die meisten Forscher:innen stimmen heute darin überein, dass die klassische Konditionierung eine Grundform des Lernens ist. Wenn man Pawlows Annahmen unter dem Gesichtspunkt des heutigen Wissens über biologische Veranlagungen, kognitive Prozesse und soziokulturelle
325
8.1 • Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
..Abb. 8.11 Reizgeneralisierung. (© Claudia Styrsky)
Umwelteinflüsse betrachtet, so waren sie sicherlich unvollständig. Aber wenn wir mehr wissen als Pawlow, liegt das daran, dass wir jetzt auf seinen Erkenntnissen aufbauen können. Warum bleibt Pawlows Arbeit so wichtig? Wenn er uns lediglich gezeigt hätte, dass alte Hunde neue Tricks lernen können, hätte man seine Experimente schon längst vergessen. Warum sollte sich jemand dafür interessieren, dass ein Hund konditioniert werden kann, auf das Erklingen eines Tons mit Speichelfluss zu reagieren? Wichtig ist seine Arbeit zunächst vor allem wegen der Erkenntnis, dass viele andere Reaktionen auf viele andere Reize bei vielen anderen Organismen klassisch konditioniert werden können – tatsächlich bei allen getesteten Arten, angefangen bei den Regenwürmern über die Fische, die Hunde, die Affen bis hin zu den Menschen (Schwartz, 1984). Deshalb ist die klassische Konditionierung für praktisch alle Organismen eine Möglichkeit zu lernen, sich an ihre Umwelt anzupassen. Zudem zeigte uns Pawlow, wie ein Prozess wie das Lernen objektiv untersucht werden kann. Pawlow war stolz darauf, dass seine Methoden nahezu gänzlich von subjektiven Urteilen unabhängig waren, ebenso von Annahmen darüber, was in den Köpfen der Hunde vorging. Die Speichelflussreaktion ist ein sichtbares, beobachtbares Verhalten, das anhand der Kubikzentimeter Speichel nachzuweisen ist. Daher bot Pawlows Erfolg ein wissenschaftliches Modell dafür, wie der junge Forschungsbereich der Psychologie vorgehen könnte: Man isoliert elementare Bausteine komplexer Verhaltensweisen und untersucht diese in objektiven Versuchsreihen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– In blutrünstigen Filmen werden manchmal sexuell erregende Bilder von Frauen mit Gewalt gegen Frauen kombiniert. Was könnte aufgrund der Prinzipien der klassischen Konditionierung die Auswirkung dieser Kombination sein?
zz Anwendungsgebiete der klassischen Konditionierung ?? 8.6 Wie wurde Pawlows Arbeit auf die Bereiche
menschliche Gesundheit und Wohlbefinden angewandt? Wie wandte Watson Pawlows Prinzipien auf erlernte Ängste an?
Andere Kapitel in diesem Buch über Bewusstsein, Motivation, Emotion, Gesundheit, psychische Störungen und Therapie zeigen, wie sich Pawlows Prinzipien der klassischen Konditionierung zugunsten von Gesundheit und Wohlbefinden anwenden lassen. Zwei Beispiele: Drogensucht. Ehemalige Drogenkonsument:innen empfinden oft ein erneutes dringendes Verlangen nach der Droge, wenn sie auf Hinweisreize (Menschen, Orte) treffen, die sie mit den einstigen ekstatischen Zuständen verbinden. Daher raten Drogenberater:innen Abhängigen, das Umfeld zu meiden, das dieses dringende Verlangen auslösen könnte (Siegel, 2005). Heißhunger. Klassische Konditionierung erschwert das Abnehmen. Wir assoziieren zuckerhaltige Substanzen leicht mit einem angenehm wohligen Gefühl. Forschende haben gesunde Freiwillige darauf konditioniert, Heißhunger zu entwickeln, nachdem sie nur einmal ein süßes Lebensmittel gegessen haben (Blechert et al., 2016). Der Verzehr eines Kekses kann Hunger auf einen weiteren erzeugen. Menschen, die mit ihrem Gewicht kämpfen, haben oft tausende Male ungesunde Lebensmittel gegessen und zeigen dadurch stark konditionierte Reaktionen auf den Genuss genau dieser Lebensmittel, die ihren schlechten Gesundheitszustand aufrechterhalten. Immunreaktionen. Die klassische Konditionierung wirkt sogar auf der Ebene des körpereigenen Immunsystems im Kampf gegen Krankheiten. Wenn ein Medikament, das die Immunreaktionen beeinflusst, nebenbei einen bestimmten Geschmack hat, kann
-
-
8
326
Kapitel 8 • Lernen
a
8
..Abb. 8.12 John B. Watson. Watson (1924) gab zu, „etwas zu weit gegangen zu sein“, als er sich rühmte: „Gebt mir ein Dutzend gesunde, wohlgeratene Kinder, gebt mir meine eigene spezielle Welt, in der ich sie aufziehen kann, und ich verspreche euch, dass ich aus jedem beliebigen, den ich herausnehme und trainiere, jede mögliche Art von Spezialisten machen kann: Arzt, Rechtsanwalt, Künstler, Kaufmann, ja, sogar Bettler oder Dieb, und das völlig unabhängig von seinen Talenten, Neigungen, Tendenzen, Fähigkeiten, Berufungen oder gar der Rasse seiner Vorfahren.“
es sein, dass dieser Geschmack allein eine Immunreaktion auslöst (Ader & Cohen, 1985). Pawlows Arbeit stellte die Grundlage für Watsons (1913) Annahme dar, dass menschliche Gefühle und menschliches Verhalten, wenngleich biologisch beeinflusst, vor allem aus einer Reihe konditionierter Reaktionen bestehen (. Abb. 8.12). In ihrer berühmten Studie zeigten Watson und seine Diplomandin Rosalie Rayner (1920; Harris, 1979), wie spezifische Ängste möglicherweise konditioniert werden. Ihre Versuchsperson war ein 11 Monate altes Kind namens Albert (. Abb. 8.13). Wie die meisten Kinder hatte „der kleine Albert“ Angst vor lauten Geräuschen, aber nicht vor weißen Ratten. Watson und Rayner präsentierten ihm eine weiße Ratte und schlugen mit einem Hammer gegen eine Eisenstange direkt hinter seinem Kopf, gerade als er anfangen wollte, die Ratte zu berühren. Nach 7 Wiederholungen dieses Vorgangs brach Albert schon in Tränen aus, wenn er die Ratte nur sah. Weiterhin zeigte Albert 5 Tage später eine Generalisierung seiner konditionierten Reaktion, indem er auf einen Hasen, einen Hund und einen Seehundfellmantel mit Angst reagierte, nicht aber auf unähnliche Objekte wie etwa Spielzeug.
b ..Abb. 8.13 a,b Der kleine Albert. (Bildrechte: Center for the History of Psychology, The University of Akron)
Jahrelang fragte man sich, was aus dem kleinen Albert geworden war. Mit detektivischem Gespür fanden Russell Powell und seine Kolleg:innen (2014) ein Kind, den Sohn einer Amme an einem Universitätskrankenhaus. Aus diesem Kind, William Albert Burger, wurde Albert B. – exakt der Name, den Watson und Rayner verwendeten. Albert, der 2007 verstarb, war ein entspannter Mensch, hatte, allerdings wohl zufällig, eine Abneigung gegen Hunde. Er starb, ohne jemals von seinem früheren Leben in einem Krankenhaus oder seiner Rolle in der Geschichte der Psychologie erfahren zu haben. Auch fragte man sich, was aus Watson geworden war. Nachdem er wegen einer Affäre mit Rayner (die er später heiratete) seine Professur an der Johns-Hopkins-Universität verloren hatte, ging er als Betriebspsychologe zu einer Werbeagentur. Dort nutzte er sein Wissen über assoziatives Lernen dazu, viele erfolgreiche Werbekampagnen zu lancieren, u. a. eine Kampagne für die Firma Maxwell House, die dazu beitrug, die „Kaffeepause“ zu einer amerikanischen Gepflogenheit zu machen (Hunt, 1993). Die Behandlung des kleinen Albert wäre nach den heutigen Standards unethisch. Einige Psycholog:innen hatten Schwierigkeiten, Watsons und Rayners Versuchsergebnisse mit anderen Kindern zu replizieren. Trotzdem erlangte der Fall des kleinen Albert für viele Psycholog:innen eine legendäre Bedeutung. Einige fragten sich, ob wir nicht alle ein ganzes Bündel konditionierter Emotionen mit uns herumtragen. Ob man wohl unsere schlimmsten
327
8.1 • Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
Empfindungen in den Griff bekommen könnte, wenn man Löschungsvorgänge in Gang setzt oder neue Reaktionen auf entsprechende Reize konditioniert? Einem Patienten, der 30 Jahre lang Angst gehabt hatte, allein einen Aufzug zu betreten, riet ein Therapeut, sich selbst dazu zu zwingen, 20 Aufzüge pro Tag zu betreten. Innerhalb von 10 Tagen war die Angst des Patienten fast verschwunden (Ellis & Becker, 1982). Mit der Unterstützung der Fluglinie AirTran gelang es dem Komiker und Schriftsteller Mark Malkoff, seine Angst vorm Fliegen in ähnlicher Weise loszuwerden. Er lebte 30 Tage lang in einem Flugzeug, mit dem er in dieser Zeit 135-mal flog, wobei er täglich 14 Stunden in der Luft verbrachte (National Public Radio [NPR], 2009). Nach eineinhalb Wochen war seine Angst verflogen und er fing an, Spiele mit anderen Fluggästen zu spielen. (Sein Lieblingsstreich war das „Toilettenpapier-Experiment“: Er warf das eine Ende der Rolle in die Toilette und rollte den Rest entlang des Ganges aus. Dann drückte er die Spülung. Die ganze Rolle wurde innerhalb von drei Sekunden hinuntergesogen.) In 7 Kap. 17 werden wir an weiteren Beispielen sehen, wie Psycholog:innen Verhaltenstechniken wie Gegenkonditionierung zur Behandlung emotionaler Störungen einsetzen und persönliche Entwicklung fördern. Prüfen Sie Ihr Wissen
– In den Versuchen von Watson und Rayner lernte der kleine Albert, sich vor einer weißen Ratte zu fürchten, nachdem er wiederholt ein lautes Geräusch gehört hatte, als er die Ratte sah. Was war in diesem Versuch der US? Die UR? Der NS? Der CS? Die CR?
8.1.3
Rückblick: Grundlegende Lernkonzepte und klassische Konditionierung
Verständnisfragen
8.1 – Wie definieren wir Lernen und welches sind die
grundlegenden Formen des Lernens? 8.2 – Wie lässt sich Lernen aus der Sicht des Behaviorismus beschreiben? 8.3 – Wer war Pawlow, und was sind die Hauptbestandteile klassischer Konditionierung? 8.4 – Was versteht man in der klassischen Konditionierung unter folgenden Prozessen: Erwerb, Löschung, Spontanerholung, Reizgeneralisierung und Reizdiskrimination? 8.5 – Warum ist Pawlows Arbeit immer noch so wichtig? 8.6 – Wie wurde Pawlows Arbeit auf die Bereiche menschliche Gesundheit und Wohlbefinden angewandt? Wie wandte Watson Pawlows Prinzipien auf erlernte Ängste an?
----------
Schlüsselbegriffe Assoziatives Lernen Behaviorismus Erwerb Klassische Konditionierung Kognitives Lernen Konditionierte Reaktion (CR) Konditionierter Stimulus bzw. Reiz (CS) Konditionierung höherer Ordnung Lernen Löschung Neutraler Stimulus bzw. Reiz (NS) Operantes Verhalten Reiz (Stimulus) Reizdiskrimination Reizgeneralisierung Respondentes Verhalten Spontanerholung Unkonditionierte Reaktion (UR) Unkonditionierter Stimulus bzw. Reiz (US)
Master the Material 1. Lernen wird definiert als „der Prozess des Erwerbs von ___ oder ___ durch eine neue und relativ dauerhafte Erfahrung“. 2. Zwei Formen des assoziativen Lernens sind klassische Konditionierung, bei der der Organismus ___, und operante Konditionierung, bei der der Organismus ___ verbindet a. zwei oder mehr Reaktionen; eine Reaktion und deren Folgen b. zwei oder mehr Reiz; zwei oder mehr Reaktionen c. zwei oder mehr Reize; eine Reaktion und ihre Folge d. zwei oder mehr Reaktionen; zwei oder mehr Reize 3. Bei Pawlows Experimenten war der Ton zunächst ein neutraler Reiz und wurde dann zu einem ___ Reiz. 4. Hunden wurde beigebracht, beim Ansehen eines Kreises Speichel abzusondern, aber nicht beim Ansehen eines Vierecks. Dies ist ein Beispiel für ___. 5. Nachdem Watson und Rayner den kleinen Albert durch klassische Konditionierung dazu brachten, auf eine weiße Ratte mit Angst zu reagieren, zeigt das Kind später als Reaktion auch Angst vor einem Hasen, einem Hund und einem Seehundfellmantel. Dies ist ein Beispiel für … a. Löschung. b. Reizgeneralisierung. c. Spontanerholung. d. Diskrimination zwischen zwei Reizen. 6. „Sex sells!“ ist der Werbung ein gängiger Spruch. Erklären Sie mit den Begriffen der klassischen Konditionierung, wie sexualisierte Bilder in der Werbung Ihre Reaktion auf ein Produkt konditionieren können.
8
Kapitel 8 • Lernen
328
8.2
Operante Konditionierung
?? 8.7. Was ist operante Konditionierung?
8
Bei der klassischen Konditionierung ist es eine Sache, einem Tier beizubringen, mit Speichelfluss auf den Klang eines Tons zu reagieren, oder einem Kind, dass es sich vor den Autos auf der Straße in Acht nimmt. Um aber einem Elefanten beizubringen, dass er auf den Hinterbeinen geht, oder ein Kind dazu zu verleiten, dass es „bitte“ sagt, greift man auf die operante Konditionierung zurück. Sowohl die klassische als auch die operante Konditionierung sind Formen assoziativen Lernens, doch ihr Unterschied ist klar: In der klassischen Konditionierung werden Assoziationen zwischen Reizen erzeugt (einem CS und dem US, den dieser signalisiert). Hier muss auch das respondente Verhalten betrachtet werden, ein Verhalten, das als automatische Reaktion auf einen Reiz auftritt (wie etwa der Speichelfluss als Reaktion auf Fleischpulver und später als Reaktion auf einen Ton). In der operanten Konditionierung koppeln Organismen ihre eigenen Verhaltensweisen mit deren Konsequenzen. Dabei nehmen Verhaltensweisen, auf die Verstärker folgen, in ihrer Häufigkeit zu; Verhaltensweisen, auf die Strafen folgen, nehmen in ihrer Häufigkeit ab. Zur operanten Konditionierung gehört das operante Verhalten, das so genannt wird, weil die jeweilige Handlung gewissermaßen „einen operativen Eingriff“ auf die Umgebung ausführt, d. h., auf sie einwirkt, um belohnende oder bestrafende Reize zu produzieren.
-
Operante Konditionierung („operant conditioning“) –
Form des Lernens, bei der ein Verhalten mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder auftritt, wenn ihm ein Verstärker folgt, oder abgeschwächt wird, wenn eine Bestrafung folgt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Bei der klassischen Konditionierung lernt ein Organismus Assoziationen zwischen Ereignissen, die er ___ (unter Kontrolle/nicht unter Kontrolle) hat. Bei der operanten Konditionierung werden Assoziationen zwischen dem eigenen Verhalten und ___ (den sich daraus ergebenden/zufälligen Ereignissen) gelernt.
8.2.1
Skinners Experimente
?? 8.8 Wer war Skinner, und wie wird operantes Ver-
halten verstärkt und geformt?
a 240 180 120 60 0 5
b
10
15
20
Aufeinander folgende Versuchsdurchgänge
..Abb. 8.14 a,b Katze im Problemkäfig („puzzle box“). Thorndike (1898) nutzte einen Fisch als Belohnung, um Katzen dazu zu verleiten, dass sie durch eine Reihe von Bewegungen ihren Weg aus einem rätselhaften Kasten (a) fanden. Die Leistung der Katzen wurde gewöhnlich mit aufeinander folgenden Versuchsdurchgängen besser (b). Dies ist eine Veranschaulichung für Thorndikes Effektgesetz („law of effect“). (Daten von Thorndike, 1898)
Burrhus F. Skinner (1904–1990) hatte seinen Bachelor in Englisch gemacht und war ein angehender Schriftsteller, der sich beruflich verändern wollte; daher schrieb er sich für ein Master-Studium in Psychologie ein. Er sollte zur einflussreichsten und umstrittensten Gestalt des modernen Behaviorismus werden. Skinners Arbeit beruhte auf der einfachen Lebensweisheit, die der Psychologe Edward L. Thorndike (1874–1949) das Effektgesetz („law of effect“) nannte: Wird ein Verhalten belohnt, dann wird es wahrscheinlich wiederholt (. Abb. 8.14), wird ein Verhalten bestraft, ist eine Wiederholung weniger wahrscheinlich. Ausgehend von Thorndikes Effektgesetz entwickelte Skinner eine „Verhaltenstechnologie“, die gewisse Prinzipien der Verhaltenssteuerung aufdeckte. Indem er das natürliche Bewegungs- und Pickverhalten von Tauben formte, konnte er ihnen so untypische Verhaltensweisen beibringen, wie etwa eine 8 abzulaufen, Tischtennis zu spielen und eine Rakete auf ihrem Kurs zu halten, indem sie auf einen Punkt auf einem Bildschirm pickten.
329
8.2 • Operante Konditionierung
Lautsprecher Licht Hebel
Wasser
Futterspender
..Abb. 8.15 Skinner-Box. In der Box betätigt eine Ratte einen Druckhebel, um mit Futter belohnt zu werden. Messinstrumente an der Außenseite (hier nicht zu sehen) zeichnen die akkumulierte Häufigkeit der Reaktionen des Tieres auf
Effektgesetz („law of effect“) – Thorndikes Prinzip, dass
Verhaltensweisen, die angenehme Konsequenzen zur Folge haben, häufiger auftreten, während Verhaltensweisen, denen unangenehme Konsequenzen folgen, seltener gezeigt werden. Für seine Pionierarbeit entwarf Skinner eine „operante Kammer“, besser bekannt als Skinner-Box (. Abb. 8.15). Die typische Box verfügt über einen Hebel oder eine Taste. Diese Vorrichtungen werden von dem Tier gedrückt oder angepickt, wofür es mit Futter oder Wasser belohnt wird. Ein Messinstrument zeichnet diese Reaktionen auf. In dieser Versuchsanordnung ist es Ratten und anderen Tieren möglich, Skinners Konzept der Verstärkung zu veranschaulichen: jedes beliebige Ereignis, durch das eine vorausgehende Reaktion bekräftigt wird oder durch das sie in ihrer Häufigkeit zunimmt. Verstärker variieren je nach Tier und den Umständen (. Abb. 8.16). Für die meisten Menschen sind Lob, Aufmerksamkeit oder ein Gehaltsscheck Verstärker. Für hungrige und durstige Ratten eignen sich Futter und Wasser gut. Skinners Experimente waren weit mehr als die Möglichkeit, etwas über die Gewohnheiten von Ratten herauszufinden. In diesen Experimenten wurden die genauen Bedingungen erforscht, die effizientes und dauerhaftes Lernen fördern. Skinner-Box („operant chamber“ oder „Skinner box“) –
Kammer, in der sich ein Hebel oder eine Taste befindet, die ein Tier betätigen kann, um Futter oder Wasser als Belohnung zu erhalten; dazu gehören Messgeräte, die die Häufigkeit des Hebel- oder Tastendrückens durch das Tier aufzeichnen. Wird in der Forschung zur operanten Konditionierung verwendet. Verstärkung („reinforcement“) – in der operanten Konditionierung jedes Ereignis, durch das ein vorausgehendes Verhalten verstärkt wird.
..Abb. 8.16 Verstärker variieren je nach den Umständen. Was für den einen Organismus (ein frierendes Erdmännchen) ein Verstärker (eine Infrarotlampe) ist, muss es nicht unbedingt für einen anderen Organismus (ein überhitztes Kind) sein. Was in einer bestimmten Situation verstärkend wirkt (einem Kälteeinbruch im Taronga Zoo in Sydney, Australien), muss es in einer anderen nicht sein (einem heißen Sommertag). (© MARK BAKER/AP/picture alliance)
Shaping (Verhaltensformung) Stellen Sie sich vor, Sie wollten eine hungrige Ratte darauf konditionieren, einen Hebel zu betätigen. Wie Skinner, könnten Sie diese Handlung durch Shaping (Verhaltensformung) hervorrufen, einen Vorgang, durch den die Handlungen eines Tiers allmählich in Richtung auf ein erwünschtes Verhalten gelenkt werden. Sie beobachten also zunächst, wie sich das noch nicht trainierte Tier von Natur aus verhält; dadurch könnten Sie sich auf dieses beobachtete Verhalten stützen. Sie könnten die Ratte jedes Mal mit Futter belohnen, wenn sie dem Hebel näher kommt. Sobald sich die Ratte regelmäßig dem Hebel nähert, würden Sie voraussetzen, dass sie sich noch weiter nähert, bevor sie belohnt wird, und dann noch ein bisschen näher. Schließlich würden Sie voraussetzen, dass sie den Hebel berührt, bevor Sie ihr das Futter geben. Indem Sie schrittweise Annäherungen belohnen, verstärken Sie Reaktionen, die dem letztlich gewünschten Verhalten immer näher kommen, und gleichzeitig ignorieren Sie alle anderen Reaktionen. Forscher und Tierausbilder trainieren ihren Tieren Schritt für Schritt komplexe Verhaltensweisen an, indem sie die Belohnungen von den erwünschten Verhaltensweisen abhängig machen (Shaping). Shaping (Verhaltensformung; „shaping“) – Vorgang in-
nerhalb der operanten Konditionierung; die Verstärkung führt das Verhalten immer näher an das gewünschte Ziel heran. Wenn ein Psychologe Organismen, die nicht sprechen können, beibringt, Reize zu unterscheiden, kann er auch
8
330
Kapitel 8 • Lernen
Wenn Benny quengelt, ärgert das z. B. seinen Vater, aber schauen Sie, wie sein Vater normalerweise mit Benny umgeht. Benny: Vater: Benny: Vater: Benny: Vater:
8
..Abb. 8.17 Vögel erkennen Tumore. Nachdem man Tauben mit Futter belohnte, wenn sie Brusttumore richtig erkannten, waren Tauben in der Lage, wie Menschen krebsartiges von gesundem Gewebe zu unterscheiden. (Aus Levenson et al., 2015, © 2015 Levenson et al., lizensiert unter CC BY 4.0, 7 https://creativecommons.org/licenses/ by/4.0, Ausschnitt aus der Originalabbildung) Bei anderen Tieren wurde Verhaltensformung dazu eingesetzt, dass sie Landminen erschnüffeln oder Menschen unter Trümmern aufspüren (La Londe et al., 2015)
feststellen, was diese wahrnehmen. Kann ein Hund Farben unterscheiden? Kann ein Baby Laute unterscheiden? Wenn wir ihnen beibringen können, auf diesen speziellen Reiz zu reagieren, nicht aber auf einen anderen, dann können sie natürlich auch den Unterschied zwischen beiden wahrnehmen (. Abb. 8.17). Versuche zeigen, dass einige Tiere die erstaunliche Fähigkeit haben, ihre Wahrnehmungen in Kategorien einzuteilen; sie zeigen dies, indem sie zwischen bestimmten Kategorien von Ereignissen oder Dingen unterscheiden. Belohnt eine Forscherin eine Taube dafür, dass sie pickt, nachdem sie ein menschliches Gesicht sah, aber nicht, nachdem sie andere Bilder sah, wird die Taube lernen, menschliche Gesichter zu erkennen (Herrnstein & Loveland, 1964). In diesem Experiment ist ein Gesicht ein diskriminativer Reiz; wie ein Ampelsignal deutet es darauf hin, dass eine Reaktion verstärkt werden wird. Wenn Tauben beigebracht wurde, Blumen, Menschen, Autos und Stühle voneinander zu unterscheiden, können sie normalerweise feststellen, zu welcher dieser Kategorien ein neues Objekt gehört (Bhatt et al., 1988; Wasserman, 1993). Durch Training konnte man Tauben sogar beibringen, zwischen der Musik von Bach und der von Strawinsky zu unterscheiden (Porter & Neuringer, 1984). Skinner stellte fest, dass wir auch im Alltag ständig das Verhalten andere belohnen und prägen, aber wir machen das oft nicht absichtlich. Manchmal belohnen wir unbewusst Verhaltensweisen, über die wir uns ärgern.
Kannst Du mich zum Einkaufszentrum fahren? (liest weiter Zeitung) Papa, ich muss ins Einkaufszentrum. Oh, ja, nur noch einen Moment. PAAAPAAAA! Das Einkaufszentrum!! Dir werde ich Manieren beibringen! Okay, wo sind die Autoschlüssel?
Bennys Quengeln wird verstärkt, weil er etwas bekommt, was er haben möchte: eine Fahrt ins Einkaufszentrum. Die Reaktion des Vaters wird verstärkt, weil dadurch etwas aufhört, was er nicht mag: Bennys Quengeln. Oder achten Sie darauf, wie manche Lehrkräfte Verstärker einsetzen. An die Tafel kleben sie goldene Sterne neben die Namen der Kinder, die im Diktat alles richtig hatten. Alle Kinder machen die gleiche Prüfung. Wie dann jeder sehen kann, fällt es einigen besonders begabten Kindern leicht, alles richtig zu machen. Die anderen, die möglicherweise mehr gelernt hatten, erhalten keine Belohnung. Die Lehrperson täte besser daran, die Prinzipien der operanten Konditionierung anzuwenden, und zwar alle Kinder für schrittweise Verbesserungen zu belohnen (die allmähliche Annäherung daran, alle Wörter orthografisch richtig zu schreiben, wird dann für sie zur Herausforderung).
Verstärkungsprinzipien ?? 8.9 Wie unterscheiden sich positive und negative Ver-
stärkung und was sind die grundlegenden Arten von Verstärkern?
Bisher haben wir uns hauptsächlich mit der positiven Verstärkung beschäftigt, die ein Reagieren dadurch verstärkt, dass nach dieser Reaktion ein typischer angenehmer Reiz geboten wird. Aber es gibt zwei grundlegende Arten von Verstärkung (. Tab. 8.1), wie die Geschichte des quengelnden Benny zeigt. Positive Verstärkung („positive reinforcement“) – Zu-
nahme der Häufigkeit eines Verhaltens, wenn positive Reize wie Essen dargeboten werden. Ein positiver Verstärker ist jeder Reiz, der, wenn er dargeboten wird, die Reaktion bekräftigt. Negative Verstärkung verstärkt eine Reaktion, indem ein aversiver Reiz verringert oder beseitigt wird. Bennys Quengeln wurde positiv verstärkt, weil er etwas bekam, was er haben wollte: eine Tour zum Einkaufszentrum.
331
8.2 • Operante Konditionierung
..Tab. 8.1 Methoden, um die Häufigkeit eines Verhaltens zunehmen zu lassen Begriff beim operanten Konditionieren
Beschreibung
Mögliche Beispiele
Positive Verstärkung
Hinzufügen eines angenehmen Reizes
Einen Hund streicheln, der kommt, wenn man ihn ruft; jemanden für getane Arbeit bezahlen
Negative Verstärkung
Entfernen eines unangenehmen Reizes
Schmerzmittel einnehmen, um Schmerzen zu beenden; Sicherheitsgurt anlegen, um lauten Piepston zu beenden
Manchmal können negative und positive Verstärkung gleichzeitig stattfinden. Stellen Sie sich einen besorgten Studenten vor, der, nachdem er eine Prüfung vermasselte und eine schlechte Note bekam, für die nächste Prüfung mehr arbeitet. Das Lernverhalten des Studenten kann durch weniger Angst (negative Verstärkung) und durch eine bessere Note (positive Verstärkung) gefördert werden. Wir ernten die Belohnung dafür, dem aversiven Reiz entkommen zu sein, was die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass wir unser Verhalten wiederholen. Merke: Gleichgültig, ob etwas Wünschenswertes gegeben oder etwas Unangenehmes reduziert wird: Verstärkung ist jedwede Konsequenz, durch die ein Verhalten verstärkt wird. Prüfen Sie Ihr Wissen
Die Reaktion seines Vaters (das tun, was Benny wollte) wurde negativ verstärkt, da dadurch etwas aufhörte, was er nicht mag: Bennys Quengeln. Ähnlich ist es mit dem Aspirin, das man nimmt, damit Kopfschmerzen abnehmen, und dem Wecker, der durch ein Tippen auf die Schlummertaste das nervige Klingeln beendet. All diese Folgeerscheinungen bewirken eine negative Verstärkung und erhöhen die Wahrscheinlichkeit, dass diese Verhaltensweisen wiederholt werden. Für Drogenabhängige kann die negative Verstärkung durch das Beenden der Entzugserscheinungen ein verlockender Grund sein, weiterhin Drogen zu nehmen (Baker et al., 2004). Beachten Sie bitte: Negative Verstärkung ist nicht dasselbe wie Bestrafung. (Ein gut gemeinter Ratschlag: Graben Sie sich die letzten sieben Wörter ins Gedächtnis ein.) Negative Verstärkung, der am meisten missverstandene Begriff der Psychologie, entfernt vielmehr ein bestrafendes (aversives) Ereignis. Denken Sie bei negativer Verstärkung an etwas, das Erleichterung verschafft – bei einem quengelnden Kind, starkem Kopfschmerz oder nervigem Klingeln. Negative Verstärkung („negative reinforcement“) – Zu-
nahme der Häufigkeit eines Verhaltens, wenn negative Reize wie ein Elektroschock nicht mehr oder schwächer dargeboten werden. Ein negativer Verstärker ist jeder Reiz, der, wenn er nach einer Reaktion entfernt wird, die Reaktion bekräftigt. (Beachten Sie bitte, dass negative Verstärkung nicht dasselbe wie Bestrafung ist.) ..Abb. 8.18 (© Chance Browne/Distr. King Feature Syndicate, Inc./Distr. Bulls)
– Auf welche Weise wirkt die operante Konditionierung in dem Cartoon in . Abb. 8.18?
zz Primäre und konditionierte Verstärker
Nahrung erhalten, wenn man hungrig ist, oder das Nachlassen von Kopfschmerzen – das alles sind Verstärker, die biologische Bedürfnisse befriedigen. Diese primären Verstärker sind ungelernt. Konditionierte Verstärker, auch sekundäre Verstärker genannt, sind erlernbar und verdanken ihre Wirkung der Kopplung mit primären Verstärkern. Wenn eine Ratte in einer SkinnerBox lernt, dass ein Licht verlässlich anzeigt, dass Futter kommt, wird sie sich bemühen, das Licht einzuschalten (. Abb. 8.19). Das Licht wurde also zu einem sekundären Verstärker, der mit Futter gekoppelt ist. Unser Leben ist voller sekundärer Verstärker: Geld, gute Noten, eine angenehme Stimme – all das wurde einmal mit Belohnungen in Verbindung gebracht, die grundlegende Bedürfnisse befriedigten. Wenn Geld ein konditionierter Verstärker ist – wenn das Verlangen der Menschen nach Geld von ihrem Verlangen nach Nahrung stammt –, dann sollte Hunger Menschen auch hungriger nach Geld machen, folgerte ein europäisches Forschungsteam (Briers et al., 2006). Und tatsächlich waren die Menschen in ihrem Experiment weniger gewillt, für einen guten Zweck zu spenden, wenn sie hungrig waren. Auch war es weniger wahrscheinlich, dass sie Geld mit einer anderen Versuchsperson teilten, wenn sie sich in einem
8
332
8
Kapitel 8 • Lernen
..Abb. 8.19 (Tom Cheney/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Raum befanden, in dem Gerüche verströmt wurden, die Hunger auslösten. Primärer Verstärker („primary reinforcer“) – von Geburt an verstärkender Reiz, der beispielsweise ein natürliches Bedürfnis befriedigt. Konditionierter Verstärker („conditioned reinforcer“) – Reiz, der dadurch verstärkend wirkt, dass er mit einem primären Verstärker gekoppelt wird; auch bekannt als sekundärer Verstärker.
lohnung aufzuschieben: Wenn sie sich ein Bonbon oder ein Marshmallow aussuchen dürfen, dann hätten diese impulskontrollierten Kinder lieber morgen eine größere Belohnung als jetzt gleich eine kleine. Ein großer Schritt hin zur Reife besteht darin, zu lernen, dass man Belohnungen aufschiebt und die eigenen Impulse kontrolliert, um dadurch höher bewertete Belohnungen erreichen zu können. Dies kann uns später davor schützen, ein Verbrechen im Affekt zu begehen (Akerlung et al., 2016; Logue, 1998a, b). Kinder, die Belohnungen aufschieben, werden tendenziell als Erwachsene über soziale Kompetenz verfügen und sehr leistungsorientiert sein (Mischel, 2014). Leider sind jedoch kleine, aber sofortige Freuden (z. B. das Vergnügen, spät in der Nacht fernzusehen) manchmal verführerischer als zeitverzögerte Belohnungen (am nächsten Tag für eine wichtige Prüfung ausgeruht zu sein). Für viele Jugendliche ist die sofortige Befriedigung durch risikoreichen, ungeschützten Sex in leidenschaftlichen Momenten wichtiger als die verzögerte Befriedigung durch sicheren oder aufgeschobenen Sex. Ähnlich setzen sich die unmittelbaren Belohnungen durch heutige benzinfressende Fahrzeuge, Flugreisen und Klimaanlagen gegenüber den weitreichenderen Folgen der künftigen globalen Erwärmung durch, dem steigenden Meeresspiegel und den extremen Wetterbedingungen.
Verstärkungspläne ?? 8.10 Wie beeinflussen die unterschiedlichen Verstär-
kungspläne das Verhalten?
zz Sofortige und verzögerte Verstärker
Wenden wir uns nun dem imaginären Shaping-Versuch zu, bei dem Sie eine Ratte auf das Drücken eines Hebels konditionieren wollen. Die hungrige Ratte wird sich mehreren „unerwünschten“ Verhaltensweisen widmen, kratzen, herumschnuppern oder herumlaufen, bevor sie das „gewünschte“ Verhalten zeigt. Wenn der Verstärker (Futter) unmittelbar auf eine dieser Verhaltensweisen folgt, wird sie mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder auftreten. Wenn die Ratte den Hebel drückt, Sie aber abgelenkt sind und den Verstärker um mehr als 30 Sekunden verzögern, wird die Ratte nicht lernen, den Hebel zu drücken. Sie wird anderen, zufälligen Verhaltensweisen übergehen, wie Kratzen, Herumschnuppern oder Herumlaufen, und eine dieser Verhaltensweisen wird stattdessen verstärkt werden. Im Gegensatz zu Ratten reagieren Menschen auch auf Verstärker, die mit großer Verzögerung kommen, wie etwa auf die Gehaltszahlung am Ende des Monats, auf die gute Note am Ende des Semesters oder den Pokal am Ende der Fußballsaison. Um effektiv zu sein, müssen wir tatsächlich lernen, sofortige Belohnungen zugunsten von größeren Langzeitbelohnungen aufzuschieben. In einer der berühmtesten Studien der Psychologie zeigten manche 4-jährigen Kinder die Fähigkeit, eine Be-
In den meisten unserer bisherigen Beispiele wurde die erwünschte Reaktion bei jedem Eintreten verstärkt. Aber Verstärkungspläne können variieren. Bei der kontinuierlichen Verstärkung ist schnelles Lernen möglich, weshalb sie die beste Wahl ist, wenn ein Verhalten beherrscht werden soll. Aber es kommt rasch zu einer Löschung. Wenn die Verstärkung gestoppt wird – wenn wir die Nahrungszufuhr unterbinden, nachdem die Ratte den Hebel gedrückt hat, wird dieses Verhalten bald aufgegeben (es erlöscht). Wenn ein normalerweise funktionstüchtiger Süßigkeitenautomat zweimal hintereinander keinen Schokoriegel ausgibt, hören wir auf, Geld einzuwerfen (auch wenn wir eine Woche später eine Spontanerholung erzielen können, indem wir es erneut probieren). Verstärkungsplan („reinforcement schedule“) – ein Muster, das definiert, wie oft ein erwünschtes Verhalten verstärkt wird. Kontinuierliche Verstärkung („continuous reinforcement“) – Verstärkung der erwarteten Reaktion bei jedem
Auftreten. Im Alltag kommt die kontinuierliche Verstärkung nicht sehr häufig vor. Eine Verkäuferin hat nicht bei jedem
Partieller (intermittierender) Verstärkungsplan („partial or intermittent reinforcement schedule“) – nur gelegent-
liche Verstärkung einer Reaktion. Intermittierende Verstärkung führt zu langsamerem Erlernen einer Reaktion, ist aber deutlich löschungsresistenter als eine Reaktion, die durch kontinuierliche Verstärkung gelernt wird. Es gibt auch einen wertvollen Hinweis für Eltern: Wenn sie den Wutanfällen ihrer Kinder gelegentlich um des lieben Friedens willen nachgeben, so verstärkt dies die Wutanfälle intermittierend. Dies ist die beste Methode, zu erreichen, dass ein Verhalten weiter auftritt. Skinner (1961) und seine Mitarbeiter:innen verglichen vier Arten partieller Verstärkung. Einige sind genau festgelegt, andere unvorhersehbar variabel. Feste Quotenpläne verstärken eine Verhaltensweise nach einer bestimmten Anzahl von Reaktionen. Cafés belohnen uns mit einem Gratisgetränk nach jedem 10. gekauften Getränk. Auch bei Versuchstieren kann eine Verstärkung nach einer festen Quote erfolgen, z. B. jeweils ein Verstärker nach 30 Reaktionen. Wenn das Tier einmal konditioniert ist, wird es nach einem Verstärker nur eine kurze Pause einlegen und dann zu einer hohen Reaktionsrate zurückkehren (. Abb. 8.20). Fester Quotenplan („fixed-ratio schedule“) – ein Verstär-
kungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem eine Reaktion erst nach einer bestimmten Anzahl von Reaktionen verstärkt wird. Variable Quotenpläne liefern Verstärker nach einer unvorhersehbaren Zahl von Reaktionen. Diese unvorhersehbare Verstärkung erfahren Spieler:innen an Spielautomaten und Angler:innen beim Fliegenfischen, und das ist der Grund, warum man vom Spielen oder vom
1000
Feste Quote Variable Quote
Anzahl der Reaktionen
Beratungsgespräch einen Verkaufserfolg. Aber sie macht weiter, weil ihre Bemühungen gelegentlich belohnt werden. Diese Beständigkeit ist typisch für partielle (intermittierende) Verstärkungspläne, bei denen Reaktionen teilweise verstärkt, teilweise nicht verstärkt werden. Lernen durch intermittierende Verstärkung vollzieht sich langsamer, führt jedoch zu größerer Löschungsresistenz als die kontinuierliche Verstärkung. Stellen Sie sich eine Taube vor, die es gelernt hat, auf eine Taste zu picken, um Futter zu erhalten. Wenn die Versuchsleitung die Phasen zwischen zwei Futterlieferungen schrittweise verlängert, bis es nur noch selten und bei unvorhersehbaren Gelegenheiten dazu kommt, kann es geschehen, dass Tauben bis zu 150.000-mal picken, ohne dafür belohnt zu werden (Skinner, 1953). Spielautomaten belohnen auf ähnliche Weise – gelegentlich und unvorhersehbar. Diese intermittierende Verstärkung beeinflusst Spielende wie die Tauben: Sie versuchen es immer wieder, manchmal ohne Ende. Bei intermittierender Verstärkung bleibt die Hoffnung ewig bestehen.
8
333
8.2 • Operante Konditionierung
750
Verstärker Festes Intervall
Schnelle Reaktion, wenn sich die Zeit der Verstärkung nähert
500
Variables Intervall
250 Stetige Reaktion 0
10
20
30 40 50 Zeit (Minuten)
60
70
80
..Abb. 8.20 Intermittierende Verstärkungspläne. Diese Reaktionsmuster zeigten Skinners Versuchstauben (1961) bei vier verschiedenen Verstärkungsplänen. (Verstärker sind mit schwarzen kurzen Strichen gekennzeichnet.) Sowohl bei Menschen als auch bei Tauben führt eine an die Reaktionen geknüpfte Verstärkung (Quotenplan) zu einer höheren Reaktionsrate als eine Verstärkung, die mit der Zeit gekoppelt ist (Intervallplan). Aber auch die Vorhersehbarkeit einer Belohnung spielt eine Rolle. Ein unvorhersehbarer (variabler) Plan führt zu ausdauernderen Reaktionen als ein vorhersehbarer (fester) Plan. (Daten von Skinner, 1961)
Fliegenfischen nur so schwer loskommt, auch wenn beides nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt. Der variable Quotenplan führt zu hohen Reaktionsraten, weil die Verstärker im selben Maße zunehmen, wie die Anzahl der Reaktionen. Variabler Quotenplan („variable-ratio schedule“) – ein
Verstärkungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem die Anzahl der Reaktionen, die gezeigt werden, bevor eine Verstärkung gegeben wird, von einer Verstärkungsphase zur anderen variiert.
» „Der Reiz des Angelns besteht darin, etwas zu verfolgen,
was erreichbar ist, sich jedoch entzieht: Das bietet unendlich viele Gelegenheiten, Hoffnungen aufzubauen.“ Der schottische Autor John Buchan (1875–1940)
Bei festen Intervallplänen wird die erste Reaktion nach einem festgelegten Zeitraum verstärkt. Tiere werden das Verhalten hierbei häufiger zeigen, wenn die Zeit näher rückt, zu der eine Belohnung erwartet wird. Ähnlich wie Menschen, die häufiger nach der Post sehen, wenn sich die Zeit nähert, zu der der Briefträger normalerweise kommt, oder ein hungriges Kind, das öfter am Wackelpudding rüttelt, um zu sehen, ob er schon fest ist, picken Tauben während eines festen Intervallplans häufiger, wenn die angenommene Zeit der Belohnung näher kommt; die Tiere zeigen also ein eher unregelmäßiges Stopp-Start-Muster (. Abb. 8.20) als eine stetige Reaktionsrate.
334
Kapitel 8 • Lernen
Fester Intervallplan („fixed-interval schedule“) – ein Ver-
stärkungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem die erste Reaktion nach einer vorab festgelegten Zeitspanne verstärkt wird. Bei variablen Intervallplänen wird die erste Reaktion nach einem variablen Zeitintervall verstärkt. Skinners Tauben wurden zu wechselnden Zeiten mit einem Futterpellet für ihres Ausdauer beim Picken einer Taste belohnt. So wie die ersehnte Nachricht, die schließlich die Ausdauer belohnt, ständig auf unser Handy zu schauen, lösen variable Intervallpläne tendenziell langsame, beständige Reaktionen aus. Das ist sinnvoll, weil man nicht weiß, wann die Wartezeit vorbei ist (. Tab. 8.2). Variabler Intervallplan („variable-interval schedule“) – ein
8
Verstärkungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem eine Reaktion in wechselnden Zeitabständen verstärkt wird. Allgemein kann man sagen, dass die Reaktionsraten bei einer Verstärkung, die an die Anzahl von Reaktionen geknüpft ist (Quotenplan), höher sind, als bei einer Verstärkung, die an die Zeit gekoppelt ist (Intervallplan). Allerdings ist die Reaktion ausdauernder, wenn die Verstärkung unvorhersehbar ist (variabler Plan), als wenn sie vorhersehbar ist (fester Plan). Das Verhalten von Tieren unterscheidet sich, doch Skinner (1956) behauptete, diese Verstärkungsprinzipien der operanten Konditionierung seien universell anwendbar. Er sagte, es mache wenig Unterschied, mit welcher Reaktion, mit welchem Verstärker oder mit welcher Gattung man arbeite. Die Wirkung eines bestimmten Verstärkungsplans sei nahezu immer die gleiche: „Taube, Ratte, Affe, was ist was? Das ist ganz egal. … Das Verhalten weist erstaunlich ähnliche Eigenschaften auf.“ Prüfen Sie Ihr Wissen
– Nach welchem Verstärkungsplan werden Leute verstärkt, die Spam-Mails versenden? Welchen Plan verfolgen Hobbybäcker, die in den Ofen schauen, um zu sehen, ob die Plätzchen fertig sind? Welchen Verstärkungsplan nutzen Sandwich-Shops, wenn sie nach 10 gekauften Sandwiches ein Sandwich gratis abgeben?
Bestrafung ?? 8.11 Wie unterscheiden sich Bestrafung und negative
Verstärkung und wie wirkt sich Bestrafung auf das Verhalten aus?
Bestrafung bewirkt das genaue Gegenteil von Verstärkung. Durch Verstärkung nimmt ein Verhalten zu, durch
..Tab. 8.2 Verstärkungspläne Fest
Variabel
Quote
Nach jedem x-ten Mal: Verstärkung nach jedem n-ten Verhalten, wie 1 Kaffee gratis nach 10 gekauften zu erhalten oder der Bezahlung nach Stückzahl
Nach einer unvorhersehbaren Anzahl: Verstärkung nach einer willkürlichen Anzahl von Reaktionen, wie beim Spielen an Spielautomaten oder beim Fliegenfischen
Intervall
Nach einer x-beliebigen Zeit: Verstärkung eines Verhaltens nach einer festgelegten Zeitspanne, wie z. B. Sonderpreise an Dienstagen
Unvorhersehbar oft: Verstärkung eines Verhaltens nach einer willkürlichen Zeitspanne, wie beim Checken unseres Handys auf eine Nachricht
Bestrafung nimmt es ab. Während durch negative Verstärkung ein vorausgehendes Verhalten häufiger auftritt (indem etwas Negatives zurückgenommen wird), nimmt es durch Bestrafung ab. Daher versteht man unter Bestrafung jede Art von Konsequenz, die die Häufigkeit eines vorausgehenden Verhaltens verringert (. Tab. 8.3). Schnelle und gezielte Bestrafung kann unerwünschtes Verhalten massiv unterbinden. Sowohl die Ratte, die einen Elektroschock bekommt, nachdem sie einen verbotenen Gegenstand berührt hat, als auch das Kind, das sich verbrannt hat, weil es eine heiße Herdplatte angefasst hat, werden lernen, ihr Verhalten nicht zu wiederholen. Bestrafung („punishment“) – Ereignis, das das voraus-
gehende Verhalten reduziert. Kriminelles Verhalten, das meistens impulsiv ist, wird auch eher durch schnellere und gezieltere Bestrafung beeinflusst, als durch die Aussicht auf ein hartes Strafmaß (Darley & Alter, 2013). Im Bundesstaat Arizona wurde eine außergewöhnlich harte Bestrafung für Autofahrer:innen, die zum ersten Mal wegen Trunkenheit am Steuer auffällig wurden, eingeführt. An der Zahl betrunkener Autofahrer:innen änderte sich nicht viel. Anders bei der Polizei von Kansas City, die in einem Gebiet mit hoher Kriminalität Streife fuhr, um schnelle und gezielte Bestrafung zu erhöhen: Die Kriminalitätsrate in dieser Stadt sank dramatisch. Was bedeuten diese Befunde zur Bestrafung nun im Hinblick auf elterliche Erziehungspraktiken? Eine Analyse von mehr als 160.000 Kindern ergab, dass körperliche Bestrafung nur selten unerwünschtes Verhalten korrigiert (Gershoff & Grogan-Kaylor, 2016). Viele Psycholog:innen zeigen vier wesentliche Nachteile körperlicher Bestrafung auf (Finkenauer et al., 2015; Gershoff, 2002; Marshall, 2002): 1. Bestraftes Verhalten ist nicht vergessen; es wird lediglich unterdrückt. Diese zeitweilige Unterdrückung des
335
8.2 • Operante Konditionierung
..Tab. 8.3 Bestrafungsformen Form
Beschreibung
Beispiele
Positive Bestrafung
Hinzufügen eines unangenehmen Reizes
Einen bellenden Hund mit Wasser bespritzen; einen Strafzettel für zu schnelles Fahren bekommen
Negative Bestrafung
Entfernen eines angenehmen Reizes
Den Führerschein abgeben müssen; den Bibliotheksausweis abgeben müssen wegen nicht bezahlter Säumnisgebühr
Verhaltens kann das Bestrafungsverhalten der Eltern (negativ) verstärken. Das Kind flucht, die Eltern schlagen, die Eltern hören das Kind nicht mehr fluchen und haben das Gefühl, dass die Bestrafung das Verhalten erfolgreich unterbunden hat. Es ist kein Wunder, dass der Klaps bei so vielen Eltern derartig beliebt ist – mehr als 60 % aller Kinder in der Welt werden geschlagen oder anderweitig körperlich bestraft (Unicef, 2014). 2. Bestrafung lehrt zwischen Situationen zu diskriminieren. In der operanten Konditionierung tritt Reizdiskrimination auf, wenn ein Organismus lernt, dass bestimmte Reaktionen verstärkt werden, andere hingegen nicht. Hat die Bestrafung das Fluchen des Kindes also wirklich effektiv unterbunden? Oder hat das Kind lediglich gelernt, dass es nicht in Ordnung ist, in der Nähe des Hauses zu fluchen, aber anderswo schon? 3. Bestrafung kann Angst auslösen. In der operanten Konditionierung tritt Reizgeneralisierung auf, wenn die Reaktion eines Organismus auf ähnliche Reize verstärkt wird. Wer bestraft wird, verbindet die Angst vielleicht nicht nur mit dem unerwünschten Verhalten, sondern auch mit der strafenden Person oder mit der Situation, in der gestraft wurde. Folglich könnte ein Kind die strafende Lehrperson fürchten und daher nicht mehr in die Schule gehen wollen oder ängstlicher werden (Gershoff et al., 2010). Aus diesen Gründen wurde in den meisten europäischen Ländern und in 31 U.S.-Bundesstaaten die Prügelstrafe in Schulen und anderen Kinder- und Jugendeinrichtungen abgeschafft (EndCorporalPunishment. org). Seit 2017 haben 51 Länder die Prügelstrafe für Eltern verboten. Eine große Umfrage in Finnland, das zweite Land, das ein solches Gesetz verabschiedete, zeigte, dass Kinder, die nach der Verabschiedung des Gesetzes geboren wurden, tatsächlich seltener geohrfeigt und geschlagen wurden (Österman et al., 2014). In Deutschland wurde im Jahr 2000 ein Gesetz zur Ächtung von Gewalt in der Erziehung beschlossen und umgesetzt. Die neue Fassung des § 1631 des
Bürgerlichen Gesetzbuches besagt nun in Absatz 2: „Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ 4. Körperliche Bestrafung verstärkt Aggressivität möglicherweise dadurch, dass sie Folgendes zeigt: Aggression ist eine Möglichkeit zur Problemlösung. In vielen Studien konnte festgestellt werden, dass geschlagene Kinder ein erhöhtes Aggressionsrisiko haben (MacKenzie et al., 2013). Das könnte eine Erklärung dafür sein, warum so viele aggressive Kriminelle und missbrauchende Eltern aus Familien kommen, in denen Missbrauch vorkam (Straus & Gelles, 1980; Straus et al., 1997). Einige Forschende stellen diese Logik in Frage. Kinder, die oft mit körperlicher Bestrafung Erfahrung machen, könnten aus demselben Grund aggressiver sein, aus dem Menschen, die eine Psychotherapie gemacht haben, eher an einer depressiven Störung leiden – weil bei ihnen schon vorher Probleme vorlagen, die zu diesen Behandlungen führten (Ferguson, 2013a; Larzelere, 2000; Larzelere et al., 2004). Das ist also die Frage: Lösen Schläge Fehlverhalten aus, oder löst Fehlverhalten Schläge aus? Die Korrelation gibt uns keine Antwort auf die Frage. Die Diskussion geht weiter. Manche Forschende stellen fest, dass häufiges Prügeln ein künftiges aggressives Verhalten wahrscheinlicher macht – selbst wenn Studien bereits bestehendes Fehlverhalten ausschließen (Taylor et al., 2010). Andere glauben, dass leichte Klapse weniger problematisch sind (Baumrind et al., 2002; Larzelere & Kuhn, 2005). Dies gilt vor allem dann, wenn körperliche Bestrafung nur als Unterstützung dient, um die Wirksamkeit milderer Disziplinierungstaktiken zu erhöhen, und wenn sie mit viel gutem Zureden und verstärkender Fürsorge verbunden ist. Eltern straffälliger Jugendlicher wissen oft nicht, wie sie erwünschte Verhaltensweisen verstärken könnten, ohne zu schreien, zu schlagen oder ihren Kindern mit Bestrafung zu drohen (Patterson et al., 1982). Übungsprogramme können betroffenen Eltern helfen, Drohungen in positive Anregungen umzukehren. Aus „Entweder du räumst dein Zimmer auf, oder du bekommt kein Abendbrot!“ wird dann „Komm dann zum Abendbrot, wenn du dein Zimmer aufgeräumt hast.“ Wenn man darüber nachdenkt, dann sind viele Strafandrohungen ebenso nützlich und vielleicht sogar wirksamer, wenn sie positiv umformuliert werden. Also sollte „Wenn du deine Hausaufgabe nicht machst, bekommst du das Auto nicht!“ besser umformuliert werden in … Dieser Ansatz funktioniert auch im Klassenzimmer. Anmerkungen der Lehrkraft wie etwa „Nein, aber probiere einmal …“ und „Ja, genau!“ reduzieren unerwünschtes Verhalten dadurch, dass alternative Verhaltensweisen verstärkt werden. Merkens Sie sich: Bestrafung sagt dir, was du nicht tun sollst; Verstärkung sagt
8
Kapitel 8 • Lernen
336
dir, was du tun sollst. Bestrafung trainiert daher eine besondere Art von Moral – eine, die sich auf Verbote konzentriert (was man nicht tun darf) und nicht auf positive Engagements (Sheikh & Janoff-Bulman, 2013). Die Bestrafung lehrt oft, so Skinner, wie sie vermieden werden kann. Die meisten Psycholog:innen treten heute dafür ein, auf Verstärkung zu setzen: Achten Sie darauf, wenn Menschen etwas richtig machen und bestärken Sie sie darin. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Vervollständigen Sie die unten stehende Tabelle mit den folgenden Begriffen: Positive Verstärkung (PV), negative Verstärkung (NV), positive Bestrafung (PB) und negative Bestrafung (NB). Die erste Antwort (PV) wurde bereits vorgegeben.
8
Form des Reizes Erwünscht (z. B. das Auto zu bekommen): Unerwünscht/unangenehm (z. B. geschimpft zu werden)
Hinzufügen 1. PV
Entfernen 2.
3.
4.
» „Ein Klaps auf den Rücken ist zwar nur ein paar Hand-
breit von einem Tritt in den Hintern entfernt, das Ergebnis ist diesem aber meilenweit voraus.“ Nach dem Verleger Bennett Cerf (1898–1971)
8.2.2
Skinners Erbe
?? 8.12 Warum werden Skinners Auffassungen zum
Verhalten des Menschen kontrovers diskutiert und wie könnte man seine Prinzipien der operanten Konditionierung in der Schule, im Sport, bei der Arbeit, in der Erziehung und in der persönlichen Weiterentwicklung anwenden?
Skinner stach in ein Wespennest, als er immer wieder darauf bestand, dass Verhalten durch äußere Einflüsse, nicht aber durch innere Gedanken und Gefühle geprägt werde; Er argumentierte, dass Hirnforschung für die Wissenschaft der Psychologie nicht notwendig sei, denn er war der Meinung, dass „eine Verhaltenswissenschaft unabhängig von Neurologie ist“ (Skinner 1938/1966, S. 423–424). Ferner drängte er darauf, operante Prinzipien zur Konditionierung zu nutzen, um das menschliche Verhalten an Schulen, am Arbeitsplatz und zu Hause zu beeinflussen. Wenn wir akzeptieren, dass Verhalten durch die sich daraus ergebenden Konsequenzen geformt wird, sollten wir, so argumentierte er, Belohnungen in einer Weise einsetzen, die erwünschtes Verhalten besser fördert.
Skinners Kritiker:innen widersprachen und warfen ihm vor, dass er die Menschenwürde verletze, weil er keine Achtung vor der persönlichen Freiheit Einzelner habe und er ihr Handeln kontrollieren wolle. Skinners Antwort: Das Verhalten des Menschen wird bereits willkürlich von äußeren Einflüssen kontrolliert. Warum sollte man dann diese Konsequenzen nicht zu Gunsten der Menschen einsetzen? Wäre es nicht menschlicher, Verstärker einzusetzen, statt zu Hause, in der Schule und in Gefängnissen mit Strafen zu arbeiten? Und wenn es demütigend erscheint, zu denken, dass wir durch unsere Vergangenheit geformt werden, so lässt uns genau dieser Gedanke auch hoffen, dass wir unsere eigene Zukunft gestalten können (. Abb. 8.21). zz Anwendung der operanten Konditionierung
In späteren Kapiteln werden wir sehen, wie Psycholog:innen die Prinzipien der operanten Konditionierung einsetzen, um Menschen mit hohem Bluthochdruck zu helfen oder um soziale Fertigkeiten zu entwickeln. Verstärkungstechniken finden auch im Schulalltag, im Sport, im Geschäftsleben und zu Hause Anwendung, und diese Prinzipien können unsere persönliche Weiterentwicklung ebenfalls unterstützen (Flora, 2004). kSchule k
Vor mehr als 50 Jahren arbeiteten Skinner und andere Wissenschaftler:innen auf einen Tag hin, an dem „Maschinen und Lehrbücher“ den Prozess des Lernens in kleine Schritte einteilen und sofortige Verstärker für richtige Antworten liefern sollten. Solche Maschinen und solcherart aufbereitetes Lehrmaterial würde, so sagten sie, das Bildungswesen revolutionieren und Lehrerinnen und Lehrenden die Freiheit geben, sich auf die individuellen Bedürfnisse ihrer Schüler zu konzentrieren. „Guter Unterricht erfordert zwei Dinge“, sagte Skinner (1989). „Den Schüler:innen muss umgehend gesagt werden, ob sie etwas richtig oder falsch machen. Und wenn sie es richtig machen, muss ihnen gezeigt werden, welcher Schritt als nächster folgt.“ Skinner würde sich freuen, wenn er wüsste, dass viele seiner Erziehungsideale heute möglich sind. Früher war es für die Lehrenden schwierig, den Stoff an das Lerntempo der einzelnen Schüler anzupassen und ein schnelles Feedback zu geben. Adaptive Online-Anwendungen tun beides. Die Schüler:innen durchlaufen beispielsweise ein Quiz in ihrem eigenen Tempo, nach ihrem eigenen Wissensstand. Und sie können sofort ein Feedback zu ihren Leistungen erhalten, einschließlich personalisierter Lernpläne. kSport k
Mit Hilfe von Verstärkungsprinzipien lassen sich aber auch sportliche Leistungen verbessern. Der Schlüssel hierfür ist wieder, dass zunächst kleine Erfolge verstärkt werden und dann die Anforderungen allmählich
337
8.2 • Operante Konditionierung
..Abb. 8.22 (Jack Ziegler/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
..Abb. 8.21 Burrhus F. Skinner. „Manchmal werde ich gefragt: ‚Sehen Sie sich selbst auch als einen dieser Organismen, die Sie studieren?‘ Darauf lautet meine Antwort ‚Ja‘. Nach allem, was ich weiß, war mein Verhalten in jedem beliebigen Moment nichts anderes als das Produkt aus meiner genetischen Veranlagung, meiner persönlichen Geschichte und den jeweiligen Umständen.“ (Skinner, 1983)
zunehmen. Golfschüler:innen fangen mit Schlägen über eine sehr kurze Distanz an. In dem Maß, wie sie besser werden, können sie immer weiter vom Ball zurücktreten. Wer Schlagmann beim Baseball werden will, übt zuerst, einen Ball mit Übergröße zu schlagen, der von nicht allzu weit entfernt geworfen wird. Mit jedem gelungenen Treffer wachsen sein Vertrauen und sein Können; dann kann der Ball schrittweise aus einer immer größeren Entfernung geworfen und der große Ball schließlich durch einen normalen Ball ersetzt werden. Bei einem Vergleich mit Kindern, die nach herkömmlichen Methoden trainiert wurden, zeigten die Kinder mit diesem Verhaltenstraining schnellere Lernerfolge (Simek & O’Brien, 1981, 1988). kArbeitsplatz k
Viele Firmen bieten ihren Angestellten heute Gewinnbeteiligungen und Firmenanteile an, da sie wissen, dass Verstärker einen Einfluss auf die Produktivität haben. Andere Unternehmen legen den Fokus auf die Verstärkung guter Arbeit: Diese steigert die Produktivität besonders effektiv, wenn die erwünschte Leistung klar definiert ist und im Rahmen der Möglichkeiten liegt. Was bedeutet das für Sie als Führungskraft? Belohnen Sie bestimmte, machbare Tätigkeiten, nicht vage definierte Verdienste. Auch lohnt es sich, die Verstärkung sofort durchzuführen. Wenn der legendäre IBM-Manager Thomas Watson eine erfolgreiche Leistung beobachtete, schrieb
er dem Mitarbeiter bzw. der Mitarbeiterin sofort einen Scheck aus (Peters & Waterman, 1982). Belohnungen müssen allerdings nicht unbedingt materiell oder üppig sein. Eine erfolgsorientierte Führungskraft kann Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einfach auf dem Flur in ihrer guten Arbeit bestätigen oder eine gute Bewertung zu einem abgeschlossenen Projekt schreiben (. Abb. 8.22). Wie Skinner sagte: „Wäre die ganze Welt nicht um vieles reicher, wenn im Alltag die Verstärker deutlicher von der geleisteten Arbeit abhingen?“ kIn k der Erziehung
Auch Eltern können einen Nutzen aus der operanten Konditionierung ziehen. Wierson und Forehand (1994), die für Eltern Kurse zur richtigen Kindererziehung anbieten, erinnern uns daran, dass Eltern, die sagen: „Mach dich fertig, schlafen zu gehen“ und dann Protesten und Trotzverhalten nachgeben, derartige Verhaltensweisen verstärken. Schließlich schreien sie in ihrer Verzweiflung ihr Kind möglicherweise an oder gestikulieren drohend, wobei die ängstliche Fügsamkeit des Kindes wiederum das verärgerte Verhalten der Eltern verstärkt. Mit der Zeit entsteht daraus ein destruktives Eltern-Kind-Verhältnis. Um diesen Teufelskreis zu durchbrechen, sollten Eltern die grundlegende Regel des Shapings (Verhaltensformung) beachten: Achten Sie darauf, wenn Menschen etwas richtig machen und bestärken Sie sie darin. Schenken Sie Kindern Aufmerksamkeit und andere Verstärker, wenn sich diese richtig verhalten. Wählen Sie ein bestimmtes Verhalten aus, belohnen Sie es, und beobachten Sie, wie es häufiger auftreten wird. Wenn sich Ihre Kinder falsch verhalten oder trotzig sind, dann schreien Sie sie nicht an und schlagen Sie sie nicht. Erklären Sie ihnen einfach ihr Fehlverhalten, nehmen Sie das iPad weg, entfernen Sie das malträtierte Spielzeug oder geben Sie ihnen eine
8
338
Kapitel 8 • Lernen
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Leon benimmt sich in der Vorschule ständig daneben, obwohl seine Lehrerin immer wieder mit ihm schimpft. Warum hält Leons Fehlverhalten an, und was kann seine Lehrerin dagegen tun?
8.2.3
..Abb. 8.23 (© Mick Stevens/Search ID: CC47063, Rights Available from CartoonStock.com)
8
Auszeit: Nehmen Sie sie für einen festgelegten Zeitraum aus der sie verstärkenden Umgebung heraus. kZur k Änderung unseres eigenen Verhaltens
Schließlich können wir die operante Konditionierung auch bei uns selbst anwenden (. Abb. 8.23), indem wir unsere am meisten erwünschten Verhaltensweisen (z. B. Ihre Lerngewohnheiten verbessern) verstärken und unerwünschtes Verhalten (z. B. das Rauchen) löschen. Hierfür schlagen Psycholog:innen Ihnen vor, diese Maßnahmen zu ergreifen: 1. Legen Sie Ihr Ziel messbar fest und verkünden Sie Ihren Vorsatz. Sie könnten beispielsweise täglich eine Stunde länger lernen wollen und dieses Ziel Bezugspersonen mitteilen, die Sie darin unterstützen. So erhöhen Sie Ihr Engagement und Ihre Erfolgsaussichten. 2. Entscheiden Sie, wie, wann und wo Sie auf Ihr Ziel hinarbeiten werden. Nehmen Sie sich Zeit für die Planung. Legt man fest, wie die Ziele umgesetzt werden sollen, arbeitet man fokussierter an ihnen und erfüllt sie öfter (Gollwitzer & Oettingen, 2012). 3. Beobachten Sie, wie oft das Verhalten, das Sie fördern möchten, bei Ihnen auftritt. Sie könnten Ihre derzeitige Lernzeit stoppen und notieren, unter welchen Bedingungen Sie lernen und unter welchen nicht. (Als ich anfing, Lehrbücher zu schreiben, hielt ich während des gesamten Tages fest, wie ich meine Zeit verbrachte, und war erstaunt darüber, zu entdecken, wie viel Zeit ich vergeudete.) 4. Verstärken Sie das erwünschte Verhalten. Wenn Sie länger lernen möchten, dann gönnen Sie sich erst nach der zusätzlichen Stunde einen Snack (oder eine andere verstärkende Aktivität). Vereinbaren Sie mit Ihren Freund:innen, dass Sie am Wochenende nur dann etwas mit ihnen unternehmen werden, wenn Sie Ihr realistisches wöchentliches Lernziel erreicht haben. 5. Reduzieren Sie allmählich in dem Maße die Anreize, in dem die neuen Verhaltensweisen immer stärker zur Gewohnheit werden, und klopfen Sie sich innerlich auf die Schulter, anstatt einen Keks zu essen.
Gegenüberstellung von klassischer und operanter Konditionierung
?? 8.13 Wie unterscheiden sich klassische und operante
Konditionierung?
Sowohl die klassische als auch die operante Konditionierung sind Formen assoziativen Lernens, und bei beiden spielen Erwerb, Löschung, Spontanerholung, Generalisierung und Reizdiskrimination eine Rolle. Aber es gibt auch Unterschiede zwischen diesen beiden Formen des Lernens (. Tab. 8.4). Bei der klassischen Konditionierung (Pawlow) assoziiert ein Organismus verschiedene Reize, die er nicht unter Kontrolle hat und auf die er automatisch reagiert (respondentes Verhalten). Bei der operanten Konditionierung koppeln wir unser eigenes Verhalten – Beeinflussung der Umwelt, wodurch belohnende oder bestrafende Reize ausgelöst werden (operantes Verhalten) – mit den sich jeweils daraus ergebenden Konsequenzen. Wie wir als nächstes sehen werden, unterliegen beide Formen des Konditionierens (klassisch und operant) den Beschränkungen der biologischen Veranlagungen und werden von kognitiven Prozessen beeinflusst. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Speichelfluss als Reaktion auf einen Ton, der mit Futter gekoppelt ist, ist eine ___ Verhaltensweise; das Drücken eines Hebels, um Nahrung zu erhalten, ist eine ___ Verhaltensweise.
8.2.4
Rückblick: Operante Konditionierung
Verständnisfragen
8.7 – Was ist operante Konditionierung? 8.8 – Wer war Skinner, und wie wird operantes Verhalten
verstärkt und geformt? 8.9 – Wie unterscheiden sich positive und negative Verstärkung und was sind die grundlegenden Arten von Verstärkern? 8.10 – Wie beeinflussen die unterschiedlichen Verstärkungspläne das Verhalten?
339
8.2 • Operante Konditionierung
..Tab. 8.4 Klassische und operante Konditionierung im Vergleich Klassische Konditionierung
Operante Konditionierung
Grundlegende Idee
Das Lernen von Assoziationen zwischen Ereignissen, die wir nicht kontrollieren
Das Lernen von Assoziationen zwischen unserem Verhalten und dessen Konsequenzen
Reaktion
Unwillkürlich, automatisch
Willentlich, beeinflusst die Umgebung
Erwerb
Ereignisse werden assoziiert; ein NS, der mit einem US gekoppelt wird, wird zum CS
Eine Reaktion wird mit einer Konsequenz gekoppelt (Verstärker oder bestrafender Reiz)
Löschung
CR nimmt ab, wenn CS wiederholt alleine dargeboten wird
Die Reaktion nimmt ab, wenn die Verstärkung aufhört
Spontanerholung
Erneutes Auftreten einer gelöschten CR nach einer Pause
Erneutes Auftreten einer gelöschten Reaktion nach einer Pause
Generalisierung
Tendenz, auf Reize zu reagieren, die dem CS ähnlich sind
Die in einer Situation erlernten Reaktionen treten in anderen, ähnlichen Situationen auf
Reizdiskrimination
Lernen, den CS von anderen Reizen zu unterscheiden, die keinen US ankündigen
Lernen, dass bestimmte Verhaltensweisen verstärkt werden, aber andere nicht
8.11 – Wie unterscheiden sich Bestrafung und negative
Verstärkung und wie wirkt sich Bestrafung auf das Verhalten aus? 8.12 – Warum werden Skinners Auffassungen zum Verhalten des Menschen kontrovers diskutiert und wie könnte man seine Prinzipien der operanten Konditionierung in der Schule, im Sport, bei der Arbeit, in der Erziehung und in der persönlichen Weiterentwicklung anwenden? 8.13 – Wie unterscheiden sich klassische und operante Konditionierung?
---------
Schlüsselbegriffe Bestrafung Effektgesetz Fester Intervallplan Fester Quotenplan Konditionierte Verstärker Kontinuierliche Verstärkung Negative Verstärkung Operante Konditionierung Partieller (intermittierender) Verstärkungsplan Positive Verstärkung Primäre Verstärker Shaping (Verhaltensformung) Skinner-Box Variabler Intervallplan Variabler Quotenplan Verstärkung Verstärkungsplan
Master the Material 1. Thorndikes Effektgesetz war die Grundlage für ___s Arbeit über operante Konditionierung und Verhaltenskontrolle.
2. Eine Art, Verhalten zu ändern, besteht darin, natürliches Verhalten in kleinen Schritten zu belohnen, sodass sich der Organismus einem gewünschten Verhalten nach und nach annähert. Dieser Vorgang heißt ___. 3. Ihr Hund bellt ohrenbetäubend laut. Sie klatschen in die Hände, der Hund hört auf zu bellen, der ohrenbetäubende Lärm hört auf, und Sie sagen sich: „Das muss ich also tun, wenn er wieder bellt.“ Die Erfahrung, dass er aufhört zu bellen, war für Sie ein/ eine … a. positiver Verstärker. b. negativer Verstärker. c. positive Bestrafung. d. negative Bestrafung. 4. Wie kann Ihr:e Psychologiedozent:in negative Verstärkung nutzen, um Ihr Aufmerksamkeitsverhalten während des Unterrichts zu erhöhen? 5. Wenn eine gewünschte Reaktion bei ihrem Auftreten nur gelegentlich verstärkt wird, nennt man dies ___ Verstärkung. 6. Ein Restaurant hat ein besonderes Angebot. Bestellt man vier Gerichte zum vollen Preis, erhält man das fünfte Gericht gratis. Dies ist ein Beispiel für eine Verstärkung nach … a. festem Quotenplan. b. variablem Quotenplan. c. festem Intervallplan. d. variablem Intervallplan. 7. Der partielle (intermittierende) Verstärkungsplan, bei dem eine Reaktion in unvorhersehbaren Zeitabständen verstärkt wird, ist ein ___. 8. Ein mittelalterliches Sprichwort besagt „Ein gebranntes Kind scheut das Feuer.“ In der operanten Konditionierung wäre die Erfahrung, sich verbrannt zu haben, ein Beispiel für einen …
8
Kapitel 8 • Lernen
340
Psychologische Einflüsse: vorangegangene Erfahrungen Vorhersagbarkeit von Assoziationen Generalisierung Diskrimination Erwartungen
• • • • •
Biologische Einflüsse: genetische Veranlagungen unkonditionierte Reaktionen Anpassungsreaktionen neuronale Spiegelung
• • • •
Lernen
Soziokulturelle Einflüsse: kulturell gelernte Vorlieben Motivation aufgrund der Anwesenheit anderer Modelllernen
• • • 8
..Abb. 8.24 Biopsychosoziale Einflüsse auf das Lernen. Lernen ist nicht nur ein Resultat von Umwelterfahrungen, sondern auch von kognitiven und biologischen Einflüssen
sah es so aus, als ob jede natürliche Reaktion mit jedem neutralen Reiz gekoppelt werden könnte.
Biologische Grenzen der klassischen Konditionierung 1956 erklärte der Lernforscher Kimble, dass „praktisch jede Aktivität, zu der der menschliche Organismus fähig ist, konditioniert werden kann und … diese Reaktionen können wiederum mit jedem Reiz gekoppelt werden, den der Organismus wahrnehmen kann“ (S. 195). 25 Jahre später gestand Kimble (1981) bescheiden ein, dass rund 500 wissenschaftliche Berichte ihm seinen Irrtum nachgewiesen hätten. Die Fähigkeit eines Tieres zur Konditionierung wird stärker durch seine biologischen Gegebenheiten eingeschränkt, als dies den frühen Behavioristen bewusst war. Zum Beispiel bereiten die Prädispositionen jeder Art diese darauf vor, die Assoziationen zu lernen, die ihr das Überleben erleichtern. Dieses Phänomen heißt Preparedness (vorbereitetes Lernen). Die Umwelt ist also nur eine Seite der Medaille, die Biologie ist die andere. Preparedness (vorbereitetes Lernen) – eine biologische
a. b. c. d. 8.3
primären Verstärker. negativen Verstärker. bestrafenden Reiz. positiven Verstärker.
Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
Durch sabbernde Hunde, rennende Ratten und pickende Tauben haben wir viel über grundlegende Lernprozesse gelernt. Doch die Konditionierungsprinzipien allein reichen nicht aus. Die heutige Lerntheorie sieht Lernen als ein Produkt aus der Interaktion biologischer, psychologischer und soziokultureller Einflüsse (. Abb. 8.24). 8.3.1
Biologische Beschränkungen der Konditionierung
?? 8.14 Wie beeinflussen biologische Beschränkungen
das Lernen durch klassische und operante Konditionierung?
Bereits seit Charles Darwin gingen Wissenschaftler:innen davon aus, dass alle Tiere eine gemeinsame Entwicklungsgeschichte haben, aus der sich Gemeinsamkeiten in Bezug auf Struktur und Funktionsfähigkeit ergeben. Pawlow und Watson glaubten z. B., dass die grundlegenden Gesetze des Lernens bei allen Lebewesen im Wesentlichen ähnlich waren. Es wäre also relativ gleichgültig, ob man Tauben oder Menschen untersuchte. Außerdem
Prädisposition, überlebenswichtige Assoziationen zu lernen, wie zum Beispiel zwischen Geschmack und Übelkeit. John Garcia gehörte zu denen, die die vorherrschende Meinung, dass alle Assoziationen gleich gut gelernt werden können, fundamental in Frage stellten (. Abb. 8.25). Als Garcia und Koelling (1966) die Auswirkungen von radioaktiver Strahlung bei Versuchstieren untersuchten, stellten sie fest, dass Ratten auf einmal anfingen, das Wasser aus den Plastikflaschen in den Strahlenkammern nicht mehr zu trinken. Sie fragten sich, ob das an der klassischen Konditionierung liegen könnte. Hatten die Ratten das nach Plastik schmeckende Wasser (CS) mit der Krankheit gekoppelt (UR), die durch die Strahlung (US) ausgelöst wurde? Um ihren Verdacht zu überprüfen, boten sie den Ratten einen bestimmten Geschmack, ein Bild oder ein Geräusch als CS und verabreichten ihnen später auch radioaktive Strahlen oder Medikamente (US), die zu Übelkeit und Erbrechen (UR) führten. Dabei kamen zwei erstaunliche Ergebnisse heraus: Erstens mieden die Ratten, auch wenn sie erst mehrere Stunden, nachdem sie einen bestimmten neuen Geschmack probiert hatten, krank wurden, danach diese Geschmacksrichtung. Dadurch wurde die Annahme widerlegt, dass Konditionierung nur dann eintritt, wenn der US unmittelbar auf den CS folgt. Zweitens entwickelten die erkrankten Ratten eine Abneigung gegen bestimmte Geschmacksrichtungen, nicht aber gegen Bilder oder Geräusche. Dies widersprach der Annahme der Verhaltensforschenden, dass jeder wahrnehmbare Reiz als CS dienen könne. Ein solches Verhalten dient jedoch der Anpassung an die Umgebung; denn Ratten erkennen verdorbenes Futter am leichtesten, wenn sie es probieren. Wenn sie erkrankten, nachdem sie
8.3 • Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
341
..Abb. 8.26 Geschmacksaversion. Wenn Sie nach dem Konsum von Austern schwer krank würden, würden Sie wahrscheinlich danach nur ungern wieder Muscheln essen. Ihr Geruch und Geschmack wäre ein CS für Übelkeit geworden. Dieses Lernen erfolgt problemlos, weil unsere Biologie uns darauf vorbereitet, Geschmacksaversionen gegen giftiges Essen zu lernen. (© Karo Kraemer/dpa Themendienst/picture alliance)
..Abb. 8.25 John Garcia. Als aushelfender Sohn kalifornischer Landarbeiter besuchte Garcia in seiner frühen Kindheit nur während der Nebensaison die Schule. Nachdem er in seinen späten Zwanzigern auf ein Junior College gegangen war und in seinen späten Vierzigern promoviert hatte, erhielt er den Distinguished Scientific Contribution Award der American Psychological Association „für seine überaus originelle, bahnbrechende Forschung im Bereich Konditionierung und Lernen“. Er wurde zudem in die National Academy of Sciences gewählt
neues Futter probiert hatten, mieden sie danach dieses Futter. Diese Reaktion, die sich Geschmacksaversion nennt, macht es schwierig, eine Population von Ratten zu vergiften, die einem Köder aus dem Weg geht. Auch Menschen scheinen biologisch darauf vorbereitet zu sein, manche Dinge leichter als andere zu lernen. Wenn Sie verdorbene Austern vorgesetzt bekommen und vier Stunden später schwer erkranken, werden Sie wahrscheinlich eine Abneigung gegen den Geschmack von Muscheln entwickeln, nicht aber gegen den Anblick des Restaurants, den Teller, die anderen Gäste oder die Musik, die Sie dort hörten (. Abb. 8.26). Im Gegensatz dazu scheinen Vögel, die beim Jagen auf das Sehen angewiesen sind, über die biologische Veranlagung zu verfügen, Aversionen gegen den Anblick von unbekömmlichem Futter zu entwickeln (Nicolaus et al., 1983). Garcias Forschungsergebnissen zur Abneigung gegen bestimmte Geschmacksrichtungen wurde mit einem Ansturm von Kritik begegnet. Der deutsche Philosoph Arthur Schopenhauer (1788–1860) sagte einmal, dass bedeutende Ideen zuerst lächerlich gemacht, dann angegriffen und schließlich als selbstverständlich angesehen werden. Zuerst weigerten sich die führenden
Zeitschriften, Garcias Arbeit zu veröffentlichen. Die Ergebnisse seien nicht möglich, sagten einige kritische Stimmen. Aber wie dies oft in der Forschung geschieht, sind Garcias und Koellings Untersuchungen zur Geschmacksaversion heute grundlegendes Lehrbuchmaterial. Die folgende Untersuchung ist nur ein Beispiel für eine psychologische Studie, die mit Unannehmlichkeiten für einige Versuchstiere begann und zum Wohlergehen von vielen Tieren beitrug. In einer Untersuchung zur konditionierten Geschmacksaversion wurden Kojoten und Wölfe dazu gebracht, Schafskadaver zu fressen, die mit einem Übelkeit hervorrufenden Toxin versetzt worden waren. Daraufhin entwickelten sie eine Abneigung gegen Schaffleisch. Zwei Wölfe, die später mit einem lebenden Schaf eingesperrt wurden, schienen dies dann tatsächlich zu fürchten (Gustavson et al., 1974, 1976). In diesem Fall rettete die Studie das Schaf vor den Raubtieren. Diese wurden wiederum vor wütenden Landwirt:innen bewahrt, die nicht mehr so hartnäckig für deren Tötung eintraten, da ihr Vieh nun weniger gefährdet war (. Abb. 8.27). In ähnlichen Experimenten konnten Paviane erfolgreich davon abgehalten werden, in afrikanische Gärten einzudringen, Waschbären davon, Hühner anzugreifen und Raben und Krähen, Kranicheier zu fressen; gleichzeitig wurden Tierarten erhalten, die eine wichtige ökologische Nische einnehmen (Dingfelder, 2010; Garcia & Gustavson, 1997).
» „Auf ihrer Reise durch die Zeit steuern alle Tiere eine
Zukunft an, die ihr Überleben begünstigt, und weg von einer Zukunft, die dieses bedroht. Lust und Schmerz sind ihre wegweisenden Sterne.“ Die Psychologen Daniel T.
8
342
Kapitel 8 • Lernen
..Abb. 8.27 Geschmacksaversion bei Tieren. Als Alternative zur Tötung von Wölfen und Kojoten, die Schafe fraßen, brachten einige Landwirt:innen die Tiere dazu, Lamm zu fressen, welches mit einem Mittel versetzt war, das bei ihnen Übelkeit hervorrief. (© G. Kopp/blickwinkel/picture alliance)
8
Gilbert und Timothy D. Wilson, Prospection: Experiencing the Future (2007)
All diese Fälle stützen Darwins These, dass die natürliche Selektion Eigenschaften begünstigt, die dem Überleben dienen. Wer rasch eine Abneigung gegen eine Geschmacksrichtung erlernt, wird wahrscheinlich dasselbe giftige Essen nicht ein zweites Mal zu sich nehmen und daher eher überleben und Nachkommen hinterlassen. Tatsächlich dienen alle unangenehmen Gefühle, angefangen von der Übelkeit bis hin zu Angst und Schmerz, einem guten Zweck. Wie der Ölstandsmesser am Armaturenbrett des Autos weisen sie den Körper auf eine Gefahr hin (Neese, 1991). Unsere Preparedness, einen CS mit einem US zu koppeln, der darauf vorhersehbar und unmittelbar folgt, dient der Anpassung: Ursachen gehen der Wirkung oft unmittelbar voraus. Wie wir aber bei der Abneigung gegen bestimmte Geschmacksrichtungen gesehen haben, können uns unsere Prädispositionen bei der Kopplung einer Wirkung mit einem vorangegangenen Ereignis täuschen. Wenn eine Chemotherapie mehr als eine
..Abb. 8.28 Übelkeitskonditionierung bei Krebspatienten
Stunde nach der Behandlung Übelkeit und Erbrechen hervorruft, können Krebspatient:innen mit der Zeit eine klassisch konditionierte Übelkeit (und manchmal auch Ängstlichkeit) entwickeln, die auftritt, sobald sie etwas sehen, hören oder riechen, was mit der Klinik assoziiert wird (. Abb. 8.28; Hall, 1997). Allein schon die Rückkehr ins Wartezimmer der Klinik oder der Anblick der Krankenschwester kann diese Gefühle auslösen (Burish & Carey, 1986; Davey, 1992). Unter normalen Umständen ist ein solcher Ekel vor krankmachenden Reizen eine biologische Anpassungsleistung. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie haben die Studien von Garcia und Koelling zur Geschmacksaversion dazu beigetragen, Gregory Kimbles frühe Behauptung zu widerlegen, „dass sich nahezu jede Tätigkeit, zu der ein Organismus fähig ist, konditionieren lässt … auf jeden Reiz, den der Organismus wahrnehmen kann“?
Vor der Konditionierung
Konditionierung
NS (Wartezimmer)
Nach der Konditionierung
UR (Übelkeit)
US (Medikament)
UR (Übelkeit)
US (Medikament)
CS (Wartezimmer)
CR (Übelkeit)
8.3 • Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
343
Biologische Grenzen der operanten Konditionierung Auch die natürlichen Veranlagungen eines Tieres schränken seine Fähigkeit zur operanten Konditionierung ein. Mark Twain (1835–1910) sagte treffenderweise: „Versuche nie, einem Schwein das Singen beizubringen, denn du verschwendest deine Zeit und verärgerst das Schwein.“ Am leichtesten werden Verhaltensweisen gelernt und beibehalten, die biologische Veranlagungen reflektieren. Wenn man das Verhalten eines Hamsters durch Futter verstärkt, kann man ihn leicht darauf konditionieren, zu graben oder sich aufzubäumen, weil dies zu den natürlichen Verhaltensweisen dieses Tieres gehört, wenn es Futter sucht. Aber es ist schwierig, Futter als Verhaltensverstärker einzusetzen, wenn man einen Hamster zu einem anderen Verhalten veranlassen will, das normalerweise nichts mit Futter oder Hunger zu tun hat – wie etwa, sich das Gesicht zu putzen (Shettleworth, 1973). Das gilt auch für Tauben: Sie lernen leicht, mit den Flügeln zu schlagen, um einen Elektroschock zu vermeiden, oder zu picken, um Futter zu erhalten; denn es ist bei ihnen ein natürliches Verhalten, die Flügel zur Flucht zu benutzen bzw. den Schnabel zum Fressen. Schwierig wird es allerdings für Tauben, wenn sie picken sollen, um einen Schock zu vermeiden, oder mit den Flügeln schlagen sollen, um Futter zu erhalten (Foree & LoLordo, 1973). Die Ursache: Aufgrund ihrer biologischen Veranlagungen fällt es Organismen leichter, Kopplungen zu lernen, die ihrem natürlichen Verhalten nahekommen. In den frühen Jahren ihrer Arbeit hatten die Tiertrainer Marian und Keller Breland angenommen, dass operante Prinzipien bei fast allen Reaktionen, zu denen ein Tier fähig ist, funktionieren würden. Aber schließlich kamen sie zu dem Schluss, dass biologische Beschränkungen mehr Gewicht hatten, als sie angenommen hatten (. Abb. 8.29). Einmal trainierten sie Schweine, große „Dollars“ aus Holz aufzuschnappen und sie zu einer „Schweinebank“ zu bringen. Doch nachdem die Tiere dieses Verhalten gelernt hatten, kehrten sie allmählich wieder zu ihrem natürlichen Verhalten zurück. Sie ließen die Münze fallen, stießen sie mit der Schnauze an, wie dies Schweine normalerweise tun, schnappten sie wieder und wiederholten dann diese Sequenz – und verzögerten dadurch die Verabreichung ihres Futterverstärkers. Wie diese instinktive Tendenz („instinctive drift“) zeigt, kam es zu „Fehlverhalten“, wenn die Tiere zu ihren angeborenen Mustern zurückkehrten. 8.3.2
Der Einfluss von Kognitionen auf die Konditionierung
?? 8.15 Welche Bedeutung haben kognitive Prozesse bei
der klassischen und operanten Konditionierung?
..Abb. 8.29 Natürliche Athleten. Tiere können am leichtesten Verhaltensweisen lernen und behalten, die ihren biologischen Veranlagungen entsprechen, wie etwa die den Pferden angeborene Fähigkeit, sich schnell und geschickt um Hindernisse herum zu bewegen. (© Brian Branch Price/ZUMAPRESS.com/picture alliance)
Kognition und klassische Konditionierung Pawlows und Watsons Ablehnung „mentalistischer“ Konzepte wie des Konzepts des Bewusstseins führte nach und nach zu der Erkenntnis, dass sie die Bedeutung kognitiver Prozesse (Gedanken, Wahrnehmungen, Erwartungen) und biologischer Beschränkungen für die Lernfähigkeit des Organismus wie Preparedness und instinktive Tendenz unterschätzten. Frühe Vertreter:innen des Behaviorismus glaubten, dass erlernte Verhaltensweisen verschiedener Organismen auf geistlose mechanische Prozesse reduziert werden können. Deshalb ließen viele Psycholog:innen die Vorstellung, dass man bei Ratten und Hunden Kognitionen unterstellen könne, als unnötig fallen. Heute ist das anders. Rescorla und Wagner (1972) vertraten die These, dass ein Tier dann, wenn zwei bedeutsame Ereignisse kurz hintereinander auftreten, die Vorhersagbarkeit des zweiten Ereignisses lernt. Wenn einem Elektroschock immer ein Ton vorausgeht und ab und zu zum Ton noch ein Licht hinzukommt, wird die Ratte zwar ängstlich auf den Ton, aber nicht auf das Licht reagieren. Obwohl dem Licht immer der Schock folgt, kommt keine neue Information hinzu; durch den Ton kann man den drohenden Schock besser vorhersagen. Je vorhersehbarer die Kopplung ist, desto stärker ist die konditionierte Reaktion. Es ist, als würde das Tier lernen, einzuschätzen, wie wahrscheinlich das Auftreten des US ist.
» „Im Grunde ist jedes Gehirn ein Gerät zur Antizipation.“ Daniel C. Dennett, Philosophie des menschlichen Bewusstseins (1994)
8
344
Kapitel 8 • Lernen
..Abb. 8.30 (© Claudia Styrsky)
8 >>Mehr Informationen zum Verhalten von Tieren finden
Sie in den Büchern von – und das ist nicht erfunden – Robin Fox und Lionel Tiger.
Auch wenn Assoziationen nicht bewusst wahrgenommen werden, können sie zu bestimmten Einstellungen führen (Hofmann et al., 2010). Wenn britischen Kindern neue Zeichentrickfiguren einmal zusammen mit Eiscreme (lecker!) und einmal zusammen mit Rosenkohl (igitt!) gezeigt wurden, mochten sie die Figuren am liebsten, die mit Eiscreme assoziiert wurden (Field, 2006). Olsen und Fazio (2001) entdeckten dies, als sie die Einstellungen von Erwachsenen gegenüber relativ unbekannten PokemonFiguren klassisch konditionierten. Die Teilnehmenden hatten die Aufgabe, einen Videobildschirm mit einer Abfolge von Wörtern, Bildern und Pokemon-Figuren zu überwachen und auf eine bestimmte Pokemon-Figur mit einem Knopfdruck zu reagieren. Die Teilnehmenden wussten nicht, dass eine der beiden Figuren auf dem Bildschirm bewusst mit verschiedenen positiven Wörtern und Bildern gekoppelt war (wie etwa mit „stark!“ oder mit Schokoladeneis) und die andere mit negativen Wörtern und Bildern (wie etwa mit „scheußlich“ oder mit Kakerlake). Als man die Teilnehmenden danach bat, alle Pokemon-Figuren zu bewerten, zogen sie diejenigen vor, die mit positiven Reizen gekoppelt waren. Ohne sich bewusst an die Kopplungen zu erinnern, hatten die Teilnehmenden intuitiv positive oder negative Einstellungen entwickelt. Weitere Studien deuten darauf hin, dass konditionierte Vorlieben und Abneigungen sogar noch stärker ausgeprägt sind, wenn Personen sich der gelernten Assoziationen bewusst werden (Shanks, 2010). Kognitionen spielen also eine Rolle. Dieses Prinzip erklärt, warum Behandlungen, die auf der klassischen Konditionierung beruhen und die dabei auftretenden Kognitionen nicht zur Kenntnis nehmen,
oft nur begrenzt erfolgreich sind. Beispielsweise erhalten Personen mit Alkoholsucht manchmal in der Therapie Alkohol, der mit einem Übelkeit auslösenden Mittel vermischt ist. Werden sie deshalb Alkohol mit Übelkeit verbinden? Wäre die klassische Konditionierung nur eine Vorgehensweise, den Menschen Reizassoziationen „aufzudrücken“, könnten wir auf eine solche Reaktion hoffen, und – in gewisser Weise – tritt dies auch so ein. Allerdings sind sich diejenigen, die dieses Getränk bekommen, der Tatsache bewusst, dass ihre Übelkeit auf das beigefügte Mittel zurückgeht und nicht auf den Alkohol. Diese Wahrnehmung schwächt oft die Kopplung zwischen dem Alkohol und dem Gefühl, krank zu sein und reduziert dadurch die Wirksamkeit der Behandlung. Selbst bei der klassischen Konditionierung ist vor allem bezogen auf den Menschen nicht nur die einfache CS-US-Kopplung wichtig, sondern auch das Denken.
Kognition und operante Konditionierung Skinner wusste sehr wohl, dass es innere Denkprozesse und biologische Grundlagen für das Verhalten gibt. Dennoch kritisierten ihn viele Psycholog:innen, weil er die Bedeutung der Kognition zu wenig beachtete. Nur acht Tage, bevor er an Leukämie starb, hielt Skinner (1990) einen Vortrag auf einer Konferenz des amerikanischen Psychologenverbandes APA und kritisierte zum letzten Mal die „kognitive Wissenschaft“, die für ihn ein Rückfall in die Introspektionsmanie zu Beginn des 20. Jahrhunderts war. Bis zu seinem Tod widersetzte sich Skinner der sich immer stärker ausbreitenden Auffassung, dass kognitive Prozesse – Gedanken, Wahrnehmungen, Erwartungen – einen wichtigen Platz in der psychologischen Forschung haben und sogar für das Verständnis des Konditionierens von großer Bedeutung sind. (Er betrachtete Gedanken und Gefühle als Verhaltensweisen, die den gleichen Gesetzen folgen, wie jedes andere Verhalten auch.)
8.3 • Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
Doch vieles weist darauf hin, dass kognitive Prozesse beim operanten Konditionieren eine Rolle spielen könnten. Beispielsweise zeigen Tiere mit einem festen Intervallplan für Verstärker zunehmend häufigere Reaktionen, wenn sich die Zeit nähert, in der eine Reaktion zu einer Verstärkung führt. Die Tiere verhalten sich, als ob sie erwarteten, dass das Wiederholen der Reaktion bald zu einer Belohnung führen würde. (Ein strikter Behaviorist hält es dagegen für unnötig, von „Erwartungen“ zu sprechen; ihm genügt es, dass Reaktionen, wenn sie unter bestimmten Bedingungen verstärkt wurden, wieder auftreten, wenn diese Bedingungen erneut vorliegen.) Die Beobachtung von Ratten im Labyrinth lieferte den Beleg für kognitive Prozesse. Ratten, die ohne offensichtliche Belohnung ein Labyrinth erkunden, verhalten sich wie Menschen, die eine Tour durch eine fremde Stadt machen. Die Ratten scheinen eine kognitive Landkarte zu entwickeln, eine mentale Darstellung des Labyrinths (. Abb. 8.30). Wenn eine Versuchsleitung dann eine Belohnung in den Ausgang des Labyrinths legt, verhalten sich diese Ratten sehr schnell ebenso wie die Ratten, die für den Gang durch das Labyrinth mit Futter belohnt wurden. Wie Menschen, die eine Tour durch eine fremde Stadt machen, scheinen die Ratten bei ihren Erkundungsgängen latentes Lernen zu praktizieren: eine Form des Lernens, die nur dann sichtbar wird, wenn es einen Anreiz dafür gibt. Auch Kinder können lernen, wenn sie einen Elternteil beobachten, aber das Lernen kann sich erst viel später zeigen, wenn es benötigt wird (. Abb. 8.31). Daraus folgt: Zum Lernen gehört mehr, als eine Reaktion mit einer Konsequenz (Belohnung oder Bestrafung) zu verbinden. Auch Kognitionen spielen eine Rolle. In 7 Kap. 10 werden Sie weitere überzeugende Beispiele für die kognitiven Fähigkeiten finden, die Tiere beim Problemlösen und beim Einsatz sprachlicher Aspekte einsetzen. Instinktive Tendenz („instinctive drift“) – die Tendenz,
von erlerntem Verhalten allmählich zu biologisch veranlagten prädisponierten Mustern zurückzukehren. Kognitive Landkarte („cognitive map“) – mentale Darstellung der eigenen Umgebung. Beispielsweise verhalten sich Ratten, nachdem sie ein Labyrinth erkundet haben, als hätten sie eine kognitive Landkarte dieses Labyrinths entwickelt. Latentes Lernen („latent learning“) – Form des Lernens, die erst sichtbar wird, wenn ein Anreiz besteht, das Gelernte zu zeigen. Die kognitive Sichtweise hat auch zu einer wichtigen Einschränkung geführt, was den Einfluss von Belohnungen angeht: Kindern eine Belohnung für eine Aufgabe zu versprechen, die ihnen bereits Spaß macht, kann negative Folgen haben. Aufgrund der übermäßigen Rechtfertigung eines Verhaltens durch exzessive Belohnungen kann die intrinsische Motivation untergraben werden, d. h. der Wunsch, etwas effektiv und um seiner selbst willen zu
345
..Abb. 8.31 Latentes Lernen. Tiere können ebenso wie Menschen aus Erfahrung und ohne Verstärkung lernen. In einem klassischen Experiment erforschten Ratten aus einer Gruppe mehrmals ein Labyrinth, ehe sie eine Belohnung in Form von Futter am Ende des Labyrinths fanden. Die Ratten einer anderen Gruppe erforschten das Labyrinth, ohne eine Belohnung zu erhalten. Doch nachdem sie ein Mal eine Belohnung in Form von Futter erhalten hatten, rannten die Ratten der zweiten Gruppe genauso schnell wie (und sogar noch schneller als) die Ratten, die immer belohnt worden waren (Tolman & Honzik, 1930; © Tetra/Bildagentur-online/picture alliance)
tun. In Versuchen zeigte sich, dass Kinder, denen Geld versprochen wurde, wenn sie mit einem interessanten Puzzle oder Spielzeug spielten, später seltener mit diesem Spielzeug spielten als Kinder, die nicht fürs Spielen bezahlt wurden (Deci et al., 1999; Tang & Hall, 1995). Auch zeigte sich, dass Kinder, die für Lesen mit Spielzeug oder Süßigkeiten belohnt wurden, anschließend weniger Zeit mit Lesen verbrachten (Marinak & Gambrell, 2008). Es scheint, als würden die Kinder denken: „Wenn ich belohnt werden muss, damit ich das tue, dann ist es wohl nichts wert, wenn ich es einfach so mache.“ Intrinsische Motivation („intrinsic motivation“) – Wunsch,
ein Verhalten um seiner selbst willen zu zeigen. Wenn Sie wissen wollen, worin der Unterschied zwischen intrinsischer und extrinsischer Motivation (der Wunsch, sich in bestimmter Weise zu verhalten, um äußere Belohnungen zu erhalten oder um eine drohende Bestrafung zu vermeiden) besteht, sollten Sie über Ihre eigenen Erfahrungen im Alltag nachdenken. Fühlen Sie sich unter Druck, dieses Kapitel bis zu einem bestimmten Termin fertig zu lesen? Machen Sie sich Sorgen über die Note in einer Prüfung? Sind Ihnen Belohnungen, die von Ihrem Erfolg abhängen, besonders wichtig? Wenn ja, dann sind
8
346
Kapitel 8 • Lernen
..Tab. 8.5 Biologische und kognitive Einflüsse auf die Konditionierung
8
Klassische Konditionierung
Operante Konditionierung
Kognitive Prozesse
Organismen entwickeln die Erwartung, dass der CS ein Signal für das baldige Auftreten eines US ist
Organismen entwickeln die Erwartung, dass eine Reaktion verstärkt oder bestraft wird; sie zeigen auch latentes Lernen ohne Verstärkung
Biologische Prädispositionen
Biologische Prädispositionen sind eine Einschränkung dafür, welche Reize und Reaktionen leicht miteinander assoziiert werden können
Organismen lernen am besten Verhaltensweisen, die ihren natürlichen Verhaltensweisen ähneln; unnatürliche Verhaltensweisen lassen sie instinktiv auf natürliche Verhaltensweisen zurückfallen
Sie extrinsisch motiviert (wie es fast alle Studierenden in gewisser Weise sein müssen). Finden Sie das Lernmaterial auch interessant? Gibt es Ihnen ein Gefühl größerer Kompetenz, wenn Sie es lernen? Wären Sie wissbegierig genug, diesen Stoff um seiner selbst willen zu lernen, auch wenn Sie dafür keine Note bekommen würden? Wenn das der Fall ist, dann sind Sie auch intrinsisch für Ihre Anstrengungen motiviert. Extrinsische Motivation („extrinsic motivation“) – Wunsch,
ein Verhalten wegen versprochener Belohnungen oder drohender Bestrafung zu zeigen. Wenn Jugendtrainer:innen im Sport dauerhaftes Interesse und Engagement fördern und nicht nur Spieler:innen zum Sieg zwingen wollen, sollten sie sich vor allem auf die intrinsische Freude am Spiel und die Förderung des Potenzials der einzelnen Spieler:innen konzentrieren, stellen die Motivationsforscher Deci und Ryan fest (1985, 2009). Dies kann auch zu größeren Belohnungen führen. Studierende, die sich auf das Lernen konzentrieren (intrinsische Belohnung), bekommen oft gute Noten und machen ihren Abschluss (extrinsische Belohnung). Ärzt:innen, die sich auf das Heilen konzentrieren (intrinsische Belohnung), können ein gutes Leben führen (extrinsisch). Tatsächlich legen Untersuchungen nahe, dass Menschen, die sich auf den Sinn und die Bedeutung ihrer Arbeit konzentrieren, nicht nur bessere Arbeit leisten, sondern letztendlich auch mehr extrinsische Belohnungen verdienen (Wrzesniewski et al., 2014). Dennoch können extrinsische Belohnungen, die als Anerkennung für eine gut gemachte Arbeit (und nicht als Bestechung oder Kontrolle) eingesetzt werden, effektiv sein (Boggiano et al., 1985). Wenn eine Belohnung Ihr Kompetenzgefühl nach einer erfolgreich erledigten Aufgabe steigert, kann Ihre Freude an dieser Aufgabe zunehmen. Richtig eingesetzte Belohnungen können Ausdauer und Kreativität fördern (Eisenberger & Aselage, 2009; Henderlong & Lepper, 2002). Und Belohnungen wie Stipendien und gute berufliche Positionen, die oft eine Folge akademischer Leistungen sind, werden nicht verschwinden. . Tab. 8.5 vergleicht zusammenfassend die biologischen und kognitiven Einflüsse auf die klassische und operante Konditionierung.
8.3.3 Beobachtungslernen ?? 8.16 Was ist der Unterschied zwischen Beobachtungs-
lernen und assoziativem Lernen? Wie kann Beobachtungslernen durch neuronale Spiegelung ermöglicht werden?
Kognitionen unterstützen Beobachtungslernen, bei dem höhere Lebewesen, insbesondere Menschen, ohne direkte Erfahrung lernen, sondern durch das Beobachten und Imitieren anderer. Ein Kind, das sieht, wie sich die große Schwester die Finger am Ofen verbrennt, hat auf diese Weise gelernt, dass es ihn besser nicht berühren sollte. Wir lernen unsere Muttersprache und viele andere Verhaltensweisen dadurch, dass wir andere beobachten und nachahmen, ein Prozess, der Modelllernen genannt wird. Beobachtungslernen („observational learning“) – durch die Beobachtung anderer Menschen lernen. Modelllernen („modeling“) – Prozess des Beobachtens und Nachahmens eines bestimmten Verhaltens.
Stellen Sie sich die folgende Szene aus einem berühmten Versuch von Albert Bandura vor, dem Pionier auf dem Gebiet der Erforschung des Beobachtungslernens (Bandura et al., 1961): Ein Vorschulkind ist gerade dabei, ein Bild zu malen. Eine erwachsene Person beschäftigt sich in einem anderen Teil des Zimmers. Dann steht die Person auf und schlägt, tritt und wirft eine „Bobo-Puppe“ – eine große Puppe, die mit Luft gefüllt und an den Füßen mit einem Gewicht beschwert ist – durch den Raum, während sie Sätze wie etwa „Schlag ihm auf die Nase. … Schlag ihn zusammen. … Tritt ihn!“ herausbrüllt (. Abb. 8.32). Nachdem das Kind diesen Ausbruch beobachtet hat, wird es in einen anderen Raum gebracht, wo es viel schönes Spielzeug gibt. Bald unterbricht die Versuchsleitung das Spiel des Kindes und erklärt, dass sie beschlossen habe, dieses schöne Spielzeug „für die anderen Kinder“ aufzuheben. Dann nimmt sie das frustrierte Kind in einen Nebenraum mit, wo es nur wenig Spielzeug, wohl aber eine aufblasbare Bobo-Puppe gibt. Was wird das Kind tun, wenn es allein ist?
8.3 • Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
..Abb. 8.32 Albert Bandura. „Die Bobo-Puppe folgt mir, wohin ich auch gehe. Die Fotos wurden in jedem Einführungstext für Psychologie veröffentlicht und praktisch jeder Erstsemester belegt einen Kurs zur Einführung in die Psychologie. Ich checkte neulich in einem Washingtoner Hotel ein. Der Angestellte an der Rezeption fragte: ‚Sind Sie nicht der Psychologe, der das Experiment mit der Bobo-Puppe gemacht hat?‘ Ich antwortete: ‚Vermutlich wird dies das Vermächtnis sein, das ich hinterlasse.‘ Er erwiderte: ‚Es muss unbedingt aktualisiert werden. Ich gebe Ihnen eine Suite in einem ruhigen Teil des Hotels.‘“ (Bandura, 2005). Eine Analyse von Zitaten, Auszeichnungen und Klappentexten von Lehrbüchern ermittelte Bandura – hier bei der Verleihung der National Medal of Science, einer der höchsten Ehrungen für Forschende in den USA, durch US-Präsident Obama im Jahr 2016 – als den bedeutendsten Psychologen der Welt (Diener et al., 2014; © Michael Reynolds/dpa/picture alliance)
Im Vergleich zu Kindern, die nicht mit dem Erwachsenenmodell konfrontiert worden waren, tendierten diejenigen, die den aggressiven Ausbruch des erwachsenen Vorbilds beobachtet hatten, viel eher dazu, auf die Puppe einzuschlagen. Offensichtlich verringerte das erwachsene Vorbild, das die Puppe schlug, ihre Hemmschwelle. Aber
347
es ging nicht nur um die Hemmschwelle, denn die Kinder verhielten sich genau so, wie sie es beobachtet hatten, und benutzten auch genau die Worte, die sie gehört hatten (. Abb. 8.33). Wodurch wird festgelegt, ob wir ein Modell nachahmen? Bandura glaubte, dass Verstärkung und Bestrafung ein Teil der Antwort sind, wobei beides sowohl das Modell als auch Nachahmende betrifft. Wenn wir zuschauen, lernen wir. Indem wir beobachten, lernen wir, vorwegzunehmen, welche Folgen das Verhalten in einer Situation hat, die der Situation gleicht, die wir gerade beobachten. Wir neigen in starkem Maße dazu, Menschen nachzuahmen, von denen wir meinen, dass sie uns selbst ähnlich sind, und die wir für erfolgreich oder bewunderungswürdig halten. fMRT-Schichtaufnahmen haben bei Menschen, die andere dabei beobachten, wie sie eine Belohnung erhalten (und besonders, wenn diese Person als sympathisch oder ähnlich wahrgenommen wird), gezeigt, dass das eigene Belohnungssystem im Gehirn aktiviert wird, so als hätten sie selbst die Belohnung bekommen (Mobbs et al., 2009). Wenn wir uns mit jemandem identifizieren, empfinden wir dessen Erfolge nach. Selbst unsere erlernten Ängste können erlöschen, wenn wir beobachten, wie ein anderer die gefürchtete Situation sicher meistert (Golkar et al., 2013). Lord Chesterfield (1694–1773) hatte die folgende Idee: „In Wahrheit sind wir mehr als die Hälfte dessen, was wir sind, durch Nachahmung.“ Banduras Arbeit ist ein Beispiel dafür, wie Grundlagenforschung, die „um ihrer selbst willen“ betrieben wird, ein übergeordnetes Ziel haben kann. „Die Experimente mit der Bobo-Puppe“, befand er (2016), „lieferten 25 Jahre später die Grundlagen für unvorhergesehene allgemeine Einsatzbereiche.“ Erkenntnisse aus seiner Forschung wurden nicht nur genutzt, um Gewalt im Fernsehen einzudämmen, sondern sie trugen auch über neue Gesellschaftsmodelle dazu bei,
..Abb. 8.33 Das berühmte Experiment mit der Bobo-Puppe. Beachten Sie, wie die Kinder die Verhaltensweisen des Erwachsenen detailgetreu nachahmen. (Mit freundlicher Genehmigung von Mary Margaret Bandura)
8
348
Kapitel 8 • Lernen
..Abb. 8.34 Spiegelneurone bei der Arbeit? „Dein Rücken bringt mich um!“ (© David Sipress/Search ID: CX903185, Rights Available from CartoonStock.com)
8
die Zahl ungeplanter Schwangerschaften zu reduzieren, sich vor Aids zu schützen und umwelterhaltende Maßnahmen zu fördern.
Spiegelneurone und Beobachtungslernen im Gehirn An einem heißen Sommertag 1991 in Parma, Italien, wartete ein Laboraffe darauf, dass der Forscher vom Mittagessen zurückkehrte. Der Forscher hatte Kabel neben den motorischen Kortex des Affen, in einer Hirnregion des Frontallappens, implantiert, die es dem Affen ermöglichte, Bewegungen zu planen und auszuführen. Ein Überwachungsgerät machte den Forscher auf Aktivitäten in dieser Hirnregion des Affen aufmerksam. Wenn der Affe beispielsweise eine Erdnuss zu seinem Mund führte, summte das Gerät. Als an diesem Tag einer der Forscher wieder das Labor mit einer Eiswaffel in der Hand betrat, starrte der Affe ihn an. Als der Forscher die Waffel zu seinem Mund führte, um daran zu lecken, summte das Überwachungsgerät des Affen, so als ob der regungslose Affe sich selbst bewegt hätte (Blakeslee, 2006; Iacoboni, 2008, 2009).
a
Das gleiche Summen war schon zuvor gehört worden, wenn der Affe Menschen oder andere Affen dabei beobachtete, wie sie Erdnüsse zu ihrem Mund führten. Die verblüfften Forschenden, angeführt von Giacomo Rizzolatti (2002, 2006), waren, so glaubten sie, über eine bisher unbekannte Art von Neuronen gestolpert. Sie glaubten, dass diese Spiegelneurone eine neuronale Basis für die alltägliche Nachahmung und das Beobachtungslernen liefern. Wenn ein Affe eine Aufgabe, wie etwa Greifen, Halten oder Reißen durchführt, reagieren diese Neuronen. Aber sie reagieren auch, wenn der Affe einen anderen Affen bei der Durchführung dieser Aufgabe beobachtet. Wenn der Affe etwas sieht, spiegeln diese Neuronen, was der andere Affe tut. (Zur Debatte über die Bedeutung der Spiegelneurone, die in der Boulevardpresse manchmal überbewertet wird, s. Gallese et al., 2011; Hickok, 2014. . Abb. 8.34) Spiegelneurone („mirror neurons“) – Stirnlappenneuro-
nen, die – wie manche Forschende glauben – reagieren, wenn wir bestimmte Tätigkeiten ausführen oder wenn jemand anderes bei der Ausführung beobachten. Der im Gehirn ablaufende Vorgang des Spiegelns der Tätigkeit eines anderen Menschen könnte zur Nachahmung und zur Empathie beitragen. Nachahmung ist auch unter anderen Lebewesen weit verbreitet. Schimpansen beobachten und ahmen viele neuartige Möglichkeiten der Nahrungssuche und des Werkzeuggebrauchs nach, die dann von Generation zu Generation innerhalb ihrer lokalen Kultur weitergegeben werden (Hopper et al., 2008; Whiten et al., 2007). In einer Studie, in der 73.790 Buckelwale über 27 Jahre beobachtet wurden, schlug ein einzelner Wal im Jahr 1980 mit der Schwanzflosse auf das Wasser, um Beutefische zusammenzutreiben. In den folgenden Jahren hat sich diese „Schwanzflossen“-Technik unter anderen Walen verbreitet (Allen et al., 2013).
b
..Abb. 8.35 a,b Soziales Lernen bei Tieren. Das Klatschen auf das Wasser, um die Futtermenge zu erhöhen, hat sich bei Buckelwalen durch soziales Lernen verbreitet (Allen et al., 2013). Ähnlich lernen Affen den Mais in der Farbe zu bevorzugen, den die anderen Affen essen. (a: © CJ GUNTHER/EPA/picture alliance; b: © Erica van de Waal)
349
8.3 • Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
a
b
c
..Abb. 8.36 a–c Nachahmung. Dieses 12 Monate alte Kleinkind sieht eine Erwachsene nach links schauen und folgt direkt ihrem Blick. (Aus Meltzoff et al., 2009. Used with permission of the American Association for the Advancement of Science; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.)
So auch bei Affen. Erica van de Waal und ihre Mitarbeiter:innen (2013) trainierten Gruppen von Grünen Meerkatzen darauf, entweder blauen oder rosa Mais zu bevorzugen, indem sie eine Farbe in eine eklig schmeckende Lösung eintauchten (. Abb. 8.35a,b). Als 4–6 Monate später eine neue Generation von Affen geboren wurde, bevorzugten die Erwachsenen weiterhin dieselbe Farbe, wie sie es gelernt hatten – und die Beobachtungen zeigten, dass dies alle 27 Affenbabys bis auf eines taten. Wanderten außerdem Männchen, die Blau (oder Rosa) bevorzugten, in die andere Gruppe, wechselten sie ihre Vorlieben und begannen, wie die andere Gruppe zu essen. „Monkey see, monkey do“ – Affen machen alles nach. Bei den Menschen ist das Lernen durch Nachahmung von ganz besonderer Bedeutung. Unsere Redensarten, Modetrends, Feste, Speisen, Traditionen, Moralvorstellungen und Marotten verbreiten sich dadurch, dass ein Mensch einen anderen nachahmt. Kinder und sogar Säuglinge sind natürliche Nachahmer:innen (Marshall & Meltzoff, 2014). Im Alter von 8–16 Monaten werden Kleinkinder verschiedene neuartige Gesten nachahmen (Jones, 2007). Im Alter von 12 Monaten (. Abb. 8.36) schauen sie „da hin“, wo ein Erwachsener hinschaut (Meltzoff et al., 2009). Und mit 14 Monaten werden Kinder Szenen nachmachen, die im Fernsehen laufen (Meltzoff, 1988; Meltzoff & Moore, 1989, 1997). Sogar im Alter von 2½ Jahren, wenn die mentalen Fähigkeiten denen eines erwachsenen Schimpansen nahekommen, sind diese jungen Menschen den Schimpansen bei sozialen Aufgaben – wie z. B. im Nachahmen der Problemlösung eines anderen – überlegen (Hermann et al., 2007). „Children see, children do“ – Kinder machen alles nach. Die menschliche Prädisposition, durch Beobachtung Erwachsener zu lernen, ist so stark ausgeprägt, dass Kinder zwischen 2 und 5 Jahren sogar zur Überimitation neigen. Egal, ob sie in einer städtischen Gegend in Australien oder in einem ländlichen Gebiet Afrikas leben, sie ahmen sogar irrelevante Handlungen Erwachsener nach. Bevor sie nach einem Spielzeug in einem Plastikbehälter greifen, streichen sie zuerst mit einer Feder über den Behälter, wenn sie dies zuvor bei Erwachsenen beobachtet hatten (Lyons et al., 2007). Oder sie ahmen Erwachsene
nach, indem sie mit einem Stock über eine Schachtel wedeln und dann den Stock benutzen, um einen Knopf zu betätigen, wodurch sich die Schachtel öffnet. Alles was sie eigentlich hätten tun müssen, um die Schachtel zu öffnen, wäre gewesen, den Knopf zu drücken (Nielsen & Tomaselli, 2010).
» „Dieser Drang zur Demütigung, die von jemandem vor-
gelebt wird, der in der Öffentlichkeit steht, der mächtig ist, schleicht sich in jedermanns Leben ein, denn … er gibt anderen Menschen das Recht, das Gleiche zu tun.“ Meryl Streep, Rede zur Verleihung des Golden Globe Award (2017)
» „Für Kinder sind Vorbilder wichtiger als Kritiker.“ Joseph Joubert, Pensées (1842)
Menschen verfügen – ebenso wie Affen – über Gehirne, die Empathie und Nachahmung ermöglichen. Forschende können für Versuche zwar keine Elektroden in das menschliche Gehirn implantieren, aber sie können fMRT-Schichtaufnahmen nutzen, um die Gehirnaktivität beim Ausführen von Handlungen und beim Beobachten anderer sichtbar zu machen. Ist also die menschliche Fähigkeit, Handlungen anderer nachzuahmen oder deren Erfahrungen zu teilen, auf spezialisierte Spiegelneuronen zurückzuführen? Oder sind dafür verteilte Gehirnnetzwerke zuständig? Diese Frage wird gerade diskutiert (Fox et al., 2016; Gallese et al., 2011; Hickok, 2014; Iacoboni, 2008, 2009; Spaulding, 2013). Unabhängig davon ermöglicht das Gehirn Kindern, Empathie zu empfinden und sich in den mentalen Zustand eines anderen hineinzuversetzen – eine Fähigkeit, die als Theory of Mind bekannt ist. Die Reaktion unseres Gehirns auf die Beobachtung anderer ist das, was Emotionen ansteckend macht. Unser Gehirn empfindet und ahmt nach, was wir beobachten. Diese mentalen Wiederholungen sind so real, dass wir manchmal eine beobachtete Handlung fälschlicherweise als Handlung erinnern, die wir selbst durchgeführt haben (Lindner et al., 2010). Aber durch dieses Nachspielen können wir den mentalen Zustand anderer erfassen. Beim Beobachten der Haltung, Gesichter, Stimmen und
8
350
Kapitel 8 • Lernen
Schmerz
a
8
Empathie
b
..Abb. 8.37 a,b Erlebte und vorgestellte Schmerzen im Gehirn. Die Hirnaktivität im Zusammenhang mit tatsächlichen Schmerzen (a) wird im Gehirn einer beobachtenden Person, die die andere Person gerne mag, gespiegelt (b). An Empathie sind im Gehirn mehrere Emo-
tionszentren beteiligt, nicht jedoch der somatosensorische Kortex, an den Signale über körperlichen Schmerz gehen. (Wellcome Department of Imaging Neuroscience/Science Source)
des Schreibstils anderer passen wir uns unbewusst an sie an, was uns dabei hilft, zu fühlen, was sie fühlen (Bernieri et al., 1994; Ireland & Pennebaker, 2010). Nachahmung hilft uns, Freund:innen zu gewinnen, und das veranlasst uns, dass wir die nachahmen, die wir mögen (Chartrand & Lakin, 2013). Wir gähnen, wenn sie gähnen, schmunzeln, wenn sie schmunzeln und lachen, wenn sie lachen. Wenn man sieht, wie jemand, den man gerne mag, Schmerzen hat, dann ist es nicht nur unser Gesicht, das die Emotion spiegelt, sondern auch unser Gehirn. Wie die fMRT-Schichtaufnahme in . Abb. 8.37 zeigt, löst der Schmerz, den man sich bei einem geliebten Menschen vorstellt, einige derselben Hirnaktivitäten aus, wie sie auch die Person durchmacht, die tatsächlich Schmerzen hat (Singer et al., 2004). Sogar das Lesen von Romanen kann solche Aktivitäten auslösen, dadurch dass die beschriebenen Erfahrungen mental nachgeahmt und nachempfunden werden (Mar & Oatley, 2008; Speer et al., 2009). In einem Experiment lasen Universitätsstudierende (und fühlten mit), wie ein fiktiver Kommilitone Hindernisse beim Wählen überwinden musste. Eine Woche später waren diejenigen, die diesen Bericht aus erster Hand gelesen hatten, eher bereit, an einer Vorwahl zur Präsidentschaft teilzunehmen (Kaufman & Libby, 2012). In anderen Studien zeigten Schüler:innen, die Harry Potter gelesen hatten, weniger Vorurteile gegenüber Immigrant:innen, Geflüchteten und Homosexuellen (Vezzali et al., 2015).
wir konsumieren – können Einfluss nehmen, und zwar sowohl guten als auch schlechten.
Anwendungsbereiche des Beobachtungslernens ?? 8.17 Welchen Einfluss haben prosoziale Vorbilder und
antisoziale Vorbilder?
Die wesentliche Erkenntnis aus Banduras Studien und der Spiegelneuronenforschung ist, dass wir schauen, mental nachahmen und lernen. Modelle – sei es in unserer Familie, Nachbarschaft oder in den Medien, die
zz Prosoziale Effekte
Die gute Nachricht ist, dass Modelllernen von prosozialem (positivem, hilfsbereitem) Verhalten prosoziale Effekte haben kann. In vielen Unternehmen wird das Modelllernen bestimmter Verhaltensweisen effektiv eingesetzt, um neuen Arbeitskräften Fähigkeiten in den Bereichen Kommunikation, Verkauf und Support beizubringen (Taylor et al., 2005). Auszubildende erlernen diese Fähigkeiten schneller, wenn sie beobachten können, wie diese von erfahrenen Kolleg:innen effektiv vorgelebt werden (oder durch Schauspieler:innen, die diese nachahmen). Menschen, die gewaltloses, hilfsbereites, d. h. prosoziales Verhalten vorleben, können ähnliche Verhaltensweisen bei anderen auslösen (. Abb. 8.38). Beobachtet man, wie jemand hilft (einer Frau, der Bücher heruntergefallen sind), wird man selbst hilfsbereiter, indem man z. B. jemandem hilft, dem ein Euro heruntergefallen ist (Burger et al., 2015). Mahatma Gandhi in Indien und Martin Luther King Jr. in den USA stützten sich auf ihre Vorbildwirkung, um gewaltfreies Handeln zu einer starken, gesellschaftsverändernden Kraft werden zu lassen (Matsumoto et al., 2015). Die Medien bieten Modelle an. So fand ein Forschungsteam heraus, dass prosoziale Fernsehsendungen, Filme und Videospiele in sieben Ländern das spätere Hilfsverhalten förderten (Prot et al., 2014). Auch Eltern sind einflussreiche Vorbilder. Die europäischen Christ:innen, die ihr Leben riskierten, um Jüdinnen und Juden vor dem Nationalsozialismus zu retten, hatten gewöhnlich eine enge Beziehung zu mindestens einem Elternteil, der ein starkes moralisches oder humanitäres Bewusstsein vorlebte; das Gleiche gilt für die amerikanischen Bürgerrechtler:innen in den 1960er Jahren (London, 1970; Oliner & Oliner, 1988). Beobachtungslernen von Moral beginnt früher. Aus sozial aufgeschlossenen Kleinkindern, die gerne ihre Eltern nach-
8.3 • Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
..Abb. 8.38 Eine vorbildliche Pflegerin. In dieser ukrainischen Auffangstation für misshandelte Bären lernt ein Mädchen die Pflege von Tieren und zugleich Mitgefühl, indem sie eine Erwachsene dabei beobachtet und ihr hilft. Ein englisches Sprichwort aus dem 16. Jahrhundert sagt: „Ein Beispiel ist besser als eine Unterweisung.“ (© Photoshot/picture alliance)
ahmen, werden in der Regel Vorschulkinder mit einem starken internalisierten Gewissen (Fordman et al., 2004). Prosoziales Verhalten („prosocial behavior“) – positives,
konstruktives, hilfsbereites Verhalten. Das Gegenteil von antisozialem Verhalten. Vorbilder bewirken am meisten, wenn das, was sie tun, übereinstimmt mit dem, was sie sagen. Möchten Sie Ihr Kind zum Lesen ermutigen, lesen Sie ihm vor, und umgeben Sie es mit Büchern und Menschen, die lesen. Wenn Sie die Wahrscheinlichkeit vergrößern wollen, dass Ihre Kinder Ihre Religion praktizieren, dann beten Sie mit ihnen und besuchen Sie gemeinsam Gottesdienste. Manchmal sagen jedoch Vorbilder das eine und tun etwas ganz anderes. Viele Eltern scheinen nach dem Prinzip „Mach, was ich sage, nicht was ich tue“ vorzugehen. Versuche deuten darauf hin, dass Kinder lernen, beides zu machen (Rice & Grusec, 1975; Rushton, 1975). Wenn sie mit einem Heuchler bzw. einer Heuchlerin zu tun haben, neigen sie dazu, die Heuchelei nachzuahmen, indem sie tun, was das Vorbild tat, und sagen, was es sagte. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Jasons Eltern und seine älteren Freund:innen fahren alle schneller als erlaubt, aber sie raten ihm, es nicht zu tun. Die Eltern von Juan und seine Freund:innen halten sich an das Tempolimit, aber sagen ihm nicht, dass er es auch tun soll. Wer wird eher zu schnell fahren, Jason oder Juan?
zz Antisoziale Effekte
Die schlechte Nachricht aus Banduras Studien lautet, dass antisoziale Vorbilder auch antisoziale Wirkungen
351
..Abb. 8.39 Machen Kinder das, was sie sehen? Kinder, die oft körperliche Bestrafung erfahren, neigen dazu, mehr Aggression zu zeigen. (© erierika/Getty Images/iStock)
haben können. Beobachtungslernen hilft uns auch, zu verstehen, warum Eltern, die ihre Kinder missbrauchen, möglicherweise aggressive Kinder haben, warum Kinder, die belogen werden, eher zu Lügen und Betrügen neigen und warum viele Männer, die ihre Frau schlagen, Väter hatten, die ihrerseits ihre Frau schlugen (Hays & Carver, 2014; Stith et al., 2000). Kritiker:innen merken an, dass eine solche Aggressivität genetisch bedingt sein könnte. An den Affen sehen wir, dass umweltbedingte Ursachen im Spiel sind. Eine Studie nach der anderen zeigt auf, dass sich junge Affen, die weitab von ihren Müttern aufgezogen wurden und mit starker Aggression konfrontiert waren, später besonders aggressiv zeigten (Chamove, 1980). Die Lektionen, die wir als Kinder lernen, verlernen wir als Erwachsene nicht so leicht; und manchmal werden sie an die nachfolgenden Generationen weitergegeben (. Abb. 8.39). Wo es Fernsehen gibt, wird es zu einer wichtigen Quelle für Beobachtungslernen. Dadurch, dass Kinder fernsehen, lernen sie möglicherweise, dass körperliche Einschüchterung eine wirksame Methode ist, um andere in den Griff zu bekommen, dass freier und leichtfertiger Sex Lust ohne spätere Reue oder Krankheit verschafft oder dass Männer harte Kerle und Frauen sanfte Lämmchen sein müssen. Und sie haben reichlich Zeit, solche Lektionen zu lernen. Die meisten Kinder aus Industrienationen verbringen während ihrer ersten 18 Lebensjahre mehr Zeit vor dem Fernseher als in der Schule. Amerikanische Jugendliche sehen im Durchschnitt mehr als vier Stunden am Tag fern, Erwachsene im Durchschnitt drei Stunden (Robinson & Martin, 2009; Strasburger et al., 2010). Fernsehzuschauer:innen lernen etwas über das Leben von einem eher eigenartigen Geschichtenerzähler, einem der die Mythologie der Kultur widerspiegelt, nicht ihre Realität. Zwischen 1998 und 2006 hat sich die Gewalt zur Haupteinschaltzeit Berichten zufolge um weitere 75 % erhöht (Pacific Telecommunications Council [PTC], 2007).
8
352
Kapitel 8 • Lernen
Fernseher werden zwischen 1957 und 1974 eingeführt
Doppelt so viele Morde in den USA und Kanada1
Fernseher werden 1975 für weiße Südafrikaner eingeführt
Fast doppelt so viele Morde in Südafrika1
Mehr Raufereien und später mehr gewalttätiges Verhalten als Jugendliche2
Hoher Konsum von medialen Gewaltdarstellungen unter US-Kindern im Alter von 9 bis 11 Jahren
ABER: KORRELATION ≠ KAUSALITÄT!
Experimentelle Studien haben ebenfalls gezeigt, dass Mediengewalt aggressives Verhalten verursachen kann: Gewalt sehen (im Vergleich zu Programmen ohne Gewalt) Versuchspersonen reagieren gewalttätiger, wenn sie provoziert werden. (Der Effekt ist am stärksten, wenn die gewalttätige Person attraktiv ist, die Gewalt gerechtfertigt und realistisch erscheint, die Tat ungestraft bleibt und die Versuchsteilnehmenden keine Schmerzen oder Schäden sehen.)
1
Was löst den Gewalteffekt bei Betrachtenden aus
NACHAHMUNG:
2
DESENSIBILISIERUNG:
8 Längere Gewaltexposition Gewalttätige Zeichentrickfilme ansehen
Siebenfache Zunahme von Spielen, die Gewalt enthalten3 Erwachsene Männer sahen sich drei Abende lang Filme an, die sexualisierte Gewalt zeigten.
Begrenzter Kontakt mit gewalttätigen Sendungen
Die Betrachtenden sind später gleichgültig (desensibilisiert) gegenüber Gewalt im Fernsehen oder im wirklichen Leben.5
Die Zuschauer fühlten sich von der dargestellten Gewalt immer weniger gestört. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe äußerten sie weniger Mitgefühl für die Opfer häuslicher Gewalt und bewerteten die Verletzungen der Opfer als weniger schwer.6
Publikum brutaler Kinofilme Weniger aggressives Verhalten4
Publikum nicht brutaler Kinofilme
weniger hilfsbereit eher hilfsbereit7
• Die APA Task Force on Violent Media (2015) stellte fest, dass „die Forschung einen konsistenten Zusammenhang nachweist zwischen dem Spielen von Videospielen mit Gewaltdarstellungen und der Zunahme von aggressivem Verhalten, aggressiven Kognitionen und aggressiven Affekten sowie der Abnahme von prosozialem Verhalten, Empathie und Sensibilität für Aggression.“ • Die American Academy of Pediatrics (2009) hat Kinderärzte darauf hingewiesen, dass „Mediengewalt zu aggressivem Verhalten, Desensibilisierung gegenüber Gewalt, Albträumen sowie der Angst davor, verletzt zu werden, beitragen kann“. 1Centerwall, 1989. 2 Boxer at al., 2009; Gentile et al., 2011; Gentile & Bushman, 2012. 3Boyatzis et al., 1995. 4 Christakis et al., 2013. 5 Fanti et al., 2009; Rule & Ferguson, 1986. 6Mullin & Linz, 1995. 7Bushman & Anderson, 2009.
..Abb. 8.40 Kritisch nachdenken über: Die Auswirkungen von Gewaltdarstellung in den Medien
Eine Auswertung von mehr als 3000 Sendungen der großen Fernsehsender und der Kabelprogramme, die während eines näher untersuchten Jahres ausgestrahlt wurden, ergab, dass in 6 von 10 Sendungen Gewalt vorkam, dass 74 % der Gewalt unbestraft blieb, dass in 58 % der Fälle die Schmerzen der Opfer nicht gezeigt wurden, dass es in nahezu der Hälfte der Vorfälle um „gerechtfertigte“ Gewalt ging und bei der Hälfte um einen attraktiven Täter oder eine attraktive Täterin. Diese Fakten sind das
Rezept für den in vielen Studien beschriebenen Effekt, der sich aus dem Betrachten von Gewalt ergibt und der von Medienforscher:innen nahezu einhellig anerkannt wird (Bushman et al., 2015; Donnerstein, 1998, 2011). Im Jahr 2012 tötete ein schwerbewaffneter Mann in einem Amoklauf an der Sandy Hook Elementary School in Connecticut kleine Kinder und ihre Lehrerinnen. Hatten die amerikanischen Medien recht? War der Mörder von den gewalttätigen Videospielen beeinflusst,
353
8.3 • Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
?? 8.18 Welche Wirkung erzeugt das Betrachten von
Gewalt? Prüfen Sie Ihr Wissen
Ordnen Sie die Beispiele (1–5) den zugehörigen unterliegenden Lernprinzipien (a–e) zu: a. Klassische Konditionierung b. Operante Konditionierung c. Latentes Lernen d. Beobachtungslernen e. Biologische Prädispositionen
..Abb. 8.41 (© Claudia Styrsky)
die in seinem Haus gefunden wurden (. Abb. 8.40, . Abb. 8.41)?
» „Das Problem beim Fernsehen besteht darin, dass die
Menschen wie festgeklebt dasitzen und die Augen nicht vom Bildschirm losreißen können. Eigentlich hat die amerikanische Durchschnittsfamilie gar keine Zeit dafür. Deshalb … sind die Fernsehleute überzeugt, dass das Fernsehen niemals eine ernst zu nehmende Konkurrenz für den Rundfunk werden wird.“ New York Times (1939)
>>Die Auswirkungen der Bildschirmzeit könnten auf das
zurückzuführen sein, was sie ersetzt. Kinder und Erwachsene, die täglich mehrere Stunden vor dem Bildschirm verbringen, verbringen entsprechend weniger Stunden mit aktiveren Betätigungen, wie z. B. Reden, Lernen, Spielen, Lesen oder sich persönlich mit Freund:innen zu treffen. Was hätten Sie mit der zusätzlichen Zeit gemacht, wenn Sie nur die Hälfte der Stunden vor einem Bildschirm verbracht hätten? Und wären Sie deshalb anders?
» „30 Sekunden Verherrlichung eines Stücks Seife verkauft
Seife. 25 Minuten Verherrlichung von Gewalt verkauft Gewalt.“ U.S. Senator Paul Simon, Äußerung gegenüber The Communitarian Network (1993)
Unser Wissen über die Lernprinzipien basiert auf der Arbeit hunderter Forscher:innen. In diesem Kapitel wurden als Schwerpunkt die Ideen einiger Pioniere behandelt: Pawlow, Watson, Skinner und Bandura. Sie veranschaulichen die Bedeutung, die aus dem konzentrierten Engagement für einige genau definierte Probleme und Gedanken entstehen kann. Diese Forscher definierten die Themenbereiche und machten uns die Bedeutung des Lernens klar. Wie ihr Vermächtnis zeigt, wird Wissenschaftsgeschichte oft von Menschen geschrieben, die es wagen, sich mit extremen Bereichen zu beschäftigen und mit ihren Ideen in Grenzbereiche vorzustoßen (Simonton, 2000).
8.3.4
1. Sie kennen den Weg vom Bett zum Badezimmer im Dunkeln. 2. Ihr kleiner Bruder gerät in eine gewalttätige Auseinandersetzung, nachdem er sich einen gewalttätigen ActionFilm angeschaut hat. 3. Ihr Speichelfluss wird angeregt, wenn Sie Kekse im Ofen riechen. 4. Sie haben eine Abneigung gegen den Geschmack von Chili, seit Ihnen ein paar Stunden, nachdem Sie Chili gegessen hatten, sehr übel war. 5. Ihr Hund rennt auf Sie zu, wenn Sie nach Hause kommen.
Rückblick: Biologische Veranlagungen, Kognition und Lernen
Verständnisfragen
8.14 – Wie beeinflussen biologische Beschränkungen das
Lernen durch klassische und operante Konditionierung? 8.15 – Welche Bedeutung haben kognitive Prozesse bei der klassischen und operanten Konditionierung? 8.16 – Was ist der Unterschied zwischen Beobachtungslernen und assoziativem Lernen? Wie kann Beobachtungslernen durch neuronale Spiegelung ermöglicht werden? 8.17 – Welchen Einfluss haben prosoziale Vorbilder und antisoziale Vorbilder? 8.18 – Welche Wirkung erzeugt das Betrachten von Gewalt?
---
Schlüsselbegriffe Beobachtungslernen Extrinsische Motivation Instinktive Tendenz Intrinsische Motivation
8
354
----
Kapitel 8 • Lernen
Kognitive Landkarte Latentes Lernen Modelllernen Preparedness (vorbereitetes Lernen) Prosoziales Verhalten Spiegelneurone
Master the Material
8
1. Garcias und Koellings Studien zur ___ haben bewiesen, dass Konditionierung sogar auftreten kann, wenn der unkonditionierte Reiz (US) nicht unmittelbar auf den neutralen Reiz (NS) folgt. 2. Die Forschung zur Geschmacksaversion hat gezeigt, dass einige Tiere Aversionen gegen bestimmte Geschmäcker entwickeln, nicht aber gegen den Anblick von etwas oder gegen Geräusche. Welche Erkenntnis der Evolutionspsychologie wird dadurch gestützt? 3. Der Nachweis, dass kognitive Prozesse eine wichtige Rolle beim Lernen spielen, basiert teilweise auf Studien, in denen Ratten durch ein Labyrinth liefen und dadurch eine ___ des Labyrinths entwickelten. 4. Ratten, die ein Labyrinth ohne Belohnung erkundeten, waren später in der Lage, genauso gut durch das Labyrinth zu laufen wie die anderen Ratten, die für den Gang durch das Labyrinth Belohnungen erhalten hatten. Die Ratten, die ohne Verstärkung gelernt hatten, zeigten ___. 5. Kinder lernen viel soziales Verhalten, indem sie Eltern oder andere Modelle nachahmen. Diese Art des Lernens bezeichnet man als ___. 6. Laut Bandura lernen wir, Modelle nachzuahmen, weil wir ___ Verstärkung oder ___ Bestrafung erfahren. 7. Eltern sind am effektivsten darin, ihre Kinder zur Nachahmung zu bewegen, wenn … a. ihre Worte und Tagen konsistent sind. b. sie über eine herausragende Persönlichkeit verfügen. c. wenn ein Elternteil arbeitet und der andere zuhause bleibt, um für die Kinder zu sorgen. d. wenn sie genau erklären, warum ein Verhalten bei Erwachsenen akzeptiert wird, aber nicht bei Kindern. 8. Manche Wissenschaftler:innen glauben, das Gehirn hätte _____ Neuronen, die Empathie und Nachahmung ermöglichen. 9. Die meisten Expert:innen stimmen darin überein, dass der wiederholte Konsum von Gewalt in den Medien … a. alle Zuschauer:innen deutlich aggressiver macht. b. nur geringe Auswirkungen auf die Zuschauer:innen hat. c. einen Risikofaktor für wachsende Aggression bei den Zuschauer:innen darstellt. d. die Zuschauer:innen wütend und frustriert macht.
Weiterführende deutsche Literatur Edelmann, W., & Wittmann, S. (2019). Lernpsychologie (8. Aufl.). Weinheim: Beltz. Hoffmann, J., & Engelkamp, J. (2017). Lern- und Gedächtnispsychologie (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Kiesel, A., & Koch, I. (2012). Lernen: Grundlagen der Lernpsychologie. Wiesbaden: Springer VS. Lefrancois, G. R. (2014). Psychologie des Lernens (5. Aufl.). Heidelberg: Springer. Winkel, S., Petermann, F., & Petermann, U. (2006). Lernpsychologie. Stuttgart: UTB.
355
Gedächtnis Inhaltsverzeichnis 9.1
Erinnerungen erforschen und enkodieren – 356
9.1.1 9.1.2 9.1.3
Erinnerungen erforschen – 356 Erinnerungen enkodieren – 360 Rückblick: Erinnerungen erforschen und enkodieren – 367
9.2
Erinnerungen speichern und ablegen – 368
9.2.1 9.2.2 9.2.3
Erinnerungen ablegen – 368 Erinnerungen abrufen: Abrufhinweise – 374 Rückblick: Erinnerungen speichern und ablegen – 377
9.3
Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining – 378
9.3.1 9.3.2 9.3.3 9.3.4
Vergessen – 378 Fehler beim Gedächtnisaufbau – 385 Gedächtnistraining – 392 Rückblick: Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining – 393
Weiterführende deutsche Literatur – 394
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_9
9
Kapitel 9 • Gedächtnis
356
9
Seien Sie dankbar für Ihr Gedächtnis. Wir halten es für etwas Selbstverständliches, außer wenn es nicht richtig funktioniert. Doch es ist unser Gedächtnis, das der Zeit Rechnung trägt und unser Leben überhaupt ausmacht. Es ist unser Gedächtnis, das es uns ermöglicht, unsere Familie zu erkennen, unsere Sprache zu sprechen und den Weg nach Hause zu finden. Es ist unser Gedächtnis, das es möglich macht, uns über ein Erlebnis zu freuen, es dann mental wieder abzuspielen und uns nochmal darüber zu freuen. Es ist unser Gedächtnis, das es uns ermöglicht, mit den Menschen, die wir lieben, eine Geschichte aufzubauen. Und es ist unser Gedächtnis, das gelegentlich dafür sorgt, dass wir Feindseligkeiten gegenüber Menschen entwickeln, deren Beleidigungen wir nicht vergessen können. Unsere gemeinsamen Erinnerungen verbinden uns zu einer zusammengehörigen Gruppe von Menschen aus Irland oder Island, Serbien oder Samoa. Wir sind zum größten Teil das, woran wir uns erinnern. Ohne Gedächtnis – unseren Speicher angehäuften Wissens – gäbe es kein Schwelgen in Erinnerungen an glückliche Momente in der Vergangenheit, keine Schuld- oder Wutgefühle, ausgelöst durch schmerzliche Erinnerungen. Stattdessen würden wir in einer ständigen Gegenwart leben. Jeder Moment wäre neu. Jeder Mensch wäre fremd, alles Gesprochene eine unverständliche Fremdsprache, jede Aufgabe – sich anzuziehen, zu kochen, Fahrrad zu fahren – eine neue Herausforderung. Sogar Sie selbst wären sich fremd, da es Ihnen an dem durchgehenden Bewusstsein Ihrer selbst fehlen würde, das sich von der weit zurückliegenden Vergangenheit bis zum gegenwärtigen Augenblick erstreckt. Forschende untersuchen das Gedächtnis aus vielen Perspektiven. Wir befassen uns zunächst mit dem Messen, der Enkodierung von Erinnerungen und Gedächtnismodellen, dann werden wir untersuchen, wie Erinnerungen gespeichert und abgerufen werden. Im Anschluss ergründen wir, was passiert, wenn unsere Erinnerungen uns im Stich lassen, und suchen nach Methoden, das Gedächtnis zu verbessern. 9.1
Erinnerungen erforschen und enkodieren
9.1.1
Erinnerungen erforschen
?? 9.1 Was versteht man unter Gedächtnis und wie wird
es gemessen?
Das Gedächtnis besteht aus Lernergebnissen, die über die Zeit fortbestehen, es enthält Informationen, die erworben und gespeichert wurden und wieder abgerufen werden können.
Untersuchungen der Extremfälle von Gedächtnisleistungen haben Forschern zum Verständnis der Funktionsweise des Gedächtnisses verholfen. Im Alter von 92 Jahren erlitt mein [DMs] Vater einen kleinen Schlaganfall, der nur einen besonderen Effekt hatte: Zwar war er noch genauso beweglich wie zuvor. Auch seine geniale Persönlichkeit wurde nicht beeinträchtigt. Er erkannte uns und konnte sich beim Durchblättern von Alben mit Familienfotos stundenlang über seine Vergangenheit auslassen. Doch er hatte größtenteils seine Fähigkeit verloren, neue Erinnerungen über Gespräche und Alltagsereignisse zu speichern. Er konnte mir nicht sagen, welcher Wochentag gerade war oder was er zu Mittag gegessen hatte. Obwohl ihm bereits mehrmals der kürzliche Tod seines Schwagers mitgeteilt worden war, bestürzte ihn diese Nachricht wie aus heiterem Himmel jedes Mal aufs Neue. Bei manchen Erkrankungen geht das Gedächtnis langsam verloren. Die Alzheimer-Krankheit beginnt mit Schwierigkeiten, sich an neue Informationen zu erinnern, und entwickelt sich zu dem Unvermögen, alltägliche Aufgaben zu erledigen. Familienmitglieder und enge Freund:innen werden zu Fremden; komplexe Sprache wird zu einfachen Sätzen; die einst starken Gedächtniszentren des Gehirns werden schwach und verkümmern (Desikan et al., 2009). Es kann sein, dass ein an Alzheimer erkrankter Mensch innerhalb weniger Jahre niemanden mehr wiedererkennt und selbst nicht mehr wiederzuerkennen ist. Der Verlust des Gedächtnisses trifft bis in unser innerstes Wesen und raubt uns Lebensfreude, Lebenssinn und jedes Gefühl von Zusammengehörigkeit. Das andere Extrem sind Menschen, die bei einer Gedächtnisolympiade sicher die Goldmedaillen gewinnen würden. Ein Beispiel dafür war der russische Zeitungsreporter Solomon Schereschewski oder „S.“, der bloß zuzuhören brauchte, während andere sich Notizen machten (Luria, 1968). Der Durchschnittsmensch kann aus dem Gedächtnis eine Folge von etwa 7 – eventuell sogar 9 – Ziffern wiederholen. S. konnte bis zu 70 wiederholen, wenn sie mit drei Sekunden Abstand in einem Zimmer ohne andere Geräusche vorgelesen wurden. Er konnte Ziffern oder Wörter sogar genauso leicht rückwärts wie vorwärts erinnern. Seine Genauigkeit war treffsicher, auch wenn er gebeten wurde, sich bis zu 15 Jahre später an eine bestimmte Liste zu erinnern. Er sagte dann etwa: „Ja, ja, das war eine Reihe, die Sie mir einmal dargeboten haben, als wir in Ihrer Wohnung waren. … Sie saßen am Tisch und ich im Schaukelstuhl. … Sie trugen einen grauen Anzug. …“ Eine beeindruckende Glanzleistung? Mit Sicherheit, aber denken Sie einmal an Ihr eigenes erstaunliches Gedächtnis. Sie erinnern sich an unzählige Gesichter, Orte und Ereignisse, Geschmäcke, Gerüche und Texturen, Stimmen, Klänge und Lieder (. Abb. 9.1). In einer Studie hörten die Studierende Ausschnitte von nur vier Zehntelsekunden aus populären Liedern. Wie oft erkannten sie die Band und das Lied? In mehr als 25 %
357
9.1 • Erinnerungen erforschen und enkodieren
..Abb. 9.1 Extremes Vergessen. Die Alzheimer-Krankheit führt zu schweren Schädigungen des Gehirns. Im Krankheitsverlauf geht das Gedächtnis zunehmend verloren. (© Anatomical Travelogue/Science Photo Library)
der Fälle (Krumhansl, 2010). Wir erkennen Lieder oft genauso schnell wieder wie eine bekannte Stimme. Das gleiche gilt für Gesichter und Orte. Stellen Sie sich vor, Sie müssten mehr als 2500 Dias von Gesichtern und Orten anschauen. Für jedes Dia haben Sie jeweils zehn Sekunden Zeit. Später werden Ihnen nacheinander 280 von diesen Dias noch einmal vorgeführt, jeweils in Kombination mit einem zuvor nicht gezeigten Dia. Die Teilnehmenden an diesem von Haber (1970) tatsächlich durchgeführten Experiment waren in der Lage, in 90 % der Fälle das zuvor bereits gesehene Dia wiederzuerkennen. In einem Folgeexperiment konnten Personen, denen 2800 Bilder für jeweils nur drei Sekunden gezeigt wurden, die Wiederholungen mit einer Trefferquote von 82 % ausmachen (Konkle et al., 2010). Fixieren Sie ein Gesicht in einem Meer von Gesichtern, und Sie werden später auch andere Gesichter aus der Menschenmenge erkennen (Kaunitz et al., 2016). Einige Super-Recognizer zeigen eine außergewöhnliche Fähigkeit, Gesichter zu erkennen. Ein Polizist hatte nur das Video eines bewaffneten Raubüberfalls gesehen, und trotzdem erkannte er 18 Monate später den Räuber auf einer belebten Straße und verhaftete ihn (Davis et al., 2013). Und es sind nicht nur Menschen, die ein bemerkenswertes Gedächtnis für Gesichter haben. Schafe können lernen, sich Gesichter zu merken (. Abb. 9.2). Und mindestens eine Fischart kann das auch – sie zeigen es, indem sie bekannte Gesichter anspucken, um mit Nahrung belohnt zu werden (Newport et al., 2016). Was befähigt uns Menschen zu solchen Gedächtnisleistungen? Wie entnimmt unser Gehirn der Welt um uns herum Informationen und lagert sie für späteren Gebrauch ein? Weshalb können wir uns an Dinge erinnern, über die wir jahrelang nicht nachgedacht haben, gleichzeitig aber den Namen eines Menschen vergessen, mit dem wir gerade erst gesprochen haben? Wie werden Erinnerungen in unserem Gehirn gespeichert? Wieso werden Sie später in diesem Kapitel wahrscheinlich den
..Abb. 9.2 Auch Tiere verfügen über Gesichtserkennung. Nachdem man Schafe wiederholt mit Futter belohnte, wenn man ihnen bestimmte Schafsgesichter zeigte, jedoch nicht bei anderen Gesichtern, erinnerten sich die Schafe noch zwei Jahre lang an die Gesichter, die sie mit Futter assoziierten (Kendrick & Feng, 2011; © Photoshot/picture alliance)
folgenden Satz falsch reproduzieren: „Der wütende Randalierer warf den Stein gegen das Fenster“? In diesem Kapitel gehen wir diesen und weiteren faszinierenden Fragen nach.
» „Wenn irgendeine Gabe in unserer Natur wunderbarer
als alles übrige genannt werden kann, dann ist es wohl das Gedächtnis.“ Jane Austen, Mansfield Park
Messen der Behaltensleistung Vom psychologischen Standpunkt aus gesehen beinhaltet Evidenz dafür, dass Erlerntes dauerhaft bestehen bleibt, die folgenden drei Arten, die Behaltensleistung zu messen: Abruf bzw. freie Reproduktion ist die Fähigkeit, Informationen aus dem Gedächtnis zu reproduzieren, die sich zwar nicht momentan im Bewusstsein be-
-
9
358
Kapitel 9 • Gedächtnis
..Abb. 9.3 a,b Sich an Vergangenes erinnern. Auch wenn Halle Berry und Brad Pitt nicht berühmt geworden wären, würden ihre Klassenkamerad:innen aus der High School sie mit großer Wahrscheinlichkeit auf diesen Fotos wiedererkennen. (© Photoshot/picture alliance)
a
9
finden, aber zu einem früheren Zeitpunkt gelernt wurden; es handelt sich um eine Abfrage wie bei einem Lückentext. Wiedererkennen ist die Fähigkeit, Items, die man zuvor gelernt hat, lediglich zu identifizieren; ein solches Wiedererkennen wird etwa bei einem Test mit Multiple-Choice-Fragen verlangt. Erneutes Lernen ist die Fähigkeit, sich etwas bei einem zweiten oder späteren Lernversuch schneller anzueignen. Beim Lernen für eine Abschlussprüfung oder der Wiederbeschäftigung mit einer Sprache, die als Kind gesprochen wurde, läuft das erneute Lernen leichter ab als das ursprüngliche.
-
Lange nachdem Sie die Erinnerungen an die meisten Ihrer Klassenkamerad:innen aus der Abschlussklasse nicht mehr frei reproduzieren können, sollten Sie noch in der Lage sein, sie auf Klassenfotos wiederzuerkennen und die richtigen Namen aus einer Liste auszuwählen. In einem Experiment zeigte sich, dass Leute, die 25 Jahre zuvor das College abgeschlossen hatten, sich nur an wenige ihrer damaligen Mitschüler:innen erinnern konnten; doch konnten sie 90 % der Fotos und der Namen wiedererkennen (Bahrick et al., 1975; . Abb. 9.3). Wenn es sich bei Ihnen so verhält wie bei den meisten Studierenden, dann könnte es auch sein, dass Sie von den sieben Zwergen mehr Namen wiedererkennen als frei reproduzieren könnten (Miserandino, 1991). Beim Wiedererkennen ist unser Gedächtnis erstaunlich flink und umfangreich. „Trägt Ihr Freund alte oder neue Sachen?“ „Alte.“ „Stammt dieser 5-Sekunden-Clip aus einem Film, den Sie mal gesehen haben?“ „Ja.“ „Haben Sie diesen Menschen – diese geringfügige Variation der bekannten menschlichen Gesichtszüge (zwei Augen, Nase und so weiter) – schon einmal gesehen?“ „Nein.“ Ehe der Mund die Antwort auf diese und Millionen ähn-
b
licher Fragen formulieren kann, weiß das Gehirn bereits Bescheid und weiß, dass es etwas weiß. Unsere Geschwindigkeit beim Abrufen oder Wiedererkennen von Informationen zeugt ebenso von der Stärke unseres Gedächtnisses. Der Vorreiter im Bereich Gedächtnisforschung Hermann Ebbinghaus (1850–1909) hat dies vor über einem Jahrhundert in seinen Lernexperimenten mit sinnlosen Silben demonstriert. Er wählte zufällig eine Stichprobe dieser Silben aus, übte sie ein und testete sich anschließend selbst. Um ein Gefühl dafür zu bekommen, wie Ebbinghaus vorging, lesen Sie laut und relativ schnell 8-mal hintereinander folgende Liste (aus Baddeley, 1982). Schauen Sie dann weg und versuchen Sie, sich an die Items zu erinnern: JIH, BAZ, FUB, YOX, SUJ, XIR, DAX, LEQ, VUM, PID, KEL, WAV, TUV, ZOF, GEK, HIW. Einen Tag, nachdem Ebbinghaus eine derartige Liste gelernt hatte, konnte er sich nur an wenige der Silben erinnern. Aber hatte er sie völlig vergessen? Wie aus . Abb. 9.4 hervorgeht, brauchte er am 2. Tag zum erneuten Lernen der Liste umso weniger Durchgänge, je häufiger er sie am 1. Tag laut wiederholt hatte. Zusätzliches Wiederholen (Überlernen) verbaler Informationen erhöht die Behaltensleistung, besonders wenn die Übung über die Zeit verteilt wird. Für Studierende bedeutet dies, dass es hilfreich ist, den Lernstoff zu üben, auch wenn man ihn schon kennt. Gedächtnis („memory“) – dauerhaftes Fortbestehen von
aufgenommenen Informationen über die Zeit; es ermöglicht die Kodierung, die Speicherung und das Abrufen von Informationen. Abruf oder aktive, freie Reproduktion („recall“) – Maß für die Erinnerungsfähigkeit, bei dem die Versuchsperson vorher gelernte Informationen aktiv abrufen muss, etwa beim Ausfüllen eines Lückentexts.
359
Zeit in Minuten, die zum Wiedererlernen einer Liste am 2. Tag benötigt wird
9.1 • Erinnerungen erforschen und enkodieren
die zwar unvollkommen, aber nützlich sind. Diese Modelle veranschaulichen uns, wie das Gehirn Erinnerungen bildet und wieder abruft. Ein Informationsverarbeitungsmodell vergleicht das menschliche Gedächtnis mit den Arbeitsvorgängen eines Computers. Zur Erinnerung an ein bestimmtes Ereignis müssen wir also: eine Information ins Gehirn aufnehmen, ein Vorgang, der als Enkodieren bezeichnet wird; diese Information behalten, ein Prozess, der Speichern genannt wird; diese Information schließlich wiedergewinnen, ein Vorgang, der Abrufen genannt wird.
20
-
15 Je öfter wiederholt wird, desto weniger Zeit wird für das erneute Lernen benötigt.
10
5 0
8
16
24
32
42
53
64
Anzahl der Wiederholungen der Liste am 1. Tag ..Abb. 9.4 Behaltenskurve nach Ebbinghaus. Ebbinghaus fand, dass er umso weniger Wiederholungsdurchgänge brauchte, um eine Liste von sinnlosen Silben am 2. Tag wieder zu erlernen, je häufiger er am 1. Tag geübt hatte. Die Geschwindigkeit des erneuten Lernens ist ein Maß für die Behaltensleistung. (Aus Baddeley, 1982)
Wiedererkennen („recognition“) – Maß für die Erinnerungs-
fähigkeit. Wie bei einem Multiple-Choice-Test identifiziert die Versuchsperson Items, die sie vorher erlernt hat. Erneutes Lernen („relearning“) – Maß für die Erinnerungsfähigkeit, mit dem erfasst wird, wie viel schneller bereits erlerntes Material zum wiederholten Mal gelernt wird. Fazit: Tests, die das Wiedererkennen oder die für erneutes Lernen benötigte Zeit erfassen, zeigen, dass wir uns an mehr erinnern, als wir direkt abrufen können. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Multiple-Choice-Fragen testen unser ___, Lückentexte testen unsere ___. – Wenn Sie sichergehen möchten, etwas Gelerntes in einem anstehenden Test abrufen zu können, wäre es dann besser, Ihr Gedächtnis durch freie Reproduktion oder durch Wiedererkennen zu prüfen? Und warum?
Gedächtnismodelle ?? 9.2 Wie beschreiben Psycholog:innen das menschliche
Gedächtnissystem?
Architekt:innen bauen Miniaturmodelle von Häusern, um ihren Klient:innen eine Vorstellung von ihrem zukünftigen Heim zu vermitteln. Auf eine entsprechende Weise entwerfen Psycholog:innen Gedächtnismodelle,
Wie alle Analogien stoßen Computermodelle an ihre Grenzen. Unsere Erinnerungen sind weniger ausdrücklich und weitaus fragiler als die Daten eines Computers. Darüber hinaus erfolgt beim Computer die Informationsverarbeitung sequenziell, auch wenn verschiedene Aufgaben abwechselnd ausgeführt werden. Unser reger Verstand dagegen verarbeitet viele Dinge gleichzeitig (manche davon unbewusst) über Parallelverarbeitung. Dieser Aspekt, die mehrgleisige Verarbeitung, steht im Mittelpunkt des Konnektionismus, einer Theorie zur Informationsverarbeitung, die Erinnerungen als Produkte miteinander verbundener neuronaler Netzwerke betrachtet. Einzelne Erinnerungen ergeben sich aus bestimmten Aktivierungsmustern innerhalb dieser Netzwerke. Jedes Mal, wenn Sie etwas Neues lernen, verändern sich die neuronalen Verbindungen Ihres Gehirns, bilden und verstärken Pfade, mit deren Hilfe Sie mit Ihrer sich dauerhaft ändernden Umwelt interagieren und von dieser lernen können. Enkodieren („encoding“) – Verarbeitung von Informa-
tionen zur Eingabe in das Gedächtnissystem, z. B. durch Herstellen eines Bedeutungszusammenhangs. Speichern („storage“) – dauerhaftes Behalten der enkodierten Informationen. Abrufen („retrieval“) – Wiederauffinden gespeicherter Informationen im Gedächtnisspeicher. Parallele Prozessverarbeitung („parallel processing“) – Das gleichzeitige Verarbeiten mehrerer Aspekte eines Problems; der normale, für viele Aufgaben genutzte Gehirnmodus zur Informationsverarbeitung Zur Erklärung dieses Prozesses der Erinnerungsbildung haben Richard Atkinson und Richard Shiffrin (1968) ein Dreistufenmodell vorgeschlagen: 1. Zunächst registrieren wir die Informationen, an die wir uns erinnern sollen, im flüchtigen sensorischen Gedächtnis. 2. Anschließend verarbeiten wir die Informationen im Kurzzeitgedächtnis, wo sie durch Wiederholung enkodiert werden. 3. Schließlich gelangen die Informationen für einen späteren Abruf ins Langzeitgedächtnis.
9
360
Kapitel 9 • Gedächtnis
Automatische Verarbeitung Gerichtete Aufmerksamkeit auf wichtige oder neue Informationen
Sensorischer Input Äußere Ereignisse
9
Sensorisches Gedächtnis
Aufrechterhalten durch Wiederholen Arbeits-/Kurzzeitgedächtnis
Enkodierung
Enkodierung Abrufen
Speicherung im Langzeitgedächtnis
..Abb. 9.5 Ein modifiziertes Dreistufen-Verarbeitungsmodell des Gedächtnisses. Das klassische Dreistufenmodell von Atkinson und Shiffrin hilft uns bei der Vorstellung, wie Erinnerungen verarbeitet werden, doch die heutigen Gedächtnisforscher haben andere Wege gefunden, auf denen sich Langzeiterinnerungen bilden. Zum Beispiel schlüpfen einige
Informationen sozusagen „durch die Hintertür“ ins Langzeitgedächtnis, ohne dass man bewusst seine Aufmerksamkeit auf sie gerichtet hat (automatische Verarbeitung). Und im Kurzzeitgedächtnis findet so viel aktive Verarbeitung statt, dass eine etwas andere Bezeichnung, nämlich Arbeitsgedächtnis, heute von vielen als treffender angesehen wird
Dieses Modell wurde seitdem durch wichtige neuere Konzepte überarbeitet (. Abb. 9.5), darunter das Arbeitsgedächtnis und die automatische Verarbeitung.
aktive Verarbeitung von eingehenden auditiven und visuellen Informationen sowie von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis gehört.
Sensorisches Gedächtnis („sensory memory“) – unmittel-
Bei den meisten von Ihnen gelangt das, was Sie lesen, über den Sehsinn ins Arbeitsgedächtnis. Außerdem können Sie die Informationen durch inneres Nachsprechen wiederholen. Während Sie diese Gedächtniseingaben in Ihr bestehendes Langzeitgedächtnis integrieren, ist Ihre Aufmerksamkeit fokussiert. In Baddeleys Modell (2002) wird diese gezielte Verarbeitung durch eine Komponente namens zentrale Exekutive übernommen. Ohne fokussierte Aufmerksamkeit verschwinden Informationen sehr häufig. Wenn Sie denken, Sie können etwas später nachschlagen, beschäftigen Sie sich weniger damit und vergessen es schneller. In einem Experiment lasen und tippten Personen triviale neue Informationen, die sie später benötigen würden, wie z. B.: „Bei einem Strauß ist das Auge größer als das Gehirn.“ Wenn Sie wussten, dass die Informationen online verfügbar waren, investierten sie weniger Energie in ihre Gedächtnisarbeit und erinnerten sich weniger gut an die Nebensächlichkeiten (Sparrow et al., 2011; Wegener & Ward, 2013). Das Internet – die externe Speicherplatte des Gehirns.
bare, sehr kurze Zwischenspeicherung sensorischer Informationen im Gedächtnissystem. Kurzzeitgedächtnis („short-term memory“) – aktiviertes Gedächtnis, das einige Items für kurze Zeit festhält (wie z. B. während eines Anrufs die sieben Ziffern einer Handynummer ohne Vorwahl), um sie dann entweder abzuspeichern oder zu vergessen. Langzeitgedächtnis („long-term memory“) – relativ zeitüberdauernder und unbegrenzt aufnahmefähiger Speicher des Gedächtnissystems; dazu gehören Wissen, Fertigkeiten und Erfahrungen. zz Das Arbeitsgedächtnis
Alan Baddeley und andere (Baddeley, 2002; Barrouillet et al., 2011; Engle, 2002) erweiterten die Sichtweise von Atkinson und Shiffrin, nach der das Kurzzeitgedächtnis nur ein kleiner, befristeter Speicher für aktuelle Gedanken und Erfahrungen sein soll. Diese Stufe ist nicht nur eine temporäre Ablage zur Aufbewahrung eingehender Informationen. Sie ist ein aktives Scratchpad, mit dem das Gehirn aktiv Informationen verarbeitet, neuen Eingaben einen Sinn verleiht und sie mit Langzeiterinnerungen verbindet. Es funktioniert auch in umgekehrter Richtung, indem es bereits gespeicherte Informationen verarbeitet. Ob wir einen gesprochenen Satzbestandteil als „mit Nichten“ oder „mitnichten“ hören, hängt davon ab, wie Kontext und Erfahrungen unsere Interpretation und Enkodierung der Laute leiten. Mit deutlicher Betonung der aktiven Verarbeitung, die in dieser mittleren Phase stattfindet, benutzen Psycholog:innen den Begriff Arbeitsgedächtnis. Gerade in diesem Moment machen Sie von Ihrem Arbeitsgedächtnis Gebrauch, um die Inhalte, die Sie lesen, mit vorher gespeicherten Informationen zu verbinden (Cowan, 2010; Kail & Hall, 2001). Arbeitsgedächtnis („working memory“) – ein neueres Ver-
ständnis des Kurzzeitgedächtnisses, zu dem die bewusste,
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Inwiefern hat das Konzept des Arbeitsgedächtnisses zu einer Aktualisierung des klassischen Dreistufen-Verarbeitungsmodell des Gedächtnisses von Atkinson und Shiffrin geführt? – Welche beiden Grundfunktionen erfüllt das Arbeitsgedächtnis?
9.1.2
Erinnerungen enkodieren
Der zweigleisige Verstand: Bewusste versus automatische Verarbeitung ?? 9.3 Wie unterscheiden sich explizite und implizite
Erinnerungen?
361
9.1 • Erinnerungen erforschen und enkodieren
Das Modell von Atkinson und Shiffrin hat sich darauf konzentriert, wie wir unsere expliziten Erinnerungen verarbeiten – die Fakten und Erfahrungen, die wir bewusst wissen und deklarieren können (weshalb sie auch deklarative Erinnerungen genannt werden). Wir verarbeiten explizite Erinnerungen durch angestrengte bewusste Verarbeitung. Aber unser Verstand operiert auf einem zweiten, unbewussten Gleis. Hinter den Kulissen überspringen andere Informationen unsere bewusste Enkodierung und landen direkt im Speicher. Diese automatische Verarbeitung, die ohne unsere Bewusstheit passiert, produziert implizite Erinnerungen (auch nondeklarative Erinnerungen genannt). Explizites Gedächtnis („explicit memory“) – das Behalten
von Fakten und Erfahrungen, die man bewusst wissen und „deklarieren“ kann (auch als deklaratives Gedächtnis bezeichnet). Bewusste Verarbeitung („effortful processing“) – Form der Enkodierung, die Aufmerksamkeit und bewusste Anstrengung erfordert. Automatische Verarbeitung („automatic processing“) – unbewusste Enkodierung zufällig anfallender Informationen, wie Raum, Zeit und Häufigkeit, sowie erlernter, aber inzwischen wohlbekannter Informationen (z. B. Wortbedeutungen). Implizites Gedächtnis („implicit memory“) – das Behalten von erlernten Fähigkeiten oder klassisch konditionierten Assoziationen, das unabhängig von bewusster Erinnerung ist (auch als nondeklaratives Gedächtnis bezeichnet). Unser zweigleisiges Gedächtnissystem hilft uns also, Informationen zu kodieren, zu behalten und abzurufen, und zwar sowohl auf bewussten als auch auf automatischen Gleisen. Betrachten wir zunächst, wie die automatische Verarbeitung die Entstehung von impliziten Erinnerungen unterstützt.
Automatische Verarbeitung und implizites Gedächtnis ?? 9.4 Welche Informationen verarbeiten wir auto-
matisch?
Unser implizites Gedächtnis umfasst prozedurale Erinnerungen für automatisierte Fertigkeiten (wie z. B. Fahrradfahren) und klassisch konditionierte Assoziationen zwischen Stimuli. Wenn Sie als Kind von einem Hund angegriffen wurden, kann es sein, dass Sie Jahre später automatisch nervös werden, wenn sich ein Hund nähert, ohne sich an die konditionierte Assoziation zu erinnern Ohne bewusste Anstrengung verarbeiten Sie ebenso automatisch Informationen über: Raum: Während Sie dieses Lehrbuch lesen, enkodieren Sie oft die Stelle auf der Seite, auf der ein be-
-
stimmter Lernstoff erwähnt wird; später, wenn Sie damit ringen, die Informationen aus dem Gedächtnis abzurufen, können Sie möglicherweise die Textstelle visualisieren. Zeit: Während Sie Ihren Tag durchleben, merken Sie sich unabsichtlich die Abfolge der darin stattfindenden Ereignisse. Später, wenn Sie feststellen, dass Sie Ihren Mantel irgendwo vergessen haben, versetzt Sie die Ereignissequenz, die Ihr Gehirn automatisch enkodiert hat, in die Lage, Ihre einzelnen Schritte zurückzuverfolgen. Häufigkeit: Mühelos verfolgen Sie, wie oft bestimmte Dinge geschehen, wie wenn Ihnen z. B. bewusst wird: „Das ist schon das dritte Mal, dass ich ihr heute über den Weg laufe.“
-
Unser zweigleisiger Verstand hat sich eine beeindruckend effiziente Informationsverarbeitung zum Ziel gesetzt. Während auf dem einen Pfad automatisch viele Routinedetails zur Seite geschafft werden, besteht auf dem anderen freie Bahn, um sich auf bewusste, angestrengte Verarbeitung zu konzentrieren. Mentale Fähigkeiten wie Sehen, Denken und sich Erinnern scheinen einzelne Fähigkeiten zu sein, sie sind es aber nicht. Vielmehr teilen wir Informationen in verschiedene Komponenten auf, um sie getrennt und gleichzeitig zu verarbeiten.
Bewusste Verarbeitung und explizites Gedächtnis Automatische Verarbeitung funktioniert so mühelos. Wenn Sie Wörter in Ihrer Muttersprache sehen, wie etwa eine Aufschrift seitlich auf einem Lastwagen, dann können Sie gar nicht anders, als sie zu lesen und ihre Bedeutung zu registrieren. Das Lesenlernen war dagegen nicht automatisch. Vielleicht erinnern Sie sich daran, wie sehr Sie sich abmühten, Buchstaben herauszupicken und mit bestimmten Lauten zu verbinden. Aber mit Erfahrung und Übung wurde Ihr Lesen automatisiert. Stellen Sie sich jetzt vor, Sie müssten umgedrehte Sätze wie den folgenden lesen lernen: .nedrew hcsitamotua nnak gnutiebrareV etssuweB Zunächst ist dazu Anstrengung erforderlich. Aber mit einiger Übung können auch solche Aufgaben fast gänzlich automatisch ausgeführt werden. Wir entwickeln viele unserer Fertigkeiten auf diese Weise: Autofahren, Texte schreiben und eine neue Sprache sprechen. zz Sensorisches Gedächtnis ?? 9.5 Wie funktioniert das sensorische Gedächtnis?
Das sensorische Gedächtnis (erinnern Sie sich an . Abb. 9.5) versorgt unser aktives Arbeitsgedächtnis. Es nimmt kurzzeitige Bilder von Szenen oder Echos von Geräuschen auf. Wie viel von dieser Seite könnten Sie wahrnehmen und reproduzieren, wenn Sie sie kürzer
9
362
9
Kapitel 9 • Gedächtnis
als einen Lichtblitz sehen würden? In einem Experiment betrachteten Versuchsteilnehmende 3 Reihen mit je 3 Buchstaben für nur ein Zwanzigstel einer Sekunde (. Abb. 9.6). Nachdem die 9 Buchstaben verschwunden waren, konnten die Teilnehmenden nur etwa die Hälfte davon wiedergeben. Hatten die Versuchspersonen nicht genug Zeit, einen Blick darauf zu werfen? Nein, denn sie konnten tatsächlich alle Buchstaben sehen und sich an sie erinnern, allerdings nur kurzzeitig. Statt die Teilnehmenden zu bitten, sich an alle 9 Buchstaben auf einmal zu erinnern, ließ der Forscher George Sperling unmittelbar nach dem Aufleuchten der Buchstaben einen hohen, mittleren oder tiefen Ton erklingen. Dieser Ton leitete die Teilnehmer:innen an, jeweils nur die Buchstaben der oberen, mittleren oder unteren Reihe zu reproduzieren. Nun entging ihnen kaum ein Buchstabe. So konnte nachgewiesen werden, dass alle 9 Buchstaben kurzzeitig auf Abruf bereitstehen. Sperlings Experiment zeigte, dass wir über ein ikonisches Gedächtnis verfügen, ein flüchtiges sensorisches Gedächtnis für visuelle Stimuli. Für einige wenige Zehntelsekunden registrieren unsere Augen eine fotografische oder bildhafte Erinnerung an eine Szene, und wir können uns an jede Einzelheit mit erstaunlicher Genauigkeit erinnern. Doch bei einer Verzögerung des Tonsignals um mehr als eine halbe Sekunde verschwand das Bild und damit die Erinnerung daran. Unser visueller Bildschirm wird sehr schnell wieder grau, sodass neue Bilder die alten überlagern können. Ikonisches Gedächtnis („iconic memory“) – kurzzeitiges
sensorisches Gedächtnis für visuelle Eindrücke, ähnlich wie eine Momentaufnahme oder ein Bild, das nur wenige Zehntelsekunden lang erinnert werden kann. Wir haben auch ein einwandfreies, obwohl fast ebenso flüchtiges sensorisches Gedächtnis für auditive Reize, das Echogedächtnis (Cowan, 1988; Lu et al., 1992). Stellen Sie sich vor, Sie sitzen im Unterricht, und Sie werden durch eine Textnachricht abgelenkt. Wenn Ihr leicht verärgerter Dozent Sie dann testet und fragt: „Was habe ich gerade gesagt?“, können Sie die letzten paar Wörter aus der Echokammer Ihres Gedächtnisses wieder hervorholen. Auditive Echos scheinen drei oder vier Sekunden lang in der Luft zu schweben. Echogedächtnis („echoic memory“) – kurzzeitiges senso-
risches Gedächtnis für auditive Reize; wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt ist, können Wörter oder Geräusche noch in einem Zeitfenster von drei oder vier Sekunden erinnert werden. zz Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses ?? 9.6 Wie groß ist die Kapazität unseres Kurzzeitge-
dächtnisses?
..Abb. 9.6 Ikonisches Gedächtnis. Als George Sperling (1960) eine Buchstabengruppe (ähnlich der hier abgebildeten) ein Zwanzigstel einer Sekunde lang aufblitzen ließ, konnten die Versuchsteilnehmenden nur etwa die Hälfte der Buchstaben reproduzieren. Wurden sie jedoch mit einem Signal aufgefordert, sich an eine bestimmte Zeile zu erinnern, sofort nachdem die Buchstaben verschwunden waren, schafften sie die Aufgabe fast perfekt
Erinnern Sie sich, dass es beim Kurzzeitgedächtnis darum geht, was wir nur kurz behalten können. Der damit verbundene Begriff des Arbeitsgedächtnisses umfasst auch unsere aktive Verarbeitung, da unser Gehirn eingehenden Informationen einen Sinn gibt und sie mit gespeicherten Erinnerungen verknüpft. Wo liegen die Grenzen für das, was wir in dieser mittleren, kurzzeitigen Phase behalten können? George Miller (1956) ging davon aus, dass das Kurzzeitgedächtnis etwa 7 Informationseinheiten (± 2) behalten kann. Millers magische Zahl 7 ist der Beitrag der Psychologie zur Liste magischer 7er – die 7 Weltwunder, die 7 Weltmeere, die 7 Todsünden, die 7 Farben des Regenbogens, die 7 Noten der Tonleiter, die 7 Tage der Woche – 7 magische 7er. Andere Forschende haben bestätigt, dass wir, wenn wir nicht abgelenkt werden, ungefähr 7 Ziffern reproduzieren können. Doch die Zahl variiert je nach Aufgabe, wir können uns gewöhnlich ungefähr 6 Buchstaben, aber nur etwa 5 Wörter merken (Baddeley et al., 1975; Cowan, 2015). Und wie schnell verschwinden unsere Kurzzeiterinnerungen? Um diese Frage zu beantworten, baten Lloyd und Margaret Peterson (1959) Versuchspersonen, sich Buchstabengruppen aus 3 Konsonanten (z. B. CHJ) zu merken. Um Übungseffekte auszuschließen, forderten sie die Teilnehmer:innen z. B. auf, laut in Dreierschritten von 100 an rückwärts zu zählen. Nach drei Sekunden erinnerten sich die Teilnehmer:innen nur noch an die Hälfte der Buchstaben, nach 12 Sekunden gab es kaum noch eine Erinnerung (. Abb. 9.7). Ohne die aktive Verarbeitung, die wir heute als Teil des Konzepts des Arbeitsgedächtnisses
363
9.1 • Erinnerungen erforschen und enkodieren
Prozentsatz derer, die die Konsonanten erinnerten
% 90 80 70 60
Ohne Übung/ Wiederholung rascher Zerfall
50 40 30 20 10 0
3
6
9
12
15
18
Zeit in Sekunden zwischen Darbietung der Konsonanten und Aufforderung, sie zu reproduzieren (Kein Üben/Wiederholen gestattet) ..Abb. 9.7 Zerfall der Kurzzeiterinnerung. Verbale Information kann schnell vergessen werden, wenn sie nicht wiederholt oder geübt wird. (Aus Peterson & Peterson, 1959; s. auch Brown, 1958)
verstehen, haben Kurzzeiterinnerungen nur eine begrenzte Lebensdauer. >>Nach Millers Tod 2012 erinnerte sich seine Tochter an
seinen schönsten Moment beim Golf: „Er machte das einzige Hole-in-One seines Lebens im Alter von 77 Jahren, auf dem siebten Grün … mit einem Siebener Eisen. Er liebte so etwas.“ (nach Vitello, 2012)
Die Kapazität des Arbeitsgedächtnisses variiert in Abhängigkeit vom Alter und anderen Faktoren. Im Vergleich zu Kindern und älteren Erwachsenen haben jüngere Erwachsene eine größere Arbeitsgedächtniskapazität. Eine große Kapazität des Arbeitsgedächtnisses – die Fähigkeit, während der Verarbeitung von Informationen mit mehreren Elementen zu jonglieren, unterstützt die Fähigkeit, Informationen nach dem Schlafen zu speichern und kreative Problemlösungen zu finden (De Dreu et al., 2012; Fenn & Hambrick, 2012; Wiley & Jarosz, 2012). Doch egal wie alt wir sind, leisten wir bessere und effizientere Arbeit, wenn wir konzentriert sind, und zwar, möglichst ohne Ablenkungen, auf eine Aufgabe nach der anderen. Soll heißen: Es ist wahrscheinlich eine schlechte Idee, zur gleichen Zeit zu versuchen, fernzusehen, Ihren Freund:innen zu mailen und nebenbei noch eine psychologische Arbeit zu schreiben (Willingham, 2010)! Anders als die Kapazität des Kurzzeitgedächtnisses scheint diejenige des Arbeitsgedächtnisses das Intelligenzniveau zu reflektieren (Cowan, 2008; Shelton et al., 2010). Stellen Sie sich vor, Sie sehen einen Buchstaben des Alphabets, anschließend eine einfache Frage, dann einen weiteren Buchstaben, gefolgt von einer erneuten Frage, und
..Abb. 9.8 Chunking-Effekte. Wenn wir Informationen in Form von Einheiten mit Bedeutung wie Buchstaben, Wörter oder Sätze organisieren, können wir sie leichter abrufen. (Aus Hintzman 1978, mit freundlicher Genehmigung)
so weiter. Diejenigen, die in solchen Experimenten mit den meisten mentalen Bällen jonglieren konnten – indem sie die meisten Buchstaben trotz der Unterbrechungen erinnern konnten –, zeigten im alltäglichen Leben hohe Intelligenz und die Fähigkeit, ihre Konzentration beizubehalten (Kane et al., 2007; Unsworth & Engle, 2007). Wenn sie zu einer Rückmeldung zu verschiedenen Zeitpunkten angehalten wurden, berichteten sie viel seltener als andere, dass ihre Gedanken abschweiften. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wo liegt der Unterschied zwischen automatischer und bewusster Verarbeitung, und welche Beispiele gibt es für die jeweilige Verarbeitungsart? – Auf welcher der drei Stufen im Modell von Atkinson und Shiffrin würden sich ikonische und echoische Erinnerungen ereignen?
zz Bewusste Verarbeitungsstrategien ?? 9.7 Welche bewussten Verarbeitungsstrategien können
uns beim Erinnern an neue Informationen helfen?
Einige bewusste Verarbeitungsstrategien können unsere Fähigkeit, neue Erinnerungen zu bilden, verbessern. Wenn wir eine Erinnerung später wieder abzurufen versuchen, können diese Strategien den Unterschied zwischen Erfolg und Scheitern ausmachen. Chunking Schauen Sie sich ein paar Sekunden lang den ersten Buchstabenblock (Reihe 1) in . Abb. 9.8 an.
Sehen Sie dann wieder weg und versuchen Sie, das Gesehene zu reproduzieren. Es geht nicht, sagen Sie? Aber Buchstabenblock 2 können Sie ganz leicht wiedergeben,
9
364
Kapitel 9 • Gedächtnis
Mnemotechniken Um das Enkodieren längerer Textpas-
sagen und Reden zu erleichtern, entwickelten griechische Gelehrte und Redner in der Antike zudem Mnemotechniken (von griech. mnémē = Gedächtnis). Viele dieser Gedächtnisstützen gebrauchen bildliche Vorstellungskraft, weil wir besonders gut darin sind, uns an mentale Bilder zu erinnern. Wir erinnern uns beispielsweise leichter an konkrete, bildlich vorstellbare Wörter als an abstrakte Begriffe (Akpinar & Berger, 2015). (Welche 3 Wörter der folgenden Reihe – Fahrrad, Nichts, Zigarette, innewohnend, Feuer, Prozess – werden Sie wohl am ehesten reproduzieren können, wenn wir Sie später danach fragen?) Möglicherweise erinnern Sie sich auch noch an den Satz von dem Steine werfenden Randalierer, nicht nur wegen der Bedeutung, die Sie enkodiert haben, sondern auch, weil der Satz ein deutliches Bild bei Ihnen hinterlassen hat.
9
..Abb. 9.9 Ein Beispiel für Chunking – für alle, die Chinesisch lesen können. Nachdem Sie diese Zeichen angeschaut haben, können Sie sie exakt reproduzieren? Wenn ja, dann können Sie Chinesisch lesen
obwohl er nicht weniger komplex ist. Ganz ähnlich geht es Ihnen wahrscheinlich auch mit Block 4 und 6, die Sie sich viel leichter merken können als dieselben Elemente in Block 3 und 5. Wie diese Beispiele zeigen, erlaubt uns das Chunking von Informationen – das Organisieren von Items zu vertrauten, handhabbaren Einheiten –, diese leichter zu behalten. Versuchen Sie, 51 einzelne Zahlen und Buchstaben zu erinnern. Es wäre nahezu unmöglich, wenn sie nicht aus, sagen wir, 9 bedeutungstragenden Chunks zusammengesetzt sind, wie z. B.: „Versuchen Sie, 51 einzelne Zahlen und Buchstaben zu erinnern“. ☺ Chunking („chunking“) – Organisieren einzelner Items
in handhabbare und/oder vertraute Einheiten; geschieht häufig automatisch. Chunking ist etwas so Natürliches, dass wir es als selbstverständlich ansehen. Wenn Sie einigermaßen gut Deutsch verstehen, können Sie die ca. 140 Liniensegmente, aus denen die Wörter in den drei Zeilen von Block 6 in . Abb. 9.8 bestehen, ohne Weiteres perfekt reproduzieren. Jeden, der des Deutschen nicht mächtig ist, würde dies erstaunen. Auf ganz ähnliche Weise verwundert es uns [DM und ND], die wir kein Chinesisch sprechen, immer wieder, wenn Menschen, die Chinesisch beherrschen, nach einem kurzen Blick auf . Abb. 9.9 alle Striche der chinesischen Zeichen wiedergeben können. Selbst der passionierteste Sportfan ist verblüfft, wenn eine Basketballspielerin der Unimannschaft vier Sekunden lang einem Basketballspiel zuschaut und dann die genaue Position aller Personen auf dem Spielfeld angeben kann (Allard & Burnett, 1985). Wir alle erinnern uns dann am besten an Informationen, wenn wir sie in persönlich bedeutsame Zusammenhänge organisieren können.
Mnemotechniken („mnemonics“) – Gedächtnishilfen, ins-
besondere jene Techniken, die eindringliche Bilder und Ordnungsstrukturen nutzen. Gedächtniskünstler:innen haben das Potenzial solcher Systeme erfasst. Die herausragendsten Kandidaten bei den World Memory Championships weisen gewöhnlich keine außergewöhnliche Intelligenz auf, sondern sind eher besonders gut darin, Mnemotechniken zu nutzen (Maguire et al., 2003). Der Wissenschaftsjournalist Joshua Foer war frustriert von seinem mittelmäßigen Gedächtnis und startete einen Versuch, wie er es verbessern konnte. Nach einem Jahr intensiven Trainings gewann er die U.S. Memory Championship, indem er sich einen Stapel von 52 Spielkarten in weniger als zwei Minuten merkte. Wie hat Foer das geschafft? Er verband Erinnerungen an einen vertrauten Ort – das Haus seiner Kindheit – mit aufregenden neuen Details. Jede in beliebiger Reihenfolge präsentierte Karte stimmte dann mit einem klaren Bild in seinem Kopf überein. Als Versuchsperson seines eigenen wilden Gedächtnisexperiments lernte er, dass „man auch von einem kleinen Einblick in die Funktionsweise seines Gehirns profitieren kann, ohne Stapel von Spielkarten auswendig lernen zu müssen,“ (Foer, 2011a, b). Chunking und Mnemotechniken kombiniert können große Erinnerungshilfen bei unvertrautem Material sein. Sollten Sie je den Wunsch verspüren, sich die Namen der Planeten unseres Sonnensystems zu merken, dann denken Sie einfach an den Satz „Mein Vater erklärt mir jeden Samstag unseren Nachthimmel“: Merkur – Venus – Erde – Mars – Jupiter – Saturn – Uranus – Neptun. (Sollten Sie in der Aufzählung Pluto vermissen, bedenken Sie, dass dieser astronomisch nicht mehr zu den Planeten gezählt wird.) Ein anderes Beispiel: Fällt es Ihnen schwer, alle Sparten der deutschen Sozialversicherung ohne Umschweife nennen zu können? Benutzen Sie als „Eselsbrücke“ einfach KURA (Kranken- und Pflegeversicherung, Unfallversicherung, Rentenversicherung und Arbeitslosenversicherung). In diesem Fall bringen wir, so
9.1 • Erinnerungen erforschen und enkodieren
365
wie beim Chunking, Informationen in eine vertrautere Form, indem wir ein spezielles Wort (ein sogenanntes Akronym) aus den Anfangsbuchstaben der Wörter bilden, die wir uns merken wollen. Hierarchien Wenn Menschen Expertise auf einem Gebiet
erwerben, dann verarbeiten sie Informationen nicht nur in Chunks, sondern auch in Hierarchien, die sich aus ein paar relativ weitgefassten Konzepten zusammensetzen, die wiederum in engere Konzepte und Fakten geteilt und unterteilt sind. . Abb. 9.16 zeigt eine Hierarchie unserer automatischen und bewussten Gedächtnisprozesse. Wissen in Hierarchien zu organisieren hilft uns dabei, Informationen effizient wieder abzurufen, wie Gordon Bower und Kolleg:innen (1969) demonstriert haben, indem sie Versuchspersonen Wörter darboten, und zwar entweder in zufälliger Reihenfolge oder nach Kategorien gruppiert. Bei den nach Kategorien gruppierten Wörtern war die Erinnerungsleistung 2- bis 3-mal besser. Solche Ergebnisse zeigen Ihnen, welche Vorteile es hat, Ordnung in Ihren Lernstoff zu bringen – indem Sie dem Kapitelvorspann, den Überschriften und, in diesem Buch, den nummerierten „Prüfen Sie Ihr Wissen“-Fragen sowie den Verständnisfragen (wie Frage 9.8 weiter unten) und dem Kapitelrückblick besondere Aufmerksamkeit zuwenden. Vorlesungsmitschriften und Notizen mit einer Gliederung zu versehen, seinerseits eine Art hierarchischer Organisation, könnte sich ebenfalls als hilfreich erweisen.
..Abb. 9.10 Dinge einprägsam machen. Vorschläge, wie Sie den Testeffekt auf Ihr eigenes Lernen anwenden können, finden Sie in der fünfminütigen Animation: tinyurl.com/HowToRemember
Behaltenserfolge erzielt werden als bei massiertem Lernen oder Üben.
» „Der Verstand vergisst nur langsam etwas, wenn er lange
dafür gebraucht hat, es zu lernen.“ Der römische Philosoph Seneca (4 v. Chr.–65 n. Chr.)
zz Verteilte Übung
Wir behalten Informationen besser, wenn unsere Enkodierung über die Zeit verteilt ist. Experimente haben übereinstimmend die Vorteile dieses Spacing-Effekts nachgewiesen (Cepeda et al., 2006; Soderstrom et al., 2016). Massierte Übung („cramming“) kann schnelles Kurzzeitlernen und Vertrautheitsgefühle hervorrufen. Aber um es im Sinne des frühen Gedächtnisforschers Hermann Ebbinghaus (1885) zu sagen: Wer schnell lernt, vergisst auch schnell. Verteilte Übung führt zu besserer Langzeiterinnerung. Nachdem Sie einen Stoff lange genug studiert haben, um ihn zu beherrschen, wird weiteres Lernen ab diesem Zeitpunkt ineffizient. Da ist es sinnvoller, wenn Sie die zusätzliche Wiederholungszeit später aufbringen – einen Tag später, wenn Sie etwas von da an 10 Tage lang erinnern wollen, oder einen Monat später, wenn Sie es 6 Monate lang behalten wollen (Cepeda et al., 2008). Der Spacing-Effekt ist eine der zuverlässigsten Erkenntnisse der Psychologie. Er lässt sich auch für motorische Fähigkeiten und die Leistung bei Online-Spielen nachweisen (Stafford & Dewar, 2014). Der Gedächtnisforscher Henry Roediger (2013) bringt es auf den Punkt: „Hunderte von Studien haben gezeigt, dass verteilte Übung zu nachhaltigerem Lernen führt.“ Spacing-Effekt („spacing effect“) – Tendenz, dass durch
zeitlich verteiltes Lernen oder Üben bessere langfristige
Eine effektive Möglichkeit für verteilte Übung ist wiederholte Selbsttestung, ein Phänomen, das die Forscher Henry Roediger und Jeffrey Karpicke (2006) den Testeffekt nannten. Testen ist mehr als das Bewerten von Lernen und Erinnerung: Es verbessert sie (Brown et al., 2014; Pan et al., 2015; Trumbo et al., 2016). Testen schützt unser Gedächtnis auch vor den schädlichen Auswirkungen von Stress, der normalerweise den Abruf von Erinnerungen negativ beeinflusst (Smith et al., 2016). In diesem Buch bieten die Fragen unter „Prüfen Sie Ihr Wissen“ und die Kapitelrückblicke mit den Fragen zu „Master the Material“ die Gelegenheit, Lernen und Gedächtnis zu verbessern. Es ist besser, das Abrufen zu üben (wie es Ihnen jede Klausur abverlangen wird) als die Lehrinhalte bloß nochmal zu lesen (was Sie leicht zu einem falschen Gefühl von Sicherheit verführen könnte; . Abb. 9.10). Roediger (2013) erklärt: „Studierende berichten häufig, dass sie zwei Techniken zum Lernen verwenden – das Markieren (oder Unterstreichen) von Text und das erneute Lesen von Text. Dies hat sich als ineffektiv erwiesen.“ Doch zum Glück sind „Übungen zum Abrufen (oder Testen) von Wissen eine erfolgreiche allgemeine Lernstrategie“. Wie ein anderer Gedächtnisexperte erklärte, wird „was wir abrufen, besser abrufbar“ (Bjork, 2011). Kein Wunder, dass tägliches Abfragen die Leistungen von Psychologie-Studierenden
9
366
Kapitel 9 • Gedächtnis
im Einführungskurs verbessert (Batsell et al., 2017; Pennebaker et al., 2013). Testeffekt („testing effect“) – verbesserte Gedächtnisleis-
tung, nachdem Informationen reproduziert und nicht bloß nochmal gelesen wurden; manchmal auch als „retrieval practice effect“ oder „test-enhanced learning“ bezeichnet. Fazit: Zeitlich verteiltes Studieren und Selbstabfragen sind massierter Übung und wiederholtem Lesen überlegen. Übung macht zwar nicht den Meister, aber geschicktes Üben – gelegentliches Wiederholen mit Selbsttests – sorgt für bleibende Erinnerungen.
zz Material mit persönlicher Bedeutung ausstatten
zz Ebenen der Informationsverarbeitung
Neue Informationen, die weder Bedeutung noch einen Bezug zu unserer Erfahrung haben, verarbeiten wir oft nur mit Schwierigkeiten. Stellen Sie sich vor, Sie würden gebeten, sich folgende auf Band aufgenommene Textpassage einzuprägen:
?? 9.8 Welche Informationsverarbeitungsebenen gibt es
» Die Prozedur ist eigentlich ganz einfach. Zunächst ord-
und wie beeinflussen sie die Enkodierung?
9
Welche Art von Verarbeitung könnte Sie wahrscheinlich am besten darauf vorbereiten, die Wörter zu einem späteren Zeitpunkt wiederzuerkennen? Bei dem Experiment von Craik und Tulving ergab die dritte Frage (das tiefere, semantische Enkodieren) deutlich bessere Erinnerungsleistungen als die eher oberflächliche Verarbeitung, die durch Frage 2 und vor allem durch Frage 1 (die besonders ineffizient war) angeregt wurde.
Gedächtnisforscher:innen haben herausgefunden, dass wir verbale Informationen auf unterschiedlichen Ebenen verarbeiten und dass die Tiefe der Verarbeitung unsere Langzeiterinnerung beeinflusst. Oberflächliche Verarbeitung enkodiert Informationen auf einer elementaren Ebene, wie z. B. die Buchstaben eines Wortes oder, auf einer dazwischenliegenden Ebene, den Klang eines Wortes. Dabei kann es passieren, dass wir seit tippen, wenn wir seid meinen, war, wenn wir wahr meinen, und viel, wenn wir fiel meinen. Tiefe Verarbeitung enkodiert Informationen semantisch, basierend auf der Bedeutung von Wörtern. Je tiefer (bedeutungsvoller) die Verarbeitung ist, desto besser ist unsere Behaltensleistung. Oberflächliche Verarbeitung – Enkodierung auf einer sehr einfachen Stufe, die auf der Struktur oder dem Erscheinungsbild von Wörtern basiert. Tiefe Verarbeitung – semantische Enkodierung, die auf der Bedeutung von Worten beruht; erzielt im Durchschnitt die beste Behaltensleistung.
In einem klassischen Experiment ließen Fergus Craik und Endel Tulving (1975) vor den Augen von Versuchspersonen Wörter kurz aufblitzen. Dann stellten sie den Personen eine Frage, die verschiedene Ebenen der Verarbeitung anregen sollte. Um selbst ein Gefühl von dieser Aufgabe zu bekommen, antworten Sie rasch auf die Fragen in . Tab. 9.1 mit Ja oder Nein.
nen Sie die Dinge in verschiedene Gruppen. Natürlich kann, je nachdem, wie viel es zu tun gibt, ein Haufen genügen. … Nachdem der Vorgang abgeschlossen ist, ordnen Sie die Dinge wieder in verschiedene Gruppen. Anschließend können sie an dem für sie vorgesehenen Ort abgelegt werden. Nach einiger Zeit werden sie dann wieder verwendet, und der ganze Zyklus beginnt von vorne. Aber das ist ein Teil des Lebens.
Wenn manche Studierende den Textabschnitt, den Sie eben gelesen haben, ohne sinnvollen Kontext hörten, erinnerten sie sich später nur an wenig (Bransford & Johnson, 1972). Wenn anderen aber mitgeteilt wurde, dass es bei diesem Text ums Wäschewaschen ging (etwas, das dem Text eine Bedeutung gab), erinnerten sie sich an sehr viel mehr – Ihnen ginge es wahrscheinlich nach nochmaligem Lesen ähnlich. Können Sie den Satz über den Randalierer vom Anfang dieses Kapitels noch einmal wiederholen? („Der wütende Randalierer warf …“) Vielleicht erinnern Sie sich an den Satz wie die Versuchsteilnehmer im Experiment von William Brewer (1977) aufgrund der Bedeutung, die Sie beim Lesen enkodiert haben (z. B. „Der wütende Randalierer warf den Stein durch das Fenster.“), und nicht aufgrund des tatsächlichen Wortlauts („Der wütende Randalierer warf den Stein gegen das Fenster.“). Mit Blick auf solche mentalen Fehlleistungen verglichen Forschende unser Denken mit einem Theaterintendanten, dem ein Manuskript in die Hand gedrückt wird und der vor seinem geistigen Auge sofort die fertige Bühnenproduktion sieht
..Tab. 9.1 Beispielfragen zur Auslösung verschiedener Stufen von Verarbeitung. (Nach Craik & Tulving, 1975) Gezeigtes Wort
Ja
Nein
Am oberflächlichsten: Ist das Wort in Großbuchstaben geschrieben?
STUHL
___
___
Oberflächlich: Reimt sich das Wort auf „Zug“?
klug
___
___
Tief: Würde das Wort in folgenden Satz passen? Das Mädchen legte die ___ auf den Tisch.
Puppe
___
___
367
9.1 • Erinnerungen erforschen und enkodieren
(Bower & Morrow, 1990). Wenn wir später gefragt werden, was wir gehört oder gelesen haben, erinnern wir uns nicht an den wörtlichen Text, sondern an das, was wir enkodiert haben. Beim Lernen für eine Prüfung erinnern Sie sich möglicherweise besser an Ihre eigenen Mitschriften aus der Vorlesung als an die Vorlesung selbst. Wir können einige dieser Fehler vermeiden, indem wir das, was wir sehen und hören, in bedeutungsvollen Begriffen reformulieren. Aufgrund seiner Selbsttests kam Ebbinghaus zu dem Schluss, dass im Vergleich zum Lernen von sinnlosem das Erlernen von sinnvollem Stoff ein Zehntel der Anstrengung erforderte. Oder wie es der Gedächtnisforscher Wayne Wickelgren (1977, S. 346) ausdrückte: „Die Zeit, die Sie mit Nachdenken über das, was Sie lesen, und damit zubringen, es mit dem früher gespeicherten Material in Beziehung zu setzen, ist praktisch das Nützlichste, was Sie für das Lernen von neuen Themen tun können.“ Das Psychologin- und Schauspieler-Paar Helga und Tony Noice (2006) hat dargestellt, wie Schauspieler:innen der mühseligen Aufgabe, „all diese Zeilen“ zu lernen, Bedeutung verleihen. Es gelingt ihnen, indem sie zuerst ein Verständnis für den Bedeutungsfluss entwickeln: „Ein Schauspieler unterteilte einen halbseitigen Dialog in drei [Absichten]: ‚ihm schmeicheln‘, ‚ihn aus der Reserve locken‘, und ‚seine Bedenken zerstreuen‘.“ Mit dieser sinnvollen Sequenz im Hinterkopf konnte er sich die Verse leichter behalten. Die meisten Menschen können sich besonders gut an Informationen erinnern, die für sie persönlich relevant sind. Wenn wir gefragt werden, wie gut bestimmte Adjektive einen anderen Menschen beschreiben, vergessen wir diese Adjektive oft wieder. Werden wir hingegen gefragt, wie gut diese Adjektive zu uns selbst passen, erinnern wir uns später an sie. Dieses Phänomen, das Selbstbezugseffekt genannt wird, tritt besonders stark bei Mitgliedern individualistischer westlicher Kulturen auf (Symons & Johnson, 1997; Wagar & Cohen, 2003). Im Gegensatz dazu neigen Mitglieder kollektivistischer östlicher Kulturen dazu, sich an Informationen gleich gut zu erinnern, unabhängig davon, ob sie für sie persönlich oder für die Familie wichtig sind (Sparks et al., 2016). Jetzt dürfte Ihnen klar sein, warum sich manche Menschen an Informationen erinnern, die als „für mich persönlich wichtig“ eingeschätzt werden, während andere sich auch an Informationen erinnern, die für „meine Familie“ wichtig sind. Fazit: Die Menge des Erinnerten hängt sowohl von der Zeit ab, die man mit dem Lernen verbringt, als auch davon, dass wir den Inhalten Bedeutung verleihen und sie damit tiefer verarbeiten. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Strategien sind für das langfristige Behalten geeigneter: Material massiert üben und nochmal lesen oder das Lernen über die Zeit verteilen und sich wiederholt selbst testen?
– Verarbeiten Sie Lerninhalte beim Versuch, ihnen eine persönliche Bedeutung zu geben, auf einer oberflächlichen oder tieferen Ebene? Welche Ebene führt zur besseren Behaltensleistung?
9.1.3
Rückblick: Erinnerungen erforschen und enkodieren
Verständnisfragen
9.1 – Was versteht man unter Gedächtnis, und wie wird
es gemessen? 9.2 – Wie beschreiben Psycholog:innen das menschliche
Gedächtnissystem? 9.3 – Wie lassen sich explizite und implizite Erinnerungen unterscheiden? 9.4 – Welche Informationen verarbeiten wir automatisch? 9.5 – Wie funktioniert das sensorische Gedächtnis? 9.6 – Wie groß ist die Kapazität unseres Kurzzeitgedächtnisses? 9.7 – Welche bewussten Verarbeitungsstrategien können uns beim Erinnern an neue Informationen helfen? 9.8 – Welche Informationsverarbeitungsebenen gibt es und wie beeinflussen sie die Enkodierung?
-------------
Schlüsselbegriffe Abruf oder aktive, freie Reproduktion Abrufen Arbeitsgedächtnis Automatische Verarbeitung Bewusste Verarbeitung Chunking Echogedächtnis Enkodieren Erneutes Lernen Explizites Gedächtnis Gedächtnis Ikonisches Gedächtnis Implizites Gedächtnis Kurzzeitgedächtnis Langzeitgedächtnis Mnemotechniken Oberflächliche Verarbeitung Parallele Prozessverarbeitung Sensorisches Gedächtnis Spacing-Effekt Speichern Testeffekt Tiefe Verarbeitung Wiedererkennen
9
Kapitel 9 • Gedächtnis
368
Master the Material
9
1. Ein Psychologe, der Sie bittet, möglichst viele Gegenstände aufzuschreiben, die Sie ein paar Minuten zuvor gesehen haben, testet Ihre __. 2. Die psychologischen Begriffe für das Aufnehmen, das Behalten und das spätere Abrufen von Informationen lauten ____, ____, und ____. 3. Der Begriff Arbeitsgedächtnis … a. verdeutlicht die Vorstellung des Kurzzeitgedächtnisses, indem es den Akzent auf die aktive Verarbeitung, die in dieser Phase stattfindet, setzt. b. teilt das Kurzzeitgedächtnis in zwei Unterbereiche auf – sensorisches Gedächtnis und ikonisches Gedächtnis. c. unterteilt das Kurzzeitgedächtnis in zwei Arten: implizites und explizites Gedächtnis. d. verdeutlicht die Vorstellung des Kurzzeitgedächtnisses, indem es den Akzent auf Raum, Zeit und Häufigkeit setzt. 4. Das sensorische Gedächtnis kann visuell (____ Gedächtnis) oder auditiv (____ Gedächtnis) sein. 5. Unser Kurzzeitgedächtnis für neue Informationen ist begrenzt auf etwa ____ Items. 6. Gedächtnisstützen, die visuelle Bilder oder andere Hilfen (z. B. Akronyme) einsetzen, werden als ____ bezeichnet. 9.2
Erinnerungen speichern und ablegen
9.2.1
Erinnerungen ablegen
?? 9.9 Wie groß ist die Kapazität des Langzeitgedächt-
nisses? Werden unsere Langzeiterinnerungen an bestimmten Orten verarbeitet und gespeichert?
In Arthur Conan Doyles Roman Eine Studie in Scharlachrot vertritt Sherlock Holmes eine weit verbreitete Theorie über die Kapazität des Gedächtnisses:
» „Ich schätze, das menschliche Gehirn ist ursprünglich so
etwas Ähnliches wie eine kleine leere Dachkammer, die man nach eigener Wahl mit Möbeln einrichten muss. … Man sollte nicht den Irrtum begehen, zu glauben, dieser kleine Raum habe Gummiwände und ließe sich beliebig ausdehnen. Glauben Sie mir: Der Zeitpunkt kommt, wo Sie für jeden weiteren Wissensbrocken, den Sie erwerben, etwas vergessen, was Sie vorher wussten.“
Aber im Gegensatz zu Holmes’ „Gedächtnismodell“ ist unser Gehirn keine Dachkammer, auf der man irgendwann nur noch etwas Neues unterbringen kann, wenn man vorher etwas Altes wegwirft. Unsere Speicherkapazität für Langzeiterinnerungen ist quasi unbegrenzt. Nachdem ein Forschungsteam die neuronalen Verbindungen
des Gehirns untersucht hatte, schätzte es, dass seine Speicherkapazität „sich in derselben Größenordnung wie das World Wide Web bewegt“ (Sejnowski, 2016).
» „Unser Gedächtnis ist flexibel, Erinnerungen lassen
sich überschreiben. Unser Gedächtnis ist wie eine Panoramatafel mit unerschöpflichen Vorräten an Kreide und Wischlappen.“ Elizabeth Loftus und Katherine Ketcham, The Myth of Repressed Memory (1994)
Das Behalten von Informationen
Über meine alternde Schwiegermutter, eine ehemalige Pianistin und Organistin, konnte ich [DM] nur staunen. Im Alter von 88 Jahren war sie blind und konnte keine Noten mehr lesen. Doch kaum saß sie vor einem Tasteninstrument, spielte sie fehlerlos jedes beliebige aus Hunderten von Kirchenliedern, darunter auch solche, an die sie 20 Jahre lang nicht gedacht hatte. Wo hatte ihr Gehirn diese Tausenden von Notensequenzen gespeichert? Gedächtnisforschung und Chirurgie waren eine Zeit lang erstaunt, wie durch die Stimulierung des Gehirns während eines chirurgischen Eingriffs offensichtlich lebhafte Erinnerungen ausgelöst wurden. War dies der Beweis, dass unsere gesamte Vergangenheit – nicht nur gut eingeübte Musik – mit allen Einzelheiten „da drin“ stecke und nur darauf warte, wieder abgespielt zu werden? Bei einer näheren Analyse entpuppten sich diese scheinbaren „Flashbacks“ als erfunden, nicht als lebhafte Erinnerung an längst vergessene Erlebnisse (Loftus & Loftus, 1980). Der Psychologe Karl Lashley (1950) lieferte ferner Belege dafür, dass Erinnerungen nicht an einer einzelnen, spezifischen Stelle lokalisiert sind. Er trainierte Ratten darauf, den Weg durch ein Labyrinth zu finden. Dann schnitt er chirurgisch Teile ihres Kortex heraus und prüfte die Erinnerung der Ratten. Doch ganz gleich, welche feinen Ausschnitte er aus dem Kortex machte, die Ratten hatten immer noch zumindest teilweise eine Erinnerung daran, wie sie durch das Labyrinth laufen mussten. Erinnerungen sind gehirnbasiert, aber das Gehirn verteilt die Komponenten einer Erinnerung über ein Netzwerk von Speicherorten. Diese spezifischen Orte verfügen über einige der Schaltkreise, die an der ursprünglichen Erfahrung beteiligt waren: Einige Gehirnzellen, die feuern, wenn wir etwas erleben, feuern erneut, wenn wir uns daran erinnern (Miller, 2012a; Miller et al., 2013). Fazit: Trotz der riesigen Speicherkapazität des Gehirns speichern wir Informationen nicht so wie Bibliotheken ihre Bücher aufbewahren, an diskreten, genauen Orten. Stattdessen enkodieren und speichern Gehirnnetzwerke die Informationen, die unsere komplexen Erinnerungen ausmachen, und rufen sie wieder ab. Semantisches Gedächtnis („semantic memory“) – expli-
zite Erinnerung an Fakten und Allgemeinwissen; eines unserer zwei bewussten Gedächtnissysteme (das andere ist das episodische Gedächtnis).
9.2 • Erinnerungen speichern und ablegen
369
..Abb. 9.12 Der Held des Hippocampus. Bei den Tieren wäre der Anwärter auf das beste Erinnerungsvermögen ein simples Vogelhirn: der nordamerikanische Kiefernhäher, der im Winter und im Frühjahr bis zu 6000 Verstecke mit Kiefernsamen, die er vorher dort vergraben hat, wieder auffinden kann (Shettleworth, 1993; © Kenneth Whitten/ Design Pics/picture alliance) ..Abb. 9.11 Hippocampus. Explizite Erinnerungen an Fakten und Ereignisse werden im Hippocampus (Bereiche in rot) verarbeitet und zur Speicherung an andere Hirnareale weitergeleitet. (© SciePro/Science Photo Library)
Episodisches Gedächtnis („episodic memory“) – explizite Erinnerung an persönlich erlebte Ereignisse; eines unserer zwei bewussten Gedächtnissysteme (das andere ist das semantische Gedächtnis).
trum des limbischen Systems im Temporallappen, mit einer „Speichern“-Taste für explizite Erinnerungen verglichen werden kann (. Abb. 9.11). Gehirnscans zeigen Aktivität im Hippocampus und in benachbarten Gehirnnetzwerken, wenn Menschen explizite Erinnerungen an Namen, Bilder oder Ereignisse bilden (Squire & Wixted, 2011; Wang et al., 2014). Hippocampus („hippocampus“) – neuronales Zentrum im
zz Das explizite Gedächtnissystem: Frontallappen und Hippocampus
limbischen System, das an der Verarbeitung expliziter (bewusster) Erinnerungen für die endgültige Speicherung von Fakten und Ereignissen beteiligt ist.
?? 9.10 Welche Rolle spielen der Frontallappen und der
Hippocampus beim Speichern von Erinnerungen?
Explizite, bewusste Erinnerungen sind entweder semantisch (Fakten und allgemeines Wissen) oder episodisch (erlebte Ereignisse). Das Netzwerk, das Ihre neuen expliziten Erinnerungen an diese Fakten und Erlebnisse verarbeitet und speichert, umfasst Ihre Frontallappen und den Hippocampus. Wenn Sie die mentale Wiederholung eines vergangenen Erlebnisses in Gang setzen, senden viele Hirnregionen Informationen, die zur Verarbeitung im Arbeitsgedächtnis bestimmt sind, an die Frontallappen (de Chastelaine et al., 2016; Michalka et al., 2015). Die linke und die rechte Hälfte des Frontallappens verarbeiten dabei jeweils verschiedene Arten von Erinnerungen. Sich an ein Passwort zu erinnern und es im Arbeitsgedächtnis festzuhalten würde z. B. den linken Frontallappen aktivieren. Sich eine visuelle Partyszene vorzustellen, würde eher den rechten Frontallappen aktivieren. Kognitive Neurowissenschaftler:innen haben herausgefunden, dass der Hippocampus, ein neuronales Zen-
Läsionen dieser Struktur unterbrechen deshalb die Bildung und den Wiederabruf expliziter Erinnerungen. Wenn man Meisen und andere Vogelarten den Hippocampus durchtrennt, werden sie weiterhin Hunderte von Vorratsplätzen für Futter anlegen, aber später nicht mehr in der Lage sein, sie wiederzufinden (Kamil & Cheng, 2001; Sherry & Vaccarino, 1989; . Abb. 9.12). Mit Schäden des linken Hippocampus haben Menschen Schwierigkeiten, verbale Informationen zu erinnern, doch haben sie keine Probleme mit der Erinnerung an visuelle Strukturen oder an Orte. Bei einer Verletzung des rechten Hippocampus liegt genau das umgekehrte Problem vor (Schacter, 1996; . Abb. 9.13). Unterregionen des Hippocampus erfüllen ebenso verschiedene Funktionen. Ein Teil ist dann aktiv, wenn Menschen und Mäuse soziale Informationen lernen (Okuyama et al., 2016; Zeineh et al., 2003). Ein anderer Teil ist aktiv, wenn Gedächtniskünstler:innen räumliche Mnemotechniken verwenden (Maguire et al., 2003a). Bei einem Londoner Taxifahrer wird das hintere Areal, das räumliche Erinnerungen verarbeitet, größer, je länger
9
370
Kapitel 9 • Gedächtnis
zz Das implizite Gedächtnissystem: Zerebellum und Basalganglien ?? 9.11 Welche Rolle spielen das Zerebellum und die
Basalganglien bei unseren Gedächtnisprozessen?
..Abb. 9.13 (Mark Parisi/offthemark.com)
9
er durch das komplizierte Straßennetz fährt (Woolett & Maguire, 2011). Erinnerungen bleiben nicht permanent im Hippocampus gespeichert. Stattdessen scheint diese Struktur als eine Art Ladestation zu fungieren, in der das Gehirn die Elemente einer erinnerten Episode registriert und zeitweise speichert: die damit verbundenen Gerüche, Empfindungen, Geräusche und den Ort. Doch später kommen die Erinnerungen – so ähnlich wie ältere Ordner in den Keller gebracht werden – zur Speicherung an eine andere Stelle. Dieser Speicherprozess wird als Gedächtniskonsolidierung bezeichnet. Wenn man einer Ratte drei Stunden, nachdem sie das Versteck von appetitlicher neuer Nahrung gelernt hat, den Hippocampus entfernt, unterbricht das diesen Vorgang und verhindert die Bildung von Langzeiterinnerungen; die gleiche Operation 48 Stunden später hat keinen solchen Effekt (Tse et al., 2007). Schlafen fördert die Konsolidierung des Gedächtnisses. Denn im Tiefschlaf verarbeitet der Hippocampus Erinnerungen für den späteren Wiederabruf. Je größer nach einer Trainingserfahrung die Effizienz der Herzfrequenz und die Aktivität des Hippocampus während des Schlafs ist, desto besser ist am nächsten Tag die Erinnerung daran (Peigneux et al., 2004; Whitehurst et al., 2016). Forschende konnten beobachten, dass der Hippocampus und der Kortex simultane Aktivitätsrhythmen während des Schlafs zeigen, als führten sie einen Dialog (Euston et al., 2007; Mehta, 2007). Man vermutet, dass das Gehirn die Erlebnisse des Tages wieder abspielt, während es sie für das langfristige Behalten in den Kortex überführt (Squire & Zola-Morgan, 1991). Wenn wir unser Lernen über Tage verteilen statt massiertem Üben an einem einzigen Tag, werden wir beim Schlafen eine bessere Gedächtniskonsolidierung erzielen. Und so erklärt sich auch der Spacing-Effekt.
Ihr Hippocampus und die Frontallappen sind Verarbeitungsorte für Ihre expliziten Erinnerungen. Doch selbst wenn Sie diese Areale verlieren würden, könnten Sie dennoch, dank automatischer Verarbeitung, implizite Erinnerungen an Fertigkeiten und konditionierte Assoziationen speichern. Joseph LeDoux (1996) erzählte die Geschichte über eine Patientin mit einer Hirnverletzung, deren Amnesie bewirkte, dass sie ihren Arzt nicht erkannte, der ihr tagtäglich die Hand schüttelte und sich vorstellte. Eines Tages zog sie ihre Hand hastig zurück, denn der Arzt hatte sie mit einer Reißzwecke gepiekst, die in seiner Handfläche verborgen war. Als er sich beim nächsten Besuch wieder vorstellen wollte, weigerte sie sich, seine Hand zu ergreifen, konnte allerdings nicht erklären, warum. Nach dieser klassischen Konditionierung konnte sie seine Hand einfach nicht mehr schütteln. Implizit empfand sie etwas, was sie nicht erklären konnte. Das Zerebellum oder Kleinhirn spielt eine Schlüsselrolle bei der Bildung und Speicherung impliziter Erinnerungen, die durch klassische Konditionierung geschaffen wurden. Menschen mit einer Verletzung des Zerebellums sind außerstande, bestimmte konditionierte Reflexe zu entwickeln, wie etwa einen Ton mit einem bevorstehenden Luftstoß zu assoziieren und somit in Vorwegnahme des Luftstoßes zu blinzeln (Daum & Schugens, 1996; Green & Woodruff-Pak, 2000). Zur Bildung einer impliziten Erinnerung ist das Zerebellum erforderlich. Die Basalganglien, tiefliegende Hirnstrukturen, die an motorischen Bewegungen beteiligt sind, fördern die Bildung unserer prozeduralen Erinnerungen an Fertigkeiten (Mishkin, 1982; Mishkin et al., 1997). Die Basalganglien erhalten Eingaben aus dem Kortex, aber erwidern diesen Gefallen nicht durch Rücksendung von Informationen zum Kortex, um bewusste Wahrnehmung von prozeduralem Lernen zu ermöglichen. Wenn Sie gelernt haben, Fahrrad zu fahren, danken Sie Ihren Basalganglien. Unser implizites Gedächtnissystem, das uns durch diese älteren Hirnareale ermöglicht wird, kann auch erklären, warum die Reaktionen und Fertigkeiten, die wir in der Kindheit gelernt haben, weit in unsere Zukunft reichen. Doch als Erwachsene erinnern wir uns auf bewusste Weise an fast nichts aus den ersten 3 Lebensjahren, ein Phänomen, das Kindheitsamnesie genannt wird. In einer Studie konnten sich Kinder an Ereignisse, die sie im Alter von 3 Jahren erlebt und mit ihren Müttern besprochen hatten, zu 60 % im Alter von 7 Jahren erinnern, aber nur noch zu 34 % im Alter von 9 Jahren (Bauer et al., 2007). Zwei Einflussfaktoren tragen zur Kindheitsamnesie bei: Erstens speichern wir viele unserer expliziten Erinnerungen aufgrund einer Sprachbeherr-
9
371
9.2 • Erinnerungen speichern und ablegen
schung, über die Kleinkinder noch nicht verfügen, und zweitens ist der Hippocampus erst als eine der letzten Hirnstrukturen voll ausgereift, und je mehr er ausreift, desto mehr wird gespeichert (Akers et al., 2014). Gedächtniskonsolidierung („memory consolidation“)
Hippocampus
Frontallappen
– Die neuronale Speicherung einer Erinnerung in das Langzeitgedächtnis Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Areale des Gehirns sind wichtig für die Verarbeitung von impliziten Erinnerungen, und welche Bereiche spielen eine Schlüsselrolle bei der Verarbeitung expliziter Erinnerungen? – Ein Freund von Ihnen hat nach einem Unfall einen Hirnschaden erlitten. Er kann sich daran erinnern, wie man sich die Schuhe zubindet, hat aber große Schwierigkeiten, sich an irgendetwas zu erinnern, was man ihm in einem Gespräch erzählt. Wie lässt sich mit impliziter versus expliziter Informationsverarbeitung erklären, was hier vor sich geht?
zz Amygdala, Emotionen und Gedächtnis ?? 9.12 Wie beeinflussen Emotionen unsere Verarbeitung
von Erinnerungen?
Unsere Emotionen setzen Stresshormone frei, die die Bildung des Gedächtnisses beeinflussen. Wenn wir erregt oder gestresst sind, führen diese Hormone dazu, dass mehr Energie in Form von Glukose verfügbar ist, um die Hirnaktivität zu beschleunigen; dies signalisiert dem Gehirn, dass etwas Wichtiges geschehen ist. Darüber hinaus schärfen die Stresshormone die Erinnerung. Stress provoziert die Amygdalae (zwei Verarbeitungscluster für Emotionen im limbischen System), eine Gedächtnisspur anzulegen, die die Aktivität der Hirnareale erhöht, die für die Gedächtnisbildung verantwortlich sind (Buchanan, 2007; Kensinger, 2007). Und das Ergebnis? Bestimmte Ereignisse können durch emotionale Erregung dem Gehirn quasi fest eingeprägt werden, während gleichzeitig die Erinnerung an irrelevante Ereignisse unterbrochen wird (Brewin et al., 2007; McGaugh, 2015; . Abb. 9.14). Äußerst belastende Ereignisse rufen manchmal fast unvergessliche Erinnerungen hervor. Nach traumatischen Erlebnissen – ein Amoklauf in der Schule, ein Feuer im Haus, eine Vergewaltigung – können sich lebendige Erinnerungen an das grauenhafte Ereignis immer wieder aufdrängen. Es ist so, als hätten sie sich eingebrannt: „Stärkere emotionale Erfahrungen führen zu stärkeren, zuverlässigeren Erinnerungen“, bemerkte James McGaugh (1994, 2003). Solche Erfahrungen verstärken sogar die Erinnerung an relevante, unmittelbar voran-
Basalganglien
Amygdala
Zerebellum
..Abb. 9.14 Überblick über für das Gedächtnis bedeutsame Gehirnstrukturen. Frontallappen und Hippocampus: Bildung expliziter Erinnerungen. Zerebellum und Basalganglien: Bildung impliziter Erinnerungen. Amygdala: Bildung emotionsbezogener Erinnerungen
gegangene Ereignisse (Dunsmoor et al., 2015: Jobson & Cheraghi, 2016). Dahinter steht eine adaptive Bedeutung: Erinnerungen haben die Aufgabe, die Zukunft vorherzusagen und uns über potenzielle Gefahren zu alarmieren. Emotionale Ereignisse erzeugen einen Tunnelblick im Gedächtnis. Sie fokussieren unsere Aufmerksamkeit und Erinnerung auf Informationen von hoher Priorität und reduzieren unsere Erinnerung an irrelevante Details (Mather & Sutherland, 2012). Was auch immer unsere Aufmerksamkeit fesselt, wird gut abgerufen, auf Kosten des umgebenden Kontexts. Die hormonellen Veränderungen, die durch Emotionen ausgelöst werden, sind eine Erklärung dafür, dass wir uns lange an aufregende Ereignisse, wie unseren ersten Kuss, oder an schockierende Momente erinnern, wie die Umstände, unter denen wir vom Tod eines geliebten Menschen erfahren haben. In einer 2006 durchgeführten Meinungsumfrage gaben 95 % der erwachsenen Amerikaner:innen an, sie könnten sich exakt daran erinnern, wo sie gewesen seien und was sie getan hätten, als sie zum ersten Mal die Nachricht vom Terroranschlag am 11. September hörten. Diese wahrgenommene Klarheit der Erinnerungen an überraschende, einschneidende Ereignisse hat einige Psycholog:innen dazu gebracht, in diesem Fall von „flashbulb memories“ (Blitzlichterinnerungen) zu sprechen. Blitzlichterinnerungen („flashbulb memories“) – sehr
klare Erinnerungen an emotional bedeutsame Momente oder Ereignisse. Die Menschen, die das Erdbeben von San Francisco 1989 miterlebt haben, erinnerten sich 1½ Jahre später perfekt daran, wo sie sich zu diesem Zeitpunkt aufgehalten hatten und womit sie gerade beschäftigt gewesen waren (bestätigt durch die Angaben, die sie 1–2 Tage nach dem Beben auf Band gesprochen hatten). Die Erinnerung an-
372
Kapitel 9 • Gedächtnis
derer Menschen an die Umstände, unter denen sie bloß von dem Beben gehört hatten, enthielt dagegen durchaus Irrtümer (Neisser et al., 1991; Palmer et al., 1991). >>Was ist wichtiger – Ihre Erfahrungen oder Ihre Er-
innerungen an sie?
9
Unsere Blitzlichterinnerungen sind aufgrund ihrer Lebendigkeit und unserem Vertrauen in sie bemerkenswert. Allerdings können uns sogar diese Erinnerungen täuschen, nachdem wir sie wieder durchlebt, wiederholt und mit anderen diskutiert haben. Mit der Zeit schlichen sich einige Fehler in die Erinnerungen der Menschen an den Terroranschlag vom 11. September ein (verglichen mit ihren früheren Berichten, die direkt nach dem 11. September aufgenommen wurden). Meistens jedoch blieben die Erinnerungen der Menschen an dieses Erlebnis über die nächsten 2–3 Jahre hinweg konsistent (Conway et al., 2009; Hirst et al., 2009). Dramatische Erlebnisse bleiben uns in deutlicher Erinnerung, auch weil wir sie uns immer wieder ins Gedächtnis rufen (Hirst & Phelps, 2016). Wir sind gedanklich mit ihnen beschäftigt und beschreiben sie anderen. Erinnerungen an persönlich wichtige Erlebnisse bleiben ebenfalls bestehen (Storm & Jobe, 2012; Talarico & Moore, 2012). Im Vergleich zu Nicht-Katholiken erinnerten sich gläubige Katholiken eher an den Rücktritt von Papst Benedikt XVI. (Curci et al., 2015). Dasselbe gilt für die Erinnerungen von Baseball-Fans an die Meisterschaftsspiele ihrer Mannschaft (Breslin & Safer, 2011). Hatte ihr Team gewonnen, erinnerten sich die Fans gerne an den Sieg und erzählten immer wieder davon, wodurch die Erinnerungen länger anhielten.
Synaptische Veränderungen ?? 9.13 Wie wirken sich Veränderungen auf der Ebene der
Synapsen auf die Verarbeitung von Erinnerungen aus?
Während Sie dieses Kapitel lesen, über die Prozesse des Gedächtnisses nachdenken und etwas lernen, verändert sich Ihr Gehirn. Durch erhöhte Aktivität auf bestimmten Pfaden entstehen und verstärken sich neuronale Zwischenverbindungen. Der Versuch, die physiologische Basis des Gedächtnisses – wie Informationen in Hirnmaterie eingebettet werden – zu verstehen, hat das Studium der synaptischen „Treffpunkte“ angeregt, wo Neuronen durch Boten in Form ihrer Neurotransmitter miteinander kommunizieren. Eric Kandel und James Schwartz (1982) beobachteten synaptische Modifikationen durch Lernvorgänge an den präsynaptischen Neuronen der kalifornischen Meeresschnecke Aplysia, einem sehr unkomplizierten Geschöpf. Sie verfügt nur über etwa 20.000 Nervenzellen, doch diese sind ungewöhnlich groß und leicht zugänglich (. Abb. 9.15). Eine Meeresschnecke kann
..Abb. 9.15 Aplysia. Dieser kalifornischen Meeresschnecke, die der Neurowissenschaftler Eric Kandel 45 Jahre lang studiert hat, verdanken wir wichtige Erkenntnisse über die neuronale Basis von Lernprozessen. (© David Wrobel/OKAPIA/picture-alliance)
(durch Elektroschocks) klassisch darauf konditioniert werden, ihre Kiemen zurückzuziehen, wenn sie mit Wasser bespritzt wird, so wie ein vom Kriegseinsatz traumatisierter Soldat schon beim Knall eines Feuerwerkskörpers hochspringt. Im Verlauf des Lernvorgangs, stellten Kandel und Schwartz fest, schüttet die Schnecke an manchen Synapsen mehr von dem Neurotransmitter Serotonin aus. Dadurch werden diese Synapsen zwischen den Zellen bei der Weiterleitung der Signale effizienter. Erfahrung und Lernen können die Anzahl der Synapsen erhöhen, ja sogar verdoppeln, und dies selbst bei Schnecken (Kandel, 2012). Bei Experimenten mit menschlichen Versuchsteil nehmenden zeigte sich, dass die rasche Stimulierung gewisser Verbindungen in Gedächtnisschaltkreisen zu einer erhöhten Empfindlichkeit führt, die Stunden oder sogar Wochen anhalten kann. Das präsynaptische Neuron braucht nun weniger Anreiz für die Ausschüttung seines Neurotransmitters, und zwischen den Neuronen entstehen mehr Verbindungen (. Abb. 9.16). Diese erhöhte Effizienz des potenziellen Feuerns von Neuronen, Langzeitpotenzierung (LTP, „long-term potentiation“) genannt, stellt die neuronale Grundlage des Lernens und Behaltens von Assoziationen dar (Lynch, 2002; Whitlock et al., 2007). Es liegt Evidenz in mehrfacher Hinsicht vor, dass LTP eine physiologische Basis des Gedächtnisses ist: Medikamente, die eine blockierende Wirkung auf die LTP haben, stören Lernvorgänge (Lynch & Stäubli, 1991). Medikamente, die die Vorgänge beim Lernen nachbilden, erhöhen die LTP (Harward et al., 2016). Wenn man Ratten ein Medikament verabreicht, das die LTP verstärkt, dann lernen sie, den Weg durch ein Labyrinth mit nur halb so vielen Fehlern wie sonst üblich (Service, 1994).
-
9.2 • Erinnerungen speichern und ablegen
a
b ..Abb. 9.16 a,b Verdoppelter Rezeptor. Das Bild eines Elektronenmikroskops zeigt, wie sich vor der Langzeitpotenzierung nur ein Rezeptor (grau) zum aussendenden Neuron hin streckt (a), während es nach der Langzeitpotenzierung (b) zwei Rezeptoren sind. Das bedeutet, dass das postsynaptische Neuron eine stärker ausgeprägte Sensibilität entwickelt hat, um das Vorhandensein der Neurotransmittermoleküle zu entdecken, die vom präsynaptischen Neuron freigesetzt werden können. (Aus Toni et al., 1999, mit freundlicher Genehmigung von Dominique Muller)
Langzeitpotenzierung (LTP; „long-term potentiation“) –
Zunahme des Potenzials einer Synapse, nach einer kurzen, schnellen Stimulierung feuern zu können; eine neuronale Grundlage für Lernen und Gedächtnis ist. Ist es erst einmal zur LTP gekommen, kann auch ein Stromstoß, der durch das Gehirn geleitet wird, alte Erinnerungen nicht auslöschen, wohl aber die vor sehr kurzer Zeit gebildeten Erinnerungen. Das sind jedenfalls die Ergebnisse, die man bei Versuchen mit Labortieren und bei Patient:innen mit schwerer Depression fand, die mit Elektrokrampftherapie (EKT) behandelt wurden. Ein Schlag auf den Kopf kann die gleiche Wirkung haben. Boxer:innen und Footballspieler:innen, die vorübergehend k. o. waren, haben im typischen Fall keine Erinnerung an Ereignisse direkt vor dem K. o. (Yarnell & Lynch, 1970). Den Informationen im Kurzzeitgedächtnis blieb nicht genug Zeit, um im Langzeitgedächtnis konsolidiert zu werden, bevor sie das Bewusstsein für ihre Umgebung verloren.
373
Vor kurzem habe ich [DM] einen kleinen Test zur Gedächtniskonsolidierung durchgeführt. Als ich wegen einer Sehnenruptur, die ich mir beim Basketball zugezogen hatte, auf dem OP-Tisch lag, setzte man mir eine Gesichtsmaske auf, und schon roch ich das Narkosegas. „Wie lange werde ich noch wach sein?“ fragte ich die Anästhesistin. Das letzte, an das ich mich erinnern konnte, war ihre Antwort: „Etwa zehn Sekunden.“ Mein Gehirn verbrachte diese 10 Sekunden damit, ihre Worte im Gedächtnis zu konsolidieren, es konnte aber keine Erinnerung mehr speichern, bevor ich das Bewusstsein verlor. Einige Gedächtnisbiolog:innen haben zur Gründung von Unternehmen beigetragen, die miteinander konkurrieren, um Medikamente zu einer Modifizierung des Gedächtnisses zu entwickeln. Die Zielgruppe für Medikamente, die das Gedächtnis verbessern sollen, sind Millionen von Patient:innen mit der Alzheimer-Krankheit, Millionen von Menschen mit leichten kognitiven Einbußen, die oft eine Vorstufe der Alzheimer-Erkrankung sind, und viele weitere Millionen, die gerne in Bezug auf den altersbedingten Gedächtnisabbau die Uhr zurückdrehen würden. In der Zwischenzeit gibt es bereits ein sicheres und frei erhältliches Mittel zur Verbesserung des Gedächtnisses: mit effektiven Strategien studieren und ausreichend schlafen! Ein Ansatz zur Gedächtnisverbesserung besteht darin, Medikamente zu erzeugen, die die Wirkung des LTP-verstärkenden Neurotransmitters Glutamat erhöhen (Lynch et al., 2011). Ein weiterer Ansatz beinhaltet die Entwicklung von Medikamenten, die die Produktion von CREB antreiben, eines Proteins, das ebenso den Prozess der LTP verstärkt (Fields, 2005). Wenn die CREB-Produktion ansteigt, könnte dies zu einer verstärkten Produktion von anderen Proteinen führen, die ihrerseits dazu beitragen, dass Synapsen eine neue Form annehmen und eine Kurzzeiterinnerung in eine Langzeiterinnerung umgewandelt wird. Manche von uns hoffen vielleicht nach einer traumatischen Erfahrung auf Medikamente, die Erinnerungen blockieren (Adler, 2012; Kearns et al., 2012). In einem Experiment erhielten Opfer von Autounfällen, Vergewaltigungen und anderen Traumata für 10 Tage nach ihrer grauenhaften Erfahrung entweder ein solches Medikament, Propranolol, oder ein Placebo. Bei einem Test 3 Monate später zeigte die Hälfte der Placebogruppe, aber niemand aus der medikamentös behandelten Gruppe Symptome einer Belastungsstörung (Pitman & Delahanty, 2005; Pitman et al., 2002). . Abb. 9.17 fasst das zweigleisige Verarbeitungs- und Speichersystem sowohl impliziter (automatischer) als auch expliziter (bewusster) Erinnerungen noch einmal zusammen. Die Quintessenz: Lerne, und dein Gehirn verändert sich.
9
Kapitel 9 • Gedächtnis
374
Enkodierung
Raum, Zeit, Häufigkeit (wo Sie gestern Abend gegessen haben)
9
Automatisch
Bewusst
Implizites Gedächtnis (Nondeklarativ) Ohne bewusste Erinnerung
Explizites Gedächtnis (Deklarativ) Mit bewusster Erinnerung
Verarbeitung in Kleinhirn und Basalganglien
Verarbeitung in Hippocampus und Frontallappen
Motorische und kognitive Fähigkeiten (Fahrrad fahren)
Klassische Konditionierung (Reaktion auf den Zahnarzt)
Fakten- und allgemeines Wissen (Inhalt dieses Kapitels)
Eigene Erfahrungen (Familienurlaub)
..Abb. 9.17 Unsere beiden Gedächtnissysteme
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welches Gehirnareal antwortet auf Stresshormone, indem es zur Herausbildung von stärkeren Erinnerungen beiträgt? – Erhöhte Effizienz an den Synapsen ist ein Beweis für die neuronale Basis für Lernen und Gedächtnis. Dies nennt man ___.
9.2.2
Erinnerungen abrufen: Abrufhinweise
Nach der Zauberkunst des Enkodierens und Speicherns von Erinnerungen im Gehirn haben wir immer noch die ungeheure Aufgabe vor uns, diese Informationen wieder abzurufen. Was löst das Wiedererinnern aus? ?? 9.14 Wie beeinflussen externe Hinweise, innere Emp-
findungen und die Reihenfolge der Präsentation den Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis?
Stellen Sie sich eine Spinne vor, die in der Mitte ihres Netzes sitzt, gehalten von den vielen Fäden, die von ihr weg in alle Richtungen zu unterschiedlichen Punkten gespannt sind. Wenn Sie einen Weg zu der Spinne verfolgen wollten, müssten Sie zunächst einen Pfad von einem dieser Ankerpunkte auswählen und dann dem Faden folgen, der von diesem Punkt hinein in das Netz führt. Der Vorgang, bei dem wir eine Erinnerung aus dem Gedächtnis abrufen, folgt einem ähnlichen Prinzip. Denn Erinnerungen werden durch ein Netz von Assoziationen
im Speicher gehalten, jede Informationseinheit ist über Zwischenverbindungen mit anderen verbunden. Wenn Sie eine Zielinformation im Gedächtnis enkodieren, wie etwa den Namen der Person, die im Seminarraum neben Ihnen sitzt, assoziieren Sie damit andere Informationseinheiten über die Umgebung, die Stimmung, die Sitzposition und so weiter. Diese anderen Einzelinformationen können als Abrufhinweise dienen, die man später nutzen kann, um Zugang zur Zielinformation zu bekommen. Je mehr Abrufhilfen man hat, desto besser sind die Chancen, dass man einen Weg zu der Erinnerung findet, die im Netz aufgehängt ist. Um sich daran zu erinnern, etwas zu tun (wie morgen eine Nachricht schreiben), ist es eine effektive Strategie, die Handlung gedanklich mit einem Abruf in Verbindung zu bringen (z. B. indem man einen Stift mitten auf den Schreibtisch legt) (Rogers & Milkman, 2016). Die besten Abrufhilfen sind die Assoziationen, die wir zu dem Zeitpunkt bilden, wenn wir eine Erinnerung enkodieren – ein Geschmack, ein Geruch oder ein Anblick, der unsere Erinnerung an eine damit assoziierte Person oder Erfahrung wachrufen kann. Um einen visuellen Abrufreiz beim Versuch der Reproduktion einer Erinnerung zu gebrauchen, können wir uns innerlich in den ursprünglichen Kontext zurückversetzen. Nachdem er sein Augenlicht verloren hatte, beschrieb John Hull (1990, S. 174) seine Schwierigkeiten, sich an solche Details zu erinnern:
» „Ich weiß, ich war irgendwo und habe irgendwas mit
irgendwelchen Leuten gemacht, aber wo war das? Ich konnte die Gespräche … nicht in einen Kontext stellen. Es gab keinen Hintergrund, keine besonderen Merkmale,
375
9.2 • Erinnerungen speichern und ablegen
nichts, wodurch ich den Ort hätte identifizieren können. Normalerweise wird die Erinnerung an die Menschen, mit denen man im Laufe des Tages gesprochen hat, in Rahmenvorstellungen gespeichert, zu denen auch der Hintergrund gehört. Das Gedächtnis ist nicht so etwas wie ein Behälter, der sich allmählich auffüllt; es ist eher so etwas wie ein Baum, an dem Haken wachsen, an denen wiederum die Erinnerungen aufgehängt werden.“ Peter Russell, The Brain Book (1979)
Das Wort »rabbit« sehen oder hören
Aktiviert das Konzept des Vierbeiners mit weichem Fell
zz Priming (Voraktivierung, Bahnung) Bereitet darauf vor, das gesprochene Wort »hare/hair« als »hare« (Hase), nicht als »hair« (Haar) zu buchstabieren
>>Stellen Sie einem Freund ein paar Kreuzfeuerfragen:
a) Wie nennt man die Verbindung zwischen Stecker und Radio? b) Wer in der Bibel wurde von seinem Bruder Kain erschlagen? c) Womit isst man Suppe? Wenn Ihr Freund dann auf die dritte Frage antwortet: „Gabel!“, dann haben Sie den Priming-Effekt demonstriert.
Oft werden unsere Assoziationen aktiviert, ohne dass wir uns dessen bewusst sind. Der Philosoph und Psychologe William James nannte diesen Prozess, den wir als Priming oder Voraktivierung bezeichnen, das „Wecken von Assoziationen“. Es werden Assoziationen mit einem Hasen aktiviert, wenn wir das Wort „Kaninchen“ gesehen oder gehört haben, auch wenn wir uns gar nicht daran erinnern können, „Kaninchen“ gesehen oder gehört zu haben (. Abb. 9.18). Priming (Voraktivierung; „priming“) – häufig unbewusst erfolgende Aktivierung spezieller Assoziationen im Gedächtnis.
Priming ist oft „eine erinnerungslose Erinnerung“ – eine unsichtbare Erinnerung, derer Sie sich nicht bewusst sind. Wenn Sie einen Gang entlang gehen und ein Poster mit einem Kind sehen, das vermisst wird, werden Sie unbewusst dem Prime ausgesetzt, anschließend eine mehrdeutige Interaktion zwischen einem Erwachsenen und einem Kind als mögliche Entführung zu interpretieren (James, 1986). Obwohl Sie sich nicht bewusst an das Poster erinnern, prädisponiert es Ihre Interpretation. Treffen wir jemanden, der uns an eine Person erinnert, der wir schon mal begegnet sind, können unsere mit dieser früheren Person assoziierten Gefühle geweckt und in den neuen Kontext überführt werden (Andersen & Saribay, 2005; Lewicki, 1985). Priming kann auch Verhaltensweisen beeinflussen (Herring et al., 2013). Erwachsene und Kinder, die mit Begriffen und Dingen voraktiviert wurden, die mit Geld assoziiert werden, waren weniger wahrscheinlich bereit, jemand anderem zu helfen, wenn sie darum gebeten wurden (Gasiorowska et al., 2016; Vohs et al., 2006). In solchen Fällen scheint Geld eher unseren Materialismus und unser Eigeninteresse zu aktivieren als die sozialen Normen, die uns zum Helfen ermutigen (Ariely, 2009).
..Abb. 9.18 Priming. Assoziationen aktivieren unbewusst andere, damit zusammenhängende Assoziationen. (Nach Bower, 1986, Copyright 1986, reprinted with permission from Elsevier)
zz Kontextabhängiges Gedächtnis
Haben Sie es bemerkt? Wenn Sie sich in den Kontext zurückversetzen, in dem Sie etwas erlebt haben, kann dies den Abruf aus dem Gedächtnis als Prime beeinflussen. Das Erinnern hängt in vieler Hinsicht von unserer Umgebung ab (Palmer, 1989). Wenn Sie Ihr Elternhaus oder das Viertel Ihrer Kindheit besuchen, tauchen alte Erinnerungen auf. Taucher:innen, die eine Liste von Wörtern an zwei verschiedenen Orten (entweder 3 m unter Wasser oder am Strand sitzend) gehört hatten, erinnerten sich an mehr Wörter, wenn sie später am selben Ort getestet wurden (Godden & Baddeley, 1975). Im Gegensatz dazu kann es verwirrend sein, etwas außerhalb der üblichen Umgebung zu erleben. Ist Ihnen jemals ein ehemaliger Lehrer an einem ungewöhnlichen Ort über den Weg gelaufen, z. B. in einem Geschäft oder Park? Die Person haben Sie vielleicht wiedererkannt, aber Ihnen fiel nicht ein, wer es war und wie Sie sich kennengelernt haben. Das Prinzip der Enkodierungsspezifität hilft uns zu verstehen, wie durch spezifische Hinweise auf ein Ereignis oder eine Person diese Erinnerung am effektivsten abgerufen werden kann. In einer anderen Umgebung haben Sie möglicherweise nicht die Gedächtnisstützen, die für eine schnelle Gesichtserkennung erforderlich sind. Unsere Erinnerungen sind kontextabhängig und werden durch die Hinweise beeinflusst, die wir mit diesem Kontext assoziiert haben. In mehreren Experimenten fand Carolyn Rovee-Collier (1993) heraus, dass ein vertrauter Kontext sogar bei 3 Monate alten Kindern Erinnerungen aktivieren kann. Nachdem die Kinder gelernt hatten, dass sie ein Mobile über eine Verbindungsschnur mit ihrem Knöchel mit einem Fußtritt in Bewegung versetzen konnten, traten
9
376
Kapitel 9 • Gedächtnis
war das ein Gewinn bei der Fußballweltmeisterschaft) –, dann erinnern sie die Welt in rosaroten Farben (DeSteno et al., 2000; Forgas et al., 1984; Schwarz et al., 1987). Sie beurteilen ihr Verhalten im Rückblick als kompetent und erfolgreich, schätzen andere Menschen wohlwollender ein und bewerten Geschehnisse öfter positiv. Prinzip der Enkodierungsspezifität („encoding specificity principle“) – die Idee, dass spezifische Hinweise und Kon-
texte zu einer bestimmten Erinnerung den Abruf dieser Erinnerung besonders effektiv ermöglichen. Stimmungskongruente Erinnerung („mood-congruent memory“) – Tendenz, sich an Erfahrungen zu erinnern,
die mit der aktuellen guten oder schlechten Stimmung übereinstimmen.
9
..Abb. 9.19 (David Sipress/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
sie häufiger zu, wenn sie im selben Kinderbett lagen, als wenn sie in einem fremden Kontext waren. zz Zustandsabhängiges Gedächtnis
Eng verwandt mit dem kontextabhängigen Gedächtnis ist das zustandsabhängige Gedächtnis. Was wir in einem bestimmten Zustand – z. B. betrunken oder nüchtern – lernen, wird manchmal leichter erinnert, wenn wir wieder in diesem Zustand sind. Zwar wird das, was eine Person im Zustand der Betrunkenheit lernt, in keinem Zustand gut reproduziert werden (Alkohol stört den Speichervorgang). Es wird jedoch ein klein wenig besser erinnert, wenn man wieder in diesem Zustand ist. Jemand, der während des Betrunkenseins Geld irgendwo versteckt, kann möglicherweise die Stelle so lange vergessen, bis er wieder betrunken ist (. Abb. 9.19). Auch eine Stimmungslage liefert ein Beispiel für die Zustandsabhängigkeit des Gedächtnisses. Emotionen, die positive oder negative Ereignisse begleiten, werden zu Abrufhinweisen (Gaddy & Ingram, 2014). Demnach sind unsere Erinnerungen in gewisser Weise stimmungskongruent. Wenn man einen schlechten Abend gehabt hat – wenn man bei einer Verabredung versetzt wurde, der Fan-Schal vom Hamburger SV verschwunden ist oder der Fernseher 10 min vor dem Ende eines Spielfilms den Geist aufgegeben hat – kann die betrübte Stimmung die Erinnerung an andere schlechte Zeiten vereinfachen. Wenn man niedergeschlagen ist, sind die Erinnerungen durch einen Prime auf negative Assoziationen belastet, die wir dann wiederum als Erklärung für unsere momentane Stimmung heranziehen. Bringt man Menschen, wie es in vielen Experimenten geschehen ist, in eine überschwängliche Stimmung – sei es durch Hypnose oder schlicht durch die Ereignisse des Tages (in einer Studie mit deutschen Teilnehmer:innen
Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass Ihre Stimmung einen Einfluss darauf ausübt, wie Sie Ihre Eltern wahrnehmen? In einer Studie gaben die Einschätzungen Jugendlicher bezüglich der von ihren Eltern gezeigten Zuneigung aus einer Woche kaum Hinweise darauf, wie ihre Bewertungen 6 Wochen später ausfallen werden (Bornstein et al., 1991). Wenn Teenager niedergeschlagen sind, kommen ihnen die Eltern wie Unmenschen vor; sobald sie wieder etwas aufleben, verwandeln sich die Eltern von Teufeln in Engel. Vielleicht veranlasst Sie das zu einem wissenden Nicken. Und doch, ob gut oder schlecht gelaunt, wir bleiben dabei, der Wirklichkeit unsere eigenen wechselhaften Urteile, Erinnerungen und Interpretationen zuzuschreiben. Sind wir schlecht gelaunt, bewerten wir einen Blick von jemandem als wütendes Anstarren und fühlen uns noch schlechter. Wenn wir jedoch gut gelaunt sind, interpretieren wir den gleichen Blick als Interesse und fühlen uns dagegen besser. Stimmungen verzerren die Wahrnehmung.
» „Wenn ein Gefühl da war, glaubten sie, es würde nie ver-
gehen; war es dann vergangen, meinten sie, es sei nie da gewesen, und wenn es zurückkehrte, glaubten sie, es sei ihnen nie abhandengekommen.“ George MacDonald, What’s Mine’s Mine (1886)
Der Einfluss von Stimmungen auf die Erinnerung erklärt auch, warum unsere jeweilige Stimmung andauert. Wenn Sie glücklich sind, erinnern Sie sich an glückliche Augenblicke und nehmen deshalb die Welt als einen glücklichen Ort wahr, was seinerseits die gute Stimmung verlängert. Sind Sie niedergeschlagen, dann erinnern Sie sich an traurige Vorfälle, was wiederum Ihre Interpretation aktueller Ereignisse überschattet. Für diejenigen von uns, die eine Prädisposition zu depressiven Störungen aufweisen, kann dieser Prozess einen dunklen, unheilvollen Teufelskreis aufrechterhalten. zz Serieller Positionseffekt
Eine weitere Eigenart beim Abrufen von Erinnerungen, der serielle Positionseffekt, der erklärt, warum wir
377
9.2 • Erinnerungen speichern und ablegen
%
Unmittelbare Erinnerung: am besten an die letzten Items
90
Prozentsatz der erinnerten Wörter
80 70 60 50
Spätere Erinnerung: ausschließlich an die ersten Items
40 30 20 10 0
1
2
3
4
5
6 7
8
9 10 11 12
Position der Wörter in der Liste ..Abb. 9.20 Der serielle Positionseffekt. Unmittelbar nachdem Papst Franziskus sich seinen Weg durch die Empfangsreihe der Ehrengäste gebahnt hatte, konnte er sich wahrscheinlich am besten an die Namen
manchmal große Gedächtnislücken haben, wenn wir an eine Serie erst kürzlich eingetretener Ereignisse zurückdenken. Stellen Sie sich vor, es sei der erste Tag auf einer neuen Arbeitsstelle, und Ihre Vorgesetzte stellt Sie dem Team vor. Jedes Mal, wenn Sie auf eine weitere Person treffen, wiederholen Sie im Stillen die Namen aller bisherigen, beginnend mit der ersten Person. Nachdem die letzte Person sich lächelnd vorgestellt hat und zu ihrem Arbeitsplatz zurückgekehrt ist, sind Sie zuversichtlich, Ihre neuen Kollegen am nächsten Tag mit ihrem Namen begrüßen zu können. Serieller Positionseffekt („serial position effect“) – unsere
Tendenz, uns am besten an die ersten (Recency Effekt) und letzten (Primacy Effekt) Items einer Liste zu erinnern. Verlassen Sie sich nicht darauf. Da Sie mehr Zeit damit verbracht haben, die ersten Namen zu wiederholen als die letzten, werden Sie am nächsten Tag wahrscheinlich die ersten Namen leichter aus dem Gedächtnis abrufen. Wenn Personen in Experimenten eine Liste von Items (Wörter, Namen, Daten oder sogar wahrgenommene Gerüche) gegeben wird und sie diese anschließend sofort in beliebiger Reihenfolge wiederholen sollen, werden sie zu Opfern des seriellen Positionseffekts (Reed, 2000). Kurzfristig erinnern sie sich an die letzten Items besonders schnell und gut (sog. Recency-Effekt), wahrscheinlich weil sich diese letzten Items noch im Arbeitsgedächtnis befinden. Aber nach einer Weile, wenn ihre Aufmerksamkeit woanders war, erinnerten sie sich am besten an die ersten Items (sog. Primacy-Effekt, . Abb. 9.20).
der letzten Personen erinnern (Recency-Effekt). Später konnte er sich hingegen wahrscheinlich am besten an die ersten Personen erinnern (Primacy-Effekt). (© ULMER/Pressebildagentur ULMER/picture alliance)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist Priming? – Wenn wir sofort nach dem Lesen einer Wortliste getestet werden, neigen wir dazu, die ersten und letzten Punkte am besten zu reproduzieren, ein Effekt, der als ___ bezeichnet wird.
9.2.3
Rückblick: Erinnerungen speichern und ablegen
Verständnisfragen
9.9 – Wie groß ist die Kapazität des Langzeitgedächt-
nisses und wo ist es lokalisiert? Werden unsere Langzeiterinnerungen an bestimmten Orten verarbeitet und gespeichert? 9.10 – Welche Rolle spielen der Frontallappen und der Hippocampus beim Speichern von Erinnerungen? 9.11 – Welche Rolle spielen das Zerebellum und die Basalganglien bei unseren Gedächtnisprozessen? 9.12 – Wie beeinflussen Emotionen unsere Verarbeitung von Erinnerungen? 9.13 – Wie wirken sich Veränderungen auf der Ebene der Synapsen auf die Verarbeitung von Erinnerungen aus? 9.14 – Wie beeinflussen externe Hinweise, innere Empfindungen und die Reihenfolge der Präsentation den Abruf von Informationen aus dem Gedächtnis?
9
378
Kapitel 9 • Gedächtnis
------
Schlüsselbegriffe Blitzlichterinnerungen Episodisches Gedächtnis Gedächtniskonsolidierung Hippocampus Langzeitpotenzierung (LTP) Priming Prinzip der Enkodierungsspezifizität semantisches Gedächtnis Serieller Positionseffekt Stimmungskongruente Erinnerung
Master the Material
9
1. Der Hippocampus funktioniert vermutlich als … a. temporärer Verarbeitungsort für explizite Erinnerungen. b. temporärer Verarbeitungsort für implizite Erinnerungen. c. permanenter Speicherbereich für emotionsbasierte Erinnerungen. d. permanenter Speicherbereich für ikonische und echoische Erinnerungen. 2. Für Menschen mit einer Schädigung des Hippocampus ist es typisch, dass sie keine neuen Fakten mehr lernen oder sich an jüngste Ereignisse erinnern können. Sie sind jedoch in der Lage, neue Fähigkeiten erlernen, wie z. B. Fahrradfahren, eine ___ (explizite/ implizite) Erinnerung. 3. Die Langzeitpotenzierung (LTP) bezieht sich auf … a. durch Emotionen ausgelöste hormonelle Veränderungen. b. die Rolle des Hippocampus bei der Verarbeitung expliziter Erinnerungen. c. eine Zunahme des Potenzials einer Zelle, feuern zu können. d. das Lernpotenzial des alternden Menschen. 4. Bestimmte Gerüche, visuelle Bilder, Emotionen oder andere Assoziationen, die uns helfen, auf eine Erinnerung zuzugreifen, sind Beispiele für ___. 5. Warum kann es helfen, wenn Sie traurig sind, sich Bilder anzusehen, die einige Ihrer schönsten Erinnerungen wachrufen? 6. Testet man Menschen unmittelbar nach dem Betrachten einer Liste von Wörtern, neigen sie dazu, sich an die ersten und letzten Begriffe leichter zu erinnern als an die in der Mitte. Wenn sie nach einem zeitlichen Abstand erneut getestet werden, erinnern sie sich am ehesten an … a. die ersten Begriffe auf der Liste. b. die ersten und letzten Begriffe auf der Liste. c. ein paar zufällige Begriffe d. die letzten Begriffe auf der Liste.
9.3
Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
9.3.1 Vergessen ?? 9.15 Warum vergessen wir?
» „Amnesie sickert in die Ritzen unseres Gehirns, und
Amnesie heilt.“ Joyce Carol Oates, Words Fail, Memory Blurs, Life Wins (2001)
Bei all dem Beifall für das Gedächtnis, all den Versuchen, es zu verstehen, all den Büchern mit Methoden zur Gedächtnisverbesserung: Wer hätte je das Vergessen gepriesen? William James (1890, S. 680) hat es einmal getan: „Wenn wir uns an alles erinnerten, wären wir meistens genauso übel dran, als wenn wir uns an gar nichts erinnerten.“ Die Ansammlung unnötiger oder überholter Informationen – wo wir gestern das Auto geparkt hatten, unsere alte Telefonnummer, ein im Restaurant bestelltes Essen, das schon lange gekocht und serviert wurde – entsorgen zu können, ist zweifellos ein Segen (Nørby, 2015). Der russische Gedächtniskünstler S., dem wir am Anfang dieses Kapitels begegnet sind, fühlte sich regelrecht verfolgt von seinem Haufen sinnloser Erinnerungen. Sie beherrschten sein Bewusstsein. Er konnte nur mit Schwierigkeiten abstrakt denken – also Inhalte generalisieren, ordnen und evaluieren. Nachdem er eine Geschichte gelesen hatte, konnte er sie rezitieren, jedoch nur mit Mühe ihren eigentlichen Sinn zusammenfassen. Einen aktuelleren Fall, in dem ein Leben durch Erinnerungen quasi überwältigt wird, stellt Jill Price dar, deren Erfahrungen von einem Forschungsteam der University of California zusammen mit Dutzenden anderer Fälle von „weit überlegenem autobiographischem Gedächtnis“ untersucht wurden (McGaugh & LePort, 2014; Parker et al., 2006; . Abb. 9.21). Price vergleicht ihr Gedächtnis mit einem „laufenden Film, der nie anhält. Es ist wie ein geteilter Bildschirm. Ich spreche mit jemandem und sehe noch etwas ganz anderes … immer wenn ich ein Datum im Fernsehen (oder wo auch immer) auftauchen sehe, reise ich automatisch zurück zu diesem Tag und erinnere mich daran, wo ich war, was ich dort tat, auf welchen Tag es fiel und so weiter und so fort. Es hört niemals auf, ist unkontrollierbar und absolut erschöpfend“. Jill und andere Personen wie sie leiden darunter, dass sie von Informationen überwältigt werden, die, wenn sie einmal im Gedächtnis gespeichert sind, nie wieder gelöscht werden (Patihis, 2016). Ein gutes Gedächtnis ist mehr als hilfreich, doch das gilt auch für die Fähigkeit zu vergessen. Wenn eine Pille auf den Markt kommen sollte, mit der wir unser Gedächtnis verbessern können, sollte sie am besten auch nicht zu wirksam sein.
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
379
..Abb. 9.21 Die Frau, die nicht vergessen kann. Jill Price erzählte ihre Geschichte, zusammen mit dem Schriftsteller Bart Davis, in ihren 2008 veröffentlichten Memoiren. Price erinnert sich an jeden Tag ihres Lebens, seit sie 14 war, mit äußerst detaillierter Klarheit, sowohl an die freudigen wie an die unvergessen schmerzhaften Momente. Forscher haben vergrößerte Hirnareale bei Menschen mit Supergedächtnis festgestellt. (© Dan Tuffs/Getty Images)
Häufiger ist allerdings der Fall, dass unser Gedächtnis unberechenbar ist und uns frustriert und entmutigt. Erinnerungen sind launisch. Mein [DMs] eigenes Gedächtnis liefert mir problemlos Erinnerungen an Episoden wie jenen wunderbaren ersten Kuss mit der Frau, die ich liebe, oder so banale Fakten wie die Entfernung von London nach Detroit mit dem Flugzeug. Dann lässt es mich wieder im Stich, wenn ich bemerke, dass ich nicht enkodieren, speichern oder abrufen konnte, wie einer meiner Studenten heißt oder wo ich meine Sonnenbrille hingelegt habe. Testen Sie, wie gut Sie sich an diesen Satz erinnern, wenn wir Sie später danach fragen: Der Fisch griff den Schwimmer an. Wenn wir Informationen verarbeiten, werden die meisten von ihnen gefiltert, verändert oder gehen verloren (. Abb. 9.22). zz Vergessen und der zweigleisige Verstand
Für manche ist dieser Gedächtnisverlust schwerwiegend und permanent. Bedenken Sie den Fall Henry Molaison (oder „H. M.“, wie er bis zu seinem Tod 2008 bekannt war). Chirurgisch entfernte man einen großen Teil seines Hippocampus, um seine schweren Anfälle zu unterbinden. Dies führte zu einer „einschneidenden Abkopplung des verbleibenden Hippocampus“ vom Rest des Gehirns (Annese et al., 2014). Für die 55 Jahre, die ihm verblieben, war Molaison nicht in der Lage, neue bewusste Erinnerungen zu bilden. Wie vor seinem Eingriff war er intelligent und löste täglich Kreuzworträtsel. Doch berichtete die Neurowissenschaftlerin Suzanne Corkin (2005, 2013): „Ich kenne H. M. seit 1962, und er weiß immer noch nicht, wer ich bin.“ Etwa eine halbe Minute lang konnte er etwas im Hinterkopf behalten, genug, um eine Unterhaltung zu führen. Wenn er abgelenkt wurde, verlor er die Erinnerung an das, was gerade
gesagt worden war oder sich ereignet hatte. Da er nicht über das neuronale Netz für die Umwandlung neuer Informationen in das Langzeitgedächtnis verfügte, konnte er nie den aktuellen Präsidenten der Vereinigten Staaten nennen (Ogden, 2012). Molaison litt an anterograder Amnesie – er konnte sich an seine Vergangenheit erinnern, aber keine neuen Erinnerungen bilden (. Abb. 9.23). (Diejenigen, die sich an ihre Vergangenheit – die alten Informationen, die im Langzeitgedächtnis gespeichert sind – nicht mehr erinnern können, leiden an retrograder Amnesie.) Anterograde Amnesie („anterograde amnesia“) – das Unvermögen, neue Erinnerungen zu bilden. Retrograde Amnesie („retrograde amnesia“) – das Unvermögen, Erinnerungen aus der Vergangenheit wieder abzurufen.
Der Neurologe Oliver Sacks (1985, S. 26–27) beschrieb einen anderen Patienten, Jimmie, der eine anterograde Amnesie in Folge eines Hirnschadens aufwies. Jimmie hatte keinerlei Erinnerung an die Zeit nach seiner Verletzung im Jahr 1945, also auch kein Gefühl dafür, dass die Zeit vergeht. Als Jimmie sein Alter mit 19 angab, setzte ihm Sacks einen Spiegel vor und sagte: „Schauen Sie in den Spiegel und sagen Sie mir, was Sie sehen. Ist das ein 19-Jähriger, der Ihnen aus dem Spiegel entgegenblickt?“ Jimmie wurde aschfahl, umklammerte den Stuhl, fluchte und wurde dann panisch: „Was ist hier los? Was ist mit mir passiert? Ist das ein Albtraum? Bin ich verrückt? Ist das ein Witz?“ Als seine Aufmerksamkeit aber auf einige Kinder, die Baseball spielten, gelenkt wurde, hörte seine Panik auf, und der schreckliche Spiegel war vergessen.
9
380
Kapitel 9 • Gedächtnis
Information in Bits Sensorisches Gedächtnis Die Sinne registrieren ein Ereignis im Augenblick des Geschehens überaus detailliert
Arbeits-/Kurzzeitgedächtnis Einige Items werden bewusst wahrgenommen und enkodiert
..Abb. 9.23 (Robert Leighton/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank) Langzeitspeicher Manche Items werden verändert oder gehen verloren
9 Abruf aus dem Langzeitgedächtnis Manche Dinge werden abgerufen, andere hingegen nicht
..Abb. 9.22 Wann vergessen wir? Zum Vergessen kann es in jeder Phase des Erinnerungsprozesses kommen. Bei der Verarbeitung werden viele Informationen gefiltert, verändert oder gehen verloren
Sacks zeigte Jimmie ein Foto aus dem National Geographic. „Was ist das?“, fragte er. „Der Mond“, antwortete Jimmie. „Nein“, erwiderte Sacks. „Es ist ein Foto von der Erde, das vom Mond aus aufgenommen wurde.“ „Sie machen Witze! Dann müsste man doch einen Fotoapparat da raufgebracht haben.“ „Klar.“ „Zum Teufel, was für ein blöder Witz! Wie sollte das denn gehen?“ Jimmies Staunen war das eines cleveren jungen Mannes von vor 60 Jahren, der voller Verwunderung auf seine Reise zurück in die Zukunft reagierte. Testet man Menschen mit dieser seltenen Störung eingehend, zeigen sich noch merkwürdigere Dinge: Obgleich sie sich an neue Fakten oder an etwas, was sie vor Kurzem getan haben, nicht erinnern können, sind Molaison, Jimmie und andere mit ähnlichen Einschränkungen doch imstande, nonverbale Aufgaben zu erlernen. Zeigt man ihnen Bilder mit Figuren, die schwer zu entdecken sind (aus der Buchreihe „Wo ist Walter?“), dann können sie diese später schnell wieder ausmachen. Sie können den Weg ins Badezimmer finden, ohne jedoch angeben zu können, wo es sich befindet. Sie können lernen, Spiegelschrift zu lesen oder ein Puzzle zusammenzusetzen, sogar komplizierte Handgriffe im Rahmen einer Arbeit wurden ihnen schon antrainiert (Schacter, 1992, 1996; Xu & Corkin, 2001). Sie
..Abb. 9.24 (© Robert Mankoff/Search ID: CC28729, Rights Available from CartoonStock.com)
können auch klassisch konditioniert werden. Doch all das tun sie ohne ein Bewusstsein dafür, etwas gelernt zu haben. „Hmm, das ist seltsam“, sagte Molaison, nachdem er bei einem geschickten Spiegelzeichnen einen Beweis für sein nicht deklaratives Gedächtnisses erbrachte. „Ich dachte, das würde schwierig sein. Aber anscheinend habe ich es ganz gut hinbekommen“ (Shapin, 2013). Molaison und Jimmie verloren ihre Fähigkeit zur Bildung neuer expliziter Erinnerungen. Jedoch blieb ihre Fähigkeit zur automatischen Verarbeitung intakt. So wie Alzheimer-Betroffene, deren explizite Erinnerungen an Personen und Ereignisse verschwunden sind, können sie neue implizite Erinnerungen bilden (Lustig & Buckner, 2004). Diese Patient:innen können lernen, wie etwas zu tun ist, aber sie entwickeln keine bewusste Erinnerung daran, dass sie ihre neue Fähigkeit gelernt haben. Solche traurigen Fälle bestätigen, dass wir zwei unterschiedliche Gedächtnissysteme besitzen, die von verschiedenen Teilen des Gehirns kontrolliert werden (. Abb. 9.24). Für die meisten von uns ist das Vergessen ein weniger drastischer Prozess. Lassen Sie uns einige Gründe dafür erörtern, warum wir vergessen.
Äußere Ereignisse
Aufmerksamkeit
Sensorisches Gedächtnis
9
381
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
Enkodierung
Kurzzeitgedächtnis
Langzeitgedächtnis
Gescheiterte Enkodierung bewirkt Vergessen ..Abb. 9.25 Vergessen als Scheitern der Enkodierung. Was nicht enkodiert wurde, das kann auch nicht erinnert werden
zz Scheitern der Enkodierung
Vieles von dem, was auf unsere Sinne trifft, registrieren wir überhaupt nicht, und an das, was wir nicht enkodieren konnten, erinnern wir uns nicht (. Abb. 9.25). Der englische Schriftsteller und Kritiker C. S. Lewis (1967, S. 107) beschrieb das Vergessen als eine Plage, die uns alle heimsucht:
» „Jeder von uns ist davon überzeugt, dass jeder Moment
in [unserem] eigenen Leben vollständig ausgefüllt ist. [Wir werden] in jeder Sekunde geradezu bombardiert von Eindrücken, Emotionen, Gedanken … von denen [wir] neun Zehntel schlicht ignorieren müssen. Die Vergangenheit [ist] ein tosender Wasserfall aus Milliarden über Milliarden solcher Momente: jeder davon zu komplex, ihn in seiner Gänze zu erfassen, eine Zusammenballung jenseits aller Vorstellungskraft … Mit jedem Ticken einer Uhr, an jedem bewohnten Ort der Welt, fällt eine unvorstellbare Fülle und Vielfalt an ‚Geschichte‘ aus der Welt heraus und der totalen Vergessenheit anheim.“
zz Speicherzerfall
Die Effizienz der Enkodierung kann auch vom Alter beeinflusst werden. Die Hirnareale, die sofort anspringen, wenn junge Erwachsene eine neue Information enkodieren, arbeiten bei älteren Erwachsenen deutlich langsamer.
Selbst wenn eine Information gut enkodiert worden ist, wird sie manchmal später vergessen. Um die Dauerhaftigkeit der gespeicherten Erinnerungen zu untersuchen, lernte Ebbinghaus (1885) noch weitere Listen mit sinnlosen Silben auswendig. Beginnend mit 20 Minuten bis hin zu 30 Tagen nach dem Erlernen erfasste er, wie viel er behalten hatte, wenn er jede Liste noch einmal lernte.
% Prozentsatz der nach nochmaligem Lernen erinnerten Silben
..Abb. 9.26 Vergessenskurve nach Ebbinghaus. Ebbinghaus lernte Listen mit sinnlosen Silben wie YOX und JIH auswendig und untersuchte dann, wie viele davon er bis zu 30 Tage später noch behalten hatte. Er fand heraus, dass die Erinnerung an neue Informationen schnell verblasst und dann nur noch unmerklich schwächer wird. (Daten von Ebbinghaus, 1885)
Dieses langsamere Enkodieren erklärt das mit zunehmendem Alter nachlassende Gedächtnis (Grady et al., 1995). Doch ganz unabhängig davon, wie jung wir sind, richten wir unsere Aufmerksamkeit selektiv auf nur wenig aus der überwältigenden Fülle an Anblicken und Lauten, die ununterbrochen auf uns einprasseln. Bedenken Sie: Sie haben das Apple-Logo sicher schon tausende Male gesehen. Können Sie es zeichnen? In einer Studie konnte nur 1 von 85 UCLA-Studierenden (darunter 52 AppleBenutzer:innen) es exakt zeichnen (Blake et al., 2015). Die meisten Menschen haben auch Schwierigkeiten, sich an Details anderer vertrauter Objekte zu erinnern, z. B. an die Münzen ihres Landes (Nickerson & Adams, 1979; Richardson, 1993). Viele potenzielle Erinnerungen können nie entstehen, weil man sich nicht die Mühe macht, sie zu enkodieren.
60 50 40
Behaltensleistung sinkt ab, pendelt sich ein und sinkt deutlich langsamer
30 20 10 0
1 2 3 4 5
10
15
20
25
Verstrichene Zeit (in Tagen) seit Erlernen der Listen
30
Kapitel 9 • Gedächtnis
..Abb. 9.27 Vergessenskurve für in der Schule erlerntes Spanisch. Studierende, die vor 3 Jahren an einem Spanischkurs teilgenommen hatten, erinnerten sich an viel weniger als die, die ihren Kurs gerade beendet hatten (bei einem Vokabeltest des passiven Wortschatzes). Die Studierenden, deren Spanischkurs noch länger zurücklag, hatten jedoch nicht sehr viel mehr vergessen als die, die vor 3 Jahren Spanisch gelernt hatten. (Nach Bahrick, 1984)
% Prozentsatz der Erinnerung des ursprünglich gelernten Vokabulars
382
100 90 80
Behaltensleistung sinkt ab,
70
pendelt sich ein und sinkt deutlich langsamer
60 50 40 30 20 10 0
1 3 5
9½
14½
25
35½
49½
Zeit in Jahren seit Abschluss des Kurses
9
Das Ergebnis, das durch spätere Experimente bestätigt wurde, war seine berühmte Vergessenskurve: Vergessen erfolgt zu Beginn schnell und pendelt sich dann auf einem bestimmten Niveau ein, das mit der Zeit immer langsamer absinkt (. Abb. 9.26; Wixted & Ebbesen, 1991). Harry Bahrick (1984) entdeckte eine ähnliche Vergessenskurve für spanische Vokabeln, die in der Schule gelernt worden waren. Bei einem Vergleich zwischen den Schüler:innen, die gerade einen High-School- oder Collegekurs für Spanisch abgeschlossen hatten, und denjenigen, die die Schule bereits 3 Jahre zuvor verlassen hatten, war Letzteren vieles von dem verloren gegangen, was sie einmal gelernt hatten (. Abb. 9.27). Doch was die Befragten zu diesem Zeitpunkt noch behalten hatten, daran konnten sie sich auch noch 25 Jahre später oder länger erinnern. Ihr Vergessen hatte sich auf gewisse Weise eingependelt. Eine Erklärung für diese Vergessenskurven ist das graduelle Verblassen der physischen Erinnerungsspur. Kognitive Neurowissenschaftler:innen nähern sich dem Mysterium des physiologischen Gedächtnisspeichers auf der Suche nach der Lösung immer weiter an und mehren unser Verständnis davon, wie dieser Gedächtnisspeicher zerfallen könnte. Wie Bücher, die Sie in Ihrer Universitätsbibliothek nicht finden können, können Erinnerungen aus vielen Gründen unzugänglich sein. Manche wurden nie erworben (enkodiert). Andere wurden ausgemustert (gespeicherte Erinnerungen zerfallen). Und andere sind außer Reichweite, da wir sie nicht mehr hervorholen können.
Langzeitgedächtnis gespeichert. Aber manchmal widersetzen sich wichtige Inhalte unseren Versuchen, Zugang zu ihnen zu finden (. Abb. 9.28). Wie frustrierend ist es, wenn uns ein Name auf der Zunge liegt, nur knapp außer Reichweite. Wenn man uns eine Abrufhilfe gibt („es fängt mit einem M an“), können wir eine schwer fassbare Erinnerung leichter abrufen. Abrufprobleme können die Ursache für die gelegentlichen Gedächtnisausfälle älterer Menschen sein, die häufiger die frustrierende Erfahrung des Tip-of-the-Tongue-Phänomens machen (Abrams, 2008; Salthouse & Mandell, 2013). >>Gehörlose, die Gebärdensprache gut beherrschen, er-
leben ein ähnliches Phänomen: Es liegt ihnen nicht auf der Zunge, sondern „auf den Fingerspitzen“ (Thompson et al., 2005).
Erinnern Sie sich an das Wesentliche in dem Satz über den angegriffenen Schwimmer, den wir Ihnen zum Behalten gegeben haben? Falls nicht, ist das Wort „Hai“ ein geeigneter Abrufhinweis? Experimente belegen, dass der Begriff „Hai“ (den Sie wahrscheinlich visualisiert haben) Ihr gespeichertes Bild eher wieder hervorholt als das eigentliche Wort in dem Satz, „Fisch“ (Anderson et al., 1976). (Der Satz lautete: „Der Fisch griff den Schwimmer an.“) Gelegentlich jedoch entstehen Abrufprobleme durch Interferenz und, möglicherweise, durch beabsichtigtes Vergessen (. Abb. 9.29).
zz Scheitern des Abrufs
Interferenz Während Sie immer mehr Informationen
Oft bedeutet Vergessen weniger, dass Erinnerungen gelöscht wurden, sondern eher, dass sie nicht abgerufen werden können. Was für uns von Bedeutung ist oder was wir durch Wiederholungen gelernt haben, wird im
sammeln, füllt sich Ihr mentaler Dachboden zunehmend. Er wird zwar nie ganz vollgestellt sein, doch es wird zweifellos etwas eng. Ihr Gehirn versucht, Ordnung in die Dinge zu bringen: Wenn Sie z. B. ein neues Passwort
383
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
Äußere Ereignisse
Sensorisches Gedächtnis
Aufmerksamkeit
Arbeits-/ Kurzzeitgedächtnis
Enkodierung Langzeitgedächtnis Abrufen Scheitern des Abrufens bewirkt Vergessen
..Abb. 9.28 Scheitern des Abrufens. Zu einer gespeicherten Information gibt es manchmal keinen Zugang, dann wird sie vergessen
verwenden, schwächt das Ihre Erinnerung an konkurrierende alte Passwörter (Wimber et al., 2015). Manchmal jedoch behält das Gerümpel die Oberhand, und neu Gelerntes und alt Gelerntes kollidieren. Proaktive (vorwärts gerichtete) Interferenz (auch proaktive Hemmung) tritt ein, wenn etwas, was Sie früher gelernt haben, die Reproduktion von neuen Informationen unterbricht. Wenn Sie ein neues Zahlenschloss kaufen, kann Ihre wohl bekannte alte Kombination möglicherweise den Abruf der neuen beeinträchtigen. Proaktive Interferenz (auch proaktive Hemmung; „proactive interference“) – vorwärts gerichteter Störeffekt von
früher Gelerntem auf die Reproduktion neuer Informationen. Retroaktive (rückwärts gerichtete) Interferenz (auch retroaktive Hemmung) passiert, wenn neu Gelerntes die Reproduktion von alten Informationen stört. Wenn jemand einen neuen Text zur Melodie eines alten Lieds singt, könnten Sie Schwierigkeiten bekommen, sich an die ursprünglichen Worte zu erinnern. Es ist so, als würde man einen zweiten Stein in einen Teich werfen; er bringt die kreisförmigen Wellen durcheinander, die der erste hervorgerufen hat.
Retroaktive Interferenz (auch retroaktive Hemmung; „retroactive interference“) – rückwärts gerichteter Störeffekt
neu gelernter Informationen auf die Reproduktion alter Informationen. Informationen, die in der Stunde vor dem Einschlafen präsentiert werden, unterliegen weniger retroaktiver Interferenz, denn die Gelegenheiten für interferierende Ereignisse sind stark reduziert (Mercer, 2015). Die Forscher John Jenkins und Karl Dallenbach (1924) entdeckten dies in einem heute klassischen Experiment zuerst. Tag für Tag lernten zwei Versuchspersonen jeweils einige sinnlose Silben auswendig und versuchten, sie bis zu acht Stunden später zu reproduzieren. Der eine Teilnehmer schlief eine Nacht lang, während der andere wach blieb. Wie . Abb. 9.30 zeigt, setzte das Vergessen schneller ein, wenn man wach blieb und mit anderen Aktivitäten beschäftigt war. Das führte die Forscher zu der Vermutung, dass es sich beim „Vergessen weniger um den Zerfall alter Eindrücke und Assoziationen handelt, sondern vielmehr um Interferenz, Hemmung oder Überlagerung des Alten durch Neues“ (S. 612). Die Stunde vor Beginn des Nachtschlafs ist ein guter Zeitpunkt, um dem Gedächtnis Informationen anzuvertrauen (Scullin & McDaniel, 2010), obwohl Informationen, die in den Sekunden kurz vor dem Einschlafen präsentiert werden, selten erinnert werden (Wyatt & Bootzin, 1994). Wenn Sie mit dem Gedanken spielen, während des Schlafs zu lernen, vergessen Sie es. Wir behalten kaum Informationen, die uns laut im Zimmer vorgespielt werden, wenn wir schlafen, auch wenn die Ohren sie registrieren (Wood et al., 1992). Altes und neu Gelerntes wetteifern natürlich nicht immer miteinander. Früher gelernte Informationen (z. B. Latein) erleichtern uns auch oft das Lernen neuer Informationen (z. B. Französisch). Dieser Effekt wird positiver Transfer genannt. Absichtliches Vergessen Sich an die eigene Vergangenheit
..Abb. 9.29 (© Dave Coverly/speedbump.com)
erinnern bedeutet häufig auch, sie zu überarbeiten. Vor ein paar Jahren war die große Keksdose in meiner [DMs] Küche randvoll mit frisch gebackenen Schokoladenplätzchen, und eine weitere Ladung kühlte auf dem Küchentisch ab. 24 Stunden später war kein Krümel mehr davon
9
Kapitel 9 • Gedächtnis
..Abb. 9.30 Retroaktive Interferenz. Versuchspersonen vergaßen mehr, wenn sie wach blieben und anderes neues Material aufnahmen. (Nach Jenkins & Dallenbach, 1924)
% 90 Prozentsatz der erinnerten Silben
384
Ohne interferierende Informationen ist die Reproduktion besser
80 Nach dem Schlaf
70 60 50 40 30 20 10 0
Nach dem Wachbleiben 1
2
3
4
5
6
7
8
Anzahl verstrichene Stunden nach Erlernen der Silben
9
zu finden. Wer hatte die Schokoladenplätzchen geklaut? Nur meine Frau, unsere drei Kinder und ich waren in der Zwischenzeit im Haus gewesen. Deshalb führte ich, solange die Erinnerungen noch frisch waren, einen kleinen Gedächtnistest durch. Andy gab zu, ganze 20 Plätzchen verschlungen zu haben, Peter glaubte, 15 gegessen zu haben, und Laura meinte, ihren damals sechsjährigen Körper ebenso ungefähr mit 15 vollgestopft zu haben. Meine Frau Carol entsann sich, 6 gegessen zu haben, und ich selbst erinnerte mich daran, 15 verzehrt und weitere 18 mit ins Büro genommen zu haben. Beschämt mussten wir also die Verantwortung für 89 Plätzchen übernehmen. Doch hatten wir das Rätsel noch nicht gelöst, denn es waren ursprünglich 160 gewesen. Warum lässt unser Gedächtnis uns im Stich? Zum Teil passiert es, weil das Gedächtnis ein „unzuverlässiger, sich selbst dienender Historiker“ ist (Tavris & Aronson, 2007, S. 6). In einer Studie unterrichteten Forschende einige Versuchspersonen über die Vorteile regelmäßigen Zähneputzens. Diese Teilnehmenden erinnerten sich daraufhin (mehr als andere) daran, ihre Zähne in den vorherigen beiden Wochen regelmäßig geputzt zu haben (Ross et al., 1981). Warum also haben sich meine Familie und ich so sehr darin verschätzt, wie viele Plätzchen wir gegessen hatten? War es ein Problem bei der Enkodierung? (Hatten wir einfach nicht bemerkt, wie viele wir gegessen hatten?) War es ein Problem beim Speichern? (Könnten sich unsere Erinnerungen an die Schokoplätzchen, wie die Erinnerungen von Ebbinghaus an die sinnlosen Silben, genauso schnell in Luft aufgelöst haben wie die Plätzchen selbst?) Oder waren die Informationen noch intakt, aber nicht abrufbar, weil die Erinnerungen zu peinlich gewesen wären?1 1 Einer meiner Plätzchen vertilgenden Söhne gestand Jahre später, nachdem er im Buch seines Vaters darüber gelesen hatte, dass er „ein wenig“ gemogelt hatte.
Sigmund Freud hätte vermutlich argumentiert, dass unser Gedächtnissystem diese Informationen selbst zensiert haben könnte. Er postulierte, dass wir schmerzhafte oder ungewollte Erinnerungen verdrängen, um unser Selbstkonzept zu schützen und unsere Angst zu vermindern. Doch die unterdrückte Erinnerung bleibt, wie er glaubte, erhalten und kann durch einen späteren Hinweisreiz oder während einer Therapie wieder abgerufen werden. Für Freuds Psychologie war Verdrängung ein zentrales Thema, und es bleibt ein weit verbreitetes Konzept. Verdrängung („repression“) – in der psychoanalytischen
Theorie der wichtigste Abwehrmechanismus, mit dessen Hilfe Angst auslösende Gedanken, Gefühle und Erinnerungen aus dem Bewusstsein verbannt werden. Rekonsolidierung („reconsolidation“) – ein Prozess, bei dem zuvor gespeicherte Erinnerungen nach ihrem Abruf potenziell verändert werden, bevor sie wieder gespeichert werden Eine norwegische Studie hat herausgefunden, dass gebildete Menschen mehr dazu tendieren, an verdrängte Erinnerungen zu glauben, als diejenigen mit geringerer Schulbildung (Magnussen et al., 2006). Tatsächlich ergab eine amerikanische Studie, dass 81 % der Universitätsstudierenden und 60–90 % der Therapeut:innen (je nach Sichtweise) glauben, dass „traumatische Erinnerungen oft verdrängt werden“ (Patihis et al., 2014a,b). Doch eine steigende Zahl von Gedächtnisforscher:innen glaubt, dass Verdrängung selten, wenn überhaupt, stattfindet. Menschen gelingt es, unerwünschte neutrale Informationen (den Parkplatz von gestern) zu vergessen, aber es ist schwieriger, emotionale Ereignisse zu vergessen (Payne & Corrigan, 2007). Deshalb können wir ausgerechnet an die traumatischen Erlebnisse, die wir am allermeisten vergessen wollen, eindringliche Erinnerungen haben (. Abb. 9.31).
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
..Abb. 9.31 Haben Menschen eine lebhafte Erinnerung an traumatische Erlebnisse oder verdrängen sie diese? Stellen Sie sich vor, Sie sitzen mehrere Stunden im Flug AT236 von Toronto nach Lissabon. Eine gebrochene Treibstoffleitung beginnt zu lecken. Bald verstummen die Triebwerke, und die primäre elektrische Energie fällt aus. In der unheimlichen Stille instruieren die Piloten Sie und die anderen verängstigten Passagiere, die Schwimmwesten anzulegen und, als sie den Countdown bis zum Aufprall auf den Ozean zu hören, eine Sicherheitsposition einzunehmen. Nach Minuten des Sinkflugs erklärt der Pilot über die Schreie und Gebete der Passagiere hinweg: „Wir stürzen jetzt ins Wasser.“ Der Tod erwartet uns. Aber nein! „Da ist eine Lan-
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Aus welchen drei Gründen vergessen wir, und wie kommt es in jedem dieser Fälle dazu? – Sie werden weniger ___ (proaktive/retroaktive) Störungen erleben, wenn Sie neuen Lernstoff eine Stunde vor dem Einschlafen lernen, als wenn Sie ihn lernen, bevor Sie sich einem anderen Thema zuwenden. – Freud glaubte, dass wir ungewollte Erinnerungen ___, um unsere Angst zu vermindern.
9.3.2
385
debahn! Da ist eine Landebahn! Festhalten! Festhalten! Festhalten!“ Das Flugzeug macht eine harte Landung auf einem Azoren-Flughafen, und der Tod für Sie, die 305 anderen Passagiere und die Crew ist abgewendet. Unter den Passagier:innen, die dachten „Ich werde sterben“, war die Psychologin Margaret McKinnon. Sie nutzte die Gelegenheit und machte 15 ihrer Mitreisenden ausfindig, die bereit waren, ihre Trauma-Erinnerungen testen zu lassen. Haben sie das Erlebnis verdrängt? Im Gegenteil, alle hatten lebhafte, detaillierte Erinnerungen. Bei einem Trauma kommt es nicht zu Verdrängung, sondern viel häufiger zu einer „robusten“ Erinnerung (McKinnon et al., 2015; © Nicolas Economou/NurPhoto/picture alliance)
ten erschließen, erschließen wir unsere Vergangenheit aus den gespeicherten Informationen ergänzt durch das, was wir später gesehen, gehört, erwartet oder uns vorgestellt haben. Wir holen Erinnerungen nicht bloß wieder hervor, wir weben sie neu (. Abb. 9.32). Unsere Erinnerungen sind wie Wikipedia-Seiten, die ständig überarbeitet werden können. Wenn wir eine Erinnerung „erneut Abspielen“, ersetzen wir oft das Original durch eine leicht modifizierte Version, vergleichbar mit der „stillen Post“, bei der eine geflüsterte Nachricht zunehmend verändert
Fehler beim Gedächtnisaufbau
?? 9.16 Wie beeinflussen Fehlinformationen, Imagination
und Quellenamnesie das Gedächtnis und wie stellen wir fest, ob eine Erinnerung wahr oder falsch ist?
Fast zwei Drittel der Amerikaner:innen sind sich einig: „Das menschliche Gedächtnis funktioniert wie eine Videokamera, Die Ereignisse, die wir sehen und hören, werden genau aufzeichnet, sodass wir sie später noch einmal ansehen und überprüfen können“ (Simons & Chabris, 2011). Unsere Erinnerungen sind allerdings nicht so präzise. So wie Wissenschaftler:innen, die das Erscheinungsbild eines Dinosauriers aus dessen Überres-
..Abb. 9.32 (© David Sipress/Search ID: CX903216, Rights Available from CartoonStock.com)
9
386
Kapitel 9 • Gedächtnis
Erinnerungslenkende Frage: »Wie schnell fuhren Ihrer Meinung nach die Autos, als sie aufeinander krachten?«
Bildliche Darstellung des tatsächlichen Unfalls
9
Konstruktion der Erinnerung
..Abb. 9.33 Konstruktion von Erinnerungen. In diesem Experiment sahen Versuchspersonen einen Film über einen Autounfall, dann stellte man einer Versuchsgruppe eine Frage, die sie in eine bestimmte
Richtung lenkte. Daraufhin erschien der Unfall in ihrer Erinnerung schwerwiegender als der, den sie gesehen hatten. (Nach Loftus & Palmer, 1974, Copyright 1974, reprinted with permission from Elsevier)
wird, wenn man sie von einem zum anderen weitergibt (Hardt et al., 2010). (Die Gedächtnisforschung bezeichnt dies als Rekonsolidierung.) Im Prinzip also, meinte Joseph LeDoux (2009), „ist Ihr Gedächtnis nur so gut wie Ihre letzte Erinnerung. Je seltener es gebraucht wird, desto verlässlicher ist es“. Das bedeutet, bis zu einem bestimmten Grad „sind alle Erinnerungen falsch“ (Bernstein & Loftus, 2009b). Obwohl ich das alles weiß, habe ich [DM] kürzlich meine eigene Vergangenheit neu geschrieben. Es geschah auf einer internationalen Konferenz, auf der die Gedächtnisforscherin Elizabeth Loftus (2012) demonstrierte, wie das Gedächtnis funktioniert. Loftus zeigte uns eine Handvoll einzelner Gesichter, die wir später wie bei einer polizeilichen Gegenüberstellung identifizieren sollten. Dann zeigte sie uns paarweise Gesichter, ein Gesicht, das wir zuvor gesehen hatten und eines, das für uns neu war, und bat uns, dasjenige zu identifizieren, das wir gesehen hatten. Ein Paar hatte sie uns jedoch untergeschoben, das aus zwei neuen Gesichtern bestand, eines von ihnen ähnelte jedoch einem Gesicht, das wir zuvor gesehen hatten. Die meisten von uns identifizierten dieses Gesicht verständlicherweise, aber falsch, als ein Gesicht, das wir schon einmal gesehen hatten. Als sie uns dann das ursprüngliche Gesicht und das zuvor gewählte falsche Gesicht zeigte, wählten die meisten von uns als Krönung ihrer Demonstration das falsche Gesicht! Als ein Publikum von Psycholog:innen, die es besser hätten wissen müssen, hatten wir als Folge der Rekonsolidierung unseres Gedächtnisses die ursprüngliche Erinnerung durch eine falsche ersetzt. Klinische Forscher:innen haben mit Gedächtnisrekonsolidierung experimentiert. Menschen erinnerten sich an ein traumatisches oder negatives Erlebnis, dann wurde die Rekonsolidierung dieser Erinnerung mit einem Medikament oder einem kurzen, schmerzlosen Elektroschock unterbrochen (Kroes et al., 2014; Lonergan et al., 2013). Eines Tages könnte es möglich werden, die Erinnerung an ein bestimmtes traumatisches Erlebnis zu löschen – indem man das Gedächtnis reaktiviert und die Speicherung auf
diese Weise unterbricht. Würden Sie sich das wünschen? Wenn Sie brutal überfallen werden, würden Sie es begrüßen, wenn Ihre Erinnerung an den Angriff und die damit verbundenen Ängste gelöscht werden?
Fehlinformationen und Imaginationseffekte Elizabeth Loftus hat in über 200 Experimenten mit mehr als 20.000 Teilnehmenden nachgewiesen, wie Augenzeug:innen nach einem Verbrechen oder einem Unfall ihre Erinnerungen rekonstruieren. In einer großangelegten Studie führte man zwei Gruppen von Teilnehmenden einen Filmausschnitt vor, in dem ein Verkehrsunfall gezeigt wurde, und fragte sie anschließend danach, was sie gesehen hatten (Loftus & Palmer, 1974). Die Teilnehmenden, deren Fragestellung lautete: „Wie schnell fuhren die Autos, als sie aufeinander krachten?“, schätzten die Geschwindigkeit höher ein als die, deren Frage lautete: „Wie schnell fuhren die Autos, als sie zusammenstießen?“ (im Original: „smashed into each other“ versus „hit each other“). Eine Woche später wurden die Teilnehmer gefragt, ob sie sich daran erinnerten, Glassplitter gesehen zu haben. Diejenigen, die die Wörter „aufeinander krachten“ gehört hatten, bejahten die Frage mit mehr als doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit (. Abb. 9.33). Tatsächlich waren im Film keine Glassplitter zu sehen gewesen. In vielen Folgeexperimenten überall auf der Welt wurde den Teilnehmenden ein Vorfall gezeigt, sie erhielten dazu irreführende Informationen bzw. erhielten sie nicht und wurden dann einem Gedächtnistest unterzogen. Das Ergebnis war immer gleich: Es gibt einen Fehlinformationseffekt. Werden wir irreleitenden Informationen ausgesetzt, neigen wir dazu, uns falsch zu erinnern. Ein „Vorfahrt gewähren“-Schild wird zu einem Stoppschild, aus Hämmern werden Schraubenzieher, Coladosen gehen als Erdnussdosen durch, Frühstücksflocken als Eier, und ein Mann auf einer Banknote wird zum US-Präsidenten erklärt (. Abb. 9.34). Dieser Effekt hat ein solches Gewicht, dass er auch spätere Einstellungen und Verhaltensweisen beeinflussen kann (Bernstein & Loftus, 2009a). In einem Experiment
387
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
a
b
..Abb. 9.34 a,b War Alexander Hamilton ein US-Präsident? Manchmal trickst uns unser Verstand aus, sodass wir uns an Daten, Orte und Namen nicht richtig erinnern. Dies geschieht oft, weil wir bereits bekannte Informationen falsch einsetzen. In einer Studie hatten viele Menschen irrtümlich in Erinnerung, Alexander Hamilton sei ein US-
Präsident gewesen. Bekannt ist der amerikanische Gründervater jedoch vielmehr als Hauptfigur eines beliebten Broadway-Musicals und weil sein Gesicht auch auf dem 10-Dollar-Schein abgebildet ist (Roediger & DeSoto, 2016; a: © Evan Agostini/AP Photo/picture alliance; b: © Manfred Neubauer/SZ Photo/picture alliance)
wurde einigen holländischen Studierenden fälschlicherweise suggeriert, dass sie als Kind nach dem Verzehr von verdorbenem Eiersalat krank geworden wären (Geraerts et al., 2008). Nach Verinnerlichung dieser Suggestion war bei ihnen die Wahrscheinlichkeit gesunken, Sandwiches mit Eiersalat zu essen, und zwar sowohl unmittelbar danach als auch noch 4 Monate später.
sächlich stattgefunden. Das andere war ein fiktives Ereignis, in dem es um ein Verbrechen ging; sie sollten z. B. jemanden mit einer Waffe angegriffen haben. Anfänglich erinnerte sich keine:r der anständigen Student:innen daran, das Gesetz gebrochen zu haben. Aber nach wiederholter Befragung gaben 70 % der Studierenden eine detaillierte falsche Erinnerung wieder, nach der sie das Verbrechen begangen hatten (Shaw & Porter, 2015). Fehlinformations- und Imaginationseffekte kommen zum Teil deshalb vor, weil ähnliche Hirnbereiche aktiviert werden, wenn man etwas visualisiert und wenn man tatsächlich etwas wahrnimmt (Gonsalves et al., 2004). Imaginierte Ereignisse wirken im Nachhinein auch vertrauter, und vertraute Dinge erscheinen uns realer. Je lebhafter wir uns etwas vorstellen können, desto eher wird es zu einer unserer Erinnerungen (Loftus, 2001; Porter et al., 2000; . Abb. 9.35). Digital veränderte Fotos lösen ebenfalls eine solche Vorstellungsinflation aus. In einigen Studien manipulierten Forschende Fotos aus Familienalben, sodass darauf Familienmitglieder auf der Fahrt mit einem Heißluftballon zu sehen waren. Nachdem Kinder diese Fotos gesehen hatten (statt solchen, auf denen nur der Ballon zu sehen war), gaben sie mehr falsche Erinnerungen wieder und zeigten auch großes Vertrauen in diese Erinnerungen. Bei einem Interview mehrere Tage später berichteten sie sogar noch weiter ausgearbeitete Einzelheiten ihrer falschen Erinnerungen (Strange et al., 2008; Wade et al., 2002). Ähnlich war es, als den Leser:innen des Slate Magazine im Jahr 2012 ein manipuliertes Foto von einem Handschlag zwischen US-Präsident Barack Obama und dem iranischen Präsidenten Mahmoud Ahmadinejad gezeigt wurde. 26 % erinnerten sich an das Ereignis – obwohl es nie stattgefunden hatte (Frenda et al., 2013).
Fehlinformationseffekt („misinformation effect“) – dieser
Efffekt tritt auf, wenn irreführende Informationen an ein Ereignis in die Erinnerung eingebaut werden. Quellenamnesie („source amnesia“) – die Zuordnung eines erlebten Ereignisses oder von etwas, das man gehört, gelesen oder sich vorgestellt hat, zu einer falschen Quelle (auch Quellen-Fehlattribution genannt). Zusammen mit dem Fehlinformationseffekt ist die Quellenamnesie der Ursprung vieler falscher Erinnerungen. Déjà-vu-Erfahrung („déjà vu“) – der unheimliche Eindruck, etwas schon einmal erlebt zu haben. Hinweisreize aus der aktuellen Situation könnten unbewusst die Erinnerung an eine frühere Situation auslösen.
» „Eine Erinnerung hat keine Substanz. Sie kann über-
lagert werden. Ihre Fotosammlung kann Ihrem Gedächtnis nachhelfen, kann aber auch die Erinnerungen zerstören. … Die einzige Erinnerung, die Ihnen von Ihrer Reise bleibt, ist diese verflixte Ansammlung von Schnappschüssen.“ Annie Dillard, To Fashion a Text (1988)
Selbst die wiederholte Imagination von Handlungen und Vorfällen, die niemals eingetreten sind, kann falsche Erinnerungen heraufbeschwören. Kanadische Studierende wurden in einer Studie gebeten, sich an zwei Ereignisse aus ihrer Kindheit zu erinnern. Eines davon hatte tat-
9
388
9
Kapitel 9 • Gedächtnis
..Abb. 9.35 „Lyin’ Brian“? Oder das Opfer einer falschen Erinnerung? Im Jahr 2015 berichtete Moderator Brian Williams von der NBC Nightly News, wie er in einem Militärhubschrauber flog, als dieser von einer Panzerabwehrrakete getroffen wurde. Das Ereignis ist jedoch nie so passiert, wie er es beschrieben hatte. Die Öffentlichkeit brandmarkte ihn als Lügner, was dazu führte, dass seine Chefs
ihn feuerten. Gedächtnisforscher waren anderer Meinung. „Ich denke, vielen Leuten ist nicht bewusst, in welchem Ausmaß es zu falschen Erinnerungen kommen kann, selbst wenn unser Gedächtnis extrem zuverlässig ist“, bemerkte der Psychologe Christopher Chabris (2015; © Mark Lennihan/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
>>Bei der Beschreibung von Mnemotechniken haben wir
Quellenamnesie
Ihnen sechs Wörter vorgegeben und gesagt, wir würden Sie später darauf testen. Wie viele von diesen Wörtern können Sie jetzt erinnern? Wie viele davon sind sehr bildhafte Wörter? Wie viele sind wenig bildhaft?
In Umfragen an britischen und kanadischen Universitäten hat fast ein Viertel der Studierenden von autobiografischen Erinnerungen berichtet, die sich später für sie als nicht zutreffend herausstellten (Foley, 2015; Mazzoni et al., 2010). Ich [DM] kann dem nur zustimmen. Jahrzehntelang war meine früheste, sehr wertvolle Erinnerung an meine Eltern die, dass sie aus dem Bus stiegen und auf unser Haus zugingen, um meinen kleinen Bruder aus dem Krankenhaus nach Hause zu bringen. Als ich diese Erinnerung als Erwachsener irgendwann mit meinem Vater teilte, versicherte er mir, dass sie ihren neugeborenen Sohn nicht mit einem öffentlichen Verkehrsmittel nach Hause gebracht hatten. Der menschliche Verstand scheint, wie es aussieht, über eine Art eingebaute Bildbearbeitungssoftware zu verfügen. Die Moral von der Geschichte: Glauben Sie nicht alles, an das Sie sich erinnern.
» „Nicht die Anzahl der Dinge, an die ich mich erinnere, ist erstaunlich, sondern die Anzahl der Dinge, die gar nicht so waren, wie ich sie erinnere.“ Mark Twain (1835– 1910)
Was ist der empfindlichste Teil einer Erinnerung? Ihre Quelle. So kann es passieren, dass wir einen Menschen wiedererkennen, jedoch keine Ahnung haben, wo wir ihm schon einmal begegnet sind. Es kommt auch vor, dass wir von einem Erlebnis träumen und später nicht sicher sind, ob es tatsächlich stattgefunden hat. Oder wir erinnern uns falsch daran, wie wir von etwas erfahren haben (Henkel et al., 2000). Zu seiner großen Verblüffung erfuhr der berühmte Entwicklungspsychologe Jean Piaget als Erwachsener, dass eine äußerst lebendige und detailreiche Erinnerung aus seiner Kindheit – an ein Kindermädchen, das seine Entführung vereitelt hatte – völlig falsch war. Offensichtlich hatte er die Erinnerung konstruiert, weil die Geschichte immer wieder erzählt wurde (sein Kindermädchen gestand später, nachdem es einen anderen Glauben angenommen hatte, dass alles frei erfunden war). Indem er seine „Erinnerung“ mehr seiner eigenen Erfahrung als den Geschichten seines Kindermädchens zuschrieb, wies Piaget eine Quellenamnesie (auch Quellen-Fehlattribution genannt) auf. Fehlattributionen bilden die Ursache vieler falscher Erinnerungen. Manchmal sind auch Autor:innen, Songschreiber:innen und Stand-Up-Comedians davon betroffen. Sie halten einen Einfall für das Ergebnis ihrer eigenen kreativen Geistesarbeit, während es sich in Wahrheit um ein unbeabsichtigtes Plagiat von etwas handelt, das sie vorher gelesen oder gehört haben.
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
Berühmte Psycholog:innen und Künstler:innen sind nicht die einzigen, die eine Quellenamnesie erleben. Vorschulkindern wurde ein „Mr. Science“ vorgestellt, der sie für verschiedene Kunststücke begeisterte wie beispielsweise das Aufblasen eines Luftballons mit Hilfe von Backpulver und Essig (Poole & Lindsay, 1995, 2001). Drei Monate später lasen die Eltern den Kindern an drei aufeinander folgenden Tagen eine Geschichte vor, in der Dinge beschrieben wurden, die sie mit Mr. Science erlebt oder nicht erlebt hatten. Als ein anderer Interviewer sie fragte, was Mr. Science ihnen vorgeführt hatte, wie etwa: „Hatte Mr. Science eine Maschine mit Seilen, an denen gezogen werden konnte?“, erinnerten sich vier von zehn Kindern spontan daran, dass Mr. Science Sachen gemacht hatte, die nur in der Geschichte vorgekommen waren. Quellenamnesie kann auch Déjà-vu-Erfahrungen erklären (franz. „déjà vu“ = schon einmal gesehen). Zwei Drittel der Menschen haben schon einmal das flüchtige, aber äußerst eigenartige Erlebnis gehabt, dass sie irgendwann zuvor bereits „genau in dieser Situation“ gewesen sein müssen. Das Schlüsselmerkmal eines Déjà-vu scheint Vertrautheit mit einem Reiz zu sein, ohne eine klare Vorstellung davon zu haben, wo wir ihm bereits begegnet sind (Brown & Marsh, 2009; Cleary, 2008). Normalerweise erleben wir ein Gefühl von Familiarität (aufgrund der Verarbeitungsprozesse im Temporallappen), bevor wir uns bewusst an Details erinnern (aufgrund der Verarbeitung im Hippocampus und Frontallappen). Wenn diese Funktionen (und Hirnregionen) desynchronisiert sind, ist es möglich, dass wir ein Vertrautheitsgefühl ohne bewusste Erinnerung haben. Unser erstaunliches Gehirn versucht, Sinn in diesem so widersprüchlichen Sachverhalt zu sehen, und es entsteht das unheimliche Gefühl, dass wir einen früheren Teil unseres Lebens wieder erleben. Schließlich scheint die Situation bekannt, ohne dass wir angeben könnten, warum. Unsere Quellenamnesie zwingt uns dazu, das Beste zu tun, um einem solchen Moment Sinn zu verleihen.
Unterscheiden von echten und falschen Erinnerungen Aus dem Grund, dass Erinnerungen also gleichermaßen Reproduktion wie Rekonstruktion sind, können wir nicht sicher sein, ob eine Erinnerung real ist, nur weil sie sich so anfühlt. So wie uns eine Wahrnehmungstäuschung als echte Wahrnehmung erscheinen kann, empfinden wir auch eine nicht reale Erinnerung als sehr real. Weil der Fehlinformationseffekt und die Quellenamnesie außerhalb unseres Bewusstseins stattfinden, ist es schwer, falsche Erinnerungen von echten zu trennen (Schooler et al., 1986). Vielleicht können Sie sich daran erinnern, wie Sie einem Freund ein Kindheitserlebnis beschrieben haben und Erinnerungslücken mit logischen Inhalten füllten. Wir alle tun es. Nachdem sie die Geschichte mehrmals erzählt haben, fühlen sich diese erdachten Details – die nun in Ihr Gedächtnis eingeflossen sind – vielleicht so real an, als hätten
389
Sie sie tatsächlich erlebt (Roediger et al., 1993). Falsche Erinnerungen sind wie falsche Diamanten, sie wirken so echt. Falsche Erinnerungen, können sehr hartnäckig sein. Stellen Sie sich bitte vor, wir lesen Ihnen eine Liste mit Wörtern wie „Bonbon“, „Zucker“, „Honig“ und „Geschmack“ vor. Etwas später fordern wir Sie auf, die dargebotenen Wörter auf einer längeren Liste wiederzuerkennen. Wenn Sie so reagieren wie die Versuchsteilnehmer von Henry Roediger und Kathleen McDermott (1995), dann irren Sie sich in 3 von 4 Fällen – Sie erinnern sich fälschlicherweise an ein ähnliches Wort, das nicht vorgelesen wurde, vielleicht das Wort „süß“. Wir erinnern uns leichter an das Wesentliche als an die Wörter selbst. Die Konstruktion von Erinnerung kann uns helfen zu verstehen, warum manche Menschen für Verbrechen ins Gefängnis gingen, die sie nie begangen haben. Von 337 Personen, die später durch DNA-Analysen freigesprochen wurden, waren ursprünglich 71 % aufgrund falscher Identifizierungen durch Augenzeugen verurteilt worden (Innocence Project, 2015; Smalarz & Wells, 2015). Dieses Konzept erklärt, weshalb „hypnotisch aufgefrischte“ Erinnerungen an Verbrechen so häufig Fehler enthalten, von denen einige durchaus von den leitenden Fragen des Hypnotiseurs bzw. der Hypnotiseurin herrühren können („Haben Sie laute Geräusche gehört?“). Es erklärt, warum zwei Menschen, die sich ineinander verliebt haben, ihren ersten Eindruck vom anderen überschätzten („Es war Liebe auf den ersten Blick.“), während Paare, deren Beziehung zerbrach, ihre frühere Liebe eher unterschätzten („Wir haben eigentlich nie richtig zusammengepasst.“) (McFarland & Ross, 1987). Und es erklärt, warum sich Personen auf die Frage, welche Haltung sie vor 10 Jahren gegenüber Marihuana oder bei der Diskussion um Geschlechterrollen einnahmen, an Einstellungen erinnern, die mehr Ähnlichkeit mit ihrer aktuellen Meinung aufweisen als mit derjenigen, die sie ein Jahrzehnt früher wirklich vertreten haben (Markus, 1986). Menschen neigen dazu, sich darauf zu besinnen, dass sie sich schon immer so gefühlt haben, wie sie sich heute fühlen (Mazzoni & Vannucci, 2007). Ein Forschungsteam befragte 73 Jungen im Alter von etwa 15 Jahren und wiederholte die Befragung 35 Jahre später. Als sie sich beim zweiten Mal zu erinnern versuchten, was sie damals über ihre Einstellungen, Aktivitäten und Erfahrungen berichtet hatten, reproduzierten die meisten Teilnehmer Aussagen, deren Übereinstimmung mit Aussagen als Fünfzehnjährige bestenfalls im Zufallsbereich lag. Nur ein Drittel der Männer erinnerte sich als Erwachsene an körperliche Bestrafung in Kindheit und Jugend; als Jugendliche hatten jedoch 82 % davon gesprochen (Offer et al., 2000). George Vaillant (1977, S. 197), der das Leben von Erwachsenen über einen gewissen Zeitraum hinweg verfolgte, merkte einmal an: „Aus einer Raupe wird nur zu gerne ein Schmetterling, der dann behauptet, schon in der Kindheit ein kleiner Schmetterling gewesen zu sein. Der Reifungsprozess macht uns alle zu
9
390
Kapitel 9 • Gedächtnis
Lügnern.“ Fehler beim Gedächtnisaufbau scheinen auch bei vielen „wiedergewonnenen“ Erinnerungen an Kindesmissbrauch am Werk zu sein (. Abb. 9.36).
Das Augenzeugengedächtnis von Kindern ?? 9.18 Wie verlässlich sind Augenzeugenaussagen
jüngerer Kinder?
9
Wenn auch völlig real empfundene Erinnerungen manchmal völlig falsch sein können, wie können dann Richter :innen Urteile sprechen in Fällen, in denen die Erinnerungen von Kindern an sexuellen Missbrauch die einzigen Beweise sind? Stephen Ceci (1993) stellt fest, „dass es verheerend wäre, wenn wir das ungeheure Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an Kindern aus den Augen verlieren würden“. Doch die Studien, die Ceci und Maggie Bruck (1993, 1995) über das Gedächtnis von Kindern durchführten, sensibilisierten sie auch dafür, wie leicht es ist, die Erinnerungen von Kindern zu beeinflussen. Zum Beispiel forderten sie dreijährige Kinder auf, an einer anatomisch korrekten Puppe zu zeigen, wo der Kinderarzt sie angefasst hatte. 55 % der Kinder, deren Genitalien nicht untersucht worden waren, zeigten entweder auf den Genital- oder den Analbereich. ?? 9.19 Warum wurden Berichte über verdrängte und
wieder aufgedeckte Erinnerungen so heftig diskutiert?
In anderen Experimenten untersuchten die Forschenden die Wirkung von suggestiven Fragetechniken (Bruck & Ceci, 1999, 2004). In einem Fall wählte ein Kind aus einem Stapel von Karten, auf denen bestimmte Ereignisse beschrieben waren, eine Karte aus, die ihm dann von einem Erwachsenen vorgelesen wurde. Etwa: „Denk mal gut nach und sag mir, ob dir das schon mal passiert ist. Kannst du dich daran erinnern, dass du mit einer Mausefalle am Finger ins Krankenhaus musstest?“ In Befragungen forderte dann derselbe Erwachsene die Kinder auf, wiederholt über verschiedene tatsächliche und fiktive Ereignisse nachzudenken. Nach 10 Wochen solcher Fragerunden kam ein neuer Erwachsener und stellte den Kindern dieselben Fragen. Das verblüffende Ergebnis: 58 % der Vorschulkinder produzierten falsche (oft lebhafte) Geschichten von einem oder mehreren Ereignissen, die sie nie erlebt hatten (Ceci et al., 1994), wie beispielsweise diese:
» „Mein Bruder Colin wollte mir Blowtorch (eine Spiel-
zeugfigur) wegnehmen. Ich wollte Blowtorch aber nicht loslassen, deshalb schubste er mich in den Holzstapel, in dem die Mausefalle war. Und da kam mein Finger in die Falle. Und dann fuhren wir zum Krankenhaus, meine Mama, mein Papa, Colin und ich, wir fuhren mit unserem Kleinbus zum Krankenhaus, denn das war weit. Und der Doktor hat dann den Finger verbunden.“
Von Geschichten, die so viele Details enthalten, ließen sich auch professionelle, auf die Befragung von Kindern spezialisierte Psycholog:innen täuschen und konnten echte Erinnerungen nicht mit Sicherheit von falschen unterscheiden. Die Kinder selbst konnten es auch nicht. Als man das Kind aus dem obigen Bericht darauf hinwies, dass seine Eltern ihm mehrfach gesagt hatten, diese Mausefallengeschichte sei nie passiert, sondern er habe sie sich ausgedacht, protestierte er: „Aber es ist wirklich passiert. Ich kann mich daran erinnern!“ Diese Art von Fehler tritt leider häufig auf. Bei einer Datenanalyse von über 20.000 Augenzeug:innen identifizierten Kinder regelmäßig unschuldig Verdächtigte als schuldig (Fitzgerald & Price, 2015). „[Die] Forschung bereitet mir Sorgen wegen der Möglichkeiten falscher Anschuldigungen. Man erweist der wissenschaftlichen Integrität keine Ehre, wenn man keine eindeutige Aussage trifft, obwohl die Befunde in eine Richtung deuten“, äußerte sich Ceci (1993). Kinder können jedoch verlässliche Augenzeug:innen sein. Befragte man Kinder in neutralen Worten, die sie verstehen, über ihre Erlebnisse, dann konnten sie oft genau berichten, was geschehen war und wer es getan hatte (Brewin & Andrews, 2016; Goodman, 2006). Wenn die Interviewer:innen weniger suggestive, sondern effektivere Techniken anwandten, gaben selbst Vier- bis Fünfjährige genauere Erinnerungen an (Holliday & Albon, 2004; Pipe et al., 2004). Die Kinder waren dann besonders präzise, wenn vor dem Interview kein Erwachsener mit ihnen gesprochen hatte, der in die Sache involviert war, und wenn sie ihre Aussage in einer ersten Befragung mit einer neutralen Person machen konnten, deren Fragen nicht in eine bestimmte Richtung wiesen. >>Wie Kinder (deren Frontallappenentwicklung noch
nicht ganz abgeschlossen ist) sind ältere Erwachsene – insbesondere diejenigen, deren Frontallappenfunktionen nachlassen – anfälliger für falsche Erinnerungen als junge Erwachsene. Dadurch werden ältere Menschen eher zu Opfern von Betrugsversuchen, z. B. wenn ein Handwerker einen zu hohen Preis verlangt, indem er fälschlicherweise behauptet: „Ich habe Ihnen gesagt, dass es so viel kostet, und Sie waren bereit zu zahlen“ (Jacoby et al., 2005; Jacoby & Rhodes, 2006; Roediger & Geraci, 2007; Roediger & McDaniel, 2007). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wenn man an die Verbreitung von Quellenamnesie denkt, wie sähe unser Leben aus, wenn wir uns an all unsere Erlebnisse im Wachzustand und all unsere Träume erinnern könnten? – Stellen Sie sich vor, Sie wären ein Geschworener bzw. eine Geschworene in einem Prozess gegen ein Elternteil, der aufgrund einer wiedererlangten Erinnerung des sexuellen Missbrauchs beschuldigt wird. Welche Erkenntnisse aus der Gedächtnisforschung sollten Sie den Geschworenen unterbreiten?
391
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
Zwei mögliche Tragödien: 1. Überlebenden von sexuellem Missbrauch in der Kindheit, die ihre Erfahrung öffentlich machen, wird nicht geglaubt.
2. Unschuldige werden fälschlicherweise beschuldigt, weil Therapie „wiedergewonnene“ Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Kindheit weckt:
ıOpfer von sexuellem Missbrauch zeigen häufig Ihre Symptome. Vielleicht wurden Sie missbraucht und haben die Erinnerung daran verdrängt. Mal sehen, ob ich Ihnen helfen kann, die Erinnerung wiederzuerlangen, indem Sie zurückgehen und sich Ihr Trauma vergegenwärtigen.„
Fehlinformationseffekt und Quellenamnesie: Die erwachsene Patientin kann sich ein Bild von der bedrohenden Person machen.
Durch Wiederholung (wiederholte Therapiesitzungen) wird das Bild immer lebendiger.
Die Patientin ist fassungslos, wütend und bereit, den vermeintlichen Täter zu konfrontieren oder zu verklagen.
Wohlmeinende/r Therapeut/in
Die beschuldigte Person ist ebenfalls fassungslos und bestreitet vehement die lange zurückliegende Anschuldigung.
Berufsverbände (einschließlich der American Medical, American Psychological und American Psychiatric Associations) arbeiten daran, eine vernünftige gemeinsame Basis zu schaffen, um den „Gedächtniskrieg“ der Psychologie zu beenden:1 • Sexueller Missbrauch in der Kindheit kommt vor und kann bei
schmerzhafte Erfahrungen und können diese Erfahrungen mit Hilfe
den Opfern zu Symptomen führen, die von sexuellen Funktions-
von therapeutischen Techniken wiedererlangt werden?4 Erinnerun-
störungen bis hin zu Depressionen reichen.2 Es gibt jedoch kein
gen, die auf natürliche Weise auftauchen, sind mit größerer Wahr-
„Überlebenden-Syndrom“, also keine Gruppe von Symp-
scheinlichkeit zutreffend.5
tomen, an denen man die Opfer sexuellen Missbrauchs
• Erinnerungen an Ereignisse vor dem 4. Lebensjahr sind
erkennen kann.3
unzuverlässig. Da unsere Gehirnbahnen noch nicht entwickelt
• Ungerechtigkeit kommt vor. Unschuldige Menschen
sind, kommt es zu infantiler Amnesie. Die meisten Psycholog:innen
wurden fälschlicherweise verurteilt. Und schuldige Menschen haben
zweifeln daher „wiedergewonnene“ Erinnerungen an Missbrauch
sich einer Strafe entzogen, indem sie die wahren Aussagen ihrer
in der Kindheit an.6 Je älter ein Kind war, als es sexuell missbraucht
Anklagenden fraglich erscheinen ließen.
wurde, und je schwerer der Missbrauch war, desto wahrschein-
• Vergessen kommt vor. Kinder, die sehr jung waren, als sie
licher ist es, dass es sich daran erinnert.7
missbraucht wurden, haben die Bedeutung des Erlebten möglicher-
• Unter Hypnose „wiedergewonnene“ Erinnerungen sind
weise nicht verstanden oder können sich nicht daran erinnern. Das
besonders unzuverlässig.
Vergessen lang zurückliegender guter und schlechter Ereignisse ist ein
• Sowohl echte als auch falsche Erinnerungen können emotional
normaler Bestandteil des Lebens.
aufwühlend sein. Was aus einer bloßen Suggestion geboren wurde,
• Wiedererlangte Erinnerungen sind weit verbreitet. Bemerkungen
kann wie ein tatsächliches Ereignis zu einer schmerzhaften Erinnerung
oder Erlebnisse können Auslöser dafür sein, das wir angenehme oder
werden, die körperlichen Stress verursacht.8
unangenehme Erinnerungen an längst vergessene Ereignisse wiedererlangen. Aber verdrängt das Unterbewusstsein zwangsweise
Psychologen stellen in Frage, ob Verdrängung überhaupt stattfindet. (In Kapitel 15 erfahren Sie mehr über dieses Konzept, den Eckpfeiler der Freud'schen Theorie, der auch in der Populärpsychologie weit verbreitet ist.)
Traumatische Erlebnisse (Zeuge des Mordes an einem nahestehenden Menschen zu sein, von einem Entführer oder Vergewaltiger terrorisiert zu werden, bei einer Naturkatastrophe alles zu verlieren)
FÜHREN IN DER REGEL ZU
lebhaften, anhaltenden, quälenden Erinnerungen 9
Die Royal College of Psychiatrists Working Group on Reported Recovered Memories of Child Sexual Abuse rät:
„Wenn Erinnerungen nach langen Zeiträumen der Amnesie 'wiedererlangt' werden, insbesondere wenn außergewöhnliche Mittel eingesetzt wurden, um die Wiedererlangung der Erinnerung sicherzustellen, besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass die Erinnerungen falsch sind.“ 10
1 Patihis
et al., 2014a. 2 Freyd et al., 2007. 3 Kendall-Tackett et al., 1993. 4 McNally & Geraerts, 2009. 5 Geraerts et al., 2007. et al., 2000; Knapp & VandeCreek, 2000. 7 Goodman et al., 2003. 8 McNally, 2003, 2007. 9 Porter & Peace, 2007. 10 Brandon et al., 1998.
6 Gore-Felton
..Abb. 9.36 Kritisch nachdenken über: Können Erinnerungen an sexuellen Missbrauch in der Kindheit verdrängt und dann wiederhergestellt werden?
9
392
Kapitel 9 • Gedächtnis
9.3.3 Gedächtnistraining ?? 9.19 Wie können Sie die Erkenntnisse der Gedächt-
nisforschung nutzen, um im Studium bessere Leistungen zu zeigen?
Wie die Biologie der Medizin nützt und die Botanik der Landwirtschaft, so kann auch die Gedächtnisforschung bei Bildung und Lernen von Nutzen sein. Hier zur leichteren Verwendung zusammengefasst, finden Sie einige forschungsbasierte Vorschläge, wie Sie sich besser an Informationen erinnern können, sobald es erforderlich ist. Die in 7 Kap. 1 vorgestellte Lerntechnik mit dem Kürzel SQ3R (Survey, Question, Read, Retrieve, Review) – also Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen, abrufen und nochmal durchdenken – beinhaltet mehrere dieser Strategien.
9
Wiederholtes innerliches Nachsprechen verankert den Lernstoff besser. Um den Lernstoff zu beherrschen, denken
Sie an den Spacing-Effekt und wenden Sie verteilte Übung an, um neue Inhalte zu lernen. Lernen Sie ein Konzept in vielen separaten Lektionen. Nutzen Sie dazu die kleinen Intervalle, die das Leben Ihnen bietet: eine Fahrt mit dem Bus, einen Gang über das Universitätsgelände oder die Wartezeit bis zur nächsten Vorlesung. Neue Erinnerungen sind schwach: Wenn Sie sie einüben, werden Sie sie festigen. Um bestimmte Fakten oder Persönlichkeiten zu behalten, hat die Forschung gezeigt: „Sprechen Sie den Namen oder die Zahl, die Sie sich merken wollen, innerlich nach, warten Sie ein paar Sekunden und wiederholen Sie es; warten Sie etwas länger, und wiederholen Sie es noch einmal; warten Sie dann noch länger und wiederholen Sie es erneut. Sie sollten so lange wie möglich warten, ohne dass die Information verlorengeht“ (Landauer, 2001). Das Lesen von komplexem Material ohne ausreichendes inneres Nachsprechen führt zu geringer Behaltensleistung. Wiederholen und kritisches Nachdenken sind eher hilfreich. Wie der Testeffekt gezeigt hat, zahlt es sich aus, aktiv zu lernen.
..Abb. 9.37 Denken und Gedächtnis. Die besten Behaltenseffekte erzielt man, wenn man aktiv beim Lesen nachdenkt, wenn man wiederholt, die Gedanken zueinander in Bezug setzt und die Lerninhalte mit einer persönlichen Bedeutung füllt. (© damircudic/Getty Images/ iStock)
Frage hängenbleiben, wenn diese nicht in den gleichen Worten formuliert ist, an die Sie sich erinnern können. Aktivieren Sie Abrufhilfen. Denken Sie daran, wie wichtig
kontextabhängiges und zustandsabhängiges Gedächtnis sind. Versetzen Sie sich mental in die Situation und Ihre Stimmung zu dem Zeitpunkt zurück, als Sie den Lernstoff durchgearbeitet haben. Betreiben Sie Gehirnjogging, indem Sie jeden Gedanken zum Auslöser für einen weiteren werden lassen. Benutzen Sie Mnemotechniken. Erfinden Sie eine Ge-
schichte, in der die Items auf bildhafte Weise lebendig werden. Verwenden Sie Chunks aus Akronymen und rhythmische Reime („Wer nämlich mit h schreibt, ist dämlich“). Vermeiden Sie proaktive und retroaktive Interferenz. Lernen Sie vor dem Zubettgehen. Versuchen Sie sich nicht direkt nacheinander an zwei Themenbereichen, die leicht miteinander interferieren könnten, wie etwa spanische und französische Vokabeln.
Verleihen Sie dem Gelernten eine Bedeutung. Um ein As-
soziationsnetz aus Hinweisreizen aufzubauen, sollten Sie Notizen in Ihren eigenen Worten anfertigen und dann diese Reize erhöhen, indem sie so viele Assoziationen wie möglich bilden. Wenden Sie die Konzepte auf Ihr eigenes Leben an. Entwickeln Sie Bilder. Durchdringen Sie die Informationen und betten Sie sie in eine Organisationsstruktur ein. Stellen Sie einen Bezug zu bereits Gelerntem oder zu Ihren eigenen Erfahrungen her (. Abb. 9.37). William James (1890) hat vorgeschlagen: „Verknüpfen Sie alles Neue mit etwas von dem, was Sie bereits erworben haben.“ Bloßes Wiederholen der Worte eines anderen versorgt Sie nicht mit vielen Abrufhinweisen. Es könnte dazu führen, dass Sie in einer Klausur an einer
Schlafen Sie mehr. Im Schlaf organisiert Ihr Gehirn In-
formationen neu und konsolidiert sie für die Aufnahme ins Langzeitgedächtnis. Schlafmangel unterbricht diesen Vorgang (Freda et al., 2014; Lo et al., 2016). Schon zehn Minuten Ausruhen verbessern die Erinnerung an das Gelesene (Dewar et al., 2012). Nach einer anstrengenden Lernphase sollten Sie sich also ein paar Minuten hinsetzen oder hinlegen, bevor Sie das nächste Thema angehen. Testen Sie Ihr Wissen erstens, um es zu wiederholen, und zweitens, um herauszufinden, was Sie noch nicht wissen. Der
Testeffekt ist real, und er ist wirkungsvoll. Lassen Sie sich nicht durch übermäßiges Vertrauen in Ihre Fähigkeit, In-
9.3 • Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
formationen wiederzuerkennen, täuschen. Überprüfen Sie, woran Sie sich erinnern, lieber mit Hilfe der „Prüfen Sie Ihr Wissen“-Fragen, die Sie in jedem Kapitel verteilt finden, und den Antworten zu den Verständnisfragen und den „Master the Material“-Fragen auf der Website zum Buch. Fassen Sie Abschnitte auf einem leeren Blatt Papier zusammen. Versuchen Sie, die Fachbegriffe und Konzepte, die am Ende eines Kapitels aufgeführt sind, kurz zu definieren, ehe Sie zum Text zurückgehen und die Definition nachlesen. Machen Sie praktische Tests; eine gute Referenz dafür sind die Online-Quellen und die Lernhilfen, die viele Bücher begleiten – auch das, das Sie gerade lesen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Gedächtnisstrategien wurden Ihnen im gerade gelesenen Abschnitt empfohlen?
9.3.4
Rückblick: Vergessen, Gedächtnisaufbau und Gedächtnistraining
Verständnisfragen
9.15 – Warum vergessen wir? 9.16 – Wie beeinflussen Fehlinformationen, Imagination
und Quellenamnesie das Gedächtnis und wie stellen wir fest, ob eine Erinnerung wahr oder falsch ist? 9.17 – Warum sind Berichte über verdrängte und wieder aufgedeckte Erinnerungen so heftig diskutiert worden? 9.18 – Wie verlässlich sind Augenzeugenaussagen jüngerer Kinder? 9.19 – Wie können Sie die Erkenntnisse der Gedächtnisforschung nutzen, um im Studium bessere Leistungen zu zeigen?
-----
Schlüsselbegriffe Anterograde Amnesie Déjà-vu-Erfahrung Fehlinformationseffekt Proaktive Interferenz Quellenamnesie Rekonsolidierung Retroaktive Interferenz Retrograde Amnesie Verdrängung
Master the Material 1. Wenn das Vergessen auf einem Kodierungsfehler beruht, erfolgte keine Informationsübertragung … a. aus der Umgebung in das sensorische Gedächtnis. b. aus dem sensorischen Gedächtnis in das Langzeitgedächtnis.
393
c. aus dem Langzeitgedächtnis in das Kurzzeitgedächtnis. d. aus dem Kurzzeitgedächtnis in das Langzeitgedächtnis. 2. Ebbinghaus’ Vergessenskurve zeigt, dass nach einer anfänglichen Abnahme das Erinnerungsvermögen für neue Informationen tendenziell … a. leicht zunimmt. b. deutlich abnimmt. c. stark abnimmt d. sich einpendelt. 3. Die Stunde vor dem Zubettgehen ist eine gute Zeit, um sich Informationen einzuprägen, denn schläft man ein, nachdem man neues Material gelernt hat, minimiert man ___ Störungen. 4. Freud behauptete, schmerzhafte oder ungewollte Erinnerungen würden vom Bewusstsein durch einen Mechanismus blockiert, der ___ genannt wird. 5. Ein Grund für das Entstehen falscher Erinnerungen ist unsere Neigung, Gedächtnislücken mit unseren logischen Schlussfolgerungen und Vermutungen zu füllen. Diese Neigung ist ein Beispiel für … a. proaktive Interferenz. b. den Fehlinformationseffekt. c. retroaktive Interferenz. d. Die Vergessenskurve. 6. Elizas Familie erzählt gerne die Geschichte, wie sie als Zweijährige auf der Hochzeitsfeier ihrer Tante tanzte und „dem Brautpaar die Show stahl“. Obwohl sie so jung war, sagt Eliza, dass sie sich genau an das Ereignis erinnern kann. Wie ist das möglich? 7. Wir erkennen vielleicht ein Gesicht auf einem Fest, können uns aber nicht daran erinnern, woher wir diese Person kennen. Dies ist ein Beispiel für ___. 8. Wenn eine Situation das Gefühl auslöst: „Das habe ich schon mal erlebt“, dann haben Sie ___. 9. Kinder können zuverlässige Augenzeug:innen sein, wenn a. Interviewer:innen den Kindern Hinweise geben, was wirklich passiert ist. b. eine neutrale Person kurz nach dem Ereignis keine irreführenden Fragen stellt. c. die Kinder die Möglichkeit haben, vor dem Interview mit beteiligten Erwachsenen zu sprechen. d. die Interviewer:innen genaue technische und medizinische Begriffe verwenden. 10. Über welche der folgenden Aussagen sind sich Psycholog:innen, die sich mit der Erforschung von Missbrauchserinnerungen beschäftigen, häufig uneinig? a. Erinnerungen an Ereignisse, die vor dem Alter von 4 Jahren passiert sind, sind nicht zuverlässig. b. Wir neigen dazu, extrem beunruhigende Erinnerungen zu verdrängen. c. Erinnerungen können emotional aufwühlend sein. d. Sexueller Missbrauch passiert.
9
394
Kapitel 9 • Gedächtnis
Weiterführende deutsche Literatur Anderson, J. R. (2013). Kognitive Psychologie (7. Aufl.). Wiesbaden: Springer VS. Hoffmann, J., & Engelkamp, J. (2017). Lern- und Gedächtnispsychologie (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Markowitsch, H. J. (2017). Dem Gedächtnis auf der Spur: Vom Erinnern und Vergessen (3. Aufl.). Darmstadt: Wissenschaftliche Buchgesellschaft. Sacks, O. (2009). Der Mann, der seine Frau mit einem Hut verwechselte (35. Aufl.). Reinbek: Rowohlt. Schacter, D. L. (2002). Wir sind Erinnerung, Gedächtnis und Persönlichkeit. Reinbek: Rowohlt. Schermer, F. J. (2013). Lernen und Gedächtnis (5. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer.
9
395
Denken und Sprache Inhaltsverzeichnis 10.1
Denken – 396
10.1.1 10.1.2 10.1.3 10.1.4 10.1.5 10.1.6
Begriffe – 396 Problemlösen: Strategien und Hindernisse – 397 Entscheidungsfindung und Urteilsbildung – 400 Kreativ Denken – 408 Teilen andere Spezies unsere kognitiven Fähigkeiten? – 411 Rückblick: Denken – 413
10.2
Sprache und Geist – 414
10.2.1 10.2.2 10.2.3 10.2.4 10.2.5 10.2.6
Struktur und Aufbau von Sprache – 415 Spracherwerb und Sprachentwicklung – 416 Gehirn und Sprache – 422 Verfügen andere Arten über Sprache? – 423 Denken und Sprache – 426 Rückblick: Sprache und Geist – 430
Weiterführende deutsche Literatur – 430
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_10
10
396
10
Kapitel 10 • Denken und Sprache
Seit jeher rühmen wir Menschen uns unserer Weisheit und beklagen unsere Torheit. Der Dichter T. S. Eliot zeigte sich beeindruckt von der „Nichtigkeit des Menschen … mit Stroh im Kopf“. Shakespeares Hamlet dagegen preist des Menschengeschlechtes „edlen Geist … grenzenlose Fähigkeiten … gottgleiche Fassungskraft“. An anderer Stelle in diesem Buch haben auch wir über unsere Fähigkeiten genauso gestaunt wie über unsere Irrtümer. Wir haben uns mit dem Gehirn des Menschen beschäftigt – drei Pfund feuchtes Gewebe, etwa so groß wie ein kleiner Kohlkopf und doch erstaunlich komplex verschaltet. Wir haben die Fähigkeiten von neugeborenen Kindern bewundert. Wir haben über unsere visuelle Wahrnehmung gestaunt, die physikalische Reize in Nervenimpulse umwandelt, diese parallel verarbeitet und dann wieder zu klaren und farbigen Bildern zusammensetzt. Wir haben uns Gedanken gemacht über die anscheinend unbegrenzten Fähigkeiten unseres Gedächtnisses und die Leichtigkeit, mit der wir bewusst und unbewusst Informationen verarbeiten. Es überrascht daher nicht, dass es der Menschheit kollektiv gelungen ist, die Fotografie, das Auto und den Computer zu erfinden, dass wir gelernt haben, Atome zu spalten und den genetischen Code zu entschlüsseln sowie in den Weltraum und die Tiefen unseres Gehirns vorgedrungen sind. Wir haben aber auch gesehen, dass wir in manch anderer Hinsicht nicht ganz so edlen Geistes sind. Unsere Spezies ist mit den anderen Tieren verwandt, und in uns sind die gleichen Lernmechanismen am Werk wie bei Ratten und Tauben. Wir haben bemerkt, wie leicht wir nicht-ganz-so-weisen Menschen uns von Wahrnehmungstäuschungen in die Irre führen lassen, Behauptungen über angebliche paranormale Ereignisse erliegen und falschen Erinnerungen auf den Leim gehen. In diesem Kapitel werden wir weitere Beispiele für diese beiden Seiten des Menschen kennenlernen – die rationale und die irrationale. Wir werden sehen, wie wir denken und wie wir mit den Informationen über unsere Umwelt umgehen, wie wir sie auch manchmal ignorieren oder missbrauchen. Wir werden näher auf unsere Sprachfähigkeit eingehen und uns anschauen, wie und warum sie sich entwickelt. Am Ende wollen wir darüber nachdenken, ob wir die Bezeichnung Homo sapiens – der weise Mensch – wirklich verdienen. 10.1 Denken 10.1.1 Begriffe ?? 10.1 Was ist Kognition und was sind die Funktionen
von Begriffen?
Die Kognitive Psychologie befasst sich mit mentalen Aktivitäten, die mit Prozessen wie Denken, Wissen, Er-
innern und Kommunizieren verbunden sind. Eine dieser Aktivitäten ist das Bilden von Begriffen bzw. Kategorien: Dabei werden ähnliche Gegenstände, Ereignisse, Ideen, Personen usw. mental in Gruppen unterteilt und zusammengefasst. Der Begriff Stuhl umfasst eine Vielzahl von Einzelelementen – den Hochstuhl für Babys, den Lehnstuhl, den Zahnarztstuhl – welche alle zum Sitzen gedacht sind (. Abb. 10.1). Begriffe vereinfachen unser Denken. Stellen Sie sich ein Leben ohne sie vor. Wir könnten zu einem Kind nicht sagen: „Wirf den Ball“, denn den Begriff werfen oder Ball gäbe es gar nicht. Statt zu sagen: „Sie waren wütend“, müssten wir Gesichtsausdrücke, Intensitäten und Äußerungen beschreiben. Begriffe wie Ball und Wut geben uns mit wenig kognitivem Aufwand viele Informationen an die Hand. Kognition („cognition“) – alle mentalen Aktivitäten, die
mit Denken, Wissen, Erinnerung und Kommunikation zu tun haben. Begriff („concept“) – mentale Gruppierung ähnlicher Gegenstände, Ereignisse, Ideen oder Personen. Häufig bilden wir Kategorien mit Hilfe von Prototypen – ein geistiges Bild oder ein typischer Fall einer Kategorie (Rosch, 1978). Der Satz „Ein Spatz ist ein Vogel“ wird intuitiv als sinnvoller wahrgenommen als der Satz „Ein Pinguin ist ein Vogel“. Für die meisten Menschen ist der Spatz irgendwie „vogeliger“; er entspricht eher unserem Prototyp eines Vogels. Und je näher ein Gegenstand dem Prototyp einer Kategorie kommt – Vogel oder Auto –, desto bereitwilliger ordnen wir ihn der betreffenden Kategorie zu. So sehen auch Menschen im modernen multiethnischen Deutschland kaukasische Deutsche als den Prototyp eines Deutschen an (Kessler et al., 2010). Wenn etwas unserem Prototyp einer Kategorie entspricht – z. B. ein Vogel oder ein Deutscher –, stufen wir es leichter in die entsprechende Kategorie ein. Prototyp („prototype“) – Vorstellungsbild oder typisches
Beispiel für eine Kategorie. Wenn man neue Wahrnehmungen mit dem Prototyp abgleicht, hat man ein schnelles und einfaches Verfahren, Wahrnehmungen in Kategorien zu sortieren (z. B. wenn man gefiederte Lebewesen mit prototypischen Vögeln wie dem Spatz vergleicht). Wenn wir Menschen einer Kategorie zuordnen, ordnen wir sie gedanklich in Richtung unseres Prototyps für die Kategorie ein. Diese Erfahrung machten auch belgische Studierende, die Gesichter betrachteten, die ethnische Mischformen darstellten. Wenn sie z. B. ein Gesicht sahen, das aus einer Mischung von 70 % Merkmalen eines Weißen und 30 % Merkmalen eines Asiaten bestand, kategorisierten die Befragten das Gesicht als weiß. Als sich ihre Erinnerung daran später in Richtung zum prototypischen Weißen verschoben hatte, erinnerten sie sich eher an ein zu 80 % weißes Gesicht als an ein Gesicht, das zu
397
10.1 • Denken
..Abb. 10.1 (Jeff Kaufman/ The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
70 % weiß war, wie sie es tatsächlich gesehen hatten (Corneille et al., 2004; . Abb. 10.2). Wenn man ihnen ein zu 70 % asiatisches Gesicht zeigte, erinnerten sie sich später eher an ein prototypisch asiatisches Gesicht. Das Gleiche gilt für das soziale Geschlecht („gender“): Diejenigen, denen man zu 70 % männliche Gesichter gezeigt hatte, kategorisierten sie als männlich (das überrascht nicht), und später erinnerten sie sich an sie fälschlicherweise als sogar noch prototypischer männlich (Huart et al., 2005). Wenn wir uns von unseren Prototypen verabschieden, könnte es sein, dass die Kategorien nicht mehr so klar gegeneinander abgegrenzt sind. Ist die Tomate eine Frucht? Ist eine 17-Jährige ein Mädchen oder eine Frau? Ist ein Wal ein Fisch oder ein Säugetier? Weil ein Wal nicht unserem Prototyp eines Säugetiers ähnelt, werden wir ihn nicht ohne Weiteres als Säugetier einstufen. Ähnlich steht es mit der Diagnose einer Krankheit, wenn die Symptome nicht zu unserem Prototyp der Krankheit passen (Bishop, 1991). Wenn bei jemandem die Symptome eines Herzinfarkts (Kurzatmigkeit, Erschöpfung, dumpfer Druck auf der Brust) nicht zu seinem Prototyp
90% hellhäutig
80% hellhäutig
70% hellhäutig
60% hellhäutig
Herzinfarkt (heftiger Schmerz in der Brust) passen, so bemüht er sich möglicherweise nicht um Hilfe. Und wenn uns Formen von Diskriminierung begegnen, die nicht unserem Prototyp von Diskriminierung entsprechen – Weiße gegen Schwarze, Männer gegen Frauen, Junge gegen Alte –, so nehmen wir sie oft nicht als solche wahr. Vorurteile von Männern gegenüber Frauen werden schneller entdeckt als solche von Frauen gegenüber Männern oder Frauen gegenüber Frauen (Cunningham et al., 2009; Inman & Baron, 1996). Obwohl Begriffe unser Denken beschleunigen und strukturieren, machen sie uns nicht immer weise. 10.1.2
Problemlösen: Strategien und Hindernisse
?? 10.2 Welche kognitiven Strategien helfen uns beim
50%/50%
Problemlösen und welche Hindernisse stehen uns im Weg?
60% asiatisch
70% asiatisch
80% asiatisch
90% asiatisch
..Abb. 10.2 Die Kategorisierung von Gesichtern beeinflusst das Erinnerungsvermögen. Wurde Versuchspersonen ein Gesicht gezeigt, das zu 70 % weiß war, neigten sie dazu, die Person als weiß einzustufen und das Gesicht als weißer in Erinnerung zu behalten, als es tatsächlich war. (Recreation of experiment courtesy of Olivier Corneille. FaceGen TM)
10
398
10
Kapitel 10 • Denken und Sprache
Unsere Fähigkeit zum Problemlösen macht einen wesentlichen Teil unserer Rationalität aus. Wie umfahren wir am besten diesen Verkehrsstau? Wie sollen wir mit der Kritik eines Freundes umgehen? Wie kommen wir ins Haus, wenn wir den Schlüssel verloren haben? Manche Probleme lösen wir durch Versuch und Irrtum. Thomas Edison probierte Tausende von Glühfäden durch, bevor er zufällig auf einen stieß, der funktionierte. Bei anderen Problemen folgen wir einem Algorithmus, einem Verfahren, das in Einzelschritten garantiert zu einer Lösung führt. Allerdings können solche schrittweise vorgehenden Algorithmen arbeitsintensiv sein. Wenn wir z. B. ein sinnvolles Wort aus den Buchstaben SPLOYOCHEIG bilden sollen, könnten wir sämtliche Buchstabenkombinationen durchprobieren – insgesamt 39.916.800 Permutationen. Anstatt uns mit einem Gehirn mit der Rechenleistung eines Computers auszustatten, stellt uns die Natur ein einfacheres Verfahren zur Verfügung, das man Heuristik nennt. So könnten wir die Anzahl der Möglichkeiten im SPLOYOCHEIG-Beispiel verringern, indem wir bestimmte Buchstaben kombinieren, die häufig zusammen erscheinen (beispielsweise C-H), und unwahrscheinliche Buchstabenkombinationen (beispielsweise C-G-P) von vornherein ausschließen. Indem man ein heuristisches Verfahren verwendet und dann das Prinzip von Versuch und Irrtum, findet man vielleicht die Antwort. Haben Sie sie erraten?1
..Abb. 10.3 Der Aha-Moment. Lösungen verbaler Probleme durch Einsicht gehen mit einer plötzlich zunehmenden Aktivität im rechten Temporallappen einher. Die roten Punkte markieren die EEG-Elektroden. Die hellgrauen Linien zeigen die Verteilung der hochfrequenten Aktivität, mit der die Einsicht einhergeht. Die mit der Erkenntnis einhergehende Aktivität konzentriert sich im rechten Temporallappen (gelber Bereich). (Aus Jung-Beeman et al., 2004, © 2004 Jung-Beeman et al.)
Algorithmus („algorithm“) – eine systematische, logische
Regel oder Vorgehensweise, die garantiert zur Lösung des vorliegenden Problems führt. Im Gegensatz dazu die schnellere, aber auch fehleranfälligere Heuristik. Heuristik („heuristic“) – einfache Denkstrategie für effizientere Urteile und Problemlösungen; schneller, aber auch fehleranfälliger als der Algorithmus.
tauchende Lösung eines Problems; im Unterschied zu strategisch angelegten Lösungen.
Gehirnscans (EEG- oder fMRT-Aufnahmen – funktionelle MRT) weisen Aktivitätsschübe nach, die mit blitzartig auftretenden Einsichten verbunden sind (Kounios & Beeman, 2014). In einer Studie baten sie die Versuchspersonen, ein Wort zu finden, das mit jedem von drei anderen Wörtern aus einer Wortgruppe (z. B. „pine“, „crab“, „sauce“) ein zusammengesetztes Wort oder einen Ausdruck bildet, und einen Knopf zu drücken, wenn sie eine Lösung gefunden hatten. (Falls Sie einen Tipp brauchen: Das Wort ist eine Frucht.2) Etwa die Hälfte der Lösungen stellte sich schlagartig ein (Aha-Erlebnis). Vor dem Aha-Moment waren die Frontallappen (die in die Fokussierung von Aufmerksamkeit involviert sind) der Problemlösenden aktiv. In dem Moment, als die Lösung gefunden wurde, war ein plötzlicher Anstieg der Aktivität im rechten Temporallappen, direkt über dem Ohr, zu beobachten (. Abb. 10.3). Einsicht tritt plötzlich ein, ohne dass man zuvor das Gefühl hat, der Lösung nahe zu sein (Knoblich & Oellinger, 2006; Metcalfe, 1986). Wenn uns die Antwort plötzlich einfällt („apple!“), sind wir glücklich und verspüren Befriedigung. Auch die Freude über einen Witz könnte mit unserer Fähigkeit zur Einsicht zu tun haben – uns verblüfft eine überraschende Wendung, oder es geht uns plötzlich
1
2
Manchmal mühen wir uns vergeblich mit einem Problem ab und plötzlich fallen die Dinge wie Puzzleteile an ihren Platz, und in Folge dieser plötzlichen Einsicht haben wir eine spontane, scheinbar korrekte und oft befriedigende Lösung (Topolinski & Reber, 2010). Der zehnjährige Johnny Appleton hatte einen solchen Aha-Moment und löste ein Problem, an dem Bauarbeiter gescheitert waren: der Rettung eines jungen Rotkehlchens, das in einen ein Meter tiefen Spalt zwischen zwei Betonplatten gefallen war. Johnnys Lösung: Er ließ Sand in den Spalt rieseln, aber so langsam, dass das Rotkehlchen auf dem entstehenden Sandberg in die Höhe klettern konnte (Ruchlis, 1990). Einsicht („insight“) – plötzliche und oft überraschend auf-
Lösung zum SPLOYOCHEIG-Anagramm: PSYCHOLOGIE
Das Wort ist „apple“: „pineapple“, „crabapple“, „applesauce“.
10.1 • Denken
399
..Abb. 10.4 (© S. H. Chambers)
ein Doppelsinn auf: „Für einen Sprung aus dem Flugzeug braucht man keinen Fallschirm. Einen Fallschirm braucht man nur, wenn man es zwei Mal machen möchte.“ Der Komiker Groucho Marx war ein Meister darin: „Ich habe einmal einen Elefanten in meinem Pyjama erlegt. Wie er in meinen Pyjama kam, werde ich nie erfahren.“ Auch wenn wir einsichtig im Umgang mit Problemen sind, können uns andere Tendenzen im Kognitionsprozess in die Irre führen. Zum Beispiel lässt uns die Bestätigungstendenz („confirmation bias“) eher nach Einsicht für unsere Ideen streben als nach Einsicht gegen sie (Klayman & Ha, 1987; Skov & Sherman, 1986). Wason (1960) legte britischen Studierenden eine Zahlenfolge vor (2–4–6) und erklärte ihnen, dass die Zahlenfolge nach einer Regel gebildet war. (Die Regel war einfach: 3 beliebige Zahlen in aufsteigender Größe.) Bevor sie Lösungen nannten, sollten sie selbst Zahlenfolgen nach dem vermuteten Muster bilden und erfuhren dann jedes Mal von Wason, ob diese Zahlenfolgen der Regel entsprachen oder nicht. Erst wenn sie sich ihrer Lösung sicher waren, sollten sie die vermutete Regel nennen. Das Ergebnis? Die meisten Studierenden kamen zu einer falschen Vermutung („vielleicht in Zweierschritten“) und suchten dann nur noch nach bestätigenden Indizien (indem sie 6–8–10, 100–102–104 usw. ausprobierten). Selten richtig, aber immer frei von Selbstzweifeln. Bestätigungstendenz („confirmation bias“) – Tendenz,
nach Informationen zu suchen, die eine vorgefasste Meinung bestätigen, und Hinweise zu ignorieren oder zu verzerren, die dieser Meinung widersprechen. „Die Menschen“, sagte Wason (1981), „gehen den Tatsachen aus dem Weg, verwickeln sich in Widersprüche oder schotten sich systematisch gegen die Bedrohung durch neue Informationen ab, die für das Thema von Belang wären“. Wenn sich Menschen also erst einmal eine Meinung gebildet haben – dass Impfungen Autismus-Spektrum-
..Abb. 10.5 Das Streichholzproblem. Wie kann man 6 Streichhölzer so anordnen, dass sie 4 gleichseitige Dreiecke bilden? (Foto: Svenja Wahl)
Störung auslösen, dass Menschen ihre sexuelle Orientierung ändern (oder nicht ändern) können, dass Waffenkontrolle Leben rettet (oder es nicht tut) – bevorzugen sie Informationen, die ihre vorgefasste Meinung bestätigen (. Abb. 10.4).
» „Der Verstand des Menschen lässt sich am meisten von
dem beeindrucken, was auffällig ist und sofort und plötzlich in den Geist dringt und unverzüglich die Vorstellungskraft erfüllt und ausweitet. Er beginnt dann fast unmerklich, zu glauben und davon auszugehen, dass die ganze Welt den wenigen Objekten ähnelt, die vom Geist Besitz ergriffen haben.“ Francis Bacon, Novum Organum (1620)
Wenn wir uns einmal an einem Problem aufgehangen haben, ist es schwer, es aus einem neuen Blickwinkel zu sehen. Dieses Hindernis für die Problembewältigung wird als Fixierung bezeichnet, die Unfähigkeit, eine neue Perspektive einzunehmen. Prüfen Sie, ob Fixierung Sie daran hindert, das Streichholzproblems in . Abb. 10.5 zu lösen. (Die Lösung sehen Sie in, . Abb. 10.9.) Ein gutes Beispiel für eine Fixierung ist ein mentales Set, d. h. unsere Neigung, ein Problem mit der geistigen Voreinstellung anzugehen, die zuvor bei uns funktioniert hat. Tatsächlich lassen sich Lösungen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben, oft mit Erfolg wieder verwenden. Zum Beispiel: Gegeben ist die Buchstabenfolge E–Z–D–V–?–?–? Was sind die folgenden drei Buchstaben? Den meisten Menschen fällt es schwer, darauf zu kommen, dass es die Buchstaben F(ünf)–S(echs)–S(ieben) sind. Aber wer dieses Problem gelöst hat, tut sich vielleicht mit dem folgenden Problem leichter: Gegeben ist die Buchstabenfolge J–F–M–A–?–?–? Wie lauten die folgenden 3 Buchstaben? (Wenn Sie nicht drauf kommen, überlegen Sie, welcher Monat gerade ist.)
10
400
Kapitel 10 • Denken und Sprache
Fixierung („fixation“) – die Unfähigkeit, ein Problem
mental aus einer neuen Perspektive zu sehen; ein Hindernis beim Lösen von Problemen. Mentales Set („mental set“) – Tendenz, ein Problem auf eine bestimmte Weise anzupacken, insbesondere auf eine Weise, die schon einmal erfolgreich war. Ähnlich wie Stereotype unsere Wahrnehmung einschränken, beschränkt ein mentales Set unser Denken. Manchmal hindert uns dies daran, eine neue Lösung für ein neues Problem zu finden. So prädisponiert uns unser mentales Set basierend auf unserer Vorerfahrung mit Streichhölzern dazu, sie in zwei Dimensionen zu legen. 10.1.3 Entscheidungsfindung
und Urteilsbildung
?? 10.3 Was ist Intuition und wie können die Verfüg-
10
barkeits- und Repräsentativitätsheuristik unsere Entscheidungsfindung und Urteilsbildung beeinflussen?
Bei Hunderten von Urteilen und Entscheidungen im Alltag (Soll ich eine Jacke anziehen? Kann ich diesem Menschen vertrauen? Soll ich versuchen, den Basketball in den Korb zu werfen, oder lieber an einen günstiger stehenden Spieler passen?) wenden wir nur selten die Zeit und Mühe auf, systematisch vorzugehen. Wir lassen uns von unserer Intuition leiten, unseren schnellen, automatischen, nicht rational begründeten Gefühlen und Gedanken (. Abb. 10.6). Der Sozialpsychologe Irving Janis (1986) interviewte Entscheidungsträger:innen in Politik, Geschäftsleben und Erziehung und kam zu dem Schluss, dass diese „oft keine durchdachte Problemlösestrategie einsetzen. Wie aber kommen sie im Normalfall zu ihren Entscheidungen? Fragt man sie, bekommt man wahrscheinlich zu hören, dass sie nach dem Gefühl entscheiden“. Intuition („intuition“) – ein müheloser, plötzlicher und
automatischer Gefühlszustand oder Gedanke – im Gegensatz zu explizitem, bewusstem Überlegen.
Zwei schnelle, aber riskante Abkürzungswege Wenn Grobentscheidungen erforderlich sind, helfen uns Heuristiken beim schnellen unbewussten Denken, und normalerweise leisten sie uns gute Dienste (Gigerenzer, 2015). Aber wie die Kognitionspsychologen Tversky und Kahneman (1974) mit ihrer Arbeit zur Repräsentativitäts- und Verfügbarkeitsheuristik demonstriert haben können diese generell hilfreichen Abkürzungswege selbst
..Abb. 10.6 (© Bradford Veley/Search ID: CS164466, Rights Available from CartoonStock.com)
die klügsten Menschen zu dummen Entscheidungen verleiten3. zz Repräsentativitätsheuristik
Wenn wir die Wahrscheinlichkeit von etwas beurteilen, indem wir intuitiv einen Vergleich mit bestimmten Prototypen aufstellen, nutzen wir die Repräsentativitätsheuristik. Stellen Sie sich jemanden vor, der klein und schlank ist und gerne Gedichte liest. Ist diese Person eher ein Englischprofessor der Ivy-League-Universität oder ein LKW-Fahrer (Nisbett & Ross, 1980)? Viele Leute tippen auf einen Englisch-Professor – weil die Person besser zu ihrem Prototyp eines weltfremden Professors passt als zu dem eines LKW-Fahrers. Dabei berücksichtigen sie nicht die Basisrate von Englischprofessoren der Ivy League (weniger als 400) und LKW-Fahrern (3,5 Mio. allein in den Vereinigten Staaten). Selbst wenn die Beschreibung 50-mal typischer für Englischprofessoren als für Lkw-Fahrer ist, so ist angesichts der Tatsache, dass es etwa 7000-mal mehr LKW-Fahrer gibt, die Wahrscheinlichkeit, dass der Leser des Gedichts ein LKW-Fahrer ist, um ein Vielfaches höher. Einige Prototypen haben soziale Konsequenzen. Man denke an die Reaktion einiger nicht arabischer Reisen3 Tverskys und Kahnemans gemeinsame Arbeit zum Thema Entscheidungsfindung erhielt 2002 den Nobelpreis; traurigerweise war nur noch Kahneman am Leben, um diese Auszeichnung entgegenzunehmen.
10.1 • Denken
..Abb. 10.7 „Beim Erstellen dieser Probleme waren wir nicht darauf aus, Menschen irrezuführen. Alle unsere Problemstellungen haben uns selbst in die Irre geleitet.“ (Amos Tversky, 1985)
der kurz nach den Terroranschlägen vom 11. September 2001, als ein junger Mann arabischer Abstammung ihr Flugzeug bestieg. Der junge Mann entsprach ihrem Prototyp eines Terroristen und die Repräsentativitätsheuristik trat in Aktion. Seine Anwesenheit löste bei seinen Mitreisenden Angst aus, obwohl fast 100 % der Personen, die diesem Prototyp entsprechen, friedliebende Bürger sind. Eine Mutter von zwei Schwarzen und drei weißen Teenagern fragt andere Eltern: „Folgt das Personal im Supermarkt Ihren Kindern, wenn sie sich ihre Schokoriegel aussuchen? Meinen weißen Kindern folgt es nicht … Wenn Ihre Kinder an Halloween als Ninja und Clown verkleidet sind, werden sie dann an jeder Tür gefragt, mit wem sie zusammen sind und wo sie wohnen? Meine weißen Kinder wurden nicht gefragt. Werden Ihre Kinder immer wieder für zusätzliche Sicherheitskontrollen aus der Schlange herausgezogen? Meine weißen Kinder nicht“ (Roper, 2016). Wenn Menschen einen Prototyp – ein Stereotyp – von kriminellen Schwarzen Teenagern haben, verwenden sie möglicherweise unbewusst die Repräsentativitätsheuristik, wenn sie Individuen beurteilen. Das, wenn auch unbeabsichtigte Ergebnis ist Rassismus. zz Verfügbarkeitsheuristik
Wir nutzen die Verfügbarkeitsheuristik, wenn wir abschätzen, wie alltäglich ein Ereignis in Hinsicht auf seine mentale Verfügbarkeit ist. Alle Faktoren, die dazu führen, dass uns Informationen „plötzlich einfallen“ – dazu ge-
401
..Abb. 10.8 „Intuitives Denken [liegt] meist völlig richtig … Aber manchmal kann uns diese Angewohnheit unseres Verstandes auch in Schwierigkeiten bringen.“ (Daniel Kahneman, 2005b; © picture-alliance/dpa/dpaweb)
hört, wie lange es her ist, dass wir davon gehört haben, aber auch wie lebendig und besonders die Informationen sind – erhöhen die subjektiv wahrgenommene Verfügbarkeit (. Abb. 10.7, . Abb. 10.8). Casinos wissen das. Sie verführen uns zum Glücksspiel, indem sie schon geringe Gewinne durch Klingelzeichen und Lichtsignale hervorheben. Die großen Verluste gehen lautlos und unsichtbar über die Bühne. Repräsentativitätsheuristik („representativeness heuristic“) – Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von Ereignis-
sen in Bezug darauf, wie genau sie bestimmte Prototypen repräsentieren oder zu ihnen passen; es kann dazu führen, dass wir andere relevante Informationen ignorieren. Verfügbarkeitsheuristik („availability heuristic“) – Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen je nach ihrer Verfügbarkeit in der Erinnerung; wenn uns Beispiele schnell einfallen (vielleicht weil sie spektakulär sind), halten wir ein solches Ereignis für normal.
» „Kahneman und seine Kollegen und Studenten haben
unser Denken über das menschliche Denken verändert.“ Sharon Brehm, Präsident der American Psychological Association (2007)
Die Verfügbarkeitsheuristik kann auch unsere Beurteilung anderer Menschen beeinflussen. Wenn ein Angehöriger einer bestimmten ethnischen oder religiösen Gruppe
10
402
Kapitel 10 • Denken und Sprache
..Abb. 10.9 Lösung des Streichholzproblems. Um dieses Problem zu bewältigen, muss man es aus einer anderen Perspektive sehen und die gedankliche Fixierung auf zweidimensionale Lösungen durchbrechen. (Foto: Svenja Wahl)
10
einen Terroranschlag verübt, wie in Bildern von unschuldigen Menschen, die geköpft werden sollen, zu sehen, können unsere leicht greifbaren Erinnerungen an dieses dramatische Ereignis unseren Gesamteindruck dieser Gruppe prägen. Terroristen zielen darauf ab, extremen Terror zu erzeugen. Würden in diesem Jahr 1000 Menschen in den Vereinigten Staaten durch Terrorismus sterben, hätten die Amerikaner:innen riesige Angst. Doch sie hätten 30-mal mehr Anlass, Angst vor Mord, Selbstmord und unbeabsichtigtem Tod durch Schusswaffen zu haben, die jährlich mehr als 30.000 Menschenleben fordern. 2015 und auch 2016 wurden weniger Amerikaner:innen von den gefürchteten islamistischen Terroristen erschossen und getötet als durch bewaffnete kleine Kinder (Ingraham, 2016; LaCapria, 2015). Die Quintessenz: Wir haben oft vor den falschen Dingen Angst (. Abb. 10.10). ?? 10.4 Welche Faktoren verstärken unsere Ängste vor
unwahrscheinlichen Ereignissen?
» „Glauben Sie nicht alles, was Sie denken.“ Aufkleber auf einem Auto
Gleichzeitig führt das Fehlen verfügbarer Bilder von zukünftigen Klimakatastrophen – den einige Wissenschaftler:innen als einen zukünftigen „Weltuntergang in Zeitlupe“ bezeichnen – dazu, dass viele Menschen sich darüber kaum Sorgen machen (Pew, 2014a). Was kognitiv besser verfügbar ist als ein langsamer Klimawandel, ist unser aktuell erlebtes lokales Wetter, das uns nichts über langfristige globale Entwicklungen sagt (Egan & Mullin, 2012; Kaufmann et al., 2017; Zaval et al., 2014). Ungewöhnlich heißes lokales Wetter steigert die Ängste der Menschen, um eine langfristige globale Erwärmung, ein
kalter Tag verringert hingegen die Sorge und verdrängt die weniger einprägsamen wissenschaftlichen Daten (Li et al., 2011). Nachdem der Hurrikan Sandy New Jersey verwüstet hatte, führte die eindringliche Erfahrung eines extremen Wetterereignisses zu erhöhtem Umweltbewusstsein der dort lebenden Menschen (Rudman et al., 2013). Mehr als 40 Nationen haben versucht, die positive Macht konkreter, einprägsamer Bilder zu nutzen, indem sie Warnungen und anschauliche Fotos, die einem ins Auge springen, auf Zigarettenpackungen drucken (Riordan, 2013). Diese Kampagne hat funktioniert, weil wir emotional urteilen (Huang et al., 2013). Wir lassen uns zu sehr von unserem Gefühl und zu wenig von unserem Verstand leiten (Slovic, 2007). In einer Studie stieg die Spendenbereitschaft an das Rote Kreuz für syrische Flüchtlinge um das 55-Fache, nachdem das symbolträchtige Foto eines getöteten Kindes veröffentlicht wurde, dem standen Statistiken gegenüber, die Hunderttausende anderer Flüchtlingstote aufführen (Slovic et al., 2017). Unfassbare Dramen bewegen uns; statistische Wahrscheinlichkeiten sind für uns kaum greifbar (. Abb. 10.11, . Abb. 10.12). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum kann man Nachrichten als „etwas, das fast nie passiert“ beschreiben? Wie kann uns dieses Wissen helfen, unsere Ängste einzuschätzen?
Systematische Selbstüberschätzung ?? 10.5 Wie werden unsere Entscheidungen und Urteile
durch Selbstüberschätzung, Beharren auf Überzeugungen und Framing beeinflusst?
Manchmal liegen wir mit unseren Entscheidungen und Urteilen einfach deshalb daneben, weil wir mit großem Selbstvertrauen an falschen Überzeugungen festhalten. Bei vielen Aufgabenstellungen überschätzen Versuchspersonen ihre Leistung (Metcalfe, 1998). Wenn 60 % der Menschen eine Frage nach Faktenwissen korrekt beantworten, wie z. B. „Ist Absinth ein Schnaps oder ein wertvoller Stein?“, dann fühlen sich die Befragten im typischen Fall zu 75 % sicher (Fischhoff et al., 1977). (Es ist ein nach Lakritz schmeckender Schnaps.) Diese Tendenz, die Verlässlichkeit unseres Wissens und unserer Einschätzungen zu überschätzen, wird systematische Selbstüberschätzung genannt (. Abb. 10.13). Diejenigen, die falsch liegen, sind besonders anfällig für Selbstüberschätzung. In einem Experiment erhielten Studierende verschiedene Physik- und Logikaufgaben. Studierende, die fälschlicherweise glaubten, ein Ball würde weiterhin einer gekrümmten Bahn folgen, wenn er aus einer gebogenen Röhre rollt, waren sich fast genauso sicher wie diejenigen, die richtig erkannten, dass der Ball
403
10.1 • Denken
Viele Menschen haben mehr Angst vorm Fliegen als vorm Autofahren.
ABER: 2011
2013
In den USA kommen sehr viel mehr Menschen bei Autounfällen ums Leben als auf Linienflügen.1
Oktober bis Dezember 2001: 353 zusätzliche Todesfälle
3600
In den USA starben 64.017 Menschen bei Auto- und Kleinlasterunfällen. 5 starben auf Linienflügen.
In den drei Monaten nach dem 11. September 2001 führte FLUGANGST dazu, dass mehr Menschen in den USA mit dem Auto reisten und einige von ihnen dabei ums Leben kamen: 2
3400
Zahl der Verkehrstoten 2001
3200 Zahl der 3000 Verkehrstoten in 2800 den USA
2600
Durchschnittliche Zahl der Verkehrstoten 1996–2000
2400 2200
n b är r ai n l g p t v z Ja Fe M Ap M Ju Ju Au Se Ok No De
Diese Forschungsergebnisse legen nahe, dass im Jahr nach dem 11. September in den USA etwa 1.500 Menschen „ihr Leben auf der Straße verloren, weil sie versuchten, das Flugrisiko zu vermeiden“.
WARUM HABEN WIR VOR DEN FALSCHEN DINGEN ANGST? 1. Wir fürchten das, was unsere Vorfahren uns zu fürchten gelehrt haben: Heutzutage töten Schlangen, Eidechsen und Spinnen insgesamt nur noch einen winzigen Bruchteil der Menschen, die durch moderne Gefahren wie Autos und Zigaretten ums Leben kommen. Die Gefahren, denen unsere Vorfahren:innen ausgesetzt waren, erklären jedoch, warum wir uns vor Enge und Höhe fürchten – und damit auch vor dem Fliegen.
Wir erinnern uns an und fürchten uns vor Katastrophen (Terrorismus, Wirbelstürme, Erdbeben), bei denen Menschen auf dramatische Weise und in großer Zahl ums Leben kommen.
Wir fürchten uns zu wenig vor weniger dramatischen und ständigen Gefahren, die über eine längere Zeit zu Todesfällen führen.
2. Wir fürchten das, was wir nicht selbst kontrollieren können: Wenn wir Auto
3. Wir fürchten das Unmittelbare. Beim Fliegen sind
fahren, haben wir Kontrolle, nicht aber, wenn wir fliegen.
der Start und die Landung am gefährlichsten. Beim Autofahren hingegen ist die Gefahr auf viele Momente verteilt, die uns individuell nicht gefährlich erscheinen.
An einem durchschnittlichen Tag kommen in den USA 92 Menschen durch Schusswaffen ums Leben – durch Morde, Suizide und Unfälle.4 Forderungen nach strengeren Waffenkontrollen in den USA folgen in der Regel jedoch auf Amokläufe, die sehr viel Aufmerksamkeit erregen.
Weltweit sterben jedes Jahr 500.000 Kinder an Durchfallerkrankungen, was tragisch wenig Beachtung erfährt.
4. Aufgrund der Verfügbarkeitsheuristik fürchten wir das, was in unserem Gedächtnis am leichtesten abrufbar ist: Eindringliche Bilder
von schrecklichen Flugzeugabstürzen verzerren unsere Risikowahrnehmung. Bei Haiangriffen kommt in den USA jährlich etwa ein Mensch ums Leben. "Eindringliches Bild!"
Herzkrankheiten kosten in den USA jährlich 800.000 Menschen das Leben. "Schwer zu visualisieren"
Möglicherweise fürchten wir uns mehr vor Haiangriffen als vor dem Rauchen oder den Auswirkungen einer ungesunden Ernährung.3
„Wenn es in den Nachrichten ist, mach dir keine Sorgen darüber. Die Definition von Nachrichten ist schließlich 'etwas, das fast nie passiert'.”5
1National Safety Council, 2016. 2Gigerenzer, 2004, 2006; Gaissmater & Gigerenzer, 2012. 3Daley, 2011. 4Xu et al., 2016. 5Schneier, 2007.
..Abb. 10.10 Kritisch nachdenken über: Der Angstfaktor
einem geraden Weg folgt, genau wie Wasser, das aus einem gebogenen Schlauch fließt (Williams et al., 2013). Systematische Selbstüberschätzung („overconfidence bias“) – Tendenz, mit großem Selbstvertrauen auf falschen
Aussagen zu beharren – die Verlässlichkeit der eigenen Überzeugungen und Einschätzungen zu überschätzen. Selbstüberschätzung verleitet Personen in Aktienhandel und Vermögensverwaltung dazu ihre Dienste an-
zupreisen, sie könnten durch die Auswahl der Aktien überdurchschnittliche Gewinne am Aktienmarkt erzielen – was sie als Gruppe nicht können (Malkiel, 2016). Dem Erwerb einer Aktie X – auf Empfehlung einer Aktienhändlerin, die der Meinung ist, es sei der richtige Zeitpunkt, um zu kaufen – entspricht gewöhnlich der Verkauf der Aktie durch jemanden, der zu dem Urteil kommt, dies sei genau der richtige Zeitpunkt, um sie zu verkaufen. Käufer:in und Verkäufer:in können trotz ihrer Selbstgewissheit nicht beide Recht haben.
10
404
10
Kapitel 10 • Denken und Sprache
..Abb. 10.11 Die Macht eines lebendigen Beispiels. Das unvergessliche (kognitiv verfügbare) Foto des 4-jährigen Omran Daqneesh – verwirrt, nachdem er bei einem Luftangriff auf das syrische Aleppo aus den Trümmern gezogen wurde, bewirkte mehr als tausend Statistiken, um die westlichen Staaten angesichts der Notlage der syrischen Migranten auf der Flucht vor Gewalt aufzurütteln. (© Mahmoud Rslan/ ZUMAPRESS.com/picture alliance)
>>Hofstadters Gesetz: Es dauert immer länger als erwartet,
auch wenn Sie das Hofstadter-Gesetz berücksichtigen. Douglas Hofstadter, Gödel, Escher, Bach: Ein ewiges goldenes Geflecht (1979)
Und es ist die Selbstüberschätzung, die uns so oft dazu verleitet, einem Planungsfehler zu erliegen – der Überschätzung unserer zukünftigen Freizeit und unseres Einkommens (Zauberman & Lynch, 2005). Studierende und andere Lernende rechnen oft damit, ihre Arbeiten vor ..Abb. 10.12 Verfügbarkeitsheuristik. Nach den Bildern der Terroranschläge 2015 in Paris, San Bernardino (Kalifornien) und anderswo, die die Menschen überfluteten, nannten 27 % der Amerikaner:innen den Terrorismus als ihre größte Sorge – gegenüber 8 % kurz vor den Pariser Anschlägen (Reuters, 2015). Wenn die Angst vor Terroristenwaffen unseren Verstand derart gefangen nimmt, dann beweist dies, dass wir oft Angst vor den falschen Dingen haben. (© Christophe Petit Tesson/dpa/ picture alliance)
dem geplanten Zeitpunkt fertig zu bekommen (Buehler et al., 1994). Tatsächlich brauchen sie im Allgemeinen jedoch doppelt so lange wie vorhergesagt (. Abb. 10.14). Und in dem Glauben, dass wir im nächsten Jahr sicher mehr Geld zur Verfügung haben werden, nehmen wir ein Darlehen auf oder kaufen auf Kredit. Trotz unserer übersteigerten Prognosen in der Vergangenheit überschätzen wir uns bei der nächsten Vorhersage wieder. Selbstüberschätzung – diese Neigung, die Kahneman (2015) am liebsten eliminieren würde, wenn er einen Zauberstab hätte – kann extremen politischen Ansichten Vorschub leisten. Die Geschichte ist voll von Führern, die sich, wenn sie Kriege anzettelten, sehr sicher waren und sich trotzdem geirrt haben. Ein Forschungsteam testete 743 Datenanalyst:innen auf ihre Fähigkeit, zukünftige Ereignisse vorherzusagen – Vorhersagen, die typischerweise übertrieben optimistisch sind. Diejenigen, deren Vorhersagen am häufigsten nicht zutrafen, waren tendenziell unflexibel und engstirnig (Mellers et al., 2015). Normale Bürger:innen, die nur ein oberflächliches Verständnis für komplexe Konzepte, wie z. B. die Einführung eines Emissionshandelssystems oder einer Flat Tax, haben, können durchaus klare Standpunkte vertreten. (Manchmal klingen wir umso entschiedener, je weniger wir wissen.) Bittet man solche Leute, die Details dieser Konzepte zu erläutern, werden sie mit ihrer eigenen Unwissenheit konfrontiert, was wiederum dazu führt, dass sie gemäßigtere Ansichten äußern (Fernbach et al., 2013). Sich der eigenen Unwissenheit zu stellen, bedeutet weiser zu werden. Dennoch hat Selbstüberschätzung manchmal einen adaptiven Wert. Im Glauben, dass ihre Entscheidungen richtig sind und sie Zeit haben, leben selbstbewusste Menschen meist glücklicher. Es fällt ihnen leichter, schwere Entscheidungen zu treffen, und sie wirken sou-
10.1 • Denken
405
..Abb. 10.14 Machen Sie eine Prognose über Ihr eigenes Verhalten. Wann werden Sie mit dem Lesen dieses Kapitels fertig sein? (© Renate Schulz)
..Abb. 10.13 Vertrauen ist gut – Aussteigen ist besser … (© Claudia Styrsky)
veräner (Anderson et al., 2012). Wenn wir sofort ein klares Feedback erhalten, lernen auch wir, die Genauigkeit unserer Urteile selbst realistischer einzuschätzen (Fischhoff, 1982). Das gilt auch für Meteorolog:innen: Durch ausführliche Rückmeldungen konnten sie ihre Vorhersagegenauigkeit besser einschätzen („eine 60-prozentige Chance auf Regen“). Die Weisheit, zu wissen, wann wir etwas wissen und wann nicht, kommt mit der Erfahrung.
» „Wenn du etwas weißt, daran festhalten, dass du es weißt; wenn du etwas nicht weißt, zugeben, dass du es nicht weißt; das ist Wissen.“ Konfuzius (551–479 v. Chr.), Analekten
Beharren auf Überzeugungen
Unsere Selbstüberschätzung ist verblüffend. Ebenso überraschend ist unser Beharren auf Überzeugungen – unsere Tendenz, trotz gegenteiliger Informationen an unseren Überzeugungen festzuhalten. In einer klassischen Studie sollten sich die Versuchspersonen mit entgegengesetzten Auffassungen zum Thema Todesstrafe auseinandersetzen (Lord et al., 1979). Nachdem ihnen zwei angeblich neue Untersuchungen vorgelegt worden waren, von denen eine die Abschreckungswirkung der Todesstrafe belegte, die andere diese aber eher bestritt, zeigten sich beide Parteien tiefer beeindruckt von der Studie, die ihre Überzeugung untermauerte. Und beide kritisierten scharf die gegenteilige Studie. Befürworter:innen und Gegner:innen be-
kamen also dieselben, einander widersprechenden Informationen, und dadurch verstärkte sich ihre Uneinigkeit noch. Anstatt Evidenz zu verwenden, um Schlussfolgerungen zu ziehen, verwendeten sie ihre Schlussfolgerungen, um die Evidenz zu bewerten – ein Phänomen, das auch als motiviertes Schlussfolgern bekannt ist. In anderen Studien und im täglichen Leben haben Menschen in ähnlicher Weise die Evidenz begrüßt, die sie in ihren Überzeugungen bestärkt hat – über den Klimawandel, die gleichgeschlechtliche Ehe oder die Politik –, während sie diese hinterfragende Evidenz außer Acht ließen (Friesen et al., 2015; Sunstein et al., 2016). In den späten 1980er Jahren glaubten die meisten Demokrat:innen, die Inflation sei unter dem republikanischen Präsidenten Reagan gestiegen (sie war gesunken). Im Jahr 2016 sagten zwei Drittel der befragten Republikaner:innen, dass die Arbeitslosigkeit gestiegen und der Aktienmarkt unter Präsident Obama gefallen sei (die Arbeitslosigkeit war gesunken und der Aktienmarkt hatte sich fast verdreifacht). Jedes Mal hat die Politik die Fakten außer Kraft gesetzt (Public Policy Polling, 2016). Aber hallo. Ein altes chinesisches Sprichwort sagt: „Zwei Drittel von dem, was wir sehen, ist hinter unseren Augen.“ Beharren auf Überzeugungen („belief perseverance“) –
Festhalten an den ursprünglichen Auffassungen, nachdem die Grundlage, auf der sie gebildet wurden, zweifelhaft geworden ist. Wenn man etwas gegen dieses Phänomen tun will, so gibt es ein einfaches Gegenmittel: Bedenken Sie das Gegenteil. Als dieselben Wissenschaftler:innen das Experiment
10
406
Kapitel 10 • Denken und Sprache
-
Zwischen Leben und Tod entscheiden. Stellen Sie sich zwei Chirurgen vor, die die Risiken einer bevorstehenden Operation erklären. Der eine erklärt, dass es bei dieser Art Operation 10 % Todesfälle gibt. Die andere spricht von 90 % Überlebenschance. Der Informationsgehalt ist derselbe. Die Wirkung dagegen nicht. Umfragen zufolge erscheint beiden, dem Kranken wie dem medizinischem Personal, durchweg das Risiko größer, wenn von 10 % Todesfällen die Rede ist (Marteau, 1989; McNeil et al., 1988; Rothman & Salovey, 1997).
Framing-Effekt (auch Rahmeneffekt; „framing effect“) –
Auswirkung der Darstellungsweise eines Gegenstands oder Themas; Framing-Effekte können einen großen Einfluss auf Entscheidungen und Urteile ausüben. ..Abb. 10.15 (Joe Dator/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
10
zum Thema Todessstrafe wiederholten, forderten sie einige der Teilnehmenden auf, „möglichst objektiv und unvoreingenommen“ zu sein (Lord et al., 1984). Der Appell ließ die parteiische Bewertung der Untersuchungsergebnisse keineswegs abnehmen. Eine andere Gruppe baten sie auch, zu überlegen, ob sie „zu der gleichen Einschätzung der Untersuchungsergebnisse gekommen wären, wenn genau dieselbe Studie zu anderen Ergebnissen geführt hätte“. Wenn sich die Versuchspersonen solche gegensätzlichen Ergebnisse vorstellen und sie bewerten mussten, waren sie bei der Bewertung der Untersuchungen wesentlich unvoreingenommener. Je mehr Gründe wir haben, weshalb unsere Überzeugung stimmen könnte, desto stärker halten wir daran fest. Wer sich erst einmal klargemacht hat, warum Kandidat X oder Kandidatin Y besser geeignet ist, für den Frieden einzutreten, neigt dazu, Hinweise zu ignorieren, die gegen diese Überzeugungen sprechen. Wenn sich eine Überzeugung erst einmal gebildet hat und sie öffentlich gerechtfertigt wurde, so bedarf es stärkerer Argumente, um sie zu verändern, als dies bei ihrer Entstehung erforderlich war. Das Vorurteil bleibt bestehen. Überzeugungen häufig auch (. Abb. 10.15).
Framing-Effekte Der sog. Framing-Effekt (Rahmeneffekt), die Art und Weise, wie ein Sachverhalt dargestellt wird, kann ein wirksames Überzeugungsmittel sein. Die Regierungen wissen das. Die Menschen sind eher für „Waffensicherheit“ als für „Waffenkontrollgesetze“, sie akzeptieren eher „Arbeiter ohne Papiere“ als „illegale Einwanderer“, sind eher einverstanden mit einer „CO2-Ausgleichszahlung“ als mit einer „CO2-Steuer“, und sie befürworten eher „erweiterte Vernehmungsmethoden“ als „Folter“. Und bedenken Sie, wie das Framing von Optionen Menschen zu sinnvollen Entscheidungen anregen kann, (Bohannon, 2016; Fox & Tannenbaum, 2015; Thaler & Sunstein, 2008).
-
Organspender:in werden. In vielen europäischen Ländern sowie in den USA können Menschen entscheiden, ob sie Organspender:innen sein wollen, wenn sie ihren Führerschein verlängern. In einigen Ländern ist man es automatisch, aber es gibt auch die Möglichkeit, sich dagegen zu entscheiden. Beinahe 100 % der Menschen in diesen Ländern waren dazu bereit, Organe zu spenden. In Ländern, in denen man nicht automatisch Organspender:in ist, lehnen es die meisten ab, Organe zu spenden (Hajhosseini et al., 2013; Johnson & Goldstein, 2003). Sich für das Sparen für die Altersvorsorge entscheiden. Früher verlangten US-Unternehmen von Angestellten, die sich an einem Rentenplan beteiligen wollten, sich für ein geringeres Einkommen zu entscheiden, was nur wenige taten. Dank eines neuen Gesetzes können jetzt Firmen ihre Angestellten automatisch in diesen Rentenplan einbeziehen und ihnen freistellen auszusteigen. In beiden Fällen ist es die Entscheidung der Mitarbeitenden, am Rentenplan teilzunehmen oder nicht. Einer Analyse von 3,4 Mio. Angestellten zufolge stieg allerdings die Teilnahmequote in der Version mit der Ausstiegsmöglichkeit von 59 auf 86 % (Rosenberg, 2010). Als Großbritannien 2012 dazu überging, eine Ausstiegsmöglichkeit anzubieten, entschieden sich ebenfalls 5 Mio. mehr Angestellte, an einem Rentenplan teilzunehmen (Halpern, 2015).
Denken Sie daran: Der Framing-Effekt kann einen Anstoß geben, unsere Standpunkte und Entscheidungen zu ändern.
Gefahren und Macht der Intuition ?? 10.6 Wie nutzen kluge Denker:innen ihre Intuition?
Wie wir gesehen haben, kann unser irrationales Denken unsere Bemühungen um Problembewältigung, Risikobeurteilung und weise Entscheidungen, torpedieren. Die Fallstricke der Intuition sind sogar dann vorhanden,
407
10.1 • Denken
wenn Menschen eigens für scharfes Denken bezahlt werden oder wenn sie Rechenschaft über ihre Ergebnisse ablegen müssen; sie finden sich auch bei Fachärzt:innen und Kliniker:innen (Shafir & LeBoeuf, 2002; Stanovich et al., 2013). Auch sehr schlaue Menschen treffen manchmal nicht so schlaue Entscheidungen. Sind unsere Köpfe also tatsächlich mit Stroh gefüllt? Die guten Nachrichten: Kognitionswissenschaftler:innen zeigen auch, welche Kräfte in der Intuition stecken. Intuition ist Analyse, die „zur Gewohnheit erstarrt ist“ (Simon, 2001). Intuition ist implizites (unbewusstes) Wissen – etwas, das wir in unserem Gehirn aufgezeichnet haben, aber nicht gänzlich erklären können, (Chassy & Gobet, 2011; Gore & Sadler-Smith, 2011). Wir beobachten diese Fähigkeit, eine Situation in einem ganz kurzen Augenblick einzuschätzen und zu reagieren bei Schachgroßmeister:innen, wenn sie „Blitzschach“ spielen und intuitiv den richtigen Zug erkennen (Burns, 2004). Wir sehen es an den klugen und schnellen Entscheidungen von erfahrenen Krankenschwestern, Feuerwehrleuten, Kunstkritikern und Automechanikerinnen. Wir beobachten es bei talentierten Athleten, die handeln, ohne zu überlegen. Bewusstes Denken kann in der Tat eingespielte Bewegungen stören und dazu führen, dass geübte Sportlerinnen unter Druck versagen, z. B. bei einem Elfmeter (Beilock, 2010). Und auch bei Ihnen selbst werden wir das vielleicht auf Gebieten feststellen, in denen Sie aufgrund von Erfahrungen Fertigkeiten entwickelt haben. Intuition ist in der Regel adaptiv und ermöglicht schnelle Reaktionen. Unsere schnellen und unaufwändigen Heuristiken verhelfen uns intuitiv zu der Annahme, dass unscharf erscheinende Objekte weit entfernt sind – was sie in der Regel auch sind, außer vielleicht an einem nebligen Morgen. Unsere erlernten Assoziationen zeigen sich in Form unseres Bauchgefühls, richtig oder falsch. Wenn wir einen Fremden sehen, der jemandem ähnelt, der uns in der Vergangenheit verletzt oder bedroht hat, reagieren wir automatisch mit Misstrauen. Auch anhand der unbewussten Einstellung von Frischvermählten gegenüber ihrem neuen Lebensgefährten bzw. ihrer neuen Lebensgefährtin lässt sich voraussagen, wie es um ihr zukünftiges Eheglück bestellt ist (McNulty et al., 2013). Intuition ist eine großartige Sache. Unbewusste, automatische Einflüsse wirken sich ständig auf unsere Entscheidungen aus (Custer & Aarts, 2010). Die meisten Menschen vermuten, dass man komplexere Entscheidungen besser rational statt intuitiv treffen sollte (Inbar et al., 2010). Allerdings profitieren wir in komplexen Entscheidungssituationen manchmal davon, wenn wir unser Gehirn an einem Problem arbeiten lassen, ohne darüber nachzudenken (Strick et al., 2010, 2011). In einer Reihe von Experimenten lasen drei Gruppen von Versuchspersonen umfangreiche Informationen (über Appartements oder Fußballspiele) vor. Die erste
-
-
-
Gruppe sollte ihre Präferenz für eine von vier Möglichkeiten direkt nach dem Lesen der Informationen angeben. Die zweite Gruppe, die einige Minuten Zeit hatte, die Informationen zu analysieren, traf etwas bessere Entscheidungen. Aber die Teilnehmenden der dritten Gruppe entschieden sich in mehreren Studien am klügsten. Sie waren für einige Zeit abgelenkt worden, so dass ihre Gehirne Zeit hatten, die komplexen Informationen automatisch und unbewusst zu verarbeiten. Was lernen wir daraus? Es kann es sich auszahlen, innerlich ein Problem weiter „im Hinterkopf arbeiten“ zu lassen, während wir uns mit anderen Dingen beschäftigen (Dijksterhuis & Strick, 2016). Wenn wir vor einer schwierigen Entscheidung stehen, die viele Dinge involviert, sind wir gut beraten, alle Informationen zu sammeln und dann zu sagen: „Gib mir etwas Zeit, nicht darüber nachzudenken, vielleicht sogar eine Nacht darüber zu schlafen.“ Dank unseres ständig aktiven Gehirns kann unbewusstes Denken (Argumentation, Problemlösung, Entscheidungsfindung, Planung) erstaunlich intelligent sein (Creswell et al., 2013; Hassin, 2013; Lin & Murray, 2015).
» „Das Herz hat seine Gründe, die der Verstand nicht kennt.“ Blaise Pascal, Pensées (1670)
Kritiker:innen weisen darauf hin, dass einige Studien die angebliche Kraft des unbewussten Denkens nicht nachgewiesen haben, und erinnern uns daran, dass durch bewusstes Abwägen des Für und Wider eine intelligente Entscheidungsfindung gefördert wird (Newell, 2015; Nieuwenstein et al., 2015; Phillips et al., 2016). Souveräne Entscheidungsträger:innen, darunter auch Schachspieler:innen nehmen sich in schwierigen Situationen Zeit zum Nachdenken (Moxley et al., 2012). Und bei vielen Problemen sind sich Menschen, die besonnen vorgehen, bewusst, dass intuitives Handeln eine Option ist, sie wissen aber, wann sie diese außer Kraft setzen müssen (Mata et al., 2013). Hier zwei Beispiele: 1. Ein Schläger und ein Ball kosten zusammen 110 Cents. Der Schläger kostet 100 Cent mehr als der Ball. Wie viel kostet der Ball? 2. Wenn 5 Maschinen 5 Minuten brauchen, um 5 Teile herzustellen, wie lange brauchen dann 100 Maschinen, um 100 Teile herzustellen? Die intuitiven Antworten der meisten Menschen – 10 Cent und 100 Minuten – sind falsch, und ein paar Momente bewussten Nachdenkens zeigen, warum.4 4 Die erste Antwort lautet 5 Cents. Der Schläger würde dann 1,05 € kosten, also insgesamt 1,10 €. Würde der Ball gemäß der intuitiven Antwort 10 Cent kosten, müsste der Schläger 1,10 € kosten (also insgesamt 1,20 € für Schläger und Ball, nicht 1,10 €). Die zweite Antwort ist 5 Minuten, weil jede Maschine alle 5 Minuten ein Teil herstellt. Ärgern Sie sich nicht, wenn Sie die falschen Antworten gegeben haben – so ergeht es den meisten Studierenden (Frederick, 2005).
10
408
Kapitel 10 • Denken und Sprache
Fazit: Unser Verstand ist zweigleisig angelegt, und es entsteht eine süße Harmonie, wenn kluges, kritisches Nachdenken dem kreativen Flüstern unseres unsichtbaren Geistes lauscht, und dann Hinweise bewertet, Schlussfolgerungen überprüft und Pläne für die Zukunft entwirft. 10.1.4
Kreativ Denken
?? 10.7 Was ist Kreativität, und was fördert sie?
Kreativität ist die Fähigkeit, Ideen zu schaffen, die sowohl neu als auch wertvoll sind (Hennessey & Amabile, 2010). Ein Beispiel ist der unglaubliche, kreative Einfall des Princeton-Mathematikers Andrew Wiles. Pierre de Fermat, ein verschmitztes Genie des 17. Jahrhunderts, hatte die Mathematik seiner Zeit herausgefordert, seine Lösungen für verschiedene Problemstellungen der Zahlentheorie zu beweisen.
10
Kreativität („creativity“) – Die Fähigkeit, neue und wertvolle Ideen zu entwickeln. Konvergentes Denken („convergent thinking“) – Eingrenzen der verfügbaren Problemlösungen zur Bestimmung der einzigen besten Lösung. Divergentes Denken („divergent thinking“) – Ausweiten der Anzahl der möglichen Problemlösungen; kreatives Denken, das in verschiedene Richtungen auseinanderdriftet.
Seine berühmteste Herausforderung – Fermats letztes Theorem – stellte die größten Mathematiker:innen vor ein Rätsel, sogar noch 1908, als ein Preis von 2 Mio. Dollar (in heutigen Dollar) für die Person ausgelobt wurde, die zuerst diesen Satz beweisen konnte. Wiles hatte mehr als 30 Jahre lang über Fermats Theorem gegrübelt und stand kurz vor der Lösung. Eines Morgens im Jahr 1994 traf ihn aus heiterem Himmel die letzte „unglaubliche Offenbarung“. „Es war so unbeschreiblich schön; es war so einfach und so elegant. Ich konnte nicht verstehen, wie ich das übersehen konnte. … Es war der wichtigste Moment in meinem Berufsleben“ (Singh, 1997, S. 25). Kreativität wie die von Wiles wird durch ein gewisses Maß an Begabung (Lernfähigkeit) unterstützt (. Abb. 10.16). Wer wie manche 13-Jährige eine überdurchschnittliche Begabung für den Umgang mit Zahlen hat, wird später eher eine wissenschaftliche Arbeit oder eine Patentschrift veröffentlichen (Park et al., 2008; Robertson et al., 2010). Doch für Kreativität braucht es mehr als Begabung oder das, was Intelligenztests aufzeigen. In der Tat ist die Gehirnaktivität, die mit Intelligenz einhergeht, eine andere als die, welche Kreativität erzeugt (Jung & Haier, 2013). In Eignungstests (wie z. B.
..Abb. 10.16 Fleißige Kreativität. Forscherin Sally Reis (2001) fand heraus, dass kreative Frauen in besonderem Maße als Mädchen oft „intelligent, fleißig, einfallsreich und willensstark“ waren, und sie führte Beispiele wie die mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Genetikerin Barbara McClintock auf. Die hier abgebildete Autorin Alice Munro sprach in ihrer Dankesrede für den Literatur-Nobelpreis 2013 auch über Kreativität als harte Arbeit. „Geschichten sind für die Welt so wichtig … [Am schwierigsten wird es,] wenn man die Geschichte durchgeht und merkt, wie schlecht sie ist. Wissen Sie, am Anfang: Begeisterung, dann: ziemlich gut, aber wenn man sie dann eines Morgens in die Hand nimmt, denkt man: ‚Was für ein Blödsinn‘, und das ist der Moment, an dem man wirklich anfangen muss, daran zu arbeiten. Und für mich schien es immer das Richtige zu sein.“ (© PETER MORRISON/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
standardisierte Tests für die Vergabe von Studienplätzen) ist typischerweise konvergentes Denken gefordert, die Fähigkeit, eine einzige richtige Antwort zu geben. Kreativitätstests (Welche Verwendungsmöglichkeiten sehen Sie für einen Ziegelstein?) erfordern divergentes Denken – die Fähigkeit, viele verschiedene Optionen zu berücksichtigen und innovative Wege zu gehen. Eine Verletzung bestimmter Bereiche des Frontallappens kann die Fähigkeiten zum Lesen, Schreiben und Rechnen erhalten, aber die Vorstellungskraft zerstören (Kolb & Whishaw, 2006). Robert Sternberg und seine Kolleg:innen glauben, dass Kreativität fünf Bestandteile hat (Sternberg, 1988, 2003; Sternberg & Lubart, 1991, 1992): 1. Fachwissen – ausgeprägtes Wissen – liefert die Ideen, Bilder und Ausdrücke, die wir als mentale Bausteine verwenden. „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist“, bemerkte Louis Pasteur. Je mehr Bausteine wir haben, desto mehr Möglichkeiten haben wir, sie auf neuartige Weise zu kombinieren. Wiles’
409
10.1 • Denken
..Abb. 10.18 Eine kreative Umgebung. (© Mick Stevens/Search ID: CC132960, Rights Available from CartoonStock.com)
..Abb. 10.17 Fantasievolles Denken. Cartoonist:innen beweisen oft Kreativität, da sie Dinge auf eine neue Art betrachten oder ungewöhnliche Verbindungen herstellen. (© Dave Coverly/speedbump.com)
ausgeprägtes Wissen lieferte ihm die nötigen Theoreme und Methoden. 2. Fantasievolles Denken ermöglicht es, Dinge auf neue Weise zu sehen, Muster zu erkennen und Zusammenhänge herzustellen (. Abb. 10.17). Wenn wir die Grundelemente eines Problems beherrschen, können wir ein Problem neu definieren oder auf eine neue Art und Weise erforschen. Kopernikus entwickelte zunächst Fachwissen über das Sonnensystem und seine Planeten und hat dann kreativ festgelegt, dass das System um die Sonne und nicht um die Erde kreist. Wiles’ fantasievolle Lösung verknüpfte zwei Teillösungen. 3. Eine experimentierfreudige Persönlichkeit sucht nach neuen Erfahrungen, erträgt Unklarheiten und Risiken und überwindet beharrlich Hindernisse. Wiles sagte, er hätte seine Arbeit fast isoliert von der mathematischen Gemeinschaft durchgeführt. um sich zu konzentrieren und Ablenkung zu vermeiden. Eine solche Entschlossenheit ist ein typischer Charakterzug. 4. Intrinsische Motivation ist die Eigenschaft, mehr von Interesse, Zufriedenheit und Herausforderung angetrieben zu werden als durch äußeren Druck (Amabile & Hennessey, 1992). Kreative Menschen konzentrieren sich weniger auf extrinsische Antriebsfaktoren – Abgabetermine einhalten, Leute beeindrucken, oder Geld verdienen – als auf das Vergnügen und die Stimulation durch die Arbeit selbst. Auf die Frage, wie er so schwierige wissenschaftliche Probleme gelöst
hat, soll Isaac Newton geantwortet haben: „Indem ich die ganze Zeit über sie nachdenke“. Wiles stimmte zu: „Ich war so besessen von diesem Problem, dass … ich die ganze Zeit darüber nachgedacht habe – vom Aufstehen am Morgen bis zum Schlafengehen am Abend“ (Singh & Riber, 1997). 5. Eine kreative Umgebung beflügelt, unterstützt und verbessert kreative Ideen (. Abb. 10.18). Wiles stand auf den Schultern von anderen Forschenden und arbeitete mit einem ehemaligen Studenten zusammen. In eine Studie über den beruflichen Werdegang von 2026 prominenten Wissenschaftler:innen und Erfinder:innen wurde festgestellt. dass die herausragendsten von ihren Kolleg:innen angeleitet, herausgefordert und unterstützt wurden (Simonton, 1992). Umfelder, die die Kreativität fördern, begünstigen Innovation, Teambildung und Kommunikation (Hülsheger et al., 2009). Sie reduzieren auch Ängste und fördern die Reflexion (Byron & Khazanchi, 2011). Jonas Salk löste ein Problem und ermöglichte damit die Entwicklung des Polio-Impfstoffs, als er sich in ein Kloster zurückgezogen hatte. Später, als er das Salk Institute entwarf, stellte er den Wissenschaftler:innen kontemplative Räume zur Verfügung, in denen sie ungestört arbeiten konnten (Sternberg, 2006).
-
Für diejenigen, die den kreativen Prozess ankurbeln wollen, bietet die Forschung einige Ideen: Entwickeln Sie Ihr Fachwissen. Fragen Sie sich, was Sie interessiert und was Ihnen am meisten Spaß macht. Folgen Sie Ihrer Leidenschaft, indem Sie Ihr Wissen erweitern und Expert:in auf einem Gebiet werden. Lassen Sie das Problem „weiter im Hinterkopf arbeiten“. Denken Sie intensiv über ein Problem nach,
10
410
Kapitel 10 • Denken und Sprache
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Ordnen Sie die hier aufgelisteten Prozesse oder Strategien (1–10) den passenden Beschreibungen zu.
..Abb. 10.19 (Christopher Weyant/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
10
schieben Sie es dann aber beiseite und kommen Sie später darauf zurück. Diejenigen, die über genügend Wissen verfügen – die erforderlichen mentalen Bausteine – sollten das Problem eine Zeitlang außer Acht lassen („darüber schlafen“), um die automatische Verarbeitung zur Bildung von Assoziationen zu ermöglichen (Zhong et al., 2008). Nehmen Sie sich die Zeit, die Gedanken schweifen zu lassen. Kreativität entsteht durch „defokussierte Aufmerksamkeit“ (Simonton, 2012a,b). Lösen Sie sich also von Fernsehen, sozialen Netzwerken und Videospielen, die Ihnen Ihre Aufmerksamkeit rauben. Joggen Sie, machen Sie einen langen Spaziergang oder meditieren Sie. Gelassenheit ist der Schlüssel zur Spontaneität. Setzen Sie sich mit anderen Kulturen und Denkweisen auseinander. Das Leben im Ausland setzt kreative Kräfte frei. Kontrollierte Studien zeigen, dass Studierende, die eine Zeit im Ausland verbracht und die Kultur ihres Gastlandes kennengelernt haben, eher in der Lage sind, kreative Lösungen für Probleme zu finden (Lee et al., 2012; Tadmor et al., 2012). Selbst wenn Sie nur die eigene Wohngegend verlassen und sich multikulturellen Erfahrungen aussetzen, fördern Sie Ihre gedankliche Flexibilität (Kim et al., 2013; Ritter et al., 2012; . Abb. 10.19).
-
Eine Zusammenfassung einiger Hauptgedanken aus diesem Abschnitt finden Sie in . Tab. 10.1.
1. Algorithmus 2. Intuition 3. Einsicht 4. Heuristik 5. Fixierung 6. Bestätigungstendenz 7. Systematische Selbstüberschätzung 8. Kreativität 9. FramingEffekt 10. Beharren auf Überzeugungen
a. Unfähigkeit, ein Problem aus einem neuen Blickwinkel zu sehen; fokussiert den Denkprozess, ist aber sehr hinderlich bei der kreativen Problembewältigung. b. Systematische Regel oder Vorgehensweise, die garantiert zur Lösung führt, aber Zeit und Aufwand erfordert. c. Ihr schneller, automatischer und müheloser Gefühlzustand oder Gedanke, der auf Erfahrung basiert; stark und adaptiv, kann aber dazu führen, zu viel zu fühlen und zu wenig zu denken. d. Einfache Denkstrategien, die schnelle und effiziente Entscheidungen ermöglichen, aber auch fehleranfällig sind. e. Plötzlicher Aha-Moment, der überraschend die Lösung eines Problemsaufzeigt. f. Tendenz, nach Informationen zu suchen, die eine vorgefasste Meinung bestätigen, und Hinweise zu ignorieren oder zu verzerren, die dieser Meinung widersprechen. g. An seinen Überzeugungen festhalten, selbst wenn diese sich als falsch erwiesen haben. h. Überschätzung der Genauigkeit Ihrer eigenen Überzeugungen und Einschätzungen; ermöglicht es Ihnen, unbeschwert zu sein und leichter Entscheidungen zu treffen, aber prädestiniert Sie für Irrtümer. i. Formulierung einer Frage oder Aussage auf eine bestimmte Art und Weise, sodass eine erwünschte Antwort hervorgerufen wird; kann andere in die Irre führen und ihre Entscheidungen beeinflussen. j. Die Fähigkeit, neue und wertvolle Ideen zu entwickeln.
411
10.1 • Denken
..Tab. 10.1 Vergleich kognitiver Prozesse und Strategien Prozess oder Strategie
Beschreibung
Chancen
Risiken
Algorithmus
Systematische Regel oder Vorgehensweise
Führt garantiert zur Lösung
Erfordert Zeit und Aufwand
Heuristik
Einfache Denkstrategie wie die Verfügbarkeitsheuristik (bei der die Wahrscheinlichkeit danach einschätzt wird, wie leicht uns Ereignisse einfallen)
Lässt uns schnell und effizient handeln
Ist fehleranfällig
Einsicht
Plötzlicher Aha-Moment
Liefert die sofortige Lösung eines Problems
Tritt vielleicht nicht ein
Bestätigungstendenz
Tendenz, nach Informationen zu suchen, die eine vorgefasste Meinung bestätigen, und Hinweise zu ignorieren oder zu verzerren, die dieser Meinung widersprechen
Lässt uns schnell Hinweise erkennen, die unserer Meinung entsprechen
Ignoriert oder verzerrt Hinweise, die unserer Meinung widersprechen
Fixierung
Unfähigkeit, ein Problem aus einem neuen Blickwinkel zu sehen
Fokussiert den Denkprozess
Ist sehr hinderlich bei der kreativen Problembewältigung
Intuition
Schneller, automatischer Gefühlzustand oder Gedanke
Basiert auf unserer Erfahrung; stark und adaptiv
Kann dazu führen, zu viel zu fühlen und zu wenig zu denken
Systematische Selbstüberschätzung
Überschätzung der Genauigkeit unserer eigenen Überzeugungen und Einschätzungen
Ermöglicht es uns, unbeschwert zu sein und leicht Entscheidungen zu treffen
Prädestiniert uns für Irrtümer
Beharren auf Überzeugungen
Ignorieren von Hinweisen, die unserer Meinung widersprechen
Unterstützt unsere dauerhaften Überzeugungen
Verschließt unseren Geist gegenüber neuen Ideen
Framing-Effekt
Formulierung einer Frage oder Aussage auf eine bestimmte Art und Weise, sodass eine erwünschte Antwort hervorgerufen wird
Kann die Entscheidungen anderer beeinflussen
Kann ein irreführendes Ergebnis erzeugen
Kreativität
Die Fähigkeit, wertvolle Ideen zu entwickeln
Erzeugt neue Erkenntnisse und Projekte
Kann von strukturierter Routinearbeit ablenken
10.1.5
Teilen andere Spezies unsere kognitiven Fähigkeiten?
?? 10.8 Was wissen wir darüber, wie andere Spezies
denken?
Tiere sind überraschend klug (de Waal, 2016). Wie die wegweisende Psychologin Margaret Floy Washburn in ihrem Buch The Animal Mind von 1908 erklärt, kann man aufgrund des Verhaltens von Tieren darauf schließen, dass sie über Bewusstsein und Intelligenz verfügen. Im Jahr 2012 haben Neurowissenschaftler:innen der Universität Cambridge ergänzt, dass auch die Gehirne von Tieren auf ihr Bewusstsein schließen lassen: „Tiere, darunter alle Säugetiere und Vögel“, verfügen über die neuronalen Netze, „die Bewusstsein erzeugen“ (Low, 2012). Stellen Sie sich daher vor, was die Gehirne von Tieren leisten können. zz Der Gebrauch von Begriffen und Zahlen
In der Erwartung einer Futterbelohnung haben Schwarzbären durch das Berühren eines Bildschirms gelernt,
Bilder in tierische und nichttierische Kategorien bzw. Begriffe zu sortieren (Vonk et al., 2012). Auch Menschenaffen, zu denen Schimpansen und Gorillas gehören, sind in der Lage, Begriffe zu bilden, wie z. B. Katze und Hund. Nachdem Affen diese unterschiedlichen Kategorien erlernt haben, feuern bestimmte Neuronen im Frontallappen in Reaktion auf neue „katzenähnliche“ Bilder, andere auf neue „hundeähnliche“ Bilder (Freedman et al., 2001). Sogar Tauben können, obwohl sie nur ein Vogelhirn haben, Gegenstände (Bilder von Autos, Katzen, Sesseln und Blumen) einer Kategorie zuordnen und Begriffe formen (. Abb. 10.20). Wenn man Tauben ein Bild von einem Sessel zeigt, das sie nie zuvor gesehen haben, werden sie zuverlässig auf die Taste picken, die für Sessel steht (Wasserman, 1995). zz Einsicht zeigen
Der deutsche Psychologe Wolfgang Köhler (1925) zeigte, dass Menschen nicht die einzigen Lebewesen sind, die in der Lage sind, Einsicht zu zeigen. Er platzierte eine Frucht und einen langen Stock außerhalb des Käfigs eines Schimpansen namens Sultan, sodass dieser beides
10
412
10
Kapitel 10 • Denken und Sprache
..Abb. 10.20 Tierische Intelligenz in Aktion. Bis zu seinem Tod im Jahr 2007 hat Alex, ein afrikanischer Graupapagei, Objekte kategorisiert und benannt (Pepperberg, 2009, 2012, 2013). Zu seinen verblüffenden numerischen Kenntnissen zählte die Fähigkeit, die Zahlen bis 8 zu verstehen. Er konnte die Anzahl von Objekten benennen. Er konnte zwei kleine Gruppen von Objekten addieren und die Summe verkünden. Er konnte entscheiden, welche von zwei Zahlen größer war. Und er gab die richtige Antwort, wenn man ihm neuartige Anordnungen von Gegenständen zeigte. Zum Beispiel konnte Alex auf die Frage „Welche Farbe vier?“ (d. h. „Was ist die Farbe der Objekte, die viermal vorhanden sind?“) die richtige Antwort geben. (© Mike Lovett)
nicht erreichen konnte. In den Käfig legte Köhler einen kurzen Stock, den Sultan ergriff und mit dem er versuchte, an die Frucht heranzukommen. Nach einigen frustrierenden Versuchen ließ der Schimpanse den Stock fallen und schien die Lage zu überdenken. Plötzlich sprang Sultan auf, als hätte er ein Aha-Erlebnis gehabt, und griff wieder nach dem kurzen Stock. Diesmal angelte er sich damit den langen Stock – und holte sich mit diesem die Frucht. Menschenaffen demonstrieren sogar Weitsicht, indem sie Werkzeuge aufheben, mit denen sie sich am nächsten Tag wieder Nahrung sichern können (Mulcahy & Call, 2006). (Ein Beispiel, wie ein Schimpanse seine Weitsicht einsetzt, ist in . Abb. 10.21a dargestellt.) Affen haben auch die Fähigkeit bewiesen, die Gedanken anderer zu lesen – sie ahnten, wo ein Mensch nach einem Gegenstand suchen würde, selbst wenn er nicht mehr da ist. Auch Vögel zeigen Einsicht. In einem Experiment von Christopher Bird (!) und Nathan Emery (2009) wurde eine Fabel von Äsop zu neuem Leben erweckt, in der eine durstige Krähe nicht in der Lage ist, das Wasser in einem teilweise gefüllten Krug zu erreichen. In . Abb. 10.21b sehen Sie, wie die Krähe das Problem gelöst hat (genau wie in der Fabel). Andere Krähen bastelten sich Drähte oder Stöcke, um an Nahrung zu gelangen, zum Beispiel an Insekten in verrottenden Baumstämmen (Rutz et al., 2016). zz Weitergabe von Kultur
Genauso wie Menschen entwickeln andere Arten neuartige Verhaltensweisen und geben kulturelle Handlungsmuster an Gleichaltrige und Nachkommen weiter
(Boesch-Achermann & Boesch, 1993). Im Wald lebende Schimpansen wählen unterschiedliche Werkzeuge für unterschiedliche Zwecke – einen schweren Stock, um Löcher zu bohren, einen leichten, biegsamen Stock, um nach Termiten zu fischen und einen spitzen Stock zum Rösten von Marshmallows (kleiner Scherz: Marshmallows rösten sie nicht, aber sie haben uns überrascht, wie raffiniert sie Werkzeug gebrauchen [Sanz et al., 2004]). Forscher haben bei Schimpansen mindestens 39 lokal unterschiedliche Gewohnheiten beim Werkzeuggebrauch, bei der Körperpflege und beim Paarungsverhalten beobachtet (Claidière & Whiten, 2012; Whiten & Boesch, 2001). Die eine Gruppe von Schimpansen schleckt vielleicht die Ameisen direkt vom Stock ab, während eine andere sie einzeln mit den Fingern absammelt. Die eine Gruppe benutzt einen Stein zum Nüsseknacken, eine andere verwendet dagegen ein Stück Holz als Hammer. Ein Schimpanse entdeckte Trinkwasser in einem Baummoos, das sich aus einem Wasserloch vollgesogen hatte, und innerhalb von sechs Tagen tranken sieben andere aufmerksame Schimpansen auf die gleiche Weise (Hobaiter et al., 2014). In diesen übertragenen Verhaltensweisen ebenso wie Dialektunterschieden bei den Lautäußerungen und Unterschieden bei den Jagdtechniken kommt gewissermaßen die kulturelle Vielfalt in der Schimpansenwelt zum Ausdruck. In einigen Experimenten haben Forschende begonnen, die Weitergabe von kulturellen Verhaltensweisen bei Schimpansen im Labor zu untersuchen (Claidière et al., 2014; Horner et al., 2006). Wenn Schimpanse A Nahrung erhält, indem er eine Tür entweder zur Seite schiebt oder anhebt, so wird Schimpanse B gewöhnlich das Gleiche tun, um an Nahrung heranzukommen. Und genauso wird sich Schimpanse C verhalten, nachdem er Schimpanse B beobachtet hat. Entlang einer Reihe von sechs Tieren beobachten Schimpansen Verhalten und ahmen es nach. zz Andere kognitive Fähigkeiten
Ein Pavian erkennt die Stimme jedes einzelnen Mitglieds innerhalb eines Rudels von 80 Tieren (Jolly, 2007). Menschenaffen, Delfine und Elefanten erkennen sich selbst in einem Spiegel und beweisen so Ich-Bewusstsein. Delfine bilden Koalitionen, jagen gemeinsam und lernen voneinander, Werkzeuge zu benutzen (Bearzi & Stanford, 2010). In der Shark Bay in West-Australien benutzt eine kleine Gruppe von Delfinen die Meeresschwämme als Nasenschützer, wenn sie den Meeresgrund nach Fischen absuchen (Krützen et al., 2005). Auch Elefanten beweisen in Tests ihre Fähigkeit zu lernen, sich zu erinnern, Gerüche zu unterscheiden, Mitgefühl zu empfinden, zusammenzuarbeiten, zu lehren und spontan Werkzeuge zu benutzen (Byrne et al., 2009). Schimpansen zeigen Altruismus, Zusammenarbeit und Gruppenaggression. Genauso wie Menschen töten sie gezielt ihren Nachbarn, um Land zu gewinnen, und sie trauern um verstorbene Verwandte (Anderson et al., 2010; Biro et al., 2010; Mitani et al., 2010).
413
10.1 • Denken
a
b
..Abb. 10.21 a,b 3 Tierische Talente. a Ein männlicher Schimpanse im schwedischen Furuvik Zoo wurde dabei beobachtet, wie er jeden Morgen Steine sammelte und zu einem kleinen, ordentlichen Hügel zusammenstapelte, den er später am Tag als Munition nutzte, um Besucher auf sich aufmerksam zu machen (Osvath & Karvonen, 2012). b Die Krähen, die Chris Bird und Nathan Emery (2009) untersucht haben, haben es schnell gelernt, das Wasserlevel in einem Glaszylinder
anzuheben, indem sie Steine in das Wasser hineinfallen ließen, um an einen darin schwimmenden Wurm heranzukommen. Andere Raben haben Zweige benutzt, um nach Insekten zu fischen, und Metallstreifen verbogen, um damit Nahrung zu erreichen. (a: © ASSOCIATED PRESS/Neurology/picture alliance; b: Mit freundlicher Genehmigung von Chris Bird und Nathan Emery)
Die Überlegungen zu den Fähigkeiten anderer Spezies bringen uns zurück zu unserer Ausgangsfrage: Inwieweit haben wir Menschen die Bezeichnung Homo sapiens – weiser Mensch – verdient? Denken wir einen Augenblick nach, um unserer Spezies ein Zwischenzeugnis auszustellen. Im Bereich Entscheidungsfindung und Urteilsbildung schneidet unsere schlaue, aber fehleranfällige Spezies nicht besonders gut ab – wir bekämen vielleicht eine 2−. Beim Problemlösen sind wir Menschen erfindungsreich, aber auch für Fixierungen und Bestätigungstendenz anfällig; wir würden in diesem Bereich wahrscheinlich besser abschneiden, vielleicht mit einer 2+. Was die kognitive Effizienz und Kreativität angeht, haben wir uns für unsere schnelle (wenn auch manchmal fehlerhafte) Heuristik eine 1 verdient.
10.7 – Was ist Kreativität, und was fördert sie?
10.1.6 Rückblick:
Denken
Verständnisfragen
10.1 – Was ist Kognition und was sind die Funktionen
von Begriffen? 10.2 – Welche kognitiven Strategien helfen uns beim Problemlösen und welche Hindernisse stehen uns im Weg? 10.3 – Was ist Intuition und wie können die Verfügbarkeits- und Repräsentativitätsheuristik unsere Entscheidungsfindung und Urteilsbildung beeinflussen? 10.4 – Welche Faktoren verstärken unsere Ängste vor unwahrscheinlichen Ereignissen? 10.5 – Wie werden unsere Entscheidungen und Urteile durch Selbstüberschätzung, Beharren auf Überzeugungen und Framing beeinflusst? 10.6 – Wie nutzen kluge Denker:innen ihre Intuition?
10.8 – Was wissen wir darüber, wie andere Spezies
denken?
----------
Schlüsselbegriffe Algorithmus Begriff Beharren auf Überzeugungen Bestätigungstendenz Divergentes Denken Einsicht Fixierung Framing-Effekt Heuristik Intuition Kognition Konvergentes Denken Kreativität Mentales Set Prototyp Repräsentativitätsheuristik Systematische Selbstüberschätzung Verfügbarkeitsheuristik
Master the Material 1. Eine mentale Gruppierung ähnlicher Dinge bezeichnet man als ___. 2. Die systematischste Vorgehensweise zur Lösung eines Problems ist ein ___. 3. Oscar beschreibt seine politischen Überzeugungen als „extrem liberal“, und er ist nicht daran interessiert, über gegensätzliche Ansichten zu diskutieren. Inwiefern könnte er von Bestätigungstendenz und Beharren auf Überzeugungen beeinflusst sein?
10
414
Kapitel 10 • Denken und Sprache
..Abb. 10.22 Sprache vermittelt Wissen. Egal ob gesprochen, geschrieben oder durch Gebärden dargestellt, Sprache – die ursprüngliche drahtlose Kommunikation – ermöglicht uns eine Informationsweitergabe von Geist zu Geist und damit die Weitergabe des angesammelten Wissens einer Zivilisation an nachfolgende Generationen. (© picture alliance/AP Images)
10
4. Ein großes Hindernis beim Lösen von Problemen ist die Fixierung, das heißt … a. die Neigung, unsere Urteile auf lebhafte Erinnerungen zu stützen. b. die Neigung, auf eine Einsicht zu warten. c. die Unfähigkeit, ein Problem aus einer neuen Perspektive zu betrachten. d. eine Faustregel zum Beurteilen der Wahrscheinlichkeit, dass ein Vorfall gemäß unserem Vorstellungsbild von ihm eintritt. 5. Die Terroranschläge in Paris und San Bernardino haben bei den Amerikaner:innen, nach den Worten eines Senators, „echte Sorge und Angst hervorgerufen“. Einem Terrorakt zum Opfer zu fallen, fürchten sie mehr als andere, größere Bedrohungen. Solche übertriebenen Ängste nach dramatischen Ereignissen sind ein Beispiel für die ___. 6. Wenn Verbraucher:innen auf Rinderhackfleisch mit der Bezeichnung „75 % mager“ positiver reagieren als auf das gleiche Produkt mit der Kennzeichnung „25 % Fett“, wurden sie durch ___ beeinflusst. 7. Welches der folgenden Merkmale ist KEINE Eigenschaft einer kreativen Person? a. Fachwissen b. Extrinsische Motivation c. Eine experimentierfreudige Persönlichkeit d. Fantasievolles Denken 10.2 Sprache
und Geist
Stellen Sie sich Aliens vor, die Gedanken von einem Kopf zum anderen weiterleiten können, indem sie die Luftmoleküle im Raum zum Pulsieren bringen. Vielleicht könnten diese seltsamen Wesen ja in einem künftigen
Science-Fiction-Film vorkommen? Eigentlich sind wir diese Kreaturen! Wenn wir sprechen, übertragen unser Gehirn und unser Sprechapparat Luftdruckwellen, die wir absenden und gegen das Trommelfell des anderen prallen lassen – dies ermöglicht es uns, Gedanken von unserem in sein Gehirn zu leiten. Wie der Kognitionsforscher Steven Pinker (1998) anmerkte, kann man stundenlang dasitzen „und den Geräuschen zuhören, die andere Menschen beim Ausatmen machen, weil dieses Zischen und Quietschen eben Information enthält“. Und wegen all dieser seltsamen Geräusche, die in unserem Kopf aus Luftdruckwellen erzeugt und ausgesandt werden, richten die Leute ihre Aufmerksamkeit auf uns. Wir schaffen es, dass sie bestimmte Dinge machen, und erhalten damit Beziehungen aufrecht (Guerin, 2003). Je nachdem, wie man die Luft zum Schwingen bringt, kann man sich entweder einen finsteren Blick oder einen Kuss einfangen. Sprache ist mehr als vibrierende Luft – es sind unsere gesprochenen, geschriebenen oder durch Gebärden dargestellte Wörter und die Art und Weise, wie wir sie kombinieren, um Bedeutung zu übermitteln. Als ich [DM] diesen Absatz verfasse, erzeugen meine Finger auf einer Tastatur elektronische binäre Zahlen, die in die Schnörkel vor Ihnen gepresst werden. Diese Schnörkel werden mit Hilfe von reflektierten Lichtstrahlen auf Ihre Retina übertragen und lösen dort formlose Nervenimpulse aus, die wiederum zu verschiedenen Hirnarealen wandern, welche diese Informationen integrieren, mit abgespeicherten Informationen vergleichen und ihre Bedeutung entschlüsseln.
» „Das Geheimnis für das Überleben unserer Vorfahren
lag vermutlich darin, dass wir die Sprache dazu nutzen, neue Formen der Zusammenarbeit zu entwickeln.“ David Grinspoon, Can Humans Outsmart Extinction? (2016)
415
10.2 • Sprache und Geist
Sprache („language“) – unsere gesprochenen, geschriebe-
nen oder durch Gebärden ausgedrückten Wörter und die Art und Weise, wie wir diese miteinander verbinden, um Bedeutungen auszudrücken. Dank der Sprache bewegen sich Informationen von meinem in Ihren Geist (. Abb. 10.22). Viele Tiere wissen fast nur, was sie wahrnehmen. Dank der Sprache wissen wir vieles, was wir noch nie gesehen haben, und was unsere entfernten Vorfahren nie wussten. Heute, so Daniel Gilbert (2006), weiß der durchschnittliche Berliner Taxifahrer „mehr über das Universum als Galileo, Aristoteles, Leonardo oder irgendein anderer dieser Typen, die so klug waren, dass sie nur einen Namen brauchten“. Beginnen wir unser Studium der Sprache mit der Untersuchung einiger ihrer Bestandteile. 10.2.1
Struktur und Aufbau von Sprache
?? 10.9 Welches sind die strukturellen Grundbestand-
teile einer Sprache?
Überlegen Sie: Wie würden wir vorgehen, um selbst eine Sprache zu erfinden? Für eine gesprochene Sprache würden wir drei Bausteine benötigen: Phoneme sind die kleinsten unterscheidbaren Lauteinheiten in einer Sprache. Wenn wir das Wort Ton aussprechen, müssen wir die Phoneme t, o und n artikulieren. (Phoneme sind nicht das Gleiche wie Buchstaben. Das Wort schon besteht ebenfalls aus 3 Phonemen, nämlich sch, o und n.) Bei der Untersuchung von fast 500 Sprachen haben die Linguisten 869 verschiedene Phoneme der menschlichen Sprache ausmachen können, aber keine Sprache benutzt sie alle (Holt, 2002; Maddieson, 1984). Diese rund 800 Laute „können alle Wörter in jeder Sprache der Welt bilden“, bemerkt die Kindersprachforscherin Patricia Kuhl (2015). Sowohl das Englische als auch das Deutsche kennen etwa 40; die Zahl der Phoneme in anderen Sprachen liegt zwischen halb so viel und mehr als doppelt so viel. Im Allgemeinen enthalten Konsonantenphoneme mehr Information als Vokalphoneme. Dar karza Satz, dan Saa garada lasan, balagt das abarzaagand. Ebenso: draa Chanasan mat dam Kantrabass (. Abb. 10.23). Morpheme sind die kleinsten bedeutungstragenden Bausteine einer Sprache. Im Englischen sind einige Morpheme zugleich Phoneme – z. B. das Personalpronomen I und der Artikel a. Aber die meisten Morpheme sind Kombinationen aus 2 oder mehr Phonemen. Einige – wie beispielsweise Hund – sind Wörter. Andere – wie das Präfix Vor- in Vorschau oder das Suffix ‑te als Zeichen für die Vergangenheitsform – sind nur Wortbestandteile.
-
-
..Abb. 10.23 (J.C. Duffy/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
-
Eine Grammatik ist das Regelsystem einer Sprache, das es uns ermöglicht zu kommunizieren. Grammatikalische Regeln zeigen uns, wie man Bedeutung aus Tönen ableitet (Semantik) und Wörter zu Sätzen zusammenfügt (Syntax).
Phonem („phoneme“) – kleinste unterscheidbare Laut-
einheit in einer gesprochenen Sprache. Morphem („morpheme“) – kleinster bedeutungstragender Baustein einer Sprache; kann ein Wort oder ein Wortbestandteil sein. Grammatik („grammar“) – System von Regeln in einer Sprache, mit deren Hilfe wir uns anderen Menschen mitteilen und sie verstehen können. Die Semantik („semantics“) ist die Gesamtheit aller Regeln der Sprache, mit deren Hilfe wir aus Morphemen, Wörtern und Sätzen Bedeutung ableiten; und die Syntax („syntax“) beschreibt die Regeln, nach denen Wörter zu sinnvollen Sätzen kombiniert werden. Wie das Leben aus dem einfachen Alphabet des genetischen Codes konstruiert ist, so ist Sprache Komplexität, die aus Simplizität aufgebaut ist. Im Deutschen lässt sich beispielsweise die relativ kleine Zahl von etwa 40 Phonemen zu mehr als 60.000 Morphemen zusammensetzen, die allein oder miteinander kombiniert die etwa 350.000 Stichwörter des Duden ergeben. Aus diesen Wörtern können wir dann eine unbegrenzte Zahl von Sätzen bilden, von denen wir die meisten (so wie diesen hier) vorher nie gehört oder gelesen haben. So wie das Leben selbst auf dem einfachen Alphabet des genetischen Codes beruht, entsteht die Komplexität der Sprache aus allereinfachsten Grundelementen. Ich weiß, dass Sie verstehen, warum ich mir Sorgen mache, Sie könnten glauben, dieser Satz würde allmählich zu kompliziert werden, aber diese Komplexität – und unsere Fähigkeit, diese mitzuteilen und zu verstehen – macht eben
10
416
Kapitel 10 • Denken und Sprache
das Sprachvermögen des Menschen aus (Hauser et al., 2002; Premack, 2007). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie viele Morpheme hat das Wort Katzen? Und wie viele Phoneme?
10
Wir Menschen zeigen ein erstaunliches Sprachtalent. Mit bemerkenswerter Effizienz wählen wir Zehntausende von Wörtern aus unserem Gedächtnis aus, verbinden sie in Windeseile, mühelos und syntaktisch fast perfekt miteinander, um sie dann in einem Tempo von 3 Wörtern pro Sekunde auszuspucken (Vigliocco & Hartsuiker, 2002). Nur selten bilden wir Sätze im Kopf, bevor wir sie aussprechen. Vielmehr stellen wir sie spontan zusammen, während wir sprechen. Und während wir all das tun, passen wir unsere Sprache auch an den sozialen und kulturellen Kontext an. Eine Analyse von 350 Mrd. Wörtern aus dem amerikanischen Englisch der Jahre von 1800 bis 2000 – einer Zeit massiver Einwanderung – zeigte, dass sich der Sprachgebrauch veränderte, um die Verständigung zwischen Menschen mit unterschiedlichem sprachlichem Hintergrund zu verbessern (Hills & Adelman, 2015). Wir befolgen beim Sprechen auch Normen (Wie weit sollten wir auseinander stehen?) und des Zuhörens (Ist es okay zu unterbrechen?). In Anbetracht der vielen Möglichkeiten, Fehler zu machen, ist es erstaunlich, wie wir auch diesen sozialen Tanz meistern. Wann und wie kommt es also dazu? 10.2.2 Spracherwerb
und Sprachentwicklung
Für Steven Pinker (1990) ist die Sprache das „Juwel in der Krone der Kognition“. Auch wenn Sie nicht mehr sehen oder hören könnten, könnten Sie immer noch Freund:innen und einen Job haben. Aber wäre das auch ohne Sprache möglich? Wenn Sie nur eine einzige kognitive Funktion aufrechterhalten könnten, dann wählen Sie die Sprache, rät die Forscherin Lera Boroditsky (2009): „Die Sprache ist ein so fundamentaler Teil unseres Erlebens, ein so fester Bestandteil dessen, was uns zum Menschen macht, dass es schwer ist, sich ein Leben ohne sie vorzustellen.“
Spracherwerb: Wie lernen wir Sprache? ?? 10.10 Wie erwerben wir Sprache, und was ist Univer-
salgrammatik?
Der Linguist Noam Chomsky hat einmal gesagt, dass Sprache eine nicht erlernte menschliche Eigenschaft ist, die von anderen Bereichen des menschlichen Denkens losgelöst ist. Er stellte die Theorie auf, dass wir über eine
..Abb. 10.24 „Idee gehabt. Besser sprechen. Verbinde Wörter. Mach Sätze.“ (© Sidney Harris/Search ID: CS184913, Rights Available from CartoonStock.com)
angeborene Fähigkeit verfügen, grammatikalische Regeln zu lernen, eine sog. Universalgrammatik. Dies erklärt unter anderem, warum Kinder schon vor Schulbeginn mit Leichtigkeit Sprachkenntnisse erwerben und grammatikalische Regeln korrekt benutzen (. Abb. 10.24, . Abb. 10.25). Das geschieht so natürlich – wie ein Vogel fliegen lernt –, dass bewusstes Üben kaum hilft. Andere Forschende weisen darauf hin, dass Kinder tatsächlich Grammatik lernen, indem sie Muster in der Sprache, die sie hören, erkennen (Ibbotson & Tomasello, 2016). Und selbst Chomsky teilt die Ansicht, dass wir nicht mit einer bestimmten angeborenen Sprache oder einer bestimmten Reihe von grammatikalischen Regeln auf die Welt kommen. Die Sprachen der Welt sind sehr unterschiedlich strukturiert, vielfältiger, als es die Idee der Universalgrammatik impliziert (Bergen, 2014). Aber alle menschlichen Sprachen – und es gibt mehr als 6000 – haben Substantive, Verben und Adjektive als grammatikalische Bausteine, und sie ordnen und äußern Wörter auf eine typische Art und Weise (Blasi et al., 2003). Es spielt keine Rolle, mit welcher Sprache wir als Kinder aufwachsen, sei es nun eine gesprochene Sprache oder eine Gebärdensprache, die spezielle Grammatik und das Vokabular lernen wir mit Leichtigkeit (Bavelier et al., 2003). Und gleichgültig, um welche Sprache es geht: Wir beginnen meistens, in Substantiven (Hund, Mama) zu sprechen, und nicht so sehr in Verben und Adjektiven (Bornstein et al., 2004). Biologie und Erfahrung arbeiten Hand in Hand. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie lautet die Kernannahme des Linguisten Noam Chomsky über die Sprachentwicklung?
10.2 • Sprache und Geist
417
..Abb. 10.25 Die Erschaffung einer Sprache. Gehörlose Kinder aus Nicaragua, die wie auf einer einsamen Insel zusammenleben konnten (in einer Schule), entwickelten im Lauf der Zeit mit Hilfe von Gebärden von zu Hause ihre eigene voll ausgebildete nicaraguanische Gebärdensprache mitsamt Wortschatz und ausgefeilter Grammatik. Unsere biologische Disposition lässt Sprachen nicht in einem Vakuum entstehen. Aber wenn ein sozialer Rahmen gegeben ist, können Anlage und Umwelt schöpferisch zusammenwirken (Osborne, 1999; Sandler et al., 2005; Senghas & Coppola, 2001; © Oscar Navarrrete/dpa/picturealliance)
Sprachentwicklung: Wann lernen wir zu sprechen? ?? 10.11 Was sind die wichtigsten Etappen in der
Sprachentwicklung, und wann ist die kritische Periode für den Spracherwerb?
Überschlagen Sie einmal: Wie viele Wörter in Ihrer Muttersprache haben Sie zwischen Ihrem 1. Geburtstag und Ihrem Abitur erlernt? Sie benutzen zwar nur 150 Wörter, um etwa die Hälfte all dessen zu sagen, was Sie sagen, aber Sie haben in dieser Zeit wahrscheinlich ca. 60.000 Wörter erlernt (Bloom, 2000; McMurray, 2007). Das bedeutet, dass Sie (nach dem 2. Lebensjahr) durchschnittlich fast 3500 Wörter pro Jahr oder 10 pro Tag gelernt haben! Wie Sie das hingekriegt haben und warum die 3500 Wörter pro Jahr so viel mehr sind als die ca. 200 Wörter pro Jahr, die Lehrkräfte Ihnen in der Schule bewusst beigebracht haben, ist eines der großen Wunder der Menschheit. Könnten Sie überhaupt jetzt noch alle syntaktischen Regeln (die korrekte Art und Weise, Wörter zu Sätzen zusammenzusetzen) Ihrer Sprache(n), die Sie fließend sprechen, formulieren? Die meisten von uns können das nicht. Aber schon ehe Sie in der Lage waren, 2 und 2 zusammenzuzählen, haben Sie Ihre eigenen, neuartigen Sätze gebildet und diese Regeln angewandt. Noch vor dem Schuleintritt haben Sie Ihre Sprache mit einer Leichtigkeit verstanden und gesprochen, die jeden Studenten in den Schatten stellt, der sich mühsam eine Fremdsprache aneignet. zz Sprachverstehen
Die sprachliche Entwicklung von Kindern schreitet von einfachen zu komplexen Gebilden voran. Säuglinge ha-
ben zunächst noch keine Sprache. Aber schon im Alter von 4 Monaten können sie Sprachlaute voneinander unterscheiden (Stager & Werker, 1997). Sie können auch Laute von den Lippen ablesen. Wir wissen das, weil Babys in Experimenten vorzugsweise zu einem Gesicht blickten, dessen Ausdruck dem zu hörenden Laut entspricht; der Laut ah kommt von weit geöffneten Lippen, der Laut i dagegen von einem Mund mit zurückgezogenen Mundwinkeln (Kuhl & Meltzoff, 1982). Das Erkennen solcher Unterschiede kennzeichnet bei Babys den Anfang einer Entwicklung der Fähigkeit zum Sprachverstehen, also ihrer Fähigkeit, zu verstehen, was zu ihnen und über sie gesagt wird. Das Sprachverständnis von Säuglingen übertrifft bei weitem ihre Sprachproduktion. Schon mit 6 Monaten, lange vor dem Sprechen, erkennen viele Babys Namen von Gegenständen (Bergelson & Swingley, 2012, 2013). Ab dem 7. Lebensmonat erweitern sie ihre Fähigkeit, gesprochene Laute in individuelle Wörter zu zerlegen. Wenn Erwachsene eine unbekannte Sprache hören, nehmen sie nur ein Durcheinander von Silben wahr. Ein junges sudanesisches Paar, das in die Vereinigten Staaten kommt und über keine Englischkenntnisse verfügt, würde z. B. statt „United Nations“ möglicherweise „Uneye Tednay Shuns“ heraushören. Ihre 7 Monate alte Tochter würde dieses Problem nicht haben. Menschliche Säuglinge haben die bemerkenswerte Fähigkeit, die statistischen Aspekte einer menschlichen Sprache zu erfassen (Erickson & Thiessen, 2015; Werker et al., 2012). Ihre Gehirne erkennen nicht nur, wo die Wortzwischenräume liegen, sondern werten auch statistisch aus, welche Silbenkombinationen besonders häufig sind, wie etwa bei „hap-pyba-by“. Nachdem 8 Monate alten Säuglingen nur zwei Minuten lang eine Computerstimme vorgespielt wurde,
10
418
Kapitel 10 • Denken und Sprache
die eine eintönige ununterbrochene Folge von unsinnigen Silben von sich gab (bidakupadotigolabubidaku …), waren die Säuglinge in der Lage (das war an ihrer Aufmerksamkeit abzulesen), wiederkehrende Folgen von 3 Silben zu erkennen (Saffran et al., 1996, 2009). zz Sprachproduktion
10
Lange nachdem die Fähigkeit von Babys zum Sprachverstehen eingesetzt hat, entwickelt sich ihre Sprachproduktion, ihre Fähigkeit, Wörter hervorzubringen. Bevor die Natur damit beginnt, die Sprache von Säuglingen zu formen, befähigt sie Babys erst einmal dazu, eine Vielzahl unterschiedlicher Laute hervorzubringen. Dieses sogenannte Lallstadium beginnt etwa mit 4 Monaten. Viele der spontan auftretenden Lalllaute sind Konsonant-VokalPaare, die entstehen, wenn einfach die Zunge gegen den vorderen Teil des Mundes gedrückt wird (da-da, na-na, tata), oder durch Öffnen und Schließen der Lippen (ma-ma) gebildet werden; beide Bewegungen treten beim Säugling während des Fütterns spontan auf (MacNeilage & Davis, 2000). Mit dem Lallen ahmen sie nicht die Sprache der Erwachsenen nach; denn es enthält Laute verschiedener Sprachen. Anhand des frühen Lallens kann man nicht entscheiden, ob es sich z. B. um ein französisches, ein koreanisches oder ein äthiopisches Kind handelt. Lallstadium („babbling stage“) – beginnt mit etwa 4 Mo-
naten. Die Phase der Sprachentwicklung, in der ein Säugling spontan verschiedene Laute hervorbringt, zunächst auch solche, die nicht in der Sprache seiner Umgebung vorkommen. Im Alter von ca. 10 Monaten hat sich das Lallen dahin verändert, dass ein geschultes Ohr die Umgebungssprache des Säuglings heraushören kann (de Boysson-Bardies et al., 1989). Gehörlose Kinder, die beobachten, wie ihre Eltern in Gebärdensprache kommunizieren, beginnen, in Gebärdensprache zu kommunizieren (Petitto & Marentette, 1991). Wenn sie keine anderen Sprachen zu hören bekommen, verlieren Säuglinge die Fähigkeit für das, was wir nicht können (ob Sie es glauben oder nicht), nämlich Laute zu unterscheiden und zu produzieren, die in ihrer Muttersprache nicht vorkommen (Kuhl et al., 2014; Meltzoff et al., 2009). Daher können ausschließlich englischsprachige Erwachsene bestimmte japanische Phoneme nicht mehr voneinander unterscheiden. Und Japaner:innen ohne englische Sprachkenntnisse können den Unterschied zwischen „r“ und „l“ beim Sprechen nicht wahrnehmen. Für einen erwachsenen Japaner kann „la-la-ra-ra“ wie eine Wiederholung von vier gleichen Silben klingen. Um den 1. Geburtstag herum treten die meisten Kinder in das Einwortstadium ein. Sie haben bereits gelernt, dass Laute eine Bedeutung haben, und wenn sie wiederholt darin trainiert werden, z. B. „Fisch“ mit einem Bild von einem Fisch zu assoziieren, werden 1-Jährige einen
..Abb. 10.26 Ein Naturtalent. Menschliche Säuglinge haben eine erstaunliche Fähigkeit, Sprache regelrecht aufzusaugen. Diejenige Sprache, die sie erlernen, reflektiert allerdings ihre individuellen Interaktionen mit anderen Menschen. (Foto: Joachim Coch)
Fisch angucken, wenn eine Forscherin sagt: „Fisch, Fisch. Guck mal, ein Fisch!“ (Schafer, 2005). Sie fangen nun an, selber Laute – in der Regel nur eine kaum erkennbare Silbe, wie ma oder da – zur Mitteilung von Bedeutung einzusetzen. Aber die Familienmitglieder lernen schnell, die Sprache des Säuglings zu verstehen, und allmählich nähert sich diese immer mehr der Sprache der Familie an (. Abb. 10.26). Überall in der Welt sind die ersten Worte eines Säuglings oft Substantive, die Objekte oder Personen bezeichnen (Tardif et al., 2008). In diesem Einwortstadium kann eine Wortform einen ganzen Satz beinhalten. „Wau-wau!“ kann dann bedeuten: „Sieh mal, der Hund da draußen!“ Einwortstadium („one-word stage“) – Phase der Sprach-
entwicklung, die ungefähr das 2. Lebensjahr umfasst, während der das Kind hauptsächlich in einzelnen Wörtern spricht. Im Alter von etwa 18 Monaten steigt das Lerntempo von einem Wort pro Woche auf ein Wort pro Tag an. Bis zum 2. Geburtstag haben sie dann in der Regel das Zweiwortstadium erreicht und bilden nun Sätze aus 2 Wörtern (. Tab. 10.2) Die Sprache in diesem Stadium hat einen charakteristischen Telegrammstil. Wie in Telegrammen in der Vergangenheit, deren Preis pro Wort berechnet wurde (BEDINGUNG AKZEPTIERT. SCHICKE GELD), verwendet ein 2-jähriges Kind hauptsächlich Substantive und Verben („will Saft“). Dabei hält es sich beim Reden wie ein Telegramm an die syntaktischen Regeln: Die Wörter haben die richtige Reihenfolge. Das Kind setzt normalerweise die Adjektive vor die Substantive – großer Wauwau und nicht Wauwau großer. Im Spanischen ist es genau andersherum, so wie in casa blanca.
%
Stadium
4
Lallt viele Sprachlaute („Ah-goo“)
10
Lallt Laute der Umgebungssprache („Ma-ma“)
12
Einwortstadium („Katze!“)
24
Zweiwortstadium („Ball holen“)
Über 24
Schnelle Entwicklung zur Bildung vollständiger Sätze
Zweiwortstadium („two-word stage“) – beginnt mit etwa
2 Jahren; Phase der Sprachentwicklung, während der das Kind hauptsächlich in Sätzen aus 2 Wörtern spricht. Telegrammstil („telegraphic speech“) – frühe Sprechphase, in der das Kind ähnlich den Formulierungen in einem Telegramm spricht – „Auto gehen“ – d. h. es verwendet vorzugsweise Substantive und Verben. Wenn die Kinder das Zweiwortstadium hinter sich haben, bilden sie bald längere Sätze (Fromkin & Rodman, 1983). Beim Eintritt in die Grundschule verstehen sie komplexe Sätze und haben Spaß an Wortspielen: „Welche Meise kann nicht singen? – Die A-meise.“ Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist der Unterschied zwischen Sprachverstehen und Sprachproduktion, und wann erreichen Kinder in der Regel diese Stadien der Sprachentwicklung?
zz Kritische Phasen
Manche Kinder fangen spät an, eine bestimmte Sprache zu lernen, wie z. B. nach einer Kochleaimplantation, um das Hören zu ermöglichen, oder wenn sie von einer Familie in einem anderen Land adoptiert wurden. Bei diesen Nachzügler:innen verläuft die Sprachentwicklung in der gleichen Weise, aber in der Regel um einiges schneller (Ertmer et al., 2007; Snedeker et al., 2007). Das Lernen einer Sprache kann jedoch nicht unbegrenzt aufgeschoben werden. Die Kindheit scheint eine kritische (oder „sensible“) Phase zu sein, um bestimmte Aspekte der Sprache beherrschen zu lernen, bevor sich das Fenster zum Spracherwerb allmählich schließt (Hernandez & Li, 2007; Lenneberg, 1967). Ungewöhnlich später Erstkontakt mit der Sprache (im Alter von 2 oder 3 Jahren) führt dazu, dass die brachliegenden verbalen Fähigkeiten des Gehirns freigesetzt werden, so dass sich die Sprachkompetenz sprunghaft entwickelt. Wer aber im Alter von 7 Jahren weder mit einer Laut- noch mit einer Gebärdensprache Erfahrung gemacht hat, verliert allmählich
Prozentsatz der richtigen Antworten beim Grammatiktest
..Tab. 10.2 Sprachentwicklung im Überblick Ungefähres Alter in Monaten
10
419
10.2 • Sprache und Geist
100
90
80 Je höher das Lebensalter bei der Einwanderung, umso schlechter die Beherrschung der Zweitsprache
70
60
50 Muttersprachler
3–7
8–10
11–15
17–39
Einwanderungsalter in Jahren
..Abb. 10.27 Das Erlernen neuer Sprachen wird mit zunehmendem Alter immer schwieriger. 10 Jahre nachdem sie in die USA eingewandert waren, unterzogen sich Menschen aus asiatischen Ländern einem Grammatiktest. Obwohl es keine klar definierte kritische Phase für den Erwerb einer Zweitsprache gibt, beherrschten diejenigen, die in einem Alter von weniger als 8 Jahren gekommen waren, die Grammatik des amerikanischen Englischs genauso gut wie die Muttersprachler. Wer bei der Einwanderung schon älter war, tat dies dagegen nicht. (Nach Johnson & Newport, 1991)
seine Fähigkeit, irgendeine Sprache zu beherrschen. Und Kinder, die nur eine niedrige Sprachebene kennenlernen, wie z. B. 4-Jährige in Klassen mit 3-Jährigen oder auch Kinder aus sozial schwachen Familien, verfügen oft über geringere Sprachkenntnisse (Ansari et al., 2015; HirshPasek et al., 2015). Dank der gemeinsamen menschlichen Fähigkeit, Sprache zu erlernen, können Bevölkerungsgruppen, die seit 50.000 Jahren geografisch getrennt sind (wie z. B. Menschen aus Europa und die indigene Bevölkerung Australiens und Neuseelands), problemlos die Sprache des jeweils anderen lernen (Chater et al., 2009). Aber lernen sie diese neue Sprache als Erwachsene, sprechen sie in der Regel mit dem Akzent ihrer Muttersprache und haben auch mehr Schwierigkeiten im Umgang mit der neuen Grammatik. In einem Experiment wurde koreanischen und chinesischen Immigrant:innen in den USA ein englischer Grammatiktest vorgelegt, bei dem 276 Sätze („Yesterday the hunter shoots a dear“) als grammatikalisch richtig oder falsch einzustufen waren (Johnson & Newport, 1991). Alle Proband:innen hatten etwa 10 Jahre in den USA verbracht: Einige waren in früher Kindheit eingewandert, andere erst als Erwachsene.
420
Kapitel 10 • Denken und Sprache
Wie . Abb. 10.27 zeigt, beherrschten diejenigen, die die Zweitsprache früh erlernt hatten, diese besser.
» „Die Kindheit ist zweifellos die wichtigste Zeit für die
Sprache. Kleine Kinder sind gut darin, je jünger, desto besser; das ist ein Kinderspiel für sie. Dies ist ein einmaliges Geschenk an unsere Spezies.“ Lewis Thomas, The Fragile Species (1992)
10
Je älter man ist, wenn man in ein Land einwandert, desto schwerer ist es, die dortige Sprache zu erlernen und die Kultur aufzunehmen (Cheung et al., 2011; Hakuta et al., 2003). Der Kognitionspsychologe Stephen Kosslyn (2008) brachte es auf den Punkt: Kinder sind in der Lage mehrere Sprachen akzentfrei und grammatikalisch korrekt zu erlernen, wenn sie vor Beginn der Pubertät mit der Sprache in Berührung kommen. Aber nach der Pubertät ist es sehr schwierig, eine zweite Sprache so gut zu erlernen. Ganz ähnlich erging es mir, als ich das erste Mal nach Japan gereist bin. Man hat mir gesagt, ich solle nicht einmal versuchen, mich zu verbeugen, da es etwa ein Dutzend verschiedener Verbeugungen gebe und ich mich immer „mit Akzent verbeugen“ würde.
Gehörlosigkeit und Sprachentwicklung Der Einfluss früher Erfahrungen wird deutlich, wenn wir den Spracherwerb von prälingual gehörlosen Kindern betrachten, deren hörende Eltern keine Gebärdensprache beherrschen. Diese Kinder machen während ihrer ersten Lebensjahre normalerweise gar keine Erfahrung mit Sprache. Von Geburt an gehörlose Kinder, die erst im Alter von mehr als 9 Jahren eine Gebärdensprache lernen, werden sie nicht so gut wie Kinder beherrschen, die mit 9 Jahren gehörlos werden, aber vorher eine gesprochene Sprache wie Englisch gelernt haben (. Abb. 10.28). Sie können auch Englisch nicht so gut lernen wie andere von Geburt an gehörlose Kinder, die schon als Kinder Gebärdensprache gelernt haben (Mayberry et al., 2002). Menschen, die erst als Jugendliche oder Erwachsene Gebärdensprache erlernen, sind wie die Immigrant:innen, die Englisch erst nach ihrem Kindheitsalter lernen: Sie lernen die wichtigsten Wörter und können daraus Sätze bilden. Aber sie werden nicht so versiert wie diejenigen, deren erste Sprache Gebärdensprache ist, wenn es darum geht, grammatische Feinheiten zu unterscheiden und zu verstehen (Newport, 1990). Wie eine Pflanze ohne Nährstoffe verkümmert, so verkümmert ein Kind auf sprachlicher Ebene, wenn es während der kritischen Lernphase an sprachlichen Kontakten gehindert wird. Mehr als 90 % der gehörlosen Kinder werden als Kinder hörender Eltern geboren. Die meisten dieser Eltern wollen, dass ihre Kinder ihre Welt voller Töne und Gespräche erleben dürfen. Kochleaimplantate ermöglichen dies, indem sie Geräusche in elektrische Signale umwandeln und den Hörnerv stimulieren. Dies geschieht durch Elektroden, die in die Kochlea des Kindes eingeführt wer-
..Abb. 10.28 Buch heißt Buch, egal wie man es sagt. Gehörlose Kinder gehörloser Eltern, die Gebärdensprache benutzen, haben viel mit hörenden Kindern hörender Eltern gemeinsam. Sie eignen sich sprachliche Fähigkeiten in ungefähr dem gleichen Tempo an und sind gleich stark, wenn es darum geht, sich den elterlichen Wünschen zu widersetzen und den eigenen Weg zu gehen. (© Birgit Klimke/dpa/ picture alliance)
den. Wenn ein Implantat seine Wirkung nicht verfehlen soll, können die Eltern die Entscheidung nicht so lange hinausschieben, bis ihr Kind ein Alter erreicht, in dem es dem zustimmen kann. Der Einsatz von Kochleaimplantaten bei Kindern ist allerdings sehr umstritten. Die Fürsprecher:innen der Gehörlosenkultur sind dagegen, dass diese Implantate bei prälingual gehörlosen Kindern eingesetzt werden. Die National Association of the Deaf, der amerikanische Gehörlosenverband, z. B. vertritt die These, dass Gehörlosigkeit keine Behinderung sei, weil Menschen, die von Geburt an die Gebärdensprache benutzt haben, linguistisch nicht behindert seien: Vor über 50 Jahren demonstrierte der Linguist William Stokoe von der Gallaudet University (1960), dass die Gebärdensprache eine vollständige Sprache mit eigener Grammatik, Syntax und Semantik ist. Einige Fürsprecher:innen der Gehörlosenkultur sind zudem der Meinung, dass man Gehörlosigkeit ebenso gut als „verbesserte Sehfähigkeit“ wie als „mangelndes Hörvermögen“ bezeichnen kann. Schließen Sie Ihre Augen und sofort werden Sie feststellen, wie sich Ihre Aufmerksamkeit auf Ihre anderen Sinne richtet. In einem Experiment wurden Versuchsteilnehmende, die 90 Minuten lang schweigend mit verbundenen Augen dagesessen hatten, genauer bei der Lokalisierung eines Geräuschs (Lewald, 2007). Wenn sich Liebende küssen, schließen sie ihre Augen und erreichen dadurch, dass die Ablenkung möglichst gering und die Sensibilität für Tastempfindungen möglichst groß wird. Menschen, die einen Sinneskanal verlieren, scheinen dies durch eine leichte Verbesserung ihrer anderen sensorischen Fähigkeiten auszugleichen (Backman & Dixon, 1992; Levy & Langer, 1992). Menschen, die ohne Hörvermögen geboren wurden, verfügen über eine verbesserte visuelle Verarbeitung (Almeida et al., 2015). Die
421
10.2 • Sprache und Geist
Hörrinde von gehörlosen Menschen, die praktisch nach sensorischem Input hungert, bleibt größtenteils intakt und wird sensibel für Berührungseindrücke und visuelle Sinneseindrücke (Karns et al., 2012). Wenn die Hörrinde einmal diese neue Funktion übernommen hat, steht sie für das Hören weniger zur Verfügung. Das erklärt auch, warum Kochleaimplantate am effektivsten sind, wenn sie eingesetzt werden, bevor das Kind 2 Jahre alt ist (Geers & Nicholas, 2013; Niparko et al., 2010). zz Leben in einer stillen Welt
Weltweit gibt es 360 Mio. Gehörlose (WHO, 2013a). Manche sind absolut gehörlos, andere (mehr Männer als Frauen) haben ein begrenztes Hörvermögen (Agrawal et al., 2008). Manche waren von Geburt an ohne Hörvermögen, andere haben die Welt des Hörens kennengelernt. Manche benutzen die Gebärdensprache und identifizieren sich mit der auf dieser Sprache basierenden Gehörlosenkultur. Andere, besonders jene, die erst nach Ausbildung ihrer Sprachfähigkeit gehörlos wurden, sind „oral“ (auf die Lautsprache) ausgerichtet und kommunizieren mit der Welt der Hörenden über Lippenlesen oder geschriebene Botschaften. Wieder andere benutzen eine Mischung aus beiden Kulturen. Ein Leben ohne Hörvermögen kann vor allem für Kinder eine große Herausforderung sein. Da gehörlose Kinder an der üblichen Kommunikation nicht teilnehmen können, müssen sie darum kämpfen, mit ihren hörenden Spielkamerad:innen gemeinsam Spiele zu koordinieren. Schulische Leistungen können auch darunter leiden, die akademischen Fächer sind in der gesprochenen Sprache verwurzelt. Jugendliche können unter sozialer Ausgrenzung und einem sich daraus ergebenden geringen Selbstwertgefühl leiden. Gehörlose Kinder, die in einer Umgebung mit anderen Gehörlosen aufwachsen, identifizieren sich häufiger mit der Gehörlosenkultur als andere und haben in der Regel ein positives Selbstwertgefühl. Wenn sie in einem Haushalt aufwachsen, in dem die Gebärdensprache benutzt wird, sei es von gehörlosen oder hörenden Eltern, haben sie in der Regel auch ein stärker ausgeprägtes Selbstwertgefühl und empfinden sich als besser akzeptiert (BatChava, 1993, 1994). Auch Erwachsene, die im Alter einen Hörverlust erleiden, sehen sich besonderen Herausforderungen gegenüber. Wenn sie sich anstrengen müssen, um Worte zu verstehen, dann ist ihr Denkvermögen damit so ausgelastet, dass sie das Gesagte weniger wahrnehmen, begreifen und erinnern können (Wingfield et al., 2005). In mehreren Studien haben Menschen mit begrenztem Hörvermögen, vor allem jene, die keine Hörhilfe tragen, angegeben, dass sie trauriger und weniger sozial engagiert sind und dass sie häufiger erleben, dass andere Menschen verärgert reagieren (Chisolm et al., 2007; Fellinger et al., 2007; Kashubeck-West & Meyer, 2008; National Council on Aging, 1999). Sie können auch eine Art von Schüchtern-
heit erleben: „Es ist beinahe ein universelles Phänomen unter Gehörlosen, dass man den Hörenden so wenig Unannehmlichkeiten wie möglich machen möchte“, berichtet Henry Kisor (1990, S. 244), der Herausgeber einer Zeitung in Chicago und Kolumnist, der sein Hörvermögen im Alter von 3 Jahren verlor. „Wir können bis zur Unsichtbarkeit zurückhaltend und schüchtern sein. Manchmal kann diese Neigung lähmend auf uns wirken. Ich muss immer dagegen ankämpfen.“ Helen Keller, die sowohl ohne Seh- als auch ohne Hörvermögen war, erklärte: „Blindheit stellt sich zwischen die Menschen und die Dinge, doch Gehörlosigkeit stellt sich zwischen Menschen und andere Menschen.“ Ich [DM] kenne mich da aus. Meine Mutter, mit der wir mit Hilfe von geschriebenen Botschaften auf auslöschbaren „Zaubertafeln“ kommunizierten, hat die letzten 12 Jahre ihres Lebens in einer stillen Welt zugebracht; sie mied den Stress und die Anstrengung, die ihr die Interaktion mit Menschen außerhalb des engsten Familienund Bekanntenkreises verursachte. Mein eigenes Hörvermögen schwindet ebenso schnell wie ihres. (Wenn ich mein Hörgerät nachts herausnehme, kann ich meine Frau nicht verstehen, und sie liegt direkt neben mir.) Selbst mit Hörgerät setze ich mich bei Theateraufführungen und auf Konferenzen plötzlich in die vorderen und mittleren Reihen, suche mir in Restaurants stille Eckchen. Ich benutze ein Wunderwerk der Technik (s. 7 http://www.hearingloop.org), das mein Hörgerät auf Knopfdruck in einen Lautsprecher im Ohr verwandelt, auf den akustische Signale vom Telefon, vom Fernsehgerät und von einem öffentlich zugänglichen Sendesystem übertragen werden. Nichtsdestotrotz erlebe ich Frustrationen, wenn ich mit oder ohne Hörhilfe den Witz, über den sich alle totlachen, nicht höre; wenn ich nach wiederholten Versuchen die Frage eines ärgerlich gewordenen Menschen einfach nicht verstehe und die Situation sich nicht überspielen lässt; wenn Familienmitglieder aufgeben und sagen: „Ach, war sowieso nicht so wichtig!“, nachdem sie dreimal versucht haben, mir etwas Belangloses mitzuteilen. Je älter meine Mutter wurde, desto mehr spürte sie, dass es einfach den Aufwand nicht wert war, auf soziale Interaktion aus zu sein. Doch ich teile die Meinung des Zeitungskolumnisten Kisor, dass Kommunikation die Anstrengung lohnt (Kisor 1990, S. 246): „Deshalb … beiße ich die meiste Zeit eben die Zähne zusammen und wage den Sprung nach vorn.“ Sich nach außen zu wenden, mit anderen Kontakt aufzunehmen und mit ihnen zu kommunizieren, und sei es über eine Kluft der Stille hinweg, bedeutet, unser Menschsein als soziale Wesen zu bejahen (. Abb. 10.29). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum ist es im Erwachsenenalter so schwer, eine neue Sprache zu erlernen?
10
422
Kapitel 10 • Denken und Sprache
a ..Abb. 10.29 Verbessertes Gehör. Ein Junge in Tansania erhält ein neues Hörgerät. (© Heike Nörenberg/dpa/picture alliance)
10.2.3
10
Gehirn und Sprache
?? 10.12 Welche Gehirnregionen sind an Sprachver-
arbeitung und Sprachproduktion beteiligt?
Wir glauben, dass Sprechen und Lesen, Schreiben und Lesen oder Singen und Sprechen insgesamt Aspekte einer einzigen Fähigkeit sind – der Sprache. Aber denken Sie einmal über diesen seltsamen Befund nach: Eine Schädigung vieler verschiedener Gehirnareale kann Aphasie hervorrufen, bei der Teilfunktionen der gesprochenen Sprache verloren gehen. Noch viel interessanter ist, dass einige Menschen mit Aphasie zwar flüssig reden, aber nicht lesen können (obwohl sie auch gut sehen können). Andere können zwar verstehen, was sie lesen, aber nicht sprechen. Wieder andere können schreiben, aber nicht lesen, Zahlen erkennen, aber keine Buchstaben, oder singen, aber nicht sprechen. Diese Fälle legen nahe, dass Sprache komplex ist und dass unterschiedliche Gehirnregionen unterschiedlichen Sprachfunktionen dienen müssen. Aphasie („aphasia“) – Sprachstörung, die normalerweise
durch eine Schädigung der linken Hemisphäre, entweder im Broca-Zentrum (gestörte Sprechfähigkeit) oder im Wernicke-Zentrum (gestörtes Sprachverständnis) entsteht. Und tatsächlich bestätigte der französische Arzt Paul Broca im Jahre 1865 die Beobachtung eines Arztkollegen, dass nach der Schädigung eines bestimmten Teils des linken Frontallappens (später als Broca-Zentrum bezeichnet) der betroffene Patient beim Sprechen um jedes Wort ringen muss, während er weiterhin fähig ist, bekannte Lieder zu singen und zu verstehen, was gesprochen wird. Broca-Zentrum („Broca’s area“) – hilft, den sprachlichen
Ausdruck zu steuern; Teil des Frontalkortex, meist in der linken Hemisphäre; steuert die Muskelbewegungen, die an der Lautbildung beteiligt sind.
Wörter hören (Auditorischer Kortex und Wernicke-Zentrum)
b
Wörter sprechen (Broca-Zentrum und motorischer Kortex)
..Abb. 10.30 a,b Hirnaktivität beim Hören und Sprechen von Wörtern
Zehn Jahre später entdeckte der deutsche Wissenschaftler Carl Wernicke, dass die Schädigung eines bestimmten Teils des linken Temporallappens (des Wernicke-Zentrums) dazu führte, dass die Betroffenen nicht in der Lage waren, die Worte anderer zu verstehen und nur sinnlose Sätze von sich gaben. Bat man sie, ein Bild zu beschreiben, das zeigte, wie zwei Jungen hinter dem Rücken einer Frau Kekse klauten, sagte ein Patient: „Die Mutter ist weg von der Arbeit bei ihrer Arbeit, damit es ihr besser geht; aber wenn sie die beiden Jungen ansieht, schauen die in die andere Richtung. Dann arbeitet sie wieder mal“ (Geschwind, 1979). Wernicke-Zentrum („Wernicke’s area“) – Bereich des
Gehirns, der am Sprachverstehen und am sprachlichen Ausdruck beteiligt ist und sich meist im linken Temporallappen befindet. Die heutige Neurowissenschaft hat Gehirnaktivität im Broca- sowie im Wernicke-Zentrum während der Sprachverarbeitung bestätigt (. Abb. 10.30). Bei Menschen mit Aphasie kann die elektrische Stimulation des Broca-Zentrums dazu beitragen, ihre Sprechfähigkeit wiederherzustellen (Marangolo et al., 2016). Wir wissen aber auch, dass die Sprachverarbeitung im Gehirn komplex ist. Das Broca-Zentrum koordiniert die Sprachverarbeitung des Gehirns auch in anderen Bereichen (Flinker et al., 2015; Tremblay & Dick, 2016). Obwohl Sie Sprache als einen einzigen, einheitlichen Strom erleben, würden funktionelle MRT-Aufnahmen zeigen, dass Ihr Gehirn eifrig mit Multitasking und Vernetzung beschäftigt ist. Durch Substantive und Verben, durch Objekte und Handlungen, durch unterschiedliche Vokale und auch durch das Lesen von Geschichten über visuelle im Vergleich zu motorischen Erlebnissen werden jeweils unterschiedliche neuronale Netzwerke aktiviert (Perrachione et al., 2011; Shapiro et al., 2006; Speer et al., 2009). Wenn Sie außerdem das Glück haben, von Geburt an zweisprachig zu sein, verarbeitet Ihr Gehirn diese Sprachen in ähnlichen
423
10.2 • Sprache und Geist
Bereichen, aber in anderen Bereichen, wenn Sie eine zweite Sprache nach der ersten gelernt haben (Berken et al., 2015). Eine Zweitsprache und Gebärdensprache werden auch von unterschiedlichen Gehirnarealen verarbeitet (Kovelman et al., 2014).
» „Wenn man nicht jegliche Fähigkeit zum Staunen verloren hat, ist es schlicht ehrfurchtgebietend, wie Systeme miteinander interagieren und eine dynamische Wechselbeziehung unterhalten.“ Simon Conway Morris, The Boyle Lecture (2005)
Merken Sie sich also: Bei der Sprachverarbeitung, so wie bei anderen Arten der Informationsverarbeitung, funktioniert das Gehirn so, dass es seine geistigen Fähigkeiten wie Sprechen, Wahrnehmen, Denken und Erinnern in Unterfunktionen aufteilt. Ihr bewusstes Erleben des Lesens dieser Seite scheint unteilbar, aber viele verschiedene neuronale Netze bündeln ihre Arbeit, um den aneinandergereihten Wörtern einen Zusammenhang und eine Bedeutung zu geben (Fedorenko et al., 2016). Das Ganze ist mehr als die Summe seiner Teile. Prüfen Sie Ihr Wissen
– ___ ist ein Teil des Gehirns, der im Fall einer Verletzung Ihre Fähigkeit zum Aussprechen von Worten beeinträchtigen kann. Eine Verletzung des ___ kann Ihre Fähigkeit zum Sprachverstehen beeinträchtigen.
10.2.4
Verfügen andere Arten über Sprache?
?? 10.13 Was wissen wir über die Sprachfähigkeit
anderer Spezies?
Seit jeher verkünden die Menschen voll Stolz, dass die Sprache uns über die anderen Tiere erhebt. „Wenn wir die Sprache des Menschen untersuchen“, versichert der Linguist Noam Chomsky (1972), „kommen wir dem nahe, was man als die ‚Essenz des Menschseins‘ bezeichnen könnte, also all den geistigen Qualitäten, die nach allem, was wir wissen, ausschließlich beim Menschen“ vorkommen. Lassen Sie uns prüfen, ob die Forschung zur Sprache der Tiere die Vorstellung untermauert, dass nur der Mensch allein über Sprache verfügt (. Abb. 10.31). Einige Tiere zeigen elementare sprachliche Fähigkeiten. Tauben können lernen, zwischen Wörtern und NichtWörtern zu unterscheiden, aber sie könnten niemals dieses Buch lesen (Scarf et al., 2016). Andere Tiere kommunizieren auf beeindruckende Weise. Manche Affenarten haben z. B. unterschiedliche Warnrufe, mit denen
sie ihre Artgenoss:innen vor verschiedenen feindlichen Tieren warnen, wie Bellen bei einem Leoparden, eine Art Husten bei einem Adler, und ein Schnatterlaut warnt vor einer Schlange. Wenn sie den Warnruf für Leopard hören, klettern grüne Meerkatzen auf den nächsten Baum. Beim Adlerwarnruf flüchten sie ins Gebüsch. Beim Schlangengeschnatter richten sie sich auf und beäugen den umliegenden Boden (Byrne, 1991; Clarke et al., 2015; Coye et al., 2015). Um solche Dinge als bestimmte Gefahrenarten zu kennzeichnen – einen Adler, Leoparden, fallenden Baum oder eine benachbarte Gruppe –, kombinieren Affen 6 unterschiedliche Schreie zu einer 25-teiligen Abfolge von Schreien (Balter, 2010). Aber kann man eine solche Kommunikation als Sprache bezeichnen? In den späten 1960er Jahren stießen die Psycholog:innen Allen und Beatrix Gardner (1969) durch ihre Arbeit mit Washoe, einer jungen Schimpansin, in Wissenschaft und Öffentlichkeit auf enormes Interesse. Sie nutzten das natürliche Talent von Schimpansen zur Kommunikation durch Gebärden und brachten Washoe Gebärdensprache bei. Nach 4 Jahren konnte Washoe 132 Zeichen verwenden. Als sie 2007 starb, verfügte sie über einen Wortschatz von 245 Zeichen (Metzler et al., 2011; Sanz et al., 1998). In den 70er Jahren erschienen immer mehr Berichte. Manche Schimpansen setzten Gebärden zu verständlichen Sätzen zusammen. Washoe zum Beispiel gestikulierte: „Du ich ausgehen, bitte.“ Einige Wortzusammensetzungen erschienen überaus kreativ – die Bezeichnung eines „Schwans“ als Wasser-Vogel oder der Gebrauch von Apfel-der-ist-orange für „Orange“ (Patterson, 1978; Rumbaugh, 1977). Gegen Ende der 70er Jahre wurden einige Psycholog:innen allmählich skeptisch. Waren die Schimpansen nun Sprachgenies oder die Forschenden Trottel? Die skeptischen Stimmen führten die folgenden Argumente ins Feld: Das Vokabular und die Sätze von Affen sind sehr einfach, eher wie die eines zweijährigen Kindes. Und Affen erwerben ihr begrenztes Vokabular nur unter großen Mühen (Wynne, 2004, 2008). Sprechende oder Gebärdensprache benutzende Kinder können Dutzende von neuen Wörtern pro Woche aufschnappen und 60.000 bis zum Erwachsenenalter. Schimpansen können Gebärden machen oder Knöpfe in einer festgelegten Reihenfolge drücken, um eine Belohnung zu bekommen. Aber auch Tauben können in einer bestimmten Reihenfolge mit dem Schnabel Tasten berühren, um Körner zu bekommen (Straub et al., 1979). Die Gebärden der Affen könnten nichts weiter bedeuten, als dass sie die Gebärden des Trainers nachahmen und gelernt haben, dass bestimmte Armbewegungen Belohnungen zur Folge haben (Terrace, 1979). Wenn Informationen unklar sind, neigen wir zu Wahrnehmungssets (7 Kap. 7), der Tendenz, aus mehrdeutigen Informationen das herauszulesen, was wir erhoffen oder erwarten. Die Interpretation der
-
-
10
424
10
Kapitel 10 • Denken und Sprache
..Abb. 10.31 Sprechende Hände. Die menschliche Sprache scheint sich aus einer gestischen Kommunikation heraus entwickelt zu haben (Corballis, 2002, 2003; Pollick & de Waal, 2007). Auch heute noch unterstützen wir spontanes Sprechen wie selbstverständlich durch Gesten, das gilt für blinde und sehende Sprecher einer beliebigen Sprache gleichermaßen (Özçaliskan et al., 2016). Sowohl Gesten als auch Sprache teilen etwas mit, und wenn sie die gleichen statt unterschiedlicher Informationen vermitteln (so wie sie es in der Zeichen-
sprache des Baseballs tun), dann verstehen wir Menschen schneller und besser (Hostetter, 2011; Kelly et al., 2010). Der Outfielder William Hoy, der erste gehörlose Spieler in den oberen Spielklassen (1892), soll geholfen haben, Handzeichen für „Strike!“, „Safe!“ (wie hier gezeigt) und „Yerr Out!“ zu erfinden (Pollard, 1992). Schiedsrichter:innen aller Sportarten benutzen heutzutage eigens entwickelte Zeichen, und Fans sprechen diese Zeichensprache des Sports fließend. (© Jessie Alcheh/ ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
Gebärden eines Schimpansen als Sprache könnte nicht viel mehr sein als Wunschdenken des Trainers bzw. der Trainerin (Terrace, 1979). Als Washoe „Wasser-Vogel“ gestikulierte, signalisierte sie vielleicht einfach die Einzelwörter für „Wasser“ und „Vogel“. „Orange ich geben essen Orange ich essen Orange …“ ist himmelweit entfernt von der vollendeten Syntax eines Dreijährigen (Anderson, 2004; Pinker, 1995). Die Regeln der Syntax in der menschlichen Sprache regeln die Reihenfolge der Wörter in Sätzen, so hat für das Kind „du kitzelst“ und „kitzelst du“ zwei unterschiedliche Bedeutungen. Ein Schimpanse, der diese Syntaxregeln nicht beherrscht, wird die beiden Sätze in der Gebärdensprache vermutlich auf dieselbe Weise verwenden.
Ihr Fell sträubte sich, sie rannte nach Luft schnappend hin und her und gestikulierte unaufhörlich: „Baby, mein Baby.“ Es dauerte einige Stunden bis sich Pflegemutter und Kind aneinander gewöhnt hatten, aber dann brach Washoe das Eis mit dem Gebärdensatz „Kommen Baby“ und nahm Loulis in den Arm. Ohne menschliche Unterstützung lernte Loulis in den folgenden Monaten 68 Gebärdenwörter allein dadurch, dass er seiner Mutter und drei anderen Schimpansen zuschaute, die Gebärdensprache beherrschten (s. auch . Abb. 10.32). Noch verblüffender war ein späterer Bericht: Kanzi, ein Bonobo mit einem dokumentierten Vokabular von 384 Wörtern war in der Lage, die Syntax in gesprochenem Englisch zu verstehen (Savage-Rumbaugh et al., 1993, 2009). Kanzi, der anscheinend die passive Sprachkompetenz eines zweijährigen Menschen besitzt, antwortete richtig, wenn er gefragt wurde: „Kannst du mir die Taschenlampe zeigen?“, „Kannst du mir die Taschenlampe bringen?“ und „Kannst du die Taschenlampe anknipsen?“. Als man ihm Stofftiere gab und ihm – zum ersten Mal – sagte „der Hund soll die Schlange beißen“, führte er richtig die Schlange an das Maul des Hundes (s. auch . Abb. 10.33). Wie sollen wir also diese Studien interpretieren? Sind Menschen die einzige Art, die Sprache gebraucht? Wenn man unter Sprache die Fähigkeit zur Kommunikation mittels sinnvoller Aneinanderreihung von Symbolen ver-
-
Kontroversen können Fortschritte bewirken. In diesem Fall haben sie mehr Hinweise für die Denk- und Kommunikationsleistungen von Schimpansen erbracht. Eine überraschende Beobachtung war, dass Washoe ihrem Adoptivsohn Loulis beibrachte, die Zeichen zu benutzen, die sie erlernt hatte. Als ihr zweites Junges starb, zog sich Washoe trauernd zurück, wenn es hieß: „Baby tot, Baby weg, Baby Ende.“ Zwei Wochen später hatte Roger Fouts (1992, 1997), der betreuende Forscher, bessere Nachrichten für Washoe: „Ich habe Baby für dich.“ Auf die Gebärdennachricht hin wurde Washoe sofort ganz aufgeregt.
425
10.2 • Sprache und Geist
..Abb. 10.32 Verstehen bei Hunden. Der Border Collie Rico verfügte über einen Wortschatz von 200 menschlichen Wörtern. Wenn er aufgefordert wurde, ein neuartiges Spielzeug zu suchen, dessen Namen er noch nicht gehört hat, wählte Rico das neuartige Item aus einer Gruppe vertrauter Items aus (Kamininski et al., 2004). Wenn er dieses neuartige Wort vier Wochen später zum zweiten Mal hörte, würde Rico allerdings den Gegenstand in etwas mehr als 50 % der Fälle apportieren. Ein anderer Border Collie, Chaser, hat einen Rekord innerhalb der Tierwelt aufgestellt, indem sie mehr als 1000 Objektnamen gelernt hat (Pilley, 2013). Wie ein dreijähriges Kind kann sie diese auch nach Funktion und Gestalt kategorisieren. Sie ist in der Lage, korrekt auf „Hol’ einen Ball“ und „Hol’ eine Puppe“ zu reagieren. (© Tim Brakemeier/dpa/picturealliance)
Blick einer handelnden Person hin zu einem Objekt zu folgen, die nicht einmal von Schimpansen erreicht werden (Herrmann et al., 2010). Nur der Mensch hat auch eine Version des FOXP2-Gens, das die Bewegungen von Lippen, Zunge und Stimmbändern der menschlichen Sprache ermöglicht (Lieberman, 2013). Menschen mit einer mutierten Form dieses Gens haben Schwierigkeiten, Worte zu artikulieren. Eins steht fest: Die Untersuchung von Sprache und Denken bei Tieren hat Psycholog:innen dazu veranlasst, den außergewöhnlichen Fähigkeiten anderer Arten mehr Wertschätzung entgegenzubringen (Friend, 2004; Rumbaugh & Washburn, 2003; Wilson et al., 2015). In der Vergangenheit haben viele Psycholog:innen bezweifelt, dass andere Spezies planen, Begriffe bilden, zählen, Werkzeuge gebrauchen oder Mitleid empfinden könnten (Thorpe, 1974). Dank der Tierforschung wissen wir es heute besser. Andere Spezies zeigen Einsicht, weisen familiäre Bindungen auf, kommunizieren untereinander, kümmern sich umeinander und geben kulturelle Errungenschaften an die nächste Generation weiter. Die ethischen Konsequenzen von all dem zu begreifen und umzusetzen ist eine Aufgabe, die unsere denkende Spezies noch zu leisten hat. Prüfen Sie Ihr Wissen
steht, verfügen Affen tatsächlich über Sprache. Wenn man darunter gesprochene oder durch Gebärden ausgedrückte Wörter mitsamt einer komplexen Grammatik versteht, dann wären sich die meisten Psycholog:innen darin einig, dass nur der Mensch über Sprache verfügt (. Abb. 10.34). Darüber hinaus zeigen zweieinhalbjährige Kinder einige kognitive Fähigkeiten, wie z. B. dem
..Abb. 10.33 Aber ist das Sprache? Die Fähigkeit von Schimpansen, sich mit Hilfe der amerikanischen Gebärdensprache verständlich zu machen, wirft Fragen über die Natur der Sprache auf. Hier sieht man die Schimpansin Washoe zusammen mit dem Psychologen Allen und der Psychologin Beatrix Gardner von der University of Nevada. Washoe war Ende der 1960er Jahre das erste Tier, das Zeichen der amerikanischen Gebärdensprache erlernte und aktiv benutzte. (© ASSOCIATED PRESS/Uncredited/picture alliance)
– Wenn Ihr Hund einen Fremden an der Tür anbellt, kann man das dann als Sprache charakterisieren? Was ist, wenn der Hund unmissverständlich jault, um Sie wissen zu lassen, dass er nach draußen möchte?
10
426
Kapitel 10 • Denken und Sprache
..Abb. 10.34 (© Claudia Styrsky)
10.2.5
10
Denken und Sprache
?? 10.14 Welche Beziehung besteht zwischen Sprache
und Denken, und welchen Nutzen hat es, in Bildern zu denken?
Denken und Sprache was war zuerst da? Das hieße auf dem Gebiet der Psychologie die Frage nach der Henne und dem Ei zu stellen. Kommen uns zuerst unsere Ideen, und suchen wir dann nach dem richtigen Wort, um sie auszudrücken? Oder sind unsere Gedanken so sehr an Worte gebunden, dass wir sie ohne Sprache gar nicht denken könnten? Der Linguist Benjamin Lee Whorf (1956) hat behauptet, dass „die Sprache selbst die Grundgedanken des Menschen formt.“ Die Hopi-Indigenen, die keine Vergangenheitsformen für ihre Verben kennen, können nicht ohne weiteres an die Vergangenheit denken, behauptete er. Whorfs Hypothese des linguistischen Determinismus ist zu drastisch. Wir alle denken über Dinge nach, für die wir keine Wörter haben. (Können Sie an einen Blauton denken, den Sie nicht benennen können?) Und wir haben regelmäßig „nichtsymbolisierte“ (wortlose, gestaltlose) Gedanken, so wie sich jemand fragt, der zwei Männer eine Ladung Ziegelsteine tragen sieht, ob ihnen die Ladung wohl herunterfällt (Heavey & Hurlburt, 2008; Hurlburt et al., 2013). Linguistischer Determinismus („linguistic determinism“)
– Whorfs Hypothese, dass die Sprache unsere Denkweise bestimmt. Eine abgeschwächte Version des linguistischen Determinismus – der linguistische Relativismus – weist allerdings zu Recht darauf hin, dass unsere Worte unser Denken beeinflussen (Gentner, 2016). Für jemanden, der zwei sehr
unterschiedliche Sprachen wie Englisch und Japanisch spricht, scheint es offensichtlich zu sein, dass man in unterschiedlichen Sprachen unterschiedlich denkt (Brown, 1986). Während die englische oder auch die deutsche Sprache einen reichen Wortschatz für selbstbezogene Gefühle wie Ärger hat, kennt das Japanische viele Wörter für zwischenmenschliche Gefühle wie Sympathie (Markus & Kitayama, 1991). Zweisprachige Menschen berichten oft, dass sie in den beiden Sprachen ein anderes Selbstverständnis haben – dass sie sich wie verschiedene Menschen fühlen (Matsumoto, 1994; Pavlenko, 2014). In einer Reihe von Studien mit zweisprachigen israelischen Araber:innen (die Arabisch und Hebräisch sprechen) dachten die Teilnehmenden auf unterschiedliche Weise über ihre soziale Umgebung nach, wobei sie unterschiedliche automatische Assoziationen mit Araber:innen und Jüdinnen bzw. Juden hatten, je nachdem welche Sprache der Testdurchlauf benutzte (Danziger & Ward, 2010). Je nachdem, welche Gefühllage zweisprachige Menschen ausdrücken wollen, wechseln sie oft die Sprache. „Wenn meine Mutter sauer auf mich ist, spricht sie Mandarin“, erklärte ein chinesisch-amerikanischer Student. „Wenn sie wirklich wütend ist, wechselt sie ins Kantonesische“ (Chen et al., 2012). Zweisprachige Individuen zeigen unter Umständen sogar verschiedene Persönlichkeitsmerkmale, je nachdem in welcher Sprache sie einen Persönlichkeitstest beantworten (Dinges & Hull, 1992). Als zweisprachige Studierende chinesischer Abstammung in Kanada aufgefordert wurden, ihre eigene Persönlichkeit auf Englisch zu charakterisieren, war ihre Selbstdarstellung typisch kanadisch mit überwiegend positivem Selbstbild und Lebensgefühl. Wenn sie auf Chinesisch antworteten, gaben die selben Studierenden typisch chinesische Selbstdarstellungen: Sie antworteten eher im Einklang mit chinesischen Wertvorstellungen und zeigten ein ausgewogenes Verhältnis von positivem und negativem Selbstbild und Lebensgefühl (Ross et al., 2002). Ähnliche Verhaltensund Persönlichkeitsveränderungen wurden aufgezeigt, wenn zweisprachige Menschen, die in zwei Kulturen beheimatet sind, zwischen den kulturellen Bezugsrahmen des Spanischen und Englischen oder des Arabischen und Englischen wechseln (Ogunnaike et al., 2010; RamírezEsparza et al., 2006). Wenn sie in ihrer Zweitsprache antworten, spiegeln die Moralvorstellungen zweisprachiger Menschen weniger Emotionen wider – sie reagieren mehr mit dem „Kopf“ als mit dem „Herz“ (Costa et al., 2014). „Erlerne eine neue Sprache und du erhältst eine neue Seele“, besagt ein tschechisches Sprichwort. Unsere Worte beeinflussen demnach unsere Denkweise (Boroditsky, 2011). Worte legen unsere Denkkategorien fest. In Brasilien haben die isoliert lebenden Völker vom Stamm der Piraha Wörter für die Zahlen 1 und 2, doch die Zahlen darüber hinaus sind einfach „viele“. Wenn man ihnen 7 Nüsse in einer Reihe zeigt, empfinden sie es als ausgesprochen schwierig, dieselbe Anzahl von Nüssen auf einem eigenen Haufen anzuordnen (Gordon, 2004).
427
10.2 • Sprache und Geist
A
B
..Abb. 10.35 Kultur und Farbe. In Papua-Neuguinea haben Berinmo-Kinder Wörter für verschiedene Gelbtöne, die es ihnen ermöglichen können, diese Töne schneller zu erkennen oder sich an sie zu erinnern. Hier und überall, so die Psychologin Lera Boroditsky (2009), „prägen die Sprachen, die wir sprechen, die Art und Weise, wie wir denken, wie wir die Welt sehen und wie wir unser Leben leben“. (© Sybil Sassoon/robertharding/picture alliance)
..Abb. 10.36 Sprache und Wahrnehmung. Wenn man Menschen verschiedene Farben darbietet, die sich in gleichem Maß voneinander unterscheiden, dann nehmen sie Farben mit unterschiedlichen Bezeichnungen als unterschiedlicher wahr. Deshalb unterscheiden sich das „Grün“ und das „Blau“ in der Gegenüberstellung A anscheinend stärker als zwei Blautöne in der Gegenüberstellung B, die sich in gleichem Maß voneinander unterscheiden (Özgen, 2004, Copyright © 2004 by Association for Psychological Science. Reprinted by Permission of SAGE Publications)
& Branscombe, 2005; Mishra & Mishra, 2010). Tornados kennen keine Staatsgrenzen, aber Menschen schon. >>Der geschätzte Abstand zwischen Städten vergrößert
Wörter beeinflussen auch, was wir über Farben denken. Ob jemand in England, Neuguinea oder in Namibia lebt, jeder sieht die Farben mehr oder weniger auf die gleiche Weise, aber jeder benutzt beim Klassifizieren und Erinnern von Farben seine eigene Sprache (Davidoff, 2004; Roberson et al., 2004, 2005). Stellen Sie sich vor, Sie sehen drei Farben und bezeichnen zwei davon als „Gelb“ und eine von ihnen als „Blau“. Später würden Sie dann in der Erinnerung die beiden Gelbtöne als ähnlicher beschreiben. Ein Mensch vom Volk der Berinmo in Papua-Neuguinea dagegen, dessen Sprache für diese beiden Gelbtöne zwei ganz verschiedene Wörter kennt, würde sich eher an die Unterschiede zwischen diesen beiden Gelbtönen erinnern (. Abb. 10.35). Und ein russischer Muttersprachler, dessen Sprache über unterschiedliche Wörter für Blautöne, wie z. B. „goluboy“ und „sinly“, verfügt, hat wohl die Gelbtöne als ähnlicher in Erinnerung und wird sich vielleicht besser die Blautöne einprägen. Wörter machen einen Unterschied. Empfundene Unterschiede werden größer, wenn wir Dingen unterschiedliche Namen zuordnen. Im Farbspektrum geht blau in grün über – bis zu der Trennlinie, die wir zwischen dem ziehen, was wir als „Blau“ und als „Grün“ bezeichnen. Obwohl sie denselben Abstand im Farbspektrum haben, sind zwei Farben, die denselben Namen teilen (wie die zwei „Blaus“ in . Abb. 10.36, Gegenüberstellung B), viel schwerer zu unterscheiden, als wenn sie unterschiedliche Namen haben („Blau“ und „Grün“ in . Abb. 10.36, Gegenüberstellung A) (Özgen, 2004). Ebenso halten wir die Entfernung zwischen zwei Orten eines Bundesstaates für geringer und die Wahrscheinlichkeit, dass sie von einer Naturkatastrophe betroffen sind, für höher, als wenn sie in gleicher Entfernung voneinander in benachbarten Staaten liegen (Burris
sich ebenfalls, wenn zwei Städte in unterschiedlichen Ländern liegen anstatt im selben Land (Burris & Branscombe, 2005; Mishra & Mishra, 2010).
Angesichts des subtilen Einflusses der Sprache auf das Denken sollten wir vorsichtig mit unserer Wortwahl sein. Hat es etwas mit dem niedrigeren sozialen Status der Frauen zu tun, wenn man Frauen als „Mädchen“ bezeichnet und „Mädelsabend in der Bar“ sagt? Was ist mit der männlichen Form von Substantiven („Student“, „Künstler“), die häufig als Oberbegriff für beide Geschlechter verwendet wird? Im Deutschen haben Substantive (anders als im Englischen) ein grammatisches Geschlecht (Genus), das Maskulinum, Femininum oder Neutrum sein kann. Der ausschließliche Gebrauch der maskulinen Form, des sogenannten „generischen Maskulinums“, ist im Deutschen grammatikalisch richtig; es wird häufig argumentiert, es sei ausreichend, diesen zu verwenden, da jeder Mensch doch wisse, dass die männliche Wortform als Obergriff dient und auch Frauen einschließt. Viele Studien sind sich jedoch darin einig, dass es nicht gleichgültig ist, ob der maskuline Oberbegriff oder geschlechtsneutrale Formulierungen benutzt werden – spricht beispielsweise jemand von „dem Künstler und seinem Werk“ stellen sich die meisten Leute eher einen Mann als eine Frau vor (Henley, 1989; Ng, 1990). Für das Deutsche zeigten dies z. B. Scheele und Gauler (1992) oder Heise (2000). Wären die maskulinen Oberbegriffe wirklich von geschlechtsbezogenen Konnotationen frei, würden wir bei folgendem Satz auch nicht stutzen: „Der Mensch – ebenso wie andere Säugetiere – säugt seine Jungen.“ (Noch deutlicher wird es im Englischen: „Man, like other mammals, nurses his young.“)
10
428
10
Kapitel 10 • Denken und Sprache
Die Erweiterung der sprachlichen Ausdrucksfähigkeit bedeutet, die Denkfähigkeit zu erweitern. Bei kleinen Kindern entwickelt sich das Denken parallel zum Spracherwerb (Gopnik & Meltzoff, 1986). Es ist tatsächlich recht schwierig, ohne Sprache über bestimmte abstrakte Ideen (Bindung, Freiheit oder Reimen) nachzudenken oder sie begrifflich zu fassen! Und was für Vorschulkinder gilt, gilt für alle Menschen: Es lohnt sich, den eigenen Wortschatz zu pflegen. Deswegen führen die meisten Lehrbücher – und auch dieses hier macht keine Ausnahme – neue Wörter ein, um neue Ideen und Denkweisen zu vermitteln. Und das ist auch der Grund dafür, dass der Psychologe Steven Pinker (2007) The Stuff of Thought (Der Stoff des Denkens) als Titel für sein Buch über Sprache gewählt hat. Größere Ausdrucksfähigkeit kann auch zum Teil erklären, was Wallace Lambert (1992; Lambert et al., 1993), Forscher an der McGill University, als Vorteil der Zweisprachigkeit bezeichnet hat. In manchen (wenn auch nicht allen) Studien sind zweisprachige Menschen geschickt darin, jeweils eine Sprache auszublenden – z. B. wenn sie „crayon jaune“ aus ihrer Sprache in der Familie ausblenden und in der Schule vom „gelben Stift“ sprechen (Bialystok et al., 2015; de Bruin et al., 2015a,b). Dank ihrer geübten „exekutiven Kontrolle“ über die Sprache können sie auch ihre Aufmerksamkeit eher von nebensächlichen Informationen abwenden (Barac et al., 2016; Kroll & Bialystock, 2013). Diese überlegene Aufmerksamkeitskontrolle zeigt sich vom 7. Lebensmonat an bis ins Erwachsenenalter, sie trägt sogar dazu bei, den geistigen Verfall im späteren Leben aufzuhalten (Bak et al., 2014; Bilystok et al., 2012; Kroll et al., 2014). Zweisprachige Kinder zeigen auch höhere soziale Kompetenz, da sie besser in der Lage sind, sich in die Perspektive des anderen hineinzuversetzen (Fan et al., 2015). Das Umschalten bilingualer Menschen von einer Sprache in die andere nimmt jedoch einen Moment in Anspruch (Kleinman & Gollan, 2016; Palomar-García et al., 2015). Dieses Phänomen wurde mir [DM] erst bewusst, als ich mich mit zweisprachigen chinesischen Kollegen in Peking unterhielt. Während ich auf Englisch sprach, waren meine begleitenden Folien auf Chinesisch. Leider erfuhr ich später, dass meine Zuhörer zu einem ständigen „Code-Switching“ zwischen den übersetzten Folien und meinen gesprochenen Worten gezwungen waren. Dadurch wurde es für mein Publikum schwer, beides zu erfassen. Lambert war an der Entwicklung eines Programms in Kanada beteiligt, bei dem seit 1981 Millionen englischsprachigen Kindern eine Art „Eintauchen“ in die französische Sprache ermöglicht wurde (Statistics Canada, 2010). Es überrascht nicht, dass diese Kinder eine Wortgewandtheit im Französischen erlangen, an die andere Methoden des Sprachunterrichts nicht heranreichen. Und wenn man sie mit ähnlich begabten Kindern in einer Kontrollgruppe vergleicht, zeigt sich, dass ihre
englische Sprachkompetenz dadurch nicht beeinträchtigt ist. Sie erzielen in Eignungstests bessere Noten und zeigten mehr Kreativität und ein besseres Verständnis der frankokanadischen Kultur (Genesee & Gándara, 1999; Lazaruk, 2007). Ob wir der sprachlichen Mehrheit oder Minderheit angehören, Sprache verbindet uns untereinander. Sprache verbindet uns auch mit der Vergangenheit und der Zukunft. Eine Redensart sagt: „Willst du ein Volk vernichten, so vernichte seine Sprache.“ Prüfen Sie Ihr Wissen
– Benjamin Lee Whorfs umstrittene Hypothese wird ___ genannt und behauptet, dass wir nicht über Dinge nachdenken können, wenn wir keine Wörter für diese Begriffe oder Ideen kennen.
zz Denken in Bildern
Führen Sie manchmal Selbstgespräche, wenn Sie allein sind? Bedeutet „Denken“ für Sie, einen inneren Dialog zu führen? Zweifellos drücken Worte Gedanken aus. Aber manchmal gehen die Gedanken den Worten voraus. Wenn Sie das kalte Wasser im Badezimmer aufdrehen, in welche Richtung drehen Sie den Wasserhahn? Bei der Beantwortung dieser Frage haben Sie wahrscheinlich nicht in Worten gedacht, sondern das prozedurale Gedächtnis zu Hilfe genommen – ein mentales Bild der Handlung (7 Kap. 9).
» „Wenn jemand die Straße hinuntergeht und mit sich
selbst redet, vermuten wir in der Regel, dass diese Person verrückt ist. Aber wir reden alle durchgängig mit uns selbst – wir haben nur die gesunde Intuition, unseren Mund dabei geschlossen zu halten … Es ist so, als hätten wir ein Gespräch mit einem imaginären Freund, der unendlich viel Geduld hat. Mit wem reden wir?“ Sam Harris, We Are Lost in Thought (2011)
In der Tat denken wir oft in Bildern. Künstler:innen denken in Bildern. Komponist:innen, Dichter:innen, Mathematiker:innen, Sportler:innen und Wissenschaftler:innen ebenfalls. Albert Einstein berichtete, dass er einige seiner größten Erkenntnisse in Form von bildhaften Vorstellungen hatte, die er erst nachträglich in Worte fasste. Der Pianist Liu Ching Kung nutzte die Kraft, in Bildern zu denken. Ein Jahr nachdem er 1958 beim Tschaikowski-Wettbewerb der Zweitplatzierte war, wurde er im Zuge der chinesischen Kulturrevolution inhaftiert. Sieben Jahre lang konnte er keine Klaviertaste berühren, aber bald nach seiner Freilassung war er schon wieder auf Konzerttournee, und die Kritik rühmte seine gereifte Musikalität. Wie hatte er sich ohne Üben weiterentwickeln können? „Aber ich habe doch geübt“, sagte er, „jeden Tag! Ich bin jedes Stück, das ich je gelernt
429
10.2 • Sprache und Geist
habe, Ton für Ton in meinem Kopf durchgegangen“ (Garfield, 1986). Bei jemandem, der eine Fähigkeit erlernt hat, wie etwa Balletttanz, wird schon das reine Ansehen eine innere Stimulierung des Gehirns aktivieren, berichtete ein britisches Forschungsteam (Calvo-Merino et al., 2004). Das Gleiche geschieht, wenn man sich eine körperliche Handlung vorstellt – es werden einige der neuronalen Netze aktiviert, die auch aktiv sind, wenn die Handlung ausgeführt wird (Grèzes & Decety, 2001). Es ist daher kaum verwunderlich, dass für Sportler:innen, die an den olympischen Spielen teilnehmen, mentales Üben inzwischen zu einem normalen Bestandteil des Trainings geworden ist (Blumenstein & Orbach, 2012; Ungerleider, 2005). Bei einem Experiment zum mentalen Training des Freiwurfs beim Basketball wurde das Frauenteam der Universität Tennessee über 35 Spiele hinweg wissenschaftlich begleitet (Savoy & Beitel, 1996). In diesem Zeitraum stieg die Freiwurfgenauigkeit von ca. 52 % in Spielen, die mit dem Standard-Trainingsprogramm vorbereitet wurden, auf etwa 65 % nach mentalem Training als Vorbereitung. Dabei stellten sich die Sportlerinnen wiederholt Freiwürfe unter verschiedenen Bedingungen vor, sogar mit rüden Beschimpfungen von Seiten ihrer Gegnerinnen. Dramatischer Schlusspunkt war das Endspiel in einem bundesweiten Wettbewerb, bei dem Tennessee nach Verlängerung einen Sieg davontrug, der zum Teil auf die Leistungen beim Freiwurf zurückging. Mentales Üben kann auch dabei helfen, akademische Ziele zu erreichen, wie Forschende anhand von zwei Gruppen von Studierenden demonstrierten, die eine Woche später eine Klausur in einem Seminar zur Einführung in die Psychologie schreiben mussten (Taylor et al., 1998). (Studierende, die an keinem mentalen Training teilnahmen, stellten eine Kontrollgruppe dar.) Die erste Gruppe stellte sich täglich fünf Minuten lang vor, wie sie in der aushängenden Ergebnisliste überglücklich und stolz ihre Note 1 fanden. Diese tägliche Ergebnissimulation zeigte aber wenig Wirkung und brachte den Studierenden nur 2 Punkte zusätzlich zu ihrer durchschnittlichen Punktzahl ein. Eine andere Gruppe dachte sich täglich fünf Minuten in die tatsächliche Prüfungsvorbereitung hinein – sie sollten in ihrer Vorstellung Lehrbücher studieren, Aufzeichnungen durchsehen, Ablenkungen vermeiden und Angebote zum Ausgehen ablehnen. Diese tägliche Prozesssimulation machte sich bezahlt: Die Gruppe begann früher mit den Prüfungsvorbereitungen, blieb ausdauernder dabei und erzielte im Schnitt 8 Punkte mehr als ihre Mitstudierenden. Fazit: Es ist besser, in Gedanken den Weg zu einem Ziel durchzuspielen, als sich auf das erwünschte Ziel zu konzentrieren.
Denken
Sprache
..Abb. 10.37 Das Zusammenspiel zwischen Denken und Sprache. Die Wirkung erfolgt in beiden Richtungen. Das Denken beeinflusst unsere Sprache, die wiederum auf unser Denken einwirkt
>>Wie spät ist es jetzt? Als ich Sie gebeten habe (in dem
Abschnitt zur Selbstüberschätzung), zu schätzen, wie schnell Sie dieses Kapitel beenden würden – haben Sie sich unterschätzt oder überschätzt?
Was aber ist dann über das Verhältnis von Denken und Sprache zu sagen? Wie wir gesehen haben, beeinflusst die Sprache tatsächlich unser Denken. Aber würde das Denken nicht auch die Sprache beeinflussen, hätten nie neue Wörter entstehen können. Und neue Wörter und neue Verbindungen zwischen alten Wörtern drücken neue Gedanken aus. Der Basketball-Begriff „Slam-Dunk“ (eine spektakuläre Dunking-Variante, bei der der Ball nach einem Sprung vom Spieler von oben in den Korb gedrückt wird) wurde erst geprägt, als diese Spieltechnik schon ziemlich verbreitet war. Also lassen Sie uns festhalten, dass das Denken unsere Sprache beeinflusst, die wiederum das Denken beeinflusst (. Abb. 10.37). In der psychologischen Forschung zum Thema Denken und Sprache kommen auch die recht unterschiedlichen Auffassungen vom Homo sapiens zum Ausdruck, die sich in Bereichen wie Religion und Literatur finden. Der Geist des Menschen ist gleichermaßen fähig zu kapitalen Irrtümern wie zu eindrucksvollen intellektuellen Höhenflügen. Fehlurteile kommen vor und können katastrophale Folgen haben. Deshalb sollten wir uns unserer Fehleranfälligkeit sehr wohl bewusst sein. Dennoch sind unser Erfindungsreichtum beim Problemlösen und unser außerordentliches sprachliches Ausdrucksvermögen charakteristisch für das Menschengeschlecht „mit seinen nahezu unbegrenzten Fähigkeiten“. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist „mentales Training“ und wie kann es Ihnen helfen, sich für anstehende Ereignisse vorzubereiten?
10
430
Kapitel 10 • Denken und Sprache
10.2.6
Rückblick: Sprache und Geist
Verständnisfragen
10.12 – Welche Gehirnregionen sind an Sprachverarbeitung und Sprachproduktion beteiligt? 10.13 – Was wissen wir über die Sprachfähigkeit anderer Spezies? 10.14 – Welche Beziehung besteht zwischen Sprache und Denken, und welchen Nutzen hat es, in Bildern zu denken?
-------
Schlüsselbegriffe
10
Aphasie Broca-Zentrum Einwortstadium Grammatik Lallstadium Linguistischer Determinismus Morphem Phonem Sprache Telegrammstil Wernicke-Zentrum Zweiwortstadium
Master the Material 1. Kinder erreichen das Einwortstadium der Sprachentwicklung mit etwa … a. 4 Monaten. b. 6 Monaten. c. 1 Jahr. d. 2 Jahren. 2. Die drei Grundbausteine der Sprache sind ___, ___ und ___. 3. Wenn kleine Kinder in kurzen Sätzen sprechen und vor allem Verben und Substantive verwenden, wird dies als ___bezeichnet. 4. Nach Chomsky haben alle Sprachen ein(e) gemeinsame ___ 5. Die meisten Forschenden sind der Ansicht, Menschenaffen können … a. sich über Symbole verständigen. b. die meisten menschlichen Sprachlaute reproduzieren. c. im Erwachsenenalter die Sprache beherrschen. d. ein dreijähriges Kind in seinen Sprachfähigkeiten übertreffen.
Weiterführende deutsche Literatur Anderson, J. R. (2013). Kognitive Psychologie (7. Aufl.). Heidelberg: Spektrum. Betsch, T., Funke, J., & Plessner, H. (2011). Allgemeine Psychologie für Bachelor: Denken – Urteilen, Entscheiden, Problemlösen. Heidelberg: Springer. Funke, J. (2003). Problemlösendes Denken. Stuttgart: Kohlhammer. Herrmann, T., & Grabowski, J. (Hrsg.). (2003). Sprachproduktion. Enzyklopädie der Psychologie: Sprache, Bd. 1. Göttingen: Hogrefe. Lämmel, U., & Cleve, J. (2020). Künstliche Intelligenz (5. Aufl.). Stuttgart: Hanser. Mayer, J., & Hermann, H.-D. (2015). Mentales Training (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Russell, S., & Norvig, P. (2012). Künstliche Intelligenz (3. Aufl.). München: Pearson. Szagun, G. (2016). Sprachentwicklung beim Kind (6. Aufl.). Weinheim: Beltz.
431
Intelligenz Inhaltsverzeichnis 11.1
Was ist Intelligenz? – 432
11.1.1 11.1.2 11.1.3 11.1.4
Ist Intelligenz eine allgemeine Fähigkeit? – 432 Theorien multipler Intelligenzfaktoren – 433 Emotionale Intelligenz – 436 Rückblick: Was ist Intelligenz? – 437
11.2
Intelligenzmessung – 437
11.2.1 Frühe und moderne Tests der geistigen Fähigkeit – 438 11.2.2 Prinzipien des Testaufbaus – 442 11.2.3 Rückblick: Intelligenzmessung – 446
11.3
Die Dynamik der Intelligenz – 446
11.3.1 Stabilität oder Veränderung? – 446 11.3.2 Intelligenzextreme – 450 11.3.3 Rückblick: Die Dynamik der Intelligenz – 452
11.4
Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz – 452
11.4.1 11.4.2 11.4.3 11.4.4
Zwillings- und Adoptionsstudien – 453 Umweltbedingte Einflüsse – 454 Gruppenunterschiede bei Intelligenztests – 458 Rückblick: Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz – 464
Weiterführende deutsche Literatur – 465
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_11
11
432
11
Kapitel 11 • Intelligenz
Drei große Kontroversen bestimmen die Diskussionen in der Psychologie und reichen sogar über das Fach hinaus. Das ist zum einen der Disput um sogenannte verdrängte Erinnerungen, ob also traumatische Erlebnisse verdrängt werden und später mit Hilfe eines Therapeuten oder einer Therapeutin wieder aufgedeckt werden können. Zum zweiten die große Kontroverse um die Geschlechtsrolle, bei der es darum geht, in welchem Ausmaß Anlage und Umwelt unser Verhalten als Mann oder Frau bestimmen. In diesem Kapitel wollen wir uns aber mit dem dritten kontrovers diskutierten Thema, der Intelligenz, beschäftigen: Hat jeder von uns eine angeborene allgemeine geistige Fähigkeit (Intelligenz)? Können wir diese Fähigkeit in Form eines aussagekräftigen Wertes quantifizieren? Und können wir Intelligenz unvoreingenommen messen? Schulbehörden, Gerichte und Wissenschaft streiten über Nutzen und Gerechtigkeit von Tests, die versuchen, die geistigen Fähigkeiten eines Menschen zu erfassen und ihnen einen Gesamtwert zuzuordnen. Sind Intelligenztests eine konstruktive Methode, um Menschen zu helfen, die für sie richtigen Möglichkeiten und Gelegenheiten zu erkennen? Oder sind sie nur eine potente Waffe zur Diskriminierung, die sich als wissenschaftliche Methode ausgibt? Wir sollten vielleicht zunächst eher einige grundlegende Fragen stellen: Was ist Intelligenz eigentlich? Wie können wir Intelligenz am besten messen? Wie verändert sich die Intelligenz im Lauf der Zeit, und wie unterscheidet sie sich von Mensch zu Mensch? Wie wirken Vererbung und Erfahrung zusammen, um die Intelligenz zu formen? Welche Ähnlichkeiten und Unterschiede gibt es in den Ergebnissen von Intelligenztests zwischen verschiedenen Gruppen, und was erklärt diese Unterschiede? Sollen wir solche Unterschiede verwenden, um Menschen einzustufen, sie zu bestimmten Hochschulen zuzulassen, sie für einen bestimmten Job einzustellen?
--
In diesem Kapitel wollen wir einige Antworten auf diese Fragen geben und Sie immer wieder daran erinnern, dass es eine ganze Vielfalt geistiger Begabungen gibt und dass der Garant für Leistung in jedem Bereich die geeignete Mischung aus Begabung und Entschlossenheit ist. 11.1 Was
ist Intelligenz?
?? 11.1 Wie definieren Psycholog:innen Intelligenz und
welche Argumente sprechen für eine allgemeine Intelligenz?
In vielen Studien wird Intelligenz definiert als das, was mit Hilfe von Intelligenztests messbar ist. Dabei handelt es sich häufig zugleich um das, was die Klassenbesten in
der Schule auszeichnet. Aber Intelligenz ist keine Eigenschaft wie Größe oder Gewicht, die für jeden Menschen auf der Welt die gleiche Bedeutung hat. Verschiedene Kulturen halten etwas für „intelligent“, was in ihrer Zeit und ihrer Kultur zum Erfolg führt (Sternberg & Kaufman, 1998). Im Äquatorialwald in Kamerun kann Intelligenz die Gabe sein, unterscheiden zu können, welche einheimischen Kräuter sich zur wirksamen Behandlung von verschiedenen Krankheiten eignen (. Abb. 11.1). In einer nordamerikanischen High-School oder einem deutschen Gymnasium kann Intelligenz bedeuten, mit schwierigen Begriffen in Analysis und Chemieumgehen zu können. In beiden Fällen ist Intelligenz die Fähigkeit, aus Erfahrung zu lernen, Probleme zu lösen und das Wissen zur Anpassung an neue Situationen einzusetzen. Sie kennen wahrscheinlich einige Personen, die in den naturwissenschaftlichen Fächern besonders begabt sind oder aber in den Geisteswissenschaften herausragende Leistungen erbringen oder sich sportlich, künstlerisch, musikalisch oder tänzerisch besonders hervortun. Sie kennen vielleicht auch einen talentierten Künstler, der die einfachsten Rechenaufgaben nicht lösen kann, oder eine brillante Mathematikschülerin, die bei literarischen Diskussionen nicht gerade glänzt. Sind all diese Menschen intelligent? Kann man ihre Intelligenz auf einer einzigen Werteskala quantifizieren oder benötigt man dafür mehrere verschiedene Skalen? Ein Intelligenztest stellt die geistigen Fähigkeiten von Menschen fest und vergleicht sie unter Verwendung numerischer Werte mit denen anderer Menschen. Intelligenz („intelligence“) – die Fähigkeit, aus Erfahrung
zu lernen, Probleme zu lösen und Wissen einzusetzen, um sich an neue Situationen anzupassen. Intelligenztest („intelligence test“) – ein Verfahren, um die geistigen Fähigkeiten eines Menschen zu erfassen und sie anhand numerischer Testwerte mit denen anderer zu vergleichen. 11.1.1
Ist Intelligenz eine allgemeine Fähigkeit?
Charles Spearman (1863–1945), war davon überzeugt, dass es eine allgemeine Intelligenz gibt, auch g-Faktor (g von engl. „general“ = allgemein) genannt, die der Grundpfeiler unseres gesamten intelligenten Verhaltens ist – und das reicht vom Navigieren über das Meer bis zum Erzielen hervorragender Schulleistungen. Spearman räumte ein, dass Menschen zwar häufig besondere herausragende Befähigungen haben. Aber er stellte fest, dass diejenigen, die in einem Faktor, wie etwa Begriffsverständnis, ein hohes Ergebnis erzielten, in der Regel auch bei anderen Faktoren, wie etwa räumliches Denken oder induktives/ deduktives Denken, über dem Durchschnitt lagen. Spear-
433
11.1 • Was ist Intelligenz?
..Abb. 11.1 Heilwissen. Das gesellschaftlich konstruierte Konzept der Intelligenz variiert von Kultur zu Kultur. Dieser Naturheiler in Kamerun zeigt Intelligenz durch sein Wissen über Arzneipflanzen und durch sein Verständnis für die Bedürfnisse der Menschen, denen er hilft. (© Heiner Heine/imageBROKER/picture alliance)
mans Überzeugung stammte zum Teil aus seiner Arbeit an der Faktorenanalyse, einer statistischen Methode, die dabei hilft, Cluster verwandter Items zu identifizieren. Allgemeine Intelligenz oder g-Faktor („general intelligence“) – nach Ansicht von Spearman und anderen
Psycholog:innen liegt die allgemeine Intelligenz allen geistigen Fähigkeiten eines Menschen zugrunde und wird daher durch jede Aufgabe in einem Intelligenztest gemessen.
» „g ist eines der zuverlässigsten und validesten Maße im
Bereich des Verhaltens … und es sagt wichtige soziale Ergebnisse wie Bildungs- und Beschäftigungsniveau viel besser vorher als jede andere Eigenschaft.“ Verhaltensgenetiker Robert Plomin (1999)
Die Vorstellung von einer allgemeinen geistigen Fähigkeit, die sich in einem einzigen Intelligenzwert ausdrücken lässt, war zu Spearmans Zeit sehr umstritten und
ist es bis zum heutigen Tag. Einer von Spearmans frühen Kontrahenten war Louis L. Thurstone (1887–1955). Er legte seinen Proband:innen 56 verschiedene Tests vor, aus denen er anschließend mathematisch sieben Cluster primärer geistiger Fähigkeiten („primary mental abilities“: Wortflüssigkeit, Sprachbeherrschung, Raumvorstellung, Auffassungsgeschwindigkeit, Rechengewandtheit, schlussfolgerndes Denken und Gedächtnis) ableitete. Thurstone fasste diese Komponenten nicht in einer einzigen Skala einer allgemeinen Fähigkeit zusammen. Doch als andere Wissenschaftler die Profile seiner Testpersonen näher untersuchten, entdeckten sie, dass auch hier eine gewisse Tendenz erkennbar war: Personen, die in einem der sieben Faktoren hervorragende Ergebnisse erzielten, schnitten auch in den anderen gut ab. Sie schlossen daraus, dass es auch hier noch einige Hinweise auf einen g-Faktor gab. In diesem Sinne könnten wir die geistigen Fähigkeiten mit den körperlichen Fähigkeiten vergleichen. Die Fähigkeit zum schnellen Laufen unterscheidet sich von der Koordination zwischen den Augen und den Händen, die nötig ist, um einen Ball zielgenau zu werfen. Doch auch hier lässt sich eine gewisse Tendenz erkennen, dass verschiedene gute Eigenschaften in Kombination miteinander auftreten. So gibt es einen Zusammenhang zwischen Laufgeschwindigkeit und Wurfgenauigkeit. So verhält es sich auch mit der Intelligenz. Verschiedene Einzelfähigkeiten treten meist zusammen auf und korrelieren ausreichend hoch miteinander, um einen gewissen allgemeinen Intelligenzfaktor definieren zu können. Verschiedene Netzwerke im Gehirn steuern verschiedene Fähigkeiten, wobei sich g durch ihre aufeinander abgestimmte Aktivität erklären lässt (Cole et al., 2015; Hampshire et al., 2012). Das Ergebnis ist ein Bündel von Aktionen, die durch die optimale Ausnutzung der mentalen Ressourcen gesteuert werden (Carroll & Bright, 2016; Lee et al., 2015). 11.1.2
Theorien multipler Intelligenzfaktoren
?? 11.2 Wie unterscheiden sich die Theorien multipler
Intelligenzen von Gardner und Sternberg und welcher Kritik waren sie ausgesetzt?
Andere Psycholog:innen haben besonders seit Mitte der 80er Jahre versucht, die Intelligenzdefinition über die Definition als schulische Hochleistung hinaus zu erweitern.
Gardners multiple Intelligenzen Howard Gardner bestimmte acht relativ unabhängige Intelligenzfaktoren (. Abb. 11.2), einschließlich der sprachlichen und logisch-mathematischen Fähigkeiten, die mit Hilfe von standardisierten Tests erfasst werden. Gardner (1998) zufolge kommen im Software-Programmierer, in der Dichterin, im cleveren Jugendlichen und in der Spiel-
11
434
Kapitel 11 • Intelligenz
11 ..Abb. 11.2 Die acht Intelligenzen nach Gardner. Gardner benannte auch existenzielle Intelligenz (das Durchdenken grundlegender Fragen über das Leben) als eine neunte mögliche Intelligenzform
macherin einer Basketballmannschaft unterschiedliche Arten von Intelligenz zum Ausdruck. Gardner (1999a) schlug zudem eine neunte mögliche Intelligenzform vor, die existenzielle Intelligenz, die Fähigkeit, „grundlegende Fragen über Leben, Tod und Existenz zu durchdenken“. Nach Howard Gardner (1983, 2006; 2011; Davis et al., 2011) setzt sich Intelligenz aus multiplen Fähigkeiten zusammen, die in Form verschiedener Einzelfaktoren auftreten. Eine Gehirnschädigung z. B. kann zwar eine bestimmte Art von Fähigkeit einschränken, aber andere intakt lassen. Weiterhin haben Menschen mit dem Savant-Syndrom Inselbegabungen, aber häufig niedrige Werte in Intelligenztests, und einige haben praktisch keine sprachlichen Fähigkeiten (Treffert, 2010). Einige der Savant-Betroffenen sind aber in der Lage, blitzschnell komplizierte Berechnungen vorzunehmen, ohne langes Überlegen den Wochentag eines beliebigen historischen Datums zu nennen oder unglaubliche Werke künstlerischer oder musikalischer Art zu erschaffen (Miller, 1999; . Abb. 11.3). Etwa 4 von 5 Menschen mit Savant-Syndrom sind männlich, und viele haben auch eine AutismusSpektrum-Störung (ASS), eine Entwicklungsstörung. Savant-Syndrom („savant syndrome“) – Zustand, der
sich dadurch auszeichnet, dass ein Mensch mit einer an
sich eingeschränkten geistigen Fähigkeit über eine ganz außergewöhnliche Begabung (Inselbegabung) verfügt, beispielsweise im Rechnen oder Zeichnen. Das verstorbene Gedächtnisgenie Kim Peek (der nicht ASS hatte) diente als Inspiration für den Film Rain Man. In acht bis zehn Sekunden konnte er eine Seite lesen und sie sich merken. Er lernte in seinem Leben 9000 Bücher auswendig, darunter Shakespeares Werke und die Bibel. Er konnte GPS-ähnliche Wegbeschreibungen für jede größere US-amerikanische Stadt machen. Aber seine Kleidung zuknöpfen konnte er nicht, und seine Auffassungsgabe für abstrakte Konzepte war gering. Als sein Vater ihn in einem Restaurant darum bat, leiser zu sprechen („lower your voice“), rutschte er tiefer in seinen Stuhl, um seinen Kehlkopf abzusenken. Nach Lincolns Gettysburg-Rede („Address“) gefragt, antwortete er „227 North West Front Street. Aber er blieb nur eine Nacht dort – er hielt am nächsten Tag die Rede“ (Treffert & Christensen, 2005). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie unterstützt die Existenz des Savant-Syndroms Gardners Theorie multipler Intelligenzfaktoren?
11.1 • Was ist Intelligenz?
435
-
Kreative Intelligenz zeigt sich in der Fähigkeit zur Innovation: die Gabe, sich an neue Situationen anpassen zu können und neue Ideen zu entwickeln. Praktische Intelligenz ist häufig gefragt bei der Ausführung alltäglicher Aufgaben, die vielleicht unklar definiert sind und mehrere Lösungsmöglichkeiten zulassen (. Abb. 11.4).
» „Wenn Sie in etwas gut sind, müssen Sie vorsichtig
sein und sicherstellen, dass Sie nicht der Idee verfallen, auch in anderen Dingen gut zu sein, in denen das nicht unbedingt zutrifft … Weil ich sehr erfolgreich war [mit Softwareentwicklung], kommen die Leute zu mir und erwarten, dass ich über Wissen bei Themen verfüge, von denen ich keine Ahnung habe.“ Bill Gates (1998)
..Abb. 11.3 Inselbegabungen: Architektur-Künstler. Nach einem kurzen Helikopterflug über Singapur zeichnete der britische Architektur-Künstler Stephen Wiltshire innerhalb von fünf Tagen aus dem Gedächtnis eine exakte Luftansicht der Stadt. (© DESMOND WEE/ ANN/The Straits Times/picture alliance)
Sternbergs drei Intelligenzen Sternberg (1985, 2011) stimmt Gardner zwar grundsätzlich zu, dass es für Erfolg mehr als die traditionelle Intelligenz braucht, und er stimmt mit der Vorstellung von den multiplen Intelligenzen überein, aber in seiner triarchischen Theorie wird nur zwischen drei, nicht acht oder neun Aspekten der Intelligenz unterschieden: Analytische Intelligenz (schulische Problemlösungsintelligenz) wird erfasst durch Intelligenztests, in denen genau umrissene Aufgaben gelöst werden müssen, die eine einzige richtige Lösung haben. Durch sie lassen sich schulische Leistungen recht gut voraussagen, nicht so gut jedoch der berufliche Erfolg.
-
..Abb. 11.4 Straßenschläue. Diese Kinder verkaufen Blumen auf den Straßen von Kathmandu, Nepal, und entwickeln dadurch notgedrungen schon sehr früh eine praktische Intelligenz. (© Frank Bienewald/imageBROKER/picture alliance)
Mit Unterstützung des U.S. College Boards (das den weit verbreiteten „SAT Reasoning Test“ bei U.S. College- und Universitätsbewerbungen durchführt) haben Sternberg (2015) und seine Mitarbeiter:innen neue Messinstrumente der Kreativität (z. B. Bildunterschriften für einen Cartoon ohne Titel ausdenken) und des praktischen Denkens (z. B. überlegen, wie man ein großes Bett eine Wendeltreppe herauftragen kann) entwickelt. Verglichen mit älteren Bewertungskriterien ermöglichen solche umfangreicheren Beurteilungen, die Noten amerikanischer Studierender im ersten Collegejahr besser vorherzusagen. Gardner und Sternberg sind in manchen Punkten unterschiedlicher Meinung, aber stimmen in zwei wichtigen Punkten überein: Multiple Fähigkeiten können zum Erfolg im Leben beitragen und die vielfältigen Arten von Begabung verleihen dem Leben erst die richtige Würze und stellen eine große Herausforderung für das Bildungswesen dar. Viele Lehrer sind in den USA dahingehend ausgebildet worden, die Vielfalt der Begabungen
11
436
Kapitel 11 • Intelligenz
. Abb. 11.6). Ein professioneller Musiker oder eine Spitzensportlerin zu werden, erfordert erstens eine angeborene Begabung (Macnamara et al., 2014, 2016). Aber es erfordert auch jahrelanges Üben – im Durchschnitt etwa 11.000 Stunden, mindestens aber 3000 Stunden (Campitelli & Gobet, 2011). Das Erfolgsrezept beruht auf einem Geschenk der Natur gepaart mit einer langen Lehrzeit. (Mehr dazu, wie selbstdisziplinierte Entschlossenheit Leistungen fördert in 7 Kap. 12.)
$275.000 Höhere Intelligenztestwerte als Kinder korrelieren mit höherem Einkommen als Erwachsene.
Jahreseinkommen in US-Dollar
250.000 225.000 200.000 175.000 150.000 125.000 100.000
11.1.3
75.000
Emotionale Intelligenz
50.000 25.000 0
?? 11.3 Was sind die vier Komponenten der emotionalen 75
80
85
90
95
100
105
110
115
120
125
Intelligenz?
130
Intelligenztestwerte ..Abb. 11.5 Clever und reich? Jay Zargorsky (2007) verfolgte 7403 Teilnehmer:innen in der U.S. National Longitudinal Survey of Youth über 25 Jahre hinweg. Wie in diesem Scatterplot gezeigt wird, korrelierten ihre Intelligenzwerte zu +.30 mit ihrem späteren Einkommen
11
zu berücksichtigen und die Theorie der multiplen Intelligenzen auf den Unterricht anzuwenden.
Kritik an Theorien der multiplen Intelligenz Wäre es nicht wunderbar, wenn die Welt so gerecht wäre, dass eine Schwäche auf einem Gebiet durch eine Begabung auf einem anderen ausgeglichen würde? Doch leider, sagen Kritiker:innen, ist die Welt nicht gerecht (Ferguson, 2009; Scarr, 1989). Die Forschung hat unter Verwendung der Faktorenanalyse bestätigt, dass es einen allgemeinen Intelligenzfaktor gibt (Johnson et al., 2008): Der g-Faktor ist eben doch wichtig. Er sagt vorher, wie jemand bei verschiedenen komplexen Aufgaben und bei der Ausführung verschiedener Tätigkeiten abschneiden wird (Gottfredson 2002a,b, 2003a,b; . Abb. 11.5). Und extrem hohe kognitive Fähigkeitswerte sagen außergewöhnliche Leistungen vorher, wie etwa Doktorgrade und Publikationen (Kuncel & Hezlett, 2010). Trotzdem besteht das Rezept für „Erfolg“ nicht nur aus einer einzigen Zutat. Hohe Intelligenz kann dazu beitragen, uns (über die Schulbildung und entsprechende Ausbildungsprogramme) den Weg in einen passenden Beruf zu ebnen, aber sie macht uns nicht erfolgreich, wenn wir bereits im Beruf sind. Das Erfolgsrezept ist eine Kombination von Begabung und Entschlossenheit: Die, die sehr erfolgreich werden, sind auch eher gewissenhaft, haben gute Beziehungen und sind mit Begeisterung bei der Sache. K. Anders Ericsson und andere sprechen von einer Zehn-Jahres-Regel: Eines haben Spitzenleistungen in Schach, Tanzen, Sport, Programmieren von Computern, Musik und Medizin gemeinsam, nämlich „etwa zehn Jahre intensives tägliches Üben“ (Ericsson, 2007; Ericsson & Pool, 2016; Simon & Chase, 1973;
Einige Psycholog:innen haben unsere soziale Intelligenz weiter erforscht – das Knowhow, das es uns erlaubt, soziale Situationen zu verstehen und uns darin erfolgreich zu verhalten (Cantor & Kihlstrom, 1987). Das Konzept wurde 1920 das erste Mal von dem Psychologen Edward Thorndike vorgeschlagen, der sagte: „Der beste Mechaniker einer Fabrik wird als Werksmeister scheitern, wenn ihm die soziale Intelligenz fehlt“ (Goleman, 2006, S. 83). Ein maßgeblicher Teil der sozialen Intelligenz, die emotionale Intelligenz, besteht aus vier Fähigkeiten (Mayer et al., 2002, 2011, 2012): Emotionen wahrnehmen (sie im Gesichtsausdruck, in der Musik und in Geschichten zu erkennen), Emotionen verstehen (sie vorherzusagen und anzugeben, wie sie sich verändern und ineinander übergehen), mit Emotionen umgehen (zu wissen, wie man sie in unterschiedlichen Situationen zum Ausdruck bringt), Emotionen nutzen, um adaptives und kreatives Denken zu ermöglichen.
-
Emotionale Intelligenz („emotional intelligence“) – Fä-
higkeit, Emotionen wahrzunehmen, zu verstehen, mit ihnen umzugehen und sie zu nutzen. Emotional intelligente Personen sind sich ihrer Umwelt sowie ihrer selbst bewusst. Sie vermeiden es, sich von Depression, Angst oder Wut übermannen zu lassen. Sie können die emotionalen Signale ihrer Mitmenschen lesen und haben ein gutes Gespür dafür, was man einer trauernden Bezugsperson sagt, wie man Kolleg:innen Mut macht und wie man gut mit Konflikten umgeht. Sie können darüber hinaus länger auf eine Belohnung warten, wenn das langfristige Vorteile für sie verspricht. Emotional intelligente Menschen können deshalb mehr Erfolge in ihren Beziehungen, im Beruf und in Erziehungssituationen verzeichnen als andere, die im schulischen Bereich klüger sind, aber emotional weniger intelligent (Nathanson et al., 2016).
437
11.2 • Intelligenzmessung
..Abb. 11.6 Ein Genie in räumlicher Intelligenz. 1998 stellte der Weltmeister im Damespiel Ron „Suki“ King auf Barbados einen neuen Rekord auf, als er in drei Stunden und 44 Minuten simultan Dame gegen 385 Spieler spielte. Während also seinen Gegner:innen oft Stunden zur Verfügung standen, um sich ihre Spielzüge auszudenken, konnte sich King dem jeweiligen Spiel jedes Mal nur 35 Sekunden widmen. Es gelang ihm jedoch trotzdem, alle 385 Spiele zu gewinnen. (Courtesy of Cameras on Wheels)
Einige Wissenschaftler:innen jedoch äußern Bedenken, dass durch die emotionale Intelligenz der Intelligenzbegriff zu weit gefasst wird (Visser et al., 2006). Howard Gardner (1999b) zählt die interpersonelle und intrapersonelle Intelligenz zu seinen multiplen Intelligenzen. Aber seiner Ansicht nach sollten wir auch emotionale Sensibilität, Kreativität und Motivation als wichtige Einflussfaktoren gelten lassen, die jedoch etwas anderes sind als Intelligenz. Die Bedeutung eines Begriffs so weit auszudehnen, bis er alles umfasst, was wir schätzen, führt letztendlich dazu, dass er seine Bedeutung verliert. Ein Vergleich der verschiedenen Intelligenztheorien wird in . Tab. 11.1 vorgenommen. >>Das Credo der Prokrastination: „Harte Arbeit zahlt
sich später aus, Faulheit jetzt.“
11.1.4
Rückblick: Was ist Intelligenz?
Verständnisfragen
11.1 – Wie definieren Psycholog:innen Intelligenz und
welche Argumente sprechen für eine allgemeine Intelligenz? 11.2 – Wie unterscheiden sich die Theorien multipler Intelligenzen von Gardner und Sternberg und welcher Kritik waren sie ausgesetzt? 11.3 – Was sind die vier Komponenten der emotionalen Intelligenz?
---
Schlüsselbegriffe Allgemeine Intelligenz oder g-Faktor Emotionale Intelligenz Intelligenz Savant-Syndrom
Master the Material 1. Charles Spearman war der Ansicht, dass wir über eine ___ ___ verfügen, die jedem Erfolg dank einer Vielzahl von intellektuellen Fähigkeiten zugrunde liegt. 2. Die Existenz des Savant-Syndroms ist offenbar ein Beweis für … a. Sternbergs Unterscheidung zwischen drei Arten von Intelligenz. b. die Kritik an den Theorien der multiplen Intelligenz. c. Gardners Theorie der multiplen Intelligenzen. d. Thorndikes Vorstellung von sozialer Intelligenz. 3. Sternbergs drei Arten von Intelligenz sind ___, ___ und ___ Intelligenz. 4. Emotional intelligente Menschen neigen dazu, … a. nach einer unmittelbaren Belohnung zu streben. b. ihre eigenen Emotionen zu verstehen, aber nicht die von anderen. c. die Emotionen anderer zu verstehen, aber nicht ihre eigenen. d. in ihrer Karriere erfolgreich zu sein. 11.2 Intelligenzmessung
?? 11.4 Was ist ein Intelligenztest und wie unterscheiden
sich Leistungs- und Eignungstests?
Ein Intelligenztest beurteilt mit Hilfe eines Punktesystems die geistigen Fähigkeiten eines Menschen und vergleicht sie mit denen anderer Menschen. Wie erstellen wir solche Tests und was macht sie glaubwürdig? Denken Sie einmal darüber nach, warum Psycholog:innen Tests geistiger Fähigkeiten entwickelt und wie sie diese eingesetzt haben.
11
438
Kapitel 11 • Intelligenz
..Tab. 11.1 Vergleich der Intelligenztheorien
11
Theorie
Zusammenfassung
Stärken
Weitere Überlegungen
Spearmans allgemeine Intelligenz (g)
Durch eine grundlegende Intelligenz lassen sich unsere Fähigkeiten in unterschiedlichen schulischen/akademischen Bereichen vorhersagen
Unterschiedliche Fähigkeiten, wie etwa verbale und räumliche Fähigkeiten, weisen eine gewisse Tendenz auf, zu korrelieren
Die Fähigkeiten des Menschen sind zu vielfältig, um sie in einem einzelnen Faktor der allgemeinen Intelligenz zusammenzufassen
Thurstones „Primary Mental Abilities“
Unsere Intelligenz lässt sich in sieben verschiedene Faktoren aufspalten
Ein einzelner g-Wert enthält nicht so viele Informationen wie die Testwerte für die sieben „Primary Mental Abilities“
Selbst Thurstones „Mental Abilities“ weisen eine Tendenz zur Gruppenbildung auf, die auf einen zugrunde liegenden g-Faktor hindeutet
Gardners multiple Intelligenzen
Unsere Fähigkeiten lassen sich am besten in acht oder neun voneinander unabhängige Intelligenzen einteilen, zu denen eine breite Vielfalt von Fertigkeiten jenseits unseres traditionellen Schulwissens gehört
Intelligenz ist mehr als nur verbale und mathematische Fertigkeiten; andere Fähigkeiten sind genauso wichtig für die Anpassungsfähigkeit des Menschen
Sollten alle unsere Fähigkeiten als Intelligenzen angesehen werden? Oder sollten einige von ihnen eher als Begabungen bezeichnet werden, die für unser Leben weniger wichtig sind?
Sternbergs triarchische Intelligenz
Unsere Intelligenz lässt sich am besten in drei Bereiche einteilen, anhand derer sich unser Erfolg in der realen Welt vorhersagen lässt: analytische, kreative und praktische Intelligenz
Diese drei Bereiche lassen sich zuverlässig erfassen
Diese drei Bereiche sind vielleicht weniger unabhängig voneinander, als Sternberg meinte, und ihnen kann tatsächlich ein gemeinsamer g-Faktor zugrunde liegen
Emotionale Intelligenz
Soziale Intelligenz ist ein wichtiger Gradmesser für den Erfolg im Leben. Emotionale Intelligenz ist ein zentraler Aspekt, der aus dem Wahrnehmen, Verstehen, Handhaben und Einsetzen von Emotionen besteht
Diese vier Komponenten sind der Garant für sozialen Erfolg und psychisches Wohlbefinden
Wird damit der Begriff der Intelligenz zu weit gefasst?
Bis zu diesem Punkt in Ihrem Leben haben Sie bestimmt schon Dutzende von Tests mitgemacht, bei denen Ihre Fähigkeiten geprüft wurden: Schulreife- und Schulleistungstests, bei denen grundlegende Lese- und Rechenkenntnisse getestet werden, Abschlussprüfungen am Ende eines Seminars, Intelligenztests und die Fahrprüfung. Die Psycholog:innen bezeichnen diese Tests entweder als Leistungstests, die darauf angelegt sind, das wiederzugeben, was wir bisher an Wissen und Fähigkeiten erworben haben, oder als Eignungstests, deren Ziel es ist, unsere zukünftige Lernfähigkeit in einem neuen Gebiet vorherzusagen. Somit sind die Prüfungen, mit denen geprüft werden soll, was Sie in diesem Kurs gelernt haben, Leistungstests. Ein Eingangstest für Studienanfänger:innen, mit dem ihre Fähigkeit zum Studieren dieses Faches vorhergesagt werden soll, ist dagegen ein Eignungstest, oder wie es Howard Gardner (1999b) nannte, ein nur „wenig verschleierter Intelligenztest“. Tatsächlich berichten Meredith Frey und Douglas Detterman (2004), dass die Gesamttestwerte für den US-amerikanischen SAT („Scholastic Assessment Test“, früher als „U.S. Scholastic Aptitude Test“ bezeichnet) mit den allgemeinen Intelligenzwerten in einer landesweiten Stichprobe von 14- bis 21-Jährigen zu +.82 korrelierten (. Abb. 11.7).
11.2.1
Frühe und moderne Tests der geistigen Fähigkeit
?? 11.5 Wann und warum wurden Intelligenztests ent-
wickelt und wie unterscheiden sich die heutigen Tests von frühen Intelligenztests?
Manche Gesellschaften legen besonderen Wert auf das allgemeine Wohlergehen der Familie, der Gemeinschaft und der Gesellschaft. In anderen Gesellschaften steht die Entwicklungsmöglichkeit der Einzelnen im Mittelpunkt. Platon, ein Pionier der individualistischen Tradition, schrieb vor mehr als 2000 Jahren in Der Staat, „dass keiner von uns von Natur aus ganz gleich ist wie der andere, sondern dass jeder verschiedene Anlagen hat, der eine zu dieser, der andere zu jener Betätigung“. In der Nachfolge von Platons Individualismus haben sich Menschen in den westlichen Gesellschaften immer wieder Gedanken darüber gemacht, wie und warum sich Individuen in Bezug auf geistige Fähigkeiten voneinander unterscheiden.
11
439
11.2 • Intelligenzmessung
..Abb. 11.7 Nahe Verwandte: Eignungs- und Intelligenzwerte. Ein Streudiagramm veranschaulicht den engen Zusammenhang zwischen Intelligenztestwerten und den Werten aus dem Verbalteil und dem quantitativen Teil des SAT. (Daten aus Frey & Detterman, 2004)
140 130 120
IQ
110 100 90 80 70 60 200
400
600
800
1000
1200
1400
1600
SAT-Werte (verbal und quantitativ)
Francis Galton: Begabung ist erblich Die ersten ernsthaften Versuche, solche Unterschiede zu messen, wurden in der westlichen Welt von dem englischen Wissenschaftler Francis Galton (1822–1911) unternommen. Er war fasziniert davon, menschliche Eigenschaften zu messen. Als sein Cousin Charles Darwin die Annahme aufstellte, dass die Natur erfolgreiche Eigenschaften durch das Überleben des Stärkeren auswählt, fragte sich Galton, ob es mögliche wäre, „natürliche Fähigkeiten“ zu messen und Menschen mit hohen Fähigkeiten dieser Art zu ermutigen, sich miteinander zu paaren. Auf der Londoner Gesundheitsmesse im Jahre 1884 erhielten mehr als 10.000 Besucher:innen seine Bewertung ihrer „intellektuellen Stärken“, die auf Dingen wie Reaktionszeit, Sinnesschärfe, Muskelstärke und Körperproportionen basierten. Aber weder schnitten angesehene Erwachsene und Studierende im Vergleich zu anderen in diesen Maßen besser ab, noch korrelierten die Maße untereinander. Obwohl Galtons Suche nach einem einfachen Intelligenzmaß fehlgeschlagen ist, hinterließ er uns einige statistische Techniken, die wir immer noch nutzen (sowie den Ausdruck „Anlage und Umwelt“). Und sein anhaltender Glaube an die Vererbung der Intelligenz – widergespiegelt in seinem Buch Hereditary Genius – veranschaulicht eine wichtige Lektion sowohl der Geschichte der Intelligenztests als auch der Geschichte der Wissenschaft: Obwohl sich die Wissenschaft eigentlich um Objektivität bemüht, werden die einzelnen Wissenschaftler:innen von ihren eigenen Annahmen und Einstellungen beeinflusst. Intelligenztest („intelligence test“) – Methode zur Beurteilung der geistigen Fähigkeiten eines Individuums und zum Vergleich mit den Fähigkeiten anderer unter Verwendung eines Punktesystems.
Leistungstest („achievement test“) – Test, mit dem erfasst
werden soll, was eine Person in einem bestimmten Bereich gelernt hat. Eignungstest („aptitude test“) – Test, der die künftig zu erwartende Leistung eines Menschen vorhersagen soll; Eignung ist die Fähigkeit zu lernen.
Alfred Binet: Vorhersage des Schulerfolgs Moderne Intelligenztests haben ihren Ursprung im frühen 20. Jahrhundert, als in Frankreich ein neues Gesetz alle Kinder zum Schulbesuch verpflichtete. Französische Beamt:innen wussten, dass manche Kinder, unter anderem viele nach Paris zugezogene, Schwierigkeiten haben würden und speziellen Förderunterricht bräuchten. Aber wie konnten die Schulen das Lernpotenzial der Kinder gerecht beurteilen? Die Lehrenden könnten Kinder mit unzureichender Vorbildung möglicherweise als lernschwach einstufen. Oder sie könnten die Kinder nach ihrem sozialen Hintergrund in Klassen einteilen. Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, beauftragte der französische Erziehungsminister Alfred Binet damit, faire Tests zu erstellen (. Abb. 11.8). Binet und sein Mitarbeiter Théodore Simon gingen zunächst davon aus, dass alle Kinder demselben Ablauf der geistigen Entwicklung unterliegen, dass sich einige jedoch schneller entwickeln (Nicolas & Levine, 2012). In Tests müsste sich also ein „dummes“ Kind ein ähnliches Ergebnis wie ein typisches jüngeres Kind erzielen, und ein „kluges“ Kind wie ein typisches älteres. So machten sich Binet und Simon also daran, das Intelligenzalter jedes Kindes zu messen, das Leistungsniveau, das normalerweise einem bestimmten Lebensalter entspricht. Ein durchschnittlich begabtes 9 Jahre altes Kind hat somit ein Intelligenzalter von 9. Kinder mit einem unterdurchschnittlichen Intelligenzalter, beispielsweise 9-Jährige,
440
Kapitel 11 • Intelligenz
er „Denksportaufgaben“ vor, mit denen sie trainiert und ihre Aufmerksamkeitsspanne und Selbstdisziplin verbessert werden konnten. Er bestand darauf, dass mit seinem Intelligenztest keinesfalls die angeborene Intelligenz gemessen werden könne, so wie eine Waage das Gewicht misst. Der Test habe vielmehr einen einzigen praktischen Zweck: Er solle feststellen, welche französischen Schulkinder besondere Aufmerksamkeit benötigten. Binet hoffte, sein Test werde dazu verwendet werden, die Bildung der Kinder zu verbessern, aber er hatte andererseits auch die Befürchtung, der Test könne benutzt werden, um Kinder von vornherein abzustempeln und ihre Entwicklungsmöglichkeiten einzuschränken (Gould, 1981).
» „Der Intelligenztest wurde zur Vorhersage der schu-
lischen Leistung erfunden, zu sonst nichts. Wenn wir ein Verfahren haben wollten, mit dem sich der Erfolg im Leben voraussagen ließe, müssten wir einen vollkommen anderen Test erfinden.“ Der Sozialpsychologe Robert Zajonc (1984b)
11
..Abb. 11.8 Alfred Binet (1857–1911). „Einige moderne Philosophen haben dem bedauerlichen Urteil ihre moralische Zustimmung gegeben, dass die Intelligenz eines Individuums eine festgelegte Eigenschaft ist, die nicht gesteigert werden kann. Wir müssen gegen diesen brutalen Pessimismus protestieren und etwas dagegen unternehmen.“ (Binet, 1909, S. 141)
die der typischen Leistungsebene eines 7-Jährigen entsprechen, hätten wahrscheinlich Schwierigkeiten mit den schulischen Anforderungen, die an diese Altersgruppe normalerweise gestellt werden. Intelligenzalter („mental age“) – von Binet eingeführtes
Maß zur Feststellung der Intelligenztestleistung; die Leistungsebene, die typischerweise Kindern in einem bestimmten Lebensalter zugeordnet wird. So sagt man, wenn ein Kind die Leistungen eines durchschnittlichen 8-Jährigen vollbringt, es habe ein Intelligenzalter von 8. Zur Messung des Intelligenzalters gingen Binet und Simon von der Theorie aus, dass eine geistige Begabung, ebenso wie sportliche Begabung, eine allgemeine Fähigkeit ist, die auf vielfältige Weise zum Ausdruck kommt. Sie probierten verschiedene Fragen zum Denken und Problemlösen an Binets beiden Töchtern und dann an „hellen Köpfen“ und an „Zurückgebliebenen“ unter den Pariser Schulkindern aus. Anhand der richtig beantworteten Testfragen (Items) ließ sich vorhersagen, wie gut die französischen Kinder ihre Schulaufgaben bewältigen würden. Binet und Simon äußerten keine Vermutungen dazu, warum ein bestimmtes Kind langsam, durchschnittlich oder frühreif war. Binet selbst neigte zu einer Erklärung durch umweltbedingte Faktoren. Um die Fähigkeiten von Kindern mit geringen Testergebnissen zu steigern, schlug
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was erhoffte sich Binet davon, das Intelligenzalter eines Kindes festzustellen?
Lewis Terman: Angeborene Intelligenz messen Binets Befürchtungen bewahrheiteten sich schon bald nach seinem Tod im Jahre 1911, als andere seinen Test für die Nutzung als numerischen Maßstab für vererbte Intelligenz anpassten. Der Stanford-Professor Lewis Terman (1877–1956) testete die in Paris entwickelten Fragen und Altersmaßstäbe an kalifornischen Schulkindern. Aber die französischen Normen ließen sich nicht auf kalifornische Kinder übertragen. Er glich daher einige von Binets ursprünglichen Testfragen an die örtlichen Verhältnisse an, fügte weitere hinzu, legte neue Altersnormen fest und dehnte die obere Altersgrenze des Testbereichs von Jugendlichen bis zu „älteren Erwachsenen“ aus. Terman gab seiner überarbeiteten Version außerdem den Namen, den sie auch heute noch trägt: Stanford-Binet-Intelligenztest. Stanford-Binet-Intelligenztest („Stanford-Binet“) – häufig
angewandte amerikanische Variante des ursprünglichen Binet-Intelligenztests (abgewandelt durch Lewis Terman von der Stanford-Universität). Aus diesen Tests leitete der deutsche Psychologe William Stern den berühmten Intelligenzquotienten oder IQ ab. Der IQ war einfach das Intelligenzalter eines Menschen geteilt durch sein Lebensalter und multipliziert mit 100 (um 2 Kommastellen loszuwerden). Somit hat ein durch-
441
11.2 • Intelligenzmessung
schnittliches Kind, dessen Intelligenzalter und Lebensalter gleich sind, einen IQ von 100. Aber ein 8-jähriges Kind, das Fragen so beantwortet, wie sie ein 10-Jähriger beantworten würde, hat einen IQ von 125. IQ =
I ntel ligenzalter von 10 100 = 125 Lebensalter von 8
Intelligenzquotient oder IQ („intelligence quotient“) – ur-
sprünglich definiert als das Verhältnis von Intelligenzalter (IA) zum Lebensalter (LA) multipliziert mit 100, nach der IA 100. In neueren Intelligenztests wird Formel IQ = LA die durchschnittliche Leistungsfähigkeit einer bestimmten Altersgruppe mit einem Wert von 100 gleichgesetzt. Die ursprüngliche IQ-Formel ließ sich gut auf Kinder anwenden, nicht jedoch auf Erwachsene (. Abb. 11.9). (Oder sollte vielleicht einem 40-Jährigen, der den Test gleich gut macht wie ein 20-Jähriger, nur ein IQ von 50 bescheinigt werden?) Bei den meisten neueren Intelligenztests, einschließlich des Stanford-Binet-Tests, wird der IQ nicht mehr nach dieser Formel berechnet (trotzdem wird der Begriff „IQ“ in der Alltagssprache weiterhin häufig als Kurzform für „Intelligenztestwert“ verwendet). Bei den heutigen Intelligenztests wird hingegen ein Wert ermittelt, der die Leistung des Getesteten in Beziehung zur durchschnittlichen Leistung der Bevölkerung (welcher willkürlich auf den Wert 100 festgesetzt wird) derselben Altersgruppe setzt. Die meisten getesteten Personen, ca. 68 %, erzielen dabei Werte zwischen 85 und 115. Terman (1916, S. 4) trat für den breiten Einsatz von Intelligenztests ein, um „den Ungleichheiten von Kindern aufgrund ihrer angeborenen Begabung gerecht zu werden“, und zwar durch Messung ihrer „beruflichen Eignung“. Terman sympathisierte auch mit den Ideen von Francis Galtons Eugenik, der heftig kritisierten humangenetischen Bewegung des 19. Jahrhunderts. Sie trat für die Messung der menschlichen Charakterzüge ein, um je nach Ergebnis nur die klugen und wirklich überlebensfähigen Menschen anschließend zur Fortpflanzung zu ermutigen. Vor diesem Hintergrund hielt es Terman für möglich, durch den Einsatz von Intelligenztests „letztendlich die Fortpflanzung von Schwachsinn deutlich einschränken und dadurch zur Beseitigung eines hohen Maßes an Kriminalität, Massenarmut und Ineffizienz in der Industrie beitragen zu können“ (S. 7). Mit Termans Hilfe entwickelte die US-Regierung neue Tests, um frisch eingereiste Einwanderer und 1,7 Mio. Rekrut:innen der Armee im Ersten Weltkrieg nach ihrer Intelligenz einschätzen zu können. Das war der weltweit erste massive Einsatz eines Intelligenztests. Für manche Psycholog:innen deuteten die Ergebnisse auf eine Minderwertigkeit der Menschen hin, die kein angelsächsisches Erbe hatten. Solche Aussagen beeinflussten das kulturelle
..Abb. 11.9 (© Dave Coverly/speedbump.com)
Klima; das führte schließlich 1924 zur Verabschiedung eines Einwanderungsgesetzes, durch das die Einwanderungsquoten aus Süd- und Osteuropa im Vergleich zu jenen aus Nord- und Westeuropa auf weniger als ein Fünftel gesenkt wurden. Binet wäre wahrscheinlich entsetzt gewesen, wenn er gesehen hätte, wie sein Test abgewandelt und verwendet wurde, um derartige Schlüsse zu ziehen. Tatsächlich waren den meisten Verfechter:innen der Intelligenztests bald derart radikale Urteile peinlich. Selbst Terman musste sich beispielsweise eingestehen, dass die Testergebnisse nicht nur Ausdruck der angeborenen geistigen Fähigkeiten der Menschen sind, sondern auch ihrer Bildung, ihrer Muttersprache und ihrer Vertrautheit mit der Kultur, die dem Test zugrunde lag. Der Missbrauch der frühen Intelligenztests kann daher immer noch dazu dienen, uns daran zu erinnern, dass die Wissenschaft von ideologischen Werten beeinflusst sein kann. Hinter dem Schleier der wissenschaftlichen Objektivität verbirgt sich bisweilen eine Ideologie. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie lautet der IQ eines 4-jährigen Kindes mit einem Intelligenzalter von 5?
David Wechsler: Stärken getrennt testen Der am häufigsten in den USA – und auch in Deutschland – eingesetzte Intelligenztest ist die von dem Psychologen David Wechsler entwickelte „Wechsler Adult
11
442
Kapitel 11 • Intelligenz
Intelligence Scale“ (WAIS) bzw. im Deutschen der „Hamburg-Wechsler-Intelligenztest für Erwachsene“ (HAWIE) bzw. seit 2012 die „Wechsler Adult Intelligence Scale – Fourth Edition – deutschsprachige Adaptation“ (WAIS-IV; Petermann, 2012). Es gibt diesen Test auch als Version für Schulkinder, die „Wechsler Intelligence Scale for Children“ (WISC) – im Deutschen „HamburgWechsler-Intelligenztest für Kinder“, HAWIK bzw. seit 2011 „Wechsler Intelligence Scale for Children – Fourth Edition“ (WISC-IV; Petermann & Petermann, 2011), und als spezielle Version für Vorschulkinder (Evers et al., 2012). Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS) – in Deutsch-
land sind der WAIS und die entsprechenden Versionen für Kinder die am häufigsten verwendete Intelligenztests; zu ihnen gehören Untertests, die zu einem Verbalteil und einem Handlungsteil (nonverbal) zusammengefasst sind.
11
-
Die neueste Ausgabe des WAIS (2008) besteht aus 15 Untertests, u. a. den folgenden: Gemeinsamkeiten finden – Durch logisches Denken soll die Gemeinsamkeit zweier Objekte oder Konzepte herausgefunden werden, wie z. B. „In welcher Hinsicht sind Wolle und Baumwolle ähnlich?“. Wortschatztest – Es sollen bildlich dargestellte Objekte benannt oder Wörter definiert werden („Was ist eine Gitarre?“). Mosaiktest – Hierbei geht es um die visuelle abstrakte Verarbeitung, wie z. B. „Legen Sie dieses Muster unter Verwendung der vier Blöcke nach“ (. Abb. 11.10). Buchstaben- und Zahlennachsprechen – Nach dem Anhören einer Reihe von Zahlen und Buchstaben sollen die Zahlen in aufsteigender Reihenfolge und die Buchstaben in alphabetischer Reihenfolge wiedergegeben werden („R-2-C-1-M-3“). Der WAIS bietet nicht nur die Möglichkeit zur Feststellung eines allgemeinen Intelligenzwertes wie der Stanford-Binet-Test, sondern er liefert zudem auch noch individuelle Werte für verbales Verständnis, Auffassungsvermögen, Arbeitsgedächtnis und Verarbeitungsgeschwindigkeit. Große Differenzen zwischen diesen Werten können Hinweise auf die kognitiven Stärken oder Schwächen liefern. Beispielsweise kann ein niedriger Wert für verbales Verständnis bei ansonsten hohen Werten in den anderen Untertests auf eine Lese- oder Sprachschwäche hindeuten. Andere Vergleiche können Psycholog:innen oder Psychiater:innen dabei helfen, einen Rehabilitationsplan für Schlaganfallpatient:innen aufzustellen. Auf diese Weise helfen diese Tests, Binets Ziel zu verwirklichen: Verbesserungspotenziale und Stärken zu ermitteln, auf denen Lehrende und Therapierende aufbauen können. Solche Nutzungsmöglichkeiten sind aber natürlich nur dann möglich, wenn man den Testergebnissen vertrauen kann.
..Abb. 11.10 Muster abgleichen. Mosaikpuzzles testen die Fähigkeit zu abstrakter visueller Verarbeitung. Wechslers Intelligenztest, der als Einzeltestung durchgeführt wird, steht als Erwachsenen- und Kinderversion zur Verfügung. (© Richard T. Nowitz/Getty Images)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Eine Arbeitgeberin hat für eine einzige verfügbare Stelle viele Bewerbungen erhalten und will nun das Potenzial jedes Bewerbers und jeder Bewerberin testen. Um das herauszufinden, sollte sie einen ___ (Leistungs‑/Eignungstest) verwenden. Wenn die gleiche Arbeitgeberin die Effektivität eines neuen On-the-job-Trainingsprogramms testen will, wäre sie gut beraten, einen ___ (Leistungs‑/ Eignungstest) zu nutzen.
11.2.2
Prinzipien des Testaufbaus
?? 11.6 Was bedeutet der Begriff Normalverteilung und
was ist unter der Aussage zu verstehen, dass ein Test die Kriterien Normierung, Reliabilität und Validität erfüllt?
Um weitestgehend akzeptiert zu werden, müssen psychologische Tests die drei Hauptgütekriterien erfüllen: Sie müssen standardisiert bzw. objektiv, reliabel und valide
11
443
11.2 • Intelligenzmessung
Etwa 68% der Menschen liegen mit ihren Werten innerhalb von 15 Punkten über oder unter 100
Anzahl der Werte
Etwa 95% aller Menschen erzielen Werte, die in einer Bandbreite von 30 Punkten über oder unter 100 liegen 68%
95% 0,1%
13,5%
2,5% 55
70
34% 85
34% 100
13,5% 115
0,1%
2,5% 130
145
Wechsler-Intelligenzwerte ..Abb. 11.11 Normalverteilung. Die bei einem Eignungstest erzielten Werte haben die Tendenz, eine glockenförmige Normalverteilung zu bilden. Bei den Wechsler-Intelligenztests etwa ist der Mittelwert 100
sein, wobei gerade beim Testaufbau der Normierung als Nebengütekriterium zusätzlich eine besondere Bedeutung zukommt. Der Stanford-Binet-Test und die Wechsler-Intelligenztests erfüllen diese Anforderungen. Die Gütekriterien Normierung, Reliabilität und Validität werden in folgenden Abschnitten ausführlicher erläutert.
Normierung Die Anzahl Ihrer richtig beantworteten Fragen bei einem Intelligenztest allein sagt im Prinzip fast nichts aus. Um zu wissen, wie gut Sie abgeschnitten haben, bräuchten Sie eine Vergleichsbasis. Deshalb legen die Testentwickler neue Tests zunächst einer repräsentativen Stichprobe vor. Die Werte dieser zuvor getesteten Gruppe bilden die Grundlage für zukünftige Vergleiche. Wenn Sie dann den Test unter gleichen Umständen und Anweisungen bearbeiten, ist Ihr Wert aussagekräftig, wenn er mit anderen Werten verglichen wird. Dieser Vorgang wird als Normierung bezeichnet.
Durchschnittswert. Bei einem Intelligenztest wird dieser Durchschnittswert mit 100 angesetzt (. Abb. 11.11). Je weiter wir uns vom Durchschnitt in Richtung beider Extreme wegbewegen, desto weniger Testpersonen finden wir. Sowohl beim Stanford-Binet- als auch beim Wechsler-Test gibt der Wert einer Person an, ob ihre Leistung über- oder unterdurchschnittlich ausfällt. Einen deutlich höheren Leistungswert als der Durchschnitt erreichen nur 2,5 % aller Testteilnehmenden (was einem Intelligenzquotienten von über 130 entspricht). Ein Testrohwert, der im Gegensatz dazu unter dem Wert liegt, den 97,5 % aller Menschen erreichen, wird mit einem Intelligenzquotienten von 70 gleichgesetzt. Normalverteilung („normal curve“) – glockenförmige Kurve, mit der die Verteilung vieler körperlicher und psychischer Merkmale beschrieben wird. Die meisten Werte liegen im Bereich unmittelbar links und rechts des Durchschnitts. Je weiter man sich zu den Extremen hin bewegt, desto weniger Werte findet man.
Normierung („standardization“) – Festlegung einheitli-
cher Testverfahren und sinnvoller Werte durch den Vergleich mit den Werten einer zuvor getesteten Normierungsstichprobe; auch Eichung genannt. Wenn wir ein Diagramm mit den Ergebnissen der Testteilnehmer erstellen, zeigen die Ergebnisse typischerweise einen glockenförmigen Verlauf. Dies wird als Glockenkurve oder Normalverteilung bezeichnet. Ganz gleich, was wir messen – Größe, Gewicht oder geistige Fähigkeiten von Menschen –, der höchste Punkt der Kurve ist der
Um den Durchschnittswert bei 100 zu halten, werden sowohl der Stanford-Binet-Test als auch die Wechsler-Tests in periodischen Abständen immer wieder neu normiert. Wenn Sie beispielsweise vor einiger Zeit den HAWIE-R in seiner zweiten Auflage absolviert haben, so wurde Ihre Leistung mit einer repräsentativen Standardisierungsstichprobe aus dem Jahre 1991 verglichen und nicht mit der ersten deutschen Standardisierungsstichprobe, die 1956 untersucht worden war. Was würde sich wohl Ihrer Meinung nach ergeben, wenn Sie die Ergebnisse dieser
444
11
Kapitel 11 • Intelligenz
Standardisierungsstichprobe mit der aus den 50er Jahren verglichen: steigende oder fallende Werte? Verblüffenderweise haben sich die Intelligenztestwerte verbessert, obwohl die Werte der Eingangsprüfung für alle Studienanfänger:innen am College während der 1960er und 1970er Jahre manchmal gefallen sind. Dieses weltweite Phänomen wird zu Ehren des neuseeländischen Forschers James Flynn (1987, 2012), der als Erster die Größe dieser Veränderung berechnet hat, Flynn-Effekt genannt. Der durchschnittliche IQ in den USA lag im Jahre 1920 – nach dem heutigen Standard – bei nur 76! Eine ähnliche Leistungssteigerung wurde in 48 Ländern beobachtet; und dies reichte von Kanada bis Kamerun (Wongupparaj et al., 2015). Es gab zwar regional einige Rückgänge, die historische Zunahme ist jedoch inzwischen weithin als wichtiges Phänomen anerkannt (Lynn, 2009; Teasdale & Owen, 2005, 2006). Die Ursache des Flynn-Effekts bleibt ein Rätsel in der Psychologie. Liegt es vielleicht an der größeren Vertrautheit der Testpersonen mit Intelligenztests? Nein. Eine Zunahme setzte bereits vor dem weit verbreiteten Einsatz dieser Tests ein. Liegt es vielleicht an der besseren Ernährung? Dank besserer Ernährung sind die Menschen nicht nur größer, sondern auch klüger geworden. Aber obwohl im Großbritannien der Nachkriegszeit die Kinder der „Unterschicht“ am meisten von der verbesserten Ernährung profitierten, war die Zunahme der Intelligenzwerte unter den Kindern der „Oberschicht“ höher, merkt Flynn (2009) an. Könnte die Erklärung in größeren Bildungschancen, kleineren Familien und einem steigenden Lebensstandard (Pietschnig & Voracek, 2015; Rindermann et al., 2016) zu suchen sein? Flynn (2012) führt die Leistungssteigerung darauf zurück, dass wir neue intellektuelle Fähigkeiten entwickeln müssen, um mit den Herausforderungen der modernen Welt zurechtzukommen. Unabhängig davon, welche Kombination von Faktoren das Ansteigen der Intelligenztestwerte erklärt, widerspricht dieses Phänomen doch zumindest den Bedenken mancher Vertreter:innen der Theorie des erbbedingten menschlichen Verhaltens. Sie hatten vorausgesagt, dass im 20. Jahrhundert durch die höheren Geburtenzahlen in den sozialen Gruppen mit niedrigen Intelligenzwerten das Niveau der menschlichen Intelligenzwerte insgesamt abfallen würde (Lynn & Harvey, 2008).
Reliabilität (Zuverlässigkeit) Auch wenn Ihre Testwerte mit den Werten einer Standardisierungsstichprobe verglichen werden, sagt uns das noch nicht viel, wenn der Test keine ausreichende Reliabilität hat. Ein Test, der über Reliabilität verfügt, liefert zuverlässig konsistente Daten, unabhängig davon, wer den Test macht und wann er gemacht wird. Um die Zuverlässigkeit (= Reliabilität) eines Tests zu überprüfen, testen die Forschenden in einer Stichprobe mehrfach dieselben Personen. Sie können den Test in zwei Hälften aufteilen (Split-Half-Reliabilität: Übereinstimmung der Werte, die
bei den geraden Testfragen erzielt werden, mit denen der ungeraden, die„Odd-even-Methode“), den Testpersonen alternative Formen des Test darbieten oder den gleichen Test zu verschiedenen Zeitpunkten durchführen (Test-Retest-Reliabilität). Wenn die beiden Werte im Großen und Ganzen übereinstimmen oder korrelieren, gilt der Test als verlässlich. Je höher die Korrelation zwischen den beiden Ergebnissen ist, desto höher ist seine Reliabilität. Die von uns beschriebenen Tests – der Stanford-Binet-Test und die Wechsler-Tests – sind nach dem Kleinkindalter sehr zuverlässig (Reliabilität von etwa +.9). Wenn jemand einen Test zum zweiten Mal macht, liegen die erzielten Ergebnisse meist nahe beim ersten Wert. Reliabilität (auch Zuverlässigkeit; „reliability“) – Ausmaß,
in dem ein Test konsistente Ergebnisse liefert; wird anhand der Übereinstimmung der Werte aus zwei getrennt durchgeführten Hälften des Tests oder bei wiederholter Durchführung des Tests ermittelt.
Validität (Gültigkeit) Eine hohe Reliabilität bzw. Zuverlässigkeit eines Tests ist noch keine Garantie für seine Validität oder Gültigkeit, d. h. das Ausmaß, in dem der Test tatsächlich das misst oder vorhersagt, was er messen oder vorhersagen soll. Stellen Sie sich vor, sie verwenden ein falsch kalibriertes Maßband, um die Körpergröße von Menschen zu messen. Ihre Ergebnisse hätten dann eine hohe Reliabilität (Konsistenz). Egal, wie oft Sie messen würden, die Größe der Menschen bliebe die gleiche. Aber ihre falschen Größenmaße wären nicht valide. Tests, die das relevante Verhalten oder Kriterium überprüfen, haben Inhaltsvalidität. Die praktische Fahrprüfung für den Führerscheinerwerb besitzt Inhaltsvalidität, weil sie aus verschiedenen Stichproben von Aufgaben besteht, die Fahrende routinemäßig meistern müssen. Auch Prüfungen am Ende eines Kurses haben Inhaltsvalidität, wenn mit ihnen bewertet wird, wie viel Wissen man über das Kursmaterial hat. Aber von Intelligenztests erwarten wir, dass sie Vorhersagevalidität haben: Sie sollen das Kriterium künftiger Leistung vorhersagen und zu einem gewissen Grad tun sie das auch. Validität oder Gültigkeit („validity“) – Ausmaß, in dem
ein Test das misst oder vorhersagt, was er messen oder vorhersagen soll (s. auch Inhaltsvalidität und Vorhersagevalidität). Inhaltsvalidität („content validity“) – Ausmaß, in dem ein Test das zu testende Verhalten tatsächlich stichprobenartig erfasst. Vorhersagevalidität (auch Kriteriumsvalidität; „predictive validity“) – Ausmaß, in dem ein Test das Verhalten vor-
hersagt, das er vorhersagen soll. Der Erfolg wird durch Berechnung der Korrelation zwischen den Testwerten und dem kriteriumsrelevanten Verhalten erfasst.
10
Größere Korrelation bei breiterer Streuung der Körpergewichte
9
Erfolg von Football-Spielern
Haben allgemeine Eignungstests eine genauso hohe Vorhersagevalidität, wie sie reliabel sind? Kritiker:innen beantworten diese Frage gern mit einem klaren Nein. Eignungstestwerte können Schulnoten vorhersagen (Roth et al., 2015). Aber die kritischen Stimmen haben Recht, dass der Vorhersagewert von Eignungstests in den ersten Schuljahren seinen Höhepunkt erreicht und später abnimmt. So haben schulische Eignungstestwerte einen relativ guten Vorhersagewert für Leistungen bei Kindern von 6 bis 12, bei denen die Korrelation zwischen den Intelligenzwerten und der Schulleistung bei etwa +.6 liegt (Jensen, 1980). Intelligenzwerte korrelieren sogar noch höher mit Werten in Leistungstests: Bei einem Vergleich der Intelligenzwerte von 70.000 englischen Kindern im Alter von 11 Jahren mit ihren schulischen Leistungen in nationalen Prüfungen im Alter von 16 Jahren betrug die Korrelation +.81 (Deary et al., 2007, 2009b). Der SAT („Scholastic Assessment Test“), der in den USA als Eingangsprüfung für alle Studienanfänger:innen am College eingesetzt wird, hat hingegen die Leistung im ersten Studienjahr weniger gut vorausgesagt. (Die Korrelation, die bei weniger als +.5 lag, ist aber etwas höher, wenn man Studierende, die hohe Werte erreichen und schwierigere Kurse wählen, berücksichtigt und die Korrelation daran anpasst [Berry & Sackett, 2009; Willingham et al., 1990].) Und wenn wir uns schließlich den GRE („Graduate Record Examination“) anschauen, der eine ähnliche Eingangsprüfung wie der SAT für Bewerber:innen an amerikanischen Graduate Schools (Postgraduiertenabteilungen, an denen man die Master- und die Doktorprüfung ablegen kann) darstellt, liegt die Korrelation mit den später erzielten Leistungen nur noch bei bescheidenen, aber trotzdem signifikanten +.4 (Kunzel & Hezlett, 2007). Woran liegt es, dass der Vorhersagewert der bei Eignungstests erzielten Werte abnimmt, je weiter die Lernenden auf der Ausbildungsleiter nach oben klettern? Schauen wir uns eine parallele Situation an: Bei allen amerikanischen und kanadischen Spielern von American Football besteht normalerweise eine Korrelation zwischen Körpergewicht und Erfolg. Ein Spieler, der 140 kg wiegt, kann einen 90 kg schweren Gegner leicht umrennen. Doch im engen Bereich zwischen 120 und 140 kg, der bei professionellen Football-Spielern die Regel ist, wird die Korrelation zwischen Gewicht und Erfolg so gering, dass man sie vernachlässigen kann (. Abb. 11.12). Je enger die Bandbreite des Gewichts, desto niedriger wird auch der Vorhersagewert des Körpergewichts. Wenn eine Eliteuniversität nur Studierende zulässt, die sehr hohe Eignungstestwerte aufweisen und dann gute Noten nur in begrenztem Umfang verteilt, haben diese Werte keinen großen Vorhersagewert. Das gilt auch dann noch, wenn der Test mit einer breiter gestreuten Gruppe von Studierenden eine ausgezeichnete Vorhersagevalidität besitzt. Ebenso hat die moderne Noteninflation zu weniger differenzierten Noten beim Schulabschluss geführt. Mit ihrer reduzierten Bandbreite sagen diese Noten spätere Leistungen im Studium
11
445
11.2 • Intelligenzmessung
8 7 6 5
Geringe Korrelation bei eng begrenztem Bereich
4 3 2 1 0
80 kg
120 kg
140 kg
Körpergewicht in Kilogramm (kg) ..Abb. 11.12 Abnehmende Vorhersagekraft. Stellen wir uns eine Korrelation zwischen dem Körpergewicht von American-FootballSpielern und ihrem Erfolg auf dem Spielfeld vor. Achten Sie darauf, wie unbedeutend diese Beziehung wird, wenn viele Spieler im selben eng begrenzten Bereich zwischen 120 und 140 kg liegen. Je mehr sich die Bandbreite der beobachteten Daten einschränkt, desto stärker nimmt der Vorhersagewert dieser Daten ab
nicht besser voraus als die Ergebnisse des SAT (Sackett et al., 2012). Wenn wir also eine Messung mit einer großen Bandbreite von Ergebnissen validieren, sie dann aber auf einen eng eingegrenzten Bereich von Ergebnissen anwenden, verliert sie viel von ihrer Vorhersagevalidität. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind die drei Gütekriterien, die ein psychologischer Test erfüllen muss, um weitestgehend akzeptiert zu werden? Erklären Sie Ihre Antwort. – In diesem Kapitel wurden Korrelationskoeffizienten verwendet. Hier ein kurzer Rückblick: Korrelationen weisen nicht auf eine Beziehung zwischen Ursache und Wirkung hin, aber sie sagen uns, ob zwei Dinge in irgendeiner Weise miteinander zusammenhängen. Eine Korrelation von − 1,00 steht für perfekte ___ (Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung) zwischen zwei Gruppen von Werten: Steigt ein Wert, bewegt sich der andere Wert ___ (nach oben/unten). Eine Korrelation von ___ steht für keinen Zusammenhang. Die höchste Korrelation, + 1,00, steht für perfekte ___ (Übereinstimmung/Nichtübereinstimmung): Wenn der erste Wert steigt, bewegt sich der andere Wert ___ (nach oben/unten).
446
Kapitel 11 • Intelligenz
11.2.3
Rückblick: Intelligenzmessung
Verständnisfragen
11.4 – Was ist ein Intelligenztest und wie unterscheiden
sich Leistungs- und Eignungstests? 11.5 – Wann und warum wurden Intelligenztests entwickelt und wie unterscheiden sich die heutigen Tests von frühen Intelligenztests? 11.6 – Was bedeutet der Begriff Normalverteilung und was ist unter der Aussage zu verstehen, dass ein Test die Kriterien Normierung, Reliabilität und Validität erfüllt?
-------
Schlüsselbegriffe
11
Eignungstest Inhaltsvalidität Intelligenzalter Intelligenzquotient oder IQ Intelligenztest Leistungstest Normalverteilung Normierung Reliabilität Stanford-Binet-Intelligenztest Validität oder Gültigkeit Vorhersagevalidität Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS)
Master the Material 1. Der IQ eines 6-jährigen Kindes mit einem gemessenen Intelligenzalter von 9 wäre … a. 67. b. 133. c. 86. d. 50. 2. Der Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS) kann am besten Aufschluss geben, … a. welcher Teil der Intelligenz eines Individuums durch genetische Vererbung bestimmt wird. b. ob die Testperson in einem Job Erfolg haben wird. c. wie die Testperson im Vergleich zu anderen Erwachsenen in Wortschatz und arithmetischem Denken abschneidet. d. ob die Testperson eine besondere Begabung für Musik und darstellende Kunst besitzt. 3. Der Stanford-Binet-Test, der WAIS für Erwachsene und die entsprechenden Versionen für Kinder liefern konsistente Ergebnisse, z. B. bei wiederholter Durchführung von Tests. Mit anderen Worten, diese Tests haben hohe ___. 11.3 Die
Dynamik der Intelligenz
Forschende beschäftigen sich momentan mit einigen Jahrhunderte alten Fragen über die menschliche Intel-
ligenz. Sie wissen es: Sie sind klüger als manche Menschen und nicht so klug wie andere. Was genau in ihrem Gehirn, dem Sitz unseres Verstandes, verursacht diesen Unterschied? Ist es die relative Größe unseres Gehirns? Die Menge bestimmten Hirngewebes? Die Schnelligkeit unserer Gehirnnetzwerke? Dies sind einige der Möglichkeiten, die Forschende herausgefunden haben. Wir werden uns hier auf zwei andere Fragen konzentrieren: Wie stabil ist Intelligenz im Laufe eines Lebens? (Wird aus dem frühreifen 5-Jährigen ein talentierter Collegestudent und später ein smarter Senior?) Und wie entwickeln sich die Persönlichkeitsmerkmale und Begabungen der Menschen, die sich im hohen oder niedrigen Extrembereich der Intelligenz befinden? 11.3.1
Stabilität oder Veränderung?
Was wird im Alter aus unseren intellektuellen „Muskeln“? Nehmen sie genauso allmählich ab wie unsere körperliche Verfassung? Oder bleiben sie erhalten? In . Abb. 11.13 sehen Sie, wie Psycholog:innen Intelligenz untersucht haben. Die Suche nach Antworten auf diese Fragen veranschaulicht einen sich selbst korrigierenden Prozess in der Psychologie. ?? 11.7 Was versteht man unter Querschnittstudien, was
unter Längsschnittstudien, und warum ist es wichtig zu wissen, welche Methode verwendet wurde? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Forscher A will fundierte Ergebnisse zur Frage erhalten, wie sich die Intelligenz über die Lebensspanne verändert. Forscher B möchte die Intelligenz von Menschen untersuchen, die sich gerade in verschiedenen Lebensabschnitten befinden. Welcher Forscher sollte die querschnittliche Methode und welcher die längsschnittliche Methode anwenden?
Alter und Intelligenz Da die Ergebnisse von Querschnittsstudien zeigen, dass ältere Erwachsene eine geringere Anzahl richtiger Antworten in Intelligenztests geben als jüngere Erwachsene, kam David Wechsler (1972), der den am häufigsten verwendeten Intelligenztest für Erwachsene entwickelt hatte, zu der Schlussfolgerung, dass „die Abnahme der geistigen Fähigkeiten im Alter Teil des generellen Alterungsprozesses des gesamten Organismus ist“. Lange blieb dieser recht trübselige Befund vom geistigen Abbau unangefochten. Viele Unternehmen schufen eigens Vorschriften, um Arbeitskräfte in den Ruhestand schicken zu können. Sie gingen von der Annahme aus, dass die Firmen von der Auswechslung älterer Beschäftigter durch jüngere und
447
11.3 • Die Dynamik der Intelligenz
Forschungsarbeiten, die auf der Querschnittsmethode basieren, untersuchen verschiedene Gruppen gleichzeitig. Sie haben festgestellt, dass unsere geistigen Fähigkeiten mit dem Alter abnehmen.1
Forschungsarbeiten, die auf der Längsschnittmethode basieren, untersuchen dieselbe Gruppe mehrmals zu verschiedenen Zeitpunkten in ihrem Leben. Sie haben festgestellt, dass unsere Intelligenz stabil ist und in einigen Tests sogar zunimmt.2
1950
1985
Der Vergleich zwischen 70-Jährigen und 30-Jährigen ist nicht nur ein Vergleich zwischen unterschiedlichen Personengruppen, sondern auch zwischen unterschiedlichen Epochen. Solche Forschungsarbeiten vergleichen: heute
• Menschen, die oft ein niedrigeres Bildungsniveau haben (geboren am Anfang des 20. Jahrhunderts), mit Menschen, die ein höheres Bildungsniveau haben (geboren nach 1950). • Menschen, die in großen Familien aufgewachsen sind, mit Menschen, die in kleineren Familien aufgewachsen sind. • Menschen aus weniger wohlhabenden Familien mit Menschen aus wohlhabenderen Familien.
Aber diese Studien haben ihre eigenen Probleme. Diejenigen Versuchspersonen, die bis zum Ende überleben, sind möglicherweise die gesündesten und intelligentesten. Wird der Versuchspersonenverlust berücksichtigt, zeigt sich, dass unsere Intelligenz abnimmt, insbesondere ab einem Alter von 85 Jahren.3
1 Wechsler, 1972. 2 Salthouse, 2010, 2014; Schaie & Geiwitz, 1982. 3 Brayne et al., 1999.
..Abb. 11.13 Kritisch nachdenken über: Querschnitt- und Längsschnittstudien
fähigere Angestellte profitieren würden. Schließlich ist es doch eine Binsenweisheit, dass man einem alten Hund keine neuen Kunststücke beibringen kann. Als die Hochschulen in den USA in den 1920er Jahren begannen, ihre neuen Studierenden einem Intelligenztest zu unterziehen, eröffnete sich einigen Psycholog:innen die Möglichkeit, Intelligenz längsschnittlich zu untersuchen. Sie testeten die gleiche Kohorte – die gleiche Gruppe von Menschen – über einige Jahre hinweg immer wieder (Schaie & Geiwitz, 1982). Was sie herausfanden, war eine Überraschung: Bis spät im Leben blieb die Intelligenz gleich. Bei manchen Tests stiegen die Werte sogar an, was teilweise auf die Erfahrung mit den Tests (Salthouse, 2014) zurückzuführen war (. Abb. 11.14). Querschnittstudie („cross-sectional study“) – Studie, die
Menschen unterschiedlichen Alters zum gleichen Zeitpunkt vergleicht. Längsschnittstudie („longitudinal study“) – Studie, bei der ein und dieselben Personen über einen längeren Zeitraum immer wieder getestet werden. Kohorte („cohort“) – Population, deren Mitglieder ein gemeinsames Merkmal verbindet, wie z. B. im selben Zeitraum geboren zu sein. Die optimistischeren Ergebnisse aus Längsschnittstudien widerlegten die Annahme, dass die Intelligenz mit dem Alter rapide abnimmt. Die berühmte Malerin Anna
Mary Robertson Moses („Grandma Moses“) begann in ihren Siebzigern zu malen und wurde mit 88 Jahren von einer populären US-amerikanischen Zeitschrift zur „jungen Frau des Jahres“ gekürt. Und Frank Lloyd Wright entwarf das Guggenheim-Museum in New York, als er 89 war. Jeder „weiß“, dass, wer bei guter Gesundheit ist, zum Lernen nie zu alt ist. >>Genau wie ältere Erwachsene verarbeiten auch ältere Go-
rillas Informationen langsamer (Anderson et al., 2005).
» „Wissen bedeutet, dass man weiß, dass eine Tomate eine
Frucht ist; Weisheit bedeutet, dass man sie nicht in einen Obstsalat tut.“ Anonym
Die Antworten auf unsere Alter-und-Intelligenz-Fragen hängen also davon ab, was wir bewerten und wie wir es bewerten. Die kristalline Intelligenz, das gesammelte Wissen eines Menschen, das sich in Tests niederschlägt, die den Wortschatz und das Bilden von Analogien erfassen, nimmt im Alter zu. Die fluide Intelligenz, das rasche und abstrakte Denken beim Lösen unbekannter logischer Aufgaben, beginnt zwischen dem 20. und 30. Lebensjahr abzunehmen, erst allmählich bis etwa zum 75. Lebensjahr, dann immer schneller, vor allem nach dem 85. Lebensjahr (Deary & Ritchie, 2016; Horn, 1982; Salthouse, 2009, 2013). Mit dem Alter verlieren wir etwas und gewinnen etwas hinzu. Wir verlieren in
11
Kapitel 11 • Intelligenz
Testwerte für die Fähigkeit zum Schlussfolgern
448
aber bei älteren Erwachsenen nehmen die Fähigkeiten des sozialen Schlussfolgerns zu, was sich in dem Können zeigt, Sachverhalte aus verschiedenen Perspektiven zu betrachten, die Grenzen des eigenen Wissens zu erkennen und hilfreiche Weisheiten in Zeiten sozialer Konflikte beizusteuern (Grossman et al., 2010). Unsere Entscheidungen werden zudem weniger durch negative Emotionen wie Angst, Niedergeschlagenheit und Ärger verzerrt (Blanchard-Fields, 2007; Carstensen & Mikels, 2005).
Querschnittuntersuchung deutet auf Abnahme hin
60
55
50
Kristalline Intelligenz („crystallized intelligence“) – ge-
Längsschnittuntersuchung deutet auf eine größere Stabilität hin
45
sammeltes Wissen und Ausdrucksfähigkeit eines Menschen. Diese Form der Intelligenz steigt im Alter tendenziell an. Fluide Intelligenz („fluid intelligence“) – Fähigkeit eines Menschen, schnell und abstrakt zu denken. Diese Fähigkeit nimmt tendenziell mit dem Alter ab, besonders im späten Erwachsenenalter.
40
35
25
32
39
46
53
60
67
74
81
Alter in Jahren
Die altersbezogenen kognitiven Unterschiede helfen bei der Erklärung, warum ältere Erwachsene weniger bereit sind, neue Technologien anzunehmen (Charness & Boot, 2009; Pew, 2017). Diese kognitiven Unterschiede können auch erklären, warum Menschen in Mathematik und Naturwissenschaften ihre kreativste Phase Ende 20 und Anfang 30 haben, wenn die fluide Intelligenz auf ihrem Höhepunkt ist (Jones et al., 2014). Im Gegensatz dazu geht bei Menschen in der Literatur, Geschichtswissenschaft und Philosophie die Tendenz eher dahin, dass die besten Arbeiten aus der Zeit zwischen 40 und 50 Jahren stammen oder noch später entstehen, wenn noch mehr Wissen angesammelt wurde (Simonton, 1988, 1990). Dichter:innen beispielsweise, die sich auf ihre fluide Intelligenz verlassen, erreichen den Höhepunkt ihrer Schaf-
Querschnittuntersuchung Längsschnittuntersuchung
Bezug auf den Abruf aus dem Gedächtnis und in Bezug auf die Verarbeitungsgeschwindigkeit, aber wir gewinnen an Wortschatz und an Wissen hinzu (Ackerman, 2014; . Abb. 11.15). Die fluide Intelligenz geht zwar zurück,
1.0 z-Wert (Standardabweichung über und unter dem Mittelwert)
11
..Abb. 11.14 Querschnitt- versus Längsschnittstudien zur Intelligenz in verschiedenen Lebensaltern. Hier wurde ein Bereich der verbalen Intelligenz (induktives Schlussfolgern) getestet. Die Querschnittmethode zeigte Werte, die mit dem Alter abnahmen. Die Längsschnittmethode (bei der dieselben Menschen über Jahre hinweg immer wieder getestet werden) zeigte einen leichten Anstieg der Werte im Erwachsenenalter. (Daten von Schaie, 1994)
0.5
Wortschatz und Wissen Logisches Denken Räumliche Vorstellung Gedächtnis Verarbeitungsgeschwindigkeit
0.0
–0.5
–1.0
–1.5
20
30
40
50
60
70
80
90
Alter in Jahren ..Abb. 11.15 Höhepunkte und Tiefpunkte des Alterns. Studien decken auf, dass unser Wortschatz mit dem Alter zunimmt, während die fluide Intelligenz abnimmt. (Daten von Salthouse, 2010)
11.3 • Die Dynamik der Intelligenz
..Abb. 11.16 (© Randy Glasbergen)
fensperiode früher als Prosaschriftsteller, die einen größeren Vorrat an Wissen brauchen, der sich mit dem Alter ansammelt. Dieser Unterschied lässt sich in jeder großen literarischen Tradition nachweisen und gilt in gleichem Maße für lebende wie für tote Sprachen (. Abb. 11.16).
» „In der Jugend lernen wir, im Alter verstehen wir.“ Marie von Ebner-Eschenbach, Aphorismen (1883)
Stabilität über die Lebensspanne ?? 11.9 Wie stabil sind Intelligenztestwerte über die
Lebensspanne hinweg?
Wie aber steht es mit der Stabilität von Intelligenzwerten in jungen Jahren? Bei den meisten Kindern lassen sich die künftigen Fähigkeiten anhand von Beobachtungen und Intelligenztests vor dem Alter von 3 Jahren nur schlecht vorhersagen (Humphreys & Davey, 1988; Tasbihsazan et al., 2003). Sogar Albert Einstein hielt man früher für „langsam“ – da er spät sprechen lernte (Quasha, 1980).
» „Ob Sie im Alter von Ihrer Rente profitieren, hängt teilweise von Ihrem IQ im Alter von 11 Jahren ab.“ Ian Deary, Intelligence, Health and Death (2005)
Ab dem Alter von 4 Jahren fängt die Leistung von Kindern bei Intelligenztests allerdings bereits an, erste Anhaltspunkte auf ihre Leistungswerte als Jugendliche und Erwachsene zu liefern. Die Konsistenz der Testwerte über einen längeren Zeitraum nimmt mit dem Alter des Kindes zu (Tucker-Drob & Briley, 2014).
449
Im Alter von 11 Jahren wird eine bemerkenswerte Stabilität erreicht, wie Ian Deary und seine Kolleg:innen (2004, 2009b, 2013) feststellten. Ihre außergewöhnlichen Langzeitstudien wurden durch ihr Heimatland, Schottland, ermöglicht, das etwas gemacht hat, was keine andere Nation vorher oder seitdem gemacht hat. Am 1. Juni 1932 nahm fast jedes Kind im Land, das 1921 geboren wurde – also 87.498 Kinder im Alter von ca. 11 Jahren – an einem Intelligenztest teil. Das Ziel dabei war, Kinder der arbeitenden Schicht zu identifizieren, die von weitergehender Bildung profitieren würden. 65 Jahre später fand Patricia Whalley, die Ehefrau von Ian Dearys Kollegen Lawrence Whalley, die Testergebnisse auf staubigen Regalen eines Abstellraums des „Scottish Council for Research and Education“ nahe der Universität von Edinburgh, wo auch Deary sein Büro hat. „Das wird unser Leben verändern“, antwortete Deary, als Whalley ihm die Neuigkeiten erzählte. Dutzende Studien zur Stabilität und der Vorhersagekraft dieser frühen Testergebnisse haben genau das getan. Beispielsweise wurde der Intelligenztest, den die schottischen 11-Jährigen 1932 durchführen mussten, 542 Anfang des 21. Jahrhunderts noch lebenden nahezu 80-Jährigen erneut vorgelegt. Die Korrelation zwischen den beiden Gruppen von Werten – immerhin nach fast 70 Jahren recht unterschiedlicher Lebenserfahrungen – war beeindruckend (. Abb. 11.17). Das gleiche Ergebnis wurde erzielt, als 106 Überlebende im Alter von 90 Jahren erneut getestet wurden (Deary et al., 2013). Eine spätere Studie, die 1936 geborene Schott:innen vom 11. bis zum 70. Lebensjahr begleitete, bestätigte die bemerkenswerte Stabilität der Intelligenz, die unabhängig von Lebensumständen zu sein scheint (Johnson et al., 2010). Kinder und Erwachsene, die intelligenter sind, leben tendenziell gesünder und länger. Warum könnte dies der Fall sein? Deary (2008) berichtet vier mögliche Erklärungen: 1. Intelligenz ermöglicht eine bessere Ausbildung, bessere Jobs und eine gesündere Umgebung. 2. Intelligenz fördert eine gesunde Lebensweise: weniger Rauchen, bessere Ernährung, mehr Sport. 3. Pränatale Ereignisse oder frühe Kindheitserkrankungen können sowohl die Intelligenz als auch die Gesundheit beeinflusst haben. 4. Ein „gut verkabelter Körper“, der sich in schnellen Reaktionszeiten zeigt, könnte Intelligenz und Langlebigkeit unterstützen. >>Frauen, die im schottischen nationalen Intelligenztest
im Alter von 11 Jahren zu den besten 25 % gehörten, lebten mit höherer Wahrscheinlichkeit länger als die, die zu den schlechtesten 25 % gehörten. „Im Durchschnitt“, berichtet Deary (2016), „hatte ein Mädchen, das mit 11 Jahren bei diesem 45-Minuten-Test 30 Punkte unter dem Mittelwert erzielte, nur eine halb so große Chance, 65 Jahre später noch am Leben zu sein“.
11
Kapitel 11 • Intelligenz
..Abb. 11.17 Intelligenz ist etwas Dauerhaftes. Als Deary et al., 80-jährigen Schott:innen einen Intelligenztest vorlegten, den sie bereits als 11-Jährige einmal absolviert hatten, korrelierten ihre Testwerte über 7 Jahrzehnte hinweg mit +.66. (Als 106 Überlebende noch einmal im Alter von 90 Jahren getestet wurden, betrug die Korrelation mit ihrem Testwert im Alter von 11 Jahren +.54, Deary et al., 2013)
140
120 IQ im Alter von 80 Jahren
450
100
80
60
40 40
60
80
100
120
140
IQ im Alter von 11 Jahren
11.3.2 Intelligenzextreme ?? 11.10 Welche Eigenschaften haben Menschen, die
11
sich im unteren bzw. oberen Extrembereich der Intelligenz befinden?
Um einen Eindruck von der Validität und Bedeutung eines Tests zu bekommen, können die Werte von Menschen verglichen werden, die in den beiden Extrembereichen der Normalverteilung zu finden sind. Zwischen diesen beiden Gruppen müsste es einen deutlichen Unterschied geben. Und das ist bei Intelligenztests auch der Fall.
Das untere Extrem Die geistige Behinderung (früher als mentale Retardierung bezeichnet) ist ein Entwicklungszustand, der sich vor dem 18. Lebensjahr manifestiert und manchmal bekannte körperliche Ursachen hat. Das Down-Syndrom ist beispielsweise eine Krankheit unterschiedlichen Ausmaßes, die durch ein zusätzliches Chromosom 21 in der Erbanlage der Person verursacht wird. Um die Diagnose einer geistigen Behinderung zu erhalten, muss eine Person zwei Kriterien erfüllen. Erstens muss eine geringe intellektuelle Leistungsfähigkeit vorliegen, die sich in einem niedrigen Ergebnis eines Intelligenztests widerspiegelt. In den Richtlinien ist eine Punktzahl festgelegt, welche die untersten 3 % der Allgemeinbevölkerung erreichen, also ungefähr 70 oder darunter (Schalock et al., 2010). Zweitens muss die Person Schwierigkeiten haben, die normalen Anforderungen eines unabhängigen Lebens zu bewältigen. Dies zeigt sich in den drei folgenden Bereichen oder Fähigkeiten: konzeptionell (Sprache, Lesen und ein Vorstellungsvermögen für Geld, Zeit und Zahlen), sozial (zwischenmenschlichen Fähigkeiten, soziales Verantwortungsbewusstsein, Befolgung grundlegender Regeln und Gesetze, sich nicht in eine Opferrolle drän-
gen lassen) und praktisch (Gesundheit und Körperpflege, berufliche Fertigkeiten und Reisen). In leichten Formen beruht die geistige Behinderung, wie normale Intelligenz, auf einer Kombination von genetischen und umweltbedingten Faktoren (Reichenberg et al., 2016). Geistige Behinderung („intellectual disability“) – ein
Zustand eingeschränkter geistiger Fähigkeiten, gekennzeichnet durch einen IQ von unter 70 und Schwierigkeiten, den Anforderungen des normalen Alltagslebens gerecht zu werden (früher als mentale Retardierung bezeichnet). Wenn die Intelligenztests wegen des Flynn-Effekts in regelmäßigen Abständen immer wieder neu normiert werden, kann sich durch die angepassten Testwerte die Grenze zur geistigen Behinderung verschieben. Zwei Menschen mit demselben Fähigkeitsniveau könnten jetzt, je nachdem, wann sie getestet wurden, unterschiedlich klassifiziert werden (Kanaya et al., 2003, Reynolds et al., 2010). Nach einer neuen Normierung verlieren die Personen, deren IQ bei früheren Tests bei 70 lag, plötzlich etwa Testpunkte. Als dies geschah, hatten plötzlich mehr Menschen Anspruch auf eine sonderpädagogische Betreuung und finanzielle Unterstützung. Für manche kann das Ergebnis eines Intelligenztests eine Frage von Leben oder Tod sein. In den Vereinigten Staaten (eines der wenigen Industrieländer mit Todesstrafe) bedeutet der Flynn-Effekt, dass weniger Menschen jetzt die Exekution droht: Das Oberste Gericht der USA hat 2002 verfügt, dass die Exekution von Menschen mit einer geistigen Behinderung „eine grausame und nicht ungebräuchliche Bestrafung“ darstellt. Für Teresa Lewis stand durch diese Neuregelung viel auf dem Spiel. Lewis, eine „abhängige Persönlichkeit“ mit eingeschränkten geistigen Fähigkeiten, stimmte angeblich einem Anschlag zu, bei dem zwei Männer ihren
11.3 • Die Dynamik der Intelligenz
Ehemann und Stiefsohn töteten, um sich danach die Auszahlung der Lebensversicherung zu teilen (Eckholm, 2010). Mit einem ermittelten Testergebnis von 72 wurde Lewis im Jahre 2010 vom Staat Virginia exekutiert. Wenn sie doch nur einen Wert von 69 gehabt hätte. Im Jahr 2014 erkannte das Oberste Gericht der USA, dass ein fester Grenzwert von 70 unklar und willkürlich war, und die Bundesstaaten, die in ihren Todeszellen Insassen mit einem Wert knapp über 70 hatten, wurden aufgefordert, andere Nachweise zu berücksichtigen. Daraufhin wurde Ted Herring, der in Intelligenztests zwar 72 und 74 Punkte erzielt hatte, aber nicht wusste, dass auf den Frühling der Sommer folgt, und beim Busfahren nicht in der Lage war umzusteigen – aus Floridas Todestrakt entlassen (Alvarez & Schwartz, 2014). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum diagnostizieren Psycholog:innen eine geistige Behinderung nicht ausschließlich anhand des Ergebnisses eines Intelligenztests?
Das obere Extrem Kinder, deren Werte in Intelligenztest auf außerordentliche schulische Begabungen hinweisen, sind meistens erfolgreich. In einem berühmten Projekt, das Lewis Terman 1921 begann, wurden mehr als 1500 kalifornische Schulkinder mit einem IQ über 135 von ihm untersucht. Im Gegensatz zur landläufigen Meinung, dass geistig hochbegabte Kinder häufig sozial nicht angepasst seien, waren die von Terman untersuchten Kinder (später die „Termites“ genannt) mit hohen Werten – ebenso wie die in späteren Studien untersuchten – in der Regel gesund, gut angepasst und in der Schule ungewöhnlich erfolgreich (Friedman & Martin, 2012; Koenen et al., 2009; Lubinski, 2009, 2016). Als sie im Laufe der darauffolgenden 70 Jahre noch einmal getestet wurden, hatten die meisten Personen in Termans Gruppe ein hohes Ausbildungsniveau erreicht (Austin et al., 2002; Holahan & Sears, 1995). Viele waren Ärzt:innen, Rechtsanwält:innen, Professor:innen, Wissenschaftler:innen und Schriftsteller:innen, wenn auch keine Nobelpreisträger:innen.
» „Meine liebe Adele, ich bin 4 Jahre alt und kann jedes
englische Buch lesen. Ich kann alle lateinischen Substantive, Adjektive und Aktivverben sagen und außerdem 52 Zeilen lateinischer Dichtkunst.“ Francis Galton, Brief an seine Schwester (1827)
>>Terman testete zwei spätere Nobelpreisträger in Physik,
aber ihre Werte lagen nicht über dem Cut-Off seiner Hochbegabten-Stichprobe (Hulbert, 2005).
Andere Studien haben das Leben von hochbegabten Jugendlichen begleitet, die beim Mathetest des SAT im
451
Alter von 13 Jahren hervorragend abgeschnitten hatten – ihre Werte gehörten zu den besten 1 % ihrer Altersgruppe. In ihren Fünfzigern hatten diese 1650 Mathegenies 681 Patente angemeldet (Lubinski et al., 2014). Eine andere Gruppe 13-Jähriger mit hohen Werten für verbale Fähigkeiten waren mit 38 mit doppelt so hoher Wahrscheinlichkeit wie die Matheasse Professor:innen der Geisteswissenschaften geworden oder hatten einen Roman geschrieben (Kell et al., 2013). Ungefähr 1 % der US-Amerikaner:innen erhält einen Doktortitel. Aber unter den 12- und 13-Jährigen, die zu den Top 1 von 10.000 gleichaltrigen Teilnehmenden des SAT-Tests gehörten, waren es 4 von 10 (Kell et al., 2013; Makel et al., 2016). Ein „Wunderkind“ im Bereich der Psychologie war Jean Piaget, der mit 15 begann, wissenschaftliche Artikel über Mollusken zu schreiben und später dann zu einem der berühmtesten Entwicklungspsychologen des Jahrhunderts wurde (Hunt, 1993). >>Als Bestplatzierte bei der Suche nach hochbegabten
Jugendlichen in den USA wurden unter anderem Google-Mitbegründer Sergey Brin, Mark Zuckerberg von Facebook, und die Musikerin Stefani Germanotta (Lady Gaga) ausgemacht (Clynes, 2016). Ein anderer wurde professioneller Pokerspieler mit einem Jahresverdienst von über 100.000 Dollar (Lubinski, 2016).
Programme für das „begabte Kind“ neigen dazu, hochbegabte Kinder in speziellen Klassen zusammenzufassen und ihnen eine besondere schulische Förderung zukommen zu lassen, die für ihre Freund:innen nicht zur Verfügung steht. Kritiker:innen merken an, dass es eventuell zu einer sich selbst erfüllenden Prophezeiung führt, wenn man Schülerinnen und Schüler nach der Begabung in Gruppen aufteilt: Implizit Kinder als „nicht begabt“ zu etikettieren und ihnen die Möglichkeiten für eine reichhaltigere Bildung zu verwehren, kann den Leistungsunterschied zwischen den Fähigkeitsgruppen vergrößern und ihre soziale Isolierung von der anderen Gruppe verstärken (Lipsey & Wilson, 1993; Stevenson & Lee, 1990). Weil Jugendliche aus Minderheiten und aus unteren sozioökonomischen Schichten häufiger in Gruppen mit geringerer Leistung kommen, kann die Leistungsdifferenzierung auch Absonderung und Vorurteile fördern – das ist, so merken die Kritiker:innen an, kaum eine vernünftige Vorbereitung auf die Arbeit und das Leben in einer multikulturellen Gesellschaft. In Deutschland wird durch spezielle „Hochbegabtenförderprogramme“ auf die besonderen Bedürfnisse hochbegabter Kinder differenzierter eingegangen. Dabei wird Hochbegabung definiert als Disposition für herausragende Leistungen. Wichtig ist, zu beachten, dass die Grenzen zwischen überdurchschnittlicher Begabung, Hoch- und Höchstbegabung willkürliche, von Expert:innen festgesetzte Größen sind. Was häufig vergessen wird, ist jedoch, dass sich Hochbegabung auch nur dann ent-
11
452
Kapitel 11 • Intelligenz
11.8 – Wie beeinflusst das Altern die kristalline und fluide
Intelligenz? 11.9 – Wie stabil sind Intelligenztestwerte über die Lebensspanne hinweg? 11.10 – Welche Eigenschaften haben Menschen, die sich im unteren bzw. oberen Extrembereich der Intelligenz befinden?
----
Schlüsselbegriffe Fluide Intelligenz Geistige Behinderung Kohorte Kristalline Intelligenz Längsschnittstudie Querschnittstudie
Master the Material ..Abb. 11.18 (Barbara Smaller/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
11
wickeln kann, wenn das hochbegabte Kind von seiner Umwelt unterstützt wird und auch selbst beispielsweise über ausreichend Leistungsmotivation und Stressbewältigungskompetenz verfügt, um seine Fähigkeiten sinnvoll einsetzen zu können (Heller, 2000; Rost, 2000). Gleichgültig, ob man nun die Hochbegabtenförderung kritisiert oder befürwortet, für das gesamte Intelligenzspektrum gilt: Kinder haben unterschiedliche Begabungen. Manche sind besonders gut in Mathematik, andere im sprachlichen Ausdruck, wieder andere in Kunst und wieder andere in sozialen Führungsrollen. Wird bei der Schulbildung der Kinder unterstellt, alle seien gleich, so ist das genauso naiv wie die Annahme, Begabung sei etwas, was man wie blaue Augen entweder hat oder nicht. Man muss den Kindern keine Schilder umhängen, um ihre besonderen Talente zu bestätigen und um sie alle bis an die Grenzen ihrer eigenen Fähigkeiten und ihres Verstehens herauszufordern (. Abb. 11.18). Wenn man ihnen einen geeigneten Spielraum gewährt, der ihren Fähigkeiten und Kenntnissen entspricht (z. B. einem Mathegenie ermöglichen, Mathe auf einem höheren Niveau zu studieren), wird man allen gerecht und es lässt sich für alle ein hohes Leistungsniveau entsprechend der Begabung jedes einzelnen Kindes erreichen (Subotnik et al., 2011). 11.3.3
Rückblick: Die Dynamik der Intelligenz
Verständnisfragen
11.7 – Was versteht man unter Querschnittstudien, was
unter Längsschnittstudien, und warum ist es wichtig zu wissen, welche Methode verwendet wurde?
1. Nutzen Sie die Konzepte der kristallinen und fluiden Intelligenz, um zu erklären, warum Schriftsteller:innen ihre kreativste Arbeit im fortgeschrittenen Alter produzieren und Naturwissenschaftler:innen ihren Höhepunkt viel früher erreichen können. 2. Welche der folgenden Aussagen ist KEINE mögliche Erklärung für die Tatsache, dass intelligentere Menschen in der Regel ein längeres und gesünderes Leben führen? a. Intelligenz ermöglicht mehr Bildung, bessere Jobs und eine gesündere Umwelt. b. Intelligenz begünstigt einen gesundheitsorientierten Lebensstil. c. Intelligente Menschen haben eine langsamere Reaktionszeit, so dass sie weniger Gefahr laufen, sich selbst zu gefährden. d. Pränatale Ereignisse oder frühe Kinderkrankheiten könnten sowohl die Intelligenz als auch die Gesundheit beeinflussen. 11.4 Genetische
und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
Intelligenz hat etwas mit der Familie zu tun. Aber woran liegt das? Sind unsere geistigen Fähigkeiten größtenteils Vererbungssache (. Abb. 11.19) oder werden sie von unserer Umwelt geformt? Wenn unsere Intelligenz größtenteils vererbt wäre, dann würde das bedeuten, dass der wirtschaftliche und gesellschaftliche Status von Menschen ihren angeborenen Unterschieden entspräche. Gehen wir jedoch davon aus, dass unsere Intelligenz hauptsächlich von der Umwelt beeinflusst ist, so würde das bedeuten, dass Kinder aus benachteiligten Verhältnissen damit rechnen können, ein benachteiligtes Leben zu führen – allerdings mit einer gewissen Hoffnung, dass eine Veränderung des Umfelds zu intelligenteren und er-
453
11.4 • Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
genetische Unterschiede zurückgeführt werden kann – bewegen sich zwischen 50 und 80 % (Madison et al., 2016; Plomin et al., 2016). Eineiige Zwillinge legen auch bei spezifischen Talenten wie Musik, Mathematik und Sport erhebliche Ähnlichkeit (und Erblichkeit) an den Tag. Vererbung ist für mehr als die Hälfte der Leistungsunterschiede in den nationalen Prüfungsergebnissen der britischen 16-Jährigen in Mathematik und Naturwissenschaften verantwortlich (Shakeshaft et al., 2013; Vinkhuyzen et al., 2009). Untersuchungen mit Hilfe bildgebender Verfahren zeigen, dass die Gehirne eineiiger Zwillinge ein ganz ähnliches Volumen an grauer und weißer Substanz haben und ihre Gehirnareale für die sprachliche und räumliche Intelligenz nahezu perfekt übereinstimmen (Deary et al., 2009a; Thompson et al., 2001). Und ihre Gehirne zeigen vergleichbare Aktivitätsmuster, während sie mentale Aufgaben bearbeiten (Koten et al., 2009). Gibt es Gene für Genies? Als 200 Forscher:innen ihre Daten von 126.559 Personen zusammentrugen, waren alle analysierten Genvariationen nur für etwa 2 % der Unterschiede im Bildungserfolg verantwortlich (Rietveld et al., 2013, 2014). Dieses Ergebnis war kein Zufallstreffer; andere Studien haben diesen bescheidenen Einfluss der Gene auf den Bildungserfolg bestätigt (Belsky et al., 2016). Und in einer britischen Folgestudie wurden vor kurzem mit einer neuen genetischen Methode Gene entdeckt, die 9 % der Leistungsabweichung von 16-Jährigen in der Schule vorhersagen (Selzam et al., 2016). So viel scheint klar zu sein: Intelligenz ist polygenetisch, d. h., sie hängt von vielen Genen ab. Wendy Johnson (2010) zieht einen Vergleich mit dem polygenetischen Effekt der Körpergröße: 54 spezifische Genvariationen können zusammen 5 % der Unterschiede zwischen unseren Körpergrößen erklären, der Rest muss noch entdeckt werden. Was für die Intelligenz von Bedeutung ist – genauso wie für die Körpergröße, Persönlichkeit, sexuelle Orientierung, Schizophrenie oder im Grunde jede menschliche Eigenschaft –, ist die Kombination vieler Gene (Plomin et al., 2016).
-
..Abb. 11.19 (Donald Reilly/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
folgreicheren Erwachsenen führen könnte. Schauen wir uns einmal die empirischen Befunde an. 11.4.1
Zwillings- und Adoptionsstudien
?? 11.11 Welche Befunde sprechen für die genetische
Bedingtheit der individuellen Intelligenz und was versteht man unter Erblichkeit?
Haben Menschen, die über dieselben Gene verfügen, auch vergleichbare geistige Fähigkeiten? Wie Sie in . Abb. 11.20 sehen können, in der viele Untersuchungsergebnisse zusammengefasst sind, kann diese Frage eindeutig bejaht werden. Denken Sie einmal über folgende Punkte nach: Die Intelligenztestwerte eineiiger Zwillinge, die zusammen aufwuchsen, gleichen sich tatsächlich so sehr, als hätte dieselbe Person den Test zweimal gemacht (Haworth et al., 2009; Lykken, 2006; Plomin et al., 2016). (Die Testwerte zweieiiger Zwillinge, die nur etwa 50 % ihrer Gene gemein haben, unterscheiden sich mehr.) Schätzungen der Erblichkeit der Intelligenz – das Ausmaß, in dem die Varianz von Intelligenztestwerten innerhalb einer Gruppe auf
-
-
Erblichkeit („heritability“) – Ausmaß, in dem inter-
individuelle Unterschiede in einer Gruppe auf Gene zurückgeführt werden können. Die Erblichkeit eines Persönlichkeitsmerkmals kann in Abhängigkeit von der ausgewählten Population und den untersuchten Umweltbedingungen variieren.
-
Andererseits gibt es auch verschiedene Untersuchungsergebnisse, die auf Umwelteinflüsse hindeuten: Wenn die Familienumgebungen höchst unterschiedlich sind, wie bei Kindern weniger gebildeter Eltern,
11
Kapitel 11 • Intelligenz
..Abb. 11.20 Intelligenz: Anlage und Umwelt. Die Menschen mit der größtmöglichen genetischen Ähnlichkeit haben die ähnlichsten Intelligenzwerte. Zur Erinnerung: 1,00 steht für eine perfekte Korrelation, 0 hingegen für keinerlei Korrelation. (Daten aus McGue et al., 1993)
11
Ähnlichkeit von Intelligenztestwerten (Korrelation)
454
Die geringere Korrelation gegenüber zusammen aufgewachsenen eineiigen Zwillingen deutet auf einen Umwelteinfluss hin.
1,00 0,90 0,80 0,70
Die geringere Korrelation gegenüber eineiigen Zwillingen deutet auf einen genetischen Einfluss hin.
0,60 0,50 0,40 0,30 0,20 0,10 0
Eineiige Zwillinge, zusammen aufgewachsen
-
sind Umweltunterschiede ein besserer Vorhersagewert für die Intelligenzwerte (Tucker-Drob & Bates, 2016). Eine Adoption steigert die Intelligenzwerte misshandelter oder vernachlässigter Kinder (van IJzendoorn & Juffer, 2005, 2006). Das gilt auch für eine Adoption aus Armutsverhältnissen in Familien der Mittelschicht (Nisbett et al., 2012). In einer großen schwedischen Studie hatten von wohlhabenderen Familien mit besser ausgebildeten Eltern adoptierte Kinder einen um durchschnittlich 4,4 Punkte höheren IQ als ihre nicht adoptierten biologischen Geschwister (Kendler et al., 2015a). Die Intelligenzwerte „virtueller Zwillinge“ – gleichaltrige, nicht verwandte Geschwister, die als Kleinkinder adoptiert wurden und zusammen aufwuchsen – korrelieren mit +.28 (Segal et al., 2012). Dies weist auf einen geringen Einfluss des gemeinsamen Umfelds hin.
-
Bei dem Versuch, den Einfluss von Genen und Umwelt getrennt voneinander zu betrachten, haben Forschende die Intelligenztestwerte von adoptierten Kindern verglichen, und zwar (a) mit denen ihrer biologischen Eltern (die für ihre Gene verantwortlich sind) und (b) mit denen ihrer Adoptiveltern (die für ihre Umwelt zuständig sind). Während ihrer Kindheit nehmen die adoptierten Zwillinge die Erfahrungen aus ihren unterschiedlichen Adoptivfamilien auf. Würden Sie deshalb erwarten, dass mit zunehmendem Alter der Einfluss der Familienumgebung zu- und der Effekt der Vererbung abnimmt? Wenn Sie das annehmen, so hat die Verhaltensgenetik eine verblüffende Überraschung für Sie. Mit zunehmendem Alter nehmen die Ähnlichkeiten in den kognitiven Fähigkeiten zwischen Adoptivkindern und ihren Adoptivfamilien ab (McGue et al., 1993). Die Intelligenzwerte von adoptierten Kindern ähneln denen ihrer biologischen
Eineiige Zwillinge, getrennt aufgewachsen
Zweieiige Zwillinge, zusammen aufgewachsen
Geschwister, zusammen aufgewachsen
Nicht verwandte Personen, zusammen aufgewachsen
Eltern weitaus mehr als denen ihrer Adoptiveltern (Loehlin, 2016). Je mehr Lebenserfahrung wir sammeln, desto offensichtlicher werden die genetischen Einflüsse – nicht die Umwelteinflüsse. Ähnlichkeiten zwischen eineiigen Zwillingen bleiben gleich oder nehmen bis ins 8. Lebensjahrzehnt noch zu. So berichten Deary et al. (2009a, 2012), dass die Erblichkeit der allgemeinen Intelligenz von „ungefähr 30 %“ in der frühen Kindheit auf „bis zu über 50 % im Erwachsenenalter“ steigt. In einer groß angelegten Studie mit 11.000 Zwillingspärchen in vier Ländern vergrößerte sich die Erblichkeit des allgemeinen Intelligenzfaktors (g) von 41 % in der mittleren Kindheit auf 55 % im Jugendalter und nochmals auf 66 % im jungen Erwachsenenalter (Haworth et al., 2010). In ähnlicher Weise gleichen sich die Werte verbaler Fähigkeit von Adoptivkindern über die Zeit stärker denen ihrer biologischen Eltern an (. Abb. 11.21; . Abb. 11.22). Wer hätte das gedacht? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Prüfen Sie, ob Sie das Konzept der Erblichkeit verstanden haben: Wenn sich die Umweltbedingungen ähnlich werden, wird die Erblichkeit der Intelligenz a. zunehmen. b. abnehmen. c. unverändert bleiben.
11.4.2
Umweltbedingte Einflüsse
?? 11.12 Welche Befunde gibt es zu Umwelteinflüssen
auf die individuelle Intelligenz?
455
11.4 • Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
0,35 Kind-Eltern-Korrelation für sprachliche Intelligenztestwerte
..Abb. 11.21 Wem gleichen Adoptivkinder in ihren verbalen Fähigkeiten? Mit der Zeit, die Adoptivkinder in ihrer Adoptivfamilie leben, gleichen sie sich in Bezug auf ihre sprachlichen Intelligenztestwerte mehr an die ihrer biologischen Eltern an. (Nach Plomin & DeFries, 1998)
0,30 0,25
Kinder und ihre natürlichen Eltern
0,20
Adoptivkinder und ihre natürlichen Eltern
0,15
Adoptivkinder und ihre Adoptiveltern
0,10 0,05 0,00 3 Jahre
..Abb. 11.22 (© Leo Cullum/Search ID: CC44551, Rights Available from CartoonStock.com)
Die Gene spielen eine Rolle. Selbst wenn wir alle in derselben geistig anregenden Umgebung aufwachsen würden, hätten wir unterschiedliche Begabungen. Aber unsere Lebenserfahrungen spielen auch eine Rolle. Die Umwelt des Menschen ist nur in seltenen Fällen so spartanisch wie die dunklen und leeren Käfige, in denen deprivierte Ratten gehalten werden, die dann als Folge dünnere Hirnrinden ausbilden als unter normalen Bedingungen (Rosenzweig, 1984). Aber schlimme Lebenserfahrungen hinterlassen ihre Spuren auch im menschlichen Gehirn.
Frühe umweltbedingte Einflüsse Nirgendwo ist die Verflechtung der Biologie und der Erfahrung offensichtlicher als in verarmten Lebensumgebungen wie sie J. McVicker Hunt (1982) in einem völlig mittellosen iranischen Waisenhaus beobachtete. Die Kinder, die Hunt dort beobachtete, konnten in der Regel im Alter von 2 Jahren weder ohne fremde Hilfe sitzen noch im Alter von 4 Jahren alleine laufen. Die spärliche
16 Jahre Alter des Kindes
Fürsorge, die den Kindern zuteilwurde, erfolgte nicht als Reaktion auf ihr Weinen, Gurren oder andere Verhaltensweisen. Die Kinder entwickelten deshalb nur wenig Gefühl dafür, dass sie persönlich ihre Umwelt im Griff haben. Sie wurden stattdessen zu bedrückten, passiven „Bündeln“. Die extreme Deprivation löschte langsam ihre angeborene Intelligenz aus – ein Befund der auch durch andere Studien mit Kindern, die in schlecht ausgestatteten Waisenhäusern in Rumänien oder anderen Ländern aufwuchsen, bestätigt wurde (Nelson et al., 2009, 2013; van IJzendoorn et al., 2008; . Abb. 11.23). Da sich Hunt sowohl des dramatischen Effektes früher Erfahrungen sowie des Einflusses früher Interventionen bewusst war, begann er ein Trainingsprogramm für die iranischen Kinderbetreuer:innen und brachte ihnen bei, Lautspiele mit 11 Säuglingen und Kleinkindern zu machen. Sie machten zuerst das Brabbeln der Kinder nach, veranlassten dann die Babys dazu, je nachdem was der Betreuer oder die Betreuerin vormachte, von einem bekannten Laut zum andern zu wechseln. Anschließend brachten sie ihnen Laute der persischen Sprache bei. Das Ergebnis war erstaunlich. Im Alter von 22 Monaten konnten alle 11 Kinder mehr als 50 Gegenstände und Körperteile benennen und entzückten damit die Besucher:innen. Die meisten der Kinder wurden adoptiert – ein nie dagewesener Erfolg für das Waisenhaus. Hunts Ergebnisse sind der Extremfall eines allgemeineren Befunds: Unter Armut können die Umweltbedingungen die kognitive Entwicklung behindern. Bei einer Studie in 1450 Schulen im US-Bundesstaat Virginia fand man heraus, dass Schulen mit vielen Schüler:innen aus armen Familien oft weniger gut qualifizierte Lehrkräfte hatten (Tuerk, 2005). Somit könnten diese Schüler eine weniger geistig anregende Schulbildung erhalten. Und diese Faktoren führten zu geringeren Leistungswerten. Armutsbedingte Stressfaktoren beeinträchtigen auch die kognitive Leistungsfähigkeit (Heberle & Carter, 2015). Wie bei einem Computer, der bei der Ausführung meh-
11
456
Kapitel 11 • Intelligenz
..Abb. 11.23 Verheerende Vernachlässigung. Manche rumänische Waisenkinder, die, wie diese 1990 im Waisenhaus in Buchea, nur sehr wenige Interaktionen mit ihren Betreuungspersonen hatten, litten unter einer verzögerten Entwicklung. (© Joel Robine/AFP/picture alliance)
11
rerer Operationen langsamer wird, nehmen die Sorgen und Ablenkungen verarmter Menschen die kognitiven Leitungsressourcen zu sehr in Anspruch und können ihre Denkvermögen vermindern. Zum Beispiel erzielten Zuckerrohrbauern und -bäuerinnen in Indien in Tests zur kognitiven Leistungsfähigkeit bessere Ergebnisse, nachdem sie für ihre Ernte bezahlt wurden und somit ihre Geldsorgen wegfielen (Mani et al., 2013). Armut kann die kognitiven Fähigkeiten erschöpfen. Extreme Bedingungen, wie sensorische Deprivation, soziale Isolation und Armut können also die normale Gehirnentwicklung hemmen. Gilt das auch umgekehrt? Kann die Bereitstellung einer „angereicherten“ Umgebung Kindern zu einem höheren Intellekt verhelfen? Die meisten Expert:innen bezweifeln das (Bruer, 1999; DeLoache et al., 2010; Reichert et al., 2010). Es gibt kein Geheimrezept für eine Umgebung, die ein normales Kleinkind in ein Genie verwandelt. Alle Babys sollten eine normale Reizexposition (Bilder, Geräusche und Stimme) erfahren. Auch wenn vorschulische Erfahrungen eine Rolle spielen, scheint das Urteil von Sandra Scarr (1984) nichts von seiner Gültigkeit eingebüßt zu haben: „Eltern, die sich viele Gedanken darüber machen und ihre Babys speziellen Lernprogrammen unterziehen, vergeuden nur ihre Zeit.“
Schulbildung und Intelligenz zz Frühzeitiges Eingreifen
In der späteren Kindheit ist allein die Schulbildung schon ein Eingriff, der sich in Form höherer Intelligenzwerte auszahlt. Schulbildung und Intelligenz begünstigen sich gegenseitig und beide verbessern das spätere Ein-
kommen (Ceci & Williams, 1997, 2009). Hunt war ein großer Anhänger der Position, dass Bildung die Chancen von Kindern auf Erfolg verbessern kann, indem sie ihre kognitiven und sozialen Fähigkeiten steigert. So hat sein 1961 veröffentlichtes Buch Intelligenz und Erfahrung dazu beigetragen, 1965 in den USA das Projekt „Head Start“ (Vorsprung) ins Leben zu rufen. Dabei handelte es sich um ein von der amerikanischen Regierung finanziertes Vorschulprogramm. Es wurde mit mehr als 30 Mio. Kindern durchgeführt, die größtenteils aus Familien kamen, deren Einkommen unter der Armutsgrenze lag (Head Start, 2013). Ist das Programm erfolgreich? Studien weisen darauf hin, dass Head Start die Schulreife verbessert und einen leichten Impuls für spätere Gesundheit und eine abgeschlossene Schulausbildung gibt (Deming, 2009; Mervis, 2011; Pianta et al., 2009). Im Allgemeinen gehen jedoch die Begabungsvorteile mit der Zeit zurück (was uns daran erinnert, dass auch die Lebenserfahrung nach „Head Start“ eine Rolle spielt). Erfreulichere Ergebnisse kommen von intensiven Vorschulprogrammen nach dem Säuglingsalter (Dodge et al., 2017; Tucker-Drob, 2012). In einer Reihe von Experimenten stiegen die Intelligenzwerte auch durch die Gabe von Nahrungsergänzungsmitteln an schwangere Mütter und Neugeborene (3,5 Punkte), qualitativ hochwertigen Unterricht in den Vorschulen (4 Punkte), und interaktive Leseprogramme (6 Punkte) (Protzko et al., 2013). Gene und Erfahrung weben gemeinsam den Stoff, aus dem die Intelligenz ist. (Die Epigenetik ist ein Feld, das diese Schnittstelle von Anlage und Umwelt untersucht.) Aber was wir mit Hilfe unserer Intelligenz erreichen, hängt auch von unseren Überzeugungen und unserer Motivation ab. Eine Untersuchung mit 72.431 Studierenden der un-
11.4 • Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
457
..Abb. 11.24 Ein hungriger Geist. (© Drazen Zigic/Getty Images/iStock)
teren Semester fand heraus, dass Studierfähigkeiten und Studienmotivation mit früheren Noten und Fähigkeitswerten als Prädiktoren akademischer Leistungen konkurrierten (Credé & Kuncel, 2008). Die Motivation kann sogar die Leistung im Intelligenztest beeinflussen. Vier Dutzend Studien zeigen, dass Jugendliche in solchen Tests höhere Werte erzielen, wenn ihnen für gutes Abschneiden Geld in Aussicht gestellt wird (Duckworth et al., 2011). zz Wachstumsdenken
Diese Beobachtungen würden die Psychologin Carol Dweck (2006, 2015a,b, 2016) nicht überraschen. Sie berichtet, dass der Glaube an eine veränderbare Intelligenz eine wachstumsorientierte Denkweise fördert, bei der Lernen und Entwicklung im Fokus stehen. Dweck bringt Teenagern bei, dass das Gehirn sich wie ein Muskel verhält: Er wird stärker, wenn man ihn nutzt, da dann die neuronalen Verbindungen stärker werden. „Wenn du lernst, eine neue Art von Aufgaben zu lösen, wächst dein mathematisches Gehirn!“ Lob zu erhalten für Bemühungen und für die Bewältigung von Herausforderungen anstatt für Intelligenz oder Leistung, hilft Jugendlichen, einen Zusammenhang zwischen harter Arbeit und Erfolg zu erkennen (Gunderson et al., 2013). Sie werden außerdem belastbarer, wenn andere sie entmutigen (Paunesku et al., 2015; Yeager et al., 2013, 2014, 2016a). Ausgezeichnete Leistungen in den Bereichen Sport und Wissenschaft bis hin zur Musik resultieren in der Tat aus Fähigkeit und Chancen, gepaart mit diszipliniertem Fleiß (Ericsson et al., 2007). Mehr als 300 Studien bestätigen, dass Fähigkeit plus Gelegenheit plus Motivation in der Summe Erfolg bedeutet. 12-Jährige mit extrem hohen Intelligenztestwerten promovieren und halten Patente mit einer wesentlich höheren Wahrscheinlichkeit als der Durchschnitt, vorausgesetzt, ihre Fähigkeit „ist mit Engagement gepaart“ (Makel et al., 2016). Die Noten von Highschool-
Schüler:innen und College-Student:innen spiegeln ihre Begabung wider, aber auch ihre Selbstdisziplin, ihren Glauben, durch Leistung etwas bewirken zu können, und einen neugierigen, „hungrigen Geist“ (Murayama et al., 2013; Richardson et al., 2012; von Stumm et al., 2011; . Abb. 11.24). In einer Studie mit 168.000 chilenischen Zehntklässler:innen erreichten Kinder aus den einkommensschwächsten Familien, aber mit einer wachstumsorientierten Denkweise Ergebnisse in Schultests, die mit denen einkommensstarker Schüler:innen mit einer festen Denkweise vergleichbar waren (Claro et al., 2016). Stellen Sie sich vor: Zwischen 2008 und 2016 wurden alle neun nationalen Buchstabierwettbewerbe in den USA von Jugendlichen mit südasiatischem Migrationshintergrund gewonnen – eine unglaubliche Leistung, die wahrscheinlich durch den kulturellen Hintergrund gefördert wurde, dass große Anstrengungen zum Erfolg führen (Rattan et al., 2012; Shankar, 2016; . Abb. 11.25). Diese zahlreichen Untersuchungsergebnisse, wonach eine wachstumsorientierte Denkweise und disziplinierte Anstrengung die Leistung steigern, haben die Aufmerksamkeit der Medien auf sich gezogen und groß angelegte Projekte mit Problemschüler:innen angestoßen. Einige Forschende sehen jedoch ein Manko in einer möglichen Überbewertung der Kraft des positiven Denkens, um Menschen aus der Benachteiligung herauszuholen. Der soziale Preis dafür ist hoch – es wird den Betroffenen die Schuld für ihre Lebensumstände zugewiesen (Ikizer & Blanton, 2016). Manchmal braucht es mehr als die Kraft des positiven Denkens, dass Menschen sich aus ihrer Misere befreien können.
» „Viel mehr als unsere Fähigkeiten sind es unsere Ent-
scheidungen, … die zeigen, wer wir wirklich sind.“ Professor Dumbledore zu Harry Potter in J. K. Rowlings Harry Potter und die Kammer des Schreckens (1999)
11
458
Kapitel 11 • Intelligenz
..Abb. 11.25 BuchstabierChampions. Nihar Janga, 11, und Jairam Hathwar, 13, feiern ihren gemeinsamen Sieg beim US-amerikanischen Buchstabierwettbewerb 2016. Welche Worte haben Nihar und Jairam den Sieg eingebracht? „Gesellschaft“ und „Feldenkrais“. (© Michael Reynolds/dpa/picture alliance)
11.4.3 Gruppenunterschiede
bei Intelligenztests
11
Gäbe es keine Gruppenunterschiede bei Eignungstests, hätten die Psycholog:innen weniger Diskussionen über Anlage- und Umwelteinflüsse. Aber es gibt Gruppenunterschiede. Was versteht man darunter, und was ist davon zu halten?
Geschlechterähnlichkeiten und ‑unterschiede ?? 11.13 Wie und warum unterscheiden sich die Ge-
schlechter in Bezug auf geistige Fähigkeiten?
In der Wissenschaft wie im Alltag sind es die Unterschiede und nicht die Ähnlichkeiten, die das allgemeine Interesse wecken. In internationalen Untersuchungen schätzen Männer ihre eigene Intelligenz höher ein als Frauen (Furnham, 2016). Doch im Vergleich zu den anatomischen und physiologischen Unterschieden zwischen Männern und Frauen sind ihre Unterschiede in Intelligenz minimal. In der Untersuchung von 1932 beispielsweise, bei der alle schottischen 11-Jährigen getestet wurden, war der durchschnittliche Intelligenzwert von Mädchen 100,6 und der von Jungen 100,5 (Deary et al., 2003). Was g betrifft, gehören Jungen und Mädchen, Männer und Frauen, zur selben Spezies. Doch die meisten Menschen finden Unterschiede berichtenswerter. Mädchen sind besser in der Rechtschreibung, haben eine größere Wortflüssigkeit, sind besser darin, Gegenstände zu finden und Emotionen zu erkennen, und sind sensibler für Berührungen, Geschmäcker und Farben (Halpern et al., 2007; Voyer & Voyer, 2014). Und unter
den nahezu 200.000 Studienanwärter:innen, die früher in Deutschland den Eingangstest für das Medizinstudium absolvieren mussten, waren die jungen Frauen den Männern Jahr für Jahr dabei überlegen, sich an Fakten in kurzen medizinischen Fallbeschreibungen zu erinnern (Stumpf & Jackson, 1994). Seit 1992 schaffen in Deutschland mehr Mädchen als Jungen das Abitur und haben dabei auch durchweg bessere Noten (Der Spiegel, 2004). Jungen schneiden in Tests zu räumlichen Fähigkeiten und komplexen mathematischen Problemen besser als Mädchen ab, obwohl sich Mädchen und Jungen im Rechnen und der gesamten Mathematikleistung kaum unterscheiden (ElseQuest et al., 2010; Hyde & Mertz, 2009; Lindberg et al., 2010). Außerdem zeigen die Werte geistiger Fähigkeiten bei Männern eine größere Varianz als bei Frauen. Daher gibt es weltweit mehr Jungen als Mädchen sowohl im unteren als auch im oberen Extrembereich (Brunner et al., 2013). Jungen besuchen beispielsweise viel häufiger sonderpädagogische Klassen, aber gehören auch zu der Gruppe, die beim SAT-Mathematiktest besonders gut abschneidet. Worin Jungen scheinbar in der Regel verlässlich besser sind, sind Aufgaben zum räumlichen Denken, wie die in . Abb. 11.26 gezeigte, bei denen es darum geht, dreidimensionale Objekte schnell in der Vorstellung zu drehen (Maeda & Yoon, 2013; Palejwala & Fine, 2015) – die Antwort zu dieser Testaufgabe finden Sie unten im Text, vor der nächsten Zwischenüberschrift. Heute ist diese räumliche Fähigkeit äußerst nützlich, wenn es darum geht, Koffer im Kofferraum zu verstauen, Schach zu spielen oder bestimmte Arten von geometrischen Problemen zu lösen. Aus evolutionspsychologischer Sicht lässt sich mutmaßen, dass dieselben Fähigkeiten unseren Ahnen halfen, ihre Beute aufzuspüren und wieder nach Hause zu finden (Geary, 1995, 1996; Halpern et al., 2007). Im Gegensatz dazu wurde das Überleben unserer Urmütter durch ihr scharf
459
11.4 • Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
Welche der Optionen unten ist identisch mit dem Original?
Original
a
b
c
..Abb. 11.26 Ein mentaler Rotationstest. Dies ist die Veranschaulichung eines Items, das in einem Test zur Untersuchung räumlicher Fähigkeiten auftauchen könnte. Die Antwort finden Sie unten1
ausgeprägtes Gedächtnis für den Ort gesichert, an dem essbare Pflanzen wachsen – ein Vermächtnis, das möglicherweise noch heute im besseren Gedächtnis von Frauen für Gegenstände und ihren Aufbewahrungsort fortlebt. Der Evolutionspsychologe Steven Pinker (2005) argumentierte, dass die Biologie Geschlechtsunterschiede in den Lebensprioritäten (das etwas größere Interesse von Frauen an Menschen im Unterschied zu dem von Männern an Geld und Dingen), in der Bereitschaft, Risiken einzugehen (Männer sind leichtsinniger), und bei mathematischem Schlussfolgern und räumlichen Fähigkeiten zu geben scheint. Er merkte an, dass derartige Unterschiede über die Kulturen hinweg beobachtet werden, über die Zeit hinweg stabil sind, einer Beeinflussung pränataler Hormone unterliegen und bei genetischen Jungen, die als Mädchen aufwuchsen, festgestellt werden. Aber auch soziale Einflüsse formen das Geschlecht. Stephen Ceci und Wendy Williams (2010, 2011) berichten, dass kulturell beeinflusste Präferenzen bei der Erklärung helfen können, warum US-amerikanische Frauen eher als Männer Berufe scheuen, die mit Mathematik zu tun haben. Soziale Erwartungen und auseinander driftende Möglichkeiten formen auch die Interessen und Fähigkeiten von Jungen und Mädchen (Crawford et al., 1995; Eccles et al., 1990). In Asien und Russland haben junge Mädchen bei einer internationalen Prüfung in Naturwissenschaften besser abgeschnitten als Jungen; in Nordamerika und Großbritannien waren die Jungen besser (Fairfield, 2012). In Kulturen, in denen auf eine Gleichstellung der Geschlechter mehr Wert gelegt wird, wie in Schweden und Island, sind die geschlechtsbezogenen Mathematikunterschiede deutlich geringer als in Kulturen wie der Türkei und Korea, in denen es keine Gleichstellung der Geschlechter gibt (Guiso et al., 2008; Kane & Mertz, 2012). Nachdem die Gleichstellung der Geschlechter in den Ver-
..Abb. 11.27 (© Punch Cartoon Library/TopFoto)
einigten Staaten seit den 1970er Jahren zugenommen hat, sank bei den 12- bis 14-Jährigen der Anteil der Jungen mit sehr hoher Punktzahl im Mathebereich (über 700) bei der Eingangsprüfung für Studienanfänger:innen (SAT) von 13 zu 1 auf 3 zu 1 (Nisbett et al., 2012; . Abb. 11.27; . Abb. 11.28). Und in der Psychologie änderte sich das Verhältnis von Frauen zu Männern mit Promotion dramatisch – von 17 % Frauen im Jahr 1958 auf 70 % im Jahr 2015 (Burelli, 2008; NSF, 2016a). Erfahrung zählt. 1
>>Verabreichen Sie Frauen Testosteron in einer Langzeit-
behandlung (zur Geschlechtsangleichung von weiblich zu männlich), werden ihre sprachverarbeitenden Hirnareale zunächst an grauer Substanz verlieren und sich dann an die männlichen Strukturen angleichen (Hahn et al., 2016).
Ethnische Ähnlichkeiten und Unterschiede ?? 11.14 Wie und warum unterscheiden sich ethnische
Gruppen in Bezug auf geistige Fähigkeiten?
Zwei beunruhigende Fakten, über die sich allerdings alle einig sind, heizen die Diskussion über Gruppenunterschiede noch weiter an: Verschiedene ethnische Gruppen haben unterschiedliche Durchschnittswerte bei Intelligenztests. Bei Menschen (und Gruppen) mit hohen Intelligenzwerten ist die Wahrscheinlichkeit höher, dass sie ein hohes Bildungs- und Einkommensniveau erreichen.
-
Es gibt viele Gruppenunterschiede in den durchschnittlichen Ergebnissen von Intelligenztest. So haben beispielsweise Neuseeländer:innen europäischen Ursprungs höhere 1
Und hier die Lösung der Aufgabe aus . Abb. 11.26: Die korrekte Antwort ist c.
11
460
11
Kapitel 11 • Intelligenz
..Abb. 11.28 Die Mathe-Lücke schließen. Die iranische Mathematikprofessorin Maryam Mirzakhani (1977–2017) erhielt im Jahr 2014 als erste Frau die Fields-Medaille, die begehrteste Auszeichnung in der Mathematik. Was riet sie allen, die mehr über Mathematik wissen wollen? Üben Sie sich in Geduld. „Die Schönheit der Mathematik“, sagte Mirzakhani, „zeigt sich nur den Getreuen, die Geduld haben“ (The Guardian, 2014; © Maryam Mirzakhani/dpa/Stanford University/picture alliance)
Werte als die Urbevölkerung der Maoris. Die Juden und Jüdinnen in Israel schneiden besser ab als die israelischen Araber:innen. Die meisten Japaner:innen erzielen höhere Werte als die stigmatisierte japanische Minderheit der Burakumin. Und weiße Amerikaner:innen schneiden besser ab als Schwarze Amerikaner:innen. Diese Unterschiede zwischen der weißen und der Schwarzen Bevölkerung in den USA haben sich etwas verringert, besonders bei Kindern (Dickens & Flynn, 2006; Nisbett et al., 2012). Solche Gruppenunterschiede haben eine nur sehr geringe Aussagekraft für die Einschätzung einzelner Personen. Frauen leben weltweit in der Regel vier Jahre länger als Männer, aber allein die Tatsache, dass Sie männlich oder weiblich sind, hat keinen Aussagewert darüber, wie lange Sie leben werden. Wir haben gesehen, dass die Vererbung etwas zu den individuellen Intelligenzunterschieden beiträgt. Aber Gruppenunterschiede bezüglich einer erblichen Eigenschaft können vollständig umweltbedingt sein. Das sehen wir an einem der Experimente der Natur selbst: Manche Kinder wachsen mit der Möglichkeit auf, die in ihrer Kultur vorherrschende Sprache zu hören, während anderen, die gehörlos auf die Welt kommen, diese Möglichkeit versagt bleibt. Wenn man dann beide Gruppen einen Intelligenztest machen lässt, der in dieser Sprache verwurzelt ist, so überrascht es kaum, dass diejenigen, die die Sprache des Tests beherrschen, besser
abschneiden (Braden, 1994; Steele, 1990; Zeidner, 1990). Die individuellen Leistungsunterschiede mögen zwar hauptsächlich genetisch bedingt sein, doch die Gruppenunterschiede sind es nicht (. Abb. 11.29). Ist wohl die Kluft zwischen verschiedenen Ethnien auf ähnliche Weise umweltbedingt? Denken Sie einmal über Folgendes nach: Die genetische Forschung hat ergeben, dass die Angehörigen verschiedener Ethnien unter der Haut erstaunlich gleich sind. Der durchschnittliche genetische Gruppenunterschied zwischen zwei isländischen Dorfbewohner:innen oder zwischen zwei Kenianer:innen übertrifft bei Weitem den Gruppenunterschied zwischen Isländer:innen und Kenianer:innen (Cavalli-Sforza et al., 1994; Rosenberg et al., 2002). Darüber hinaus kann das Aussehen trügen. Hellhäutige Europäer:innen und dunkelhäutige Afrikaner:innen stehen sich unter genetischen Gesichtspunkten viel näher als dunkelhäutige Afrikaner:innen und dunkelhäutige australische Aborigines. Ethnie ist keine klar definierbare biologische Kategorie. Viele Sozialwissenschaftler:innen sehen Ethnie primär als gesellschaftliche Konstruktion ohne klar definierte, körperlich festzumachende Trennlinien, da jede Ethnie nahtlos in die Ethnie ihrer geografischen Nachbarn übergeht (Helms et al., 2005; Smedley & Smedley, 2005). In einer genetischen Analyse von mehr als 160.000 Menschen, die in den Vereinigten Staaten leben, sagten die meisten mit weniger als 28 % afrikanischer Abstammung, sie seien weiß; diejenigen mit mehr als 28 % sahen sich überwiegend als Afroamerikaner:innen (Byrc et al., 2015). Da sich die Ethnien zunehmend vermischen, widersetzen sich außerdem immer mehr Menschen einer engen ethnischen Kategorisierung und bezeichnen sich selbst als multiethnisch (Pauker et al., 2009). Die Intelligenztestleistung der gut ernährten, besser gebildeten und mehr an Tests gewöhnten Bevölkerung von heute übertrifft die der Bevölkerung der 1930er Jahre – und zwar in größerem Ausmaß als die Intelligenztestwerte eines durchschnittlichen Weißen heute die eines durchschnittlichen Schwarzen übertreffen (Flynn, 2012; Pietschnig & Voracek, 2015; Trahan et al., 2014). In einem Forschungsüberblick wurde angemerkt, dass die durchschnittliche Leistung im Intelligenztest heutiger Afrikaner:innen, die südlich der Sahara leben, der von englischen Erwachsenen im Jahre 1948 entspricht (Wicherts et al., 2010). Niemand schreibt solche Unterschiede von einer Generation zur anderen der Vererbung zu. Wenn Schwarze und Weiße entsprechendes Wissen haben oder erhalten, zeigen sie ähnliche Informationsverarbeitungsfähigkeiten. „Die Daten unterstützen die Ansicht, dass kulturelle Unterschiede bei der Bereitstellung von Informationen für die ethnischen Unterschiede in [der Leistung in Intelligenztests] verantwortlich sein könnten“, haben die Forscher Joseph Fagan und Cynthia Holland berichtet (2007a).
461
11.4 • Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
Varianz innerhalb der Gruppe ist genetisch bedingt Varianz innerhalb der Gruppe ist genetisch bedingt Samen
Schlechter Boden
Fruchtbarer Boden Unterschied zwischen den Gruppen ist umweltbedingt
..Abb. 11.29 Gruppenunterschiede und Umwelteinfluss. Auch wenn die Varianz zwischen Mitgliedern derselben Gruppe Ausdruck genetischer Unterschiede ist, kann der durchschnittliche Unterschied zwischen verschiedenen Gruppen ausschließlich umweltbedingt sein. Stellen Sie sich vor, Samen derselben Samenmischung
würden zum einen in mageren und zum anderen in fruchtbaren Boden gesät. Auch wenn die Größenunterschiede innerhalb eines Blumenkastens anlagebedingt sind, sind die Größenunterschiede zwischen den beiden Gruppen umweltbedingt. (Information aus Lewontin, 1976)
Schulbildung und Kultur sind von Bedeutung. Länder, deren Wirtschaft ein großes Wohlstandsgefälle zwischen Reichen und Armen erzeugt, weisen auch häufiger eine große Kluft zwischen den Werten in den Intelligenztests reicher und armer Menschen auf (Nisbett, 2009). In China und der Türkei haben die Menschen in ärmeren Regionen die niedrigsten Intelligenztestwerte, während die Menschen in wohlhabenderen Regionen die höchsten haben (Lynn et al., 2015, 2016). Darüber hinaus sagen bildungspolitische Maßnahmen wie der Besuch eines Kindergartens und die Schulpflicht sowie die Unterrichtszeit pro Jahr nationale Unterschiede in Intelligenz- und Wissenstests vorher (Lynn & Vanhanen, 2012; Rindermann & Ceci, 2009). Leistungen in Mathematik, Unterschiede in Eignungstests und insbesondere Noten sind möglicherweise mehr auf Gewissenhaftigkeit als auf Kompetenz zurückzuführen (Poropat, 2014). Studierende asiatischer Herkunft, die bei Leistungs- und Eignungstests in Mathematik besser abschneiden als nordamerikanische Studierende, haben im Durchschnitt auch 30 % mehr Tage Schule im Jahr und verbringen sowohl in der Schule als auch außerhalb mehr Zeit mit Mathelernen (Geary et al., 1996; Larson & Verma, 1999; Stevenson, 1992). Ebenso erbringen Frauen auf dem College und der Universität bessere Leistungen als Männer, die genauso fähig sind, was unter anderem auf ihr gewissenhaftes Arbeiten zurückzuführen ist (Keiser et al., 2016). In verschiedenen Epochen haben verschiedene ethnische Gruppen ein goldenes Zeitalter erlebt – Perioden, die von außerordentlichen Leistungen geprägt waren. Vor 2500 Jahren waren es die Griechen und die Ägypter, dann die Römer, und im 8. und 9. Jahrhundert schienen die Genies in der arabischen Welt beheimatet zu sein. Vor 500 Jahren waren es die Aztek:innen und die Völker Nordeuropas. Heute finden die technologischen Hochleistungen in Asien und der kulturelle Erfolg von
Jüdinnen und Juden bei vielen Beachtung. Im Laufe der Jahrhunderte hatten Kulturen Blütezeiten und dann wieder schlechtere Zeiten. Die Gene sind keiner solchen Aufwärts- und Abwärtsbewegung unterworfen. Auch diese Tatsache macht es unmöglich, die natürliche Überlegenheit irgendeiner ethnischen Gruppe zu vertreten (. Abb. 11.30). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die Erblichkeit von Intelligenztestwerten ist höher in einer Gesellschaft, in der Chancengleichheit herrscht, als in einer Gesellschaft von landwirtschaftlich Beschäftigten und Adligen. Warum?
Probleme der Verzerrung in Intelligenztests ?? 11.15 Können Intelligenztests zu verzerrenden
Ergebnissen führen? Wie wirkt sich Bedrohung durch Stereotype auf die Leistung der Testteilnehmer aus?
» „Holen Sie sich Ihre Sklaven nicht aus Britannien; denn sie sind so dumm und so unfähig, dass man ihnen nichts beibringen kann.“ Cicero (106–43 v. Chr.)
Wenn man annimmt, dass die Ethnie ein bedeutsames Konzept ist, lässt sich die Debatte über ethnische Unterschiede in drei Lager unterteilen (Hunt und Carlson, 2007): Ethnische Unterschiede in der Intelligenz sind genetisch verursacht. Ethnische Unterschiede in der Intelligenz sind gesellschaftlich beeinflusst. Es gibt ethnische Unterschiede in den Testwerten, aber die Tests sind unangemessen oder verzerrend.
-
11
462
Kapitel 11 • Intelligenz
..Abb. 11.30 Weltmeister im Scrabble. Im Jahr 2015 war das Team Nigeria das beste Land in der Scrabble-Weltmeisterschaft. Fünf seiner sechs Mitglieder kamen unter die besten 50 Teilnehmer:innen, darunter Wellington Jighere, Mitte, der Scrabble-Einzelweltmeister. (© Pius Utomi Ekpei/Getty Images)
11
Wir haben den Gruppenunterschied aus der ersten und zweiten Perspektive betrachtet. Wenden wir uns nun der dritten zu: Sind Intelligenztests vielleicht in irgendeiner Weise verzerrt? Die Antwort darauf hängt davon ab, welche von zwei sehr unterschiedlichen Definitionen von Verzerrung wir verwenden. zz Zwei Bedeutungen von Verzerrung
Die wissenschaftliche Bedeutung von Verzerrung bezieht sich auf die Validität eines Tests – ob sich künftiges Verhalten aufgrund des Tests nur für einige Gruppen von Proband:innen vorhersagen lässt. Wenn beispielsweise ein Schuleignungstest (wie der SAT) den Hochschulerfolg von Frauen genau vorhersagt, aber nicht den von Männern, dann wäre der Test verzerrt. Wie in den USA vom National Research Council’s Committee on Ability Testing und der Arbeitsgruppe „Intelligenz“ der amerikanischen Psycholog:innenvereinigung APA zusammengefasst, bestand nahezu Konsens darüber, dass die wichtigsten amerikanischen Eignungstests in diesem statistischen Sinn des Wortes nicht verzerrt sind (Berry & Zhao, 2015; Neisser et al., 1996; Wigdor & Garner, 1982). Der Vorhersagewert der Tests ist im Großen und Ganzen für Frauen und Männer, verschiedene Ethnien und für Reiche und Arme derselbe. Wenn ein Intelligenztestwert von 95 Noten etwas unter dem Durchschnitt vorhersagt, lässt sich diese grobe Vorhersage auf alle gleichermaßen anwenden. Aber wir können einen Test auch als verzerrend ansehen, wenn er nicht nur auf angeborene Intelligenzunterschiede hindeutet, sondern auch auf Leistungsunterschiede, die auf kulturelle Erfahrungen zurückgehen. Genau dies ist osteuropäischen Immigrant:innen in den frühen 1900ern zugestoßen. Da sie nicht die Sachkenntnis mitbrachten, um Fragen über ihre neue Kultur zu
beantworten, wurden viele als „schwachsinnig“ abgestempelt. In diesem populären Sinne sind sich alle einig, dass Intelligenztests verzerrt sind. Sie messen unsere entwickelten Fähigkeiten, die zum Teil Ausdruck unserer Bildung und unserer Erfahrungen sind. Möglicherweise sind Ihnen schon manchmal Intelligenztestfragen begegnet, die typische Aussagen voraussetzen: z. B. das Wissen, dass Grundstücke in der Stadt gewöhnlich mehr kosten als auf dem Land (Beispiel eines Test-Items des HAWIE-R). Verzerren derartige Fragen den Test gegenüber jenen, für die der Erwerb eines Grundstücks ohnehin unerschwinglich ist und die demzufolge kein konkretes Wissen über Grundstückspreise haben? Könnten solche Fragen womöglich das unterschiedliche Abschneiden verschiedener kultureller Gruppen bei den Tests erklären? In solchen Fällen können Tests ein Instrument zur Diskriminierung sein, das potenziell begabte Kinder (von denen manche vielleicht eine andere Muttersprache haben) in wenig anspruchsvolle Klassen oder Jobs abschiebt, die für sie zur Sackgasse werden? Daher empfehlen manche Intelligenzforscher:innen, kulturneutrale Fragen auszuarbeiten – wie die Bewertung der Fähigkeit von Menschen, neue Wörter, Sprichwörter und Analogien zu lernen – um kulturunabhängige Eignungstests zu ermöglichen (Fagan & Holland, 2007b, 2009). Die Befürworter:innen existierender Eignungstests haben dem entgegengehalten, dass die ethnisch bedingten Gruppenunterschiede sich auch bei nichtverbalen Tests, wie etwa dem Rückwärts-Aufsagen von Zahlen, zeigen (Jensen, 1983, 1988). Gibt man dem Test die Schuld für die schlechteren Bewertungen einer Gruppe, geben sie zu bedenken, wäre das so, als würde man den Überbringer bzw. die Überbringerin schlechter Nachrichten bestrafen. Warum soll der Test schuld daran sein, dass er ungleiche Erfahrungen und Chancen aufdeckt? Wenn Menschen
11.4 • Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
aufgrund von Mangelernährung kleinwüchsig blieben, würde man dann etwa den Meterstab dafür verantwortlich machen, der diesen Zustand aufdeckt? Wenn ungleiche Erfahrungen in der Vergangenheit zu ungleichem Erfolg in der Zukunft führen, so deckt ein guter Test diese Ungleichheiten auf. Die Erwartungen der Testentwickler:innen können also einen Intelligenztest verzerren. Dies steht im Einklang mit einer Beobachtung, die wir in diesem Buch gemacht haben: Unsere Erwartungen und Einstellungen können unsere Wahrnehmungen und unser Verhalten beeinflussen. Das gilt auch für die Testperson. Stereotype Threat (Bedrohung durch ein Stereotyp; „stereotype threat“) – eine sich selbst bestätigende Besorg-
nis, die Bewertung des eigenen Verhaltens erfolge auf der Basis eines negativen Stereotyps.
» „Mathe ist schwierig.“ ‚Teen Talk‘, sprechende Barbie-
puppe (in den USA eingeführt im Juli 1992, zurückgerufen im Oktober, 1992)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist der Unterschied zwischen einem Test, der kulturell bedingt verzerrt ist, und einem Test, der aufgrund seiner Validität verzerrte Ergebnisse liefert?
zz Erwartungen der getesteten Personen
Als Steven Spencer und seine Kolleg:innen (1997) gleichbegabten Männern und Frauen einen schwierigen Mathetest vorlegten, schnitten die Frauen schlechter als die Männer ab – außer bei dem Testdurchgang, bei dem den Frauen zu verstehen gegeben worden war, dass bei diesem Test Frauen normalerweise gleich gut abschneiden wie Männer. Im anderen Falle wurde ihre Leistungsfähigkeit von irgendetwas beeinträchtigt. Es lag eine „Bedrohung in der Luft“ (Spencer et al., 2016). Zusammen mit Claude Steele und Joshua Aronson hat Spencer (2002) diesen sich selbst erfüllenden Stereotype Threat (die Bedrohung durch einen Stereotyp) auch bei schwarzen Studierenden beobachtet, wenn diese schlechter abschnitten, nachdem sie kurz vor der Bearbeitung sprachlicher Eignungstests an ihre Rasse erinnert wurden. Folgeexperimente bestätigten, dass Minderheiten, denen negative Stereotype anhaften, und Frauen nicht erkanntes akademisches und berufliches Potenzial besitzen könnten (Grand, 2016; Nguyen & Ryan, 2008; Walton & Spencer, 2009). Wenn Sie bei einem Intelligenztest oder der Erledigung einer berufsbezogenen Aufgabe sich darüber Gedanken machen, dass Menschen Ihrer Gruppe oder Ihres „Typs“ oft nicht gut abschneiden, können Ihre Selbstzweifel und Selbstüberwachung Ihr Arbeitsgedächtnis belasten und somit Ihre
463
Leistung verschlechtern (Hutchison et al., 2013). Solche Gedanken und die Sorge darüber, was andere über Sie denken, können irritierend sein. Aus diesen Gründen kann der Stereotype Threat auch Aufmerksamkeit und Lernvorgänge beeinträchtigen (Inzlicht & Kang, 2010; Rydell et al., 2010). Nehmen Sie der Situation das Bedrohliche, indem Sie die Prüfung als „Aufwärmübung“ und nicht als „Test“ bezeichnen – und stereotypisierte Minderheiten schneiden oft besser ab (Taylor & Walton, 2011). Der Stereotype Threat kann erklären, warum Schwarze besser abschnitten, wenn sie von Schwarzen statt von Weißen geprüft wurden (Danso & Esses, 2001; Inzlicht & Ben-Zeev, 2000). Es bedeutet, dass es möglicherweise eine Auswirkung hat, wenn nichtschwarze Lehrkräfte niedrigere Erwartungen an Schwarze Schüler:innen haben als Schwarze Lehrkräfte (Gershenson et al., 2016). Und er kann uns einen Einblick geben, warum Frauen, die nicht zusammen mit Männern getestet wurden, bei Mathematiktests höhere Werte erzielten, und warum ihre Leistung beim Online-Schach stark abnimmt, wenn sie denken, sie würden gegen einen männlichen Spieler spielen (Maass et al., 2008). Steele (1995, 2010) schloss daraus, dass bei Studierenden, denen gesagt wird, dass sie wahrscheinlich nicht erfolgreich sein werden (wie dies bei Förderprogrammen für Minderheiten häufig der Fall ist), dieses Stereotyp die Leistung nach und nach unterminieren wird. Mit der Zeit kann es vorkommen, dass diese Schüler:innen ihr Selbstwertgefühl von schulischen Leistungen loslösen und auf anderen Gebieten nach Möglichkeiten suchen, es zu steigern. Dies kommt häufig bei afroamerikanischen männlichen Schülern in der Übergangsphase zwischen der 8. und der 12. Klasse vor, wenn eine wachsende Diskrepanz zwischen ihren Noten und ihrem Selbstwertgefühl zu beobachten ist und sie häufig hinter den Erwartungen zurückbleiben (Osborne, 1997). In einem Experiment wurden einige afroamerikanische Siebtklässler:innen zufällig ausgewählt und hatten 15 Minuten lang Zeit, um über ihre wichtigsten Werte zu schreiben (Cohen et al., 2006, 2009). Diese einfache Übung der Selbstbekräftigung verbesserte ihre Semesternoten in zwei aufeinander folgenden Testdurchgängen. Kann eine kurze Übung zur Stärkung des Selbstvertrauens tatsächlich die schulischen Leistungen steigern? „Es war für uns schwer zu glauben“, berichtete Geoffrey Cohen (2013), „aber wir haben es seitdem repliziert“, auch bei Frauen im Studiengang Physik. Andere Forschungsteams haben ebenfalls die Erfolge dieser Selbstbestätigungsübung reproduziert (Bowen et al., 2013; Cohen & Sherman, 2014; Harackiewicz et al., 2014, 2016). Wenn man benachteiligte Studierende dazu ermunterte, an ihr Potenzial zu glauben, ein stärkeres Zugehörigkeitsgefühl zu entwickeln und Intelligenz als etwas zu betrachten, das sich beeinflussen lässt, erzielten sie deutlich bessere Noten und hatten auch weniger Studienabbrüche in ihrer Gruppe zu verzeichnen (Tibbetts et al., 2016; Yeager et al., 2016b).
11
464
11
Kapitel 11 • Intelligenz
Was können wir nun aus dem Ganzen realistischerweise im Hinblick auf Eignungstests und Verzerrung schließen? Im wissenschaftlichen Sinne sind Tests nicht verzerrt, da sie für unterschiedliche Gruppen valide statistische Vorhersagen machen. In einem anderen Sinne sind die Tests aber tatsächlich verzerrt, und zwar im Hinblick auf eine Sensibilität für Leistungsunterschiede, die auf kulturelle Erfahrung zurückgehen. Sind die Tests „diskriminierend“? Auch hier kann die Antwort Ja oder Nein lauten. Ja in dem Sinne, dass sie darauf ausgelegt sind zu „diskriminieren“, d. h., zwischen verschiedenen Personen zu unterscheiden. Nein in dem Sinne, dass es jedoch gerade ihr Ziel ist, Diskriminierung zu reduzieren, weil man sich mit ihrer Hilfe weniger auf subjektive Kriterien für die Aufnahme in Schulen oder für die Vermittlung eines Arbeitsplatzes verlassen muss, wie etwa, ob Sie jemanden kennen, wie Sie aussehen oder ob der Mensch, der das Bewerbungsgespräch mit Ihnen führt, Sie zufällig sympathisch findet. Eignungstests im öffentlichen Dienst beispielsweise wurden so entwickelt, dass sie fairer und objektiver unterscheiden, indem sie die politische, rassische, ethnische und geschlechtsspezifische Diskriminierung verringern, die vor dem Einsatz solcher Test durchaus stattfand. Eignungstests zu verbieten, würde diejenigen, die über die Einstellungen in berufliche Positionen und die Zulassung zu Schulen entscheiden, dazu verleiten, sich mehr auf andere Einschätzungen zu verlassen, wie etwa auf ihre persönliche Meinung. Vielleicht sollten wir also im Hinblick auf Tests geistiger Fähigkeiten drei Ziele verfolgen: Erstens sollten wir die Vorteile erkennen, die der Pionier der Intelligenztestung Alfred Binet bezweckte: Schulen in die Lage zu versetzen, zu erkennen, welche Schüler:innen möglicherweise von einer frühzeitigen Förderung profitieren könnten. Zweitens müssen wir aufmerksam beobachten, dass, wie auch Binet befürchtete, die Intelligenztestwerte nicht als direkter Maßstab für den Wert eines Menschen und als unveränderliches Potenzial fehlinterpretiert werden. Und drittens sollten wir uns immer in Erinnerung rufen, dass die Kompetenz, die durch allgemeine Intelligenztests stichprobenartig festgestellt wird, wichtig ist – sie hilft uns dabei, auf einigen Wegen unseres Lebens Erfolg zu haben. Aber sie bringt nur einen Aspekt der persönlichen Kompetenz zum Ausdruck (Stanovich et al., 2013, 2014a,b). Unsere Rationalität, unsere praktische und unsere emotionale Intelligenz spielen ebenfalls eine wichtige Rolle, wie auch andere Formen der Kreativität, der Begabung und der Persönlichkeit. Bedenken Sie: Es gibt viele Wege zum Erfolg, die Unterschiede zwischen uns sind nur Variationen desselben Themas: der menschlichen Anpassungsfähigkeit. Die großen Errungenschaften, die ein Leben charakterisieren, resultieren nicht nur aus den Fähigkeiten (dem Können) – gepaart mit fairen Chancen –, sondern auch aus der Motivation (dem Wollen). Kompetenz + Fleiß → Leistung.
» „Fast alle Dinge im Leben, die Spaß machen, werden nicht durch Intelligenztests erfasst.“ Madeleine L’Engle, A Circle of Quiet (1972)
„[Einstein] hat gezeigt, dass Genie gleich Gehirn plus Hartnäckigkeit zum Quadrat ist.“ Walter Isaacson, Einstein’s Final Quest (2009)
Prüfen Sie Ihr Wissen
Welches psychologische Prinzip kann erklären, warum Frauen beim Online-Schach tendenziell schlechter abschneiden, wenn sie annehmen, dass der andere Spieler männlich ist.
11.4.4
Rückblick: Genetische und umweltbedingte Einflüsse auf die Intelligenz
Verständnisfragen
11.11 – Welche Befunde sprechen für die genetische Bedingtheit der individuellen Intelligenz und was versteht man unter Erblichkeit? 11.12 – Welche Befunde gibt es zu Umwelteinflüssen auf die individuelle Intelligenz? 11.13 – Wie und warum unterscheiden sich die Geschlechter in Bezug auf geistige Fähigkeiten? 11.14 – Wie und warum unterscheiden sich ethnische Gruppen in Bezug auf geistige Fähigkeiten? 11.15 – Können Intelligenztests zu verzerrenden Ergebnissen führen? Wie wirkt sich Bedrohung durch Stereotype auf die Leistung der Testteilnehmenden aus?
--
Schlüsselbegriffe Erblichkeit Stereotype Threat
Master The Material 1. Der Einfluss der Vererbung auf die Intelligenz wird am stärksten durch die Feststellung gestützt, dass … a. eineiige Zwillinge fast identische Intelligenztestwerte haben, andere Geschwister jedoch nicht. b. die Korrelation zwischen den Intelligenztestwerten zweieiiger Zwillinge nicht höher ist als für andere Geschwister. c. sich Ähnlichkeiten in den kognitiven Fähigkeiten zwischen adoptierten Geschwistern im Alter verstärken. d. dass Kinder aus verarmten Familien ähnliche Intelligenztestwerte haben. 2. Die Aussage, dass die Erblichkeit von Intelligenz 50 % beträgt, bedeutet, dass 50 % …
Weiterführende deutsche Literatur
a. der Intelligenz eines Individuums auf genetische Faktoren zurückzuführen ist. b. der Ähnlichkeit zwischen zwei Bevölkerungsgruppen den Genen zuzuschreiben sind. c. der Intelligenzabweichung innerhalb einer Bevölkerungsgruppe auf genetische Faktoren zurückzuführen ist. d. der Intelligenz eines Individuums den Genen jeweils eines Elternteils zuzuschreiben sind. 3. Die geistige Entwicklung wird am offensichtlichsten und stärksten durch die Umwelt beeinflusst, wenn … a. normale Säuglinge vor dem 1. Lebensjahr an besonderen Förderprogrammen teilnehmen. b. man in einer wirtschaftlich benachteiligten Familie oder Umgebung aufwächst. c. man in extremer Deprivation aufwächst. d. man ein eineiiger Zwilling ist. 4. ___ kann zu einer schlechten Leistung im Test führen, indem der Glaube der Testteilnehmer:innen untergraben wird, dass sie im Test gut abschneiden können.
Weiterführende deutsche Literatur Brackmann, A. (2022). Jenseits der Norm – hochbegabt und hoch sensibel? Die seelischen und sozialen Aspekte der Hochbegabung bei Kindern und Erwachsenen (12. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Bühner, M. (2021). Einführung in die Test- und Fragebogenkonstruktion (4. Aufl.). München: Pearson. Gardner, H., & Spengler, U. (2013). Intelligenzen: die Vielfalt des menschlichen Geistes (4. Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta. Moosbrugger, H., & Kelava, A. (2020). Testtheorie und Fragebogenkonstruktion (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Piaget, J. (2020). Psychologie der Intelligenz. Stuttgart: Klett-Cotta.
465
11
467
Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg Inhaltsverzeichnis 12.1
Grundlegende Motivationskonzepte – 468
12.1.1 12.1.2 12.1.3 12.1.4 12.1.5
Instinkte und Evolutionspsychologie – 469 Triebe und Anreize – 469 Erregungstheorie – 470 Bedürfnishierarchie – 471 Rückblick: Grundlegende Motivationskonzepte – 472
12.2
Hunger – 473
12.2.1 Physiologie des Hungers – 474 12.2.2 Psychologie des Hungers – 477 12.2.3 Rückblick: Hunger – 480
12.3
Sexuelle Motivation – 482
12.3.1 12.3.2 12.3.3 12.3.4 12.3.5 12.3.6
Physiologie der Sexualität – 482 Psychologie der Sexualität – 485 Sexuelles Risikoverhalten und Teenagerschwangerschaften – 487 Sexuelle Orientierung – 488 Sexualität und zwischenmenschliche Beziehungen – 496 Rückblick: Sexuelle Motivation – 496
12.4
Zugehörigkeit und Leistung – 497
12.4.1 12.4.2 12.4.3 12.4.4 12.4.5 12.4.6
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit – 497 Soziale Bindung als Überlebenshilfe – 497 Der Schmerz der Ausgrenzung – 499 Kontaktaufnahme und soziale Vernetzung – 501 Leistungsmotivation – 504 Rückblick: Zugehörigkeit und Leistung – 505
Weiterführende deutsche Literatur – 506
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_12
12
468
12
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
Ich erinnere mich sehr gut an den Tag, an dem ich meine erste Diskussionsfrage in einem neuen Einführungskurs in die Psychologie stellte. Einige Studierende hoben ihre Hand – und einer seinen linken Fuß. Dieser Fuß gehörte Chris Klein, dessen Teilnahme an meinem Kurs überaus unwahrscheinlich war. Bei seiner Geburt erlitt Chris einen Sauerstoffmangel, der eine 40-minütige Herz-Lungen-Wiederbelebung erforderte. „Einer der Ärzte wollte ihn sterben lassen“, erinnert sich seine Mutter. Die Folge war eine schwere zerebrale Kinderlähmung. Aufgrund einer Schädigung des Gehirnbereichs, der die Muskelbewegungen steuert, ist Chris nicht in der Lage dazu, seine Hände zu kontrollieren, die deswegen ständig in Bewegung sind. Er kann nicht für sich selbst sorgen, sich nicht selbst anziehen oder ernähren. Und er kann auch nicht sprechen. Doch Chris hat vollständige Kontrolle über seinen scharfen Verstand und seinen linken Fuß, mit dem er einen Joystick an seinem motorisierten Rollstuhl bedienen kann. Mit seinem linken großen Zeh kann er Sätze tippen, die sein Kommunikationssystem speichern, senden und abspielen kann. Und darüber hinaus ist Chris motiviert – unglaublich motiviert! Während seiner Zeit an einer High School in einem Vorort von Chicago, zweifelten drei seiner Lehrkräfte daran, dass Chris in der Lage sein würde, sein Zuhause zu verlassen und an die Universität zu gehen. Doch er ließ sich nicht davon entmutigen und besuchte mit viel Unterstützung mein College namens „Hope“ (Hoffnung). Fünf Jahre später, als er mit Hilfe seines linken Fußes über die Bühne fuhr, um sein Abschlusszeugnis in Empfang zu nehmen, brachen seine bewundernden Klassenkamerad:innen spontan in eine Standing Ovation aus. Heute ist Chris ein begeisternder Redner, der an Schulen, in Kirchen und auf Gemeindeveranstaltungen denen eine Stimme gibt, die selbst keine haben, und Menschen mit Behinderungen eine helfende Hand ausstreckt. Zudem schreibt er ein Buch mit dem Namen „Lessons from the Big Toe“ und er hat die Liebe gefunden und geheiratet (. Abb. 12.1). Nur wenige von uns stehen vor denselben Herausforderungen wie Chris Klein. Aber wir alle versuchen, unsere Energie in eine Richtung zu weisen, die uns Zufriedenheit und Erfolg bringt. Wir werden von biologischen Motiven wie Hunger und Sex angetrieben sowie von sozialen Motiven wie dem Bedürfnis nach Zugehörigkeit. Chris Kleins unbändiger Wille zu leben, zu lernen und zu lieben zeigt uns den Kern unserer eigenen Motivationen, die unser Leben mit Energie versorgen und lenken. Lassen Sie uns mit einem Blick darauf beginnen, wie sich die Psychologie der Untersuchung der Motivation gewidmet hat.
..Abb. 12.1 Chris Klein, ein motivierter Mensch. Um seine Geschichte zu hören, besuchen Sie tinyurl.com/ChrisPsychStudent. (© Katie Green/MLIVE.COM/Bancroft)
12.1 Grundlegende
Motivationskonzepte
?? 12.1 Wie definiert die Psychologie Motivation? Aus
welchen Perspektiven betrachtet sie motiviertes Verhalten?
Unsere Motivationen entstehen aus dem Zusammenspiel zwischen Anlage (dem physiologischen „Druck“) und Umwelt (den persönlichen, kognitiven und kulturellen „Zwängen“). Unsere Motive lenken unser Verhalten. Normalerweise ist das gut – aber nicht immer! Werden unsere Motivationen in die Irre geführt, gerät unser Leben aus den Fugen. So erleben Menschen mit Substanzkonsumstörungen etwa, dass ihr Verlangen nach einem Suchtmittel ihre Bedürfnisse nach Nahrung, Sicherheit und sozialer Unterstützung untergräbt. Lassen Sie uns zunächst vier Perspektiven behandeln, aus denen die Psychologie motiviertes Verhalten betrachtet: Die Instinkttheorie (heute durch die evolutionäre Per‑ spektive ersetzt) legt ihren Schwerpunkt auf genetisch prädisponiertes Verhalten. Die Triebtheorie betont die Interaktion von inneren Trieben und äußeren Zwängen. Die Erregungstheorie geht von einem Drang nach einem optimalen Stimulierungsgrad aus. Abraham Maslows Bedürfnishierarchie beschreibt, wie sich manche Motive als drängender und wichtiger als andere erweisen können.
-
Motivation („motivation“) – ein Bedürfnis oder ein
Wunsch, das/der unser Verhalten antreibt und lenkt.
469
12.1 • Grundlegende Motivationskonzepte
12.1.1
Instinkte und Evolutionspsychologie
Um als Instinkt bezeichnet zu werden, muss eine komplexe Verhaltensweise als festes Muster bei allen Mitgliedern einer Spezies vorkommen und darf nicht gelernt sein (Tinbergen, 1951). Zu diesen Verhaltensweisen gehören etwa die Prägung bei Vögeln und die Rückkehr der Lachse zu ihrem Geburtsort. Auch im menschlichen Verhalten sind ungelernte, angeborene Muster zu beobachten, darunter einfache festgelegte Reflexe wie bei einem Kind, das nach der Brust der Mutter sucht und daran saugt. Die Instinkttheorie war im frühen 20. Jahrhundert verbreitet und betrachtete unsere Instinkte als Quelle unserer Motivationen. Aber viele weitere Verhaltensweisen werden sowohl durch physiologische Bedürfnisse als auch durch psychologische Wünsche gesteuert. Instinkt („instinct“) – komplexes Verhalten, das bei jedem
Mitglied einer Gattung als Muster festgelegt ist und nicht gelernt werden muss. Obwohl die Instinkttheorie die meisten Motive menschlichen Handelns nicht erklären konnte, bleibt die dahinterstehende Annahme, dass manche arttypischen Verhaltensweisen genetisch angelegt sind, in der evolutionären Psychologie bestehen (. Abb. 12.2). Dieser Feststellung sind wir bereits in 7 Kap. 8 in der Diskussion darüber begegnet, wie biologische Prädispositionen die Konditionierbarkeit von Verhalten einschränken können. Und später werden wir diesem Thema wieder begegnen, wenn es darum geht, wie die Evolution unsere Phobien, unser Hilfeverhalten und unsere erotischen Vorlieben beeinflusst.
a ..Abb. 12.2 a,b Gleiches Motiv, unterschiedliche Ausführung. Je komplexer das Nervensystem, desto anpassungsfähiger der Organismus. Menschen und Vögel befriedigen beide ihr Bedürfnis nach Schutz auf eine Art und Weise, die Ausdruck ihrer ererbten Fähigkeiten ist. Das
12.1.2
Triebe und Anreize
Neben unseren Anlagen haben wir auch Triebe. Physiologische Bedürfnisse (z. B. nach Nahrung oder Wasser) erzeugen einen erregten, motivierten Zustand – einen Trieb (z. B. Hunger oder Durst) –, der uns dazu drängt, das Bedürfnis zu befriedigen. Die Triebreduktionstheorie besagt, dass die Zunahme eines physiologischen Bedürfnisses mit nur wenigen Ausnahmen mit einer Zunahme unseres psychischen Triebes nach Bedürfnisreduktion einhergeht. Triebreduktionstheorie („drive-reduction theory“) – An-
nahme, dass ein physiologisches Bedürfnis eine erregte Spannung erzeugt (einen Trieb), die den Organismus motiviert, das Bedürfnis zu befriedigen. Das physiologische Ziel der Triebreduktion ist die Homöostase, die Erhaltung eines stabilen inneren Zustands. Ein Beispiel für die Homöostase (wortgetreu „Gleichstand“) ist das Temperaturregulationssystem des Körpers, das wie ein Thermostat arbeitet. Beide Systeme funktionieren über Rückkopplungsschleifen: Sensoren übermitteln die Raumtemperatur zu einem Messgerät. Kühlt sich die Raumtemperatur ab, aktiviert das Messgerät die Heizung. Genauso ist es, wenn unser Körper abkühlt. Die Blutgefäße ziehen sich zusammen, um Wärme zu speichern, und wir haben das Bedürfnis, mehr anzuziehen oder uns in eine wärmere Umgebung zu begeben (. Abb. 12.3). Homöostase („homeostasis“) – Tendenz, einen aus-
geglichenen und konstanten inneren Zustand aufrechtzuerhalten; Regulation aller Bereiche der Körperchemie, wie z. B. die Regulierung des Blutzuckers auf einer bestimmten Höhe.
b menschliche Verhalten ist flexibel; wir können alle Fertigkeiten lernen, die wir zum Hausbau benötigen. Das Verhaltensmuster des Vogels ist festgelegt; er kann nur diese Art Nest bauen. (a: © Westend61/Eyecatcher.pro/picture alliance; b: © ondrejprosicky/stock.adobe.com)
12
470
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
Bedürfnis (z. B. nach Essen oder Wasser)
12
Trieb (Hunger, Durst)
Triebreduzierendes Verhalten (essen, trinken)
..Abb. 12.3 Triebreduktionstheorie. Die Motivation zur Triebreduktion entsteht aus der Homöostase – die natürliche Tendenz eines Organismus, einen konstanten inneren Zustand aufrechtzuerhalten. Wenn
wir unter Wasserentzug stehen, verleitet uns unser Durst zum Trinken und stellt so den normalen Körperzustand wieder her
Wir werden aber nicht nur durch unser „Bedürfnis“ nach Triebreduktion angetrieben, sondern auch von äußeren Anreizen angezogen: von positiven oder negativen Reizen, die uns locken oder abstoßen. Angesichts solcher Reize werden unsere zugrunde liegenden Triebe, z. B. nach Nahrung oder Sex, zu aktiven Impulsen. Und je mehr diese Impulse befriedigt und verstärkt werden, desto stärker können unsere Triebe werden. Wie Roy Baumeister (2015) feststellte: „Etwas zu erhalten, bewirkt, dass wir es wollen“. Unsere Erfahrungen beeinflussen also unsere Motive. Je nach individueller Lerngeschichte kann der Duft von gutem Essen, seien es nun frisch geröstete Erdnüsse (oder auch geröstete Ameisen), unser Verhalten motivieren. Und das kann auch auf das Aussehen eines Menschen zutreffen, den wir attraktiv oder bedrohlich finden. Haben wir ein Bedürfnis und liegt gleichzeitig auch ein äußerer Anreiz vor, sind wir hoch motiviert. Ein Mensch, der lange nichts gegessen hat und frisches Brot riecht, fühlt einen starken Hungertrieb. Ist dieser Trieb vorhanden, wird das Brot zu einem alles überwindenden Anreiz. Bei jedem Motiv können wir uns also fragen: „Welche angeborenen Bedürfnisse treiben mich an, und welche Anreize kommen aus der Umwelt?“
Wissenschaftler:innen, deren Arbeit wir in diesem Buch kennenlernen. Und sie treibt entdeckungs- und abenteuerlustige Personen wie Bergsteiger George Mallory. Auf die Frage, warum er unbedingt den Mount Everest besteigen wollte, antwortete George Mallory: „Weil er da ist.“ Ungewissheit bringt manchmal Aufregung mit sich, was unsere Motivation anspornt (Shen et al., 2015). Menschen, die wie Mallory starke Aufregung genießen, hören häufig laute Musik, probieren neue Gerichte aus und lieben das Risiko (Roberti et al., 2004; Zuckerman, 1979, 2009). Obwohl sie als „Sensation Seeker“ bezeichnet werden, werden diese risikobereiten Menschen auch von ihrem Drang motiviert, ihre Emotionen und Handlungen zu beherrschen (Barlow et al., 2013). Die Motivation zielt beim Menschen nicht darauf ab, die Erregung zu beseitigen, sondern ein optimales Erregungsniveau zu erreichen. Auch wenn alle unsere physiologischen Bedürfnisse erfüllt sind, fühlen wir einen Drang nach Stimulation. Sind sie allein in einem Zimmer, ziehen es die meisten Menschen vor, irgendetwas zu tun – selbst wenn dies bedeutet (in Abwesenheit anderer Möglichkeiten), sich selbst leichte Elektroschocks zu verabreichen (Wilson et al., 2014). Mäßige Angst kann motivierend wirken und beispielsweise zu besseren Leistungen in Mathematik führen (Wang et al., 2015c). Wenn die Stimulation oder der Stress jedoch zu groß werden, suchen wir nach einer Möglichkeit, die Erregung wieder abzubauen. In einem Experiment empfanden Menschen etwa weniger Stress, wenn sie nur dreimal täglich ihre E-Mails abriefen, anstatt ständig erreichbar zu sein (Kushlev & Dunn, 2015). Zwei Psychologen des frühen 20. Jahrhunderts untersuchten den Zusammenhang zwischen Erregung und Leistung und identifizierten das Yerkes-Dodson-Gesetz: Mäßige Erregung führt zu optimaler Leistung (Yerkes & Dodson, 1908). Wenn Sie z. B. eine Prüfung ablegen, ist es hilfreich, ein wenig angespannt zu sein, also aufmerksam, ohne dabei vor Nervosität zu zittern. (Wenn Sie bereits aufgeregt sind, ist es besser, ihre Anspannung nicht noch weiter mit Koffein zu erhöhen.) Ein produktives und zufriedenes Dasein liegt zwischen der Langeweile niedriger Erregung und der Angst, die mit starker Erregung einhergeht. Das optimale Erregungsniveaus hängt von der Art der Aufgabe ab, wobei schwierigere Aufgaben am besten bei niedrigerer Erregung bearbeitet werden (Hembree, 1988).
Anreiz („incentive“) – positiver oder negativer Reiz in der
Umwelt, der ein Verhalten motiviert. 12.1.3 Erregungstheorie
Trotzdem sind wir viel mehr als ein homöostatisches System. Manches motivierte Verhalten lässt die Erregung tatsächlich zunehmen. Satte Tiere verlassen ihre Schutzhöhle, um die Umgebung zu erkunden und um Informationen zu erlangen, obwohl offensichtlich kein auf einem Bedürfnis beruhender Trieb vorhanden ist. Neugier regt Affen dazu an herumzuspielen, um herauszufinden, wie ein Riegel zu öffnen ist, der nichts verschließt, oder wie sich ein Fenster öffnen lässt, durch das sie hinausschauen können (. Abb. 12.4; Butler, 1954). Neugier ist der Antrieb für ein neun Monate altes Kind, jeden erreichbaren Winkel im Haus zu untersuchen. In einem Experiment wurden neugierige Studierende dazu gebracht, auf Stifte zu drücken, um zu sehen, ob diese einen Stromschlag abgaben oder nicht (Hsee & Ruan, 2016). Sie ist auch der Antrieb für die
471
12.1 • Grundlegende Motivationskonzepte
a
b
..Abb. 12.4 a,b Von Neugier getrieben. Babyaffen und Kinder sind fasziniert von Dingen, die sie noch nie zuvor in der Hand hatten. Ihr Trieb, relativ unbekannte Dinge zu erkunden, erzeugt ein optimales Erregungsniveau und ist eines der Motive, die nichts mit unmittel-
baren physiologischen Bedürfnissen zu tun haben. (a: Mit freundlicher Genehmigung des Harlow Primate Laboratory, University of Wisconsin; b: © Tomsickova/stock.adobe.com)
Yerkes-Dodson-Gesetz („Yerkes-Dodson law“) – das Prin-
werts. Laut Maslow (1971) folgt darauf das höchste der menschlichen Bedürfnisse: das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung.
zip, nach dem Leistung nur bis zu einem bestimmten Punkt mit dem Erregungsniveau zunimmt und danach abnimmt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Leistung nimmt für schwierige Aufgaben bei niedrigeren Erregungsniveaus zu und für leichte oder gut gelernte Aufgaben bei höheren Erregungsniveaus. (1) Wie könnte sich dieses Phänomen auf Marathonläufer:innen auswirken? (2) Wie könnte sich dieses Phänomen auf ängstliche Prüflinge auswirken, die vor einer schwierigen Prüfung stehen?
12.1.4 Bedürfnishierarchie
Manche Bedürfnisse haben Priorität vor anderen. Jetzt gerade sind Ihre Bedürfnisse nach Luft und Wasser hoffentlich befriedigt, und andere Motive werden aktuell – z. B. Ihr Wunsch nach Erfolg, der auch später in diesem Kapitel besprochen wird – und aktivieren und steuern Ihr Verhalten. Ist Ihr Bedürfnis nach Wasser nicht befriedigt, wird Ihr Durst Sie voll und ganz beschäftigen. Hätten Sie aber keine Luft zum Atmen, würde Ihr Durst verschwinden. Abraham Maslow (1970) beschrieb diese Prioritäten als Bedürfnishierarchie bzw. Bedürfnispyramide (. Abb. 12.5). Den Sockel dieser Pyramide bilden unsere physiologischen Bedürfnisse, wie die nach Nahrung und Wasser. Erst wenn diese Bedürfnisse erfüllt sind, werden andere aktuell: das nach Sicherheit, danach die einzigartigen menschlichen Bedürfnisse nach dem Geben und Annehmen von Liebe und dem Genuss des Selbst-
Bedürfnishierarchie („hierarchy of needs“) – Maslows
Pyramide der menschlichen Bedürfnisse; beginnend mit den physiologischen Bedürfnissen, die erst erfüllt sein müssen, bevor auf einer höheren Stufe das Bedürfnis nach Sicherheit und danach die psychischen Bedürfnisse aktuell werden.
» „Hunger ist die dringlichste Form der Armut.“ Alliance to End Hunger (2002)
Gegen Ende seines Lebens stellte Maslow die Vermutung an, dass manche Menschen auch ein Niveau der Selbst‑ überschreitung erreichen. Auf dem Niveau der Selbstverwirklichung versuchen Menschen, ihr eigenes Potenzial zu realisieren. Auf dem Niveau der Selbstüberschreitung streben die Menschen nach Sinn und Zweck und einer transpersonalen, also einer jenseits des Selbst liegenden, Gemeinschaft (Koltko-Rivera, 2006). Der Psychiater Viktor Frankl (1962), der ein Zeitgenosse Maslows war und die Gefangenschaft in einem Nazi-Konzentrationslager überlebte, stimmte zu, dass die Suche nach Sinn ein wichtiges menschliches Motiv darstellt: „Das Leben wird nie durch Umstände unerträglich, sondern nur durch den Mangel an Sinn und Zweck.“ „Haben Sie das Gefühl, dass Ihr Leben einen wichtigen Zweck oder Sinn hat?“ Als Gallup diese Frage Menschen in 132 Ländern stellte, antworteten 91 % mit „Ja“ (Oishi & Diener, 2014). Die moderne psychologische Forschung berichtet, dass Menschen dann Sinn empfinden, wenn sie in ihrem Leben einen Zweck (Ziele) sehen, Bedeutung (Werte) finden und es als kohärent (sinnvoll) empfinden. Diese Gefühle werden durch starke soziale
12
472
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
Bedürfnis nach Selbsttranszendenz Bedürfnis, Sinn und Identität über das eigene Selbst hinaus zu finden Bedürfnis nach Selbstverwirklichung Bedürfnis, den eigenen einzigartigen Potenzialen entsprechend zu leben Bedürfnis nach Wertschätzung Bedürfnis nach Selbstwert, Erfolg, Kompetenz und Unabhängigkeit; Bedürfnis nach Achtung und Anerkennung durch andere Bedürfnis nach Zugehörigkeit und Liebe Bedürfnis zu lieben und geliebt zu werden, dazuzugehören und akzeptiert zu werden; Bedürfnis, Einsamkeit und Trennung zu vermeiden Bedürfnis nach Sicherheit Bedürfnis nach dem Gefühl, dass die Welt geordnet und vorhersagbar ist; Bedürfnis, sich sicher zu fühlen
a
12
b
Physiologische Bedürfnisse Bedürfnis, Hunger und Durst zu stillen
..Abb. 12.5 a,b Maslows Bedürfnishierarchie bzw. Bedürfnispyramide. Die Menschen, die im fiktiven Staat Panem, in dem die Romanserie The Hunger Games von Suzanne Collins spielt, von ihrer Regierung verhungern gelassen werden, haben ein starkes Bedürfnis nach Nah-
rung und dem bloßen Überleben. Die Hauptfigur Katniss Everdeen drückt ihre übergeordneten Bedürfnisse nach Verwirklichung und Transzendenz aus und inspiriert auf diese Weise die Nation. (a: © Murray Close/dpa/picture alliance)
Beziehungen, einen religiösen Glauben, eine geregelte Welt und sozialen Status genährt (King et al., 2016; Martela & Steger, 2016). Darüber hinaus ist Sinn auch überaus wichtig: Er sagt das psychische und physische Wohlbefinden voraus sowie die Fähigkeit, mit Widrigkeiten umzugehen (Heine et al., 2006). Die Rangfolge in Maslows Hierarchie ist nicht universell festgelegt. Menschen haben sich schon zu Tode gehungert, um ihren politischen Standpunkt darzulegen. Auch unsere Kultur beeinflusst unsere Prioritäten: Das Selbstwertgefühl ist in individualistischen Gesellschaften von größter Bedeutung, in denen sich die Bürger:innen in der Regel eher auf persönliche Ziele konzentrieren als darauf, sich mit der Familie und der Gemeinschaft zu identifizieren (Oishi et al., 1999). Die heutige Evolutionspsychologie stimmt mit den Grundniveaus von Maslows Bedürfnishierarchie überein. Aber sie hebt hervor, dass das Gewinnen und Behalten von Freund:innen, das Erziehen von Nachwuchs und das Erlangen von sozialem Status auch universelle menschliche Motive sind (Anderson et al., 2015; Kenrick et al., 2010). Trotzdem stellt die einfache Vorstellung, dass einige Motive stärker sind als andere, einen Rahmen für die Beschäftigung mit dem Thema Motivation dar, und Umfragen zum Thema Lebenszufriedenheit in der ganzen Welt stützen diese Annahmen (Oishi et al., 1999; Tay & Diener, 2011). In ärmeren Ländern, in denen Geldmangel den Zugang zu Nahrung und Schutz erschwert, wird die subjektive Lebenszufriedenheit stärker über die Zufriedenheit mit der finanziellen Situation definiert.
In reichen Nationen, wo sich die meisten ihre Grundbedürfnisse erfüllen können, ist der Wert, den Familie und Freund:innen einnehmen, ein besserer Prädiktor. Während wir diese klassischen Motivationstheorien im Hinterkopf behalten (. Tab. 12.1), werden wir uns im Folgenden näher mit vier repräsentativen Motiven beschäftigen: Wir beginnen mit dem grundlegenden physiologischen Motiv des Hungers, dann kommt die sexuelle Motivation und schließlich die Bedürfnisse auf höherer Ebene, das Bedürfnis nach Zugehörigkeit und die Leistungsmotivation. Auf jeder Stufe werden wir sehen, wie die Erfahrung mit der Biologie interagiert. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Nachdem Sie stundenlang in einer fremden Stadt herumgefahren sind, finden sie endlich ein Restaurant. Obwohl es verlassen und ein bisschen unheimlich aussieht, halten Sie an, denn Sie sind wirklich hungrig. Wie würde Maslows Bedürfnishierarchie Ihr Verhalten erklären?
12.1.5
Rückblick: Grundlegende Motivationskonzepte
Verständnisfragen
12.1 – Wie definiert die Psychologie Motivation? Aus wel-
chen Perspektiven betrachtet sie motiviertes Verhalten?
473
12.2 • Hunger
..Tab. 12.1 Klassische Motivationstheorien Theorie
Wichtigste Annahmen
Instinkttheorie/ evolutionäre Psychologie
Es gibt eine genetische Grundlage für nicht erlernte, arttypische Verhaltensweisen (z. B. Nestbau bei Vögeln oder Brustsuche bei menschlichen Säuglingen)
Triebreduktionstheorie
Physiologische Bedürfnisse (wie Hunger und Durst) erzeugen einen Erregungszustand, der uns dazu antreibt, diese Bedürfnisse zu reduzieren (z. B. durch Essen oder Trinken)
Erregungstheorie
Unser Bedürfnis, ein optimales Erregungsniveau aufrechtzuerhalten, motiviert Verhaltensweisen, die kein physiologisches Bedürfnis befriedigen (z. B. unser Verlangen nach Stimulation und unser Bedarf an Informationen)
Maslows Bedürfnishierarchie
Wir priorisieren überlebenswichtige Bedürfnisse und danach soziale Bedürfnisse mehr als die Bedürfnisse nach Wertschätzung und Bedeutung
-----
Schlüsselbegriffe Anreiz Bedürfnishierarchie Homöostase Instinkt Motivation Physiologisches Bedürfnis Triebreduktionstheorie Yerkes-Dodson-Gesetz
Master the Material 1. Die heutige evolutionäre Psychologie teilt eine grundlegende Annahme der Instinkttheorie. Diese Annahme lautet, … a. dass physiologische Bedürfnisse psychologische Effekte herbeiführen. b. dass Erbanlagen artspezifisches Verhalten prädisponieren. c. dass physiologische Bedürfnisse zu Erregungszuständen führen. d. dass externe Bedürfnisse unser Verhalten anspornen und lenken. 2. Ein Beispiel für ein physiologisches Bedürfnis ist ___. Ein Beispiel für einen psychologischen Anreiz ist … a. Hunger; der Drang nach Nahrung zu suchen b. der Drang nach Nahrung zu suchen; Hunger c. Neugier; der Drang, den Erregungszustand zu reduzieren d. der Drang, den Erregungszustand zu reduzieren; Neugier 3. Daniel betritt die Küche eines Freundes, riecht die frischen Plätzchen im Ofen und fühlt sich auf einmal
hungrig. Der Geruch der Plätzchen ist ein ___ (Anreiz/Trieb). 4. Die ___-Theorie versucht, Verhaltensweisen zu erklären, die keine physiologischen Bedürfnisse befriedigen. 5. Bei schwierigen Aufgaben, etwa einer schwierigen Prüfung, ist die Leistung in der Regel dann am besten, wenn das Erregungsniveau die folgende Eigenschaft aufweist. a. Es ist sehr hoch. b. Es ist mäßig. c. Es ist sehr niedrig. d. Es liegt kein Erregungsniveau vor. 6. Nach Maslows Bedürfnishierarchie sind unsere grundlegendsten Bedürfnisse physiologisch und umfassen z. B. das Bedürfnis nach Essen und Trinken. Welche Bedürfnisse liegen auf der Ebene unmittelbar darüber? a. Sicherheit b. Selbstbewusstsein c. Zugehörigkeit d. Selbstüberschreitung 12.2 Hunger
Wenn wir eine Diät machen, bemerken wir sehr schnell, wie stark unsere physiologischen Bedürfnisse sind. Eine lebensnahe Demonstration findet man in der Untersuchung von Ancel Keys und seinen Kolleg:innen (1950), in der sie Freiwillige, die als Alternative zum Kriegsdienst an der Studie teilnahmen, anhaltendem Hunger aussetzten. Nachdem sie eine Gruppe von 200 Männern zunächst für drei Monate normal ernährten, gaben sie 36 von ihnen danach nur noch die Hälfte ihrer ursprünglichen Menge zu essen. Ohne groß darüber nachzudenken, fingen die Männer an, Energie zu sparen; sie schienen lustlos und apathisch zu sein. Ihr Körpergewicht nahm rapide ab und pendelte sich schließlich bei ungefähr 75 % ihres Ausgangsgewichts ein. Doch die psychischen Auswirkungen waren besonders dramatisch. Im Einklang mit Maslows Vorstellung von der Bedürfnishierarchie waren die Männer wie besessen vom Thema Essen. Sie sprachen über Essen. Sie fantasierten über Essen. Sie sammelten Rezepte, lasen Kochbücher, und verbotene Delikatessen waren für sie eine Augenweide. Gleichzeitig verloren sie das Interesse an Sexualität und sozialen Aktivitäten. Sie waren vollauf mit ihren unerfüllten Grundbedürfnissen beschäftigt. Ein Teilnehmer berichtete: „Als wir uns eine Sendung im Fernsehen ansahen, waren die Szenen, in denen Menschen aßen, die interessantesten. Ich konnte über das lustigste Bild nicht lachen, und Liebesszenen waren für mich stumpfsinnig.“ Die Hauptbeschäftigungen der halb verhungerten Männer verdeutlichen die Kraft, mit der aktivierte Motive unser Bewusstsein beanspruchen können (. Abb. 12.6).
12
474
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
..Abb. 12.6 Hunger beansprucht unser Bewusstsein. Louis Zamperini, ein Überlebender des Zweiten Weltkriegs (und Protagonist des Buches und Films Unbroken, aus dem dieses Foto stammt), stürzte mit seinem Flugzeug über dem Pazifik ab. Zusammen mit zwei anderen Besatzungsmitgliedern trieb er 47 Tage lang im Ozean und ernährte
sich lediglich von Vögeln oder Fischen, die die drei gelegentlich fangen konnten. Um sich die Zeit zu vertreiben, rezitierten die hungergeplagten Männer Rezepte oder erinnerten sich an die Hausmannskost ihrer Mütter. (© Universal Pictures/dpa/picture alliance)
» „Wer hungrig ist, will keinen Kuss.“ Dorothea Dix
12.2.1
Wenn man hungrig, durstig, ermüdet oder sexuell erregt ist, spielt kaum etwas anderes eine Rolle (. Abb. 12.7). In Studien der Universität von Amsterdam fanden Nordgren und seine Kolleg:innen (2006, 2007) heraus, dass sich Menschen in einem motivationalen „heißen“ Zustand (durch Ermüdung, Hunger oder sexuelle Erregung) einfach an solche Gefühle aus ihrer eigenen Vergangenheit erinnern können und sie als treibende Kräfte für das Verhalten anderer Personen ansehen. (Vielleicht erinnern Sie sich an einen vergleichbaren Effekt, den wir in 7 Kap. 8 besprochen haben und nach dem unsere momentane gute oder schlechte Stimmung unsere Erinnerungen an gute und schlechte Stimmungen in der Vergangenheit beeinflussen kann.) In einer anderen Studie wurde den Versuchspersonen Geld gegeben, um Gebote für Lebensmittel abzugeben. Waren sie hungrig, boten sie zu viel für Snacks, von denen ihnen gesagt wurde, sie könnten sie später essen, wenn sie satt wären. Wenn sie satt waren, boten die Versuchspersonen hingegen zu wenig für Snacks, von denen ihnen gesagt wurde, sie könnten sie später essen, wenn sie hungrig wären (Fisher & Rangel, 2014). Es fällt uns schwer, uns vorzustellen, was wir im Augenblick nicht fühlen! Auf ähnliche Weise wirkt auf Männer, die sexuell motiviert sind, ein Lächeln eher wie ein Flirt und nicht nur wie freundliches Verhalten (Howell et al., 2012). Wenn man mit einem leeren Magen durch ein Lebensmittelgeschäft läuft, ist es wahrscheinlich, dass man die gefüllten Berliner als genau das ansieht, was man immer geliebt hat und was man morgen haben möchte. Motive sind von überaus wichtiger Bedeutung.
?? 12.2 Welche physiologischen Faktoren rufen Hunger
Physiologie des Hungers
(1801–1887)
12
» „Ein satter Mensch kann die Bedürfnisse des Hungrigen nicht verstehen.“ Irisches Sprichwort
hervor?
Die halb verhungerten Teilnehmer an Keys Experiment empfanden den Hunger als Reaktion ihres homöostatischen Systems, das so angelegt ist, dass das normale Körpergewicht und eine angemessene Versorgung mit Nahrung aufrechterhalten werden. Aber was genau löst das Hungergefühl aus? Ist es das Knurren eines leeren Magens? So fühlt sich Hunger zumindest an. Und so war es anscheinend auch, als Washburn, der zusammen mit Cannon arbeitete (Cannon & Washburn, 1912), zum ersten Mal absichtlich einen Ballon geschluckt hatte. Als der Ballon in seinem Magen aufgeblasen wurde, übermittelte er die Kontraktionen des Magens an einen Sensor (. Abb. 12.8). Während sein Magen überwacht wurde, drückte Washburn jedes Mal auf einen Knopf, wenn er sich hungrig fühlte. Die Entdeckung: Washburns Magen zog sich tatsächlich zusammen, wenn er hungrig war.
» „Die Natur stattet oft die essenziellen Dinge des Lebens – Sex, Essen, Stillen – mit einer eingebauten Belohnung aus.“ Frans de Waal, Morals Without God? (2010)
Was bliebe vom Hunger übrig, wenn der Magen nicht mehr knurrte? Um diese Frage zu beantworten entfernten Forscher die Mägen einiger Ratten und befestigten die Speiseröhren am Dünndarm (Tsang, 1938). Fraßen die Ratten noch? Sie taten es tatsächlich. Auch Menschen, deren Mägen wegen eines Geschwürs oder wegen Krebs entfernt wurden, empfinden noch immer einen gewissen Hunger.
12
475
12.2 • Hunger
..Abb. 12.7 (Mike Twohy/ The New Yorker Collection/ The Cartoon Bank)
Wenn das Knurren eines leeren Magens also doch nicht die einzige Ursache des Hungers ist, was ist sonst noch von Bedeutung?
Glukose („glucose“) – Form des Zuckers, die im Blut zir-
zz Körperchemie und Gehirn
Wie verarbeitet das Gehirn diese Signale und löst einen Alarm aus? Die Arbeit wird von mehreren neuronalen Gebieten übernommen, von denen einige tief im Gehirn im Hypothalamus liegen (. Abb. 12.9, . Abb. 12.10). Dieser neuronale Knotenpunkt umfasst Gebiete, die das Essen beeinflussen. Ein neuronaler Bogen – der sog. Nucleus arcuatus – hat beispielsweise ein Zentrum, das appetitsteigernde Hormone und ein anderes Zentrum, das appetithemmende Hormone ausschüttet. Untersuchungen an diesen und anderen neuronalen Gebieten zeigen, dass gut genährte Tiere bei elektrischer Stimulation eines appetitsteigernden Zentrums zu essen beginnen. Wurde dieser Teil aber zerstört, interessieren sich auch hungernde Tiere nicht für Futter. Das Gegenteil tritt auf, wenn ein appetithemmendes Gebiet elektrisch stimuliert wird: Die Tiere hören auf zu essen. Zerstört man dieses Gebiet, essen
Um einen Energiemangel zu vermeiden und das Körpergewicht stabil zu halten, reguliert der Mensch – genau wie andere Tiere – seine Kalorienaufnahme automatisch. Der Körper führt also irgendwie und irgendwo Buch über seine verfügbaren Ressourcen. Die Glukose, der Blutzucker, ist eine solche Ressource. Das Hormon Insulin, das von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttet wird, baut den Blutzucker ab, indem es ihn teilweise in Körperfett verwandelt. Wenn Ihr Blutzuckerspiegel plötzlich sinkt, fühlen Sie diese Veränderung nicht bewusst. Ihr Gehirn, das automatisch die Zusammensetzung Ihres Blutes und die Verhältnisse im Inneren Ihres Körpers überwacht, wird jedoch Hunger auslösen. Magen, Darm und Leber signalisieren Ihrem Gehirn, ob gerade genügend Glukose vorhanden ist oder nicht, also, ob gegessen werden soll oder nicht.
..Abb. 12.8 Die Aufzeichnung von Magenkontraktionen. (Nach Cannon, 1929)
kuliert und die Hauptenergiequelle für das Körpergewebe darstellt. Sinkt der Glukosespiegel, fühlen wir uns hungrig.
Washburn schluckt einen Ballon, der die Magenkontraktionen misst.
Magenkontraktionen Washburn drückt jedes Mal auf einen Knopf, wenn er hungrig ist.
Hungergefühle
0
1
2
3
4
5
6
7
Zeit in Minuten
8
9 10
476
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
..Abb. 12.9 Der Hypothalamus. Der Hypothalamus (gelb) steuert viele Funktionen zur Aufrechterhaltung des Körpers, darunter den Hunger. Blutgefäße versorgen den Hypothalamus, dadurch kann er auf die aktuelle chemische Zusammensetzung des Blutes und auf die eingehenden neuronalen Informationen über den Zustand des Körpers reagieren. (© Roger Harris/Science Photo Library)
12
die Tiere immer mehr und werden extrem dick (Duggan & Booth, 1986; Hoebel & Teitelbaum, 1966). Blutgefäße verbinden den Hypothalamus mit dem Rest des Körpers, sodass er auf die aktuelle Zusammensetzung des Blutes und andere ankommende Informationen reagieren kann. Eine seiner Aufgaben ist die Überwachung der Hormonspiegel in Bezug auf die Appetithormone des Körpers. So z. B. die Überwachung des Hormons Ghrelin, das Hunger hervorruft und bei leerem Magen ausgeschüttet wird. Wenn sich Personen mit schwerer Fettleibigkeit einer Bypass-Operation unterziehen, bei der ein Teil des Magens versiegelt wird, produziert der verbleibende Magen weniger Ghrelin und der Appetit geht zurück (Ammori, 2013; Lemonick, 2002). Weitere Appetithormone sind Leptin und PYY, die beide Hunger mindern, und Orexin, das Hunger auslöst (. Abb. 12.11). Die Manipulation von Appetithormonen, die man in Experimenten vornahm, weckte durchaus die Hoffnung, dass man einen Appetitzügler finden könnte. Ein solches Nasenspray oder Hautpflaster könnte den Hunger produzierenden chemischen Stoffen des Körpers entgegenwirken oder die Wirkung der chemischen Stoffe, die den Hunger reduzieren, nachahmen oder sogar verstärken. Ihr Gehirn ist auch für die Gewichtszunahme verantwortlich (Cornier, 2011). Die komplexe Interaktion von Appetithormonen und der Gehirnaktivität könnte die offensichtliche Veranlagung des Körpers, ein bestimmtes Gewicht zu halten, erklären. Verlieren halb verhungerte Ratten Gewicht, signalisiert dieses „Gewichtsthermostat“ dem Körper, das verlorene Gewicht wiederherzu-
..Abb. 12.10 Belege für die Steuerung des Hungers durch das Gehirn. Das Zerstören eines appetithemmenden Zentrums des Hypothalamus führte dazu, dass sich das Gewicht dieser Ratte verdreifachte. (© PHANIE/VOISIN/Science Photo Library)
stellen. Es ist, als ob die Fettzellen „Füttere mich!“ rufen und sich Glukose aus der Blutbahn beschaffen (Ludwig & Friedman, 2014). Der Hunger der Tiere wird größer und ihr Energieverbrauch geringer. Steigt das Körpergewicht an – z. B. wenn Ratten zwangsweise gefüttert werden – verringert sich ihr Hunger, und ihr Energieverbrauch steigt an. Das stabile Gewicht, auf das sich die hungernden und die gesättigten Ratten zubewegen, ist ihr Set Point (Keesey & Corbett, 1984). Bei Ratten und bei Menschen beeinflusst das Erbgut die Körperform und den Set Point. Set Point (Sollwert; „set point“) – Punkt, auf den der in-
dividuelle „Körperthermostat“ ausgerichtet ist. Fällt das Körpergewicht unter diesen Punkt, führt normalerweise eine Steigerung des Hungers und eine Senkung des Stoffwechsels dazu, dass man wieder zunimmt. Der menschliche Körper reguliert sein Gewicht über die Steuerung der Nahrungsaufnahme, des Energieverbrauchs und des Grundumsatzes, d. h. der Energiemenge, die für die Erhaltung der grundlegenden Körperfunktionen im Ruhezustand benötigt wird. Als sie nach sechs Monaten aufhörten zu hungern, hatten sich die Männer, die an Keys Experiment teilnahmen, auf 75 %
477
12.2 • Hunger
Orexin
auf das Niveau zu verweisen, auf das sich das Gewicht einer Person in Reaktion auf die Kalorienaufnahme und die Verausgabung einstellt (dies wird von der Umwelt, aber auch von der Biologie beeinflusst). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Hunger entsteht als Reaktion auf einen ___ (niedrigen/hohen) Blutzuckerspiegel und einen ___ (niedrigen/hohen) Ghrelinspiegel.
12.2.2
Psychologie des Hungers
?? 12.3 Welche kulturellen und situativen Faktoren Leptin
Ghrelin Insulin
PYY
..Abb. 12.11 Die Appetithormone. Appetitsteigernd: Ghrelin, vom leeren Magen ausgeschüttetes Hormon, sendet das Signal ans Gehirn: „Ich bin hungrig.“ Orexin, vom Hypothalamus ausgeschüttetes Hormon, das Hunger auslöst. Appetithemmend: Insulin, von der Bauchspeicheldrüse ausgeschüttetes Hormon; steuert den Blutzuckerspiegel. Leptin, von den Fettzellen ausgeschüttetes Hormon (ist es im Überfluss vorhanden, erhöht das Gehirn den Stoffwechsel und verringert den Hunger), und PYY, Hormon des Verdauungstrakts, das das Signal ans Gehirn sendet: „Ich bin nicht hungrig.“
ihres Ausgangsgewichts eingependelt, obwohl sie nur halb so viel aßen wie zuvor. Diese Stabilisierung ergab sich aus einer Verringerung ihres Energieverbrauchs, der zum Teil durch körperliche Lethargie bewirkt wurde, und teilweise durch eine Herabsetzung ihres Grundumsatzes um 29 %. Grundumsatz („basal metabolic rate“) – Energiemenge,
die ein Körper im Ruhezustand verbraucht. Einige Forschende bezweifeln jedoch, dass unser Körper über eine voreingestellte Tendenz verfügt, das optimale Körpergewicht aufrechtzuerhalten (Assanand et al., 1998). Sie glauben, dass langsame, anhaltende Veränderungen des Körpergewichts zu einer Anpassung des Set Points führen könnten und dass psychische Faktoren manchmal auch unsere Hungergefühle beeinflussen können. Wenn sie Zugang zu einer breiten Vielfalt wohlschmeckender Nahrungsmittel haben, neigen Menschen und andere Lebewesen dazu, zu viel zu essen und zuzunehmen (Raynor & Epstein, 2001). Aus all diesen Gründen haben einige Forschende die Vorstellung eines biologisch feststehenden Set Points aufgegeben. Sie ziehen den Begriff Einstellpunkt („settling point“) vor, um
beeinflussen Hunger?
Unsere Bereitschaft zu essen, wird tatsächlich von unserem physiologischen Zustand angetrieben, von unserer Körperchemie und der Aktivität des Hypothalamus. Trotzdem spielt beim Hunger nicht nur der Magen eine Rolle. Dies wurde sehr deutlich, als Rozin et al. (1998) zwei Patienten mit Amnesie untersuchten, die sich nicht an Ereignisse erinnern konnten, die länger als 1 min zurücklagen. Bot man den Patienten 20 min nach ihrem normalen Mittagessen eine weitere Mahlzeit an, verspeisten beide Patienten auch diese bereitwillig … und normalerweise auch noch eine dritte Mahlzeit 20 min nach Beendigung der zweiten. Daraus lässt sich folgern, dass ein Teil unseres Wissens, wann wir essen sollen, daraus entsteht, dass wir uns daran erinnern, wann wir das letzte Mal gegessen haben. Ist eine geraume Zeit seit unserer letzten Mahlzeit verstrichen, wissen wir, dass es bald wieder Essen gibt, und werden hungrig.
Geschmacksvorlieben: Biologie oder Kultur? Die Körperchemie und äußere Faktoren haben nicht nur Einfluss darauf, wann wir hungrig werden, sondern auch, worauf wir Hunger haben; sie haben also Einfluss auf unsere Geschmacksvorlieben. Wenn Sie sich angespannt oder deprimiert fühlen, spüren Sie dann ein Verlangen nach Essen mit vielen Kohlenhydraten, wie es etwa bei Fußballfans nach einer schweren Niederlage der Fall ist (Cornil & Chandon, 2013)? Kohlenhydrate tragen dazu bei, dass der Neurotransmitter Serotonin, der beruhigend wirkt, vermehrt ausgeschüttet wird. Sogar Ratten finden es besonders angenehm, Oreo-Kekse zu verschlingen, wenn sie gestresst sind (Artiga et al., 2007; Sproesser et al., 2014; . Abb. 12.12). Unsere Vorliebe für süße und salzige Nahrungsmittel ist angeboren und universell. Andere Geschmacksvorlieben werden erlernt; so entwickeln Menschen z. B. eine Vorliebe für stark gesalzene Nahrungsmittel, wenn sie sie häufig bekommen haben (Beauchamp, 1987).
12
478
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
..Abb. 12.12 (© Alex Gregory/Search ID: CC52585, Rights Available from CartoonStock.com)
12
Oder sie entwickeln eine Aversion gegen ein bestimmtes Nahrungsmittel, wenn sie kurz danach ernsthaft krank geworden sind. (Die Häufigkeit, mit der Kinder krank werden, vergrößert die Wahrscheinlichkeit, dass sie Aversionen gegen Nahrungsmittel erlernen.) Auch die Kultur beeinflusst die Geschmacksvorlieben (. Abb. 12.13). Viele Menschen in Japan genießen Natto, ein Gericht aus fermentierten Sojabohnen, von dem die Geruchsexpertin Rachel Herz (2012) schreibt, dass es „wie die Vermählung von Ammoniak und einem brennenden Reifen riecht“. Asiat:innen, fügt sie hinzu, sind oft angewidert von Essen, das viele Menschen in westlichen Ländern lieben – „die verfaulte Körperflüssigkeit eines Huftiers“ (also Käse, von dem einige Sorten dieselben Bakterien und denselben Geruch wie stinkende Füße haben). Ratten neigen dazu, ihnen nicht vertraute Nahrung zu meiden (Sclafani, 1995). Genauso ist es auch bei uns Menschen (besonders bei Nahrungsmitteln tierischen
a ..Abb. 12.13 a,b Erworbener Geschmack. Überall auf der Welt lernen Menschen das fette, bittere oder scharfe Essen zu schätzen, das für ihre Kultur typisch ist. a In Malawi ist getrockneter Wels ein
Ursprungs). Diese Neophobie (die Angst gegenüber dem Neuen) war gewiss sinnvoll für unsere Ahnen, da sie auch ein Schutz vor möglicherweise giftigen Substanzen war. Ekel zahlt sich aus. Dennoch wurde in Experimenten, in denen Menschen neue Obstsäfte oder Speisen aus einer anderen Kultur mehrmals probierten, gezeigt, dass ihnen der neue Geschmack meistens umso mehr gefiel, je häufiger sie die Nahrung zu sich nahmen. Auch erhöht sich unsere Bereitschaft, etwas Neues zu kosten, sobald wir einmal eine solche Erfahrung gemacht haben (Pliner, 1982; Pliner et al., 1993). Andere Geschmacksvorlieben haben ebenso einen Sinn für die Anpassung. So verhindern z. B. die Gewürze, deren Verwendung in heißen Ländern verbreitet ist, wo Speisen – vor allem Fleisch – schnell verderben, das Wachstum von Bakterien (. Abb. 12.14). Schwangerschaftsübelkeit ist ein weiteres Beispiel für nützliche Geschmacksvorlieben. Nahrungsmittelaversionen, die auf diese Übelkeit zurückgehen und den sich entwickelnden Embryo schützen, treten vor allem um die 10. Woche herum auf, wenn die Gefahr am größten ist, dass der Embryo durch Giftstoffe geschädigt wird. Es gibt also eine Art biologische Weisheit für unsere Geschmacksvorlieben.
Situative Einflüsse auf das Essverhalten Situationen beeinflussen unser Essverhalten ebenfalls in einem erstaunlichen Ausmaß. Die Psychologie bezeichnet dieses Phänomen als die Ökologie des Essens. Hier sind fünf situative Einflüsse, die Sie vielleicht selbst beobachtet, aber unterschätzt haben: Appetitsteigerung: In einem Experiment verdoppelte das Anschauen eines spannenden Actionfilms (anstatt eines weniger aufregenden Interviews) das Naschen (Tal et al., 2014). Freunde und Essen: Essen wir mehr, wenn wir mit anderen zusammen sind? Auf die meisten von uns
-
b wohlschmeckender Snack. b In Peru ist geröstetes Meerschweinchen gleichermaßen köstlich. (a: © Ashley Cooper/Global Warming Images/ picture alliance; b: © Apexphotos/Loop Images/picture alliance)
479
Anzahl der Gewürze pro Rezept
12.2 • Hunger
10 8 6 4 2 0
0
5
10
15
20
25
30
Durchschnittliche Jahrestemperatur (in Grad Celsius) ..Abb. 12.14 In heißen Regionen liebt man scharfe Gewürze. In Ländern mit heißem Klima, wo Nahrung immer schon schneller verdarb, entwickelten sich Rezepte mit mehr Gewürzen, die Bakterien abtöten (Sherman & Flaxman, 2001). In Indien würzt man ein Fleischgericht durchschnittlich mit 10, in Finnland mit 2 Gewürzen
trifft dies zu (Herman et al., 2003; Hetherington et al., 2006). Nach einer Feier bemerken Sie vielleicht, dass Sie sich übergessen haben. Das passiert, weil die Anwesenheit anderer unsere natürlichen Verhaltenstendenzen verstärken kann. (Mehr zu dieser sozialen Erleichterung finden Sie in 7 Kap. 14.) Der Einfluss von Portionsgrößen: In der Forschung wurde der Effekt von Portionsgrößen untersucht, indem Versuchspersonen verschiedene Sorten kostenloser Snacks angeboten wurden. Sie legten beispielsweise in die Eingangshalle eines Mehrfamilienhauses entweder ganze oder halbe Salzbrezeln, große oder kleine Kaubonbons oder eine große Schüssel M&Ms mit entweder einem kleinen oder einem großen Schöpflöffel. Ihre Ergebnisse waren einheitlich: Menschen nehmen mehr Kalorien zu sich, wenn ihnen eine überdimensionierte Standardportion angeboten wird. Werden Nudeln angeboten, essen Menschen mehr, wenn sie einen größeren Teller bekommen (Van Ittersum & Wansink, 2012). Größere Portionen führen oft zu größeren Bissen, was die Nahrungsaufnahme durch eine verkürzte Kauzeit erhöhen kann (Herman et al., 2015). Kinder essen auch mehr, wenn sie Geschirr in Erwachsenengröße (anstatt in Kindergröße) verwenden (DiSantis et al., 2013). Selbst Ernährungsberater:innen nahmen 31 % mehr zu sich, wenn ihnen die große anstelle der kleinen Schüssel angeboten wurde (Wansink, 2014; Wansink et al., 2006). Portionsgrößen spielen eine große Rolle. Auswahl an Nahrungsmitteln. Nahrungsvielfalt stimuliert ebenfalls das Essverhalten. Wenn uns ein Nachtischbuffet angeboten wird, essen wir meistens mehr, als wenn wir uns eine Portion von unserem Lieblingsnachtisch aussuchen dürfen. Dieses Verhalten macht auch biologisch Sinn. Wenn es verschiedene Sorten
..Abb. 12.15 (Christopher Weyant/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
von Nahrung im Überfluss gibt, versorgt das Essen uns mit mehr benötigten Vitaminen und Mineralien und produziert Fett, das uns vor der Kälte im Winter und in Hungersnöten schützt. Wenn keine großen Mengen abwechslungsreicher Nahrung verfügbar sind, essen wir weniger. Dies verlängert die Nahrungsmittelversorgung bis zum Ende des Winters oder der Hungersnot (Polivy et al., 2008; Remick et al., 2009).
-
-
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Nach einer achtstündigen Wandertour ohne Essen wird Ihnen Ihr lang ersehntes Lieblingsgericht serviert und Ihnen läuft das Wasser schon im Voraus im Mund zusammen. Warum?
-
Nährstoffversorgung: Ein Forschungsteam vervierfachte den Karottenverzehr, indem es Schulkindern, die in einer Schlange auf ihr Mittagessen warteten, Karotten vor anderen Speisen anbot (Redden et al., 2015). Ein neues Tablett für Mittagessen an amerikanischen Schulen stellt Obst und Gemüse in den Vordergrund und breitet das Hauptgericht in einem flachen Fach aus, damit es größer aussieht (Wansink, 2014; . Abb. 12.15). Solche „Stupser“ („nudges“) unterstützen eine Verordnung der Obama-Regierung aus dem Jahr 2015, „verhaltenswissenschaftliche Erkenntnisse zu nutzen, um das amerikanische Volk besser zu versorgen“.
Eine Übersicht darüber, wie Hunger und andere Faktoren unser Gewicht beeinflussen, finden Sie in . Abb. 12.16. Tipps zum Abnehmen finden Sie in . Tab. 12.2.
12
480
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
..Tab. 12.2 Gewichtsmanagement. Menschen, die mit Adipositas zu kämpfen haben, sind gut beraten, sich in medizinische Behandlung zu begeben. Für andere, die gerne ein paar Pfunde abnehmen möchten, haben Forschende die folgenden Tipps anzubieten:
12
Beginnen Sie nur, wenn Sie motiviert sind und Selbstdisziplin haben
Eine dauerhafte Gewichtsabnahme erfordert in der Regel eine lebenslange Umstellung der Essgewohnheiten in Kombination mit mehr Bewegung.
Bewegen Sie sich und schlafen Sie ausreichend
Vor allem, wenn sie durch 7 bis 8 Stunden Schlaf pro Nacht unterstützt wird, leert Bewegung die Fettzellen, baut Muskeln auf, beschleunigt den Stoffwechsel, hilft, den Sättigungspunkt zu senken, und reduziert Stress und das stressbedingte Verlangen nach kohlenhydratreichem Essen (Bennett, 1995; Ruotsalainen et al., 2015; Thompson et al., 1982).
Achten Sie darauf, dass Sie so wenig wie möglich verlockenden Essensreizen ausgesetzt sind
Gehen Sie mit vollem Magen einkaufen. Halten Sie verlockende Lebensmittel aus dem Haus, und verstauen Sie Lebensmittel für besondere Anlässe.
Begrenzen Sie die Nahrungsvielfalt und essen Sie gesunde Lebensmittel
Bei mehr Vielfalt essen Menschen mehr. Essen Sie also einfache Mahlzeiten mit Gemüse, Obst und Vollkornprodukten. Gesunde Fette, wie sie in Olivenöl und Fisch enthalten sind, helfen, den Appetit zu regulieren (Taubes, 2001, 2002). Wasser- und vitaminreiches Gemüse kann den Magen mit wenigen Kalorien füllen.
Verringern Sie die Portionsgrößen
Servieren Sie Speisen mit kleineren Schüsseln, Tellern und Besteck.
Hungern Sie nicht den ganzen Tag und essen Sie dann nicht eine große Mahlzeit am Abend
Dieses Muster des Essverhaltens, das unter Übergewichtigen verbreitet ist, verlangsamt den Stoffwechsel. Außerdem sind diejenigen, die ein ausbalanciertes Frühstück zu sich nehmen, am späten Vormittag wacher und weniger träge (Spring et al., 1992).
Hüten Sie sich vor Fressattacken
Bei Menschen, die bewusst ihr Essen einschränken, kann Alkoholkonsum oder das Gefühl, Angst zu haben oder deprimiert zu sein, einen Drang zum Essen auslösen (Herman & Polivy, 1980). Besonders bei Männern führt langsames Essen dazu, dass sie weniger essen (Martin et al., 2007).
Bevor Sie mit anderen essen, entscheiden Sie, wie viel Sie essen möchten
Mit Freunden zu essen, kann uns davon ablenken, unser eigenes Essverhalten zu überwachen (Ward & Mann, 2000).
Denken Sie daran, dass die meisten Menschen gelegentlich einen Fehler machen
Gelegentliche Fehltritte sind kein Weltuntergang.
Zeichnen Sie Ihren Fortschritt online auf
Diejenigen, die ihre Fortschritte auf dem Weg zu einem Ziel aufzeichnen und öffentlich bekannt geben, erreichen ihr Ziel häufiger (Harkin et al., 2016).
Suchen Sie sich eine Selbsthilfegruppe
Verbinden Sie sich mit anderen, mit denen Sie Ihre Ziele und Fortschritte teilen können – entweder von Angesicht zu Angesicht oder online (Freedman, 2011).
Adipositas („obesity“) – Definiert als ein Body-Mass-In-
dex (BMI) von 30 oder höher. (Übergewichtige Personen haben einen BMI von 25 oder höher.)
12.2.3
Rückblick: Hunger
Verständnisfragen
12.2 – Welche physiologischen Faktoren rufen Hunger ?? 12.4 Wie wirkt sich Adipositas auf die physische
und psychische Gesundheit aus und welche Faktoren spielen beim Gewichtsmanagement eine Rolle? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum können zwei Menschen bei gleicher Körpergröße, gleichem Alter und gleichem Aktivitätsniveau das gleiche Gewicht halten, auch wenn einer von ihnen viel weniger isst als der andere?
hervor? 12.3 – Welche kulturellen und situativen Faktoren beeinflussen Hunger? 12.4 – Wie wirkt sich Adipositas auf die physische und psychische Gesundheit aus und welche Faktoren spielen beim Gewichtsmanagement eine Rolle?
---
Schlüsselbegriffe Adipositas Glukose Grundumsatz Set Point
12
481
12.2 • Hunger
Ein zunehmendes Problem Adipositas hängt zusammen mit: • körperlichen Gesundheitsrisiken, wie Diabetes, Bluthochdruck, Herzkrankheiten, Gallensteinen,
In KEINEM Land verringerte sich die Übergewichtsrate.
Arthritis und einigen Krebsarten.1 • häufigeren Depressionen, insbesondere bei Frauen.2 • Mobbing, (unter Jugendlichen in westlichen Kulturen ist Adipositas vor Hautfarbe und sexueller Orientierung der häufigste
• Diese ideale Form der Energiespeicherung half unseren Vorfahren dabei, Hungerperioden zu überstehen. Menschen, die in armen Regionen leben, finden schwerere Körper immer noch attraktiv, da sie auf Wohlstand und Status hinweisen.8 • In nahrungsreichen Ländern ist das Verlangen nach Fett dysfunktional geworden.9
UMWELTFAKTOREN
Die Unterschiede sind beträchtlich und reichen von 3% in Osttimor bis zu 85% in Tonga.
45
35 30 25
Übergewicht
25+ 30+
Frauen
Vergleichen Sie Ihren BMI mit anderen Menschen in Ihrem Land und weltweit.
Männer
20 1975 1980
Adipositas
2013
Jahr
tinyurl.com/GiveMyBMI
Ist Übergewicht ein Zeichen mangelnder Willenskraft, wie die meisten Menschen annehmen?7
PHYSIOLOGISCHE FAKTOREN Die Fettspeicherung war adaptiv.
50%
40 Seit 1975 hat sich die Übergewichtsrate weltweit fast verdreifacht.5 In den USA hat sich die Übergewichtsrate bei Erwachsenen mehr als verdoppelt und bei Kindern und Jugendlichen vervierfacht.6
Grund für Mobbing).3
Wie kam es dazu?
Body-Mass-Index (BMI)
Prozentsatz übergewichtiger Menschen in 188 untersuchten Ländern4
Nein. Zahlreiche Faktoren tragen zu Übergewicht bei.
Sollwert und Stoffwechsel sind wichtig. • Eine geringere Nahrungsaufnahme ist nötig, um Fett (niedrigerer Stoffwechsel als Muskeln) zu erhalten als es zuzulegen. • Sinkt unser Gewicht unter den Sollwert (Set Point), löst unser Gehirn ein stärkeres Hungergefühl und einen niedrigeren Stoffwechsel aus. • Unser Körper nimmt dies als VERHUNGERN wahr und passt sich an, indem er weniger Kalorien verbrennt. Die meisten Menschen, die eine Diät machen, nehmen auf lange Sicht das Gewicht, das sie durch ein Abnehmprogramm verloren haben, wieder zu.10 • 30-wöchige Teilnahme an der Fernsehshow „The Biggest Loser“ 6 Jahre später Nur 1 von 14 Teilnehmenden konnte das verringerte Gewicht halten. Im Durchschnitt nahmen sie 70% ihres Gewichts wieder zu und hatten immer noch Schwierigkeiten mit einer verringerten Kalorienverbrennung aufgrund ihres verlangsamten Stoffwechsels.11
Unsere Gene beeinflussen uns. • Schlanke Menschen scheinen von Natur aus dazu veranlagt zu sein, sich zu bewegen und dabei mehr Kalorien zu verbrennen als energiesparende übergewichtige Menschen, die dazu neigen, länger still zu sitzen.12 • Das Körpergewicht adoptierter Kinder korreliert weder mit dem ihrer Geschwister noch mit dem ihrer Adoptiveltern. Stattdessen ähnelt es dem Gewicht ihrer biologischen Eltern.13 • Eineiige Zwillinge haben ein sehr ähnliches Gewicht, auch wenn sie getrennt aufwachsen.14 Die viel geringere Korrelation zwischen dem Gewicht zweieiiger Zwillinge lässt vermuten, dass zwei Drittel der Unterschiede in unserem Körpergewicht auf unsere Gene zurückzuführen sind.15 • Es wurden etwa 100 Gene identifiziert, von denen jedes auf irgendeine kleine Weise unser Gewicht beeinflusst.16
MERKE: Wie auch bei der Intelligenz (siehe Kapitel 10) und anderen Zunahme Merkmalen kann beim Gewicht ein Abnahme hohes Maß an Heritabilität Schlafentzug (genetischer Einfluss auf individuelle Unterschiede) vorliegen, ohne dass die Ghrelin – Appetit anregendes Magenhormon Leptin – meldet Körperfett an das Gehirn Vererbung Gruppenunterschiede erklärt. Unsere Gene bestimmen • Soziale Einflüsse: Die Wahrscheinlichkeit, dass wir selbst übergewichtig sind, verdreifacht sich, wenn ein hauptsächlich, warum heutzutage ein 18 enger Freund oder eine enge Freundin übergewichtig ist. Mensch mehr wiegt als ein anderer. Die • Ernährung und Bewegung: Weltweit essen Menschen mehr und bewegen sich weniger. 31% aller Umwelt bestimmt vor allem, warum Erwachsenen (43% in den USA und 25% in Europa) verbringen heute einen Großteil ihrer Zeit sitzend und bewegen sich Menschen heute generell mehr wiegen als Menschen vor 50 Jahren. weniger als 20 Minuten pro Tag leicht, indem sie beispielsweise zu Fuß gehen.19
• Schlafmangel macht uns anfälliger für Übergewicht.17
1 Kitahara et al., 2014. 2 de Wit et al., 2010; Luppino et al., 2010. 3 Puhl et al., 2015. 4 Ng et al., 2014 . 5 NCD, 2016. 6 Flegal et al., 2010, 2012, 2016. 7 NORC, 2016b. 8 Furnham & Baguma, 1994; Nettle et al., 2017; Swami, 2015. 9 Hall, 2016. 10 Mann et al., 2015. 11 Fothergill et al., 2016. 12 Levine et al., 2005. 13 Grilo & Pogue-Geile, 1991. 14 Hjelmborg et al., 2008; Plomin et al., 1997. 15 Maes et al., 1997. 16 Locke et al., 2015. 17 Keith et al., 2006; Nedeltcheva et al., 2010; Taheri, 2004; Taheri et al., 2004. 18 Christakis & Fowler, 2007. 19 Hallal et al., 2012.
..Abb. 12.16 Kritisch nachdenken über: Die Herausforderungen von Adipositas und Gewichtskontrolle
Master the Material 1. Journalistin Dorothy Dix schrieb: „Wer hungrig ist, will keinen Kuss.“ Auf welche Weise unterstützt Maslows Bedürfnishierarchie diese Aussage? 2. Nach dem Konzept der ___ versucht unser Körper, ein bestimmtes Körpergewicht aufrechtzuerhalten.
3. Welche der folgenden Verhaltensweisen ist eine genetisch veranlagte Reaktion auf Essen? a. die Abneigung, Hunde und Katzen zu essen b. ein Interesse an neuartigen Speisen c. eine Vorliebe für salziges und süßes Essen d. eine Abneigung gegenüber Kohlenhydraten
482
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
4. Unser Blutzuckerspiegel versorgt unseren Körper mit Energie. Wenn er ___ (hoch/niedrig) ist, werden wir hungrig. 5. Das Ausmaß, in dem unser Körper im Ruhezustand Energie verbraucht, wird als ___ bezeichnet. 6. Adipösen Menschen fällt es schwer, langfristig Gewicht zu verlieren. Dafür gibt es verschiedene Gründe, darunter … a. das Einhalten einer Diät führt zu Neophobie. b. der Set Point adipöser Menschen liegt unter dem allgemeinen Durchschnitt. c. das Einhalten einer Diät erhöht den Stoffwechsel. d. es gibt einen genetischen Einfluss auf das Körpergewicht. 7. Sanjay hat vor kurzem die Essgewohnheiten eines typischen Universitätsstudenten übernommen und isst vermehrt verarbeitete Lebensmittel und Zucker. Er weiß, dass er an Gewicht zunehmen könnte, denkt aber, dass das kein größeres Problem darstellt, weil er es in Zukunft einfach wieder abnehmen kann. Wie würden Sie Sanjays Plan bewerten? 12.3 Sexuelle
12
Motivation
Sexualität gehört zum Leben. Eine kleine Gruppe von Menschen ist asexuell, aber für die allermeisten von uns werden Dating und Geschlechtsverkehr in der Pubertät zu sehr wichtigen Themen. Unsere sexuellen Empfindungen und Verhaltensweisen werden von physiologischen und psychologischen Faktoren beeinflusst.
» „Es ist eine fast universelle Erfahrung – eine unsichtbare
Bestimmung auf der Geburtsurkunde, die festlegt, dass man, sobald man die Reife erreicht hat, den Drang fühlen wird, an Aktivitäten teilzunehmen, die oft mit der Ausstellung von noch mehr Geburtsurkunden einhergehen.“ Wissenschaftsautorin Natalie Angier (2007)
12.3.1
Physiologie der Sexualität
Sex ist anders als Hunger, denn er stellt kein wirkliches Bedürfnis dar. (Ohne Sex fühlen wir uns vielleicht, als ob wir sterben müssten, aber wir tun es nicht.) Dennoch motiviert Sex. Hätten Ihre Vorfahr:innen das nicht so empfunden, würden Sie dieses Buch nicht lesen. Sexuelle Motivation ist der clevere Trick der Natur, die Menschen dazu zu bringen, sich fortzupflanzen und damit das Überleben ihrer Art zu sichern. Leben wird durch Sex weitergegeben.
Hormone und Sexualität ?? 12.5 Wie beeinflussen Hormone die menschliche
sexuelle Motivation?
Geschlechtshormone gehören zu den Faktoren, die das Sexualverhalten beeinflussen. Das wichtigste männliche Geschlechtshormon ist Testosteron. Die wichtigsten weiblichen Geschlechtshormone sind Östrogene (wie etwa Östradiol). Diese Hormone beeinflussen uns über unser gesamtes Leben hinweg: Vor unserer Geburt steuern sie unsere Geschlechtsentwicklung. In der Pubertät leitet ein Geschlechtshormonschub den Eintritt in die Adoleszenz ein. Nach der Pubertät und bis ins späte Erwachsenenalter beeinflussen Geschlechtshormone unser Sexualverhalten.
-
Bei den meisten Säugetieren sind Sexualität und Fruchtbarkeit eng verknüpft. Das weibliche Tier wird sexuell empfänglich, wenn die Produktion der Östrogene während des Eisprungs ihren Höhepunkt erreicht. In Experimenten kann die sexuelle Empfänglichkeit weiblicher Tiere mit Östrogen stimuliert werden. Der männliche Hormonspiegel ist konstanter und Forschende können das Sexualverhalten männlicher Tiere nicht so leicht mit Hormonen manipulieren (Piekarski et al., 2009). Trotzdem verlieren kastrierte Hamster ohne Hoden, die normalerweise das Geschlechtshormon Testosteron produzieren, allmählich ihr Interesse an empfangsbereiten weiblichen Tieren. Injiziert man ihnen Testosteron, kommt es jedoch nach und nach zurück. Asexuell („asexual“) – das Fehlen sexuellen Interesses an
anderen. Testosteron („testosterone“) – das wichtigste männliche
Geschlechtshormon; es kommt sowohl bei Frauen als auch bei Männern vor. Aber das zusätzliche Testosteron bei männlichen Lebewesen stimuliert das Wachstum der männlichen Geschlechtsorgane im Fötus und die Entwicklung der männlichen Geschlechtsmerkmale während der Pubertät. Östrogen („estrogen“) – Geschlechtshormon (z. B. Östradiol), das bei Frauen in größerem Umfang vorkommt als bei Männern, und das zur Entstehung weiblicher Geschlechtsmerkmale beiträgt. Der Östrogenspiegel erreicht beim Eisprung seinen Höhepunkt. Bei nichtmenschlichen weiblichen Säugetieren regt dies die sexuelle Empfänglichkeit an. Bei Menschen ist der Einfluss der Geschlechtshormone auf das menschliche Sexualverhalten nicht so eindeutig festzumachen. Die Forschungslage hinsichtlich der Frage, ob sich die Partnerpräferenzen von Frauen über den Menstruationszyklus hinweg ändern, ist nach wie vor uneindeutig (Gildersleeve et al., 2014; Wood et al., 2014a). Zum Zeitpunkt des Eisprungs steigt der Östrogenspiegel bei Frauen an. Dies trifft auch auf ihr Testosteron zu, wobei der Zuwachs hier jedoch geringer ist. Es
483
12.3 • Sexuelle Motivation
gibt Hinweise darauf, dass bei Frauen mit Partnern das sexuelle Verlangen zum Zeitpunkt des Eisprungs leicht ansteigt – eine Veränderung, die Männer manchmal im Verhalten und in der Stimme der Frauen erkennen können (Haselton & Gildersleeve, 2011, 2016). Frauen haben viel weniger Testosteron als Männer. Zudem reagieren Frauen viel stärker als andere weibliche Säugetiere auf ihren Testosteronspiegel (Davison & Davis, 2011; van Anders, 2012). Sinkt der natürliche weibliche Testosteronspiegel (z. B. nach einer Entfernung der Eierstöcke oder der Nebenniere), schwindet bei der betroffenen Frau häufig das sexuelle Verlangen. Experimente mit chirurgisch oder natürlich menopausalen Frauen haben auch gezeigt, dass eine Testosteronersatztherapie diese verminderte sexuelle Aktivität und Erregung sowie das sexuelle Verlangen oft wiederherstellen kann (Braunstein et al., 2005; Buster et al., 2005; Petersen & Hyde, 2011). Männern mit unnormal niedrigem Testosteronspiegel kann normalerweise eine Testosteronersatztherapie helfen, die häufig ihren Geschlechtstrieb und gleichzeitig auch ihre Energie und Vitalität steigert (Khera et al., 2000). Allerdings haben bei Männern normale Schwankungen im Testosteronspiegel, die von Mann zu Mann und über die Zeit hinweg auftreten, kaum Auswirkungen auf das sexuelle Verlangen (Byrne, 1982). Tatsächlich verändert sich der Testosteronspiegel bei Männern mitunter als Reaktion auf sexuelle Stimulation (Escase et al., 2011). Fluktuationen im männlichen Hormonspiegel entstehen nämlich als Reaktion auf sexuelle Stimulation. Wenn eine attraktive Frau anwesend ist, steigt der Testosteronspiegel australischer Skateboarder stark an, was zu riskanteren Moves und mehr Bruchlandungen führt (Ronay & von Hippel, 2010). Die sexuelle Erregung kann daher sowohl Ursache als auch Ergebnis einer Erhöhung des Testosteronspiegels sein. Große Hormonveränderungen wirken sich auf das sexuelle Verlangen im Laufe des Lebens an zwei vorhersehbaren Punkten aus, wobei manchmal ein überraschenderer dritter Zeitpunkt hinzukommt: 1. Die pubertäre Zunahme an Sexualhormonen führt zur Entwicklung der Geschlechtsmerkmale und steigert das sexuelle Interesse. Wird dieser hormonelle Anstieg unterbrochen – dies geschah im 16. und 17. Jahrhundert bei einigen Jungen, die vor der Pubertät kastriert wurden, um ihre Sopranstimmen für die italienische Oper zu erhalten –, bleiben die normale Entwicklung der Geschlechtsmerkmale und das Verlangen nach Sexualität aus (Peschel & Peschel, 1987). 2. Im späteren Leben sinkt der Geschlechtshormonspiegel. Frauen durchlaufen die Menopause, wenn ihr Östrogenspiegel sinkt. Bei Männern verläuft der Wechsel schrittweise (7 Kap. 5). Sex bleibt ein Teil des Lebens, aber wenn der Hormonspiegel sinkt, nehmen auch die Häufigkeit der sexuellen Fantasien und des Geschlechtsverkehrs ab (Leitenberg & Henning, 1995). 3. Bei einigen Menschen können Operationen oder Medi‑ kamente hormonelle Veränderungen verursachen. Bei
erwachsenen Männern, die kastriert werden, nimmt der Sexualtrieb normalerweise mit der Verminderung des Testosteronspiegels ab (Hucker & Bain, 1990). Männliche Sexualstraftäter verlieren einen Großteil ihres Geschlechtstriebs, wenn sie freiwillig das Medikament Depo-Provera einnehmen, das den Testosteronspiegel auf den eines präpubertären Jungen reduziert (Bilefsky, 2009; Money et al., 1983). Zusammenfassend können wir sagen: Die menschlichen Geschlechtshormone, besonders Testosteron, sind so etwas wie der Treibstoff eines Autos. Ohne Benzin fährt ein Auto nicht. Tankt man aber genügend, um es wieder starten zu können, wird mehr Benzin nicht dazu führen, dass das Auto anders fährt. Allerdings hinkt dieser Vergleich, weil Hormone und sexuelle Motivation interagieren. Trotzdem wird daran aber recht deutlich, dass die Biologie zwar eine notwendige, aber nicht hinreichende Erklärung für das menschliche Sexualverhalten liefert. Der hormonelle Treibstoff ist von wesentlicher Bedeutung, genauso aber die psychischen Reize, die den Motor anlassen, ihn am Laufen halten und ihn einen Gang zulegen lassen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Das wichtigste männliche Geschlechtshormon ist ___. Die wichtigsten weiblichen Geschlechtshormone sind ___.
Der sexuelle Reaktionszyklus ?? 12.6 Was ist der sexuelle Reaktionszyklus beim
Menschen und wie unterscheiden sich sexuelle Funktionsstörungen von Paraphilien?
Der wissenschaftliche Prozess beginnt oft mit sorgfältigen Beobachtungen komplexer Verhaltensweisen. In den 1960ern machten der Gynäkologe und Geburtshelfer William Masters und seine Mitarbeiterin Virginia Johnson (1966) Schlagzeilen, indem sie die physiologischen Reaktionen von Freiwilligen aufzeichneten, die vor ihren Augen masturbierten oder Geschlechtsverkehr hatten. Mit der Hilfe von 382 weiblichen und 312 männlichen Freiwilligen – einer etwas unrepräsentativen Stichprobe, da sie nur aus Menschen bestand, die in der Lage und bereit dazu waren, ihre Erregung und ihren Orgasmus unter Beobachtung in einem Labor zu erleben – beobachteten und filmten Masters und Johnson mehr als 10.000 sexuelle „Zyklen“. Bei ihrer Beschreibung des sexuellen Reaktionszyklus machten sie vier Phasen aus: 1. Erregungsphase: Die Genitalien füllen sich mit Blut, wodurch die Klitoris der Frau und der Penis des Mannes anschwellen. Die Vagina erweitert sich und wird feucht, manchmal vergrößern sich außerdem die Brüste und Brustwarzen der Frau.
12
484
12
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
2. Plateauphase: Die Erregung erreicht mit einem Anstieg der Atmung, des Pulses und des Blutdrucks ihren Höhepunkt. Der Penis erigiert vollständig auf eine durchschnittliche Länge von etwa 14 cm bei 1661 Männern, die sich für die Kondomanpassung maßen (Herbenick et al., 2014), und etwas Flüssigkeit – die meistens genügend Sperma für eine Befruchtung enthält – tritt vorne aus. In der Vagina wird Flüssigkeit abgesondert, die Klitoris wird wieder kleiner, und der Orgasmus steht bevor. 3. Orgasmus: Die Muskeln im ganzen Körper sind angespannt. Dies geht mit einer weiteren Erhöhung von Atmung, Puls und Blutdruck einher. Anscheinend sind die Empfindungen bei Männern und Frauen hier annähernd gleich. In einer Studie konnte eine Stichprobe von Experten nicht zwischen den Orgasmusbeschreibungen von Männern oder Frauen unterscheiden (Vance & Wagner, 1976). Eine andere Untersuchung entdeckte mit Hilfe von PET-Schichtaufnahmen des Gehirns, dass während des Orgasmus bei Männern und Frauen dieselben subkortikalen Regionen auf den Bildern aufleuchteten (Holstege et al., 2003a,b). 4. Entspannungsphase: Nach dem Orgasmus kehrt der Körper nach und nach wieder in seinen nicht erregten Zustand zurück. Aus den erweiterten genitalen Blutgefäßen fließt das Blut wieder ab – sehr schnell, wenn es zum Orgasmus gekommen ist, ansonsten ziemlich langsam. (Genauso wie das Jucken der Nase, das nach dem Niesen sofort weg ist, sonst aber noch länger zu spüren ist.) Während dieser Entspannungsphase erlebt ein Mann eine Refraktärphase, in der er keinen weiteren Orgasmus haben kann und die einige Minuten bis Tage dauern kann. Die viel kürzere Refraktärphase der Frau versetzt sie möglicherweise in die Lage, einen weiteren Orgasmus zu haben, wenn sie während oder kurz nach der Entspannungsphase erneut stimuliert wird. Sexueller Reaktionszyklus („sexual response cycle“) – die
vier Phasen der sexuellen Reaktion, die von Masters und Johnson beschrieben wurden: Erregung, Plateau, Orgasmus und Entspannung. Refraktärphase („refractory period“) – eine Ruhephase in der menschlichen Sexualität, die nach dem Orgasmus auftritt und in der eine Person keinen weiteren Orgasmus erreichen kann. >>Das Risiko für einen Herzinfarkt liegt bei einem nicht
rauchenden 50-jährigen Mann in einer beliebigen Stunde bei 1:1.000.000. Diese Wahrscheinlichkeit erhöht sich auf 2:1.000.000 in der Stunde nach dem Geschlechtsverkehr (das gilt nicht für Männer, die regelmäßig Sport treiben). Wenn man das mit den Risiken bei starker Anstrengung oder Ärger (7 Kap. 13) vergleicht, muss man sich keine schlaflosen (oder sexlosen) Nächte machen (Muller et al., 1996).
Wie Sie in 7 Kap. 3 gelernt haben, gibt es auch bei der neuronalen Verarbeitung eine Refraktärphase – die kurze Ruhepause, die eintritt, nachdem ein Neuron gefeuert hat.
Sexuelle Störungen und Paraphilien Masters und Johnson wollten den menschlichen sexuellen Reaktionszyklus nicht nur beschreiben, sondern auch herausfinden, warum manche Menschen nicht fähig sind, ihn vollständig zu erleben, um eine Behandlung für diese Störung zu finden. Sexuelle Störungen sind Probleme, welche die sexuelle Erregung oder Funktionsfähigkeit anhaltend während irgendeiner Phase des sexuellen Reaktionszyklus beeinträchtigen. Manche Störungen betreffen die sexuelle Motivation, es fehlt hier vor allem an sexueller Energie und der Fähigkeit, erregt zu werden. Andere Störungen, wie die vorzeitige Ejakulation oder Erektionsstörungen (die Unfähigkeit, eine Erektion zu bekommen oder zu halten), treten bei Männern auf. Zu Schmerzen und Orgasmusstörungen (Leid über das unregelmäßige Erleben oder Ausbleiben von Orgasmen) kommt es eher bei Frauen. In unabhängigen Umfragen an etwa 3000 Frauen, die in Boston lebten, und 32.000 anderen amerikanischen Frauen, berichteten etwa 4 von 10 von einem sexuellen Problem, wie etwa Orgasmusstörungen oder vermindertem sexuellem Verlangen, jedoch berichtete nur etwa 1 von 8, dass dies zu persönlichem Leid führte (Lutfey et al., 2009; Shifren et al., 2008). Die meisten Frauen mit sexuellen Problemen führen sie auf ihre emotionale Beziehung zum Partner während des Geschlechtsverkehrs zurück (Bancroft et al., 2003). Sexuelle Störung („sexual disorder“) – anhaltende Stö-
rung der sexuellen Erregung oder Funktionsfähigkeit während einer der Phasen des sexuellen Reaktionszyklus. Erektionsstörung („erectile disorder“) – Unfähigkeit, aufgrund eines unzureichenden Blutflusses zum Penis eine Erektion zu bekommen oder zu halten. Weibliche Orgasmusstörung („female orgasmic disorder“)
– Leid über das unregelmäßige Erleben oder Ausbleiben von Orgasmen. Paraphilien („paraphilias“) – sexuelle Erregung durch Phantasien, Verhaltensweisen oder Triebe, die nichtmenschliche Objekte, das eigene Leiden oder Leiden anderer und/oder nicht-einwilligende Personen beinhalten. Psychologische und medizinische Therapien können Männern und Frauen mit sexuellen Störungen helfen (Frühauf et al., 2013). Zum Beispiel durch Verhaltenstherapie können Männer lernen, den Ejakulationsdrang zu steuern, während Frauen Übungen erlernen, mit denen sie sich selbst zum Orgasmus bringen können. Seit der Einführung von Viagra 1998 werden Erektionsstörungen routinemäßig mit diesem Medikament behandelt. Es gibt auch einige medikamentöse Behandlungen für
485
12.3 • Sexuelle Motivation
die weibliche sexuelle Interessen‑/Erregungsstörung, die einigermaßen effektiv sind. Sexuelle Störungen beschreiben Probleme mit der sexuellen Erregung oder der sexuellen Funktionsfähigkeit. Menschen mit Paraphilien (meist Männer) erleben zwar sexuelles Verlangen, aber auf ungewöhnliche Weise (Baur et al., 2016). Die American Psychiatric Association (2013) stuft ein solches Verhalten nur dann als gestört ein, wenn eines der folgenden Merkmale gegeben ist: Eine Person leidet unter ihrem ungewöhnlichen sexuellen Interesse oder das Verhalten gefährdet das Wohlergehen anderer.
-
Der Serienmörder Jeffrey Dahmer hatte Nekrophilie, eine sexuelle Anziehung zu Leichen. Menschen mit Exhibitionismus haben das Verlangen, sich selbst sexuell vor anderen ohne deren Zustimmung zu entblößen. Menschen mit der paraphilen Störung Pädophilie erleben sexuelle Erregung gegenüber Kindern, die noch nicht in der Pubertät sind. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Jemand, der unter einem verringerten sexuellen Interesse leidet, könnte mit ___ diagnostiziert werden. Exhibitionismus stellt eine ___ dar.
Sexuell übertragbare Krankheiten ?? 12.7 Wie lassen sich sexuell übertragbare Krankhei-
ten verhindern?
Jeden Tag stecken sich mehr als 1 Mio. Menschen weltweit mit einer sexuell übertragbaren Krankheit an (WHO, 2013b). „Im Vergleich zu älteren Erwachsenen“, berichten die Centers for Disease Control (CDC, 2016b), „sind sexuell aktive Jugendliche im Alter von 15 bis 19 Jahren und junge Erwachsene im Alter von 20 bis 24 Jahren einem höheren Risiko ausgesetzt.“ Junge Mädchen sind beispielsweise wegen ihres noch nicht voll entwickelten Körpers und des geringeren Anteils an Antikörpern besonders anfällig (Dehne & Riedner, 2005; Guttmacher, 1994). Kondome schützen nur begrenzt vor von Haut zu Haut übertragbaren sexuellen Krankheiten, wie z. B. Herpes (NIH, 2001). Die Effekte wurden deutlich, als Thailand den Gebrauch von Kondomen durch sich gewerbsmäßig prostituierende Personen förderte. Über einen Zeitraum von 4 Jahren, in dem der Kondomgebrauch von 14 auf 94 % anstieg, fiel die jährliche Anzahl bakterieller STI von 410.406 auf 27.362 stark ab (WHO, 2000). Über verfügbare Studien hinweg waren Kondome beim Schutz vor einer Übertragung des HIV (Human Immunodeficiency Virus – das Virus, das Aids verursacht) durch einen infizierten Partner zu 80 % wirksam (Weller & Davis-Beaty, 2002; WHO, 2003). Obwohl HIV auch auf andere Wege übertragen werden kann, z. B. durch das Teilen von Sprit-
zen beim Drogenkonsum, ist die sexuelle Übertragung am häufigsten. Die Hälfte aller Menschen mit HIV (und ein Viertel der US-Bevölkerung mit HIV) sind Frauen. Da das Virus leichter von Männern auf Frauen übertragen wird, wächst der Anteil der Frauen an der weltweiten Aids-Bevölkerung. Aids („acquired immune deficiency syndrome“) – eine lebensbedrohliche, sexuell übertragbare Infektion, die durch das Human Immunodeficiency Virus (HIV) verursacht wird. Aids schwächt das Immunsystem und macht die erkrankte Person anfällig für Infektionen.
Etwas mehr als die Hälfte der amerikanischen Bevölkerung mit Aids ist zwischen 30 und 49 Jahre alt (CDC, 2013). Die lange Inkubationszeit von Aids bedeutet, dass sich viele Erkrankte als Jugendliche oder junge Erwachsene infiziert haben. Im Jahr 2012 hinterließ der Tod von 1,6 Mio. Menschen mit Aids weltweit unzählige trauernde Partner:innen und Millionen verwaiste Kinder (UNAIDS, 2013). In Afrika südlich der Sahara, wo zwei Drittel der HIV-Infizierten leben, verschlingt die medizinische Behandlung zur Lebensverlängerung und Pflege der Sterbenden viele notwendigen Ressourcen. Sex mit jemandem zu haben, bedeutet auch eine Partnerschaft mit den früheren Partner:innen dieser Person, von denen jeder unwissentlich eine sexuell übertragbare Krankheit gehabt haben könnte. Daher ist der erste Schritt zur Prävention sexuell übertragbarer Krankheiten, den eigenen Status zu kennen und ihn mit dem Partner zu teilen. 12.3.2
Psychologie der Sexualität
?? 12.8 Wie tragen äußere und in der Fantasie vorgestell-
te Reize zur sexuellen Erregung bei?
Biologische Faktoren haben einen großen Einfluss auf unsere sexuelle Motivation und unser Sexualverhalten. Die großen zeitlichen, örtlichen und interindividuellen Schwankungen deuten jedoch auch auf einen starken psychologischen Einfluss hin (. Abb. 12.17). So haben, trotz der gemeinsamen Biologie, die der sexuellen Motivation zugrunde liegt, die 281 geäußerten Gründe, Sex zu haben, (nach dem letzten Stand) eine ziemlich große Spannweite – von „um Gott näher zu kommen“ bis zu „um meinen Freund zum Schweigen zu bringen“ (Buss, 2008; Meston & Buss, 2007).
Äußere Reize Männer und Frauen werden erregt, wenn sie erotisches Material sehen, hören oder lesen (Heiman, 1975; Stockton & Murnen, 1992). Das Gefühl sexueller Erregung spiegelt sich in der Genitalreaktion bei Männern deutlich
12
486
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
..Abb. 12.17 Biopsychosoziale Einflüsse auf die sexuelle Motivation. Verglichen mit unserer Motivation beim Essen wird bei uns die sexuelle Motivation weniger stark durch biologische Faktoren beeinflusst. Psychologische und soziokulturelle Faktoren spielen hier eine größere Rolle
Psychologische Einflüsse: Konfrontation mit stimulierenden Bedingungen Sexuelle Fantasien
Biologische Einflüsse: Sexuelle Reife Sexualhormone, vor allem Testosteron
• •
••
Sexuelle Motivation
Soziokulturelle Einflüsse: Familiäre und gesellschaftliche Wertvorstellungen Religiöse und persönliche Wertvorstellungen Kulturelle Erwartungen Medien
•• ••
12
besser – und offensichtlicher – wider als bei Frauen (Chivers et al., 2010). Sexuelle Erregung kann als angenehm oder als störend angesehen werden. (Diejenigen, die sich davon gestört fühlen, versuchen häufig, derartige Stimuli zu vermeiden, so wie Menschen, die Diät halten wollen, Schlüsselreize für Essen vermeiden.) Je öfter man sich erotischen Reizen aussetzt, desto stärker habituiert die emotionale Reaktion darauf, d. h., sie nimmt ab. Als in den 1920er Jahren die Röcke von Frauen erstmals nur bis zum Knie gingen, stellte das nackte Bein der Frau einen erotischen Reiz dar. Vielen von uns würde das kaum noch auffallen. Kann sexuell eindeutiges Material auch eine negative Wirkung haben? Forschungsergebnisse deuten an, dass dies auf drei Arten möglich sein kann. Der Glaube, dass Vergewaltigung akzeptabel sein kann. Darstellungen von Frauen, die zum Sex gezwungen werden und es sichtlich genießen, führen beim Betrachter zu einer Verbreitung der Vorstellung, dass Frauen Vergewaltigungen genießen, und erhöhen die Bereitschaft von Männern, Frauen zu verletzen und zu vergewaltigen (Malamuth & Check, 1981; Zillmann, 1989). Geringere Zufriedenheit mit dem Aussehen des Part‑ ners bzw. der Partnerin oder mit der Qualität einer Beziehung. Menschen, die erotische Bilder oder Videos attraktiver und verführerischer Frauen und Männer anschauen, neigen dazu, durchschnittliche Personen sowie ihre eigenen Partner:innen als weniger attraktiv einzustufen. Sie empfinden auch ihre eigene Beziehung als weniger erfüllend (Kenrick & Gutierres, 1980; Lambert et al., 2012). Vielleicht erzeugt das Betrachten oder Lesen erotischen Materials Erwartungen, die kaum ein Mann und kaum eine Frau wirklich erfüllen kann. Desensibilisierung. Einige Studien haben festgestellt, dass ein ausgiebiger Konsum von Online-Pornografie junge Männer gegenüber normaler Sexualität
-
-
desensibilisiert und auf diese Weise zu Erektionsproblemen, vermindertem sexuellem Verlangen und verminderter Gehirnaktivierung in Reaktion auf sexuelle Bilder beiträgt. „Pornos bringen Ihre Männlichkeit durcheinander“, argumentieren Philip Zimbardo und Kolleg:innen (2016). In einer bildgebenden Studie waren Gehirnregionen, die mit dem sexuellen Lustempfinden zusammenhängen, bei Männern, die häufig pornografisches Material anschauten, kleiner als gewöhnlich (Kühn & Gallinat, 2014).
In der Fantasie vorgestellte Reize Manche sagen, das Gehirn sei unser wichtigstes Geschlechtsorgan. Die Reize in unserem Kopf – in unserer Vorstellung – können die sexuelle Erregung und das sexuelle Verlangen beeinflussen. Menschen, die nach einer Verletzung des Rückenmarks ihre Genitalien nicht mehr spüren können, empfinden trotzdem noch sexuelles Verlangen (Willmuth, 1987). Ungefähr 95 % der Männer und Frauen geben an, dass sie sexuelle Fantasien hatten, die bei manchen Frauen allein zu Orgasmen führen können (Komisaruk & Whipple, 2011). Männer (unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung) haben häufiger sexuelle Fantasien; diese richten sich eher auf körperliche Merkmale und sind weniger romantisch (Schmitt et al., 2012). Männer bevorzugen auch sexuelle Inhalte in Büchern und Filmen, die weniger personalisiert sind und schneller „zur Sache“ kommen (Leitenberg & Henning, 1995). Sexuelle Fantasien sind kein Anzeichen für sexuelle Störungen oder mangelnde Befriedigung. Wenn es überhaupt einen Zusammenhang gibt, dann haben sexuell aktive Menschen häufiger sexuelle Fantasien. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Faktoren beeinflussen unsere sexuelle Motivation und unser Sexualverhalten?
487
12.3 • Sexuelle Motivation
12.3.3
Sexuelles Risikoverhalten und Teenagerschwangerschaften
?? 12.9 Welche Faktoren beeinflussen Teenagerschwan-
gerschaften und die Nutzung von Verhütungsmitteln bei Jugendlichen?
Einstellungen zur Sexualität und sexuelle Verhaltensweisen unterscheiden sich drastisch zwischen verschiedenen Kulturen und Epochen. „Sex zwischen unverheirateten Erwachsenen“ ist „moralisch inakzeptabel“ – dieser Aussage stimmen 97 % der Befragten in Indonesien, aber nur 6 % der Befragten in Deutschland zu (Pew, 2014b). Und aufgrund einer geringeren sexuellen Aktivität und häufigerer Verhütung sind die Schwangerschaftsraten unter US-amerikanischen Jugendlichen rückläufig (CDC, 2016b; Twenge et al., 2016b). Wie kommt es also zu Unterschieden im Sexualverhalten von Jugendlichen? Zwillingsstudien zeigen, dass das Sexualverhalten von Jugendlichen einem genetischen Einfluss unterliegt, da unsere Anlagen die pubertäre Entwicklung und den Hormonspiegel beeinflussen. Aber welche Umweltfaktoren spielen eine Rolle? zz Kommunikation über Verhütung
Viele Teenager reden nicht gerne mit ihren Eltern, Partner:innen und Gleichaltrigen über Verhütung. Aber Jugendliche, die mit ihren Eltern frei reden können oder eine Partnerschaft haben, die es ihnen erlaubt, offen zu kommunizieren, benutzen mit höherer Wahrscheinlichkeit Kondome (Aspy et al., 2007; Milan & Kilmann, 1987). zz Impulsivität
Bei einer Umfrage gaben 72 % der 12- bis 17-jährigen Amerikanerinnen, die Sex gehabt hatten, an, sie bedauerten es (Reuters, 2000). Wenn die Leidenschaft stärker ist als die guten Absichten (entweder Verhütungsmittel zu benutzen oder mit dem Sex zu warten), kann ungeplante sexuelle Aktivität zu Schwangerschaften führen (Ariely & Loewenstein, 2006; MacDonald & Hynie, 2008). zz Alkoholgenuss
Unter älteren Jugendlichen und jungen Erwachsenen finden die meisten sexuellen Kontakte außerhalb von Beziehungen nach Alkoholkonsum statt, oft ohne eindeutige Zustimmung (Fielder et al., 2013; Garcia et al., 2013; Johnson & Chen, 2015). Diejenigen, die vor dem Sex Alkohol trinken, verhüten mit geringerer Wahrscheinlichkeit mit Kondomen (Kotchick et al., 2001). Alkohol wirkt hemmend auf gewisse Teile des Gehirns, die Hemmung, Urteilskraft und Selbstbewusstheit steuern, und kann daher die normale Zurückhaltung lockern – ein wohlbekanntes Phänomen bei sexueller Nötigung. Auch in Deutschland geben rund 20 % Alkohol und Drogen als Grund für mangelnde Verhütung beim ersten Geschlechtsverkehr an (Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung, 2001).
..Abb. 12.18 Mit der Hypersexualität mithalten. Bei einer Analyse der 60 meistverkauften Videospiele fand man 489 Charaktere, von denen 86 % männlich waren (wie die meisten Spielenden). Die weiblichen Charaktere waren im Gegensatz zu den männlichen mit einer höheren Wahrscheinlichkeit „hypersexualisiert“ – teilweise nackt oder freizügig bekleidet, mit großen Brüsten und schmalen Taillen (Down & Smith, 2010). Solche Darstellungen können zu unrealistischen Erwartungen über Sexualität führen und zur frühen Sexualisierung von Mädchen beitragen. Die American Psychological Association schlägt vor, dem entgegenzuwirken, indem Mädchen beigebracht wird, „sich selbst dafür zu schätzen, wer sie sind, und nicht dafür, wie sie aussehen.“ (APA, 2007; © Henning Kaiser/dpa/picture alliance)
zz Massenmedien
Die wahrgenommenen Normen unter Gleichaltrigen beeinflussen das Sexualverhalten von Jugendlichen (Lyons et al., 2015; van de Bongardt et al., 2015). Jugendliche achten auf das Verhalten anderer Jugendlicher, das wiederum von populären Mediendarstellungen beeinflusst wird. Medien tragen zur Verfassung sozialer Skripte bei, die unsere Wahrnehmungen und Handlungen beeinflussen. Je mehr Jugendliche sexuellen Inhalten ausgesetzt sind (auch wenn andere Prädiktoren früher sexueller Aktivität kontrolliert werden), desto wahrscheinlicher ist es, dass sie ihre gleichaltrigen Freund:innen als sexuell aktiv empfinden, dass sie sexuell freizügige Einstellungen entwickeln und dass sie früh Geschlechtsverkehr haben (Escobar-Chaves et al., 2005; Kim & Ward, 2012; Parkes et al., 2013). In einer Studie wurden 1000 Jugendliche im Alter von 12–14 Jahren gefragt, welche Filme sie gesehen hatte, und später im Alter von 18 Jahren nach ihren sexuellen Erfahrungen (O’Hara et al., 2012). Nachdem verschiedene Jugend- und Familienmerkmale kontrolliert wurden, zeigte sich, dass Jugendliche, die Filme mit mehr sexuellem Inhalt gesehen hatten, vermehrt zu höherer sexueller Risikobereitschaft neigten – mit früherem ersten Sex, mehr Partner:innen und inkonsistenter Kondomnutzung (. Abb. 12.18). Es gibt mehrere Prädiktoren für sexuelle Zurückhaltung:
12
488
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
vitäten am Nachmittag reduzieren ebenfalls ungeplante Schwangerschaften [Bryan et al., 2016; Steinberg, 2015].) Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche drei der folgenden fünf Faktoren tragen zu ungeplanten Teenagerschwangerschaften bei? a. Alkoholgebrauch b. Höhere Intelligenz c. Haushälte ohne Väter d. Vorbilder in den Massenmedien e. Teilnahme an gemeinnützigen Programmen
..Abb. 12.19 Vorhandensein eines Vaters. (© Westend61/Irina Heß/ picture alliance)
Hohe Intelligenz. Teenager mit einer überdurchschnitt-
lichen Intelligenz schieben Sex oft für einen späteren Zeitpunkt auf, offensichtlich weil sie mögliche negative Folgen fürchten und sich stärker auf die künftige Leistung konzentrieren als auf die Freuden im Hier und Jetzt (Harden & Mendle, 2011). Religiosität. Religiös aktive Teenager bewahren sich die
12
Sexualität oft für das Erwachsenenleben oder langfristige Beziehungen auf (Hull et al., 2011; Schmitt & Fuller, 2015; Stulhofer et al., 2011). Vorhandensein eines Vaters. In Studien, bei denen Hun-
derte von Mädchen von 5 bis 18 Jahren in Neuseeland und in den USA begleitet wurden, ergab sich eine Korrelation zwischen einem Haushalt ohne Vater und sexueller Aktivität vor 16 sowie Teenagerschwangerschaften (Ellis et al., 2003). Diese Zusammenhänge blieben auch erhalten, als man andere konkurrierende Einflussfaktoren wie etwa Armut statistisch konstant hielt. Enge Bindungen in der Familie – Familien, die zusammen essen und in denen die Eltern die Freunde und Aktivitäten der Kinder kennen – sagen einen späteren ersten Geschlechtsverkehr vorher (Colay et al., 2008; . Abb. 12.19). Teilnahme an gemeinnützigen Programmen. In mehreren
Experimenten kam es bei Teenagern, die sich freiwillig als Tutoren oder als Helfer eines Lehrers betätigten oder an Gemeindeprogrammen teilnahmen, seltener zu Schwangerschaften als bei Teenagern, die nach dem Zufall der Kontrollgruppe zugeordnet worden waren (Kirby, 2002; O’Donnell et al., 2002). Über die Gründe dafür sind sich die Forschenden nicht einig. Fördert das Ausüben gemeinnütziger Tätigkeiten ein Gefühl für eigene Kompetenz, Kontrolle und Verantwortung? Ermutigt es stärker zu zukunftsgerichtetem Denken? Oder vermindert es einfach nur die Gelegenheit zu ungeschütztem Sex? (Spätere Schulanfangszeiten und außerschulische Akti-
12.3.4
Sexuelle Orientierung
?? 12.10 Was hat uns die Forschung über sexuelle Ori-
entierungen gelehrt?
Motivieren bedeutet, Verhalten auszulösen und zu lenken. Bis jetzt haben wir uns vor allem damit beschäftigt, wodurch sexuelle Motivation ausgelöst wird, nicht so sehr mit ihrer Richtung. Wir leben die Richtung unseres sexuellen Interesses in unserer sexuellen Orientierung aus: Darunter verstehen wir unsere konsistente sexuelle Ausrichtung auf Menschen unseres Geschlechts (homosexuelle Orientierung), des anderen Geschlechts (heterosexuelle Orientierung) oder beider Geschlechter (bisexuelle Orien‑ tierung). Die meisten von uns fallen in eine der ersten beiden Kategorien (Norris et al., 2015). Wir erkennen diese Ausrichtung aufgrund unserer Interessen, Gedanken und Fantasien (Wer ist die Person in deinen Vorstellungen?). Die Kulturen unterscheiden sich in ihrer Haltung gegenüber der Homosexualität. „Sollte die Gesellschaft Homosexualität akzeptieren?“ – 88 % der Befragten in Spanien und 1 % der Befragten in Nigeria antworteten mit „Ja“, wobei Frauen überall mehr Akzeptanz zeigen als Männer (Pew, 2013b). Unabhängig davon, ob eine Kultur Homosexualität verdammt oder akzeptiert, überwiegt bisher die Heterosexualität und die Homosexualität und Bisexualität überleben. In den meisten afrikanischen Ländern sind gleichgeschlechtliche Beziehungen illegal. Dennoch unterscheidet sich das Verhältnis von lesbischen, schwulen oder bisexuellen Menschen „nicht von dem anderer Länder im Rest der Welt“, berichtet die Academy of Science of South Africa (2015). Außerdem waren homosexuelle und bisexuelle Beziehungen im Verlauf der Menschheitsgeschichte sehr verbreitet. Sexuelle Orientierung („sexual orientation“) – konsistente
Ausrichtung des sexuellen Interesses auf Menschen desselben Geschlechts (Homosexualität), des anderen Geschlechts (Heterosexualität) oder beider Geschlechter (Bisexualität).
12.3 • Sexuelle Motivation
489
..Abb. 12.20 Zur Selbsttötung angetrieben. Der Student Tyler Clementi nahm sich 2010 das Leben, nachdem sein Mitbewohner ein Video von ihm und einem anderen Mann beim Geschlechtsverkehr ins Internet gestellt hatte. Berichte deckten daraufhin andere Fälle schwuler und lesbischer Teenager auf, die in ähnlicher tragischer Weise reagiert hatten,
nachdem sie verspottet wurden. Seit 2010 unterstützen mehr und mehr US-Amerikaner:innen – insbesondere diejenigen unter 30 – Menschen mit gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierungen. (© Mel Evans/ ASSOCIATED PRESS/picture alliance. Hier finden Sie Hilfe in einer suizidalen Krise: 7 https://www.suizidprophylaxe.de/hilfsangebote)
>>Wie in 7 Kap. 5 erläutert, ist die sexuelle Orientierung
Kleinanzeigen im Internet von Männern, die nach „unverbindlichen Treffen“ mit anderen Männern suchen, sind in den weniger toleranten US-Bundesstaaten mindestens genauso häufig, wo es auch mehr Google-Suchen nach „schwulem Sex“ und „Ist mein Ehemann schwul?“ gibt (MacInnis & Hodson, 2015; Stephens-Davidowitz, 2013). Wie fühlt man sich als Homosexueller in einer mehrheitlich heterosexuellen Gesellschaft? Falls Sie heterosexuell sind, stellen Sie sich doch einmal vor, geächtet oder entlassen zu werden, weil Sie offen zugeben oder zeigen, dass Sie Gefühle für eine Person des anderen Geschlechts haben; oder zu hören, wie andere rohe Witze über Heterosexuelle machen; oder wie es wäre, wenn fast alle Filme, Fernsehsendungen und Werbespots fast ausschließlich homosexuelle Paare zeigen (oder darauf anspielen) würden; oder wenn Ihre Familie Sie anbetteln würde, Ihre Heterosexualität aufzugeben und endlich eine gleichgeschlechtliche Lebensgemeinschaft einzugehen. Angesichts solcher Reaktionen kämpfen manche homosexuellen Menschen – besonders während der Jugend und wenn sie sich von den Eltern zurückgewiesen oder von Gleichaltrigen schikaniert fühlen – gegen ihre sexuelle Orientierung an. Mangelt es ihnen an sozialer Unterstützung, können nichtheterosexuelle Jugendliche ein geringeres Selbstwertgefühl, mehr Angst und depressive Störungen sowie ein erhöhtes Risiko haben, Suizid in Erwägung zu ziehen (Becker et al., 2014; Lyons, 2015; Wang et al., 2012, 2015b; . Abb. 12.20). Zunächst ver-
von der Geschlechtsidentität (einschließlich der Transgender-Identität) zu unterscheiden.
Wie viele Menschen sind ausschließlich homosexuell? Laut mehr als einem Dutzend nationaler Umfragen, die sowohl in Europa als auch in den USA zum Thema sexuelle Orientierung durchgeführt wurden, scheinen es ungefähr 3–4 % der Männer und 2 % der Frauen zu sein (Chandra et al., 2011; Herbenick et al., 2010; SavinWilliams et al., 2012). Als das U.S. National Center for Health Statistics 34.557 Amerikaner:innen nach ihrer sexuellen Identität befragte, fand es heraus, dass sich alle bis auf 3,4 % als „heterosexuell“ einschätzten, wobei 1,6 % „schwul“ oder „lesbisch“ und 0,7 % „bisexuell“ antworteten (Ward et al., 2014). In einer Folgebefragung gaben 1,6 % der Frauen und 2,3 % der Männer anonym an, dass sie „meistens“ oder „ausschließlich“ gleichgeschlechtliche Anziehung empfinden (Copen et al., 2016). Eine größere Anzahl von Erwachsenen – 13 % der Frauen und 5 % der Männer – antwortete, dass sie irgendeine Form eines homosexuellen Kontakts während ihres Lebens gehabt haben (Chandra et al., 2011). Menschen, die in weniger toleranten Orten leben, neigen eher dazu, ihre sexuelle Orientierung zu verbergen. So äußern etwa 3 % der kalifornischen Männer auf Facebook eine gleichgeschlechtliche Präferenz, während es in Mississippi nur etwa 1 % ist. Dennoch suchen etwa 5 % der Google-Pornosuchen in beiden Staaten nach „gay porn“.
12
490
12
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
suchen sie häufig, ihre Wünsche zu ignorieren und zu verleugnen, und hoffen, dass sie verschwinden. Aber sie verschwinden nicht. Dann versuchen sie vielleicht, sich selbst zu ändern, durch Psychotherapie, Willenskraft oder Gebete. Aber ihre Gefühle bleiben normalerweise bestehen, wie die der heterosexuellen Menschen, die ebenso wenig einfach homosexuell werden können (Haldeman, 1994, 2002; Myers & Scanzoni, 2005). Die Prävalenz schädlicher homophober Stereotype kann auch zu der Isolation und Ablehnung beitragen, die viele nicht heterosexuelle Menschen empfinden. Ein solches Stereotyp ist, dass homosexuelle Menschen eher dazu neigen, Kinder zu belästigen (Herek, 2016). Das stimmt allerdings nicht! Die Messung der genitalen Reaktionen von Männern auf unterschiedliche sexuelle Bilder zeigt, dass die sexuelle Orientierung in keinerlei Zusammenhang mit Pädophilie steht (Blanchard et al., 2009; Herek, 2016). Ein kanadisches Forschungsteam unter der Leitung von Ray Blanchard (2012; Dreger, 2011) stattete 2278 Männer (meist Sexualstraftäter) mit einem Gerät aus, das ihre sexuelle Erregung beim Betrachten von Nacktfotos von Erwachsenen und Kindern beider Geschlechter maß, die ihnen gemeinsam mit sexuellen Audiogeschichten dargeboten wurden. Die meisten der Männer reagierten nicht auf Kinder, sondern auf erwachsene Männer (wenn sie schwul waren) oder auf erwachsene Frauen (wenn sie heterosexuell waren). Einige der Männer – sowohl heterosexuelle als auch schwule – wiesen Pädophilie auf, indem sie stattdessen hauptsächlich auf Jungen oder Mädchen reagierten und viel weniger auf Erwachsene. Eine einfache Zusammenfassung lautet: Manche Menschen fühlen sich zu Männern hingezogen; manche zu Frauen; weniger sowohl zu Männern als auch zu Frauen; und noch weniger zeigen eine gestörte Anziehung zu Kindern. Die meisten Psycholog:innen nehmen deshalb heute an, dass die sexuelle Orientierung weder frei gewählt wurde noch willentlich verändert werden kann. Mit der sexuellen Orientierung ist es ähnlich wie mit der Händigkeit: Die meisten Menschen sind so, einige anders. Die wenigsten sind sowohl als auch. Aber egal, wie sie sind, sie bleiben so. „Anstrengungen, die sexuelle Orientierung zu ändern, sind selten erfolgreich und beinhalten ein Verletzungsrisiko“, verkündet ein Bericht der American Psychological Association im Jahr 2009. Aus diesem Grund hat Malta 2016 als erstes europäisches Land die umstrittenen „Konversionstherapien“ verboten, die darauf abzielen, die Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung eines Menschen zu ändern. Mehrere USBundesstaaten haben ebenfalls die sexuelle Konversionstherapie mit Minderjährigen verboten.
» „Es gibt keinen wissenschaftlichen Beleg dafür, dass die sexuelle Orientierung verändert werden kann.“ UK Royal College of Psychiatrists (2009)
>>Bei einer Umfrage unter 18.876 Personen gaben 1 %
an, asexuell zu sein und „noch nie das Gefühl gehabt zu haben, dass überhaupt irgendjemand für sie sexuell attraktiv ist“ (Bogaert, 2004, 2006b). Menschen, die sich als asexuell identifizieren, geben jedoch fast genauso häufig wie andere an, dass sie masturbieren und sich die Masturbation für sie gut anfühlt, Ängste abbaut oder „die Rohre reinigt“.
Bei Männern ist die sexuelle Orientierung besonders beständig. Die sexuelle Orientierung bei Frauen ist weniger stark ausgeprägt und ist bei manchen Frauen auch fließender und kann sich im Laufe der Zeit verändern (Dickson et al., 2013; Norris et al., 2015). Im Allgemeinen sind Männer sexuell einfacher. Wie Baumeister (2000) bemerkte, zeigt sich die geringere Variabilität der männlichen Sexualität auf vielerlei Weise. Über die Zeit, über Kulturen und Situationen hinweg, in verschiedenen Bildungsschichten, Religionen und Sozialgefügen ist der weibliche Sexualtrieb flexibler und veränderlicher als der bei männlichen Erwachsenen. Im Gegensatz zu Männern schätzen es Frauen etwa, wenn sich Phasen hoher sexueller Aktivität mit Zeiten fast ohne Sex abwechseln (Mosher et al., 2005). Baumeister bezeichnet dieses Phänomen als Geschlechtsunterschied in Bezug auf die erotische Plastizität. Bei Männern wird ein hoher Sexualtrieb mit erhöhter Anziehung zu Frauen (wenn sie heterosexuell sind) oder zu Männern (wenn sie homosexuell sind) assoziiert. Bei Frauen wird ein hoher Sexualtrieb mit erhöhter Anziehung zu Männern und Frauen assoziiert (Lippa, 2006, 2007; Lippa et al., 2010). Wenn Männern sexuell eindeutige Filmszenen gezeigt werden, ist ihre genitale und subjektive sexuelle Erregung bei der Betrachtung sexuell bevorzugter Stimuli (für heterosexuelle Betrachter sind es Darstellungen von Frauen) am stärksten. Frauen reagieren eher unspezifisch auf Darstellungen sexueller Aktivitäten, die Männer oder Frauen beinhalten (Chivers et al., 2007; Huberman et al., 2015).
Ursprünge der sexuellen Orientierung Wie entstehen diese sexuellen Vorlieben, ob sie nun heterosexuell oder homosexuell sind, die wir uns nicht aussuchen und anscheinend auch nicht verändern können (so am deutlichsten bei Männern)? Überlegen Sie einmal, wie der aktuelle Konsens, der sich aus den Ergebnissen von Hunderten von Studien ergeben hat, heute aussehen könnte, und beantworten Sie die folgenden Fragen mit Ja oder Nein: 1. Hat Homosexualität etwas mit einer problematischen Beziehung eines Kindes zu seinen Eltern zu tun? Sind z. B. die Mütter eher dominierend und die Väter eher schwach, oder sind die Mütter besitzergreifend und die Väter ablehnend? 2. Empfinden homosexuelle Menschen Angst oder Hass gegenüber Menschen des anderen Geschlechts? Rich-
12.3 • Sexuelle Motivation
491
ten sie deshalb ihr sexuelles Interesse auf Menschen des eigenen Geschlechts? 3. Hängt Homosexualität mit einer bestimmten Menge von Geschlechtshormonen im Blut zusammen? 4. Wurden viele Homosexuelle in ihrer Kindheit von einem Erwachsenen belästigt, verführt oder auf andere Weise Opfer eines erwachsenen Homosexuellen? Die Antwort auf alle diese Fragen lautet: Nein (Storms, 1983). Interessant sind vor allem die Ergebnisse der langen Interviews des Kinsey Instituts mit annähernd 1000 Homo- und 500 Heterosexuellen. Die Forschenden fragten nach beinahe jeder nur vorstellbaren psychischen Ursache für die Entstehung von Homosexualität: nach dem Verhältnis der Eltern zueinander, sexuellen Erfahrungen in der Kindheit, Beziehungen zu Gleichaltrigen und Erfahrungen mit Vertreter:innen des anderen Geschlechts (Bell et al., 1981; Hammersmith, 1982). Ihre Ergebnisse waren wie folgt: Homosexuelle wurden nicht mit höherer Wahrscheinlichkeit als Heterosexuelle von Mutterliebe erdrückt oder von ihrem Vater vernachlässigt. In einer landesweiten Umfrage in den USA, an der fast 35.000 Erwachsene teilnahmen, gaben Personen mit einer gleichgeschlechtlichen sexuellen Orientierung etwas häufiger an, als Kinder sexuellen Missbrauch erlebt zu haben. Aber 86 % der homosexuellen Männer und 75 % der homosexuellen Frauen berichteten keinen solchen Missbrauch (Roberts et al., 2013). Und stellen Sie sich folgende Frage: Wenn „distanzierte Väter“ ihre Söhne homosexuell „machen“ würden, müssten dann nicht die Jungen, die ganz ohne Vater aufwachsen, häufiger schwul werden? (Sie werden es nicht.) Und sollte die steigende Anzahl solcher Haushalte nicht zu einem drastischen Anstieg der Zahl der Homosexuellen führen? (Das ist nicht der Fall.) Die meisten Kinder, die von schwulen oder lesbischen Eltern aufgezogen wurden, wachsen heterosexuell auf (Gartrell & Bos, 2010). Und ihre körperliche Gesundheit sowie ihr emotionales Wohlbefinden entsprechen dem von Kindern mit Eltern unterschiedlichen Geschlechts (Bos et al., 2016). Stellen Sie sich vor, ein verrücktes Forschungsteam würde Anlagen gegen Umwelt antreten lassen, indem es eine Gruppe von Jungen bei der Geburt durch Kastration (also eine chirurgische Feminisierung) in Mädchen verwandeln und dann als Mädchen aufziehen würde. Gewiss würden diese „Mädchen“ dadurch so sozialisiert werden, dass sie sich zu Männern hingezogen fühlen, oder? In sieben berühmten Fällen lag dieselbe Ausgangssituation vor, manchmal aufgrund eines chirurgischen Eingriffs nach der versehentlichen Durchtrennung des Penis während einer frühkindlichen Operation. In allen diesen Fällen war das Ergebnis eine erwachsene Person, die sich zu Frauen hingezogen fühlte – also genau „das Ergebnis, das wir erwarten würden, wenn männliche sexuelle Orientierung ausschließlich auf die Natur
..Abb. 12.21 Leo und Leon. Ein Wildtierfotograf in Kenia hat diese homosexuelle Begegnung zwischen erwachsenen männlichen Löwen festgehalten: „Wenn sich Löwen paaren, dauert das normalerweise nur ein paar Sekunden. Diese beiden haben es über eine Minute lang getan und die Zuneigung danach war sehr offensichtlich, im Gegensatz zu dem gewaltsamen Rückzug, wenn sich Männchen und Weibchen paaren.“ (© Paul Goldstein/Cover Images/Cover Media Limited/ picture alliance)
zurückginge“, so die Schlussfolgerung einer Konsenserklärung von Expert:innen für sexuelle Orientierung (Bailey et al., 2016). Doch was sonst könnte Einfluss auf die sexuelle Orientierung haben? Eine Theorie besagt, dass Menschen die erotische Vorliebe für ihr eigenes Geschlecht entwickeln, wenn sie während der Zeit, in der sich ihr Sexualtrieb entwickelt, vom anderen Geschlecht getrennt sind (Storms, 1981). Tatsächlich erinnern sich schwule Männer daran, früher in die Pubertät gekommen zu sein, in einem Alter, in dem der Freundeskreis noch eher nur aus Jungen bestand (Bogaert et al., 2002). Aber sogar in Stammeskulturen, in denen homosexuelles Verhalten vor der Ehe von allen Jungen erwartet wird, überwiegt die Heterosexualität (Hammack, 2005; Money, 1987). (Daran zeigt sich, dass homosexuelles Verhalten nicht dasselbe ist wie eine homosexuelle Orientierung.) Darüber hinaus sagen die Einstellungen Gleichaltriger zwar die sexuellen Einstellungen und das Verhalten von Jugendlichen voraus, nicht aber Homosexualität. „Der Einfluss Gleichaltriger hat wenig oder keinen Einfluss“ auf die sexuelle Orientierung (Brakefield et al., 2014). Ein Fazit lässt sich aus einem halben Jahrhundert Theoriebildung und Forschung zu den Ursachen der Homosexualität ziehen: Sollte es tatsächlich Umweltfaktoren geben, die die sexuelle Orientierung beeinflussen, so kennen wir sie nicht. Diese Realität hat die Forschenden dazu angeregt, Befunde zur Homosexualität in der Tierwelt (. Abb. 12.21) und zu den Einflüssen unterschiedlicher Gehirnzentren, der Genetik und pränataler Erfahrungen mit Hormonen zu bedenken.
12
492
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
zz Gleichgeschlechtliche Beziehungen im Tierreich
In den Bostoner Public Gardens löste das Pflegeteam das Rätsel, warum die Eier eines beliebten Schwanenpaares nie geschlüpft sind. Beide Schwäne waren weiblich. Im Central Park Zoo in New York City lebten die Pinguine Silo und Roy mehrere Jahre als hingebungsvolle gleichgeschlechtliche Partner. Gleichgeschlechtliches Sexualverhalten wurde auch bei mehreren hundert anderen Arten beobachtet, darunter Grizzlybären, Gorillas und andere Affen, Flamingos und Eulen (Bagemihl, 1999). Bei Schafböcken z. B. zeigen etwa 7–10 % eine Vorliebe für gleichgeschlechtliche Partner, indem sie weibliche Schafe meiden und stattdessen versuchen, andere Männchen zu besteigen (Perkins & Fitzgerald, 1997). Homosexualität scheint also auch in der Tierwelt ganz natürlich zu sein. zz Gehirn und sexuelle Orientierung
12
Simon LeVay (1991) untersuchte Abschnitte des Hypothalamus von verstorbenen homo- und heterosexuellen Menschen. Als schwuler Wissenschaftler wollte er etwas tun, „das mit meiner schwulen Identität zu tun hat“. Er wusste, wie wichtig es war, die Ergebnisse nicht durch irgendwelche Vorurteile systematisch zu verfälschen. Deshalb führte er seine Untersuchungen „blind“ durch, ohne zu wissen, welche der Spender homosexuell waren. Neun Monate lang betrachtete er durch sein Mikroskop eine Zellansammlung, deren Größe sich im Hypothalamus der verschiedenen Spender unterschied. Eines Morgens entschlüsselte er dann den Code. Seine Entdeckung: Bei heterosexuellen Männern war ein Zellcluster zuverlässig größer als bei Frauen und homosexuellen Männern. LeVay (1994) berichtet über den Moment, als dieser Unterschied in den Gehirnen offensichtlich wurde: „Ich war geschockt … ich ging allein auf den Klippen am Meer spazieren. Ich setzte mich eine halbe Stunde lang hin und dachte nur darüber nach, was das bedeuten könnte.“ Die Tatsache, dass die Unterschiede in der sexuellen Orientierung sich auch auf andere Weise im Aufbau des Gehirns abzeichnen, sollte uns nicht überraschen (Bao & Swaab, 2011; Savic & Lindström, 2008). Erinnern Sie sich an unsere Maxime: Alles, was psychologisch ist, ist gleichzeitig auch biologisch. Die kritische Frage ist jedoch: Wann begann die Differenzierung des Gehirns: bei der Empfängnis, im Mutterleib oder erst während der Kindheit oder Jugend? Entstand sie durch Erfahrungen oder durch Gene oder durch pränatale Hormone (oder Gene vermittelt über pränatale Hormone)? LeVay glaubt nicht, dass der Hypothalamus das Zentrum der sexuellen Orientierung ist; er glaubt vielmehr, dass er ein wichtiger Teil der neuronalen Verbindung ist, über die das sexuelle Verhalten gesteuert wird. Er erkennt an, dass auch das sexuelle Verhalten den Aufbau des Gehirns beeinflussen kann. Bei Fischen, Vögeln, Ratten und Menschen verändert sich die Struktur des Gehirns durch ihre Erfahrungen, auch durch die sexuelle Erfahrung, wie der Sexualforscher Breedlove (1997) berichtet.
Aber LeVay glaubt, dass die sexuelle Orientierung mit größerer Wahrscheinlichkeit durch den Aufbau des Gehirns beeinflusst wird. Seine Annahme wird durch den Befund gestützt, dass sich auch die Hypothalami der „homosexuellen“ Schafe von denen der männlichen Schafe unterscheiden, die sich von weiblichen Schafen angezogen fühlen (Larkin et al., 2002; Roselli et al., 2002, 2004). Diese Unterschiede scheinen sich darüber hinaus schon sehr früh nach der Geburt oder eventuell schon vor der Geburt zu entwickeln (Rahman & Wilson, 2003). Die Hirnreaktionen auf Gerüche, die auf Sexualhormone zurückgehen, deuten auch auf Unterschiede im Gehirn hin (Savic et al., 2005). Bei heterosexuellen Frauen, die man nur einem Hauch vom Geruch des Schweißes von einem Mann aussetzt, wird Aktivität in einem Bereich des Hypothalamus angezeigt, der die sexuelle Erregung steuert. Die Gehirne schwuler Männer reagierten ähnlich auf Männerschweiß, die Gehirne heterosexueller Männer jedoch zeigten die Erregungsreaktion nur bei Gerüchen, die an ein weibliches Hormon erinnerten. Andere Studien, die die Gehirnaktivität auf Schweißgerüche mit sexuellem Bezug und auf Bilder mit weiblichen und männlichen Gesichtern untersuchten, zeigten ähnliche Unterschiede zwischen homosexuellen und heterosexuellen Menschen (Kranz & Ishai, 2006; Martins et al., 2005). Der Forscher Qazi Rahman (2015) bringt es auf den Punkt: Im Vergleich zu heterosexuellen Menschen „erscheinen schwule Männer im Durchschnitt eher ‚typisch weiblich‘ in ihren Gehirnmustern und lesbische Frauen eher ‚typisch männlich‘.“
» „Schwule Männer haben ganz einfach nicht die Gehirnzellen, die nötig sind, um sich von Frauen angezogen zu fühlen.“ Simon LeVay, The Sexual Brain (1993)
zz Gene und sexuelle Orientierung
Es gibt Hinweise darauf, dass „etwa ein Drittel der Variation in der sexuellen Orientierung auf genetische Einflüsse zurückzuführen ist“ (Bailey et al., 2016). Homosexualität hat eine gewisse Tendenz, in Familien gehäuft aufzutreten. Ein eineiiger Zwilling hat eine etwas größere Wahrscheinlichkeit als ein zweieiiger Zwilling, dieselbe sexuelle Orientierung zu haben wie sein Zwillingsbruder (Alanko et al., 2010; Lángström et al., 2010). Bei vielen eineiigen Zwillingspaaren jedoch (vor allem bei Zwillingsschwestern) sind die sexuellen Orientierungen der Zwillinge durchaus unterschiedlich. Dies deutet darauf hin, dass hier andere Faktoren außer den Genen wirksam sind. Dazu gehören scheinbar epigenetische Faktoren, mit deren Hilfe homosexuelle und heterosexuelle eineiige Zwillinge voneinander unterschieden werden können (Balter, 2015). Durch Experimente mit Hilfe der Genmanipulation hat man es geschafft, weibliche Fruchtfliegen zu erzeugen, die sich beim Werben um den Partner wie männliche Exemplare verhalten (Verjagen von weiblichen
12.3 • Sexuelle Motivation
Fruchtfliegen), und männliche Fruchtfliegen, die sich wie weibliche Fruchtfliegen verhalten (Demir & Dickson, 2005). „Wir haben gezeigt, dass ein einziges Gen in der Fruchtfliege ausreicht, um alle Aspekte der sexuellen Orientierung und des Sexualverhaltens bei den Fliegen zu bestimmen“, erklärte Dickson (2005). Beim Menschen ist es wahrscheinlich, dass viele Gene – möglicherweise in Interaktion mit anderen Einflüssen – die sexuelle Orientierung formen. In einer genomweiten Studie mit 409 schwulen Brüderpaaren wurden Verbindungen zwischen der sexuellen Orientierung und Bereichen von zwei Chromosomen identifiziert, von denen eines mütterlicherseits vererbt wird (Sanders et al., 2015). Forschende haben darüber spekuliert, warum es „Schwulengene“ geben könnte. Wenn ein Paar vom gleichen Geschlecht ist, kann es sich nicht fortpflanzen. Eine mögliche Erklärung ist die Verwandtenselektion. Erinnern Sie sich aus 7 Kap. 5 an das, was die evolutionäre Psychologie sagt, nämlich dass viele unserer Gene auch in unseren biologischen Verwandten sitzen. Vielleicht leben dann die Gene von Menschen dadurch weiter, dass sie das Überleben und den Fortpflanzungserfolg ihrer Nichten, Neffen und anderen Verwandten fördern (die auch Träger:innen vieler der gleichen Gene sind). Eine Studie an Samoanern fand heraus, dass schwule Männer großzügige Onkel sind (Vasey & VanderLaan, 2010). Eine alternative Erklärung ist die „fertile females theory“, die besagt, dass die Gene der Mütter wirken (Bocklandt et al., 2006). Neuere in Italien durchgeführte Studien bestätigen, was andere schon herausgefunden hatten – dass homosexuelle Männer mehr homosexuelle Verwandte mütterlicherseits als väterlicherseits haben (Camperio-Ciani et al., 2004, 2009, 2012; VanderLaan & Vasey, 2011; VanderLaan et al., 2012). Man fand auch heraus, dass die Verwandten homosexueller Männer mütterlicherseits verglichen mit den Verwandten heterosexueller Männer mütterlicherseits mehr Nachkommen hervorbringen. Vielleicht veranlassen die Gene, die die Frauen dazu bringen, sich stark zu Männern hingezogen zu fühlen, und somit mehr Kinder zu haben, Männer (einschließlich einige der eigenen männlichen Verwandten) dazu, dass diese sich zu Männern hingezogen fühlen (LeVay, 2011). So scheint die verminderte Fortpflanzung schwuler Männer durch die erhöhte Fortpflanzung ihrer mütterlichen Großfamilie ausgeglichen zu werden. zz Pränatale Hormone und sexuelle Orientierung
Bei eineiigen und zweieiigen Zwillingen findet sich eine erhöhte Wahrscheinlichkeit, dass sie homosexuell sind; dies deutet darauf hin, dass nicht nur gemeinsame Gene, sondern auch eine gemeinsame pränatale Umwelt ein Faktor sein kann. Erinnern Sie sich daran, dass im Mutterleib die Geschlechtshormone unsere Entwicklung als männlich oder weiblich beeinflussen. Bei Tieren und einigen wenigen menschlichen Fällen änderte sich die sexuelle Orientierung eines Fötus durch pränatale hormo-
493
nelle Bedingungen. Der deutsche Forscher Gunter Dorner (1976, 1988) wurde zum Pionier dieser Forschung, als er die männlichen Hormone veränderte, denen eine ungeborene Ratte ausgesetzt war, und somit auch ihre sexuelle Orientierung. Auch weibliche Schafe zeigen homosexuelles Verhalten, wenn man ihren Müttern in einer kritischen Phase der Schwangerschaft Testosteron injiziert (Money, 1987).
» „Die moderne wissenschaftliche Forschung zeigt, dass
die sexuelle Orientierung … teilweise von der Genetik, jedoch im Besonderen von der hormonellen Aktivität im Mutterleib bestimmt wird.“ Glenn Wilson & Qazi Rahman, Born Gay: The Psychobiology of Sex Orient‑ ation (2005)
Bei Menschen scheint es eine kritische Phase für die Entwicklung des neuronalen Hormonkontrollsystems des Gehirns in der Mitte des 2. und des 5. Monats nach der Empfängnis zu geben (Ellis & Ames, 1987; GarciaFalgueras & Swaab, 2010; Meyer-Bahlburg, 1995). Wird ein Fötus während dieser Zeit den Hormonen ausgesetzt, die normalerweise für weibliche Föten bestimmt sind, scheint die Vorliebe für Männer im späteren Leben festgelegt zu werden, unabhängig davon, ob der Fötus männlich oder weiblich ist. „Pränatale Sexualhormone kontrollieren die sexuelle Differenzierung der Gehirngebiete, die am sexuellen Verhalten beteiligt sind“, merkt LeVay an (2011, S. 216). Dadurch ist es bei weiblichen Föten, die hauptsächlich Testosteron ausgesetzt wurden und bei männlichen Föten, die Testosteron am wenigsten ausgesetzt wurden, am wahrscheinlichsten, dass sie später geschlechtsuntypische Eigenschaften zeigen und homosexuelles Verlangen empfinden. Das mütterliche Immunsystem kann ebenfalls eine Rolle bei der Entwicklung der sexuellen Orientierung spielen. Männer, die einen älteren Bruder haben, sind mit einer etwas größeren Wahrscheinlichkeit schwul, wie Blanchard (1997, 2008a,b) und Bogaert (2003) berichten – die Wahrscheinlichkeit steigt je zusätzlichem älterem Bruder um etwa ein Drittel. Liegt die Wahrscheinlichkeit, schwul zu sein, für den ersten Sohn bei etwa 2 %, steigt sie auf etwa 2,6 % für den zweiten Sohn, auf 3,5 % für den dritten Sohn und so weiter für jeden zusätzlichen älteren Bruder (. Abb. 12.22). Die Ursache für dieses sonderbare Phänomen, den brüderlichen Geburtsreihenfolgeneffekt, ist unbekannt. Blanchard nimmt an, dass die Ursache in der Immunabwehr der Mütter gegen die fremden Substanzen liegt, die von einem männlichen Fötus produziert werden. Die mütterlichen Antikörper werden vielleicht nach jeder Schwangerschaft mit einem männlichen Fötus stärker und könnten verhindern, dass sich das Gehirn des Sohnes in einer für Männer typischen Weise entwickelt. Übereinstimmend mit dieser biologischen Erklärung tritt der Geburtsreihenfolgeneffekt nur bei Männern mit
12
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
494
Wahrscheinlichkeit für Homosexualität
% 10 8 6
Rechtshänder
4 2 0
Nicht-Rechtshänder
1
2
3
4
5
man & Koerting, 2008; Rieger et al., 2016). Zum Beispiel entwickeln sich die Cochlea und das auditive System von lesbischen Frauen auf eine Weise, die zwischen der von heterosexuellen Frauen und Männern liegt. Dies scheint auf den Einfluss pränataler Hormone zurückzuführen zu sein (McFadden, 2002). Schwule Männer sind tendenziell etwas kleiner und leichter als heterosexuelle Männer, sogar schon bei der Geburt, während Frauen in homosexuellen Partnerschaften bei der Geburt meistens schwerer als der Durchschnitt waren (Bogaert, 2010; Frisch & Zdravkovic, 2010). Auch die Gesichtsstruktur und die Anzahl der Rillen im Fingerabdruck können sich unterscheiden (Hall & Kimura, 1994; Mustanski et al., 2002; Sanders et al., 2002; Skorska et al., 2015).
Anzahl älterer Brüder ..Abb. 12.22 Der brüderliche Geburtsreihenfolgeneffekt. Nach dem Forscher Blanchard (2008a) stellen diese ungefähren Kurven die Wahrscheinlichkeit eines Mannes, homosexuell zu sein, in Abhängigkeit von der Anzahl seiner biologischen (nicht adoptierten) älteren Brüder, dar. Diese Korrelation fand man in mehreren Studien, jedoch nur bei rechtshändigen Männern (was etwa 9 von 10 sind)
12
älteren Brüdern auf, die von derselben Mutter geboren worden sind (ob sie zusammen aufgezogen worden sind oder nicht). Die sexuelle Orientierung wird nicht durch Adoptivbrüder beeinflusst (Bogaert, 2006b). Der Geburtsreihenfolgeneffekt tritt weder bei Frauen mit älteren Schwestern und bei Frauen mit Zwillingsbrüdern noch bei Männern, die nicht rechtshändig sind, auf (Rose et al., 2002). >>Sie sollten darauf achten, dass die wissenschaftliche
Frage nicht lautet „Was verursacht Homosexualität?“ oder „Was verursacht Heterosexualität?“, sondern „Was verursacht unterschiedliche sexuelle Orientierungen?“. Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, vergleicht die wissenschaftliche Psychologie den Hintergrund und die Physiologie von Menschen, die sich in ihrer sexuellen Orientierung unterscheiden.
Persönlichkeitsmerkmale und sexuelle Orientierung Der Vergleich von Persönlichkeitsmerkmalen zwischen homosexuellen und heterosexuellen Menschen ähnelt dem Vergleich der Körpergröße zwischen Männern und Frauen. Der durchschnittliche Mann ist größer als die meisten Frauen, aber viele Frauen sind größer als die meisten Männer. Und genauso wie die Körpergröße einer Person nichts über ihr Geschlecht aussagt, sagen auch Persönlichkeitsmerkmale nichts über die sexuelle Orientierung aus. Dennoch liegen die durchschnittliche homosexuelle Frau und der durchschnittliche homosexuelle Mann hinsichtlich mehrerer Merkmale zwischen heterosexuellen Frauen und Männern (Biologische Korrelate der sexuellen Orientierung; s. ebenfalls LeVay, 2011; Rah-
Biologische Korrelate der sexuellen Orientierung Beobachtbare Unterschiede zwischen homo- und heterosexuellen Menschen: Die sexuelle Orientierung ist Teil einer Sammlung von Eigenschaften. Studien, von denen einige noch repliziert werden müssen, zeigen, dass sich Homosexuelle und Heterosexuelle in den folgenden biologischen und verhaltensbezogenen Eigenschaften unterscheiden: Räumliches Vorstellungsvermögen Anzahl der Rillen im Fingerabdruck Entwicklung des auditiven Systems Händigkeit Berufswahl Relative Fingerlänge Geschlechtlicher Nonkonformismus Alter bei Pubertätseintritt bei Jungen Gesichtsstruktur und Geburtsgröße/‑gewicht Länge des Schlafs Physische Aggression Laufstil Im Durchschnitt (der Beleg ist für Männer jedoch stärker) fallen die Eigenschaften homosexueller Menschen zwischen die Eigenschaften von heterosexuellen Männern und Frauen. Drei biologische Einflüsse – das Gehirn, die Genetik und die Zeit vor der Geburt – könnten zu diesen Unterschieden beitragen.
-------
Unterschiede im Gehirnaufbau: Eine Zellansammlung im Hypothalamus ist bei heterosexuellen Männern größer als bei Frauen und schwulen Männern. Der Hypothalamus reagiert bei schwulen Männern auf den Geruch von Hormonen mit sexuellem Bezug wie der einer Frau. Genetische Einflüsse: Eineiige Zwillinge haben mit einer höheren Wahrscheinlichkeit als zweieiige Zwillinge dieselbe sexuelle Orientierung.
495
12.3 • Sexuelle Motivation
Welche der Optionen unten ist identisch mit dem Original?
0,6
Heterosexuelle Männer
0,5 0,4 0,3 0,2 z-Wert
Original
0,1 0
–0,1
Schwule
Lesben
–0,2 (a)
(b)
(c)
–0,3 –0,4
a
b
Heterosexuelle Frauen
..Abb. 12.23 a,b Räumliche Fähigkeiten und sexuelle Orientierung. a Welche der drei Figuren lässt sich so drehen, dass sie der Zielfigur (oben) entspricht? Heterosexuelle Männer empfinden diese Aufgabe gewöhnlich als leichter als heterosexuelle Frauen; Schwule und Lesben liegen im Bereich dazwischen. (Nach Rahman et al., 2004)
-
Die sexuelle Orientierung kann bei Fruchtfliegen genetisch manipuliert werden. Homosexualität bei Männern scheint von der mütterlichen Seite der Familie weitergegeben zu werden.
Einflüsse der pränatalen Hormone: Bei Tieren und Menschen kann eine Veränderung des pränatalen Hormonspiegels zu Homosexualität führen. Männer mit mehreren älteren biologischen Brüdern sind mit höherer Wahrscheinlichkeit schwul, vielleicht aufgrund einer Reaktion des Immunsystems der Mutter.
Eine weitere verblüffende Illustration für die Unterschiede zwischen hetero- und homosexuellen Personen wird in Studien erwähnt, die zeigen, dass die räumlichen Fähigkeiten homosexueller Männer denen ähneln, wie sie für heterosexuelle Frauen typisch sind (Cohen, 2002; Gladue, 1994; McCormick & Witelson, 1991; Sanders & Wright, 1997). Bei Aufgaben zur mentalen Rotation wie z. B. der, die in . Abb. 12.23 dargestellt ist, erzielen die heterosexuellen Männer meist bessere Ergebnisse als Frauen. Frauen, die einen Zwillingsbruder haben, erzielen ebenfalls bessere Ergebnisse (Vuoksimaa et al., 2010). Bei Studien von Rahman et al. (2004, 2008) fand man heraus, dass die Ergebnisse sowohl der homosexuellen Männer als auch der homosexuellen Frauen wie bei einer Reihe anderer Maße zwischen denen heterosexueller Männer und Frauen liegen. Heterosexuelle Frauen und
Schwule erzielen bei der Erinnerung der räumlichen Lage von Objekten, z. B. in Aufgaben wie bei Memory-Spielen, jedoch bessere Ergebnisse als heterosexuelle Männer (Hassan & Rahman, 2007). Die Konsistenz der Ergebnisse in Genetik, Pränataldiagnostik und Gehirnforschung deutet immer stärker darauf hin, dass man die sexuelle Orientierung biologisch erklären muss (Rahman & Wilson, 2003; Rahman & Koerting, 2008). Trotzdem fragen sich viele Menschen, ob diese Frage überhaupt von Bedeutung sein sollte. Vielleicht sollte sie es nicht, aber menschliche Vorurteile sind von Bedeutung. Menschen, die glauben, dass die sexuelle Orientierung biologisch angeboren ist und von biologischen und pränatalen Faktoren bestimmt wird, neigen eher dazu „gleiche Rechte für homosexuelle und bisexuelle Menschen“ zu unterstützen (Bailey et al., 2016). Menschen, die die sexuelle Orientierung hingegen auf den persönlichen Lebensstil oder eine höhere soziale Toleranz zurückführen, sprechen sich mit größerer Wahrscheinlichkeit gegen solche Rechte aus. Um ein von ihm unterzeichnetes Gesetz aus dem Jahr 2014 zu rechtfertigen, nach dem einige homosexuelle Handlungen mit lebenslanger Haft bestraft werden, erklärte der Präsident von Uganda, Yoweri Museveni, dass Homosexualität nicht angeboren sei, sondern vielmehr eine „Entscheidungsfrage“ darstelle (Balter, 2014; Landau et al., 2014). Die neue biologische Forschung ist jedoch ein zweischneidiges Schwert (Roan, 2010). Ist die sexuelle Orientierung wie die Hautfarbe und das Geschlecht erblich bedingt, ist dies ein Grund (jedoch nicht der einzige in den Augen von Bürgerrechtler:innen [Diamond & Rosky, 2016]), die Bürgerrechte der Homosexuellen zu schützen. Allerdings wachsen Befürchtungen, dass die se-
12
496
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
xuelle Orientierung eines Tages pränatal diagnostiziert werden könnte und Kinder vielleicht nur wegen ihrer voraussichtlich unerwünschten Orientierung abgetrieben werden könnten oder durch hormonelle Behandlung im Mutterleib in eine gewünschte sexuelle Richtung dirigiert werden könnten. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche drei der folgenden fünf Faktoren haben nach den Forschungsergebnissen einen Einfluss auf die sexuelle Orientierung? a. eine gebieterische Mutter b. die Größe bestimmter Zellansammlungen im Hypothalamus c. pränataler Einfluss von Hormonen d. ein distanzierter oder untauglicher Vater e. bei rechtshändigen Männern: mehrere ältere biologische Brüder
12.3.5
12
Sexualität und zwischenmenschliche Beziehungen
?? 12.11 Welche Rolle spielen soziale Faktoren für
unsere Sexualität?
Wir sollten uns in Erinnerung rufen, dass die wissenschaftliche Forschung zur sexuellen Motivation nicht darauf abzielt, die persönliche Bedeutung der Sexualität in unserem Leben zu definieren. Man kann zwar alle verfügbaren Einzelheiten zur Sexualität kennen – dass die anfänglichen Spasmen beim männlichen und weiblichen Orgasmus im Abstand von 0,8 Sekunden erfolgen, dass sich die Brustwarzen der Frau auf dem Höhepunkt der sexuellen Erregung um 10 mm erweitern, dass der systolische Blutdruck um 60 Punkte ansteigt und die Atemfrequenz auf 40 Atemzüge pro Minute – und trotzdem nicht die Bedeutung der sexuellen Intimität für den Menschen begreifen. Gewiss ist eine Bedeutung der sexuellen Intimität, dass sie unsere tiefgehend soziale Natur zum Ausdruck bringt. In einer Studie in den USA, in der die Versuchspersonen bis zum Alter von 30 Jahren beobachtet wurden, sagte ein späterer Zeitpunkt des ersten Geschlechtsverkehrs eine größere Zufriedenheit in der Ehe oder Partnerschaft voraus (Harden, 2012). In einer anderen Studie wurden 2035 Verheiratete gefragt, wann sie zum ersten Mal Sex gehabt hatten (wobei der Bildungshintergrund, das religiöse Engagement und die Beziehungsdauer kontrolliert wurden). Diejenigen, deren Beziehung sich zuerst zu einer tiefen Bindung, etwa einer Ehe, entwickelte, wiesen nicht nur eine größere Beziehungszufriedenheit und ‑stabilität auf, sondern hatten auch besseren
Sex (Busby et al., 2010; Galinsky & Sonenstein, 2013). Männer und (insbesondere) Frauen erleben Sex als befriedigender, also mit weniger Reue und mehr Orgasmen, wenn sie in einer festen Beziehung sind anstatt bei OneNight-Stands (Armstrong et al., 2012; Garcia et al., 2012, 2013). Paare, die regelmäßig zusammen essen, entwickeln ein besseres Gespür dafür, welche Gewürzkombinationen ihrem Partner oder ihrer Partnerin besonders schmecken – und dasselbe trifft auf die Intimität zwischen treuen Partner:innen zu, die sich ein Bett teilen. >>Mehr Sex macht nicht automatisch glücklicher.
Bei verheirateten Paaren korreliert häufigerer Sex mit einem erhöhten Glücksgefühl. Würde also eine systematische Erhöhung der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs dazu führen, dass Menschen glücklicher werden? Leider ist dem nicht so. Heterosexuelle Ehepaare, die nach dem Zufallsprinzip über drei Monate doppelt so oft Sex hatten wie gewöhnlich, wurden etwas unglücklicher (Loewenstein et al., 2015).
Die Vorteile einer festen Bindung gelten unabhängig von der sexuellen Orientierung. Homosexuelle und heterosexuelle Paare erleben eine fast identische Stabilität in ihren Beziehungen, wenn sie geheiratet haben oder eine eingetragene Lebenspartnerschaft eingegangen sind – und eine fast identische Instabilität, wenn sie dies nicht getan haben (Rosenfeld, 2014). Wenn Ehen homosexuellen und heterosexuellen Menschen also gleichermaßen zugänglich werden, können wir erwarten, dass die Stabilität ihrer Beziehungen ähnlicher wird. Sex ist zu einem großen Anteil eine soziale Handlung. Männer und Frauen können alleine zum Orgasmus kommen, doch die meisten Menschen empfinden eine größere Befriedigung – und erleben einen viel größeren Anstieg des Hormons Prolaktin, das mit sexueller Befriedigung und Sättigung assoziiert wird – nach dem Geschlechtsverkehr und Orgasmus mit ihrer geliebten Person (Brody & Tillmann, 2006). Dank ihrer sich überlappenden Belohnungsbereiche im Gehirn nähren sich sexuelles Verlangen und Liebe gegenseitig (Cacioppo et al., 2012). Sex in seiner menschlichsten Form bringt Menschen näher zusammen und stärkt ihre gegenseitige Zuneigung. 12.3.6
Rückblick: Sexuelle Motivation
Verständnisfragen
12.5 – Wie beeinflussen Hormone die menschliche se-
xuelle Motivation? 12.6 – Was ist der sexuelle Reaktionszyklus beim Menschen und wie unterscheiden sich sexuelle Funktionsstörungen von Paraphilien? 12.7 – Wie lassen sich sexuell übertragbare Krankheiten verhindern?
497
12.4 • Zugehörigkeit und Leistung
12.8 – Wie tragen äußere und in der Fantasie vorgestellte
Reize zur sexuellen Erregung bei? 12.9 – Welche Faktoren beeinflussen Teenagerschwangerschaften und die Nutzung von Verhütungsmitteln bei Jugendlichen? 12.10 – Was hat uns die Forschung über sexuelle Orientierungen gelehrt? 12.11 – Welche Rolle spielen soziale Faktoren für unsere Sexualität?
------
Schlüsselbegriffe Aids Asexuell Erektionsstörung Östrogen Paraphilien Refraktärphase Sexuelle Orientierung Sexueller Reaktionszyklus Sexuelle Störung Testosteron Weibliche Orgasmusstörung
Master the Material 1. Welche der folgenden Beobachtungen stellt einen bemerkenswerten Effekt hormoneller Veränderungen auf das menschliche Sexualverhalten dar? a. Das Ende des sexuellen Verlangens bei Männern über 60. b. Das erhöhte sexuelle Interesse in der Pubertät. c. Die Abnahme des sexuellen Verlangens bei Frauen während des Eisprungs. d. Das erhöhte Testosteronniveau bei kastrierten Männern. 2. Was beobachteten Masters und Johnson, als sie den sexuellen Reaktionszyklus untersuchten? a. Eine Plateauphase folgt auf den Orgasmus. b. Menschen durchlaufen eine Refraktärphase, während der sie keine weiteren Orgasmen haben können. c. Das Orgasmusempfinden ist bei Männern stärker als bei Frauen. d. Testosteron wird von Männern und Frauen im gleichen Ausmaß ausgeschüttet. 3. Was ist der Unterschied zwischen sexuellen Störungen und Paraphilien? 4. Reduziert der Kondomgebrauch beim Sex das HIVRisiko? Und schützt er vollständig vor Infektionen, die über die Haut übertragen werden? 5. Was ist ein Beispiel für einen externen Reiz, der das Sexualverhalten beeinflussen kann? a. Das Testosteronniveau im Blut b. Der Beginn der Pubertät c. Ein sexuell eindeutiger Film d. Eine erotische Fantasie oder ein erotischer Traum
12.4 Zugehörigkeit 12.4.1
und Leistung
Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit
?? 12.12 Welchen Beleg gibt es für das menschliche
Bedürfnis nach Zugehörigkeit?
Getrennt von Freund:innen und Familien – isoliert im Gefängnis, neu in der Schule, in einem fremden Land lebend – spüren die meisten Menschen den Verlust der Verbindung zu ihren wichtigsten Bezugspersonen. Wir sind soziale Wesen, wie Aristoteles sagte. In der Nikoma‑ chischen Ethik schrieb er: „Ohne Freundschaft möchte niemand leben, hätte er auch alle anderen Güter.“ Dieses tiefe Bedürfnis nach Zugehörigkeit, die Anschlussmotivation, scheint eine überaus wichtige Form menschlicher Motivation darzustellen (Baumeister & Leary, 1995). Mark Zuckerberg (2012) begreift dies und gibt an, Facebook erfunden zu haben, „um eine soziale Mission zu erfüllen – die Welt offener und verbundener zu machen.“ Obwohl sich Menschen in ihrem Bedürfnis nach Privatsphäre und Einsamkeit unterscheiden, fühlen die meisten von uns das Bedürfnis, sich mit anderen zu verbinden – mit einigen sogar in dauerhaften, engen Beziehungen. Wie der Persönlichkeitstheoretiker Alfred Adler feststellte, ist den Menschen ein „Streben nach Gemeinschaft“ eigen (Ferguson, 1989, 2001, 2010). Anschlussmotivation („affiliation need“) – das Bedürfnis danach, Beziehungen aufzubauen und sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. 12.4.2
Soziale Bindung als Überlebenshilfe
Soziale Bindungen haben die Überlebenschancen unserer Vorfahr:innen verbessert. Bei Erwachsenen hatte die Bindung den Sinn, sich zu begegnen, um sich zu vermehren, und dann zusammenzubleiben, um den gemeinsamen Nachwuchs bis zur Geschlechtsreife aufzuziehen. Bindungsbeziehungen motivierten Eltern dazu, ihre Kinder in ihrer Nähe zu halten, sie zu beruhigen und vor Gefahren zu beschützen (Esposito et al., 2013). Die englische Wendung „to be wretched“, die auf Deutsch „unglücklich sein, sich miserabel fühlen“ bedeutet, hatte die ursprüngliche mittelenglische Bedeutung („wrecched“) „ohne nahe Verwandte sein“. Auch die Zusammenarbeit in Gruppen erleichterte das Überleben. Als Einzelkämpfer:innen waren unsere Ahnen nicht gerade die stärksten Raubtiere. Beim Jagen lernten sie jedoch, dass sechs Hände mehr erreichen als zwei. Und bei der Nahrungssuche schützten sie sich gegenseitig vor Raubtieren und Feind:innen, indem sie sich zusammen in Gruppen bewegten. Diejenigen, die
12
498
12
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
ein Bedürfnis nach Zugehörigkeit hatten, überlebten und pflanzten sich erfolgreich fort; ihre Gene haben sich durchgesetzt und dominieren noch heute. Unsere angeborene Anschlussmotivation treibt uns dazu an, uns mit kooperativen Menschen anzufreunden und diejenigen zu meiden, die uns ausnutzen (Feinberg et al., 2014). In jeder Gesellschaft auf dieser Erde gehören Menschen einer Gruppe an und das „Wir“ wird dem „Sie“ vorgezogen. Eine soziale Identität zu haben – sich als Teil einer Gruppe zu fühlen – fördert unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden (Allen et al., 2015; Greenaway et al., 2015, 2016). Haben Sie enge Bezugspersonen? Solche, mit denen Sie freimütig über all das Gute und Schlechte in Ihrem Leben reden können? Wir freuen uns noch mehr über gute Neuigkeiten, wenn wir jemanden haben, der sich mit uns darüber freut. Dies hat auch einen positiven Effekt auf die Freundschaft (Reis et al., 2010). Das beiläufige Dankeschön eines Unbekannten macht uns glücklicher (Williams & Bartlett, 2015). Und enge Freund:innen können uns im wahrsten Sinne des Wortes erwärmen – so als hielten wir eine beruhigende Tasse warmen Tees in unserer Hand (Inagaki & Eisenberger, 2013). Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit geht anscheinend tiefer als irgendein Bedürfnis nach Reichtum. In einer Studie fand man heraus, dass sich sehr glückliche Studierende von anderen nicht durch ihr Geld unterscheiden, sondern durch „reichhaltige und befriedigende enge Beziehungen“ (Diener & Seligman, 2002). Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit färbt auf unsere Gedanken und Gefühle ab. Wir verbringen einen großen Teil unserer Zeit damit, über tatsächliche und erhoffte Beziehungen nachzudenken. Wenn Beziehungen entstehen, erleben wir das oft als Freude. Menschen, die sich verlieben, spüren häufig Schmerzen in den Wangen, weil sie nicht mehr aufhören können zu lächeln. Fragt man sie: „Warum bist du so glücklich?“ oder „Was gibt deinem Leben Sinn?“, erwähnen die meisten Menschen vor allem anderen ihre nahen, befriedigenden Beziehungen zu ihrer Familie, ihren Freund:innen und Partner:innen (Berscheid, 1985). Das Glück liegt oft sehr nahe. Halten Sie für einen Moment inne, um über etwas nachzudenken: Was war für Sie in der letzten Woche der befriedigendste Augenblick? Sheldon et al. (2001) stellten diese Frage Studierenden in den USA und Südkorea und fragten dann weiter, wie sehr diese höchste Erfahrung verschiedene Bedürfnisse zufriedenstellte. In beiden Ländern waren die Bedürfnisse Erfüllung des Selbstwertgefühls und Beziehung/Zugehörigkeit die beiden wichtigsten Beiträge für den höchsten Augenblick. Wenn unser Bedürfnis nach Zugehörigkeit erfüllt und mit zwei anderen Grundbedürfnissen – Autonomität (ein Gefühl der persönlichen Kontrolle) und Kompetenz – ausgeglichen ist, ist das Resultat ein tiefes Gefühl von Wohlbefinden, eine erhöhte Produktivität und ein höheres Selbstvertrauen (Cerasoli et al., 2016; Deci & Ryan,
2009; Milyavskaya et al., 2009). Sich mit anderen verbunden, frei und kompetent fühlen bedeutet, dass man sich an einem guten Leben erfreut. Das Selbstbewusstsein ist nämlich ein Maß dafür, wie anerkannt und akzeptiert wir uns fühlen (Leary, 2012). Deshalb zielt ein großer Teil unseres Sozialverhaltens darauf ab, dazuzugehören, gesellschaftlich akzeptiert und Teil einer Gruppe zu sein. Um Zurückweisungen zu vermeiden, passen wir uns im Allgemeinen den jeweiligen Gruppennormen an. Wir stellen uns an und folgen dem Gesetz. Wir beobachten unser eigenes Verhalten und hoffen, einen guten Eindruck zu erwecken, um Freundschaft und Wertschätzung zu erlangen. Weil wir uns nach Liebe und Zugehörigkeit sehnen, geben wir Milliarden für Kleider, Kosmetika, Diät und Fitness aus: All das wird dadurch motiviert, dass wir auf Akzeptanz aus sind. Wenn wir in der Schule, am Arbeitsplatz oder im Sommerlager in neue Gruppen zusammengeworfen werden, bilden wir Bindungen. Und wenn unsere gemeinsame Zeit dann zu Ende geht, werden wir traurig. In der Hoffnung, Beziehungen lebendig halten zu können, versprechen wir, anzurufen, zu schreiben und zurückzukommen. Indem wir einen klaren Kreis um „uns“ ziehen, nährt unser Zugehörigkeitsbedürfnis sowohl tiefe Bindungen zu Menschen innerhalb des Kreises (glückliche Familien, bedeutungsvolle Freundschaften und Teamloyalität) als auch Feindseligkeiten gegenüber Menschen außerhalb (jugendliche Gangs, ethnische Rivalitäten und fanatischer Nationalismus). Sich zugehörig zu fühlen, aktiviert die Belohnungs- und Sicherheitssysteme des Gehirns. In einem Experiment empfanden tief verliebte Universitätsstudierende, die Hitze ausgesetzt waren, weniger Schmerz, wenn sie das Bild ihres Partners oder ihrer Partnerin ansahen (Younger et al., 2010). Bilder geliebter Personen aktivieren auch eine Hirnregion – den präfrontalen Kortex –, die körperlichen Schmerz dämpft (Eisenberger et al., 2011). Liebe ist also ein natürliches Schmerzmittel. Menschen leiden sogar, wenn schlechte Beziehungen auseinandergehen. In einer Umfrage in 16 Ländern und in Umfragen in den USA gaben getrennt lebende oder geschiedene Menschen nur halb so oft wie die Verheirateten an, sie seien „sehr glücklich“ (Inglehart, 1990; NORC, 2016a). Liegt das einfach daran, dass glückliche Menschen häufiger heiraten und auch verheiratet bleiben? Eine nationale Langzeitstudie in Großbritannien ergab, dass selbst nach Kontrolle der vorehelichen Lebenszufriedenheit „die Verheirateten immer noch zufriedener sind, was auf einen kausalen Effekt“ der Ehe hindeutet (Grover & Helliwell, 2014). Eine Scheidung sagt auch eine frühere Sterblichkeit voraus. Studien, die 6,5 Mio. Menschen in 11 Ländern beobachtet haben, zeigen, dass im Vergleich zu verheirateten Menschen, diejenigen, die geschieden sind oder getrennt von ihren Partner:innen leben, ein höheres Risiko für einen frühen Tod haben (Sbarra et al., 2011). Kinder, die in verschiedenen Pflegeheimen oder Pflegefamilien aufwachsen und deren Versuche, Beziehun-
499
12.4 • Zugehörigkeit und Leistung
..Abb. 12.24 Kontaktbedürfnis. An sechs Tagen der Woche arbeiten Frauen von den Philippinen als Haushaltshilfen in Tausenden Haushalten in Hongkong. Sonntags strömen sie ins Geschäftszentrum, um zu picknicken, zu tanzen, zu singen, sich zu unterhalten und zu lachen. „Die Menschheit könnte kein schöneres Bild des Glücks inszenieren“, beschrieb ein Beobachter die Szene (Economist, 2001; © Liang Xiashun/dpa/ picture alliance)
gen aufzubauen, immer wieder scheitern, haben wahrscheinlich auch später Probleme damit, sich auf echte Beziehungen einzulassen (Oishi & Schimmack, 2011). In Extremfällen sind die Befunde am eindeutigsten. Wie wir in 7 Kap. 6 gesehen haben, werden Kinder, die in Institutionen aufwachsen, in denen ihnen nicht das Gefühl vermittelt wird, zu irgendjemandem zu gehören, oder die zu Hause unter extremer Vernachlässigung weggesperrt werden, zu mitleiderregenden Geschöpfen: in sich zurückgezogen, verängstigt, sprachlos. Doch selbst dann, wenn unsere Kindheit voller sicherer Beziehungen war, können wir von Angst, Einsamkeit, Eifersucht oder Schuld überwältigt werden, wenn etwas unser soziales Netz bedroht oder wenn eine Bindung gelöst wird. Die meisten unserer schönsten Momente im Leben treten auf, wenn enge Beziehungen beginnen – wenn eine neue Freundschaft geschlossen wird, wenn man sich verliebt oder wenn man ein Baby bekommt – wohingegen die schlimmsten Momente auftreten, wenn enge Beziehungen enden (Beam et al., 2016). Für die Hinterbliebenen fühlt sich das Leben oft leer und nutzlos an und sie essen möglicherweise zu viel, um diese Leere zu füllen (Yang et al., 2016). Sogar die ersten Wochen in einer Universität weit weg von zu Hause sind für viele Studierende eine schwierige Zeit (English et al., 2017). Doch unser Wunsch nach Beziehungen motiviert uns dazu, neue soziale Kontakte zu knüpfen (Oishi et al., 2013a). Immigrant:innen und Geflüchtete, die allein ihre Heimat verlassen und an einen neuen Ort ziehen müssen, können unter der Belastung und der Einsamkeit depressiv werden. Nachdem einzelne Familien jahrelang allein in Gemeinden angesiedelt wurden, ist die heutige Politik die der „Kettenmigration“ (Pipher, 2002). Die zweite sudanesische Flüchtlingsfamilie, die in einem Ort ansässig wird, hat es meistens leichter als die erste (. Abb. 12.24).
Soziale Isolation setzt uns einem Risiko von psychischem Verfall und Krankheit aus (Cacioppo et al., 2015). Einsame ältere Erwachsene machen mehr Arztbesuche und haben ein höheres Risiko für Demenz (GerstEmerson & Jayawardhana, 2015; Holwerda et al., 2014). Je mehr man sich hingegen akzeptiert fühlt und Beziehungen aufbaut, desto stärker werden das eigene Selbstwertgefühl, die positiven Emotionen und die körperliche Gesundheit (Blackhart et al., 2009; Holt-Lunstad et al., 2010; Smart Richman & Leary, 2009). Ein sozial verknüpftes ist oft auch ein glückliches und gesundes Leben. 12.4.3
Der Schmerz der Ausgrenzung
Vielleicht können Sie sich an eine Zeit erinnern, als sie sich ausgeschlossen, ignoriert oder ausgestoßen fühlten. Möglicherweise stießen Sie auf stille Ablehnung online oder sahen ihre Freundesliste schrumpfen. Eventuell wurden Sie von anderen gemieden, oder sie verdrehten, wenn Sie anwesend waren, die Augen oder spotteten hinter Ihrem Rücken über Sie. Oder vielleicht waren Sie ein:e sprachliche:r Außenseiter:in in einer Gruppe von Menschen, die eine andere Sprache sprechen (Dotan-Eliaz et al., 2009). Ausgrenzung („ostracism“) – absichtliche soziale Aus-
grenzung von Einzelpersonen oder Gruppen. All diese Erfahrungen sind Beispiele für Ausgrenzung, also für soziale Ausgrenzung (Williams, 2007, 2009). Überall auf der Welt setzen Menschen Ausgrenzung ein – durch Exil, Inhaftierung und Einzelhaft – um durch die bestrafende Wirkung Sozialverhalten zu steuern (. Abb. 12.25). Für Kinder kann sogar eine kurze Auszeit in sozialer Isolation bestrafend wirken. Wenn man
12
500
12
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
..Abb. 12.25 Den Schmerz der Ausgrenzung ertragen. Weiße Kadetten an der US-Militärakademie in West Point grenzten Henry Flipper jahrelang in der Hoffnung aus, er würde die Akademie verlassen. Er hielt trotz ihres Verhaltens durch und wurde 1877 der erste afroamerikanische West-Point-Absolvent. (© Picture History/newscom/picture alliance)
Menschen persönliche Vorfälle beschreiben lässt, in denen sie sich besonders schlecht gefühlt haben, werden sie – in etwa vier von fünf Fällen – eine Schwierigkeit in Bezug auf eine Beziehung beschreiben (Pillemer et al., 2007).
» „Gib mir einfach die Todesstrafe, Mann!“ Paul Redd während seiner Einzelhaft (2015)
Ausgestoßen zu werden ist gleichbedeutend damit, dass man jemandem das Bedürfnis nach Zugehörigkeit abspricht (Vanhalst et al., 2015; Wirth et al., 2010; . Abb. 12.26). „Es ist das Gemeinste, was man jemandem antun kann, vor allem wenn man weiß, dass er sich nicht wehren kann. Ich hätte nie auf die Welt kommen sollen“, sagt Lea, die ihr Leben lang ein Opfer der stillen Ablehnung durch ihre Mutter und ihre Großmutter gewesen ist. Wie Lea reagieren Menschen auf soziale Ausgrenzung oft mit depressiver Stimmung, anfänglichen Bemühungen, wieder akzeptiert zu werden, und dann mit Rückzug. Der Häftling William Blake (2013) verbrachte mehr als ein Vierteljahrhundert in Isolationshaft und stellte fest: „Ich kann mir nicht vorstellen, wie irgendein Tod härter und schrecklicher sein könnte, als all das zu durchleben, was ich ertragen musste.“ Für viele ist soziale Ausgrenzung eine Strafe, die schlimmer ist als der Tod. William und seine Kollegen waren überrascht, als sie in ihren Studien zur Ausgrenzung im Internet herausfan-
den, dass das Erleben von Ausgrenzung so ist, als würde man echten Schmerz erleben (Gonsalkorale & Williams, 2006). (Vielleicht können Sie sich an das Gefühl erinnern, wenige Follows auf einem sozialen Netzwerk zu haben, in einem Chat ignoriert zu werden oder auf eine E-Mail keine Antwort zu erhalten.) Solch eine Form der Ausgrenzung belastet den Menschen: Sie löst eine erhöhte Aktivität in Gehirnarealen wie dem anterioren cingulären Kortex aus, der bei physischen Schmerzen reagiert und aktiviert wird (Eisenberger, 2015; Rotge et al., 2015). Wenn Menschen Fotos von romantischen Partner:innen anschauen, die ihnen das Herz gebrochen haben, beginnen ihr Gehirn und ihr Körper weh zu tun (Kross et al., 2011). Dies hilft, einen überraschenden Befund zu erklären: Das Schmerzmittel Acetaminophen (wie es in Tylenor enthalten ist) lindert sozialen sowie physischen Schmerz (DeWall et al., 2010). Kulturübergreifend verwenden Menschen ähnliche Wörter (z. B. verletzt, er‑ drückt), um sozialen und körperlichen Schmerz zu beschreiben (MacDonald & Leary, 2005). Psychologisch scheinen wir sozialen Schmerz mit der gleichen emotionalen Unannehmlichkeit, die durch physischen Schmerz ausgelöst wird, zu erleben. Schmerz, was auch immer seine Ursache ist, zieht unsere Aufmerksamkeit auf sich und motiviert uns, etwas dagegen zu unternehmen. Werden Menschen zurückgewiesen und können nichts dagegen tun, suchen sie sich häufig neue Freunde, essen kalorienreiche Wohlfühlkost oder bauen den Stress durch Verstärkung ihres religiösen Glaubens ab (Aydin et al., 2010; Maner et al., 2007; Sproesser et al., 2014). Oder sie werden aggressiv. Ausgrenzung macht Menschen unsympathischer, was zu weiterer Ausgrenzung führt (Hales et al., 2016). In einer Reihe von Studien sagte die Versuchsleitung einigen Versuchspersonen nach einem Persönlichkeitstest, sie seien „der Typ, der am Ende später im Leben allein ist“, oder andere, die sie getroffen hatten, wollten sie nicht in einer Gruppe haben, die sich gerade bildete (Gaertner et al., 2008; Twenge et al., 2001). Anderen Teilnehmenden wurde gesagt, dass sie „ihr Leben lang angenehme Beziehungen haben würden“ oder dass „jeder Sie ausgewählt hat, um mit Ihnen zusammenzuarbeiten“. Die Versuchspersonen, die sich ausgeschlossen fühlten, stellten sich später häufiger schlecht dar und verhielten sich unsozial, äußerten sich abschätzig oder aggressiv (und das nicht gerade leise) gegenüber denen, die sie beleidigt hatten. „Wenn intelligente, gut angepasste und erfolgreiche Studierende durch ein kleines Experiment im Labor so aggressiv werden können, wenn sie Erfahrung mit sozialem Ausgeschlossensein machen, mag man sich gar nicht ausmalen, welche aggressiven Tendenzen aufkommen können, wenn jemand … sich in seinem wirklichen Sozialleben ausgeschlossen fühlt“, bemerkte die Forschungsgruppe. In der Tat berichtet Williams (2007), dass sich Ausgrenzung „in Schulen durch einen Gewaltfall nach dem anderen webt“.
501
12.4 • Zugehörigkeit und Leistung
..Abb. 12.26 Soziale Akzeptanz und Ablehnung. Erfolgreiche Teilnehmer:innen der RealityTV-Show „Survivor“ bilden Allianzen und werden von den anderen Inselbewohner:innen akzeptiert. Der Rest erhält die ultimative soziale Bestrafung, wenn die anderen entscheiden, dass sie die Insel verlassen müssen. (© Photoshot/picture alliance)
>>Anmerkung: Die Forschenden klärten die Versuchsper-
sonen anschließend auf und beruhigten sie.
» „Wenn sich niemand umdrehte, wenn wir eintraten, ant-
wortete, wenn wir sprachen, oder sich darum kümmerte, was wir taten, sondern wenn jeder Mensch, dem wir begegneten, uns ‚totschlug‘ und so tat, als wären wir nichtexistierende Dinge, würde bald eine Art Wut und ohnmächtige Verzweiflung in uns aufsteigen.“ William James, Principles of Psychology (1890/1950, S. 293–294)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie haben Studierende in Studien darauf reagiert, wenn sie sich ausgeschlossen und ungewollt gefühlt haben? Wie kann man diese Ergebnisse erklären?
12.4.4
Kontaktaufnahme und soziale Vernetzung
?? 12.13 Wie beeinflussen uns soziale Netzwerke?
Als soziale Wesen leben wir für Zugehörigkeit. Als man den Forscher George Vaillant (2009) danach befragte, was er durch eine Studie an 238 Männern der Harvard University von den 1930er Jahren bis zum Ende ihres Lebens gelernt hat, antwortete er: „Glücklich zu sein bedeutet geliebt zu sein.“ Ein südafrikanisches ZuluSprichwort bringt diese Beobachtung auf den Punkt: Umuntu ngumuntu ngabantu – „Ein Mensch ist durch andere Menschen Mensch.“
zz Mobile Netzwerke und soziale Medien
Schauen Sie sich einmal um und schon werden Sie sehen, wie Menschen in Verbindung zueinander stehen: Wir unterhalten uns, tweeten, schreiben SMS, posten, chatten, spielen Videospiele mit anderen online, schicken E-Mails. Wenn Sie über den Campus gehen, sehen Sie vielleicht Studierende, die an ihren Smartphones kleben und kaum Augenkontakt mit Vorübergehenden aufnehmen (oder sind das vielleicht Sie selbst?). Beobachten Sie in den Pausen zwischen den Vorlesungen Studierende, die sich gegenseitig kennenlernen – oder stillschweigend auf ihre Handys schauen, was nach Zählung einer Forschungs-App 56-mal pro Tag passiert (Elias et al., 2016)? Wie wir Kontakte zu anderen aufbauen und halten hat sich unglaublich schnell und tiefgreifend verändert (. Abb. 12.27, . Abb. 12.28). Handys: Am Ende des Jahres 2016 lebten 95 % der weltweit 7,5 Mrd. Menschen in einem Gebiet, das durch ein Mobilfunknetz abgedeckt war (ITU, 2016). SMS: Jugendliche mit einem Handy in den USA schreiben durchschnittlich 30 SMS pro Tag (Lenhart, 2015b). Die Hälfte der 18- bis 29-Jährigen mit einem Smartphone schauen mehrmals pro Stunde darauf und „können sich ein Leben ohne [es] nicht vorstellen“ (Newport, 2015; Saad, 2015). Internet: Im Jahr 2015 benutzten weltweit 68 % aller Erwachsener das Internet (Poushter, 2016). Soziale Netzwerke: Unter den amerikanischen College-Anfänger:innen im Jahr 2010 benutzten 94 % soziale Netzwerke (Pryor et al., 2010). Wenn alle unsere Freund:innen in einem sozialen Netzwerk sind, ist es schwer, der Verlockung zu widerstehen. Wenn man nicht beitritt, hat man oft das Gefühl, dass man etwas verpasst.
-
12
502
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
..Abb. 12.28 (© Drew Panckeri/Search ID: CC141718, Rights Available from CartoonStock.com)
mit Freund:innen in Kontakt zu treten, mit einer großen Familie in Kontakt zu bleiben oder in schwierigen Zeiten Unterstützung zu finden (Pew, 2009; Pinker, 2014; Rainie et al., 2011). Wenn sie in Maßen genutzt werden, sagen soziale Netzwerke ein längeres Leben voraus (Hobbs et al., 2016). Fördert elektronische Kommunikation gesunde Selbstoffenbarung? Selbstoffenbarung bedeutet, dass wir unsere
12 ..Abb. 12.27 (© Claudia Styrsky)
zz Die sozialen Effekte von sozialen Netzwerken
Das Internet wirkt als sozialer Verstärker, indem es gleichgesinnte Menschen verbindet. Wenn wir unter zwischenmenschlichen Krisen oder persönlichem Stress leiden, bietet es Informationen und unterstützende Verbindungen. Es ermöglicht Menschen, ihre Erfahrungen mit anderen zu teilen und ihr Leben mit ihnen zu vergleichen, obwohl dies auch deprimierend sein kann, wenn wir nur wenige „Likes“ bekommen oder viele prahlerische Kontakte haben (Blease, 2015; Verduyn et al., 2015). Das Internet dient auch als eine Online-Partnervermittlung (ich selbst kann dies bestätigen: Meine Frau und ich lernten uns online kennen). Dating-Websites sind nicht für jede:n das Richtige, aber sie können effektiv Menschen zusammenbringen, die gewünschte Eigenschaften teilen (Bruch et al., 2016; . Abb. 12.29). Da die elektronische Kommunikation zu einem Teil unseres Alltags geworden ist, untersuchen Forschende, wie diese Veränderungen unsere Beziehungen beeinflussen. Unsere Vernetzung über das Internet ist ein zweischneidiges Schwert: Von Natur aus sind wir Menschen für den Kontakt von Angesicht zu Angesicht geschaffen und diejenigen, die viel Zeit online verbringen, kennen mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit ihre realen Nachbar:innen oder suchen Hilfe bei ihnen. Aber das Internet hilft uns auch dabei,
Freuden, Sorgen und Verletzlichkeiten mit anderen teilen. Sich anderen anzuvertrauen, kann ein gesunder Weg der Bewältigung von täglichen Herausforderungen sein. Wenn wir elektronisch anstatt von Angesicht zu Angesicht kommunizieren, sind wir oft weniger auf die Reaktionen anderer fokussiert, weniger befangen und dadurch weniger gehemmt. Manchmal wird dies ins Extrem getrieben, z. B. wenn Jugendliche Nacktfotos von sich selbst versenden, wenn Jugendliche im Netz schikaniert werden oder wenn von Hass getriebene Gruppierungen Nachrichten ins Netz stellen, die Fanatismus und Kriminalität fördern. Jedoch dient die verstärkte Selbstoffenbarung noch öfter dazu, Freundschaften zu vertiefen (Valkenburg & Peter, 2009). Fördern soziale Netzwerke Narzissmus? Narzissmus ist ein
schiefgegangenes Selbstwertgefühl. Narzisstische Menschen sind wichtigtuerisch, selbstfokussiert und selbstdarstellend. Manche Persönlichkeitstests beurteilen Narzissmus mit Aussagen wie „Ich bin gerne im Zentrum der Aufmerksamkeit“. Menschen, die hohe Werte im Narzissmus haben, sind besonders aktiv in sozialen Netzwerken (Liu & Baumeister, 2016). Sie sammeln mehr oberflächliche „Freundschaften“. Sie stellen mehr gestellte und glanzvolle Fotos ins Netz. Sie wehren sich eher gegen negative Kommentare. Und was nicht überraschend ist, erscheinen sie auch Fremden, die ihre Seite anschauen, als narzisstischer (Buffardi & Campbell, 2008). Narzissmus („narcissism“) – übermäßige Selbstliebe und
Selbstbezogenheit.
503
12.4 • Zugehörigkeit und Leistung
sich selbst: „Spiegelt meine Zeiteinteilung meine Prioritäten wider? Verbringe ich mehr oder weniger Zeit im Netz, als ich beabsichtigt habe? Beeinflusst meine Zeit im Netz meine Leistungen in der Schule oder bei der Arbeit auf negative Weise? Haben mich meine Familie oder Freund:innen schon darauf angesprochen?“ Überwachen Sie Ihre Gefühle. Fragen Sie sich selbst: „Werde ich emotional durch exzessive Beschäftigung im Netz abgelenkt? Wie fühle ich mich, wenn ich von meinem Computer weggehe?“ „Verstecken“ Sie die Freund:innen im Netz, die Sie am stärksten ablenken. Und nutzen Sie die goldene Regel bei Ihren eigenen Nachrichten, die Sie ins Netz stellen. Bevor Sie etwas posten, fragen Sie sich selbst: „Ist dies etwas, das mich interessieren würde, wenn es jemand anderes ins Netz stellen würde?“ Versuchen Sie, Ihre tragbaren Geräte abzustellen oder sie woanders zu lassen. Die selektive Aufmerksamkeit – das Blitzlicht Ihres Verstandes – kann zu einem Zeitpunkt immer nur an einem Ort sein. Wenn man versucht, zwei Dinge auf einmal zu machen, macht man keines der beiden besonders gut (Willingham, 2010). Wenn Sie produktiv lernen oder arbeiten möchten, unterdrücken Sie die Versuchung, ständig erreichbar zu sein. In einem Experiment erlebten zufällig ausgewählte Personen, die ihre E-Mails nur 3-mal am Tag abriefen, eine signifikanten Stressreduktion (Kushlev & Dunn, 2015). (Um Ablenkungen zu vermeiden, korrigiere und bearbeite ich dieses Kapitel in einem Café ohne Wi-Fi.) Frischen Sie Ihre Aufmerksamkeit mit einem Spa‑ ziergang durch die Natur auf. Ein Spaziergang durch einen Wald, im Gegensatz zu einem Spaziergang auf einer beschäftigten Straße, füllt die Kapazität der fokussierten Aufmerksamkeit bei Menschen wieder auf (Berman et al., 2008). Die Verbindung zur Natur hebt unsere Stimmung und schärft unseren Verstand (Zelenski & Nisbe, 2014).
..Abb. 12.29 „Die Frauen auf diesen Dating-Seiten scheinen nicht zu glauben, dass ich ein Prinz bin.“ (© Liam Francis Walsh/Search ID: CC138553, Rights Available from CartoonStock.com)
Soziale Netzwerke sind nicht nur ein Sammelpunkt für narzisstische Personen. Sie füttern und fördern den Narzissmus auch. In einer Studie wurden Studierende zufällig entweder einer Gruppe zugeteilt, die ihre OnlineProfile für 15 Minuten bearbeiten und erklären sollte, oder einer Gruppe, die diese Zeit dazu nutzen sollte, sich die Routenplanung von Google Maps anzuschauen und zu erklären (Freeman & Twenge, 2010). Nachdem sie ihre Aufgaben gemacht hatten, wurden sie alle getestet. Welche Personen erzielten dabei höhere Werte auf einer Narzissmusskala? Die Personen, die mehr Zeit damit verbrachten, sich mit sich selbst zu beschäftigen. zz Aufrechterhaltung von Balance und Fokus
Sowohl in Taiwan und den USA wurden exzessives Online-Sozialisieren und Online-Spielen mit schlechteren Noten sowie mit erhöhter Ängstlichkeit und Depressivität in Verbindung gebracht (Brooks, 2015; Lepp et al., 2014; Walsh et al., 2013). In einer amerikanischen Umfrage erzielten 47 % der stärksten Nutzer:innen des Internets und anderer Medien hauptsächlich die Noten 3 oder schlechter, im Vergleich zu 23 % der Schüler:innen, die weniger Medien nutzten (Kaiser Foundation, 2010). In einer anderen Umfrage in den USA waren junge Erwachsene, die sieben oder mehr soziale Netzwerke benutzten, 3-mal so häufig depressiv oder ängstlich wie diejenigen, die zwei oder weniger nutzten (Primack et al., 2016). In der heutigen Welt wird jeder von uns damit herausgefordert, einen gesunden Ausgleich zwischen unseren Aufgaben in der realen Welt, unserer Zeit mit Menschen und unserer Online-Beteiligung zu schaffen. Expert:innen bieten einige praktische Vorschläge dafür: Überwachen Sie Ihre Zeit. Führen Sie ein Protokoll darüber, wie Sie Ihre Zeit nutzen. Dann fragen Sie
-
-
-
Der Psychologe Steven Pinker drückt es folgendermaßen aus: „Die Lösung ist nicht, dass wir uns über die Technologie beklagen, sondern dass wir Strategien der Selbstkontrolle entwickeln, so wie wir es auch bei jeder anderen Versuchung im Leben machen.“ Prüfen Sie Ihr Wissen
– Soziale Netzwerke ___ (stärken/schwächen) unsere Beziehungen mit Menschen, die wir schon kennen, und ___ (verstärken/verringern) unsere Selbstoffenbarung.
12
504
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
12.4.5 Leistungsmotivation ?? 12.14 Was ist Leistungsmotivation?
Manche Motive scheinen wenig offensichtlichen Überlebenswert zu haben. Milliardär:innen können etwa motiviert sein, immer mehr Geld zu verdienen. RealityTV-Stars können nach immer mehr Follows auf sozialen Netzwerken streben, Politiker:innen nach mehr Macht oder die Waghalsigen unter uns nach immer größerem Nervenkitzel. Solche Motive scheinen nicht zu schwinden, wenn sie gesättigt werden. Je mehr wir bereits erreicht haben, desto mehr wollen wir vielleicht noch erreichen. Der Psychologe Murray (1938) definierte die Leistungsmotivation der erstgenannten Person als ein Streben nach herausragenden Leistungen, zusammen mit dem Wunsch nach der Beherrschung von Fähigkeiten oder Ideen, nach Kontrolle und nach schnellem Erreichen eines hohen Standards.
12
Leistungsmotivation („achievement motivation“) – Ausmaß des Strebens nach herausragenden Leistungen; beinhaltet einen Wunsch nach der Beherrschung von Fähigkeiten oder Ideen, nach Kontrolle und nach schnellem Erreichen eines hohen Standards. Entschlossenheit („grit“) – in der Psychologie Leidenschaft und Ausdauer bei der Verfolgung langfristiger Ziele.
Wie aufgrund ihrer Beharrlichkeit und ihres Eifers nach Herausforderungen zu erwarten ist, leisten Menschen mit hoher Leistungsmotivation mehr. Eine berühmte Studie verfolgte die Lebensläufe von 1528 kalifornischen Kindern, deren Intelligenztestwerte im Bereich der oberen 1 % lagen. 40 Jahre später verglichen die Forschenden diejenigen, die beruflich am erfolgreichsten, und diejenigen, die am wenigsten erfolgreich waren, und fanden eine unterschiedlich ausgeprägte Motivation. Die besonders Erfolgreichen waren ambitionierter, aktiver und ausdauernder. Als Kinder hatten sie mehr aktive Hobbys. Als Erwachsene nahmen sie an mehr Gruppenaktivitäten teil und waren lieber im Sport aktiv, als bloß zuzusehen (Goleman, 1980). Begabte Kinder sind fähige Lernende. Fähige Erwachsene sind hartnäckig Handelnde. Die meisten von uns sind aktiv Handelnde, wenn wir ein Projekt anfangen oder beenden. Es ist am einfachsten – haben Sie es schon bemerkt? – „in der Mitte hängen zu bleiben“, genau dann, wenn Spitzenleute weitermachen (Bonezzi et al., 2011).
» „Genie ist 1 % Inspiration und 99 % Transpiration.“ Thomas Edison (1847–1931)
In anderen Studien an Sekundarstufenschüler:innen und an Studierenden war die Selbstdisziplin ein besserer
Prädiktor für die Schul- bzw. Studienleistung, die Teilnahme an Veranstaltungen und die Auszeichnung beim Abschluss als Intelligenztestwerte. „Disziplin ist wichtiger als Begabung“ für die Schul- bzw. Studienleistung, schlossen die Forscher Duckworth & Seligman (2005, 2006). Disziplin verfeinert ebenfalls das Talent. Anfang 20 können Spitzengeiger:innen auf eine Praxis von mehr als 10.000 Übungsstunden zurückblicken – das sind doppelt so viele Übungsstunden wie bei anderen Geiger:innen, die Musik unterrichten wollen (Ericsson et al., 2001, 2006, 2007). In ähnlichem Sinne untersuchte eine Studie herausragende Menschen in Wissenschaft, Sport und Kunst, die alle hochmotiviert und diszipliniert waren; sie waren bereit, jeden Tag Stunden zu investieren, um ihre Ziele zu erreichen (Bloom, 1985). Aber wie uns die Kindheit von Mozart zeigt, der im Alter von 8 Jahren komponierte, spielt auch angeborenes Talent eine Rolle (Hambrick & Meinz, 2011; Ruthsatz & Urbach, 2012). Im Sport, in der Musik und im Schach sind die Unterschiede in der Übungszeit zwar signifikant, machen aber nur ein Drittel oder weniger der Leistungsunterschiede aus (Hambrick et al., 2014a,b; Macnamara et al., 2014, 2016; Ullén et al., 2016). Leistungsstarke Menschen profitieren von ihrer Leidenschaft und Ausdauer, aber die Superstars unter ihnen zeichnen sich auch durch ihr außergewöhnliches natürliches Talent aus. Duckworth (2016) hat einen Namen für leidenschaftliche Hingabe an ein ehrgeiziges, langfristiges Ziel: Entschlossenheit. Andere Forschende haben diese Eigenschaft auch mit Gewissenhaftigkeit verglichen (Credé et al., 2016; Rimfeld et al., 2016). In Kombination mit Selbstkontrolle (die eigene Aufmerksamkeit und die eigenen Handlungen angesichts von Versuchungen zu regulieren) kann entschlossene Zielstrebigkeit zu großen Leistungen führen. „Wenn du vor Tausenden gut dastehen willst“, so sagt man, „musst du Tausende übertreffen, wenn niemand hinschaut.“ Obwohl Intelligenz normalverteilt ist, sind es bedeutende Leistungen nicht. Dies zeigt uns, dass solche Leistungen mehr beinhalten als die bloße Fähigkeit. Deswegen spricht eine schlaue Erziehung, Lehre oder Führung die intrinsische Motivation von Menschen an, etwas zu erreichen (erinnern Sie sich an die Diskussion über intrinsische und extrinsische Motivation in 7 Kap. 8). Aufgrund dessen versucht die Organisationspsychologie auch Wege zu finden, gewöhnliche Menschen zu beschäftigen und für ihren gewöhnlichen Job zu motivieren (s. Anhang A). Und deshalb können wir alle einige forschungsbasierte Strategien übernehmen, um unsere Ziele zu erreichen: 1. Machen Sie einen Vorsatz. Herausfordernde Ziele motivieren zu Leistung (Harkin et al., 2016). Konkrete Ziele (z. B. „Stelle den Aufsatz bis Dienstag fertig.“) lenken die Aufmerksamkeit und motivieren das Durchhaltevermögen.
505
12.4 • Zugehörigkeit und Leistung
2. Kündigen Sie das Ziel Freund:innen oder Familienmit‑ gliedern an. Die Wahrscheinlichkeit, dass wir ein Ziel erreichen, ist größer, wenn wir eine öffentliche Verpflichtung eingegangen sind. 3. Entwickeln Sie einen Umsetzungsplan – eine Strategie, die angibt, wann, wo und wie wir uns unserem Ziel nähern. Menschen, die ihre Ziele mit detaillierten Plänen ausarbeiten, sind konzentrierter und haben eine höhere Erfolgswahrscheinlichkeit (Gollwitzer & Oettingen, 2012). Es ist besser, sich auf kleine Schritte – etwa das Tagesziel beim Joggen – zu konzentrieren, als sich den Marathon vorzustellen. 4. Überwachen und protokollieren Sie Ihre Fortschritte, vielleicht unterstützt durch einen Tracker wie etwa Fitbit. Es ist umso besser, wenn dieser Fortschritt öffentlich angezeigt und nicht geheim gehalten wird (Harkin et al., 2016). 5. Schaffen Sie ein förderliches Umfeld. Wenn Sie versuchen, sich gesund zu ernähren, halten Sie Snacks aus ihren Regalen fern. Verwenden Sie kleine Teller und Schüsseln. Wenn Sie sich auf ein Projekt konzentrieren, verkriechen Sie sich in der Bibliothek. Wenn Sie schlafen, schalten Sie das Telefon aus. Solche „situativen Selbstkontrollstrategien“ verhindern verlockende Impulse (Duckworth et al., 2016). 6. Verwandeln Sie das schwer zu erledigende Verhalten in eine „Muss“-Gewohnheit. Gewohnheiten bilden sich, wenn wir Verhaltensweisen in einem bestimmten Kontext wiederholen (7 Kap. 8). Indem unser Verhalten mit dem Kontext verknüpft wird, ruft unsere nächste Erfahrung mit diesem Kontext unsere gewohnheitsmäßige Reaktion hervor. Um unsere Selbstkontrolle zu erhöhen und unsere Vorsätze mit positiven Ergebnissen zu verbinden, ist er erforderlich, „förderliche Gewohnheiten“ zu bilden (Galla & Duckworth, 2015). Tun Sie etwas jeden Tag für etwa zwei Monate, wird es zu einer festen Gewohnheit. 7. Um wichtige Lebensziele zu erreichen, wissen wir häufig, was zu tun ist. Wir wissen, dass eine volle Nachtruhe unsere Wachsamkeit, Energie und Stimmung steigert. Wir wissen, dass Bewegung Depressionen und Ängste lindert, unseren Körper formt und unser Herz und unseren Verstand stärkt. Wir wissen, dass das, was wir unserem Körper zuführen – Fast Food oder ausgewogene Ernährung, süchtig machende Substanzen oder saubere Luft – unsere Gesundheit und Lebenserwartung beeinflusst. Aber leider, wie T. S. Eliot voraussah, fällt ein Schatten zwischen Idee und Wirklichkeit. Nichtsdestotrotz können wir durch diese sechs Schritte – Beschließen, Ankündigen, Planen, Überwachen, Kontrollieren und beharrliches Handeln – eine Brücke zwischen unserem Vorsatz und der Realität schlagen (. Abb. 12.30).
..Abb. 12.30 Calums Straße: Was Entschlossenheit vollbringen kann. Malcolm („Calum“) MacLeod (1911–1988), der sein ganzes Leben auf der schottischen Insel Raasay verbracht hatte, dort ein kleines Fleckchen Land bewirtschaftet, den Leuchtturm gepflegt und gefischt hatte, fühlte sich von der lokalen Regierung gepeinigt. Sie lehnte wiederholt den Bau einer Straße ab, die es ermöglichen würde, das nördliche Ende der Insel mit dem Auto zu erreichen. MacLeod reagierte mit heldenhafter Entschlossenheit, nachdem die ursprünglich blühende Population auf zwei Personen – er selbst und seine Frau – zurückgegangen war. An einem Morgen im Frühjahr 1964 nahm der mittlerweile 50-jährige MacLeod eine Axt, ein Beil, eine Schaufel und eine Schubkarre. Mit bloßer Hand begann er, den bestehenden Fußweg in eine etwa 2,8 km lange Straße umzubauen (Miers, 2009). Ein früherer Nachbar erklärte, dass MacLeod hoffte, dass „durch den Bau einer Straße eine neue Generation von Menschen zum nördlichen Ende von Raasay zurückkommen würde“ und ihre Kultur wiederherstellen würde (Hutchinson, 2006). Einen Tag nach dem anderen arbeitete er sich durch grobe Berghänge, entlang gefährlicher Klippenwände und über Torfmoore hinweg. 10 Jahre später vollendete er endlich seine Höchstleistung. Die Straße, die die Regierung mittlerweile befestigt hat, bleibt ein sichtbares Beispiel für das, was man mit Fantasie und zielstrebiger Entschlossenheit erreichen kann. Es sollte uns alle zum Nachdenken anregen: Welche „Straßen“ – welche Leistungen – könnten wir, mit anhaltender Anstrengung, in den nächsten Jahren bauen? (© Ashley Cooper/Global Warming Images/picture alliance)
Prüfen Sie Ihr Wissen
Was hast sich in der Forschung als noch besserer Prädiktor für Schulleistungen herausgestellt als die Ergebnisse von Intelligenztests?
12.4.6
Rückblick: Zugehörigkeit und Leistung
Verständnisfragen
12.12 – Welchen Beleg gibt es für das menschliche Be-
dürfnis nach Zugehörigkeit? 12.13 – Wie beeinflussen uns soziale Netzwerke? 12.14 – Was ist Leistungsmotivation?
12
506
Kapitel 12 • Quellen der Motivation: Hunger, Sex, Zugehörigkeit und Erfolg
---
Schlüsselbegriffe Ausgrenzung Anschlussmotivation Entschlossenheit Narzissmus Leistungsmotivation
Master the Material 1. Welche der folgenden Verhaltensweisen unterstützt NICHT die Ansicht, dass sich Menschen sehr nach Zugehörigkeit sehnen? a. Studierende, die sich selbst als „sehr zufrieden“ einstufen, haben auch erfüllende soziale Beziehungen. b. Soziale Ausgrenzung – etwa Exil oder Einzelhaft – wird als harsche Bestrafung empfunden. c. Im Erwachsenenalter neigen adoptierte Kinder dazu, ihren biologischen Eltern zu ähneln. d. Kinder, die stark vernachlässigt werden, werden zurückgezogen, verängstigt und sprachlos. 2. Was sind einige Beispiele für Verhaltensweisen, die uns dabei helfen, unsere Zeit auf sozialen Netzwerken erfolgreich zu organisieren?
Weiterführende deutsche Literatur
12
Brandstätter, V., Schüler, J., Puca, R. M., & Lozo, L. (2018). Motiva‑ tion und Emotion: Allgemeine Psychologie für Bachelor (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Heckhausen, J., & Heckhausen, H. (2018). Motivation und Handeln (5. Aufl.). Heidelberg: Springer. Rheinberg, F., & Vollmeyer R. (2018). Motivation (9. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Rothermund, K., & Eder, A. (2011). Motivation und Emotion. Basis‑ wissen Psychologie. Wiesbaden: VS. Rudolph, U. (2013). Motivationspsychologie kompakt (3. Aufl.). Weinheim: Beltz.
507
Emotionen, Stress und Gesundheit Inhaltsverzeichnis 13.1
Einführung in die Welt der Emotionen – 508
13.1.1 13.1.2 13.1.3
Emotionen: Erregung, Verhalten und Kognition – 508 Emotion und Körper – 513 Rückblick: Einführung in die Welt der Emotionen – 516
13.2
Emotion und Ausdruck – 516
13.2.1 13.2.2 13.2.3 13.2.4 13.2.5
Emotionen bei anderen erkennen – 516 Geschlecht, Emotion und nonverbales Verhalten – 518 Emotionsausdruck im kulturellen Kontext – 519 Mimischer Ausdruck – 522 Rückblick: Emotion und Ausdruck – 524
13.3
Emotion und Erfahrung – 525
13.3.1 Wut – 526 13.3.2 Glücklichsein – 528 13.3.3 Rückblick: Emotion und Erfahrung – 536
13.4
Stress und Krankheit – 536
13.4.1 13.4.2 13.4.3
Stress: Grundlegende Prinzipien – 536 Stress und Krankheitsanfälligkeit – 542 Rückblick: Stress und Krankheit – 549
13.5
Gesundheitsförderung – 550
13.5.1 Bewältigung von Stress – 550 13.5.2 Stress reduzieren – 557 13.5.3 Rückblick: Gesundheitsförderung – 563
Weiterführende deutsche Literatur – 564
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_13
13
508
13
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
Niemand muss Ihnen sagen, dass Ihre Gefühle Farbe in Ihr Leben bringen, dass sie in angespannten Zeiten Ihr Leben stören oder auch retten können. Angst, Wut, Trauer, Freude oder Liebe sind psychologische Zustände, die auch physikalische Reaktionen mit sich bringen. Sind wir nervös wegen eines wichtigen Zusammentreffens, haben wir ein flaues Gefühl im Magen. Sind wir unruhig vor einem öffentlichen Vortrag, suchen wir häufiger die Toilette auf. Sind wir aufgebracht wegen eines Familienstreits, bekommen wir rasende Kopfschmerzen. Wir alle können uns an Momente erinnern, in denen wir von Gefühlen überwältigt wurden. Ich [DM] werde nie den Tag vergessen, an dem ich mit meinem Sohn Peter, meinem Erstgeborenen, der damals noch ein Kleinkind war, in ein großes Einkaufszentrum ging, um einen Film abzugeben. Als ich Peter für einen Moment auf seine Füße stellte, um den Abholschein auszufüllen, warnte mich ein Vorübergehender: „Sie sollten besser auf den Jungen aufpassen, sonst kommt er Ihnen noch abhanden.“ Nur wenige Augenblicke später drehte ich mich um und sah keinen Peter mehr neben mir. Mit einem leichten Angstgefühl schaute ich zum einen Ende des Schalters. Kein Peter in Sicht. Mit etwas mehr Angst schaute ich zum anderen Ende. Auch dort kein Peter. Nun ging ich um die anderen Schalter herum, dabei schlug mein Herz immer schneller und lauter. Immer noch keine Spur von Peter. Meine Angst wurde zur Panik, und ich rannte die Gänge zwischen den Regalen auf und ab. Er war nirgends zu finden. Der alarmierte Filialleiter setzte die Lautsprecheranlage ein, um die Kunden zu bitten, bei der Suche nach einem verloren gegangenen Kind zu helfen. Kurz darauf kam ich an dem Kunden vorbei, der mich gewarnt hatte. „Ich habe Ihnen doch gesagt, dass Sie ihn verlieren werden!“, schimpfte er jetzt. Mit Bildern von einem Kidnapping im Kopf (Fremde hatten schon immer bewundert, was für ein hübsches Kind Peter sei), machte ich mich darauf gefasst, dass meine Achtlosigkeit möglicherweise zum Verlust des Meistgeliebten in meinem Leben führen würde, und dass ich nach Hause gehen und meiner Frau ohne unser einziges Kind gegenübertreten müsste. Aber dann, als ich erneut am Serviceschalter vorbeikam, war er wieder da. Er war von einem freundlichen Kunden gefunden und zurückgebracht worden. Innerhalb einer Sekunde verwandelte sich meine Angst in große Freude. Als ich meinen Sohn umarmte, kamen mir die Tränen, und ich war nicht einmal mehr in der Lage, mich zu bedanken, sondern stolperte einfach aus dem Laden, fast aufgelöst vor Freude. Emotionen sind subjektiv. Aber sie sind real, so die Forscherin Lisa Feldman Barrett (2012, 2013): „Das Empfinden von Wut bilde ich mir nicht ein. Wenn ich wütend bin, fühle ich mich wütend. Das ist real.“ Woher kommen solche Gefühle? Warum haben wir sie? Wie setzen sie sich zusammen?
Gefühle sind die Anpassungsreaktionen unseres Körpers. Sie verbessern unsere Überlebenschancen. Wenn wir uns Herausforderungen gegenübergestellt sehen, bringen uns unsere Gefühle dazu, unsere Aufmerksamkeit zu bündeln und spornen uns zum Handeln an (Cyders & Smith, 2008). Unser Herz rast. Wir gehen schneller. Alle Sinne sind in hoher Alarmbereitschaft. Wenn wir unerwartet gute Nachrichten bekommen, können uns Tränen in die Augen treten. Wir werfen triumphierend die Arme in die Luft. Wir fühlen uns überschwänglich und erleben eine neu entdeckte Zuversicht. Anhaltende negative Gefühle können unserer Gesundheit allerdings auch schaden. 13.1 Einführung 13.1.1
in die Welt der Emotionen
Emotionen: Erregung, Verhalten und Kognition
?? 13.1 Welches Wechselspiel zwischen Erregung, Aus-
drucksverhalten und Kognition gibt es bei Emotionen?
Wie meine qualvolle Suche nach Peter zeigt, sind Emotionen eine Mischung aus 1. physiologischer Erregung (Herzrasen), 2. Ausdrucksverhalten (beschleunigter Schritt) und 3. bewusster Erfahrung („Ist das eine Entführung?“) und Gefühlen (Panik, Angst, später Freude). Emotion („emotion“) – Reaktion des gesamten Organis-
mus, die 1. physiologische Erregung, 2. Ausdrucksverhalten und 3. bewusste Erfahrung beinhaltet. >>Nicht nur Emotionen, sondern fast alle psychischen
Phänomene (wie Wahrnehmung, Schlaf, Gedächtnis, Sexualität usw.) können unter diesen drei Aspekten betrachtet werden: physiologisch, kognitiv und auf der Verhaltensebene.
Das Problem für die Psychologie besteht darin, herauszufinden, wie diese drei Teile zusammenpassen. Dafür gingen die ersten Emotionsforschenden zwei zentralen Fragen nach: Eine Huhn-oder-Ei-Debatte: Entsteht die physiologische Erregung vor oder nach dem bewussten „Gefühl“? (Habe ich zuerst bemerkt, wie mein Herz schlägt und ich schneller gehe, und merke dann, dass ich Angst habe, Peter verloren zu haben? Oder kommt zuerst das Gefühl der Angst, das bei mir zur Reaktion des Herzens und der Füße führte?) In welchem Wechselspiel stehen Denken (Kognition) und Fühlen zueinander? Kommt die Kognition immer vor der Emotion? (War es erforderlich, dass ich die Gefahr eines Kidnappings bewusst einschätzte, bevor ich gefühlsmäßig reagieren konnte?)
-
13.1 • Einführung in die Welt der Emotionen
509
..Abb. 13.1 Freude ausdrücken. Der James-Lange-Theorie zufolge lächeln wir nicht nur, weil wir die Freude unserer Mitspieler:innen teilen. Wir teilen die Freude auch, weil wir mit ihnen lächeln. (© Radek Petrasek/ dpa/CTK/picture alliance)
Sowohl historische Emotionstheorien als auch die aktuelle Forschung haben versucht, eine Antwort auf diese Fragen zu finden.
Historische Emotionstheorien Die psychologische Untersuchung von Emotionen begann mit der ersten Frage: Wie hängen körperliche Reaktionen mit Emotionen zusammen? Zwei berühmte Theorien haben darauf unterschiedliche Antworten gegeben. zz James-Lange-Theorie: Erregung entsteht vor der Emotion
Der gesunde Menschenverstand sagt uns, dass wir weinen, weil wir traurig sind, auf den Tisch hauen, weil wir wütend sind, und zittern, weil wir ängstlich sind. Zuerst kommt die bewusste Wahrnehmung, dann folgt das Gefühl. Aber der Pionier der psychologischen Forschung William James war der Meinung, dass der emotionale Prozess genau andersherum abläuft. Eher „fühlen wir uns traurig, weil wir weinen, wütend, weil wir zuschlagen, ängstlich, weil wir zittern“ (1890; . Abb. 13.1). Laut James entstehen Emotionen durch die Beschäftigung mit unserer körperlichen Aktivität. Die Idee von James wurde auch von dem dänischen Physiologen Carl Lange unterstützt und wird deshalb heute als JamesLange-Theorie bezeichnet. James und Lange würden annehmen, dass ich mein rasendes Herz bemerkt habe und dann, zitternd vor Angst, die Flut der Emotionen gespürt habe – dass mein Gefühl der Angst der körperlichen Reaktion folgte. James-Lange-Theorie („James-Lange theory“) – sagt aus,
dass unsere Emotionserfahrung dadurch entsteht, dass wir uns unserer physiologischen Reaktionen auf emotionserregende Reize bewusst werden.
zz Cannon-Bard-Theorie: Erregung und Emotion treten gleichzeitig auf
Der amerikanische Physiologe Walter Cannon (1871– 1943) widersprach der James-Lange-Theorie. Signalisiert ein schnell schlagendes Herz Angst, Wut oder Liebe? Laut Cannon seien sich die Reaktionen des Körpers – Herzschlag, Schwitzen und Körpertemperatur – zu ähnlich und veränderten sich zu langsam, um die vielen verschiedenen Gefühle verursachen zu können. Cannon, und später ein anderer Physiologe, Philip Bard, schlossen daraus, dass die körperliche Reaktion und die erlebten Emotionen getrennt, aber gleichzeitig entstehen: Der Cannon-Bard-Theorie zufolge hat mein Herz also in dem Moment begonnen heftig zu schlagen, als ich Angst empfunden habe. Der Reiz, der die entsprechende Emotion verursacht hatte, wurde zu meinem sympathischen Nervensystem geleitet, wo er die Reaktion meines Körpers auslöste. Gleichzeitig wurde er zu meinem zerebralen Kortex geleitet und bewirkte dort die Empfindung der Emotion. Es hat also weder mein klopfendes Herz das Gefühl der Angst verursacht, noch führte die empfundene Angst dazu, dass mein Herz schneller schlug. Cannon-Bard-Theorie („Cannon-Bard theory“) – sagt aus,
dass ein emotionserregender Reiz gleichzeitig 1. physiologische Reaktionen und 2. die subjektive Erfahrung der Emotion auslöst. Aber läuft dies wirklich unabhängig voneinander ab? Die Cannon-Bard-Theorie wurde durch Studien an Menschen mit schweren Verletzungen des Rückenmarks infrage gestellt, darunter eine Untersuchung von 25 Soldaten des Zweiten Weltkriegs (Hohmann, 1966). Die Patienten mit Verletzungen am unteren Teil des Rückenmarks, die nur die Empfindungen in ihren Beinen verloren hatten, berichteten von nur geringfügigen Veränderungen in der Intensität ihrer Gefühle. Die Soldaten
13
510
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
jedoch mit Verletzungen am oberen Teil des Rückenmarks, die vom Nacken abwärts nichts spüren konnten, berichteten von starken Veränderungen. Manche Reaktionen seien wesentlich weniger intensiv als vor der Verletzung. Die Wut hat „nicht mehr die Vehemenz wie früher. Es ist eher eine kognitive Art von Wut“, wie ein Mann berichtete. Andere Emotionen, die hauptsächlich in Körperteilen oberhalb des Nackens ausgedrückt werden, wurden als umso intensiver wahrgenommen. Diese Patienten berichteten, öfter weinen zu müssen als früher, öfter einen Kloß im Hals zu spüren und beim Abschiednehmen, beim Beten und beim Ansehen eines emotionalen Films stärker gerührt zu sein als früher. Solche Erkenntnisse haben einige Forschende dazu veranlasst, Gefühle als „überwiegend Schatten“ unserer körperlichen Reaktionen und Verhaltensweisen zu betrachten (Damasio, 2003). Die Gehirnaktivität bildet die Grundlage für unsere Emotionen und unseren emotionsgesteuerten Handlungen (Davidson & Begley, 2012). Aber die Emotionen, die wir empfinden, enthalten auch Kognitionen (Averill, 1993; Barrett, 2006). Hier kommen wir zur zweiten großen Frage der Emotionspsychologie: Wie interagieren Denken und Fühlen? Ob wir auf einer dunklen Straße Angst vor dem Mann hinter uns haben, hängt ganz allein davon ab, ob wir seine Handlungen als bedrohlich interpretieren oder nicht. Prüfen Sie Ihr Wissen
13
– Laut der Cannon-Bard Theorie treten (a) unsere physiologischen Reaktionen auf einen Stimulus (z. B. ein schneller schlagendes Herz) und (b) die Emotionen, die wir erleben (z. B. Angst) ___ (gleichzeitig/sequenziell) auf. Der James-Lange Theorie zufolge treten (a) und (b) ___ (gleichzeitig/sequenziell) auf.
Zwei-Faktoren-Theorie von Schachter und Singer: Erregung + Benennung = Emotion ?? 13.2 Müssen wir Emotionen bewusst interpretieren
und benennen, um sie erleben zu können?
Stanley Schachter und Jerome Singer (1962) bewiesen, dass es auch eine Rolle spielt, wie wir unsere Erfahrungen bewerten. Unsere körperliche Reaktion ruft zusammen mit unseren Kognitionen – Wahrnehmungen, Erinnerungen und Interpretationen – die Emotion hervor. Nach ihrer ZweiFaktoren-Theorie haben Emotionen daher zwei Bestandteile: die körperliche Erregung und die kognitive Interpretation. Eine emotionale Erfahrung, so argumentierten sie, benötigt eine bewusste Interpretation der Erregung. Zwei-Faktoren-Theorie („two-factor theory“) – Schachters
und Singers Theorie sagt aus, dass man, um Emotionen
zu erfahren, 1. physiologisch erregt sein und 2. diese Erregung kognitiv interpretieren muss. Manchmal überträgt sich die physiologische Erregung von einem Ereignis auf ein darauffolgendes. Stellen Sie sich vor, dass Sie nach einem Dauerlauf nach Hause kommen und dort einen Brief mit einer Einladung zu einem Bewerbungsgespräch finden, auf den Sie schon lange gewartet hatten. Würde Ihre Freude jetzt, erregt wie Sie durch den Lauf sind, nicht größer sein, als wenn Sie die Neuigkeit nach einer durchlernten Nacht erfahren hätten? Um herauszufinden, ob es einen solchen Übertragungseffekt überhaupt gibt, injizierten Schachter und Singer den Studierenden Adrenalin. Die durchtriebenen Forscher erzählten dann den Testpersonen, dadurch könne ihr Sehvermögen geprüft werden. In Wirklichkeit löst die Droge eine physiologische Erregung aus. Stellen Sie sich vor, eine:r der Versuchsteilnehmenden zu sein: Nachdem Sie die Injektion erhalten haben, gehen Sie ins Wartezimmer, wo Sie eine:n andere:n Versuchsteilnehmer:in vorfinden (in Wahrheit ein:e Mitarbeiter:in der Forschenden), der:die entweder euphorisch gut gelaunt oder wütend ist. Während Sie diese Person beobachten, beginnt Ihr Herz zu schlagen, Sie schwitzen und Ihre Atmung beschleunigt sich. Wenn man Ihnen sagte, dass diese Effekte auf die Spritze zurückgehen, was würden Sie dann empfinden? Die Versuchsteilnehmer:innen von Schachter und Singer meinten, wenig zu fühlen, weil sie ihre Erregung dem Medikament zuschrieben. Aber wenn Sie wüssten, dass die Injektion keinerlei Erregung hervorruft, was würden Sie dann fühlen? Vielleicht würden Sie so reagieren wie eine andere Gruppe von Versuchsteilnehmenden. Diese haben die sichtbare Emotion der anderen Person „übernommen“. Sie wurden also fröhlich, wenn ihr Gegenüber gut gelaunt war, und reizbar, wenn ihr Gegenüber wütend war (. Abb. 13.2). Die Entdeckung, dass derselbe physiologische Erregungszustand einmal als eine bestimmte Emotion und ein anderes Mal als eine völlig andere empfunden werden kann, je nachdem, wie die Situation interpretiert und benannt wird, wurde in Dutzenden von Experimenten repliziert und beeinflusst weiterhin die moderne Emotionsforschung (MacCormack & Lindquist, 2016; Reisenzein, 1983; Sinclair et al., 1994). Wie der Forscher Daniel Gilbert (2006) feststellte, kann „das Gefühl, das man angesichts einer steilen Klippe als Angst interpretiert, beim Anblick einer durchscheinenden Bluse als Lust empfunden werden“. Merke: Die physiologische Erregung treibt die Emotionen an, die Kognition weist ihnen die Richtung. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Laut der Theorie von Schachter und Singer führen zwei Faktoren dazu, dass wir eine Emotion erleben: (1) physiologische Erregung und (2) ___ Bewertung.
13.1 • Einführung in die Welt der Emotionen
511
..Abb. 13.2 Übertragung von Erregung. Die Erregung, die bei einem Fußballspiel aufkommt, kann in Kämpfe oder andere gewalttätige Konfrontationen ausarten. (© epa Keystone Walter Bieri/dpa/picture alliance)
Zajonc, LeDoux und Lazarus: Geht die Kognition immer der Emotion voraus? Aber ist das Herz dem Verstand wirklich immer untertan? Müssen wir also immer zuerst unsere physiologische Erregung benennen, um ein Gefühl haben zu können? Robert Zajonc (1923–2008) glaubte das nicht. Er behauptete, dass wir tatsächlich viele emotionale Reaktionen haben, die unabhängig von unserer bewussten Interpretation einer Situation sind und sogar davor auftreten können (1980, 1984a). Vielleicht können Sie sich daran erinnern, irgendetwas oder irgendjemanden sofort gemocht zu haben, ohne zu wissen warum? Zum Beispiel werden Menschen, denen wiederholt ein Reiz gezeigt wurde, aber nur so kurz, dass sie ihn nicht bewusst wahrnahmen, diesen Reiz später trotzdem anderen vorziehen. Obwohl sie gar nicht wussten, dass sie diesen Reiz schon einmal gesehen hatten, mochten sie ihn gerne. Wir haben ein überaus empfindliches automatisches Radar für emotional bedeutsame Informationen, sodass sogar ein subliminal aufblitzender Stimulus uns dahingehend beeinflussen kann, dass wir uns besser oder schlechter fühlen in Bezug auf einen nachfolgenden Stimulus (Murphy et al., 1995; Zeelenberg et al., 2006). Neurowissenschaftler:innen sind dabei, die neuronalen Pfade der Emotionen zu kartieren (Ochsner et al., 2009). Unsere emotionalen Reaktionen können zwei verschiedenen Gehirnbahnen folgen: Manche Emotionen (vor allem komplexere Gefühle wie Hass und Liebe) folgen dem „oberen Wege“. Ein Stimulus, der diesem Weg folgt, würde (über den Umweg des Thalamus) in den Kortex des Gehirns geleitet werden (. Abb. 13.3a). Dort würde er analysiert und benannt werden, bevor der Antwortbefehl zur Reaktion über die Amygdala (einem Steuerungszentrum für Emotionen) gesendet wird.
Manchmal nehmen unsere Emotionen aber auch den von Joseph LeDoux (2002, 2015) sogenannten „unteren Weg“ über die Nervenbahnen, die am Kortex vorbeigehen. Ein angstinduzierender Stimulus, der dem unteren Weg folgt, würde vom Auge oder Ohr (wieder über den Thalamus) direkt zur Amygdala geleitet werden (. Abb. 13.3b). Diese Abkürzung befähigt uns zu einer blitzschnellen, sozusagen „wie geschmierten“ emotionalen Reaktion, bevor der Intellekt dazwischenkommt. Wie schnelle Reflexe (die auch getrennt vom Denken des Gehirns im Kortex erfolgen) sind die Reaktionen der Amygdala so schnell, dass wir es gar nicht bewusst wahrnehmen können (Dimberg et al., 2000). Ein bewusstes Gefühl der Angst tritt dann auf, wenn wir begreifen, dass unser Gehirn eine Gefahr erkannt hat. Von der Amygdala gehen mehr Nervenbahnen zum Kortex als umgekehrt. Deshalb haben unsere Gefühle mehr Gewalt über unsere Gedanken als unser Denken über unsere Gefühle (LeDoux & Armony, 1999). Im Wald zucken wir beim Geräusch von raschelnden Blättern zusammen und überlassen es dem Kortex, später zu entscheiden, ob tatsächlich ein wildes Tier in der Nähe war oder ob nur der Wind in den Büschen geraschelt hat. Diese Erfahrung unterstützt Zajoncs und Le Doux’ Theorie, nach der einige unserer emotionalen Reaktionen nicht auf bewusstem Denken aufbauen. Der Emotionsforscher Lazarus (1991, 1998) gestand zu, dass unser Gehirn einen großen Teil der Informationsverarbeitung ohne unsere bewusste Wahrnehmung durchführt und dass einige emotionale Reaktionen ohne bewusstes Denken ablaufen. Ein großer Teil unseres emotionalen Lebens läuft über den automatischen und sehr schnellen unteren Weg ab. Aber er merkte an, dass nicht einmal spontan empfundene Emotionen ohne irgend-
13
512
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.3 a,b Abkürzungswege für Emotionen im Gehirn. Im zweigleisigen Gehirn kann sensorischer Input entweder a zum Kortex (über den Thalamus) zur weiteren Auswertung und anschließenden Übertragung an die Amygdala; oder b direkt zur Amygdala (über den Thalamus) geleitet werden, um eine schnelle emotionale Reaktion zu ermöglichen
Sehrinde
Präfrontaler Kortex
Thalamus
Amygdala
Angstreiz
Thalamus
Angstreiz
Angstreaktion
Angstreaktion
a Der mit Denken verbundene obere Weg
13
eine Art kognitiver Bewertung der Situation zustande kommen. Denn wie würden wir sonst wissen, warum wir reagieren? Die Bewertung kann zwar mühelos erfolgen, und wir müssen uns ihrer noch nicht einmal bewusst sein; aber sie bleibt trotzdem eine Funktion des Geistes. Um zu wissen, ob ein Reiz gut oder schlecht ist, muss das Gehirn eine Vorstellung davon haben, wie er zustande gekommen ist (Storbeck et al., 2006). Folglich sagt Lazarus, dass Gefühle entstehen, wenn wir ein Ereignis als harmlos oder gefährlich bewerten. Wir bewerten das Geräusch der raschelnden Blätter so, dass eine bedrohliche Situation vorliegt. Später merken wir, dass es „nur der Wind“ war. Fassen wir noch einmal zusammen (s. auch . Tab. 13.1). Wie Zajonc und LeDoux gezeigt haben, laufen einige emotionale Reaktionen, vor allem einfache Sympathien, Ab-
Amygdala
b Der schnelle untere Weg
neigungen und Ängste, oft ohne kognitive Beteiligung ab (. Abb. 13.4). Wenn ich [ND] eine große Spinne hinter Glas sehe, habe ich Angst, auch wenn ich weiß, dass sie mir nichts tun kann. Solche Reaktionen lassen sich auch durch veränderte Denkmuster nur schwer verändern. Innerhalb eines Bruchteils einer Sekunde können wir eine Person als sympathischer oder vertrauenswürdiger wahrnehmen als eine andere (Willis & Todorov, 2006). Diese sofortige Anziehungskraft kann sogar unsere politische Entscheidung beeinflussen, wenn wir Personen wählen, die wir mögen (wie es viele Menschen tun), anstatt uns für jene zu entscheiden, die eine politische Position vertreten, die unserer eigenen näher ist (Westen, 2007). Aber andere Emotionen – einschließlich depressiver Stimmungen und komplexer Gefühle wie Hass und Liebe – werden stark von unserer bewussten und unbewussten
..Tab. 13.1 Zusammenfassung der Emotionstheorien Theorie
Erklärung der Emotionen
Beispiel
James-Lange
Emotionen entstehen, wenn wir uns unserer spezifischen körperlichen Reaktionen auf emotionserzeugende Stimuli bewusst werden
Wir bemerken, dass unser Herz rast, nachdem wir eine Bedrohung erlebt haben und fühlen uns dadurch verängstigt
Cannon-Bard
Emotionserregende Reize lösen gleichzeitig unsere körperlichen Reaktionen und unsere subjektive Erfahrung aus
Unser Herz rast in dem Moment, in dem wir Angst erleben
Schachter-Singer
Unser Erleben von Emotionen hängt von zwei Faktoren ab: allgemeine Erregung und eine bewusste kognitive Benennung
Wir können unsere Erregung je nach Kontext als Angst oder als Aufregung interpretieren
Zajonc; LeDoux
Einige körperliche Reaktionen laufen spontan ab, ohne bewusste Bewertung
Wir werden automatisch durch ein Geräusch im Wald aufgeschreckt, noch bevor wir es als Bedrohung bewerten
Lazarus
Die kognitive Bewertung („Ist es gefährlich oder nicht?“) definiert die Emotion; manchmal auch ohne unser Bewusstsein
Das Geräusch war „nur der Wind“
513
13.1 • Einführung in die Welt der Emotionen
erkennen. Andere erleben wir, ohne dass wir uns ihrer bewusst sind.
Bewertung
Emotionen und das autonome Nervensystem Lazarus / Schachter-Singer
?? 13.3 Was ist das Bindeglied zwischen emotionaler
Erregung und dem autonomen Nervensystem? Emotionale Reaktion
Ereignis
Zajonc / LeDoux ..Abb. 13.4 Zwei Routen zur Emotion. Zajonc und LeDoux betonen, dass einige emotionale Reaktionen sofort erfolgen, und zwar vor jeder bewussten Bewertung. Lazarus, Schachter und Singer hoben hervor, dass unsere Bewertung und Interpretation von Ereignissen auch unsere emotionalen Reaktionen bestimmt
Informationsverarbeitung beeinflusst: unseren Erinnerungen, Erwartungen und Interpretationen. Diese Emotionen können wir besser bewusst kontrollieren. Wenn wir uns emotional überwältigt fühlen, können wir unsere Interpretationen ändern (Gross, 2013). Eine solche Neubewertung verringert oft den Leidensdruck und die entsprechende Reaktion der Amygdala (Buhle et al., 2014; Denny et al., 2015). Eine Neubewertung reduziert nicht nur Stress, sondern hilft Studierenden auch, bessere Prüfungsergebnisse zu erzielen (Jamieson et al., 2016). Lassen Sie sich durch Ihren Stress nicht stressen. Nehmen Sie ihn an, und gehen Sie in Ihre nächste Prüfung mit der Einstellung: „Der Stress hat sich aufgebaut, damit ich mich besser konzentrieren und Probleme lösen kann.“ Obwohl der emotionale untere Weg automatisch funktioniert, erlaubt uns der gedankenbasierte obere Weg etwas Kontrolle über unser Gefühlsleben zurückzugewinnen. Fazit: Automatische Emotionen bilden zusammen mit bewussten Gedanken unser Gefühlsleben.
In einem kritischen Augenblick bereitet der Sympathikus als Teil unseres autonomen Nervensystems (ANS) Ihren Körper auf eine Aktivierung vor (. Abb. 13.5). Er gibt den Nebennieren den Befehl, die Stresshormone Adrenalin (Epinephrin) und Noradrenalin (Norepinephrin) auszuschütten Um Energie zur Verfügung zu stellen, schüttet Ihre Leber zusätzlich Zucker ins Blut aus. Die Atmung nimmt zu, damit ausreichend Sauerstoff vorhanden ist, um den Zucker zu verbrennen. Die Verdauung verlangsamt sich, da das Blut von den inneren Organen zu den Muskeln geleitet wird. In dem Maße, in dem mehr Blutzucker in den großen Muskeln der Beine ist, kann man leichter laufen. Die Pupillen weiten sich und lassen mehr Licht ein. Um Ihren aufgeheizten Körper zu kühlen, schwitzen Sie. Wenn Sie verwundet würden, würde Ihr Blut schneller gerinnen.
» „Den Füßen fügt die Furcht Flügel hinzu.“ Vergil, Aeneis (19 v. Chr.)
Wenn der kritische Augenblick vorübergeht, reagiert der parasympathische Teil Ihres ANS: Er fährt die Aktivität Ihres Körpers wieder herunter, indem die Stresshormone langsam Ihren Blutkreislauf verlassen. Denken Sie nach Ihrer nächsten kritischen Situation hieran: Ohne irgendeine bewusste Anstrengung ist die Reaktion Ihres Körpers auf Gefahr wunderbar koordiniert und anpassungsfähig – sie bereitet Sie darauf vor zu kämpfen oder zu flüchten. Haben daher die verschiedenen Emotionen unterschiedliche Erregungsmuster?
Prüfen Sie Ihr Wissen
Die Physiologie der Emotionen
– Emotionsforscher:innen sind sich uneinig darüber, ob emotionale Reaktionen in Abwesenheit von kognitiven Prozessen auftreten. Wie würden Sie die Ansätze der folgenden Forscher beschreiben: Zajonc, LeDoux, Lazarus, Schachter und Singer?
?? 13.4 Rufen verschiedene Emotionen auch verschie-
13.1.2
Emotion und Körper
Ob Sie sich verlieben oder um einen geliebten Menschen trauern, Sie müssen nicht lange davon überzeugt werden, dass an diesen Emotionen auch Ihr Körper beteiligt ist. Fühlen ohne einen Körper ist wie Atmen ohne Lungen. Einige körperliche Reaktionen sind leicht zu
dene physiologische Reaktionen und Hirnaktivitätsmuster hervor?
Stellen Sie sich vor, Sie seien Versuchsleitung bei einem Experiment, bei dem die physiologischen Reaktionen auf Emotionen untersucht werden sollen. In vier Räumen sitzen Teilnehmende, die sich einen Film ansehen: Versuchsteilnehmende im ersten Raum sehen sich einen Horrorfilm an, die im zweiten einen, der wütend macht, die Teilnehmenden im dritten einen sexuell erregenden Film und die im vierten einen ausgesprochen langweiligen Film. Vom Kontrollzentrum aus können Sie Schweißbildung, Pupillenerweiterung, Atmung und Herzschlag aller Versuchspersonen beobachten. Könnten Sie heraus-
13
514
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
Das autonome Nervensystem kontrolliert die physiologische Erregung Sympathikus (erregend)
Parasympathikus (hemmend)
Pupillen weiten sich
AUGEN
Pupillen verengen sich
Nimmt ab
SPEICHELFLUSS
Nimmt zu
Schwitzt
HAUT
Trocknet
Beschleunigt sich
ATMUNG
Verlangsamt sich
Beschleunigt sich
HERZSCHLAG
Verlangsamt sich
Wird gehemmt
VERDAUUNG
Wird aktiviert
Schüttet Stresshormone aus
NEBENNIERE
Verringert die Ausschüttung von Stresshormonen
Ist reduziert
FUNKTION des IMMUNSYSTEMS
Ist verbessert
..Abb. 13.5 Emotionale Erregung. Wie ein Krisenkontrollzentrum regt das autonome Nervensystem den Körper in einer kritischen Situation an und beruhigt ihn, wenn die Gefahr vorüber ist
13
finden, wer ängstlich, wer wütend, wer sexuell erregt ist und wer sich langweilt? Wenn Sie eine Weile üben, können Sie wahrscheinlich die gelangweilten Zuschauer:innen herausfinden. Aber zwischen den physiologischen Reaktionen bei Angst, Wut und Sexualität zu unterscheiden, ist sehr viel schwerer (Barrett, 2006). Verschiedene Emotionen können gemeinsame biologische Erkennungszeichen aufweisen (. Abb. 13.6). Eine einzige Hirnregion kann auch als Zentrum für scheinbar unterschiedliche Emotionen dienen. Man betrachte beispielsweise das breite emotionale Spektrum der Insula, einem neuronalen Zentrum tief im Inneren des Gehirns. Die Insula ist aktiviert, wenn wir verschiedene negative soziale Emotionen – wie beispielsweise Gier, Hochmut oder Ekel – empfinden. Während einer Computertomografie des Schädels zeigt sie eine Aktivität, wenn Menschen in irgendein widerliches Nahrungsmittel beißen, ein widerliches Nahrungsmittel riechen oder daran denken, in eine widerliche Kakerlake zu beißen. Sie leuchtet aber auch dann auf, wenn sie moralische Abscheu über ein anrüchiges Geschäft empfinden, bei dem z. B. eine arme Witwe ausgebeutet wird (Sapolsky, 2010). Ähnliche Regionen, die multitaskingfähig sind, finden sich auch in anderen Hirnarealen. Dennoch fühlen sich unsere wechselnden Emotionen für uns unterschiedlich an und für andere sehen sie oft auch anders aus. Wir sind manchmal „starr vor Angst“ oder „explodieren gleich vor Wut“. Angst und Freude beschleunigen den Herzschlag in gleichem Maße, stimulieren aber unterschiedliche Gesichtsmuskeln. Bei Angst
..Abb. 13.6 Extremer Nervenkitzel. Die physiologische Erregung bei Aufregung sieht sehr ähnlich aus wie die Erregung bei Panik. Deshalb können wir zwischen diesen beiden Emotionen schnell hin- und herwechseln. (© Photoshot/picture alliance)
spannen sich die Muskeln der Augenbrauen an. Bei Freude verziehen sich die Muskeln in den Wangen und unter den Augen zu einem Lächeln (Witvliet & Vrana, 1995).
» „Niemand hat mir je gesagt, dass sich Trauer so sehr wie
Angst anfühlt. Ich habe keine Angst, aber das Gefühl ist so, als hätte ich Angst. Die gleiche Unruhe im Bauch, die gleiche Rastlosigkeit, das gleiche Gähnen. Und ich muss ständig schlucken.“ C. S. Lewis, Über die Trauer (2006)
515
13.1 • Einführung in die Welt der Emotionen
Lügendetektoren messen emotionsbedingte Veränderungen der Atmung, der Herzfrequenz und des Schwitzens. Können wir diese Ergebnisse nutzen, um Lügen zu erkennen? Haben Sie in den letzten 20 Jahren jemals etwas weggenommen, das nicht Ihnen gehörte?
EEG
Nein!
Haben Sie jemals etwas von Ihrem früheren Arbeitgeber gestohlen?
Ähm ... nein.
EEG
Viele Menschen antworten auf diese Kontrollfrage mit einer kleinen Notlüge, was zu erhöhten Erregungswerten führt. Diese dienen dem Forschungsteam als Basis für den Vergleich mit Antworten auf andere Fragen. Diese Person zeigt bei der entscheidenden Frage einen höheren Erregungswert als bei der Kontrollfrage, weswegen die Prüfenden den Eindruck bekommen können, dass sie lügt.
Aber stimmt es, dass nur ein Dieb nervös wird, wenn er einen Diebstahl leugnet? 1. Wir haben ähnliche körperliche Erregungen als Reaktion 2. Viele unschuldige Menschen werden angespannt und nervös, wenn sie einer schlimmen Tat
verdächtigt werden. (Viele Vergewaltigungsopfer zum Beispiel sind bei diesen Tests „durchgefallen“, weil sie starke emotionale Reaktionen zeigten, während sie die Wahrheit über ihre Vergewaltiger sagten.1)
auf Angst, Ärger und Schuldgefühle. Ist diese Person also wirklich schuldig oder hat sie lediglich Angst?
In etwa einem Drittel der Fälle sind die Ergebnisse von Lügendetektortests einfach falsch.2
Unschuldige Menschen
Schuldige Menschen Vom Lügendetektor für schuldig befunden
Vom Lügendetektor für unschuldig befunden
Der Concealed Information Test ist effektiver. Unschuldige Menschen werden nur
selten fälschlicherweise als Lügner:innen eingestuft.
Hätten diese Lügendetektor-Experten die Urteile getroffen, wäre mehr als ein Drittel der Unschuldigen für schuldig erklärt worden und fast ein Viertel der Schuldigen für unschuldig.
Die CIA und andere US-Behörden haben Millionen von Dollar für Tests an Zehntausenden Menschen ausgegeben. Dennoch erklärte die U.S. National Academy of Sciences (2002), dass „kein Spion jemals durch den Einsatz von Lügendetektoren entlarvt worden ist“.
Die Fragen beziehen sich auf bestimmte Details des Tatorts, die nur der Polizei und der schuldigen Person bekannt sind.3 (Wenn z. B. eine Kamera und ein Computer gestohlen wurden, sollte nur eine schuldige Person stark auf die Markennamen der gestohlenen Gegenstände reagieren.)
1 Lykken, 1991. 2 Kleinmuntz & Szucko, 1984. 3 Ben-Shakhar & Elaad, 2003; Verschuere & Meijer, 2014; Vrij & Fisher, 2016.
..Abb. 13.7 Kritisch nachdenken über: Lügendetektoren
Bei manchen Emotionen werden auch unterschiedliche Gehirnkreisläufe aktiviert (Panksepp, 2007). Beobachtende, die ängstliche Gesichter betrachten, zeigen mehr Aktivität in der Amygdala als solche, die wütende Gesichter betrachten (Whalen et al., 2001). Computertomografien des Gehirns sowie EEG-Aufzeichnungen zeigen, dass Emotionen auch unterschiedliche Bereiche im Kortex aktivieren. Wenn Sie negative Emotionen wie Ekel empfinden, zeigt sich mehr Aktivität in Ihrem rechten präfrontalen Kortex als im linken; das Gleiche gilt auch für Menschen, die anfällig für Depressionen sind, und diejenigen, die allgemein negativ eingestellt sind (Harmon-Jones et al., 2002). Positive Stimmungen lösen mehr Aktivität im linken Frontallappen aus. Menschen mit positiver Persönlichkeitsstruktur – nicht zu bändigende Kinder und aufmerksame, enthusiastische, energiegeladene und beharrlich zielorientierte Erwachsene – zeigen ebenfalls mehr Aktivität im linken als im rechten Frontallappen (Davidson, 2000; Urry et al., 2004). Tatsächlich: Je stärker die Grundaktivität im Frontallappen eines Menschen auf die linke Seite konzentriert ist – oder durch perzeptuelle Aktivität nach links verlagert wird – desto optimistischer ist er typischerweise (Drake & Myers, 2006). Zusammenfassend kann gesagt werden, dass wir Unterschiede zwischen verschiedenen Emotionen nicht so
einfach an Herzrate, Atmung und Transpiration ablesen können. Der Gesichtsausdruck und die Gehirnaktivität können allerdings zwischen den verschiedenen Emotionen variieren. Könnten wir uns also beim Lügen wie Pinocchio durch irgendein Zeichen verraten? Mehr zu diesem Thema finden Sie in . Abb. 13.7. ?? 13.5 Wie effektiv können Lügendetektoren (Polygra-
fen) Lügen anhand körperlicher Zustände erkennen? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie beeinflussen die beiden Teile des auto-
nomen Nervensystems unsere emotionalen Reaktionen?
Lügendetektor bzw. Polygraf („polygraph“) – ein Gerät,
das mit dem Ziel verwendet wird, Lügen aufzudecken. Es misst die physiologischen Reaktionen, die mit Emotionen einhergehen (wie Änderungen in der Schweißproduktion, der Herzfrequenz und der Atmung).
13
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
516
13.1.3
Rückblick: Einführung in die Welt der Emotionen
Verständnisfragen
13.1 – Welches Wechselspiel zwischen Erregung, Aus-
drucksverhalten und Kognition gibt es bei Emotionen? 13.2 – Müssen wir Emotionen bewusst interpretieren und benennen, um sie erleben zu können? 13.3 – Was ist das Bindeglied zwischen emotionaler Erregung und dem autonomen Nervensystem? 13.4 – Rufen verschiedene Emotionen auch verschiedene physiologische Reaktionen und Hirnaktivitätsmuster hervor? 13.5 – Wie effektiv können Lügendetektoren (Polygrafen) Lügen anhand körperlicher Zustände erkennen?
---
Schlüsselbegriffe Cannon-Bard-Theorie Emotion James-Lange-Theorie Lügendetektor bzw. Polygraf Zwei-Faktoren-Theorie
Master the Material
13
1. Die ___-___-Theorie behauptet, dass eine physiologische Reaktion stattfindet, BEVOR wir wissen, was wir fühlen. 2. Angenommen, Sie haben eine Stunde auf dem Laufband verbracht und erhalten dann einen Brief, in dem Ihnen mitgeteilt wird, dass Ihr Antrag auf ein Stipendium genehmigt wurde. Nach der Zwei-FaktorenEmotionstheorie würde Ihre körperliche Erregung … a. Ihr Glücksgefühl abschwächen. b. Ihr Glücksgefühl intensivieren. c. Ihr Glücksgefühl in Erleichterung umwandeln. d. keinen besonderen Effekt auf Ihr Glücksgefühl haben. 3. Zajonc und LeDoux behaupten, dass einige emotionale Reaktionen auftreten, bevor wir die Möglichkeit hatten, sie bewusst zu benennen oder zu interpretieren. Lazarus stellte fest, wie wichtig es ist, wie wir Ereignisse bewerten. Diese Psychologen unterscheiden sich darin, welchen Schwerpunkt sie auf ___ bei emotionalen Reaktionen legen. a. körperliche Erregung b. das Hormon Adrenalin c. kognitive Verarbeitung d. Lernen 4. Was misst ein Lügendetektor, und warum sind seine Ergebnisse fragwürdig?
13.2 Emotion
und Ausdruck
Expressives Verhalten beinhaltet Emotionen. Delfine sehen fröhlich aus, weil sie scheinbar immer ein Lächeln im Gesicht tragen. Um die Emotionen von Menschen zu entschlüsseln, beobachten wir die Reaktionen ihres Körpers, wir hören den Ton in ihrer Stimme, und wir betrachten ihr Gesicht. Ist diese nonverbale Sprache kulturspezifisch oder universell? Und beeinflusst unser Ausdruck die Emotionen, die wir erleben?
» „Dein Angesicht, mein Than, ist wie ein Buch, wo wunderbare Dinge geschrieben stehn.“ Lady Macbeth zu ihrem Gatten in William Shakespeares Macbeth
13.2.1
Emotionen bei anderen erkennen
?? 13.6 Wie kommunizieren wir nonverbal?
Bei Menschen aus westlichen Ländern ruft ein starker Händedruck sofort das Gefühl hervor, einer kontaktfreudigen, ausdrucksstarken Persönlichkeit gegenüberzustehen (Chaplin et al., 2000). Ein Blick kann Intimität vermitteln, während abschweifende Augen Ängstlichkeit ausstrahlen können (Kleinke, 1986; Perkins et al., 2012). Menschen, die sich lieben, schauen einander oft – manchmal auch ziemlich oft – lange in die Augen (Bolmont et al., 2014; Rubin, 1970). Würden intime Blicke solche Gefühle auch zwischen Fremden auslösen? Um das herauszufinden, baten Forschende einander unbekannte Männer und Frauen (und mutmaßlich heterosexuell), zwei Minuten lang entweder auf die Hand oder in die Augen des Gegenübers zu starren. Nachdem die Paare getrennt worden waren, berichteten die, die sich in die Augen geschaut hatten, sie hätten sich vom anderen angezogen gefühlt (Kellerman et al., 1989). Unser Gehirn ist erstaunlich gut in der Lage, auf subtile Weise Emotionen zu erkennen, und die meisten von uns können nonverbale Hinweise gut entschlüsseln (. Abb. 13.8). Wir haben die Fähigkeit, die Andeutung eines Lächelns zu erkennen (Maher et al., 2014). Menschen, denen ein zehn Sekunden langes Video vom Ende einer Speed-Dating-Begegnung gezeigt wird, können oft erkennen, ob sich die eine Person zu der anderen hingezogen fühlt (Place et al., 2009). Auch Statusmerkmale sind leicht zu erkennen. Jemand mit erhobenen Armen, breiter Brust und einem leichten Lächeln wird – von kanadischen Studierenden bis zur Dorfbewohnerschaft auf den Fidschi-Inseln – als stolze Person von hohem Status wahrgenommen (Tracy et al., 2013). Betrachtende waren schon dann in der Lage, die Attraktivität von Personen oder deren Vertrauenswürdigkeit abzuschätzen, wenn sie für nur eine Zehntelsekunde den Blick auf ein Gesicht richten konnten. Außerdem war es ihnen möglich, die
13.2 • Emotion und Ausdruck
517
Kompetenz von Politiker:innen einzuschätzen und deren Unterstützung durch die Wahlberechtigten vorherzusagen (Willis & Todorov, 2006). „Der erste Eindruck … entsteht mit erstaunlicher Geschwindigkeit“, merkten Christopher Olivola und Alexander Todorov an (2010). Besonders gut können wir auch nonverbale Bedrohungen erkennen. Wir nehmen sofort subliminal dargebotene negative Wörter wie Schlange oder Bombe wahr (Dijksterhuis & Aarts, 2003). Ein einzelnes wütendes Gesicht wird aus einer Menge herausstechen (Hansen & Hansen, 1988; Pinkham et al., 2010). Die Erfahrung kann uns dafür sensibilisieren, bestimmte Emotionen zu erkennen. Dies konnte in einigen Experimenten gezeigt werden, die eine Reihe von Gesichtsausdrücken (. Abb. 13.9) benutzt haben, die sich von Angst zu Wut (oder Traurigkeit) verwandeln. Wenn körperlich misshandelte Kinder solche Gesichter betrachten, können sie die Anzeichen von Wut viel schneller erkennen als andere Kinder. Zeigt man ihnen ein Gesicht, das zu 50 % Angst und zu 50 % Wut zeigt, nehmen sie mit höherer Wahrscheinlichkeit Wut als Angst wahr. Ihre Wahrnehmung reagiert empfindlich auf Anzeichen von Gefahr, die nicht misshandelte Kinder übersehen.
Einige Gesichtsmuskeln, die schwer zu steuern sind, bringen Emotionen zum Vorschein, die Sie vielleicht verbergen wollen. Heben Sie nur den inneren Teil Ihrer Augenbrauen etwas an, was kaum ein Mensch bewusst macht, und Sie zeigen Sorge oder Traurigkeit. Hochgezogene und zusammengezogene Augenbrauen signalisieren Angst. Hebt man die Mundwinkel und spannt die Muskeln unterhalb des Auges an, dann ergibt sich daraus ein natürliches Lächeln. Ein vorgetäuschtes Lächeln, wie wir es z. B. beim Fotografieren aufsetzen, ist oft ein paar Sekunden wie erstarrt und verschwindet dann abrupt. Ein echtes freudiges Lächeln ist normalerweise kürzer und erlischt nicht schlagartig (Bugental, 1986; . Abb. 13.10). Wenn Sie das Verlangen haben, Ihr Glück zu verbergen, dann denken Sie daran, echtes Lächeln bewirkt, dass andere uns als vertrauenswürdig, authentisch und attraktiv wahrnehmen (Kanonier & Ruben, 2016). Schenken Sie anderen ein strahlendes Lächeln. Obwohl unser Gehirn die Fähigkeit hat, Emotionen zu erkennen, finden wir es schwierig, Täuschungen zu erkennen (Porter & ten Brinke, 2008). Die Verhaltensunterschiede zwischen Lügenden und denen, die die Wahrheit sagen, sind für die meisten Menschen zu winzig, um sie zu entdecken (Hartwig & Bond, 2011). In einer Zusammenfassung von 206 Studien zur Unterscheidung zwischen Lüge und Wahrheit lagen die Befragten in nur 54 % der Fälle richtig – kaum besser, als wenn sie eine Münze geworfen hätten (Bond & DePaulo, 2006). Darüber hinaus kann so gut wie niemand – außer vielleicht Polizeikräfte, die auf entsprechende Situationen spezialisiert sind – die Ratewahrscheinlichkeit bemerkenswert überschreiten (Bond & DePaulo, 2008; O’Sullivan et al., 2009). Manche Menschen reagieren sensibler als andere auf nonverbale Hinweisreize verschiedener Emotionen. In einer Studie sollten Versuchsteilnehmende die Emotionen benennen, die sie in einem kurzen Filmausschnitt gesehen hatten. Die Ausschnitte zeigten Teile des Gesichts oder des Körpers von Personen, die gerade Emotionen zum Ausdruck brachten, zum Teil mit verzerrter Stimme (Rosenthal et al., 1979). Beispielsweise wurde den Versuchsteilnehmern eine Zwei-Sekunden-Szene gezeigt, in der nur das Gesicht einer aufgebrachten Frau zu sehen war, und die Forschenden fragten nachher, ob die Frau jemanden kritisierte, weil er zu spät gekommen war, oder
..Abb. 13.9 Die Erfahrung kann beeinflussen wie wir Emotionen wahrnehmen. Beim Betrachten des mittleren Gesichts, bei dem Angst mit Wut vermischt wurde, ist es wahrscheinlicher, dass körperlich misshan-
delte Kinder (im Vergleich zu nicht misshandelten Kindern) das Gesicht als wütend wahrnehmen (Pollak & Kistler, 2002; Pollak & Tolley-Schell, 2003; Ekman & Friesen, 1976)
..Abb. 13.8 Eine stille Sprache der Gefühle. Traditionelle hinduistische Tänzer:innen benutzen ihren Körper und ihr Gesicht, um zehn verschiedene Gefühle zu vermitteln (Hejmadi et al., 2000; © epa Made Nagi/dpa/picture alliance)
13
518
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
13.2.2
Geschlecht, Emotion und nonverbales Verhalten
?? 13.7 Wie unterscheiden sich die Geschlechter in ihrer
Fähigkeit, nonverbal zu kommunizieren?
a
b
..Abb. 13.10 a,b Welches Lächeln von Forscher Paul Ekman ist vorgetäuscht, welches echt? Beim rechten Lächeln sind auch die Gesichtsmuskeln beteiligt, die ein natürliches Lächeln ausmachen. (© Paul Ekman, Ph. D./Paul Ekman Group, LLC.)
13
ob sie über ihre Scheidung redete. Manche Menschen können Emotionen besser als andere erkennen, wenn man ihnen diese „kleinen Ausschnitte“ vorspielt. Introvertierte Menschen scheinen begabter darin zu sein, die Emotionen anderer zu lesen, wobei sich die Emotionen von Extravertierten besser ablesen lassen (Ambady et al., 1995). Durch Gesten, Gesichtsausdrücke und die Stimmfarbe werden wichtige Informationen vermittelt, die in geschriebener Kommunikation fehlen. Der Unterschied wurde deutlich, als die Studienteilnehmenden der einen Gruppe Tonaufzeichnungen von jeweils 30 Sekunden hörten, auf denen Menschen ihre Scheidung beschrieben. Die Teilnehmenden der anderen Gruppe lasen eine Abschrift der Aufnahme. Diejenigen, die die Aufnahme hörten, konnten die aktuelle und künftige Lebensumstellung der Geschiedenen besser einschätzen (Mason et al., 2010). Es genügt schon, wenn eine unbekannte Person „Hallo“ sagt, um Zuhörenden Rückschlüsse auf ihre Persönlichkeit zu erlauben. Forscher Phil McAleer und seine Kolleg:innen (2014) nennen dies den „Jerry-Maguire-Effekt“, nach dem Film, in dem Renée Zellweger zu Tom Cruise sagt: „Du hattest mich schon beim ‚Hallo‘.“ Das Fehlen von ausdrucksstarken (Gemüts‑)Bewegungen kann bei elektronischen Kommunikationsmitteln zu unklaren Interpretationen führen. Um das wenigstens teilweise auszugleichen, versehen wir oft unsere Nachrichten mit visuellen Hinweisen, die Emotionen ausdrücken sollen. ☺ Ohne die Stimmfärbung, die signalisiert, ob unsere Aussage ernst, witzig oder sarkastisch gemeint ist, laufen wir Gefahr, eine Haltung einzunehmen, die der Entwicklungspsychologe Jean Piaget als Egozentrismus bezeichnete, indem wir nämlich nicht mehr erkennen, wie andere unsere im Spaß gemeinte Nachricht interpretieren (Kruger et al., 2005).
Ist die weibliche Intuition, wie manche meinen, der männlichen überlegen (Gigerenzer et al., 2014)? Haben Frauen eine größere Sensibilität für nonverbale Hinweise als Männer? In ihrem Überblick über 125 Studien stellte Judith Hall (1984, 1987) fest, dass Frauen im Allgemeinen Männer darin übertreffen, nonverbale Hinweisreize bei anderen Menschen zu entschlüsseln, wenn ihnen kleine Ausschnitte eines Verhaltens präsentiert werden. Der weibliche Vorteil zeigt sich früh in der Entwicklung. Weibliche Säuglinge, Kinder und Jugendliche haben in vielen Studien besser abgeschnitten als männliche Gleichaltrige (McClure, 2000). Die weibliche Sensibilität gegenüber nonverbalen Reizen erklärt mitunter die größere emotionale Intelligenz von Frauen. Wenn Männer aufgefordert werden, ihre Gefühle in bestimmten Situationen zu beschreiben, schildern sie eher einfachere emotionale Reaktionen (Barret et al., 2000). Sie können das selbst ausprobieren: Fragen Sie ein paar Menschen, wie sie sich fühlen würden, wenn sie sich nach dem Abschlussexamen von ihren Studienfreund:innen verabschieden müssten. Nach den Forschungsergebnissen würden Männer wohl einfach sagen: „Ich würde mich schlecht fühlen“, während Frauen komplexere Emotionen ausdrücken würden: „Ich wäre gespalten; einerseits würde ich mich freuen, andererseits wäre ich traurig.“ Die Fähigkeit von Frauen beim Entschlüsseln von Emotionen könnte auch dazu beitragen, dass sie häufig emotionaler und expressiver reagieren (Fischer & LaFrance, 2015; Vigil, 2009). Studien mit insgesamt 23.000 Versuchpersonen aus 26 Kulturen ergaben, dass Frauen häufiger als Männer berichteten, Gefühle zuzulassen (Costa et al., 2001). Mädchen zeigen auch stärkere Emotionen als Jungen, daher die weithin vertretene Einschätzung, dass Emotionalität „eher ein weiblicher Charakterzug ist“ – eine Meinung, die in den USA von fast 100 % der 18- bis 29-Jährigen vertreten wird (Chaplin & Aldao, 2013; Newport, 2001). Eine Ausnahme gibt es jedoch: Stellen Sie sich spontan ein wütendes Gesicht vor. Welches Geschlecht hat diese Person? Wenn Sie wie drei von vier Studierenden der Arizona State University denken, so haben Sie sich eine männliche Person vorgestellt (Becker et al., 2007). Wenn ein geschlechtsneutrales Gesicht so gestaltet wurde, dass es wütend schaut, nahmen die meisten Menschen es als männlich wahr. Wenn das Gesicht hingegen lächelte, war es wahrscheinlicher, dass sie es als weiblich einschätzten (. Abb. 13.11). Die Wahrnehmung, dass Frauen emotionaler sind, wird – und wurde – allerdings dadurch noch weiter inten-
519
13.2 • Emotion und Ausdruck
16
a
b
..Abb. 13.11 a,b Männlich oder weiblich? Forschende haben ein geschlechtsneutrales Gesicht manipuliert. Es war wahrscheinlicher, dass die Menschen es als männlich einstuften, wenn es einen wütenden Gesichtsausdruck trug, und wahrscheinlicher, dass sie es als weiblich ansahen, wenn es lächelte (Becker et al., 2007. Copyright © 2007 by the American Psychological Association. Reproduced with permission.)
siviert, dass Menschen sich die Emotionalität einer Frau durch ihre entsprechende Veranlagung erklären, die eines Mannes hingegen durch situationelle Umstände: „Sie ist sehr gefühlsbetont. Er hatte einen schlechten Tag.“ (Barrett & Bliss-Moreau, 2009). Viele Faktoren beeinflussen unsere Attributionen, darunter auch kulturelle Normen (Mason & Morris, 2010). Dennoch gibt es einige geschlechtsspezifische Unterschiede in den Schilderungen emotionaler Erfahrungen. Weit häufiger als Männer beschreiben sich Frauen zudem bei einer Befragung als empathisch. Wer empathisch ist, identifiziert sich mit anderen und bewertet eine Situation, wie die anderen es tun. Man freut sich mit denen, die sich freuen, und weint mit denen, die weinen (Wondra & Ellsworth, 2015). Wer gern Romane liest und in das Leben der Lieblingsfiguren eintaucht, zeigt höhere Empathiewerte (Mar et al., 2009). Dies mag ein Grund sein, warum Frauen im Vergleich zu Männern mehr Belletristik lesen (Tepper, 2000). Erfasst man jedoch die physiologischen Komponenten von Empathie, wie z. B. den Herzschlag, beim Anblick der Not anderer Menschen, zeigen sich wesentlich geringere Geschlechtsunterschiede (Eisenberg & Lennon, 1983; Rueckert et al., 2010). Frauen bringen auch häufiger ihre Empathie zum Ausdruck – sie zeigen mehr Emotionen, wenn sie die Emotionen einer anderen Person wahrnehmen. Wie in . Abb. 13.12 zu sehen ist, zeigt sich dieser Geschlechterunterschied bei männlichen und weiblichen Studierenden, die traurige (Kinder bei einem sterbenden Elternteil), fröhliche (Slapstickkomödie) oder furchterregende Filmausschnitte (ein Mann, der fast vom Fenstersims eines hohen Gebäudes fällt) ansahen (Kring & Gordon, 1998). Frauen erleben gewöhnlich auch emotionale Ereignisse (z. B. das Betrachten von Bildern einer Ver-
Emotionsausdruck (Anzahl)
14
Frauen
Männer
12 10 8 6 4 2 0
Fröhlich
Traurig
Beängstigend
Art des Filmausschnitts ..Abb. 13.12 Geschlecht und Gefühlsausdruck. Obwohl weibliche und männliche Studierende ihre emotionalen Reaktionen auf Filme ähnlich beschrieben und auch die Messung ihrer physiologischen Reaktionen darauf keine wesentlichen Unterschiede zeigte, war in den Gesichtern der Frauen mehr Gefühl zu erkennen
stümmelung) tiefer – mit einer stärkeren Aktivierung des Gehirns in Arealen, die sensibel für Emotionen sind – und erinnern sich dann drei Wochen später besser an die Szenen (Canli et al., 2002; . Abb. 13.13). Prüfen Sie Ihr Wissen
– ___ (Männer/Frauen) berichten, dass sie Emotionen tiefer erleben. Außerdem neigen sie dazu, talentierter darin zu sein, nonverbales Verhalten zu lesen.
13.2.3
Emotionsausdruck im kulturellen Kontext
?? 13.8 Wie werden Gestik und Mimik in einer Kultur
und über kulturelle Grenzen hinaus verstanden?
Die Bedeutung von Gesten variiert je nach Kultur. Der ehemalige amerikanische Präsident Richard Nixon lernte das, als er in Brasilien vor einer jubelnden Menschenmenge das Zeichen machte, das in Nordamerika und Europa „OK“ bedeutet und sich nicht bewusst war, dass das für Brasilianer eine geschmacklose Beleidigung ist. Wie wichtig die kulturspezifischen Definitionen von Gesten sein können, zeigte sich auch 1968, als die nordkoreanische Regierung ein Foto mit angeblich glücklichen
13
520
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.13 „Das war doch nicht so schwer, oder?“ (© David Sipress/ Search ID: CX903217, Rights Available from CartoonStock.com)
13
Gefangenen von einem Spionageschiff der U.S. Navy veröffentlichte. Darauf waren drei der Männer mit erhobenem Mittelfinger zu sehen; sie hatten den Nordkoreanern, die sie gefangen genommen hatten, erzählt, dies sei „auf Hawaii das Zeichen für ‚Viel Glück‘ “ (Fleming & Scott, 1991; . Abb. 13.14). Hat auch die Mimik in verschiedenen Kulturen unterschiedliche Bedeutungen? Um das herauszufinden, zeigten zwei Forschungsgruppen Menschen in verschiedenen Teilen der Erde Fotos mit diversen mimisch dargestellten Emotionen und baten die Betrachtenden, die darauf gezeigten Emotionen zu erraten (Ekman et al., 1994, 2016; Izard, 1977, 1994). Sie können diese Aufgabe selbst ausprobieren, indem sie die sechs Emotionen in . Abb. 13.15 den sechs Gesichtern zuordnen. (Die Antwort steht im Text vor der nächsten Zwischenüberschrift.) Wahrscheinlich haben Sie ganz gut abgeschnitten, ganz gleich, welchen kulturellen Hintergrund Sie haben. Ein Lächeln ist auf der ganzen Welt ein Lächeln. Dasselbe gilt für Traurigkeit, und in etwas geringerem Maß auch für andere grundlegende Emotionen (Crivelli et al., 2016a; Jack et al., 2012). Wir kennen keine Kultur, in der Menschen die Stirn runzeln, wenn sie glücklich sind. Gesichtsausdrücke enthalten einige nonverbale Akzentuierungen, aus denen sich Hinweise auf die jeweilige Kultur ergeben (Crivelli et al., 2016b; Marsh et al., 2003). Es überrascht deshalb nicht, dass die Befunde aus 182 Studien eine leicht erhöhte Trefferquote aufwiesen, wenn Menschen Emotionen aus der eigenen Kultur beurteilten (Elfenbein & Ambady, 2002; Laukka et al., 2016). Dennoch sind die verräterischen Anzeichen für Emotionen im Allgemeinen interkulturell. Überall auf der Welt weinen Kinder, wenn sie Kummer haben, schütteln den Kopf, wenn sie trotzig sind, und lächeln, wenn sie sich freuen. So ist es auch bei blinden Kindern, die niemals ein Gesicht gesehen haben (Eibl-Eibesfeldt,
..Abb. 13.14 Anmerkung des Übersetzers: 1. Wir kommen in Frieden. 2. Bei der Kommunikation mit Menschen nicht vergessen: lächeln … immer lächeln! (© Claudia Styrsky)
1971). Menschen, die von Geburt an blind sind, zeigen spontan die „normale“ Mimik, die mit Emotionen wie Freude, Trauer, Angst und Wut verbunden ist (Galati et al., 1997).
» „Willst du wissen, was das Herz denkt, dann frag das Gesicht.“ Sprichwort aus Guinea
Haben Menschen aus verschiedenen Kulturen deswegen ähnliche Gesichtsausdrücke, weil sie demselben kulturellen Einfluss ausgesetzt sind, nämlich dem von Filmen und TV-Sendern, die auf der ganzen Welt gesehen werden? Auf keinen Fall. Paul Ekman und Wallace Friesen (1971) baten Menschen aus Neuguinea, die bis dahin keinen Kontakt zur amerikanischen Zivilisation gehabt hatten, verschiedene Emotionen als Reaktion auf Sätze wie „Stellen Sie sich vor, Ihr Kind wäre gestorben.“ vorzuspielen. Als nordamerikanische Studierende die Videofilme mit den gefilmten Reaktionen ansahen, konnten diese die dargestellten Emotionen leicht erkennen. Wir können also festhalten, dass die Gesichtsmuskeln eine fast universelle Sprache sprechen. Diese Entdeckung wäre für den Pionier der Emotionsforschung Charles Darwin (1809–1882) keine Überraschung gewesen. Er nahm an, dass in prähistorischen Zeiten, bevor unsere Vorfahr:innen mit Worten kommunizierten, Bedrohungen, Grüße und Unterordnung mit Mimik übermittelt wurden. Diese universellen Gesten trugen zu ihrem Überleben bei (Hess & Thibault, 2009). In einer Auseinandersetzung enthält ein höhnisches Lächeln beispielsweise bestimmte Elemente des Zähnebleckens von Hunden beim Knurren. Unser emotionaler Ausdruck könnte das Überleben auch noch auf eine andere Art sichern. Sind wir überrascht, heben wir die Augenbrauen, und die Augen werden größer, so dass wir mehr Informationen aufnehmen können. Bei Ekel rümpfen wir die Nase und schließen sie damit vor üblen Gerüchen.
521
13.2 • Emotion und Ausdruck
a
b
c
d
e
f
..Abb. 13.15 a–f Kulturspezifischer oder interkultureller Gesichtsausdruck? Die Sprachen der verschiedenen Kulturen unterscheiden sich. Unterscheidet sich auch die Sprache unserer Gesichter? Welches
Gesicht drückt Ekel aus? Wut? Angst? Glück? Traurigkeit? Überraschung? (Aus Matsumoto & Ekman, 1989, mit freundlicher Genehmigung von Humintell, LLC) (Antwort: s. Ende des Textabschnitts)
>>In der Schwerelosigkeit bewegen sich die Körperflüssig-
Alle Kulturen teilen zwar eine gemeinsame Ausdruckssprache für grundlegende Emotionen, unterscheiden sich jedoch deutlich darin, wie stark die Menschen ihre Emotionen ausdrücken. In individualistischen Kulturen wie Westeuropa, Australien, Neuseeland und Nordamerika werden Gefühle häufig intensiv zur Schau gestellt (van Hemert et al., 2007). Im Gegensatz dazu werden in kollektivistischen Kulturen wie Japan und China Gefühle weniger nach außen getragen (Matsumoto et al., 2009; Tsai et al., 2007). Menschen aus Japan verstecken ihre Gefühle, wenn andere dabei sind. Darüber hinaus vermittelt der Mund, der bei Menschen aus Nordamerika oft so ausdrucksstark ist, weniger Emotionen als die verräterischen Augen (Masuda et al., 2008; Yuki et al., 2007). Verglichen mit ihren Amtskolleg:innen in China, wo Gelassenheit vorherrscht, zeigen europäische und amerikanische Staatsoberhäupter auf ihren offiziellen Fotos 6-mal häufiger ein strahlendes Lächeln (. Abb. 13.18; Tsai et al., 2006, 2016). Wenn wir glücklich sind und uns dessen bewusst sind, lehrt uns unsere Kultur, wie wir es zeigen sollen. Kulturelle Unterschiede gibt es auch innerhalb eines Landes. Die Ir:innen und irisch-stämmigen Amerikaner:innen haben gewöhnlich ausdrucksvoller kommuniziert als die Skandinavier:innen und skandinavisch-stämmigen Amerikaner:innen (Tsai & Chentsova-Dutton, 2003). Das erinnert uns an eine gewohnte Regel: Wie die meisten psychischen Ereignisse kann man die Emotion am besten verstehen, wenn man sie nicht nur als ein biologisches und kognitives Phänomen begreift, sondern auch als ein soziokulturelles.
keiten von Astronaut:innen in die höheren Körperregionen, und ihr Gesicht schwillt an. Dies erschwert die nonverbale Kommunikation, und damit wird das Risiko für Missverständnisse größer, besonders bei Mannschaften aus verschiedenen Ländern (Gelman, 1989).
Lächeln ist nicht nur ein emotionaler Reflex, sondern auch ein soziales Phänomen. Euphorische Gewinner:innen von olympischen Goldmedaillen lächeln normalerweise nicht, während sie auf die Siegerehrung warten, wohl aber, wenn ihnen gratuliert wird oder wenn sie einer Kamera oder dem Publikum gegenüberstehen (Fernández-Dols & Ruiz-Belda, 1995). Deshalb ist ein Blick auf den spontanen Gesichtsausdruck der Konkurrenz nach einem olympischen oder nationalen Wettkampf im Judo ein guter Hinweis darauf, wer gewonnen hat – egal aus welchem Land sie kommen (Crivelli et al., 2015; Matsumoto & Willingham, 2006, 2009; . Abb. 13.16). Sogar von Geburt an blinde Athlet:innen, die noch nie ein Lächeln gesehen haben, zeigen soziales Lächeln in solchen Situationen (Matsumoto et al., 2009). Obwohl wir eine universelle Mimik teilen, scheint es nützlich für uns zu sein, die Mimik eines Menschen in einem bestimmten Kontext zu interpretieren (. Abb. 13.17). Menschen beurteilen ein finsteres Gesicht in einem beängstigenden Kontext als ängstlich. Ebenso interpretieren sie ein ängstliches Gesicht in einer schmerzhaften Situation als schmerzverzerrt (Carroll & Russell, 1996). Filmregisseur:innen machen sich dieses Phänomen zunutze, wenn sie Kontexte und Soundtracks so inszenieren, dass die Wahrnehmung bestimmter Emotionen verstärkt wird.
13
522
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.16 Universelle Emotionen. Wo auch immer Sie auf der Erde leben, Sie können unschwer erkennen, wie groß die Freude der Chicago-Cubs-Fans über ihren Sieg in den World Series (Finale der US-amerikanischen Baseball-Profiligen) 2016 ist, die sie nach 108 Jahren erstmals wieder gewonnen haben. (© KAMIL KRZACZYNSKI/ newscom/picture alliance)
13
..Abb. 13.17 a,b Wir lesen Gesichter im Kontext. Ob wir den Mann in der oberen Reihe als angeekelt oder wütend wahrnehmen, hängt davon ab, auf welchem Körper sein Kopf erscheint (Aviezer et al., 2008, copyright © 2008 by SAGE Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications). In der zweiten Reihe wird deutlich, dass Tränen einen Gesichtsausdruck trauriger aussehen lassen (vgl. Provine et al., copyright © 2009 by SAGE Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications)
a
b
Prüfen Sie Ihr Wissen
13.2.4
– Unterscheiden sich Menschen aus verschiedenen Kulturen eher in ihrer Interpretationsweise von Gesichtsausdrücken oder von Gesten?
?? 13.9 Wie beeinflusst unser Gesichtsausdruck unsere
Und hier die Lösung zu . Abb. 13.15: Von links nach rechts und oben nach unten: Glück, Überraschung, Angst, Traurigkeit, Wut, Ekel.
Mimischer Ausdruck
Gefühle?
Als William James (1890) mit Gefühlen der Depression und Trauer kämpfte, kam er zu der Auffassung, wir könnten Emotionen dadurch steuern, dass wir „die äußeren Bewegungen“ jeder Emotion durchlaufen, die wir erleben wollen. „Um sich vergnügt zu fühlen“, so riet er,
523
13.2 • Emotion und Ausdruck
a
b
..Abb. 13.18 Kultur und Lächeln. Das breite Lächeln des US-Präsidenten Joe Biden und das eher reservierte des chinesischen Präsidenten Xi Jinping zeigen den kulturellen Unterschied in der mimischen
Ausdruckskraft. (a: © Leigh Vogel/EPA/POOL/picture alliance; b: © Justin Lane/dpa/picture alliance)
„setzen Sie sich vergnügt hin, sehen Sie vergnügt in die Gegend, und handeln Sie so, als wäre die Vergnügtheit bereits da“.
die Augenbrauen hoch, und öffnen Sie die Augen weit. Werfen Sie den Kopf nach hinten, und bewegen Sie Ihr Kinn in Richtung Brust. Entspannen Sie den Mund und lassen Sie ihn etwas offen stehen“ (Duclos et al., 1989). Dieser Rückkopplungseffekt des Gesichtsausdrucks wurde viele Male gefunden, an vielen Orten und für viele Grundemotionen (. Abb. 13.19). Schon das Anspannen der Muskeln, die man zum Lächeln braucht, durch das Halten eines Stifts zwischen den Zähnen (nicht zwischen den Lippen, denn dadurch wird ein neutraler Ausdruck erzielt) macht belastende Situationen weniger unangenehm (Kraft & Pressman, 2012). Ein herzliches Lächeln – das nicht nur mit dem Mund erzeugt wird, sondern mit angehobenen Wangen, sodass es Lachfältchen um die Augen entstehen lässt – verstärkt die positiven Gefühle sogar noch mehr, wenn Sie auf etwas Angenehmes oder Lustiges reagieren (Soussignan, 2001). Wenn wir glücklich sind, lächeln wir, und wenn wir lächeln, werden wir glücklicher. Wenn Sie lächeln, können Sie sogar Sätze, die schöne Ereignisse beschreiben, schneller verstehen (Havas et al., 2007). Obwohl einige Forschende die Zuverlässigkeit des Rückkopplungseffekts des Gesichtsausdrucks in Frage stellen (Wagenmakers et al., 2016), haben viele andere ihn repliziert (Strack, 2016).
» „Jedes Mal, wenn ich Angst habe, halte ich meinen Kopf
aufrecht und pfeife eine fröhliche Melodie.“ Richard Rodgers und Oscar Hammerstein, The King and I (1958)
Aktuelle Befunde zu den emotionalen Auswirkungen von Gesichtsausdrücken bestätigen, was James vorhersagte. Über die Mimik werden Emotionen nicht nur kommuniziert, sondern auch verstärkt und reguliert. In seinem Buch The Expression of the Emotions in Man and Animals (dtsch.: Der Ausdruck der Gemüthsbewegungen bei dem Menschen und den Thieren) stellte Charles Darwin (1872) fest, dass „der freie Ausdruck von Emotionen in äußeren Anzeichen die Emotion verstärkt. … Wer seinen gewalttätigen Gesten freien Lauf lässt, wird seine Wut verstärken“. Lag Darwin richtig? Sie können diese Hypothese testen: Grinsen Sie mal breit. Nun schauen Sie mürrisch. Können Sie den Unterschied zum Lachen einen Moment vorher spüren? Die Teilnehmenden an Dutzenden von Experimenten haben den Unterschied gespürt. Zum Beispiel induzierten Forscher:innen subtil einen mürrischen Gesichtsausdruck bei Studierenden, indem sie sie baten, „diese Muskeln anzuspannen“ und „die Augenbrauen zusammenzuziehen“ (vorgeblich, um den Wissenschaftlern zu ermöglichen, Elektroden im Gesicht anzubringen) (Laird, 1974, 1984; Laird & Lacasse, 2014). Das Ergebnis? Die Studierenden berichteten, etwas ärgerlich zu sein, so wie Menschen, die naturgemäß die Stirn runzeln (und blinzeln), wenn sie in die Sonne schauen (Marzoli et al., 2013). Das gleiche zeigte sich für andere Grundemotionen. Wenn sie z. B. einen furchtsamen Gesichtsausdruck zeigen sollten, berichteten sie eher, Angst zu empfinden als Wut, Traurigkeit oder Ekel: „Ziehen Sie
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Gehen Sie vor, wie in . Abb. 13.19 beschrieben. (1) Wie würden sich die Studierenden mit Bezug auf den Rückkopplungseffekt des Gesichtsausdrucks fühlen, wenn die Gummibänder ihre Wangen wie zu einem Lächeln anheben? (2) Wie würden die Studierenden ihr Gefühl beschreiben, wenn die Gummibänder ihre Wangen nach unten ziehen?
13
524
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
Gummibänder
Gummibänder
Klebestreifen ..Abb. 13.19 Wie bringt man jemanden dazu zu lachen, ohne es ihm ausdrücklich aufzutragen? Machen Sie es, wie Kazuo Mori und Hideko Mori (2009, copyright © 2009 by SAGE Publications. Reprinted by Permission of SAGE Publications) es mit Studierenden in Japan
gemacht haben: Befestigen Sie Gummibänder mit Klebestreifen an beiden Seiten des Gesichts. Ziehen Sie sie dann entweder über den Kopf oder unter das Kinn
Rückkopplungseffekt des Gesichtsausdrucks („facial feedback effect“) – die Tendenz unserer Gesichtsmuskeln,
Sie können ihr Wissen über den Rückkopplungseffekt nutzen, um empathischer zu werden: Nehmen Sie auf dem eigenen Gesicht den Gesichtsausdruck des anderen an. Wie der andere zu handeln, hilft uns, zu fühlen, wie der andere fühlt (Vaughn & Lanzetta, 1981). Der Verlust dieser Fähigkeit andere nachzuahmen, kann es uns schwer machen, emotionale Verbindungen aufzubauen, Diese Erfahrung machte ein Sozialarbeiter mit MöbiusSyndrom, einer seltenen Lähmung der Gesichtsmuskeln, als er mit Flüchtlingen des Hurrikans Katrina zusammenarbeitete: Wenn die Menschen ein trauriges Gesicht machten, „war ich nicht fähig, dies zu erwidern. Ich versuchte das mit Worten und der Stimmfarbe auszugleichen, aber es nützte nichts. Wenn man keinen Gesichtsausdruck hat, stirbt die Emotion, ohne dass man sie teilen kann“ (Carey, 2010). Unsere natürliche Nachahmung der Emotionen anderer trägt zur Erklärung der Tatsache bei, dass Emotionen ansteckend sind (Dimberg et al., 2000; Newmann & Strack, 2000). Positive, optimistische Facebook-Posts erzeugen einen Dominoeffekt, der Facebook-Freund:innen dazu animiert, ebenfalls mehr positive Emotionen zu äußern (Kramer, 2012).
Gefühle (wie Angst, Wut oder Glück) auszulösen, die ihrem Anspannungsmuster entsprechen.
13
Das Gesicht ist also mehr als ein Aushängeschild, das unsere Gefühle anzeigt; es facht auch unsere Gefühle an. Wenn Sie knurren, knurrt die Welt zurück. Kein Wunder, dass manche Depressionspatient:innen berichten, sich nach Botox-Injektionen zwischen die Augenbrauen besser zu fühlen (Parsaik et al., 2016). Menschen, deren Stirnrunzelmuskeln durch Botox gelähmt worden sind, lesen Sätze über Traurigkeit oder Wut langsamer als zuvor und die Aktivität in emotionsassoziierten Hirnkreisläufen ist verlangsamt (Havas et al., 2010; Hennenlotter et al., 2008). Andere Forschende haben einen ähnlichen Rückkopplungseffekt des Verhaltens beobachtet (Carney et al., 2015; Flack, 2006). Sie können die Erfahrungen ihrer Versuchspersonen nachvollziehen: Gehen Sie ein paar Minuten mit kurzen, schlurfenden Schritten und mit gesenktem Blick. Dann gehen Sie mit großen Schritten und schwingenden Armen und richten Ihren Blick geradeaus. Können Sie fühlen, wie sich Ihre Stimmung verändert? Wenn man die Bewegungen durchläuft, werden die Emotionen geweckt. >>Eine Bitte der Autoren: Lächeln Sie oft, während Sie
dieses Buch lesen.
Rückkopplungseffekt des Verhaltens („behavior feedback effect“) – die Tendenz des Verhaltens, unsere eigenen Ge-
danken, Gefühle und Handlungen und die der anderen zu beeinflussen.
13.2.5
Rückblick: Emotion und Ausdruck
Verständnisfragen
13.6 – Wie kommunizieren wir nonverbal? 13.7 – Wie unterscheiden sich die Geschlechter in ihrer Fähigkeit nonverbal zu kommunizieren? 13.8 – Wie werden Gestik und Mimik in einer Kultur und über kulturelle Grenzen hinaus verstanden? 13.9 – Wie beeinflusst unser Gesichtsausdruck unsere Gefühle?
525
13.3 • Emotion und Erfahrung
a
b
Freude (Mund zum Lächeln geformt, Wangen hochgezogen, Zwinkern in den Augen)
e Überraschung (Augenbrauen angehoben, Augen weit auf, Mund zu einer ovalen Form gerundet)
d
c
Wut (Brauen zusammen und heruntergezogen, starrer Blick, zusammengekniffener Mund)
Interesse (Augenbrauen hochgezogen oder gerunzelt, Mund leicht gerundet, Lippen eventuell geschürzt)
f
g
Traurigkeit (innerer Teil der Augenbrauen angehoben, Mundwinkel hängen herab)
..Abb. 13.20 a–g Natürlich auftretende Emotionen bei Säuglingen. Um die im Säuglingsalter in der Regel vorhandenen Emotionen auszumachen, hat Carroll Izard den Gesichtsausdruck bei Säuglingen analysiert. (a: © ake1150/stock.adobe.com; b: © mattiaath/stock.ado-
--
Schlüsselbegriffe Rückkopplungseffekt des Gesichtsausdrucks Rückkopplungseffekt des Verhaltens
Master The Material 1. Wenn Menschen dazu gebracht werden, einen ängstlichen Gesichtsausdruck anzunehmen, sagen sie oft, dass sie ein wenig Angst empfinden. Dieses Phänomen ist der sogenannte ___-Effekt. 2. Aiden hat eine schlimme Erkältung und schlurft mit gesenktem Kopf zum Unterricht. Wie kann seine Körperhaltung gleichermaßen wie seine Erkältung sein emotionales Wohlbefinden beeinflussen?
Ekel (Nase gerümpft, Oberlippe hochgezogen, Zunge nach vorn gedrückt)
Angst (Augenbrauen eben, nach innen und oben gezogen, Augenlider geöffnet, Mundwinkel nach hinten gezogen)
be.com; c: © Prostock-studio/stock.adobe.com; d: © guniamc/stock. adobe.com; e: © New Africa/stock.adobe.com; f: © andreeaionascu/ stock.adobe.com; g: © Ксения Мнасина/stock.adobe.com)
13.3 Emotion
und Erfahrung
?? 13.10 Welche Grundemotionen gibt es?
Wie viele unterschiedliche Emotionen gibt es? Bei einer Befragung stimmten die meisten Emotionsforscher:innen darin überein, dass Wut, Angst, Ekel, Traurigkeit und Glück grundlegende menschliche Emotionen sind (Ekman, 2016). Carroll Izard (1977) arbeitete 10 Grundemotionen heraus (Freude, Interesse/Begeisterung, Überraschung, Trauer, Wut, Ekel, Verachtung, Angst/ Furcht, Scham und Schuld), die meist schon im Kindesalter zu beobachten sind (. Abb. 13.20). Andere sind der Auffassung, Stolz und Liebe seien ebenfalls Grundemotionen (Shaver et al., 1996; Tracey & Robins, 2004). Aber Izard argumentiert, dass andere Emotionen Kombinationen aus diesen 10 Grundemotionen sind; Liebe sei beispielsweise eine Kombination aus Freude und Interesse/Begeisterung.
13
526
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
Wir wollen uns nun mit Wut und Glück näher beschäftigen: Welche Funktionen haben sie? Wie wird unsere Erfahrung der einzelnen Emotionen beeinflusst? 13.3.1 Wut
?? 13.11 Was sind die Auslöser und Folgen von Wut?
13
Wut ist, wie die Weisen sagten, „ein kurzer Wahnsinn“ (Horaz, 65–8 v. Chr.), der den „Verstand wegspült“ (Vergil, 70–19 v. Chr.), und sie kann „hundertmal so schmerzlich sein wie die Verletzung, die sie herbeigeführt hat“ (Thomas Fuller, 1654–1734). Aber sie sprachen auch von „edler Wut“ (William Shakespeare, 1564–1616), die „jeden Feigling mutig macht“ (Cato, 234–149 v. Chr.) und „Stärke … wiederbringt“ (Vergil). Wenn uns eine Bedrohung oder eine Herausforderung bevorsteht, triggert Angst die Flucht, Wut hingegen den Kampf – jede der beiden Emotionen ist zu einer bestimmten Zeit ein adaptives Verhalten. Warum werden wir wütend? Oft ist die Wut eine Reaktion auf etwas, was Freund:innen oder Partner:innen unserer Meinung nach falsch gemacht haben, vor allem, wenn es mit Absicht geschah, ungerechtfertigt und vermeidbar war (Averill, 1983). Aber auch kleine Auseinandersetzungen und zufällige Belästigungen wie unangenehme Gerüche, Hitze, ein Verkehrsstau, Schmerzen und Wehwehchen können uns verärgern (Berkowitz, 1990). Und Wut kann uns sogar krank machen: Chronisch ärgerlich oder wütend zu sein, kann zu Herzerkrankungen führen. Wut beschleunigt unseren Herzschlag, treibt uns den Schweiß auf die Stirn und erhöht den Testosteronspiegel (Herrero et al., 2010; Kubo et al., 2012; Peterson & Harmon-Jones, 2012). Wie können wir also mit unserer Wut umgehen? In einer Gallup-Umfrage unter Jugendlichen berichteten mehr Jungen als Mädchen darüber, dass sie vor der Situation weglaufen oder beim Sport Dampf ablassen; Mädchen gaben häufiger an, dass sie mit einer Freundin darüber sprechen, sich Musik anhören oder schreiben (Ray, 2005). Populäre Bücher und Artikel raten manchmal dazu, die Wut lieber in Wutausbrüchen herauszulassen, statt sie in sich hineinzufressen. Wenn uns jemand ärgert, sollen wir dann auf den, der uns verletzt hat, einschlagen? Sollen wir gegen unsere toten Eltern wettern, den Chef zumindest in der Vorstellung verfluchen oder demjenigen, der uns in der Kindheit missbraucht hat, entgegentreten? Individualistische Kulturen ermutigen ihre Mitglieder, ihre Wut ungehindert herauszulassen. Solche Ratschläge werden selten in Kulturen zu vernehmen sein, in denen sich die Einzelperson stark mit ihrer Gruppe identifiziert. Menschen, die diese Interdependenz sehr stark empfinden, betrachten Wut und Ärger als eine Bedrohung für die Gruppenharmonie (Markus & Ki-
..Abb. 13.21 Dampf ablassen. Fans verschaffen sich anscheinend vorübergehend Luft, wenn sie bei Spielen der Fußballweltmeisterschaft, wie hier in Südafrika ihre Mannschaft anfeuern. Meine [DMs] Tochter, die in Südafrika lebt, meinte: „Jedes Mal, wenn ich wütend auf Uruguay war und dabei in die Vuvuzela geblasen und in die verärgerten Fangesänge eingestimmt habe, befreite das etwas in mir.“ (© Yuri Kochetkov/dpa/picture alliance)
tayama, 1991). In Tahiti lernen Menschen z. B., rücksichtsvoll und höflich zu sein. Japaner:innen zeigen von Kindheit an ihren Ärger weniger häufig als Menschen in westlichen Kulturen, wo in der aktuellen Politik und in den sozialen Medien Wut der letzte Schrei zu sein scheint (. Abb. 13.21). Der Ratschlag in westlichen Kulturen „Leben Sie Ihre Wut aus“ beruht auf der Annahme, dass aggressive Handlungen oder Fantasien eine emotionale Erleichterung oder sogar Katharsis ermöglichen können. Forschende berichten, dass sich Menschen, wenn sie sich gegen andere wehren, von denen sie provoziert wurden, manchmal tatsächlich beruhigen können, wenn ihre Gegenwehr direkt auf die Person ausgerichtet ist, die sie provoziert hat, wenn die Gegenwehr gerechtfertigt erscheint und wenn das Gegenüber nicht überlegen ist (Geen & Quanty, 1977; Hokanson & Edelman, 1966; Verona & Sullivan, 2008). Kurz gesagt, wir fühlen uns kurzzeitig erleichtert, wenn wir unseren Ärger ausgelebt haben, allerdings nur, wenn wir uns danach nicht schuldig oder ängstlich fühlen. Katharsis („catharsis“) – in der Psychologie besagt dies,
dass man sich durch das „Herauslassen“ aggressiver Energie (durch Handlungen oder in der Fantasie) von aggressiven Impulsen befreien kann. Trotz dieser zeitweisen Besserung ist es normalerweise nicht so, dass die Katharsis uns tatsächlich von der Wut befreit hätte (. Abb. 13.22). Viel häufiger führt der Ausdruck von Ärger zu mehr Ärger. Einerseits provoziert man durch aggressives Handeln den Wunsch des Gegenübers nach weiterer Vergeltung; und dadurch eskaliert ein kleinerer Konflikt oft zu einer größeren Konfronta-
527
13.3 • Emotion und Erfahrung
-
fest. „Jede emotionale Erregung nimmt ab, wenn Sie nur lange genug warten“. Eine gesunde Ablenkung oder Stütze finden. Versuchen Sie, sich zu beruhigen, indem Sie z. B. Sport treiben, ein Instrument spielen oder Ihre Gefühle mit einem Freund oder einer Freundin besprechen. Gehirnscans zeigen, dass ständiges Nachdenken über die Ursachen der Wut nur dazu führt, dass man die Blutzufuhr in der Amygdala erhöht (Fabiansson et al., 2012). Abstand nehmen. Versuchen Sie, sich gedanklich von der Situation zu distanzieren, so als würden Sie aus der Ferne oder aus der Zukunft heraus beobachten, wie sie sich abspielt. Selbstdistanzierung vermindert Grübeln, Wut, und Aggression (Kross & Ayduk, 2011; Mischkowski et al., 2012; White et al., 2015).
..Abb. 13.22 Der Mythos „Katharsis“: Ist er wahr? (© Claudia Styrsky)
» „Solange wir Groll in der Seele haben, wird die Wut nicht verschwinden.“ Buddha (500 v. Chr.)
tion. Andererseits wird die Wut vielleicht noch größer, wenn man sie zum Ausdruck bringt. Wie die Forschung zur Rückkopplung über das Verhalten beweist, kann wütendes Verhalten dazu führen, dass wir uns noch wütender fühlen (Flack, 2006; Snodgrass et al., 1986). Die Wucht, die der Gegenschlag der Wut haben kann, zeigte sich in einer Studie mit Menschen, die zuvor provoziert worden waren, dazu aufgefordert, auf einen Boxsack einzuschlagen, während sie über die Person grübeln, die sie wütend gemacht hat (Bushman, 2002). Hat die Möglichkeit, ihrem Ärger „Luft zu machen“, ihre Wut reduziert? Das Gegenteil war der Fall. Sobald sie später die Chance hatten, Rache zu üben, wurden sie noch aggressiver.
» „Die Wut herauszulassen, um den Ärger abzubauen, ist, als würde man Benzin ins Feuer schütten, um es zu löschen.“ Forscher Brad Bushman (2002)
Wenn die Wut uns dazu bringt, körperlich oder verbal aggressiv zu werden, und wir das später bereuen, dann ist sie für uns schädlich. Wut ist auch ein Nährboden für Vorurteile. Nach den Terrorakten vom 11. September 2001 zeigten Amerikaner:innen, die eher mit Wut als mit Angst reagierten, Intoleranz gegenüber Einwanderer:innen und Muslim:innen (DeSteno et al., 2004; Skitka et al., 2004). Wenn Wutausbrüche uns zeitweilig beruhigen, können sie verstärkend wirken und dadurch zur Gewohnheit werden. Wenn gestresste Führungskräfte die Erfahrung machen, dass sie etwas von ihrer Anspannung ablassen können, indem sie Angestellte anschreien, explodieren sie mit Sicherheit wieder, wenn sie sich das nächste Mal gereizt und angespannt fühlen. Wie kann man also besser mit Ärger und Wut umgehen? Expert:innen machen drei Vorschläge. Abwarten. Dadurch können Sie das physiologische Erregungsniveau senken. „Was hoch geht, muss auch wieder runterkommen“, stellte Carol Tavris (1982)
-
Wut ist nicht immer falsch. Weitverbreitet vermittelt sie den Eindruck von Stärke und Kompetenz (Tiedens, 2001). Wut motiviert Menschen auch dazu, couragiert zu handeln und Ziele zu erreichen (Aarts & Custers, 2012; Halmburger et al., 2015). Der kontrollierte Ausdruck von Ärger ist adaptiver als ein Wutausbruch oder aufgestaute Gefühle von Wut und Ärger. Als James Averill (1983) Versuchspersonen bat, sich an Situationen zu erinnern, in denen sie wütend gewesen sind, oder über einen bestimmten Zeitraum hinweg zu notieren, wann sie wütend oder ärgerlich wurden, erinnerten sie sich öfter daran, selbstsicher reagiert zu haben als verletzend. Ihre Wut hat sie häufig dazu veranlasst, mit ihrem Gegenüber zu sprechen und dadurch ihren Ärger zu reduzieren. Zivilisation meint nicht nur, über kleine Ärgernisse zu schweigen, sondern auch über größere Ärgernisse klar und deutlich zu sprechen. Eine Bemerkung über ein Gefühl, die keine Anklage ist (z. B. eine:n Mitbewohner:in wissen zu lassen, dass „es mich ärgert, wenn ich immer dein Geschirr abspülen muss“), kann den Konflikt lösen, der zur Wut geführt hat. Wut, die Kritik so vorbringt, dass Versöhnung und nicht Vergeltung im Vordergrund steht, kann für eine Beziehung sogar nützlich und hilfreich sein. Was aber, wenn das Verhalten eines Menschen wirklich verletzend wirkt und man den Konflikt nicht lösen kann? Forschende meinen, dass der jahrhundertealte Ratschlag, zu vergeben, der richtige sein könnte. Ohne das Gegenüber aus der Verantwortung zu entlassen oder noch mehr Verletzungen herauszufordern – manchmal müssen wir uns von einer ausfallenden Person distanzieren –, kann man durch Vergebung die Wut abbauen und den Körper beruhigen. In einer Studie über die neuronalen Effekte von Vergebung ließen deutsche Studierende ihr Gehirn scannen, während jemand ihnen die Chance zunichtemachte, Geld zu verdienen (Strang et al., 2014). Dann wurden die Studierenden gefragt, ob sie dem Übeltäter bzw. der Übeltäterin verziehen hatten oder nicht.
13
528
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
Vergebung förderte die Durchblutung von Gehirnregionen, die das Verständnis der eigenen Emotionen verbessert und zu sozial angemessenen Entscheidungen führt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche der folgenden Antwortmöglichkeiten ist eine effektive Strategie, um Gefühle der Wut zu reduzieren? a. Verbale oder körperliche Vergeltung b. Warten und sich beruhigen c. Der Wut in Taten oder Gedanken Luft machen d. Über den Groll nachgrübeln
13.3.2 Glücklichsein
?? 13.12 Was ist das Phänomen „Fühl dich gut, und du
tust etwas Gutes“, und wo liegt der Schwerpunkt der Forschung in der Positiven Psychologie?
13
Die Menschen streben nach Gesundheit und Glück und wünschen es sich gegenseitig. Und das aus gutem Grund. Ob man glücklich oder unglücklich ist, beeinflusst alles im Leben. Menschen, die glücklich sind, fühlen sich sicherer in der Welt. Sie werden von emotional positiven Informationen angezogen (Raila et al., 2015). Sie haben mehr Selbstbewusstsein, treffen leichter Entscheidungen und sind kooperativer. Sie bewerten Bewerber:innen für eine Arbeitsstelle positiver, würdigen ihre vergangenen positiven Lebensereignisse, ohne bei den negativen zu verharren, und sind sozial eingebundener. Sie leben insgesamt ein gesünderes, energiereicheres und zufriedeneres Leben (Boehm et al., 2015a; De Neve et al., 2013; Stellar et al., 2015). Und sie sind großzügiger (Boenigk & Mayr, 2016). Fazit: Auf die Stimmung kommt es an. Sind Sie trübsinnig, erscheint Ihr ganzes Leben deprimierend und bedeutungslos. Sie denken insgesamt kritischer und bringen Ihrer Umgebung mehr Skepsis entgegen. Hellt sich Ihre Stimmung auf, dann denken Sie auch über anderes nach und Ihre Gedanken werden spielerisch und kreativ (Baas et al., 2008; Forgas, 2008b; Fredrickson, 2013). Anhand der Fröhlichkeit von Studierenden an Colleges und Universitäten lässt sich leichter eine Prognose treffen, wie ihr weiteres Leben verlaufen wird. Eine Studie zeigte, dass die glücklichsten Zwanzigjährigen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit später heirateten und sich seltener scheiden ließen (Stutzer & Frey, 2006). Eine andere Studie, in der im Jahr 1976 Tausende von amerikanischen College-Studierenden befragt und im Alter von 37 Jahren nochmals untersucht wurden, ergab, dass glückliche Studierende signifikant mehr Geld verdienten als ihre unterdurchschnittlich glücklichen Kommiliton:innen (Diener et al., 2002). Wenn
wir glücklich sind, scheinen also unsere Beziehungen, unser Selbstbild und unsere Wünsche für die Zukunft erfolgversprechender zu sein. Außerdem – und dieses Ergebnis ist eines der konsistentesten in der Psychologie – fühlt sich Glücklichsein nicht nur gut an, es bewirkt auch, dass wir Gutes tun. Eine Studie nach der anderen zeigte Folgendes: Ein stimmungsaufhellendes Ereignis wie die Erinnerung an einen glücklichen Moment veranlasste die Versuchsteilnehmenden mit höherer Wahrscheinlichkeit dazu, Geld zu spenden, fallengelassene Papiere aufzuheben, sich freiwillig Zeit für etwas zu nehmen und andere gute Taten zu vollbringen. Psycholog:innen nennen es das Phänomen „Fühl dich gut und du tust etwas Gutes“ (Salovey, 1990). Das Gegenteil trifft aber auch zu: Etwas Gutes zu tun, gibt einem auch ein gutes Gefühl. In einer Umfrage unter mehr als 200.000 Menschen in 136 Ländern gaben die Menschen fast überall an, dass sie sich glücklicher fühlen, wenn sie Geld für andere und nicht für sich selbst ausgeben (Aknin et al., 2013; Dunn et al., 2014). Eine Nierenspende hinterlässt bei den Spender:innen ein gutes Gefühl (Brethel-Haurwitz & Marsh, 2014). Kleine Kinder zeigen auch mehr positive Emotionen, wenn sie Geschenke machen, als wenn sie welche erhalten (Aknin et al., 2015). Warum fühlt es sich so gut an, Gutes zu tun? Ein Grund ist, dass es unsere sozialen Beziehungen stärkt (Aknin & Human, 2015; Yamaguchi et al., 2015). Einige Glückstrainer:innen und Glückspädagog:innen machen sich dieses Phänomen des „Tu etwas Gutes und du fühlst dich gut“ zunutze, indem sie Menschen den Auftrag zuweisen, täglich einen „zufälligen Akt der Nettigkeit“ auszuführen und die Ergebnisse zu registrieren. Phänomen „Fühl dich gut und du tust etwas Gutes“ („feelgood, do-good phenomenon“) – Tendenz von Menschen,
hilfreich zu sein, wenn sie in einer guten Stimmung sind.
Positive Psychologie William James schrieb bereits 1902 darüber, wie wichtig es sei, glücklich zu sein („das geheime Motiv all unserer Handlungen“). In den 1960er Jahren waren die humanistischen Psycholog:innen bemüht, die menschliche Selbstverwirklichung zu fördern. Im 21. Jahrhundert nutzt die positive Psychologie unter der Leitung von Martin Seligman, dem ehemaligen Präsidenten der American Psychological Association, wissenschaftliche Methoden, um das Wohlergehen der Menschen zu untersuchen (. Abb. 13.23). Dieses junge Teilgebiet beinhaltet auch Arbeiten zum subjektiven Wohlbefinden, das einerseits als Glücksgefühl (manchmal definiert als höherer Anteil der guten im Verhältnis zu den schlechten Gefühlen), andererseits als ein Gefühl der Zufriedenheit mit dem Leben erfasst wird. Zufriedenheit mit der Vergangenheit, Glücklichsein mit der Gegenwart und Optimismus in Hinsicht auf die Zukunft definieren die erste Säule der Positiven Psychologie: positives Wohlbefinden. Glücklich zu sein versteht
529
13.3 • Emotion und Erfahrung
In der Vergangenheit boten Zeiten relativen Friedens und Wohlstands den Kulturen die Möglichkeit, sich nicht nur mit der Beseitigung von Schwächen und Schäden zu beschäftigen, sondern darüber hinaus das zu entwickeln, was Seligman (2002) als „die höchste Lebensqualität“ bezeichnete. Das wohlhabende Athen des 5. Jahrhunderts förderte die Philosophie und Demokratie. Das blühende Florenz des 15. Jahrhunderts förderte die große Kunst. Das viktorianische England, das durch die Schätze des britischen Empires zu unglaublichem Reichtum kam, kultivierte Begriffe wie Ehre, Disziplin und Pflichtgefühl. In diesem Jahrtausend, glaubt Seligman, haben die erfolgreichen westlichen Kulturen eine ähnliche Gelegenheit, als „humanitäres wissenschaftliches Denkmal“ eine positivere Psychologie zu schaffen, die sich nicht nur mit Schwäche und Schaden, sondern auch mit Stärke und Tugend beschäftigt. Dank seiner Führung und einer Fördersumme von mehr als 200 Mio. Dollar hat die Bewegung an Stärke gewonnen und Unterstützende in 77 Ländern gefunden (IPPA, 2017; Seligman, 2016). Positive Psychologie („positive psychology“) – die wissen..Abb. 13.23 Martin E. P. Seligman „Das Hauptziel einer positiven Psychologie ist es, die menschlichen Stärken und die zivilgesellschaftlichen Tugenden zu messen, zu verstehen und dann aufzubauen.“ (© STR/EPA/picture alliance)
Seligman als ein Nebenprodukt eines angenehmen, engagierten und sinnvollen Lebens. In der Positiven Psychologie geht es nicht darum, lediglich ein angenehmes Leben zu führen, sagt Seligman, sondern auch ein erfülltes Leben, das die eigenen Fähigkeiten ausschöpft, und ein sinnvolles Leben, das über einen selbst hinausgeht. Daher konzentriert sich die zweite Säule, der positive Charakter, auf die Erforschung und Förderung von Kreativität, Mut, Mitgefühl, Ehrlichkeit, Selbstbeherrschung, Führung, Weisheit und Spiritualität. Die dritte Säule, positive Gruppen, Gemeinschaften und Kulturen, zielt darauf ab, eine positive soziale Umwelt zu fördern. Dazu gehören gesunde Familien, gemeinschaftliche Nachbarschaften, leistungsfähige Schulen, sozial verantwortliche Medien und ziviler Dialog. „Positive Psychologie“, so Seligman und Kolleg:innen (2005), „ist ein Sammelbegriff für die Erforschung positiver Emotionen, positiver Charaktereigenschaften und förderlicher institutioneller Rahmenbedingungen.“ Ihr Fokus unterscheidet sich von den traditionellen Forschungsgebieten der Psychologie durch das Verständnis und die Bekämpfung negativer Zustände – Missbrauch und Angst, Depression und Krankheit, Vorurteile und Armut. In der Tat sind seit 1887 in der Psychologie fünfzehnmal mehr Fachbeiträge über depressive Störungen veröffentlicht worden als über Glücklichsein.
schaftliche Untersuchung des menschlichen Wohlbefindens mit dem Ziel, Stärken und Tugenden zu entdecken und zu fördern, um dem Einzelnen und gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit zur Entfaltung zu bieten. Subjektives Wohlbefinden („subjective well-being“) – selbst wahrgenommenes Gefühl des Glücks im Leben oder der Zufriedenheit mit dem Leben. Wird zusammen mit Maßen des objektiven Wohlbefindens verwendet (beispielsweise körperliche und ökonomische Faktoren), um die Lebensqualität eines Menschen zu erfassen.
Das kurze Leben der emotionalen Hochs und Tiefs ?? 13.13 Inwieweit sind Zeit, Reichtum, Anpassung und
Vergleich Gradmesser unseres Glücks?
Ist man an manchen Wochentagen glücklicher als an anderen? Der Sozialpsychologe Adam Kramer hat (auf meine [DMs] Anfrage und in Zusammenarbeit mit Facebook) mithilfe des wohl größten psychologischen Datensatzes aller Zeiten Gefühlsausdrücke in „Milliarden“ Statusnachrichten realitätsnah beobachtet. Unter Ausschluss von besonderen Tagen – wie z. B. Ferien – hat er die Häufigkeit von positiven und negativen Emotionsausdrücken in Abhängigkeit vom Wochentag erfasst. Und welche waren die Tage mit den meisten positiven Gefühlen? Freitag und Samstag (. Abb. 13.24). Ähnliche Analysen von Antworten aus Fragebögen und 59 Mio. Twitter-Nachrichten ergaben, dass Freitag bis Sonntag die glücklichsten Tage der Woche sind (Golder & Macy, 2011; Helliwell & Wang, 2015; Young & Lim, 2014). Ist das bei Ihnen auch so?
13
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
530
1,5
Glücksfaktor
1,0 0,5 0,0 –0,5
g
ta g So nn
sta m Sa
Fr eit ag
g M itt wo ch Do nn er sta g
sta Di en
M
on
ta g
–1,0
..Abb. 13.24 Internet-Forschung kann benutzt werden, um glückliche Tage aufzuspüren. Adam Kramer (2010) verfolgte positive und negative Emotionen in „Milliarden“ (die genaue Anzahl ist eine geschützte Information) Statusnachrichten von amerikanischen Facebook-Nutzer:innen zwischen dem 7. September 2007 und dem 1. November 2010
13
Über einen längeren Zeitraum hinweg scheinen sich unsere emotionalen Hochs und Tiefs auszugleichen. Das trifft sogar für den Verlauf eines Tages zu. Positive Emotionen nehmen meist vom frühen bis zum mittleren Teil des Tages zu und fallen dann wieder ab (Kahneman et al., 2004; Watson, 2000). Belastende Ereignisse – wie ein Streit, ein krankes Kind oder ein Problem mit dem Auto – sorgen für schlechte Laune. Das ist wirklich keine Überraschung. Aber schon am nächsten Tag verschwindet die schlechte Laune meist (Affleck et al., 1994; Bolger et al., 1989; Stone & Neale, 1984). Gute oder schlechte Ereignisse wirken sich oft nachhaltig darauf aus, welches Gesamturteil wir über unser Leben abgeben, aber unsere tägliche Stimmung erholt sich normalerweise (Luhmann et al., 2012). Menschen scheinen sich von einem schlechten Tag sogar so weit zu erholen, dass ihre Stimmung am nächsten Tag besser ist als gewöhnlich. Schlimme Ereignisse – der Verlust des Ehepartners bzw. der Ehepartnerin oder des Arbeitsplatzes – können uns für längere Zeit herunterziehen (Infurna & Luthar, 2016a). Aber mit der Zeit hört die schlechte Stimmung irgendwann auf. Das Ende einer Liebesbeziehung ist zwar ein niederschmetterndes Gefühl, aber am Ende heilt auch diese Wunde. Universitätsangehörige, die sich auf eine Dauerstelle bewerben, gehen häufig davon aus, dass ihr Leben zerstört sei, wenn sie abgelehnt würden. Tatsächlich ist es aber so, dass nach fünf bis zehn Jahren die damals Abgelehnten kaum weniger glücklich als die Erfolgreichen waren (Gilbert et al., 1998). Eine Trauerphase nach dem Tod eines geliebten Menschen oder die Ängstlichkeit nach einem Trauma (wie z. B. Kindesmissbrauch, einer Vergewaltigung oder den Schrecken des Krieges) kann lange anhalten. Normalerweise führt aber keine solcher Tragödien zu einer anhaltenden Depression. Menschen, die erblinden oder gelähmt sind, erlangen wahrscheinlich nicht voll-
ständig ihr früheres Wohlbefinden zurück, aber wenn sie über eine ausgeglichene Persönlichkeit verfügen, erholen sie sich häufig wieder und unterliegen dann, was das Glücksniveau angeht, den normalen täglichen Schwankungen (Boyce & Wood, 2011; Hall et al., 1999). Ähnlich geht es Menschen, die wegen einer Nierenschädigung zur Dialyse müssen, oder Stoma-Patienten, die einen künstlichen Darmausgang haben. In europäischen Studien beschrieben 8–12 Jahre alte Kinder mit Zerebralparese ihr allgemeines Wohlbefinden als normal (Dickinson et al., 2007). Diese Einstellung findet man auch bei Menschen, die selbst nach einem Amoklauf in einer Schule oder einem Terroranschlag dankbar sind, überlebt zu haben, und optimistisch bleiben (Birkeland et al., 2016; Vieselmeyer et al., 2017). „Selbst wenn Ihre Arme und Beine vollständig gelähmt sind“, erklärt der Psychologe Daniel Kahneman (2005a), „werden Sie allmählich beginnen, an andere Dinge zu denken; und je länger man an andere Dinge denkt, desto weniger erbärmlich geht es einem“. Nicht einmal die Mehrheit der vom Locked-in-Syndrom Betroffenen, bei vollem Bewusstsein körperlich gelähmt sind, sagt, dass sie sterben wollen, was einer verbreiteten Fehlvorstellung widerspricht (Bruno et al., 2008, 2011; Nizzi et al., 2012; Smith & Delargy, 2005; . Abb. 13.25). Anna Putt aus den südlichen Midlands in England erlitt sieben Wochen nach ihrer Hochzeit im Jahre 1994 einen Schlaganfall im Bereich des Hirnstamms, der zum Locked-in-Syndrom führte. Monate danach erinnerte sie sich: „Ich war vom Hals herab gelähmt und nicht imstande zu kommunizieren. Das war eine sehr, sehr erschreckende Zeit. Aber aufgrund der Ermutigung durch die Familie und Freund:innen, aufgrund meines Glaubens und durch die Unterstützung vonseiten der Mediziner:innen versuchte ich, eine positive Einstellung zu bewahren.“ In den folgenden drei Jahren wurde Anna Putt in die Lage versetzt, zu „sprechen“ (durch Nicken angesichts von Buchstaben), einen elektrischen Rollstuhl mit dem Kopf zu steuern und einen Computer zu nutzen (durch Kopfbewegungen, mit denen sie einen Cursor lenken konnte). Trotz ihrer Lähmung berichtet sie: „Mir macht es Spaß, an die frische Luft zu gehen. Mein Motto ist: ‚Schau nicht zurück, beweg dich vorwärts.‘ Gott würde nicht wollen, dass ich aufhöre, es zu versuchen, und ich habe nicht die Absicht, das zu tun. Leben ist das, was man daraus macht.“ Die überraschende Wahrheit: Wir überschätzen die Dauerhaftigkeit von Emotionen und unterschätzen unsere ausdauernde Fähigkeit, uns anzupassen. (Als jemand, der den Verlust des Gehörs von mütterlicher Seite geerbt hat und dessen Mutter die letzten 13 Jahre ihres Lebens komplett gehörlos verbracht hat, schöpfe ich [DM] aus diesen Erkenntnissen Mut.)
» „Kein Glück bleibt lange bestehen.“ Seneca, Agamemnon (60 n. Chr.)
13.3 • Emotion und Erfahrung
..Abb. 13.25 Menschliche Widerstandsfähigkeit. Der Berliner Physiker Karl-Heinz Pantke war nach einem Schlaganfall gelähmt, aber bei vollem Bewusstsein. Mit 39 Jahren wurde bei ihm das Locked-in-Syndrom diagnostiziert. Seitdem kämpfte er sich gegen alle ärztlichen Prognosen zurück ins Leben, lernte die Augen zu öffnen und zu schließen, sich zu bewegen und zu sprechen. Er schrieb Bücher, gründete einen Verein, der sich für Betroffene einsetzt, und bezeichnete den Schlaganfall sogar als Bereicherung: „Bis zum Schlaganfall war eigentlich alles vorgezeichnet, und ohne Schlaganfall wäre es auch so weiter gelaufen – und ich hätte mich wahrscheinlich ein paar Jahre später einfach zu Tode gelangweilt.“ (© Rolf Kremming/picture alliance)
„Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude.“ Psalm 30, Vers 6
Wohlstand und Wohlbefinden „Wären Sie glücklicher, wenn Sie mehr Geld verdienen würden?“ 73 % der Amerikaner:innen, die 2006 an einer Gallup-Meinungsumfrage teilgenommen haben, waren davon überzeugt. Wie wichtig ist es Ihnen „finanziell gut situiert zu sein“? „Sehr wichtig“ oder „essenziell“, sagen 82 % der amerikanischen Hochschuleinsteiger:innen (Eagen et al., 2016). Geld macht glücklich, das gilt bis zu einem gewissen Punkt besonders für Menschen in der Mitte ihres Berufslebens (Cheung & Lucas, 2015). Menschen in reichen Ländern sind zudem glücklicher als solche in armen Ländern (Diener & Tay, 2015).
531
Hat man genug Geld, um sich den Ausweg aus Hunger und Hoffnungslosigkeit zu finanzieren, das Gefühl, Kontrolle über sein Leben zu haben und sich etwas Besonderes gönnen zu können, ist man eher glücklich (Fischer & Boer, 2011; Ruberton et al., 2016). Wie Daten aus Australien bestätigen, führt mehr Geld besonders dann zu einem signifikant gesteigerten Glücksempfinden, wenn das Ausgangseinkommen gering war (Cummins, 2006). Ein Lohnanstieg von 1.000 Dollar pro Jahr hat einen viel größeren Einfluss auf eine Durchschnittsperson in Malawi als auf eine in der Schweiz. Eine Lohnerhöhung bei niedrigen Einkommen führt zu größeren Anstiegen des Glücklichseins als bei hohen Einkommen. Sobald wir genug Geld für Komfort und Sicherheit haben, wird das Anhäufen von mehr und mehr Materiellem immer bedeutungsloser. Luxus zu erfahren vermindert unsere Fähigkeit, auch die kleinen Freuden des Lebens zu genießen (Cooney et al., 2014; Quoidbach et al., 2010). Wenn Sie erst einmal in den Alpen Ski gelaufen sind, verlieren die benachbarten Hügel zum Schlittenfahren an Bedeutung. Wenn Sie jeden Winter in den Alpen Ski fahren, wird es zu einer Routineveranstaltung und nicht zu einem Erlebnis, das man gern in Erinnerung behält (Quoidbach et al., 2015). In den letzten fünf Jahrzehnten hat sich die Kaufkraft der Durchschnittsbürger:innen in den USA fast verdreifacht und es uns ermöglicht, großzügiger zu wohnen und pro Person mehr als doppelt so viele Autos zu besitzen – von iPads und Smartphones wollen wir gar nicht reden. Konnten wir uns damit auch mehr Glück kaufen? Wie . Abb. 13.26 zeigt, sind US-Amerikaner:innen kein bisschen glücklicher. 1957 sagten etwa 35 % der Menschen, sie seien „sehr glücklich“, praktisch genauso viele wie die 33 % im Jahr 2014. Ähnliches gilt für Europa, Kanada, Australien und Japan, wo steigende Realeinkommen kein steigendes Glücksempfinden erzielt haben (Australian Unity, 2008; Diener & Biswas-Diener, 2008, 2009; Di Tella & MacCulloch, 2010; Zuzanek, 2013). Ebenso in China, wo der Lebensstandard gestiegen ist, die Lebenszufriedenheit jedoch nicht (Davey & Rato, 2012; Easterlin et al., 2012). Derartige Ergebnisse sollten in den modernen Materialismus wie eine Bombe einschlagen: Das ökonomische Wachstum in reichen Ländern hat allem Anschein nach nicht zu einer wahrnehmbaren Steigerung der Moral oder des sozialen Wohlbefindens geführt. Ironischerweise sind in jeder Kultur diejenigen, die am stärksten nach Reichtum streben, eher unzufrieden mit ihrem Leben (. Abb. 13.27). Das gilt besonders für Menschen, die unbedingt an Geld gelangen wollen, um sich selbst etwas zu beweisen, um Macht zu erlangen oder um anzugeben, statt damit ihre Familie zu unterstützen (Donnelly et al., 2016; Niemiec et al., 2009; Srivastava et al., 2001). Das Streben nach Geld führt dazu, dass Menschen weniger einfühlsam gegenüber anderen werden – und weniger warmherzig und fürsorglich (Vohs,
13
532
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.26 Macht Geld glücklich? Ganz bestimmt kann man mit Geld verschiedenste Sorgen und Kümmernisse vermeiden. Doch obwohl sich die durchschnittliche Kaufkraft seit den 1950er Jahren fast verdreifacht hat, sagen Amerikaner:innen nicht, dass sie glücklicher sind. (Glücksangaben aus Umfragen des „National Opinion Research Center“; Einkommensangaben aus den „Historical Statistics of the United States“ und „Economic Indicators“)
Durchschnittliches Nettoeinkommen pro Person in Dollar
100%
$40.000
90
35.000
80 30.000 70
Persönliches Einkommen
25.000
60 50
20.000
40 Prozentsatz derer, die sich 30 als sehr glücklich beschreiben
15.000 10.000
Prozentsatz der »sehr Glücklichen«
20
5.000 0 1950
10
1960
1970
1980 1990 Jahr
2000
2010
2020
0
licher wird, und warum unsere Emotionen anscheinend an Gummibändern hängen, die uns aus allen Höhen und Tiefen zurückschnellen lassen. Auf ihre eigene Art und Weise erklären beide Prinzipien, dass Glück etwas Relatives ist.
13
zz Glück und Vorerfahrung
..Abb. 13.27 (© Harley Schwadron/Search ID: CS364790, Rights Available from CartoonStock.com)
Das Phänomen des Anpassungsniveaus beschreibt unsere Tendenz, verschiedene Reize in ein Verhältnis zu denen zu setzen und zu bewerten, die wir bereits kennen. Der Psychologe Harry Helson (1898–1977) erklärte, dass wir unseren „subjektiven Nullpunkt“ – also den Punkt, an dem sich Geräusche weder laut noch leise anhören, Temperaturen weder heiß noch kalt und Ereignisse weder positiv noch negativ sind – aufgrund unserer Erfahrung festlegen. Von diesem Niveau aus registrieren wir Abweichungen nach oben und unten und reagieren darauf. So werden nach einem kurzen Moment der Freude Verbesserungen zu unserem „neuen Normalzustand“, und wir brauchen dann etwas noch Besseres, um ein neues Glücksgefühl zu erleben.
2015). Menschen, die sich im Gegensatz dazu an Werten wie „Vertrautheit, persönliches Wachstum und Beitrag für die Allgemeinheit“ orientieren, haben eine höhere Lebensqualität (Kasser, 2014).
Anpassungsniveau („adaptation level“) – unsere Tendenz,
Zwei psychologische Prinzipien: Anpassung und Vergleich
» „Immerwährender Genuss nutzt sich ab. Wir brauchen
Zwei psychologische Prinzipien bieten eine Erklärung dafür, warum niemand, der nicht wirklich arm ist, für längere Zeit durch eine Steigerung seines Budgets glück-
uns ein Urteil (über Töne, Lichter oder Einkommen) aufgrund eines neutralen Niveaus zu bilden, das durch unsere Vorerfahrung bestimmt wird.
immer wieder etwas Neues, was wir genießen können. Wenn wir ein Bedürfnis ständig befriedigen können, genießen wir dies nicht mehr.“ Der niederländische Psychologe Nico Frijda (1988)
533
13.3 • Emotion und Erfahrung
Könnten wir uns also jemals ein beständiges soziales Paradies schaffen? Wahrscheinlich nicht (Campbell, 1975; Di Tella et al., 2010). Menschen, die einen überraschenden Geldregen – im Lotto, durch eine Erbschaft oder einen Konjunkturaufschwung – erleben, empfinden gewöhnlich eine Art Hochstimmung (Diener & Oishi, 2000; Gardner & Oswald, 2007). Würden Sie morgen in Utopia aufwachen – vielleicht in einer Welt ohne Steuern, ohne Krankheiten und mit perfekten Examensnoten – wären Sie eine Zeit lang euphorisch glücklich. Aber irgendwann würden Sie sich an diesen neuen Normalzustand anpassen. Nicht lange, und Sie würden sich wieder freuen (wenn das Erreichte die Erwartungen übersteigt) oder sich schlecht fühlen (wenn Sie nicht bekommen, was Sie haben wollen). Merke: Zufriedenheit und Unzufriedenheit, Erfolg und Versagen – all das sind Einschätzungen, die wir zum Teil auf der Grundlage von Erwartungen treffen, die durch unsere bisherigen Erfahrungen hervorgerufen wurden (Rutledge et al., 2014). Zufriedenheit hat, wie Richard Ryan (1999) sagte, „eine kurze Halbwertszeit“. Und so ist es auch mit Enttäuschungen. Eine Niederlage kann man manchmal schneller überwinden, als man denkt.
» „Ich habe eine ‚Glückskeks-Lebensweisheit‘, auf die ich sehr stolz bin: Wenn Sie einmal darüber nachdenken, ist nichts im Leben wirklich so bedeutsam, wie Sie meinen. Deshalb wird Sie nichts so glücklich machen, wie Sie meinen.“ Der Nobelpreisträger und Psychologe Daniel Kahneman in einem Gallup-Interview, „What were they thinking“ (2005)
zz Glück und das, was die anderen erreicht haben
Wir vergleichen uns ständig mit anderen. Und ob wir uns gut oder schlecht fühlen, hängt davon ab, mit welchen anderen wir uns vergleichen. Begriffsstutzig oder schwerfällig sind wir nur dann, wenn die anderen geistig rege oder agil sind. Wenn wir das Gefühl haben, dass es uns schlechter geht als anderen, mit denen wir uns vergleichen, erfahren wir eine relative Deprivation. Zufriedenheit hängt weniger von unserem Einkommen ab als vielmehr von unserem Einkommensrang (Boyce et al., 2010). Es ist besser 50.000 Dollar zu verdienen, wenn andere nur 25.000 Dollar bekommen, als 100.000 Dollar, wenn die eigenen Freund:innen, Nachbar:innen und Kolleg:innen 200.000 Dollar verdienen (Solnick & Hemenway, 1998, 2009). Entsprechend wird eine Gehaltserhöhung Sie glücklicher machen, wenn sie größer ist als die Einkommenssteigerung, die andere in Ihrem Umfeld erhalten (Graham, 2011). Wenn die Erwartungen größer sind als die wirklichen Erfolge, sind wir enttäuscht. So haben die Menschen in der Mittel- und Oberklasse eines bestimmten Landes, die sich mit ihren ärmeren Mitbürger:innen vergleichen können, eher eine größere Lebenszufriedenheit, als die vom Glück weniger bedachten. Doch ab einem be-
stimmten Standard führt eine weitere Vermehrung des Besitzes nicht mehr dazu, dass die Besitzenden noch glücklicher werden. Warum? Weil sich die Menschen, die die Erfolgsleiter hinaufklettern, meist mit denen vergleichen, die auf derselben Stufe wie sie oder auf einer noch höheren stehen (Gruder, 1977; Suls & Tesch, 1978; Zell & Alicke, 2010). „Bettler beneiden nicht die Millionäre, sondern andere Bettler, die erfolgreicher sind als sie selbst“, bemerkte Bertrand Russell (1930/1985, S. 90). „Napoleon war neidisch auf Cäsar, Cäsar auf Alexander den Großen, und Alexander, wage ich zu behaupten, auf Herkules, den es wahrscheinlich nie gegeben hat. Daher kann man nur durch Erfolg dem Neid nicht entkommen; denn in der Geschichte oder im Reich der Mythen wird es immer wieder eine Person geben, die sogar noch erfolgreicher war als man selbst“ (S. 68–69). Relative Deprivation („relative deprivation“) – Wahrneh-
mung, dass es einem selbst schlechter geht als denen, mit denen man sich vergleicht.
>>Schüler:innen vergleichen die eigene Leistung mit der
Leistung anderer. Dies erklärt auch, warum jene mit einem bestimmten Grad an schulischen Fähigkeiten ein ausgeprägteres Selbstkonzept haben, wenn sie eine Schule besuchen, die vor allem von Schüler:innen mit geringeren Fähigkeiten besucht wird (Marsh & Parker, 1984; Rogers & Feller, 2016; Salchegger, 2016). Wenn Sie im Gymnasium zu den Besten Ihres Jahrgangs gehörten, wäre es möglich, dass Sie sich minderwertig fühlen oder entmutigt sind, wenn Sie auf der Universität ausschließlich mit Kommiliton:innen zusammen sind, die auch die Besten in der Schule waren.
Vergleichen wir uns also nur mit denjenigen, denen es besser geht, werden wir neidisch. Doch unsere Zufriedenheit wird zunehmen, wenn wir das berücksichtigen, womit wir gesegnet sind, und uns mit denen vergleichen, die weniger haben. In einer Studie untersuchten Frauen an der Universität die Benachteiligungen und das Leiden anderer (Dermer et al., 1979). Nachdem die Frauen eine lebendige Darstellung des entbehrungsreichen Lebens in der Stadt im Jahr 1900 gesehen hatten und sich verschiedene persönliche Tragödien vorgestellt und sie niedergeschrieben hatten, z. B. durch einen Brand entstellt zu werden, drückten die Frauen eine größere Zufriedenheit mit ihrem Leben aus. Ähnlich geht es leicht depressiven Patient:innen, die über Menschen mit einer noch stärkeren Depression lesen, und sich daraufhin etwas besser fühlen (Gibbons, 1986). „Ich weinte, weil ich keine Schuhe hatte“, heißt es in einem persischen Sprichwort, „bis ich auf einen Mann stieß, der keine Füße hatte“.
» „Vergleich ist der Dieb der Freude.“ Theodore Roosevelt zugeschrieben
13
534
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Tab. 13.2 Glück ist … (Adaptiert nach DeNeve & Cooper, 1998; Diener et al., 2003; Headey et al., 2010; Lucas et al., 2004; Myers, 1993, 2000; Myers & Diener, 1995, 1996 und Steel et al., 2008. Veenhoven, 2009 stellt eine Datenbasis von über 11.000 Korrelaten zum Gücklichsein auf 7 http://www.worlddatabaseofhappiness.eur.nl zur Verfügung) Forschungsergebnisse zeigen, dass glückliche Menschen eher …
Jedoch scheint das Glücklichsein nicht mit anderen Faktoren zusammenzuhängen, wie …
Ein ausgeprägtes Selbstwertgefühl haben (in individualistischen Staaten)
Alter
Optimistisch sind, aus sich herausgehen und liebenswürdig sind
Geschlecht (Frauen sind häufiger niedergeschlagen, aber auch häufiger fröhlich)
Enge, positive und dauerhafte Beziehungen haben
Körperliche Attraktivität
Eine Arbeitsstelle und Hobbys haben, bei denen sie ihre Fähigkeiten einsetzen können Einen Sinn stiftenden religiösen Glauben haben (besonders in eher religiösen Kulturen) Gut schlafen und Sport treiben
Was determiniert unser Maß an Glück? ?? 13.14 Was determiniert das Glück, und wie können
wir glücklicher werden?
13
Glückliche Menschen teilen viele Eigenschaften (. Tab. 13.2). Warum scheinen aber manche Menschen so voller Freude zu sein, während andere Tag für Tag schlecht gelaunt sind? Die Antwort hierauf ist – wie auch in vielen anderen Bereichen – im Wechselspiel von Genen und Umwelt zu finden. Gene spielen eine Rolle: Aus einer Studie mit über 55.000 ein- und zweieiigen Zwillingen konnten 36 % der interindividuellen Unterschiede im Glücklichsein durch genetische Einflüsse erklärt werden (Bartels, 2015). Sogar getrennt aufgewachsene eineiige Zwillinge sind oft in ähn-
..Abb. 13.28 (Pat Byrnes/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
lichem Maß glücklich. Darüber hinaus loten Forschende jetzt aus, wie bestimmte Gene unser Glück beeinflussen (De Neve et al., 2012; Fredrickson et al., 2013). Unsere persönliche Geschichte und unsere Kultur sind allerdings auch von Bedeutung. Wie wir bereits gesehen haben, streben unsere Gefühle im persönlichen Bereich danach, sich um ein bestimmtes Level herum, das durch unsere Erfahrungen definiert wird, einzupendeln. Auf der Ebene der Kulturen unterscheiden sich die Gruppen darin, welche Eigenschaften sie stärker wertschätzen. In individualistischen westlichen Kulturen hat das Selbstwertgefühl mehr Bedeutung als in den mehr auf Gemeinschaft und Familie ausgerichteten Kulturen wie Japan, bei denen es wichtiger ist, sozial akzeptiert zu sein und harmonisch zu leben (Diener et al., 2003; Fulmer et al., 2010; Uchida & Kitayama, 2009). Je nach unseren genetischen Veranlagungen, Erwartungen und den Erfahrungen, die wir in letzter Zeit gemacht haben, scheint sich unser Glücksgefühl um einen individuellen „Glücks-Sollwert“ zu bewegen; er
..Abb. 13.29 „Ich habe mein Haus verschenkt, meine Aktien Greenpeace überschrieben und meiner Schwiegermutter die Meinung gesagt – und wann werde ich jetzt glücklich?“ (© Claudia Styrsky)
13.3 • Emotion und Erfahrung
disponiert manche Menschen dazu, immer etwas glücklicher zu sein, und andere, etwas trauriger und negativer eingestellt zu sein (. Abb. 13.28; . Abb. 13.29). Aber als Forschende das Leben von Tausenden Personen über zwei Jahrzehnte hinweg wissenschaftlich begleiteten, beobachteten sie, dass sich die Lebenszufriedenheit der Menschen ändern kann (Lucas & Donnellan, 2007). Die Zufriedenheit kann größer oder kleiner werden; und Glück kann durch Faktoren beeinflusst werden, durch die wir selbst es in der Hand haben, ob wir glücklich sind oder nicht (Layous & Lyubomirsky, 2014; Nes et al., 2010). Forschungsbasierte Tipps dazu, wie man die eigene Stimmung steigern und die Lebenszufriedenheit erhöhen kann, bekommen Sie in der Übersicht „Evidenzbasierte Vorschläge für ein glücklicheres Leben“. Evidenzbasierte Vorschläge für ein glücklicheres Leben Behalten Sie die Entscheidungsfreiheit über Ihre Zeit. Glückliche Menschen haben das Gefühl, ihr Leben im Griff zu haben: Setzen Sie sich selbst Ziele und unterteilen Sie sie wiederum in Teilziele, die Sie täglich erreichen möchten. Wir alle überschätzen, wie viel wir an einem bestimmten Tag erreichen können, aber die gute Nachricht ist, dass wir im Allgemeinen unterschätzen, wie viel wir in einem Jahr erreichen können, wenn wir täglich etwas schaffen. Handeln Sie, als wären Sie glücklich. Die Forschung beweist, dass sich Menschen besser fühlen, wenn man sie dazu bringt, ihre Gesichtsmuskeln so anzuspannen, dass sie lächeln. Also setzen Sie ein fröhliches Gesicht auf. Reden Sie, als ob Sie ein positives Selbstwertgefühl hätten, als ob Sie optimistisch und extravertiert wären. Wir können uns oft durch gezielte Handlungen in eine fröhlichere Stimmung versetzen. Suchen Sie sich eine Arbeit und Hobbys, bei denen Sie Ihre Fähigkeiten einsetzen können. Glückliche Menschen erleben oft ein „Flow“-Gefühl, also eine völlige Hingabe an eine Herausforderung, die sie jedoch nicht überfordert. Passive Formen der Freizeitgestaltung (Fernsehen) liefern häufig weniger Flow-Erleben als Sport, Zeit mit Freunden oder künstlerische Verwirklichung. Geben Sie Ihr Geld eher für gemeinsame Erlebnisse als für Dinge aus. Geld führt eher zu einem Glücksempfinden, wenn es für Unternehmungen, vor allem für gemeinsame gemachte, ausgegeben wird, Erlebnisse, auf die man sich im Vorhinein freut, die man genießt und an die man sich später gerne erinnert (Caprariello & Reis, 2013; Carter & Gilovich, 2010; Kumar & Gilovich, 2013, 2015). Die gemeinsame Erfahrung eines College-Besuchs mag eine Menge Geld kosten, aber, wie schon der Kritiker Art Buchwald sagte: „Die besten Dinge im Leben sind keine Dinge.“
535
Schwimmen Sie auf der „Fitnesswelle“ mit. Aerobicübungen können depressive Störungen und Ängstlichkeit verringern, indem sie für Gesundheit und Kraft sorgen. Ein gesunder Geist wohnt in einem gesunden Körper. Schlafen Sie so viel, wie Ihr Körper will. Glückliche Menschen leben ein aktives und kraftvolles Leben, doch sie nehmen sich auch Zeit für Erneuerung durch Schlaf und Alleinsein. Schlafmangel führt zu Müdigkeit, verringerter Konzentrationsfähigkeit und schlechter Laune. Schlafen Sie jetzt, dann können Sie später lächeln. Geben Sie engen Beziehungen den Vorrang. Im Vergleich zu unglücklichen Menschen verbringen glückliche Menschen mehr Zeit mit sinnvollen Gesprächen als mit oberflächlichem Smalltalk (Mehl et al., 2010). Entschließen Sie sich, Ihre engsten Beziehungen zu pflegen: Nehmen Sie sie nicht als selbstverständlich hin. Geben Sie ihnen die gleiche Zuwendung und Anerkennung, die Sie anderen geben. Beziehungen sind wichtig. Blicken Sie über sich hinaus. Helfen Sie in Not geratenen Menschen. Zeigen Sie Nächstenliebe. Glücklichsein fördert Hilfsbereitschaft, aber Gutes zu tun, hilft einem auch, sich gut zu fühlen. Seien Sie dankbar. Menschen, die ein Dankbarkeitstagebuch führen, fühlen sich besser (Davis et al., 2016). Nehmen Sie sich die Zeit, die positiven Erfahrungen und Erfolge zu würdigen, und denken Sie darüber nach, warum sie sich ereignet haben (Sheldon & Lyubomirsky, 2012). Drücken Sie Ihre Dankbarkeit anderen gegenüber aus. Pflegen Sie Ihr spirituelles Selbst. Viele Menschen fühlen sich durch ihren Glauben in einer religiösen Gemeinschaft aufgehoben, können dadurch ihren Blick nach außen wenden und empfinden ein Gefühl von Sinnhaftigkeit und Hoffnung. Das erklärt, warum Menschen, die in Glaubensgemeinschaften aktiv sind, berichten, dass sie glücklicher sind und gut mit Krisen zurechtkommen.
Wenn es möglich ist, unser Glücklichsein auf der persönlichen Ebene zu steigern, ist es dann auch möglich, die Forschung, die sich mit diesem Thema beschäftigt, dazu zu nutzen, die nationalen Interessen wieder mehr auf das in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung zitierte „Bestreben nach Glückseligkeit“ zu konzentrieren? Viele Psycholog:innen glauben daran. Glückliche Gesellschaften sind nicht nur reich, sondern auch Orte, an denen sich Menschen gegenseitig vertrauen, sich frei fühlen und enge Beziehungen untereinander pflegen (Helliwell et al., 2013; Oishi & Schimmack, 2010a). Wenn also über Mindestlöhne, wirtschaftliche Ungleichheit, Steuern, das Ehescheidungsrecht, die medizinische Versorgung
13
536
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
oder Stadtplanung diskutiert wird, kann das subjektive Wohlbefinden der Bevölkerung in die Überlegungen einfließen. Viele politische Führungen sind sich darin einig: 43 Nationen haben begonnen, das Wohlbefinden ihrer Staatsangehörigen zu messen (Diener et al., 2015). Zum Beispiel fragt Großbritannien jedes Jahr in einer Bevölkerungsumfrage, wie zufrieden die Menschen mit ihrem Leben sind, wie lebenswert sie ihr Leben einschätzen, und wie glücklich und ängstlich sie sich gestern fühlten (ONS, 2015). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welcher der folgenden Faktoren ist KEIN Prädiktor für selbstberichtetes Glücklichsein? Welches sind bessere Prädiktoren? a. Alter b. Persönlichkeitseigenschaften c. Schlaf und Sport d. praktizierender religiöser Glaube
13.3.3
Rückblick: Emotion und Erfahrung
Verständnisfragen
13.10 – Welche Grundemotionen gibt es? 13.11 – Was sind die Auslöser und Folgen von Wut? 13.12 – Was ist das Phänomen „Fühl dich gut, und du tust
13
etwas Gutes“ und wo liegt der Schwerpunkt der Forschung in der Positiven Psychologie? 13.13 – Inwieweit sind Zeit, Reichtum, Anpassung und Vergleich Gradmesser unseres Glücks? 13.14 – Was determiniert das Glück, und wie können wir glücklicher werden?
----
Schlüsselbegriffe Anpassungsniveau Katharsis Phänomen „Fühl dich gut und du tust etwas Gutes“ Positive Psychologie Relative Deprivation Subjektives Wohlbefinden
Master the Material 1. Eine der konsistentesten Erkenntnisse der psychologischen Forschung ist, dass glückliche Menschen auch … a. eher dazu neigen, ihren Ärger zu äußern. b. im Allgemeinen mehr Glück haben als andere. c. eher in den reicheren Ländern leben. d. eher dazu neigen, anderen zu helfen. 2. Die ___-Psychologie ist ein wissenschaftliches Fachgebiet, das sich damit beschäftigt, wie Menschen die
Möglichkeit gegeben werden kann, sich zu entwickeln und zu entfalten. 3. Sie sind in eine neue Wohnung gezogen und empfinden den Straßenlärm als unangenehm laut, aber nach einiger Zeit stört er Sie nicht mehr. Diese Reaktion ist ein Beispiel für … a. das Prinzip der relativen Deprivation. b. das Phänomen des Anpassungsniveaus. c. das Phänomen „Fühl dich gut, und du tust etwas Gutes“. d. das Prinzip der Katharsis. 4. Ein Philosoph hat einmal behauptet, dass wir dem Neid nicht entkommen können, weil es immer jemanden geben wird, der erfolgreicher oder reicher ist, mit dem wir uns vergleichen. In der Psychologie kommt diese Beobachtung in dem Prinzip ___ zum Ausdruck. 13.4 Stress
und Krankheit
Stress schlägt oft ohne Vorwarnung zu. Stellen Sie sich vor, Sie wären der 21 Jahre alte Ben Carpenter, der die weltweit wildeste und schnellste Rollstuhlfahrt erlebte. Als er gerade eine Straße überquerte, wechselte die Ampel auf Rot, und ein Sattelschlepper fuhr in die Kreuzung ein. Beim Zusammenstoß verhakten sich die Handgriffe von Bens Rollstuhl im Kühlergrill des Lastwagens. Der Fahrer, der Ben nicht gesehen hatte und seine Hilfeschreie nicht hören konnte, fuhr auf den Highway und schob den Rollstuhl mit 80 Kilometern pro Stunde vor sich her, bis er nach drei Kilometern sein Ziel erreichte. „Es war sehr beängstigend“, meinte Ben. Wie oft erleben Sie Stress in Ihrem Alltag? Erleben Sie stressige Situationen, die Ihnen auferlegt scheinen (Aufgaben, Deadlines, tragische Ereignisse) anders als den Stress, den Sie sich selbst auferlegen (Erlebnisse, Herausforderungen, glückliche Veränderungen)? Wie wir sehen werden, hat unsere Einstellung zu den Ereignissen eine Auswirkung, wie wir dieser Ereignisse erleben und ob wir sie überhaupt als stressig empfinden. In diesem Abschnitt beschäftigen wir uns näher mit Stress – was er genau ist und wie er sich auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden auswirkt. Beginnen wir mit einigen grundlegenden Begriffen. 13.4.1
Stress: Grundlegende Prinzipien
?? 13.15 Wie beeinflusst unsere Bewertung eines Ereig-
nisses unsere Stressreaktion, und was sind die drei wichtigsten Arten von Stressoren?
537
13.4 • Stress und Krankheit
Bewertung
Reaktion
Bedrohung (»Oje, das ist jenseits meiner Möglichkeiten!«)
Gestresst durch Ablenkung
Herausforderung (»Ich muss alles einsetzen, was ich weiß.«)
Erregt, konzentriert
Stressreiches Ereignis (schwerer Mathematiktest)
..Abb. 13.30 Bewertung von Stress. Die Ereignisse in unserem Leben fließen durch einen psychologischen Filter. Wie wir ein Ereignis bewerten, hat einen Einfluss darauf, wie viel Stress wir erleben und wie wirkungsvoll wir reagieren
Stress ist ein Prozess, durch den wir Bedrohungen und Herausforderungen aus der Umwelt bewerten und bewältigen (. Abb. 13.30). Doch Stress ist ein schwammiger Begriff. Wir benutzen dieses Wort manchmal umgangssprachlich, um Bedrohungen und Herausforderungen („Ben stand sehr stark unter Stress.“), aber auch um unsere Reaktionen zu beschreiben („Ben hat akuten Stress empfunden.“). Für einen Psychologen war der schreckliche Lastwagen ein Stressor, Bens körperliche und emotionale Reaktionen waren eine Stressreaktion, und der Prozess, mit dem Ben auf seine Umwelt reagierte, war Stress. Zu Stress kommt es weniger durch die Ereignisse selbst, sondern eher durch die Art und Weise, wie wir sie bewerten (Lazarus, 1998). Der eine überhört knarrende Geräusche, wenn er allein zu Hause ist, und empfindet keinen Stress; ein anderer vermutet dahinter einen Einbruch und gerät in einen Alarmzustand. Eine Person sieht eine neue berufliche Position als eine willkommene Herausforderung; eine andere sieht darin eher die Möglichkeit des Scheiterns. Stress („stress“) – Prozess, durch den wir bestimmte Ereignisse (Stressoren) wahrnehmen und darauf reagieren. Stressoren können als Bedrohung oder als Herausforderung bewertet werden.
Wenn Stressoren nur kurz wirken oder als Herausforderung empfunden werden, können sie sich positiv auswirken. Ein momentaner Stress kann das Immunsystem in Gang setzen, um Infektionen abzuwehren und Wunden zu heilen (Segerstrom, 2007). Stress erregt uns auch und motiviert uns, Schwierigkeiten zu überwinden. In der weltweiten Gallup-Umfrage gaben diejenigen, die zwar gestresst, aber nicht deprimiert waren, an, dass sie voller Energie und zufrieden mit ihrem Leben seien – ganz im Gegensatz zu denen, die deprimiert, aber nicht gestresst waren und sich antriebslos fühlten (Ng et al., 2009). Hochleistungssportler:innen, erfolgreiche Entertainer:innen, motivierte Studierende, große Lehrende und Führungspersönlichkeiten blühen unter Stress geradezu auf und sind gerade dann besonders gut, wenn sie ge-
fordert werden (Blascovich & Mendes, 2010; Wang et al., 2015). Bei Spielen und sportlichen Wettkämpfen macht der Stress, dass man nicht weiß, wer gewinnen wird, den Reiz des Wettbewerbs aus (Abuhamdeh et al., 2015). Manche Menschen, die eine Krebserkrankung überwunden haben oder über den Verlust eines Arbeitsplatzes hinweggekommen sind, entwickeln daraus ein größeres Selbstwertgefühl, eine größere Spiritualität und Sinnhaftigkeit. In der Tat führt ein gewisser Stress in der Kindheit oder Jugend später zu emotionaler Widerstandskraft (Resilienz) (Seery, 2011). Widrigkeiten lassen uns wachsen. Doch starker oder langanhaltender Stress kann sich schädlich auswirken. Stress kann riskante Entscheidungen und ungesunde Verhaltensweisen auslösen (Cohen et al., 2016; Starcke & Brand, 2016). Menschen, die stressbelastet sind, fangen oft an zu rauchen oder zu trinken. Und Stress kann sich direkt auf die Gesundheit auswirken. Schwangere Frauen mit überaktivem Stresssystem habe oft kürzere Schwangerschaften, was ein Gesundheitsrisiko für ihre Säuglinge darstellt (Guardino et al., 2016). Es gibt also eine Wechselwirkung zwischen unserem Geist und unserer Gesundheit. Das ist nicht überraschend. Die verhaltensmedizinische Forschung ruft uns hier eines der zentralen Themen der modernen Psychologie in Erinnerung: Geist und Körper interagieren; alles Psychologische ist gleichzeitig physiologisch. Aber bevor wir diese Wechselwirkung unter die Lupe nehmen, wollen wir erst noch einen genaueren Blick auf Stressoren und Stressreaktionen werfen.
» „Zu viele Eltern machen ihren Kindern das Leben schwer, indem sie zu eifrig darauf bedacht sind, es ihnen leicht zu machen.“ Johann Wolfgang von Goethe (1749–1832)
Stressoren
Die Forschung hat sich auf drei Arten von Stressoren konzentriert: auf Katastrophen, auf bedeutsame Veränderungen im Leben und auf Ärger im Alltag („daily hassles“, einschließlich sozialem Stress). Alle drei können schädlich für uns sein.
13
538
13
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.31 Seismischer Stress. Unvorhersehbare Ereignisse großen Ausmaßes, wie zum Beispiel das katastrophale Erdbeben, das Haiti im Jahr 2010 verwüstete (hier die Nachwirkungen), lösen ein hohes Maß an stressbedingten Krankheiten aus. Als Los Angeles 1994 durch ein Erdbeben erschüttert wurde, erlebte die Stadt eine fünffache
Zunahme der Herzinfarkte, die sofort zum Tod führten. Die meisten davon traten in den ersten beiden Stunden nach dem Beben und in der Nähe des Epizentrums auf. Sie standen nicht in Zusammenhang mit körperlichen Strapazen. (Vgl. Muller & Verrier, 1996; © Andres Martinez Casares/dpa/picture alliance)
zz Katastrophen
normalisiert – erleben die Neuankömmlinge oft eine Art Kulturschock und ihr Wohlbefinden verschlechtert sich (Marovizky & Samid, 2008). Dieser akkulturative Stress nimmt mit der Zeit ab, insbesondere wenn Menschen sich in sinnvollen Tätigkeiten einbringen können und sozial vernetzt sind (Kim et al., 2012). In den kommenden Jahren könnten solche Umsiedlungen aufgrund des Klimawandels allerdings immer mehr zur Normalität werden.
Katastrophen sind unvorhersehbare Ereignisse mit schwerwiegenden Folgen: Erdbeben, Überschwemmungen, Waldbrände, Stürme. Fast jeder empfindet Katastrophen als bedrohlich. Nach solchen können schwere gesundheitliche Folgen auftreten (. Abb. 13.31). In den 4 Monaten nach dem Hurrikan Katrina stieg Berichten zufolge die Suizidrate in New Orleans um das Dreifache (Saulny, 2006). Und in den ersten 3 Wochen nach den Anschlägen am 11. September sagten 58 % der befragten Amerikaner:innen, sie seien überdurchschnittlich erregt und ängstlich (Silver et al., 2002). Besonders die New Yorker:innen gaben solche Symptome an und plötzlich wurden 28 % mehr Schlaftabletten verschrieben (HMHL, 2002; NSF, 2001). Personen, die sich im Fernsehen immer wieder Aufzeichnungen der Anschläge anschauten, hatten noch 2–3 Jahre danach schlechtere Gesundheitswerte (Silver et al., 2013). Ein ähnlicher Anstieg gesundheitlicher Beschwerden, von Herzproblemen bis hin zu Suiziden, war unmittelbar nach den Terroranschlägen 2011 in Norwegen zu verzeichnen (Strand et al., 2016). Für diejenigen, die wegen einer Katastrophe in ein anderes Land ziehen, kann der Stress zweigeteilt sein. Ihr Stress resultiert zum einen aus dem Trauma der Entwurzelung und der Trennung von der Familie, zum anderen aber auch aus den Herausforderungen, die eine Anpassung an die neue Sprache, die Menschen, das Klima und die gesellschaftlichen Normen der fremden Kultur erfordern (Pipher, 2002; Williams & Berry, 1991). Im ersten halben Jahr – bevor sich ihre Stimmung wieder
zz Bedeutsame Veränderungen im Leben
Veränderungen im Leben – das Verlassen des Elternhauses, der Tod eines geliebten Menschen, sich für das Studium verschulden, der Verlust des Arbeitsplatzes oder eine Scheidung – werden oft sehr intensiv wahrgenommen. Sogar fröhliche Ereignisse, wie der Studienabschluss oder die eigene Hochzeit, können stressige Veränderungen im Leben sein. Viele dieser Umbrüche finden oft im frühen Erwachsenenalter statt. In einer Umfrage wurden 15.000 kanadischen Erwachsene gefragt, ob sie versuchten, zu viele Dinge gleichzeitig zu erledigen. Die stärksten Stressreaktionen wurden gerade von den jungen Erwachsenen angegeben. Der Stress im frühen Erwachsenenleben zeigte sich auch, als 650.000 Amerikaner:innen gefragt wurden, ob sie „gestern“ sehr viel Stress erlebt hatten (Newport & Pelham, 2009). Psycholog:innen untersuchen die gesundheitlichen Folgen von Lebensveränderungen, indem sie Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg beobachten. Andere vergleichen die erfahrenen Veränderungen im Leben der Menschen, die ein spezifisches gesundheitliches Problem wie etwa einen Herzinfarkt hatten, mit
13.4 • Stress und Krankheit
den Lebenserfahrungen derer, die nichts dergleichen erlebt hatten. In solchen Studien waren Menschen, die vor kurzem Ehepartner:innen verloren hatten, entlassen oder geschieden worden waren, anfälliger für Krankheiten (Dohrenwend et al., 1982; Sbarra et al., 2015; Strully, 2009). Eine finnische Untersuchung von 96.000 Witwen und Witwern bestätigte dieses Phänomen: Ihr Mortalitätsrisiko verdoppelte sich in der Woche nach dem Tod ihres Partners bzw. ihrer Partnerin (Kaprio et al., 1987). Ein Zusammentreffen mehrerer Krisen – verliert man beispielsweise gleichzeitig den Job, sein Zuhause und seinen Partner – birgt eine entsprechend größere Gefahr für die Gesundheit.
» „Du musst wissen, wann du halten musst, du musst wis-
sen, wann du aussteigen musst, du musst wissen, wann du wegrennen musst.“ Kenny Rogers, The Gambler (1978)
zz Ärger im Alltag und sozialer Stress
Ereignisse müssen unser Leben nicht komplett durcheinanderbringen, um Stress zu verursachen. Stress kann auch schon durch Ärger im Alltag entstehen: Das Smartphone streikt, die Leute nebenan sind nervig, zu viel Arbeit (Lazarus, 1990; Pascoe & Richman, 2009; Ruffin, 1993). Vielleicht müssen wir eine öffentliche Rede halten oder eine schwierige Matheaufgabe lösen (Balodis et al., 2010; Dickerson & Kemeny, 2004; . Abb. 13.32; . Abb. 13.33). Manche Menschen schütteln solchen Alltagsärger einfach ab, andere können das nicht. Das gilt besonders für diejenigen, die aus der täglichen Misere aus prekären Wohnverhältnissen, unzuverlässiger Kinderbetreuung, permanenten Geldsorgen und schlechtem Gesundheitszustand nicht herauskommen. Mit der Zeit summieren sich solche Stressoren und verlangen unserer Gesundheit und unserem Wohlergehen ihren Preis ab (DeLongis et al., 1982, 1988; Piazza et al., 2013; Sin et al., 2015). Tägliche Belastungen können auch durch Vorurteile gegenüber unserer geschlechtlichen Identität, sexuellen Orientierung oder ethnischen Zugehörigkeit entstehen, was dann – wie andere Stressoren auch – sowohl psychische als auch physische Konsequenzen haben kann (Lick et al., 2013; Pascoe & Richman, 2009; Schettler et al., 2013). Der Gedanke daran, dass manche Menschen, denen man jeden Tag begegnet, einen nicht mögen, einem misstrauen oder die eigenen Fähigkeiten anzweifeln, macht das tägliche Leben anstrengend. Wenn dieser Stress länger anhält, fordert er seinen Tribut von der Gesundheit. Bei vielen Afroamerikaner:innen kann Stress beispielsweise den Blutdruck in die Höhe treiben oder zu Schlafmangel führen, wodurch Lernerfolge beeinträchtigt werden (Levy et al., 2016).
Das Stressreaktionssystem ?? 13.16 Wie reagieren wir auf Stress und wie können
wir uns an ihn anpassen?
539
Das medizinische Interesse an Stress lässt sich bis zu Hippokrates (460–377 v. Chr.) zurückverfolgen. Aber erst in den 1920er Jahren bestätigte Walter Cannon (1929), dass die Stressreaktion eine komplexe psychophysiologische Reaktion ist, die sich sowohl auf körperlicher als auch auf kognitiver Ebene manifestiert. Er beobachtete, dass extreme Kälte, Sauerstoffmangel und emotional aufwühlende Ereignisse die Ausschüttung der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin in den Nebennieren fördern. Wird der Sympathikus durch eine der Hirnbahnen in Alarmzustand versetzt, versetzt er uns in Erregung und bereitet den Körper auf jene wunderbar adaptive Reaktion vor, die Cannon Kampf-oder-Flucht-Reaktion nannte. Sie beschleunigt den Herzschlag und die Atmung, das Blut wird vom Verdauungstrakt in die Skelettmuskulatur umgeleitet, der Schmerz wird verringert und Zucker und Fett werden aus den Körperdepots freigesetzt. Indem wir kämpfen oder fliehen, erhöhen wir unsere Überlebenschancen. Seit Cannons Zeit haben Physiolog:innen noch ein weiteres Stressreaktionssystem entdeckt: Auf Befehl der Hirnrinde (über den Hypothalamus und die Hypophyse) schüttet der äußere Teil der Nebennieren Glukokortikoid-Stresshormone wie Kortisol aus („Hypophysen-Nebennierenrinden-Achse“). Die beiden Stresshormonsysteme arbeiten mit unterschiedlicher Geschwindigkeit, erklärt der Biologe Robert Sapolsky (2003): „Im Kampf-Flucht-Szenario gibt das Adrenalin die Waffen aus; die Glukokortikoide dagegen entwerfen die Baupläne für neue Flugzeugträger, die für die kriegerischen Anstrengungen benötigt werden.“ Die Waffen des Adrenalins feuerten mit hoher Geschwindigkeit während eines Experiments, das unbeabsichtigt auf einem Flug der British Airways von San Francisco nach London durchgeführt wurde. Drei Stunden nach Abflug wurde fälschlicherweise eine Durchsage vorgespielt, die den an Bord befindlichen Personen mitteilte, dass das Flugzeug gerade dabei wäre ins Meer zu stürzen. Obwohl die Flugbegleiter:innen den Fehler sofort bemerkten und daraufhin versuchten, die erschrockenen Reisenden zu beruhigen, benötigten einige von ihnen eine medizinische Versorgung (Associated Press, 1999). Der kanadische Wissenschaftler Hans Selye (1963, 1976), der sich 40 Jahre lang mit Stressforschung beschäftigte, ergänzte Cannons Ergebnisse. Seine Studien, in denen er die Reaktionen von Tieren auf verschiedene Stressoren wie Elektroschocks und Operationen untersuchte, trugen dazu bei, dass Stress ein bedeutendes Konzept in Psychologie und Medizin wurde. Selye entdeckte, dass die adaptive Reaktion des Körpers auf Stress so allgemein war – wie eine Alarmanlage, die unabhängig von der Art des Eindringlings reagiert –, dass er sie allgemeines Adaptationssyndrom nannte. Er teilte das allgemeine Adaptationssyndrom in drei Phasen ein (. Abb. 13.34). Allgemeines Adaptationssyndrom („general adaptation syndrome“, GAS) – Selyes Konzept einer adaptiven phy-
13
540
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.32 Untersuchung von Stress. Die meisten Menschen erleben Stress, wenn sie eine öffentliche Rede halten. Um Stress zu untersuchen, stellen Forschende diese Situation nach. Am Ende führen sie eine Nachbesprechung und beruhigen alle Teilnehmenden Die Versuchspersonen kauen Kaugummi, damit es einfacher wird, eine Speichelprobe zu nehmen.
Das Forschungsteam nimmt zu Beginn des Experiments eine Speichelprobe von allen Versuchspersonen, um den Spiegel des Stresshormons Cortisol zu messen.
Was ist 1223 minus 17?
Die Versuchsperson hält während eines simulierten Vorstellungsgesprächs eine Rede vor einem kritischen Gremium.
Anschließend wird die Versuchsperson aufgefordert, schwierige Rechenaufgaben laut zu lösen.
13
Cortisolspiegel
Hoch Mittel
Niedrig
Anfang des Nach sozialem Experiments Stress (Balodis et al., 2010; Dickerson & Kemeny, 2004.)
Die Messung des Cortisolspiegels im Speichel der Versuchspersonen vor und nach der Untersuchung zeigt, dass sie zwar mit einem gewissen Maß an Stress ins Labor kommen, dieser aber um 40% ansteigt, nachdem sie eine soziale Stresssituation erleben.
Das Forschungsteam bedankt sich bei der Versuchsperson und führt eine Nachbesprechung durch, in der der Zweck des Experiments und die Rolle der Versuchsperson erklärt werden.
13.4 • Stress und Krankheit
..Abb. 13.33 Verlieren Sie nicht den Glauben, dass Sie Stress besiegen können. Singen vor Publikum kann Stress verursachen. In einem Experiment sangen die Teilnehmenden öffentlich den Song der Band Journey „Don’t Stop Believing“ (Brooks, 2014). Die meisten Menschen empfanden Stress, aber diejenigen, die sich sagten: „Ich bin gut drauf“, fühlten weniger Stress und erhielten mehr Geld für ihren Auftritt. Angst in Erregung umzuwandeln, zahlte sich aus. (© Mix and Match Studio/stock.adobe.com)
siologischen Reaktion auf Stress in drei Phasen: Alarmreaktion, Widerstand, Erschöpfung.
-
Angenommen, Sie erleiden ein körperliches oder emotionales Trauma: In Phase 1 erleben Sie eine Alarmreaktion, ausgelöst durch eine plötzliche Aktivierung Ihres sympathischen Nervensystems. Ihr Herzschlag wird schneller. Blut strömt in Ihre Skelettmuskulatur. Sie fühlen sich durch den Schock wie betäubt. Sobald Ihre Ressourcen mobilisiert sind, sind Sie bereit zu kämpfen. In Phase 2, dem Widerstand, bleiben Ihre Körpertemperatur und Ihr Blutdruck hoch, und Sie atmen weiterhin schnell. Es kommt zu einer plötzlichen Hormonausschüttung. Sie sind vollkommen damit beschäftigt, all ihre Ressourcen abzurufen, um sich der Herausforderung zu stellen. Wenn mit fortschreitender Zeit der Stress nicht nachlässt, beginnen die Körperreserven zu schwinden. Sie haben Phase 3, die Erschöpfung, erreicht. Im Zustand der Erschöpfung sind Sie anfälliger für Krankheiten oder in Extremfällen gar für einen Kollaps oder Tod.
-
Selyes Grundaussage: Wenn der menschliche Körper auch imstande ist, eine Zeitlang mit Stress zurechtzukommen,
541
kann länger anhaltender Stress körperliche Probleme verursachen. Schwerer Stress in der Kindheit geht unter die Haut und führt zu größeren Stressreaktionen im Erwachsenenalter und einem höheren Krankheitsrisiko (Fagundes & Way, 2014; Hanson et al., 2015; McCrory et al., 2015). In einer Studie über 20 Jahre hatten stark gestresste walisische Kinder ein dreifach höheres Risiko, als Erwachsene eine Herzerkrankung zu entwickeln (Ashton et al., 2016). Die Herstellung neuer Neurone im Gehirn wird verlangsamt und zudem degenerieren manche neuronalen Schaltkreise (Dias-Ferreira et al., 2009; Mirescu & Gould, 2006). Ehemalige Kriegsgefangene, die kontinuierlich Stress und Leid erfuhren, starben früher als ihre Kamerad:innen, die nicht in Gefangenschaft geraten waren (Solomon et al., 2014). Eine Studie wies bei Testpersonen, die unter starken Stressoren in der Kindheit litten, kürzere Telomere (DNAEndstücke an den Chromosomen genannt) nach (Puterman et al., 2016) Die Verkürzung der Telomere ist ein normaler Bestandteil des Alterungsprozesses; wenn aber die Telomere zu kurz werden, teilen sich die Zellen nicht mehr und sterben schließlich ab. In einer Studie mit Frauen, die als Betreuungspersonen für Kinder mit schweren Erkrankungen unter anhaltendem Stress litten, hatten diejenigen, die dem stärksten Stress ausgesetzt waren, Zellen, die ein Jahrzehnt älter aussahen, als es ihrem chronologischen Alter entsprach (Epel et al., 2004). Schwerer Stress lässt Menschen anscheinend altern (. Abb. 13.35). Es gibt aber auch noch andere Arten, Stress zu begegnen. Eine davon ist eine verbreitete Reaktion auf den Tod eines geliebten Menschen: Man zieht sich zurück und schont seine Kräfte. Wenn man mit einem furchtbaren Unglück, wie dem Sinken eines Schiffes konfrontiert ist, werden manche Menschen wie gelähmt vor Angst. Eine andere Stressreaktion, die man vor allem unter Frauen beobachten kann, ist Trost zu suchen und Trost zu spenden, die sogenannte „Tend-and-befriend“-Reaktion (Lim & DeSteno, 2016; Taylor, 2006; Taylor et al., 2000). „Tend-and-befriend“-Reaktion („tend and befriend“) –
unter Stress bieten Menschen (vor allem Frauen) anderen ihre Unterstützung an („tend“) und schließen sich mit ihnen zusammen („befriend“), um selbst Halt zu finden. Wenn sie Stress erleben, tendieren Männer viel häufiger als Frauen dazu, sich sozial zurückzuziehen, sich dem Alkohol zuzuwenden oder gefühllos zu werden (Bodenmann et al., 2015). Frauen hingegen reagieren auf Stress häufig eher damit, sich mit anderen zusammenzuschließen und sich um sie zu kümmern. Das könnte zumindest teilweise an dem stressmildernden Hormon Oxytocin liegen, das in Zusammenhang mit der Paarbindung bei Säugetieren steht und beim Menschen z. B. durch Kuscheln, Massagen und Stillen freigesetzt wird (Campbel, 2010; Taylor, 2006).
13
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.34 a,b Selyes allgemeines Adaptationssyndrom. Aufgrund des anhaltenden Konflikts sind Syriens Weißhelme (freiwillige erste Hilfe) ständig im „Alarmzustand“. Nach jedem neuen Angriff eilen sie zur Unglücksstelle, um Opfer aus den Trümmern zu bergen. Wenn ihre Widerstandskraft nachlässt, kann das zu Erschöpfung führen. (b: © Anas Alkharboutli/dpa/ picture alliance)
Hoch
Der Widerstand des Körpers gegen Stress kann nur so lange andauern, bis es zur Erschöpfung kommt
Stressresistenz
542
Stressor tritt auf
Niedrig
a
Phase 1 Alarmreaktion (mobilisiert Ressourcen)
Phase 2 Widerstand (den Stressor bewältigen)
Phase 3 Erschöpfung (Reserven ausgeschöpft)
13 b
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Das Stressreaktionssystem: Wenn wir durch ein negatives und unkontrollierbares Ereignis in Alarmbereitschaft versetzt werden, erregt uns unser ___ Nervensystem. Herzschlag und Atmung ___ (steigen an/fallen ab). Das Blut wird vom Verdauungstrakt zu den Skelett-___ transportiert. Der Körper setzt Zucker und Fett frei. All das bereitet den Körper auf die ___ Reaktion vor.
» „Wir schlafen in Angst, wir wachen in Angst auf und
verlassen unsere Häuser in Angst.“ Facebook-Post eines 15-jährigen Mädchens zum Alltag ihrer Familie im vom Krieg zerrütteten Jemen (al-Asaadi, 2016)
13.4.2
Stress und Krankheitsanfälligkeit
?? 13.17 Wodurch macht uns Stress anfälliger für
Krankheiten?
Oftmals zahlt es sich aus, dass wir unsere Ressourcen dafür verwenden, vor einer äußerlichen Bedrohung zu fliehen oder diese zu bekämpfen. Das hat allerdings auch seinen Preis. Wenn der Stress nur vorübergehend auftritt, sind die Kosten dafür gering. Ist er allerdings von längerer Dauer, kann der Preis höher sein, beispielsweise in Form einer geringeren Widerstandskraft gegen Infektionen und anderer Gefahren, die unser geistiges und körperliches Wohlbefinden bedrohen. Um zu untersuchen, wie sich Stress – und gesunde und ungesunde Lebensweisen – auf Gesundheit und Krankheit auswirken, schufen Psycholog:innen und Ärzt:innen das interdisziplinäre Fach der Verhaltensmedizin, das Erkenntnisse aus der Verhaltensforschung
543
13.4 • Stress und Krankheit
nicht so gut abzuwehren können, weil das Nervensystem und das endokrine System das Immunsystem beeinflussen (Sternberg, 2009). Ihr Immunsystem ist ein komplexes Überwachungssystem, das – wenn es gut funktioniert – Ihren Körper gesund hält, indem es Bakterien, Viren und andere Fremdkörper isoliert und zerstört. Vier Zelltypen sind an dieser Mission der Suche und Zerstörung beteiligt (. Abb. 13.36): Lymphozyten („lymphocytes“) – zwei Arten von weißen
Blutkörperchen, die zum körpereigenen Immunsystem gehören. B-Lymphozyten werden im Knochenmark gebildet und setzen Antikörper frei, die bakterielle Infektionen bekämpfen. T-Lymphozyten werden in der Thymusdrüse gebildet und haben u. a. die Aufgabe, Krebszellen, Viren und körperfremde Substanzen anzugreifen.
..Abb. 13.35 „Vielleicht leiden Sie unter dem sogenannten Full-NestSyndrom.“ (© Matthew Diffee/Search ID: CC124491, Rights Available from CartoonStock.com)
und aus der Medizin integriert. Die Gesundheitspsychologie liefert den psychologischen Beitrag zur Verhaltensmedizin. Ein Teilbereich der Gesundheitspsychologie, die Psychoneuroimmunologie, legt den Schwerpunkt auf die Wechselwirkungen zwischen Körper und Geist (Kiecolt-Glaser, 2009). Dieser schwierige Name ergibt Sinn, wenn man ihn langsam ausspricht: Ihre Gedanken und Gefühle (psycho) beeinflussen Ihr Gehirn (neuro) und das wiederum beeinflusst die Hormone, die sich auf Ihr krankheitsbekämpfendes Immunsystem auswirken. Das neue Forschungsfeld ist die Wissenschaft (logie) zu diesen Interaktionen. Gesundheitspsychologie („health psychology“) – Teil-
bereich der Psychologie, der den Beitrag der Psychologie zur Verhaltensmedizin liefert. Psychoneuroimmunologie („psychoneuroimmunology“) – die Wissenschaft darüber, wie psychologische, neuronale und endokrine Prozesse zusammen das Immunsystem und die daraus resultierende Gesundheit beeinflussen. Psychophysiologische Krankheit („psychophysical illness“) – wörtlich, eine „Körper-und-Geist“-Krankheit;
körperliche Krankheit, die mit Stress in Zusammenhang steht, z. B. Bluthochdruck und bestimmte Formen von Kopfschmerzen. Wenn Sie schon einmal Stresskopfschmerzen hatten oder spürten, wie Ihr Blutdruck bei Ärger anstieg, müssen Sie nicht erst davon überzeugt werden, dass unsere psychische Verfassung physiologische Auswirkungen hat. Stress kann sogar dazu führen, dass Sie Krankheiten
-
B-Lymphozyten setzen Antikörper frei, die bakterielle Infektionen bekämpfen. T-Lymphozyten greifen Krebszellen, Viren und fremde Substanzen an. Die Makrophagen („Fresszellen“) identifizieren, verfolgen und fressen die schädlichen Eindringlinge und gealterten Zellen. Die natürlichen Killerzellen (NK-Zellen) verfolgen die von Krankheitserregern befallenen Zellen (solche die von Viren oder Krebs befallen sind).
Alter, Ernährung, genetische Veranlagung, Körpertemperatur und Stress beeinflussen gemeinsam die Aktivität des Immunsystems. Unser Immunsystem kann sich auf zwei Arten irren. 1. Reagiert es zu stark, greift es vielleicht sogar körpereigenes Gewebe an und führt dadurch zu einer allergischen Reaktion oder einer Autoimmunerkrankung, wie etwa Lupus erythematodes, multiple Sklerose oder einige Formen von Arthritis. Frauen haben ein stärkeres Immunsystem als Männer, dadurch sind sie weniger anfällig für Autoimmunerkrankungen (Nussinovitch & Schoenfeld, 2012; Schwartzman-Morris & Putterman, 2012). 2. Reagiert es zu schwach, kann es beispielsweise zulassen, dass eine bakterielle Infektion aufflammt, sich ein inaktives Virus ausbreitet oder sich Krebszellen vermehren. Aber genau diese Stärke macht sie wiederum anfälliger für Krankheiten, die das eigene Gewebe angreifen. Um transplantierte Organe zu schützen, die der empfangende Körper als fremde Eindringlinge behandelt, können die behandelnden Ärztinnen und Ärzte das Immunsystem der betroffenen Person gezielt unterdrücken. Stress kann auch eine Immunsuppression auslösen, indem er eine verringerte Freisetzung der krankheitsbekämpfenden Lymphozyten bewirkt. Dies konnte bei Tieren beobachtet werden, wenn diese in ihrer Bewegungs-
13
544
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.36 Ein vereinfachter Blick auf das Immunsystem. (a: © Romario Ien/stock.adobe.com; b: © CNRI/Science Photo Library; c: © NIBSC/Science Photo Library; d: © Science Photo Library; e: © EYE OF SCIENCE/ Science Photo Library)
Mögliche Antworten: Handelt es sich um eine bakterielle Infektion? Ist es eine Krebszelle, ein Virus oder eine andere »fremde Substanz«?
Eindringlinge!
Handelt es sich um einen anderen schädlichen Eindringling oder vielleicht um eine ausgediente Zelle, die entsorgt werden muss? Finden sich kranke Zellen (z.B. solche, die durch Viren oder Krebs infiziert wurden), die ausgeräumt werden müssen?
B-Lymphozyten werden losgeschickt – so wie diese hier im Bild vor einer Makrophage.
T-Lymphozyten wie diese werden losgeschickt.
Makrophagen werden losgeschickt – so wie die hier im Bild, die gerade dabei ist, ein TuberkuloseBakterium zu verschlingen. Antwort: Natürliche Killerzellen werden losgeschickt – so wie diese beiden, die eine Krebszelle angreifen.
13
freiheit beeinträchtigt waren, Elektroschocks verabreicht bekamen, denen sie nicht ausweichen konnten, oder mit Lärm, räumlicher Enge, kaltem Wasser oder sozialen Niederlagen konfrontiert oder von der Mutter getrennt waren (Maier et al., 1994). Bei einer Studie wurden die Immunreaktionen von 43 Affen 6 Monate lang beobachtet (Cohen et al., 1992). Die eine Hälfte von ihnen lebte weiterhin in festen Gruppen. Die anderen wurden dadurch gestresst, dass sie jeden Monat neue „Mitbewohner:innen“ bekamen – 3 oder 4 neue Affen. Am Ende des Experiments hatten die Affen mit einem ständig wechselnden sozialen Umfeld ein schwächeres Immunsystem. Das menschliche Immunsystem reagiert ähnlich. Drei Beispiele: Bei gestressten Menschen heilen Operationswunden langsamer. In einem Experiment wurden Studierenden der Zahnmedizin Stichwunden (präzise schmale Löcher, die in die Haut gestochen werden) zugefügt. Im Vergleich zu den Wunden, die in den Sommerferien gestochen wurden, heilten die Wunden, die 3 Tage vor einer wichtigen Prüfung gestochen wurden, um 40 % langsamer (Kiecolt-Glaser et al., 1998). Ein Ehestreit scheint die Wundheilung ebenfalls zu verlangsamen (Kiecolt-Glaser et al., 2005). Gestresste Menschen sind anfälliger für Erkältungen. Viel Stress im Leben erhöht das Risiko einer Atemwegsinfektion (Pedersen et al., 2010). Bei einem weiteren Versuch tropfte man Teilnehmenden ein Erkältungsvirus in die Nase und 47 % von denen, die ein stressreiches Leben führten, bekamen eine Erkältung
-
(. Abb. 13.37). Bei den Versuchspersonen, die ein relativ stressfreies Leben führten, passierte dies nur in 27 % der Fälle In Nachfolgeversuchen zeigte sich, dass die glücklichsten und entspanntesten Menschen deutlich weniger anfällig gegenüber einem experimentell verabreichten Erkältungsvirus waren (Cohen et al., 2003, 2006; Cohen & Pressman, 2006). Stress kann den Verlauf von Krankheiten beschleunigen. Aids („erworbenes Immundefektsyndrom“, „acquired immune deficiency syndrome“) ist, wie der Name sagt, eine Immunschwächekrankheit, verursacht durch das menschliche Immunschwächevirus (HIV, „human immunodeficiency virus“). Stress kann nicht dazu führen, dass Menschen Aids bekommen. Aber eine Auswertung von 33.252 Teilnehmer:innen aus aller Welt ergab, dass Stress und negative Emotionen die Entwicklung von einer HIV-Infektion zu Aids beschleunigen. Und Stress führte schneller zu einer Verschlechterung des Gesundheitszustands bei Aids-Infizierten (Chida & Vedhara, 2009). Je größer der Stress, dem HIV-Infizierte ausgesetzt waren, desto schneller schritt ihre Krankheit voran.
-
Die Auswirkungen von Stress auf das Immunsystem lassen sich physiologisch erklären. Es kostet Energie, Infektionen zu bekämpfen, Entzündungsreaktionen auszulösen und Fieber aufrechtzuerhalten. Unser Körper reduziert daher den Energieverbrauch in den Muskeln durch verringerte Aktivität (und mehr Schlaf). Stress bewirkt allerdings das Gegenteil, indem er einen konkur-
545
13.4 • Stress und Krankheit
%
Prozentsatz mit Erkältungen
50 45 40 35 30 25 0
3–4
5–6
7–8
9–10
11–12
..Abb. 13.38 „Und nun atmen wir alle zusammen tief ein …“ (© Claudia Styrsky)
Index für psychischen Stress ..Abb. 13.37 Stress und Erkältungen. Die Personen mit den höchsten Stresswerten im Leben waren auch die krankheitsanfälligsten, wenn sie einem experimentell verabreichten Virus ausgesetzt wurden (Cohen et al., 1991)
rierenden Energiebedarf erzeugt. Stress löst eine erregte Kampf-Flucht-Reaktion aus, entzieht dem Krankheitsbekämpfungssystem Energie zu Gunsten der Muskeln und des Gehirns und macht uns anfälliger für Krankheiten. Mit einem Wort: Stress macht uns nicht krank, aber er beeinträchtigt unser Immunsystem und macht uns anfälliger für Eindringlinge von außen (. Abb. 13.38). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Der Forschungsbereich ___ beschäftigt sich mit der Interaktion von Körper und Geist, also mit den Effekten, die psychologische, neuronale und endokrine Funktionen auf das Immunsystem und die allgemeine Gesundheit haben. – Welche generellen Effekte hat Stress auf unsere Gesundheit?
Stress und Krebs Stress führt nicht dazu, dass Krebszellen entstehen. In einem gesunden und funktionstüchtigen Immunsystem suchen Lymphozyten, Makrophagen und natürliche Killerzellen nach Krebszellen und krebsartig geschädigten Zellen. Wenn Stress also das Immunsystem einer Person schwächt, wäre es dann möglich, dass dadurch auch die Fähigkeit, Krebs zu bekämpfen, vermindert wird? Um einen möglichen Zusammenhang zwischen Stress und Krebs zu erforschen, wurden Nagetieren in Versuchen Tumorzellen implantiert oder karzinogene (Krebs erzeugende) Substanzen verabreicht. Dann wurden manche Tiere unkontrollierbarem Stress ausgesetzt, wie etwa Stromstößen, denen sie nicht entkommen konnten, wodurch
ihr Immunsystem geschwächt wurde (Sklar & Anisman, 1981). Die gestressten Nagetiere entwickelten im Vergleich zu den nicht gestressten Versuchstieren häufiger Krebs, die Tumore wuchsen früher heran und wurden größer. Trifft diese Verbindung zwischen Stress und Krebs auch auf Menschen zu? Die Ergebnisse sind im Wesentlichen gleich (Lutgendorf & Andersen, 2015). Einige Forschende berichten, dass Menschen ein Jahr nach einer Depression, nach einer ausweglosen Situation oder einem Trauerfall ein erhöhtes Krebsrisiko haben (Chida et al., 2008; Steptoe et al., 2010). Aus einer großen schwedischen Studie wurde deutlich, dass Menschen mit Stress am Arbeitsplatz ein 5,5-mal höheres Risiko hatten, an Dickdarmkrebs zu erkranken als Menschen ohne derartige Probleme, ein Unterschied, der sich nicht auf Altersunterschiede, Rauch- oder Trinkgewohnheiten oder körperliche Merkmale zurückführen ließ (Courtney et al., 1993). Es wurde jedoch nicht in allen Studien ein Zusammenhang zwischen Stress und Krebs beim Menschen (Coyne et al., 2010; Petticrew et al., 1999, 2002) gefunden. Bei Überlebenden von Konzentrationslagern und bei ehemaligen Kriegsgefangenen fand man beispielsweise keine erhöhten Krebshäufigkeiten. Wenn der Zusammenhang zwischen Gefühlszustand und Krebs überbewertet wird, besteht die Gefahr, dass sich einige Betroffene dazu verleiten lassen können, sich selbst für ihre Krankheit die Schuld zu geben: „Wäre ich doch nur fröhlicher, entspannter und zuversichtlicher gewesen!“ Eine weitere Gefahr ist die „Wellness-MachoEinstellung“ unter den Gesunden, die ihrem eigenen „gesunden Charakter“ das Verdienst an ihrer Gesundheit zuschreiben und den Kranken Schuldgefühle suggerieren: „Krebs hat sie? Das kommt davon, wenn man seine Gefühle zurückhält und immer nur nett ist.“ So wird der Tod zum ultimativen Versagen erklärt.
» „Ich
hab mir meinen Krebs nicht selbst gemacht.“ Bürgermeisterin Barbara Boggs-Sigmund (1939–1999), Princeton (New Jersey)
13
546
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
>>Wenn die organischen Ursachen einer Erkrankung
nicht erkennbar sind, ist die Versuchung groß, sich psychologische Erklärungen auszudenken. Ehe das Tuberkulosebakterium entdeckt wurde, wurde gern in der Persönlichkeit des Kranken nach einer Erklärung gesucht (Sontag, 1978).
Wichtig genug, um es nochmals zu wiederholen: Durch Stress entstehen keine Krebszellen. Schlimmstenfalls wird deren Wachstum möglicherweise durch eine Schwächung der natürlichen Abwehrkräfte des Körpers gegen einige wuchernde, bösartige Zellen beeinflusst (Lutgendorf et al., 2008; Nausheen et al., 2010; Sood et al., 2010). Auch wenn ein entspanntes, hoffnungsvolles Befinden diese Abwehrkräfte stärken kann, sollten wir uns des schmalen Grats bewusst sein, der Wissenschaft und Wunschdenken voneinander trennt. Im fortgeschrittenen Stadium einer Krebserkrankung läuft eine biologische Kettenreaktion ab, die durch Stressvermeidung nicht umgepolt werden kann, auch nicht indem man eine entspannte, aber entschlossene Haltung einnimmt (Anderson, 2002). Das erklärt auch, warum Forschende einstimmig darauf hinweisen, dass eine Psychotherapie das Leben von Patient:innen mit einer Krebserkrankung nicht verlängern kann (Coyne et al., 2007, 2009; Coyne & Tennen, 2010).
Stress und Herzkrankheiten ?? 13.18 Warum neigen manche Menschen mehr zu
13
koronaren Herzkrankheiten als andere?
Stellen Sie sich vor, Sie wachen auf wie jeden Tag, frühstücken und checken die Nachrichten. Eine der Schlagzeilen: Gestern sind wieder vier 747-Jumbo-Jets abgestürzt und 1.642 Menschen dabei gestorben. Sie beenden Ihr Frühstück, schnappen sich Ihre Tasche und machen sich auf den Weg zum Unterricht. Es ist ein ganz normaler Tag. Ersetzen Sie Flugzeugabstürze durch koronare Herzerkrankungen – der häufigsten Todesursache in den Vereinigten Staaten, ebenso wie in Deutschland –, und Sie sind wieder in der Realität angekommen. Etwa 610.000 Amerikaner:innen sterben jährlich an einer Herzerkrankung (CDC, 2016a). Erhöhter Blutdruck und eine familiäre Vorbelastung steigern das Risiko. Das gleiche gilt für Rauchen, Fettleibigkeit, ungesunde Ernährung, wenig Bewegung und einen hohen Cholesterinspiegel. Psychische Stressfaktoren und Persönlichkeitsfaktoren spielen ebenfalls eine wichtige Rolle. Je mehr psychische Traumata ein Mensch erlebt, desto mehr Entzündungen bilden sich im Körper, die mit Herz- und anderen Gesundheitsproblemen, einschließlich Depression, einhergehen (Haapakoski et al., 2015; O’Donovan et al., 2012). Die Messung des Cortisolspiegels (ein Stresshormon) von einem ausgezupften Haar kann bei der Analyse helfen, ob ein Kind anhaltenden Stress erlebt hat oder Aufschluss geben, ob ein erwachsener Mensch in
Zukunft einen Herzinfarkt erleiden wird (Karlén et al., 2015; Pereg et al., 2011; Vliegenthart et al., 2016). Koronare Herzerkrankungen („coronary heart disease“) –
zusammenfassende Bezeichnung für alle Erkrankungen, bei denen die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels durch verstopfte Gefäße beeinträchtigt ist; eine der Haupttodesursachen in vielen Industrienationen. zz Auswirkungen von Persönlichkeit, pessimistischer Grundhaltung und Depression
In einer klassischen Studie wollten Meyer Friedman, Ray Rosenman und ihre Kolleg:innen überprüfen, ob Stress die Anfälligkeit für Herzkrankheiten erhöht, und maßen daher den Cholesterinspiegel und die Blutgerinnungszeit von 40 amerikanischen Steuerberater:innen an verschiedenen Zeitpunkten im Jahr (Friedman & Ulmer, 1984). Von Januar bis März waren beide Werte völlig normal. Als die Steuerberater:innen unter großem Stress darum bemüht waren, die Steuererklärungen ihrer Klientel bis zur Abgabefrist am 15. April fertigzustellen, stiegen ihre Cholesterin- und Blutgerinnungswerte gefährlich an. Im Mai und Juni, als die Abgabefrist vorüber war, gingen die Werte auf ihren normalen Stand zurück. Bei diesen Menschen führte Stress zu einem erhöhten Herzinfarktrisiko. Haben also einige von uns ein hohes Risiko für stressbedingte koronare Herzkrankheiten? Um dieser Frage nachzugehen, starteten die Forschenden eine Längsschnittstudie mit über 3.000 gesunden Männern zwischen 35 und 59. Die Forschenden befragten jeden Teilnehmer 15 Minuten lang zu seiner Arbeit und seinen Essgewohnheiten. Während des Interviews hielten sie fest, wie der Mann sprach und was ihnen sonst an seinem Verhalten auffiel. Diejenigen, die reaktionsbereiter, ehrgeiziger, härter, ungeduldiger und gehetzter waren, dazu noch übermotiviert, verbal aggressiv und leicht reizbar zu sein schienen, nannten sie Typ A. Die in etwa gleiche Anzahl Teilnehmer, die gelassener reagierten, nannten sie Typ B (. Abb. 13.39). Typ A („type A“) – Friedmans und Rosenmans Bezeich-
nung für ehrgeizige, gehetzte, ungeduldige, aggressive und reizbare Menschen. Typ B („type B“) – Friedmans und Rosenmans Bezeichnung für gelassene und entspannte Menschen. Neun Jahre später, hatten 257 Männer Herzinfarkte bekommen; 69 % von ihnen waren Typ A. Mehr noch: Kein einziger der „reinen“ B-Typen – die heitersten und gelassensten ihrer Gruppe – hatte einen Herzinfarkt erlitten. Wie so häufig in der Wissenschaft rief auch diese aufregende Entdeckung ein enormes öffentliches Interesse hervor. Aber nach der ersten Begeisterungswelle begannen sich andere Forscher:innen zu fragen, ob dieses Ergebnis denn auch wirklich verlässlich war. Wenn ja, was ist dann die schädliche Komponente des Typ-A-Profils?
547
Prozentsatz mit koronarer Herzkrankheit
13.4 • Stress und Krankheit
20 15 10 5 0 Pessimisten
Neutral
Optimisten
..Abb. 13.40 Pessimismus und Herzkrankheiten. Ein Team der Harvard School of Public Health fand heraus, dass für pessimistische erwachsene Männer das Risiko, innerhalb eines Zeitraums von 10 Jahren an einer Herzkrankheit zu erkranken, doppelt so hoch ist. (Aus Kubzansky et al., 2001)
später um das Herz herum ablagern. Feindseligkeit steht auch mit anderen Risikofaktoren – wie Rauchen, Trinken und Übergewicht – im Zusammenhang (Bunde & Suls, 2006). Herz und Kopf spielen zusammen.
» „Am Feuer, das Sie bei Ihrem Feind legen, verbrennen Sie sich oft stärker als er.“ Chinesisches Sprichwort
Hetze, Konkurrenzverhalten und Ehrgeiz oder Wut bzw. Feindseligkeit?
Hunderte andere Studien an Männern und Frauen jungen und mittleren Alters haben bestätigt, dass diejenigen, die mit Wut auf Kleinigkeiten reagieren, am anfälligsten für Erkrankungen der Herzkranzgefäße sind. In westlichen Kulturen steigert das Unterdrücken negativer Emotionen das Risiko nur noch (Kitayama et al., 2015; Kupper & Denollet, 2007). Spielberger und London (1982) drücken es so aus: „Wut scheint auf uns zurückzuschlagen und den Herzmuskel zu treffen.“
>>Sowohl in Indien als auch in den USA sind Busfah-
» „Ein fröhlich Herz macht das Leben lustig; aber ein be-
..Abb. 13.39 (© Claudia Styrsky)
rer:innen vom Typ A üble Autofahrende: Sie bremsen, überholen und betätigen die Hupe häufiger als ihre gelasseneren Kolleg:innen vom Typ B (Evans et al., 1987).
Mehr als 700 Studien haben untersucht, welche möglichen psychologischen Korrelate oder Prädiktoren es für kardiovaskuläre Gesundheit gibt (Chida & Hamer, 2008; Chida & Steptoe, 2009). Diese haben gezeigt, dass das, was den A-Typ wirklich toxisch werden lässt, negative Emotionen sind – insbesondere Wut in Verbindung mit einem aggressiven, leicht erregbaren Temperament. Wenn wir unter Belastung stehen, lenkt unser aktives sympathisches Nervensystem den Blutfluss zu den Muskeln und weg von inneren Organen, wenn wir geärgert oder herausgefordert werden. Die Leber, die normalerweise Cholesterin und Fett aus dem Blut zu entfernt, kann ihre Aufgabe nicht mehr erfüllen. So kann das Übermaß an Cholesterin und Fett weiter im Blut zirkulieren und sich
trübter Mut vertrocknet das Gebein.“ Sprüche 17, Vers 22
Pessimismus scheint ähnlich schädlich zu sein (Pänkäläinen et al., 2016). Eine Längsschnittstudie untersuchte 1.306 zunächst gesunde Männer, die 10 Jahre zuvor in die Kategorien „Optimist“, „Pessimist“, „weder–noch“ eingeteilt worden waren (Kubzansky et al., 2001). Auch wenn Risikofaktoren wie Rauchen ausgeschlossen wurden, war die Wahrscheinlichkeit, eine Herzkrankheit zu bekommen, bei den Pessimisten mehr als doppelt so hoch wie bei den Optimisten (. Abb. 13.40). Fröhliche und durchweg zufriedene Menschen tendieren dazu, gesünder zu sein und länger zu leben als ihre unglücklichen Mitmenschen (Boehm et al., 2015b; Diener & Chan, 2011; Gana et al., 2016). Forschende fanden heraus, dass sogar ein breites, fröhliches Lächeln zu einem längeren Leben führt. Zu diesem Ergebnis kamen sie, nachdem sie die Fotos von 150 Baseball-Spielern aus der
13
548
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
Major League untersuchten, die 1952 im Baseball Register erschienen und im Jahr 2009 verstorben waren (Abel & Kruger, 2010). Im Durchschnitt waren diejenigen, die nicht lächelten, mit 73 Jahren gestorben. Diejenigen, die ein breites und authentisches Lächeln zeigten, waren durchschnittlich mit 80 Jahren gestorben. Menschen mit einem breiten Lächeln im Gesicht haben meist ein großes soziales Netzwerk, das eine höhere Lebenserwartung verspricht (Hertenstein, 2009). Auch wer einen glücklichen Partner oder eine glückliche Partnerin hat, lebt gesünder. Glückliches Du, gesundes Ich (Chopik & O’Brien, 2017). Viele Studien zeigen, dass auch eine Depression tödlich sein kann (Wulsin et al., 1999). In einer Studie sollten fast 4.000 englische Erwachsene (von 52 bis 79 Jahren) einen Stimmungsbericht von einem Tag abgeben. Verglichen mit der Gruppe, die gut gelaunt war, war die Wahrscheinlichkeit bei denjenigen, die schlecht gelaunt waren, doppelt so hoch, dass sie 5 Jahre später tot waren (Steptoe & Wardle, 2011). In einer US-amerikanischen Studie mit 164.102 Erwachsenen gaben diejenigen, die einen Herzinfarkt erlitten hatten, doppelt so häufig an, auch depressiv gewesen zu sein (Witters & Wood, 2015). In den Jahren nach einem Herzinfarkt sind depressive Menschen 4-mal anfälliger für weitere Herzprobleme als Menschen ohne Depression (Frasure-Smith et al., 2005). Eine Depression ist entmutigend. zz Stress und Entzündungen
13
Menschen mit depressiven Störungen rauchen mehr und bewegen sich weniger (Whooley et al., 2008). Stress an sich ist allerdings auch entmutigend: Erheblicher Stress bei der Arbeit, der unfreiwillige Verlust des Arbeitsplatzes und Stresssymptome, die auf ein Trauma zurückzuführen sind, erhöhen das Risiko für Herzerkrankungen (Allesøe et al., 2010; Gallo et al., 2006; Kubzansky et al., 2009; Slopen et al., 2010; . Abb. 13.41). Sowohl Herzkrankheiten als auch depressive Störungen können daraus resultieren, dass Stress Gefäßentzündungen auslöst (Miller & Blackwell, 2006; Mommersteeg et al., 2016). Wie wir bereits gesehen haben, stört Stress das krankheitsbekämpfende Immunsystem, um unseren Körper darauf vorzubereiten, seine Energien für die Flucht oder den Kampf zu bündeln. Menschen, die soziale Bedrohungen erleben – wie etwa Kinder, die in schlechten Familienverhältnissen aufwachsen –, sind anfälliger für Entzündungsreaktionen des Immunsystems (Dickerson et al., 2009; Miller & Chen, 2010). Das lässt sich auch bei Affen beobachten, die den Belastungen eines niedrigen sozialen Rangs ausgesetzt sind (SnyderMackler et al., 2016). Entzündungen bekämpfen Infektionen. Anhaltende Entzündungen können allerdings zu Problemen wie Asthma oder verstopften Arterien führen sowie depressive Störungen verschlechtern. Stress kann in vielerlei Hinsicht unsere Gesundheit beeinträchtigen (. Abb. 13.42) Die Auswirkungen von
..Abb. 13.41 Ein gebrochenes Herz? Einen Tag nach dem Tod ihrer geliebten Tochter Carrie Fisher starb auch Debbie Reynolds. Die Leute fragten sich, ob Depression und Stresshormone, die durch die Trauer ausgelöst wurden, zu Reynolds’ Schlaganfall geführt haben könnten (Carey, 2016; © Kathy Hutchins/Newscom/picture alliance)
Stress auf unsere Widerstandsfähigkeit gegen Krankheiten ist der Preis, den wir für den Nutzen von Stress zahlen. Stress steigert unsere Lebensqualität, indem er uns anspornt und motiviert. Ein Leben ohne Stress wäre wohl kaum sehr produktiv und würde nicht viel Spaß machen. Die Forschung zu Stress und Gesundheit erinnert uns daran, dass psychische Zustände sich in physiologischen Ereignissen niederschlagen, die andere Teilbereiche unseres physiologischen Systems beeinflussen. Schon allein daran zu denken, in ein Stück von einer Orange zu beißen – wie der süße, köstliche Saft aus der fleischigen Frucht auf Ihre Zunge trifft –, kann bereits Speichelfluss auslösen. Dieser Zusammenhang wurde im indischen Epos Mahabharata bereits vor mehr als 4.000 Jahren erkannt: „Seelische Störungen haben körperliche Ursachen, und ebenso haben körperliche Störungen seelische Ursachen.“ Es gibt ein Zusammenspiel zwischen unserem Kopf und unserer Gesundheit. Wir sind biopsychosoziale Systeme. ?? 13.19 Kann Stress also krank machen? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welcher Bestandteil der Persönlichkeit des A-Typs konnte am stärksten in Zusammenhang mit koronaren Herzkrankheiten gebracht werden?
549
13.4 • Stress und Krankheit
Ungesunde Verhaltensweisen (Rauchen, Alkoholkonsum, schlechte Ernährung, Schlafmangel), die zu Krankheiten beitragen
Wut, Pessimismus oder 1/ 2 leer Depression
Freisetzung von Stresshormonen
Anhaltende Stressfaktoren M
un ahn
Auswirkungen auf das autonome Nervensystem (Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Entzündungen) Schwächung der Immunabwehr
g
Herzerkrankung
Stress macht uns zwar nicht unmittelbar krank, aber er macht uns anfälliger für Erkrankungen, da er unser Verhalten und unsere Physiologie beeinflusst. ..Abb. 13.42 Kritisch nachdenken über: Stress und Gesundheit
13.4.3
Rückblick: Stress und Krankheit
Verständnisfragen
13.15 – Wie beeinflusst unsere Bewertung eines Ereig-
nisses unsere Stressreaktion und was sind die drei wichtigsten Arten von Stressoren? 13.16 – Wie reagieren wir auf Stress und wie können wir uns an ihn anpassen? 13.17 – Wodurch macht uns Stress anfälliger für Krankheiten? 13.18 – Warum neigen manche Menschen mehr zu koronaren Herzkrankheiten als andere? 13.19 – Kann Stress also krank machen?
-----
Schlüsselbegriffe Allgemeines Adaptationssyndrom Gesundheitspsychologie Koronare Herzerkrankungen Psychoneuroimmunologie Stress „Tend-and-befriend“-Reaktion Typ A Typ B
Master the Material 1. Das allgemeine Anpassungssyndrom nach Selye besteht aus einer Alarmreaktion gefolgt von ___ und schließlich von ___. 2. Wenn Frauen Stress erleben, zeigen sie eher eine ___‑and ___-Reaktion als Männer. 3. Die Anzahl von Kurzzeiterkrankungen und stressbedingten psychischen Störungen war in den Mona-
ten nach einem Erdbeben höher als üblich. Solche Ergebnisse legen nahe, dass … a. tägliche Belastungen negative Auswirkungen auf die Gesundheit haben. b. das Erleben eines sehr belastenden Ereignisses die Anfälligkeit für Krankheiten erhöht. c. das Ausmaß von Stress, das eine Person empfindet, in direktem Zusammenhang mit der Anzahl der erlebten Stressoren steht. d. tägliche Belastungen keinen Stress verursachen, Katastrophen aber lebensgefährlich sein können. 4. Welcher der folgenden Faktoren gehört NICHT zu den drei wichtigsten Arten von Stressoren? a. Katastrophen b. bedeutsame Veränderungen im Leben c. tägliche Belastungen d. Pessimismus 5. Stress kann das Immunsystem unterdrücken, indem er eine geringere Freisetzung von ___, den Zellen des Immunsystems, die normalerweise Bakterien, Viren, Krebszellen und andere körperfremde Substanzen angreifen, auslöst. 6. Die Forschung hat gezeigt, dass Menschen, die eine Depression, Hilflosigkeit oder einen Trauerfall erlitten haben, etwa ein Jahr darauf ein erhöhtes Krebsrisiko haben. Bei der Untersuchung dieses Zusammenhangs weisen Forschende darauf hin, dass … a. Stress, der sich aufgestaut hat, Krebs verursacht. b. von den negativen Emotionen Wut diejenige ist, die am engsten mit Krebs in Verbindung gebracht werden kann.
13
550
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
c. Stress keine Krebszellen erzeugt, aber die natürlichen Abwehrkräfte des Körpers gegen diese Zellen schwächt. d. eine optimistische Einstellung zu den Überlebenschancen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass ein Krebspatient wieder gesund wird. 7. Ein chinesisches Sprichwort warnt: „Am Feuer, das Sie bei Ihrem Feind legen, verbrennen Sie sich oft stärker als er.“ Inwiefern trifft dies auf Menschen vom Typ A zu? 13.5 Gesundheitsförderung
Gesundheitsförderung beginnt mit dem Einsatz von Strategien zur Krankheitsvorbeugung und zur Steigerung des Wohlbefindens. Seit jeher haben die Menschen nur dann über ihre Gesundheit nachgedacht, wenn etwas nicht stimmte, und sie suchten einen Arzt bzw. eine Ärztin auf. Dies ist, so die Gesundheitspsychologie, als würde man die Wartung eines Autos ignorieren und erst dann in die Werkstatt gehen, wenn das Auto kaputt ist. Gesundheitsförderung umfasst heute Möglichkeiten, mit Stress umzugehen, Krankheiten vorzubeugen und das Wohlbefinden zu steigern. 13.5.1
13
Bewältigung von Stress
bauen, indem wir uns Bezugspersonen anvertrauen, um Unterstützung und Trost zu suchen. Manchmal schaden wir mit unserer emotionsfokussierten Strategie unserer Gesundheit, z. B. wenn wir auf Stressoren reagieren, indem wir trostspendende, aber dickmachende Lebensmittel essen. Wenn wir in einer schwierigen Situation sind, neigen einige unter uns dazu, besonnen und problemfokussiert zu reagieren, andere handeln emotionsfokussiert (Connor-Smith & Flachsbart, 2007). Unser Gefühl der persönlichen Kontrolle, unser Erklärungsstil und unsere unterstützenden Verbindungen, all das beeinflusst unsere Fähigkeit, etwas mit Erfolg zu bewältigen. Coping (Bewältigung; „coping“) – Verringerung von Stress auf emotionalem oder kognitivem Wege bzw. durch Verhalten. Problemfokussierte Bewältigung („problem-focused coping“) – Versuch, den Stress direkt zu verringern, indem
wir den Stressor selbst oder die Art und Weise ändern, wie wir damit umgehen. Emotionsfokussierte Bewältigung („emotion-focused coping“) – Versuch, den Stress indirekt zu verringern,
indem man einen Stressor meidet oder ihn ignoriert und seine Aufmerksamkeit auf emotionale Bedürfnisse richtet, die mit der eigenen Stressreaktion zusammenhängen.
Wahrgenommene Kontrolle ?? 13.21 Wie beeinflusst ein wahrgenommener Mangel
?? 13.20 Auf welche zwei Arten versuchen Menschen
Stress abzubauen? Und wie beeinflusst ein wahrgenommener Mangel an Kontrolle die Gesundheit?
Stressoren lassen sich nicht vermeiden. Aus dieser Tatsache, in Verbindung mit der wachsenden Erkenntnis, dass Stress mit Herzkrankheiten, Depression und einem geschwächten Immunsystem zusammenhängt, können wir eine eindeutige Botschaft ableiten: Wir müssen lernen, den Stress in unserem Leben zu bewältigen, indem wir Wege finden, ihn emotional, kognitiv und im Verhalten zu verringern. Diese Stressbewältigung wird auch als „Coping“ bezeichnet. Wir gehen einige Stressoren unmittelbar an durch problemfokussierte Bewältigung. Wenn unsere Ungeduld in der Familie zu Auseinandersetzungen führt, können wir direkt zu diesem Familienmitglied gehen und die Dinge ins Reine bringen. Wir neigen dazu, problemfokussierte Strategien einzusetzen, wenn wir meinen, eine Situation im Griff zu haben, und glauben, die Umstände ändern zu können oder zumindest uns selbst ändern zu können, damit wir kompetenter mit den Umständen umgehen. Wir wenden uns emotionsfokussierten Strategien zu, wenn wir eine Situation nicht ändern können oder meinen, wir könnten sie nicht ändern. Wenn wir trotz all unserer Bemühungen mit diesem Familienmitglied nicht zurechtkommen, könnten wir z. B. Stress ab-
an Kontrolle die Gesundheit?
Stellen Sie sich folgende Situation vor: Zwei Ratten bekommen gleichzeitig Stromstöße, eine kann jedoch ein Rad drehen, um die Stromstöße zu beenden. Die hilflose Ratte wird anfälliger für Magengeschwüre und entwickelt eine verringerte Immunität gegenüber Krankheiten (Laudenslager & Reite, 1984). Auch beim Menschen lösen unkontrollierbare Bedrohungen die stärksten Stressreaktionen aus (Dickerson & Kemeny, 2004). Persönliche Kontrolle („personal control“) – Das Gefühl,
unsere Umgebung kontrollieren zu können, statt sich hilflos zu fühlen. Erlernte Hilflosigkeit („learned helplessness“) – Die Hoffnungslosigkeit und passive Resignation, die ein Tier oder Individuum lernt, wenn es nicht in der Lage ist, wiederholte aversive Ereignisse zu vermeiden. Jeder von uns wird sich hilflos, hoffnungslos und deprimiert fühlen, nachdem er eine Reihe schlimmer Ereignisse erlebt hat, die sich unserer persönlichen Kontrolle entziehen. Martin Seligman und seine Kolleg:innen haben gezeigt, dass durch eine Reihe unkontrollierbarer Ereignisse bei einigen Tieren und bei Menschen ein Zustand erlernter Hilflosigkeit mit Gefühlen passiver Re-
551
13.5 • Gesundheitsförderung
Unkontrollierbare aversive Ereignisse
Wahrgenommen: Keine Kontrolle
Generalisiertes hilfloses Verhalten ..Abb. 13.43 Erlernte Hilflosigkeit. Wenn Tiere und Menschen die Erfahrung machen, keine Kontrolle über wiederkehrende schlechte Ereignisse zu haben, lernen sie oft Hilflosigkeit
signation erzeugt wird (. Abb. 13.43). In Experimenten wurden Hunde ein Geschirr angeschnallt, und sie erhielten wiederholt Stromstöße, ohne dass sie die Möglichkeit hatten, diese zu vermeiden (Seligman & Maier, 1967). Als sie später in eine andere Umgebung gebracht wurden, in der sie der Bestrafung entgehen konnten, indem sie einfach über eine Hürde sprangen, zeigten die Hunde erlernte Hilflosigkeit; sie duckten sich, als hätten sie die Hoffnung verloren. Andere Hunde, die den ersten Stromstößen ausweichen konnten, reagierten anders. Sie hatten gelernt, dass sie die Kontrolle hatten und konnten den Schocks in der neuen Situation leicht ausweichen (Seligman & Maier, 1967). Ähnliche Muster erlernter Hilflosigkeit haben auch Menschen gezeigt (Abramson et al., 1978, 1989; Seligman, 1975). Wenn wir einen Mangel an Kontrolle erleben, werden wir anfällig gegenüber Krankheiten. Eine berühmte Studie mit Bewohner:innen von Altenheimen, die wenig wahrgenommene Kontrolle über ihre Aktivitäten hatten, ergab, dass es gewöhnlich schneller mit ihnen bergab geht und sie früher sterben als diejenigen, denen man mehr Kontrolle über ihre Aktivitäten gibt (Rodin, 1986). Beschäftigte, denen man die Möglichkeit gibt, ihre Büromöbel anders anzuordnen und Unterbrechungen und Ablenkungen von der Arbeit zu steuern, empfinden ebenfalls weniger Stress (O’Neill, 1993). Solche Erkenntnisse können auch als Erklärung dafür dienen, dass in Großbritannien Führungskräfte länger leben als Arbeiter:innen oder Angestellte und dass finnische Arbeiter:innen mit wenig Stress im Beruf eine um 50 % geringere Wahrscheinlichkeit hatten, an einer Herz-Kreislauf-Krankheit (Schlaganfall oder Herzkrankheit) zu sterben, wenn man sie mit denen vergleicht, die einen fordernden Beruf und wenig Kontrolle haben. Je mehr Kontrolle Berufstätige haben, desto länger leben sie (Bosma et al., 1997, 1998; Kivimaki et al., 2002; Marmot et al., 1997). Kontrolle kann auch als Erklärung dafür dienen, dass ökonomischer Status und Langlebigkeit nachgewiesenermaßen zusammenhängen (Jokela et al., 2009). Nach einer Studie an 843 Grabinschriften auf einem alten schotti-
schen Friedhof in Glasgow lebten diejenigen mit den teuersten, höchsten Grabsteinen (ein Hinweis auf den größten Reichtum) am längsten (Carroll et al., 1994). Entsprechend haben amerikanische Präsidenten, die im Allgemeinen wohlhabend und gebildet sind, eine überdurchschnittliche Lebenserwartung (Olshansky, 2011). Kulturübergreifend kann man aufgrund eines hohen sozioökonomischen Status ein geringeres Risiko für Erkrankungen des Herzens und der Atmungsorgane vorhersagen (Sapolsky, 2005). Wohlhabende Eltern haben gewöhnlich wohlhabende, gesunde Kinder (Savelieva et al., 2016). Ein höherer ökonomischer Status geht mit einem geringeren Risiko für Säuglingssterblichkeit, für ein geringes Gewicht bei der Geburt, für Rauchen und Gewalttätigkeit einher. Selbst bei anderen Primaten wurden die Tiere am unteren Ende der sozialen Hackordnung, wenn sie mit einem Erkältungsvirus in Kontakt kommen, mit größerer Wahrscheinlichkeit krank als ihre Artgenossen mit einem höheren Status (Cohen et al., 1997). Warum kann man aufgrund eines wahrgenommenen Mangels an Kontrolle Gesundheitsprobleme vorhersagen? Weil der Kontrollverlust zum Ausstoß von Stresshormonen führt. Wenn Ratten Stromstöße nicht kontrollieren können und wenn sich Menschen oder andere Primaten nicht in der Lage fühlen, ihre Umgebung zu kontrollieren, steigt der Spiegel an Stresshormonen, nimmt der Blutdruck zu und die Immunreaktionen nehmen ab (Rodin, 1986; Sapolsky, 2005). Tiere in Gefangenschaft empfinden mehr Stress und sind anfälliger für Krankheiten als ihre wild lebenden Artgenossen (Roberts, 1988). Studien am Menschen bestätigen, dass Stress zunimmt, wenn uns die Kontrolle fehlt. Je höher die Arbeitsbelastung der Pflegekräfte, desto höher ihr Cortisolspiegel und ihr Blutdruck – aber nur bei Pflegekräften, die berichteten, wenig Kontrolle über ihr berufliches Umfeld zu haben (Fox et al., 1993). Die Menschenansammlungen, wie sie oft in dicht bebauten Wohngebieten, Gefängnissen und Studierendenwohnheimen auftreten, sind ein weiterer Grund für das verringerte Gefühl der Kontrolle – sowie für einen erhöhten Spiegel an Stresshormonen und für einen höheren Blutdruck (Fleming et al., 1987; Ostfeld et al., 1987). Mehr Selbstbestimmung – indem man Gefängnisinsass:innen erlaubt, Stühle zu verschieben und die Zimmerbeleuchtung sowie den Fernseher ein- und auszuschalten; indem man die Beschäftigten an Entscheidungsprozessen beteiligt; indem man Angestellten erlaubt, ihren Arbeitsplatz individuell zu gestalten – hat die Gesundheit und Arbeitsmoral spürbar verbessert (Humphrey et al., 2007; Ng et al., 2012; Ruback et al., 1986). Bei Bewohner:innen in Pflegeheimen, die man zu mehr Kontrolle ermutigte, wurden 93 % von ihnen wacher, aktiver und glücklicher (Rodin, 1986). Die Forscherin Ellen Langer schlussfolgerte: „Wahrgenommene Kontrolle ist grundlegend für das menschliche Wohlbefinden“ (1983, S. 291). „Jung und Alt gleichermaßen“,
13
552
13
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
schlug sie vor, sollten in einem Umfeld leben, das ihnen ein besseres Gefühl der Kontrolle über ihre Lebensumstände gibt. Kein Wunder, dass mobile Geräte und Online-Streaming, die uns mehr Kontrolle darüber geben, wann und wie wir uns unterhalten lassen, so beliebt sind. Als 2013 die chinesische Stadt Ya’an von einem schweren Erdbeben heimgesucht wurde, übernahmen die Opfer die Kontrolle über die Situation, indem sie ihre mobilen Geräte nutzten. Diejenigen, die häufig Textnachrichten schickten und stimmungsaufhellende Apps verwendeten, litten am wenigsten unter Stress (Jia et al., 2016). Google hat diese Prinzipien konsequent umgesetzt. Die Beschäftigten von Google können jede Woche 20 % ihrer Arbeitszeit mit Projekten verbringen, die sie persönlich interessant finden. Das sogenannte Innovation-Time-OffProgramm hat die persönliche Kontrolle der Mitarbeitenden über ihr Arbeitsumfeld erhöht, und es hat sich ausgezahlt: So wurde das E-Mail-Angebot Gmail entwickelt. Menschen können sich entfalten, wenn sie in persönlicher Freiheit und Selbstbestimmung leben. Auf nationaler Ebene berichten Einwohner:innen in stabilen Demokratien über ein höheres Maß an Glück (Inglehart et al., 2008). Freiheit und persönliche Kontrolle fördern das menschliche Wohlbefinden. Aber führt eine immer größere Wahlfreiheit zu einem immer glücklicheren Leben? Einige Forschende meinen, dass die heutigen westlichen Kulturen ein „Übermaß an Freiheit“ bieten – zu viele Wahlmöglichkeiten. Das Ergebnis kann eine sinkende Lebenszufriedenheit, erhöhte Depression oder sogar eine Verhaltenslähmung sein (Schwartz, 2000, 2004). In einer Studie waren Menschen, die aus 30 Marmeladen- oder Schokoladenmarken eine Auswahl treffen konnten, weniger zufrieden mit ihrer Entscheidung als andere, die nur aus 6 Produkten gewählt hatten (Iyengar & Lepper, 2000). Diese Tyrannei der Wahl führt zu Informationsüberflutung und erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass wir einiges bereuen, was wir hinter uns gelassen haben. (Vergeuden auch Sie manchmal Ihre Zeit damit, sich angesichts zu vieler Wahlmöglichkeiten den Kopf zu zerbrechen?) zz Internale versus externale Kontrollüberzeugung
Wenn es belastend und ungesund sein kann, einen Kontrollverlust zu erleben, sind dann Menschen, die im Allgemeinen das Gefühl haben, ihr Leben unter Kontrolle zu haben, gesünder? Überlegen Sie einmal, welche Vorstellung Sie selbst von Kontrolle haben. Glauben Sie, dass Ihr Leben außerhalb Ihrer Kontrolle liegt? Dass ein guter Job hauptsächlich davon abhängt, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein? Oder glauben Sie eher, dass Sie Ihr Schicksal selbst in der Hand haben? Dass Erfolg eine Frage von harter Arbeit ist? Hunderte von Studien haben Menschen verglichen, die sich in ihrer Wahrnehmung von Kontrolle unterscheiden. Auf der einen Seite stehen die Menschen, die das haben, was der Psychologe Julian Rotter als externale Kontrollüberzeugung bezeichnete, die Wahrnehmung, dass der
Zufall oder äußere Kräfte ihr Schicksal kontrollieren. In einer Studie mit mehr als 1.200 Israelis, die einem Raketenangriff ausgesetzt waren, zeigten die Personen mit einer externalen Kontrollüberzeugung die meisten Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung (Hoffman et al., 2016). Auf der anderen Seite stehen die Menschen mit einer internalen Kontrollüberzeugung, die glauben, ihr eigenes Schicksal zu kontrollieren. Zahlreiche Studien haben gezeigt, dass die „Internalen“ mehr in Schule und Beruf erreichten, unabhängiger handelten, sich einer besseren Gesundheit erfreuten und sich weniger deprimiert fühlten als die „Externalen“ (Lefcourt, 1982; Ng et al., 2006; . Abb. 13.44). In einer Längsschnittuntersuchung an mehr als 7.500 Personen zeigten die Individuen, die im Alter von 10 Jahren eine eher internale Kontrollüberzeugung aufwiesen, mit 30 Jahren weniger Fettleibigkeit, niedrigeren Blutdruck und weniger Niedergeschlagenheit (Gale et al., 2008). Verglichen mit Nicht-Führungskräften haben ranghohe Militärs und Führungskräfte aus der Wirtschaft dank ihres größeren Gefühls der Kontrolle im Vergleich zu Nicht-Führungskräften überdurchschnittlich niedrige Werte an Stresshormonen und berichten über weniger Angstzustände (Sherman et al., 2012). externale Kontrollüberzeugung („external locus of control“) – die Wahrnehmung, dass der Zufall oder äußere
Kräfte jenseits unserer persönlichen Kontrolle unser Schicksal bestimmen. internale Kontrollüberzeugung („internal locus of control“) – die Wahrnehmung, dass wir unser eigenes Schick-
sal kontrollieren können. Im Vergleich zur Generation ihrer Eltern haben heute mehr junge Amerikaner:innen eine externale Kontrollüberzeugung (Twenge et al., 2004). Diese Verschiebung könnte den damit verbundenen Anstieg der Depressionsraten und anderer psychischer Störungen bei jungen Menschen erklären (Twenge et al., 2010b). Der Glaube, die Kontrolle über unser eigenes Leben zu haben, lässt sich auch so formulieren, dass wir einen freien Willen haben. Studien zeigen, dass Menschen, die glauben, dass sie einen freien Willen haben, besser lernen, bessere Leistungen bei der Arbeit erbringen und sich hilfsbereiter verhalten (Job et al., 2010; Stillman et al., 2010). Sie treffen tendenziell auch gerne Entscheidungen, befürworten es, wenn Gesetzesbrüche bestraft werden und sind gegen staatliche Regelungen, die das Verhalten einschränken (Clark et al., 2014; Feldman et al., 2014; Hannikainen et al., 2016). Diese Menschen zeigen auch oft eine andere Art von Kontrolle, die sogenannte Willenskraft oder Selbstkontrolle, ein wichtiges verwandtes Thema, dem wir uns als nächstes zuwenden. Selbstkontrolle („self-control“) – Die Fähigkeit, Impulse
zu kontrollieren und eine kurzfristige Befriedigung für größere langfristige Belohnungen aufzuschieben.
13.5 • Gesundheitsförderung
553
..Abb. 13.44 Glücklich darüber, Kontrolle zu haben. Gemeinsam mit Freiwilligen von „Habitat for Humanity“ haben diese baldigen Eigentümerinnen beim Bau ihres neuen Hauses geholfen. (© Rick Scuteri/AP Photo/picture alliance)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Um Stress bewältigen zu können, bedienen wir uns ___ (emotions-/problem-) fokussierten Strategien, wenn wir das Gefühl haben, unser Leben unter Kontrolle zu haben. ___ (Emotions‑/Problem-) fokussierte Strategien nutzen wir hingegen dann, wenn wir glauben, eine Situation nicht verändern zu können.
zz Selbstkontrolle aufbauen ?? 13.22 Warum ist Selbstkontrolle wichtig, und kann
unsere Selbstkontrolle erschöpfen?
Wenn wir ein Gefühl der persönlichen Kontrolle über unser Leben haben, entwickeln wir mit höherer Wahrscheinlichkeit auch Selbstkontrolle – die Fähigkeit, Impulse zu kontrollieren und kurzfristige Befriedigungen für langfristige Belohnungen aufzuschieben. Selbstkontrolle verspricht eher eine gute Gesundheit, ein höheres Einkommen und bessere Schulleistungen (Bub et al., 2016; Keller et al., 2016; Moffitt et al., 2011). In Studien mit amerikanischen, asiatischen und neuseeländischen Kindern war die Selbstkontrolle für den späteren schulischen und beruflichen Erfolg entscheidender als die Intelligenztestwerte (Duckworth & Seligman, 2005; Poulton et al., 2015; Wu et al., 2016). Die Selbstkontrolle zu stärken ist ein wichtiger Schlüssel zur effektiven Bewältigung von Stress. Das verlangt Aufmerksamkeit und Energie – ähnlich wie die Stärkung eines Muskels. Schlechte Gewohnheiten kann man sich leicht aneignen, aber es erfordert harte Arbeit, sie zu durchbrechen. Indem Menschen fortgesetzt daran
arbeiteten, ein unerwünschtes Verlangen zu überwinden, haben sie ihre Selbstkontrolle gestärkt und konnten dadurch Aggression, Unehrlichkeit, Rauchen und impulsives Kaufverhalten besser bewältigen (Beames et al., 2017; Wang et al., 2017). Forschende sind sich uneinig darüber, welche Faktoren die Selbstkontrolle erschöpfen. Selbstkontrolle variiert mit der Zeit. Wie ein Muskel neigt sie dazu, nach Gebrauch zu ermüden, sich nach einer Pause zu erholen und durch Training stärker zu werden (Baumeister & Vohs, 2016; . Abb. 13.45). Wird durch das Ausüben von Willenskraft vorübergehend die mentale Energie, die wir für die Selbstkontrolle bei anderen Aufgaben benötigen, beeinträchtigt (siehe Grillon et al., 2015; Luethi et al., 2016; Vohs et al., 2012, versus Hagger et al., 2016)? In einem berühmten Experiment gaben hungrige Menschen, die einen Teil ihrer Willenskraft dafür aufbringen mussten, der Versuchung zu widerstehen, Schokoladenkekse zu essen, eine langweilige Aufgabe früher auf als andere (Baumeister et al., 1998a). Während bei Forschenden die Verlässlichkeit dieses „Erschöpfungseffekts“ umstritten ist, lässt sich eine wichtige Lektion aus der Forschung zur Selbstkontrolle ziehen: Entwickeln Sie Selbstdisziplin und Ihre Selbstkontrolle kann Ihnen helfen, ein gesünderes, glücklicheres und erfolgreicheres Leben zu führen (Tuk et al., 2015). Wenn Sie das nächste Mal zwischen Lernen und Feiern hin und her gerissen sind, denken Sie daran: Wenn Sie jetzt ein bisschen Spaß aufschieben, können Sie später eine größere Belohnung erhalten.
Optimistischer versus pessimistischer Erklärungsstil ?? 13.23 Wie wirkt sich eine optimistische Grundein-
stellung auf Gesundheit und Langlebigkeit aus?
13
554
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.45 Äußerste Selbstkontrolle. Unsere Fähigkeit zur Selbstbeherrschung wächst durch die praktische Anwendung, und einige von uns haben mehr geübt als andere! Eine Reihe von darstellenden Künstler:innen verdienen ihren Lebensunterhalt, indem sie sehr beeindruckend menschliche Statuen verkörpern, wie dieser nahe der Frauenkirche in München. (© Catherina Hess/SZ Photo/picture alliance)
13
In ihrem Werk Glücklich sein (The How of Happiness, 2008) erzählt die Psychologin Sonja Lyubomirsky die wahre Geschichte von Randy. Randy hatte in jeder Hinsicht ein schweres Leben. Sein Vater und sein bester Freund starben beide durch Suizid. Als er heranwuchs, wurde er vom Freund seiner Mutter schlecht behandelt. Randys erste Frau betrog ihn, und sie ließen sich scheiden. Trotz dieser Schicksalsschläge ist Randy ein glücklicher Mensch, der allein durch seine Anwesenheit jeden Raum erhellt. Er hat wieder geheiratet und genießt es, Stiefvater von drei Jungen zu sein. Er hat eine attraktive Arbeit. Randy sagt, er habe seine Herausforderungen im Leben überstanden, weil er immer den „Silberstreif am Horizont“ gesehen habe. Randys Geschichte zeigt, wie unsere grundlegende Sicht der Dinge ist – was wir vom Leben erwarten – Auswirkungen darauf hat, wie wir Stress bewältigen. Pessimistische Menschen erwarten, dass die Dinge schiefgehen (Aspinwall & Tedeschi, 2010; Carver et al., 2010; Rasmussen et al., 2009). Wenn etwas Schlimmes passiert, haben sie es die ganze Zeit schon gewusst. Sie führen ihre schlechte Leistung auf einen grundsätzlichen Mangel an Fähigkeiten („Ich kann das nicht.“) zurück oder auf Umstände, die sie nicht beeinflussen können („Da ist nichts zu machen.“). Optimistische Menschen wie Randy nehmen mehr Kontrolle wahr, können stressreiche Ereignisse besser bewältigen und erfreuen sich besserer Gesundheit. Während der letzten Monate eines Semesters berichten Studierende, die zuvor als optimistisch eingestuft wurden, weniger über
Müdigkeit, Husten, Schmerzen und Wehwehchen. Und während der stressreichen ersten paar Wochen in einem juristischen Aufbaustudium („Law School“) haben diejenigen, die optimistisch sind („Es ist unwahrscheinlich, dass ich durchfalle.“), eine bessere Stimmung und ein stärkeres Immunsystem zur Abwehr von Infektionen (Segerstrom et al., 1998). Optimist:innen reagieren auch mit einem geringeren Anstieg des Blutdrucks auf Stress, und sie erholen sich schneller von einer Bypass-Operation am Herzen. Optimistische Studierende bekommen auch eher bessere Noten, weil sie oft Rückschläge mit der zuversichtlichen Einstellung überwinden, dass man mit Leistung, den richtigen Lernmethoden und Selbstdisziplin etwas bewegen kann (Noel et al., 1987; Peterson & Barrett, 1987). Wenn Paare mit Konflikten zu kämpfen haben, gehen Optimist:innen und ihre Gegenüber konstruktiv miteinander um. Sie gehen dann eher gestärkt aus dem Konflikt hervor und sind mit der Lösung und ihrer Beziehung zufrieden (Srivastava et al., 2006). Optimismus hat vielerorts einen Bezug zu Wohlbefinden und Erfolg, unter anderem in China und Japan (Qin & Piao, 2011). Realistische positive Erwartungen verstärken Motivation und Erfolg (Oettingen & Mayer, 2002). Betrachten wir an dieser Stelle, wie beständig und erstaunlich stark sich der Faktor der optimistischen und positiven Emotionen in vielen anderen Studien zeigt: Als ein Forschungsteam 70.021 Krankenschwestern über einen längeren Zeitraum wissenschaftlich begleitete, entdeckte man, dass bei denjenigen, deren Optimismuswerte im oberen Quartil lagen, die Wahrscheinlichkeit zu sterben fast 30 % geringer war als bei denen, die zum unteren Quartil gehörten (Kim et al., 2017). Noch größere Unterschiede zwischen Optimismus und Lebenserwartung wurden in Studien mit finnischen Männern und amerikanischen Vietnam-Veteranen gefunden (Everson et al., 1996; Phillips et al., 2009). Eine bekannte Studie hat das Leben von 180 katholischen Nonnen nachverfolgt, die mit 22 Jahren eine kurze Autobiografie geschrieben hatten. Obwohl sie danach in einer ähnlichen Lebensweise lebten und mit einem ähnlichen Status, lebten diejenigen, die Glück, Liebe und andere positive Gefühle zum Ausdruck gebracht hatten, im Schnitt 7 Jahre länger als ihre mürrischen Mitschwestern (Danner et al., 2001). Im Alter von 80 Jahren waren etwa 54 % der Nonnen, die wenige positive Gefühle geäußert hatten, gestorben; dies war aber nur bei 24 % derjenigen der Fall, die am positivsten eingestellt waren. Optimistische Menschen leben nicht nur lang, sie bewahren sich auch eine positive Einstellung, wenn sich ihr Lebensende nähert. Eine Studie begleitete mehr als 68.000 amerikanische Frauen im Alter von 50 bis 79 Jahren über fast zwei Jahrzehnte (Zaslavsky et al., 2015). Als der Tod näher rückte, empfanden die optimistischen Frauen in der Regel mehr Lebenszufriedenheit als die pessimistischen Frauen.
-
13.5 • Gesundheitsförderung
..Abb. 13.46 Positive Erwartungen führen letztlich oft zum Erfolg. (© Sam Gross/Search ID: CC32426, Rights Available from CartoonStock.com)
Optimismus liegt in der Familie, manche Menschen kommen einfach mit einem sonnigen, hoffnungsvollen Gemüt auf die Welt. Wenn ein eineiiger Zwilling optimistisch ist, ist es der andere oft auch (Bates, 2015; Mosing et al., 2009). Ein genetischer Marker für Optimismus ist ein Gen, welches das bindungsfördernde Hormon Oxytocin erhöht (Saphire-Bernstein et al., 2011). Die gute Nachricht: Wir alle, selbst die Pessimist:innen, können lernen, optimistischer zu werden. Im Vergleich zu einer Kontrollgruppe von Pessimist:innen, die lediglich Tagebuch über ihre täglichen Erlebnisse führten, zeigten die Pessimist:innen in einer Skill-Gruppe, in der trainiert wurde, wie man schwierige Situationen zuversichtlich angeht und seine Ziele für erreichbar hält, geringere Depressionswerte (Sergeant & Mongrain, 2014). Optimismus ist wie ein Licht, das die Stimmung eines jeden Menschen aufhellen kann (. Abb. 13.46).
» „Der Optimist erklärt, dass wir in der besten aller mögli-
chen Welten leben, und der Pessimist fürchtet, dass dies wahr ist.“ James Branch Cabell, Der Silberne Hengst (1926)
Soziale Unterstützung ?? 13.24 Wie begünstigt soziale Unterstützung die
Gesundheit?
Soziale Unterstützung – das Gefühl, von guten Freund:innen und der Familie gemocht, bestätigt und ermutigt zu werden – macht nicht nur glücklich, sondern erhält auch gesund. In groß angelegten Untersuchungen,
555
in denen einige tausende Menschen über mehrere Jahre begleitet wurden, konnte gezeigt werden, dass sowohl in individualistischen als auch in kollektivistischen Kulturen enge Beziehungen einen Einfluss auf Glück und Gesundheit haben (Brannan et al., 2013; Gable et al., 2012; Rueger et al., 2016). Es ist weniger wahrscheinlich, dass Menschen sterben, wenn sie von engen Beziehungen getragen werden (Shor et al., 2013). Nachdem Forschende der Brigham Young University Daten aus 70 Studien mit mehr als 3,4 Mio. Versuchspersonen weltweit analysiert hatten, bestätigte sich der durchschlagende Effekt sozialer Unterstützung (Holt-Lunstad et al., 2015; . Abb. 13.47). Während der siebenjährigen Studiendauer hatten diejenigen, die sozial isoliert waren oder sich einsam fühlten, Sterberaten, die 30 % höher lagen als bei denen mit weitreichenden sozialen Verknüpfungen. Das Sterberisiko durch soziale Isolation ist so hoch wie beim Rauchen (Holt-Lunstad et al., 2010). Um soziale Isolation zu bekämpfen, müssen wir mehr tun, als einen großen Bekanntenkreis aufzubauen. Wir brauchen Menschen, die sich wirklich um uns kümmern (Cacioppo et al., 2014; Hawkley et al., 2008). Manche befriedigen dieses Bedürfnis dadurch, dass sie in Kontakt mit Freund:innen, der Familie, Kolleg:innen, Mitgliedern einer Glaubensgemeinschaft oder anderen unterstützenden Gruppen stehen. Andere finden Unterstützung in einer Ehe, die sie positiv und glücklich stimmt. In einer über 70 Jahre angelegten Studie fand man heraus, dass bei 50-Jährigen eine gute Ehe ein besserer Prädiktor für gesundes Altern war als ein niedriger Cholesterinspiegel (Vaillant, 2002). Auf der anderen Seite kann man davon ausgehen, dass eine Scheidung die Gesundheit beeinträchtigt. Eine Auswertung von 32 Studien mit mehr als 6,5 Mio. Menschen ergab für Geschiedene ein um 23 % höheres Risiko, früh zu sterben (Sbarra et al., 2011). Doch die Gesundheit wird weniger durch den Familienstand als durch die Qualität der Ehe bestimmt – etwa in gleichem Maße wie eine gesunde Ernährung und körperliche Aktivität (Robles, 2015; Robles et al., 2014). Wie lässt sich dieser Zusammenhang zwischen sozialer Unterstützung und Gesundheit erklären? Neigen alleinlebende Erwachsene mittleren und höheren Alters eher zu regelmäßigem Rauchen, Fettleibigkeit und einem hohen Cholesterinspiegel – und damit zu einem doppelt so hohen Risiko für Herzinfarkte (Nielsen et al., 2006)? Oder sind gesunde Menschen einfach kontaktfreudiger? Möglich. Aber die Forschung legt nahe, dass es das soziale Netz ist, das den Mehrwert für die Gesundheit ausmacht. Soziale Unterstützung beruhigt uns und bewirkt, dass Blutdruck und Stresshormonspiegel sinken (Baron et al., 2016; Hostinar et al., 2014; Uchino et al., 1996, 1999). Um herauszufinden, ob soziale Unterstützung die menschliche Reaktion auf Bedrohungen mildern kann, verabreichte eine Forschungsgruppe glücklich verheirateten Frauen Elektroschocks am Fußknöchel, während sie in einem
13
556
13
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.47 Lachen unter Freund:innen ist die beste Medizin. Lachen belebt uns, massiert die Muskeln und lässt uns entspannt zurück (Robinson, 1983). Humor (jedoch kein feindseliger Sarkasmus) kann Stress abbauen, Schmerzen lindern und die Immunaktivität stärken
(Ayan, 2009; Berk et al., 2001; Dunbar et al., 2011; Kimata, 2001). Menschen, die viel lachen, haben tendenziell auch eine niedrigere Wahrscheinlichkeit für Herzerkrankungen (Clark et al., 2001; © Rouzbeh Fouladi/ZUMAPRESS.com/picture alliance)
fMRT-Scanner lagen (Coan et al., 2006). Für die Dauer des Experiments hielt ein Teil der Frauen die Hand ihres Ehemanns. Der andere Teil hielt die Hand einer unbekannten Person oder gar keine Hand. Während sie auf den gelegentlich auftretenden Elektroschock warteten, zeigten die Frauen, die die Hand ihres Ehemanns hielten, weniger Aktivität in den Gehirnarealen, die auf Bedrohungen ansprechen (. Abb. 13.48). Dieser beruhigende Effekt war für diejenigen am größten, die berichteten, in einer ausgesprochen guten Ehe zu leben. Teilnehmende aus einer Ehe, die ihnen Rückhalt gibt, hatten auch noch 10 Jahre später einen Stresshormonspiegel, der unterhalb des Durchschnitts lag (Slatcher et al., 2015). Selbst eine emotionale Unterstützung durch ein Haustier als treuen Gefährten hilft, Stress abzubauen (Siegel, 1990; . Abb. 13.49). Soziale Unterstützung sorgt dafür, dass unser Immunsystem besser funktioniert. Dieser Effekt zeigte sich bei Freiwilligen, die an Studien zur Widerstandskraft gegen virale Erkältungen teilnahmen (Cohen, 2004; Cohen et al., 1997). Dabei wurden gesunden Freiwilligen Nasentropfen mit einem Erkältungsvirus verabreicht, anschlie-
ßend wurden sie unter Quarantäne gestellt und für 5 Tage beobachtet. (Bei diesen Experimenten erhielten mehr als 600 Probanden jeweils 800 Dollar, um diese Erfahrung auf sich zu nehmen.) Unter vergleichbaren Bedingungen (in Bezug auf die Faktoren Alter, Hautfarbe, Geschlecht, Rauchverhalten und andere Gesundheitsgewohnheiten) waren die Untersuchungsteilnehmenden mit engen sozialen Beziehungen am wenigsten erkältungsanfällig. Menschen, die sich im Alltag regelmäßig umarmten, hatten ebenfalls weniger Erkältungssymptome und eine geringere Symptomschwere (Cohen et al., 2015). Tatsache ist – und das zeigte sich deutlich –, dass uns soziale Beziehungen nicht gleichgültig sein sollten. Enge Beziehungen ermöglichen uns eine „Therapie am offenen Herzen“, die Chance, einer Person schmerzliche Gefühle anzuvertrauen (Frattaroli, 2006). Über ein belastendes Erlebnis zu sprechen, kann Menschen vorübergehend erregen, wirkt sich aber langfristig beruhigend aus (Lieberman et al., 2007; Mendolia & Kleck, 1993; Niles et al., 2015). Pennebaker et al. (1989) luden 33 Holocaust-Überlebende dazu ein, zwei Stunden lang über ihre Erfahrungen zu berichten. Viele erzählten Einzel-
..Abb. 13.48 (© Baby Blues Partnership/Distr. Andrew McMeel Syndicate/Distr. Bulls)
557
13.5 • Gesundheitsförderung
..Abb. 13.49 Auch Haustiere sind Freund:innen. Haustiere können eine soziale Unterstützung sein. Ein Tier zu haben, kann die Überlebenschancen nach einem Herzinfarkt verbessern, Depression von Aids Betroffenen lindern und den Spiegel der Blutfette, die zum Risiko für Herz-Kreislauf-Krankheiten beitragen, senken (Allen, 2003; McConnell et al., 2011; Wells, 2009). Um den Blutdruck zu senken, sind Haustiere kein Ersatz für wirksame Medikamente und Sport, aber sie sind besonders für diejenigen, die allein leben und Freude an Tieren haben, ein gesundes Vergnügen. (Außerdem sind sie eine unverzichtbare Unterstützung im Homeoffice, Anm. d. Verl.)
heiten, die sie noch nie zuvor ausgesprochen hatten. In den darauffolgenden Wochen sahen sich die meisten Teilnehmenden Videoaufnahmen von diesen Erinnerungssitzungen an und zeigten sie der Familie und Freund:innen. Bei denen, die sich am meisten geöffnet hatten, hatte sich der Gesundheitszustand 14 Monate später am deutlichsten verbessert. Eine andere Studie beschäftigte sich mit den überlebenden Partner:innen von Menschen, die Suizid begangen hatten oder bei Autounfällen ums Leben gekommen waren. Diejenigen, die ihren Schmerz allein ertrugen, hatten größere gesundheitliche Probleme als jene, die diesen offen aussprechen konnten (Pennebaker & O’Heeron, 1984). Sich öffnen ist gut für den Körper und die Seele.
» „Weh dem, der allein ist! Wenn er fällt, so ist keiner da, der ihm aufhelfe.“ Prediger 4, Vers 10
Die Unterdrückung von Emotionen ist manchmal schädlich für unsere physische Gesundheit. Als der Gesundheitspsychologe James Pennebaker (1985) über 700 Studienanfängerinnen befragte, stellte er fest, dass manche über eine traumatische sexuelle Erfahrung in der Kindheit berichteten. Im Vergleich zu den Frauen, die andere Traumata erlitten hatten, etwa den Tod eines Elternteils oder eine Scheidung, berichteten die sexuell missbrauchten Frauen – besonders jene, die ihr Geheimnis für sich behalten hatten – von häufigeren Kopfschmerzen und Magenbeschwerden. Bei einer weiteren Studie an 437 australischen Rettungskräften bestätigte sich, welche krankmachenden Auswirkungen die Unterdrückung der eigenen Emotionen hat, nachdem man ein Trauma erlebt hat (Wastell, 2002).
..Abb. 13.50 (© Claudia Styrsky)
Es kann auch hilfreich sein, persönliche Traumata einem Tagebuch anzuvertrauen (Burton & King, 2008; Kállay, 2015; Lyubomirsky et al., 2006). In einer Analyse von 633 Traumatisierten erwies sich die Schreibtherapie zur Verarbeitung psychischer Traumata als genauso wirksam wie Psychotherapie (van Emmerik et al., 2013). In einem anderen Experiment hatten die Versuchsteilnehmenden, die Traumatagebücher schrieben, in den folgenden 4–6 Monaten weniger gesundheitliche Probleme (Pennebaker, 1990). Ein Teilnehmer erklärte: „Obwohl ich noch mit niemandem über das gesprochen habe, was ich niederschrieb, schaffte ich es schließlich, mich durch den Schmerz zu arbeiten, statt zu versuchen, ihn auszublenden. Jetzt tut es nicht mehr weh, daran zu denken.“ Wenn wir uns zum Ziel setzen, mehr Sport zu machen, weniger Alkohol zu trinken, mit dem Rauchen aufzuhören oder ein gesundes Gewicht zu erreichen, kann uns unser soziales Netz entweder weiter zu unserem Ziel hin oder davon weg zerren. Wenn Sie versuchen, ein Ziel zu erreichen, denken Sie darüber nach, ob Ihr soziales Netzwerk Sie unterstützen oder behindern wird. 13.5.2
Stress reduzieren
Wenn wir das Gefühl der Kontrolle haben, einen optimistischeren Erklärungsstil entwickeln und uns soziale Unterstützung suchen, so kann dies dazu beitragen, dass wir weniger Stress empfinden und sich damit unsere Gesundheit verbessert. Diese Faktoren hängen darüber hinaus auch miteinander zusammen: Menschen, die zuversichtlich waren in Hinblick auf sich selbst und die eigene Zukunft, neigten auch eher dazu, gesundheitsfördernde soziale Netze zu genießen (Stinson et al., 2008). Doch manchmal können wir Stress nicht
13
558
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
abbauen und müssen einfach auf gesunde Weise mit ihm umgehen (. Abb. 13.50). Aerobes Training, Entspannung, Meditation und Spiritualität helfen uns dabei, innere Stärke zu gewinnen und den Stress zu verringern.
Aerobes Training ?? 13.25 Wie effektiv ist aerobes Training als Möglich-
keit, um mit Stress umzugehen und das Wohlbefinden zu steigern?
Als aerobes Training wird ein sauerstoffverbrauchendes Ausdauertraining bezeichnet, bei dem die Funktionsfähigkeit des Herzens und der Lunge gesteigert wird. Joggen, Schwimmen und Radfahren sind verbreitete Beispiele. Die Einschätzungen variieren, aber mäßiger Sport steigert nicht nur die Lebenserwartung, sondern erhöht durch mehr Energie, eine bessere Stimmung und stärkere Beziehungen auch die Lebensqualität (Flueckiger et al., 2016; Hogan et al., 2015; Seligman, 1994; Wang et al., 2011). Aerobes Training („aerobic training“) – Ausdauertraining,
bei dem die Funktionsfähigkeit des Herzens und der Lunge zunimmt, kann auch depressive Störungen und Angststörungen lindern.
13
Sport hilft dabei, Herzerkrankungen vorzubeugen, indem er das Herz stärkt, den Blutfluss zunehmen lässt, die Blutgefäße offen hält und sowohl den Blutdruck als auch die Blutdruckreaktion auf Stress in Grenzen hält (Ford, 2002; Manson, 2002). Menschen, die Sport treiben, erleiden im Vergleich zu sportlich inaktiven Menschen nur ungefähr halb so oft einen Herzinfarkt (Evenson et al., 2016; Visich & Fletcher, 2009). Sport macht die Muskeln hungrig auf „schlechte Fette“, die, wenn sie nicht von den Muskeln genutzt werden, zur Verstopfung der Arterien beitragen (Barinaga, 1997). In einer Studie mit über 650.000 amerikanischen Erwachsenen zeigte sich, dass wöchentlich 150 Minuten Spazierengehen die Lebenserwartung im Vergleich zu Nicht-Sportler:innen um 7 Jahre erhöht (Moore et al., 2012). Eine Folgestudie mit 1,44 Mio. Amerikaner:innen und Europäer:innen ergab, dass körperliche Bewegung das „Risiko für viele Krebsarten verringert“ (Moore et al., 2016). Im fortgeschrittenen Alter führt eine regelmäßige sportliche Betätigung zudem zu einer besseren kognitiven Leistungsfähigkeit und einem verminderten Risiko für Demenz und die Alzheimer-Krankheit (Kramer & Erickson, 2007). Die Gene, die wir von unseren entfernten Vorfahr:innen bekommen haben, waren die, die uns zu körperlichen Aktivitäten befähigen, wie sie für das Jagen, für die Nahrungssuche und die Landwirtschaft von wesentlicher Bedeutung sind (Raichlen & Polk, 2013). In den Muskelzellen reagieren diese Gene, wenn sie durch sport-
liche Betätigung aktiviert werden, dadurch, dass sie Proteine produzieren. Beim modernen inaktiven Menschen produzieren diese Gene geringere Mengen von Proteinen und lassen uns anfällig werden für mehr als 20 chronische Erkrankungen, wie etwa Diabetes vom Typ II, koronare Herzerkrankungen, Schlaganfall und Krebs (Booth & Neufer, 2005). Inaktivität ist daher potenziell schädlich. Körperliche Aktivität kann den Einfluss einiger genetischer Risikofaktoren abschwächen. In einer Analyse von 45 Studien sank das Risiko für Fettleibigkeit um 27 % (Kilpeläinen et al., 2012). Kurbelt Sport auch den Geist an? Eine Untersuchung von Universitätsstudierenden, die sich über 21 Länder erstreckte, zeigte, dass körperliche Betätigung ein „starker“ und beständiger Prädiktor für Lebenszufriedenheit ist (Grant et al., 2009). Amerikaner:innen, Kanadier:innen und Brit:innen, die dreimal die Woche oder häufiger ein aerobes Training machen, können besser mit Stresssituationen umgehen, haben mehr Selbstvertrauen, fühlen sich lebendiger und sind seltener depressiv oder erschöpft als diejenigen, die nicht so häufig Sport treiben (Rebar et al., 2015; Smits et al., 2011). Der Wechsel von einer aktiven Sportlerin zur Couch-Potato kann die Wahrscheinlichkeit einer Depression erhöhen. Sie betrug in einer Studie an Frauen 51 % innerhalb von zwei Jahren (Wang et al., 2011). Kommen Menschen mit Depression runter vom Sofa und starten ein körperlich aktiveres Leben, reduzieren sich ihre depressiven Symptome (Kvam et al., 2016; Snippe et al., 2016). „Training hat einen starken und signifikanten antidepressiven Effekt“, so das Fazit aus 25 kontrollierten Studien (Schuch et al., 2016a). Wenn wir jedoch diese Beobachtung andersherum sehen – nämlich, dass gestresste und depressive Menschen weniger Sport treiben –, wird klar, dass wie stets bei Korrelationen Ursache und Wirkung nicht eindeutig zu bestimmen sind. Dieser Widerspruch wurde durch Versuche aufgelöst, bei denen gestresste, depressive oder ängstliche Menschen nach dem Zufallsprinzip entweder einem Ausdauertrainingsprogramm oder anderen Behandlungsprogrammen zugeteilt wurden. Als nächstes maßen sie, ob aerobes Training (im Vergleich zu einer Kontrollaktivität, die kein Training beinhaltet) eine Veränderung von Stress, Depression, Ängsten oder anderen gesundheitsbezogenen Faktoren bewirkt. Bei einem solchen Versuch wurde ein Drittel aller Mitglieder aus einer Gruppe leicht depressiver Studentinnen einem aeroben Trainingsprogramm zugewiesen, ein weiteres Drittel einer Behandlung mit Entspannungsverfahren, während das verbleibende Drittel als Kontrollgruppe fungierte und keine Behandlung erhielt (McCann & Holmes, 1984). Wie in . Abb. 13.51 gezeigt, berichteten die Teilnehmerinnen des Ausdauertrainings 10 Wochen später vom deutlichsten Rückgang ihrer Depression. Viele von ihnen waren buchstäblich ihren Schwierigkeiten davongerannt.
559
13.5 • Gesundheitsförderung
14 Gruppe ohne Behandlung
13 12
Depressionswerte
11 10 9 8 7
Gruppe mit aerobem Training
6
Training verringert Depression stärker
5 4 3
Gruppe mit Entspannungsverfahren Entspannung verringert Depression
Bewertung vor der Behandlung
a
Bewertung nach der Behandlung
..Abb. 13.51 Ausdauersport reduziert leichte Depressionen. (Aus McCann & Holmes, 1984)
Dutzende anderer Experimente und Längsschnittstudien bestätigen, dass Bewegung depressiven Störungen und Ängsten vorbeugen oder sie reduzieren kann (Catalan-Matamoros et al., 2016; Conn, 2010; Pinto Pereira et al., 2014). In einem Experiment, bei dem Menschen mit Depression nach dem Zufallsprinzip einer Trainingsgruppe, einer Antidepressivagruppe oder einer Placebogruppe zugeordnet wurden, konnten depressive Störungen durch das Training genauso effektiv gemindert werden wie durch Antidepressiva – und dies sogar mit einer nachhaltigeren Wirkung (Hoffman et al., 2011). Kräftigende Übungen führen zu einer sofortigen „substanziellen“ Stimmungsaufhellung, berichtet Watson (2000). Schon ein zehnminütiger Spaziergang führt zu zwei Stunden besserer Befindlichkeit, da er das Energieniveau hebt und Spannung abbaut (Thayer, 1987, 1993). Sportliche Aktivität entfaltet ihre wunderbare Wirkung auf verschiedene Weise. Sie erhöht das Erregungsniveau und wirkt dadurch dem geringen Erregungsniveau einer Depression entgegen. Sie ermöglicht eine Entspannung der Muskeln und einen tieferen Schlaf. Wie ein Antidepressivum mobilisiert sie stimmungsaufhellende chemische Substanzen aus unserer körpereigenen Apotheke – Neurotransmitter wie Noradrenalin, Serotonin und Endorphine (Jacobs, 1994; Salmon, 2001). Hinzu kommt, dass trainierte Muskeln depressionsauslösende Toxine herausfiltern (Agudelo et al., 2014). Zusätzlich wird die Neurogenese gefördert. Bei Mäusen führt Bewegung dazu, dass das Gehirn ein Molekül produziert,
b
..Abb. 13.52 a,b Stimmungsaufheller. Wenn die Energie schwächer oder die Stimmung schlechter wird, gibt es nur wenige Dinge, die den Tag schneller in einem anderen Licht erscheinen lassen, als sportliche Aktivitäten, wie ich [DM] aufgrund meines mittäglichen Radfahrens und Basketballspielens und ich [ND] aufgrund meines Joggings bestätigen kann. (a: © Kathryn Brownson; b: Alice DeWall)
das das Wachstum von neuen, stressresistenten Gehirnzellen anregt (Hunsberger et al., 2007; Reynolds, 2009; van Praag, 2009). Betrachtet man die Befunde auf einer einfacheren Ebene, könnte ein besserer emotionaler Zustand auch dadurch zustande gekommen sein, dass das Gefühl, etwas geleistet zu haben, zusammen mit der verbesserten physischen Verfassung und dem positiveren Körperschema (die oft mit einer erfolgreichen sportlichen Routine einhergehen) das eigene Selbstbild aufwertet. Regelmäßiger Sport ist wie eine Droge, die Krankheiten verhindert und behandeln kann, die Energie liefert, Ängste reduziert und die Stimmung aufhellt – eine Droge, die wir alle konsumieren würden, wenn es sie gäbe. Allerdings machen sie sich nur wenige Menschen (nur einer von vier in den Vereinigten Staaten) zu Nutze (Mendes, 2010; . Abb. 13.52).
Entspannung und Meditation ?? 13.26 Wie können Entspannung und Meditation
Stress und Gesundheit beeinflussen?
Können wir lernen, unserer Stressreaktion durch eine veränderte Denkweise entgegenzuwirken, wo wir doch jetzt die schädlichen Folgen von Stress kennen? In den späten 1960er Jahren begannen Psycholog:innen Experimente mit Biofeedback zu machen – einem System, das Informationen über kaum wahrnehmbare physiologische Reaktionen (viele davon sind durch das autonome Nervensystem gesteuert) aufzeichnet, verstärkt und weiterleitet. Biofeedback-Instrumente geben die Ergebnisse der eige-
13
560
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
..Abb. 13.53 Vierbeinige Freund:innen für die Examenswoche. Einige Lehranstalten bringen für die Examenswoche Tiere zum Kuscheln auf den Campus, um den Studierenden eine Möglichkeit zu bieten, ihren Stresspegel zu senken. Diese Studierenden an der Université d’Angers in Frankreich entspannen sich mit Hunden. Andere Schulen bieten Streichelzoos an oder ermutigen Dozierende, in dieser Woche ihre eigenen Haustiere mitzubringen. (© Hans Lucas/Jean-Michel Delage/ picture alliance)
13
nen Anstrengungen einer Person wieder und ermöglichen es ihr dadurch, Techniken zu erlernen, mit deren Hilfe sie eine bestimmte physiologische Reaktion steuern kann. Nach 10 Jahren Forschung jedoch entschieden die Wissenschaftler:innen, dass die anfänglichen Behauptungen über die Wirksamkeit des Biofeedbacks zu hoch gegriffen waren und zu sehr bejubelt wurden (Miller, 1985). Eine Gesprächsrunde am National Institute of Health kam 1995 zu dem Ergebnis, dass Biofeedback am besten bei Spannungskopfschmerz wirkt. Auch einfache Entspannungsverfahren, die keine teuren Geräte erfordern, führen zu sehr ähnlichen Erfolgen, wie sie das Biofeedback einmal versprach. . Abb. 13.51 hat gezeigt, dass Ausdauertraining depressive Störungen mildern kann. Aber ist Ihnen bei dieser Abbildung aufgefallen, dass die Depression auch bei den Frauen zurückgegangen sind, die in der Bedingung waren, die ein Entspannungstraining erhielt? Über 60 Studien belegen, dass Entspannungsverfahren dazu beitragen können, Kopfschmerzen, Bluthochdruck, Ängste und Schlaflosigkeit zu lindern (Nestoriuc et al., 2008; Stetter & Kupper, 2002; . Abb. 13.53). Derartige Befunde würden Friedman, Ray Rosenman und ihre Kolleg:innen nicht überraschen. Sie wollten herausfinden, ob man bei Herzinfarktopfern vom Typ A (die anfälliger für Herzinfarkte sind als Gleichaltrige vom Typ B) durch ein Entspannungstraining das Risiko verringern kann, erneut einen Herzinfarkt zu bekommen. Dazu teilten sie Hunderte von Männern mittleren Alters, die einen Herzinfarkt überlebt hatten, nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen ein. Die erste Gruppe erhielt von den Kardiolog:innen die üblichen Ratschläge zu Medikation, Diät und Bewegungsgewohnheiten. Die zweite Gruppe bekam ähnliche Ratschläge sowie eine kontinuierliche Beratung über Möglichkeiten, ihre Lebensweise zu ver-
ändern: wie sie durch langsameres Gehen, Reden und Essen ruhiger werden und sich entspannen könnten, wie sie anderen Menschen ein Lächeln schenken und über sich selbst und andere lachen könnten, wie sie Fehler eingestehen könnten, wie sie sich Zeit nehmen könnten, das Leben zu genießen, wie sie ihren Glauben wiederaufleben lassen könnten. . Abb. 13.54 zeigt, dass sich das Training auszahlte. In den folgenden 3 Jahren traten bei denjenigen, die gelernt hatten, ihren Lebensstil zu verändern, nur halb so viele Herzinfarkte auf wie in der ersten Gruppe. Dies, so schrieb Friedman begeistert, sei ein noch nie dagewesener, spektakulärer Rückgang des Wiederauftretens bei Herzinfarkten. Bei einer weniger großflächig angelegten britischen Studie über 13 Jahre wurde in ähnlicher Weise eine Halbierung der Mortalitätsrate unter Hochrisikopatient:innen festgestellt, denen beigebracht wurde, wie sie ihr Denken und ihre Lebensweise verändern können (Eysenck & Grossarth-Maticek, 1991). Nachdem er selbst im Alter von 55 Jahren einen Herzinfarkt erlitten hatte, begann Friedman, seine eigene „Verhaltensmedizin“ zu nehmen – und wurde damit 90 Jahre alt (Wargo, 2007). Die Zeit heilt zwar alle Wunden, aber Entspannung kann diesen Prozess noch beschleunigen. In einer Studie wurden Operationspatient:innen nach dem Zufallsprinzip in zwei Gruppen eingeteilt. Beide Gruppen erhielten eine Standardbehandlung, mit der zweiten Gruppe wurde jedoch zusätzlich eine 45-minütige Entspannungsübung gemacht, und es wurden ihnen vor und nach der Operation DVDs zur Entspannung ausgehändigt. Eine Woche nach der Operation berichteten diejenigen aus der Entspannungsgruppe über geringeren Stress und zeigten eine bessere Wundheilung (Broadbent et al., 2012). Meditation ist eine moderne Methode mit einer langen Geschichte. In vielen Weltreligionen wurde die Meditation zur Verringerung des Leidens und zur Förderung
% Prozentsatz der Patient:innen mit erneuten Herzinfarkten (kumulativer Durchschnitt)
..Abb. 13.54 Mehrfache Herzinfarkte und Veränderung der Lebensweise. Das San Francisco Recurrent Coronary Prevention Project bot Überlebenden von Herzinfarkten eine kardiologische Beratung an. Diejenigen, die auch angeleitet wurden, ihre TypA-Lebensweise zu verändern, erlitten seltener erneut einen Herzinfarkt. (Aus Friedman & Ulmer, 1984)
13
561
13.5 • Gesundheitsförderung
6
Patient:innen aus der Kontrollgruppe
Eine Veränderung der Lebensweise verringerte das Wiederauftreten von Herzinfarkten
5 4 3 2 Patient:innen, die ihre Lebensweise veränderten 1 0
1978
1979
1980
1981
1982
Jahr
von Bewusstsein, Erkenntnis und Mitgefühl eingesetzt. Zahlreiche Studien belegen die psychologische Wirkung verschiedener Meditationsformen (Goyal et al., 2014; Rosenberg et al., 2015; Sedlmeier et al., 2012). Zu diesen Arten gehört die Achtsamkeitsmeditation, die sich heute in Stressbewältigungsprogrammen etabliert hat. Wenn Sie diese Praxis gelernt haben, entspannen Sie sich und richten ihre Aufmerksamkeit schweigend auf Ihren inneren Zustand, ohne ihn zu bewerten (Brown et al., 2016; Kabat-Zinn, 2001). Sie setzen sich, schließen die Augen und tasten Ihren Körper gedanklich von Kopf bis Fuß ab. Konzentrieren Sie sich auf bestimmte Körperteile und körperliche Reaktionen, während sie weiterhin aufmerksam und achtsam bleiben. Nehmen Sie auch Ihre Atmung bewusst wahr und führen Sie jeden Atemzug so aus, als wäre er etwas Materielles. >>Bei der Meditation handelt es sich um ein modernes
Phänomen mit einer langen Geschichte: „Setzen Sie sich allein und schweigend hin. Senken Sie Ihren Kopf, schließen Sie Ihre Augen, atmen Sie sanft aus, und stellen Sie sich vor, Sie sähen in Ihr Herz. Während Sie ausatmen, sagen Sie: ‚Herr Jesus Christus, erbarme dich meiner.‘ … Versuchen Sie, alle anderen Gedanken abzulegen. Seien Sie ruhig, seien Sie geduldig, und wiederholen Sie die Vorgehensweise sehr oft.“ Der heilige Gregor vom Sinai, gestorben 1346
Achtsamkeitsübungen können Ängste und depressive Störungen verringern (Goyal et al., 2014). In einer Studie mit 1.140 Personen erhielten einige Teilnehmende über mehrere Wochen eine achtsamkeitsbasierte Therapie, während eine Kontrollgruppe diese nicht erhielt. Ängste und Depression waren geringer bei denjenigen, die die Therapie erhielten (Hofmann et al., 2010). Achtsamkeitspraktiken wurden auch in Verbindung gebracht mit einer
Verbesserung des Schlafs, der zwischenmenschlichen Beziehungen und einem besser funktionierenden Immunsystem (Gong et al., 2016; Rosenkranz et al., 2013; Sedlmeier et al., 2012; Tang et al., 2007). Schon wenige Minuten täglicher Achtsamkeitsmeditation reichen aus, um Konzentration und Entscheidungsfindung zu verbessern (Hafenbrack et al., 2014; Rahl et al., 2016; Rosenkranz et al., 2013; Sedlmeier et al., 2012; Tang et al., 2007). Was geht also im Gehirn vor, wenn wir Achtsamkeit üben? Korrelationsstudien und experimentelle Studien bieten drei Erklärungen. Achtsamkeit stärkt die Verbindungen zwischen bestimmten Regionen unseres Gehirns. Es handelt sich um die Hirnareale, die mit der Fokussierung unserer Aufmerksamkeit, der Verarbeitung dessen, was wir sehen und hören, und Reflexion und Bewusstsein in Zusammenhang stehen (Berkovich-Ohana et al., 2014; Ives-Deliperi et al., 2011; Kilpatrick et al., 2011). aktiviert Hirnregionen, die mit einer stärker reflektierenden Wahrnehmung assoziiert sind (Davidson et al., 2003; Way et al., 2010). Achtsame Menschen zeigen, wenn sie Gefühle benennen, eine geringere Aktivität in der Amygdala, einer Hirnregion, die mit Angst assoziiert ist, und eine stärkere Aktivierung im präfrontalen Kortex, der die Emotionsregulation unterstützt (Creswell et al., 2007; Gotink et al., 2016). hat in emotionalen Situationen einen beruhigenden Einfluss auf die Gehirnaktivierung. Diese verringerte Aktivierung zeigte sich in einer Studie, in der die Teilnehmenden zwei Filme sahen – einen traurigen und einen neutralen. Die Teilnehmenden der Kontrollgruppe ohne Achtsamkeitstraining zeigten starke Unterschiede in der Gehirnaktivierung, wenn sie die beiden Filme sahen. Diejenigen, die ein Achtsamkeitstraining erhalten hatten, zeigten kaum Veränderungen in der Gehirnreaktion auf die beiden Filme
-
-
-
562
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
(Farb et al., 2010). Emotional unangenehme Bilder lösen bei achtsamen Menschen auch schwächere elektrische Gehirnreaktionen aus als bei weniger achtsamen Personen (Brown et al., 2013). Ein achtsames Gehirn ist stark, reflektierend und ruhig. Bewegung und Meditation sind nicht die einzigen Wege zu einer gesunden Entspannung. Massage hilft sowohl bei Frühgeborenen als auch bei Schmerzpatient:innen, entspannt die Muskeln und hilft depressive Störungen zu lindern (Hou et al., 2010). Achtsamkeitsmeditation („mindfulness meditation“) –
eine Geistesübung, bei der Menschen aktuellen Erfahrungen auf eine nicht wertende und akzeptierende Weise begegnen.
Spiritualität und Glaubensgemeinschaften ?? 13.27 Was ist der Glaubensfaktor und welche
möglichen Erklärungen gibt es für Zusammenhang zwischen Glauben und Gesundheit?
13
Eine Vielzahl von Studien – 1.800 alleine in den ersten 10 Jahren des 21. Jahrhunderts – hat einen weiteren, eigenartigen Zusammenhang aufdecken können, den sogenannten Glaubensfaktor (Koenig et al., 2012). Religiös aktive Menschen leben tendenziell länger als diejenigen, die nicht religiös aktiv sind. Eine von diesen Studien verglich beispielsweise die Mortalitätsraten von 3.900 Personen, die in zwei israelischen Gemeinschaften wohnen. Die eine Gemeinschaft bestand aus 11 religiös orthodoxen Kollektivsiedlungen, die andere aus 11 entsprechenden nichtreligiösen Kollektivsiedlungen (Kibbuzgemeinschaft; Kark et al., 1996). Über einen Zeitraum von 16 Jahren hinweg „ging die Zugehörigkeit zu einem religiösen Kollektiv mit einem starken beschützenden Effekt einher“, der nicht durch das Alter oder sozioökonomische Unterschiede erklärt werden konnte. In jeder Altersgruppe war es bei den Mitgliedern der religiösen Gemeinschaft etwa nur halb so wahrscheinlich, dass sie gestorben waren, wie bei ihren nichtreligiösen Mitgliedern eines Kibbuz. Das ist ungefähr mit dem Geschlechtsunterschied in Bezug auf die Mortalität vergleichbar. Eine jüngere Studie untersuchte über 20 Jahre 74.534 Krankenschwestern. Als man verschiedene Risikofaktoren untersuchte, die die Gesundheit beeinflussen, stellte sich heraus, dass die Frauen, die mehr als einmal in der Woche den Gottesdienst besuchten, eine um ein Drittel geringere Sterbewahrscheinlichkeit hatten als die, die keine Kirchgängerinnen waren (Li et al., 2016). Wie sollen wir derartige Befunde interpretieren? Bloße Korrelationen weisen keinen Kausalzusammenhang nach, und viele Faktoren bleiben unkontrolliert (Sloan, 2005; Sloan et al. 1999, 2000, 2002). Es gibt aber eine andere mögliche Interpretation: Frauen sind religiös aktiver und leben länger als Männer. Ist re-
ligiöses Engagement vielleicht nur der Ausdruck des Effekts der Geschlechtszugehörigkeit auf die Langlebigkeit? Offensichtlich nicht. Eine Studie der U.S. National Institutes of Health begleitete 92.395 Frauen im Alter von 50–79 Jahren über einen Zeitraum von 8 Jahren. Auch nachdem viele Faktoren kontrolliert worden waren, zeigte sich, dass Frauen, die mindestens einmal wöchentlich Gottesdienste besuchten, während der Studienlaufzeit ein um ungefähr 20 % reduziertes Sterberisiko hatten (Schnall et al., 2010). Der Zusammenhang zwischen Religiosität und Langlebigkeit konnte zudem auch bei Männern gefunden werden (Benjamins et al., 2010; McCullough et al., 2000; McCullough & Laurenceau, 2005). In einer Studie, bei der 5.286 Kalifornier:innen über 28 Jahre lang wissenschaftlich begleitet wurden, fand man Folgendes heraus: Wenn man die Faktoren Alter, Geschlecht, ethnische Zugehörigkeit und Bildung kontrollierte, hatten Personen, die häufig Gottesdienste besuchen, eine um 36 % geringere Wahrscheinlichkeit, im erwähnten Zeitraum gestorben zu sein (. Abb. 13.55). Eine andere 8-jährige Studie mit mehr als 20.000 Proband:innen (Hummer et al., 1999) zeigte, dass dies in einer Lebenserwartung von 83 Jahren für eifrige und 75 Jahren für weniger eifrige Kirchgänger:innen ihren Ausdruck findet. Diese korrelativen Befunde bedeuten nicht, dass Nichtkirchgänger:innen, die anfangen, den Gottesdienst zu besuchen und ansonsten nichts verändern, plötzlich 8 Jahre länger leben werden. Aber sie sind ein Hinweis darauf, dass religiöses Engagement als Prädiktor für Gesundheit und Langlebigkeit sich durchaus mit den Effekten des Nichtrauchens und der sportlichen Betätigung messen kann. Die Forschung zeigt drei mögliche Erklärungen für die Korrelation zwischen Religiosität und Lebenserwartung auf. Gesunde Verhaltensweisen. Religion fördert die Selbstkontrolle (DeWall et al., 2014; McCullough & Willoughby, 2009). Dies erklärt, warum religiös aktive Menschen eine gesündere Lebensweise haben; beispielsweise rauchen und trinken sie viel weniger (Islam & Johnson, 2003; Koenig & Vaillant, 2009; Masters & Hooker, 2013). Eine Gallup-Umfrage unter 550.000 Amerikaner:innen ergab, dass 15 % der sehr religiösen Menschen rauchten, unter den Nichtreligiösen waren es hingegen 28 % (Newport et al., 2010). Aber diese Unterschiede sind nicht groß genug, um die dramatisch verringerte Mortalität in den religiösen Kibbuzim in Israel zu erklären. Auch bei amerikanischen Studien bleibt ein Unterschied in der Lebenserwartung von etwa 75 % erhalten, nachdem man die ungesunden Verhaltensweisen wie Inaktivität und Rauchen kontrolliert hatte (Musick et al., 1999). Soziale Unterstützung. Kann soziale Unterstützung den Glaubensfaktor erklären (Ai et al., 2007; KimYeary et al., 2012)? Im Judentum, im Christentum und im Islam ist Spiritualität eine gemeinschaftliche
-
-
563
13.5 • Gesundheitsförderung
Relatives Mortalitätsrisiko
100%
80
Männer Frauen
60
40
20
0
Nichtrauchen
..Abb. 13.55 Prädiktoren für Mortalität: Nichtrauchen, häufige sportliche Aktivität und regelmäßiger Besuch von Gottesdiensten. Eine Studie begleitete 5.286 Erwachsene in Alameda (Kalifornien) über 28 Jahre (Oman et al., 2002; Strawbridge, 1999; Strawbridge et al., 1997). Nachdem sie den Einfluss von Alter und Bildung kontrolliert hatten, fanden die Forschenden heraus, dass sich in jedem
Erfahrung. Einer dieser Glaubensgemeinschaften anzugehören, bedeutet, Teil eines unterstützenden Netzwerks zu sein. Religiös aktive Menschen sind füreinander da, wenn das Schicksal es nicht gut mit einem meint. Außerdem fördert Religion einen weiteren Prädiktor für Gesundheit und Langlebigkeit: die Ehe. In den religiösen Kibbuzim z. B. kam Scheidung praktisch nicht vor. In der Studie, in der man Krankenschwestern über 20 Jahre begleitete, spielte die soziale Unterstützung für den Glaubensfaktor die größte Rolle. Sie erklärte ein Viertel der Auswirkung. Positive Gefühle. Selbst nachdem man die Faktoren soziale Bindungen, Geschlecht, ungesunde Verhaltensweisen und vorher bestehende Gesundheitsprobleme kontrolliert hatte, hat man in den Mortalitätsstudien immer noch herausgefunden, dass Menschen, die sich mit Religion beschäftigen, länger leben (Chida et al., 2009). Forschende vermuten, dass religiös aktive Menschen wohl von einer stabilen und konsistenten Weltanschauung, einem Gefühl der Hoffnung für die langfristige Zukunft, dem Gefühl der wirklichen Akzeptanz und der entspannten Meditation des Gebets oder anderer religiöser Bräuche profitieren (. Abb. 13.56). Diese intervenierenden Variablen könnten auch die Erklärung liefern, warum bei religiös aktiven Menschen ein gesünderes Immunsystem, weniger Krankenhauseinweisungen sowie bei Personen mit Aids weniger Stresshormone und längeres Überleben festzustellen waren (Ironson et al., 2002; Koenig & Larson, 1998; Lutgendorf et al., 2004).
-
Ein Gottesdienstbesuch pro Woche
Regelmäßige sportliche Aktivitäten
der untersuchten Jahre aufgrund von Nichtrauchen, häufiger sportlicher Aktivität und regelmäßigem Besuch von Gottesdiensten jeweils ein geringeres Mortalitätsrisiko vorhersagen ließ. So war das Sterberisiko in einem typischen Jahr des Projekts bei Frauen, die jede Woche den Gottesdienst besuchten, um 46 % geringer als bei Nichtkirchgängerinnen
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Taktiken können wir anwenden, um erfolgreich mit Stress umzugehen, den wir nicht vermeiden können?
13.5.3
Rückblick: Gesundheitsförderung
Verständnisfragen
13.20 – Auf welche zwei Arten versuchen Menschen
Stress abzubauen? 13.21 – Wie beeinflusst ein wahrgenommener Mangel an Kontrolle die Gesundheit? 13.22 – Warum ist Selbstkontrolle wichtig, und kann unsere Selbstkontrolle erschöpfen? 13.23 – Wie wirkt sich eine optimistische Grundeinstellung auf Gesundheit und Langlebigkeit aus? 13.24 – Wie begünstigt soziale Unterstützung die Gesundheit? 13.25 – Wie effektiv ist aerobes Training als Möglichkeit, um mit Stress umzugehen und das Wohlbefinden zu steigern? 13.26 – Wie können Entspannung und Meditation Stress und Gesundheit beeinflussen? 13.27 – Was ist der Glaubensfaktor und welche möglichen Erklärungen gibt es für den dadurch beschriebenen Zusammenhang?
13
564
Kapitel 13 • Emotionen, Stress und Gesundheit
Gesunde Verhaltensweisen (weniger Nikotin und Alkohol)
Religiöses Engagement
Soziale Unterstützung (Glaubensgemeinschaften, enge Beziehungen)
Bessere Gesundheit (geringere Schwächung des Immunsystems und weniger Stresshormone; höhere Lebenserwartung)
Positive Emotionen – Hoffnung/Optimismus/ Zusammenhalt (weniger Stress bzw. Angst)
..Abb. 13.56 Mögliche Erklärungen für die Korrelation zwischen religiösem Engagement und Gesundheit bzw. höherer Lebenserwartung
------
Schlüsselbegriffe Achtsamkeitsmeditation Aerobes Training Coping Emotionsfokussierte Bewältigung Erlernte Hilflosigkeit Externale Kontrollüberzeugung Internale Kontrollüberzeugung Persönliche Kontrolle Problemfokussierte Bewältigung Selbstkontrolle
13
Master the Material 1. Wenn Sie mit einer Situation konfrontiert werden, bei der Sie das Gefühl haben, wenig Kontrolle zu haben, werden Sie das Problem eher mit einer ___ (emotions-/problem-) fokussierten Stressbewältigung angehen. 2. Seligmans Forschung zeigte, dass ein Hund mit erlernter Hilflosigkeit reagiert, wenn er wiederholt Stromstöße erhalten hat und … a. die Möglichkeit hatte, zu entkommen. b. keine Kontrolle über die Stromstöße hat. c. Schmerzen oder Unbehagen verspürte. d. vor den Stromstößen kein Futter oder Wasser bekam. 3. Wenn ältere Patient:innen eine aktive Rolle in ihrer Versorgung und ihrem Umfeld übernehmen können, verbessern sich ihre Stimmung und ihr Gesundheitszustand. Solche Ergebnisse zeigen, dass es Menschen besser geht, wenn sie eine ___ (internale/externale) Kontrollüberzeugung erleben. 4. Ein vorzeitiger Tod ist bei Menschen, die enge Beziehungen pflegen, weniger wahrscheinlich als bei Menschen, die solche Bindungen nicht haben. Diese Tatsache spricht dafür, dass … a. soziale Bindungen eine Ursache für Stress sein können. b. das Geschlecht die Lebenserwartung beeinflusst.
c. das Verhalten eines Menschen des A-Typs für viele vorzeitige Todesfälle verantwortlich ist. d. soziale Unterstützung einen positiven Einfluss auf die Gesundheit hat. 5. Weil ___ Aktivität die Freisetzung von stimmungsaufhellenden Neurotransmittern wie Adrenalin, Serotonin und Endorphinen auslöst, steigert sie das Energieniveau und hilft, depressive Störungen und Angstzustände zu verringern. 6. Die Forschung zum Glaubensfaktor hat herausgefunden, dass … a. pessimistische Menschen in der Regel gesünder sind als optimistische. b. unsere Erwartungen unser Stressempfinden beeinflussen. c. religiös aktive Menschen eher Menschen überleben, die nicht religiös aktiv sind. d. religiöses Engagement die soziale Isolation und Unterdrückung fördert.
Weiterführende deutsche Literatur Berking, M. (2017). Training emotionaler Kompetenzen (4. Aufl.). Heidelberg: Springer. Brandstädter, V., Schüler, J., Puca, R. M., & Lozo, L. (2018). Motivation und Emotion: Allgemeine Psychologie für Bachelor (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Ekman, P. (2010). Gefühle Lesen: Wie Sie Emotionen erkennen und richtig interpretieren. Heidelberg: Spektrum. Hülshoff, T. (2012). Emotionen. Eine Einführung für beratende, therapeutische, pädagogische und soziale Berufe (4. Aufl.). Stuttgart: UTB. Merten, J. (2003). Einführung in die Emotionspsychologie. Stuttgart: Kohlhammer. Petermann, F., & Wiedebusch, S. (2016). Emotionale Kompetenz bei Kindern (3. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Ehlert, U. (Hrsg.). (2016). Verhaltensmedizin (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Jerusalem, M., & Weber, H. (2003). Psychologische Gesundheitsförderung. Göttingen: Hogrefe. Kaluza, G. (2018). Stressbewältigung: Trainingsmanual zur psychologischen Gesundheitsförderung (4. Aufl.). Heidelberg: Springer. Schwarzer, R., Jerusalem, M., & Weber, H. (Hrsg.). (2002). Gesundheitspsychologie von A bis Z. Göttingen: Hogrefe.
565
Sozialpsychologie Inhaltsverzeichnis 14.1
Soziales Denken – 566
14.1.1 14.1.2 14.1.3
Der fundamentale Attributionsfehler – 566 Einstellungen und Handlungen – 568 Rückblick: Soziales Denken – 572
14.2
Sozialer Einfluss – 573
14.2.1 14.2.2 14.2.3 14.2.4 14.2.5
Konformität: Sozialem Druck nachgeben – 573 Gehorsam: Befehle befolgen – 577 Was lehren uns die Studien zu Konformität und Gehorsam? – 581 Gruppeneinfluss – 582 Rückblick: Sozialer Einfluss – 588
14.3
Antisoziale Beziehungen – 588
14.3.1 Vorurteil – 588 14.3.2 Aggression – 597 14.3.3 Rückblick: Antisoziale Beziehungen – 604
14.4
Prosoziale Beziehungen – 605
14.4.1 14.4.2 14.4.3 14.4.4
Interpersonale Anziehung – 605 Altruismus – 614 Konflikte und Friedensstiftung – 618 Rückblick: Prosoziale Beziehungen – 624
Weiterführende deutsche Literatur – 624
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_14
14
566
14
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
Dirk Willems musste sich 1569 entscheiden. Da er als Mitglied einer religiösen Minderheit verfolgt und mit Folter und Tod bedroht wurde, brach er aus der Haft in Asperen, Holland, aus und floh über einen zugefrorenen Teich. Der stärkere und schwerere Kerkermeister verfolgte ihn, brach dabei jedoch auf dem Eis ein und bettelte um Hilfe, da er nicht mehr herausklettern konnte. Nur ein kleines Stück von der Freiheit entfernt handelte Willems in einem Akt absoluter Selbstlosigkeit. Er kehrte um und rettete seinen Verfolger, welcher ihn seinen Anordnungen folgend zurück ins Gefängnis brachte. Einige Wochen später wurde Willems dazu verurteilt, „durch Feuer bis zum Tod hingerichtet zu werden“. In Gedenken an sein Martyrium ist heute in Asperen eine Straße zu Ehren des Volkshelden benannt (Toews, 2004; . Abb. 14.1). Was bringt Menschen dazu, Angehörige von Minderheiten so wie Dirk Willems zu verachten und sich ihnen gegenüber so boshaft zu verhalten? Was veranlasst Menschen, wie z. B. seinen Kerkermeister, dazu, ungerechte Befehle auszuführen? Und welche Motivation steckte hinter der Selbstlosigkeit von Willems’ Verhalten und dem Verhalten so vieler anderer, die beim Versuch, andere zu retten, starben? Was bringt uns tatsächlich dazu, gegenüber anderen freundlich und großzügig zu sein? Wie solche Beispiele zeigen, sind wir Menschen soziale Geschöpfe. Wir vermuten in unserem Nächsten das Beste oder das Schlimmste. Und je nach Einstellung nähern wir uns ihm mit geballten Fäusten oder mit offenen Armen. „Wir können nicht allein leben“, stellte der Schriftsteller Herman Melville fest. „Unser Leben ist von Tausenden unsichtbarer Fäden durchzogen.“ Sozialpsycholog:innen erforschen diese Verbindungen, indem sie wissenschaftlich untersuchen, wie wir übereinander denken, uns gegenseitig beeinflussen und in welcher Beziehung wir zueinander stehen. 14.1 Soziales
Denken
?? 14.1 Was erforschen Sozialpsycholog:innen? Wie
erklären wir das Verhalten anderer und unser eigenes?
Persönlichkeitspsycholog:innen konzentrieren sich auf die Person. Sie untersuchen Persönlichkeitsfaktoren und deren Wechselwirkungen und wollen so erklären, warum unterschiedliche Menschen in einer bestimmten Situation, so wie der, in der sich Willems befand, unterschiedlich handeln. (Hätten Sie sich wie Willems verhalten und dem Kerkermeister aus dem eisigen Wasser geholfen?) Sozialpsycholog:innen hingegen legen ihren Fokus auf die Situation. Sie untersuchen soziale Einflüsse, die erklären, warum ein und dieselbe Person in unterschiedlichen Situationen unterschiedlich handelt. (Hätte sich der Kerkermeister unter anderen Bedingungen eventuell anders verhalten und hätte Willems laufen lassen?)
>>Im Gegensatz zur Soziologie, die Gesellschaften und
soziale Gruppierungen untersucht, befassen sich Sozialpsycholog:innen stärker damit, wie Individuen sich gegenseitig sehen und beeinflussen.
Sozialpsychologie („social psychology“) – die wissen-
schaftliche Untersuchung davon, wie wir übereinander denken, uns gegenseitig beeinflussen und in welcher Beziehung wir zueinander stehen. 14.1.1
Der fundamentale Attributionsfehler
Unser Verhalten in sozialen Situationen basiert auf unserer Wahrnehmung von sozialen Situationen. Nachdem Fritz Heider (1958) untersucht hatte, wie Menschen das Verhalten ihrer Mitmenschen erklären, stellte er eine Attributionstheorie vor: Wir können das Verhalten anderer entweder inneren Veranlagungen (dispositionale Attribution) oder äußeren Situationen (situationale Attribution) zuschreiben. Beispielsweise stellen wir im Klassenzimmer fest, dass Julia nur selten etwas sagt; Jonas redet beim Kaffeetrinken ohne Punkt und Komma. Schreiben wir ihr Verhalten ihren persönlichen Veranlagungen zu, kommen wir zu dem Schluss, dass Julia schüchtern ist und Jonas kontaktfreudig. Da Menschen in der Tat dauerhafte Persönlichkeitsmerkmale haben, treffen solche Attributionen manchmal zu. Allerdings unterliegen wir oft dem fundamentalen Attributionsfehler (Ross, 1977), indem wir den Einfluss der Persönlichkeit überschätzen und die Bedeutung von Situationen unterschätzen. Im Klassenzimmer ist Jonas möglicherweise ebenso schüchtern wie Julia. Wenn man Julia auf eine Party mitnimmt, erkennt man die ruhige Klassenkameradin vielleicht kaum wieder. Attributionstheorie („attribution theory“) – beschreibt,
dass wir das Verhalten eines Menschen erklären, indem wir die Verantwortung dafür entweder der Situation oder der Veranlagung des betreffenden Menschen zuschreiben. Fundamentaler Attributionsfehler („fundamental attribution error“) – Tendenz, dass Beobachtende bei der
Analyse des Verhaltens eines Menschen den Einfluss der Situation unter- und den Einfluss der persönlichen Veranlagung überschätzen. Ein Versuch von Napolitan und Goethals (1979) veranschaulicht dieses Phänomen. Sie ließen jeweils einen Studenten des Williams College mit einer jungen Frau sprechen, die sich entweder unnahbar und kritisch oder warmherzig und freundlich verhielt. Vorher sagten sie der einen Hälfte der Studenten, dass das Verhalten der Frau spontan sei. Der anderen Hälfte sagten sie die Wahrheit – dass sie beauftragt worden war, sich freundlich (oder unfreundlich) zu verhalten. Was glauben Sie, welche Auswirkung es hatte, dass man die Wahrheit sagte? Es gab gar keine Auswirkung. Wenn sich die Frau freundlich
14.1 • Soziales Denken
..Abb. 14.1 Ein Kupferstich von Dirk Willems vom dänischen Künstler Jan Luyken. (Aus dem Märtyrerspiegel, 1685; this image is in the public domain because its copyright has expired)
verhielt, folgerten sie daraus, dass sie ein warmherziger Mensch sei. Verhielt sie sich unfreundlich, zogen sie daraus den Schluss, dass sie tatsächlich auch unfreundlich war. Anders gesagt, schrieben sie ihr Verhalten auch dann ihrer persönlichen Veranlagung zu, wenn ihnen gesagt wurde, dass ihr Verhalten situationsbedingt sei, dass sie sich also nur zu Versuchszwecken so verhielt. Wir alle begehen den fundamentalen Attributionsfehler. Wenn Sie darüber nachdenken, ob Ihr Psychologiedozent schüchtern oder kontaktfreudig ist, haben Sie vielleicht bisher gefolgert, dass er über eine kontaktfreudige Persönlichkeit verfügt. Aber Sie kennen Ihren Dozenten nur aus dem Hörsaal, aus einer Situation, die kontaktfreudiges Verhalten erfordert. Der Dozent ist da vielleicht anderer Meinung: „Ich und kontaktfreudig? Das hängt ganz von der Situation ab. Im Hörsaal oder mit guten Freund:innen, ja, da bin ich kontaktfreudig. Aber in Versammlungen bin ich wirklich eher schüchtern.“ Außerhalb ihrer zugewiesenen Rollen verhalten sich Professor:innen weniger professoral, Präsident:innen weniger präsidial und Unternehmer:innen weniger unternehmerisch.
Welche Faktoren beeinflussen unsere Attributionen? Ein Faktor ist Kultur. Menschen in individualistischen westlichen Staaten neigen besonders stark dazu, das Verhalten den Veranlagungen von Menschen zuzuschreiben. In den östlichen asiatischen Kulturen z. B. sind die Menschen empfänglicher für die Wirkungskraft der Situation (Kitayama et al., 2009; Riemer et al., 2014). In Experimenten, in denen die Versuchspersonen verschiedene Szenen betrachten sollten, wie beispielsweise einen großen Fisch beim Schwimmen, konzen-
567
trierten Amerikaner:innen sich mehr auf die Attribute des einzelnen Fischs. Japanische Zuschauer:innen beachteten hingegen die ganze Szene – die Situation (Chua et al., 2005; Nisbett, 2003). Folglich sind wir, wenn wir unser eigenes Verhalten erklären, empfindsam dafür, wie sich das Verhalten je nach Situation ändert (Idson & Mischel, 2001). Wir achten auch genau auf die jeweilige Situation, wenn wir das Verhalten von Leuten erklären, die wir schon in vielen verschiedenen Kontexten erlebt haben. Wir erliegen dem fundamentalen Attributionsfehler häufiger, wenn wir sehen, wie eine fremde Person sich falsch verhält. Wenn wir nur beobachten, wie dieser rotgesichtige Fan die Schiedsrichterin in der Hitze des Gefechts anschreit, würden wir annehmen, er sei ein schlechter Mensch. Außerhalb des Stadions kann er hingegen ein guter Nachbar und ein wunderbarer Vater sein. Wenn wir handeln, sehen wir in die Umwelt: Wir sehen die Gesichter der anderen und nicht unsere eigenen. Würde die Einnahme einer beobachtenden Sichtweise uns unseren eigenen persönlichen Stil bewusster machen? Forschende testeten diese Überlegung, indem sie mit zwei separaten Kameras zwei Personen bei der Interaktion filmten. Als sie beiden eine Wiederholung der Interaktion zeigten – gefilmt aus der Perspektive der anderen Person – schrieben die Teilnehmer:innen ihr Verhalten eher ihrer Veranlagung zu, so wie es ein:e Beobachter:in normalerweise tun würde (Lassiter & Irvine, 1986; Storms, 1973). Zwei wichtige Ausnahmen von unserer üblichen Sichtweise auf unser eigenes Handeln: Bewusst initiierte und beachtenswerte Handlungen attribuieren wir häufiger auf unsere eigenen triftigen Gründe als auf die Situation (Malle, 2006; Malle et al., 2007). Und wenn wir älter werden, neigen wir dazu, unser vergangenes Verhalten vor allem unserer Persönlichkeit zuzuschreiben (Pronin & Ross, 2006). In 5 bis 10 Jahren kann es für uns so wirken, als sei unser jetziges Selbst eine völlig andere Person.
Wie wichtig sind unsere Attributionen? Unsere (personen- oder situationsbezogenen) Attributionen können wichtige Konsequenzen haben (Fincham & Bradbury, 1993; Fletcher et al., 1990). Spiegelt eine herzliche Begrüßung romantische Absichten oder gesellschaftliche Umgangsformen wider? Spiegelt die sarkastische Bemerkung einer Führungskraft eine Bedrohung des Arbeitsplatzes oder einen schlechten Tag wider? Wurde eine Schießerei durch Feindseligkeit oder Notwehr ausgelöst? Attributionen sind wichtig. In einer Studie verhängten 181 staatliche Richter:innen mildere Strafen für eine gewalttätige Person, der ein:e Wissenschaftler:in ein Gen attestierte, das die mit Aggressivität verbundenen Hirnareale verändert (Aspinwall et al., 2012). >>7 von 10 College-Studentinnen haben schon einmal er-
lebt, dass ihre Freundlichkeit von Männern als sexuelle Annäherung fehlinterpretiert wurde.
14
568
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.2 (Copyright © The New Yorker Collection, 1980, J. B. Handelsman/cartoonbank.com)
14
Führen Sie Armut und Arbeitslosigkeit auf soziale Umstände oder auf persönliche Eigenschaften zurück? Forscher:innen in Großbritannien, Indien, Australien und den USA berichteten, dass politisch Konservative dazu neigen, diese sozialen Probleme der persönlichen Veranlagung der Armen und Arbeitslosen selbst zuzuschreiben (Furnham, 1982; Pandey et al., 1982; Wagstaff, 1982; Zucker & Weiner, 1993; . Abb. 14.2; 14.3; 14.4). „Man bekommt im Allgemeinen das, was man verdient. Wer nicht arbeitet, schmarotzt. Wer die Initiative ergreift, kann auch etwas erreichen.“ In Experimenten waren diejenigen, die über die „Macht der Wahl“ nachdachten – entweder indem sie sich an ihre eigenen Entscheidungen erinnerten oder die Entscheidungen anderer zur Kenntnis nahmen –, eher der Meinung, dass Menschen das bekommen, was sie verdienen (Savani & Rattan, 2012). Politisch aufgeschlossene Menschen und diejenigen, die nicht in der Lage sind, die „Macht der Wahl“ in Betracht zu ziehen, machen eher frühere und momentane Situationen dafür verantwortlich: „Wenn Sie oder ich mit derselben mangelhaften Schulbildung, demselben Mangel an Gelegenheiten und derselben Diskriminierung leben müssten, würden wir uns dann nicht genauso verhalten?“ Merken Sie sich: Unsere Attributionen in Bezug auf individuelle Veranlagungen oder auf die jeweilige Situation haben reale Konsequenzen. 14.1.2
Einstellungen und Handlungen
?? 14.2 Wie wirken Einstellungen und Handlungen zu-
sammen?
Einstellungen sind Gefühle, die auf unseren Überzeugungen beruhen und uns dazu prädisponieren, gegenüber Dingen, Menschen und Ereignissen in einer bestimmten Weise zu reagieren. Wenn wir glauben, dass jemand uns
..Abb. 14.3 Eine Frage der Attribution. Ob wir Armut und Obdachlosigkeit durch soziale Umstände oder Persönlichkeitsmerkmale verursacht sehen, beeinflusst unsere politische Einstellung und spiegelt diese wider. (© picture alliance)
bedroht, fühlen wir uns möglicherweise ängstlich und verspüren Ärger gegenüber dieser Person und verhalten uns deswegen abwehrend ihr gegenüber. Die Verbindung zwischen unseren Einstellungen und unserem Verhalten ist bidirektional: Unsere Einstellungen beeinflussen unser Verhalten. Unser Verhalten wiederum beeinflusst unsere Einstellungen. Einstellung („attitude“) – Gefühle, oft von unseren Über-
zeugungen beeinflusst, die Menschen prädisponieren, in einer bestimmten Art und Weise auf Dinge, Menschen und Ereignisse zu reagieren.
Einstellungen können unsere Handlungen beeinflussen In jeder Debatte versuchen Menschen auf beiden Seiten, die Gegner:innen zu bekehren und die Unentschlossenen zu beeinflussen. Diese Überzeugungsarbeit kann auf zwei verschiedenen Wegen erfolgen: Die periphere Route der Überzeugung nutzt aufmerksamkeitserregende Hinweise, um emotionsbasierte vorschnelle Urteile auszulösen. Anerkennung von schönen oder berühmten Menschen kann die Einstellung der Menschen beeinflussen, egal ob es um die Wahl eines politischen Kandidaten oder den Kauf des neuesten Smartphones geht. Wenn der berühmte grüne Aktivist Leonardo DiCaprio zum Handeln gegen den Klimawandel aufruft oder Papst Franziskus (2015) feststellt, dass „der Klimawandel ein globales Problem mit schwerwiegenden Auswirkungen ist“, dann hoffen sie, ihre Glaubwürdigkeit für die periphere Route der Überzeugung nutzen zu können. Auch wenn dies nicht auf systematischen Denkvorgängen beruht, kann es schnelle Ergebnisse hervorbringen.
-
14.1 • Soziales Denken
..Abb. 14.4 Attributionen: Veranlagung vs. Situation. Sollte das Attentat von 2015 auf neun Afroamerikaner:innen, die an einer kirchlichen Bibelstunde in Charleston, West Virginia, teilnahmen, auf die Veranlagung des Schützen zurückgeführt werden? („Schuld daran ist eine Person. Eine Person, die mit Hass erfüllt ist“, sagte die Gouverneurin von South Carolina, Nikki Haley). Oder auf die amerikanische
-
Überzeugung aufgrund der zentralen Route hingegen beruht auf Argumenten und Beweisen, die zum Nachdenken anregen. Um Kund:innen davon zu überzeugen, ein bestimmtes Telefon zu kaufen, könnte eine Werbeanzeige die besonderen Eigenschaften des Telefons herausstellen. Um Unterstützung für Maßnahmen gegen den Klimawandel zu gewinnen, richteten sich die wirksamen Argumente auf die sich ansammelnden Treibhausgase, die schmelzenden arktischen Gletscher, den weltweiten Temperaturanstieg, den Anstieg des Meeresspiegels sowie extreme Wetterlagen (van der Linden et al., 2015). Die Überzeugung aufgrund der zentralen Route funktioniert gut bei Menschen, die von Natur aus analytisch denken oder sich genau mit einem Thema befassen. Da dies mehr Nachdenken erfordert und weniger oberflächlich ist als die Informationsverarbeitung der peripheren Route, sind diese Informationen beständiger.
Periphere Route der Überzeugung („peripheral route persuasion“) – tritt auf, wenn man durch nebensächliche
Hinweise beeinflusst wird, wie beispielsweise die Attraktivität eines Redners bzw. einer Rednerin. Zentrale Route der Überzeugung („central route to persuasion“) – tritt auf, wenn am Thema interessierte Men-
schen sich auf die Argumente konzentrieren und positiv darauf reagieren. Menschen, die uns überzeugen wollen, versuchen unser Verhalten dadurch zu beeinflussen, dass sie unsere Ein-
569
Waffenkultur? („Irgendwann werden wir uns als Land die Tatsache eingestehen müssen, dass diese Art von Massengewalt in anderen fortschrittlichen Ländern nicht in dieser Häufigkeit vorkommt“, sagte der US-Präsident, Barack Obama). Oder auf beides? (© Stephen B. Morton/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
stellung ändern. Aber auch situative Faktoren, wie z. B. starker sozialer Druck, können die Verbindung zwischen Einstellung und Verhalten außer Kraft setzen (Wallace et al., 2005). So könnten Politiker:innen in Abstimmungen trotz persönlicher Vorbehalte gemäß den Wünschen ihrer Anhänger:innen stimmen (Nagourney, 2002). Trotzdem können Einstellungen tatsächlich das Verhalten beeinflussen, wenn andere Einflüsse gering sind, wenn die Einstellung stabil ist und speziell auf das Verhalten abzielt und wenn wir uns unserer Einstellungen deutlich bewusst sind (Glasman & Albarracín, 2006). In einem Experiment wurden sehr lebendige, leicht abzurufende Informationen benutzt, um weiße Studierende davon zu überzeugen, dass das Hautkrebsrisiko bei wiederholter Bräunung steigt. Einen Monat später hatten 72 % Prozent der Teilnehmenden – im Vergleich zu 16 % in einer Wartelisten-Kontrollgruppe – eine hellere Haut (McClendon & Prentice-Dunn, 2001). Die Überzeugung änderte Einstellungen (zum Hautkrebsrisiko), wodurch sich das Verhalten änderte (weniger Bräunung).
Handlungen können unsere Einstellungen beeinflussen Lassen Sie uns nun auf ein überraschenderes Prinzip eingehen: Wir werden nicht nur bisweilen für etwas eintreten, wovon wir überzeugt sind, wir werden allmählich an die Dinge glauben, für die wir eingetreten sind. Zahlreiche Befunde bestätigen, dass Einstellungen dem Verhalten folgen (. Abb. 14.5).
14
570
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
Handlungen
Einstellungen ..Abb. 14.5 Einstellungen folgen dem Verhalten. Kooperative Handlungen, wie etwa jene, die Menschen im Mannschaftssport ausführen (darunter auch Argentinien, das hier seinen Sieg bei der Fußball-Weltmeisterschaft der Männer 2022 feiert), fördern gegenseitige Sympathie. Solche Einstellungen dienen wiederum einem positiven Verhalten. (© Ken Satomi/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
zz Foot-in-the-Door-Technik
14
Wenn man Menschen dazu überredet, gegen ihre Überzeugungen zu handeln, kann dies einen Einfluss auf ihre Einstellung haben. Während des Korea-Kriegs wurden viele US-Soldat:innen in chinesischen kommunistischen Kriegsgefangenenlagern festgehalten. Ohne brutale Mittel anzuwenden, sicherten sich die Chines:innen die Mitarbeit Hunderter ihrer Gefangenen durch verschiedene Aktivitäten, die von einfachen Aufgaben (Aufträge ausführen, um Privilegien zu erhalten) bis hin zu schwerwiegenden Handlungen (falsche Geständnisse machen, Mitgefangene ausspionieren und militärische Informationen preisgeben) reichten. Als der Krieg zu Ende war, entschieden sich 21 Gefangene dafür, bei den Kommunist:innen zu bleiben. Viele kehrten nach einer „Gehirnwäsche“ nach Hause zurück und waren überzeugt davon, dass der Kommunismus gut für Asien war. Wie erreichten die Chines:innen diese beeindruckenden Ergebnisse? Ein Hauptbestandteil ihres Programms war die wirkungsvolle Anwendung der Foot-in-the-DoorTechnik. Diese Vorgehensweise bringt die Menschen, die einer belanglosen Handlung zustimmen, dazu, später an einer Handlung mit weitreichenderen Konsequenzen mitzuwirken. Die Chines:innen begannen mit harmlosen Forderungen und steigerten ihre Forderungen an die Gefangenen allmählich (Schein, 1956). Nachdem die Kommunist:innen die Gefangenen „trainiert“ hatten, triviale Aussagen zu machen oder niederzuschreiben, baten sie
sie, etwas Wichtigeres abzuschreiben oder es zu entwerfen, wie z. B. die Mängel des Kapitalismus zu notieren. Anschließend nahmen die Gefangenen, vielleicht um bestimmte Vorrechte zu bekommen, an Gruppendiskussionen teil, schrieben Selbstkritiken oder machten öffentliche Geständnisse. Nachdem sie das getan hatten, korrigierten sie häufig ihre Meinung in Richtung auf eine größere Übereinstimmung mit ihren öffentlichen Handlungen. Die Sache verhält sich ganz einfach, stellt Cialdini (1993) fest: Um Leute dazu zu bringen, einer großen Sache zuzustimmen, muss man „klein anfangen und dann darauf aufbauen“. Eine vergleichsweise unbedeutende Handlung lässt eine weitere Handlung leichter werden. Unterliegen Sie einer Versuchung, wird es bei der nächsten Versuchung für Sie schwieriger sein zu widerstehen. Foot-in-the-Door-Technik („foot-in-the-door phenomenon“) – Neigung von Menschen, die zunächst einer be-
scheidenen Forderung zugestimmt haben, später auch einer weiter gehenden Forderung zuzustimmen. In Dutzenden von Experimenten wurden Menschen dazu gebracht, ihren Einstellungen zuwider zu handeln oder ihre eigenen moralischen Standards zu missachten. Aus Worten werden Überzeugungen. Wenn man Menschen dazu verleitet, einem unschuldigen Opfer Schaden zuzufügen – durch hässliche Bemerkungen oder durch die Verabreichung vermeintlicher elektrischer Stromstöße –, fangen sie an, ihr Opfer zu verachten. Ähnliches gilt, wenn man dazu gebracht wird, schriftlich oder mündlich eine Position zu vertreten, an der man vorher Zweifel hatte. Man beginnt dann, seinen eigenen Worten Glauben zu schenken. Glücklicherweise funktioniert das Prinzip „Die Einstellung folgt dem Verhalten“ nicht nur bei schlechten, sondern auch bei guten Taten. In einem Versuch baten Forschende Kalifornier:innen, in ihren Vorgärten ein großes Schild mit der Botschaft „Fahren Sie vorsichtig“ aufstellen zu dürfen (Freedman & Fraser, 1966). Die 17 % an Zustimmung stieg auf 76 % bei denjenigen, die zuerst einen kleinen Gefallen taten – ein kleines Schild mit der Aufschrift „Seien Sie ein:e sichere:r Fahrer:in“ aufstellen. Die Foot-in-the-Door-Technik hat dabei geholfen, karitative Beiträge, Blutspenden und die Aufhebung der Rassentrennung in den USA zu fördern. Mit der Verabschiedung der Bürgerrechtsgesetze 1964 wurde die Aufhebung der Rassentrennung in den Schulen zum Gesetz. In den Jahren unmittelbar danach brachten weiße Amerikaner:innen immer weniger rassistische Vorurteile zum Ausdruck. Und in dem Maße, wie sich die Amerikaner:innen in unterschiedlichen Regionen in ihren Verhaltensweisen aneinander anglichen – aufgrund der einheitlicheren landesweiten Standards gegen Diskriminierung –, fingen sie auch an, ähnlicher zu denken.
571
14.1 • Soziales Denken
a
b
..Abb. 14.6 a,b Die Macht der Situation. In der Stanford-PrisonSimulation von Philip Zimbardo (1972), einer Gefängnissituation voller Sprengkraft (a), wurde bei denjenigen, denen eine Wärterrolle zugewiesen wurde, abwertendes Verhalten ausgelöst. Im realen Leben quälten im Jahr 2004 US-Militärwachen irakische Häftlinge im von Amerikaner:innen geleiteten Gefängnis Abu Ghraib (b). Für Zimbar-
do (2004, 2007) war es in diesem Fall eher eine ganze Kiste voller fauler Äpfel als einige einzelne, die zu diesen Grausamkeiten führten: „Wenn ganz gewöhnliche Menschen an einen neuartigen bösen Ort (wie es etwa die meisten Gefängnisse sind) versetzt werden, wird die Situation gewinnen und die Menschen verlieren.“ (a: © Philip G. Zimbardo, Inc.; b: © exclusive_to_The_Washinton_Post/dpa/picture-alliance)
zz Rollenverhalten beeinflusst Einstellungen
Rolle („role“) – Reihe von Erwartungen (Normen) an eine
Wenn Sie eine neue Rolle einnehmen – wenn Sie zu studieren beginnen, heiraten oder eine neue Arbeit antreten –, sind Sie bestrebt, sich an die gesellschaftlichen Vorgaben zu halten. Zunächst mag sich Ihr Verhalten unecht anfühlen, weil Sie eine Rolle spielen. Die ersten Wochen im Militärdienst fühlen sich irgendwie künstlich an, als täte man nur so, als sei man Soldat. Nach einer Weile geschieht jedoch Folgendes: Was als Theaterspiel auf der Bühne des Lebens begann, wird zum Leben selbst. Wie Bobbie Barrett von Mad Men riet: „Wählen Sie einen Job und werden Sie dann die Person, die ihn ausführt.“
» „Fake it until you make it.“ Redewendung der Anonymen Alkoholiker
In einer bekannten Studie, in der männliche Studierende Zeit in einem simulierten Gefängnis verbrachten, verwandelte sich ein Rollenspiel in reales Leben. Nach dem Zufallsprinzip ernannte der Psychologe Philip Zimbardo (1972) einige der freiwilligen Teilnehmer zu Wachpersonal; er gab ihnen Uniformen, Knüppel und Pfeifen und leitete sie an, bestimmte Regeln durchzusetzen. Der Rest wurde zu Gefangenen; sie wurden in leere Zellen gesperrt und dazu gezwungen, erniedrigende Kleidung zu tragen. Nach ein oder zwei Tagen, an denen die Freiwilligen selbstbewusst ihre Rollen „spielten“, wurde die Situation real – allzu real. Manche Wachleute entwickelten abschätzige Einstellungen und ein dritter wurde „tyrannisch“; er führte grausame und erniedrigende Routinen ein. Nach und nach brachen die Gefangenen zusammen, rebellierten oder resignierten, was Zimbardo dazu veranlasste, die Studie nach nur sechs Tagen abzubrechen (. Abb. 14.6).
soziale Position. Sie definiert, wie sich jemand in dieser Position verhalten sollte. Kritiker:innen stellen die Zuverlässigkeit von Zimbardos Ergebnissen in Frage (Griggs, 2014). Aber so viel scheint wahr: Rollenspiele können Menschen dazu ausbilden, in der realen Welt zu Folterern zu werden (Staub, 1989). Die griechische Militärjunta führte in den frühen 70er Jahren eine Gruppe von Männern in ihre Rolle ein. Die Indoktrinierung der Männer erfolgte in kleinen Schritten. Zunächst stand der Auszubildende vor den Verhörzellen Wache – der Foot-in-the-Door-Effekt. Dann stand er Wache in der Zelle. Erst danach sollte er aktiv in das Verhör und die Folter einbezogen werden. In einer Studie mit deutschen Männern härtete die militärische Ausbildung ihre Persönlichkeit ab, sodass sie selbst fünf Jahre später, nachdem sie das Militär verlassen hatten, weniger umgänglich waren (Jackson et al., 2012). Wir werden langsam zu dem, was wir tun: Jedes Mal, wenn wir uns wie die Menschen um uns herum verhalten, verändern wir uns selbst ein wenig, sodass wir mehr wie sie und weniger wie diejenigen sind, die wir einmal waren. Dennoch sind Menschen verschieden. Sowohl in Zimbardos Gefängnisexperiment als auch in anderen realen Situationen, die bösartiges Verhalten bewirken, sind manche Personen der Macht der Situation erlegen und andere nicht (Carnahan & McFarland, 2007; Haslam & Reicher, 2007, 2012; Mastroianni & Reed, 2006; Zimbardo, 2007). Es besteht eine Interaktion zwischen der Situation und der Person. zz Kognitive Dissonanz: Freisetzung von Spannung
Bisher haben wir erfahren, dass Handlungen unsere Einstellungen beeinflussen können: Manchmal wird aus Gefangenschaft Kollaboration, werden Zweifelnde zu
14
572
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
Gläubigen und gesetzestreue Wachen zu Täter:innen. Aber warum? Eine Erklärung hierfür ist die Folgende: Wenn wir uns bewusst sind, dass unsere Einstellungen und Handlungen nicht miteinander übereinstimmen, erleben wir einen unangenehmen Spannungszustand oder eine kognitive Dissonanz. Tatsächlich werden jene Gehirnregionen, die aktiv werden, wenn Menschen andere Formen mentaler Anspannung und negativer Erregung empfinden, auch aktiv, wenn Menschen kognitive Dissonanz erleben (Harmon-Jones et al., 2015; Kitayama et al., 2013). Um diese Spannung zu verringern, bringen wir oft laut der von Leon Festinger vorgeschlagenen Theorie der kognitiven Dissonanz unsere Einstellungen in Einklang mit unseren Handlungen. Theorie der kognitiven Dissonanz („cognitive dissonance theory“) – besagt, dass wir handeln, um den unangeneh-
men Zustand (kognitive Dissonanz) zu verringern, den wir empfinden, wenn zwei unserer Gedanken (Kognitionen) miteinander inkonsistent sind. Wenn beispielsweise unsere bewusste Einstellung unseren Handlungen widerspricht, können wir die Dissonanz, die sich daraus ergibt, verringern, indem wir unsere Einstellung ändern.
14
In Dutzenden von Experimenten wurde die Theorie der kognitiven Dissonanz getestet. Menschen wurden dazu gebracht, Verantwortung für ein Verhalten zu übernehmen, das nicht mit ihren Einstellungen übereinstimmte und das absehbare Konsequenzen hatte. Wenn Sie an einem dieser Experimente teilnehmen, sind Sie vielleicht für mickrige 2 € bereit, einem Forscher oder einer Forscherin zu helfen, indem Sie in einem Aufsatz Thesen vertreten, die nicht Ihrer Meinung entsprechen (vielleicht treten Sie für höhere Studiengebühren ein). Wenn Sie sich für Ihre Aussagen (die nicht mit Ihrer Einstellung übereinstimmen) verantwortlich fühlen, nehmen Sie möglicherweise Dissonanz wahr, insbesondere, wenn Sie davon ausgehen, dass Ihr Aufsatz Angestellte der Universitätsverwaltung beeinflussen könnte. Wie könnten Sie diese unangenehme Dissonanz verringern? Eine Möglichkeit wäre, Ihren unwahren Worten allmählich selbst zu glauben. Es ist, als würden wir denken: „Wenn ich mich dafür entscheide, es zu tun (oder zu sagen), muss ich auch daran glauben.“ Je weniger wir uns genötigt fühlen und je mehr Verantwortung wir für eine schwierige Handlung empfinden, desto mehr Dissonanz nehmen wir wahr. Je mehr Dissonanz wir wahrnehmen, desto geneigter sind wir, nach Harmonie zu streben, indem wir beispielsweise unsere Einstellungen verändern, um unser Tun dadurch eher rechtfertigen zu können. Aus dem Prinzip, dass Einstellungen dem Verhalten folgen, ergibt sich eine ermutigende Schlussfolgerung. Zwar können wir nicht alle unsere Gefühle unmittelbar steuern, doch wir können sie beeinflussen, indem wir unser Verhalten ändern. Wenn wir gerade deprimiert sind, können wir unsere Attributionen ändern und positiver
von unseren Erfahrungen, mit mehr Selbstachtung und weniger Selbstverurteilung, sprechen (Rubenstein et al., 2016). Wenn wir lieblos sind, können wir dies ändern, indem wir uns verhalten, als wären wir liebevoll. Wir können wohlüberlegt handeln, Zuneigung zum Ausdruck bringen und andere bestätigen. „Jedes Mal, wenn Sie sich fragen: ‚Wie sollte ich handeln?‘“, beobachtet Robert Levine (2016), „fragen Sie auch: ‚Wer ist die Person, die ich werden möchte?‘“ Das erklärt, warum Jugendliche, die sich wohltätig engagieren, auch eine mitfühlendere Persönlichkeit annehmen. Aus Täuschung kann Realität werden. Das Verhalten verändert den Charakter. Wir werden, was wir tun.
» „Sitzen Sie den ganzen Tag in einer trübseligen Haltung
da, seufzen Sie und antworten Sie auf alles mit einer düsteren Stimme, und Ihre Melancholie wird bleiben … Wenn wir unerwünschte emotionale Tendenzen in uns überwinden möchten, müssen wir … durch die äußeren Bewegungen der konträren Stimmungen hindurchgehen, die wir lieber kultivieren würden.“ William James, Principles of Psychology (1890)
Merken Sie sich: Genauso wie unser Verhalten unser Denken verändern kann, kann unser Denken unser Verhalten verändern. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Als Marco an einem Wintertag Auto fährt, kann er gerade noch einem Wagen ausweichen, der an einer roten Ampel weiterrutscht. „Fahr doch langsamer! Was für ein schlechter Fahrer“, denkt er bei sich. Einige Augenblicke später rutscht Marco selbst über eine Kreuzung und stöhnt: „Oh je, die Straßenverhältnisse sind wirklich grauenhaft. Die Stadt muss hier den Schneepflug mal einsetzen.“ Welches sozialpsychologische Prinzip hat Marco gerade verdeutlicht? Erklären Sie, warum. – Wie beeinflussen sich unsere Einstellungen und unser Verhalten gegenseitig? – Wenn eine Person so handelt, dass dies im Widerspruch zu ihren Einstellungen steht und dann ihre Einstellungen so verändert, dass sie zu diesen Handlungen passen, erklärt die Theorie der ___, wieso sie das tut.
14.1.3
Rückblick: Soziales Denken
Verständnisfragen
14.1 – Was erforschen Sozialpsycholog:innen? Wie er-
klären wir das Verhalten anderer und unser eigenes? 14.2 – Wie wirken Einstellungen und Handlungen zusammen?
573
14.2 • Sozialer Einfluss
-----
Schlüsselbegriffe Attributionstheorie Einstellung Foot-in-the-Door-Technik Fundamentaler Attributionsfehler Periphere Route der Überzeugung Rolle Sozialpsychologie Theorie der kognitiven Dissonanz Zentrale Route der Überzeugung
Master the Material 1. Wenn wir einer Person begegnen, die scheinbar unter Drogeneinfluss steht, und wir den fundamentalen Attributionsfehler begehen, dann werden wir das Verhalten dieser Person wahrscheinlich auf ___ zurückführen. a. moralische Schwäche oder eine Suchtpersönlichkeit b. Gruppenzwang c. die leichte Verfügbarkeit von Drogen in der Großstadt d. die gesellschaftliche Akzeptanz von Drogenkonsum 2. Die Anerkennung von berühmten Menschen in der Werbung führt oft dazu, dass Konsumenten aufgrund der ___ (zentralen/peripheren) Route der Überzeugung zum Kauf von Produkten bewegt werden. 3. Wir neigen dazu, einen größeren Gefallen eher zu tun, wenn wir bereits einen kleinen Gefallen getan haben. Diese Tendenz wird als ___-Phänomen bezeichnet. 4. Jamals Therapeut hat vorgeschlagen, dass Jamal „so tun soll, als ob“ er selbstbewusst ist, obwohl er sich unsicher und schüchtern fühlt. Welche sozialpsychologische Theorie würde diesen Vorschlag am ehesten befürworten und was hofft der Therapeut damit zu erreichen? 14.2 Sozialer
Einfluss
Die große Lektion der Sozialpsychologie ist die Erkenntnis, wie ungeheuer groß die Wirkung des sozialen Einflusses ist. Dieser Einfluss ergibt sich zum Teil aus sozialen Normen – Regeln für erwartetes und akzeptables Verhalten. Auf dem Campus tragen wir Jeans; in der New Yorker Wall Street oder der Frankfurter Börse tragen wir Anzug und Krawatte oder Kostüm: Das ist die Norm. Wenn wir wissen, wie wir handeln müssen, wie wir uns zurechtmachen müssen, wie wir reden müssen, geht das Leben problemlos vonstatten. Aber manchmal treibt sozialer Druck Menschen in schreckliche Richtungen. Wenn Andersdenkende nur unter sich und isoliert sind, werden sie möglicherweise allmählich zu Rebell:innen, und aus diesen werden vielleicht Terrorist:innen. Phänomene wie Suizide, Bombendrohungen, Flugzeugent-
führungen und UFO-Sichtungen haben seltsamerweise eins gemeinsam: Sie treten oft in Gruppen auf. Nach einer Massentötung (von vier oder mehr Menschen) steigt die Wahrscheinlichkeit eines weiteren solchen Angriffs für die darauffolgenden 13 Tage (Towers et al., 2015). Die über 100 Schulschießereien in den USA seit 2012 sind ein modernes Phänomen. Im Folgenden werden wir uns mit dem Einfluss solcher gesellschaftlichen Normen beschäftigen. Wie stark sind sie? Wie funktionieren sie? Wann brechen wir sie?
» „Ist Ihnen je aufgefallen, wie ein gutes oder schlechtes Beispiel andere zum Nachahmen verleitet? Wie ein falsch geparktes Fahrzeug anderen die Erlaubnis zu geben scheint, es ebenso zu machen? Wie ein fremdenfeindlicher Witz Tür und Tor für viele weitere öffnet?“ Marian Wright Edelman, The Measure of Our Success (1992)
14.2.1
Konformität: Sozialem Druck nachgeben
?? 14.3 Was ist soziale Ansteckung? Wie können Ex-
perimente zur Konformität die Macht von sozialem Einfluss demonstrieren?
Soziale Ansteckung Fische schwimmen und Vögel fliegen in Schwärmen. Und auch Menschen neigen dazu, sich nach ihrer Gruppe zu richten, ihr Denken und Handeln der Gruppe entsprechend anzupassen (. Abb. 14.7). Verhalten ist ansteckend. Wenn jemand gähnt, lacht, hustet, in den Himmel starrt oder auf sein Handy schaut, machen die anderen oft dasselbe (Holle et al., 2012). Schon allein das Lesen über das Gähnen verstärkt das Gähnen (Provine, 2012), wie Sie vielleicht schon bemerkt haben? Mimikry beim Gähnen kommt auch bei anderen Arten vor – zum Beispiel bei Schimpansen (Anderson et al., 2004) – und sogar artenübergreifend: Hunde gähnen häufiger, nachdem sie ihr Herrchen oder Frauchen beim Gähnen beobachtet haben (Silva et al., 2012). Tanya Chartrand und John Barg (1999) bezeichnen diese soziale Ansteckung als den „Chamäleon-Effekt“ und vergleichen ihn mit der Fähigkeit von Chamäleons, die Farbe ihrer Umgebung anzunehmen. Sie ließen Studierende zusammen mit einer Person (eigentlich ein:e „Verbündete:r“ der Versuchsleitung) in einem Zimmer arbeiten. Bisweilen rieb sich diese Person das Gesicht; und ein anderes Mal wackelte sie mit dem Fuß. Mit ziemlicher Sicherheit neigten die Versuchspersonen dazu, sich auch das Gesicht zu reiben, wenn sie mit dem Menschen konfrontiert waren, der sich das Gesicht rieb, und mit ihrem eigenen Fuß zu wackeln, wenn sie mit dem Menschen zusammen waren, der mit dem Fuß wackelte. Soziale Ansteckung ist nicht auf das Verhalten beschränkt. Wir
14
574
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.7 (© Dave Coverly/speedbump.com)
14
menschlichen Chamäleons übernehmen auch die emotionale Stimmung unserer Mitmenschen – ihre Mimik, ihre Körperhaltung, ihren Tonfall und sogar ihren Sprachstil (Ireland & Pennebaker, 2010). Es ist ein großer Unterschied, ob jemand einen neutralen Text mit einer fröhlichen oder traurigen Stimme vorliest: Die Zuhörenden werden von seiner Stimmung angesteckt (Neumann & Strack, 2000).
» „Wenn ich Synchronität und Mimikry beobachte – ob es nun Gähnen, Lachen, Tanzen oder Nachäffen eines anderen ist – sehe ich soziale Bindungen.“ Primatologe Frans de Waal, The Empathy Instinct (2009)
Diese natürliche Mimikry hilft uns, Empathie zu empfinden – nachzuempfinden was andere fühlen. Damit kann man auch erklären, warum wir uns unter fröhlichen Menschen besser fühlen als unter depressiven und warum man bei der Untersuchung verschiedener Gruppen britischer Angestellter „emotionale Ansteckung“ nachweisen konnte (Totterdell et al., 1998). Empathische Nachahmung bewirkt, dass man gemocht wird (Chartrand & van Baaren, 2009; Lakin et al., 2008). Haben Sie schon einmal bemerkt, dass Sie jemanden mehr mögen, wenn er genau dann nickt, wenn Sie auch nicken und er Ihre Worte wiederholt? Soziale Netzwerke haben eine ansteckende Wirkung auf Stimmungen wie Glück und Einsamkeit, Drogenkonsum und sogar auf Verhaltensmuster, die zu Fettleibigkeit und Schlafproblemen führen (Christakis & Fowler,
..Abb. 14.8 Soziale Ansteckung. Lachen ist, genau wie Gähnen, ansteckend. Das haben die Zuschauer:innen von „Chewbacca Mom“ (Candace Payne) herausgefunden, nachdem ihre spontane Heiterkeit mit 164 Mio. Aufrufen das meistgesehene Facebook-Live-Video 2016 wurde. (tinyurl.com/ThatLaugh; © Wade Payne/AP Photo/pmairs/ File/picture alliance)
2009; . Abb. 14.8). Auf Webseiten führen positive Bewertungen zu weiteren positiven Bewertungen – ein Phänomen, das als „positive herding“ bezeichnet wird (Muchnik et al., 2013). In einem groß angelegten Experiment am Tag der US-Kongresswahlen 2010 zeigte Facebook 61 Mio. Menschen eine Nachricht, die zur Stimmabgabe aufforderte, mit einem Link zu einem lokalen Wahllokal und einem anklickbaren „Ich habe gewählt“-Button. Bei einigen Empfänger:innen enthielten die Nachrichten auch Bilder von Facebook-Freund:innen, die bereits gewählt hatten. Diejenigen, die eine Nachricht mit der Aufforderung „Erzählen Sie Ihren Freund:innen, dass Sie gewählt haben“ erhielten, stimmten mit etwas höherer Wahrscheinlichkeit ab, und dieser Unterschied führte zu schätzungsweise 282.000 zusätzlichen Stimmen. Manchmal sind die Auswirkungen der Beeinflussbarkeit ernsterer Natur. In der Woche nach der Schießerei an der Columbine High School in Colorado im Jahre 1999 wurde in allen amerikanischen Bundesstaaten außer in Vermont mit Nachahmungstaten gedroht. Allein in Pennsylvania kam es zu 60 solcher Drohungen (Cooper, 1999). Anstiege der Suizidraten folgen manchmal auf einen öffentlichkeitswirksamen Suizid (Phillips et al., 1985, 1989). Nach dem von Marilyn Monroe am 5. August 1962 überstieg die Zahl in den USA den durchschnittlichen Augustwert um 200. (In Deutschland kennt man dieses Phänomen der medieninduzierten Selbsttötung als „Werther-Effekt“ schon seit dem Ende des 18. Jahrhun-
575
14.2 • Sozialer Einfluss
..Abb. 14.9 (NON SEQUITUR © 2000 Wiley Ink, Inc.. Dist. By UNIVERSAL UCLICK. Reprinted with permission. All rights reserved)
derts, als Johann Wolfgang von Goethes Roman Die Leiden des jungen Werther eine Reihe von Suiziden in ganz Europa auslöste.) Was ist die Ursache für diese Häufung? Handeln Menschen ähnlich, weil sie sich gegenseitig beeinflussen? Oder weil sie gleichzeitig denselben Ereignissen und Lebensbedingungen ausgesetzt sind? Auf der Suche nach Antworten führten Sozialpsycholog:innen Versuche zu Konformität durch.
Konformität und soziale Normen Beeinflussbarkeit und Mimikry sind subtile Formen der Konformität (Anpassung unseres Verhaltens oder Denkens an einen bestimmten Gruppenstandard; . Abb. 14.9). Konformität („conformity“) – Anpassung des Verhaltens oder Denkens, um mit dem Gruppenstandard übereinzustimmen.
Um den wahrgenommenen Druck zu untersuchen, sich konform zum Gruppenstandard zu verhalten (Konformitätsdruck), entwickelte Solomon Asch (1955) einen einfachen Test. Stellen Sie sich vor, Sie nähmen an einem Versuch teil, von dem Sie denken, es gehe um visuelle Wahrnehmung. Sie kommen pünktlich an den Versuchsort, um an einem Tisch Platz zu nehmen, wo bereits fünf Personen sitzen. Die Versuchsleitung fragt eine Versuchsperson nach der anderen, welche von drei Vergleichslinien mit einer Standardlinie identisch ist. Sie sehen deutlich, dass die Antwort Linie 2 lautet und warten, bis Sie an der Reihe sind, um nach den anderen diese Antwort zu geben. Dieser Versuch beginnt Sie allmählich zu langweilen, weil sich auch der nächste Linientest als ganz leicht erweist. Jetzt kommt der 3. Versuch, und die richtige Antwort erscheint ebenso offensichtlich (. Abb. 14.10), aber die erste Versuchsperson sagt etwas, was Ihnen falsch erscheint: „Linie 3“. Wenn die 2., 3. und 4. Versuchsperson ebenfalls die falsche Antwort nennen, setzen Sie sich aufrecht hin, kneifen die Augen zusammen und schauen noch einmal genau hin. Wenn die 5. Versuchsperson mit
den ersten vier übereinstimmt, merken Sie, wie Ihr Herz laut zu schlagen beginnt. Dann sind Sie an der Reihe. Sie sind hin- und hergerissen zwischen der Einmütigkeit der anderen fünf Befragten und der Realität vor Ihren Augen, Sie fühlen sich angespannt und wesentlich unsicherer als noch vor wenigen Minuten. Sie zögern, bevor Sie antworten, und fragen sich, ob Sie es sich wirklich antun wollen, als Außenseiter:in zu gelten. Welche Antwort geben Sie? In Aschs Experimenten betrug die Fehlerquote der Studierenden weniger als 1 %, wenn sie die Fragen nach der Linienlänge alleine beantworteten. Aber die Ergebnisse sahen ganz anders aus, wenn mehrere andere (Eingeweihte, die für die Versuchsleitung arbeiteten) falsch antworteten. Obwohl die meisten Teilnehmer:innen richtig antworteten, auch wenn die anderen das nicht taten, war Asch beunruhigt von seinen Ergebnissen: Über ein Drittel dieser „intelligenten und wohlgesonnenen“ studentischen Versuchspersonen waren bereit, sich ein X für ein U vormachen zu lassen, um mit der Gruppe übereinzustimmen. Auch wenn in späteren Versuchen nicht immer ein solches Maß an Konformität nachgewiesen werden konnte, zeigen sie dennoch, dass Konformität zunimmt, wenn man dazu gebracht wird, sich inkompetent oder unsicher zu fühlen. die Gruppe aus mindestens drei Leuten besteht. die Gruppe sich einig ist. (Die abweichende Meinung nur einer einzigen anderen Person bestärkt den Mut deutlich, ebenfalls anderer Meinung zu sein.) man den Status und die Attraktivität der Gruppe hoch einschätzt. man sich nicht vorher in irgendeiner Weise auf eine Antwort festgelegt hat. man von den anderen in der Gruppe beobachtet wird. man durch die eigene Kultur besonders ermutigt wird, soziale Standards zu respektieren.
---
Warum denken wir so oft das, was andere denken, und tun das, was andere tun? Wieso sind die Antworten von Studierenden auf eine kontroverse Frage viel einheitlicher,
14
576
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
Standardlinie
a
14
Vergleichslinien
1
2
3
b
..Abb. 14.10 a,b Aschs Konformitätsexperimente. a Welche der drei Vergleichslinien entspricht der Standardlinie? Was glauben Sie, würden die meisten Leute sagen, nachdem sie 5-mal gehört haben, dass die anderen mit „Linie 3“ antworteten? b In diesem Foto, das bei einem von Aschs Versuchen gemacht wurde, zeigt der Versuchsteilnehmer in der Mitte eine deutliche Anspannung angesichts
der Tatsache, dass die übrigen Gruppenmitglieder (Vertraute der Versuchsleitung) andere Antworten gaben. (a: Nach Asch, 1955, Scientific American, 193, 31–35, mit freundlicher Genehmigung; b: Aus Asch 1955, Scientific American, 193, 31–35. Reproduced with permission. Copyright © 1955 Scientific American, Inc. All rights reserved)
wenn man sie per Handzeichen abgeben muss und nicht anonym an einem elektrischen Zählgerät (Stowell et al., 2010)? Warum klatschen wir, wenn andere klatschen, warum essen wir, wie andere essen, warum glauben wir, was andere glauben, warum sehen wir gar, was andere sehen? Häufig geschieht dies, weil wir Ablehnung vermeiden wollen oder nach sozialer Anerkennung streben (Williams & Sommer, 1997; . Abb. 14.11). In solchen Fällen reagieren wir auf das, was Sozialpsycholog:innen normativen sozialen Einfluss nennen. Wir orientieren uns an sozialen Normen, weil wir möglicherweise einen hohen Preis zahlen, wenn wir anders sind. Wir brauchen ein Gefühl von Zugehörigkeit. Manchmal verhalten wir uns auch konform, weil wir richtig handeln wollen. Gruppen liefern ja möglicherweise wertvolle Informationen, und nur ein ungewöhnlich sturer Mensch wird nie auf andere hören. Wenn wir die Meinungen der anderen übernehmen, wie z. B. beim Lesen von Film- und Restaurantbewertungen im Internet, reagieren wir auf den informationalen sozialen Einfluss. Wie eine walisische Autofahrerin 2004 zeigte, zahlt es sich manchmal aus, anzunehmen, dass andere Recht haben und ihnen zu folgen. Sie stellte einen Rekord auf für die längste Strecke, die je ein Mensch auf der falschen Seite einer britischen Autobahn mit Grünstreifen in der Mitte gefahren war: 48 km mit nur einem kleinen Schwenker, bevor das Ende der walisischen Autobahn erreicht war und die Polizei ihre Reifen mit Kugeln durchlöchern konnte. Die alkoholisierte Fahrerin erklärte später, sie sei der Meinung gewesen, dass Hunderte anderer Fahrer:innen, die ihr entgegenkamen, alle auf der falschen Seite der Autobahn fuhren (Woolcock, 2004).
Ist Konformität schlecht oder gut? Konformität kann schlecht sein – sie führt dazu, dass Menschen Unwahrheiten zustimmen oder sich an Mobbing beteiligen. Oder sie kann gut sein und Menschen dazu bringen, großzügiger zu geben, nachdem sie die Großzügigkeit anderer beobachtet haben (Nook et al., 2016). Die Antwort hängt auch von unseren kulturell beeinflussten Wertvorstellungen ab. Menschen aus Asien, Afrika und Lateinamerika legen einen großen Wert auf Kollektivismus (das Einhalten von Gruppenstandards). Westeuropäer:innen und die meisten Menschen, die aus englischsprachigen Ländern stammen, neigen dazu, Individualismus (persönliche Ziele über Gruppenziele zu stellen) höher zu bewerten als Konformität und Gehorsam. Diese Wertvorstellungen kommen in Versuchen zum sozialen Einfluss zum Ausdruck, die in 17 Ländern durchgeführt wurden: In individualistischen Kulturen ist die Konformitätsrate niedriger (Bond & Smith, 1996). Amerikanische Studierende beurteilen sich selbst beispielsweise in den verschiedensten Bereichen als weniger konform als andere (Pronin et al., 2007). In unseren eigenen Augen sind wir Individuen inmitten einer Schafsherde (. Abb. 14.12).
Normativer sozialer Einfluss („normative social influence“)
– Einfluss, der sich aus dem Wunsch einer Person ergibt, Zustimmung zu bekommen und Ablehnung zu vermeiden. Informationaler sozialer Einfluss („informational social influence“) – Einfluss, der sich aus der Bereitschaft eines
Menschen ergibt, die Meinungen anderer über die Wirklichkeit anzunehmen.
>>Wie Menschen passen sich Wander- und Herdentiere so-
wohl aus informationellen als auch aus normativen Gründen an (Claidière & Whiten, 2012). Die Beobachtung anderer Gänse ist aufschlussreich; im Vergleich zu einzelnen Gänsen wandert ein Gänseschwarm genauer. (In der Masse waltet die Weisheit.) Und das Bleiben bei der Herde erhält auch die Gruppenzugehörigkeit aufrecht. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Trotz der Bitten ihrer Mutter, einen ergonomischeren Rucksack zu benutzen, besteht Antonia darauf, alle ihre Bücher in einer übergroßen Handtasche zur High School zu tragen, wie es ihre modischen Freundinnen anscheinend alle tun. Von welcher Art von sozialem Einfluss ist Antonia betroffen?
14.2 • Sozialer Einfluss
..Abb. 14.11 Tätowierungen: Gestern nonkonform, heute konform? Da Tätowierungen mittlerweile als Modekonformität wahrgenommen werden, könnte ihre Beliebtheit abnehmen. (© Jacob Lund/stock. adobe.com)
14.2.2
Gehorsam: Befehle befolgen
?? 14.4 Was lehrten uns die Experimente von Milgram
zum Gehorsam über die Macht von sozialen Einflüssen?
Der Sozialpsychologe Stanley Milgram (1963, 1974; . Abb. 14.13), ein Mitschüler von Philip Zimbardo und später Schüler von Solomon Asch, wusste, dass Menschen häufig dem sozialen Druck nachgeben. Aber wie würden sie auf regelrechte Befehle reagieren, wie es diejenigen taten, die die Gräueltaten des Holocausts
..Abb. 14.12 (Mike Twohy/ The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
577
ausführten? (Einige von Milgrams Familienmitgliedern waren Überlebende der NS-Konzentrationslager.) Um dies herauszufinden, führte er ein Experiment durch, das zum berühmtesten und umstrittensten der Sozialpsychologie werden sollte (Benjamin & Simpson, 2009). Stellen Sie sich vor, Sie wären einer der nahezu 1000 Versuchsteilnehmer:innen an Milgrams 20 Experimenten. Sie haben auf eine Anzeige geantwortet und kommen nun zum psychologischen Institut der Yale-Universität, um an einem Versuch teilzunehmen. Die Assistenz von Professor Milgram erklärt Ihnen, dass in der Studie untersucht wird, welche Auswirkungen Bestrafung auf das Lernen hat. Sie und eine weitere Versuchsperson ziehen ein Los aus einem Hut, um zu sehen, wer „Lehrer:in“ sein wird und wer „Schüler:in“. Sie ziehen das „Lehrer:in“-Los (ohne zu wissen, dass auf beiden Losen „Lehrer:in“ steht). Der vermeintliche Schüler, ein ruhiger und unterwürfig wirkender Mann, wird dann in einen angrenzenden Raum geführt und auf einem Stuhl festgeschnallt, der durch die Wand mit Ihrem Gerät verkabelt ist. Sie setzen sich vor eine Schockmaschine und bekommen Ihre Aufgabe: Sie lehren und prüfen dann eine Liste von Wortpaaren. Für falsche Antworten müssen Sie den Schüler mit leichten Stromstößen bestrafen, wobei Sie mit einer Stufe beginnen, die als „15 Volt – leichter Schock“ gekennzeichnet ist. Nach jedem Fehler des Schülers müssen Sie die nächsthöhere Stromstärke wählen. Bei jedem Umlegen eines Schalters blitzen Lichter auf und summen elektrische Schalter. Der Versuch beginnt und Sie geben nach den ersten beiden falschen Antworten jeweils einen Elektroschock. Wenn Sie den Instruktionen der Versuchsleitung Folge leisten, hören Sie den Schüler seufzen, wenn Sie den 3., 4. und 5. Schalter betätigen. Nach Aktivierung des 8. Schalters (als „120 Volt – mittlerer Schock“ gekennzeichnet) ruft der Schüler aus, dass die Schocks schmerzhaft sind. Nach dem 10. Schalter („150 Volt – schwerwiegender Schock“) schreit er: „Lassen Sie mich hier raus! Ich möchte nicht mehr am Versuch teilnehmen! Ich weigere
14
578
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.13 Stanley Milgram (1933–1984). Das Gehorsamsexperiment des Sozialpsychologen „gehört zum Bildungskanon unserer Generation“ (Sabini, 1986)
14
mich weiter mitzumachen!“ Wenn Sie diese Bitten hören, bäumen Sie sich auf. Doch die Versuchsleitung spornt Sie an: „Bitte weitermachen! Das Experiment erfordert, dass Sie weitermachen.“ Wenn Sie immer noch zögern, insistiert er: „Es ist ganz wichtig, dass Sie weitermachen“ oder „Sie haben keine andere Wahl, Sie müssen weitermachen“. Wenn Sie gehorchen, hören Sie, wie die Proteste des Schülers zu Angstschreien eskalieren, während Sie damit fortfahren, die Schockstufe mit jedem weiteren Fehler zu erhöhen. Nach dem 330-Volt-Niveau weigert sich der Schüler zu antworten und wird plötzlich still. Die Versuchsleitung treibt Sie weiter an, bis zum Finale, der 450-Volt-Stufe, weiterzumachen. „Stellen Sie die Frage“, befiehlt er, „und wenn die Antworten falsch ist, verabreichen Sie die nächste Schockstufe“. Wie lange würden Sie wohl den Befehlen der Versuchsleitung Folge leisten? Vor der Durchführung des Versuchs fragte Milgram Nichtteilnehmer:innen, was sie tun würden. Die meisten waren sich sicher, dass sie bald aufhören würden, nachdem der Schüler den ersten Schmerz zum Ausdruck bringen würde, und ganz sicher, bevor er Angstschreie ausstoßen würde. Dieser Einschätzung stimmten 40 Psychiater:innen zu. Waren die Einschätzungen zutreffend? Nicht einmal annähernd. Als Milgram das Experiment mit anderen Männern zwischen 20 und 50 Jahren durchführte, war er erstaunt darüber, herauszufinden, dass über 60 % gänzlich einwilligten und bis zur letzten Stufe mitmachten. Milgram wiederholte den Versuch mit 40 neuen „Lehrern“. Diesmal sagte die Assistenz der Versuchsleitung etwas
von einer „Herzschwäche“. Doch auch hier hielten sich 65 % der neuen Lehrer vollständig an das, was der Versuchsleiter von ihnen verlangt hatte und gaben bis zu 450-Volt-Elektroschocks (. Abb. 14.14). Zehn spätere Studien, an denen auch Frauen teilnahmen, zeigten, dass die Frauen genauso oft einwilligten wie die Männer (Blass, 1999). Waren Milgrams Ergebnisse ein Produkt der amerikanischen Mentalität der 1960er Jahre? Nein. Als Jerry Burger (2009) Milgrams Experiment in wesentlichen Teilen replizierte, befolgten 70 % der Teilnehmer:innen die Anweisungen der Versuchsleitung bis zu einer Stromstärke von 150 Volt – nur ein leichter Rückgang im Vergleich zu Milgrams 83 %. Und als das Experiment in einer französischen Reality-TV-Show wiederholt wurde, gehorchten 81 % der vom Publikum angefeuerten Lehrer:innen und quälten ein schreiendes Opfer (Beauvois et al., 2012). Durchschauten Milgrams „Lehrer:innen“ die Täuschung, dass gar kein Schock ausgelöst wurde? Errieten sie korrekterweise, dass der „Schüler“ eingeweiht war und nur vorgab, Schocks zu empfinden? Erkannten sie, dass dieser Versuch in Wirklichkeit ihre Bereitschaft testete, Befehlen zu folgen, die eine Bestrafung auslösen? Nein, die Lehrer:innen zeigten normalerweise echte Belastungssymptome: Sie schwitzten, zitterten, lachten nervös und bissen sich auf die Lippen. Die Tatsache, dass sich Milgram Täuschung und Stress zunutze machte, löste eine Debatte über ethische Fragen in der Forschung aus. Zu seiner eigenen Verteidigung führte Milgram an, dass die Versuchsteilnehmenden ihre Teilnahme praktisch nicht bereuten, nachdem ihnen die Täuschung und die eigentlichen Forschungsziele mitgeteilt worden waren (obwohl die Versuchsteilnehmenden vielleicht bis dahin ihre kognitive Dissonanz – das Unbehagen, das sie empfanden, wenn ihre Handlungen im Widerspruch zu ihren Einstellungen standen – verringert hatten). Als 40 der „Lehrer:innen“, die die größten Ängste gezeigt hatten, später von einem Psychiater oder einer Psychiaterin befragt wurden, schien keiner an emotionalen Nachwirkungen zu leiden. Alles in allem, sagte Milgram, lösten die Versuche weniger dauerhaften Stress aus als die Erfahrungen von Studierenden, die wichtige Prüfungen und ein mögliches Scheitern vor Augen hatten (Blass, 1996). Andere Wissenschaftler:innen berichten jedoch, nachdem sie sich in Milgrams Archiven vertieft haben, dass seine Nachbesprechung weniger umfangreich und der Leidensdruck seiner Teilnehmer:innen größer war, als er angenommen hatte (Nicholson, 2011; Perry, 2013). Auch haben Kritiker:innen die Vermutung geäußert, dass die Teilnehmenden sich möglicherweise mit dem Forscher und seinen wissenschaftlichen Zielen identifizierten und nicht etwa blind gehorchten (Haslam et al., 2014, 2016). In späteren Versuchen entdeckte Milgram, dass sich Menschen von subtilen Details einer Situation stark beeinflussen lassen. Wenn er die sozialen Bedingungen
% Prozentsatz der Versuchsteilnehmenden, die der Versuchsleitung gehorchten
..Abb. 14.14 a–c Milgrams Folgeexperiment zum Gehorsam. Bei einer Wiederholung des früheren Experiments gehorchten 65 % der erwachsenen, männlichen „Lehrer“ ohne Widerrede den Befehlen der Versuchsleitung weiterzumachen. Sie taten dies ungeachtet der Tatsache, dass der „Schüler“ zuvor eine Herzschwäche erwähnt hatte, und obwohl sie bei 150 Volt Protestschreie und nach 330 Volt Angstschreie hörten. (a: Nach Milgram, 1974; b, c: From the film Obedience, © The Estate of Alexandra Milgram)
14
579
14.2 • Sozialer Einfluss
100 90 80 70 60 50 Die Mehrheit der Versuchsteilnehmenden gehorchte bis zum Versuchsende
40 30 20 10 0 Leicht (15–60)
Mäßig (75–120)
Stark (135–180)
a
Sehr stark (195–240)
Extrem intensiv (315–360)
Gefahr: ernst (375–420)
XXX (435–450)
Schockstufen in Volt
b
veränderte, reichte der Anteil der völlig gehorsamen Versuchsteilnehmenden von 0–93 %. Der Gehorsam war am stärksten, wenn die Person, die die Befehle erteilte, ganz in der Nähe war und als legitime Autoritätsperson wahrgenommen wurde. So verhielt es sich im Jahr 2005, als der Basketballtrainer der Temple University einen 110 kg schweren Spieler, Nehemiah Ingram, von der Reservebank ins Spiel schickte und ihn aufforderte, „schwere Fouls“ zu begehen. Dieser hielt sich an die Anweisung und wurde innerhalb von vier Minuten des Spielfelds verwiesen, nachdem er einem Spieler der gegnerischen Mannschaft den rechten Arm gebrochen hatte. die Autoritätsperson von einer mächtigen oder namhaften Institution unterstützt wurde – die Fügsamkeit war etwas geringer, wenn Milgram seine Versuche nicht mit der Yale-Universität in Verbindung brachte. Viele haben sich gefragt, warum während des Völkermordes in Ruanda 1994 so viele Hutu-Bürger:innen ihre Tutsi-Nachbar:innen abschlachteten? Teilweise
Intensiv (255–300)
c
lag es daran, dass sie Teil „einer Kultur waren, in der Befehle von oben, selbst wenn sie bösartig waren,“ als rechtskräftig verstanden wurden (Kamatali, 2014). das Opfer depersonalisiert wurde oder weiter entfernt war, sogar in einem anderen Zimmer. Damit ist vergleichbar, dass viele Soldat:innen im Gefecht mit einem Gegner, den sie sehen können, entweder nicht schießen oder nicht genau zielen. Derartige Verweigerungen, andere zu töten, sind selten unter denen, die die Distanzwaffen der Artillerie oder der Luftwaffe verwenden (Padgett, 1989). Diejenigen, die aus der Ferne töten, indem sie ferngesteuerte Drohnen bedienen, leiden auch viel weniger unter posttraumatischem Stress als Kriegsveteran:innen, die am Boden kämpfen (Miller, 2012a). es keine Vorbilder für Widerstand gab. Die „Lehrer:innen“ haben niemanden gesehen, der der Versuchsleitung nicht gehorchte.
-
-
-
-
Die Macht legitimierter, unmittelbar anwesender Autoritäten wird in den Berichten derer, die auf Befehl die
580
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.15 Einsatz für die Demokratie. Einige Individuen – etwa jeder Dritte in Milgrams Experimenten – widerstehen dem sozialen Zwang, wie 1989 dieser unbewaffnete Mann in Peking, der einen Tag, nachdem der Studentenaufstand vom Tian’anmen-Platz niedergeschlagen worden war, im Alleingang eine vorrückende Panzerlinie herausforderte. (© JEFF WIDENER/ ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
14
Gräueltaten des NS-Holocaust ausführten, auf dramatische Weise deutlich. Nur mit Gehorsam kann man den Holocaust nicht erklären. Im Dienste des nationalsozialistischen Regimes mit seiner antisemitischen Ideologie standen nicht nur gehorsame Mitläufer:innen, sondern auch kaltblütige Mörder:innen (Fenigstein, 2015; Mastroianni, 2015). Aber Gehorsam spielte ebenfalls eine Rolle. Im Sommer 1942 wurde das Bataillon 101 der Reservepolizei, das aus nahezu 500 deutschen Berufspolizisten und Reservisten mittleren Alters bestand, nach Józefów in Polen, einem von den Deutschen besetzten Gebiet, versetzt. Am 13. Juli informierte der Kommandant seine Rekruten, von denen die meisten Familienväter waren, dass ihnen der Befehl erteilt worden war, die Juden des Dorfes, denen man nachsagte, sie würden mit dem Feind kollaborieren, zusammenzutreiben. Gesunde Männer wurden in Arbeitslager geschickt, die anderen auf der Stelle erschossen. Als man den Soldaten die Möglichkeit gab, die Teilnahme an den Exekutionen abzulehnen, ging nur ungefähr ein Dutzend der Soldaten sofort auf das Angebot ein. Innerhalb von 17 Stunden töteten die übrigen 485 Soldaten 1500 hilflose Frauen, Kinder und ältere Menschen, indem sie diesen Menschen, die mit dem Gesicht nach unten auf dem Boden lagen, in den Hinterkopf schossen. Als die Soldaten dann die Hilfeschreie der Opfer hörten und die grauenvollen Taten sahen, verweigerten schließlich ungefähr 20 % den Gehorsam, und es gelang ihnen entweder, ihre Opfer nicht zu treffen oder sich davonzuschleichen und zu verstecken, bis das Gemetzel vorüber war (Browning, 1992). Aber im wirklichen Leben waren, wie auch in Milgrams Experimenten, die Ungehorsamen in der Regel in der Minderheit (. Abb. 14.15). Eine andere Geschichte ereignete sich im französischen Dorf Le Chambon, wo Dorfbewohner:innen öffentlich den Befehlen der neuen Machthabenden trotzten: Sie versteckten französische Jüdinnen und
Juden, die nach Deutschland deportiert werden sollten, und verhalfen ihnen manchmal zur Flucht über die Schweizer Grenze. Die protestantischen Vorfahr:innen der Dorfbewohner:innen waren selbst verfolgt worden und von der Kanzel war ihnen gepredigt worden, „stets Widerstand zu leisten, wenn unsere Gegner von uns Gehorsam verlangen, der nicht den Geboten des Evangeliums entspricht“ (Rochat, 1993). Als sie von der Polizei aufgefordert wurden, eine Liste der versteckten Jüdinnen und Juden zu erstellen, leistete der Dorfpfarrer mustergültigen Widerstand: „Ich weiß nichts von Juden, ich kenne nur Menschen.“ Unter großem persönlichen Risiko fühlten sich die „résistants“ verpflichtet, Widerstand zu leisten. Während des langen und schrecklichen Krieges litten sie unter Armut und wurden für ihren Ungehorsam bestraft. Doch gestärkt durch ihren Glauben, ihre Vorbilder, ihre gegenseitige Beeinflussung und ihre Eigeninitiative blieben sie sich selbst bis zum Kriegsende treu. Bevor wir annehmen, dass Gehorsam immer böse und Widerstand immer gut ist, lassen Sie uns den heldenhaften Gehorsam der britischen Soldaten betrachten, die 1852 zusammen mit Zivilist:innen auf dem Dampfschiff Birkenhead reisten. Als sie sich dem südafrikanischen Hafen näherten, lief die Birkenhead auf einem Felsen auf. Die Soldaten, die nicht den Reisenden halfen oder an den Pumpen arbeiteten, sollten ruhig in einer Reihe antreten und damit gewährleisten, dass die Zivilist:innen geordnet mit den drei verfügbaren Rettungsboten entkommen konnten. „Ruhig, Männer“, sagte ihr Offizier, als die Rettungsboote sich vom Schiff entfernten. Heldenhaft stürmte keiner vor, um doch noch einen Sitz im Rettungsboot zu ergattern. Als das Schiff sank, stürzten sie alle ins Wasser und ertranken oder wurden von Haien gefressen. Fast ein Jahrhundert lang, so James Michener (1978), „war die Birkenhead-
581
14.2 • Sozialer Einfluss
Regel das Maß der Dinge bezüglich heldenhaften Verhaltens auf See“. 14.2.3
Was lehren uns die Studien zu Konformität und Gehorsam?
?? 14.5 Was können wir aus den Studien zum sozialen
Einfluss über uns selbst erfahren? Wie viel Macht haben wir als Individuen?
Wie lassen sich die Laborversuche zum sozialen Einfluss auf den Alltag übertragen? Was hat es mit unserem Sozialverhalten im Alltag zu tun, wenn wir die Länge einer Linie beurteilen oder einen Stromschalter betätigen? Psychologische Experimente zielen nicht darauf ab, das gewöhnliche Verhalten aus dem Alltagsleben nachzustellen. Es sollen vielmehr die Prozesse erfasst und erkundet werden, die diesen Verhaltensweisen zugrunde liegen und sie formen. Solomon Asch und Stanley Milgram entwarfen Experimente, in denen sich die Versuchsteilnehmenden entscheiden mussten, ihren eigenen Standards treu zu bleiben, auch wenn sie mit den Erwartungen anderer in Konflikt stehen, ein Dilemma, mit dem wir alle häufig konfrontiert werden. In Milgrams Experimenten und neueren Replikationen waren die Teilnehmer:innen auch hin- und hergerissen, ob sie auf die Bitten der Opfer oder die Befehle der Versuchsleitung reagieren sollten. Ihr Moralempfinden warnte sie, anderen nicht zu schaden. Doch es zwang sie auch, der Versuchsleitung zu gehorchen und eine gute Versuchsperson zu sein. Wenn Menschenfreundlichkeit und Gehorsam aufeinanderprallten, siegte normalerweise der Gehorsam. Derartige Experimente zeigen, dass starke soziale Einflüsse Menschen dazu bringen können, falschen Aussagen zuzustimmen oder vor der Grausamkeit zu kapitulieren. „Die wichtigste Lektion unserer Studie“ ist nach Milgram (1974, S. 6), „dass ganz normale Menschen, die einfach nur ihren Job machen, in einem furchtbaren destruktiven Vorgang ohne besondere Feindseligkeit oder Bösartigkeit zu den Ausführenden werden können“.
» „Ich habe nur Befehle ausgeführt.“ Adolf Eichmann, Or-
ganisator der Deportation von Millionen von Jüdinnen und Juden in Konzentrationslager
Wenn wir uns nur auf den Endpunkt konzentrieren – 450 Volt oder Gewalt im wahren Leben –, können wir diese Unmenschlichkeit kaum verstehen. Aber Milgram verleitete seine „Lehrer:innen“ nicht, indem er sie zuerst bat, die „Schüler:innen“ einer so geballten Ladung Elektrizität auszusetzen, dass ihnen die Haare zu Berge stehen würden. Vielmehr nutzte er die Foot-in-the-DoorTechnik, indem er mit leichtem Elektrisieren begann und
dies Schritt für Schritt eskalieren ließ. Im Bewusstsein derjenigen, die den Schalter umlegten, erschien die erste „kleine“ Handlung gerechtfertigt, was wiederum auch den nächsten Schritt tolerierbar machte. So etwas geschieht, wenn sich Menschen nach und nach dem Bösen unterwerfen.
» „Alles Übel beginnt mit 15 Volt.“ Philip Zimbardo, Vorlesung an der Stanford University (2010)
In jeder Gesellschaft führt die Einstellung, dass man sich einem geringeren Übel fügen muss, oft zu schlimmen Taten. Die Führungsriege des Nationalsozialismus nahm an, dass sich die meisten deutschen Beamt:innen widersetzen würden, selbst Jüdinnen und Juden zu erschießen oder zu vergasen. Aber sie stellten fest, dass die Beamtenschaft überraschenderweise bereit war, die Verwaltung des Holocausts zu übernehmen (Silver & Geller, 1978). Beunruhigendes stellte auch Milgram fest, als er 40 Männer bat, den „Lerntest“ durchzuführen, während jemand anders die Stromstöße austeilte: 93 % willigten ein. Im Gegensatz zum Bild vom bestialischen Unmensch erfordern Gräueltaten keine monströsen Charaktere; man braucht dafür lediglich gewöhnliche Menschen, die von einer problematischen Situation überwältigt werden, wie etwa gewöhnliche Studierende, die neue Gruppenmitglieder schikanieren, gewöhnliche Angestellte, die Anweisungen folgen und schädliche Produkte herstellen und vermarkten, oder gewöhnliche Soldat:innen, die Gefangene foltern (Lankford, 2009). In Józefów, in Le Chambon und in Milgrams Experimenten zeigte sich: Diejenigen, die Widerstand zeigten, taten dies sehr früh. Nach den ersten Akten von Zusammenarbeit oder Widerstand wurden die Einstellungen angepasst und rechtfertigten das jeweilige Verhalten. Was haben Sozialpsycholog:innen über die Macht des Individuums gelernt? Soziale Kontrolle (die Macht der Situation) und persönliche Kontrolle (die Macht des Individuums) interagieren. So wie Wasser zwar Salz, aber keinen Sand auflöst, so machen faule Situationen manche Menschen zu faulen Äpfeln, während sich andere widersetzen (Johnson, 2007). Manche Menschen leisten durchaus Widerstand. Wenn wir unter Druck geraten, tun manche von uns das Gegenteil dessen, was von uns erwartet wird (Brehm & Brehm, 1981). Sozialpsycholog:innen wollten den Einfluss von Minderheiten (. Abb. 14.16), die Macht von einem oder zwei Individuen, Mehrheiten zu überzeugen, besser verstehen (Moscovici, 1985). Sie stellten wiederholt fest, dass eine Minderheit, die unbeirrbar ihre Meinung vertritt, weit erfolgreicher dabei ist, die Mehrheit zu überzeugen, als eine Minderheit, die unsicher zu sein scheint. Wenn Sie konsequent eine Minderheitenmeinung vertreten, wird Sie das nicht beliebter machen, aber es kann Sie einflussreicher machen. Dies trifft vor allem dann zu, wenn Ihr Selbstvertrauen andere dazu anregt, zu über-
14
582
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.16 Minderheit eines Einzelnen. Dieser Mann zu sein, der trotzig mit verschränkten Armen dasteht, während alle anderen mit dem Hitlergruß salutieren, erfordert außergewöhnlichen Mut. Aber manchmal haben solche Personen andere inspiriert und damit die Macht des Einflusses von Minderheiten unter Beweis gestellt. (Die Urheberschaft des Fotos ist unbekannt und die Identität der Person nicht mit absoluter Sicherheit geklärt, es handelt sich möglicherweise um Gustav Wegert oder August Landmesser.)
14
legen, warum Sie so reagieren. Sogar wenn der Einfluss einer Minderheit noch nicht sichtbar ist, kann dies dazu führen, dass einige Anhänger:innen der Mehrheitsmeinung ihre Auffassungen überdenken (Wood et al., 1994). Die Macht des sozialen Einflusses ist ungeheuer groß, aber die Macht des Engagements Einzelner ebenso. Wäre dies nicht so, wäre der Kommunismus eine obskure Theorie geblieben, das Christentum eine kleine Sekte im Nahen Osten, und die Weigerung von Rosa Parks, sich im Bus nach hinten zu setzen, hätte nicht die Bürgerrechtsbewegung der afroamerikanischen Bevölkerung in den USA ausgelöst. Soziale Faktoren sind wichtig, aber auch Individuen sind es. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die berühmtesten Experimente in der Psychologie zum Thema Gehorsam, in denen die meisten Teilnehmenden der Anweisung einer Autoritätsperson Folge leisteten, eine unschuldige Person schmerzhaften, gefährlichen Elektroschocks auszusetzen, wurden vom Sozialpsychologen ___ durchgeführt. – Unter welchen Bedingungen war es am wahrscheinlichsten, dass die Teilnehmenden gehorchten?
14.2.4 Gruppeneinfluss ?? 14.6 Wie beeinflusst die Anwesenheit anderer unser
Handeln durch soziale Erleichterung, soziales Faulenzen und Deindividuation?
Stellen Sie sich vor, Sie stehen in einem Raum und halten eine Angel. Ihre Aufgabe ist es, eine Spule so schnell wie möglich zu drehen. Bei einigen Durchgängen befindet sich
eine andere Person im Raum, die ebenso versucht, die Spule schnellstmöglich aufzuwickeln. Wird die Gegenwart der anderen Person Ihre eigene Leistung beeinflussen? In einem der ersten Experimente der Sozialpsychologie stellte Norman Triplett (1898) fest, dass Jugendliche, die eine Angelspule aufwickelten, in der Gegenwart einer weiteren anwesenden Person, die dasselbe tat, schneller arbeiteten. Obwohl eine moderne Neuuntersuchung ergab, dass der Unterschied recht gering war (Stroebe, 2012), inspirierte Triplett spätere Sozialpsycholog:innen dazu, den Einfluss der Anwesenheit anderer auf unser Verhalten zu untersuchen. Gruppeneinflüsse kommen sowohl in einfachen Gruppen zum Tragen – nämlich dann, wenn ein Mensch mit einem anderen zusammen ist – als auch in komplexeren Gruppen.
Soziale Erleichterung Das von Triplett beobachtete Phänomen stärkerer Leistung in der Gegenwart anderer wird soziale Erleichterung („social facilitation“) genannt. Weitere Studien zeigten allerdings, dass es in Wirklichkeit viel komplizierter ist: Die Anwesenheit anderer verstärkt die wahrscheinlichste Reaktion – eine leichte Aufgabe korrekt und eine schwierige falsch zu lösen (Guerin, 1986; Zajonc, 1965). Wenn andere uns beobachten, werden wir angeregt. Michaels et al. (1982) fanden heraus, dass Profi-Billardspieler:innen mit 71 % Wahrscheinlichkeit trafen, wenn sie allein waren, und mit einer Wahrscheinlichkeit von 80 %, wenn sie von vier Zuschauer:innen beobachtet wurden. Schlechte Spieler:innen, die mit 36 % Wahrscheinlichkeit Treffer erzielten, wenn sie allein waren, trafen nur mit 25 % Wahrscheinlichkeit, wenn sie beobachtet wurden (. Abb. 14.17). Soziale Erleichterung („social facilitation“) – Leistungs-
steigerung durch die Anwesenheit anderer; tritt bei einfachen oder gut gelernten Aufgaben auf.
583
14.2 • Sozialer Einfluss
..Abb. 14.17 Soziale Erleichterung. Leistungsstarke Sportlerinnen und Sportler fühlen sich oft durch Zuschauer angespornt. Was sie gut machen, machen sie sogar noch besser, wenn ihnen zugeschaut wird. (© Cecil Copeland/Newscom/picture alliance)
Der energetisierende Effekt eines begeisterten Publikums trägt möglicherweise auch zum Heimvorteil bei, der in Studien bei über 250.000 Sportveranstaltungen in verschiedenen Ländern gezeigt werden konnte (Allen & Jones, 2014; Jamieson, 2010). Heimmannschaften gewinnen ungefähr in 6 von 10 Spielen, wobei der Heimvorteil bei Mannschaftssportarten, wie Fußball und Basketball, am größten ist (Jones, 2015; . Tab. 14.1). Merken Sie sich: Was wir gut machen, machen wir wahrscheinlich vor einem Publikum, insbesondere einem freundlichen Publikum, noch besser; was wir normalerweise schwierig finden, kann nahezu als unlösbare Aufgabe erscheinen, wenn wir beobachtet werden. Das Konzept der sozialen Erleichterung kann auch einen komischen Effekt von Menschenansammlungen erklären. Komiker:innen wissen, dass ein volles Haus ein „gutes Haus“ ist. Was sie vielleicht nicht wissen, ist, dass eine Menschenmenge Erregung auslöst. Witze, die Menschen in einem eher leeren Raum nur mäßig amüsieren, scheinen in einem vollen Raum lustiger zu sein (Aiello et al., 1983; Freedman & Perlick, 1979). Wenn Menschen eng nebeneinandersitzen, mögen sie eine freundliche Person noch lieber, eine unfreundliche dagegen noch weniger (Schiffenbauer & Schiavo, 1976; Storms & Thomas, 1977). Hier eine praktische Empfehlung: Wenn man einen Seminarraum auswählt oder Stühle für ein Treffen zusammenstellt, sollte man gerade eben genug Sitze haben.
Soziales Faulenzen In Versuchen zur sozialen Erleichterung wird überprüft, welche Auswirkungen die Anwesenheit oder die Leistung von anderen auf eine individuelle Aufgabe hat, beispielsweise auf Pool-Billard-Spiele. Aber wie entwickelt sich die Leistung, wenn Menschen die Aufgabe als Gruppe bewäl-
tigen? Stellen Sie sich eine Mannschaft beim Tauziehen vor: Glauben Sie, dass sich jemand in einer Gruppe mehr, genauso oder weniger anstrengt, als wenn er oder sie an einem Einzelwettbewerb teilnehmen würde? Um dies herauszufinden, bat ein Forschungsteam der University of Massachusetts zufällig ausgewählte Studierende, denen die Augen verbunden wurden, „so stark wie möglich an einem Seil zu ziehen“. Als den Studierenden vorgegeben wurde, dass noch drei andere hinter ihnen ziehen würden, zeigten sie nur 82 % der Leistung, die sie brachten, wenn sie wussten, dass sie allein zogen (Ingham et al., 1974). In einem Versuch von Latané (1981) saßen zufällig ausgewählte Versuchspersonen, denen die Augen verbunden worden waren, in einer Gruppe zusammen und klatschten oder schrien, so laut sie konnten, während sie über Kopfhörer lautes Klatschen oder Schreien hörten. Wenn ihnen gesagt wurde, dass sie es gemeinsam mit den anderen machten, produzierten die Versuchsteilnehmenden etwa ein Drittel weniger Lärm, als wenn sie dachten, ihre individuellen Anstrengungen wären zu erkennen. Diese verringerte Anstrengung wird soziales Faulenzen („social loafing“) genannt (Jackson & Williams, 1988; Latané, 1981). In Versuchen, die in den USA, Indien, Thailand, Japan, China und Taiwan durchgeführt wurden, zeigte sich soziales Faulenzen bei verschiedenen Aufgaben, wenngleich es unter Männern in individualistischen Kulturen besonders häufig vorkam (Karau & Williams, 1993). Warum kommt es zu dieser Art sozialen Faulenzens? Wenn Menschen als Teil einer Gruppe agieren, kann dies dazu führen, dass sie sich weniger verantwortlich fühlen und sich daher weniger Gedanken machen, was andere über sie denken. ihre Beiträge als verzichtbar ansehen (Harkins & Szymanski, 1989; Kerr & Bruun, 1983).
-
14
584
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Tab. 14.1 Heimvorteil beim Teamsport. (Adaptiert nach Moskowitz & Wertheim, 2011)
14
Wettbewerb
Jahre
Anzahl von Gewinnen der Heimmannschaft in %
Nippon League Baseball
1998–2009
53,6
Major League Baseball
1903–2009
53,9
National Hockey League
1917–2009
55,7
International Rugby
1871–2009
56,9
National Football League
1966–2009
57,3
International Cricket
1877–2009
57,4
National Basketball Association
1946–2009
60,5
Women’s National Basketball Association
2003–2009
61,7
Englische Premier League (Fußball)
1993–2009
63,0
NCAA Men’s Basketball
1947–2009
68,8
Major League Soccer
2002–2009
69,1
lust der Selbstwahrnehmung und Zurückhaltung wird Deindividuation genannt und tritt oft in Gruppensituationen auf, die Erregung und Anonymität fördern. In einem Versuch teilten Studentinnen, die depersonalisierende Ku-Klux-Klan-Hüte aufgesetzt hatten, doppelt so viele Stromstöße an ihr Opfer aus als identifizierbare Frauen (Zimbardo, 1970). (Wie in allen derartigen Versuchen erhielt das „Opfer“ die Stromstöße nicht in Wirklichkeit.) Deindividuation („deindividuation“) – Verlust der Selbst-
-
ihren eigenen Beitrag überschätzen und die Leistungen der anderen dabei außer Acht lassen (Schroeder et al., 2016). sich zurücklehnen und schonen (wie Sie das vielleicht aus Gruppenarbeiten kennen), wenn sie unabhängig von ihrem Beitrag den gleichen Nutzen ziehen. Wenn sie nicht hoch motiviert sind und sich in besonderem Maße mit der Gruppe identifizieren, werden sie möglicherweise zu Nutznießer:innen der Anstrengungen der anderen Gruppenmitglieder.
wahrnehmung und Zurückhaltung in Gruppensituationen, die Erregung und Anonymität fördern. Deindividuation wirkt – ob positiv oder negativ – in vielen Kontexten (. Abb. 14.18). Die Anonymität von Diskussionsforen und Blog-Kommentarbereichen im Internet kann zu spöttischen oder grausamen Äußerungen führen. Online verstecken sich Störenfriede, die sich nie trauen würden, jemandem ins Gesicht zu sagen, dass sie ihn hässlich finden, hinter ihrer Anonymität. Bei Stammeskriegern, die sich durch Gesichtsbemalungen oder Masken depersonalisieren, ist die Wahrscheinlichkeit größer, dass sie gefangene Feinde töten, quälen oder verstümmeln, im Vergleich zu Kriegern, die ihr Gesicht zeigen (Watson, 1973). Wenn man in einer Menschenmasse, einem RockKonzert, bei einer Sportveranstaltung oder in einem Gottesdienst die Selbstwahrnehmung verliert (deindividuiert ist), bedeutet dies, stärker auf die Gruppenerfahrung anzusprechen – ob das nun gut oder schlecht ist. Für einen Vergleich von sozialer Erleichterung, sozialem Faulenzen und Deindividuation siehe . Tab. 14.2. Wir haben uns mit den Bedingungen beschäftigt, unter denen Menschen durch die Anwesenheit anderer motiviert werden können, sich selbst zu verausgaben oder sich auf Kosten anderer als Trittbrettfahrer:innen zu betätigen; leichte Aufgaben leichter und schwierige Aufgaben schwieriger werden können und Humor gefördert oder Massengewalt angeheizt werden kann. Die Forschung zeigt, dass es sowohl gute als auch schlechte Auswirkungen haben kann, wenn man mit anderen interagiert.
Soziales Faulenzen („social loafing“) – Tendenz, dass
Gruppenpolarisierung
sich Menschen in Gruppen weniger anstrengen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, als wenn sie allein verantwortlich sind.
?? 14.7 Wie kann die Interaktion in der Gruppe Grup-
Deindividuation Die Anwesenheit anderer kann daher Menschen zu größerer Leistung anregen (wie in den Versuchen zur sozialen Erleichterung) oder ihr Verantwortungsgefühl verringern (wie in den Versuchen zum sozialen Faulenzen). Aber manchmal wirkt die Anwesenheit anderer anregend und verringert zugleich das eigene Verantwortungsbewusstsein. Das Ergebnis kann dann ungehemmtes Verhalten sein, das über einen Kampf ums Essen im Speisesaal bis hin zu Vandalismus oder Krawallen reicht. Dieser Ver-
penpolarisierung bewirken?
Wir leben in einer zunehmend polarisierten Welt. In Europa führt Russland Krieg gegen die Ukraine. Der Nahe Osten ist von kriegerischen Auseinandersetzungen zerrissen. Die Europäische Union hat mit nationalistischen Spaltungen zu kämpfen. Die Corona-Pandemie hat rechtspopulistische Bewegungen gestärkt. Und die öffentliche Debatte kreist immer noch um die Frage, ob der Klimawandel existiert und menschengemacht ist. Im Jahr 1990 konnte man bei einer einminütigen Rede im US-Kongress in nur 55 % der Fälle die Partei des Redners oder der Red-
585
14.2 • Sozialer Einfluss
..Abb. 14.18 Deindividuation. Während der Aufstände und Plünderungen in England 2011 verloren die Randalierenden ihre Hemmungen durch die allgemeine Erregung und die Anonymität, die ihnen die Dunkelheit und ihre Vermummung gaben. Als später einige Beteiligte festgenommen wurden, zeigten sie sich fassungslos in Anbetracht ihres Verhaltens. (© David Jones/ empics/picture alliance)
nerin erraten; im Jahr 2009 war die Parteizugehörigkeit in 83 % der Fälle erkennbar (Gentzkow et al., 2016). Im Jahr 2016 gaben zum ersten Mal in der Geschichte der Umfragen die meisten US-Republikaner:innen und Demokrat:innen an, eine „sehr ablehnende“ Meinung über die andere Partei zu haben (Doherty & Kiley, 2016). Und ein Rekordwert von 77 % der Amerikaner:innen nahm ihre Nation als geteilt wahr (Jones, 2016). Ein wirkungsvolles Prinzip hilft uns, unsere zunehmend polarisierte Welt zu verstehen: Die Verstärkung der in einer Gruppe vorherrschenden Tendenzen tritt auf, wenn Menschen innerhalb einer Gruppe über eine Auffassung diskutieren, die die meisten Gruppenmitglieder entweder befürworten oder ablehnen. Dieser Prozess, die sog. Gruppenpolarisierung, kann zu positiven Ergebnissen führen, z. B. wenn Schüler:innen mit geringen Vorurteilen bei der Diskussion über rassistische Themen toleranter werden. Und sie kann sozial toxisch sein, wenn Schüler:innen mit großen Vorurteilen, die über ethnische Fragen diskutieren, hinterher noch mehr Vorurteile haben (Myers & Bishop, 1970; . Abb. 14.19). Unsere wiederholte Feststellung: Gleichgesinnte polarisieren.
Gruppenpolarisierung („group polarization“) – Extremi-
sierung der in einer Gruppe vorherrschenden Einstellungen durch Diskussionen in der Gruppe. Analysen terroristischer Organisationen zeigen, dass eine terroristische Gesinnung langsam entsteht (McCauley, 2002; McCauley & Segal, 1987; Merari, 2002). Sie entwickelt sich gewöhnlich unter Menschen, die aus Groll zusammenkommen und deren Haltung dann immer extremer wird, wenn sie abgeschottet von mäßigenden Einflüssen miteinander interagieren. Zunehmend kategorisieren Gruppenmitglieder (die vielleicht mit anderen „Brüdern“ und „Schwestern“ zusammen isoliert in Lagern leben oder Gefängnissen) die Welt in Begriffe wie „wir“ und „sie“ (Chulov, 2014; Moghaddam, 2005). Mit dem Wissen, dass Gruppenpolarisierung auftritt, wenn sich Gleichgesinnte absondern, spekulierte der USNachrichtendienst 2006, dass „die von radikalisierten Gruppierungen ausgehende operative Bedrohung noch steigen wird.“ Das Internet bietet uns eine vernetzte globale Welt, ist aber auch ein leicht zugängliches Medium für
..Tab. 14.2 Verhalten in der Anwesenheit anderer: Drei Phänomene Phänomen
Sozialer Kontext
Psychologische Wirkung der Anwesenheit anderer
Wirkung auf das Verhalten
Soziale Erleichterung
Beobachtete Person
Erhöhte Erregung
Verstärktes dominantes Verhalten, z. B. besser machen, was man gut kann (oder schlechter machen, was schwierig ist)
Soziales Faulenzen
Gruppenprojekte
Geringeres Verantwortungsbewusstsein, wenn man nicht alleine Rechenschaft ablegen muss
Verminderter Aufwand
Deindividuation
Gruppensetting, das Erregung und Anonymität begünstigt
Verminderte Selbstwahrnehmung
Weniger Zurückhaltung
14
586
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
Gruppendenken Hoch
+4
?? 14.9 Wie kann Gruppeninteraktion Gruppendenken
ermöglichen?
+3 Gruppen mit großen Vorurteilen
+2
Diskussion unter ähnlich gesinnten Menschen stärkt tendenziell die bereits existierenden Einstellungen
+1 Vorurteil
0
Gruppen mit geringen Vorurteilen
–1 –2
» „Meine Lektüre der Geschichtsbücher lehrte mich eines:
–3 Niedrig
–4 Vor der Diskussion
Nach der Diskussion
..Abb. 14.19 Gruppenpolarisierung. Wenn eine Gruppe ähnlich gesinnt ist, verstärkt eine Diskussion die vorherrschenden Meinungen. Gespräche über ethnische Themen vergrößerten die Vorurteile einer Schüler:innengruppe einer Highschool mit großen Vorurteilen und verringerten diese bei einer Gruppe mit nur geringen Vorurteilen. (Nach Myers & Bishop, 1970)
14
Kann Gruppeneinfluss sogar wichtige Entscheidungen verzerren, die ganze Länder betreffen? Denken Sie an das Fiasko in der Schweinebucht. 1961 trafen US-Präsident John F. Kennedy und seine Berater die Entscheidung, in Kuba mit 1400 vom CIA instruierten Exilkubanern einzumarschieren. Als die Angreifer einfach gefangen genommen wurden und bald mit der US-Regierung in Verbindung gebracht wurden, fragte sich Kennedy im Nachhinein: „Wie konnten wir bloß so dumm sein?“
Gruppenpolarisierung. Als ich [DM] meine ersten Erfahrungen in der Sozialpsychologie mit Experimenten zur Gruppenpolarisierung sammelte, hätte ich mir nie vorstellen können, welche potenziellen Gefahren, aber auch Möglichkeiten, die Polarisierung in virtuellen Gruppen bergen könnte. Progressive sind mit Progressiven befreundet und tauschen Links zu Seiten aus, die ihre geteilten Ansichten bekräftigen. Konservative vernetzen sich mit Konservativen und teilen ebenfalls konservative Ansichten. Mit Newsfeeds und Retweets füttern wir uns gegenseitig mit Informationen – und Fehlinformationen – und klicken auf Inhalte, denen wir zustimmen (Bakshy et al., 2015; Barberá et al., 2015). So werden innerhalb der Echokammer des Internets der Gleichgesinnten die Ansichten immer extremer. Aus einem Verdacht wird eine Überzeugung. Meinungsverschiedenheiten mit der anderen Gruppe können bis zur Verteufelung ausarten. (Siehe . Abb. 14.20 für weitere Informationen über die Rolle des Internets bei der Gruppenpolarisierung – sowohl zu guten als auch zu schlechten Zwecken.)
» „Lieber Satan, danke, dass du meine Internet-Newsfeeds
speziell für MICH zugeschnitten hast!“ Komiker Steve Martin in einem Tweet von 2016
?? 14.8 Welche Rolle spielt das Internet bei der Grup-
penpolarisierung?
Eine der Gefahren im Weißen Haus ist es, dass man dem Gruppendenken verfällt, jeder allem zustimmt und es keine Diskussionen und abweichenden Meinungen gibt.“ Barack Obama, Pressekonferenz am 1.12.2008
Um dies herauszufinden, untersuchte Janis (1982) den Entscheidungsfindungsprozess, der zu diesem Fiasko führte. Er stellte fest, dass der neu gewählte Präsident und dessen Berater, deren moralische Ansprüche sehr hoch waren, diesem Plan bedingungsloses Vertrauen entgegenbrachten. Zugunsten des guten Gruppengefühls unterdrückten oder zensierten andere ihre abweichenden Meinungen selbst, insbesondere, nachdem Präsident Kennedy seine Begeisterung für dieses Vorgehen zum Ausdruck gebracht hatte. Da sich niemand deutlich gegen diesen Vorschlag äußerte, gingen alle von einer allgemeinen Zustimmung aus. Janis prägte den Begriff Gruppendenken („groupthink“), um dieses harmonische, aber nicht realitätsangemessene Denken einer Gruppe zu beschreiben. Gruppendenken („groupthink“) – Denkweise, die dann
auftritt, wenn in einer Gruppe das Harmoniebedürfnis bei Entscheidungen stärker ist als die realistische Bewertung von Alternativen. Später untersuchten Janis und andere weitere historische Fiaskos, wie etwa die nicht gelungene Vorhersage des japanischen Angriffs auf Pearl Harbor im Jahre 1941, die Eskalation des Vietnam-Kriegs, die Watergate-Affäre, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (Reason, 1987), die Explosion der Weltraumfähre Challenger (Esser & Lindoerfer, 1989) und den Irak-Krieg, der auf der falschen Annahme basierte, dass der Irak Massenvernichtungswaffen besaß (U.S. Geheimdienstausschuss, 2004). Sie stellten fest, dass auch in diesen Fällen das Gruppendenken von übermäßigem Vertrauen, Konformismus, Selbstrechtfertigung und Gruppenpolarisierung gekennzeichnet war. Trotz der Gefahren von Gruppendenken sind zwei Köpfe oftmals besser als einer. Weil Janis das wusste,
587
14.2 • Sozialer Einfluss
Das Internet bringt Gleichgesinnte zusammen und bestärkt ihre Ansichten. Schütze
Trennung in Gruppen Gleichgesinnter + Austausch = Gruppenpolarisierung
Regierungsfeindliche Milizen
Klimawandel wand nd del ist st eine ne e
Lüüüge Lüge LLüg ge
Trauer um ein verstorbenes Kind
Leugnung des Klimawandels
Hört, hört! Revolution der unterstützenden Hörtechnologie
Die D ie ErderErder Erd wärmung g ist ein Schwindel.
FoxNews.com
Elektronische Kommunikation und soziale Netzwerke ermutigen Menschen, sich von Andersdenkenden zu isolieren.
HuffingtonPost.com
Auf Facebook und Twitter teilen wir oft politische Beiträge mit Gleichgesinnten.1 Unter rassistischen Menschen werden rassistische Ansichten stärker. Menschen, die andere schikanieren, verhalten sich extremer. Und Regierungsgegner:innen werden immer gewaltbereiter.
Menschen finden online Unterstützung für ihre geteilten Ansichten und Bedenken.
Menschen, die sich für den Frieden einsetzen, werden in ihren Überzeugungen gestärkt. Krebsüberlebende und trauernde Eltern teilen ihre Geschichten und lernen gemeinsam, mit ihren Erfahrungen umzugehen. Und diejenigen, die sich für soziale Gerechtigkeit einsetzen, werden engagierter.
1Bakshy et al., 2015; Barberá et. al., 2015.
..Abb. 14.20 Kritisch nachdenken über: Das Internet als sozialer Verstärker
untersuchte er auch Vorkommnisse, in denen amerikanische Präsidenten und ihre Berater:innen gemeinsam richtige Entscheidungen getroffen hatten, wie etwa, als die Truman-Regierung den Marshall-Plan ausarbeitete, der Europa nach dem Zweiten Weltkrieg unterstützte, und als es der Kennedy-Regierung gelang, die Sowjetunion davon abzuhalten, Raketen auf Kuba zu stationieren. Seine Schlussfolgerung? Gruppendenken wird verhindert, wenn die Gruppenleitung – ob in der Politik oder in der Arbeitswelt – für unterschiedliche Meinungen offen ist, die Kritik von Expert:innen bei der Entwicklung von Entwürfen begrüßt und die Teilnehmenden auffordert, mögliche Probleme herauszuarbeiten. Ebenso, wie die Unterdrückung von Meinungsverschiedenheiten durch eine Gruppe falsche Entscheidungen zur Folge haben kann, führen offene Debatten oft zu guten Ergebnissen. Dies trifft vor allem in bunt gemischten Gruppen zu, in denen durch das Aufeinandertreffen verschiedener Perspektiven oft kreative und hochwertige Lösungen gefunden werden (Nemeth & Ormiston, 2007; Page, 2007). Teams aus klugen Menschen übertreffen tendenziell einzelne kluge Menschen bei der Vorhersage von politischen Ereignissen (Mellers et al., 2015). Keine:r von uns ist so klug wie wir alle zusammen.
» „Wenn du einen Apfel hast und ich einen Apfel habe und
wir tauschen unsere Äpfel – dann hat jeder von uns nach wie vor einen Apfel. Doch wenn du eine Idee hast und ich eine Idee habe und wir tauschen diese aus – dann hat jeder von uns zwei Ideen.“ Dem Dramaturgen George Bernard Shaw (1856–1950) zugeschrieben
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist soziale Erleichterung und ist es wahrscheinlicher, dass sie bei gut gelernten Aufgaben auftritt? – Menschen strengen sich tendenziell weniger an, wenn sie in einer Gruppe arbeiten, als wenn sie alleine arbeiten. Das nennt man ___. – Sie organisieren ein Treffen von politischen Konkurrent:innen. Um es lustiger zu machen, haben Ihre Freund:innen vorgeschlagen, Masken der Kandidat:innen an die jeweiligen Unterstützer:innen auszuteilen. Welches Phänomen könnten diese Masken auslösen? – Wenn in einer Gruppe das Harmoniebedürfnis stärker ist als die realistische Abwägung von Alternativen, tritt ___ auf.
14
588
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
14.2.5
Rückblick: Sozialer Einfluss
Verständnisfragen
14.3 – Was ist soziale Ansteckung? Wie können Experi-
mente zur Konformität die Macht von sozialem Einfluss demonstrieren? 14.4 – Was lehrten uns die Experimente von Milgram zum Gehorsam über die Macht von sozialen Einflüssen? 14.5 – Was können wir aus den Studien zum sozialen Einfluss über uns selbst erfahren? Wie viel Macht haben wir als Individuen? 14.6 – Wie beeinflusst die Anwesenheit anderer unser Handeln durch soziale Erleichterung, soziales Faulenzen und Deindividuation? 14.7 – Wie kann die Interaktion in der Gruppe Gruppenpolarisierung bewirken? 14.8 – Welche Rolle spielt das Internet bei der Gruppenpolarisierung? 14.9 – Wie kann Gruppeninteraktion Gruppendenken ermöglichen?
-----
Schlüsselbegriffe
14
Deindividuation Gruppendenken Gruppenpolarisierung Informationaler sozialer Einfluss Konformität Normativer sozialer Einfluss Soziale Erleichterung Soziales Faulenzen
Master the Material 1. Forschende haben herausgefunden, dass sich eine Person am ehesten einer Gruppe anpasst, wenn … a. die Gruppenmitglieder unterschiedliche Meinungen haben. b. die Person sich kompetent und sicher fühlt. c. die Person den Status der Gruppe bewundert. d. niemand anderes das Verhalten der Person beobachtet. 2. In Milgrams Experimenten war die Fügsamkeit am höchsten, wenn … a. der „Schüler“ in einem gewissen Abstand zum „Lehrer“ stand. b. der „Schüler“ in der Nähe war. c. andere „Lehrer“ sich weigerten, dem Versuchsleiter zu folgen. d. der „Lehrer“ den „Schüler“ nicht mochte. 3. Dr. Huang, ein beliebter Musikprofessor, hält faszinierende Vorlesungen über Musikgeschichte, wird aber nervös und macht Fehler, wenn er vor der Klasse die Prüfungsstatistiken beschreibt. Warum variiert seine Leistung je nach Aufgabe?
4. In einer Gruppensituation, die Erregung und Anonymität fördert, verliert eine Person manchmal ihr Selbstbewusstsein und ihre Selbstbeherrschung. Dieses Phänomen wird als ___ bezeichnet. 5. Der Austausch unserer Meinungen mit Gleichgesinnten stärkt tendenziell unsere Ansichten, ein Phänomen, das als ___ bezeichnet wird. 14.3 Antisoziale
Beziehungen
Die Sozialpsychologie untersucht, wie wir über andere denken und wie wir einander beeinflussen und auch, wie wir zueinander in Beziehung treten. Was bringt Menschen dazu, sich manchmal zu hassen und zu verletzen und ein anderes Mal sich zu lieben und einander zu helfen? Und wie können wir aus einem zerstörerischen Konflikt eine friedliche Situation schaffen? In diesem Abschnitt geht es um Erkenntnisse über antisoziale Beziehungen, die von Forscher:innen, die sich mit Vorurteilen und Aggression beschäftigt haben, zusammengetragen wurden. 14.3.1 Vorurteil
?? 14.10 Was sind Vorurteile? Wie unterscheiden sich
explizite und implizite Vorurteile?
Vorurteil bedeutet „vorzeitige Beurteilung“. Es ist eine ungerechtfertigte und normalerweise negative Einstellung gegenüber einer Gruppe und ihren Mitgliedern, die oft einer bestimmten ethnischen oder kulturellen Gruppe, einem bestimmten Geschlecht, einer bestimmten sexuellen Orientierung oder einem bestimmten Glaubenssystem angehören. Sie erinnern sich vielleicht daran, dass Einstellungen Gefühle sind, die von Überzeugungen beeinflusst werden und uns dazu prädisponieren, auf bestimmte Weise zu handeln. Bei Vorurteilen sind die Bestandteile eine Mischung aus negativen Emotionen, wie z. B. Feindseligkeit oder Angst, Stereotypen, die verallgemeinerte Überzeugungen über eine Gruppe von Menschen sind. Unsere Stereotype spiegeln manchmal die Realität wider. Wenn Sie vermuten, dass junge Männer dazu neigen, schneller zu fahren als ältere Frauen, mögen Sie Recht haben. Aber Stereotype übergeneralisieren oder übertreiben oft – wie z. B., wenn Liberale und Konservative die Radikalität der Ansichten des anderen überschätzen oder Christ:innen und Atheist:innen die Werte des jeweils anderen falsch wahrnehmen (Graham et al., 2012; Simpson & Rios, 2016). Und einer
-
589
14.3 • Antisoziale Beziehungen
..Abb. 14.21 Hausgemachter Terrorismus. In den 16 Jahren nach dem Terror des 11. September 2001 fürchteten viele Amerikaner:innen Anschläge von ausländischen Terrorist:innen. Jedoch waren seit dieser Zeit Angriffe durch einheimische White Supremacists und andere nichtmuslimische Extremist:innen fast doppelt so wahrscheinlich (Shane, 2015) – wie bei einer Schießerei 2012 in einem SikhTempel in Wisconsin, bei der ein Neonazi sechs Menschen ermordete. (© Kamil Krzaczynski/ dpa/picture alliance)
-
Bereitschaft, zu diskriminieren – sich gegenüber Mitgliedern der Gruppe auf negative und ungerechtfertigte Weise verhalten. Manchmal sind die Vorurteile offenkundig. Andere Male sind sie subtiler und nehmen die Form von Mikroaggressionen an, wie z. B. ethnisch bedingte Verkehrskontrollen, eine Abneigung, einen Zugsitz neben jemandem einer anderen Ethnie zu wählen, oder längere Uber-Wartezeiten und geringere Buchungsannahmen bei Airbnb für Menschen mit afroamerikanischen Namen (Edelman et al., 2017; Ge et al., 2016; Wang et al., 2011).
Beim Vorurteil handelt es sich um eine negative Einstellung. Wenn man der Überzeugung ist, dass übergewichtige Menschen gefräßig sind und man Antipathien gegenüber Übergewichtigen hegt, dann handelt es sich um ein Vorurteil. Diskriminierung ist ein negatives Verhalten. Eine übergewichtige Person auf einer Dating-Seite zu übergehen oder eine:n übergewichtige:n Bewerber:in abzulehnen, ist eine Diskriminierung.
» „Wir hüten uns auch vor dem subtilen Impuls, Johnny für
ein Vorstellungsgespräch anzurufen, aber nicht Jamal.“ Barack Obama, Beerdigung von Clementa Pinkney (2015)
Vorurteil („prejudice“) – ungerechtfertigte (und in der
Regel negative) Einstellung gegenüber einer Gruppe und ihren Mitgliedern. Vorurteile beinhalten im Allgemeinen stereotype Überzeugungen, negative Gefühle und die Bereitschaft zu diskriminierendem Verhalten. Stereotyp („stereotype“) – verallgemeinernde (manchmal richtige, oft aber übergeneralisierende) Einstellung gegenüber einer Gruppe von Menschen. Diskriminierung („discrimination“) – nicht zu rechtfertigendes, negatives Verhalten gegenüber einer Gruppe oder ihren Mitgliedern.
Explizite und implizite Vorurteile Wir haben immer wieder gesehen, dass unser Gehirn Gedanken, Erinnerungen und Einstellungen auf zwei Ebenen verarbeitet: der bewussten und der unbewussten Ebene. In bestimmtem Maße sind unser Denken, unsere Erinnerungen und unsere Einstellungen explizit – sie befinden sich auf dem Radarschirm unseres Bewusstseins. In noch größerem Ausmaß sind sie implizit – eine unreflektierte, reflexartige Reaktion, die nicht auf dem Radarschirm ist, sodass uns nicht bewusst ist, inwiefern unsere Einstellungen unser Verhalten beeinflussen. Im Jahr 2015 erkannte der Oberste Gerichtshof der USA bei der Aufrechterhaltung des Fair Housing Act die Forschung zu impliziten Vorurteilen an und stellte fest, dass „unbewusste Vorurteile“ zu Diskriminierung führen können, auch wenn Menschen nicht bewusst die Absicht haben, zu diskriminieren (. Abb. 14.21). Psycholog:innen untersuchen implizite Vorurteile, indem sie auf unbewusste Gruppenassoziationen testen: Tests, bei denen Menschen das Bild einer Person schnell mit einer Eigenschaft verbinden, zeigen, dass selbst Menschen, die jegliche rassistischen Vorurteile abstreiten, negative Assoziationen hegen können (Banaji & Greenwald, 2013). Millionen von Menschen haben den „Impliziten Assoziationstest“ durchgeführt (so wie auch Sie das auf 7 http://www.implicit.harvard. edu tun können). Auch wenn der Test sehr nützlich ist, um automatische Vorurteile zu untersuchen, warnen Kritiker:innen davor, ihn zu verwenden, um Individuen einzuschätzen oder abzustempeln (Oswald et al., 2013, 2015). Befürwort:innen des Tests entgegnen, dass implizite Vorurteile Verhalten vorhersagen können – von einfachen Akten der Freundlichkeit bis hin zur Einschätzung von Arbeitsleistung (Greenwald et al., 2015).
-
14
590
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.22 Veränderung von Vorurteilen im Lauf der Zeit. Die Zustimmung bei Amerikaner:innen zu Partnerschaften zwischen zwei Mitgliedern unterschiedlicher Ethnien hat während der letzten 25 Jahre zugenommen, wobei jede nachfolgende Generation mehr Zustimmung zum Ausdruck brachte (Pew, 2012)
Prozentsatz der Zustimmung für eine Partnerschaft zwischen zwei Mitgliedern unterschiedlicher Ethnien
100%
Geboren 1981+ Geboren 1965–80 Geboren 1946–64
90 80 70
Geboren 1928–45
60 50 40
Geboren >Prozentsatz von Männern und Frauen, die „ständig an
ihr Aussehen denken“. (Aus McCool, 1999) ..Abb. 14.42 (© Claudia Styrsky)
14
nur ein Gesichtspunkt wichtig: physische Attraktivität (die von den Forschenden vorab erfasst und bewertet worden war). Sowohl Männer als auch Frauen mochten ein gutaussehendes Gegenüber am liebsten. Auch wenn Frauen mit einer größeren Wahrscheinlichkeit als Männer sagen, dass das Aussehen des anderen sie nicht beeinflusst (Lippa, 2007), hat das Aussehen eines Mannes sehr wohl Einfluss auf das weibliche Verhalten (Eastwick et al., 2014a, 2014b). Experimente im Kontext von Speed-Dating sowie Tinder-Swipen zeigen, dass die Attraktivität des Gegenübers bei beiden Geschlechtern den ersten Eindruck beeinflusst (Belot & Francesconi, 2006; Finkel & Eastwick, 2008). Die physische Attraktivität von Menschen hat weitreichende Folgen. Durch sie wird die Häufigkeit von Verabredungen, das Gefühl, gemocht zu werden, und der erste Eindruck vorhersagbar, den jemand von einer bestimmten Person hat. Wir nehmen attraktive Menschen als gesünder, glücklicher, sensibler, erfolgreicher und geselliger wahr, allerdings nicht als mitfühlender (Eagly et al., 1991; Feingold, 1992; Hatfield & Sprecher, 1986).
» „Schönheit ist ein besserer Fürsprecher als jedes Empfehlungsschreiben.“ Aristoteles (300 v. Chr.)
Diejenigen unter uns, die es unfair und rückständig finden, wie wichtig Aussehen ist, können sich von den folgenden drei Forschungsergebnissen beruhigen lassen: Die Attraktivität eines Menschen hat überraschend wenig mit seinem Selbstbewusstsein und seinem Glück zu tun (Diener et al., 1995; Major et al., 1984). Ein Grund hierfür könnte sein, dass sich nur wenige Menschen (vielleicht aufgrund des Mere-ExposureEffekts) selbst für unattraktiv halten, es sei denn, sie vergleichen sich mit überdurchschnittlich attraktiven Menschen (Thornton & Moore, 1993). Auffällig attraktive Menschen argwöhnen manchmal, dass ein Lob für ihre Arbeit möglicherweise nur eine
-
Kanada USA Mexiko Venezuela
Männer 18 17 40 47
Frauen 20 32 45 65
Schönheit liegt im Auge der Betrachtenden bzw. auch ihrer Kultur (. Abb. 14.42). In der Hoffnung, attraktiv auszusehen, haben sich Menschen verschiedener Kulturen ihren Körper gepierct und tätowiert, ihren Hals verlängert, ihre Füße eingebunden und ihre Haut und Haare künstlich aufgehellt oder verdunkelt. Sie haben übermäßig gegessen, um eine füllige Figur zu erlangen, oder sich Fett absaugen lassen, um schlank zu werden, haben chemische Stoffe verwendet, um ungewollten Haarwuchs loszuwerden oder damit an den richtigen Stellen wieder Haare wachsen. Man hat Lederunterwäsche getragen, um die Brüste kleiner erscheinen zu lassen, oder Push-up-BHs getragen und sich chirurgischen Eingriffen unterzogen, damit sie größer aussehen. Kulturell bestimmte Schönheitsideale verändern sich außerdem im Laufe der Zeit. In Nordamerika wich das ultraschlanke Ideal der „Goldenen Zwanziger Jahre“ dem weichen, sinnlichen MarilynMonroe-Ideal der 50er Jahre, um dann durch das heutige schlanke, aber vollbusige Ideal ersetzt zu werden. >>91 % aller kosmetischen Behandlungen werden an
Frauen durchgeführt (ASPS, 2010). Ebenso sind es Frauen, die sich besser an das Aussehen anderer erinnern als Männer (Mast & Hall, 2006). Insgesamt werden von amerikanischen Schönheitschirurg:innen pro Jahr ca. 1,67 Meter Nase abgenommen (Harper’s, 2009).
Einige Aspekte heterosexueller Attraktivität sind jedoch unabhängig von Ort und Zeit (Cunningham et al., 1995; Langlois et al., 2000). Sexuelle Anziehung wird insofern durch körperliche Merkmale beeinflusst, als dass sie Hinweise auf die Reproduktionsfähigkeit eines Individuums geben. Wie Evolutionspsycholog:innen erläutern, halten Männer aus vielen Kulturen, von Australien bis Sambia, Frauen für attraktiver, wenn sie eine jugendliche Erscheinung haben und fruchtbar wirken – was durch ein niedriges Verhältnis von Taillen- zu Hüftumfang angezeigt
609
14.4 • Prosoziale Beziehungen
a
b
c
..Abb. 14.43 a–c In den Augen der Betrachtenden. Was für attraktiv gehalten wird, ist von Kultur zu Kultur und von Zeit zu Zeit unterschiedlich. Dennoch werden einige Merkmale Erwachsener überall als attraktiv wahrgenommen, so wie ein gesundes Erscheinungsbild und
ein relativ symmetrisches Gesicht. (a: © Dragana Gordic/stock.adobe. com; b: © Dipshri Photography/stock.adobe.com; c: © oneinchpunch/ stock.adobe.com)
wird (Karremans et al., 2010; Perilloux et al., 2010; Platek & Singh, 2010). Frauen fühlen sich von gesund aussehenden Männern angezogen, vor allem aber von denen, die einen reifen, dominanten, männlichen und wohlhabenden Eindruck machen – vor allem während ihres Eisprungs (Gallup & Frederick, 2010; Gangestad et al., 2010). Auch Gesichter sind wichtig. Wenn Personen unabhängig voneinander Gesichter und Körper von Personen des anderen Geschlechts beurteilen sollen, sind die Gesichter ein besserer Prädiktor für die allgemeine physische Attraktivität (Currie & Little, 2009; Peters et al., 2007; . Abb. 14.43). Was macht also ein Gesicht attraktiv? Ein Teil der Antwort sind Gesichtsmerkmale, die weder ungewöhnlich groß noch klein sind. Symmetrische Gesichter und Körper werden auch als sexuell attraktiver wahrgenommen (Rhodes et al., 1999; Singh, 1995; Thornhill & Gangestad, 1994). Dadurch lässt sich erklären, warum ein durchschnittliches (und damit ein symmetrisches) Gesicht als attraktiv gilt (. Abb. 14.44; 14.45). Langlois und Roggman (1990) veranschaulichten dies auf clevere Weise: Sie digitalisierten die Gesichter von 32 Studierenden und erstellten daraus mit Hilfe eines Computers Durchschnittsgesichter. Das Ergebnis? Die Betrachtenden hielten die zusammengesetzten Gesichter für weit attraktiver als 96 % der individuellen Gesichter. (Wenn wir nur die Hälfte unseres Gesichts mit unserem Spiegelbild kombinieren könnten, wäre unser neues symmetrisches Gesicht um ein Vielfaches attraktiver; . Abb. 14.46.) Auch unsere Gefühle beeinflussen, ob wir jemanden attraktiv finden. Stellen Sie sich zwei Personen vor: Die eine ist ehrlich, humorvoll und höflich. Die andere ist unhöflich, unfair und gemein. Welche Person ist attraktiver? Die meisten Menschen beurteilen die Person mit den angenehmen Eigenschaften auch als physisch attraktiver (Lewandowski et al., 2007). Oder stellen Sie
sich vor, mit einer fremden Person des Geschlechts, das Sie attraktiv finden, zusammen zu sein – jemandem, der Ihren Selbstoffenbarungen aufmerksam zuhört. Könnte es sein, dass Sie eine sexuelle Anziehung zu dieser empathischen Person verspüren? Bei freiwilligen Studierenden war das in mehreren Experimenten der Fall (Birnbaum & Reis, 2012). Unsere Gefühle beeinflussen unsere Wahrnehmungen. Die Menschen, die wir mögen, finden wir attraktiv. In einem Musical von Rodgers und Hammerstein fragt Prince Charming Cinderella: „Liebe ich dich, weil du so schön bist, oder bist du so schön, weil ich dich liebe?“ Es ist sehr wahrscheinlich, dass beides stimmt. Wenn wir einen geliebten Menschen immer wieder sehen, verlieren die körperlichen Unvollkommenheiten der be-
..Abb. 14.44 (Zachary Kanin/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
14
610
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
a
b
c
..Abb. 14.45 a–d Durchschnitt ist attraktiv. Welches dieser Gesichter, die von dem Psychologen David Perrett (2002, 2010) vorgelegt wurden, ist das attraktivste? Die meisten Menschen sagen, es sei das Gesicht in d, das Gesicht einer nicht existierenden Frau, das aus dem
a
14
d Durchschnitt der Fotos in a–c und 57 weiterer realer Gesichter gebildet wurde. (Mit freundlicher Genehmigung von David Perrett, University of St. Andrews)
b
..Abb. 14.46 a,b Extreme Ummodellierung. In wohlhabenden, schönheitsbewussten Kulturen haben sich immer mehr Menschen, wie Harald Glööckler, der kosmetischen Chirurgie bedient, um ihr Aus-
sehen zu verändern. Wenn Geld keine Rolle spielte, würden Sie dann je so etwas machen? (a: © Kalaene Jens/ZB/picture alliance; b: © Photopress Mueller/Ralf Mueller/picture alliance)
treffenden Person an Bedeutung, und die Attraktivität rückt stärker in den Vordergrund (Beaman & Klentz, 1983; Gross & Crofton, 1977). Shakespeare drückte dieses Phänomen im Sommernachtstraum wie folgt aus: „Die Liebe schaut nicht mit den Augen, sondern mit dem Geist.“ Beginnen Sie jemanden zu lieben, werden Sie sehen, wie seine Schönheit zunimmt.
gen oder lieben: Douglas Heffernan und seine Frau Carrie aus „King of Queens“ oder die Freunde Franz von Hahn, Johnny Mauser und der dicke Waldemar aus den Kinderbüchern von Helme Heine. Diese Geschichten gefallen uns, weil sie das ausdrücken, was wir so selten in unserem Alltag erleben; denn wir neigen dazu, andersartige Menschen nicht zu mögen (Rosenbaum, 1986; Montoya & Horton, 2013). Freund:innen und Paare haben mit einer viel größeren Wahrscheinlichkeit gemeinsame Einstellungen, Meinungen und Interessen (und in diesem Zusammenhang auch Übereinstimmungen in Bezug auf Alter, Religion, Hautfarbe, Bildung, Intelligenz, Rauchverhalten und ökonomischen Status) als zufällig zusammengebrachte Menschen. Weiterhin hat sich herausgestellt: Je ähnlicher sich Menschen sind, desto länger bleiben die Sympathien bestehen (Byrne, 1971; Hartl et al., 2015). Der Journalist Walter Lippmann hat zu Recht angenommen, dass Liebe am beständigsten ist, „wenn die Liebenden nicht nur
zz Ähnlichkeit
Nehmen wir an, dass räumliche Nähe Sie in Kontakt mit jemandem gebracht hat und dass der erste Eindruck Ihres Äußeren gut war. Wodurch wird beeinflusst, ob aus Bekanntschaften Freundschaften werden? Wenn Sie z. B. jemanden kennenlernen, stimmt dann die Chemie eher, wenn Sie sehr verschieden sind oder wenn Sie sich ähneln? Eine spannende Geschichte kann entstehen, wenn extrem unterschiedliche Arten von Menschen einander mö-
611
14.4 • Prosoziale Beziehungen
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Man heiratet wahrscheinlich jemanden, der in der Nähe wohnt oder arbeitet. Das ist ein Beispiel dafür, wie der ___ wirkt. – Wie beeinflusst physische Attraktivität, wie man wahrgenommen wird?
Romantische Liebe ?? 14.16 Wie verändert sich romantische Liebe im Laufe
der Zeit?
Gelegentlich gehen Menschen schnell vom ersten Eindruck über die Freundschaft zum intensiveren, komplexeren und geheimnisvolleren Zustand romantischer Liebe über. Hatfield (1988) unterscheidet zwei Arten der Liebe: die temporäre leidenschaftliche Liebe und eine beständigere kameradschaftliche Liebe. zz Leidenschaftliche Liebe ..Abb. 14.47 (© Dave Coverly/speedbump.com)
einander, sondern auch viele Dinge gemeinsam mögen“. Ähnlichkeit fördert Zufriedenheit (. Abb. 14.47). Nähe, Attraktivität und Ähnlichkeit sind nicht die einzigen Determinanten für Anziehungskraft. Wir mögen auch diejenigen, die uns mögen. Dies gilt insbesondere, wenn wir ein geringes Selbstwertgefühl haben. Wenn wir glauben, dass jemand uns mag, fühlen wir uns gut und reagieren warmherziger. Dies führt dazu, dass man uns sogar noch lieber mag (Curtis & Miller, 1986). Gemocht werden ist sehr lohnenswert.
» „Ich mag den Papst – es sei denn, der Papst mag mich
nicht. Dann mag ich den Papst nicht.“ Donald Trump (18. Februar 2016)
Tatsächlich können alle Ergebnisse, die wir bisher einbezogen haben, mit einer einfachen Belohnungstheorie der Attraktivität erklärt werden: Wir mögen diejenigen, durch deren Verhalten wir belohnt werden, einschließlich derer, die sowohl in der Lage als auch bereit sind, uns beim Erreichen unserer Ziele zu helfen (Montoya & Horton, 2014). Wenn jemand in nächster Nähe eines anderen Menschen lebt oder arbeitet, erfordert es weniger Zeit und Anstrengung, diese Freundschaft zu entwickeln und ihren Nutzen zu genießen. Attraktive Menschen gefallen uns wegen ihres Äußeren; es kann sich gesellschaftlich auszahlen, wenn man mit ihnen zusammen ist. Menschen mit ähnlichen Ansichten belohnen uns dadurch, dass sie unsere eigenen Ansichten bestätigen.
Leidenschaftliche Liebe vermischt etwas Neues mit etwas Positivem (Aron et al., 2000; Coulter & Malouff, 2013). Wir sehnen uns zutiefst danach, mit unserem Partner oder unserer Partnerin zusammen zu sein (Hatfield et al., 2015). Das Sehen unseres Partners oder unserer Partnerin stimuliert den Blutfluss zu einer Gehirnregion, die mit Verlangen und Besessenheit in Verbindung steht (Acevedo et al., 2012). Hatfield nimmt an, dass die Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion (7 Kap. 13) dazu beitragen kann, diese intensive Verschmelzung der romantischen Liebe zu verstehen. Diese Theorie geht davon aus, dass zum einen Emotionen zwei Bestandteile haben, die physische Erregung und die kognitive Beurteilung und dass zum anderen Erregung, wo auch immer sie herrührt, unsere Gefühle vertiefen kann, je nachdem, wie wir die Erregung interpretieren und bewerten.
-
Leidenschaftliche Liebe („passionate love“) – erregter
Zustand intensiven, vollkommenen Ineinander-Aufgehens, der in der Regel zu Beginn einer Liebesbeziehung auftritt. Um diese Theorie zu überprüfen, wurden männliche Studierende durch Angst, Laufen auf der Stelle, das Anschauen erotischen Materials oder das Hören humorvoller oder abstoßender Monologe in Erregung versetzt. Dann wurden sie einer attraktiven Frau vorgestellt und gebeten, diese (oder ihre eigene Freundin) zu bewerten. Im Gegensatz zu den nicht erregten männlichen Versuchsteilnehmern attribuierten diejenigen, die erregt worden waren, einen Teil ihrer Erregung auf die Frau bzw. die Freundin und fühlten sich von ihr stärker an-
14
612
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
vergehen“? Oder können Freundschaft und Zuneigung eine Beziehung aufrechterhalten, wenn die Leidenschaft abkühlt? Hatfield stellt fest, dass die Liebe dann, wenn sie heranreift, zu einer beständigeren kameradschaftlichen Liebe, einer tiefen, liebevollen Zuneigung wird. Wie ein vorüberziehender Sturm lässt die Flut von Hormonen, die die Leidenschaft entfachen (Testosteron, Dopamin, Adrenalin), nach. Aber ein anderes Hormon, Oxytocin, bleibt und verstärkt jetzt Gefühle wie Vertrauen und Ruhe und fördert die Bindung mit dem Partner bzw. der Partnerin. Diese Veränderung von der Leidenschaft zur Zuneigung könnte adaptiv sein (Reis & Aron, 2008). Aus leidenschaftlicher Liebe entstehen oft Kinder, zu deren Überleben es beiträgt, wenn die Eltern nicht mehr nur wie besessen voneinander sind. Kameradschaftliche Liebe („companionate love“) – tiefe, lieBill sah Susan an, Susan sah Bill an. Plötzlich schien der Tod keine Option mehr zu sein. Es war Liebe auf den ersten Blick. ..Abb. 14.48 (© jasonlove.com)
14
gezogen (Carducci et al., 1978; Dermer & Pyszczynski, 1978; White & Kight, 1984; . Abb. 14.48). Dutton und Aron (1974, 1989) verließen für ihre Versuche das Labor und testeten die Reaktionen der Teilnehmer auf zwei Brücken über den felsigen Capilano River in British Columbia. Eine der beiden Brücken, eine schwingende Fußgängerbrücke, hing 70 Meter über den Felsen; die andere war niedrig und massiv. Eine attraktive, junge Mitarbeiterin des Versuchsteams fing die vorbeigehenden Studierenden hinter beiden Brücken ab, bat sie, einen kurzen Fragebogen auszufüllen, und gab ihnen dann ihre Telefonnummer, falls sie mehr über ihr Projekt wissen wollten. Weit mehr Versuchsteilnehmer, die gerade die Hängebrücke überquert hatten und deren Herz immer noch pochte, nahmen die Telefonnummer an und meldeten sich später bei der Frau. Auf Touren gebracht zu werden und einen Teil dieser Erregung mit einem begehrenswerten Menschen zu assoziieren, bedeutet, den Kick der Leidenschaft zu spüren. Adrenalin verstärkt die Gefühle. Sexuelles Verlangen + wachsende Zuneigung = leidenschaftliche Liebe (Berscheid, 2010). zz Kameradschaftliche Liebe
Auch wenn der Funke der romantischen Liebe oft die Zeit überdauert, schwinden doch das vollkommene Ineinander-Aufgehen, die Aufregung der Romanze, das „schwindelerregende“ Gefühl, im siebten Himmel zu schweben. Stimmt also das französiche Sprichtwort: „Die Liebe lässt die Zeit vergehen, die Zeit lässt die Liebe
bevolle Bindung, die wir gegenüber Menschen empfinden, mit denen unser Leben in komplexer Weise verbunden ist. In den glücklichsten Ehen bleiben die Anziehungskraft und das sexuelle Verlangen zwischen den Partner:innen bestehen, während die Leidenschaft der ersten Phase der Beziehung verschwindet (Acevedo & Aron, 2009). Tatsächlich stellen Berscheid et al. (1984) fest, dass es einer Beziehung schaden kann, wenn man sich der begrenzten Dauer der leidenschaftlichen Liebe nicht bewusst ist. Einige Gesellschaften, die um die kurze Dauer einer leidenschaftlichen Liebe wissen, sehen solche Gefühle als irrationalen Grund für eine Heirat an. Es sei besser, so sagt man in diesen Kulturen, sich ein Gegenüber mit vereinbarem Hintergrund und passenden Interessen zu suchen (oder jemand anderes entscheiden zu lassen). Nichtwestliche Kulturen, in denen die Menschen Liebe als weniger wichtig für eine Heirat ansehen, haben niedrigere Scheidungsraten (Levine et al., 1995).
» „Wenn zwei Menschen unter dem Einfluss der heftigs-
ten, verrücktesten, trügerischsten und vergänglichsten aller Leidenschaften stehen, wird von ihnen verlangt zu schwören, dass sie bis zum Tode in diesem erregten, abnormalen und erschöpfenden Zustand bleiben wollen.“ George Bernard Shaw, Getting Married (1908)
Ein Schlüssel zu einer gelungenen und dauerhaften Beziehung ist Equity (ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen): Das Verhältnis von Nutzen und Kosten beider Partner:innen ist gleich. Wenn es einen Ausgleich gibt, d. h. wenn beide Partner:innen frei geben und nehmen und wenn sie gemeinsame Entscheidungen treffen, sind ihre Chancen gut, in dauerhafter und befriedigender kameradschaftlicher Liebe zusammenleben zu können (Gray-Little & Burks, 1983; Van Yperen & Buunk, 1990). In einer nationalen Umfrage lag „Hausarbeiten auftei-
14.4 • Prosoziale Beziehungen
613
der römische Staatsmann Seneca, „habe ich das Gefühl, ich wäre allein; ich habe dann die gleiche Freiheit, alles auszusprechen, was ich sonst nur denke“. Offenheit fördert das Mögen und Gemochtwerden fördert wiederum die Offenheit (Collins & Miller, 1994). Wenn sich eine Person etwas öffnet, erwidert die andere dies; dann öffnet sich die Erste etwas mehr und so weiter und so fort, bis Freund:innen oder Liebende zu tieferer Intimität kommen (Baumeister & Bratslavsk, 1999). Selbstoffenbarung („self-disclosure“) – anderen Men-
schen intime Aspekte von sich selbst mitteilen.
..Abb. 14.49 Liebe ist etwas Uraltes. 2007 wurde nahe Rom ein 5000 bis 6000 Jahre altes Pärchen ausgegraben: Romeo und Julia, eng in einer Umarmung verschlungen. (© FELICE CALABRO/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
len“ auf dem 3. Platz nach „Treue“ und „gute sexuelle Beziehung“ auf einer Liste von neun Dingen, die die Teilnehmende mit glücklichen Ehen in Verbindung brachten. „Ich mag Umarmungen. Ich mag Küsse. Aber was ich wirklich liebe, ist wenn man mir beim Abspülen hilft“, fasste das Pew Research Center (2007) diese Befunde zusammen. Equity (ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen; „equity“) – ein Zustand, in dem Menschen aus einer
Beziehung genauso viel bekommen, wie sie geben. Die Bedeutung von Equity erstreckt sich über das Zusammenleben in der Ehe hinaus. Materielles und Immaterielles teilen, zusammen Entscheidungen treffen, emotionale Unterstützung geben und empfangen, das Wohlergehen des anderen fördern und pflegen gehört zum Wesen jeder Liebesbeziehung (Sternberg & Grajek, 1984). Dies trifft für Liebende, Eltern und Kinder und enge Freundinnen und Freunde zu. Zum Teilen gehört die Selbstoffenbarung („self-disclosure“), das Preisgeben intimer Details über uns selbst, unsere Vorlieben und Abneigungen, unsere Träume und Sorgen, unsere stolzen und unsere peinlichen Momente. „Wenn ich mit meinem Freund zusammen bin“, schrieb ..Abb. 14.50 (© Chance Browne/Distr. King Feature Syndicate, Inc./Distr. Bulls)
Bei einem Experiment wurden Studierende paarweise durch ein 45-minütiges Gespräch geführt, das immer mehr Offenheit erforderte: Es begann mit „Was ist die größte Errungenschaft in Ihrem Leben?“ und endete mit „Wann hast du zuletzt in Anwesenheit eines anderen Menschen geweint und wann allein?“ Bei Versuchsende fühlten sich diejenigen wesentlich verbundener mit ihrem Gegenüber, die die wachsende Vertrautheit erfahren hatten, als andere Paare der Kontrollgruppe, die ihre Zeit mit Smalltalk-Fragen wie etwa „Wie war deine High School?“ verbracht hatten (Aron et al., 1997). Ebenso empfanden Paare, nachdem sie 45 Minuten damit verbracht hatten, solche Fragen zu beantworten, mehr Liebe (Welker et al., 2014; . Abb. 14.49; 14.50). Neben Equity und Selbstoffenbarung ist positive Unterstützung ein dritter Schlüssel zu langanhaltender Liebe. Konflikte sind in Beziehungen unvermeidbar, verletzende Kommunikation jedoch nicht. Drücken wir in Gesprächen öfter Sarkasmus oder Unterstützung aus, vermitteln wir Verachtung oder Sympathie und zeigen wir ein höhnisches oder ein freundliches Lächeln? Bei unglücklichen Paaren bestimmen Meinungsverschiedenheiten, Kritik am anderen und Herabsetzungen der Alltag. Bei glücklichen Paaren mit stabilen Beziehungen kommen positive Interaktionen (Komplimente, Berührungen, Lachen) mindestens 5-mal so häufig vor wie negative (Sarkasmus, Missbilligung, Beleidigungen; Gottman, 2007; s. auch Sullivan et al., 2010). In der Mathematik der Liebe, gilt folgende Rechnung: selbstoffenbarende Intimität + gegenseitige Unterstüt-
14
614
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.51 Warum geschehen Völkermorde? Schätzungsweise 800.000 Menschen starben während des ruandischen Völkermordes von 1994, als Hutu-Gruppen Massenmorde an Tutsi verübten. Die sozialpsychologische Forschung hilft uns, einige der Ursachen für Völkermorde zu verstehen. Wir neigen dazu, unsere Welt in „wir“ und „sie“ einzuteilen und, wenn wir bedroht werden, eine größere Feindseligkeit gegenüber Fremdgruppen zu empfinden. (© Ben Curtis/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
zung und Gleichberechtigung = andauernde kameradschaftliche Liebe. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie kann durch die 2-Faktoren-Theorie der Emotion leidenschaftliche Liebe erklärt werden? – Zwei unerlässliche Komponenten, um kameradschaftliche Liebe aufrechtzuerhalten, sind ___ und ___.
14
14.4.2 Altruismus ?? 14.17 Was ist Altruismus? Wann ist es am wahr-
scheinlichsten bzw. am unwahrscheinlichsten, dass Menschen helfen?
Altruismus ist das selbstlose Interesse am Wohlergehen anderer, so wie es beispielsweise Dirk Willems zeigte, als er seinen Gefängniswärter rettete. Willems entspricht der Definition eines Helden – moralisch, mutig und beschützend gegenüber Menschen in Not (Kinsella et al., 2015). Carl Wilkens und Paul Rusesabagina zeigten in Kigali, Ruanda, weitere heldenhafte Beispiel für Altruismus. Wilkens, ein Adventistenmissionar, lebte 1994 mit seiner Familie dort, als die Hutu-Milizen begannen, die ethnische Minderheit der Tutsi abzuschlachten. Die amerikanische Regierung, die Kirchenleitung und Freund:innen, alle flehten Wilkens an, das Land zu verlassen. Er weigerte sich. Nachdem seine Familie evakuiert worden war und alle anderen Amerikaner:innen Kigali verlassen hatten, blieb er allein da und stritt gegen den Völkermord an 800.000 Menschen. Als die Milizen kamen, um ihn und seine Tutsi-Bediensteten zu töten, hielten seine Hutu-Nachbar:innen sie zurück. Trotz wiederholter
Todesdrohungen verbrachte er seine Tage damit, durch die gefährlichen Straßenblockaden hindurch Essen und Wasser in die Waisenheime zu bringen, zu verhandeln, zu bitten und drängelnd seinen Weg durch das Blutbad zu finden; dabei rettete er immer wieder Menschenleben. „Es schien einfach die richtige Sache zu sein, die man tun musste“, erklärte er später (Kristof 2004; . Abb. 14.51). Altruismus („altruism“) – selbstloses Interesse am Wohl-
ergehen anderer. An einem anderen Ort in Kigali beherbergte Paul Rusesabagina, ein mit einer Tutsi verheirateter Hutu und damals Manager eines Luxushotels, mehr als 1200 vom Schrecken gezeichnete Tutsis und gemäßigte Hutus. Als die internationale Friedenstruppe die Stadt aufgab und die feindselige Miliz seine Gäste im „Hotel Rwanda“ (wie es 2004 in einem Film genannt wurde) bedrohte, begann der couragierte Rusesabagina, jene alten Kontakte zu aktivieren, die ihm noch einen Gefallen schuldeten. Er bestach die Miliz und telefonierte mit einflussreichen Personen im Ausland, um Druck auf die lokalen Behörden auszuüben. So rettete er das Leben der Hotelgäste inmitten einer chaotischen Situation. Eine derartig selbstlose Güte ist ein Beispiel für Altruismus, dem uneigennützigen Interesse am Wohlergehen anderer. Nach einem besonders niederträchtigen Akt wurde Altruismus zum wichtigen Thema für die Sozialpsychologie. Am 13. März 1964 stach ein Stalker wiederholt auf Kitty Genovese ein und vergewaltigte sie; um 3.30 Uhr nachts lag sie dann sterbend vor ihrer Wohnung in Queens (New York). „Oh, mein Gott, er sticht auf mich ein!“, schrie sie laut in die Stille des frühen Morgens hinein. „Bitte helfen Sie mir!“ Fenster öffneten sich und Lichter gingen an, als Nachbar:innen ihre Schreie hörten. Der Angreifer floh und kehrte dann zurück, um noch weiter auf sie einzustechen und sie erneut zu ver-
615
14.4 • Prosoziale Beziehungen
Bemerkt Vorfall
Nein
a
Keine Hilfe
Ja
Interpretiert Vorfall als Notfall Nein
Keine Hilfe
Ja
Übernimmt Verantwortung
Ja
Versucht zu helfen
Nein
Keine Hilfe
b
..Abb. 14.52 a,b Der Entscheidungsprozess für das Eingreifen von Unbeteiligten. Bevor man hilft, muss man einen Notfall zunächst bemerken, ihn dann als solchen richtig interpretieren und sich schließlich verantwortlich fühlen (a). 2016 erregte der Vorfall in einer Essener Bank Auf-
sehen, bei dem mehrere Personen einem zusammengebrochenen Rentner nicht halfen und zum Teil über ihn hinwegstiegen, um ihren Geschäften nachzugehen. Der Mann starb kurz darauf (b). (a: Aus Darley & Latané 1968b, © Psychology Today; b: © Polizei Essen/dpa/picture alliance)
gewaltigen. Bis zu dem Zeitpunkt, als es schon zu spät war, rief niemand die Polizei oder kam ihr zu Hilfe.
daher glaubten, sie stünden allein in der Verantwortung, ihm beizustehen –, kamen ihm in der Regel zu Hilfe (. Abb. 14.53). Diejenigen, die dachten, auch andere könnten ihn hören, taten eher nichts. Wenn sich mehrere Menschen die Verantwortung zur Hilfe teilten – also Verantwortungsdiffusion vorlag – war die Wahrscheinlichkeit zu helfen bei dem einzelnen Hörer geringer. Unachtsamkeit und diffuse Verantwortung tragen auch zur „globalen Zuschauendennichtintervention“ bei, wenn Millionen von weit entfernten Menschen an Hunger, Krankheiten und Völkermord sterben (Pittinsky & Diamante, 2015). In Hunderten weiterer Experimente wurde dieser Zuschauendeneffekt („bystander effect“) bestätigt. Beispielsweise unternahmen Latané und Dabbs (1975) und ihre Mitarbeiter:innen in drei Städten 1497 Fahrten mit dem Fahrstuhl und ließen „zufällig“ vor insgesamt 4813 Mitreisenden Münzen oder Bleistifte fallen. Wenn man mit der Person in der Situation allein war, half man in 40 % der Fälle. In Anwesenheit von fünf weiteren Zuschauenden halfen nur 20 %. Die Anwesenheit von Zuschauer:innen verringert die Gehirnaktivierung im motorischen Kortex und signalisiert, dass wir nicht handeln müssen (Hortenhuis & de Gelder, 2014).
» „Es gibt wahrscheinlich keinen anderen Vorfall, der die Aufmerksamkeit der Sozialpsychologen so stark auf einen Aspekt sozialen Verhaltens gelenkt hat, wie der Mord an Kitty Genovese.“ R. Lance Shotland (1984)
Zuschauendenintervention Obwohl in den ersten Meldungen über den Mord an Kitty Genovese die Zahl der Zeug:innen überschätzt wurde, lösten die Berichte Empörung über die scheinbare „Apathie“ und „Gleichgültigkeit“ der Zuschauenden aus. Die Sozialpsychologen Darley und Latané (1968b) suchten jedoch weniger die Schuld bei den Zuschauer:innen, sondern schrieben deren Untätigkeit einem wichtigen situativen Faktor zu: der Präsenz anderer. Unter bestimmten Umständen, so nahmen sie an, würden sich die meisten von uns ähnlich verhalten. Um den französischen Schriftsteller Voltaire zu paraphrasieren, sind wir alle verantwortlich für das Gute, das wir nicht tun. Nach inszenierten Notfällen unter verschiedenen Bedingungen fassten Darley und Latané ihre Forschungsergebnisse in einem Entscheidungsschema zusammen: Wir helfen nur dann, wenn es uns die Situation zunächst ermöglicht, den Vorfall zu bemerken, ihn dann als Notfall zu interpretieren und schließlich Verantwortung zu übernehmen sowie zu helfen (. Abb. 14.52). Bei jedem Schritt hält die Anwesenheit weiterer Zuschauer:innen die Menschen davon ab zu helfen. Bei einem der Experimente von Darley und Latané wurde ein Notfall vorgetäuscht, bei dem sich Studierende in getrennten Laborräumen abwechselnd über eine Gegensprechanlage unterhielten. Nur derjenige, dessen Mikrofon angeschaltet war, konnte gehört werden. Ein Student arbeitete mit den Forschern zusammen. Als er an der Reihe war, gab er vor, einen epileptischen Anfall zu haben und rief um Hilfe (Darley & Latané, 1968a). Wie reagierten die anderen? Diejenigen, die davon ausgingen, dass nur sie das Opfer hören konnten – und
Zuschauendeneffekt („bystander effect“) – Tendenz eines einzelnen Zuschauers oder einer einzelnen Zuschauerin, seltener zu helfen, wenn weitere Zuschauende anwesend sind.
Verhaltensstudien an Tausenden solcher „Notfälle“ (einen Notruf tätigen, einem stehen gebliebenen Autofahrer helfen, Blut spenden, hinuntergefallene Bücher aufheben, Geld spenden und Zeit opfern; . Abb. 14.54) zeigen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass wir jemandem helfen, von den Eigenschaften der Person, der Situation und unserem eigenen inneren Zustand abhängt. Wir helfen am ehesten, wenn das Opfer offensichtlich Hilfe benötigt und verdient. das Opfer uns in gewisser Weise ähnelt.
--
14
616
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
Prozentsatz derer, die versuchen, Hilfe zu leisten
% Menschen helfen seltener, wenn sie glauben, auch andere könnten helfen
90 80 70 60 50 40 30 20 10 0
1
2
3
4
Anzahl weiterer Menschen, von denen angenommen wurde, sie könnten auch helfen ..Abb. 14.53 Reaktionen auf einen simulierten Notfall. Wenn Menschen davon ausgingen, sie würden als Einzige die Hilferufe eines Menschen hören, von dem sie glaubten, er habe einen epileptischen Anfall, halfen sie im Normalfall. Aber wenn sie annahmen, dass noch vier andere den Hilferuf hörten, reagierte weniger als ein Drittel. (Nach Darley & Latané, 1968a)
14
----
das Opfer eine Frau ist. wir gerade jemand beobachtet haben, der geholfen hat. wir nicht in Eile sind. wir uns in einer Kleinstadt oder in einem ländlichen Gebiet befinden. wir uns schuldig fühlen. wir offen sind für andere und nicht innerlich anderweitig beschäftigt sind. wir gut gelaunt sind.
Das letzte Ergebnis, d. h., dass glückliche Menschen hilfsbereit sind, gehört zu den konsistentesten Erkenntnissen der Psychologie. Wie der Dichter Robert Browning (1868) es ausdrückte: „Oh, mach uns glücklich und du machst uns zu guten Menschen!“ Unabhängig davon, wie Menschen in eine gute Stimmung kommen, sei es, dass sie dazu gebracht werden, sich erfolgreich und intelligent zu fühlen, sei es durch glückliche Gedanken, durch Geldfunde oder sogar durch posthypnotische Suggestion – sie werden dadurch großzügiger und hilfsbereiter (Carlson et al., 1988). Ein Hochgefühl, nachdem wir selbstloses Handeln anderer beobachtet haben, wird unsere Hilfsbereitschaft sogar noch mehr steigern (Schnall et al., 2010). Glücksgefühle bewirken also, dass wir hilfsbereit sind. Es ist jedoch auch der Fall, dass Hilfsbereitschaft uns glücklich macht. Bedürftigen zu helfen, aktiviert Gehirnareale, die mit Belohnung assoziiert sind (Harbaugh
..Abb. 14.54 (© 2006 Nick Downes)
et al., 2007; Kawamichi et al., 2015). Dadurch kann man ein eigenartiges Phänomen erklären: Menschen, die ihr Geld verschenken, sind glücklicher als die, die fast alles für sich selbst ausgeben. In einem kontrollierten Experiment gab die Versuchsleitung den Teilnehmenden einen Umschlag mit Geld und wies eine Gruppe an, es für sich selbst auszugeben und eine andere, es für andere auszugeben (Dunn et al., 2008; Dunn & Norton, 2013). Welche Gruppe am Ende glücklicher war? Tatsächlich waren es die Versuchspersonen, die aufgefordert wurden, alles für andere auszugeben. Und in einer Umfrage unter mehr als 200.000 Menschen weltweit waren sowohl Menschen in reichen als auch in armen Ländern zufriedener mit ihrem Leben, wenn sie im letzten Monat an eine Wohltätigkeitsorganisation gespendet hatten. Allein der Gedanke, Geld für andere auszugeben, sorgt bei den meisten Menschen für einen Stimmungsaufschwung (Aknin et al., 2013). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wieso half niemand Kitty Genovese? Welches sozialpsychologische Prinzip veranschaulicht dieser Vorfall?
Helfen – Eigeninteresse oder Sozialisierung? ?? 14.18 Wie erklären die Theorie des sozialen Aus-
tauschs und soziale Normen Hilfeverhalten?
617
14.4 • Prosoziale Beziehungen
Tempe, Arizona, 3300 Dollar in einem Rucksack fand, kam die Reziprozitätsnorm zum Tragen. Der Rucksack gehörte einem Studenten der Arizona State University, der ihn auf dem Weg zum Gebrauchtwagenhändler verlor (Lacey, 2010). Statt das Geld dazu zu benutzen, eine dringende Fahrradreparatur, Essen und ein Obdach zu bezahlen, übergab Tally den Rucksack dem Sozialdienst, in dem er freiwillig arbeitete. Der Besitzer des Rucksacks bedankte sich bei Ihm mit einem Finderlohn. Dutzende andere, die von Tallys selbstloser Handlung hörten, schickten ihm Geld und Jobangebote. Reziprozitätsnorm („reciprocity norm“) – Erwartung, dass ..Abb. 14.55 (© 2014 Steve Kelley)
Warum helfen wir? Eine weit verbreitete Meinung ist, dass allen menschlichen Interaktionen ein Eigeninteresse zugrunde liegt, dass unser ständiges Ziel darin besteht, Belohnungen zu maximieren und Kosten zu minimieren. In der Betriebswirtschaft spricht man dabei von der Kosten-Nutzen-Analyse. Die Philosophie nennt es Utilitarismus. Sozialpsycholog:innen nennen es die Theorie des sozialen Austauschs. Wenn Sie überlegen, ob Sie Blut spenden sollen, wägen Sie vielleicht die Kosten (Zeit, Unannehmlichkeiten und Angst) mit den Vorteilen (weniger Schuldgefühle, soziale Anerkennung, gutes Gefühl) ab. Wenn die zu erwartende Belohnung die Kosten übersteigt, werden Sie helfen (. Abb. 14.55). Theorie des sozialen Austauschs („social exchange theory“) – besagt, dass es sich bei unserem Sozialverhalten
um einen Austauschprozess handelt, dessen Ziel es ist, den Nutzen zu maximieren und die Kosten zu minimieren. Andere sind der Meinung, dass wir helfen, weil wir dazu sozialisiert wurden, dies zu tun, aufgrund von Normen, die vorschreiben, wie wir uns verhalten sollten (Everett et al., 2015). Zwei solcher Normen sind die Reziprozitätsnorm und die Norm der sozialen Verantwortung: Die Reziprozitätsnorm bezeichnet die Erwartung, dass wir denen, die uns geholfen haben, auch helfen sollten, statt ihnen zu schaden. In unseren Beziehungen zu anderen, die einen ähnlichen Status haben, regt uns diese Norm an, ungefähr so viel zu geben (Gefallen, Geschenke oder gesellschaftliche Einladungen), wie wir erhalten. Manchmal bedeutet dies, „es im Voraus zu bezahlen“, wie es in einem Experiment geschah, als Menschen, die großzügig behandelt wurden, eher bereit waren, einem Fremden gegenüber großzügig zu sein (Tsvetkova & Macy, 2014). Das Erwidern eines Gefallens fühlt sich gut an und macht die Reziprozitätsnorm zu einer angenehmen Strategie, um anderen zu helfen (Hein et al., 2016). Als Dave Tally, ein Obdachloser aus
wir denen, die uns geholfen haben, helfen und ihnen keinen Schaden zufügen sollten. Die Norm der sozialen Verantwortung bezeichnet die Erwartung, dass wir denen, die unsere Hilfe benötigen – kleinen Kindern und anderen, die nicht so viel geben können, wie sie bekommen –, helfen sollten, selbst dann, wenn die Kosten höher sind als der Nutzen. Die Europäer:innen nehmen besonders schutzbedürftige Asylsuchende auf, z. B. solche, die gefoltert wurden oder keine überlebenden Familienangehörige haben (Bansak et al., 2016). Der Bauarbeiter Wesley Autrey setzte die Norm der sozialen Verantwortung am 2. Januar 2007 beispielhaft in die Tat um. Er wartete in New York mit seinen 4und 6-jährigen Töchtern auf die U-Bahn, als ein Mann in einem Anfall hinfiel, wieder aufstand und dann über die Bahnsteigkante auf die Schienen fiel. Da schon die Scheinwerferlichter des einfahrenden Zuges zu erkennen waren, „musste ich in Sekundenbruchteilen eine Entscheidung treffen“, erinnert sich Autrey später (Buckley, 2007). Unter den entsetzten Blicken seiner Töchter sprang er vom Bahnsteig, schubste den Mann von den Gleisen in den Raum zwischen den Gleisen und legte sich auf ihn. Als der Zug quietschend zum Stillstand kam, fuhren fünf Waggons direkt über seinen Kopf hinweg und hinterließen Schmieröl auf seiner Strickmütze. Als Autrey rief: „Meine zwei Töchter sind da oben, sagt ihnen, dass es ihrem Vater gut geht“, brachen die Zuschauenden in Applaus aus (. Abb. 14.56). Norm der sozialen Verantwortung („social responsibility norm“) – Erwartung, dass wir denen, die unsere Hilfe
benötigen, helfen. Viele Weltreligionen halten ihre Anhänger:innen dazu an, die Norm der sozialen Verantwortung anzuwenden und manchmal führt dies zu prosozialem Verhalten. Zwischen 2006 und 2008 wurden in Meinungsumfragen mehr als 300.000 Menschen in 140 Ländern befragt, um „sehr religiöse“ Menschen (die sagten, Religion wäre wichtig für sie und die in der vergangenen Woche zur Messe gingen) mit weniger religiösen zu vergleichen. Obwohl sie ärmer waren, gaben die religiöseren Teilnehmer:in-
14
618
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
..Abb. 14.56 Der U-BahnHeld Wesley Autrey. „Ich finde nicht, dass ich etwas Besonderes getan habe. Ich habe nur jemanden gesehen, der Hilfe brauchte.“ Fünf Jahre später ereignete sich eine ähnliche Situation, als ein weiterer Mann auf die U-Bahn-Gleise geschubst wurde – aber dieses Mal half niemand (Nocera, 2012). Sozialpsycholog:innen fragen sich: Unter welchen Bedingungen helfen Menschen? (© Frank Franklin/ ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
nen mit einer 50 % höheren Wahrscheinlichkeit an, „im letzten Monat Geld an eine Wohltätigkeitsorganisation gespendet zu haben“ und freiwillig in einer solchen mitgearbeitet zu haben (Pelham & Crabtree, 2008).
Staaten. In jeder dieser Situationen kann ein Konflikt eine positive Veränderung in Gang setzen oder ein destruktiver Prozess sein, der zu unerwünschten Resultaten führen kann. Zu diesen destruktiven Prozessen gehören soziale Fallen und verzerrte Wahrnehmungen.
14.4.3
Konflikt („conflict“) – wahrgenommene Unvereinbarkeit
Konflikte und Friedensstiftung
von Handlungen, Zielen oder Ideen.
14
Positive soziale Normen fördern Großzügigkeit und ermöglichen ein Zusammenleben in Gruppen, doch Konflikte bringen uns oft auseinander. Eine Reaktion auf die jüngsten Massenmigrationen ist der zunehmende Nationalismus und Nativismus. Darüber hinaus werden weltweit weiterhin täglich fast 5 Mrd. Dollar für Armeen und ihre Waffen ausgegeben – Geld, das für dringend benötigten Wohnraum, Ernährung, Erziehung und Gesundheit verwendet werden könnte. In dem Wissen, dass Kriege in den Köpfen der Menschen anfangen, haben sich Psycholog:innen gefragt: Was im Denken der Menschen verursacht destruktive Konflikte? Wie könnte das Gefühl, von gesellschaftlichen Divergenzen bedroht zu sein, durch einen Gemeinschaftssinn ersetzt werden?
Elemente von Konflikten
zz Soziale Fallen
In manchen Situationen fördern wir unser kollektives Wohlbefinden, wenn wir unsere persönlichen Interessen verfolgen. So schrieb der Kapitalismustheoretiker Adam Smith in The Wealth of Nations (1776): „Nicht dank der Mildtätigkeit des Metzgers, Brauers oder Bäckers bekommen wir unser Abendessen, sondern weil es in ihrem eigenen Interesse liegt.“ In anderen Situationen mindern wir unser kollektives Wohlbefinden, wenn wir unseren persönlichen Interessen nachgehen. Solche Situationen werden soziale Fallen genannt. Soziale Falle („social trap“) – Situation, in der sich die
am Konflikt beteiligten Parteien in wechselseitig destruktivem Verhalten verfangen, weil jede Partei die eigenen Interessen und nicht das Wohl der Gruppe verfolgt.
?? 14.19 Wie können soziale Fallen und spiegelbildliche
Wahrnehmung soziale Konflikte anheizen?
Für die Sozialpsychologie ist ein Konflikt die scheinbare Unvereinbarkeit von Handlungen, Zielen oder Ideen. Die Elemente eines Konflikts sind im Wesentlichen immer dieselben, ganz gleich, auf welcher Ebene der Konflikt stattfindet, ob es sich um streitende Paare handelt, um politische Auseinandersetzungen oder um kriegführende
Forschende haben in Laborspielen kleine soziale Fallen aufgestellt, bei denen zwei Teilnehmende zwischen dem Verfolgen ihres eigenen unmittelbaren Vorteils auf Kosten der anderen und der Kooperation für einen gemeinsamen Nutzen wählen müssen. In vielen Situationen des wirklichen Lebens stehen sich unsere eigenen Interessen und das Gemeinwohl in ähnlicher Weise gegenüber. Einzelne Betreibende von Fischtrawlern argumentierten, dass
14.4 • Prosoziale Beziehungen
619
..Abb. 14.57 Nicht in meinem Ozean! Viele Menschen sind für alternative Energiequellen, auch für Windräder. Doch Projekte zum Bau von Windkraftparks an real existierenden Orten finden nur wenig Unterstützung. Die Planung der Aufstellung von Windrädern vor der deutschen Küste führte zu einer hitzigen Debatte über die Vorteile sauberer Energie für die Zukunft im Vergleich zu den Kosten dafür, dass man die Aussicht verbaut. (© Bernd Wüstneck/dpa/picture alliance)
sie mit den wenigen Fischen, die sie fingen, nicht deren Spezies gefährdeten und dass diese Tiere, wenn nicht von ihnen, sowieso von anderen Schleppnetzfischer:innen gefangen werden würden. Fazit: Einige Fischbestände sind inzwischen weitgehend zerstört. Das Gleiche gilt für die Büffeljagd von gestern und die Elfenbeinwilderei von heute. Die einzelnen Besitzer:innen von Autos und Häusern mögen argumentieren: „Elektroautos sind teurer. Außerdem trägt der Brennstoff, den ich in meinem einen Auto verbrauche, nicht wesentlich zum Treibhauseffekt bei.“ Wenn genügend Menschen auf die gleiche Weise argumentieren, ist das kollektive Ergebnis eine bedrohliche Katastrophe: die globale Erwärmung, der drohende Anstieg des Meeresspiegels und das extremere Wetter. Soziale Fallen stellen eine Herausforderung dar. Wir müssen Wege finden, wie wir das Recht darauf, unser persönliches Wohl anzustreben, mit der Verantwortung für das Wohl aller in Einklang bringen können (. Abb. 14.57). Psycholog:innen erforschen deshalb, auf welchem Weg Menschen dazu gebracht werden können, zugunsten ihres gegenseitigen Vorteils zu kooperieren – durch gemeinsam vereinbarte Regeln, durch bessere Kommunikation und durch die Förderung eines Bewusstseins für unsere Verantwortung gegenüber der Gemeinschaft, dem Staat und der Menschheit insgesamt (Linder, 1982; Dawes, 1980; Sato, 1987). Denn unter diesen Bedingungen kooperieren Menschen häufiger miteinander, sei es beim Spielen in einer Laborsituation oder im wirklichen Leben. zz Wahrnehmung des Feindes
Psycholog:innen haben festgestellt, dass diejenigen, die sich in einem Konflikt miteinander befinden, die merkwürdige Neigung haben, diabolische Bilder vom jeweils anderen zu entwickeln. Diese verzerrten Bilder gleichen
sich komischerweise, und zwar so sehr, dass wir sie spiegelbildliche Wahrnehmungen nennen: So wie wir „die anderen“ sehen, etwa als nicht vertrauenswürdig und mit bösen Absichten, so sehen „sie“ uns. Jeder dämonisiert den anderen. Meine politische Partei hat wohlwollende Motive; die andere Partei ist böswillig (Waytz et al., 2014). Spiegelbildliche Wahrnehmungen können oft zu einem tödlichen Kreislauf der Feindseligkeit führen. Wenn Thorsten meint, Julia habe sich über ihn geärgert, kann er sie dumm anreden; das wiederum verleitet sie dazu, so zu handeln, dass seine Wahrnehmung gerechtfertigt erscheint. Wie bei Individuen ist es auch bei Staaten. Wahrnehmungen können zu selbsterfüllenden Prophezeiungen werden – Überzeugungen, die sich selbst bestätigen, indem sie den anderen Staat dazu bringen, auf eine Weise zu reagieren, die sie zu rechtfertigen scheint. Spiegelbildliche Wahrnehmungen („mirror-image perceptions“) – gegenseitige Wahrnehmung, die konfligie-
rende Parteien häufig haben, wenn sie beispielsweise sich selbst jeweils als ethisch korrekt und friedlich, die andere Seite hingegen als böse und aggressiv sehen. Selbsterfüllende Prophezeiung („self-fulfilling prophecy“) – eine Überzeugung, die zu ihrer eigenen Erfüllung führt. Einzelne Personen und Nationen neigen in Experimenten gleichermaßen dazu, ihre eigenen Handlungen als Reaktion auf eine Provokation zu sehen und nicht als Ursache für das, was folgt. Sie selbst nehmen ihre Handlungen so wahr, als ob sie einfach dem Motto „wie du mir, so ich dir“ folgen. Wie die Teilnehmenden eines Experimentes am University College London zeigten (Shergill et al., 2003), schlagen sie deshalb umso härter zurück. Die Aufgabe: Nachdem Druck auf ihren Finger ausgeübt
14
620
14
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
wurde, sollten sie mit Hilfe einer Maschine Druck auf den Finger eines anderen Teilnehmers ausüben. Obwohl sie sich bemühten, genauso stark zu drücken, wie es bei ihnen geschah, verwendeten sie im Gegenzug meistens ungefähr 40 % mehr Kraft. Trotz des Versuchs, gleich stark zu drücken, uferten ihre Berührungen bald zu starkem Drücken aus – ähnlich wie wenn ein Kind sich nach einem Streit verteidigt: „Ich habe ihn nur geschubst, aber er hat fester zugeschlagen.“ Spiegelbildliche Wahrnehmungen können auch auf internationaler Ebene Kreisläufe von Feindseligkeit bewirken. Den meisten Menschen erscheint Folter eher gerechtfertigt, wenn sie von „uns“ und nicht von „ihnen“ durchgeführt wird (Tarrant et al., 2012). In US-amerikanischen Medienberichten wurden Muslim:innen, die jemanden getötet hatten, als fanatische, hasserfüllte Terrorist:innen dargestellt. Ein US-Amerikaner, der mutmaßlich 16 Afghanen getötet hatte, wurde hingegen als gestresst von Eheproblemen, vier Dienstreisen und einem Freund, dem das Bein weggesprengt wurde, dargestellt (Greenwald, 2012). Es geht hier nicht darum, dass die Wahrheit genau zwischen den beiden Sichtweisen liegen muss (die eine kann durchaus zutreffender sein als die andere). Worum es geht, ist das Phänomen, dass die Wahrnehmungen von Feind:innen oft spiegelbildlich sind. Darüber hinaus verändern sich die Wahrnehmungen, wenn sich die Feindbilder verändern. In den Köpfen der Amerikaner:innen und in den Medien wurden aus den „blutrünstigen, grausamen, verräterischen“ Japaner:innen des Zweiten Weltkriegs später unsere „intelligenten, hart arbeitenden, disziplinierten, kraftvollen japanischen Verbündeten“ (Gallup, 1972). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Warum verspüren Sportbegeisterte Befriedigung, wenn ihre Erzrival:innen ein Spiel verlieren? Wird durch solche Gefühle die Konfliktbewältigung in anderen Kontexten erschwert?
ver Kontakt erhöht die Abneigung (Graf et al., 2014; Paolini et al., 2014). Aber positiver Kontakt – insbesondere wenn er nicht kompetitiv ist und zwischen zwei Parteien mit gleichem Status stattfindet, wie etwa unter Kolleg:innen – kann hilfreich sein. Kolleg:innen unterschiedlicher ethnischer Zugehörigkeiten, die zunächst gegenseitig Vorurteile hegten, gelingt es unter derartigen Umständen normalerweise, einander zu akzeptieren. Dieser Befund wird durch eine statistische Auswertung von über 500 Studien zum Kontakt zwischen Mehrheitsgruppen und Fremdgruppen (wie ethnischen Minderheiten, älteren Menschen oder Menschen mit Behinderungen), an denen 250.000 Personen aus 38 Ländern teilnahmen, bestätigt: Kontakt korrelierte mit positiven Einstellungen gegenüber anderen bzw. führte in Experimenten dazu (Al Ramiah & Hewstone, 2013; Lemmer & Wagner, 2015; Pettigrew & Tropp, 2011). Einige Beispiele: Durch Kontakt glichen sich die Einstellungen von weißen und Schwarzen Südafrikaner:innen aneinander an (Dixon et al., 2007; Finchilescu & Tredoux, 2010; Swart et al., 2011). Die Einstellung von Heterosexuellen gegenüber Schwulen ist nicht nur dadurch beeinflusst, was sie wissen, sondern auch dadurch, wen sie kennen (Collier et al., 2012; Smith et al., 2009). In Umfragen geben die Menschen am häufigsten als Grund für eine größere Unterstützung der gleichgeschlechtlichen Ehe an, „Freund:innen, Familie oder Bekannte zu haben, die schwul oder lesbisch sind“ (Pew, 2013b). Freundlicher Kontakt, beispielsweise zwischen Schwarzen und Weißen als Wohnungsteilende, verbessert nicht nur die Einstellungen gegenüber anderen der entsprechenden ethnischen Gruppe, sondern auch die zu anderen ethnischen Gruppen (Gaither & Sommers, 2013; Tausch et al., 2010).
-
Wie können wir Frieden stiften? Können Gegensätze, die durch Vorurteile und Konflikte geschürt wurden, durch Zusammenarbeit, Kommunikation und Versöhnung in friedensfördernde Einstellungen umgewandelt werden? Forschungen zeigen, dass dies in manchen Fällen möglich ist.
Kontakt allein genügt allerdings nicht immer. In den meisten gemischtrassigen amerikanischen Highschools trennen sich weiße und Schwarze Schülerinnen und Schüler im Speisesaal, im Klassenzimmer und anderswo auf dem Schulgelände wieder (Alexander & Tredoux, 2010; Clark et al., 2005; Schofield, 1986). Personen in beiden Gruppen glauben oft, dass sie mehr Kontakt mit der anderen Gruppe durchaus begrüßen würden, aber sie unterstellen, dass die andere Gruppe den Wunsch nicht erwidert (Shelton & Richeson, 2007). „Ich strecke ihnen nicht die Hand entgegen, weil ich nicht zurückgestoßen werden möchte; sie strecken ihre Hand nicht zu mir aus, weil sie einfach nicht daran interessiert sind.“ Wenn solche spiegelbildlichen Fehlwahrnehmungen korrigiert werden, können sich Freundschaften bilden und Vorurteile auflösen.
zz Kontakt
zz Kooperation
Nützt es etwas, zwei Konfliktparteien in engen Kontakt miteinander zu bringen? Es kommt darauf an. Negati-
Um zu sehen, ob gegnerische Parteien ihre Differenzen hinter sich lassen können, löste Sherif (1966) bei seinen
Frieden stiften ?? 14.20 Was können wir tun, um Frieden zu fördern?
14.4 • Prosoziale Beziehungen
Forschungen einen Konflikt aus. Er verteilte 22 Jungen aus Oklahoma City auf zwei getrennte Bereiche eines Pfadfinderlagers. Dann veranstaltete er mit den beiden Gruppen eine Reihe von Wettkampfspielen, bei denen die Gewinner Preise erhielten. Innerhalb kurzer Zeit wurde jede Gruppe äußerst stolz auf sich selbst und entwickelte Feindseligkeiten gegenüber den „hinterhältigen, besserwisserischen Stinkern“ aus der anderen Gruppe. Während der Mahlzeiten brachen Kriege ums Essen aus. Zelte wurden durchwühlt. Schlägereien mussten von der Gruppenleitung beendet werden. Als Sherif die beiden Gruppen zusammenbrachte, gingen sie einander aus dem Weg, und suchten nur den Kontakt, um einander zu verspotten und zu bedrohen. Ungeachtet dessen machte Sherif aus diesen kleinen Feinden innerhalb weniger Tage gute Kameraden. Er gab ihnen übergeordnete Ziele, gemeinsame Ziele, die über ihre Differenzen hinweg reichten und nur durch Kooperation erreicht werden konnten. Eine (absichtliche) Unterbrechung der Wasserversorgung im Lager erforderte, dass alle 22 Jungen zusammenarbeiteten, um die Wasserversorgung wiederherzustellen. Einen Film auszuleihen erforderte in Zeiten, als es noch kein Netflix gab, dass sie dafür einige Geldmittel bereitstellen mussten. Ein Lastwagen blieb mit abgewürgtem Motor liegen; dies machte es erforderlich, dass die Jungen mit vereinten Kräften gemeinsam zogen und schoben, um ihn wieder flott zu machen. Sherif machte sich die Isolation und den Wettkampf zunutze, um aus Fremden Feinde werden zu lassen, und er nutzte die gemeinsame Notlage sowie gemeinsame Ziele, um die Feinde miteinander zu versöhnen und zu Freunden zu machen. Der Konflikt wurde nicht durch Kontakt allein, sondern vielmehr durch kooperativen Kontakt verringert. Übergeordnete Ziele („superordinate goals“) – gemein-
same Ziele, durch die Differenzen unter Menschen überwunden werden, weil sie deren Kooperation erfordern.
» „Ich gegen meinen Bruder, meine Brüder und ich ge-
gen meine Cousins, dann meine Cousins und ich gegen Fremde.“ Beduinisches Sprichwort
Geteiltes Leid kann auch auf andere Gruppen eine stark einigende Wirkung haben. Kinder und Jugendliche, die einen Krieg erlebt haben, und Angehörige von Minderheitengruppen, die mit Ablehnung oder Diskriminierung konfrontiert sind, entwickeln ebenfalls eine starke Identifikation mit ihrer Eigengruppe (Bauer et al., 2014; Ramos et al., 2012). Israelische Kinder, die in Konfliktgebieten aufwachsen, entwickeln oft ein konfliktförderndes Narrativ aus Wahrnehmungen, Überzeugungen und Emotionen in Bezug auf ihren gemeinsamen Gegner (Nasie et al., 2016). Solche Narrative schaffen einerseits Solidarität innerhalb der Eigengruppe, andererseits aber auch Unempfindlichkeit gegenüber dem Schmerz,
621
den die Mitglieder der Fremdgruppe erfahren (Levy et al., 2016). Nach einer spaltenden politischen Vorwahl schließen sich die Parteimitglieder in der Regel wieder zusammen, wenn sie ihrer gemeinsamen Bedrohung gegenüberstehen – dem Kandidaten oder der Kandidatin der Oppositionspartei. In solchen Zeiten kann Zusammenarbeit Menschen dazu bringen, frühere Untergruppen aufzulösen und gemeinsam eine neue Gruppe zu bilden (Dovidio & Gaertner, 1999). Nehmen wir an, dies wäre ein sozialpsychologisches Experiment: Setzen Sie die Mitglieder zweier Gruppen nicht auf die gegenüberliegenden Seiten eines Tisches, sondern im Wechsel nebeneinander um den Tisch herum. Geben Sie ihnen einen neuen, gemeinsamen Namen. Lassen Sie sie zusammenarbeiten. Solche Experimente verwandeln das „wir und die“ in ein „wir“. Ein 18-Jähriger aus New Jersey wäre nicht überrascht. Nach dem 11. September 2001 erklärte er den Wandel seiner sozialen Identität: „Ich hielt mich selbst einfach für einen Schwarzen. Doch heute fühle ich mich als Amerikaner, mehr denn je“ (Sengupta, 2001). In einem Experiment von Dovidio et al. (2004) äußerten weiße Amerikaner:innen, die einen Zeitungsartikel über eine terroristische Drohung gegen alle Amerikaner:innen lasen, weniger Vorurteile gegenüber Afroamerikaner:innen. Wenn kooperative Kontakte zwischen Mitgliedern rivalisierender Gruppen positive Einstellungen fördern, könnten wir dieses Prinzip dann in multikulturellen Schulen anwenden? Könnte kooperatives Lernen im Klassenzimmer Freundschaften unter verschiedenen ethnischen Gruppen fördern und gleichzeitig die Leistungen der Schülerinnen und Schüler verbessern? Experimente mit Jugendlichen aus 11 Ländern bestätigen, dass die Antwort auf alle drei Fragen „Ja“ lautet (Roseth et al., 2008). Mitglieder verschiedener ethnischer Gruppen, die gemeinsame Projekte bearbeiten und zusammen in Sportmannschaften spielen, sind in der Regel den Mitgliedern der anderen ethnischen Gruppierung wohlgesonnen. Dies trifft auch auf diejenigen zu, die im Klassenzimmer kooperativ lernen. Diese Ergebnisse sind so ermutigend, dass Tausende von Lehrkräften das Konzept eines ethnisch gemischten, kooperativen Lernens nutzen. Der große Einfluss kooperativer Aktivitäten, die aus früheren Feind:innen Freund:innen werden lassen, hat Psycholog:innen dazu gebracht, auf einen verstärkten Austausch und eine bessere Zusammenarbeit auf internationaler Ebene zu drängen. In einigen Experimenten wurde festgestellt, dass allein die Vorstellung der gemeinsamen Bedrohung durch den globalen Klimawandel Anfeindungen auf internationaler Ebene verringert (Pyszczynski et al., 2012). Von benachbarten brasilianischen indigenen Gruppen bis hin zu europäischen Staaten haben es ehemals verfeindete Gruppen geschafft, Beziehungen, gegenseitige Abhängigkeiten und eine gemeinsame soziale Identität aufzubauen, während sie nach gemein-
14
622
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
winner-Verlierer-Orientierung durch eine kooperative Gewinner-Gewinner-Orientierung zu ersetzen, bei der eine für beide Seiten Gewinn bringende Lösung angestrebt wird. Ein klassisches Beispiel: Zwei Bekannte, die sich wegen einer Orange gestritten hatten, kamen überein, sie zu teilen. Der eine presste seine Hälfte aus, um den Saft zu trinken. Die andere verwendete die Schale ihrer Hälfte zum Kuchenbacken. Wenn beide ihre Motive miteinander kommuniziert hätten, hätten sie zur Gewinner-Gewinner-Lösung finden können und einer hätte den ganzen Saft, die andere die ganze Schale bekommen (. Abb. 14.59). zz Versöhnung
14
..Abb. 14.58 Kofi Annan. „Die meisten von uns haben Identitäten, die einander überlappen und uns mit sehr unterschiedlichen Gruppen verbinden. Wir können lieben, was wir sind, ohne zu hassen, was und wer wir nicht sind. Wir können uns in unserer eigenen Tradition weiterentwickeln und dabei sogar noch von den anderen lernen.“ (Vortrag anlässlich der Verleihung des Friedensnobelpreises, 2001; © Scanpix Junge/NTB/picture alliance)
samen Zielen streben (Fry, 2012). Wenn wir uns für einen Handel engagieren, der beiden Seiten Gewinne bringt, wenn wir daran arbeiten, unser gemeinsames Leben auf diesem gefährdeten Planeten zu schützen, und wenn uns deutlicher bewusst wird, dass wir alle dieselben Hoffnungen und Ängste haben, können wir Missverständnisse, die zu Zersplitterung und Konflikten führen, in eine auf gemeinsamen Interessen beruhende Solidarität verwandeln (. Abb. 14.58). zz Kommunikation
Wenn alltägliche Konflikte übermächtig werden, kann eine dritte Partei als Vermittlung dazu beitragen, die dringend benötigte Kommunikation zu erleichtern. Dabei kann es sich um eine Eheberaterin, einen Berufsberater, einen Diplomaten oder eine freiwillige Helferin aus der Nachbarschaft handeln (Rubin et al., 1994). Mittelspersonen helfen jeder Partei, ihre Sichtweise zum Ausdruck zu bringen und die Bedürfnisse und Ziele der anderen Seite zu verstehen. Wenn sie Erfolg hat, trägt die vermittelnde Person dazu bei, die kämpferische Ge-
Verständigungen und kooperative Lösungen dieser Art werden dringend gebraucht, sind aber in Zeiten der Wut oder der Krise sehr unwahrscheinlich (Bodenhausen et al., 1994; Tetlock, 1988). Wenn die Konflikte zunehmen, werden die Ansichten stereotyper, die Urteile rigider und die Kommunikation schwieriger oder sogar unmöglich. Jede Partei neigt dazu, die andere zu bedrohen, sie zu nötigen oder sich zu rächen (. Abb. 14.60). In den Wochen vor dem persischen Golfkrieg drohte der amerikanische Präsident George Bush in aller Öffentlichkeit damit, Saddam „einen Tritt in den Hintern zu geben“. Saddam Hussein kommunizierte auf ähnliche Weise und drohte damit, die Amerikaner:innen „in ihrem eigenen Blut schwimmen zu lassen“. Gibt es unter solchen Bedingungen eine Alternative zum Krieg oder zur Kapitulation? Der Sozialpsychologe Charles Osgood (1962, 1980) trat für eine Strategie der schrittweisen und wechselseitigen Initiativen zur Spannungsreduktion, kurz GRIT („Graduated and Reciprocated Initiatives in Tension-Reduction“) ein. Bei der Anwendung der GRIT-Strategie erkennt eine Seite zunächst die gemeinsamen Interessen an und gibt ihre Absicht bekannt, die Spannungen zu verringern. Dann initiiert sie eine oder mehrere kleine, versöhnliche Gesten. Ohne die eigene Vergeltungsfähigkeit zu schwächen, gibt solch ein bescheidener Anfang der anderen Partei die Möglichkeit, dies zu erwidern. Sollte der Feind allerdings feindselig reagieren, kann man reziprok agieren. Das Gleiche jedoch gilt für eine versöhnliche Reaktion. Kleine Gesten (ein Lächeln, eine Berührung, eine Entschuldigung) ermöglichten beiden Parteien in Laborversuchen, Spannungen zu verringern, so dass Kommunikation und gegenseitiges Verständnis beginnen konnten (Lindskold et al., 1978; Lindskold & Han, 1988). In einem Konflikt in der echten Welt löste Präsident Kennedys Geste, die Atomtests in der Atmosphäre zu beenden, als Erwiderung eine Reihe versöhnlicher Gesten aus, die 1963 in einem Vertrag gipfelten, durch den Atomtests in der Atmosphäre verboten wurden.
14.4 • Prosoziale Beziehungen
623
..Abb. 14.59 Übergeordnete Ziele sind stärker als Unterschiede. Kooperative Anstrengungen, um gemeinsame Ziele zu erreichen, sind eine wirksame Methode zum Abbau sozialer Barrieren, auch in der TV-Serie Ted Lasso. (© Everett Collection/ Apple TV/Courtesy Everett Collection/picture alliance)
..Abb. 14.60 (Warren Miller/ The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
GRIT („Graduated and Reciprocated Initiatives in TensionReduction“) – schrittweise und wechselseitige Initiativen
zur Spannungsreduktion – eine Strategie zur Verringerung internationaler Spannungen. Wie uns die Arbeit an gemeinsamen Zielen ins Gedächtnis ruft: Zwischen uns Menschen bestehen mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede. Durch Konflikte und kulturelle Isolation kann die Zivilisation keine Fortschritte machen, wohl aber durch das Anzapfen von Wissen, durch die Beschäftigung mit den Fähigkeiten und Künsten, die ein Vermächtnis jeder einzelnen Kultur für die ganze Menschheit sind. Dank des kulturellen Austauschs wurde unsere moderne Gesellschaft durch unsere kulturelle Vermischung bereichert (Sowell,
1991). China haben wir das Papier und das Drucken sowie den Magnetkompass zu verdanken, der uns den Weg zu großartigen Entdeckungen wies. Ägypten verdanken wir die Trigonometrie. Der islamischen Welt und den Hindus in Indien verdanken wir u. a. unsere Zahlzeichen. Während wir diese vielfältigen kulturellen Traditionen feiern und nutzen, können wir auch die anhaltende Bereicherung unserer heutigen kulturellen Vielfalt willkommen heißen. Wir können uns selbst als Instrument im Orchester der Menschheit begreifen. Und wir – Sie, unsere Lesenden auf der ganzen Welt, eingeschlossen – können zu unserem eigenen kulturellen Erbe stehen und dabei Brücken der Kommunikation, des Verständnisses und der Zusammenarbeit über alle kulturellen Traditionen hinweg errichten.
14
624
Kapitel 14 • Sozialpsychologie
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Wege gibt es, um Konfliktparteien zu versöhnen und Frieden zu stiften?
14.4.4
Rückblick: Prosoziale Beziehungen
Verständnisfragen
14.15 – Wieso freunden wir uns mit bestimmten Personen
an oder verlieben uns in sie, aber nicht in andere? 14.16 – Wie verändert sich romantische Liebe im Laufe der Zeit? 14.17 – Was ist Altruismus? Wann ist es am wahrscheinlichsten bzw. am unwahrscheinlichsten, dass Menschen helfen? 14.18 – Wie erklären die Theorie des sozialen Austauschs und soziale Normen Hilfeverhalten? 14.19 – Wie können soziale Fallen und spiegelbildliche Wahrnehmung soziale Konflikte anheizen? 14.20 – Was können wir tun, um Frieden zu fördern?
---------
Schlüsselbegriffe
14
Altruismus Equity GRIT Kameradschaftliche Liebe Konflikt Leidenschaftliche Liebe Mere-Exposure-Effekt Norm der sozialen Verantwortung Reziprozitätsnorm Selbstoffenbarung Selbsterfüllende Prophezeiung Soziale Falle Spiegelbildliche Wahrnehmungen Theorie des sozialen Austauschs Übergeordnete Ziele Zuschauendeneffekt
Master the Material 1. Je vertrauter ein Reiz wird, desto mehr neigen wir dazu, ihn zu mögen. Dies ist ein Beispiel für den ___-Effekt. 2. Ein glückliches Paar, das seinen 50. Hochzeitstag feiert, verspürt aller Wahrscheinlichkeit nach eine tiefe ___ Liebe, auch wenn ihre ___ Liebe im Laufe der Jahre sicherlich nachgelassen hat. 3. Nach einem anstrengenden Training treffen Sie eine attraktive Person, und Sie werden plötzlich von romantischen Gefühlen für diese Person ergriffen. Diese Reaktion stützt die Zwei-Faktoren-Theorie der Emotion, die davon ausgeht, dass Emotionen, wie z. B.
leidenschaftliche Liebe, bestehen aus körperlicher Erregung und … a. einer Belohnung. b. Nähe. c. kameradschaftlicher Liebe. d. unserer Interpretation dieser Erregung. 4. Der Zuschauendeneffekt besagt, dass ein bestimmter Zuschauer weniger bereit ist, Hilfe zu leisten, wenn … a. die betroffene Person dem Zuschauer äußerlich ähnelt. b. niemand anderes anwesend ist. c. andere Personen anwesend sind. d. sich der Vorfall in einer verlassenen oder ländlichen Gegend ereignet. 5. Unsere Feinde haben oft die gleichen negativen Eindrücke von uns, die wir von ihnen haben. Dies ist ein Beispiel für das Konzept der ___ Wahrnehmungen. 6. Eine Möglichkeit, Konflikte zu lösen und die Kooperation zu fördern, besteht darin, rivalisierenden Gruppen gemeinsame Ziele zu geben, die ihnen helfen, ihre Meinungsverschiedenheiten zu überwinden. Diese werden als ___ Ziele bezeichnet.
Weiterführende deutsche Literatur Aronson, E., Wilson, T., & Akert, R. (2014). Sozialpsychologie (8. Aufl.). München: Pearson. Bierhoff, H. W. (2006). Sozialpsychologie. Ein Lehrbuch (6. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Fischer, P., Jander, K., & Krueger, J. (2018). Sozialpsychologie für Bachelor (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Frey, D., & Irle, M. (Hrsg.). (2008). Theorien der Sozialpsychologie (3. Aufl.). Bern: Huber. Gollwitzer, M., & Schmitt, M. (2019). Sozialpsychologie kompakt (2. Aufl.). Weinheim: Beltz. Jonas, K., Stroebe, W., & Hewstone, M. R. C. (Hrsg.). (2014). Sozialpsychologie (6. Aufl.). Heidelberg: Springer. Milgram, S. (2003). Das Milgram-Experiment: zur Gehorsamsbereitschaft gegenüber Autorität (13. Aufl.). Hamburg: Rowohlt. Sommer, G., & Fuchs, A. (Hrsg.). (2004). Krieg und Frieden – Handbuch der Konflikt- und Friedenspsychologie. Weinheim: Beltz. Stürmer, S. (2016). Sozialpsychologie. Stuttgart: UTB.
625
Persönlichkeit Inhaltsverzeichnis 15.1
Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien – 626
15.1.1 15.1.2 15.1.3 15.1.4 15.1.5
Was ist Persönlichkeit? – 626 Psychodynamische Theorien – 626 Neofreudianische und spätere psychodynamische Theorien – 631 Erfassung unbewusster Prozesse – 634 Bewertung des Freudschen psychoanalytischen Ansatzes und die moderne Sichtweise des Unbewussten – 635 Rückblick: Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien – 639
15.1.6
15.2
Humanistische Theorien und Trait-Theorien – 640
15.2.1 Humanistische Theorien – 640 15.2.2 Trait-Theorien – 644 15.2.3 Rückblick: Humanistische Theorien und Trait-Theorien – 654
15.3
Sozial-kognitive Theorien und das Selbst – 655
15.3.1 15.3.2 15.3.3 15.3.4 15.3.5 15.3.6 15.3.7
Sozial-kognitive Theorien – 655 Erfassung von Situationseinflüssen auf das Verhalten – 656 Bewertung des sozial-kognitiven Ansatzes – 657 Das Selbst – 657 Die Vorteile des Selbstwertgefühls – 659 Der Preis des Selbstwertgefühls – 660 Rückblick: Sozial-kognitive Theorien und das Selbst – 663
Weiterführende deutsche Literatur – 664
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_15
15
626
15
Kapitel 15 • Persönlichkeit
Lady Gaga verblüfft Millionen von Menschen mit ihren einzigartigen musikalischen Arrangements, aufreizenden Outfits und provokanten Auftritten. Die einzige Konstante auf ihren weltweiten Konzerten ist ihre Unberechenbarkeit. Sie hat zu einer Preisverleihung ein Kleid aus Fleisch getragen und bei einem Treffen mit dem ehemaligen US-Präsidenten Barack Obama (der die Interaktion später als „ein wenig einschüchternd“ beschrieb) Schuhe mit 40 cm hohen Absätzen. Zudem raubte sie zahlreichen Super-Bowl-Zuschauern mit ihrer musikalischen Halbzeit-Performance den Atem. Doch selbst dem unberechenbaren Verhalten von Lady Gaga liegt eine unverwechselbare und beständige Art zu denken, zu fühlen und zu handeln zugrunde. Ihre Fans und Kritiker:innen können sich gleichermaßen auf ihre Offenheit für neue Erfahrungen und die Energie, die sie aus dem Rampenlicht bezieht, verlassen. Ebenso können sie auf ihre akribische Hingabe an ihre Musik und ihre Auftritte vertrauen. Sie beschreibt sich selbst während ihrer High-School-Zeit als „sehr engagiert, sehr fleißig und sehr diszipliniert“. Im Erwachsenenalter zeigt sie nun eine ähnliche Selbstdisziplin: „Ich bin sehr genau – jede Minute der Show muss perfekt sein.“ Dieses Kapitel konzentriert sich auf die Beobachtung, dass wir alle einzigartige und beständige Muster des Denkens, Fühlens und Verhaltens zeigen – unsere Persönlichkeit. Ein großer Teil dieses Buches beschäftigt sich mit der Persönlichkeit: In den vorangegangenen Kapiteln haben wir den Einfluss der Biologie auf die Persönlichkeit kennengelernt, wir haben etwas über die Entwicklung der Persönlichkeit im Verlauf des Lebens erfahren und haben uns mit den Aspekten des Lernens, der Motivation, der Emotion und der Gesundheit beschäftigt, die in Zusammenhang mit der Persönlichkeit stehen. Das nächste Kapitel wird sich mit Persönlichkeitsstörungen befassen. Und dieses Kapitel konzentriert sich auf die Persönlichkeit selbst – was wir darunter verstehen und wie sie in der Psychologie untersucht wird. Wir werden mit zwei historisch bedeutsamen Persönlichkeitstheorien beginnen, die Teil des westlichen Kulturerbes geworden sind: Sigmund Freuds psychoanalytische Theorie und die humanistischen Theorien. Diese umfassenden Sichtweisen der menschlichen Natur bildeten die Grundlage für spätere Persönlichkeitstheorien und werden in diesem Kapitel ergänzt durch die Darstellung der modernen wissenschaftlichen Forschung zu spezifischen Aspekten der Persönlichkeit. Die heutige Persönlichkeitsforschung beschäftigt sich mit den grundlegenden Dimensionen der Persönlichkeit und mit der Interaktion von Person und Umwelt. Sie untersucht das Selbstwertgefühl, selbstwertdienliche Verzerrungen und kulturelle Einflüsse auf das Selbstkonzept – unsere Antworten auf die Frage „Wer bin ich?“. Und sie studiert das Unbewusste – und kommen zu Ergebnissen, die selbst Freud erstaunt hätten.
15.1 Einführung
in die Persönlichkeitsund psychodynamischen Theorien
15.1.1
Was ist Persönlichkeit?
?? 15.1 Was ist Persönlichkeit und welche Theorien
formen unser Verständnis von Persönlichkeit?
Unsere Persönlichkeit umfasst die charakteristischen Muster unseres Denkens, Fühlens und Handelns – und die Psychologie hat verschiedene Wege entwickelt, um sie genauer zu betrachten und zu untersuchen. Sigmund Freuds psychoanalytische Theorie schlug vor, dass die kindliche Sexualität und unbewusste Motivationen die Persönlichkeit beeinflussen. Die humanistischen Theorien konzentrierten sich auf unsere inneren Möglichkeiten für Wachstum und Selbstverwirklichung. Spätere Theorien bauten auf diesen beiden umfassenden Perspektiven auf. Trait-Theorien untersuchen charakteristische Verhaltensmuster (traits). Sozial-kognitive Theorien untersuchen die Interaktion zwischen den Eigenschaften von Menschen (einschließlich ihres Denkverhaltens) und ihrem sozialen Kontext. Beginnen wir mit den psychodynamischen Theorien. 15.1.2
Psychodynamische Theorien
Psychodynamische Theorien betrachten Persönlichkeit als eine dynamische Interaktion zwischen Bewusstem und Unbewusstem, die auch die dazugehörigen Motive und Konflikte beinhaltet. Diese Theorien gehen auf Sigmund Freuds Theorie der Psychoanalyse zurück, wobei sich dieser Begriff sowohl auf seine Persönlichkeitstheorie und die damit verbundenen therapeutischen Vorgehensweisen bezieht. Freud war der erste Therapeut, der aus klinischem Interesse die Aufmerksamkeit auf das Unbewusste richtete. Persönlichkeit („personality“) – das für ein Individuum
charakteristische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns. Psychodynamische Theorien („psychodynamic theories“)
– betrachten Persönlichkeit mit dem Fokus auf das Unbewusste und die Bedeutung von Kindheitserlebnissen. Psychoanalyse („psychoanalysis“) – Freuds Persönlichkeitstheorie, die alle unsere Gedanken und Handlungen unbewussten Motiven und Konflikten zuschreibt; der Begriff umschreibt auch die bei der Behandlung psychischer Störungen verwendeten Techniken, mit deren Hilfe unbewusste Spannungen aufgedeckt und interpretiert werden. Das Unbewusste („unconscious“) – ist laut Freud ein Auffangbecken für meist inakzeptable Gedanken, Wünsche,
15.1 • Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
627
Gefühle und Erinnerungen. In der heutigen Psychologie steht der Begriff „unbewusst“ für eine Form der Informationsverarbeitung, derer wir uns nicht bewusst sind. Freie Assoziation („free association“) – psychoanalytische Methode zur Erforschung des Unbewussten, bei der der Patient sich entspannt und alles ausspricht, was ihm durch den Kopf geht, auch wenn es nichtssagend oder peinlich ist.
Freuds psychoanalytische Perspektive: die Erkundung des Unbewussten ?? 15.2 Wie führten Sigmund Freuds Behandlungen
psychischer Störungen zu seiner Sichtweise über das Unbewusste?
„Wenn Sie 100 Menschen auf der Straße nach dem Namen eines bekannten verstorbenen Psychologen fragten“, schlägt der Psychologe Stanovich (1996, S. 1) vor, „wäre Freud der Gewinner auf der ganzen Linie“. In der öffentlichen Meinung ist Freud für die Geschichte der Psychologie das, was Elvis Presley für die Geschichte der Rockmusik ist. Freuds Einfluss findet sich noch immer in der Psychiatrie und in der klinischen Psychologie, aber er nahm auch Einfluss auf die Interpretation von Literatur und Film. Fast neun von zehn US-amerikanischen CollegeVeranstaltungen, die sich auf die Psychoanalyse beziehen, finden außerhalb psychologischer Institute statt (Cohen, 2007). Freuds Konzepte, die er zu Beginn des 20. Jahrhunderts entwickelt hat, durchdringen auch die Sprache des 21. Jahrhunderts. Ohne zu wissen, aus welcher Quelle die Begriffe stammen, sprechen wir von Ich, Verdrängung, Projektion, Komplex (etwa beim „Minderwertigkeitskomplex“), Geschwisterrivalität, Freudscher Fehlleistung oder Fixierung. Also, wer war Freud und was lehrte er? Wie wir alle, war Freud ein Produkt seiner Zeit (. Abb. 15.1). Die Ära des Kaiserreichs, in der er lebte, zeichnete sich zwar durch enorme Entdeckungen und wissenschaftlichen Fortschritt aus, doch heutzutage weiß man auch, dass sie von sexueller Unterdrückung und männlicher Dominanz geprägt war. Die Rollen von Männern und Frauen waren klar definiert, dabei wurde von der Überlegenheit des Mannes ausgegangen. Ausschließlich die männliche Sexualität wurde (im Stillen) anerkannt. Diese Annahmen beeinflussten Freuds Gedanken zur Persönlichkeit. Er glaubte, dass psychische Störungen aus den ungelösten Konflikten von Männern und Frauen mit ihren erwarteten Rollen hervorgehen.
» „Das Weib anerkennt die Tatsache seiner Kastration und
damit auch die Überlegenheit des Mannes und seine eigene Minderwertigkeit, aber es sträubt sich auch gegen diesen unliebsamen Sachverhalt.“ Freud, Über die weibliche Sexualität, Schriften über die Sexualität. Frankfurt: Fischer (1994/1931, S. 195)
..Abb. 15.1 Sigmund Freud (1856–1939). „Ich war der einzige Arbeiter in einem neuen Feld.“
Lange bevor er 1873 die Universität Wien besuchte, war der junge Sigmund Freud ein brillanter Denker mit eigenständigen Vorstellungen. Er las so gerne Theaterstücke, Gedichte und philosophische Werke, dass er sich einmal in einem Buchladen so sehr verschuldete, dass er es nicht mehr zurückzahlen konnte. Als Jugendlicher nahm er oft sein Abendessen mit auf sein winziges Zimmer, um ohne Zeitverlust weiterlernen zu können. Freud studierte Medizin und eröffnete nach seiner Promotion eine private neurologische Praxis. Doch es zeigte sich bald, dass ihn Patient:innen aufsuchten, deren Störungen neurologisch nicht zu erklären waren. So kam zum Beispiel ein Patient, der in einer Hand keinerlei Gefühl hatte. Doch es gibt keinen sensorischen Nerv, der zu einer Taubheit in der gesamten Hand und nirgendwo sonst führt. Die Suche nach einer möglichen Ursache beschäftigte Freud sehr und brachte ihn ins Grübeln. Jene Grübeleien führten zu einer Veränderung des menschlichen Selbstverständnisses. Könnte es sein, dass manche neurologischen Erkrankungen eher psychische als physiologische Ursachen haben? Durch die Beobachtung von Patienten kam Freud zur „Entdeckung“ des Unbewussten. Er nahm beispielsweise an, dass der seltsame Verlust des Gefühls in einer Hand durch die Angst verursacht worden sein könnte, die eigenen Geschlechtsteile zu berühren, dass die Ursache einer unerklärten Blindheit oder Taubheit möglicherweise darin zu suchen sei, dass die betroffene Person etwas nicht hören oder sehen wollte, was große Angst auslöste. Nach einigen frühen, jedoch weniger erfolgreichen Behandlungsversuchen durch Hypnose, wandte sich Freud der freien Assoziation zu, einer Methode, bei der er Patient:innen
15
628
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Abb. 15.2 Freuds Vorstellung vom Aufbau des psychischen Apparats. Die Psychologie hat die Vorstellung eines Eisbergs verwendet, um Freuds Idee zu illustrieren, dass die Seele größtenteils unter der bewussten Oberfläche versteckt ist. Wie Sie sehen, ist das Es vollständig unbewusst, während Ich und ÜberIch sowohl bewusste als auch unbewusste Anteile enthalten. Im Unterschied zu den Teilen eines gefrorenen Eisbergs, interagieren Es, Ich und Über-Ich allerdings miteinander
Ich (meist bewusst; vermittelt zwischen Es und Über-Ich)
Bewusstes
Über-Ich (internalisierte Normen)
Es (unbewusste psychische Energie)
15
lediglich aufforderte, sich zu entspannen und einfach auszusprechen, was ihnen durch den Kopf ging, ganz gleich, ob es sich um etwas Peinliches oder etwas Nichtssagendes handelte. Freuds Annahme dabei war, dass eine Reihe von seelischen Dominosteinen umfallen würde, die aus der fernen Vergangenheit bis zu den Problemen der Gegenwart reichte. Mit Hilfe der freien Assoziation, so glaubte Freud, könne er die Spur zurückverfolgen und dadurch eine Gedankenkette weiterdenken, die bis ins Unbewusste der Patient:innen reichte, wodurch die schmerzlichen unbewussten Erinnerungen geweckt und befreit werden könnten, die oft aus der Kindheit stammten. Freuds Theorie beruhte auf der Überzeugung, dass man die Seele mit einem Eisberg vergleichen kann: Ihr größter Teil ist verborgen (. Abb. 15.2). Unsere bewusste Wahrnehmung ist der Teil, der an der Oberfläche schwimmt. Unter der Oberfläche liegt jedoch ein viel größerer Bereich, das Unbewusste, das Gedanken, Wünsche, Gefühle und Erinnerungen enthält. Manche dieser Gedanken speichern wir eine Zeit lang in einem vorbewussten Bereich, aus dem wir sie in die bewusste Wahrnehmung überführen können. Noch mehr interessierte sich Freud für die Menge an inakzeptablen Leidenschaften und Gedanken, von denen er annahm, dass wir sie verdrängen oder gewaltsam vom Bewusstsein fernhalten, weil uns die Kenntnis dieser Dinge zu sehr aus dem Gleichgewicht brächte. Freud glaubte, dass diese beunruhigenden Gefühle und Vorstellungen, auch wenn wir uns ihrer nicht bewusst sind, uns sehr stark beeinflussen; manchmal kommen sie in verborgener Form zum Ausdruck: in der Arbeit, für die wir uns entscheiden, in unseren Überzeugungen, Alltagsgewohnheiten und beunruhigenden Symptomen.
Vorbewusstes (nicht bewusst, aber dem Bewusstsein zugänglich)
Unbewusstes
Struktur der Persönlichkeit ?? 15.3 Wie betrachtete Freud Persönlichkeit?
Freud vertrat die Auffassung, dass die Persönlichkeit eines Menschen – einschließlich der Emotionen und Triebe – aus dem Konflikt zwischen den aggressiven und Lust suchenden biologischen Triebregungen und den internalisierten sozialen Zwängen erwächst, die diese Triebregungen hemmen. Die Persönlichkeit ist laut Freud das Ergebnis unserer Bemühungen, diesen Grundkonflikt zu lösen, indem wir diese Triebregungen in einer Weise leben, die zwar zur Befriedigung führt, aber Strafe oder Schuldgefühle vermeidet. Um die seelische Dynamik während dieses Konflikts zu verstehen, schlug Freud drei Systeme vor, die miteinander in Wechselwirkung stehen: das Es, das Ich und das Über-Ich (. Abb. 15.2).
» „Ich kann mich sehr gut an Ihren Namen erinnern,
aber nicht an Ihr Gesicht.“ Der Oxford-Professor W. A. Spooner (1844–1930), der für seine sprachlichen Saltos bekannt war (Spoonerismen)
Das Es verfügt über ein Reservoir an unbewusster psychischer Energie, die ständig darum kämpft, die grundlegenden Triebe zu befriedigen: den Überlebens-, den Fortpflanzungs- und den Aggressionstrieb. Das Es handelt aus dem Lustprinzip heraus: es sucht sofortige Befriedigung. Um sich das Es besser vorstellen zu können, sollten Sie an Neugeborene denken: Sie schreien, um die sofortige Befriedigung ihrer Bedürfnisse durchzusetzen, ohne sich auch nur im Geringsten um die Bedingungen und For-
15.1 • Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
629
derungen der Außenwelt zu kümmern. Oder denken Sie an Menschen, die mehr in der Gegenwart leben, als an die Zukunft zu denken: Sie rauchen, trinken Alkohol und nehmen Drogen, sie feiern lieber heute, als dass sie um ihrer zukünftigen Erfolge und Zufriedenheit willen auf das Vergnügen verzichten, das der heutige Tag verspricht (Fernie et al., 2013; Friedel et al., 2014; Keough et al., 1999). Es („id“) – enthält ein Reservoir unbewusster Energie, deren
Streben laut Freud auf die Erfüllung grundlegender sexueller und aggressiver Triebe gerichtet ist. Das Es handelt nach dem Lustprinzip und verlangt sofortige Befriedigung. In dem Maße, wie sich das Ich entwickelt, lernt das kleine Kind den Umgang mit der Realität. Das Ich handelt nach dem Realitätsprinzip, bemüht sich, die Triebregungen des Es so zu leben, dass sie mit der Realität in Einklang stehen und auf lange Sicht mehr Lust als Schmerz oder Zerstörung bringen. (Stellen Sie sich vor, was geschehen würde, wenn wir unsere ungebremsten sexuellen oder aggressiven Triebregungen auslebten, sobald wir sie empfinden!) Das Ich enthält die bewussten Wahrnehmungen, die Gedanken, Erinnerungen und Urteile.
..Abb. 15.3 Das Ich müht sich daran ab, die Ansprüche von Es und Über-Ich miteinander in Einklang zu bringen, so Freud. (© Claudia Styrsky)
Ich („ego“) – das weitgehend bewusst arbeitende „aus-
führende Organ“ der Persönlichkeit, das nach Freuds Meinung einen Kompromiss zwischen den Forderungen des Es, des Über-Ichs und der Realität sucht. Das Ich arbeitet nach dem Realitätsprinzip und befriedigt die Wünsche des Es auf eine Weise, dass eher Lust als Schmerz zu erwarten ist. Nach Freuds Theorie beginnt ein Kind im Alter von 4–5 Jahren, die Forderungen des neu auftauchenden Über-Ichs zu erkennen: die Stimme des Gewissens, die das Ich zwingt, nicht nur das Reale zu berücksichtigen, sondern auch das Ideale; das Über-Ich konzentriert sich ausschließlich darauf, wie man sich benehmen sollte. Das Über-Ich strebt nach Perfektion, bewertet alles, was wir tun, und erzeugt positive Gefühle des Stolzes oder negative Schuldgefühle. Menschen mit einem sehr ausgeprägten Über-Ich können ungemein tüchtig sein, dabei aber ständig von Schuldgefühlen geplagt werden, während ein Mensch mit einem schwachen Über-Ich überaus nachsichtig mit sich selbst ist und weniger Gewissensbisse hat. Über-Ich („superego“) – Teil der Persönlichkeit, der laut Freud die internalisierten Ideale und Normen repräsentiert, die Richtschnur für die Urteilsfähigkeit (Gewissen) liefert und Ziele für die Zukunft setzt.
als Vermittler zwischen Innen- und Außenwelt und vermittelt zwischen den triebhaften Forderungen des Es, den bremsenden Forderungen des Über-Ichs und den Forderungen der Realität in der Außenwelt (. Abb. 15.3). Wenn sich die schüchterne Jane von Markus sexuell angezogen fühlt, kann sie vielleicht ihr Es und ihr ÜberIch dadurch zufriedenstellen, dass sie sich einer Hilfsorganisation anschließt, der auch Markus angehört.
Entwicklung der Persönlichkeit ?? 15.4 Von welchen Entwicklungsphasen ging Freud aus?
Die Analyse der persönlichen Vergangenheit seiner Patient:innen brachte Freud zu der Überzeugung, dass sich die Persönlichkeit eines Menschen in den ersten Lebensjahren bildet. Er folgerte daraus, dass Kinder in ihrer Entwicklung eine Reihe psychosexueller Phasen durchlaufen. In jeder dieser Phasen konzentrieren sich die Lust suchenden Energien des Es auf bestimmte lustbetonte Bereiche des Körpers, die Freud erogene Zonen nannte (. Tab. 15.1, . Abb. 15.4). Jede Phase stellt ihre eigenen Herausforderungen. Dies sah Freud als miteinander in Konflikt stehende Tendenzen an. Psychosexuelle Phasen („psychosexual stages“) – Ent-
Die Forderungen des Über-Ichs stehen häufig im Gegensatz zu den Wünschen des Es, und das Ich kämpft darum, die beiden Instanzen in Einklang zu bringen. Das Ich ist das „ausführende Organ“ der Persönlichkeit, es wirkt
wicklungsphasen in der Kindheit (oral, anal, phallisch, latent und genital), in denen sich laut Freud die Lust suchenden Energien des Es auf bestimmte erogene Zonen richten.
15
630
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Tab. 15.1 Psychosexuelle Phasen nach Freud
15
Phase
Fokus
Orale Phase (0–18 Monate)
Lustzentrum ist der Mund – saugen, beißen, kauen
Anale Phase (18–36 Monate)
Lustgewinn durch Entleerung von Blase und Darm; Umgang mit den Forderungen nach Kontrolle
Phallische Phase (3–6 Jahre)
Lustzone sind die Genitalien; Umgang mit inzestuösen sexuellen Gefühlen
Latenzphase (6 Jahre bis zur Pubertät)
Phase schlummernder sexueller Gefühle
Genitale Phase (ab der Pubertät)
Reifen sexueller Interessen
Nach Freud suchen Jungen in der phallischen Phase etwa die genitale Stimulierung. Unbewusst richten sie ihre sexuellen Wünsche auf die Mutter und entwickeln Eifersucht und Hass auf den Vater, den sie als Rivalen betrachten. Mit solchen Gefühlen entwickeln Jungen vermutlich Schuldgefühle und eine schleichende Angst vor Bestrafung – vielleicht durch Kastration – durch den Vater. Diese Ansammlung von Gefühlen nannte Freud Ödipuskomplex, wobei er sich auf den griechischen Mythos von Ödipus bezog, der, ohne es zu wissen, seinen Vater tötete und seine Mutter heiratete. Manche Psychoanalytiker:innen zu Freuds Zeiten glaubten, dass Mädchen einen ähnlich gelagerten Elektrakomplex durchleben (benannt nach einer intriganten Tochter in der griechischen Mythologie). Ödipuskomplex („Oedipus complex“) – nach Freud die
sexuellen Wünsche von Söhnen gegenüber der Mutter und die damit verbundenen Gefühle von Hass und Eifersucht gegenüber dem Vater, der als Rivale erlebt wird. Kinder müssen sich nach Freud gegen bedrohliche Gefühle wehren, und sie tun das, indem sie sie verdrängen und sich mit dem rivalisierenden (gleichgeschlechtlichen) Elternteil identifizieren (sie versuchen, ihm in jeder Hinsicht ähnlich zu sein). Es ist, als sagte eine Instanz im Inneren des Kindes: „Wenn du ihn (den gleichgeschlechtlichen Elternteil) nicht ausstechen kannst, dann verbünde dich mit ihm.“ Durch diesen Prozess der Identifizierung gewinnt das Über-Ich des Kindes an Stärke, denn das Kind übernimmt viele elterliche Wertvorstellungen. Freud war der Meinung, dass die Identifizierung mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil das bewirkt, was die Psychologie heute als Geschlechtsidentität bezeichnet: unser Gefühl dafür, männlich, weiblich oder eine Kombination aus beidem zu sein. Freud nahm an, dass in der frühen Kindheit die Beziehungen vor allem zu Eltern
..Abb. 15.4 „Ich habe gehört, dass wir unsere sexuellen Impulse, was auch immer das ist, verstecken müssen, sobald wir sie bemerken.“ (Sidney Harris/Science Cartoons Plus)
und Betreuungspersonen Einfluss darauf haben, wie sich unsere Identität, unsere Persönlichkeit und unsere Schwächen entwickeln. Identifizierung („identification“) – Prozess, durch den
nach Freuds Auffassung Kinder die Wertvorstellungen ihrer Eltern in ihr eigenes Über-Ich integrieren. Konflikte, die während der frühen psychosexuellen Phasen auftraten und nicht gelöst worden sind, können nach Freud in fehlangepassten Verhaltensweisen während des Erwachsenenalters zum Ausdruck kommen. An jedem Punkt der oralen, analen oder phallischen Phase könnte ein starker Konflikt die Lust suchenden Energien dieser Phase abblocken oder fixieren. Ein Mensch beispielsweise, der oral übermäßig verwöhnt oder benachteiligt ist (vielleicht durch ein frühes und abruptes Abstillen), könnte etwa auf diese orale Phase fixiert bleiben. Dieser oral fixierte Erwachsene könnte entweder in passiver Abhängigkeit (wie ein Säugling) verharren oder diese Abhängigkeit durch besonders aggressives Verhalten oder ständige sarkastische Bemerkungen vehement leugnen. Vielleicht sucht die Person aber auch weiterhin nach oraler Befriedigung, indem sie exzessiv raucht oder isst (. Abb. 15.5). Durch solche Erfahrungen würden laut Freud die Zweige der Persönlichkeit schon in den ersten Lebensjahren in eine bestimmte Richtung gebogen. Fixierung („fixation“) – nach Freud eine Bindung der
Lust suchenden Energien an eine vorhergehende psychosexuelle Phase, in der Konflikte nicht gelöst wurden.
631
15.1 • Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
ablehnen möchte, sagt: „Bitte schenken Sie mir keinen Schein mehr ein.“ (Heute nennen wir das einen „Freudschen Versprecher“. . Abb. 15.6) Freud verstand auch Witze als Ausdruck verdrängter sexueller und aggressiver Tendenzen. Träume stellten für ihn den „Königsweg zum Unbewussten“ dar. Der erinnerte Trauminhalt (der manifeste Inhalt des Traums) war seiner Ansicht nach eine zensierte Version unbewusster Wünsche (der latente Inhalt des Traums). In seinen Traumanalysen suchte Freud nach den inneren Konflikten seiner Patienten. Abwehrmechanismen („defense mechanisms“) – in der
psychoanalytischen Theorie die Schutzmechanismen des Ichs, durch die Ängste verringert werden, indem unbewusst die Realität verzerrt wird. Verdrängung („repression“) – in der psychoanalytischen Theorie der Abwehrmechanismus, auf dem alle anderen Formen der Abwehr beruhen. Angsterregende Gefühle, Gedanken und Erinnerungen werden aus dem Bewusstsein verdrängt. Prüfen Sie Ihr Wissen ..Abb. 15.5 (Charles Saxon/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Abwehrmechanismen ?? 15.5 Wie wehren sich Menschen laut Freud gegen
Angst?
Angst ist der Preis, den wir für unsere Zivilisation zahlen, stellte Freud fest. Da wir einer sozialen Gruppe angehören, dürfen wir unsere sexuellen und aggressiven Triebregungen nicht ausleben, sondern müssen sie unter Kontrolle halten. Manchmal fürchtet das Ich jedoch, die Kontrolle über den inneren Kampf zwischen den Forderungen des Es und denen des Über-Ichs zu verlieren; die Folge davon ist eine unspezifische Angst, die sich wie eine dunkle Wolke über uns legt: Wir fühlen uns beunruhigt, wissen aber nicht genau warum. Das Ich greift zu Abwehrmechanismen, um sich vor dieser Angst zu schützen, meinte Freud (. Tab. 15.2). All diese Abwehrmechanismen wirken indirekt und unbewusst. So wie der Körper eine Krankheit unbewusst abwehrt, so wehrt nach Freud auch das Ich unbewusst die Angst ab. Beispielsweise verbannt Verdrängung angsterregende Gedanken und Gefühle aus dem Bewusstsein. Für Freud liegt die Verdrängung allen anderen Abwehrmechanismen zugrunde. Seiner Meinung nach ist die Verdrängung oft unvollständig, und die verdrängten Gefühle kommen in Form von Traumsymbolen und Versprechern zum Vorschein. Freud glaubte, dass das Unbewusste dann zum Vorschein kommt, wenn etwa ein Gast mit finanziellen Problemen, der auf einer Feier ein weiteres Glas Wein
– Laut Freuds Ansichten über die dreiteilige Struktur der Psyche, handelt das ___ durch das Realitätsprinzip, indem es die Wünsche auf eine Weise befriedigt, dass eher Lust als Schmerz zu erwarten ist. Das ___ handelt nach dem Lustprinzip und strebt nach sofortiger Befriedigung. Das ___ repräsentiert unsere internalisierten Ideale und Normen (unser Gewissen). – Aus psychoanalytischer Sicht führen ungelöste Konflikte während der ersten drei psychosexuellen Phasen zu einer ___ in einer dieser Phasen. – Freud glaubte, dass unsere Abwehrmechanismen ___ (bewusst/unbewusst) wirken, um uns gegen ___ zu schützen.
15.1.3
Neofreudianische und spätere psychodynamische Theorien
?? 15.6 Welche seiner Ideen verwarfen bzw. akzeptierten
Freuds Anhänger?
In einer historischen Epoche, in der man selten über Sex sprach, und schon gar nicht über unbewusste Wünsche nach Sex mit den Eltern, lösten Freuds Schriften eine heftige Debatte aus. „Im Mittelalter hätten sie mich verbrannt,“ bemerkte Freud gegenüber einem Freund. „Jetzt gibt man sich damit zufrieden, meine Bücher zu verbrennen“ (Jones, 1957). Trotz der Kontroversen zog Freud bald Anhänger:innen an, zumeist ehrgeizige junge Ärzt:innen, die sich um den kühnen Vordenker sammel-
15
632
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Tab. 15.2 Sechs Abwehrmechanismen. Freud glaubte, dass Verdrängung – welche angsterregende Gedanken und Gefühle verbannt – allen anderen Abwehrmechanismen zugrunde liegt; sechs davon werden hier aufgeführt Abwehrmechanismus
Unbewusster Prozess, der dafür sorgt, dass angsterregende Gedanken und Gefühle vermieden werden
Beispiel
Regression (. Abb. 15.7)
Ermöglicht es uns, uns in ein früheres, infantileres Entwicklungsstadium zurückzuziehen, in dem ein Teil der psychischen Energie fixiert worden ist
Ein Kind, das sich vor dem ersten Schultag fürchtet, wird vielleicht zu dem oralen Trost des Daumenlutschens regredieren
Reaktionsbildung
Das Ich verwandelt inakzeptable Triebregungen unbewusst in ihr Gegenteil
Um ihren Ärger zu verbergen, zeigt sich eine Person besonders freundlich gegenüber der anderen Person
Projektion
Verbirgt bedrohliche Triebregungen dadurch, dass sie sie anderen Menschen zuschreibt
Ein Sprichwort in El Salvador sagt: „Ein Dieb hält alle Menschen für Diebe.“
Rationalisierung
Erklärungen zur Rechtfertigung unseres Verhaltens abgeben und dadurch die eigentlichen Gründe für unsere Handlungen verschleiern
Eine Gewohnheitstrinkerin sagt dann etwa, sie trinke mit ihren Freunden, „um nicht ungesellig zu sein“
Verschiebung
Eigene sexuelle oder aggressive Triebregungen werden auf ein Objekt oder einen Menschen umgelenkt, das oder der psychologisch akzeptabler scheint
Kinder, die nicht wagen, ihre Wut auf die Eltern auszudrücken, tun das vielleicht, indem sie dem Hund einen Tritt versetzen
Verleugnung
Man möchte die schmerzliche Realität nicht wahrhaben oder wahrnehmen
Ein Partner verleugnet die Beweislage für die Affäre seiner Geliebten
15
..Abb. 15.6 (© Claudia Styrsky)
ten. Diese Pionier:innen der Psychoanalyse und andere Personen, die wir heute Neofreudianer:innen nennen, übernahmen Freuds Therapieverfahren und akzeptierten seine grundlegende Vorstellung: die aus Ich, Es und Über-Ich bestehende Persönlichkeitsstruktur, die Bedeutung des Unbewussten, die Ausbildung der Persönlichkeit in der Kindheit sowie die Dynamik von Angst und Abwehrmechanismen. Doch sie gingen in zwei wichtigen
Punkten zu Freud auf Distanz: In stärkerem Maße betonten sie erstens die Rolle der bewussten Seele bei der Deutung der Erfahrung und beim Umgang mit der Umwelt. Und zweitens stellten sie in Zweifel, dass Sexualität und Aggression die beiden Triebe seien, die alle Energie für sich beanspruchen. Stattdessen legten sie den Akzent auf höhere Motive und auf die soziale Interaktion. Alfred Adler und Karen Horney stimmten mit Freud darin überein, dass die Kindheit wichtig ist. Aber sie waren der Überzeugung, dass die sozialen und nicht die sexuellen Spannungen in der Kindheit entscheidend für die Ausbildung der Persönlichkeit sind (Ferguson, 2003, 2015). Adler selbst (der die immer noch populäre Vorstellung vom Minderwertigkeitskomplex entwickelt hat) kämpfte damit, die Folgen von Krankheiten und Unfällen in der Kindheit zu bewältigen, und er war der Auffassung, dass ein Großteil unseres Verhaltens durch Bemühungen motiviert ist, die Minderwertigkeitsgefühle aus der Kindheit zu überwinden (. Abb. 15.8), Gefühle, die bei uns dazu führen, dass wir nach Überlegenheit und Macht streben. Horney meinte, dass die Ängste der Kindheit, die beim abhängigen Kind durch das Gefühl der Hilflosigkeit verursacht werden, bei uns das Verlangen nach Liebe und Sicherheit auslösen. Horney trat Freuds Auffassung entgegen, dass Frauen ein schwaches Über-Ich hätten und unter „Penisneid“ litten; und sie versuchte, den systematischen Fehler zu korrigieren, den sie in seiner männlichen Sicht der Psychologie erkannte (. Abb. 15.9). Carl Gustav Jung – ein Schüler von Freud, der sich später von ihm abwandte – betonte weniger die sozialen
15.1 • Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
a ..Abb. 15.7 a,b Regression. Bei der Konfrontation mit einem leichten Stressor suchen Kinder (a) und junge Orang-Utans (b) Schutz und klammern sich deswegen an ihre Bezugsperson. Freud würde dieses
633
b Verhalten wahrscheinlich als Regression interpretieren, d. h. als Rückzug in ein früheres Entwicklungsstadium. (a: © yurakrasil/stock.adobe.com; b: © Uryadnikov Sergey/stock.adobe.com)
..Abb. 15.9 Karen Horney (1885–1952). „Die Ansicht, dass Frauen infantile und gefühlsbetonte Wesen sind und als solche unfähig zu Verantwortung und Selbstständigkeit, ist das Werk der männlichen Tendenz, die Selbstachtung der Frauen herabzusetzen.“ (Horney, 1933)
..Abb. 15.8 Alfred Adler (1870–1937). „Das Individuum fühlt sich im Leben gut aufgehoben und hat das Gefühl, dass seine Existenz berechtigt ist, allerdings nur insofern, als es anderen nützen und seine Gefühle der Minderwertigkeit überwinden kann.“ (Adler, 1929)
Faktoren und stimmte mit Freud darin überein, dass das Unbewusste einen machtvollen Einfluss ausübt. Doch für Jung besteht das Unbewusste aus mehr als unseren verdrängten Gedanken und Gefühlen. Er war der Meinung, dass wir auch ein kollektives Unbewusstes haben, eine gemeinsame Erbmasse an Bildern oder Archetypen, die sich aus den universellen Erfahrungen unserer Spezies ableiten. Seiner Auffassung nach liefert das kollektive Unbewusste eine Erklärung dafür, dass bei vielen Menschen die Spiritualität so tief verwurzelt ist und dass bestimmte Mythen und Bilder in unterschiedlichen Kulturen zu fin-
den sind (. Abb. 15.10). Die meisten Psycholog:innen bestreiten heute, dass es so etwas wie ererbte Erfahrungen gibt. Doch viele glauben trotzdem, dass unsere gemeinsame Evolutionsgeschichte zur Bildung einiger universeller Dispositionen geführt hat und dass unsere Erfahrungen epigenetische Markierungen hinterlassen können, die unsere Genexpression beeinflussen (7 Kap. 5). Kollektives Unbewusstes („collective unconscious“) –
Carl Jungs Konzept einer gemeinsamen Erbmasse an Erinnerungsspuren aus der Geschichte unserer Art. Freud starb 1939. Seit dieser Zeit sind einige seiner Gedanken in die moderne psychodynamische Theorie eingeflossen. „Heute fühlen sich die meisten Theoretiker und Praktiker nicht an die Vorstellung gebunden, dass Sexualität die Basis der Persönlichkeit bildet“, merkt Drew Westen
15
634
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Abb. 15.10 Carl Gustav Jung (1875–1961). „Wir können einem Kind jegliche Kenntnis früher Mythen vorenthalten, doch das Bedürfnis nach Mythologie können wir nicht aus seinem Geist entfernen.“ (Jung, 1912)
(1996) an. Man „spricht heute nicht von Es und Ich und klassifiziert die Patienten auch nicht nach den Kriterien oral, anal oder phallisch“. Übereinstimmung mit Freud herrscht jedoch bei der Annahme, dass viel von unserem Seelenleben unbewusst abläuft, dass wir häufig mit inneren Konflikten zwischen unseren Wünschen, Ängsten und Wertvorstellungen zu kämpfen haben und dass Persönlichkeit und Bindungsfähigkeit in der Kindheit geformt werden. 15.1.4
Erfassung unbewusster Prozesse
Henry Murray (1933) demonstrierte eine mögliche Grundlage für einen solchen Test auf einer Party, die seine 11-jährige Tochter veranstaltete. Während dieser Party ließ er die Kinder an einem schaurigen Spiel names „Murder“ (dt. „Mord“) teilnehmen. Als Murray den Kindern nach dem Spiel einige Fotos zeigte, stellte er fest, dass sie diese als böswilliger wahrnahmen als vor dem Spiel. Es schien, als projizierten die Kinder ihre eigenen inneren Gefühle auf die Bilder. Ein paar Jahre später entwickelte Murray den Thematischen Apperzeptionstest (TAT), bei dem Versuchspersonen uneindeutige Bilder anschauen und sich dann Geschichten dazu ausdenken. Das Bild eines tagträumenden Jungen verleitet Menschen, die über ihre eigenen Leistungen fantasieren, vermutlich dazu, ihre eigenen Ziele auf den Jungen zu projizieren. Murray beobachtete: „In der Regel verlässt die Versuchsperson den Test glücklich und ahnungslos, dass sie dem Psychologen so etwas wie ein Röntgenbild ihres Innenlebens vorgelegt hat“ (zitiert nach Talbot, 1999). Zahlreiche Studien legen nahe, dass Murray Recht hatte: Der TAT liefert einen validen und zuverlässigen Blick auf die impliziten Motive der Versuchspersonen. Die erzählten Geschichten wurden beispielsweise dazu verwendet, die Leistungs- und Anschlussmotivation zu erfassen (Drescher & Schultheiss, 2016; Schultheiss et al., 2014). Antworten im TAT sind auch konsistent über mehrere Messungen (Lundy, 1985; Schultheiss & Pang, 2007). Zeigt man Menschen im Abstand von einem Monat dasselbe Bild, so stellen sie sich beide Male eine ähnliche Geschichte vor. Projektiver Test („projective text“) – Persönlichkeitstest,
15
?? 15.7 Was sind projektive Tests, wie werden sie ein-
gesetzt und welche Kritikpunkte gibt es an diesen?
Persönlichkeitstests basieren auf den grundlegenden Annahmen bestimmter Persönlichkeitstheorien. Welche Methoden könnten also psychodynamisch arbeitende Kliniker wählen, um Persönlichkeitsmerkmale zu erfassen? Die erste Anforderung an einen solchen Ansatz wäre, den Weg über das Unbewusste zu wählen, um die Überbleibsel früher Kindheitserfahrungen auszugraben, unter die Oberfläche der Behauptungen zu schauen und die geheimen Triebregungen und Konflikte aufzudecken. Objektive Messmethoden wie Fragebögen mit Ja-nein- oder Richtig-falsch-Antworten wären ungeeignet, da diese nur die bewusste Oberfläche eines Menschen berühren. Projektive Tests dienen als „psychologische Röntgenstrahlen“, da die Proband:innen entweder einen ambivalenten Stimulus beschreiben oder eine Geschichte darüber erzählen sollen. Der Kliniker bzw. die Klinikerin darf somit annehmen, dass jegliche Hoffnungen, Wünsche und Ängste, die sie in einem solch ambivalenten Bild sehen, Projektionen ihrer innersten Gefühle und Konflikte sind.
z. B. Rorschach-Test, der vieldeutige Reize vorgibt, um eine Projektion der inneren Dynamik des Probanden bzw. der Probandin hervorzurufen. Thematischer Apperzeptionstest („Thematic Apperception Test“; TAT) – ein projektiver Test, bei dem Personen
ihre inneren Gefühle und Interessen mit Geschichten ausdrücken, die auf mehrdeutigen Szenen basieren.
» „Wir sehen die Dinge nicht so, wie sie sind. Wir sehen sie so, wie wir sind.“ Der Talmud
Der am weitesten verbreitete projektive Test wurde vom Schweizer Psychiater Hermann Rorschach (1884–1922) entwickelt. Grundlage seines berühmten Rorschach-Tests, bei dem Personen beschreiben, was sie in einer Reihe Tintenkleckse erkennen, war ein Spiel aus seiner Kindheit (. Abb. 15.11). Rorschach und seine Freund:innen ließen Tinte auf ein Blatt Papier tropfen, falteten es zusammen und erzählten sich anschließend, was sie in dem entstandenen Klecks erkannten (Sdorow, 2005). Erkennen sie Raubtiere oder Waffen? Vielleicht haben sie aggressive Tendenzen? Doch handelt es sich dabei um einen begründeten Verdacht? Hierzu gehen die Meinungen von Kliniker:innen und Kritiker:innen auseinander.
635
15.1 • Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
..Abb. 15.11 Rorschach-Test. Bei diesem projektiven Test berichten die Probanden, was sie in einer Serie symmetrischer Tintenkleckse sehen. Wer mit diesem Test arbeitet, vertraut darauf, dass die Deutung
der vieldeutigen Reize unbewusste Aspekte der Persönlichkeit der Probanden aufzeigt. (© Terry Sheila/Science Photo Library)
Rorschach-Test („Rorschach inkblot test“) – am weitesten verbreiteter projektiver Test. Er besteht aus einem Satz von 10 Tintenklecksbildern, die von Hermann Rorschach entworfen wurden. Die Auswertung der Art und Weise, wie der Proband bzw. die Probandin die Kleckse deutet, soll seine inneren Gefühle deutlich machen.
(Mihura et al., 2013, 2015; Wood et al., 2015). Sie verweisen darauf, dass die Tintenklecksdiagnose so manchen normalen Erwachsenen als pathologische Persönlichkeit diagnostizieren würde (Wood, 2003; Wood et al., 2006). „Selbst erfahrene Profis können sich durch ihre Intuitionen und durch ihren Glauben an Hilfsmittel, für die es keine guten Effektivitätsnachweise gibt, täuschen lassen“, warnen Scott Lilienfeld, James Wood und Howard Garb (2001, S. 47). „Wenn eine ganze Reihe von Forschungsarbeiten zeigt, dass die alten Intuitionen falsch sind, ist es an der Zeit, sich einer neuen Denkweise zu bedienen.“
Einige Kliniker:innen schätzen den Rorschach-Test und liefern Richter:innen sogar Einschätzungen zum kriminellen Gewaltpotenzial bei einer Person. Andere sehen ihn als ein Diagnoseinstrument, als Quelle für suggestive Hinweise oder als Eisbrecher und erfolgreiche Interviewtechnik. Die Society for Personality Assessment (2005) empfiehlt den „verantwortungsvollen Einsatz“ des Rorschach-Tests, wenn er „angemessen und gerechtfertigt“ ist (was z. B. nicht der Fall ist, wenn Schlüsse über sexuellen Missbrauch im Kindesalter gezogen werden sollen).
15.1.5
Bewertung des Freudschen psychoanalytischen Ansatzes und die moderne Sichtweise des Unbewussten
» „Der Rorschach-Test hat die zweifelhafte Auszeichnung,
gleichzeitig das am höchsten geschätzte und das am meisten geschmähte aller psychologischen Beurteilungsinstrumente zu sein.“ John Hunsley und J. Michael Bailey (1999)
Doch die Evidenz bleibt den Kritiker:innen ungenügend. Sie beharren darauf, dass der Rorschach-Test kein Kernspintomograf für Emotionen ist. Sie wenden ein, dass nur wenige der vom Rorschach-Test abgeleiteten Punktskalen – beispielsweise für kognitive Beeinträchtigung und Denkstörung – Reliabilität und Validität aufweisen
?? 15.8 Wie beurteilt die heutige Psychologie Freuds
Psychoanalyse?
Widersprechende Befunde aus der modernen Forschung Wir kritisieren Freud aus der Perspektive des 21. Jahrhunderts. Freud wusste nichts von Neurotransmittern oder von der DNA. Er hatte keinen Zugang zu all dem Wissen über die Entwicklung des Menschen, sein Den-
15
636
Kapitel 15 • Persönlichkeit
ken und seine Emotionen, das wir seither erworben haben. Wenn wir also, sagen seine Anhänger:innen, Freuds Theorien mit modernen Konzepten vergleichen, dann ist das so, als wollten wir den ersten Volkswagen mit einem heute gebauten Porsche vergleichen. Wie leicht es uns doch fällt, Menschen, die in der Vergangenheit lebten, aus unserer Gegenwartsperspektive zu kritisieren.
» „Viele Aspekte der Freudschen Theorie sind tatsächlich
überholt, und das sollten sie auch sein: Freud ist 1939 gestorben, und er war nicht der schnellste darin, weitere Korrekturen vorzunehmen.“ Der Psychologe Drew Weston (1998)
15
Freuds Anhänger:innen und seine Kritiker:innen sind gleichermaßen der Meinung, dass die neuere Forschung im Widerspruch zu vielen seiner spezifischen Vorstellungen steht. Heutige Entwicklungspsychologen sehen die Entwicklung als lebenslang und nicht als in der Kindheit abgeschlossen. Sie zweifeln daran, dass die kindlichen neuronalen Netzwerke ausgereift genug sind, um einem solchen Ausmaß an emotionalem Trauma standzuhalten, wie Freud es annahm. Es wird auch die Ansicht vertreten, dass Freud den elterlichen Einfluss überschätzte, den Einfluss der Gleichaltrigen dagegen unterschätzte. Es wird auch bezweifelt, dass sich das Gewissen und die Geschlechtsidentität ausbilden, wenn das Kind im Alter von 5 oder 6 Jahren mit dem Ödipuskomplex konfrontiert ist. Die Geschlechtsidentität entsteht früher und wird auch ohne einen gleichgeschlechtlichen Elternteil für manche Menschen stark männlich oder weiblich. Und es wird angeführt, Freuds Theorie über die kindliche Sexualität sei daraus entstanden, dass er den Berichten seiner Patientinnen über sexuellen Missbrauch nicht glaubte, sondern sie ihren kindlichen sexuellen Wünschen und Konflikten zuschrieb (Esterson, 2001; Powell & Boer, 1994). Wir wissen jedoch heute, dass, indem Freud den Missbrauch in Frage stellte, möglicherweise falsche Erinnerungen daran hervorgerufen wurden, und wir wissen auch: Sexueller Missbrauch von Kindern ist eine traurige Realität. Neue Forschungsergebnisse stellen Freuds Auffassung in Frage, dass Träume unsere Wünsche maskieren und erfüllen. Und ein Versprecher lässt sich erklären als Wettstreit zwischen ähnlich klingenden Wörtern, der im Netzwerk des Gedächtnisses ausgetragen wird. Wenn jemand sagt: „Ich will das nicht tun, ‚it’s a lot of brothel‘“ (Bordell), dann ist das vermutlich einfach eine Vermischung der Wörter „bother“ (Unannehmlichkeit) und „trouble“ (Problem) (Foss & Hakes, 1978). Die Forschung findet auch kaum etwas, was Freuds These von den Mechanismen der Verdrängung und Maskierung sexueller und aggressiver Triebregungen belegt (obwohl wir uns kognitiv drehen und wenden, um unser Selbstwertgefühl zu schützen). In der Geschichte der Psychologie wurde noch eine weitere von Freuds Theorien nicht ge-
..Abb. 15.12 „Wenn ich einen anderen geheiratet hätte, hätte ich mit dessen Geburtsdatum sicher schon gewonnen!“ (© Claudia Styrsky)
stützt: die Überzeugung, dass unterdrückte Sexualität zu psychischen Störungen führt. Seit Freuds Zeiten ist die sexuelle Gehemmtheit immer stärker zurückgegangen, die psychischen Störungen allerdings nicht. Auch wegen wissenschaftlicher Mängel wird Freuds Theorie von Psycholog:innen kritisiert. Rufen Sie sich in Erinnerung, was in 7 Kap. 2 über eine gute wissenschaftliche Theorie gesagt wurde: dass sie eine Erklärung bietet für das, was beobachtet wurde, und dass sich daraus Hypothesen generieren lassen, die überprüfbar sind. Freuds Theorie beruht auf wenigen objektiven Beobachtungen und liefert z. T. nur wenige Hypothesen, die sich bestätigen lassen oder verworfen werden könnten. Freud selbst begnügte sich offenbar mit seinen eigenen Erinnerungen und Deutungen der freien Assoziationen, der Träume und der Versprecher seiner Patient:innen, die er mitunter recht selektiv einsetzte. Aber das größte Problem mit Freuds Theorie besteht darin, dass sie nachträgliche Erklärungen für Eigenschaften und Verhaltensweisen liefert (der eine Patient raucht, der andere hat Angst vor Pferden, beim dritten geht es um die sexuelle Orientierung), diese allerdings nicht vorhersagen kann (. Abb. 15.12). Wenn Sie über den Tod Ihrer Mutter zornig sind, dann ist das nach Freuds Theorie ein Beleg dafür, dass „Ihre in der Kindheit nicht erfüllten Abhängigkeitsbedürfnisse bedroht werden“. Wenn Sie nicht zornig sind, dann ist das ein Beleg dafür, dass „Sie Ihre Wut verdrängen“. Dieses Vorgehen, sagen Hall und Lindzey (1978, S. 68), ist so, „als wollte man auf ein Pferd wetten, wenn das Rennen schon gelaufen ist“. Eine gute Theorie macht überprüfbare Vorhersagen.
» „Wir argumentieren wie der Mann, der sagte: ‚Wenn auf
diesem Stuhl eine unsichtbare Katze säße, sähe der Stuhl leer aus: Der Stuhl sieht tatsächlich leer aus, folglich sitzt eine unsichtbare Katze darauf.‘“ C. S. Lewis, Four Loves (1958)
637
15.1 • Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
Sollte die Psychologie daher diese alte Theorie mit dem Vermerk „Bitte nicht wiederbeleben“ versehen? Die Anhänger:innen von Freud widersprechen. Sie sagen: Wenn man Freuds Theorie dahingehend kritisiert, dass sie keine überprüfbaren Vorhersagen macht, dann ist das so, als kritisiere man Fußball dafür, dass es sich hier nicht um Turmspringen handelt, also für etwas, was es nie sein sollte. Im Gegensatz zu vielen späteren Psychoanalytiker:innen hat Freud für die Psychoanalyse nie die Bezeichnung „Wissenschaft mit Vorhersagewert“ in Anspruch genommen. Er hat lediglich behauptet, ein:e Psychoanalytiker:in könne in unserem Seelenzustand rückblickend Dinge von Bedeutung finden (Rieff, 1979). Freuds Anhänger:innen verweisen auch darauf, dass einige von Freuds Gedanken immer noch aktuell sind. Freud war es, der die Aufmerksamkeit auf das Unbewusste und das Irrationale lenkte, als solche Ideen kaum beachtet wurden. Heute untersuchen viele Studien irrationales Verhalten (Ariely, 2010; Thaler, 2015). Der Psychologe Daniel Kahneman erhielt 2002 einen Nobelpreis für seine Forschung zur fehlerhaften Entscheidungsfindung. Freud lenkte unsere Aufmerksamkeit auch auf die Bedeutung, die die Sexualität für den Menschen hat, und auf die Spannung, die zwischen den Triebregungen unserer Biologie und unserem sozialen Wohlbefinden herrscht. Freud stellte unsere Selbstgerechtigkeit in Frage, deckte unsere selbstschützenden Abwehrmechanismen auf und zeigte, dass uns das Böse nicht fremd ist.
» „Obwohl [Freud] sicherlich bei der Formulierung seiner
Ideen eine Reihe von Fehlern machte, war sein Verständnis der unbewussten mentalen Prozesse sehr zielsicher. In der Tat ist es überaus konsistent mit der Ansicht moderner Neurowissenschaftler, dass die meisten mentalen Prozesse unbewusst ablaufen.“ Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Eric Kandel (2012)
Die moderne Wissenschaft stellt die Verdrängung in Frage Die gesamte Theorie der Psychoanalyse beruht auf Freuds Annahme, dass die Seele des Menschen schmerzliche Erfahrungen häufig verdrängt, indem sie sie ins Unbewusste verbannt, bis wir sie wie längst vergessene Bücher auf einem staubigen Dachboden. Werden die verdrängten schmerzlichen Erfahrungen unserer Kindheit wieder aufgedeckt und lösen sie sich, sollten emotionale Verletzungen geheilt werden. Die Verdrängung wurde zu einem weithin akzeptierten Konzept, das dazu genutzt wurde, hypnotische Phänomene und psychische Störungen zu erklären. Einige Anhänger:innen des psychodynamischen Ansatzes erweiterten das Verständnis der Verdrängung, um scheinbar verloren gegangene und wieder aufgedeckte Erinnerungen an Kindheitstraumata zu erklären (Boag, 2006; Cheit, 1998; Erdelyi, 2006). Eine Befragung von Studierenden ergab, dass 88 % von ihnen
daran glaubten, schmerzliche Erfahrungen würden aus der bewussten Wahrnehmung ins Unbewusste verlagert (Garry et al., 1994). Die heutige Forschung stimmt zu, dass wir manchmal unser Ich vor bedrohlichen Inhalten schützen, indem wir diese unbeachtet lassen (Green et al., 2008). Tatsächlich, so meinen viele Wissenschaftler:innen heute, ist Verdrängung, wenn sie überhaupt stattfindet, jedoch eine selten auftretende mentale Reaktion auf ein schreckliches Trauma. Selbst diejenigen, die die Ermordung eines Elternteils mit ansehen mussten oder die Vernichtungslager der Nazis überlebten, behielten die unverdrängten Erinnerungen an jene Gräueltaten (Helmreich, 1992, 1994; Malmquist, 1986; Pennebaker, 1990). „Dutzende formeller Studien aus der gesamten Literatur über Traumata haben keinen einzigen überzeugenden Beweis für Verdrängung erbracht“, so der Persönlichkeitsforscher John Kihlstrom (2006). Manche Forscher:innen glauben, dass langanhaltender extremer Stress, wie ihn manche schwer missbrauchten Kinder erleben, das Gedächtnis durch eine Schädigung des Hippocampus beeinträchtigen kann (Schacter, 1996). Doch es entspricht viel eher der Realität, dass starker Stress und die damit einhergehenden Hormone das Erinnerungsvermögen verbessern. Tatsächlich verfolgen traumatische Ereignisse wie Vergewaltigung und Folter die Überlebenden mit ungewollten Flashbacks, blitzartigen, aber deutlichen Erinnerungen, die in die Seele eingebrannt sind. „Du siehst die Babys“, sagt die Holocaust-Überlebende Sally H. (1979). „Du siehst die schreienden Mütter. Du siehst, wie Menschen aufgehängt werden. Du sitzt da und siehst dieses Gesicht. Das kann man nicht vergessen.“
» „Während des Holocausts … wurden viele Kinder ge-
zwungen, das Unerträgliche zu ertragen. Für diejenigen, die weiterhin leiden, ist [der] Schmerz noch da, viele Jahre später, so real wie am Tag, als es geschah.“ Eric Zillmer, Molly Harrower, Barry Ritzler & Robert Archer, The Quest for the Nazi Personality (1995)
Wie sehen wir heute das Unbewusste? ?? 15.9 Wie hat die moderne Forschung unser Verständ-
nis des Unbewussten geprägt?
Freud hatte zumindest in einer Beziehung Recht, die modernen psychodynamischen Theorien zugrunde liegt: Unser Zugang zu dem, was in unserer Seele vor sich geht, ist wirklich begrenzt (Erdelyi, 1985, 1988, 2006; Norman, 2010). Unser zweigleisiger Verstand umfasst einen weiten Bereich, der sich unserem Bewusstsein entzieht. Einige Forscherinnen und Forscher behaupten sogar, dass „der Großteil des alltäglichen Lebens eines Menschen von unbewussten Denkprozessen bestimmt wird“ (Bargh & Chartrand, 1999). (Vielleicht können Sie sich beispiels-
15
638
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Abb. 15.13 (Carolita Johnson/The New Yorker Collection/ The Cartoon Bank)
15
weise daran erinnern, dass Sie traurig oder wütend waren und nicht genau wussten, warum.) Nichtsdestotrotz halten viele heute das Unbewusste nicht für einen Kessel voller brodelnder Leidenschaften und einen repressiven Zensor, sondern für einen kühlen Informationsverarbeiter, dessen Aktivität wir nicht wahrnehmen. Für diese Wissenschaftler:innen gehört u. a. auch Folgendes zum Unbewussten (wie wir an anderen Stellen in diesem Buch gesehen haben): Schemata, die unsere Wahrnehmungen und Interpretationen automatisch steuern (7 Kap. 7); Priming durch Reize, die wir nicht bewusst beachtet haben (7 Kap. 7 und 9); rechtshemisphärische Aktivität, die die linke Hand eines Split-Brain-Patienten in die Lage versetzt, einen Befehl auszuführen, den der Patient oder die Patientin nicht in Worten formulieren kann (7 Kap. 3); implizite Erinnerungen, die ohne bewussten Abruf wirken, auch bei Menschen mit Amnesie (7 Kap. 9); Emotionen, die zu sofortigen Reaktionen führen, noch vor der bewussten Analyse der Situation (7 Kap. 13); Stereotype und implizite Vorurteile, die automatisch und unbewusst beeinflussen, wie wir Informationen über andere verarbeiten (7 Kap. 13).
-
Mehr als wir glauben, fliegen wir mit Hilfe eines Autopilots. Unser Leben wird gelenkt durch eine nicht bewusste Informationsverarbeitung, die unsichtbar im wirklichen Leben stattfindet. Das Unbewusste ist riesig. Dieses Verständnis der nicht bewussten Informations-
verarbeitung entspricht eher den Auffassungen aus der Zeit vor Freud: ein im Untergrund fließender Strom von Gedanken, aus dem spontan kreative Ideen auftauchen (Bargh & Morsella, 2008). Die neuere Forschung stützt auch zwei der Abwehrmechanismen, die Freud vorschlug. In einer Studie wurde bei Männern mit einer sehr schwulenfeindlichen Einstellung Reaktionsbildung nachgewiesen (d. h. sie wandelten inakzeptable Impulse in ihr Gegenteil um). Im Vergleich zu denjenigen, die diese Einstellung nicht teilten, zeigten diese schwulenfeindlichen Männer eine größere physiologische Erregung (erhoben mit einem Gerät, das den Blutfluss zum Penis misst), als sie Videos von homosexuellen Männern beim Sex anschauten, obwohl sie angaben, dass diese Filme sie nicht sexuell erregten (Adams et al., 1996). Ebenso gibt es Hinweise darauf, dass Menschen, die sich unbewusst als homosexuell, aber bewusst als heterosexuell identifizieren, eine negativere Einstellung gegenüber Homosexualität haben (Weinstein et al., 2012). Auch das, was Freud Projektion nannte (d. h. die Zuschreibung eigener bedrohlicher Impulse an andere) wurde nachgewiesen. Menschen neigen dazu, ihre eigenen Charaktereigenschaften, Einstellungen und Ziele auch in anderen zu sehen (Baumeister et al., 1998b; Maner et al., 2005). Die heutige Forschung nennt es Konsensüberschätzung, die Tendenz nämlich, zu überschätzen, wie viele andere Menschen die gleichen Überzeugungen und Verhaltensweisen haben wie wir. Wer bei der Steuererklärung mogelt oder Geschwindigkeitsbegrenzungen nicht beachtet, neigt zu der Auffassung, dass viele andere
639
15.1 • Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
genauso handeln. Das Motiv für Abwehrmechanismen sind weniger die von Freud vermuteten sexuellen und aggressiven Triebregungen, sondern unser Bedürfnis, das Selbstbild zu schützen. Schließlich hat die Forschung auch Freuds Annahme unterstützt, dass wir uns unbewusst gegen Ängste wehren. Eine häufige Quelle unserer Angst ist „das Erschrecken, das aus unserer Wahrnehmung der Verwundbarkeit und des Todes rührt“ (Greenberg et al., 1997; . Abb. 15.13). An die 300 Experimente, in denen sie ihre Terrormanagementtheorie testeten, zeigen, dass das Nachdenken über die eigene Sterblichkeit – indem man beispielsweise einen kurzen Aufsatz über das Sterben und die damit verbundenen Gefühle schreibt – genügend Angst hervorruft, um verschiedene Abwehrhandlungen im Sinne des Terrormanagements hervorzurufen (Burke et al., 2010). Beispielsweise erhöht Todesangst die Geringschätzung anderer und das eigene Selbstwertgefühl (Cohen & Solomon, 2011; Koole et al., 2006). Terrormanagementtheorie („terror-management theory“)
– eine Theorie der Todesangst; sie erforscht die emotionalen und verhaltensbezogenen Reaktionen auf Erinnerungen an unseren bevorstehenden Tod. Angesichts einer bedrohlichen Welt bemühen sich die Menschen nicht nur um eine Verbesserung ihres Selbstwertgefühls, sondern suchen auch verstärkt nach Weltanschauungen, die eine Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens geben. Die Aussicht auf den Tod fördert religiöse Gefühle zu Tage. Tiefreligiöse Überzeugungen machen Menschen weniger defensiv (sie neigen weniger dazu, ihre Weltanschauung rigoros zu verteidigen), wenn sie an den Tod erinnert werden (Jonas & Fischer, 2006; Norenzayan & Hansen, 2006). Außerdem hängen Menschen, die über den Tod nachdenken, an engen Beziehungen (Cox & Arndt, 2012; Mikulincer et al., 2003). Der tatsächliche Tod eines geliebten Menschen kann ebenfalls Schutzreaktionen hervorrufen. Jahrelang habe ich [ND] untersucht, wie Menschen auf Gedanken an den Tod reagieren – aber erst der Schock durch den unerwarteten Tod meiner eigenen Mutter motivierte mich dazu, wieder mit dem Laufen anzufangen und ein gesünderes Leben zu führen (Hayasaki, 2014; Kashdan et al., 2014). Die Auseinandersetzung mit dem Tod kann uns inspirieren, das Leben zu schätzen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche drei Beiträge entstammen Freuds psychoanalytischer Theorie? Nennen Sie drei Aspekte, die an Freuds Theorie kritisiert worden sind. – Welche Elemente aus der Psychoanalyse sind weiterhin Teil der modernen psychodynamischen Theorien und welche Elemente nicht mehr?
15.1.6
Rückblick: Einführung in die Persönlichkeits- und psychodynamischen Theorien
Verständnisfragen
15.1 – Was ist Persönlichkeit und welche Theorien formen
unser Verständnis von Persönlichkeit? 15.2 – Wie führten Sigmund Freuds Behandlungen psychischer Störungen zu seiner Sichtweise über das Unbewusste? 15.3 – Wie betrachtete Freud Persönlichkeit? 15.4 – Von welchen Entwicklungsphasen ging Freud aus? 15.5 – Wie wehren sich Menschen laut Freud gegen Angst? 15.6 – Welche seiner Ideen verwarfen bzw. akzeptierten Freuds Anhänger? 15.7 – Was sind projektive Tests, wie werden sie eingesetzt und welche Kritikpunkte gibt es an diesen? 15.8 – Wie beurteilt die heutige Psychologie Freuds Psychoanalyse? 15.9 – Wie hat die moderne Forschung unser Verständnis des Unbewussten geprägt?
----------
Schlüsselbegriffe Abwehrmechanismen Es Fixierung Freie Assoziation Ich Identifizierung Kollektives Unbewusstes Ödipuskomplex Persönlichkeit Projektiver Test Psychoanalyse Psychodynamische Theorien Psychosexuelle Phasen Rorschach-Test Terrormanagementtheorie Thematischer Apperzeptionstest (TAT) Über-Ich das Unbewusste Verdrängung
Master the Material 1. Freud glaubte, dass wir schmerzhafte oder inakzeptable Gedanken, Wünsche, Gefühle oder Erinnerungen durch einen unbewussten Prozess namens ___ aus unserem Bewusstsein verdrängen können. 2. In Freuds Persönlichkeitstheorie versucht das „ausführende Organ“, das ___, die Impulse des ___ in annehmbarer Weise zu erfüllen. a. Es; Ich b. Ich; Über-Ich
15
Kapitel 15 • Persönlichkeit
640
15
c. Ich; Es d. Es; Über-Ich 3. Freud schlug vor, dass die Entwicklung der „Stimme unseres moralischen Kompasses“ mit dem ___ zusammenhängt, das Ideale verinnerlicht und Urteilsmaßstäbe liefert. 4. Nach der psychoanalytischen Sicht der Entwicklung durchlaufen wir alle eine Reihe von psychosexuellen Phasen, zu der die orale, anale und phallische Phase gehören. Ungelöste Konflikte in einer dieser Phasen können zu ___ führen. a. schlummernde sexuellen Gefühle b. Fixierung auf diese Phase c. vorbewusste Blockierung der Impulse d. eine verzerrte Geschlechtsidentität 5. Freud glaubte, dass Abwehrmechanismen unbewusste Versuche darstellen, die Realität zu verzerren und umzuwandeln, um ___ zu reduzieren. 6. ___-Tests verlangen von den Versuchspersonen, ein uneindeutiges Bild zu beschreiben oder eine Geschichte darüber zu erzählen. 7. Generell übernahmen Neofreudianer:innen wie Adler und Horney viele von Freuds Annahmen, wobei sie jedoch mehr Aufmerksamkeit richteten auf … a. die Entwicklung über die Lebensspanne. b. das kollektive Unbewusste. c. die Rolle des Es. d. soziale Interaktionen. 8. Welchen Freudschen Annahmen stimmen heutige psychodynamische Theorien und Therapieansätze zu? a. Der Existenz unbewusster mentaler Prozesse b. Dem Ödipuskomplex c. Dem Vorhersagewert der Freudschen Theorie d. Der Rolle des Über-Ich als ausführendes Organ der Persönlichkeit 9. Was ist NICHT Teil der heutigen Sichtweise des Unbewussten? a. Verdrängte Erinnerungen an angstauslösende Ereignisse b. Schemata, die unsere Wahrnehmung und Interpretationen steuern c. Stereotype, die unsere Informationsverarbeitung beeinflussen d. Unmittelbar aktivierte Emotionen und implizite Erinnerungen an erlernte Fähigkeiten 15.2
Humanistische Theorien und Trait-Theorien
15.2.1
Humanistische Theorien
?? 15.10 Was verstanden humanistische Psycholog:innen
unter Persönlichkeit und welches Ziel verbarg sich hinter deren Erforschung von Persönlichkeit?
Etwa um 1960 wuchs die Unzufriedenheit mancher Persönlichkeitspsycholog:innen mit dem negativen Menschenbild der psychodynamischen Theorie, das vor allem an Trieben und Konflikten interessiert war, und mit der mechanistischen Psychologie des Behaviorismus von B. F. Skinner (7 Kap. 8). Die beiden Pioniere der Bewegung – Abraham Maslow (1908–1970) und Carl Rogers (1902–1987) – boten eine „Dritte-Kraft-Perspektive“ an, die besonderes Gewicht auf das Potenzial des Menschen legte. Freuds Interesse galt Störungen, die sich auf dunkle Konflikte zurückführen ließen. Im Gegensatz dazu interessierten sich die Vertreter:innen humanistischer Theorien dafür, auf welche Weise Menschen ihr Streben nach Selbstbestimmung und Selbstverwirklichung umsetzen. Im Gegensatz zur wissenschaftlichen Objektivität des Behaviorismus untersuchten sie Menschen mit Hilfe ihrer eigenen, von ihnen selbst berichteten Erlebnisse und Gefühle. Humanistische Theorien („humanistic theories“) – be-
trachten Persönlichkeit in Bezug auf das menschliche Potenzial zu gesundem persönlichem Wachstum.
Abraham Maslows Konzept der Selbstverwirklichung Maslow nahm an, dass der Mensch seine Motivation an einer Bedürfnishierarchie orientiert (7 Kap. 12). Sobald die physiologischen Bedürfnisse befriedigt sind, strebt der Mensch nach Sicherheit. Ist das Bedürfnis nach Sicherheit gestillt, erwacht das Bedürfnis nach Liebe und Zugehörigkeit: Man will lieben, geliebt werden und sich selbst lieben. Sobald auch dieses Bedürfnis befriedigt ist, strebt der Mensch nach einem positiven Selbstwertgefühl. Hat er dies erreicht, ist sein nächstes Ziel die Selbstverwirklichung – in Maslows Theorie der Prozess der Verwirklichung des eigenen Potenzials – und Selbsttranszendenz (Sinn, Zweckhaftigkeit und Verbundenheit über das eigene Selbst hinaus). Bedürfnishierarchie („hierarchy of needs“) – Maslows
Pyramide der menschlichen Bedürfnisse; beginnend mit den physiologischen Bedürfnissen, die erst erfüllt sein müssen, bevor auf einer höheren Stufe das Bedürfnis nach Sicherheit und danach die psychischen Bedürfnisse aktuell werden. Selbstverwirklichung („self-actualization“) – nach Maslow das höchste psychologische Bedürfnis, das auftritt, wenn alle physischen und psychischen Grundbedürfnisse erfüllt sind und Selbstwertgefühl erlangt wurde; Selbstverwirklichung ist die Motivation, das eigene Potenzial zu verwirklichen. Selbsttranszendenz („self-transcendence“) – nach Maslow das Streben nach Identität, Bedeutung und einem Zweck jenseits des Selbst.
641
15.2 • Humanistische Theorien und Trait-Theorien
nicht behindert oder durchkreuzt, dann ist jeder Mensch der Eichel gleich, die keimt und wächst und als Baum ihren Lebenssinn erfüllt. Rogers (1980) vertritt die Ansicht, dass für ein Wachstum förderndes Klima drei Faktoren unabdingbar sind: Wertschätzung: Auch akzeptierende Menschen fördern unser Wachstum: Menschen, die uns das schenken, was Rogers unbedingte Wertschätzung nannte. Damit ist eine wohlwollende Einstellung gemeint, die unseren Wert trotz unserer Versäumnisse schätzt. Es ist eine große Erleichterung, Ansprüche fallen zu lassen, die schlimmsten Gefühle offen einzugestehen und dann zu entdecken, dass man immer noch akzeptiert wird. In einer guten Ehe, einer engen Familienbindung oder einer tiefen Freundschaft haben wir die Freiheit, spontan zu sein, ohne dabei befürchten zu müssen, die Wertschätzung der anderen zu verlieren. Echtheit: Wenn Menschen sich echt verhalten, dann können sie ihre eigenen Gefühle offen akzeptieren, halten keine Fassade aufrecht, sind durchschaubar und offenherzig. Empathie: Wenn Menschen sich empathisch verhalten, dann teilen und spiegeln sie die Gefühle anderer und deren Bedeutung (. Abb. 15.15). „Wir hören kaum einmal mit echtem Verständnis, wahrer Empathie zu“, sagte Rogers. „Doch diese ganz spezielle Art des Zuhörens ist eine der stärksten Kräfte, die ich kenne, um Veränderungen zu bewirken.“
..Abb. 15.14 Abraham Maslow (1908–1970). „Jede Motivationstheorie, die unsere Aufmerksamkeit verdient, muss sich mit den größten Fähigkeiten eines gesunden und starken Menschen ebenso befassen wie mit den Abwehrmanövern einer verkümmerten Seele.“ (Maslow, 1970)
Maslow (1970) entwickelte seine Ideen weniger bei der Untersuchung klinischer Problemfälle als bei der Beobachtung gesunder, kreativer Menschen (. Abb. 15.14). Als Grundlage seiner Beschreibung des Konzepts der Selbstverwirklichung diente ihm eine Studie über Menschen, die für ihr erfülltes und produktives Leben bekannt waren, wie z. B. Abraham Lincoln. Maslow fand, dass all diese Menschen bestimmte charakteristische Merkmale aufwiesen: Sie waren sich ihrer selbst bewusst, akzeptierten sich, waren offen und spontan, liebevoll und fürsorglich und ließen sich von der Meinung anderer nicht lähmen. Da ihnen ihr Gefühl dafür, wer sie waren, Sicherheit verlieh, waren ihre Interessen eher problemzentriert als selbstzentriert. Sie steckten ihre Energie in eine bestimmte Aufgabe, die sie oft als ihre Mission betrachteten. Die meisten von ihnen hatten lieber einige wenige tiefe als viele oberflächliche Beziehungen. Bei vielen stand am Anfang eine persönliche oder spirituelle höchste Erfahrung, die über das normale Bewusstsein hinausging. Das sind die Persönlichkeitsmerkmale, die ein reifer Erwachsener haben sollte, sagte Maslow. Es handelt sich um die Eigenschaften, die man bei denen findet, die genug über das Leben gelernt haben, um Mitgefühl zeigen zu können, denen, die aus ihren gemischten Gefühlen gegenüber den Eltern herausgewachsen sind, denen, die ihre Berufung gefunden haben und „genügend Mut erworben haben, um sich unbeliebt zu machen, sich nicht zu genieren, offen ihre Tugendhaftigkeit zu zeigen etc.“.
Carl Rogers’ personzentrierter Ansatz Carl Rogers war ebenfalls ein humanistischer Psychologe und stimmte in vielem mit Maslows Gedanken überein. Rogers’ personzentrierter Ansatz ging davon aus, dass der Mensch im Grunde gut sei und die Fähigkeit zur Selbstverwirklichung habe. Wenn die Umwelt das Wachstum
-
Unbedingte Wertschätzung („unconditional positive regard“) – nach Rogers eine Einstellung, die durch das
vollkommene Akzeptieren eines anderen Menschen gekennzeichnet ist und die Menschen dabei hilft, Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz aufzubauen. Echtheit, Wertschätzung und Empathie stellen, laut Rogers, das Wasser, Sonnenlicht und die Nährstoffe dar, die Menschen wie kräftige Eichen gedeihen lassen (. Abb. 15.16). Denn „wenn Menschen akzeptiert und wertgeschätzt werden, neigen sie dazu, sich selbst gegenüber eine fürsorglichere Haltung zu entwickeln“ (Rogers, 1980, S. 116). Wenn Menschen empathisch zugehört wird, „wird es ihnen möglich, genauer auf den Fluss ihres inneren Erlebens zu achten.“ Der Autor Calvin Trillin (2006) erinnert sich an das Beispiel zweier Eltern, die ein hohes Maß an Echtheit und unbedingter Wertschätzung aufwiesen. Jenes Beispiel stammt aus einem Sommerlager für schwerkranke Kinder, in dem seine Frau Alice arbeitete. L., ein zauberhaftes Kind, das an einer genetischen Krankheit litt und durch den Schlauch ernährt werden musste, konnte nur mit Schwierigkeit gehen. Alice erinnerte sich:
» „Eines Tages spielten wir ‚Plumpsack‘, ich saß hinter ihr
und sie bat mich, ihre Post für sie zu halten, während sie sich umdrehte, um um den Kreis gejagt zu werden. Sie
15
642
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Abb. 15.15 Empathie. Sich offen zu zeigen und vertraulich miteinander zu sprechen ist leichter, wenn der Zuhörer oder die Zuhörerin echtes Verständnis aufbringt. In solchen Beziehungen kann man sich entspannen und das eigene Selbst in seiner ganzen Fülle zum Ausdruck bringen. Denken Sie an ein Gespräch, bei dem Sie wussten, dass die andere Person nur darauf wartete, selbst etwas zu sagen, anstatt einfach zuzuhören. Denken Sie nun an das letzte Mal, als Ihnen jemand mit Empathie zugehört hat. Wie haben sich diese beiden Erfahrungen unterschieden? (© JackF/stock. adobe.com)
ich Bud, der neben mir saß, die Nachricht. „Schnell. Lies das“, flüsterte ich. „Dies ist das Geheimnis des Lebens‘.“
Maslow und Rogers hätten wissend gelächelt. Für sie ist das Selbstkonzept ein zentrales Merkmal der Persönlichkeit: Gedanken und Gefühle, die als Reaktion auf die Frage „Wer bin ich?“ auftreten. Menschen mit positivem Selbstkonzept nehmen die Welt positiv wahr und handeln entsprechend. Mit einem negativen Selbstkonzept – wenn wir in unseren eigenen Augen zu weit entfernt von unserem Ideal-Selbst sind – fühlen wir uns nach Rogers unzufrieden und unglücklich. Ein sinnvolles Ziel ist demnach für Therapeut:innen, Eltern, Lehrer:innen und Freund:innen, anderen zu helfen, sich selbst zu erkennen, zu akzeptieren und zu sich selbst ehrlich zu sein.
15
Selbstkonzept („self-concept“) – alle Gedanken und Ge-
fühle, die bei der Beantwortung der Frage „Wer bin ich?“ aufkommen. ..Abb. 15.16 Ein Vater, der für sein Kind keine unbedingte Wertschätzung übrig hat. (Pat Byrnes/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Erfassung des Selbst ?? 15.11 Wie erfassten humanistische Psycholog:innen
hat etwas länger gebraucht, um den kompletten Kreis zu umlaufen. Ich hatte also Zeit dazu, eine Nachricht ihrer Mutter ganz oben auf dem Stapel (Post) zu entdecken. Dann tat ich etwas Schreckliches … Ich musste einfach wissen, was die Eltern dieses Kindes getan haben könnten, ein solch eindrucksvolles Kind erzogen zu haben, sie zu dem optimistischsten, enthusiastischsten, hoffnungsvollsten Menschen erzogen zu haben, den ich je kennengelernt habe. Ich warf einen schnellen Blick auf die Nachricht und meine Augen blieben an folgendem Satz hängen: ‚Wenn Gott uns die Wahl gelassen hätte, unter allen Kindern der Welt eines auszusuchen, L., hätten wir dich gewählt.“ Bevor L. zu ihrem Platz im Kreis zurückkehren konnte, zeigte
die Selbstwahrnehmung einer Person?
Manchmal haben humanistische Psycholog:innen Fragebögen bei der Erfassung des Selbst verwendet und Menschen gebeten, Fragebögen zur Bewertung des Selbstkonzepts auszufüllen. In einem im Sinne Carl Rogers’ entwickelten Fragebogen sollten die Proband:innen sich selbst beschreiben, und zwar einmal so, wie sie idealerweise gerne wären, und einmal so, wie sie tatsächlich sind. Sind ideales Selbst und tatsächliches Selbst annähernd gleich, sagte Rogers, hat diese Person ein positives Selbstkonzept. Wenn Rogers im Rahmen einer Therapie das persönliche Wachstum seiner Klient:innen immer
15.2 • Humanistische Theorien und Trait-Theorien
wieder erfasste, achtete er bei den Klient:innen vor allem auf immer näher beieinander liegende Einstufungen des tatsächlichen und des idealen Selbst. Manche humanistischen Psycholog:innen vertraten die Ansicht, dass eine standardisierte Erfassung der Persönlichkeit, sogar durch einen Fragebogen, eine Depersonalisierung darstellt. Sie wollten die Klient:innen nicht zwingen, ihre Antworten in eng gefasste Kategorien zu zwängen. Diese humanistischen Psycholog:innen gingen dagegen davon aus, dass ein Interview und ein offenes Gespräch ein besseres Verständnis für die einzigartigen Erfahrungen eines jeden Menschen liefern würden. Einige glauben, dass unsere Identität mit Hilfe des Lebensgeschichten-Ansatzes erfasst werden kann. Dieser Ansatz umfasst die Sammlung reichhaltiger Erzählungen, die die einzigartige Lebensgeschichte eines Individuums detailliert beschreiben (Adler et al., 2016; McAdams & Guo, 2015). Solche lebensnahen Geschichten können mehr über die Identität einer Person aussagen als die Antworten auf einige wenige Fragen.
Bewertung des humanistischen Ansatzes ?? 15.12 Inwiefern haben humanistische Theorien die
Psychologie beeinflusst und welches sind die Kritikpunkte an ihnen?
Etwas, was Freud nachgesagt wird, kann man auch über die humanistischen Psycholog:innen sagen: Ihr Einfluss war überall zu sehen. Ihre Gedankenwelt hat die Beratung, die Bildung, die Kindererziehung und das Management beeinflusst. Sie legten auch den Grundstein für das heutige wissenschaftliche Teilgebiet der positiven Psychologie (7 Kap. 13). Auch auf die Populärpsychologie unserer Zeit haben sie Einfluss genommen, manchmal sogar unabsichtlich. Ist ein positives Selbstkonzept der Schlüssel zu Glück und Erfolg? Können Akzeptanz und Empathie, die einem entgegengebracht werden, die eigenen positiven Gefühle stärken? Sind Menschen grundsätzlich gut und auch durchaus fähig, besser zu werden? Viele Leute antworten darauf mit Ja, Ja und Ja. Im Jahr 2006 hatten USJugendliche im Highschool-Alter ein deutlich höheres Selbstwertgefühl und erwarteten größeren beruflichen Erfolg in ihrer Zukunft als Gleichaltrige im Jahr 1975 (Twenge & Campbell, 2008). Wenn sie die Wahl haben, bevorzugen amerikanische Collegestudentierende die Erhöhung ihres Selbstwertgefühls durch ein Kompliment oder eine gute Note auf eine Hausarbeit gegenüber ihrem Lieblingsgericht oder Sex (Bushman et al., 2011). Die Botschaft der humanistischen Psychologie war angekommen. Dass der humanistische Ansatz auf eine so breite Resonanz stieß, führte aber auch zu heftiger Kritik. Erstens, argumentierten die Kritiker:innen, sind die Konzepte verschwommen und subjektiv. Nehmen wir nur einmal Mas-
643
lows Beschreibung von „sich selbst verwirklichenden“ Menschen: Sie sind offen, spontan, liebevoll, produktiv und akzeptieren sich selbst. Ist das eine wissenschaftliche Beschreibung? Ist das nicht vielmehr eine Beschreibung von Maslows eigenen Werten und Idealen? M. Brewster Smith (1978) merkte dazu an: Maslow lieferte uns einen Eindruck von seinen persönlichen Held:innenfiguren. Aber stellen Sie sich vor, ein anderer Theoretiker oder eine andere Theoretikerin hätte andere Helden, vielleicht Napoleon, John D. Rockefeller sen. und Donald Trump. Diese:r Theoretiker:in würde wahrscheinlich einen sich selbst verwirklichenden Menschen als „unbeeinträchtigt von den Bedürfnissen anderer Menschen“, „leistungsmotiviert“ und „machtbesessen“ beschreiben. Die Kritiker:innen hatten auch Einwände gegen folgende Formulierung von Carl Rogers: „Die einzige wirklich wichtige Frage ist: ‚Lebe ich auf eine Weise, die mich zutiefst befriedigt und in der ich mein wahres Wesen zum Ausdruck bringen kann?‘“. Die humanistische Psychologie ermutigte zum Individualismus – handeln im Vertrauen auf die eigenen Gefühle, sich selbst gegenüber wahrhaftig sein und nach Selbsterfüllung streben. Doch kann dies auch, wie die Kritiker:innen anmerkten, zu Zügellosigkeit, Selbstsucht und zur Erosion moralischer Hemmungen führen (Campbell & Specht, 1985; Wallach & Wallach, 1983). Stellen Sie sich vor, Sie müssten mit jemandem an einem Gruppenprojekt arbeiten, der sich weigert, irgendeine Aufgabe zu erledigen, die nicht zutiefst befriedigend ist oder die Identität dieser Person nicht wirklich zum Ausdruck bringt. Die humanistische Psychologie hält dagegen, dass eine sichere, nicht abwehrende Selbstakzeptanz ja nur der erste Schritt auf dem Weg zur Nächstenliebe ist. Menschen, die sich intrinsisch gemocht und akzeptiert fühlen – d. h. um ihrer selbst willen, nicht wegen ihrer Leistungen – zeigen nicht so viele Abwehrhaltungen (Schimel et al., 2001). Menschen, die sich von einem romantischen Partner geliebt und akzeptiert fühlen, berichten, dass sie in ihrer Beziehung glücklicher sind und sich ihrem Partner gegenüber freundlicher verhalten (Gordon & Chen, 2010). Ein letzter Vorwurf, welcher der humanistischen Psychologie entgegengebracht wird, ist der der Naivität, d. h., dass sie die Fähigkeit des Menschen, Böses zu tun, missachtet (May, 1982; . Abb. 15.17). Angesichts der globalen Erwärmung, der Überbevölkerung, des Terrorismus und der Verbreitung von Atomwaffen könnten wir leicht in Apathie versinken und das auf zwei Arten rationalisieren: Die eine ist der naive Optimismus, der die Bedrohung leugnet („Im Grunde ihres Herzens sind die Menschen gut, und alles wird in Ordnung kommen.“); die andere ist die fatalistische Verzweiflung („Es ist hoffnungslos; warum also versuchen, etwas zu verändern?“). Wer handelt, braucht genügend Realismus, um der Betroffenheit Energie zu verleihen; er braucht aber auch genügend Optimismus, um die Hoffnung nicht völlig auf-
15
644
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Abb. 15.17 (Dana Fradon/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
15
zugeben. (Pessimismus führt oft zu sich selbst erfüllenden Vorhersagen, indem er unsere Veränderungsbemühungen einschränkt.) Die humanistische Psychologie, sagen die kritischen Stimmen, ermutigt zwar zu der notwendigen Hoffnung, nicht aber zu der gleichfalls notwendigen realistischen Einstellung gegenüber dem Bösen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Inwiefern bot die humanistische Psychologie eine unverbrauchte Perspektive? – Was bedeutet es, empathisch zu sein? Und was bedeutet selbstverwirklicht? Welche humanistischen Psycholog:innen verwendeten diese Begriffe?
15.2.2 Trait-Theorien
?? 15.13 Wie bedienen sich Psycholog:innen sog. Traits,
um Persönlichkeit zu beschreiben?
Statt Persönlichkeit durch unbewusste Motivationen und verhinderte Möglichkeiten zum persönlichen Wachstum erklären zu wollen, versuchen Trait-Theoretiker:innen,
die Persönlichkeit mit Hilfe stabiler und dauerhafter Verhaltensmuster zu beschreiben, wie etwa die Offenheit für neue Erfahrungen und die Selbstdisziplin einer Lady Gaga. Die Spur der Trait-Perspektive führt zum Teil zurück zu einer bemerkenswerten Begegnung im Jahr 1919, als der 22-jährige Psychologiestudent Gordon Allport in Wien ein Gespräch mit Sigmund Freud führte. Allport merkte sehr bald, dass das vorherrschende Interesse des Begründers der Psychoanalyse darin bestand, verborgene Motive aufzudecken, selbst innerhalb Allports Verhalten während des Interviews. Diese Erfahrung brachte Allport letztlich dazu, das zu tun, was Freud nicht tat: den Begriff der Persönlichkeit anhand von grundlegenden Eigenschaften, sogenannten Traits, zu beschreiben, d. h. anhand der typischen Verhaltensweisen und bewussten Motive eines Menschen (wie beispielsweise der professionellen Neugier, die Allport motiviert hatte, Freud kennenzulernen). Freud zu begegnen, sagte Allport, „lehrte mich, dass [Psychoanalyse] trotz all ihrer Verdienste vielleicht zu sehr in die Tiefe geht und dass Psychologen wohl gut daran täten, zunächst den manifesten Motiven ihre volle Aufmerksamkeit zuzuwenden, ehe sie ins Unbewusste vordringen“. Es gelang Allport, eine Definition von Persönlichkeit zu entwickeln, die auf identifizierbaren Verhaltensmustern beruhte. Sein Anliegen bestand weniger darin, individuelle Eigenschaften zu erklären, sondern eher darin, sie zu beschreiben.
645
15.2 • Humanistische Theorien und Trait-Theorien
Trait (Merkmal, Persönlichkeitszug; „trait“) – für einen
bestimmten Menschen typisches Verhaltens- oder Veranlagungsmuster, das sich in seiner Art zu fühlen und zu handeln ausdrückt; kann erfasst werden durch Fragebögen zur Erhebung der Selbst- und der Fremdeinschätzung. So wie Allport, wollten Isabel Briggs Myers (1987) und ihre Mutter, Katharine Briggs, wichtige Unterschiede bezüglich Persönlichkeit beschreiben. Sie versuchten, Menschen, basierend auf den Antworten auf 126 Fragen, in C. G. Jungs Schema der Persönlichkeitstypen einzuordnen. Der „Myers-Briggs-Typenindikator“ (MBTI), der in 21 Sprachen übersetzt wurde, wird jährlich von 2 Mio. Menschen bearbeitet, meistens in Beratungsstellen, in Führungskräfte-Trainings und der Entwicklung von Arbeitsgruppen (CPP, 2017). Es werden Fragen gestellt wie beispielsweise: „Bewerten Sie normalerweise Gefühl höher als Logik, oder bewerten Sie Logik höher als Gefühl?“ Dann werden die Vorlieben des Probanden bzw. der Probandin ausgezählt, die Antworten werden als Indikator für einen „Fühl-“ oder „Denktyp“ gewertet und dann der Testperson mit ergänzenden Bemerkungen zurückgemeldet. Einem Fühltyp sagt man beispielsweise, er reagiere sensibel auf Wertvorstellungen, sei „sympathisch, verständnisvoll und habe Taktgefühl“, während ein Denktyp erfährt, dass er „objektive Wahrheit zu schätzen wisse“ und „gut im Analysieren“ sei. (Jeder Typus hat seine Stärken, so dass jedem geschmeichelt wird.) Die meisten Menschen stimmen diesem Typenprofil zu, das ihre erklärten Vorlieben widerspiegelt. Vielleicht akzeptieren sie auch ihre Kategorisierung als Basis dafür, dass sie zu den Arbeitspartner:innen passen und dass man ihnen die Aufgabe überträgt, die ihrem Temperament vermutlich entspricht. Ein Bericht des amerikanischen National Research Council merkte jedoch an, dass sich der Einsatz des Tests trotz seiner Beliebtheit im Geschäftsleben und in der Personalberatung verselbstständigt hat und über seinen ursprünglichen Anwendungsbereich, die Vorhersage der Arbeitsleistung, hinausgegangen ist und dass „die Verbreitung dieses Instruments ohne Nachweis des wissenschaftlichen Werts eine beunruhigende Vorstellung ist“ (Druckman & Bjork, 1991, S. 101; s. auch Pittenger, 1993). Seit diese Warnung ausgesprochen wurde, hat sich die Forschung zum Myers-Briggs-Test verstärkt, trotzdem wird er eher als Coaching- und Beratungsinstrument, denn als Forschungsinstrument genutzt.
..Abb. 15.18 (William Haefeli/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
indem wir ihn auf mehreren Merkmalsdimensionen einordnen. Ein Apfel könnte relativ groß oder klein sein, rot oder gelb, süß oder säuerlich. Bei gleichzeitiger Verwendung mehrerer Merkmalsdimensionen kann der Psychologe oder die Psychologin unzählige individuelle Persönlichkeitsvarianten beschreiben. (Denken Sie an 7 Kap. 7, in dem dargestellt wird, wie die Variationen auf nur drei Farbdimensionen – Schattierung, Farbsattheit und Leuchtkraft – schon ein paar Tausend Farben hervorbringen.) Mit welchen Merkmals- oder Eigenschaftsdimensionen lässt sich Persönlichkeit beschreiben? Wenn Sie sich ein Profil auf einer Datingseite im Internet anschauen, welche Persönlichkeitsmerkmale könnten Ihnen ein genaues Gefühl von der Person vermitteln, die das Profil erstellt hat? Allport und sein Kollege H. S. Odbert (1936) griffen zur ungekürzten Fassung eines Lexikons der englischen Sprache und zählten buchstäblich alle Wörter aus, mit denen Menschen beschrieben werden. Was meinen Sie, wie viele es waren? Fast 18.000! Auf welche Weise haben nun die Psychologen diese Menge auf eine handhabbare Liste grundlegender Merkmale reduziert?
Exploration von Merkmalen
zz Faktorenanalyse
Menschen als den einen oder anderen Persönlichkeitstyp zu klassifizieren, wird ihrer vollen Individualität nicht gerecht. Wir sind alle jeweils eine einzigartige Gesamtheit mehrerer Persönlichkeitsmerkmale (. Abb. 15.18). Aber wie sonst können wir unsere Persönlichkeiten beschreiben? Wir könnten einen Apfel auch beschreiben,
Eine Möglichkeit hierzu ist die Faktorenanalyse, ein statistisches Verfahren, das in 7 Kap. 11 vorgestellt worden ist. Die Faktorenanalyse dient der Identifizierung der Gruppen von Testitems (Faktoren), die grundlegende Komponenten von Traits beschreiben (McCabe & Fleeson, 2016). Stellen Sie sich einen Menschen vor, der sich
15
646
Kapitel 15 • Persönlichkeit
a
Launisch Ängstlich Rigide Nüchtern Pessimistisch Reserviert Ungesellig Schweigsam Introvertiert Passiv Sorgfältig Nachdenklich Friedlich Kontrolliert Zuverlässig Ausgeglichen Ruhig
Instabil
Stabil
Empfindlich Unruhig Aggressiv Erregbar Wechselhaft Impulsiv Optimistisch Aktiv Extravertiert Gesellig Kontaktfreudig Gesprächig Aufgeschlossen Locker Lebhaft Sorglos Führungseigenschaften
b
15
c ..Abb. 15.19 a–c Zwei Persönlichkeitsfaktoren. Die Hersteller:innen von Landkarten können uns viel erzählen über den Nutzen von zwei Achsen (Nord-Süd- und Ost-West-Achse). Eysenck und Eysenck (1963) verwendeten zwei primäre Persönlichkeitsfaktoren – Extraversion-Introversion und Stabilität-Labilität – als Achsen zur Beschreibung von Persönlichkeitsunterschieden (b). Andere spezifischere Merkmale werden durch verschiedene Kombinationen definiert. Men-
schen, die von Natur aus introvertiert sind, wie die Primatologin Jane Goodall (a), haben oft ein besonderes Talent für Feldstudien. Erfolgreiche Komiker wie Stephen Colbert (c) sind oft geborene Extravertierte. (a: © Photoshot/picture alliance; b: © 1963 The British Psychological Society, mit freundlicher Genehmigung von John Wiley and Sons; c: © Paul Buck/dpa/picture alliance)
selbst als offen und unternehmungslustig bezeichnet: Er würde wohl auch sagen, dass er Aufregung liebt, gerne Witze macht, dass aber stille Lektüre nicht so sehr sein Fall ist. Eine solche statistisch miteinander korrelierende Gruppe von Verhaltensweisen ist Ausdruck eines grundlegenden Faktors – oder eines Persönlichkeitsmerkmals –, in unserem hypothetischen Fall hier des Merkmals Extraversion. Die britischen Psycholog:innen Hans und Sybil Eysenck glaubten, dass sich viele unserer normalen individuellen Variationen auf zwei oder drei Dimensionen reduzieren lassen; dazu gehören „Extraversion-Introversion“ und „emotionale Stabilität-Labilität“ (. Abb. 15.19).
Menschen in 35 Ländern auf der ganzen Welt, von China über Russland bis Uganda, haben den „Eysenck Personality Questionnaire“ durchgeführt. Nach Auswertung ihrer Antworten tauchten die Faktoren Extraversion und Emotionalität als grundlegende Persönlichkeitsdimensionen auf (Eysenck, 1990, 1992). Die Eysencks glaubten, dass die Faktoren genetisch beeinflusst sind, und durch die neuere Forschung wird diese Auffassung bestätigt. zz Biologie und Persönlichkeit
Schichtaufnahmen von der Hirnaktivität extravertierter Menschen fügen sich ein in die immer größer werdende Liste von Merkmalen und mentalen Zuständen, die mit
647
15.2 • Humanistische Theorien und Trait-Theorien
Westliche Kulturen bewerten Extraversion überaus positiv: Superhelden sind meistens extravertiert: Superman ist kühn und tatkräftig. Sein introvertiertes Alter Ego Clark Kent ist hingegen zurückhaltend und tollpatschig. In Die Unglaublichen übernimmt Elastigirl Verantwortung und rettet so die Lage.
87% aller Menschen in der westlichen Welt wären gerne extravertierter.1 Introvertiert zu sein scheint zu bedeuten, dass wir nicht das Zeug zu etwas haben.2 Von attraktiven, erfolgreichen Menschen nehmen wir an, dass sie extravertiert sind.
Was ist Introversion? Introversion ist nicht Schüchternheit
(Schüchterne Menschen bleiben still, weil sie befürchten, dass andere sie negativ bewerten könnten.)
Introvertierte Menschen suchen ein geringes Maß an Stimulation in ihrer Umgebung, weil sie reizbarer sind. Gibt man ihnen beispielsweise Zitronensaft, haben introvertierte Menschen mehr Speichelfluss als extravertierte Menschen.3
Introversion kann Vorteile haben: • Introvertierte Führungskräfte sind extravertierten in einigen Bereichen überlegen, z. B. wenn Angestellte neue Ideen äußern und bestehende Normen in Frage stellen.4 • Eine Analyse von 35 Studien zeigte keine Korrelation zwischen Extraversion und Verkaufsleistung.5 • Viele Introvertierte waren und sind bemerkenswert, darunter Abraham Lincoln, Mutter Teresa und Gandhi.
1 Hudson & Roberts, 2014. 2 Cain, 2012. 3 Corcoran, 1964. 4 Grant et al., 2011. 5 Barrick et al., 2001.
..Abb. 15.20 Kritisch nachdenken über: Das Stigma der Introversion
Hilfe bildgebender Verfahren untersucht wurden. Diese Studien deuten darauf hin, dass extravertierte Menschen Anregung suchen, weil bei ihnen die normale Erregung des Gehirns relativ gering ist. PET-Untersuchungen z. B. zeigen, dass bei extravertierten Menschen der Bereich des Frontallappens, der bei der Hemmung von Verhalten eine Rolle spielt, weniger aktiv ist als bei introvertierten Menschen (Johnson et al., 1999). Dopamin und die dopaminbezogene neuronale Aktivität sind bei Extravertierten tendenziell erhöht (Kim et al., 2008; Wacker et al., 2006). Unsere Biologie beeinflusst unsere Persönlichkeit auch auf andere Weise. Sicherlich erinnern sie sich noch an die Zwillingsstudien aus 7 Kap. 5. Durch diese wird deutlich, dass unsere Gene für die Ausbildung des Temperaments und des Verhaltensstils, die beide zur Definition unserer Persönlichkeit beitragen, bedeutsam sind. Jerome Kagan z. B. schreibt Unterschiede im Grad der Schüchternheit und Gehemmtheit von Kindern der Reaktionsfähigkeit ihres autonomen Nervensystems zu (. Abb. 15.20). Bei einem reaktiven autonomen Nervensystem reagiert man auf Stress mit größerer Angst und mehr Hemmung. Aus dem furchtlosen, neugierigen Kind mag ein Kletterer werden oder eine Erwachsene, die schnelle Autos liebt. ?? 15.14 Was sind einige verbreitete Missverständnisse
unterschiede beim Menschen. Affen, Bonobos, Schimpansen, Orang-Utans und selbst Vögel und Fische weisen ausgeprägte und stabile Persönlichkeiten auf (Latzman et al., 2015; Pennisi, 2016; Weiss et al., 2006, 2015). Bei den Kohlmeisen sehen freche Vögel schneller neue Gegenstände in ihrer Umgebung an und erkunden rascher Bäume (Groothuis & Carere, 2005; Verbeek et al., 1994). Durch selektive Züchtung können Forschende freche oder schüchterne Vögel hervorbringen. Und beide haben ihren Platz in der Geschichte der Natur. In mageren Jahren finden die frechen Vögel mit größerer Wahrscheinlichkeit etwas zu fressen; in üppigen Jahren gehen die schüchternen Vögel bei der Nahrungssuche ein geringeres Risiko ein. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche beiden primären Dimensionen definierten Hans und Sybil Eysenck, um Persönlichkeitsunterschiede zu beschreiben?
Erfassung von Traits ?? 15.15 Was sind Persönlichkeitsinventare und was sind
deren Stärken und Schwächen in ihrer Funktion als Werkzeuge zur Erfassung von Traits?
über Introversion?
Gosling et al. (2003; Jones & Gosling, 2005) berichten, dass sich Persönlichkeitsunterschiede bei Hunden (in Bezug auf Tatkraft, Gefühlsbetontheit, Reaktionsbereitschaft und neugierige Intelligenz) so deutlich zeigen und so konsistent eingestuft werden wie Persönlichkeits-
Wenn unsere Handlungen von stabilen und dauerhaften Persönlichkeitsmerkmalen gesteuert werden, können wir dann valide und reliable Tests entwickeln, um sie zu erfassen? Es existieren mehrere Techniken zur Erfassung von Persönlichkeitsmerkmalen, manche von ihnen valider als andere. Manche erstellen eher ein Profil des Verhaltens-
15
648
15
Kapitel 15 • Persönlichkeit
musters einer Person und erfassen schnell ein einzelnes Merkmal, etwa das Merkmal Extraversion, Ängstlichkeit oder Selbstwertgefühl. Persönlichkeitsinventare, also längere Fragebogen, die einen breiten Bereich von Gefühlen und Verhaltensweisen abdecken, wurden entwickelt, um mehrere Persönlichkeitsmerkmale auf einmal zu erfassen. Das am besten wissenschaftlich erforschte Persönlichkeitsinventar ist der Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI); in Deutschland ist der Test allerdings umstritten. Der Fragebogen erfasst eher „abnorme“ Tendenzen einer Persönlichkeit als die normalen Persönlichkeitsmerkmale. Anhand des MMPI lässt sich jedoch sehr gut veranschaulichen, auf welche Weise ein Persönlichkeitsinventar entwickelt wird. Der an der Entwicklung beteiligte Starke Hathaway (1960), der an der Entwicklung des MMPI beteiligt war, verglich seine Arbeit mit der von Alfred Binet. Wie in 7 Kap. 11 erwähnt, hatte Binet den ersten Intelligenztest dadurch entwickelt, dass er Items auswählte, mit denen er Kinder herausfiltern konnte, die später möglicherweise Probleme an französischen Schulen haben würden. Die Items des MMPI wurden – wie bei Binet – empirisch ermittelt. Aus einem großen Pool von Items wählten sie diejenigen aus, bei denen sich bestimmte diagnostische Gruppen unterschieden. „Das Einzige, was mich an der Zeitung interessiert, sind die Comics“, mag sinnlos klingen; aber es kam eben vor, dass Personen mit depressiven Störungen mit größerer Wahrscheinlichkeit „richtig“ ankreuzten als nicht depressive Versuchspersonen. Die Fragen wurden in 10 klinische Skalen gruppiert, darunter solche, die depressive Tendenzen, Maskulinität und Femininität sowie Introversion und Extraversion erfassen. Der neuere MMPI-2 hat zusätzliche Skalen, die Arbeitseinstellungen, Familienprobleme und Ärger erfassen.
» „Die Leute machten sich einen Spaß daraus, den MMPI zu parodieren: ‚Beim Weinen kriege ich Tränen in die Augen“ oder „Hektisches Rumgebrülle macht mich nervös“ und „Ich bleibe so lange in der Badewanne, bis ich so verschrumpelt wie eine Rosine aussehe‘.“ Frankel et al. (1983)
Persönlichkeitsinventar („personality inventory“) – Fra-
gebogen, bei dem die Proband:innen auf Items (oft Richtig-falsch-Items oder Aussagen, die mit „stimme zu – stimme nicht zu“ zu beantworten sind) antworten, die so konzipiert sind, dass sie einen weiten Bereich von Gefühlen und Verhaltensweisen abdecken; wird zur Erfassung ausgewählter Persönlichkeitsmerkmale eingesetzt. Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI) – der am besten erforschte und in den USA am häufigsten klinisch angewandte Persönlichkeitstest. Ursprünglich entwickelt zur Diagnose emotionaler Störungen (was auch heute noch als sein bestes Einsatzgebiet gilt). Er wird heute für vielfältige andere Zwecke, wie etwa zum Screening, eingesetzt.
Empirisch ermittelter Test („empirically derived test“)
– ein Test, wie der MMPI, in dem ein Itempool untersucht wird und hinterher diejenigen Items zu Gruppen zusammengefasst werden, die am besten zwischen den Dimensionen diskriminieren. Im Gegensatz zur Subjektivität der meisten projektiven Tests (wie z. B. des Rorschach-Tests) werden Persönlichkeitsinventare objektiv ausgewertet. Objektivität ist allerdings kein Nachweis der Validität. Soll beispielsweise jemand bei einer Bewerbung den MMPI ausfüllen, dann kann er:sie sozial erwünschte Antworten geben, um einen guten Eindruck zu machen. Allerdings sollte er:sie dann auch hohe Werte auf der „Lügenskala“ erreichen, die Verstellungen erfasst (z. B. wenn jemand mit „falsch“ auf eine universell wahre Aussage antwortet, wie etwa „Ich werde manchmal wütend.“). Die Objektivität des MMPI trägt zu seiner Beliebtheit bei und dazu, dass er in mehr als 100 Sprachen übersetzt wurde.
Das Fünf-Faktoren-Modell („The Big Five“) ?? 15.16 Welche Traits scheinen die brauchbarste Infor-
mation über Persönlichkeitsvarianten bereitzustellen?
In der heutigen Forschung über Persönlichkeitsmerkmale ist man der Auffassung, dass die früheren Merkmalsdimensionen, beispielsweise Eysencks Dimensionen „introvertiert-extravertiert“ und „instabil-stabil“, zwar wichtig sind, aber nicht das ganze Spektrum abdecken. Eine geringfügig erweiterte Gruppe von Faktoren – bekannt als „The Big Five“ – ist besser geeignet (Costa & McCrae, 2011). Wenn man mit Hilfe eines Tests genau angeben kann, an welcher Stelle der fünf Dimensionen (Gewissenhaftigkeit, Verträglichkeit, Neurotizismus, Offenheit für Erfahrung und Extraversion; . Tab. 15.3) Sie stehen, dann sagt das bereits viel von dem aus, was es über Ihre Persönlichkeit auszusagen gibt. Einige klinische Psycholog:innen haben damit begonnen, diese fünf Faktoren zu verwenden, um Persönlichkeitsstörungen besser zu verstehen (Widiger et al., 2016). Weltweit – in einer Studie über 56 Länder und 29 Sprachen hinweg (Schmitt et al., 2007) – beschreiben Menschen andere Menschen in Begriffen, die grob mit diesen Merkmalsdimensionen konsistent sind. Die Big Five – der heutige „gemeinsame Nenner der Persönlichkeitspsychologie“ (Funder, 2001) – waren seit den 1990er Jahren das wichtigste Projekt in der Persönlichkeitsforschung und sind auch heute die beste Annäherung an grundlegende Persönlichkeitsdimensionen. Die Forschung zu den Big Five ging verschiedenen Fragen nach: Wie stabil sind diese Persönlichkeitsmerkmale? Ein Forschungsteam analysierte 1,25 Mio. Versuchspersonen im Alter von 10 bis 65 Jahren. Sie fanden heraus, dass sich die Persönlichkeit in der späten Kind-
-
15.2 • Humanistische Theorien und Trait-Theorien
..Tab. 15.3 Die fünf großen Faktoren der Persönlichkeit – „The Big Five“. In der Forschung werden Selbstauskünfte und Fremdberichte verwendet, um die Big Five-Persönlichkeitsfaktoren zu erfassen. (Adaptiert nach McCrae & Costa, 1986, 2008; dt: NEO-FFI; Borkenau & Ostendorf, 1993) Desorganisiert Nachlässig Impulsiv
Gewissenhaftigkeit
Organisiert Vorsichtig Diszipliniert
Rücksichtslos Misstrauisch Unkooperativ
Verträglichkeit
Weichherzig Vertrauenswürdig Hilfsbereit
Ruhig Sicher Selbstzufrieden
Neurotizismus (emotionale Stabilität vs. Instabilität)
Ängstlich Unsicher Selbstmitleidig
Pragmatisch Bevorzugt Routine Angepasst
Offenheit für Erfahrung
Fantasievoll Bevorzugt Abwechslung Unabhängig
Zurückhaltend Ernst Reserviert
Extraversion
Gesellig Lebenslustig Herzlich
heit und im Jugendalter entwickelt und verändert. Bis zum 40. Lebensjahr zeigen Menschen Anzeichen eines Reifeprinzips: Wir werden gewissenhafter, verträglicher und weniger neurotisch (emotional instabil; Bleidorn, 2015; Milojev & Sibley, 2016). Menschenaffen zeigen eine ähnliche Persönlichkeitsreifung (Weiss & King, 2015). Nach dem 40. Lebensjahr stabilisieren sich unsere Traits weiter. Welche Rolle spielt die Vererbung bei Persönlichkeitsmerkmalen? Die Erblichkeit individueller Unterschiede (d. h. das Ausmaß, mit dem interindividuelle Unterschiede auf die Genetik zurückzuführen sind) liegt für alle Dimensionen bei etwa 40 % (Vukasović & Bratko, 2015). Viele Gene, von denen jedes einzelne einen geringen Effekt hat, beeinflussen in Kombination unsere Persönlichkeitsmerkmale (McCrae et al., 2010; van den Berg et al., 2016). Unterscheidet sich die Gehirnstruktur in Abhängigkeit von diesen Merkmalen? Die Größe und Dicke des Gehirngewebes korreliert mit mehreren der fünf Faktoren (DeYoung et al., 2010; Grodin & White, 2015; Riccelli et al., 2017). Beispielsweise haben Menschen, deren Gewissenhaftigkeit stark ausgeprägt ist, tendenziell einen größeren Frontallappenbereich, der bei der Planung und Kontrolle des Verhaltens hilft. Gehirnverbindungen beeinflussen die fünf Faktoren ebenfalls (Adelstein et al., 2011). Die Gehirne von Menschen mit einem hohen Wert in Neurotizismus (emotionale Instabilität) sind so verdrahtet, dass sie Stress besonders intensiv erleben (Shackman et al., 2016; Xu et al., 2012).
-
649
-
Spiegeln diese Merkmale die Geburtsreihenfolge wider? Sind erstgeborene Kinder z. B. gewissenhafter oder angenehmer, wenn andere Variablen wie die Familiengröße kontrolliert werden? Obwohl solche Annahmen weit verbreitet sind, fanden mehrere große Untersuchungen keinen Zusammenhang zwischen der Geburtsreihenfolge und der Persönlichkeit (Damian & Roberts, 2015; Harris, 2009; Rohrer et al., 2015). Wie gut lassen sich diese Merkmale auf unterschiedliche Kulturen übertragen? Die fünf Faktoren beschreiben die Persönlichkeit in unterschiedlichen Kulturen relativ gut (Fetvadjiev et al., 2017; Schmitt et al., 2007; Vazsonyi et al., 2015). Nach der Untersuchung von Menschen aus 50 Kulturen kamen Robert McCrae und 79 Mitforschende zu dem Schluss, dass „alle Menschengruppen die Eigenschaften von Persönlichkeitsmerkmalen teilen“ (2005). Sind die Big Five auch Prädiktoren für beobachtbares Verhalten? Ja. Wenn sich Menschen als kontaktfreudig, gewissenhaft und verträglich beschreiben, „sagen sie wahrscheinlich die Wahrheit“, so der Big-FiveForscher Robert McCrae (2011). Gewissenhaftigkeit und Verträglichkeit sagen Erfolg am Arbeitsplatz voraus, Verträglichkeit hingegen Hilfsbereitschaft (Habashi et al., 2016; Sackett & Walmsley, 2014). Traits charakterisieren auch bestimmte Karrierewege. US-Politiker:innen neigen etwa dazu, „große“ Persönlichkeiten zu haben und übertreffen die Allgemeinbevölkerung in Bezug auf Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und emotionale Stabilität (niedriger Neurotizismus; Hanania, 2017; . Abb. 15.21). Unsere Traits durchdringen auch unsere Sprache. In SMS sagt Extraversion das Benutzen von Personalpronomen und Neurotizismus (emotionale Instabilität) die Verwendung negativer Emotionswörter vorher (Holtgraves, 2011).
-
Durch die Erforschung solcher Fragen hat die Big-FiveForschung die Trait-Psychologie gestützt und das Verständnis um die Bedeutung der Persönlichkeit erweitert. (Um Ihre eigene Persönlichkeit zu erfassen, probieren Sie die kurze Selbsteinschätzung in . Abb. 15.22 aus.) Traits sind wichtig. Im nächsten Abschnitt werden wir aber sehen, dass auch Situationen eine wichtige Rolle spielen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind die Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren und worin liegen deren wissenschaftlichen Stärken?
Bewertung des Trait-Ansatzes ?? 15.17 Wird das Konzept der zeitlichen und situativen
Stabilität der Persönlichkeitsmerkmale durch die Forschung gestützt?
15
650
Kapitel 15 • Persönlichkeit
a
15
b
..Abb. 15.21 a,b Wen wählen Sie? Lassen Sie mich Ihre Likes zählen. In der Forschung können Ihre Facebook-Likes zum Einsatz kommen, um Ihre Ausprägung in den fünf Persönlichkeitsfaktoren, Ihre Ansichten und Ihre politischen Einstellungen zu bestimmen (Youyou et al., 2015). Unternehmen sammeln „Big Data“ für Werbetreibende (die dann Anzeigen personalisieren) sowie für politische Kandidat:in-
nen, die Sie gezielt mit überzeugenden Botschaften ansprechen können. Im US-Präsidentschaftswahlkampf 2016 setzen „beide Seiten auf jeden Fall Big Data ein … um Wähler zu gewinnen“, sagt der Forscher Michal Kosinski (Zakaria, 2017; a: © J. Conrad Williams Jr./Newsday/ picture alliance; b: © Miami Herald/Patrick Farre/picture alliance)
Sind unsere Persönlichkeitsmerkmale stabil und dauerhaft? Oder hängt unser Verhalten davon ab, wo und in wessen Gesellschaft wir uns befinden? In mancher Hinsicht scheint unsere Persönlichkeit stabil zu sein. Fröhliche, freundliche Kinder neigen dazu, fröhliche, freundliche Erwachsene zu werden. Bei einem Klassentreffen war ich erstaunt, dass meine heiteren ehemaligen Klassenkameraden immer noch heiter waren, die Schüchternen immer noch schüchtern, die glücklich wirkenden Menschen auch 50 Jahre später noch lächeln und lachen. Aber es ist auch wahr, dass ein lebenslustiger Spaßvogel bei einem Vorstellungsgespräch plötzlich ernst und respektvoll werden kann. Neue Situationen und wichtige Lebensereignisse können beeinflussen, welche Persönlichkeitsmerkmale wir zum Ausdruck bringen. Arbeitslosigkeit kann Menschen z. B. weniger verträglich und offen für neue Erfahrungen machen (Boyce et al., 2015).
Mensch zu verschiedenen Zeiten und an verschiedenen Orten freundlich sein. Ist das so?
» „Es gibt einen ebenso großen Unterschied zwischen uns
und uns selbst wie zwischen uns und den anderen.“ Michel de Montaigne, Essais (1588)
zz Person oder Situation?
Unser Verhalten wird beeinflusst von der Interaktion zwischen unserer inneren Disposition und unserer Umgebung. Doch die Frage steht weiterhin im Raum: Welcher der beiden Faktoren ist der wichtigere? Wenn wir uns die Debatte um die Einflüsse von Person und Situation genauer ansehen, suchen wir nach echten Persönlichkeitsmerkmalen, die über Zeit und über Situationen hinweg bestehen bleiben. Sind manche Menschen immer gewissenhaft und andere unzuverlässig, manche fröhlich und andere mürrisch, manche freundlich und aus sich herausgehend und andere schüchtern? Wenn wir Freundlichkeit als Merkmal ansehen sollen, dann muss ein freundlicher
>>Genau genommen sind die jeweiligen äußeren Einflüsse
auf das Verhalten das Thema der Sozialpsychologie (7 Kap. 14), während die zeitüberdauernden inneren Einflüsse zum Bereich der Persönlichkeitspsychologie gehören. Das tatsächliche Verhalten hängt von der Interaktion zwischen dem Menschen und der Situation ab. Wandel und Beständigkeit können nebeneinander Bestand haben. Wenn alle Menschen mit zunehmendem Alter etwas weniger schüchtern wären, hätten wir eine Veränderung in der Persönlichkeit, aber auch eine relative Stabilität und Vorhersagbarkeit.
In vorherigen Kapiteln hatten wir die Langzeitforschung behandelt, die Individuen manchmal ein Leben lang begleitet. Wir haben festgestellt, dass manche Wissenschaftler:innen (vor allem die, die Studien mit Kindern durchführen) davon beeindruckt sind, dass sich die Persönlichkeit verändert; andere Forscher:innen sind dagegen überrascht, wie stabil die Persönlichkeit eines Erwachsenen bleibt. Wie in . Abb. 15.23 dargestellt, zeigen Daten aus 152 Langzeitstudien, dass die Werte für Persönlichkeitsmerkmale positiv mit Testwerten korrelieren, die 7 Jahre später erhoben wurden, und dass sich die Persönlichkeit stabilisiert, wenn die Menschen älter werden. Interessen mögen sich ändern – der begeisterte Sammler tropischer Fische mag ein eifriger Gärtner werden. Karrieren mögen sich ändern – aus der überzeugten Handelsvertreterin wird vielleicht eine begeisterte Sozialarbeiterin. Beziehungen mögen sich ändern – der feindselige Ehepartner macht vielleicht mit einem anderen Partner einen Neuanfang. Doch die meisten Menschen erkennen ihre Eigenschaften als etwas an, was zu ihnen gehört,
..Abb. 15.22 Die Selbsteinschätzung der Big Five. (Nach Rammstedt & John, 2017, mit freundlicher Genehmigung)
15
651
15.2 • Humanistische Theorien und Trait-Theorien
Inwieweit treffen die folgenden Aussagen auf Sie zu? Beschreiben Sie sich so, wie Sie sich im Allgemeinen momentan selbst einschätzen, nicht so, wie Sie in Zukunft sein möchten. Seien Sie bei Ihrer Einschätzung ehrlich und vergleichen Sie sich mit anderen Menschen, die Sie kennen und die dasselbe Geschlecht wie Sie haben sowie ungefähr im gleichen Alter sind. Geben Sie in der unteren Skala für jede Aussage eine Zahl an. Folgen Sie danach den Auswertungshinweisen unter der Skala, um herauszufinden, wo Sie auf dem Spektrum für jede der Big-Five-Eigenschaften liegen. 1
2
3
4
5
Trifft überhaupt nicht zu
Trifft eher nicht zu
Weder noch
Eher zutreffend
Trifft voll und ganz zu
1.
___Ich bin eher zurückhaltend, reserviert.
2.
___Ich schenke anderen leicht Vertrauen, glaube an das Gute im Menschen.
3.
___Ich bin bequem, neige zur Faulheit.
4.
___Ich bin entspannt, lasse mich durch Stress nicht aus der Ruhe bringen.
5.
___Ich habe nur wenig künstlerisches Interesse.
6.
___Ich gehe aus mir heraus, bin gesellig.
7.
___Ich neige dazu, andere zu kritisieren.
8.
___Ich erledige Aufgaben gründlich.
9.
___Ich werde leicht nervös und unsicher.
10. ___Ich habe eine aktive Vorstellungskraft, bin fantasievoll. AUSWERTUNGSHINWEISE SORTIERT NACH DEN BIG-FIVE-PERSÖNLICHKEITS-DIMENSIONEN Gewissenhaftigkeit: Aussagen 3, 8 Verträglichkeit: Aussagen 2, 7 Neurotizismus: Aussagen 4, 9 Offenheit: Aussagen 5, 10 Extraversion: Aussagen 1, 6
Wie die Werte berechnet werden: Um Messwerte für die individuelle Ausprägung der Befragungsperson auf den fünf Persönlichkeitsdimensionen zu erhalten, werden pro Dimension die Antworten auf den beiden Items gemittelt. Hierzu wird zunächst das jeweils negativ gepolte Item rekodiert (Items 1, 3, 4, 5 und 7) und anschließend pro Dimension der Mittelwert aus dem rekodierten und dem nicht rekodierten Item gebildet. Der Wertebereich der fünf Dimensionen liegt dann jeweils zwischen 1 und 5. Sortieren Sie Ihre Antworten nach den einzelnen Big Five-Persönlichkeitsdimensionen, wie links angegeben, addieren Sie jeweils beide Werte und teilen Sie das Ergebnis durch zwei, um Ihre Punktzahl für jede Dimension zu erhalten. Nehmen wir zum Beispiel an, dass Sie für die Eigenschaft "Verträglichkeit" eine 3 für Aussage 2 ("Ich schenke anderen leicht Vertrauen, glaube an das Gute im Menschen.") und eine 4 für Aussage 7 ("Ich neige dazu, andere zu kritisieren.") erreicht haben. Das bedeutet, dass auf einer Skala von 1 bis 5 Ihre Gesamtpunktzahl für die Eigenschaft "Verträglichkeit" 3 + 4 = 7 ÷ 2 = 3,5 beträgt.
Skala nach Rammstedt, B., Kemper, C. J., Klein, M. C., Beierlein, C. & Kovaleva, A., (2014). Big Five Inventory (BFI-10). Zusammenstellung sozialwissenschaftlicher Items und Skalen (ZIS). https://doi.org/10.6102/zis76
merken McCrae und Costa (1994) an. „Und das ist gut so. Die Anerkennung der unausweichlichen eigenen und unverwechselbaren Persönlichkeit … ist das Höchste an Lebensweisheit.“ Daher würden die meisten Menschen – auch die meisten Psycholog:innen – die Annahme, dass Persönlichkeitsmerkmale relativ stabil sind, unterstützen (. Abb. 15.24). Außerdem sind unsere Eigenschaften
sozial bedeutsam. Sie beeinflussen unsere Gesundheit, unser Denken und unsere Leistungen im Beruf (Hogan, 1998; Jackson et al., 2021; Sutin et al., 2011). Langzeitstudien zeigen, dass Persönlichkeitsmerkmale mit Faktoren wie sozioökonomischem Status oder kognitiver Fähigkeit als Prädiktoren für Sterblichkeit, Scheidung und Berufserfolg konkurrieren (Roberts et al., 2007; . Abb. 15.25).
Korrelation der Testwerte für Persönlichkeitsmerkmale nach 7 Jahren
652
Kapitel 15 • Persönlichkeit
0,8 0,7 0,6 0,5 0,4 0,3 0,2 0,1 0
Kinder
Studierende
30-Jährige
50- bis 70-Jährige
..Abb. 15.23 Stabilität der Persönlichkeit. Je älter man wird, desto stabiler werden die Persönlichkeitsmerkmale. Dies zeigt sich in der Korrelation zwischen den Testwerten für Persönlichkeitsmerkmale und den entsprechenden Testwerten 7 Jahre später. (Befunde nach Roberts & Del Vecchio, 2000)
15
Obwohl unsere Persönlichkeitsmerkmale sich als stabil und stark erweisen, ist aber die Konsistenz spezifischer Verhaltensweisen über verschiedene Situationen hinweg eine andere Sache. Welchen Zusammenhang würden Sie zwischen der Gewissenhaftigkeit bei einer bestimmten Gelegenheit (etwa pünktlich zur Vorlesung zu kommen) und bei einer anderen Gelegenheit (sich gesund zu ernähren) erwarten? Wenn Sie an sich selbst schon einmal bemerkt haben, wie sehr Sie in einigen Situationen aus sich herausgehen und wie reserviert Sie in anderen sind, überrascht es Sie vielleicht gar nicht. Und Forschungsarbeiten haben in der Tat nur sehr geringe Korrelationen gefunden (Mischel, 1968; Sherman et al., 2015). Diese Inkonsistenz in Bezug auf das Verhalten lässt Persönlichkeitstests auch zu schwachen Prädiktoren des Verhaltens werden. So sagen die Testwerte einer Person in Bezug auf Extraversion nicht ..Abb. 15.24 Nicht nur die Persönlichkeit wird mit dem Alter stabiler. (© Mitra Farmand, 7 www.fuffernutter.com)
eindeutig vorher, wie gesellig sie bei einer bestimmten Gelegenheit ist. Wenn wir solche Ergebnisse im Hinterkopf behalten, dann werden wir etwas vorsichtiger mit der Etikettierung und Einordnung von Individuen sein (Mischel, 1968). Die Wissenschaft kann uns Jahrzehnte im Voraus die Mondphase für jedes beliebige Datum nennen, die Meteorologie kann das Wetter des folgenden Tages vorhersagen, doch wir Psycholog:innen sind weit davon entfernt, vorhersagen zu können, wie Sie sich morgen fühlen und was Sie tun werden. Allerdings ist der Durchschnitt an Extravertiertheit, Glück oder Nachlässigkeit über viele Situationen hinweg vorhersagbar, meinte Epstein (1983a, 1983b). Bei der Bewertung der Schüchternheit oder des angenehmen Wesens eines Menschen ist es diese Konsistenz, die bewirkt, dass die, die diesen Menschen gut kennen, der Bewertung zustimmen (Jackson et al., 2015; Kenrick & Funder, 1988). Indem sie die Schnipsel der täglichen Erfahrungen ihrer Versuchspersonen sammelten (hierzu nutzten sie Aufnahmegeräte, die am Körper getragen werden), konnten Mehl et al. (2006) bestätigen, dass extravertierte Menschen tatsächlich mehr reden. (Ich habe mehrfach gelobt, mein Geplapper und Gewitzel während des mittäglichen Basketballspiels mit Freund:innen einzuschränken. Leider bemächtigt sich wenige Momente später wieder unvermeidlich die innere Quasselstrippe meines Körpers. Und eine ähnliche Erfahrung mache ich jedes Mal, wenn ich versuche, in Taxis ruhig zu bleiben. Irgendwie kommt es immer dazu, dass ich mit dem Fahrer oder der Fahrerin plaudere!) Wie unsere besten Freund:innen bestätigen werden, haben wir tatsächlich bestimmte Persönlichkeitsmerkmale, genetisch beeinflusste Eigenschaften, wie wir heute wissen. Unsere Persönlichkeitsmerkmale scheinen, so ein Bericht von
15.2 • Humanistische Theorien und Trait-Theorien
..Abb. 15.25 „Ich gehe nach Frankreich. Ich bin ich ein anderer Mensch in Frankreich.“ (Victoria Roberts/The New Yorker Collection/ The Cartoon Bank)
-
Samuel Gosling und seinen Kolleg:innen nach einer Untersuchungsreihe, in Folgendem durch: Vorlieben in Bezug auf Musik. Fans von klassischer Musik, Jazz, Blues und Folk sind gewöhnlich offen für neue Erfahrungen und sind verbal intelligent. Extravertierte neigen dazu, peppige und energiegeladene Musik zu bevorzugen. Fans von Country, Pop und Gospel sind in der Regel fröhlich, extravertiert und gewissenhaft (Langmeyer et al., 2021; Rentfrow & Gosling, 2003, 2006). Schriftliche Kommunikation. Wenn Sie jemals das Gefühl hatten, die Persönlichkeit einer Person anhand des Tons ihrer Textnachrichten erkennen zu können, dann haben Sie Recht!! Was für eine coole Entdeckung!!! ☺ Selbst in kurzen Tweets und FacebookPosts kann die Art und Weise, in der wir schreiben, unsere Extraversion, unser Selbstwertgefühl und unsere Verträglichkeit zum Ausdruck bringen (Orehek & Human, 2017; Park et al., 2015; Pennebaker, 2011). „Off to meet a friend. Woohoo!!!“, postete ein Facebook-Nutzer, der einen hohen Wert für Extraversion hatte (Kern et al., 2014). Extravertierte verwenden auch mehr Adjektive. Internetauftritt und persönlicher Raum. Bringt auch der persönliche Internetauftritt oder ein FacebookProfil etwas über das Selbst zum Ausdruck? Oder stellt er eine Möglichkeit für Menschen dar, sich selbst in falscher oder irreführender Weise darzustellen? Es handelt sich eher um das Erstere (Back et al., 2010; Gosling et al., 2007; Marcus et al., 2006). Menschen, die auf ihren Facebook- oder Twitter-Profil sympathischer erschienen, schienen auch im wahren Leben sympathischer (Qiu et al., 2012; Weisbuch
-
-
653
..Abb. 15.26 Unser persönlicher Raum ist Ausdruck der Persönlichkeit. Selbst wenn jemand einen Menschen gar nicht kennt, kann er etwas von der Persönlichkeit des anderen mitbekommen, wenn er einen Blick auf seine Internetseite, sein Schlafzimmer oder sein Büro wirft. Wie schätzen Sie also den Springer-Psychologie-Planer Joachim Coch (hier im Bild) ein? (© Renate Schulz)
et al., 2009). Selbst nur Bilder von Leuten und ihrer Kleidung, ihrem Ausdruck und ihrer Körperhaltung können als Hinweise auf die Persönlichkeit dienen (Naumann et al., 2009). Unser persönlicher Raum zeigt ebenfalls unsere Identität an. Und das trägt zur Erklärung dafür bei, warum ein kurzer Blick in einen Lebens- und Arbeitsraum jemanden in die Lage versetzen kann, mit einiger Genauigkeit unsere Extraversion, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit und unsere Offenheit für Erfahrung zu erfassen (Back et al., 2010; Fong & Mar, 2015; Gosling, 2008). In Situationen, in denen es förmlich zugeht oder die uns nicht vertraut sind – vielleicht als Gast im Haus eines Menschen, der einer anderen Kultur angehört –, mögen unsere Persönlichkeitsmerkmale verborgen bleiben, weil wir uns zunächst sorgfältig an gesellschaftlichen Hinweisen orientieren. In vertrauten, informellen Situationen – mit Freund:innen herumhängen – fühlen wir uns weniger eingeengt und lassen unsere Merkmale hervortreten (Buss, 1989). In diesen informellen Situationen ist unsere Expressivität – unsere Lebhaftigkeit, die Art, wie wir sprechen und gestikulieren – beeindruckend konsistent. Deshalb können diese minimalen Ausschnitte des Verhaltens anderer – selbst wenn es sich dabei nur um drei Zwei-Sekunden-Clips eines Dozierenden handelt – so aufschlussreich hinsichtlich ihrer grundlegenden Persönlichkeitsmerkmale sein (Ambady, 2010; Tackett et al., 2016; . Abb. 15.26). Manche Menschen sind von Natur aus ausdrucksstark (und haben deshalb Talent für Pantomimen und Scharaden); andere sind weniger ausdrucksstark (und sind deshalb besser beim Pokern). Um die willentliche Kontrolle der Expressivität eines Menschen zu erfassen,
15
654
Kapitel 15 • Persönlichkeit
baten DePaulo et al. (1992) ein paar Testpersonen, eine Meinung zu vertreten und dabei entweder so ausdrucksstark oder so gehemmt wie möglich zu sein. Das bemerkenswerte Resultat: Nicht ausdrucksstarke Menschen waren, auch wenn sie Ausdrucksstärke vortäuschten, weniger ausdrucksstark als ausdrucksstarke Menschen, die sich natürlich gaben. Genau so war es im umgekehrten Fall: Ausdrucksstarke Menschen wirkten weniger gehemmt, wenn sie Gehemmtsein vortäuschten, als die nicht ausdrucksstarken Menschen, die sich natürlich gaben. Es ist schwer, jemand zu sein, der man nicht ist, oder nicht zu sein, was man ist. Zusammenfassend kann man sagen, dass in jedem Augenblick die jeweilige Situation das Verhalten eines Menschen stark beeinflusst, vor allem, wenn die Situation einen deutlichen Aufforderungscharakter hat (Cooper & Withey, 2009). Das Verhalten eines Autofahrers an einer Ampel können wir besser vorhersagen, wenn wir die Farben der Ampel kennen, als wenn wir die Persönlichkeit des Fahrers kennen. Deshalb mag eine Professorin bestimmte Studierende als unterwürfig wahrnehmen (aufgrund ihres Verhaltens im Seminarraum), Freund:innen mögen sie jedoch als ziemlich wild wahrnehmen (aufgrund ihres Verhaltens bei Partys). Nimmt man jedoch den Verhaltensdurchschnitt über viele Gelegenheiten hinweg, dann zeigen sich deutlich voneinander unterschiedene Persönlichkeitsmerkmale. Traits existieren. Wir unterscheiden uns und unsere Unterschiede sind von Bedeutung. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie gut können die Ergebnisse von Persönlichkeitstests unser Verhalten vorhersagen? Erklären Sie!
15
15.2.3
Rückblick: Humanistische Theorien und Trait-Theorien
Verständnisfragen
15.10 – Was verstanden humanistische Psycholog:innen
unter Persönlichkeit und welches Ziel verbarg sich hinter deren Erforschung von Persönlichkeit? 15.11 – Wie erfassten humanistische Psycholog:innen die Selbstwahrnehmung einer Person? 15.12 – Inwiefern haben humanistische Theorien die Psychologie beeinflusst und welches sind die Kritikpunkte an ihnen? 15.13 – Wie bedienen sich Psycholog:innen sogenannter Traits, um Persönlichkeit zu beschreiben? 15.14 – Was sind einige verbreitete Missverständnisse über Introversion? 15.15 – Was sind Persönlichkeitsinventare und was sind deren Stärken und Schwächen in ihrer Funktion als Werkzeuge zur Erfassung von Traits?
15.16 – Welche Traits scheinen die brauchbarste Infor-
mation über Persönlichkeitsvarianten bereitzustellen? 15.17 – Wird das Konzept der zeitlichen und situativen Stabilität der Persönlichkeitsmerkmale durch die Forschung gestützt?
------
Schlüsselbegriffe Bedürfnishierarchie Empirisch ermittelter Test Humanistische Theorien Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI) Persönlichkeitsinventar Selbstkonzept Selbsttranszendenz Selbstverwirklichung Trait Unbedingte Wertschätzung
Master the Material 1. Maslows Bedürfnishierarchie besagt, dass Menschen zuerst ihre physiologischen Grundbedürfnisse und ihr Bedürfnis nach Sicherheit befriedigen müssen, bevor sie nach übergeordneten psychologischen Bedürfnissen wie Selbstverwirklichung streben. Worauf basierte Maslow diese Annahme? a. Freudsche Theorie b. Seine Erfahrungen mit Patient:innen c. Eine Reihe von Laboruntersuchungen d. Seine Untersuchung von gesunden, kreativen Menschen 2. Wie würde Rogers erklären, auf welche Weise die Umwelt das Verhalten von Kriminellen beeinflusst? 3. Wie nennt man die uneingeschränkte Akzeptanz, die für Rogers Teil eines Umfeldes war, das ein positives Wachstum erlaubt? 4. Die ___ Theorien der Persönlichkeit konzentrieren sich darauf, charakteristische Verhaltensmuster zu beschreiben, z. B. Verträglicheit oder Extraversion. 5. Welches der folgenden Verfahren ist ein berühmtes Persönlichkeitsinventar? a. Extraversion-Introversion-Skala b. Person-Situation-Inventar c. MMPI d. Rorschach-Test 6. Welches der folgenden Merkmale zählt NICHT zu den fünf Faktoren der Persönlichkeit, den Big Five? a. Gewissenhaftigkeit b. Ängstlichkeit c. Extraversion d. Verträglichkeit 7. Was wird mit unseren Werten in Persönlichkeitstests am besten vorhergesagt? a. Unser Verhalten in bestimmten Situationen b. Unser durchschnittliches Verhalten in unterschiedlichen Situationen
655
15.3 • Sozial-kognitive Theorien und das Selbst
..Abb. 15.27 Reziproker Determinismus. (© Jan Novak/ZUMAPRESS.com/RedBull Media/ picture alliance) Interne persönliche Faktoren (Gedanken und Gefühle in Bezug auf gefährliche Aktivitäten)
Verhalten (Klettern lernen)
a
c. Verhalten, das sich auf einen bestimmten Trait (z. B. Gewissenhaftigkeit) bezieht d. Verhalten, das von der Situation oder vom Kontext abhängt 15.3
Sozial-kognitive Theorien und das Selbst
15.3.1
Sozial-kognitive Theorien
?? 15.18 Wie interpretiert die sozial-kognitive Perspek-
tive die Persönlichkeitsentwicklung und auf welche Weise untersucht sie das Verhalten?
Die sozial-kognitive Perspektive, die von Albert Bandura (1986, 2001, 2005) vorgeschlagen wurde, legt den Akzent auf die Interaktion von unseren Traits und unserer Situation. So wie Anlage und Umwelt immer zusammenwirken, ist dies auch für Person und Situation der Fall. Sozial-kognitive Perspektive („social-cognitive approach“)
– sieht Verhalten als beeinflusst von der Interaktion zwischen dem Individuum (und seinem Denken) und seinem sozialen Umfeld. Wie die Lerntheoretiker:innen glauben die sozial-kognitiven Theoretiker:innen, dass wir viele unserer Verhaltensweisen erlernen, sei es durch Konditionierung oder dadurch, dass wir andere beobachten und unser Verhalten an ihrem ausrichten. (Das ist der „soziale“ Aspekt.) Gleichfalls hervorgehoben wird die Bedeutung mentaler Prozesse: Wie wir eine Situation beurteilen, beeinflusst unser Verhalten. (Das ist der „kognitive“ Aspekt.) Statt sich
Umwelteinflüsse (Kletterfreunde)
b
ausschließlich darauf zu konzentrieren, in welcher Weise die Umwelt uns und unser Verhalten kontrolliert (Behaviorismus), achten die sozial-kognitiven Theoretiker:innen darauf, wie wir und unsere Umwelt interagieren: Wie interpretieren wir äußere Ereignisse, und wie reagieren wir darauf ? Welchen Einfluss haben Schemata, Erinnerungen und Erwartungen auf unsere Verhaltensmuster? zz Reziproke (wechselseitige) Beeinflussung
Bandura (1986) nannte den Prozess des Interagierens mit unserer Umwelt reziproken Determinismus. „Verhalten, interne persönliche Faktoren und Umwelteinflüsse“, sagte er, „wirken alle als miteinander verflochtene Determinanten aufeinander ein“ (. Abb. 15.27). Wir können diese Interaktion in zwischenmenschlichen Beziehungen beobachten. So beeinflussen etwa Rosas vergangene romantische Erfahrungen (ihre Verhaltensweisen) ihre romantischen Einstellungen (interner Faktor), die sich darauf auswirken, wie sie jetzt auf Andreas reagiert (Umweltfaktor). Reziproker Determinismus („reciprocal determinism“) –
bezeichnet die interagierenden Einflüsse von Verhalten, innerer Kognition und Umweltfaktoren. Lassen Sie uns drei spezifische Arten der Interaktion zwischen Mensch und Umwelt genauer betrachten: 1. Unterschiedliche Menschen suchen sich unterschiedliche Umwelten. Welche Schule Sie besuchen, was Sie lesen, welche Fernsehprogramme Sie sich anschauen, welche Musik Sie hören und mit wem Sie befreundet sind: All das gehört zu der Umwelt, die Sie für sich gewählt haben, wobei Ihre Auswahl zum Teil auf Ihren Dispositionen (Funder, 2009; Ickes et al., 1997) beruhte. Menschen mit einem überhöhten Selbstwertgefühl neigen dazu, häufig Selfies im Internet hoch-
15
656
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Abb. 15.28 Der biopsychosoziale Ansatz zur Untersuchung der Persönlichkeit. Wie bei anderen psychologischen Phänomenen lässt sich die Persönlichkeit produktiv auf mehreren Niveaus untersuchen
Biologische Einflüsse: Genetisch determiniertes Temperament Reaktionsbereitschaft des autonomen Nervensystems Hirnaktivität
•• •
Psychologische Einflüsse: Erlernte Reaktionen Unbewusste Denkprozesse Erwartungen und Interpretationen
•• •
Persönlichkeit
Soziokulturelle Einflüsse: Erfahrungen aus der Kindheit Einfluss der Situation Kulturelle Erwartungen Soziale Unterstützung
•• ••
15
zuladen, wo sie die öffentliche Aufmerksamkeit und Zuwendung erhalten können, nach der sie sich sehnen. Dies führt dann zu einer noch größeren Selbstliebe (Halpern et al., 2016). Sie haben Ihre Umwelt ausgewählt, und diese Umwelt formt Sie nun. 2. Die Persönlichkeit bildet sich durch die Art und Weise, wie wir Ereignisse interpretieren und darauf reagieren. Ängstliche Menschen neigen dazu, auf Bedrohungen ihrer Beziehungen zu achten und besonders stark auf sie zu reagieren (Campbell & Marshall, 2011). Wenn wir die Welt als bedrohlich wahrnehmen, halten wir Ausschau nach Bedrohungen und sind stets dazu bereit, uns zu verteidigen. 3. Unsere Persönlichkeit schafft die Situationen, auf die wir reagieren. Wie wir andere Menschen sehen und behandeln, beeinflusst, wie sie uns dann behandeln. Wenn wir erwarten, dass andere uns nicht mögen werden, könnten unsere Prahlerei und andere Bemühungen, ihre Anerkennung zu erlangen, dazu führen, dass sie uns ablehnen (Scopelliti et al., 2015). Neben dem Zusammenspiel von internen persönlichen Faktoren, der Umwelt und unserem Verhalten spielt auch die Gen-Umwelt-Interaktion eine wichtige Rolle (7 Kap. 5). Unsere genetisch beeinflussten Eigenschaften rufen bestimmte Reaktionen bei anderen hervor, die uns in die eine oder andere Richtung lenken können. In einer klassischen Studie zeigte sich, dass Personen, die (1) ein bestimmtes Gen haben, das mit Aggression assoziiert ist, und die (2) in einer schwierigen Umgebung aufgewachsen sind, im Erwachsenenalter mit hoher Wahrscheinlichkeit antisoziales Verhalten zeigen (Caspi et al., 2002). Wir sind gleichzeitig Produkte und Gestalter:innen unserer Umwelt: Verhalten entsteht aus dem Zusammenspiel von äußeren und inneren Einflüssen. Kochendes Wasser lässt ein Ei hart, aber eine Kartoffel weich werden. Eine bedrohliche Umgebung macht aus der einen eine Heldin, aus dem anderen einen Halunken. Extravertierte Menschen fühlen sich in einer extravertierten Kultur
wohler als in einer introvertierten (Fulmer et al., 2010). In jedem Moment wird unser Verhalten von unserer Biologie, unseren sozialen und kulturellen Erfahrungen und Dispositionen beeinflusst (. Abb. 15.28). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Albert Bandura führte die ___ Perspektive der Persönlichkeit ein. Diese betont die Wechselwirkungen zwischen Mensch und Umwelt. Um die interagierenden Einflüsse von Verhalten, Denken und Umwelt zu beschreiben, verwendete er den Begriff ___.
15.3.2
Erfassung von Situationseinflüssen auf das Verhalten
Um Verhalten vorherzusagen, beobachtet die Sozialpsychologie oft das Verhalten in realistischen Situationen. Ein ehrgeiziges Beispiel dafür war die Strategie zur Bewertung von Kandidaten für Spionageaufträge, die von der US-Armee im Zweiten Weltkrieg entwickelt wurde. Die Militärpsycholog:innen verzichteten auf schriftliche Tests; stattdessen unterzogen sie die Kandidaten simulierten geheimen Missionen. Sie testeten, wie die Kandidaten mit Stress fertig wurden, wie sie Probleme angingen und lösten, ob sie die Führungsrolle aufrechterhalten und einem intensiven Verhör standhalten konnten, ohne ihre Deckung aufzugeben. Zwar war das langwierig und teuer, doch konnte man mit dieser Form der Erfassung des Verhaltens in realistischen Situationen vorhersagen, ob eine spätere Spionagemission erfolgreich verlaufen würde (OSS Assessment Staff, 1948). Organisationen der Armee und des Erziehungswesens und viele „Fortune-500-Firmen“ – das sind die 500 größten amerikanischen Industrieunternehmen – nutzen ähnliche Strategien noch heute alljährlich, wenn sie in Assessment-
657
15.3 • Sozial-kognitive Theorien und das Selbst
Centern Tausende von Menschen evaluieren (Bray et al., 1991, 1997; Eurich et al., 2009). Bei großen Unternehmen, z. B. der Lufthansa, wurden künftige Manager:innen bei der Erledigung simulierter Führungsaufgaben beobachtet. Viele Universitäten beurteilen das Potenzial zukünftiger Studierender in der Pflege, indem sie ihre klinische Arbeit beobachten, und erfassen die Lehrfähigkeit von potenziellen Lehrstuhlinhaber:innen durch Beobachtung in einer „Probevorlesung“. In den meisten amerikanischen Städten mit mehr als 50.000 Einwohner:innen setzt man Assessment-Center ein, um Angehörige von Polizei und Feuerwehr zu bewerten (Lowry, 1997).
» „What’s past is prologue.“ William Shakespeare, Der Sturm (1611)
Dieser Vorgehensweise liegt die Annahme zugrunde, dass die beste Vorhersage über künftiges Verhalten weder mit Hilfe eines Persönlichkeitstests noch mit Hilfe der Intuition des Interviewers oder der Interviewerin erreicht wird. Es ist vielmehr das frühere Verhalten eines Menschen in vergleichbaren Situationen, das hier aufschlussreich ist (Lyons et al., 2011; Mischel, 1981; Schmidt & Hunter, 1998). Wenn Situation und Person mehr oder weniger gleich bleiben, ist die bisher im Beruf gezeigte Leistung der beste Prädiktor für künftige Leistungen. Der beste Prädiktor für Prüfungsnoten sind die bisherigen Noten; der beste Prädiktor für aggressives Verhalten ist aggressives Verhalten in der Vergangenheit. Haben Sie keine Möglichkeit, Informationen über das frühere Verhalten eines Menschen zu bekommen, dann ist die zweitbeste Möglichkeit eine Situation, in der die Aufgabe simuliert wird. Auf diese Weise können Sie erfassen, wie Ihr:e Kandidat:in damit fertig wird (Lievens et al., 2009; Meriac et al., 2008). 15.3.3
Bewertung des sozial-kognitiven Ansatzes
?? 15.19 Welche Kritikpunkte wurden am sozial-kogniti-
ven Ansatz geäußert?
Der sozial-kognitive Ansatz in der Persönlichkeitsforschung sensibilisiert die Forschende dafür, welchen Einfluss eine Situation auf einen Menschen hat und wie dieser Mensch dann wiederum die Situation beeinflusst. Dieser Forschungsansatz beruht mehr als andere (. Tab. 15.4) auf den Ergebnissen der Forschung im Bereich Lernen und Kognition. Kritische Stimmen bemängeln indes, dass sich der sozial-kognitive Denkansatz so stark auf die Situation konzentriert, dass die inneren Merkmale nicht berücksichtigt werden. Wo bleibt das Individuum bei dieser Sicht auf die Persönlichkeit? Und wo sind die Emotionen? Sicher, die Situation steuert unser Verhalten, sagen die Kritiker:in-
nen, doch bei vielen Gelegenheiten zeigen sich deutlich die unbewussten Motive, die Emotionen und die typischen Merkmale. Es hat sich gezeigt, dass man aufgrund von Persönlichkeitsmerkmalen Verhalten bei der Arbeit, beim Spiel und in der Liebe vorhersagen kann. Nehmen Sie z. B. Percy Ray Pridgen und Charles Gill. Beide standen vor derselben Situation: Sie hatten im Lotto einen 90-Mio.-Dollar-Jackpot gewonnen (Harriston, 1993). Als Pridgen die Gewinnzahl erfuhr, begann er unkontrolliert zu zittern, versteckte sich mit einem Freund hinter der Badezimmertür, als der Gewinn bestätigt wurde, und brach dann in Schluchzen aus. Als Gill von seinem Gewinn erfuhr, erzählte er es seiner Frau und ging dann schlafen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie lässt sich am besten das zukünftige Verhalten einer Person vorhersagen?
15.3.4
Das Selbst
?? 15.20 Wieso hat die Psychologie so viel Forschung
über das Selbst hervorgebracht? Wie wichtig ist das Selbstwertgefühl für die Psychologie und das menschliche Wohlbefinden?
Unsere Persönlichkeit nährt unser Selbstverständnis. Um die Frage „Wer bin ich?“ zu beantworten, greifen Menschen auf ihre unverwechselbaren und dauerhaften Denk‑, Fühl- und Handlungsweisen zurück. Das psychologische Nachdenken über das Selbstempfinden des Menschen reicht mindestens bis zur Zeit von William James zurück, der in seinen Principles of Psychology (1890) über 100 Seiten zu diesem Thema schrieb. Etwa um 1943 klagte Gordon Allport, das Selbst sei „aus dem Blickfeld geraten“. Obwohl die humanistische Psychologie mit ihrer Betonung des Selbst nicht zu vielen wissenschaftlichen Forschungsarbeiten führte, kam es dennoch zu einer Erneuerung und Belebung des Konzepts des Selbst. Heute, mehr als 100 Jahre nach James, gehört das Selbst zu den Themen, die in der Psychologie der westlichen Länder mit großem Eifer untersucht werden. Alljährlich erscheinen reihenweise neue Studien über Selbstwert, Selbstöffnung, Selbstwahrnehmung, Selbstschema, Selbstüberwachung etc. Selbst die Neurowissenschaft hat nach dem Selbst gesucht, indem sie eine zentrale Region des Frontallappens identifizierte, die aktiviert wird, wenn Menschen selbstreflexive Fragen über ihre Eigenschaften und Veranlagungen beantworten sollten (Damasio, 2010; Mitchell, 2009; Pauly et al., 2013). Dieser Forschung liegt die Annahme zugrunde, dass das Selbst, der Organisator unserer Gedanken, Gefühle und Handlungen, den Drehund Angelpunkt der Persönlichkeit darstellt.
15
658
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Tab. 15.4 Vergleich der wesentlichen Persönlichkeitstheorien Persönlichkeitstheorie
Hauptvertreter
Annahmen
Sicht auf die Persönlichkeit
Methoden zur Erfassung von Persönlichkeit
Psychoanalytischer Ansatz
Freud
Seelische Störungen haben ihren Ursprung in einer unbewussten Dynamik, z. B. ungelösten sexuellen und anderen Konflikten aus der Kindheit sowie Fixierungen in verschiedenen Entwicklungsphasen. Abwehrmechanismen wehren Ängste ab
Die Persönlichkeit besteht aus Impulsen des Lustgewinns (dem Es), einer realitätsorientierten Exekutive (dem Ich) und einer internalisierten Reihe von Idealen und Normen (dem Über-Ich)
Freie Assoziation, projektive Tests, Traumdeutung
Psychodynamische Theorien
Adler, Horney, Jung
Das Unbewusste und das Bewusstsein arbeiten zusammen. Kindheitserfahrungen und Abwehrmechanismen spielen eine wichtige Rolle
Das dynamische Zusammenspiel unbewusster und bewusster Motive und Konflikte formt unsere Persönlichkeit
Projektive Tests, Therapiesitzungen
Humanistischer Ansatz
Rogers, Maslow
Anstatt die Probleme kranker Menschen zu untersuchen, sei es dienlicher zu beobachten, wie gesunde Menschen nach Selbstverwirklichung streben
Wenn unsere Grundbedürfnisse erfüllt sind, streben wir nach Selbstverwirklichung. In einem Klima der unbedingten Wertschätzung können wir uns unserer selbst bewusster werden und ein positiveres Selbstkonzept entwickeln
Fragebögen, Therapiesitzungen
Trait-Ansatz
Allport, H. Eysenck, S. Eysenck, McCrae, Costa
Wir haben gewisse stabile und bleibende Merkmale, die von unseren genetischen Prädispositionen beeinflusst werden
Die wissenschaftliche Untersuchung sog. Traits konnte wichtige Persönlichkeitsdimensionen ausfindig machen. So z. B. die Big-Five-Persönlichkeitsfaktoren (Neurotizismus, Extraversion, Offenheit für Erfahrung, Verträglichkeit, Gewissenhaftigkeit)
Persönlichkeitsinventare
Sozial-kognitiver Ansatz
Bandura
Unsere Persönlichkeitsmerkmale und der soziale Kontext interagieren miteinander und formen somit unser Verhalten
Konditionierung und Beobachtungslernen interagieren mit den Kognitionen und lassen so Verhaltensmuster entstehen. Unser Verhalten in einer Situation wird am besten durch unser früheres Verhalten in ähnlichen Situationen vorhergesagt
Verhaltensbeobachtung in realistischen Situationen
15
Das Selbst („self“) – die moderne Psychologie vermutet
hierin das Zentrum der Persönlichkeit. Es ordnet unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen. Ein Beispiel für eine Denkrichtung ist das Konzept der „möglichen Selbste“ („possible selves“; Markus & Nurius, 1986; Rathbone et al., 2016). Zu Ihrem möglichen Selbst gehören Visionen, die das Selbst zeigen, zu dem Sie gern werden möchten: das reiche Selbst, das erfolgreiche Selbst, das geliebte Selbst, das bewunderte Selbst. Dazu gehört aber auch das Selbst, das Sie zu werden befürchten: das arbeitslose Selbst, das einsame Selbst, das beim Studium gescheiterte Selbst. Ein solches mögliches Selbst motiviert uns, uns spezifische Ziele zu setzen und die Energie aufzubringen, dass wir darauf hinarbeiten (Landau et al., 2014). Schüler:innen in der Mittelstufe, deren Familien finanzielle Probleme haben, bekommen
mit größerer Wahrscheinlichkeit gute Noten, wenn sie eine klare Vorstellung davon haben, gut in der Schule zu sein (Duckworth et al., 2013). Träume sind oft die Mutter dessen, was man erreicht.
» „Der erste Schritt auf dem Weg zu besseren Zeiten be-
steht darin, sie sich vorzustellen.“ Aus einem chinesischen Glückskeks
Unsere egozentrische Perspektive kann uns motivieren, sie kann uns aber auch dazu verleiten, anzunehmen, dass andere uns bemerken und bewerten. Thomas Gilovich (1996) demonstrierte diesen „Spotlight-Effekt“: Er ließ einzelne Studierende Barry-Manilow-T-Shirts anziehen und dann in den Raum zu den anderen Studierenden gehen. Die T-Shirt-Träger waren sich ihrer selbst bewusst und schätzten, dass die Hälfte der anderen Studierenden
15.3 • Sozial-kognitive Theorien und das Selbst
das T-Shirt bemerken würde, sobald sie hereinkämen. Tatsächlich wurden sie aber nur von 23 % der Studierenden bemerkt. Was Sie sich merken sollten, ist, dass wir weniger auffallen, als wir uns vorstellen, selbst mit auffälliger Kleidung oder ungekämmten Haaren oder wenn wir uns tölpelhaft aufführen und z. B. die Alarmanlage in der Bibliothek auslösen (Gilovich & Savitsky, 1999; Savitsky et al., 2001). Um die Helligkeit des sozialen Scheinwerfers zu verringern, können wir zwei Strategien anwenden. Einerseits können wir uns einfach den Spotlight-Effekt bewusst machen. Wenn man Vortragenden hilft zu verstehen, dass ihre natürliche Nervosität für das Publikum nicht so offensichtlich ist, wird ihre Leistung beim Vortrag besser werden (Savitsky & Gilovich, 2003). Die zweite Strategie ist, die Perspektive des Publikums einzunehmen. Wenn wir uns vorstellen, dass sich unsere Zuschauer:innen in unsere Situation einfühlen, neigen wir dazu, eine weniger harte Beurteilung zu erwarten (Epley et al., 2002). Spotlight-Effekt („spotlight effect“) – Überschätzen der
Wahrnehmung und Bewertung unserer äußeren Erscheinung, Leistungen und Fehlleistungen durch andere Menschen (als ob wir im Licht eines Scheinwerfers stünden). 15.3.5
Die Vorteile des Selbstwertgefühls
Was wir von uns selbst halten, ist gleichfalls von Bedeutung. Ein hohes Selbstwertgefühl – das Gefühl für das, was man wert ist – zahlt sich aus. Das Gleiche gilt für die Selbstwirksamkeit, dem Gefühl unserer eigenen Kompetenz bei einer Aufgabe (Bandura, 1977). (Ein:e Schüler:in könnte in einem Mathematikkurs eine hohe Selbstwirksamkeit empfinden, aber ein niedriges Selbstwertgefühl haben.) Wer sich mit sich selbst wohl fühlt (wer bei selbstbestätigenden Aussagen in entsprechenden Fragebögen hohe Zustimmung äußert), erlebt seltener schlaflose Nächte, erliegt weniger leicht dem Druck zur Konformität und zeigt mehr Ausdauer bei schwierigen Aufgaben. Solche Menschen schreiben auch mehr positive Facebook-Nachrichten und werden von anderen deswegen eher gemocht (Forest & Wood, 2012). Sie sind weniger schüchtern, weniger einsam und einfach glücklicher (Greenberg, 2008; Orth & Robins, 2014; Swann et al., 2007). Wenn sie sich schlecht fühlen, dann glauben sie, dass sie Besseres verdienen und geben sich mehr Mühe, ihre Stimmung zum Positiven zu beeinflussen (Wood et al., 2009). Unser Selbstwertgefühl wächst mit abenteuerlichen Erfahrungen und Leistungen und verändert sich daher mit dem Alter (Hutteman et al., 2015). In einer Studie mit fast 1 Mio. Menschen aus 48 Nationen stieg das Selbstwertgefühl vom Jugendalter bis zum mittleren Erwachsenenalter an (Bleidorn et al., 2016).
659
..Abb. 15.29 (Mike Twohy/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Selbstwertgefühl („self-esteem“) – Gefühl für den hohen
oder geringen Wert der eigenen Person. Selbstwirksamkeit („self-efficacy“) – Gefühl für die Kompetenz und Effektivität der eigenen Person. Doch ist ein hohes Selbstwertgefühl wirklich dermaßen wichtig? Ist es wirklich „die schützende Rüstung der Kinder“, die vor den Problemen des Lebens bewahrt (McKay, 2000)? Einige Psychologinnen und Psychologen melden Zweifel an dieser These an (Baumeister, 2006; Dawes, 1994; Leary, 1999; Seligman, 1994, 2002). Das schulische Selbstkonzept, das Kinder von sich haben – also ihr Selbstvertrauen, dass sie in einem Fach gute Leistungen erbringen können –, sagt Schulleistungen voraus. Ein generelles Selbstbild hingegen nicht (Marsh & Craven, 2006; Swann et al., 2007; Trautwein et al., 2006). Vielleicht ist das Selbstwertgefühl einfach ein Spiegel der Realität. Vielleicht ist ein hohes Selbstwertgefühl ein Nebenprodukt, das entsteht, wenn man auf Herausforderungen stößt und Schwierigkeiten überwindet. Möglicherweise ist das Selbstwertgefühl auch ein feines Messinstrument, das uns den Zustand unserer Beziehungen zu anderen angibt (Reitz et al., 2016; . Abb. 15.29). Nehmen wir einmal an, dass dies so ist: Bedeutet es dann nicht, wenn man das Messinstrument künstlich höher einstellt, dass man die Benzinanzeige zwangsweise dazu bringt, „voll“ anzuzeigen, obwohl der Tank leer ist?
» „Wenn sich die Selbstkontrolle eines Kindes verbessert, verbessern sich später auch seine Noten. Doch wenn sich sein Selbstwertgefühl verbessert, so hat dies keinen Einfluss auf seine Noten.“ Angela Duckworth (2009)
Wenn ein gutes Gefühl auf eine gute Leistung folgt, dann kann es schädlich sein, in Abwesenheit guter Leistungen
15
660
15
Kapitel 15 • Persönlichkeit
gelobt zu werden. Nachdem sie wöchentlich selbstwertsteigernde Nachrichten erhalten hatten, erzielten Schüler:innen mit Schwierigkeiten schlechtere Noten als erwartet (Forsyth et al., 2007). Andere Untersuchungen zeigten, dass es der Produktivität von Menschen schadet, wenn sie zufällige Belohnungen erhalten. Martin Seligman (2012) berichtete: „Wenn gute Dinge geschahen, die nicht verdient waren, wie Münzen, die aus einem Spielautomaten fielen, erhöhte dies nicht das Wohlbefinden der Menschen. Es erzeugte Hilflosigkeit. Die Menschen gaben auf und wurden passiv.“ In Experimenten zeigt sich jedoch ein Effekt des geringen Selbstwertgefühls. Versetzt man dem Selbstbild eines Menschen für einen Moment einen Schlag (indem man ihm etwa mitteilt, dass er bei einem Leistungstest schlecht abgeschnitten hat oder indem man seine Persönlichkeit herabsetzt), dann steigt die Wahrscheinlichkeit, mit der er andere Menschen herabsetzt oder beispielsweise stärkere rassistische Vorurteile zum Ausdruck bringt (van Dijk et al., 2011; van Dellen et al., 2011; Ybarra, 1999). Die Bedrohung des Selbstbildes erhöht sogar unbewusste rassistische Vorurteile (Allen & Sherman, 2011). Wer sich selbst gegenüber eine negative Einstellung hat, ist auch tendenziell dünnhäutig und verurteilt gern andere (Baumeister et al., 1989; Pelham, 1993). Bedrohungen des Selbstwertgefühls führen auch dazu, dass Menschen mehr Zeit mit ihren Online-Profilen verbringen – sichere Häfen, in denen sie ihr Selbstwertgefühl wieder aufbauen können (Toma & Hancock, 2013). Die Forschungsergebnisse sind konsistent mit der Annahme der humanistischen Psychologie, dass sich ein gesundes Selbstbild auszahlt. Akzeptiere dich selbst, und du wirst andere leichter akzeptieren können. Wenn Sie sich selbst gering schätzen, werden Sie zur Geringschätzung anderer neigen. Manch einer „liebt seinen Nächsten wie sich selbst“, andere hassen und verachten ihren Nächsten wie sich selbst. 15.3.6
Der Preis des Selbstwertgefühls
?? 15.21 Auf welche Weise offenbaren exzessiver
Optimismus, die Schwierigkeit, unsere eigene Inkompetenz zu erkennen, und selbstwertdienliche Verzerrungen den Preis des Selbstwertgefühls, und wie unterscheidet sich ein defensives Selbstwertgefühl von einem sicheren Selbstwertgefühl?
zz Exzessiver Optimismus
Wenn sich positives Denken angesichts von Widrigkeiten auszahlt, dann gilt das auch für eine Prise Realismus (Schneider, 2001). Eine realistische Angst vor möglichen künftigen Fehlern kann als Ansporn dienen, diese zu vermeiden (Goodhart, 1986; Norem, 2001; Showers, 1992). Studierende, die bei dem Gedanken beunruhigt sind, sie könnten bei einer bevorstehenden Prüfung versagen,
lernen gründlich und überflügeln damit nicht selten die, die die gleichen Fähigkeiten haben, aber zu viel Vertrauen in ihr Wissen setzen. Chang (2001) berichtet, dass bei einem Vergleich zwischen Studierenden europäischamerikanischer Abstammung und Studierenden asiatisch-amerikanischer Herkunft Letztere einen größeren Pessimismus an den Tag legen, was, wie er vermutet, ihre oft beeindruckenden akademischen Leistungen erklären könnte. Erfolg erfordert hinreichend viel Optimismus, um Hoffnung und Zuversicht entstehen zu lassen, aber auch hinreichend viel Pessimismus, um Selbstzufriedenheit zu verhindern. Wir wollen, dass sich Pilot:innen der schlimmsten Konsequenzen bewusst sind. Exzessiver Optimismus kann uns blind gegenüber tatsächlichen Risiken machen (Tenney et al., 2015). Mehr als 1000 Studien haben gezeigt, wie unser natürliches positives Denken „einen unrealistischen Optimismus über zukünftige Lebensereignisse“ fördern kann (Shepperd et al., 2015; Weinstein, 1980). Wenn 56 % der Zwölftklässler:innen glaubten, dass sie einen Hochschulabschluss erwerben würden – obwohl dies in Wirklichkeit nur auf 9 % zutrifft – war das unrealistischer Optimismus (Reynolds et al., 2006). Dies gilt ebenso, wenn die meisten Schüler:innen glauben, dass sie mit größerer Wahrscheinlichkeit als ihre Klassenkamerad:innen einen gut bezahlten Job und ein schönes Haus bekommen und gleichzeitig ein geringeres Risiko für einen Herzinfarkt oder Krebs haben (Waters et al., 2011). Wenn wir zu selbstsicher bezüglich unserer Fähigkeit zur Impulskontrolle sind, z. B. dem Impuls zu rauchen, so ist es wahrscheinlicher, dass wir uns verführerischen Situationen aussetzen – und scheitern (Nordgren et al., 2009). Diejenigen, die sich voller Optimismus in Beziehungen stürzen, die nur schlecht ausgehen können, ebenso auch diejenigen, die die Wirkung des Rauchens leugnen und die, welche sich auch in anderen Situationen selbst austricksen, erinnern uns daran, dass – wie Hochmut – blinder Optimismus vor dem Fall kommt. Unser angeborener Verzerrungseffekt durch positives Denken scheint jedoch dahinzuschwinden, sobald wir uns für eine Rückmeldung wappnen müssen, etwa für Prüfungsergebnisse (Carroll et al., 2006). In einer Analyse von 71 Studien haben die meisten Menschen ihre Erwartungen kurz vor dem Moment der Wahrheit nach unten korrigiert (Sweeny & Krizan, 2013). Die positiven Illusionen lösen sich auch in Luft auf, wenn man ein Trauma erlebt. So erging es den Opfern des furchtbaren Erdbebens in Kalifornien, die ihre Illusionen aufgeben mussten, sie seien für Erdbeben weniger anfällig als andere (Helweg-Larsen, 1999). zz Die Schwierigkeit, unsere eigene Inkompetenz zu erkennen
Es ist eine Ironie des Schicksals, dass häufig gerade die am wenigsten kompetenten Menschen die größten Optimisten sind. Das liegt daran, dass man Kompetenz braucht, um Kompetenz erkennen zu können, bemer-
661
15.3 • Sozial-kognitive Theorien und das Selbst
ken Kruger und Dunning (1999). Sie fanden heraus, dass die meisten Studierenden, die mit ihren Werten am unteren Ende der Skala für Grammatik und Logik lagen, glaubten, sie lägen in der oberen Hälfte. Wenn sie nicht wissen, was gute Logik ausmacht, dann merken sie wahrscheinlich gar nicht, wie dürftig ihre eigene Logik ist. Dieses Phänomen des „Unwissens über die eigene Inkompetenz“ wird auch als Dunning-Kruger-Effekt bezeichnet und kann bei Politiker:innen zu überhöhtem Selbstvertrauen führen. Es findet seine Parallele auch bei schwerhörigen Menschen, die ein Problem damit haben, ihren eigenen Hörverlust zu erkennen (und das kann ich nur bestätigen). Wir sind gar nicht so sehr in einer „Abwehrhaltung“, wir sind uns einfach nur nicht der Tatsache bewusst, dass wir nicht hören. Wenn ich nicht hören kann, wie ein Freund meinen Namen ruft, bemerkt der Freund meine Unaufmerksamkeit. Doch für mich handelt es sich um ein Nicht-Ereignis. Ich höre, was ich höre – was mir ziemlich normal erscheint. Die Schwierigkeit, seine eigene Inkompetenz zu erkennen, kann als Erklärung dafür dienen, dass so viele Studierende mit schlechten Prüfungsergebnissen verblüfft sind, wenn sie in einer Prüfung schlecht abgeschnitten haben. Wenn Sie nicht alle Möglichkeiten für Scrabble-Wörter kennen, die Sie übersehen haben, fühlen Sie sich ganz schön schlau – bis Sie jemand darauf hinweist. Unser Unwissen in Bezug auf das, was wir nicht wissen, erhält unser Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten aufrecht und führt dazu, dass wir wiederholt dieselben Fehler machen (Williams et al., 2013). Um die eigene Kompetenz zu beurteilen und zukünftige Leistungen vorherzusagen, lohnt es sich, die Einschätzung anderer einzuholen (Dunning, 2006; Grossmann & Kross, 2014). Auf der Grundlage von Studien, in denen sowohl Einzelpersonen als auch deren Bekannte ihre Zukunft vorhersagen, können wir einen Rat geben: Bitten Sie Ihre Mitmenschen um eine ehrliche Prognose. Wenn Sie verliebt sind und sich fragen, ob die Liebe ewig halten wird, dann hören Sie nicht auf Ihr Herz – hören Sie auf ihre:n Mitbewohner:in. zz Selbstwertdienliche Verzerrung
Stellen Sie sich vor, Sie rasen zur Vorlesung und hoffen, dass Sie den Anfang nicht verpassen werden. Trotzdem kommen Sie fünf Minuten zu spät und schnaufend an. Was für Gedanken gehen Ihnen durch den Kopf, wenn Sie sich hinsetzen? Gehen Sie durch eine negative Tür und denken „Ich hasse mich“ und „Ich bin ein Verlierer“? Oder gehen Sie durch eine positive Tür und sagen sich: „Wenigstens habe ich es zum Unterricht geschafft“ und „Ich habe wirklich versucht, pünktlich zu kommen“? Die Persönlichkeitspsychologie hat herausgefunden, dass die meisten Menschen die zweite Tür wählen, die zu positiven Selbstgedanken führt. Wir haben einen guten Ruf bei uns selbst und neigen zu selbstwertdienlichen Verzerrungen („self-serving bias“), die unsere Bereitschaft
ausdrücken, uns selbst positiv wahrzunehmen (Myers, 2010). Sehen Sie sich dazu folgende Ergebnisse an: Selbstwertdienliche Verzerrung („self-serving bias“) – Be-
reitschaft, uns selbst in einem günstigen Licht zu sehen. Menschen übernehmen mehr Verantwortung für gute Taten als für schlechte und mehr für Erfolge als für Misserfolge. Insgeheim schreiben Sportler:innen ihre Siege dem eigenen überragenden Können zu. Aber wenn sie verlieren, hatten sie eine Pechsträhne, der Trainer oder die Trainerin war lausig oder die Leistung der gegnerischen Mannschaft außergewöhnlich gut. Die meisten Studierenden üben Kritik an der Prüfung, wenn sie schlecht abgeschnitten hatten, nicht an sich selbst. Auf Versicherungsformularen beschrieben Autofahrer:innen Unfallursachen folgendermaßen: „Ein Fußgänger stieß gegen meinen Wagen und schmiss sich darunter.“ Die Frage „Was habe ich getan, um das zu verdienen?“ stellen wir uns normalerweise in solch schwierigen Situationen. Wenn wir aber erfolgreich sind, nehmen wir an, den Erfolg selbst verdient zu haben. Obwohl selbstwertdienliche Verzerrungen dazu führen können, dass wir unbequeme Wahrheiten vermeiden, können sie uns auch dazu motivieren, schwierige Aufgaben mit Zuversicht statt mit Verzweiflung anzugehen (Tomaka et al., 1992; von Hippel & Trivers, 2011).
» „Ich gebe mir nie die Schuld, wenn ich nicht treffe. Ich
gebe nur dem Schläger die Schuld und wenn es so weitergeht, wechsle ich den Schläger.“ Baseball-Legende Yogi Berra (1925–2015)
Die meisten Menschen halten sich selbst für besser als den Durchschnitt. Wie moralisch sind Sie verglichen mit den meisten anderen Menschen? Wie einfach ist es, mit Ihnen auszukommen? Wo würden Sie sich zwischen dem 1. und dem 99. Perzentil einordnen? Die meisten Menschen ordnen sich selbst weit über dem 50. Perzentil ein. Das gilt für beinahe jede subjektive und sozial erwünschte Dimension. Hier sind einige Beispiele: Bei landesweiten Umfragen sagen die meisten leitenden Angestellten, sie handelten ethischer als der Durchschnitt der Führungskräfte. In mehreren Studien bewerteten 90 % der Manager und über 90 % der Professor:innen ihre Leistung als höher als die ihrer durchschnittlichen Kollegen. In Australien beurteilen 86 % der Menschen ihre Leistung im Beruf als überdurchschnittlich, nur 1 % betrachtet sie als unterdurchschnittlich. In einer landesweiten Studie über Familien und Haushalte, gaben 49 % der Männer an, dass sie mindestens die Hälfte oder auch einen höheren Anteil zur Kinderbetreuung beitrügen, hingegen gaben nur 31 % ihrer Ehefrauen oder Lebensgefährtinnen an, dass dies der Wahrheit entspreche (Galinsky et al., 2008).
-
15
662
Kapitel 15 • Persönlichkeit
..Abb. 15.30 (© Peanuts Worldwide LLC/Dist. By Universal Uclick/Distr. Bulls)
Dieses Phänomen, das eher die Überschätzung des eigenen Selbst als die Unterschätzung anderer Menschen widerspiegelt (Brown, 2012; Epley & Dunning, 2000), ist weniger ausgeprägt in asiatischen Ländern, wo Bescheidenheit als Wert gilt (Church et al., 2014; Falk et al., 2009). Doch die selbstwertdienliche Verzerrung konnte weltweit beobachtet werden: In jedem der 53 untersuchten Länder erzielten die Menschen bezüglich ihres Selbstbewusstseins Werte oberhalb der Mitte der gebräuchlichsten Skala (Schmitt & Allik, 2005; . Abb. 15.30). Die Welt ist allem Anschein nach so wie in Garrison Keillors Radiosendung „Lake Wobegon“: ein Ort, wo „alle Frauen stark sind, alle Männer gutaussehend und alle Kinder überdurchschnittlich“.
» „Wenn Sie wie die meisten Leute sind, dann glauben Sie 15
(wie die meisten Leute), dass sie nicht wie die meisten Leute sind. Die Wissenschaft hat uns mit vielen Fakten bezüglich der Durchschnittsperson versorgt. Einer der verlässlichsten Fakten hierzu ist, dass die durchschnittliche Person nicht glaubt, durchschnittlich zu sein.“ Daniel Gilbert, Stumbling on Happiness (2006)
Menschen mit einem großen Ego, die ihr Selbstwertgefühl bedroht sehen, können heftig reagieren. Die Forscher Brad Bushman und Roy Baumeister (1998; Bushman et al., 2009) ließen 540 Studienanfänger:innen einen kurzen Artikel schreiben, die dann von einer mitstudierenden Person (die allerdings in Wirklichkeit zum Versuchsleitungsteam gehörte) entweder sehr gelobt („hervorragender Aufsatz“) oder scharf kritisiert wurde („selten einen so schlechten Aufsatz gelesen“). Dann durften die Aufsatzschreiber:innen ihre Beurteiler:innen mit Lärm zudröhnen. Können Sie sich vorstellen, was dabei herauskam? Nach der Kritik waren diejenigen mit unrealistisch hohem Selbstwertgefühl „außergewöhnlich aggressiv“. Sie drehten die Gehörfolter 3-mal stärker auf als die Personen mit einem normalen Selbstwertgefühl. Über 80 Folgestudien haben die gefährliche Wirkung von Narzissmus (übermäßige Selbstliebe und Selbstversunkenheit) auf die Aggression repliziert (Rasmussen, 2016).
Baumeisters (2001) Schlussfolgerung lautet daher: „Eingebildete Wichtigtuer werden bösartig gegenüber denen, die die Seifenblasen ihrer Eigenliebe platzen lassen.“
» „Die (Selbst‑)Beschreibungen, an die wir eigentlich glau-
ben, wenn man uns die Freiheit lässt, sie in Worte zu fassen, sind wesentlich positiver, als sich realistischerweise rechtfertigen ließe.“ Shelley Taylor, Positive Illusionen (1993)
Nachdem er den Selbstwert anderer über Jahrzehnte verfolgt hat, kommt der Psychologe Jean Twenge (2006; Twenge & Foster, 2010) zu dem Ergebnis, dass die in den 1980ern und 1990er geborene Generation – die „Generation Ich“, wie Twenge sie nennt – narzisstischer ist als vorherige Generationen (dadurch, dass sie häufiger Aussagen wie „Wenn ich die Welt regieren würde, wäre sie ein besserer Ort“ oder „Ich denke, dass ich ein besonderer Mensch bin“ zustimmen). Warum ist dieser Anstieg in Narzissmus bedeutsam? Zustimmung zu solchen narzisstischen Aussagen korreliert mit Materialismus, dem Wunsch, berühmt zu sein, übertriebenen Erwartungen, häufigeren One-Night-Stands und weniger festen Beziehungen, häufigerem Spielen und häufigerem Betrügen. All dies nahm gleichzeitig zu, als auch der Narzissmus häufiger wurde. Narzisstische Menschen (häufiger Männer) verzeihen anderen seltener, gehen in ihren romantischen Beziehungen spielerischer vor und zeigen ein sexuell aufdringliches Verhalten (Blinkhorn et al., 2015; Bushman et al., 2003; Grijalva et al., 2015). Sie sehnen sich nach Bewunderung, sind in sozialen Medien aktiv und werden oft wütend, wenn sie kritisiert werden (Geukes et al., 2016; Krizan & Johar, 2015; McCain & Campbell, 2017). Viele hatten Eltern, die ihnen sagten, sie seien anderen überlegen (Brummelman et al., 2015). Sie machen typischerweise einen guten ersten Eindruck, der mit der Zeit nachlässt, wenn ihre Arroganz und Prahlerei lästig werden (Czarna et al., 2016; Leckelt et al., 2015). Reality-TV-Stars sind besonders narzisstisch (Rubinstein, 2016; Young & Pinsky, 2006).
663
15.3 • Sozial-kognitive Theorien und das Selbst
» „Die begeisterten Behauptungen der Bewegung, die das
Selbstwertgefühl propagiert, reichen vom Hirngespinst bis zum Gewäsch. Die Auswirkungen des Selbstwertgefühls sind gering, begrenzt und nicht immer gut.“ Roy Baumeister (1996)
Narzissmus („narcisissm“) – exzessive Selbstliebe und
Selbstversunkenheit.
» „Wenn du dich mit anderen vergleichst, wirst du leicht
eitel und bitter, denn immer wird es jemanden geben, der größer oder geringer ist als du.“ Max Ehrmann, Desiderata (1927)
Trotz der aufgezeigten Gefahren, die der Hochmut mit sich bringt, weisen viele Menschen die Vorstellung von einer selbstwertdienlichen Verzerrung zurück und behaupten, diejenigen, die sich wertlos und nicht liebenswert fühlen und sich anscheinend selbst verachten, würden übersehen. Wenn die selbstwertdienliche Verzerrung so weit verbreitet ist: Warum setzen so viele Menschen sich selbst herab? Aus vier Gründen: (1) Manchmal ist Selbsterniedrigung Teil einer subtilen Taktik: Sie lockt beruhigende Streicheleinheiten hervor („fishing for compliments“). Ein Satz wie „Niemand liebt mich“ kann zumindest ein „Aber keiner hat dich bisher richtig kennengelernt!“ hervorlocken. (2) In anderen Momenten, etwa vor einem Wettkampf oder einer Prüfung können selbsterniedrigende Kommentare uns auf ein mögliches Versagen vorbereiten. Die Teamführung, die die Stärke und Überlegenheit des gegnerischen Fußballteams preist, lässt die Niederlage verständlich und den Sieg bemerkenswert werden. (3) Eine selbsterniedrigende Aussage wie „Wie konnte ich bloß so dumm sein?“ hilft uns auch dabei, aus unseren Fehlern zu lernen. (4) Selbsterniedrigung schließlich bezieht sich auch häufig auf ein altes Selbst. Wenn man Menschen bittet, sich an richtig schlechtes Verhalten von ihnen zu erinnern, erinnern sich Menschen an Dinge, die lange her sind. An positives Verhalten wird sich leichter aus der jüngeren Vergangenheit erinnert (Escobedo & Adolphs, 2010). Man ist gegenüber dem Selbst der fernen Vergangenheit viel kritischer eingestellt als gegenüber dem aktuellen Selbst – sogar, wenn es sich gar nicht verändert hat (Wilson & Ross, 2001). „Mit 18 war ich ein Stoffel, heute bin ich viel sensibler.“ Wer gestern ein Dummkopf war, ist heute ein Champion. Aber auch so stimmt es: Jeder fühlt sich manchmal – und manche oft – unterlegen, vor allem, wenn wir uns mit jenen vergleichen, die eine oder zwei Sprossen höher auf der Leiter für Status, Aussehen, Einkommen oder Können stehen. Diejenigen, die bei dem Olympischen Spielen Silbermedaillen gewinnen und Gold nur knapp verpassen, sind auf dem Siegerpodest trauriger als die Bronzemedaillengewinner (Medvec et al., 1995). Je tiefer solche Gefühle gehen und je öfter wir sie haben, desto unglücklicher sind wir und werden sogar depressiv. Doch
für die meisten Menschen hat Denken einen von Natur aus positiven Verzerrungseffekt.
» „Wahre Demut bedeutet nicht, weniger von sich zu hal-
ten, sondern weniger an sich zu denken.“ C. S. Lewis, Mere Christianity (1952)
Während einige Forschende die dunkle Seite der selbstwertdienlichen Verzerrung und des Selbstwertgefühls anerkennen, ziehen sie es doch vor, die Wirkungen zweier Arten des Selbstwertgefühls zu isolieren – des defensiven und des sicheren Selbstwertgefühls (Kernis, 2003; Lambird & Mann, 2006; Ryan & Deci, 2004). Das defensive Selbstwertgefühl ist etwas Zerbrechliches. Es konzentriert sich darauf, sich selbst zu erhalten; dies lässt Versagen und Kritik als bedrohlich erscheinen und defensive Menschen aggressiv oder zornig darauf reagieren (Crocker & Park, 2004; Donnellan et al., 2005). Ein sicheres Selbstwertgefühl ist weniger zerbrechlich, weil es weniger stark von äußeren Bewertungen abhängig ist. Es befreit uns von dem Druck, Erfolg haben zu müssen, wenn wir akzeptiert werden, wie wir sind, und nicht dafür, wie wir aussehen, wie reich wir sind und wie viel Beifall wir bekommen, und es versetzt uns in die Lage, über unseren Tellerrand hinauszuschauen. Indem wir uns in Beziehungen und Ziele vertiefen, die über uns selbst hinausgehen, können wir ein sichereres Selbstwertgefühl und eine bessere Lebensqualität erreichen (Crocker & Park, 2004). Authentischer Stolz, der in tatsächlicher Leistung verwurzelt ist, unterstützt Selbstvertrauen und Führungsverhalten (Tracy et al., 2009; Weidman et al., 2016; Williams & DeSten, 2009). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind die positiven und negativen Effekte eines starken Selbstwertgefühls? – Die Tendenz, Erfolg auf sich selbst zu attribuieren und Misserfolg auf die Umstände oder Pech zu schieben, nennt man ___. – Ein ___ (sicheres/defensives) Selbstwertgefühl korreliert mit aggressivem und antisozialem Verhalten. Ein ___ (sicheres/defensives) Selbstwertgefühl gibt uns ein gesünderes Selbstbild, das uns erlaubt, über den Tellerrand hinauszuschauen und eine bessere Lebensqualität zu erreichen.
15.3.7
Rückblick: Sozial-kognitive Theorien und das Selbst
Verständnisfragen
15.18 – Wie interpretiert die sozial-kognitive Perspektive
die Persönlichkeitsentwicklung und auf welche Weise untersucht sie das Verhalten?
15
664
Kapitel 15 • Persönlichkeit
15.19 – Welche Kritikpunkte wurden am sozial-kogniti-
ven Ansatz geäußert? 15.20 – Wieso hat die Psychologie so viel Forschung über das Selbst hervorgebracht? Wie wichtig ist das Selbstwertgefühl für die Psychologie und das menschliche Wohlbefinden? 15.21 – Auf welche Weise offenbaren exzessiver Optimismus, die Schwierigkeit, unsere eigene Inkompetenz zu erkennen, und selbstwertdienliche Verzerrungen den Preis des Selbstwertgefühls, und wie unterscheidet sich ein defensives Selbstwertgefühl von einem sicheren Selbstwertgefühl?
-----
Schlüsselbegriffe Narzissmus Reziproker Determinismus Selbst Selbstwertdienliche Verzerrung Selbstwertgefühl Selbstwirksamkeit Sozial-kognitive Perspektive Spotlight-Effekt
Master the Material
15
1. Die sozial-kognitive Perspektive geht davon aus, dass unsere Persönlichkeit durch den Prozess des reziproken Determinismus geformt wird, da persönliche Faktoren, Umweltfaktoren und unser Verhalten zusammenwirken. Was ist ein Beispiel für einen Umweltfaktor? a. Das Vorhandensein von Büchern zu Hause b. Eine Vorliebe dafür, draußen zu spielen c. Die Fähigkeit, auf dem für eine:n Viertklässler:in angemessenen Niveau lesen zu können d. Die Angst vor Gewalt in Fernsehprogrammen 2. Eine Kritik an der ___ Persönlichkeitstheorie ist, dass sie sehr sensibel für die Interaktionen eines Individuums mit bestimmten Situationen ist, aber den dauerhaften Charakterzügen einer Person zu wenig Aufmerksamkeit schenkt. 3. Die Forschung zeigt, dass ein geringes Selbstwertgefühl mit zahlreichen Problemen verbunden ist. Wie kann dieser Zusammenhang interpretiert werden? a. Probleme führen zu geringem Selbstwert. b. Die Antwort ist unklar, da der Zusammenhang eine Korrelation darstellt und keine Aussage über Ursache und Wirkung gemacht werden kann. c. Ein geringer Selbstwert führt zu zahlreichen Problemen. d. Aufgrund von selbstwertdienlichen Verzerrungen müssen wir davon ausgehen, dass der geringe Selbstwert von externen Faktoren verursacht wird. 4. Ein Glückskeks rät: „Liebe dich selbst und das Glück wird folgen.“ Ist das ein guter Rat?
5. Wie nennt man die Tendenz, die Aufmerksamkeit zu überschätzen, die andere unserem Aussehen, unserer Leistung und unseren Fehlern zuwenden?
Weiterführende deutsche Literatur Auhagen, A. E. (Hrsg.) (2008). Positive Psychologie. Anleitung zum „besseren“ Leben (2.Aufl.). Weinheim: Beltz. Fisseni, H.-J. (2003). Persönlichkeitspsychologie (5. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Greve, W. (2000). Psychologie des Selbst. Weinheim: Beltz. Hagemann, D., Spinath, F. M., & Mueller, E. M. (2022). Differentielle Psychologie und Persönlichkeitsforschung (9. Aufl.). Stuttgart: Kohlhammer. Neyer, J., & Asendorpf, J. B. (2018). Psychologie der Persönlichkeit (6. Aufl.). Heidelberg: Springer. Roth, G. (2019). Persönlichkeit, Entscheidung und Verhalten: Warum es so schwierig ist, sich und andere zu ändern (13.Aufl.). Stuttgart: Klett-Cotta.
665
Klinische Psychologie: Psychische Störungen Inhaltsverzeichnis 16.1
Einführung in psychische Störungen – 667
16.1.1 Definition psychischer Störungen – 667 16.1.2 Erklärungsansätze – 668 16.1.3 Klassifikation psychischer Störungen – und Etikettierung von Menschen – 670 16.1.4 Bedeutet eine psychische Störung Fremdgefährdung? – 675 16.1.5 Prävalenz psychischer Störungen – 675 16.1.6 Rückblick: Einführung in psychische Störungen – 677
16.2
Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung – 678
16.2.1 16.2.2 16.2.3 16.2.4 16.2.5
Angststörungen – 678 Zwangsstörung (OCD) – 681 Posttraumatische Belastungsstörung – 682 Erklärungsansätze – 684 Rückblick: Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung – 687
16.3
Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung – 687
16.3.1 Major Depression – 688 16.3.2 Bipolare Störung – 689 16.3.3 Erklärungsansätze für depressive Störungen und bipolare Störung – 689 16.3.4 Suizid und Selbstverletzung – 698 16.3.5 Rückblick: Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung – 700
16.4
Schizophrenie – 701
16.4.1 16.4.2 16.4.3 16.4.4
Symptome der Schizophrenie – 701 Beginn und Entwicklung von Schizophrenie – 703 Erklärungsansätze – 703 Rückblick: Schizophrenie – 707
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_16
16
16.5
Dissoziative Störungen, Persönlichkeitsund Essstörungen – 708
16.5.1 16.5.2 16.5.3 16.5.4
Dissoziative Störungen – 708 Persönlichkeitsstörungen – 711 Essstörungen – 714 Rückblick: Dissoziative Störungen, Persönlichkeitsund Essstörungen – 717
Weiterführende deutsche Literatur – 717
667
16.1 • Einführung in psychische Störungen
» „Zu Hause in Indianapolis hatte ich jeden Sonntag das
Bedürfnis, mein Zimmer 4 bis 5 Stunden lang zu putzen. Ich zog jedes Buch aus dem Bücherschrank, staubte es ab und stellte es wieder zurück. Zu diesem Zeitpunkt habe ich es sehr gerne gemacht. Dann wollte ich es nicht mehr tun, aber ich konnte nicht mehr damit aufhören. Die Kleidung in meinem Schrank hing genau zwei Finger breit auseinander … Ich machte ein Ritual daraus, die Wand in meinem Schlafzimmer zu berühren, bevor ich rausging, weil etwas Schlimmes passieren würde, wenn ich es nicht auf die richtige Weise tat. Als Kind hatte ich ständig Angst davor, etwas falsch zu machen, und jetzt dachte ich zum ersten Mal, dass ich verrückt sein könnte.“ Marc, Diagnose: Zwangsstörung (aus Summers, 1996) „Ich fühle mich immer dann niedergeschlagen, wenn ich mich selbst nicht mehr spüre. Ich kann keine Gründe dafür finden, mich zu mögen. Ich denke, dass ich hässlich bin. Ich denke, niemand mag mich … Ich werde grantig und jähzornig. Niemand will in meiner Nähe sein. Ich stehe alleine da. Das beweist, dass ich hässlich bin und es nicht wert bin, dass man sich mit mir abgibt. Ich fühle mich für alles verantwortlich, was schiefläuft.“ Greta, Diagnose: Depression (aus Thorne, 1993) „Ich hörte Stimmen. Sie hörten sich an wie das Gebrüll einer Menschenmenge. Ich fühlte mich wie Jesus; ich sollte gekreuzigt werden. Es war dunkel. Ich kauerte einfach weiter unter der Decke, fühlte mich schwach, nackt und wehrlos in einer grausamen Welt, die ich nicht mehr verstand.“ Stuart, Diagnose: Schizophrenie (aus Emmons et al., 1997)
Wir alle fühlen, denken oder handeln hin und wieder auf eine Weise, die einer psychischen Störung ähnelt. Wir fühlen uns ängstlich und niedergeschlagen, ziehen uns zurück oder sind misstrauisch. Deshalb ist es nicht weiter verwunderlich, dass uns psychische Auffälligkeiten faszinieren und wir versuchen, sie zu verstehen. Nach William James (1842–1910) ist „die Beschäftigung mit dem Abnormen der beste Weg, um das Normale zu verstehen“. Wir haben vielleicht schon am eigenen Leib oder bei Freunden oder Familienmitgliedern die Verwirrung und den Schmerz erlebt, der mit unerklärlichen körperlichen Symptomen, mit irrationalen Ängsten oder dem Gefühl einhergeht, dass das Leben nicht lebenswert ist. Eine:r von drei amerikanischen College-Studierenden gibt an, ein offensichtliches psychisches Gesundheitsproblem zu haben (Eisenberg et al., 2011). Mehr als eine halbe Milliarde Menschen leidet weltweit unter psychischen Störungen (WHO, 2017a). Obwohl Auftretenshäufigkeiten und Symptome psychischer Störungen kulturabhängig variieren, kommen in jeder der uns bekannten Kulturen zwei ernste Störungen
vor: Major Depression und Schizophrenie (Baumeister & Härter, 2007; Draguns, 1990a, 1990b, 1997). Dieses Kapitel untersucht diese und andere psychischen Störungen. 7 Kap. 17 befasst sich mit ihrer Therapie. 16.1 Einführung
in psychische Störungen
Die meisten Menschen würden wohl zustimmen, dass jemand, der depressiv ist und drei Monate lang hauptsächlich im Bett verbringt, an einer psychischen Störung leidet. Doch was ist mit einem trauernden Vater, der der drei Monate nach dem Tod seines Kindes seine gewohnten sozialen Kontakte nicht wieder aufnehmen kann? Wo sollen wir die Grenze ziehen zwischen Traurigkeit und Depression, zwischen witziger Kreativität und bizarrer Irrationalität, zwischen Normalität und Abnormität? Lassen Sie uns mit den folgenden Fragen beginnen: Wie sollen wir psychische Störungen definieren? Mit welchem Konzept sollen wir an eine Störung herangehen? Wie tragen die zugrunde liegenden biologischen Faktoren zur Störung bei? Wie beeinflussen schwierige Umweltbedingungen unser Wohlbefinden? Und wie wirken die Einflüsse von genetischer Veranlagung und Umwelteinflüssen zusammen? Wie sollten wir psychische Störungen klassifizieren? Und können wir das überhaupt in einer Art und Weise tun, die es uns ermöglicht, Menschen zu helfen, ohne sie zu stigmatisieren und als krank abzustempeln? Was wissen wir über die Prävalenz psychischer Störungen? Wie viele Menschen haben eine psychische Störung? Wer ist gefährdet und unter welchen Umständen?
--
» „Wer kann eine Linie im Regenbogen ziehen, wo das Vio-
lett endet und das Orange beginnt? Sehen können wir den Unterschied der Farben deutlich, doch wo genau vermischt sich die eine mit der anderen? So ist es auch mit geistiger Gesundheit und Geisteskrankheit.“ Herman Melville, Billy Budd (1924/2002)
16.1.1
Definition psychischer Störungen
?? 16.1 Wo ist die Grenze zwischen Normalität und
Störung?
Eine psychische Störung ist ein Syndrom (eine Häufung von Symptomen), das durch eine „klinisch signifikante Störung in der Kognition, der Emotionsregulation oder des Verhaltens gekennzeichnet ist“ (Amerikanische Psychiatrische Gesellschaft, 2013). Solche Gedanken, Emotionen oder Verhaltensweisen sind dysfunktional oder fehlangepasst – sie erschweren das normale Alltagsleben.
16
668
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
Wenn Sie der Meinung sind, dass Ihre Wohnung jedes Wochenende gründlich gereinigt werden muss, ist das keine Störung. Aber wenn Putzrituale derart auf die Arbeit und Freizeit einwirken wie bei Marcs unkontrollierbare Ritualen, können sie Anzeichen für eine Störung sein. Dauert eine gelegentlich auftretende traurige Stimmung an und wird zu einer Beeinträchtigung, kann dies ebenfalls auf eine psychische Störung hindeuten.
sen im neuesten Klassifikationssystem zur Beschreibung von psychischen Störungen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Ein Anwalt leidet unter dem Gefühl, seine Hände hundert Mal am Tag waschen zu müssen. Er hat kaum noch Zeit, sich mit Klient:innen zu treffen, und seine Kolleg:innen zweifeln an seiner Kompetenz. Sein Verhalten würde wahrscheinlich als gestört bezeichnet werden, da es ___ ist, das heißt, es stört ihn in seinem Alltag.
Psychische Störung („psychological disorder“) – ein
Krankheitsbild, das durch eine klinisch signifikante Störung in der Kognition, der Emotionsregulation oder des Verhaltens gekennzeichnet ist. Verzweiflung begleitet oft eine solche Störung. Marc, Greta und Stuart waren eindeutig verzweifelt über ihre Gedanken, Emotionen oder Verhaltensweisen. Im Laufe der Zeit haben sich die Begrifflichkeiten für das, was eine „erhebliche Störung“ kennzeichnet, geändert (. Abb. 16.1). Von 1952 bis zum 9. Dezember 1973 galt die Homosexualität in den USA als Krankheit. Mit dem 10. Dezember änderte sich das plötzlich: Die American Psychiatric Association strich die Homosexualität von ihrer Liste der Krankheiten, weil ein immer größerer Teil ihrer Mitglieder gleichgeschlechtliche sexuelle Anziehung nicht mehr als ein psychisches Problem ansah. Hier offenbart sich die Macht, wenn sich gesellschaftliche Überzeugungen wandeln. (Später zeigte die Forschung, dass jedoch das Stigma und der Stress, den die Menschen erfahren, die schwul, lesbisch, transgender oder nicht geschlechtskonform sind, das Risiko für seelische Gesundheitsprobleme erhöhen können [Hatzenbühler et al., 2009; Meyer, 2003].) Im 21. Jahrhundert gibt es weitere heftige Kontroversen über neue oder geänderte Diagno-
16.1.2 Erklärungsansätze ?? 16.2 Wie erklären das medizinische Modell und der
biopsychosoziale Ansatz psychische Störungen?
Die Art und Weise, wie wir ein Problem betrachten, entscheidet, wie wir es versuchen zu lösen. Früher sahen die Menschen häufig rätselhafte Verhaltensweisen als Anzeichen für fremde Kräfte an und zogen z. B. die Bewegung der Sterne, gottähnliche Mächte oder böse Geister zur Erklärung heran. Hätten Sie im Mittelalter gelebt, hätten Sie vielleicht gesagt: „Der Teufel ließ ihn das tun.“ In diesem Glauben hätten Sie vielleicht eine brutale Behandlung zugelassen, um den Dämon auszutreiben. So wurden für „verrückt“ gehaltene Menschen manchmal eingesperrt oder „Therapien“ wie Genitalverstümmelung, Schlagen, das Ziehen von Zähnen, das Entfernen von Darmschlingen und die Verabreichung von Tierbluttransfusionen unterzogen (Farina, 1982; . Abb. 16.2).
16
a ..Abb. 16.1 Kultur und Normalität. Junge amerikanische Männer wenden oft viel Mühe auf, sich aufwändige Einladungen zu großen Events auszudenken, wie dieser Student (a), der an seine Auserwählte für den Abschlussball appellierte. Die jungen Männer des westafrikanischen Wodaabe-Stamms (b) legen ein kunstvolles Make-up auf und
b ziehen Kostüme an, um für Frauen attraktiv zu wirken. Jede Kultur mag das Verhalten der Angehörigen der jeweils anderen Kulturen als anormal ansehen. (a: © JPat Carter/ASSOCIATED PRESS/picture alliance; b: © Michael Runkel/imageBROKER/picture alliance)
669
16.1 • Einführung in psychische Störungen
..Abb. 16.2 „Behandlung“ von gestern. Über die Jahrhunderte hinweg waren psychisch gestörte Menschen einer brutalen Behandlung ausgesetzt; dazu gehörte auch die Trepanation (Öffnung des Schädels), wie man sie hier sehen kann. Derartige Löcher sind vielleicht bei dem Versuch, böse Geister zu befreien und Personen mit psychischen Störungen zu heilen, in den Schädel gebohrt worden. (© Ingo Wagner/ dpa/picture alliance)
Reformer:innen wie z. B. Philippe Pinel (1745–1826) in Frankreich lehnten solche brutalen Behandlungen ab. Er bestand darauf, dass Verrücktheit keine Dämonenbesessenheit, sondern eine Erkrankung des Geistes war, verursacht durch starke Belastungen und unmenschliche Bedingungen. Um die Krankheit zu heilen, sollte seiner Meinung nach eine ethische Behandlung angewandt werden, die die Patient:innen geistig aufrichtete, indem man sie von ihren Fesseln befreite und mit ihnen redete. Er und andere Reformer:innen bemühten sich, die Brutalität durch Freundlichkeit, die Isolation durch Aktivität und den Schmutz durch saubere Luft und Sonnenschein zu ersetzen (. Abb. 16.3). Teilweise werden heute noch Geisteskrankheiten grausam behandelt – Menschen werden an Betten gekettet oder in einen Raum zusammen mit wilden Tieren gesperrt. Die Weltgesundheitsorganisation hat daher eine Reform auf den Weg gebracht, um Krankenhäuser weltweit „in patientenfreundliche und humane Orte mit möglichst geringen Belastungen“ umzuwandeln (WHO, 2014a).
Medizinischer Ansatz Um 1800 führte ein medizinischer Durchbruch zu weiteren Reformen. Forschende entdeckten, dass Syphilis das Gehirn schädigt und den Verstand zerstört. Diese Entdeckung entfachte eine intensive Suche nach den körperlichen Ursachen für andere seelische Störungen und nach Behandlungen, die sie heilen könnten. Krankenhäuser ersetzten die Irrenanstalten, und es entstand der medizi‑ nische Ansatz für psychische Störungen. Dieser Ansatz spiegelt sich in der Terminologie der Psychiatrie wider, die wir heute noch verwenden: Eine psychische Erkrankung (Psychopathologie) muss aufgrund ihrer Symptome
diagnostiziert werden. Sie muss durch eine Therapie behandelt werden, zu der auch eine Behandlung in einem psychiatrischen Krankenhaus gehören kann. Heute spricht man allerdings von psychischen Störungen statt von psychischen Krankheiten. Medizinischer Ansatz („medical model“) – Konzept, dass Krankheiten, in diesem Fall psychische Störungen, auf physischen Ursachen beruhen, die diagnostiziert, behandelt und in den meisten Fällen auch geheilt werden können, oft durch Behandlung in einem Krankenhaus. Epigenetik („epigenetics“) – die Erforschung, wie sich Umwelteinflüsse auf die Genexpression auswirken, ohne dass eine Veränderung der DNA erfolgt. DSM‑5 – Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (5. Ausgabe) der American Psychiatric Association, ein weithin genutztes System zur Klassifikation psychischer Störungen. Durch die neuesten Entdeckungen, dass genetisch beeinflusste Abnormitäten in der Hirnstruktur und Biochemie zu einigen Störungen beitragen, erhielt die medizinische Perspektive erneuten Antrieb (Insel & Cuthbert, 2015). Klinische Psycholog:innen sind heute zunehmend in medizinischen Kliniken beschäftigt, zusammen mit Ärzt:innen versuchen sie herauszufinden, wie Geist und Körper zusammenarbeiten.
Biopsychosozialer Ansatz Psychische Störungen als „Krankheiten“ zu bezeichnen, lenkt die Forschung stark auf den Einfluss der Biologie und weg vom Einfluss unserer persönlichen Geschichte und unserer sozialen und kulturellen Umgebung. Aber bei der Erforschung psychischer Störungen wirken wie in so vielen anderen Bereichen biologische, psychologische und soziokulturelle Einflüsse auf unser Verhalten, unsere Gedanken und Gefühle ein. Als Individuen unterscheiden wir uns darin, wie viel Stress wir erfahren und auf welche Weise wir mit Stressoren umgehen. Auch in jeder Kultur gibt es spezifische Quellen für Stress und unterschiedliche Strategien, damit umzugehen. Unsere Seele ist letztlich ein Teil unseres Körpers und umgekehrt. Zwei psychische Störungen, Major Depression und Schizophrenie, treten überall auf der Welt auf. Von Asien bis nach Afrika und über Nord- und Südamerika hinweg gehören irrationales Denken und inkohärente Sprache oft zu den Symptomen der Schizophrenie. Andere Störungen treten eher in bestimmten Kulturen auf. In Lateinamerika findet man Susto, gekennzeichnet durch massive Ängste, Rastlosigkeit und Furcht vor schwarzer Magie. In der japanischen Kultur gibt es Menschen mit Taijin-kyofusho, soziale Ängste, die sich auf das eigene Aussehen beziehen. Es tritt in Verbindung mit der Bereitschaft zu erröten und einer Furcht vor Blickkontakten auf. Die Essstörungen Anorexie und Bulimie z. B. sind Störungen, die
16
670
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.3 „Moralische Be‑ handlung“. Unter dem Einfluss von Philippe Pinel finanzierten Krankenhäuser manchmal Tanzabende für Patient:innen, die oft „Irren-Bälle“ („lunatic balls“) genannt wurden. Solch ein Ball wird auf diesem Gemälde von George Bellows dargestellt. (Tanz in einem Irrenhaus, © George Wesley Bellows/Heritage Images/picture alliance)
16
zumeist in westlichen Kulturen auftreten, in denen es Nahrung im Überfluss gibt. All diesen Störungen liegt möglicherweise dieselbe Dynamik zugrunde (beispielsweise Angst), sie unterscheiden sich jedoch in ihren Symptomen (z. B. ein Essproblem oder eine besondere Furcht), die sich in einer bestimmten Kultur manifestieren. Auch gestörte Aggression kann unterschiedliche Erklärungsmuster in verschiedenen Kulturen haben. In Malaysia bezeichnet der Begriff Amok einen plötzlichen Ausbruch aggressiven Verhaltens (daher kommt die Redewendung „Amok laufen“). Psychische Störungen sind Ausdruck genetischer Prädispositionen, physischer Zustände, innerer psychologischer Dynamik, sozialer und kultureller Umstände, Der psychosoziale Ansatz betont, dass sich Körper und Geist nicht voneinander trennen lassen (. Abb. 16.4). Negative Emotionen können zu körperlichen Erkrankungen beitragen, und ebenso können körperliche Abnormitäten zu emotionalem Unbehagen führen. Der biopsychosoziale Ansatz führte zu dem Vulnerabilitäts-Stress-Modell, welches besagt, dass individuelle Merkmale in Kombination mit Umweltstressoren die Wahrscheinlichkeit, eine psychische Störung zu entwickeln, erhöhen oder verringern (Monroe & Simons, 1991; Zuckerman, 1999). Die Forschung zur Epigenetik (wörtlich: „zusätzlich zur Genetik“) unterstützt das Vulnerabilitäts-Stress-Modell, indem sie aufzeigt, wie unsere DNA und unsere Umwelt interagieren. So kann ein Gen in einer Umgebung exprimiert werden, in einer anderen aber schlummern. Für manche Menschen macht dies den Unterschied aus, ob er eine psychische Störung entwickelt oder nicht.
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Sind psychische Störungen universell oder kulturspezifisch? Geben Sie in Ihrer Antwort Beispiele! – Was ist die biopsychosoziale Perspektive, und warum ist sie so wichtig für das Verständnis psychischer Störungen?
16.1.3
Klassifikation psychischer Störungen – und Etikettierung von Menschen
?? 16.3 Wie und warum klassifizieren Kliniker:innen
psychische Störungen, und warum kritisieren einige Psycholog:innen die Verwendung diagnostischer Etikettierungen?
Innerhalb der Biologie trägt die Klassifikation zu einer gewissen Ordnung bei. Wird ein Tier als Säugetier klassifiziert, sagt das eine Menge aus: dass es sich beispielsweise um einen Warmblüter handelt, es Haare oder einen Pelz hat und Milch produziert, um seine Jungen zu ernähren. Auch innerhalb der Psychiatrie und Psychologie werden Symptome mit Hilfe eines Klassifikationssystems beschrieben und zugeordnet. Wird die psychische Störung eines Menschen als Schizophrenie bezeichnet, bedeutet dies, dass dieser Mensch inkohärent spricht, bizarre Vorstellungen hat, entweder wenig oder unangemessene Emotionen zeigt oder sich von den Menschen zurückge-
671
16.1 • Einführung in psychische Störungen
..Abb. 16.4 Der biopsychosoziale Ansatz bei psychischen Störungen. Die heutige Psychologie untersucht, wie biologische, psychologische und soziokulturelle Faktoren bei der Entstehung spezifischer psychischer Störungen interagieren
Biologische Einflüsse: Evolution individuelle Gene Gehirnstruktur und -chemie
Psychologische Einflüsse: Stress Trauma gelernte Hilflosigkeit stimmungsabhängige Wahrnehmungen und Erinnerungen
• • •
• • • •
Psychische Störung
Soziokulturelle Einflüsse: Rollen Erwartungen Definition von Normalität und Störung
• • • zogen hat. Die Diagnose Schizophrenie ermöglicht eine praktische Kurzzusammenfassung für die Beschreibung einer komplexen Störung. Aber die diagnostische Klassifikation gibt mehr als nur eine grobe Orientierung über eine Störung im Verhalten, in den Gedanken oder Gefühlen eines Menschen. Innerhalb der Psychiatrie und Psychologie dient sie auch der Vorhersage des zukünftigen Verlaufs, empfiehlt eine geeignete Behandlung und veranlasst, nach den Ursachen zu forschen. Wir müssen eine Störung zuerst benennen und beschreiben, um sie untersuchen zu können (. Abb. 16.5). In den Vereinigten Staaten ist das gängige Werk zur Beschreibung von Störungen und zur Ermittlung, wie häufig diese auftreten, das von der American Psychiatric Association herausgegebene Diagnostische und Statistische Manual psychischer Störungen, jetzt in seiner 5. Auflage (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders; dtsch. Falkai et al., 2018), kurz DSM‑5 genannt. Mediziner:innen und Psycholog:innen verwenden die detaillierten „diagnostischen Kriterien und Codes“ im DSM‑5, um medizinische Diagnosen und Behandlungen zu erstellen. Zum Beispiel kann bei einer Person eine Schlafstörung diagnostiziert und behandelt werden, wenn sie alle Kriterien in der folgenden Übersicht erfüllt. Die diagnostischen Kriterien und Codes des DSM‑5 sind eng angelehnt an die von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) herausgegebene Internationale Klassifikation der Krankheiten (International Classification of Diseases; dtsch. Dilling et al., 1994), kurz ICD‑11, welche sowohl körperliche als auch psychische Störungen (Kapitel VI) umfasst.
---
Schlafstörungen Unzufriedenheit mit der Schlafdauer oder ‑qualität (Probleme beim Ein- oder Durchschlafen oder beim Zurückfinden in den Schlaf) Die Schlafstörung verursacht Stress oder beeinträchtigt die tägliche Leistungsfähigkeit Tritt in drei oder mehr Nächten pro Woche auf Tritt in mindestens drei aufeinanderfolgenden Monaten auf Tritt auch bei ausreichenden Schlafgelegenheiten auf Unabhängig von anderen Schlafstörungen (z. B. Narkolepsie) Unabhängig von Drogenkonsum oder ‑missbrauch Unabhängig von anderen psychischen Störungen oder gesundheitlichen Beschwerden
Im neuen DSM‑5 haben sich einige diagnostische Bezeichnungen geändert. Die Störungen, die früher als „Autismus“ und „Asperger-Syndrom“ bezeichnet wurden, sind nun unter dem Begriff Autismus-Spektrum-Störungen zusammengefasst. „Mentale Retardierung“ wurde zu intellektueller Beeinträchtigung. Neue Störungen wie pathologisches Horten (umgangssprachlich Messie-Syndrom) und Binge-Eating-Störung kamen hinzu. >>Mehrere Beispiele dieses Kapitels stammen aus einem
Buch mit Fallbeispielen, das zu einer früheren DSMAusgabe herausgegeben wurde.
Einige der neuen oder geänderten Diagnosen sind umstritten. Disruptive Stimmungsdysregulationsstörung ist eine neue DSM-5-Diagnose für Kinder, „die über mehr als ein Jahr dreimal oder häufiger in einer Woche eine anhaltende gereizte Stimmung und häufige Episoden von massiven
16
672
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
mögliche depressive Störung. Kritiker:innen sind der Meinung, eine solche Trauer sei schlicht als „normale“ Reaktion auf ein tragisches Ereignis im Leben anzusehen. Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS; „attention-deficit/hyperactivity disorder“, ADHD) – psy-
chische Störung, gekennzeichnet durch extreme Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität und Impulsivität. ?? 16.4 Warum gibt es eine Kontroverse über die Auf-
merksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung?
..Abb. 16.5 „So bin ich immer und meine Familie möchte wissen, ob Sie mir ein leichtes Depressivum verschreiben könnten.“ (© Sidney Harris/Search ID: CS142729, Rights Available from CartoonStock.com)
16
Wutausbrüchen zeigen“. Wird diese Diagnose Eltern helfen, die mit labilen Kindern zu kämpfen haben, oder wird sie „Trotzanfälle zu einer psychischen Störung machen“ und zu einer Übermedikation führen, wie der Vorsitzende der letzten DSM-Ausgabe warnte (Frances, 2012)? In Tests unter realen Bedingungen (Feldversuche) zur Beurteilung der Zuverlässigkeit der neuen DSM-5-Kategorien, haben einige Diagnosen gut und andere schlecht abgeschnitten (Freedman et al., 2013). Die Übereinstimmung von Kliniker:innen mit der Diagnose Posttraumatische Belastungsstörung bei Erwachsenen und Autismus-Spektrum-Störung bei Kindern lag beispielsweise bei fast 70 %. (Diagnostizierte ein:e Psychiater:in oder Psycholog:in eine dieser Störungen, dann würde ein:e Kolleg:in mit einer Wahrscheinlichkeit von 70 % die gleiche Diagnose stellen.) Bei der antisozialen Persönlichkeitsstörung (APS) und der generalisierten Angststörung lag die Übereinstimmung jedoch nur bei etwa 20 %. Kritiker:innen haben dem DSM vorgeworfen, zu breit gefasste Kategorien zu haben und damit „nahezu jede Verhaltensweise in den psychiatrischen Bereich zu rücken“ (Eysenck et al., 1983). Manche sind besorgt, dass das DSM‑5 durch die noch weiter gefassten Kategorien die Pathologisierung des Alltags noch vergrößert. Zum Beispiel hat das DSM jetzt die diagnostischen Kriterien für die Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) erweitert. Für die Menschen, die mit diesen belastenden Symptomen leben müssen, kann die Diagnose und Behandlung eine Erleichterung sein und eine verbesserte Lebensqualität bringen (Kupfer, 2012; Maciejewski et al., 2016). Kritiker:innen schlagen jedoch Alarm, dass die Kriterien nun zu weit gefasst sind und jungenhafte Wildheit nun als Störung angesehen wird (Frances, 2013, 2014; . Abb. 16.6). Das DSM klassifiziert jetzt tiefe Trauer nach dem Tod eines geliebten Menschen als eine
Auf der Suche nach einem neuen Ansatz als Ergänzung zur Klassifizierung hat das US-amerikanische National Institute of Mental Health die RDoC-Initiative (Research Domain Criteria) ins Leben gerufen (Insel et al., 2010; NIMH, 2017). Die RDoC-Initiative zielt darauf ab, „die Möglichkeiten der modernen Forschungsansätze in Genetik, Neurowissenschaften und Verhaltenswissenschaften“ in die Untersuchung psychischer Störungen einfließen zu lassen (Insel & Lieberman, 2013). Dieser Rahmen hilft bei der Einteilung von psychischen Störungen nach Verhaltensweisen und Gehirnaktivität in Verbindung mit negativen oder positiven Emotionen, Kognition, sozialen Beziehungen sowie Erregung und Schlaf. Durch die Erforschung dieser Komponenten haben Psycholog:innen bessere Möglichkeiten, psychische Störungen zu klassifizieren und zu behandeln. Andere Kritiker:innen der Klassifizierung beklagen sich über etwas Grundsätzlicheres: dass diese Etikettierungen sein können oder sogar Werturteile darstellen, die sich als wissenschaftlich verkleiden. Sobald wir einen Menschen mit einem Etikett versehen, betrachten wir ihn mit anderen Augen (Bathje & Pryor, 2011; Farina, 1982; Sadler et al., 2012b). Etikettierungen können die Realität verändern, indem sie uns darauf sensibilisieren, nach Hinweisen Ausschau zu halten, die uns in unserer Sichtweise bestätigen. Sagt man uns, dass die neue Arbeitskollegin eine unangenehme Person ist, begegnen wir ihr vielleicht mit Misstrauen, was sie dazu veranlasst, sich so zu verhalten, wie es eine unangenehme Person tun würde. Lehrende, denen man sagte, bestimmte Schüler seien „begabt“, gingen dann so auf sie zu, dass sie das erwartete Verhalten hervorriefen (Snyder, 1984). Diagnostische Etikettierungen können im Sinne sich selbst erfüllender Prophezeiungen funktionieren. Die verzerrende Macht von Etikettierung wurde in einer klassischen umstrittenen Studie deutlich. David Rosenhan (1973) und sieben andere Personen begaben sich in psychiatrische Ambulanzen und klagten (nicht wahrheitsgemäß) darüber, „Stimmen zu hören“, die „leer“, „hohl“ und „dumpf“ sagten. Abgesehen von ihren Beschwerden und der Tatsache, dass sie falsche Namen und Berufe angaben, beantworteten sie Fragen wahrheitsgemäß. Alle acht normalen Personen wurden fälschlich als psychisch krank diagnostiziert.
673
16.1 • Einführung in psychische Störungen
Diagnosen in den USA 1
11%
4- bis17jährige
Doppelt so häufig bei JUNGEN wie bei Mädchen
2.5%
2
Erwachsene
Symptome
• Unaufmerksamkeit und Ablenkbarkeit3 • Hyperaktivität4 • Impulsivität
Einige KRITIKpunkte: Energische Kinder + langweilige Schulen = zu viele ADHS-Diagnosen • Kinder sind nicht dafür geschaffen, stundenlang in Stühlen zu sitzen. • Die jüngsten Kinder in einer Klasse sind in der Regel zappeliger und erhalten häufiger die Diagnose.5 • Ältere Schülerinnen und Schüler greifen möglicherweise zu verschreibungspflichtigen Stimulanzien für ADHS (als „Gute-Noten-Pille“).6 • Was sind die langfristigen Auswirkungen einer medikamentösen Behandlung? • Warum nehmen die Diagnosen weltweit zu?7
RÜCKHALT:
• Mehr Diagnosen spiegeln ein erhöhtes Bewusstsein wider. • „ADHS ist eine echte neurobiologische Störung, deren Existenz nicht mehr angezweifelt werden sollte.“8 • ADHS ist mit einer abweichenden Gehirnstruktur, ungewöhnlichen Gehirnaktivitätsmustern und riskantem oder antisozialem zukünftigem Verhalten verbunden.9
Ursachen? • Tritt zusammen mit Lernstörungen oder mit trotzigem und jähzornigem Verhalten auf • Genetik10
Behandlung
• Stimulanzien (Ritalin und Dexamphetamin) beruhigen die Hyperaktivität und verbessern die Fähigkeit der Betroffenen, still zu sitzen und sich zu konzentrieren.11 Das Gleiche gilt für Verhaltenstherapien und Aerobic.12 • Psychologische Therapien helfen bei der Bewältigung von ADHS.13
Das Fazit: Extreme Unaufmerksamkeit, Hyperaktivität und Impulsivität können in sozialen, akademischen und beruflichen Situationen zu großen Schwierigkeiten führen. Diese Symptome können mit Medikamenten und anderen Therapien behandelt werden. Die Debatte darüber, ob ein normales hohes Energielevel zu häufig als psychiatrische Störung diagnostiziert wird und ob der langfristige Einsatz von Stimulanzien bei der Behandlung von ADHS mit Schäden verbunden ist, geht jedoch weiter. 1 Schwarz & Cohen, 2013. 2 Simon et al., 2009. 3 Martel et al., 2016. 4 Kofler et al., 2016. 5 Chen et al., 2016. 6 Schwarz, 2012. 7 Ellison, 2015. 8 World Federation for Mental Health, 2005. 9 Barkley et al., 2002.; Hoogman et al., 2017. 10 Nikolas & Burt, 2010; Poelmans et al., 2011; Volkow et al., 2009; Williams et al., 2010. 11 Barbaresi et al., 2007. 12 Pelham et al., 2016; Cerrillo-Urbina et al., 2015. 13 Fabiano et al., 2008.
..Abb. 16.6 Kritisch nachdenken über: ADHS – nur ein hohes Level an Energie oder eine echte Störung?
Doch sollte uns das überraschen? Sicher nicht. Ein Psychiater meinte: Hätte jemand Blut geschluckt, ginge in eine Notaufnahme und würgte es hoch: Würden wir dann dem Arzt unterstellen, er hätte fälschlich ein blutendes Magengeschwür diagnostiziert? Sicherlich nicht. Alarmierend war, was auf die Diagnosestellung folgte. Bis zu ihrer Entlassung (im Durchschnitt nach 19 Tagen) zeigten die acht „Patient:innen“ keinerlei Symptome mehr. Trotzdem konnten die Ärzt:innen, nach der Analyse der jeweiligen (ziemlich normalen) Lebensgeschichte,
Gründe für die Störung „entdecken“, wie z. B. gemischte Gefühle gegenüber einem Elternteil zu haben. Sogar sich gewohnheitsmäßig Notizen zu machen wurde fälschlicherweise als Symptom interpretiert. Etikettierungen haben Auswirkungen. In einer anderen Studie sahen Versuchspersonen eine Videoaufnahme von einem Interview an. Diejenigen, denen gesagt wurde, es handle sich bei den Interviewten um Bewerber:innen für einen Job, nahmen diese als normal wahr (Langer & Abelson, 1974; Langer & Imber, 1980). Andere, de-
16
674
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.7 Kampf und Über‑ windung. Während seines Wahlkampfs sprach der Bostoner Bürgermeister Martin Walsh offen über seinen früheren Kampf gegen den Alkohol. Seine Geschichte, wie er die Sucht überwand, half ihm 2014, die Wahl zu gewinnen. Es war seit Jahrzehnten das knappste Ergebnis einer Bürgermeisterwahl in Boston. (© Steven Senne/ASSOCIATED PRESS/ picture alliance)
nen erzählt wurde, die interviewte Person sei Psychiatrie- oder Krebspatient:in, nahmen sie als „anders als die meisten Menschen wahr“. Therapeut:innen, die dachten sie würden ein Interview mit einem Psychiatriepatienten bzw. einer Psychiatriepatientin sehen, nahmen ihn bzw. sie als „erschreckt von eigenen aggressiven Impulsen“ und als „passiv-abhängigen Typus“ etc. wahr. Eine diagnostische Etikettierung kann, wie Rosenhan entdeckte, „ein Eigenleben entwickeln und selbst Einfluss ausüben“.
16
..Abb. 16.8 Bessere Darstellungen. Bei der Darstellung von psychischen Störungen in den Medien werden alte Stereotypen langsam abgelöst. Neuere Filme setzen das Thema recht realistisch um. Iron Man 3 (2013) zeichnete eine Hauptfigur, hier im Bild, mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. Black Swan (2010) hatte eine Protagonistin, die an einer wahnhaften Störung leidet. A Single Man (2009) beschrieb depressive Störungen. (© Walt Disney Co./Courtesy Everett Collection/picture alliance)
» „Meine Schwester leidet an einer bipolaren Störung und
mein Neffe an einer schizoaffektiven Störung. Es gibt tatsächlich viele Personen mit Depressionen oder Alkoholproblemen in meiner Familie, aber niemand hat je darüber gesprochen. Das wurde einfach nicht getan. Das Stigma ist giftig.“ Glenn Close, Schauspielerin, Mental Illness: The Stigma of Silence (2009)
Diagnostische Etikettierungen haben auch Einfluss auf das tägliche Leben. Für Menschen, die gerade aus der Psychiatrie entlassen wurden, kann es zur Herausforderung werden, eine Arbeit zu bekommen oder eine Wohnung zu mieten. Bezeichne jemanden als „psychisch krank“, und die Leute fürchten ihn als potenziell gewalttätig. Diese Reaktion scheint sich allerdings in dem Maße abzuschwächen, in dem die Leute verstehen, dass viele psychische Störungen mit einer Krankheit des Gehirns einhergehen und es sich nicht um einen Charakterfehler handelt. Personen des öffentlichen Lebens haben zu diesem Verständnis beigetragen, indem sie offen über ihren Kampf gegen psychische Störungen wie Depression und Drogenmissbrauch sprechen. Je öfter wir Kontakt mit psychisch kranken Personen haben, desto mehr steigt auch unsere Akzeptanz (Corrigan et al., 2014; . Abb. 16.7, 16.8). Trotz ihrer Risiken haben diagnostische Bezeichnungen auch Vorteile: Sie helfen den Fachleuten im Gesundheitssystem, miteinander über ihre Fälle zu kommunizieren und die Ursachen und Behandlungen von psychischen Störungen zu analysieren. Für die Betroffenen ist es oft eine Erleichterung zu erfahren, dass ihr Leiden einen Namen hat und dass sie mit ihren Symptomen nicht allein sind.
675
16.1 • Einführung in psychische Störungen
» „‚Was bringen ihnen ihre Namen‘, fragte Gnat, ‚wenn sie nicht auf sie reagieren?‘ ‚Ihnen nützen sie nichts‘, sagte Alice, ‚aber den Menschen, die Ihnen die Namen gegeben haben, denke ich.‘“ Lewis Carroll, Alice hinter den Spiegeln (1871) Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind die Vorteile und Gefahren in der Verwendung diagnostischer Etikettierungen?
16.1.4
Bedeutet eine psychische Störung Fremdgefährdung?
?? 16.5 Sind psychische Störungen Prädiktoren für ge-
walttätiges Verhalten?
Der 16. September 2013 begann wie jeder andere Montag in der Navy Yard in Washington, D.C., die Leute kamen früh zur Arbeit. Dann betrat der Regierungsangestellte Aaron Alexis das Gebäude und begann zu schießen. Eine Stunde später waren 13 Menschen, einschließlich der Schütze, tot. Berichte bestätigten später, dass Alexis in psychischer Behandlung war und erklärt hatte, dass er in den letzten drei Monaten einer „Attacke im extremen Niederfrequenzbereich ausgesetzt war. Und offen gesagt, hat mich das dazu getrieben.“ Dieses verheerende Massaker verstärkte, genau wie das in einer Grundschule in Connecticut im Jahr 2012 und seitdem viele weitere, die öffentliche Wahrnehmung, dass Menschen mit psychischen Störungen eine Bedrohung darstellen (Barry et al., 2013; Jorm et al., 2012). „Menschen mit psychischen Erkrankungen beschaffen sich Waffen und begehen diese Amokläufe“, sagte der Sprecher des US-Repräsentantenhauses Paul Ryan (2015). In einer Umfrage sprachen sich 84 % der Amerikaner:innen dafür aus, dass „erhöhte staatliche Ausgaben für psychologische Vorsorgeuntersuchungen und Behandlungen“ ein „durchaus effektiver“ oder ein „sehr effektiver“ Schritt zur Verhinderung von Amokläufen an Schulen wäre (Newport, 2012). Erhöhen psychische Störungen tatsächlich das Risiko von Gewalt? Und können Therapeut:innen vorhersagen, welche Person wahrscheinlich gewalttätig wird? Nein. Die meisten Gewaltverbrecher:innen sind nicht psychisch krank, und die meisten psychisch Kranken sind nicht gewalttätig (Fazel & Grann, 2006; Skeem et al., 2016). Außerdem ist die klinische Vorhersage von Gewaltbereitschaft nicht verlässlich. Die wenigen von psychischen Störungen Betroffenen, die Gewalttaten begehen, sind entweder solche, wie der Navy-Yard-Schütze, die erschreckende Wahnvorstellungen und Halluzinationen von Stimmen haben, die ihnen befehlen zu handeln, oder es sind Menschen, die in einer finanziellen Notlage sind, deren Beziehung gescheitert ist oder die Probleme mit
Substanzmissbrauch haben (Douglas et al., 2009; Elbogen et al., 2016; Fazel et al., 2009, 2010). Menschen mit psychischen Störungen sind eher Opfer von Gewalt als Täter (Marley & Bulia, 2001). Laut der Direktion der U.S. Public Health Services (Surgeon General Office, 1999, S. 7) besteht für einen Fremden tatsächlich nur ein geringes Gewalt- oder Verletzungsrisiko, wenn er auf einen Menschen mit einer psychischen Störung trifft. Psychische Störungen münden nur selten in Gewalttaten; die Schusswaffengewalt wird daher nicht abnehmen, wenn man sich bei der Einschränkung von Waffenbesitz auf psychisch kranke Menschen fokussiert (Friedman, 2012). Bessere Prädiktoren für Gewalt sind der Konsum von Alkohol oder Drogen, frühere Gewaltausbrüche und die Verfügbarkeit von Waffen. Die Amoklaufenden haben noch etwas gemeinsam: Sie sind meist junge Männer. Kontrovers bleibt, ob Menschen mit psychischen Störungen für ihr Verhalten verantwortlich gemacht werden sollten. Der Beinahemörder des ehemaligen amerikanischen Präsidenten Reagan, John Hinckley, wurde in ein psychiatrisches Krankenhaus und nicht in ein Gefängnis gesteckt. Damals ging ein wütender Aufschrei durch die Öffentlichkeit. So lautete eine Schlagzeile: „Hinckley verrückt, die Öffentlichkeit wütend“. Und man war wieder wütend, als 2011 Jared Loughner sechs Menschen auf einem Supermarkt-Parkplatz in Arizona tötete und mehrere andere verwundete, darunter die Kongressabgeordneten Gabrielle Giffords. Bei Loughner wurde Schizophrenie diagnostiziert, dennoch wurde er zu lebenslanger Haft ohne Bewährung verurteilt. Psychiatrie oder Gefängnis – welche Entscheidung war richtig? Selbst wenn wir in der Lage wären, bei allen menschlichen Verhaltensweisen – von der Großzügigkeit bis hin zum Mord – die biologische und umweltbedingte Grundlage zu erklären, wann sollen wir die Menschen für ihre Taten zur Verantwortung ziehen – und wann sollen wir dies nicht tun (. Abb. 16.9)? 16.1.5
Prävalenz psychischer Störungen
?? 16.6 Wie viele Menschen leiden oder litten an einer
psychischen Störung? Ist Armut ein Risikofaktor?
Wer ist am anfälligsten für psychische Störungen? In welchen Lebensphasen ist man am anfälligsten? Um eine Antwort auf diese Fragen zu finden, führten viele Staaten an repräsentativen Stichproben lange, strukturierte Interviews mit Tausenden ihrer Bürger:innen durch. Nachdem sie zur Erhebung der Symptome Hunderte von Fragen gestellt hatten (z. B. „Gab es jemals eine Phase von zwei Wochen oder länger, in der Sie sich so fühlten, als wollten Sie sterben?“), schätzten die Forschenden die Punkt-, 12-Monats- und die Lebenszeitprävalenz der verschiedenen Störungen.
16
676
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.9 Wie kann man Amokläufe verhindern? Nach dem Massaker von Newtown, Connecticut, bei dem 20 kleine Kinder und 6 Erwachsene ermordet wurden, fragte man sich: Könnten Psychotherapeut:innen im Vorfeld gewaltbereite Menschen erkennen und der Polizei melden? Würden Gesetze, die eine solche Meldung vorschreiben, waffenbesitzende Personen mit psychischen Störungen davon abhalten, sich in Behandlung zu begeben? (© Justin Lane/dpa/ picture alliance)
Wie viele Menschen leiden oder litten an einer psychischen Störung? Es sind mehr, als die meisten von uns annehmen: Eine Studie der Weltgesundheitsorganisation, die auf 90-Minuten-Interviews mit Tausenden von Menschen beruhte, welche repräsentativ für die Bevölkerung ihres Landes waren, schätzte die Anzahl der psychischen Störungen in den letzten 12 Monaten bezogen auf 28 Länder ein (Kessler et al., 2009). Wie . Abb. 16.10 zeigt, lag die geringste Rate angegebener psychischer Störungen in Nigeria vor, die höchste in den USA. Menschen, die von Mexiko, Afrika oder Asien in die USA eingewandert sind, haben eine bessere psychische Gesundheit als die einheimischen USAmerikaner:innen mit dem gleichen ethnischen Hintergrund (Breslau et al., 2007; Maldonado-Molina et al., 2011). Beispielsweise haben die Amerikaner:innen, die aus Mexiko immigrierten, im Vergleich zu den Amerikaner:innen mexikanischen Ursprungs, die in den USA geboren wurden, ein geringeres Risiko für eine psychische Störung – ein Phänomen, das das Immigrantenparadoxon genannt wird (Schwartz et al., 2010). In Deutschland sind jedes Jahr etwa 27,8 % der erwachsenen Bevölkerung von einer psychischen Störung betroffen. Mit Ausnahme von Suchterkrankungen haben Frauen dabei ein höheres Lebenszeitrisiko als Männer (Jacobi et al., 2014).
-
16
-
Das U.S. National Institute of Mental Health (2015) schätzte, dass fast eine:r von fünf erwachsenen Amerikaner:innen derzeit an einer „psychischen, verhaltensbezogenen oder emotionalen Störung (ausgenommen Entwicklungs- und substanzbedingte Störungen)“ leidet oder im Laufe des letzten Jahres daran gelitten hat (. Tab. 16.1).
Was erhöht die Anfälligkeit für psychische Störungen? Wie . Tab. 16.2 zeigt, gibt es eine breite Vielfalt an Risikofaktoren und an schützenden Faktoren. Doch ein kultur- und geschlechtsübergreifender Prädiktor für psychische Störungen ist Armut. Bei Menschen, die unterhalb der Armutsgrenze leben (Centers for Disease Control, 2014a), kommen schwerwiegende psychische Störungen 2,5-mal so häufig vor. Wie bei vielen anderen Korrelationen wirft auch der Zusammenhang zwischen Armut und einer Störung weitere Fragen auf: Verursacht Armut die Störungen oder verursacht die Störung Armut? Es trifft wohl beides zu, obwohl die Antworten je nach Störung unterschiedlich sind. Die Schizophrenie führt verständlicherweise häufig zu Armut. Dennoch können die armutsbedingten Belastungen und Entmutigungen auch den Störungen vorangehen. Dies ist vor allem bei depressiven Störungen von Frauen und bei Substanzmissbrauch von Männern der Fall (Dohrenwend et al., 1992). In einem naturalistischen Experiment zum Zusammenhang zwischen Armut und Pathologie verfolgten Forschende die Raten für Verhaltensprobleme bei amerikanischen Kindern in North Carolina, als dort die wirtschaftliche Entwicklung eine drastische Verringerung der Armutsrate in der Bevölkerung ermöglichte. Zu Beginn der Studie zeigten die Kinder aus armen Schichten abweichendere und aggressivere Verhaltensweisen. Nach 4 Jahren wiesen die Kinder, deren Familien es geschafft hatten, aus der Armut herauszukommen, eine 40 %ige Abnahme an Verhaltensproblemen auf. Diejenigen, die weiterhin unterhalb oder oberhalb der Armutsgrenze lagen, zeigten keine Veränderung (Costello et al., 2003). In welchen Lebensphasen treten Störungen zum ersten Mal auf? Für gewöhnlich im frühen Erwachsenenalter. „Über 75 % unserer Stichprobe von Menschen mit irgendeiner Form von Störung hatten [ihre] erste[n] Symp-
677
16.1 • Einführung in psychische Störungen
..Tab. 16.1 Prozentsatz von Amerikaner:innen, die in den letzten 12 Monaten ausgewählte psychische Störungen aufwiesen. (Adaptiert nach National Institute of Mental Health, 2008)
Vereinigte Staaten Ukraine Kolumbien
Psychische Störung
USA Prozent‑ satz
Depressive Störungen oder bipolare Störung
9,3
Spezifische Phobie
8,7
Soziale Angststörung
6,8
Libanon
Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)
4,1
Südafrika
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS)
3,5
Generalisierte Angststörung
3,1
Mexiko
Schizophrenie
1,1
Belgien
Zwangsstörung
1,0
Neuseeland Frankreich
Niederlande
Deutschland Israel
tome im Alter von 24 Jahren“, berichteten Lee Robins und Darrel Regier (1991, S. 331). Zu denen, die am frühesten auftreten, gehören die Symptome der antisozialen Persönlichkeitsstörung (Durchschnittsalter 8 Jahre) und der Phobien (Durchschnittsalter 10 Jahre). Symptome des Alkoholmissbrauchs, der Zwangsstörung, der bipolaren Störung und der Schizophrenie treten durchschnittlich im Alter von knapp 20 Jahren auf. Die Major Depression schlägt oft etwas später zu, durchschnittlich im Alter von 25 Jahren.
Spanien Italien Japan China Nigeria 0%
10%
20%
30%
Prozentsatz mit einer psychischen Störung
Prüfen Sie Ihr Wissen
Anteil der als "schwerwiegend" eingestuften Störungen
– Wie sieht die Beziehung zwischen Armut und psychischen Störungen aus?
16.1.6
Rückblick: Einführung in psychische Störungen
Verständnisfragen
16.1 – Wo ist die Grenze zwischen Normalität und Stö-
rung? 16.2 – Wie erklären das medizinische Modell und der
biopsychosoziale Ansatz psychische Störungen? 16.3 – Wie und warum klassifizieren Kliniker:innen psychische Störungen, und warum kritisieren einige Psycholog:innen die Verwendung diagnostischer Etikettierungen? 16.4 – Warum gibt es eine Kontroverse über die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung? 16.5 – Sind psychische Störungen Prädiktoren für gewalttätiges Verhalten? 16.6 – Wie viele Menschen leiden oder litten an einer psychischen Störung? Ist Armut ein Risikofaktor?
..Abb. 16.10 12-Monats-Prävalenz psychischer Störungen in aus‑ gewählten Regionen. Aus Interviews in 28 Ländern. (Daten aus Kessler et al., 2009)
---
Schlüsselbegriffe Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) DSM‑5 Epigenetik Medizinischer Ansatz Psychische Störung
Master the Material 1. Zwei schwere Störungen, die weltweit vorkommen, sind Schizophrenie und ___. 2. Anna ist es peinlich, dass sie mehrere Minuten braucht, um ihr Auto rückwärts einzuparken. Normalerweise steigt sie ein- oder zweimal aus dem Auto aus, um den Abstand zum Bordstein und zu den benachbarten Autos zu überprüfen. Sollte sie sich Sorgen machen, dass sie eine psychische Störung hat?
16
678
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Tab. 16.2 Risikofaktoren und schützende Faktoren bei psychischen Störungen. (Adaptiert nach WHO, 2004b,c)
16
Risikofaktoren
Schützende Faktoren
Schulversagen Geburtskomplikation Versorgung chronisch Kranker oder von Menschen mit einer neurokognitiven Störung Kindesmissbrauch und ‑vernachlässigung Chronische Schlaflosigkeit Chronische Schmerzen Desorganisation oder Konflikt in der Familie Geringes Gewicht bei der Geburt Geringer sozioökonomischer Status Medizinische Krankheit Neurochemisches Ungleichgewicht Psychische Krankheit eines Elternteils Substanzmissbrauch durch einen Elternteil Persönlicher Verlust und Trauerfall Schlechte berufliche Fähigkeiten und Gewohnheiten Mangelnde Lesefähigkeit Sensorische Defizite Soziale Inkompetenz Stressreiche Lebensereignisse Substanzmissbrauch Erfahrungen mit einem Trauma
Ausdauertraining (aerobes Training) Gemeinschaft bietet Stärkung, Möglichkeiten und Sicherheit Wirtschaftliche Unabhängigkeit Gefühl der Sicherheit Gefühl der Beherrschbarkeit und der Kontrolle Gute Betreuung durch die Eltern Alphabetisierung Positive Bindung und früher Aufbau einer engen Beziehung Positive Beziehung zwischen Eltern und Kind Fähigkeiten zur Problemlösung Zähe Bewältigung von Stress und widrigen Bedingungen (Resilienz) Starkes Selbstbewusstsein Soziale und berufliche Fähigkeiten Soziale Unterstützung durch Familie und Freunde
3. Was ist Susto? Ist es eine kulturspezifische oder universelle psychische Störung? 4. Ein Therapeut sagt, dass psychische Störungen Krankheiten sind und Menschen mit diesen Störungen wie Patient:innen in einem Krankenhaus behandelt werden sollten. Dieser Therapeut glaubt an das ___ Modell. 5. Viele Psycholog:innen lehnen die Sichtweise „Störungen sind Krankheiten“ ab, stattdessen behaupten sie, dass auch andere Faktoren beteiligt sein können – z. B. schlechte Angewohnheiten und mangelnde soziale Fähigkeiten der Person. Diese Sichtweise vertritt den ___ Ansatz. a. medizinischen b. epigenetischen c. biopsychosozialen d. diagnostischen 6. Warum gilt das DSM, und insbesondere das DSM‑5, als umstritten? 7. Ein Prädiktor für psychische Störungen, der ethnische und geschlechtsspezifische Grenzen überschreitet, ist ___. 8. Die Symptome von einer ___ treten erstmals im Alter von etwa 10 Jahren auf; die einer ___ treten tendenziell später auf, etwa im Alter von 25 Jahren. a. Schizophrenie; bipolare Störung b. bipolare Störung; Schizophrenie c. Major Depression; Phobie d. Phobie; Major Depression
16.2 Angststörungen,
Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung
Angst gehört zu unserem Leben. Jeder von uns würde wohl Angst empfinden, wenn er vor einem großen Publikum sprechen müsste, von einem Felsvorsprung in die Tiefe schauen oder auf die Ergebnisse einer Abschlussprüfung warten würde. Angst kann sogar dazu führen, dass wir es nicht schaffen, Blickkontakt aufzunehmen, oder es vermeiden, jemanden anzusprechen. Das nennen wir dann „Schüchternheit“. Glücklicherweise ist dieses Unbehagen für die meisten von uns weder sehr intensiv, noch hält es lange an. Einige neigen jedoch stärker dazu, Angst vor dem Unbekannten zu empfinden und Situationen zu erinnern, die man als Bedrohung empfand (Gorka et al., 2017; Mitte, 2008). Wenn das Gefahrenerkennungssystem des Gehirns hyperaktiv wird, werden wir anfälliger für eine Angststörung und für zwei andere Störungen, die mit Angst einhergehen: Zwangsstörungen (OCD; . Abb. 16.11) und posttraumatische Belastungsstörungen (PTBS). 16.2.1 Angststörungen
?? 16.7 Wie unterscheiden sich generalisierte Angst-
störung, Panikstörung und Phobien?
Angststörungen sind gekennzeichnet durch quälende, überdauernde Angst oder unangemessene Verhaltenswei-
16.2 • Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung
..Abb. 16.11 Ein Zwang bezüglich Zwangsstörungen. (© Claudia Styrsky)
sen zum Abbau der Angst. Zum Beispiel entwickeln Menschen mit einer sozialen Angststörung extreme Ängste in gesellschaftlichen Situationen, in denen andere sie beurteilen könnten, wie beispielsweise auf Partys, bei Präsentationen in der Schule oder sogar beim Essen in der Öffentlichkeit. Um die ängstlichen Gedanken und Gefühle (einschließlich körperlicher Symptome wie Schwitzen und Zittern) zu unterdrücken, vermeiden sie es mitunter überhaupt etwas zu unternehmen. Obwohl dieses Verhalten ihre Angst reduziert, ist es fehlangepasst – es hilft ihnen nicht, mit ihrem Umfeld zurechtzukommen. Schauen wir uns einmal drei weitere Angststörungen an: Generalisierte Angststörung: Die Betroffenen sind aus unerklärlichen Gründen dauerhaft angespannt und fühlen sich unwohl. Panikstörung: Die Betroffenen erleben Panikattacken – plötzlich auftretende Episoden intensiver Angst – und sie fürchten den unberechenbaren Ausbruch der nächsten Episode. Phobien: Die Betroffenen fürchten sich intensiv und auf irrationale Weise vor spezifischen Objekten, Tätigkeiten oder Situationen.
-
Angststörungen („anxiety disorders“) – psychische Stö-
rungen, die gekennzeichnet sind durch eine quälende, überdauernde Angst oder unangemessene Verhaltensweisen, um die Angst zu reduzieren.
Generalisierte Angststörung Der 27-jährige Elektriker Tom klagte 2 Jahre lang über Schwindelgefühle, feuchte Hände und Herzklopfen. Er war nervös und stellte manchmal fest, dass er zittert. Diese Symptome konnte er ziemlich erfolgreich vor sei-
679
ner Familie und seinen Kolleg:innen verbergen. Dennoch hatte er wenig sozialen Kontakt, und gelegentlich musste er die Arbeit verlassen. Weder sein Hausarzt noch ein Neurologe konnten eine körperliche Ursache finden. Die auf nichts Bestimmtes gerichteten, unkontrollierbaren, negativen Gefühle von Tom lassen auf eine ge‑ neralisierte Angststörung schließen, welche die durch eine 6 Monate oder länger bestehende übertriebene nicht zu beherrschende Sorge gekennzeichnet ist. Die Betroffenen, zwei Drittel von ihnen Frauen, sind kontinuierlich besorgt, oft angespannt und nervös und leiden unter Schlaflosigkeit (McLean & Anderson, 2009). Ihr Blick fokussiert sich zunehmend auf potenzielle Bedrohungen (Pergamin-Hight et al., 2015). Die Konzentration ist gestört, weil die Aufmerksamkeit einer Befürchtung nach der anderen gilt. Die Anspannung und Sorge kann sich durch zusammengezogene Augenbrauen äußern, durch zuckende Augenlider, Zittern, Schwitzen oder nervöses Zappeln, das durch die Erregung des autonomen Nervensystems hervorgerufen wird. Die betroffene Person kann normalerweise den Auslöser der Angst nicht identifizieren und deshalb auch nicht bekämpfen oder vermeiden. Um Freuds Ausdruck zu verwenden, ist diese Angst „frei flottierend“ (ohne Bezug zu einem konkreten Stressor oder einer Bedrohung). Die generalisierte Angststörung geht oft mit einer depressiven Stimmung einher, doch selbst ohne eine Depression wirkt sie gewöhnlich lähmend (Hunt et al., 2004; Moffitt et al., 2007). Zudem kann sie zu körperlichen Problemen wie hohem Blutdruck führen. Generalisierte Angststörung („generalized anxiety disorder“) – Angststörung, bei der die Betroffenen kontinuier-
lich angespannt und besorgt sind und eine anhaltende Erregung des autonomen Nervensystems aufweisen. Mit der Zeit scheinen die Emotionen jedoch abzuklingen, und im Alter von 50 Jahren tritt die generalisierte Angststörung nur noch selten auf (Rubio & López-Ibor, 2007).
Panikstörung Viele Leute sind von einer intensiven Angst betroffen, die sich zu einer furchteinflößenden Panikattacke steigert – einer Episode von mehreren Minuten mit einer intensiven Angst davor, dass etwas Schreckliches passiert. Unregelmäßiger Herzschlag, Schmerzen in der Brust, Kurzatmigkeit, Erstickungsgefühle, Zittern oder Schwindel können Begleiterscheinungen der Panik sein (. Abb. 16.12). Panikstörung („panic disorder“) – Angststörung, die sich
durch unvorhersehbare Episoden intensiver Angst auszeichnet, die einige Minuten andauern und in denen die Betroffenen Todesangst erleben, verbunden mit Schmerzen im Brustkorb, dem Gefühl zu ersticken oder anderen furchterregenden Empfindungen. Nach einer solchen Attacke besteht oft die Angst vor einem erneuten Ausbruch.
16
680
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.12 Panik auf dem Golfplatz. Golfer Charlie Beljan erlebte auf einem wichtigen Turnier etwas, von dem er später erfuhr, dass es sich um Panikattacken handelte. Herzrasen und Kurzatmigkeit ließen ihn glauben, dass er einen Herzinfarkt hatte. Die Untersuchungen im Krankenhaus zeigten jedoch, dass seine Symptome keine körperliche Ursache hatten. Er erholte sich, gewann 846.000 Dollar und wurde zu einem Vorbild für andere. (© Julie Fletcher/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
16
Eine Frau erinnerte sich daran: „Mir wurde plötzlich heiß und es war, als würde ich keine Luft mehr bekommen. Mein Herz raste, ich fing an zu schwitzen und zu zittern und ich glaubte, dass ich jeden Moment in Ohnmacht fallen würde. Dann wurden meine Finger taub und kribbelten, und alles kam mir unwirklich vor. Es war so schlimm, dass ich dachte, ich sterbe, und ich habe meinen Mann gebeten, mich zur Notaufnahme zu bringen. Bis wir dort waren (etwa zehn Minuten), war das Schlimmste überstanden, und ich fühlte mich einfach nur noch erschöpft“ (Greist et al., 1986). Bei den 3 % der Menschen mit einer Panikstörung treten die Panikattacken immer wieder auf. Sie sind wie ein Tornado, tauchen plötzlich auf, hinterlassen ein Bild der Verwüstung und verschwinden. Aber vergessen kann man sie nicht. Ironischerweise können Sorgen und Gedanken über die Angst – z. B. Angst vor einer erneuten Panikattacke oder das Unbehagen, damit zusammenhängende Anzeichen in der Öffentlichkeit zu zeigen – Angstsymptome fördern (Olatunji & Wolitzky-Taylor, 2009). Nach mehreren Panikattacken fangen Betroffene eventuell an, Situationen zu vermeiden, in denen die Panikattacke zuvor stattgefunden hat. Wenn die Furcht intensiv genug geworden ist, kann sie zur Agoraphobie werden, der Angst vor oder das Vermeiden von Situationen, aus denen ein Entkommen schwierig. Menschen mit dieser Angst vermeiden es möglicherweise, ihr Haus zu verlassen, sich in eine Menschenmenge zu begeben oder einen Fahrstuhl zu benutzen. Raucher:innen haben mindestens ein doppelt so hohes Risiko, eine Panikstörung zu bekommen (Knuts et al., 2010; Zvolensky & Bernstein, 2005). Da Nikotin ein Stimulans ist, führt das Anstecken einer Zigarette nicht zu einer Entspannung.
Charles Darwin begann im Alter von 28 Jahren, unter einer Panikstörung zu leiden, nachdem er 5 Jahre lang die Welt umsegelt hatte. Er zog aufs Land, vermied gesellschaftliche Veranstaltungen und verreiste nur noch in Begleitung seiner Frau. Doch gerade diese relative Abgeschiedenheit machte es ihm möglich, seine Evolutionstheorie zu entwickeln. „Auch meine gesundheitlichen Probleme“, äußerte er, „haben mich vor gesellschaftlichen Zerstreuungen und Vergnügungen bewahrt“ (zitiert in Ma, 1997).
Phobien Wir leben alle mit irgendwelchen Ängsten. Aber Menschen mit Phobien sind erfüllt von einer ständigen irrationalen Angst, die sie dazu bringt, bestimmte Objekte, Aktivitäten oder Situationen zu vermeiden. Spezifische Phobien beziehen sich auf bestimmte Tiere, Insekten, Höhen, Blut oder geschlossene Räume (. Abb. 16.13). Diese Menschen vermeiden den Auslöser (z. B. Höhen), der ihre Angst hervorruft, und es gelingt ihnen, mit ihrer Phobie zu leben. Doch einige Menschen sind durch ihre Anstrengungen, die gefürchtete Situation zu vermeiden, eingeschränkt. Die 28-jährige Marilyn war ansonsten glücklich und gesund, aber sie fürchtete sich so sehr vor Gewittern, dass sie schon Angst empfand, sobald in einer Wettervorhersage mögliche Unwetter erwähnt wurden, die im Laufe der Woche auftreten könnten. Wenn ihr Mann nicht da war und ein Gewitter vorhergesagt wurde, ging sie oft zu einer anderen nahestehenden Person. Während eines Gewitters hielt sie sich von den Fenstern fern und vergrub ihren Kopf unter einem Kissen, um die Blitze nicht sehen zu müssen.
..Abb. 16.13 Einige häufig vorkommende spezifische Ängste. Forschende befragten holländische Testpersonen, um herauszufinden, welche Situationen oder Objekte am häufigsten Ängste hervorriefen. Eine starke Angst wird dann zu einer Phobie, wenn sie mit dem zwingenden, aber irrationalen Bedürfnis einhergeht, das angstbesetzte Objekt bzw. die bedrohliche Situation zu meiden. (Daten aus Depla et al., 2008)
16
681
16.2 • Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung
25%
Prozentsatz der befragten Personen
20 15 10 5 0
Alleinsein
Angst
Phobie („phobia“) – Angststörung, gekennzeichnet durch anhaltende irrationale Angst und Vermeidung eines spezifischen Objekts, einer bestimmten Aktivität oder Situation.
Fliegen
Stürme
Wasser
Blut
Geschlossene Räume
Tiere
Höhe
Phobie
Zwangsstörung („obsessive-compulsive disorder“, OCD)
– Eine Störung, die charakterisiert ist durch sich aufdrängende, wiederholte Zwangsgedanken, Zwangshandlungen oder beides.
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Unfokussierte Aufmerksamkeit, Besorgnis und Erregung sind Symptome einer ___ Störung. – Diejenigen, die unvorhersehbare Perioden von Schrecken und intensiver Furcht erleben, die begleitet sind von furchterregenden körperlichen Empfindungen, haben eventuell eine ___ Störung. – Wenn eine Person Angst bezüglich eines spezifischen gefürchteten Objekts oder einer Situation zeigt, hat sie ggf. eine ___.
16.2.2
Zwangsstörung (OCD)
?? 16.8 Was ist OCD?
So wie Angststörungen können wir auch in der Zwangs‑ störung Aspekte unseres eigenen Verhaltens wiedererkennen. Zwangsgedanken („obsessions“) sind ungewollt und kehren immer wieder, sodass sie scheinbar nie verschwinden. Zwangshandlungen („compulsions“) sind Reaktionen auf diese Gedanken. Wir werden alle zeitweise von aufdringlichen Gedanken heimgesucht und verhalten uns vielleicht zuweilen zwanghaft. Haben Sie sich schon einmal etwas unsicher gefühlt, wie Ihre Einrichtung auf andere wirken könnte und deshalb vor der Ankunft der Gäste noch einen letzten prüfenden Blick auf die Wohnung geworfen und hier und da etwas aufgeräumt? Oder vielleicht haben Sie sich Sorgen wegen einer bevorstehenden Prüfung gemacht und sich dabei ertappt, wie Sie Ihre Bücher und Unterlagen „nur so“ in einer Reihe angeordnet haben, bevor Sie anfingen zu arbeiten? Wir streben im Leben alle zuweilen nach Kontrolle und zeigen dabei pedantisches Verhalten.
Diese Verhaltensweisen überschreiten dann die subtile Grenze zwischen Normalität und Störung, wenn sie sich so ausweiten, dass sie uns im täglichen Leben anhaltend beeinträchtigen und beim Betreffenden zu Leidensdruck führen. Zu überprüfen, ob die Tür wirklich abgeschlossen ist, ist normal; es 10-mal zu tun, ist nicht mehr normal. Unsere Hände zu waschen, ist normal; sie so oft zu waschen, dass die Haut wund wird, ist es nicht (weitere Beispiele in . Tab. 16.3). In bestimmten Lebensphasen, oft zwischen 17 und 20 Jahren oder kurz vor dem 30. Lebensjahr, überschreiten 2–3 % der Menschen diese Grenze von normaler Geschäftigkeit und Pedanterie hin zu einer einschränkenden Krankheit (Kessler et al., 2012). Obwohl die betroffene Person weiß, dass ihre von Angst getriebenen zwanghaften Gedanken irrational sind, werden diese so quälend und die Zwangsrituale zu solch einer sinnlosen Zeitvergeudung, dass effektive Funktionsfähigkeit unmöglich wird (. Abb. 16.14; 16.15). Jugendliche und junge Erwachsene leiden öfter unter Zwangsstörungen als alte Menschen (Samuels & Nestadt, 1997). Eine Follow-up-Studie in Schweden ergab, dass bei den meisten von 144 Betroffenen, denen die Diagnose „Zwangsstörung“ gestellt wurde, die zwanghaften Gedanken und Verhaltensweisen in den folgenden 40 Jahren kontinuierlich weniger geworden waren, auch wenn nur eine:r von fünf Teilnehmer:innen vollkommen symptomfrei war (Skoog & Skoog, 1999). Weitere zwanghafte Verhaltensstörungen sind z. B. das Messie-Syndrom (pathologisches Horten von Besitztümern, von denen die Betroffenen sich nicht mehr trennen können), die körperdysmorphe Störung (Beschäftigung mit vermeintlichen Mängeln im Aussehen), oder – mit diesen neuen Begriffen können Sie Ihre Freunde beeindrucken – Trichotillomanie (pathologisches Haareausreißen) oder Exkoriationsstörung (exzessives Hautzupfen).
682
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Tab. 16.3 Häufig vorkommende zwanghafte Gedanken und Verhaltensweisen bei Kindern und Jugendlichen mit Zwangsstörung. (Adaptiert nach Rapoport, 1989) Gedanke oder Verhalten
SymptomNennungen in %
Zwangsgedanken (wiederkehrend): Bezüglich Schmutz, Bakterien oder Giftstoffen
40
Dass etwas Schlimmes passieren wird (Feuer, Tod, Krankheit)
24
Bezüglich Symmetrie, Ordnung oder Genauigkeit
17
Zwangshandlungen (wiederkehrend): Exzessives Händewaschen, Baden, Zähneputzen oder sich pflegen
85
Wiederholen von Ritualen (durch eine Tür gehen, sich auf einen Stuhl setzen/von einem Stuhl aufstehen)
51
Kontrolle von abgeschlossenen Türen, Schlössern, Geräten, Autobremsen, Hausarbeit
46
16.2.3 Posttraumatische
Belastungsstörung
?? 16.9 Was ist PTBS?
Als Soldat im Irak sah Jesse „den Mord an Kindern und Frauen. Diese Erfahrungen waren schrecklich für jeden“. Wieder zu Hause litt er unter „wirklich schlimmen Flashbacks“ (Welch, 2005; . Abb. 16.16).
16 ..Abb. 16.15 Erfolg trotz Zwangsstörung. Popstar Justin Timberlake hat offen über seine Zwangsstörung gesprochen. Er sagt, die Unterstützung seiner Familie und sein Sinn für Humor hätten ihm geholfen, die Herausforderungen zu meistern. (© Amy Harris/AP Photo/ picture alliance)
..Abb. 16.14 „… und das hier ist zurzeit noch mein Therapieraum. Sobald ich es geschafft habe, ihn zu reinigen, wollen wir daraus ein Gästezimmer zu machen.“ (© Claudia Styrsky)
Jesse ist nicht der einzige. In einer Studie mit 103.788 Veteran:innen, die aus dem Irak oder aus Afghanistan zurückgekehrt waren, wurde bei jedem vierten eine psychische Störung diagnostiziert (Seal et al., 2007), Manche litten an einem Schädel-Hirn-Trauma, aber am häufigsten war es die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS). Viele Überlebende von Unfällen und Katastrophen sowie Opfer körperlicher und sexueller Gewalttaten (dazu gehören schätzungsweise zwei Drittel der Prostituierten) haben mit Symptomen der posttraumatischen Belastungsstörung Erfahrung gemacht (Brewin et al., 1999; Guo et al., 2017; Farley et al., 1998). Typische Symptome sind wiederkehrende quälende Erinnerungen und Albträume, hoch konzentrierte Aufmerksamkeit in Hinsicht auf mögliche Bedrohungen, sozialer Rückzug, nervöse Angst und Schlafprobleme (Germain, 2013; Hoge et al., 2007; Yuval et al., 2017).
16.2 • Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung
683
..Abb. 16.16 Den Krieg nach Hause bringen. Bei Hunderttausenden von Kriegsheimkehrenden aus Irak und Afghanistan wurde eine posttraumatische Belastungsstörung oder ein Schädel-Hirn-Trauma diagnostiziert (Veterans Administration, 2017). Gemeinnützige Organisationen wie Got Your Six Support Dogs stellen Veteran:innen, die an einer posttraumatischen Belastungsstörung leiden, speziell aus-
gebildete Begleithunde kostenlos zur Verfügung. Nach einer Woche des gegenseitigen Kennenlernens wird Jacob Burns, der hier im Bild eine Panikattacke simuliert, mit seinem neuen Begleiter Jersey nach Hause zurückkehren, um die mit PTBS verbundenen Probleme zu bekämpfen. (© Jeff Roberson/AP Photo/picture alliance)
Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS; „posttraumatic stress disorder“, PTSD) – Eine Störung, die charak-
Anschlags am 11. September 2001 war die PTBS-Rate unter den Überlebenden, die sich im World Trade Center befanden, doppelt so hoch wie bei jenen, die sich außerhalb aufhielten (Bonanno et al., 2006). Was kann die Entwicklung einer PTBS noch beeinflussen? Bei manchen Menschen ist wahrscheinlich das limbische System, das für die Verarbeitung von Emotionen zuständig ist, sensibler, und es überflutet ihren Körper mit Stresshormonen (Kosslyn, 2005; Ozer & Weiss, 2004). Auch Gene und Geschlecht spielen eine Rolle. Eineiige Zwillinge haben im Gegensatz zu anderen Geschwistern häufiger dieselben kognitiven Risikofaktoren für Traumafolgestörungen (Gilbertson et al., 2006). Und die Wahrscheinlichkeit, nach einem traumatischen Ereignis eine PTBS zu erleiden, ist bei Frauen etwa doppelt so hoch wie bei Männern (Olff et al., 2007; Ozer & Weiss, 2004). Manche Psycholog:innen glauben jedoch, dass die Diagnose posttraumatische Belastungsstörung zu häufig gestellt wird (Dobbs, 2009; McNally, 2003). Zu oft, sagen kritische Stimmen, wird die Diagnose PTBS so ausgeweitet, dass es auch normale stressbedingte unangenehme Erinnerungen und Träume miteinschließt. Und manche gut gemeinten Methoden, wie z. B. ein sog. „Debriefing“, wenn man Überlebende direkt nach einem Trauma befragt und sie veranlasst, ihre Erfahrungen noch einmal zu durchleben und Emotionen herauszulassen, könnten normale Stressreaktionen verschlimmern (Bonanno et al., 2010; Wakefield & Spitzer, 2002). Andere Forschungsergebnisse zeigen, dass durch die Medienberichterstattung ein Trauma noch einmal
terisiert ist durch quälende Erinnerungen, Albträume, Hypervigilanz, sozialen Rückzug, nervöse Angst, emotionale Abstumpfung und/oder eine nach einer traumatischen Erfahrung 4 Wochen oder länger anhaltende Schlaflosigkeit. Etwa die Hälfte der Erwachsenen macht mindestens einmal in ihrem Leben Erfahrung mit einem traumatischen Ereignis. Und viele Menschen werden Resilienz zeigen, d. h. eine eindrucksvolle Widerstandsfähigkeit, sich nach schwerem Stress wieder zu erholen (Bonanno, 2004, 2005; Infurna & Luthar, 2016b). Obwohl Friedrich Nietzsches (1889) These, „was mich nicht umbringt, macht mich stärker“ nicht für alle zutrifft, so kann es doch bei einigen zu posttraumatischem Wachstum führen (7 Kap. 17). Warum entwickeln 5–10 % der Menschen nach einem traumatischen Ereignis eine PTBS, andere jedoch nicht (Bonanno et al., 2011)? Ein Faktor scheint das Ausmaß des emotionalen Stresses zu sein, der durch das Trauma verursacht wird: Je größer das Leid, wie z. B. das Ausmaß der körperlichen Folter, die Kriegsgefangene erleiden mussten, umso höher ist das Risiko, posttraumatische Symptome zu entwickeln (King et al., 2015; Ozer et al., 2003). Unter den amerikanischen Militärangehörigen in Afghanistan entwickelten 7,6 % der Frontkämpfer:innen eine PTBS, gegenüber 1,4 % des Personals, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt waren (McNally, 2012). Unter den Überlebenden des
16
684
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
durchlebt wird (wie die Terroranschläge vom 11. September oder der Anschlag auf den Boston-Marathon) und dadurch die Stressreaktion bestehen bleibt (Holman et al., 2014). Menschen, bei denen eine posttraumatische Belastungsstörung diagnostiziert wurde, können jedoch von anderen Therapien profitieren. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wer Angst durch ungewollte wiederholende Gedanken oder Handlungen äußert, hat wahrscheinlich eine ___ Störung. – Angst, die durch wiederkehrende Erinnerungen und Alpträume, sozialen Rückzug, nervöse Angst, emotionale Abstumpfung und/oder wochenlange Schlafstörungen nach einem traumatischen Ereignis gekennzeichnet ist, kann als ___ Störung diagnostiziert werden.
16.2.4 Erklärungsansätze ?? 16.10 Inwiefern tragen Konditionierung, Kognition
und Biologie zu den Empfindungen und Gedanken bei, die Angststörungen, Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen prägen?
16
Angst ist sowohl ein Gefühl als auch eine Kognition – eine von Zweifeln geprägte Einschätzung unserer Sicherheit oder sozialen Kompetenz. Wie entstehen diese angstvollen Gefühle und Kognitionen? In Sigmund Freuds psychoanalytischem Ansatz wird angenommen, dass Menschen bereits in ihrer Kindheit beginnen, unerträgliche Triebregungen, Gedanken und Gefühle zu unterbinden. Freud glaubte, dass diese unterdrückte psychische Energie manchmal seltsame Symptome wie exzessives Händewaschen hervorbringt. Die wenigsten Psycholog:innen unserer Zeit teilen Freuds Interpretation der Angst. Die meisten glauben, dass drei moderne Erklärungsansätze – Konditionierung, Kognition und Biologie – sinnvoller sind.
Konditionierung Durch klassische Konditionierung können unsere Angstreaktionen mit ursprünglich neutralen Objekten und Ereignissen verknüpft werden. In einem klassischen Experiment lernte ein Kleinkind, „der kleine Albert“, Angst vor einem Tierfell zu entwickeln, nachdem Forschende dieses mit lauten Geräuschen in Verbindung gebracht hatten. In anderen Versuchen schufen Forschende ängstliche Tiere, indem sie Ratten unvorhersehbaren Stromstößen aussetzte (Schwartz, 1984). Wie das Opfer einer Gewalttat, das bei Rückkehr zum Tatort Angst empfindet, so hatten auch die Ratten gelernt, sich in ihrem Laborkäfig unbehaglich zu fühlen. Der Käfig war für sie ein Hinweisreiz geworden.
Derartige Untersuchungen tragen zur Erklärung beitragen, warum ängstliche oder traumatisierte Menschen lernen, ihre Angst mit bestimmten Hinweisreizen in Verbindung bringen (Bar-Haim et al., 2007; Duits et al., 2015). In einer Umfrage gaben 58 % der Menschen, die unter einer sozialen Phobie litten, an, dass sie die Störung erstmals nach einem traumatischen Erlebnis feststellten (Ost & Hugdahl, 1981). Angst oder eine Angststörung entwickelt sich eher, wenn unangenehme Ereignisse unvorhersehbar und unkontrollierbar auftreten (Field, 2006; Mineka & Oehlberg, 2008). Schon ein einziges schmerzhaftes und beängstigendes Ereignis kann eine ausgewachsene Phobie auslösen, indem zwei Konditionierungsprozesse ablaufen: die Reizgeneralisierung durch klassische Konditionierung und die Verstärkung durch operante Konditionierung. Reizgeneralisierung tritt auf, wenn eine Person ein furchterregendes Ereignis erlebt und später eine Angst vor ähnlichen Ereignissen entwickelt. So wurde mein [DMs] Auto einmal von einem Fahrer angefahren, der ein Stoppschild übersehen hatte. Noch Monate später empfand ich ein leichtes Unbehagen, wenn sich irgendein Auto aus einer Seitenstraße näherte. Ich [ND] schaute gerade einen Horrorfilm über Spinnen, Arachnophobia, als ein schweres Gewitter aufzog und der Strom im Kino ausfiel. Noch Monate später hatte ich Angst beim Anblick von Spinnen oder Spinnweben. Diese Ängste verschwinden normalerweise früher oder später, doch manchmal bleiben sie bestehen und wachsen. Die Phobie Marilyns vor Gewittern wurde möglicherweise auf ähnliche Art konditioniert, als sie während eines Gewitters eine beängstigende oder schmerzvolle Erfahrung machte. Verstärkung hilft, erlernte Ängste und Befürchtungen aufrechtzuerhalten. Alles, was uns ermöglicht, eine angstbesetzte Situation zu vermeiden oder aus ihr zu fliehen, kann fehlangepasste Verhaltensweisen verstärken. Aus Angst vor einer Panikattacke, beschließen wir vielleicht, das Haus nicht zu verlassen Dann werden wir dadurch bestärkt, dass sich unsere Angst vermindert, und wir werden dieses Verhalten zukünftig vermutlich wiederholen (Antony et al., 1992). Das gleiche gilt für zwanghaftes Verhalten. Wenn durch Händewaschen unser Unbehagen abnimmt, werden wir es möglicherweise erneut tun, wenn die unangenehmen Gefühle zurückkehren.
Denkprozesse Konditionierung beeinflusst unsere Angstgefühle, aber auch die Kognition – unsere Gedanken, Erinnerungen, Interpretationen und Erwartungen – wirkt auf sie ein. Indem wir andere beobachten, lernen wir zu fürchten, wovor sie sich fürchten. Fast alle Affen, die in der Wildnis aufgewachsen sind, fürchten Schlangen, Affen, die im Labor aufgezogen worden sind, jedoch nicht. Sicherlich werden nicht alle wild lebenden Affen von einer Schlange gebissen. Lernen sie ihre Angst durch Beobachtung? Um dies herauszufinden, untersuchte Susan Mineka (1985,
16.2 • Angststörungen, Zwangsstörung und Posttraumatische Belastungsstörung
2002) sechs Affen, die in der Wildnis aufgewachsen sind (alle hatten große Angst vor Schlangen), und deren im Labor aufgewachsenen Nachwuchs (diese fürchteten keine Schlangen). Nachdem die jüngeren Affen mehrfach beobachtet hatten, dass ihre Eltern oder ihre Artgenoss:innen während der Anwesenheit von Schlangen nicht versuchten an Essen zu kommen, entwickelten sie eine ähnlich starke Angst vor Schlangen. Als die Tiere 3 Monate später nochmals getestet wurden, bestand diese Angst immer noch. Auch wir Menschen erlernen viele unserer Ängste durch die Beobachtung anderer (Helsen et al., 2011; Olsson et al., 2007). Unsere früheren Erfahrungen prägen unsere Erwartungen und beeinflussen unsere Interpretationen und Reaktionen. Ob wir das knackende Geräusch einfach als Wind oder messerschwingenden potenziellen Angreifer interpretieren, entscheidet darüber, ob wir in Panik ausbrechen. Menschen mit einer Angststörung tendieren dazu hypervigilant zu sein. Sie schenken bedrohlichen Reizen eine erhöhte Beachtung. Ein klopfendes Herz weist auf einen Herzinfarkt hin, eine einzelne Spinne am Bett ist ein Anzeichen für drohenden Verseuchung, eine alltägliche Auseinandersetzung mit einem Freund oder der Chefin stellt ein mögliches Todesurteil für die gesamte Beziehung dar. Und sie erinnern sich häufiger an bedrohliche Ereignisse (Van Bockstaele et al., 2014). Angst ist besonders verbreitet, wenn Menschen die aufdringlichen Gedanken nicht abstellen können und Kontrollverlust und Hilflosigkeit wahrnehmen (Franklin & Foa, 2011).
Biologie Für Angststörungen, Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen gibt es jedoch weitaus mehr Ursachen als nur die einfache Konditionierung und Denkprozesse. Warum entwickeln manche von uns anhaltende Phobien oder eine PTBS nach traumatischen Erlebnissen, andere jedoch nicht? Warum erwerben wir manche Ängste leichter als andere? Die Antworten liegen zum Teil in unserer Biologie (. Abb. 16.17). zz Gene
Bei Affen ist Furchtsamkeit eine Familieneigenschaft. Ein Affe reagiert stärker auf Stress, wenn seine nahen Verwandten zu Ängstlichkeit neigen (Suomi, 1986). Das gleiche gilt für Menschen. Wenn ein eineiiger Zwilling eine Angststörung hat, ist der andere auch gefährdet (Polderman et al., 2015). Eineiige Zwillinge entwickeln oft ähnliche Phobien, sogar wenn sie getrennt aufwachsen (Carey, 1990; Eckert et al., 1981). Zwei 35-jährige eineiige Zwillinge entwickelten unabhängig voneinander eine derartig große Angst vor Wasser, dass jede nur rückwärts und nur bis zu den Knien ins Meer watete. Forschende suchen die Schuldigen, seit die genetische Komponente bei Angststörungen bekannt ist. Ein Forschungsteam hat 17 Genvariationen identifiziert, die mit typischen Angststörungssymptomen assoziiert sind (Ho-
685
..Abb. 16.17 Angstfrei. Die biologische Perspektive hilft uns, zu verstehen, warum die meisten Menschen mehr Angst vor Höhen haben als Alex Honnold, der 2017 als erster Mensch im Free-Solo-Klettern (ohne Sicherungsseile) die Granitwand El Capitan im Yosemite National Park erklommen hat. (© Jimmy Chin/AP Photo/picture alliance)
vatta et al., 2005). Andere Teams haben Gene gefunden, die besonders mit Zwangsstörungen zusammenhängen (Mattheisen et al., 2015; Taylor, 2013). Manche Gene beeinflussen Störungen, indem sie die Neurotransmitterspiegel regulieren. Dies betrifft auch Serotonin, das Schlaf, Stimmung und den Umgang mit Gefahren beeinflusst (Canli, 2008; Pergamin-Hight et al., 2012) und Glutamat, das die Aktivität der Alarmsysteme des Gehirns erhöht (Lafleur et al., 2006; Welch et al., 2007). Gene spielen also eine Rolle. Manche Menschen haben Gene, die sie zu Orchideen machen – verletzlich, aber unter günstigen Bedingungen zu Schönheit fähig. Andere sind wie Butterblumen – abgehärtet und fähig, unter verschiedenen Umständen zu gedeihen (Ellis & Boyce, 2008). Aber Erfahrung beeinflusst die Genexpression. Bei Menschen mit posttraumatischer Belastungsstörung hinterlässt eine Missbrauchsgeschichte dauerhafte epigenetische Spuren, die oft organische Moleküle sind. Diese molekularen Markierungen heften sich an unsere Chromosomen und schalten bestimmte Gene ein oder aus. Daher können Erlebnisse wie beispielsweise Missbrauch die Wahrscheinlichkeit erhöhen, dass eine genetische Vulnerabilität für eine Störung zum Ausdruck kommt (Mehta et al., 2013; Zannas et al., 2015). Menschen, die Suizid begehen, zeigen einen ähnlichen epigenetischen Effekt auf (Lockwood et al., 2015; McGowan et al., 2009). zz Gehirn
Unsere Erfahrungen verändern unser Gehirn, indem sie neue Leitungsbahnen schaffen. Traumatische Erfahrungen, die zum Erlernen von Angst führen, können Spuren im Gehirn hinterlassen, wodurch Angstkreisläufe in der Amygdala geschaffen werden (Etkin & Wager, 2007;
16
686
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
2008). Auch wenn die Erfahrung nicht vergessen wird, wird die verbundene Emotion größtenteils gelöscht. zz Natürliche Selektion
Anteriorer cingulärer Kortex
..Abb. 16.18 Gehirn eines Menschen mit Zwangsstörung. Bei Testpersonen, die eine schwierige kognitive Aufgabe lösen mussten, zeigten diejenigen mit einer Zwangsstörung eine erhöhte Aktivität im anterioren Cingulum des Kortex im Frontallappen (Maltby et al., 2005)
16
Herringa et al., 2013; Kolassa & Elbert, 2007). Diese Leitungspfade für die Angst schaffen leichte Zugänge für weitere Angsterfahrungen (Armony et al., 1998). Generalisierte Angststörung, Panikattacken, Phobien, Zwangsstörungen und PTBS manifestieren sich biologisch als Übererregung der Hirnregionen, die an der Impulskontrolle und der Steuerung gewohnheitsmäßigen Verhaltens beteiligt sind. Diese Störungen sind Ausdruck dafür, dass ein Gefahrenerkennungssystems im Gehirn überaktiv geworden ist – es löst Angst aus, obwohl keine Gefahr besteht. Wenn das Gehirn zum Beispiel bei einer Zwangsstörung entdeckt, dass etwas verkehrt läuft, erzeugt es so etwas wie einen „mentalen Schluckauf“, indem sich Gedanken („obsessions“) oder Handlungen („compulsions“) wiederholen (Gehring et al., 2000). Schichtaufnahmen des Gehirns zeigen bei Menschen mit PTBS eine überdurchschnittlich hohe Aktivität in der Amygdala, wenn sie traumatische Bilder sehen (Etkin & Wager, 2007). Bei Menschen mit Zwangsstörungen zeigen diese Scans eine erhöhte Aktivität in bestimmten Hirnregionen, wenn sie Handlungen ausführen wie zwanghaftes Händewaschen, Kontrollieren, Sortieren oder Horten von Gegenständen (Insel, 2010; Mataix-Cols et al., 2004, 2005). Das anteriore Cingulum im Kortex, eine Hirnregion, die unsere Handlungen überwacht und auf Fehler überprüft, scheint mit großer Wahrscheinlichkeit bei Personen mit einer Zwangsstörung hyperaktiv zu sein (Maltby et al., 2005; . Abb. 16.18). Einige Antidepressiva dämpfen diesen Kreislauf der Angst und das damit einhergehende zwanghafte Verhalten. Angst kann auch durch die Gabe von Substanzen gemildert werden, sodass traumatische Erinnerungen wieder aufgerufen und dann neu abgespeichert werden („Rekonsolidierung“; Kindt et al., 2009; Norberg et al.,
Wir Menschen sind anscheinend biologisch darauf vorbereitet, Bedrohungen zu fürchten, denen unsere Vorfahren ausgesetzt waren. Die meisten unserer Phobien gelten spezifischen Objekten wie Spinnen, Schlangen und anderen Tieren, ebenso auch geschlossenen Räumen und Höhen, Unwetter und Dunkelheit. Wer solchen gelegentlichen Bedrohungen furchtlos gegenüberstand, hatte eine geringere Überlebenswahrscheinlichkeit und weniger Chancen, Nachkommen zu hinterlassen. Selbst in Großbritannien fürchten sich Menschen oft vor Schlangen, obwohl es dort nur eine giftige Schlangenart gibt. Neun Monate alte Säuglinge reagieren mehr auf Geräusche, die alte Bedrohungen repräsentieren (Zischen, Donnern) als auf Geräusche, die auf moderne Gefahren hindeuten (eine explodierende Bombe, zerbrechendes Glas; Erlich et al., 2013). Es ist leicht, Angst vor solchen „evolutionär relevanten“ Reizen zu konditionieren, und schwer, sie zu löschen (Coelho & Purkis, 2009; Davey, 1995; Öhman, 2009). Für viele unserer heutigen Ängste kann es auch eine evolutionsbiologische Erklärung geben. Flugangst könnte in unserer biologischen Vergangenheit verwurzelt sein, die uns dazu prädisponiert, enge Räume und Höhen zu fürchten. Vergleichen Sie einmal unsere leicht zu erlernenden Ängste mit denen, die wir nicht so leicht lernen. Die Luftangriffe im Zweiten Weltkrieg riefen bemerkenswert wenige dauerhafte Phobien hervor. Bei fortwährenden Luftangriffen verfielen die Brit:innen, Japaner:innen und Deutschen nicht in immer größere Panik. Sie wurden eher zunehmend gleichgültiger gegenüber Flugzeugen, die außerhalb ihrer unmittelbaren Umgebung flogen (Mineka & Zinbarg, 1996). Die Evolution hat uns nicht darauf vorbereitet, Bomben, die vom Himmel fallen, zu fürchten. So wie sich unsere Phobien auf Gefahren beziehen, denen unsere Vorfahr:innen ausgesetzt waren, sind unsere Zwänge typischerweise Übertreibungen von Verhaltensweisen, die zum Überleben unserer Spezies beigetragen haben. Körperpflege war überlebenswichtig. Wenn sie außer Kontrolle gerät, wird sie zum zwanghaften Haareausreißen. Sich waschen wird zum rituellen Händewaschen. Die Kontrolle der territorialen Grenzen wird zu einem ständigen Überprüfen bereits abgeschlossener Türen (Rapoport, 1989). Die natürliche Selektion hat unser Verhalten geprägt, wenn diese Verhaltensweisen jedoch auf die Spitze getrieben werden, können sie das tägliche Leben beeinträchtigen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Forschende glauben, dass Konditionierung und kognitive Prozesse Aspekte des Lernens sind, die zu angstbezogenen Störungen beitragen. Welche biologischen Faktoren tragen zu diesen Störungen bei?
687
16.3 • Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
16.2.5
Rückblick: Angststörungen, Zwangsstörung und Post traumatische Belastungsstörung
Verständnisfragen
16.7 – Wie unterscheiden sich generalisierte Angststö-
rung, Panikstörung und Phobien? 16.8 – Was ist OCD? 16.9 – Was ist PTBS? 16.10 – Inwiefern tragen Konditionierung, Kognition und Biologie zu den Empfindungen und Gedanken bei, die Angststörungen, Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörungen prägen?
----
Schlüsselbegriffe Angststörungen Generalisierte Angststörung Panikstörung Phobie Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) Zwangsstörung (OCD)
Master the Material 1. Angst, die sich in Form einer irrationalen und fehlangepassten Angst vor einem bestimmten Gegenstand, einer Tätigkeit oder einer Situation äußert, wird als ___ bezeichnet. 2. Eine Episode intensiver Furcht, die mit Schmerzen in der Brust, Erstickungsgefühlen oder anderen beängstigenden Empfindungen einhergehen kann, wird bezeichnet als … a. Zwangsgedanke. b. Zwangshandlung. c. Panikattacke. d. spezifische Phobie. 3. Marina wurde von dem Bedürfnis besessen, das ganze Haus zu reinigen und weigerte sich, an anderen Unternehmungen teilzunehmen. Ihre Familie suchte einen Therapeuten auf, der bei ihr eine ___störung diagnostizierte. 4. Wenn eine Person mit einer Angststörung ihre Ängste bekämpft, indem sie eine angstauslösende Situation vermeidet oder ihr entflieht, nennt man dies … a. frei flottierende Angst. b. Verstärkung. c. eine epigenetische Markierung. d. Hypervigilanz. 5. Die Lernperspektive betrachtet Phobien als … a. das Ergebnis der individuellen genetischen Anlage. b. eine Vorgehensweise, inakzeptable Impulse zu unterdrücken. c. konditionierte Ängste. d. ein Symptom dafür, als Kind missbraucht worden zu sein.
16.3 Depressive
Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
?? 16.11 Wie unterscheiden sich Major Depression, per-
sistierende depressive Störung und bipolare Störung?
Haben Sie sich im vergangenen Jahr manchmal „so deprimiert gefühlt, dass es schwer war, den Alltag zu bewältigen“? Wenn ja, dann waren Sie nicht allein. In einer nationalen Befragung antworteten 31 % der amerikanischen Studierenden mit Ja (ACHA, 2009). Möglicherweise fühlen Sie sich zutiefst entmutigt, wenn Sie an Ihre Zukunft denken, sind unzufrieden mit Ihrem Leben, oder Sie fühlen sich isoliert. Vielleicht fehlt Ihnen die Energie, um Ihre Angelegenheiten zu erledigen, oder Sie müssen sich sogar aus dem Bett quälen; Sie sind unfähig, sich zu konzentrieren, zu essen oder normal zu schlafen; Sie fragen sich vielleicht sogar, ob es nicht besser wäre, tot zu sein. Vielleicht flog Ihnen der Erfolg in der Schule einfach zu und nun gefährden enttäuschende Noten Ihre Ziele. Möglicherweise hat sozialer Stress wie z. B. das Gefühl, nicht dazuzugehören, oder das Ende einer Beziehung Sie in Verzweiflung gestürzt. Und eventuell hat manchmal Ihr Grübeln Ihre innere Zerrissenheit noch verschlimmert. Doch Sie sind weniger allein mit solchen negativen Gefühlen als Sie denken (Jordan et al., 2011). Die meisten von uns haben direkte oder indirekte Erfahrung mit Depression. Trübsal hat mehr Gesellschaft, als die meistens annehmen. Freude, Zufriedenheit, Traurigkeit und Verzweiflung befinden sich an einzelnen Punkten auf einem Kontinuum, Punkte, an denen sich jeder von uns irgendwann befindet. Wenn man sich als Reaktion auf ein tiefgreifendes, trauriges Ereignis schlecht fühlt, bedeutet das, mit der Realität im Kontakt zu sein. In solchen Zeiten ist Traurigkeit wie die Tankanzeige im Auto – ein Warnsignal, das uns darauf hinweist, anzuhalten und Schutzmaßnahmen zu ergreifen. Biologisch gesprochen ist der Sinn des Lebens nicht Frohsinn, sondern das Überleben und die Fortpflanzung. So gesehen schützen Husten, Erbrechen, Schwellungen und diverse Formen von Schmerz den Körper vor gefährlichen Giften und Reizen. Bei diesem Vergleich ähnelt die Depression einer Art psychischem Winterschlaf: Sie verlangsamt unsere Körperfunktionen und bringt uns dazu, Energie zu sparen, wenn unsere Beziehung zerbricht oder etwas uns blockiert (Beck & Bredemeier, 2016; Gershon et al., 2016). Leiden hat also einen Sinn. Wenn wir vorübergehend ins Grübeln kommen und unser Leben neu bewerten, so wie es depressive Menschen tun, können wir unsere Energie in Bahnen lenken, die erfolgversprechender sind (Watkins, 2008). Eine moderate Traurigkeit hilft Menschen sogar, Informationen zu verarbeiten und sich genauer an Gesichter zu erinnern (Hills et al., 2011). Sie schenken Details oft eine höhere Beachtung, sind kritischer (we-
16
688
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
niger leichtgläubig), und treffen bessere Entscheidungen (Forgas, 2009, 2013).
» „Plötzlich war mein Leben zum Stillstand gekommen.
Ich konnte atmen, essen, trinken und schlafen. Tatsächlich konnte ich gar nicht anders, als diese Dinge zu tun, aber es war kein echtes Leben in mir.“ Leo Tolstoi, Aufzeichnungen eines Wahnsinnigen (1887)
Aber manchmal entgleist diese Reaktion, sie wird zu einer ernsten Fehlanpassung und löst eine Störung aus. Der Unterschied zwischen der Niedergeschlagenheit nach einer schlechten Nachricht und einer depressiven Störung ist wie der Unterschied zwischen schwerem Atmen nach einem anstrengenden Lauf und einer chronischen Erschöpfung.
» „Wenn dir jemand eine Tablette anbieten würde, die dich
durchgängig glücklich machen würde, dann solltest du schnell und weit fortlaufen. Emotionen sind ein Kompass, der uns sagt, was wir tun sollen, und ein Kompass, der immer nur nach Norden zeigt, ist nutzlos.“ Daniel Gilbert, The Science of Happiness (2006)
In diesem Abschnitt betrachten wir drei Störungen, bei denen Depression das tägliche Leben beeinträchtigt, wobei wir uns auf die beiden Hauptformen konzentrieren. Die Major Depression ist eine Störung, bei der ein Mensch wochen- oder monatelang eine anhaltende Hoffnungslosigkeit und Lethargie erlebt. Die persistierende depressive Störung ist ähnlich, zeigt aber mildere depressive Symptome, die über einen viel längeren Zeitraum anhalten. Die bipolare Störung (früher: manisch-depressive Störung) ist ein Zustand, bei der ein Mensch zwischen einer Depression und einem übersteigerten Hochgefühl hin und her wechselt.
16
16.3.1
Major Depression
Eine Major Depression liegt vor, wenn mindestens 5 Symptome einer Depression (einschließlich entweder einer gedrückten Stimmung oder dem Verlust von Interesse oder Freude) 2 Wochen oder länger andauern (Übersicht: Diagnose der Major Depression). Um zu spüren, wie sich eine Major Depression anfühlt, schlagen einige Ärzt:innen vor, sich die Kombination aus den seelischen Qualen einer Trauer und der Schlappheit aufgrund eines Jetlags vorzustellen. „Wenn eine mit Stress zusammenhängende Angst so etwas wie ein knisterndes, bedrohliches Feuer im Gebüsch ist“, merkt der Biologe Robert Sapolsky (2003) an, „handelt es sich bei der Depression um die schwere Decke, die man darüber wirft und so das Feuer erstickt“. Erwachsene, bei denen eine anhaltende depressive Störung (auch Dysthymie genannt) diagnostiziert wurde, haben in den meisten Fällen 2 Jahre oder länger eine
leicht depressive Stimmung durchgemacht (American Psychiatric Association, 2013). Sie weisen außerdem mindestens 2 der folgenden Symptome auf: Schwierigkeiten bei der Entscheidungsfindung und Konzentration, Gefühl der Hoffnungslosigkeit, geringes Selbstwertgefühl, vermindertes Leistungsvermögen, Probleme, den Schlaf zu regulieren, Probleme, den Appetit zu regulieren.
---
Depressive Störungen sind der häufigste Grund, warum Menschen psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat Depression sogar zur „Hauptursache für Behinderung in der heutigen Welt“ erklärt (CBC News, 2017; WHO, 2017b). In einer Umfrage, die in 21 Ländern durchgeführt wurde, litten 4,6 % der befragten Personen an einer mittelschweren oder schweren Depression (Thornicroft et al., 2017). Major Depression („major depressive disorder“) – affek-
tive Störung, bei der ein Mensch für 2 Wochen 5 oder mehr Symptome zeigt, von denen mindestens eines von ihnen entweder (1) eine depressive Stimmung oder (2) ein Verlust von Interesse oder Freude ist, ohne dass Drogenkonsum oder andere medizinische Gründe vorliegen. Diagnose der Major Depression Laut DSM‑5 liegt eine Major Depression vor, wenn mindestens 5 der folgenden Symptome 2 Wochen lang vorliegen (mindestens einschließlich depressiver Stimmung oder vermindertem Interesse; American Psychiatric Association, 2013). fast immer depressive Stimmung fast immer deutlich vermindertes Interesse oder verminderte Freude an den meisten Aktivitäten erhebliche Schwierigkeiten Appetit und Gewicht zu regulieren erhebliche Schwierigkeiten den Schlaf zu regulieren physische Unruhe oder Trägheit Gefühl von Antriebslosigkeit oder starkem Energieverlust Gefühle von Wertlosigkeit oder unangemessene Schuldgefühle Probleme in Denken, Konzentration oder Entscheidungen zu fällen wiederkehrende Gedanken an Tod und Suizid
---
Bei manchen Menschen können depressive Symptome ein saisonales Muster aufweisen, das jedes Jahr im Winter zurückkehrt. Auf die Frage „Haben Sie heute geweint?“ antworteten Amerikaner:innen im Winter öfter mit „Ja“ (. Tab. 16.4). Einige Forschende bezweifeln jedoch, dass
689
16.3 • Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
..Tab. 16.4 Prozentsatz derjenigen, die auf die Frage „Haben Sie heute geweint?“ mit „Ja“ geantwortet haben. (Time/CNN Umfrage, 1994) Männer
Frauen
August
4 %
7 %
Dezember
8 %
21 %
dieses saisonale Muster häufig auftritt (Traffanstedt et al., 2016). Also bleiben Sie auf dem Laufenden! 16.3.2
Bipolare Störung
Genetisch bedingt haben manche von uns eine stärkere Veranlagung, auf gute und schlechte Ereignisse emotional zu reagieren (Whisman et al., 2014). Bei der bipolaren Störung fallen die Menschen von einem emotionalen Extrem ins andere (eher von Woche zu Woche als von einem Tag oder einem Moment zum anderen). Endet eine depressive Episode, folgt ein euphorischer, überaus gesprächiger Zustand voller Energie und Optimismus, der Manie genannt wird. Aber schon bald kehrt die Stimmung entweder in den normalen Zustand zurück oder verfällt erneut in eine Depression. Bipolare Störung („bipolar disorder“) – Störung, bei der
ein Mensch zwischen der Hoffnungslosigkeit und Lethargie der Depression und dem übererregten Zustand der Manie hin und her wechselt (früher manisch-depressive Störung genannt). Manie („mania“) – hyperaktiver, überaus optimistischer Zustand, der insbesondere durch mangelndes Urteilsvermögen charakterisiert ist. Während der manischen Phase einer bipolaren Störung benötigt der Betroffene typischerweise wenig Schlaf. Er zeigt weniger sexuelle Hemmungen. Seine positiven Emotionen halten ungewöhnlich lange an (Gruber, 2011; Gruber et al., 2013). Die Sprache ist laut, sprunghaft, und er ist schwer zu unterbrechen. Obwohl Menschen im manischen Zustand Ratschläge irritierend finden, müssen sie vor ihrem eigenen mangelhaften Urteilsvermögen geschützt werden, das sie zu sinnloser Verschwendung oder Sex ohne Verhütung verleiten kann (Chandler & Pronin, 2012; Pronin, 2013). Bei schwächeren Formen können jedoch die in der Manie vorhandene Energie und das frei fließende Denken auch die Kreativität fördern. Gencluster, die mit hoher Kreativität assoziiert sind, erhöhen die Wahrscheinlichkeit, eine bipolare Störung zu haben, und Risikofaktoren für die Entwicklung einer bipolaren Störung lassen eine höhere Kreativität erwarten (Baas et al., 2016; Power et al., 2015). Georg Friedrich Händel (1685–1759), von
dem viele glauben, er habe an einer schwachen Form der bipolaren Störung gelitten, hat seinen 4-stündigen „Messias“ (1742) während einer 3 Wochen andauernden, intensiven, kreativen Energiephase komponiert (Keynes, 1980). Robert Schumann komponierte 51 musikalische Werke während zweier manischer Jahre (1840 und 1849) und kein einziges Werk im Jahre 1844, als er unter einer schweren Depression litt (Slater & Meyer, 1959). Berufe, bei denen es um Präzision und Logik geht (in den Bereichen Architektur, Design, Journalismus) leiden weniger häufig unter bipolaren Störungen als diejenigen, die sich stark auf ihren emotionalen Ausdruck und ihre lebhaften Vorstellungen verlassen, berichtet Ludwig (1995). Bipolare Störungen sind besonders unter Komponistinnen, Künstlern, Dichterinnen, Autoren und Entertainerinnen verbreitet (Jamison, 1993, 1995; Kaufman & Baer, 2002; Ludwig, 1995). Tatsächlich ergab eine Auswertung von über einer Million Teilnehmern, dass die bipolare Störung die einzige psychiatrische Erkrankung ist, bei der ein Zusammenhang mit einer Arbeit in einem kreativen Beruf festgestellt werden konnte (Kyaga et al., 2013; . Abb. 16.19, 16.20). Auch wenn die bipolare Störung seltener als die Major Depression ist, ist sie oft schädlicher und verursacht jährlich doppelt so viele verlorene Arbeitstage (Kessler et al., 2006). Sie ist auch ein starker Prädiktor für einen Suizid (Schaffer et al., 2015). Anders als die Major Depression betrifft sie Männer und Frauen gleich häufig. Die Diagnose ist unter Jugendlichen gestiegen, deren Stimmungsschwankungen von wütend zu quirlig, wenn sie andauern, zu einer bipolaren Störung werden können. In den 10 Jahren zwischen 1994 und 2003 erfuhr bei Jugendlichen bis zu 19 Jahren die Diagnose „bipolare Störung“ einen erstaunlichen 40-fachen Anstieg – von geschätzten 20.000 auf 800.000 (Carey, 2007; Flora & Bobby, 2008; Moreno et al., 2007). Bei US-Amerikaner:innen ist die Wahrscheinlichkeit doppelt so hoch wie bei Menschen anderer Länder, dass in ihrem Leben eine bipolare Störung diagnostiziert wird (Merikangas et al., 2011). Die neuen DSM-5-Klassifikationen sorgen jedoch dafür, dass die Diagnose der bipolaren Störung bei Kindern und Jugendlichen zahlenmäßig abnimmt: Einige von ihnen, die eine ständige Reizbarkeit und häufige, immer wieder auftretende Gefühlsausbrüche zeigen, erhalten nun stattdessen die Diagnose affektive Dysregulation („disruptive mood dysregulation disorder“, DMDD; Faheem et al., 2017). 16.3.3
Erklärungsansätze für depressive Störungen und bipolare Störung
?? 16.12 Wie erklären biologische und sozial-kognitive
Ansätze depressive Störungen und die bipolare Störung?
16
690
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.19 Bipolare Störung. Die Künstlerin Abigail Southworth illustrierte ihre Erfahrung mit bipolarer Störung (Life as a Two-Headed Beast: Bipolar, Abigail Southworth; mit freundlicher Genehmigung)
a
16
b
c
..Abb. 16.20 Kreativität und bipolare Störung. Es gab viele kreative Künstlerinnen, Komponisten, Schriftstellerinnen und Musiker mit bipolarer Störung: a Sängerin und Schauspielerin Selena Gomez, b Schriftstellerin Virginia Woolf und c der Schriftsteller Samuel Cle-
mens (Mark Twain). (a: © Nina Prommer/ZUMAPRESS.com/picture alliance; b: © Ann Ronan Picture Library/Photo12/picture alliance; c: © 91050/United Archives/TopFoto/picture alliance)
Die Psycholog:innen von heute fahnden weiter nach den Ursachen, warum Menschen depressive und bipolare Störungen haben, und entwickeln wirkungsvollere Methoden, um depressive Störungen zu behandeln und zu verhindern (. Abb. 16.21). Hier konzentrieren wir uns hauptsächlich auf depressive Störungen. Eine Forschendengruppe fasste die Fakten zusammen, die jede Theorie über die Depression erklären können muss. Dazu gehören folgende (Lewinsohn et al., 1985, 1998, 2003): Depressive Störungen gehen mit Veränderungen im Verhalten und in den Kognitionen einher. Menschen mit Depression werden inaktiv und fühlen sich allein, leer, ohne Aussicht auf eine vielversprechende oder sinnvolle Zukunft (Bullock & Murray, 2014; Khazanoy & Ruscio, 2016; Smith & Rhodes, 2014). Sie igno-
rieren positive Informationen und beschäftigen sich ausschließlich mit negativen Ereignissen (Peckham et al., 2010; Winer & Salem, 2016), erinnern sich häufiger an negative Informationen und erwarten negative Ergebnisse (mein Team wird verlieren, meine Noten werden sich verschlechtern, meine Beziehung wird scheitern). Wenn die Depression vorübergeht, verschwinden diese Begleiterscheinungen im Verhalten und im Denken. Über nahezu die Hälfte der Zeit zeigen depressive Menschen auch Symptome einer anderen Störung, wie z. B. eine Angststörung oder Substanzmissbrauch. Depressive Störungen sind weit verbreitet. Weltweit haben 350 Mio. Menschen eine Major Depression und 60 Mio. Menschen eine bipolare Störung (WHO,
-
-
16.3 • Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
691
..Abb. 16.21 Das Leben nach der Depression. Der Komiker Alexander Bojcan, besser bekannt als Kurt Krömer, hatte jahrzehntelang eine schwere Depression. 2022 sagte er: „Was mich betrifft, habe ich gesagt bekommen, dass ich sehr gut aus der Depression rausgefunden habe. Ich hab aber auch gelernt, dass es was für Depressive ist, sich immer zu fragen, was denn ist, wenn die Depression wiederkommt. Also sage
ich mir, damit kann ich mich immer noch auseinandersetzen, wenn sie zurückkommt – und freu ich mich bis dahin einfach, dass die Depression nicht da ist.“ Wenn auch Sie Hilfe suchen, finden Sie hier erste Anhaltspunkte: 7 https://depressionsliga.de/ und 7 https:// www.deutsche-depressionshilfe.de/. (© Fabian Sommer/dpa/picture alliance)
2017a). In Kanada haben 11 % der 15- bis 24-Jährigen schon einmal im Lauf ihres Lebens unter einer Depression gelitten (Findlay, 2017). Das häufige Auftreten von depressiven Störungen lässt darauf schließen, dass auch ihre Ursachen weit verbreitet sein müssen. Im Vergleich zu Männern sind Frauen nahezu doppelt so anfällig für eine Major Depression. Als die Meinungsforscher von Gallup 2009 mehr als eine Viertelmillion Amerikaner:innen befragte, ob sie jemals die Diagnose einer Depression erhalten hatten, bejahten dies 13 % der Männer und 22 % der Frauen (Pelham, 2009). Als Gallup Amerikaner:innen befragte, ob sie „während eines Großteils des gestrigen Tages“ traurig gewesen wären, antworteten 17 % der Männer und 28 % der Frauen mit „Ja“ (Mendes & McGeeney, 2012). Dieser Geschlechtsunterschied – dass Frauen in den Vereinigten Staaten 1,7-mal häufiger als Männer depressive Störungen erleiden – wurde weltweit gefunden (. Abb. 16.22). Der Trend beginnt schon in der Jugend; vorpubertäre Mädchen sind nicht anfälliger für depressive Störungen als Jungen (Kuehner, 2017). Nach Erreichen der Pubertät werden Mädchen auch anfälliger für Essstörungen, Selbstverletzungen und Angstzustände als Jungen (Mendle et al., 2016). Die Menopause – genauer gesagt, „die 5 oder 6 Jahre rund um die letzte Menstruation“ – ist auch eine Zeit, in der Frauen ein erhöhtes Depressionsrisiko haben, wenn sich auch im späteren Leben der Unterschied zwischen den Geschlechtern in Bezug auf depressive Störungen verringert (Gordon et al., 2016; Patten et al., 2016).
Die Faktoren, die Frauen anfällig für depressiven Störung machen (genetische Prädispositionen, Kindesmissbrauch, niedriger Selbstwert, Eheprobleme usw.), machen Männer ebenfalls anfällig (Kendler et al., 2006). Aber Frauen sind anfälliger für Störungen, bei denen es um internalisierte Gefühlszustände geht, wie Depression, Angst und unterdrückte sexuelle Wünsche. Frauen sind mehr Situationen ausgesetzt, die ihr Risiko für depressiven Störung erhöhen, wie z. B. weniger Lohn für gleiche Arbeit, das Jonglieren mit mehreren Rollen und die Betreuung von Kindern und älteren Familienmitgliedern (Freeman & Freeman, 2013). Störungen von Männern sind eher external: Alkoholkonsumstörung, Störungen im Zusammenhang mit antisozialem Verhalten und Verlust der Impulskontrolle. Werden Frauen traurig, so werden sie oft trauriger als Männer. Wenn Männer ausrasten, rasten sie häufig schlimmer aus als Frauen. Die meisten Episoden der Major Depression enden von selbst. Eine Therapie kann in der Regel die Genesung beschleunigen. Aber auch ohne professionelle Hilfe erholen sich die meisten Menschen von der Depression und kehren zu einem normalen Leben zurück. Die Last einer Depression kommt und geht normalerweise nach ein paar Wochen oder Monaten wieder, obwohl sie bei manchen (ungefähr bei der Hälfte der Personen) erneut auftritt (Curry et al., 2011; Klein & Kotov, 2016). Nur bei 20 % ist der Verlauf chronisch (Klein, 2010). Im Durchschnitt verbringen Personen mit einer Major Depression heute ca. drei
-
-
16
Anteil der Erwachsenen, die in den vergangenen 12 Monaten eine Major Depression hatten
692
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
15%
Auf der ganzen Welt zeigt sich, dass Frauen anfälliger für Depression sind
10
Männer Frauen
5
0 Belgien
Frankreich Deutschland
Israel
Italien
..Abb. 16.22 Geschlecht und Major Depression. Interviews mit 89.037 Erwachsenen in 18 Ländern (von denen hier 10 dargestellt sind) bestätigen die Befunde vieler kleinerer Studien: Frauen haben ein na-
Viertel des nächsten Jahrzehntes in einem normalen, nicht depressiven Zustand (Furukawa et al., 2009). In einer Studie mit über 20.000 Kanadier:innen kam es häufiger zu einer anhaltenden Erholung, wenn die erste Episode später im Leben auftrat, es keine Depression in der Vorgeschichte gab, die Betroffenen nur minimalen physischen oder psychischen Stress erlebten und sie umfangreiche soziale Unterstützung erhielten (Fuller-Thomson et al., 2016). Einer Depression gehen oft stressreiche Ereignisse voraus, die mit Arbeit, Heirat und engen Beziehungen zusammenhängen. Während Angst eine Reaktion auf einen drohenden zukünftigen Verlust ist, ist Depression oft eine Reaktion auf vergangenen und aktuellen Stress. Missbrauch in der Kindheit erhöht das Risiko für eine Depression im Erwachsenenalter um das Doppelte (Nelson et al., 2017). Bei etwa 1 von 4 Personen mit der Diagnose Depression hat ein schwerer Verlust oder ein Trauma, wie der Tod eines geliebten Menschen, eine gescheiterte Ehe, das Erleiden physischer Gewalt oder der Verlust des Arbeitsplatzes, zum Zusammenbruch geführt (Kendler et al., 2008; Monroe & Reid, 2009; Orth et al., 2009; Wakefield et al., 2007). Auch die Integration in eine neue Kultur erhöht das Risiko für depressive Störungen, insbesondere bei jüngeren Menschen, die ihre eigene Identität noch nicht gefunden haben (Zhang et al., 2013). In einer Langzeitstudie (Kendler, 1998) wurden bei 2000 Personen die Depressionsraten erfasst. Man fand heraus, dass das Risiko für das Auftreten einer Depression für diejenigen, die kein stressreiches Erlebnis hatten, weniger als 1 % betrug, während es für diejenigen, die drei solcher Ereignisse hinter sich hatten, auf bis zu 24 % im jeweils darauffolgenden Monat anstieg. Für manche Menschen kann sich auch die Auseinandersetzung mit den unbedeutenden alltäglichen Stressoren negativ auf die psychische Gesundheit auswirken. Menschen, die auf kleinere Stressoren überreagierten, waren 10 Jahre später häufiger depressiv (Charles et al., 2013).
16
Japan
Niederlande
Neuseeland
Spanien
USA
hezu doppelt so hohes Risiko an einer schweren depressiven Störung zu erkranken wie Männer. (Daten von Bromet et al., 2011)
-
Im Vergleich zu früheren Generationen setzt eine Depression heute früher ein (nun häufiger in der späten Adoleszenz), und sie betrifft mehr Menschen, mit den höchsten Raten unter jungen Erwachsenen in entwickelten Ländern. Obwohl sich die Depressionsrate bei Jugendlichen in letzter Zeit verringert hat, traf dieser Trend in für Kanada, die USA, England, Frankreich, Deutschland, Italien, den Libanon, Neuseeland, Puerto Rico und Taiwan zu (Cross-National Collaborative Group, 1992; Kessler et al., 2010; Olfson et al., 2015). In einer Studie zeigten 12 % der befragten australischen Jugendlichen Symptome einer Depression (Sawyer et al., 2000). Die meisten verbargen es vor ihren Eltern; fast 90 % der Eltern nahmen ihre depressiven Kinder nicht als depressiv wahr. In Nordamerika berichten junge Erwachsene mit einer 3-mal höheren Wahrscheinlichkeit als ihre Großeltern darüber, kürzlich oder überhaupt jemals eine Depression erlitten zu haben (obwohl die Großeltern aufgrund des höheren Alters ein höheres Risiko hatten). Der Anstieg kann aber einen kulturellen Wandel zum Ausdruck bringen, das heißt, eine größere Bereitschaft junger Erwachsener, eine Depression zu offenbaren. Genauso wurde in Deutschland in einer Reihe neuerer epidemiologischer Studien ein Zuwachs in der Prävalenz der Major Depression in jüngeren Geburtskohorten und ein sinkendes Ersterkrankungsalter dieser Störung beobachtet (Knäuper & Wittchen, 1995).
Anhand dieser Fakten schlagen die heutigen Forscher:innen biologische und kognitive Erklärungen der Depression vor, die oft in einer biopsychosozialen Perspektive kombiniert werden.
Biologischer Ansatz Die Depression ist eine Störung, die den ganzen Körper betrifft. Sie umfasst genetische Veranlagungen und biochemische Ungleichgewichte, aber auch negative Gedanken und eine bedrückte Stimmung.
693
16.3 • Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
..Abb. 16.23 Die Erblich‑ keit verschiedener psychischer Störungen. Forschende fassten Daten aus Studien mit ein- und zweieiigen Zwillingen zusammen, um die Erblichkeit der bipolaren Störung, Schizophrenie, Anorexia nervosa, Major Depression und der generalisierten Angststörung einzuschätzen (Bienvenu et al., 2011). (Die Erblichkeit wurde mit einer Formel berechnet, die den Grad an Ähnlichkeit von eineiigen Zwillingen mit dem von zweieiigen Zwillingen vergleicht.)
90% Erblichkeitsschätzungen (Prozentsatz der Variation aufgrund genetischer Einflüsse)
80 70 60
Bipolare Störung Schizophrenie
50
Anorexia nervosa
40
Major Depression
30
Generalisierte Angststörung
20 10 0 Psychische Störung
zz Genetische Einflüsse
Depressive und bipolare Störungen treten innerhalb von Familien gehäuft auf. Wie ein Forscher bemerkte: „Emotionen sind Postkarten unserer Gene“ (Plotkin, 1994). Das Risiko, dass eine dieser Störungen diagnostiziert wird, ist größer, wenn man einen Elternteil oder Geschwister hat, die an der Störung leiden (Sullivan et al., 2000; Weissman et al., 2016). Wenn bei einem eineiigen Zwilling eine Major Depression diagnostiziert wird, liegt die Wahrscheinlichkeit bei 50 %, dass der andere Zwilling ebenfalls irgendwann betroffen sein wird. Wenn ein eineiiger Zwilling eine bipolare Störung entwickelt, stehen die Chancen noch höher, nämlich 7:10, dass bei dem anderen Zwilling eine ähnliche Störung diagnostiziert wird. Das gilt selbst für eineiige Zwillinge, wenn sie getrennt aufgewachsen sind (DiLalla et al., 1996). Nach einer Zusammenfassung der wichtigsten Zwillingsstudien schätzte ein Forschungsteam die Erblichkeit (Ausmaß, in welchem individuelle Unterschiede Genen zuzuschreiben sind) bei der Major Depression auf 40 % (Polderman et al., 2015; s. auch . Abb. 16.23 für ähnliche Ergebnisse einer anderen Studie zur Erblichkeit dieser und anderer Störungen). Um herauszufinden, welche Gene manche Menschen einem erhöhten Risiko für depressive Störungen aussetzen, führen Forscher:innen Verwandtschaftsanalysen durch. Die Genforschenden suchen dabei zuerst Familien, die die Störungen über mehrere Generationen hinweg aufweisen. Dann untersuchen sie die DNA von betroffenen und nicht betroffenen Familienmitgliedern und suchen nach Unterschieden. Die Verwandtschaftsanalyse führt sie zu einem chromosomalen Nachbarschaftsgebiet: „Wir brauchen eine Suche von Haus zu Haus, um das schuldige Gen zu finden“ (Plomin & McGuffin, 2003). Aber Depression ist ein komplexes Leiden. Viele Gene arbeiten zusammen und ergeben ein Mosaik aus kleinen Einflüssen, die mit anderen Faktoren interagieren und zu einem erhöhten Risiko führen. Die Forscher:innen arbeiten weiterhin daran, die zuständigen Genveränderungen zu identifizieren. Dies könnte der An-
fang einer verbesserten pharmakologischen Therapie sein (Hyde et al., 2016; Power et al., 2017; Ripke et al., 2013). zz Das depressive Gehirn
Mit Hilfe von Scannern können wir die Gehirnaktivitäten während depressiver und manischer Phasen verfolgen. In einer Studie machten 13 kanadische Eliteschwimmer:innen eine qualvolle Erfahrung, indem sie ein Video ansahen, wie sie in der Qualifikation für das olympische Team scheiterten oder wie sie während der olympischen Spiele versagten (Davis et al., 2008). Funktionelle MRT-Scans zeigten, dass die Muster der Hirnaktivität der Schwimmer:innen, die die Enttäuschung erlebten, denen von Patient:innen mit depressiven Stimmungen ähnlich waren. In vielen neueren Studien zeigt das Gehirn weniger Aktivität in den verlangsamten depressiven Phasen und mehr Aktivität in manischen Phasen (. Abb. 16.24). Eine Depression kann bewirken, dass die Belohnungszentren des Gehirns weniger aktiv werden (Miller et al., 2015; Stringaris et al., 2015). Bei positiven Emotionen werden der linke Frontallappen und ein angrenzendes Belohnungszentrum aktiver (Davidson et al., 2002; Heller et al., 2009; Robinson et al., 2012). Neurowissenschaftler:innen haben auch bei Menschen mit einer bipolaren Störung eine Veränderung in den Gehirnstrukturen entdeckt. In diesen Studien stieß man auf eine verminderte weiße Substanz (myelinisierte Axone) und auf vergrößerte, mit Flüssigkeit gefüllte Ventrikel (Arnone et al., 2009; Hibar et al., 2016). Auch Neurotransmittersysteme beeinflussen depressive Störungen und bipolare Störung. Noradrenalin, ein Neurotransmitter, der die Erregung steigert und die Stimmung hebt, ist bei einer Depression spärlich und bei einer Manie im Überschuss vorhanden. Medikamente, die die Symptome einer Manie reduzieren, senken den Noradrenalinspiegel. Auch Serotonin ist bei einer Depression wenig vorhanden oder inaktiv (Carver et al., 2008). Eine bekannte
16
694
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
Depressiver Zustand (17. Mai)
16
Manischer Zustand (18. Mai)
Depressiver Zustand (27. Mai)
..Abb. 16.24 Die Höhen und Tiefen einer bipolaren Störung. PETUntersuchungen zeigen, dass der Energieverbrauch im Gehirn mit den jeweiligen emotionalen Zuständen der erkrankten Person zu- oder
abnimmt. Rote Bereiche zeigen an, wo das Gehirn schnell Glukose verbraucht. (Courtesy of Dr. Lewis Baxter, University of Florida and Dr. Michael Phelps, David Geffen School of Medicine at UCLA)
Studie aus Neuseeland mit jungen Erwachsenen fand heraus, dass das Rezept für Depression zwei notwendige Inhaltsstoffe kombiniert – signifikant belastende Lebensereignisse und eine Veränderung eines Serotoninkontrollgens (Caspi et al., 2003; Moffitt et al., 2006). Depressive Störungen entstehen aus der Kombination aus einer aversiven Umwelt und einer genetischen Anfälligkeit, aber nicht durch einen der beiden Faktoren allein. Aber seien Sie sicher: Die Geschichte der Gen-Umwelt-Interaktion wird noch weiter erforscht, da andere Forscher:innen über die Reliabilität dieser Befunde diskutieren (Culverhouse et al., 2013; Karg et al., 2011; Munafò et al., 2009; Risch et al., 2009; Uher & McGuffin, 2010). Medikamente zur Depressionsbehandlung erhöhen gewöhnlich die Noradrenalin- oder Serotoninversorgung, indem entweder deren Wiederaufnahme blockiert wird (wie es z. B. Prozac, Zoloft und Paxil in Bezug auf Serotonin machen) oder aber ihren Abbau verhindern. Wiederholte körperliche Anstrengung wie Joggen lindert teilweise eine Depression, da es den Serotoninspiegel erhöht (Airan et al., 2007; Ilardi, 2009; Jacobs, 1994). In einer Studie führte zwei Stunden Joggen zu einer Aktivierung von Gehirnregionen, die mit Euphorie einhergehen (Boecker et al., 2008). Wenn Sie Ihre schlechte Laune vertreiben wollen, können Sie das mit Ihren beiden Füßen tun.
et al., 2013; Rechenberg, 2016). Exzessiver Alkoholkonsum korreliert ebenfalls mit Depression – teilweise, weil Depression den Alkoholkonsum erhöht, vor allem aber, weil Alkoholmissbrauch zu Depression führt (Fergusson et al., 2009).
zz Ernährungsphysiologische Wirkungen
Was gut für das Herz ist, ist auch gut für Hirn und Psyche. Menschen, die eine für das Herz gesunde mediterrane Ernährung pflegen (basierend auf Gemüse, Fisch und Olivenöl), haben ein vergleichsweise niedriges Risiko für Herzkrankheiten, Schlaganfall, altersbedingten kognitiven Zerfall und Depression – all dies ist auch mit Entzündungen assoziiert (Kaplan et al., 2015; Psaltopoulou
Sozial-kognitiver Ansatz Biologische Einflüsse tragen zur Depression bei, aber im Zusammenspiel von Natur und Umwelt fällt auch unsere Lebensweise ins Gewicht. Ernährung, Medikamente, Stress und andere Umwelteinflüsse hinterlassen epigenetische Markierungen, sog. molekulargenetische Tags, die bestimmte Gene ein- oder ausschalten können. Studien an Tieren deuten darauf hin, dass langanhaltende epigenetische Einflüsse bei Depression eine Rolle spielen können (Nestler, 2011). Das Denken spielt auch eine Rolle. Der sozial-kognitive Ansatz erkundet, wie Annahmen und Erwartungen der Menschen ihre Wahrnehmung beeinflussen. Viele depressive Menschen sehen das Leben durch die dunkle Brille eines niedrigen Selbstbewusstseins (Orth et al., 2016). Ihre immens negativen Annahmen über sich selbst, ihre Situation und ihre Zukunft bringen sie dazu, dass sie schlechte Erfahrungen überbewerten und gute abwerten (Wenze et al., 2012). Lesen Sie, was der kanadische Universitätsprofessor Norman Endler (1982, S. 45–49) dazu zu sagen hat, der sich an seine eigene Depression erinnert:
» „Ich hatte alle Hoffnung aufgegeben, jemals wieder ein
Mensch zu sein. Ich fühlte mich so minderwertig, minderwertiger als das letzte Ungeziefer. Des Weiteren verleugnete ich mich selbst und konnte nicht verstehen, warum sich jemand mit mir abgeben, geschweige denn
695
16.3 • Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
mich lieben wollte … Ich war überzeugt, dass ich ein Schwindler und Scharlatan war und meinen Doktortitel nicht verdient hatte. Ich hatte es auch nicht verdient, den Forschungsposten zu haben, ich hatte es nicht verdient, Professor zu sein … Ich hatte die Forschungsstipendien nicht verdient, die ich bekam … ich konnte nicht verstehen, wie ich Bücher und Artikel geschrieben hatte … Ich musste wohl jede Menge Menschen hereingelegt haben.“
Da depressive Menschen immer das Schlimmste erwarten, messen sie schlechten Erfahrung zu große Bedeutung bei und interpretieren gute Erfahrungen negativ (Wenze et al., 2012). Ihre selbstabwertenden Gedanken und ein negativer Erklärungsstil verstärken dabei ihre Depression. zz Negative Gedanken, negative Stimmungen und Geschlecht
Erlernte Hilflosigkeit ist bei Frauen verbreiteter als bei Männern, und Frauen reagieren eventuell stärker auf Stress (Hankin & Abramson, 2001; Mazure et al., 2002; NolenHoeksema, 2001, 2003). Ein Beispiel: 38 % der Frauen und 17 % der Männer, die an amerikanische Colleges und Universitäten kommen, berichten, dass sie sich zumindest ab und zu „überwältigt fühlen, von all dem, was ich zu tun habe“ (Pryor et al., 2006). Auch Beziehungsstress belastet junge Mädchen stärker als Jungen (Hamilton et al., 2015). Dieser geschlechtsspezifische Unterschied im Umgang mit Stress hilft zu erklären, warum Frauen von Beginn der Pubertät an depressiven Störungen gegenüber fast doppelt so anfällig waren. Susan Nolen-Hoeksema (2003) sieht einen Zusammenhang zwischen dem höheren Risiko für Depression bei Frauen und der Tendenz, von Frauen sich über alles den Kopf zu zerbrechen, also zu grübeln. Fokussiert auf ein Problem zu bleiben (dank der kontinuierlichen Aktivität eines Frontallappenareals, das die Aufmerksamkeit aufrechterhält) – kann adaptiv sein (Altamirano et al., 2010; Andrews & Thomson, 2009a, 2009b). Aber unablässiges selbstfokussiertes Grübeln (Rumination) kann uns ablenken, negative Emotionen verstärken und uns in unserem Alltag beeinträchtigen (Johnson et al., 2016; Kircanski et al., 2015; Yang et al., 2017). Sich mit anderen zu vergleichen kann ebenfalls den Kummer steigern. Während Lukas fröhlich Videospiele zockt, scrollt die einsame Laura durch ihren Social Media Feed, sie sieht wie Maria auf einer Party einen Heidenspaß hat, wie Hanna Ihren Urlaub mit der Familie genießt und dass Jule in ihrem Badeanzug so cool aussieht. Mit dem Ergebnis, dass Laura ins Nachdenken kommt: „Mein Leben ist schrecklich.“ (. Abb. 16.25) Rumination („rumination“) – zwanghaftes Grübeln; zu
viel über Probleme und deren Ursachen nachdenken.
» „Ich habe, glaube ich, wie viele andere Menschen so eine
Denke, die es interessant oder bereichernd findet, sich über etwas Sorgen zu machen.“ Comedian Maria Bamford
ICH WEISS NIE, WAS ICH ZU LEUTEN SAGEN SOLL.
NIEMAND WILL ETWAS MIT MIR ZU TUN HABEN.
WERDE ICH JEMALS EINEN JOB BEKOMMEN?!
RIECHE ICH SCHLECHT? ICH BIN SO EKLIG.
..Abb. 16.25 Wenn Grübeln überhandnimmt. Über unsere Schwächen nachzudenken ist normal. Aber wenn wir ständig bei negativen Gedanken verweilen – vor allem bei negativen Gedanken über uns selbst – wird es schwierig, an uns selbst zu glauben und Probleme zu lösen. Manche Menschen suchen eine:n Therapeut:in auf, um ihr Grübeln zu reduzieren
Aber warum stürzen unvermeidliche Fehlschläge im Leben manche Menschen in Depression und andere nicht? Die Antwort liegt zum Teil im Erklärungsstil – wen oder was wir für unser Versagen verantwortlich machen. Denken Sie daran, wie Sie sich fühlen würden, wenn Sie einen Test nicht bestehen. Verlagern Sie die Schuld nach außen – vielleicht, indem Sie Ihr Versagen auf einen unfairen Test zurückführen –, fühlen Sie sich eher wütend. Wenn Sie einen Test nicht bestehen und sich selbst dafür verantwortlich machen, halten Sie sich möglicherweise für dumm und werden depressiv. Depressive Menschen erklären oft negative Ereignisse mit Aussagen, die etwas Stabiles („Es wird immer so weitergehen.“), Globales („Es wirkt sich auf alles aus, was ich tue.“) und Internales („Es ist alles meine Schuld.“) ausdrücken (. Abb. 16.26). Depressionsanfällige Menschen reagieren auf schlechte Ereignisse auf eine besonders selbstzentrierte, sich selbst beschuldigende Weise (Huang, 2015; Mor & Winquist, 2002; Wood et al., 1990a, 1990b). Wenn sie sich selbst beschreiben, zeigt ihr Gehirn verstärkte Aktivität in einer Region, die selbstrelevante Informationen verarbeitet (Sarsam et al., 2013). Ihr Selbstwertgefühl leicht formbar – bei Lob ist es erhöht und bei Drohungen fällt es rapide ab (Butler et al., 1994). Selbstabwertende Gedanken können das Ergebnis von erlernter Hilflosigkeit sein, die Hoffnungslosigkeit und passive Resignation, die Menschen und Tiere lernen, wenn sie unkontrollierbare schmerzhafte Erfahrungen
16
696
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.26 Erklärungs‑ stil und Depression. Nach einer negativen Erfahrung kann es sein, dass eine Person, die zu einer depressiven Störung neigt, mit einem negativen Erklärungsstil reagiert
16
Ende einer Liebesbeziehung
Stabil »Ich werde nie darüber hinwegkommen.«
Temporär »Das ist schwer wegzustecken, aber ich werde damit zurechtkommen.«
Global »Ohne meinen Partner scheint bei mir alles schiefzugehen.«
Spezifisch »Ich vermisse meinen Partner, aber, Gott sei Dank, habe ich eine Familie und andere Freunde.«
Internal »Es lag an mir, dass die Beziehung zu Ende ging.«
External »Für eine funktionierende Beziehung braucht man immer 2 Menschen; und es sollte wohl nicht so sein.«
Depression
Erfolgreiche Bewältigung
machen (Maier & Seligman, 2016). Pessimistische, übergeneralisierte, selbstbeschuldigende Erklärungen können ein deprimierendes Gefühl der Hoffnungslosigkeit erzeugen (Abramson et al., 1989; Panzarella et al., 2006; . Abb. 16.27). „Ein Rezept für eine schwere Depression ist ein bereits existierender Pessimismus, der auf eine Versagenshaltung trifft“, bemerkt Seligman (1991, S. 78). Was könnte man von Studienanfänger:innen erwarten, die einen pessimistischen Erklärungsstil aufweisen? Alloy et al. (1999) untersuchte mehrere Hundert Studierende 2,5 Jahre lang alle 6 Wochen. Unter denen mit einem pessimistischen Erklärungsstil hatten 17 % eine erste Episode einer Major Depression, was nur bei 1 % derjenigen der Fall war, die ihr Studium mit einem optimistischen Erklärungsstil begonnen hatten. Warum ist die Depression unter westlichen jungen Erwachsenen so weit verbreitet? Seligman (1991, 1995) führt dies auf den zunehmenden Individualismus und die geringere Verpflichtung gegenüber Religion und Familie zurück. In nichtwestlichen Kulturen, wo enge Beziehungen und Kooperation die Norm sind, ist die Major Depression weniger verbreitet und weniger an Selbstvorwürfe über persönliches Versagen gebunden (Ferrari et al., 2013; WHO, 2004a). In Japan beispielsweise berichten depressive Menschen oft von ihren Schamgefühlen, weil sie andere im Stich gelassen haben (Draguns, 1990a).
Kritische Stimmen verweisen darauf, dass man in einer „Henne-Ei-Situation“ ist, wenn man den sozialkognitiven Ansatz zur Erklärung von Depression heranzieht. Was ist zuerst da? Der pessimistische Erklärungsstil oder die depressive Stimmung? Negative Erklärungen gehen mit einer depressiven Stimmung einher und sind Indikatoren für eine Depression. (Vor oder nach der Depression sind die Gedanken der Menschen weniger negativ. Vielleicht fördert eine deprimierte Stimmung negative Gedanken.) Doch verursachen negative Gedanken eine Depression? Verursacht ein Tacho, der 70 km/h anzeigt, die Geschwindigkeit des Autos? Bringt man Menschen vorübergehend in eine schlechte oder traurige Stimmung, werden ihre Erinnerungen, Beurteilungen und Erwartungen plötzlich viel pessimistischer. Die Gedächtnisforschung bezeichnet diese Neigung, sich an Erfahrungen zu erinnern, die zu unserer momentanen guten oder schlechten Stimmungslage passen, als zustandsabhängige Erinnerung. zz Der Teufelskreis der Depression
Depression ist sowohl eine Ursache als auch eine Wirkung von stressreichen Erfahrungen, die Ihr Gespür dafür stören, wer Sie sind und warum Sie ein wertvolles menschliches Wesen sind. Solche Störungen können zu Grübeln führen, was wiederum negative Gefühle erhöht. Das Insich-gekehrt-Sein, die Ausrichtung auf die eigene Person
697
16.3 • Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
1 Stressige Erlebnisse
4 Veränderung in Kognitionen und im Verhalten
2 Negativer Erklärungsstil
3 Depressive Stimmung ..Abb. 16.28 Der Teufelskreis des depressiven Denkens. Therapeut:innen wissen um diesen Kreislauf und sie unterstützen depressive Menschen darin, ihn zu durchbrechen, indem sie ihr negatives Denken ändern, ihre Aufmerksamkeit nach außen richten und sie dazu anregen, umgänglicher und souveräner zu reagieren ..Abb. 16.27 (William Haefeli/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
und die ewigen Klagelieder können wiederum selbst Ablehnung hervorrufen (Furr & Funder, 1998; Gotlib & Hammen, 1992). Tatsächlich sind Menschen in den Fängen einer Depression einem erhöhten Risiko ausgesetzt, sich scheiden zu lassen, den Job zu verlieren oder andere stressreiche Vorfälle zu erleben. Ein Partner oder eine Partnerin drohen vielleicht damit zu gehen, da sie der ständigen Erschöpfungszustände, der Hoffnungslosigkeit und negativen Haltung des Partners überdrüssig sind. Eine Führungskraft mag vielleicht beginnen, die Kompetenz eines Teammitglieds infrage zu stellen. (Dies stellt ein weiteres Beispiel für die Interaktion zwischen Genetik und Umwelt dar: Menschen, die eine genetisch bedingte Disposition für Depression haben, erleben öfter deprimierende Ereignisse.) Ablehnung und Depression schaukeln sich gegenseitig hoch. Elend sucht sich vielleicht Gesellschaft, aber die Gesellschaft sucht nicht eines anderen Elend.
» „Ein Mensch denkt niemals so viel nach und wird so introspektiv, wie wenn er leidet, weil er bestrebt ist, den Grund seines Leidens zu erfahren.“ Luigi Pirandello, Six Characters in Search of an Author (1922)
„Einige erzeugen Freude, wohin sie auch kommen; andere, wann immer sie gehen.“ Irischer Schriftsteller Oscar Wilde (1854–1900)
Wir können nun einige der Teile des Depressionspuzzles zusammenfügen (. Abb. 16.28): 1. Eine Person macht stressvolle Erfahrungen. 2. Diese Erfahrungen werden durch einen grübelnden, pessimistischen Denkstil bewertet.
3. Es ergibt sich ein hoffnungsloser, deprimierter Zustand. 4. Der deprimierte Zustand beeinflusst die Art und Weise, wie die betreffende Person denkt und handelt. 5. Es kommt zu weiteren belastenden Erfahrungen wie etwa Ablehnung (vgl. Punkt 1). Depression ist eine Schlange, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Niemand ist immun gegen Niedergeschlagenheit, geminderten Selbstwert und negative Gedanken durch Ablehnung oder durch eine Niederlage. Auch kleine Verluste können unser Denken zeitweise betrüben. In einer Studie untersuchten Forschende einige begeisterte Basketballfans der Indiana University, die das Team als Erweiterung der eigenen Person anzusehen schienen. Nachdem die Fans das Team gewinnen oder verlieren sahen, ließen die Forscher:innen sie die Zukunft des Teams und die eigene Zukunft vorhersagen. Nach einer Niederlage schätzten die missmutigen Fans nicht nur die Zukunft des Teams, sondern auch die eigene Leistung beim Dartspielen, Anagrammelösen und die Chance, ein Date zu bekommen, düster ein. Wenn Dinge nicht so gelaufen sind, wie wir es uns vorgestellt haben, scheint es so, als würden sie dies nie mehr tun. Es handelt sich um einen Teufelskreis, den wir alle erkennen können. Schlechte Stimmung nährt sich selbst: Wenn wir uns niedergeschlagen fühlen, denken wir negativ und erinnern uns an schlechte Erfahrungen. Der britische Premier Minister Winston Churchill nannte die Depression einen „schwarzen Hund“, der ihn periodisch quälte. Abraham Lincoln war als junger Mann so verschlossen und grüblerisch, dass seine Bezugspersonen befürchteten, er könnte sich das Leben nehmen (Kline, 1974). Die Dichterin Emily Dickinson fürchtete sich so
16
698
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
sehr davor, in der Öffentlichkeit in Tränen auszubrechen, dass sie den Großteil ihres Erwachsenenlebens in Abgeschiedenheit verbrachte (Patterson, 1951). Diese Beispiele erinnern uns daran, dass Menschen gegen eine depressive Störung ankämpfen können und es auch tun. Die meisten erlangen ihre Fähigkeit wieder, zu lieben, zu arbeiten und sogar Erfolge auf dem höchsten Niveau zu erzielen.
-
16.3.4
-
Suizid und Selbstverletzung
?? 16.13 Welche Faktoren erhöhen das Risiko für
Suizid, und was wissen wir über nicht suizidales selbstverletzendes Verhalten?
» „Das Leben, dieser Erdenschranken satt,
Hat stets die Macht, sich selber zu entlassen.“ William Shakespeare, Julius Cäsar (1599)
16
Jedes Jahr entscheiden sich über 800.000 verzweifelter Menschen weltweit für die irreversible Lösung eines Problems, das sehr wohl vorübergehender Natur sein mag (WHO, 2014c). Diejenigen, die eine Angststörung hatten, haben ein 3-fach erhöhtes Suizidrisiko, und bei denjenigen, die depressiv waren, ist das Risiko 5-mal so hoch (Bostwick & Pankratz, 2000; Kanwar et al., 2013). Menschen begehen jedoch selten Suizid, wenn sie tief in einer Depression stecken; dann fehlt es an der nötigen Energie und Initiative. Die Suizidgefahr steigt jedoch, sobald sie sich erholen und wieder in der Lage sind, etwas zu tun (Chu et al., 2016). Beim Vergleich der Selbsttötungsraten in unterschiedlichen Gruppen fanden die Forschenden Folgendes heraus: Nationale Unterschiede: Die Selbsttötungsraten in England, Italien und Spanien waren etwa halb so hoch wie die in Kanada, Australien und den USA. Österreichs und Finnlands Raten sind ca. doppelt so hoch (WHO, 2011). Deutschland liegt mit 13,5 Suiziden pro 100.000 Einwohner:innen (Männer 20,3; Frauen 7,3) im Mittelfeld der weltweiten Statistik der Weltgesundheitsorganisation (WHO, 2003). Innerhalb Europas hatten die Menschen mit der höchsten Suizidtendenz (die Weißruss:innen) eine 16-mal höhere Wahrscheinlichkeit, zu suizidieren als die mit der geringsten Tendenz (die Georgier:innen). Ethnische Unterschiede: Die Wahrscheinlichkeit, zu suizidieren, ist bei weißen Amerikaner:innen und Amerikaner:innen indianischer Abstammung doppelt so hoch wie bei Amerikaner:innen schwarzer, hispanischer und asiatischer Abstammung (CDC, 2012). Geschlechtsunterschiede: Frauen begehen viel eher einen Suizidversuch als Männer (WHO, 2011). Allerdings haben Männer eine 2- bis 4-mal (je nach Land) höhere Wahrscheinlichkeit, tatsächlich zu suizidieren. Männer verwenden tödlichere Methoden, wie z. B.
-
einen Kopfschuss, die Methode der Wahl in den USA in 6 von 10 Fällen. Altersunterschiede und Trends: Die Suizidrate steigt im späten Erwachsenenalter die höchste Rate ist bei den 45- bis 64-Jährigen und die zweithöchste bei den über 85-Jährigen zu verzeichnen (AFSP, 2015). In der letzten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat sich die globale jährliche Suizidrate fast verdoppelt (WHO, 2008). In Deutschland zeigt sich ein etwas anderes Bild: Die Zahl der Suizide hat seit den 80er Jahren stark abgenommen und sich danach stabilisiert (Fiedler, 2003). Andere Gruppenunterschiede: Bei reichen, nicht religiösen, alleinstehenden, verwitweten oder geschiedenen Menschen liegt die Selbsttötungsrate wesentlich höher (Hoyer & Lund, 1993; Norko et al., 2017; Okada & Samreth, 2013; VanderWeele et al., 2016, 2017). Das Erleiden körperlicher Schmerzen und Traumata kann das Suizidrisiko erhöhen; dies könnte eine Erklärung sein, warum die Suizidraten von Kriegsveteran:innen und Ärzt:innen erhöht sind (Bender et al., 2012; Cornette et al., 2009). Schwule, Transgender und nicht geschlechtskonforme Jugendliche, die auf eine wenig unterstützende Umgebung, wie die Ablehnung durch Familie oder Bezugspersonen, treffen, unternehmen häufiger Selbsttötungsversuche (Goldfried, 2001; Haas et al., 2011; Hatzenbuehler, 2011; Testa et al., 2017). Wochentag und saisonale Unterschiede: Negative Gefühle verstärken sich tendenziell zur Wochenmitte, was tragische Folgen haben kann (Watson, 2000). Erstaunlicherweise erfolgen 25 % der Suizide in den USA an einem Mittwoch (Kposowa & D’Auria, 2009). Die Selbsttötungsraten sind im April und Mai am höchsten und nicht (wie man gemeinhin glaubt) in den Winterferien (Nock, 2016).
-
Auch Medieneinflüsse können diese letzte Handlung auslösen. Nach öffentlichkeitswirksamen Selbsttötungen und Fernsehserien, die Suizid thematisieren, steigt die Anzahl der Suizide, die als solche erkannt werden. Das gilt auch für tödliche Autounfälle und private Flugzeugabstürze. Eine sechsjährige Studie erfasste alle Suizidfälle, die sich unter den 1,2 Mio. Einwohner:innen der Metropole Stockholm zu irgendeinem Zeitpunkt während der 90er Jahre ereigneten (Hedström et al., 2008). Männer, in deren Familie ein Suizid stattgefunden hatte, hatten ein 8-fach höheres Risiko, Suizid zu begehen, als Männer ohne solch einen Vorfall. Zwar lässt sich dieser Befund teilweise Genen zuschreiben, aber genetische Prädispositionen können nicht erklären, warum Männer, deren Arbeitskollege Suizid begangen hatte, ebenfalls ein 3,5-fach erhöhtes Risiko hatten, Suizid zu begehen. Suizid ist nicht notwendigerweise ein feindseliger Akt oder Racheakt. Vor allem ältere Menschen wählen die Selbsttötung wohl oft als Alternative zu ihrem gegenwärtigen oder zukünftigen Leiden, eine Möglichkeit, nicht
16.3 • Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
mehr auszuhaltende Schmerzen auszuschalten und die Familienmitglieder von der subjektiv wahrgenommenen Last zu befreien. Suizidwünsche treten typischerweise auf, wenn Menschen sich von anderen als getrennt erleben und sich selbst als Last für diese empfinden oder wenn sie sich unterlegen und gefangen in einer unausweichlichen Situation fühlen (Joiner, 2010; Taylor et al., 2011). Deshalb steigen die Suizidraten durch die Arbeitslosigkeit während eines wirtschaftlichen Abschwungs etwas an (DeFina & Hannon, 2015; Reeves et al., 2014). Suizidale Gedanken können auch steigen, wenn Menschen dazu gedrängt werden, ein Ziel zu erreichen oder einem Vorbild zu entsprechen – dünn, erfolgreich oder reich zu werden –, und dies unerreichbar finden (Chatard & Selimbegović, 2011). Im Rückblick können sich Familien und Freund:innen an Zeichen erinnern, die sie hätten vorwarnen sollen – z. B. verbale Hinweise, das Verschenken von Besitztümern, der Rückzug oder die Beschäftigung mit dem Thema Tod. Laut Befragungen von 84.850 Menschen aus 17 Ländern haben 9 % schon irgendwann einmal ernsthaft darüber nachgedacht zu suizidieren. Ca. 3 von 10 von denen, die darüber nachdenken, werden es auch wirklich versuchen (Nock et al., 2008). Nur 3 % der US-Amerikaner:innen kommen bei diesem Versuch zu Tode (Han et al., 2016). In einer Studie, die Menschen bis zu 25 Jahre nach ihrem ersten Suizidversuch begleitete, starben etwa 5 % durch Selbsttötung (Bostwick et al., 2016). Eine Gruppe von klinischen Psycholog:innen fasste 50 Jahre Forschung über die Unvorhersehbarkeit des Suizids zusammen: „Die große Mehrheit der Menschen, die einen gewissen Risikofaktor [für Suizid] besitzt, wird nie ein suizidales Verhalten zeigen“ (Franklin et al., 2017, S. 217). Doch die Forscher:innen versuchen weiterhin, die Rätsel um den Suizid zu lösen. Obwohl die meisten Selbsttötungsversuche scheitern, ist das Risiko, durch Suizid zu sterben, bei denjenigen, die bereits einen solchen Versuch hinter sich haben, um das 7-fache erhöht (Al-Sayegh et al., 2015). Auch in Deutschland wird geschätzt, dass 10- bis 15mal so viele Suizidversuche unternommen wie Suizide schließlich vollendet werden. Dabei ist auch bei uns die Zahl der Suizidversuche bei Frauen weitaus höher als bei Männern; die Rate der vollendeten Suizide liegt aber bei Männern höher (Schmidtke et al., 2000). Jedes Jahr nehmen sich etwa 40.000 Amerikaner:innen das Leben – etwa zwei Drittel von ihnen mit Schusswaffen. (Selbsttötungsversuche werden zu 80 % mit einer Überdosis Drogen unternommen, sie machen aber nur 14 % der vollendeten Suizide aus.) US-Bundesstaaten mit hoher Waffendichte sind Staaten mit hohen Selbsttötungsraten, selbst wenn man Armut und höhere Stressexposition in der Stadt berücksichtigt (Miller et al., 2002, 2016; Tavernise, 2013). Nachdem Missouri sein strenges Gesetz über Handfeuerwaffen aufhob, stieg die Suizidrate um 15 %; als Connecticut ein solches Gesetz erließ, sank sie um 16 % (Crifasi et al., 2015). Obwohl in den
699
USA viele eine Waffe besitzen, weil sie sich dann sicherer fühlen, bedeutet eine Waffe im Haus tatsächlich weniger Sicherheit, weil es die Wahrscheinlichkeit erheblich erhöht, dass ein Familienmitglied durch Suizid oder Mord ums Leben kommt (Kposowa et al., 2016; VPC, 2015; Vyse, 2016). Wie können wir jemandem helfen, der über Selbsttötung redet – der z. B. sagt: „Ich wünschte, ich könnte einfach alles beenden“ oder „Ich hasse mein Leben; ich kann so nicht weitermachen“? Wenn Menschen so etwas im Netz schreiben, können Sie sich anonym an die Sicherheitsteams verschiedener Social-Media-Websites (einschließlich Facebook, Twitter, Instagram, YouTube und Tumblr) wenden. Wenn ein:e Freund:in oder jemand aus der Familie über Suizid spricht, können Sie 1. zuhören und Ihr Mitgefühl zeigen; 2. den Kontakt zur Telefonseelsorge (0800 111 0 111 bzw. 0800 111 0 222) herstellen, sie ist rund um die Uhr erreichbar. Das Angebot umfasst inzwischen auch eine Mailseelsorge und Chatseelsorge (7 https://online. telefonseelsorge.de/). Oder sie können dafür sorgen, dass die Betroffenen in eine Beratungsstelle, in eine Klinik oder zum Arzt bzw. einer Ärztin gehen. 3. bei unmittelbarer Gefahr für das Leben die Person schützen, indem Sie Hilfe bei einem Arzt, einer Ärztin oder der nächstgelegenen Notaufnahme eines Krankenhauses suchen oder den Notruf 112 wählen. Besser ein Geheimnis preisgeben, als auf eine Beerdigung gehen zu müssen. zz Nicht suizidales selbstverletzendes Verhalten
Selbstverletzung kann viele Formen annehmen. Einige Menschen, besonders Jugendliche und Frauen, greifen zu nicht suizidalem selbstverletzendem Verhalten (. Abb. 16.29). Solch ein Verhalten ist zwar schmerzhaft, aber endet nicht tödlich. Selbstverletzung umfasst das Ritzen oder Verbrennen der Haut, sich selbst zu schlagen, sich Haare auszureißen, sich einen Gegenstand unter die Fingernägel oder Haut zu schieben und sich selbst Tattoos zu stechen. Menschen, die sich selbst verletzen, haben oft Mobbing, Belästigung und anderen Stress im Leben erfahren (Liu et al., 2016; van Geel et al., 2015). Sie können oft seelische Belastungen schlechter ertragen und regulieren (Hamza et al., 2015). Oft sind sie extrem selbstkritisch, haben schlechte Kommunikations- und Problemlösefähigkeiten und zeigen Leistungsschwächen in der Schule oder Uni (Kiekens et al., 2016; Nock, 2010; You et al., 2015). Warum verletzen sie sich selbst? Hier wirken Verstärkungsprozesse (Bentley et al., 2014). Durch selbstverletzendes Verhalten können Menschen durch die Ablenkung durch Schmerz Erleichterung von intensiven negativen Gedanken erfahren, Aufmerksamkeit gewinnen und eventuell Hilfe bekommen, Schuldgefühle durch Selbstbestrafung lindern,
-
16
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
700
450 400 Verletzungsrate pro 100.000 Menschen
Mädchen/Frauen 350 300 250 200 150 100 Jungen/Männer 50 0 0–4
5–9
10–14 15–19 20–24 25–29 30–34 35–39 40–44 45–49 50–54 55–59 60–64 65–69 70–74 75–79 80–84
85>
Altersgruppe (in Jahren) ..Abb. 16.29 Raten nicht tödlicher Selbstverletzungen in den USA. Die Häufigkeiten von selbstverletzendem Verhalten sind bei Frauen höher als bei Männern (CDC, 2009)
-
andere dazu zu bringen, ihr negatives Verhalten (Mobbing, Kritik) zu verändern, in eine Gruppe passen.
16
Führt nicht suizidales selbstverletzendes Verhalten zu Suizid? Üblicherweise nicht. Personen, die sich selbstverletzend verhalten, zeigen typischerweise suizidale Gesten, aber verüben keinen Suizid (Nock & Kessler, 2006). Nichtsdestotrotz ist selbstverletzendes Verhalten ein Risikofaktor für Suizidgedanken und spätere Suizidversuche, vor allem wenn es mit einer bipolaren Störung einhergeht (Hawton et al., 2015; Runeson et al., 2016; Willoughby et al., 2015). Wenn Menschen keine Hilfe finden, kann ihr nicht suizidales Verhalten eskalieren und zu Suizidgedanken führen, die schließlich umgesetzt werden.
» „Menschen wünschen sich den Tod, wenn zwei Grund-
bedürfnisse so sehr frustriert wurden, dass sie ausgelöscht sind: das Bedürfnis nach Zugehörigkeit oder Bindung, und das Bedürfnis nach Kompetenz, der Wunsch, anderen etwas zu bedeuten.“ Thomas Joiner (2006, S. 47) Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was bedeutet es, wenn man sagt, dass „Depression eine Störung des ganzen Körpers“ ist?
16.3.5
Rückblick: Depressive Störungen, bipolare Störung, Suizid und Selbstverletzung
Verständnisfragen
16.11 – Wie unterscheiden sich Major Depression, persistierende depressive Störung und bipolare Störung? 16.12 – Wie erklären biologische und sozial-kognitive Ansätze affektive depressive Störungen und die bipolare Störung? 16.13 – Welche Faktoren erhöhen das Risiko für Suizid, und was wissen wir über nicht suizidales selbstverletzendes Verhalten?
---
Schlüsselbegriffe Bipolare Störung Major Depression Manie Rumination
Master the Material 1. Der Geschlechtsunterschied bei depressiven Störungen bezieht sich auf die Beobachtung, dass das Risiko einer Depression bei ___ (Männern/Frauen) fast doppelt so hoch ist wie das von ___ (Männern/ Frauen). 2. Die Prävalenz der bipolaren Störung ist im 21. Jahrhundert dramatisch angestiegen, insbesondere bei … a. Frauen mittleren Alters. b. Männern mittleren Alters. c. Menschen ab 20. d. Menschen bis einschließlich 19.
16.4 • Schizophrenie
701
..Abb. 16.30 (© Claudia Styrsky)
3. Zur Behandlung von depressiven Störungen werden häufig Medikamente eingesetzt, die die Ausschüttung der Neurotransmitter ___ und ___ erhöhen. 4. Psycholog:innen, die bei ihrer Arbeit den Schwerpunkt auf die Bedeutung negativer Wahrnehmungen, Überzeugungen und Gedanken bei Depression legen, arbeiten mit der ___ Perspektive. 16.4 Schizophrenie
Während ihrer schwersten Episoden leben schizophrene Menschen in ihrer eigenen Innenwelt und beschäftigen sich mit seltsamen Vorstellungen und Bildern, die sie heimsuchen. Das Wort Schizophrenie bedeutet „gespaltener“ (schizo) „Verstand“ (phrenia). Diese Abspaltung bezieht sich nicht auf multiple Persönlichkeiten, sondern eher auf eine Abspaltung des Verstands von der Realität. Menschen mit Schizophrenie haben eine gestörte Wahrnehmung und Überzeugungen, eine desorganisierte Sprache und unangemessene Emotionen (und Handlungen; . Abb. 16.30). Schizophrenie ist das wichtigste Beispiel für eine psychotische Störung, eine Gruppe von Erkrankungen, die durch Irrationalität, eine verzerrte Wahrnehmung und Realitätsverlust gekennzeichnet ist. 16.4.1
Symptome der Schizophrenie
?? 16.14 Welche Muster des Wahrnehmens, Denkens,
und Fühlens charakterisieren die Schizophrenie?
Schizophrenie tritt in verschiedenen Formen auf. Betroffene können Positivsymptome (Auftreten von unangemessenen Verhaltensweisen) oder Negativsymptome (Fehlen von angemessenen Verhaltensweisen) zeigen.
Menschen mit diesen sogenannten positiven Symptomen können Halluzinationen erleben, auf desorganisierte und wahnhafte Weise sprechen und demonstrieren vielleicht unpassendes Gelächter, Tränen oder Wut. Menschen mit negativen Symptomen haben oft tonlose Stimmen, ausdruckslose Gesichter bzw. ausdruckslose und rigide Körperhaltungen. Schizophrenie („schizophrenia“) – eine Störung, die durch
Wahnvorstellungen, Halluzinationen, desorganisierte Sprache und/oder unangemessene Gefühlsäußerungen gekennzeichnet ist. Psychose („psychosis“) – eine Krankheitsgruppe psychischer Störungen, die durch irrationale Ideen, eine gestörte Wahrnehmung und Realitätsverlust gekennzeichnet ist. Wahnvorstellung („delusion“) – eine falsche Überzeugung (häufig zu Verfolgung oder eigener Großartigkeit), die mit psychotischen Störungen einhergehen kann. zz Gestörte Wahrnehmung und Überzeugungen
Menschen mit einer Schizophrenie haben manchmal Halluzinationen – sie sehen, fühlen, schmecken oder riechen Dinge, die nur in ihren Köpfen existieren (. Abb. 16.31). Meist handelt es sich bei den Halluzinationen um Stimmen, die manchmal beleidigende Kommentare abgeben oder Befehle erteilen. Die Stimmen können der Person sagen, dass sie schlecht ist oder dass sie sich mit einem Feuerzeug verbrennen soll. Stellen Sie sich Ihre eigene Reaktion vor, wenn ein Traum in Ihr Wachbewusstsein eindringen würde und Sie Wahrnehmung und Einbildung kaum trennen können. Wenn das Irreale real erscheint, sind die sich daraus ergebenden Wahrnehmungen bestenfalls bizarr, schlimmstenfalls aber grauenvoll. Halluzinationen sind falsche Wahrnehmungen. Menschen mit Schizophrenie haben ein desorganisiertes,
16
702
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.31 a,b Kunst von jemandem, bei dem Schizophre‑ nie diagnostiziert wurde. Der Dichter und Kunstkritiker John Ashbery schrieb über Kunstwerke wie die hier abgebildeten Holzskulpturen von Karl Genzel: „Die Anziehungskraft dieser Arbeiten ist genauso stark wie das Entsetzen über die nicht zu lösenden Rätsel, die hier zum Ausdruck kommen.“ (© picture alliance)
16
fragmentiertes Denken, das oft durch falsche Überzeugungen verzerrt ist – diese falschen Überzeugungen nennen wir Wahnvorstellungen. Personen mit paranoiden Tendenzen glauben mitunter, dass sie bedroht oder verfolgt werden. Eine Ursache für desorganisiertes Denken kann ein Zusammenbruch der selektiven Aufmerksamkeit sein. Normalerweise verfügen wir über eine bemerkenswerte Fähigkeit, unsere ungeteilte Aufmerksamkeit einer Quelle sensorischer Reize zuzuwenden, während wir andere Reize ausblenden. Menschen, die an Schizophrenie leiden, sind durch einen irrelevanten, winzigen Reiz leicht abzulenken, wie z. B. durch die Rillen auf einem Ziegelstein oder die Modulation einer Stimme. Diese Schwierigkeit mit selektiver Aufmerksamkeit ist einer von Dutzenden kognitiven Unterschieden, die mit Schizophrenie einhergehen (Reichenberg & Harvey, 2007). zz Desorganisiertes Sprechen
Maxine, eine junge Frau mit Schizophrenie, glaubte, sie sei Mary Poppins. Sich mit ihr zu unterhalten war schwierig, denn ihre Gedanken sprudelten ohne eine logische Ordnung aus ihr heraus. Susan Sheehan, die Verfasserin von Maxines Biographie (1982, S. 25), beobachtete, wie sie laut vor sich hinsprach: „Heute Morgen im HillsideKrankenhaus machte ich einen Film. Ich war umgeben von Filmstars. … Wurde dieser Raum blau gestrichen, damit ich mich aufrege? Meine Großmutter ist 4 Wochen nach meinem 18. Geburtstag gestorben.“ Sogar innerhalb eines Satzes kann es passieren, dass jemand von einer Idee zur nächsten springt, sodass eine Art „Wortsalat“ daraus entsteht. Ein junger Mann bat um „ein bisschen mehr Allegro in der Behandlung“ und regte an, dass die „Befreiungsbewegung zur Erweiterung des Horizonts ergo etwas Verstand in den Vorlesungen erzwingen“ wird.
zz Verminderte und unangemessene Emotionen und Handlungen
Die bei einer Schizophrenie auftretenden Emotionen sind oft völlig unangemessen und abgespalten von der Realität (Kring & Caponigro, 2010). Maxine lachte, nachdem sie sich an den Tod ihrer Großmutter erinnert hatte. Manchmal weinte sie, wenn andere lachten oder wurde ohne ersichtlichen Grund wütend. Andere Schizophrenieerkrankte verfallen bisweilen in einen emotionslosen Zustand „flachen Affekts“ ohne sichtbare Gefühlsregung. Zum Beispiel bewirken Geldzuwendungen nicht die normale Aktivierung des Belohnungszentrums im Gehirn (Radua et al., 2015). Die meisten haben auch Defizite in ihrer Theory of Mind – sie haben Schwierigkeiten, Emotionen im Gesicht wahrzunehmen und die Gemütsverfassung anderer einzuschätzen (Bora & Pantelis, 2016). Da Menschen mit Schizophrenie nicht in der Lage sind, die Stimmungen anderer zu verstehen, fällt es ihnen schwer, Anteilnahme und Mitleid zu empfinden (Bonfils et al., 2016). Diese emotionalen Defizite treten im frühen Krankheitsstadium auf und haben eine genetische Grundlage (Bora & Pantelis, 2013). Auch das motorische Verhalten kann unangemessen und gestört sein. Manche Menschen mit Schizophrenie verfallen in einen katatonen Zustand, bei dem sie in körperlichem Stupor für Stunden in Bewegungslosigkeit verharren. Andere führen sinnlose Zwangshandlungen aus, wie z. B. das fortwährende Wiegen oder Reiben des Armes, bis hin zu extremer und gefährlicher Unruhe. Wie Sie sich sicher vorstellen können, zerstören derart verzerrte Wahrnehmungen und Überzeugungen, desorganisiertes Sprechen und unangemessene Emotionen tiefgreifend jegliche sozialen und beruflichen Beziehungen. Während ihrer schwersten Episoden leben schizophrene Menschen in ihrer eigenen Innenwelt und beschäftigen sich mit unlogischen Ideen und unwirk-
703
16.4 • Schizophrenie
lichen Bildern. Wie bei anderen psychischen Störungen haben viele Betroffene auch Schlafprobleme, was nächtliches Essen und Übergewicht verstärken kann (Baglioni et al., 2016; Palmese et al., 2011). In einer stützenden Umgebung und unter Medikation haben über 40 % der Schizophreniebetroffenen Phasen von 1 Jahr oder länger, in denen sie ein normales Leben führen können (Jobe & Harrow, 2010). Aber nur 1 von 7 wird vollständig und dauerhaft genesen (Jääskeläinen et al., 2013).
» „Stellen Sie sich einmal Folgendes vor: Der Steuerungsmechanismus, der bestimmte Informationen an Sie weiterleitet und andere ausfiltert, schaltet sich plötzlich ab. Sofort hat alles, was auf Sie einströmt, was Sie sehen, hören, riechen, das gleiche Gewicht. Jeder Gedanke, jedes Gefühl, jede Erinnerung und Idee hat für Sie die gleiche starke und fordernde Intensität.“ Elyn R. Saks, The Center Cannot Hold (2007)
16.4.2
Beginn und Entwicklung von Schizophrenie
?? 16.15 Wie unterscheiden sich chronische und akute
Schizophrenie?
Dieses Jahr wird nahezu einer von 100 zu den geschätzten 21 Mio. Menschen weltweit hinzukommen, die an Schizophrenie leiden (WHO, 2017a). Die Krankheit kennt keine nationalen Grenzen und tritt in der Regel beim Eintritt ins Erwachsenenalter auf. Männer sind meist früher davon betroffen sowie heftiger und etwas öfter (Aleman et al., 2003; Eranti et al., 2013; Picchioni & Murray, 2007). Tritt die Schizophrenie als ein sich langsam entwickelnder Prozess auf, eine sog. chronische Schizophrenie, so ist eine Genesung eher unwahrscheinlich (Harrison et al., 2001; Jääskeläinen et al., 2013). In manchen Fällen tritt die Schizophrenie ganz plötzlich auf und scheint eine Reaktion auf Stress zu sein. Dies war bei Maxine der Fall war, deren Schizophrenie einen langsamen Verlauf nahm. Die Störung tauchte auf, nachdem sie sich schon über einen längeren Zeitraum hinweg in sozialen Situationen inadäquat verhalten hatte und in schulischen Bereichen schwache Leistungen zeigte (MacCabe et al., 2008). Menschen mit chronischer Schizophrenie zeigen oft das Negativsymptom „sozialer Rückzug“ (Kirkpatrick et al., 2006). Männer, bei denen sich die Schizophrenie durchschnittlich 4 Jahre früher entwickelt als bei Frauen, leiden häufiger unter einer Negativsymptomatik und chronischer Schizophrenie (Räsanen et al., 2000). Entwickelt dagegen ein ehemals gut angepasster Mensch innerhalb kurzer Zeit eine Schizophrenie als Reaktion auf Belastungen, d. h. eine akute Schizophrenie,
dann ist eine Genesung sehr viel wahrscheinlicher. Sie haben häufiger positive Symptome, die eher auf eine medikamentöse Therapie ansprechen (Fenton & McGlashan, 1991, 1994; Fowles, 1992). Chronische Schizophrenie („chronic schizophrenia“, auch „process schizophrenia“) – eine Form der Schizophrenie,
bei der die Symptome gewöhnlich im späten Jugendalter oder frühen Erwachsenenalter auftreten. Mit zunehmendem Alter dauern die psychotischen Episoden länger und die Erholungsphasen verkürzen sich. Akute oder reaktive Schizophrenie („acute schizophrenia“, auch „reactive schizophrenia“) – eine Form der Schizo-
phrenie, die in jedem Alter beginnen kann, sie tritt häufig als Reaktion auf ein emotional traumatisches Ereignis auf und hat längere Erholungsphasen. 16.4.3 Erklärungsansätze
Die Schizophrenie ist eine der am intensivsten untersuchten psychischen Störungen. Die meisten Studien bringen sie heute mit abnormem Hirngewebe und einer genetischen Disposition in Verbindung. Bei der Schizophrenie handelt es sich um eine Erkrankung des Gehirns, die sich hauptsächlich in psychischen Symptomen manifestiert.
Gehirnanomalien ?? 16.16 Welche Gehirnanomalien stehen in Zusammen-
hang mit Schizophrenie?
Könnte es sein, dass der Schizophrenie chemische Ungleichgewichte im Gehirn zugrunde liegen? Wissenschaftler wussten seit langem, dass ein seltsames Verhalten sonderbare chemische Ursachen haben kann. Die englische Redensart „verrückt wie ein Hutmacher“ („mad as a hatter“) bezieht sich auf den geistigen Verfall der britischen Hutmachenden. Wie man später entdeckte, wurde ihr Gehirn tatsächlich langsam vergiftet, weil sie mit ihren Lippen die Hutkrempen der mit Quecksilber belasteten Filzhüte befeuchteten (Smith, 1983). Könnten biochemische Ursachen auch ein Erklärungsansatz für die Schizophreniesymptomatik sein? Wissenschaftler:innen suchen nach Proteinen im Blut, mit denen sich die Entstehung einer Schizophrenie vorhersagen lässt (Chan et al., 2015). Und sie erforschen die Mechanismen, durch die chemische Substanzen Halluzinationen und andere Symptome auslösen. >>Die meisten Schizophreniepatienten rauchen, was so-
wohl ihre Anfälligkeit für Schizophrenie erhöht als auch dazu beiträgt, dass sie eine um 14,5 Jahre kürzere Lebenserwartung als der Durchschnitt haben (Gurillo et al., 2015; Hjorthøj et al., 2017; Kendler et al., 2015b; Olfson et al., 2015).
16
704
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
zz Dopaminüberschuss
Eine mögliche Antwort zeichnete sich ab, als Forschende die Gehirne von schizophrenen Patient:innen nach deren Tod untersuchten. Sie entdeckten einen Überschuss an Dopaminrezeptoren – darunter eine 6-fach erhöhte Menge an sogenannten D4-Dopaminrezeptoren (Seemann et al., 1993; Wong et al., 1986). Ein derart hyperreaktives Dopaminsystem lässt bei einer Schizophrenie die Gehirnsignale intensiver werden und ruft dadurch positive Symptome wie Halluzinationen und Paranoia hervorruft (Maia & Frank, 2017). Medikamente, die die Dopaminrezeptoren blockieren, mildern oft diese Symptome. Drogen wie z. B. Amphetamine und Kokain, die die Dopaminkonzentration erhöhen, wirken mitunter symptomverstärkend (Basu & Basu, 2015; Farnia et al., 2014).
(Arnone et al., 2008; Bois et al., 2016). Noch eine weitere Region ist der Thalamus, was eine Erklärung dafür sein könnte, dass Menschen mit einer Schizophrenie Schwierigkeiten haben, den sensorischen Input zu filtern und ihre Aufmerksamkeit zu konzentrieren (Andreasen et al., 1994; Ellison-Wright et al., 2008). Schizophrenie scheint auch an einem Verlust von neuronalen Verbindungen im gesamten Netzwerk von Hirnarealen beteiligt zu sein (Bohlken et al., 2016; Kambeitz et al., 2016). Das Fazit: Bei der Schizophrenie handelt es sich nicht um eine isolierte Gehirnabnormität, sondern um Probleme mit mehreren Gehirnregionen und ihren Verbindungen untereinander (Andreasen, 1997, 2001; Arnedo et al., 2015).
Risiko pränataler Umwelteinflüsse ?? 16.17 Bei welchen pränatalen Ereignissen besteht ein
zz Abnorme Hirnaktivität und ‑anatomie
16
Eine abnorme Gehirnaktivität und abnorme Gehirnstrukturen sind Begleiterscheinungen der Schizophrenie. Bei manchen Menschen mit einer Schizophrenie ist die Gehirnaktivität in den Frontallappen, die entscheidend sind für Schlussfolgerungen, Planung und Problemlösen, ungewöhnlich gering (Morey et al., 2005; Pettegrew et al., 1993; Resnick, 1992). Gehirnscans zeigen auch eine erkennbare Abnahme der Hirnwellen auf, die Ausdruck eines synchronisierten Feuerns der Nervenzellen in den Frontallappen sind (Spencer et al., 2004; Symond et al., 2005). Eine Studie untersuchte PET-Aufnahmen von der Gehirnaktivität halluzinierender Patient:innen (Silbersweig et al., 1995). Wenn die Teilnehmenden eine Stimme hörten oder etwas sahen, wurden ihre Gehirne in mehreren Kernbereichen überaus aktiv. Dazu gehörte auch der Thalamus, der Teil des Gehirns, der ankommende sensorische Signale filtert und sie zum Kortex weiterleitet. Bei einer weiteren PET-Studie zur Hirnaktivität von Menschen mit Paranoia fand man eine erhöhte Hirnaktivität im angstverarbeitenden Zentrum, der Amygdala (Epstein et al., 1998). Viele Studien entdeckten auch vergrößerte und mit Flüssigkeit gefüllte Hirnbereiche und eine entsprechende Schrumpfung und Ausdünnung des Gehirngewebes (Goldman et al., 2009; van Haren et al., 2016). Oft werden diese Veränderungen im Gehirn vererbt. Wenn ein erkrankter eineiiger Zwilling Gehirnanomalien aufweist, ist die Wahrscheinlichkeit mindestens 1 zu 2, dass auch das Gehirn des anderen Zwillings davon betroffen ist (van Haren et al., 2012). In einigen Studien fand man sogar diese Abnormitäten in den Gehirnen von Menschen, die erst später eine Schizophrenie entwickelten (Karlsgodt et al., 2010). Je stärker die Gehirnschrumpfung, desto schwerwiegender die Denkstörung (Collinson et al., 2003; Nelson et al., 1998; Shenton et al., 1992). Zu den Regionen, die kleiner als normal sind, können der Kortex, der Hippocampus und die Corpus-CallosumVerbindung zwischen den beiden Hemisphären gehören
erhöhtes Risiko, eine Schizophrenie zu entwickeln?
Wodurch werden Gehirnabnormitäten bei Menschen mit Schizophrenie verursacht? Es wäre möglich, dass ein Problem während der pränatalen Entwicklung oder bei der Entbindung dafür verantwortlich ist (Fatemi & Folsom, 2009; Walker et al., 2010). Ein geringes Geburtsgewicht, mütterliche Diabetes, ein höheres Alter der Eltern und Sauerstoffmangel während der Geburt sind Risikofaktoren der Schizophrenie (King et al., 2010). Hungersnöte können das Risiko wahrscheinlich ebenfalls erhöhen. Von den Menschen, die gezeugt wurden, während die kriegsbedingte Hungersnot in Holland ihren Höhepunkt erreichte, entwickelten später doppelt so viele wie normalerweise eine Schizophrenie. Das gleiche Phänomen lässt sich auch während der Hungersnot im östlichen China 1959–1961 feststellen (St. Clair et al., 2005; Susser et al., 1996). Ein anderer möglicher Auslöser ist ebenfalls in Erwägung zu ziehen. Könnte eine virale Infektion in der Mitte der Schwangerschaft negative Auswirkungen auf die fötale Gehirnentwicklung haben (Patterson, 2007)? Können Sie sich vorstellen, wie man diese Annahme über ein Virus beim Fötus überprüft? Wissenschaftler:innen, die diese Möglichkeit erforschen, stellten folgende Fragen: Haben Menschen ein höheres Schizophrenierisiko, wenn in der Mitte ihrer fötalen Entwicklung in ihrem Land eine Grippeepidemie ausbricht? Die Frage wurde mehrmals mit „Ja“ beantwortet (Mednick et al., 1994; Murray et al., 1992; Wright et al., 1995). Haben Menschen, die in dicht bevölkerten Gebieten aufwachsen und dadurch einer leichteren Ausbreitung von Viruserkrankungen ausgesetzt sind, ein höheres Schizophrenierisiko? Auch hier lautet die Antwort: „Ja“, wie in einer Studie mit 1,75 Mio. Dän:innen bestätigt wurde (Jablensky, 1999; Mortensen et al., 1999). Sind diejenigen, die während der Winter- und Frühlingsmonate geboren werden, also diejenigen, die während der Herbst-Winter-Grippewelle noch im
-
705
16.4 • Schizophrenie
Mutterleib waren, ebenfalls einem erhöhten Risiko ausgesetzt? Auch wenn der Anstieg mit einem um 5–8 % erhöhten Risiko nur klein ist, lautet die Antwort „Ja“ (Fox, 2010; Schwartz, 2011; Torrey & Miller, 2002; Torrey et al., 1997). Finden die Monate, in denen auf der Nordhalbkugel überdurchschnittlich viele Menschen mit einer latenten Schizophrenie geboren werden, eine Entsprechung auf der Südhalbkugel, wo die Jahreszeiten zeitlich versetzt ablaufen? Auch diese Frage konnte man wieder mit „Ja“ beantworten. In Australien hatten Menschen, die zwischen August und Oktober geboren wurden, ein größeres Risiko. Waren sie jedoch in der nördlichen Hemisphäre geboren und zogen später nach Australien, dann war das Risiko bei einer Geburt zwischen Januar und März entsprechend größer (McGrath et al., 1995, McGrath & Welham, 1999). Gebären Mütter, die über eine grippale Erkrankung während ihrer Schwangerschaft berichteten, mit einer höheren Wahrscheinlichkeit Kinder, die eine Schizophrenie entwickeln? In einer Studie, an der nahezu 8000 Frauen beteiligt waren, lautete die Antwort „Ja“. Das Schizophrenierisiko stieg vom gewöhnlichen 1 %-Risiko auf ungefähr 2 % an, allerdings nur bei Infektionen, die während des 2. Schwangerschaftsdrittels stattfanden (Brown et al., 2000). Eine mütterliche Grippeinfektion während der Schwangerschaft hatte auch bei Affen Auswirkungen auf die Hirnentwicklung (Short et al., 2010). Zeigt das Blut, das man schwangeren Frauen abnahm, deren Kinder später eine Schizophrenie entwickelten, eine abnorm hohe Antikörpermenge, die auf eine virale Infektion hinweist? In mehreren Studien, darunter eine, bei der bei etwa 20.000 schwangeren Frauen Blutproben gesammelt wurden, war die Antwort wieder „Ja“ (Brown et al., 2004; Buka et al., 2001; Canetta et al., 2014).
-
..Abb. 16.32 Das Risiko, eine Schizophrenie zu entwickeln. Das Risiko, irgendwann einmal im Leben eine Schizophrenie zu entwickeln, ist unterschiedlich, je nach der genetischen Verwandtschaft mit jemandem, der Schizophrenie hat. Über die verschiedenen Länder hinweg beträgt die Quote für zweieiige Zwillinge kaum mehr als 1:10. Bei eineiigen Zwillingen beträgt die Quote 5:10. (Daten aus Gottesman, 2001)
Schizophrenierisiko eines Zwillings, bei dessen Geschwister Schizophrenie diagnostiziert wurde
-
Diese übereinstimmenden Befunde deuten darauf hin, dass pränatale virale Infektionen zum Erkrankungsrisiko von Schizophrenie beitragen. Sie sprechen auch für die Empfehlung der US-Regierung, dass schwangere Frauen eine Grippeschutzimpfung erhalten sollten (CDC, 2014b).
Genetische Faktoren ?? 16.18 Wie beeinflussen Gene die Schizophrenie?
Welche Faktoren könnten frühe Warnsignale für Schizophrenie bei Kindern sein?
Fetale Virusinfektionen scheinen die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, dass ein Kind eine Schizophrenie entwickeln wird. Aber viele Frauen haben eine Grippe während des zweiten Schwangerschaftsdrittels, und nur 2 % von ihnen gebären ein Kind, das Schizophrenie entwickelt. Warum sind nur einige Kinder gefährdet? Könnten manche Menschen genetisch anfälliger für eine Schizophrenie sein? Das ist tatsächlich der Fall. Bei einem Durchschnittsmenschen beträgt das Risiko einer Schizophreniediagnose nahezu 1:100. Es steigt auf 1:10, wenn eine Schwester bzw. ein Bruder oder ein Elternteil die Störung hat, und ziemlich genau auf 1:2, wenn das betroffene Geschwisterkind ein eineiiger Zwilling ist (. Abb. 16.32). Diese 1:2-Wahrscheinlichkeit bleibt selbst dann bestehen, wenn die Zwillinge getrennt aufwachsen (Plomin et al., 1997). (Es sind kaum mehr als ein Dutzend solcher Fälle bekannt.) Doch erinnern Sie sich, dass eineiige Zwillinge mehr als ihre Gene gemeinsam haben. Sie haben auch eine gemeinsame pränatale Umwelt. Ungefähr zwei Drittel der eineiigen Zwillinge teilen sich auch die Plazenta und die Blutversorgung; das übrige Drittel hat zwei einzelne Plazentas. Es spielt eine Rolle, wenn Föten über dieselbe Plazenta versorgt werden. Wenn ein eineiiger Zwilling Schizophrenie hat, stehen die Chancen, dass auch der andere Zwilling in einer ähnlichen Weise betroffen ist,
% 70
Zweieiige Zwillinge
60
Eineiige Zwillinge
50 40 30 20 10 0 Japan (1996)
Dänemark (1996)
Finnland (1998)
Deutschland (1998)
Großbritannien (1999)
16
706
16
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
bei 6:10, wenn sie sich dieselbe Plazenta geteilt haben. Wuchsen eineiige Zwillinge jedoch in getrennten Plazentas heran, so fällt die Wahrscheinlichkeit auf 1:10 zurück (Davis et al., 1995; Davis & Phelps, 1995; Phelps et al., 1997). Zwillinge, die sich eine Plazenta teilen, bekommen mit höherer Wahrscheinlichkeit dieselben pränatalen Viren. Somit ist es möglich, dass sowohl gemeinsame Keime als auch gemeinsame Gene für Ähnlichkeiten zwischen eineiigen Zwillingen verantwortlich sind. Adoptionsstudien helfen, die genetischen von den umweltbedingen Einflüssen zu trennen. Kinder, die von jemandem adoptiert wurden, der eine Schizophrenie entwickelt, „fingen“ sich nicht die Störung ein. Vielmehr haben adoptierte Kinder vor allem dann ein erhöhtes Risiko, wenn ein biologischer Elternteil eine Schizophreniediagnose erhalten hatte (Gottesman, 1991). Gene spielen eine Rolle. Es wird intensiv nach spezifischen Genen gesucht, die in einer bestimmten Kombination Hirnanomalien prädisponieren, die eine Schizophrenie auslösen. (Es sind nicht die Gene, sondern es ist unser Gehirn, das unser Verhalten unmittelbar steuert.) In der bisher größten Studie zur Genetik psychiatrischer Störungen poolten Wissenschaftler:innen aus 35 Ländern die Daten der Genome von 37.000 Menschen mit Schizophrenie und 113.000 Menschen ohne Schizophrenie (Schizophrenia Working Group, 2014). Sie identifizierten 103 Genomstellen in Verbindung mit dieser Störung. Einige dieser Gene beeinflussen die Effekte, die Dopamin und andere Neurotransmitter auf das Gehirn haben. Andere wirken sich auf die Produktion von Myelin aus, ein fetthaltiger Stoff, der die Axone der Nervenzellen ummantelt und ermöglicht, dass Impulse in hoher Geschwindigkeit durch das Nervensystem gelangen können. Auch wenn die Gene eine Rolle spielen, so ist in diesem Falle die genetische Formel jedoch nicht so eindeutig definiert wie bei der Augenfarbe. Die Schizophrenie ist eine Störungsgruppe, die von mehreren Genen beeinflusst wird, die jeweils einen kleinen Teil dazu beitragen (Arnedo et al., 2015; Darby et al., 2016; International Schizophrenia Consortium, 2009). Und wie schon oft gesehen, interagieren genetische Veranlagung und Umwelteinflüsse. Epigenetische Faktoren bestimmen, ob Gene exprimiert werden. Wie heißes Wasser den Teebeutel aktiviert, können Umweltfaktoren, wie virale Infektionen, Nahrungsknappheit und mütterlicher Stress, die Gene „einschalten“, welche einige von uns einem höheren Risiko für Schizophrenie aussetzen. Die unterschiedlichen Entwicklungen eineiiger Zwillinge im und außerhalb des Mutterleibes erklären, warum sie eine abweichende Genexpression zeigen (Dempster et al., 2013; Walker et al., 2010; . Abb. 16.33). Unsere Vererbung und unsere Lebenserfahrung wirken zusammen. Eine Hand klatscht auch nicht von alleine. Dank unseres wachsenden Verständnisses der genetischen und hirnspezifischen Einflüsse auf Krankhei-
a
b Schizophrenie
Keine Schizophrenie
..Abb. 16.33 a,b Schizophrenie bei eineiigen Zwillingen. Wenn sich Zwillinge voneinander unterscheiden, hat nur der von einer Schizophrenie Betroffene die typisch vergrößerten, flüssigkeitsgefüllten Hirnventrikel (a; Suddath et al., 1990). Dieser Unterschied zwischen den Zwillingen weist darauf hin, dass hier ein nicht genetischer Faktor (z. B. ein Virus) beteiligt ist. (Courtesy of Daniel R. Weinberger, M.D., Lieber Institute for Brain Development)
ten wie Schizophrenie, schreibt die Öffentlichkeit psychischen Störungen immer mehr biologische Faktoren zu (Pescosolido et al., 2010). Werden also Wissenschaftler:innen Gentests entwickeln, mit denen man herausfinden kann, wer ein Risiko hat zu erkranken? Wenn dies so ist, werden die Menschen in Zukunft ihre Embryos einem Gentest aussetzen (und die Gene reparieren oder den Embryo abtreiben), wenn sie ein erhöhtes Risiko für diese oder irgendeine andere psychische oder körperliche Krankheit haben? Könnte es sein, dass sie ihre Eizelle bzw. ihre Samenzellen ins Genlabor zu einer Vorsorgeuntersuchung bringen, bevor sie sie zusammenführen, um einen Embryo zu erzeugen? Oder werden die Kinder auf genetische Risiken untersucht und präventiv angemessen behandelt? In dieser schönen neuen Welt des 21. Jahrhundert müssen derartige Fragen beantwortet werden.
Umweltauslöser für Schizophrenie Wenn pränatale Viren und genetische Prädispositionen nicht für sich genommen eine Schizophrenie verursachen, dann kann man auch nicht davon ausgehen, dass familiäre und soziale Faktoren allein dafür verantwortlich sind. Wie Susan Nicol und Irving Gottesman (1983) bereits vor über 30 Jahren bemerkten, bleibt es unbestritten, dass „keine umweltbedingten Ursachen entdeckt wurden, die unausweichlich oder auch nur mit einer mäßigen Wahrscheinlichkeit bei Menschen eine Schizophrenie hervorriefen, die nicht mit einem schizophrenen Menschen verwandt waren“. In der Hoffnung, für die Schizophrenie verantwortliche Auslöser in der Umwelt ausfindig zu machen, verglichen Forschende die Erfahrungen von Kindern mit einem „hohen Risiko“ (z. B. Kinder, die einen Verwandten mit einer Schizophrenie haben) mit denen von Kindern mit einem niedrigen Risiko (Freedman et al., 1998; Olin
707
16.4 • Schizophrenie
& Mednick, 1996; Susser, 1999). Bei einer Studie über 2,5 Jahre, die 163 Teenager und junge Erwachsene, die zwei Verwandte mit einer Schizophrenie hatten, wissenschaftlich begleitete, zeigten 20 % der Teilnehmenden, die eine Schizophrenie entwickelten, vor Ausbruch der Störung sozialen Rückzug und seltsames Verhalten (Johnstone et al., 2005). Die Forschenden identifizierten andere mögliche Frühwarnzeichen, unter anderem eine Mutter, die eine schwere und lange andauernde Schizophrenie hatte, Geburtskomplikationen (oft mit einem Sauerstoffmangel und geringem Geburtsgewicht einhergehend), eine Trennung von den Eltern, eine kurze Aufmerksamkeitsspanne und eine schlechte Muskelkoordination, störendes oder verschlossenes Verhalten, emotionale Unberechenbarkeit, wenig Beziehungen mit Gleichaltrigen, das Kind spielt allein und körperlicher, sexueller oder seelischer Missbrauch in der Kindheit (Abel et al., 2010; Freedman et al., 1998; Schiffman et al., 2001; Susser, 1999; Welham et al., 2009). Nur wenige von uns können die seltsamen Gedanken, Wahrnehmungen und Verhaltensweisen von Schizophrenen verstehen. Hin und wieder erleben auch wir Gedankensprünge, aber wir reden selten Unsinniges. Ab und zu verdächtigen wir jemanden ungerechtfertigt. Trotzdem befürchten wir nicht, dass sich die ganze Welt gegen uns wendet. Auch wir irren uns oft in unseren Wahrnehmungen, aber wir hören oder sehen selten Dinge, die nicht vorhanden sind. Wir bedauern es, wenn wir über ein Missgeschick eines Menschen lachen, doch lachen wir nur selten, wenn wir selbst schlechte Nachrichten erhalten. Manchmal wollen wir einfach allein sein, aber wir leben nicht in sozialer Isolation. Es ist jedoch so, dass Millionen von Menschen auf der ganzen Welt seltsame Dinge sagen, unter Wahnideen leiden, nicht vorhandene Stimmen hören und Sachen sehen, die nicht da sind. Sie lachen oder weinen zu unpassenden Gelegenheiten oder ziehen sich in ihre private innere Welt zurück. Die Forderung, das grausame Rätsel „Schizophrenie“ zu lösen, bleibt daher nach wie vor bestehen und muss tatkräftiger als je zuvor angegangen werden. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Eine Person mit Schizophrenie, die ___ (positive/ negative) Symptome hat, hat meist ein ausdrucksloses Gesicht und eine tonlose Stimme. Diese Symptome sind am meisten verbreitet bei ___ (chronischer/akuter) Schizophrenie, die eher nicht auf medikamentöse Therapie anspricht. Personen mit ___ (positiven/negativen) Symptomen erleben eher Wahnvorstellungen, was als ___ (chronische/ akute) Schizophrenie diagnostiziert wird, die eher auf eine medikamentöse Therapie anspricht. – Welche Faktoren tragen zum Beginn und Verlauf der Schizophrenie bei?
16.4.4
Rückblick: Schizophrenie
Verständnisfragen
16.14 – Welche Muster des Denkens, Wahrnehmens, Füh-
lens und Verhaltens charakterisieren die Schizophrenie? 16.15 – Wie unterscheiden sich chronische und akute Schizophrenie? 16.16 – Welche Gehirnanomalien stehen in Zusammenhang mit Schizophrenie? 16.17 – Bei welchen pränatalen Ereignissen besteht ein erhöhtes Risiko, eine Schizophrenie zu entwickeln? 16.18 – Wie beeinflussen Gene die Schizophrenie? Welche Faktoren könnten frühe Warnsignale für Schizophrenie bei Kindern sein?
---
Schlüsselbegriffe Akute Schizophrenie Chronische Schizophrenie Psychose Schizophrenie Wahnvorstellungen
Master the Material 1. Victor meinte: „Das Wetter war in letzter Zeit so schizophren: An einem Tag ist es heiß und am nächsten eiskalt!“ Ist das ein zutreffender Vergleich? Wenn ja, warum, wenn nein, warum nicht? 2. Eine Person mit Positivsymptomen der Schizophrenie wird sehr wahrscheinlich unter ___ leiden. a. Katatonie b. Wahnvorstellungen c. Rückzug d. Emotionaler Verflachung 3. Menschen mit Schizophrenie können Stimmen hören, die zur Selbstzerstörung auffordern, dies ist ein Beispiel für eine(n) ___. 4. Die Chancen auf Heilung von Schizophrenie sind am besten, wenn … a. der Ausbruch plötzlich, als eine Reaktion auf Stress erfolgt. b. die Verschlechterung allmählich, in der Kindheit eintritt. c. keine umweltbedingten Ursachen identifiziert werden können. d. es eine nachweisbare Hirnanomalie gibt.
16
708
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
16.5 Dissoziative
Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen
16.5.1
Dissoziative Störungen
?? 16.19 Was sind dissoziative Störungen, und warum
sind sie umstritten?
Zu den verwirrendsten Störungen gehören die seltenen dissoziativen Störungen, das bedeutet, das bewusste Erleben dissoziiert (spaltet sich ab) von den schmerzhaften Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen. Das Ergebnis kann ein „Dämmerzustand“ sein, ein plötzlicher Gedächtnisverlust oder eine Veränderung der Identität, oft als Reaktion auf eine überwältigende anstrengende Situation. So war es auch bei einem Vietnam-Veteranen, den der Tod seiner Kameraden verfolgte und der sein Büro im World Trade Center kurz vor dem Terroranschlag des 11. Septembers verlassen hatte. Dann verschwand er. 6 Monate später wurde er in einem Obdachlosenheim in Chicago aufgefunden, er berichtete, sich nicht an seine Identität oder Familie erinnern zu können (Stone, 2006). Dissoziative Störungen („dissociative disorders“) – um-
strittene, seltene Störungen, bei denen sich das Bewusstsein von früheren Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen abspaltet (dissoziiert). Dissoziation an sich ist gar nicht so selten. Wir haben alle möglicherweise hin und wieder ein Gefühl von Un-
16
..Abb. 16.34 Multiple Per‑ sönlichkeiten. Chris Sizemores Geschichte, die im Buch und Film The Three Faces of Eve erzählt wird, brachte erste Einblicke in das, was heute dissoziative Identitätsstörung genannt wird. (© Mary Evans Picture Library/picture alliance)
wirklichkeit oder das Gefühl, von unserem Körper getrennt zu sein, oder wir sehen uns selbst wie in einem Film. Manchmal sagen wir möglicherweise: „Zu diesem Zeitpunkt war ich nicht ich selbst.“ Vielleicht können Sie sich daran erinnern, wie Sie selbst einmal aufgestanden sind, um irgendwo hinzugehen und zu irgendeinem Ort gingen, zu dem Sie gar nicht wollten, während Sie in Gedanken mit etwas anderem beschäftigt waren. Oder vielleicht können Sie eine gut geübte Melodie auf der Gitarre oder dem Klavier spielen, während Sie mit jemandem reden. Wenn wir ein Trauma erleiden, könnte eine solche dissoziative Spaltung uns davor schützen, von unseren Gefühlen überwältigt zu werden.
Dissoziative Identitätsstörung Die extremste Dissoziation des Selbst vom gewöhnlichen Bewusstsein ist die dissoziative Identitätsstörung (früher multiple Persönlichkeitsstörung genannt), bei der zwei oder mehrere voneinander getrennte Identitäten – jede mit eigener Stimme und Benehmen – das Verhalten einer Person zu verschiedenen Zeiten bestimmen. Ein Mensch mit dieser Störung könnte also zunächst steif und bieder sein und im nächsten Moment vorlaut und keck. Typischerweise leugnet in der Regel die Originalpersönlichkeit, die andere(n) zu kennen (. Abb. 16.34). Dissoziative Identitätsstörung („dissociative identity disorder“) – seltene Form einer dissoziativen Störung, bei
der eine Person zwei oder mehrere voneinander unterscheidbare und einander abwechselnde Persönlichkeiten zeigt; früher bezeichnet als multiple Persönlichkeitsstörung.
709
16.5 • Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen
Obwohl Menschen mit der Diagnose dissoziative Identitätsstörung selten gewalttätig sind, gab es Fälle, bei denen die betreffende Person in eine „gute“ und in eine „schlechte“ (oder aggressive) Persönlichkeit dissoziiert wurde – eine abgeschwächte Form von Dr. Jekyll und Mr. Hyde, die in der Geschichte Der seltsame Fall von Dr. Jekyll und Mr. Hyde von Robert Louis Stevenson verewigt wurde. Bei einem weiteren ungewöhnlichen Fall ging es um Kenneth Bianchi, der wegen Vergewaltigung und Mord an zehn Frauen in Kalifornien vor Gericht stand („Hillside Strangler“). Während einer Hypnosesitzung rief Bianchis Psychologe eine verborgene Persönlichkeit hervor: „Ich habe ein wenig mit Ken gesprochen, aber ich glaube, dass es vielleicht einen anderen Teil von Ken geben könnte, mit dem ich nicht geredet habe, ein anderer Teil, der anscheinend vielleicht etwas anders ist als der Teil, mit dem ich gesprochen habe. … Würden Sie, Teil, mit mir sprechen, indem Sie ‚Ich bin da‘ sagen? Bianchi antwortete mit ‚Ja‘ und behauptete, ‚Steve‘ zu sein.“ (Watkins, 1984) Während er als Steve redete, behauptete Bianchi, dass er Ken hasse, weil dieser nett sei, und dass er (Steve) mit Hilfe seines Vetters Frauen umgebracht hätte. Er behauptete auch, dass Ken nichts von seiner Existenz wisse und dass Ken an den Morden nicht schuldig sei. War Bianchis zweite Persönlichkeit ein Trick, einfach eine Methode, um die Verantwortung für seine Handlungen zu leugnen? Tatsächlich wurde Bianchi – ein erfahrener Lügner, der in Psychologiebüchern etwas über multiple Persönlichkeiten gelesen hatte – später verurteilt.
Erklärungsansätze für die dissoziative Identitätsstörung Skeptiker:innen stellen die dissoziative Identitätsstörung infrage. Ist sie vielleicht eher statt einer ernsthaften Störung eine Erweiterung der normalen Fähigkeit zu Persönlichkeitswechseln? Nicholas Spanos (1986, 1994, 1996) bat Studierende, zu spielen, sie stünden unter Mordanklage und würden psychiatrisch untersucht. Unter derselben hypnotischen Instruktion wie Bianchi präsentierten die meisten spontan eine zweite Persönlichkeit. Diese Entdeckung machte Spanos stutzig: Vielleicht sind die dissoziierten Identitäten lediglich eine extremere Version unserer normalen menschlichen Fähigkeit, das „Selbst“, das wir anderen präsentieren, zu verändern – so wie wir vielleicht ein albernes und lautes Selbst zeigen, wenn wir mit Freunden unterwegs sind, und ein beherrschtes und respektvolles Selbst bei unseren Großeltern. Kann es sein, dass die Kliniker:innen, die eine dissoziative Identitätsstörung diagnostizieren, nichts anderes tun, als mit einer lebhaften Fantasie ausgestattete Menschen dazu zu bringen, eine bestimmte Rolle zu spielen? Wenn ja: Können solche Menschen sich selbst von der Echtheit ihrer Rolle überzeugen? Sind sie wie Schauspieler:innen, die gemeinhin behaupten, sich selbst in der Rolle „zu verlieren“? Spanos war diese Denkweise nicht fremd. Er
..Abb. 16.35 Ein populäres Krankheitsbild. Bei Shirley Mason wurde in psychiatrischer Behandlung eine dissoziative Identitätsstörung diagnostiziert. Ihr Leben diente als Vorlage für den Bestseller Sybil – The True Story of a Woman Possessed by 16 Separate Personalities (Schreiber, 1973) und für zwei Filme. Manche behaupten, die Popularität von Buch und Film hätte den dramatischen Anstieg dieser Diagnose angeheizt. Skeptische Stimmen fragen, ob Mason tatsächlich dieses Krankheitsbild hatte (Nathan, 2011; Courtesy Simon & Schuster)
stellte diese Fragen auch in Bezug auf den hypnotischen Zustand. Da die meisten Patient:innen mit dissoziativen Identitätsstörungen zugleich sehr leicht hypnotisierbar sind, kann die Erklärung – egal ob die der Dissoziation oder des Rollenspiels – auch zur Erklärung des jeweils anderen Phänomens beitragen.
» „Die Maske kann zum Gesicht werden.“ Chinesisches Sprichwort
Die Skeptiker:innen dagegen finden es zudem verdächtig, dass diese Störung eine so kurze und lokal begrenzte Entwicklungsgeschichte hat. In Nordamerika stieg die Anzahl der Diagnosen exponentiell an: Von 1930 bis 1960 gab es nur zwei dokumentierte Fälle pro Jahrzehnt, in den 1980er Jahren stieg die Zahl auf über 20.000 – als das DSM (Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders der American Psychiatric Association) erstmals die formale Kodierung für diese Störung aufführte (McHugh, 1995a; . Abb. 16.35). Die durchschnittliche Anzahl der gezeigten Persönlichkeiten erhöhte sich ebenfalls sprunghaft – von 3 auf 12 pro Patient:in (Goff & Simms, 1993). Obwohl die Zahl der Diagnosen in den Ländern ansteigt, in denen über dissoziative Identitäts-
16
710
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.36 (© Leo Cullum/Search ID: CC45353, Rights Available from CartoonStock.com)
16
störung publiziert wurde, kommt das Krankheitsbild außerhalb Nordamerikas weniger oft vor (Lilienfeld, 2017) In Großbritannien ist diese Diagnose selten – von manchen wird sie als „eine verrückte amerikanische Marotte“ betrachtet (Cohen, 1995). Für die Skeptiker:innen deuten diese Befunde auf ein Krankheitsbild beeinflussbarer, fantasievoller Personen hin, das von Therapeut:innen in einem bestimmten sozialen Kontext geschaffen wurde (Giesbrecht et al., 2008, 2010; Lynn et al., 2014; Merskey, 1992). Erkrankte kommen nicht in die Therapie und sagen: „Dürfen wir uns Ihnen vorstellen?“ Es ist vielmehr so, werfen die Kritiker:innen ein, dass einige Therapeut:innen nach multiplen Identitäten suchen: „Haben Sie jemals das Gefühl gehabt, dass ein anderer Teil von Ihnen Dinge tut, die Sie nicht kontrollieren können? Hat dieser Teil einen Namen? Kann ich zu dem wütenden Teil von Ihnen sprechen?“ Sobald die Patient:innen dem Therapeuten oder der Therapeutin einmal erlaubt haben, „den Teil, der diese wütenden Sachen sagt“, namentlich anzusprechen, fangen sie an, ihren Fantasien Ausdruck zu verleihen. Das Ergebnis kann möglicherweise das Erleben eines anderen Selbst sein (. Abb. 16.36). Andere Forscher:innen und Kliniker:innen sehen die dissoziative Identität als eine reale Störung an. Sie zitieren Befunde unterschiedlicher Hirn- und Körperzustände, die mit den verschiedenen Persönlichkeiten verbunden sind (Putnam, 1991). Mit diesem Krankheitsbild kann auch eine abnorme Gehirnanatomie und ‑aktivität einhergehen. Gehirnscans zeigen eine Schrumpfung in den Bereichen, die das Erinnern und Erkennen von Bedrohungen unterstützen (Vermetten et al., 2006). Es findet sich auch eine erhöhte Aktivität in Hirnregionen, die mit der Kontrolle und Inhibition traumatischer Erinnerungen assoziiert sind (Elzinga et al., 2007).
Sowohl die psychoanalytische als auch die lerntheoretische Sicht betrachten die Symptome der dissoziativen Identitätsstörung als Mittel der Angstbewältigung. Manche Psychoanalytiker:innen sehen sie als Abwehrmechanismen gegen die Angst, die infolge von inakzeptablen Triebregungen entsteht. Aus dieser Sicht ermöglicht eine böswillige zweite Persönlichkeit es, verbotene Triebregungen herauszulassen. Lerntheoretiker:innen sehen die Symptome als Verhaltensweisen, die durch Angstabbau verstärkt werden.
» „Ist dies schon Tollheit, hat es doch Methode.“ William Shakespeare, Hamlet (1600)
Manche Kliniker:innen fassen dissoziative Störungen unter dem Begriff der posttraumatischen Störungen zusammen – als eine natürliche Schutzreaktion auf traumatische Erfahrungen in der Kindheit (Brand et al., 2016; Spiegel, 2008). Viele Betroffene, die wegen einer dissoziativen Identitätsstörung behandelt wurden, haben als Kinder unter physischem, sexuellem oder emotionalem Missbrauch gelitten (Gleaves, 1996; Lilienfeld et al., 1999). Eine Studie an zwölf Mörder:innen mit der Diagnose dissoziative Identitätsstörung ergab, dass elf von ihnen als Kinder qualvolle Missbrauchserfahrungen gemacht hatten (Lewis et al., 1997). Einer war von seinen Eltern in Brand gesteckt worden. Ein anderer war für Kinderpornografie missbraucht worden und hatte Narben, weil er gezwungen worden war, auf einem Brennofen zu sitzen. Kritische Stimmen geben jedoch zu bedenken, dass möglicherweise eine lebhafte Fantasie oder die Suggestion durch die Therapeutin oder den Therapeuten zu solchen Erinnerungen beitragen könnte (Kihlstrom, 2005). Und so geht die Debatte weiter. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die davon ausgehen, dass multiple
16.5 • Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen
711
Persönlichkeiten der verzweifelte Versuch von Personen sind, sich von einer schrecklichen Existenz abzuspalten. Auf der anderen Seite stehen die Skeptiker:innen mit ihrer Meinung, dass die dissoziative Identitätsstörung aus der Interaktion zwischen Therapeut:in und Patient:in heraus konstruiert und von emotional anfälligen Menschen ausagiert wird, die zu ausschweifender Fantasie neigen. Sollten die Skeptiker:innen gewinnen, sagt der Psychiater Paul McHugh (1995b) Folgendes vorher: „Diese Epidemie wird auf dieselbe Weise zu Ende gehen wie der Hexenwahn in Salem. Das [Phänomen der multiplen Persönlichkeit] wird man dann als Hirngespinst ansehen.“ Prüfen Sie Ihr Wissen
– Die psychodynamischen und lerntheoretischen Ansätze stimmen überein, dass die Symptome der dissoziativen Identitätsstörung ein Weg sind, mit Angst umzugehen. Wie unterscheiden sich ihre Erklärungen?
16.5.2 Persönlichkeitsstörungen ?? 16.20 Was sind die drei Cluster der Persönlichkeits-
störungen? Welches Verhalten und welche Gehirnaktivität charakterisieren die antisoziale Persönlichkeit?
Die unflexiblen und überdauernden Verhaltensmuster einer Persönlichkeitsstörung behindern die soziale Funktionsfähigkeit eines Menschen. Die 10 Persönlichkeitsstörungen im DSM‑5 bilden vornehmlich 3 Cluster mit folgenden Merkmalen Angst, wie z. B. eine ängstliche Empfindlichkeit auf Zurückweisung, was für die zurückgezogene vermeidende Persönlichkeitsstörung prädisponiert. exzentrische oder seltsame Verhaltensweisen, wie z. B. die emotionslose Loslösung einer schizoiden Persönlichkeitsstörung. dramatische oder impulsive Verhaltensweisen, wie z. B. die aufmerksamkeitserregende Borderline-Persönlichkeitsstörung, die selbstbezogene und selbsterhöhende narzisstische Persönlichkeitsstörung und die gefühllose und oft gefährliche antisoziale Persönlichkeitsstörung, die wir als Fallbeispiel eingehender betrachten werden.
-
Persönlichkeitsstörung („personality disorder“) – un-
flexible, andauernde Verhaltensmuster, die die soziale Funktionsfähigkeit beeinträchtigen.
Antisoziale Persönlichkeitsstörung Bei Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeits‑ störung, die meistens männlich sind, können schon im Alter von 8 Jahren Symptome auftreten. Ihr schwach
..Abb. 16.37 Keine Reue. Dennis Rader, bekannt als der „BTK Killer“ aus Kansas, wurde 2005 des Mordes von 10 Menschen innerhalb von 30 Jahren überführt. Rader demonstrierte ein extrem fehlendes Gewissen, das die antisoziale Persönlichkeitsstörung charakterisiert. (© Pool/dpaweb/dpa/picture alliance)
ausgebildetes Gewissen zeigt sich bereits vor dem Alter von 15 Jahren, wenn sie anfangen zu lügen, zu stehlen, zu prügeln oder ein hemmungsloses Sexualverhalten an den Tag legen (Cale & Lilienfeld, 2002). Nicht alle diese Kinder entwickeln sich zu antisozialen Erwachsenen (Wohlgemerkt, „antisozial“ bedeutet zerstörerisch, nicht einfach kontaktarm.) Tritt dies ein (etwa bei der Hälfte von ihnen), verhalten sie sich im Allgemeinen gewalttätig oder anderweitig kriminell, sie sind nicht in der Lage, eine Arbeitsstelle zu behalten, sollten sie verheiratet sein oder Kinder haben, erweisen sie sich als unverantwortlich (Farrington, 1991). Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung (manchmal auch Soziopathen oder Psychopathen genannt) verfügen manchmal über eine geringere emotionale Intelligenz – die Fähigkeit, Emotionen zu verstehen, zu steuern und wahrzunehmen (Ermer et al., 2012). Antisoziale Persönlichkeitsstörung („antisocial personality disorder“) – Persönlichkeitsstörung, bei der die
betroffene Person (in der Regel ein Mann) ein schwach ausgebildetes Gewissen hinsichtlich des eigenen Fehlverhaltens, auch gegenüber Freund:innen und Familienmitgliedern, aufweist; sie kann aggressiv und rücksichtslos oder ein:e clevere:r Trickbetrüger:in sein.
16
712
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
..Abb. 16.38 „Donnerstag geht nicht. Ich habe Geschworenendienst.“ (© Leo Cullum/Search ID: CC123832, Rights Available from CartoonStock.com)
16
Trotz ihres erbarmungslosen und manchmal kriminellen Verhaltens ist Kriminalität keine essenzielle Komponente antisozialen Verhaltens (Skeem & Cooke, 2010). Die meisten straffälligen Personen entsprechen nicht den Kriterien, die für die Beschreibung der antisozialen Persönlichkeitsstörung herangezogen werden. Warum ist das so? Sie sind nicht impulsiv (Geurts et al., 2016). Die meisten straffälligen Personen sorgen sich durchaus in einer verantwortungsvollen Weise um ihre Familie und ihre Freund:innen. Wenn bei der antisozialen Persönlichkeit eine wache Intelligenz und fehlende Moralvorstellungen zusammenkommen, kann daraus ein:e charmante:r, clevere:r Trickbetrüger:in oder aber ein:e furchtlose:r, zielorientierte:r, rücksichtslose:r Soldat:in, Chirurg:in oder CEO werden (Dutton, 2012; Schütte et al., 2016; . Abb. 16.37, 16.38). Antisoziale Persönlichkeiten verhalten sich impulsiv und fühlen und fürchten dann wenig (Fowles & Dindo, 2009). Ihre Impulsivität kann schreckliche Auswirkungen haben (Camp et al., 2013). Nehmen Sie nur das Beispiel von Henry Lee Lucas. Im Alter von 13 Jahren tötete er sein erstes Opfer. Er fühlte damals wie auch später wenig Bedauern. In den Jahren seiner kriminellen Karriere ermordete er brutal 157 Frauen, Männer und Kinder. Während der letzten 6 Jahre seiner Schreckensherrschaft machte er das zusammen mit Ottis Elwood Toole, der den Berichten nach Menschen abschlachtete, von denen er meinte, „sie seien ohnehin nicht lebenswert“ (Darrach & Norris, 1984).
Erklärungsansätze bei der antisozialen Persönlichkeitsstörung Die antisoziale Persönlichkeitsstörung besteht aus biologischen und psychologischen Komponenten. Zwillingsund Adoptionsstudien zeigen, dass die biologischen Verwandten von Menschen mit antisozialen und gefühllosen Tendenzen ein erhöhtes Risiko für antisoziales Verhalten
in sich tragen (Frisell et al., 2012; Kendler et al., 2015b). Menschen mit antisozialer Persönlichkeit vererben manchmal ihre Gene an nachfolgende Generationen, indem sie Partner:innen mit antisozialer Persönlichkeit heiraten (Weiss et al., 2017). Es gibt keine einzelnen GenCodes, die hinter einem so komplexen Verhalten wie einem Verbrechen stehen. Forschende der molekularen Genetik haben allerdings einige spezifische Gene identifiziert, die bei Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung häufiger auftreten (Gunter et al., 2010). Die genetisch bedingte Vulnerabilität von Menschen mit asozialen und gefühlsarmen Tendenzen zeigt sich darin, dass sie eine niedrige Erregbarkeit in Reaktion auf Bedrohungen aufweisen. So zeigen sie nur geringe Erregung im autonomen Nervensystem, während sie auf aversive Ereignisse wie Elektroschocks oder laute Geräusche warten (Hare, 1975; Hoppenbrouwers et al., 2016). Langzeitstudien zeigen, dass sie sogar als Jugendliche, bevor sie irgendein Verbrechen begangen haben, im Vergleich zu Gleichaltrigen eine geringere Konzentration an Stresshormonen haben (. Abb. 16.39). Dreijährige, die nur langsam konditionierte Ängste entwickelten, begingen im späteren Leben eher ein Verbrechen (Gao et al., 2010). In einigen Untersuchungen wurde entdeckt, dass Jungen im Vorschulalter, die später in der Adoleszenz zu aggressiven oder antisozialen Jugendlichen wurden, zu Impulsivität tendierten, ungehemmt waren, sich wenig um soziale Belohnungen kümmerten und eine niedrige Angstschwelle hatten (Caspi et al., 1996; Tremblay et al., 1994). Eigenschaften wie Unerschrockenheit und Dominanz können adaptiv sein. Eine derartige Furchtlosigkeit kann, wenn sie in produktivere Richtungen gelenkt wird, zu unerschrockenem Heldenmut oder zu Abenteuerlust führen, oder es kann sich ein herausragender Hochleistungssportler daraus entwickeln (Smith et al., 2013). In
713
16.5 • Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen
Adrenalinausschüttung (ng/min)
Kriminelle Straftäter zeigen ein geringeres Erregungslevel 15
10
Frontallappen
5
0
Nicht stressige Situation
Stressreiche Situation
Keine Verurteilung wegen einer Straftat Verurteilung wegen einer Straftat ..Abb. 16.39 Kaltblütige Erregbarkeit und Kriminalitätsrisiko. In zwei Gruppen 13-jähriger schwedischer Jungen wurden die Konzentrationen des Stresshormons Adrenalin gemessen. Diejenigen, die später (als 18- bis 26-Jährige) eines Verbrechens überführt wurden, zeigten sowohl in stressreichen als auch in nicht so stressigen Situationen eine vergleichsweise geringe Erregung. (Daten aus Magnusson, 1990)
einer Analyse erzielten 42 amerikanische Präsidenten bei Merkmalen wie Furchtlosigkeit und Dominanz höhere Werte als die Durchschnittsbevölkerung (Lilienfeld et al., 2012, 2016). Patientin S. M., eine 49-jährige Frau, die unter einer geschädigten Amygdala litt, war furchtlos und impulsiv, vollbrachte aber auch vorbildliche Taten (Lilienfeld et al., 2017). Zum Beispiel gab sie einem bedürftigen Mann ihren einzigen Mantel und Schal. Und was tat sie, als sie sich mit einem krebskranken Kind angefreundet hatte? Sie schnitt sich die Haare ab und spendete sie der Wohltätigkeitsorganisation Locks of Love. Genetische Einflüsse, oft in Kombination mit negativen Umwelteinflüssen wie Kindesmissbrauch, familiärer Instabilität oder Armut, tragen dazu bei, das Gehirn mit Nervenbahnen zu durchziehen (Dodge, 2009). Bei Menschen mit antisozialen kriminellen Verhaltensweisen ist die Amygdala, die die Emotionen kontrolliert, kleiner (Pardini et al., 2014). Adrian Raine (1999, 2005) fand heraus, dass auch die Frontallappen weniger aktiv sind, als er PET-Aufnahmen der Gehirne von 41 Mörder:innen mit den Gehirnen von Menschen desselben Alters und Geschlechts verglich (. Abb. 16.40). Die Frontallappen spielen eine wichtige Rolle bei der Impulskontrolle. Die verringerte Aktivität im Frontallappen trat vor allem bei denen auf, die impulsiv mordeten. In einer Folgestudie fanden Raine und sein Team (2000) heraus, dass gewaltbereite Wiederholungstäter:innen 11 % weniger Gewebe im Frontallappen hatten als andere Menschen. Dies
..Abb. 16.40 „Mörderischer Verstand“. Forscher entdeckten eine geringere Aktivierung im Frontalkortex eines Mörders. Dieser Bereich des Gehirns (hier dargestellt an einem nach links zeigenden Gehirn) trägt zur Hemmung eines impulsiven und aggressiven Verhaltens bei. (Raine 1999, mit freundlicher Genehmigung)
könnte erklären, warum Menschen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung auffällige Defizite in den kognitiven Funktionen zeigen, die mit dem Frontallappen assoziiert sind. Dazu gehört beispielsweise das Planen und Organisieren, aber auch die Hemmung (Morgan & Lilienfeld, 2000). Verglichen mit Personen, die Empathie fühlen und zeigen, reagierte ihr Gehirn auch weniger auf die Darstellung von Gesichtern, die Leid ausdrücken. Dies ist möglicherweise ein Grund für ihre geringere emotionale Intelligenz (Deeley et al., 2006). Eine biologisch festgelegte Furchtlosigkeit ebenso wie die frühe Umwelt war auch der Grund für eine ungewöhnliche Familienzusammenführung. Die lange getrennten Geschwister Joyce Lott, 27, und Mary Jones, 29, sahen sich an einem Ort wieder, der normalerweise Familienmitglieder eher trennt als zusammenführt – in einem Gefängnis in South Carolina, wo beide eine Haftstrafe wegen eines Drogenvergehens antreten mussten. Nach dem Zeitungsbericht über ihre Zusammenführung rief der lange verloren geglaubte Halbbruder Frank Strickland an. Aber der hatte selber ein Problem: Er saß im Gefängnis wegen Drogenbesitz, Einbruch und Diebstahl (Shepherd et al., 1990). Die Gene, die das Risiko für antisoziales Verhalten erhöhen, erhöhen ebenfalls das Risiko für Alkohol- oder Drogenabhängigkeit, was erklärt, warum diese Störungen häufig gemeinsam auftreten (Dick, 2007). Aber die Genetik liefert nun einmal kein vollständiges Bild von antisozialen Verbrechen. Raine et al. (1996) untersuchten Berichte über Kriminaltaten von nahezu 400 Dänen im Alter von 20–22 Jahren. Sie wussten, dass alle diese Männer entweder einen geburtsbedingten biologischen Risikofaktor hatten (z. B. durch eine Frühgeburt) oder von Familien abstammten, die durch Armut
16
714
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
und eine ausgeprägte familiäre Instabilität gekennzeichnet waren. Die Forschenden verglichen jede dieser Gruppen mit einer „biosozialen“ Gruppe (Menschen, die beides aufwiesen, nämlich sowohl biologische als auch soziale Risikofaktoren). Diese biosoziale Gruppe hatte ein doppelt so hohes Risiko, ein Verbrechen zu begehen. In einer 25 Jahre andauernden Studie, die 1037 Kinder wissenschaftlich begleitete, fand man ähnliche Ergebnisse: Die antisozialen Probleme ließen sich durch eine Kombination aus zwei Faktoren vorhersagen: schlechte Behandlung in der Kindheit und ein Gen, das das Gleichgewicht zwischen den Neurotransmittern veränderte (Caspi et al., 2002). Weder „schlechte“ Gene noch eine „schlechte“ Umwelt allein prädisponierten für ein späteres antisoziales Verhalten. Vielmehr prädisponierten die Gene einige Kinder dazu, eine höhere Sensibilität gegenüber schlechter Behandlung zu entwickeln. In „genetisch anfälligen Schichten der Bevölkerung“ sind Umwelteinflüsse wichtig – sowohl im Guten als auch im Schlechten (Belsky & Pluess, 2009; Moffitt, 2005). >>Werden einige Menschen bei Vollmond „verrückt“?
Rotton und Kelly (1985) untersuchten die Daten von 37 Studien, die Mondphasen mit Verbrechen, Morden, Krisenanrufen und Einweisungen in psychiatrische Krankenhäuser in Verbindung brachten. Sie kamen zu folgendem Schluss: Es gibt praktisch keinerlei Belege für eine „mondabhängige Verrücktheit“. Genauso wenig gibt es Zusammenhänge zwischen Mondphase einerseits und Selbsttötungen, gewaltsamen Übergriffen, Notfallaufnahmen oder Verkehrsunfällen andererseits (Martin et al., 1992; Raison et al., 1999).
16
Auch hinsichtlich des antisozialen Verhaltens besteht eine Wechselwirkung zwischen Anlage und Umwelt, und die biopsychosoziale Perspektive hilft uns den ganzen Zusammenhang zu verstehen. Um die neuronale Grundlage der antisozialen Persönlichkeitsstörung zu erkunden, erfassen Neurowissenschaftler:innen die Unterschiede der Hirnaktivitäten von Kriminellen mit einer antisozialen Persönlichkeitsstörung. Während der Präsentation emotional erregender Fotos, wie z. B. ein Mann, der einer Frau ein Messer an den Hals hält, zeigen Kriminelle mit antisozialer Persönlichkeitsstörung verminderte Herzraten- und Schweißreaktionen und weniger Aktivität in Gehirnregionen, die typischerweise auf emotionale Stimuli reagieren (Harenski et al., 2010; Kiehl & Buckholtz, 2010). Außerdem zeigen die Betroffenen ein größeres und hyperreaktives Dopamin-Belohnungssystem, das die impulsive Neigung prädisponiert, trotz drohender Konsequenzen etwas Belohnendes zu tun (Buckholtz et al., 2010; Glenn et al., 2010). Solche Daten erinnern daran: Alles Psychologische ist auch biologisch.
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie tragen biologische und psychologische Faktoren zur Entstehung einer antisozialen Persönlichkeitsstörung bei?
16.5.3 Essstörungen ?? 16.21 Was sind die drei häufigsten Essstörungen,
und wie beeinflussen biologische, psychologische und soziokulturelle Faktoren die Anfälligkeit für diese Erkrankungen?
Unser Körper ist von Natur aus dazu gemacht, ein konstantes Körpergewicht zu erhalten, was auch beinhaltet, dass Energiereserven für Zeiten, in denen keine Nahrung verfügbar ist, gespeichert werden. Aber manchmal überwältigen psychologische Einflüsse die biologische Weisheit. Dies wird bei drei Essstörungen schmerzlich bewusst (. Abb. 16.41). Die Anorexia nervosa beginnt typischerweise mit einem Versuch abzunehmen. Menschen mit dieser Störung – gewöhnlich weibliche Jugendliche, aber auch Frauen, Männer und Jungen – liegen dann deutlich unter ihrem Normalgewicht. Sie fühlen sich aber trotzdem noch dick, haben Angst, dick zu sein und sind weiterhin davon besessen abzunehmen, manchmal trainieren sie auch exzessiv. Ungefähr die Hälfte der an Anorexie Erkrankten haben auch FressBrech-Anfälle mit anschließender Depression. Die Bulimia nervosa ist gekennzeichnet durch Gewichtsschwankungen innerhalb des Normalbereichs oder darüber. Dadurch kann die Störung besser verborgen werden. Bulimie setzt fast immer ein, wenn eine Person, die eine Schlankheitskur macht, die Beschränkungen, die sie sich in der Kur auferlegt hat, durchbrochen und gierig etwas verschlungen hat. Die meisten Bulimiker:innen sind Frauen kurz vor oder Anfang 20. (Es gibt aber auch einige Männer.) Sie essen in Schüben, manchmal beeinflusst durch negative Emotionen oder durch Freund:innen, die Fressanfälle haben (Crandall, 1988; Haedt-Matt & Keel, 2011). Personen mit Bulimie durchlaufen wiederholte Episoden mit Fressanfällen, auf die eine Kompensation durch Erbrechen, Benutzung von Abführmitteln, Fasten oder durch exzessive sportliche Aktivität folgt (Wonderlich et al., 2007). Bulimiekranke beschäftigen sich vor allem mit dem Thema Essen (sie gieren nach süßen und fettreichen Speisen) und haben Angst davor, übergewichtig zu werden, sie machen depressive Verstimmungen und Angstattacken durch, die während und nach den Fressanfällen am schlimmsten sind (Hinz & Williamson, 1987; Johnson et al., 2002).
-
715
16.5 • Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen
..Abb. 16.42 Ein verzerrtes Körperbild liegt der Anorexie zugrunde. (© Oscar Burriel/Science Photo Library) ..Abb. 16.41 Wenn Geschwisterrivalität zu weit geht. Die Zwillinge Maria und Katy Campbell leiden an Anorexie. Als sie Kinder waren, versuchten beide, dünner zu sein als die andere. Heute sagt Maria, dass ihre Anorexie „wie eine Fußfessel ist, die ich nicht loswerden kann“ (Foster, 2011; © Nick Holt Photography)
-
Die Binge-Eating-Störung ist gekennzeichnet durch deutliche Fressanfälle, gefolgt von Reue. aber sie erbrechen und fasten nicht und treiben keinen exzessiven Sport. Sie können daher auch übergewichtig sein.
Anorexia nervosa („anorexia nervosa“) – Essstörung, bei
der eine Person (meistens ein Mädchen in der Adoleszenz) Diät hält und deutlich untergewichtig wird, aber trotzdem weiter hungert, manchmal auch exzessiv trainiert. Bulimia nervosa („bulimia nervosa“) – Essstörung, bei der sich die Fressepisoden (Verzehr von meist kalorienreichen Lebensmitteln) abwechseln mit unangemessenem gewichtsreduzierendem Verhalten wie Erbrechen, der Verwendung von Abführmitteln, Fasten oder exzessivem Training. Binge-Eating-Störung („binge-eating disorder“) – deutliche Fressepisoden, gefolgt von Leiden, Ekel oder Schuld, aber ohne die Kompensation durch Erbrechen oder Fasten, wie bei der Bulimia nervosa.
Eine vom U.S. National Institute of Mental Health finanzierte Studie berichtete, dass zu irgendeinem Zeitpunkt im Leben 0,6 % der US-Amerikaner:innen die Kriterien der Anorexie, 1 % die Kriterien der Bulimie und 2,8 % die Kriterien der Binge-Eating-Störung erfüllen (Hudsion et al., 2007). Anorexie und Bulimie können tödlich sein. Sie schaden Körper und Geist, die Folgen sind eine geringere Lebenserwartung und ein erhöhtes Risiko für Suizid und nichtsuizidale Selbstverletzungen (Cucchi et al., 2016; Fichter & Quadflieg, 2016; Smith et al., 2016). zz Erklärungsansätze bei Essstörungen
Essstörungen sind kein offenkundiges Zeichen für sexuellen Missbrauch in der Kindheit, wie von manchen vermutet wurde (Smolak & Murnen, 2002; Stice, 2002). Das familiäre Umfeld kann jedoch auf andere Weise Essstörungen beeinflussen. Zum Beispiel tendieren Familien von Betroffenen mit Anorexie dazu, konkurrenzorientiert, sehr leistungsfähig und beschützend zu sein (Ahrén et al., 2013; Berg et al., 2014; Yates, 1989, 1990). Die Betroffenen haben oft ein schlechtes Selbstwertgefühl, setzen sich perfektionistische Standards, machen sich Sorgen, dass sie die Erwartungen nicht erfüllen, und
16
716
Kapitel 16 • Klinische Psychologie: Psychische Störungen
machen sich sehr viele Gedanken darüber, wie andere sie wahrnehmen (Culbert et al., 2015; Farstad et al., 2016; Yiend et al., 2014; . Abb. 16.42). Aufgrund einiger dieser Faktoren lässt sich auch bei Jungen im Teenageralter vorhersagen, dass sie ein unrealistisches Muskelwachstum anstreben werden (Ricciardelli & McCabe, 2004). Auch genetische Einflüsse spielen eine Rolle. Eineiige Zwillinge teilen diese Störungen häufiger als zweieiige Zwillinge (Culbert et al., 2009; Klump et al., 2009; Root et al., 2010). Wissenschaftler:innen suchen nach den zuständigen Genen, die eventuell das verfügbare Serotonin und Östrogen des Körpers beeinflussen (Klump & Culbert, 2007). Daten aus 15 Studien zeigen, dass das Risiko einer Person, an Anorexie oder Bulimie zu erkranken, um 30 % erhöht ist, wenn diese ein Gen hat, das das verfügbare Serotonin reduziert (Calati et al., 2011).
» „Warum haben Frauen ein so geringes Selbstwertgefühl?
Es gibt viele komplexe psychische und gesellschaftliche Gründe dafür; und ein wichtiger Grund ist Barbie.“ Dave Barry (1999)
Es gibt außerdem noch kulturelle und geschlechtliche Komponenten. Die Vorstellungen vom idealen Körper sind von Kultur zu Kultur je nach der Zeit unterschiedlich. In Ländern mit hoher Armut – wo die Reichen pummelig sind und Schlankheit ein Signal für Armut und Krankheit sein kann – ist dicker gleichbedeutend mit besser (Knickmeyer, 2001; Swami et al., 2010). In westlichen Kulturen scheint dicker weniger häufig besser zu sein, wie 222 Studien mit 141.000 Personen zeigten. Hier fiel der Anstieg der Essstörungen in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts mit einer dramatischen Zunahme von Frauen zusammen, die ein negatives Bild von ihrem Körper haben (Feingold & Mazzella, 1998).
16 ..Abb. 16.43 Zu dünn? Viele befürchten, superdünne Models könnten das Hungern zu einer Mode machen. Als Reaktion auf diese Bedenken forderte die französische Aufsichtsbehörde für den Werbesektor (ARPP) das Luxusmodehaus Yves Saint Laurent auf, diese Werbekampagne einzustellen, weil sie darin unter anderem eine „Aufwertung der Magersucht“ sah. (© Christian Böhmer/dpa/ picture alliance)
Menschen, die am anfälligsten für Essstörungen sind, sind diejenigen, die Schlankheit am stärksten idealisieren und die mit ihrem Körper am unzufriedensten sind (Feldman & Meyer, 2010; Kane, 2010; Stice et al., 2010). Es überrascht nicht, dass Frauen, die in Modemagazinen immer wieder reale retuschierte Fotos von Models sehen, die unnatürlich dünn zu sein scheinen, sich oft genieren, depressiv werden und mit ihrem Körper unzufrieden sind – genau diese Haltung führt jedoch zu Essstörungen (Grabe et al., 2008; Myers & Crowther, 2009; Tiggeman & Miller, 2010). Stice et al. (2001) testeten diese Annahme, indem sie einigen jungen Mädchen für 15 Monate ein Abonnement einer Modezeitschrift für Teenager schenkten (anderen aber nicht). Im Vergleich zu jenen Mädchen, die keine Zeitschrift erhalten hatten, zeigten sich bei diesen gefährdeten Mädchen – definiert als bereits unzufrieden, Schlankheit idealisierend und mit fehlender sozialer Unterstützung – eine größere Unzufriedenheit mit ihrem Körper und stärkere Tendenzen zu Essstörungen. Sogar die ultradünnen Models entsprechen nicht dem unerreichbaren Standard der klassischen alten Barbiepuppe. Wäre Barbie 1,80 m groß, wären ihre Maße 82–41–74 (Norton et al., 1996; . Abb. 16.43). Hinter der Unzufriedenheit mit dem eigenen Körper und Magersucht verbirgt sich jedoch mehr als der Druck der Medien (Ferguson et al., 2011). Auch Einflüsse von Gleichaltrigen, wie etwa Hänseleien, spielen eine Rolle. Dennoch rührt das Krankhafte an den heutigen Essstörungen zum Teil auch von unserer von Schlankheit besessenen Kultur her. Es ist eine Kultur, die auf vielfältige Weise sagt: „Dick ist gleichbedeutend mit schlecht.“ Dies motiviert Millionen von Frauen dazu, ständig Diäten zu machen – und löst gleichzeitig Fressanfälle aus, da Frauen permanent in einem Zustand leben, in dem sie halb verhungert sind. Ein ehemaliges Model erinnerte
717
Weiterführende deutsche Literatur
sich, wie sie mit ihrem Agenten in eine Besprechung ging. Sie war ausgehungert, und ihre Organe versagten wegen ihrer Magersucht (Caroll, 2013). Ihr Agent begrüßte sie mit den Worten: „Egal, was Du machst, mach weiter so.“ Bei den meisten Menschen, bei denen eine Essstörung diagnostiziert wurde, tritt eine Besserung ein. In einer Studie über 22 Jahre erholten sich 2 von 3 Frauen mit Anorexia nervosa oder Bulimia nervosa wieder (Eddy et al., 2017). Es lässt sich auch verhindern, dass Menschen diese Störungen überhaupt erst entwickeln. Interaktive Programme, die Menschen (insbesondere Mädchen ab 15 Jahren) vermitteln, ihren Körper zu akzeptieren, verringern die Wahrscheinlichkeit einer Essstörung (Beintner et al., 2012; Melioli et al., 2016; Vocks et al., 2010). Wenn man das falsche Essverhalten bekämpft, können Menschen mit einem Risiko für Essstörungen ein langes und gesundes Leben führen. Verzweiflung, Angst und Leid, die durch psychische Störungen verursacht werden, sind real. Aber wie unser nächstes Kapitel – die Therapie – zeigt, ist auch die Hoffnung real. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Menschen mit ___ (Anorexia nervosa/Bulimia nervosa) wollen weiterhin Gewicht verlieren, selbst wenn sie untergewichtig sind. Diejenigen mit ___ (Anorexia nervosa/Bulimia nervosa) haben eher Gewichtsfluktuationen im oder um den Normalbereich.
16.5.4
Rückblick: Dissoziative Störungen, Persönlichkeits- und Essstörungen
Verständnisfragen
16.19 – Was sind dissoziative Störungen, und warum sind
sie umstritten? 16.20 – Was sind die drei Cluster der Persönlichkeitsstörungen? Welches Verhalten und welche Gehirnaktivität charakterisieren die antisoziale Persönlichkeit? 16.21 – Was sind die drei häufigsten Essstörungen, und wie beeinflussen biologische, psychologische und soziokulturelle Faktoren die Anfälligkeit für diese Erkrankungen?
----
Schlüsselbegriffe Anorexia nervosa Antisoziale Persönlichkeitsstörung Binge-Eating-Störung Bulimia nervosa Dissoziative Identitätsstörung Dissoziative Störungen Persönlichkeitsstörung
Master the Material 1. Die dissoziative Identitätsstörung ist umstritten, weil … a. Dissoziation relativ selten ist. b. sie in den 1920er Jahren häufig beschrieben wurde, heute jedoch selten. c. sie außerhalb Nordamerikas fast nie beschrieben wird. d. die Symptome mit denen der Zwangsstörung nahezu identisch sind. 2. Eine Persönlichkeitsstörung wie die antisoziale Persönlichkeit ist gekennzeichnet durch … a. Depression. b. Halluzinationen. c. unflexible und dauerhafte Verhaltensmuster, die die soziale Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. d. eine erhöhte Erregung des vegetativen Nervensystems. 3. PET-Aufnahmen der Gehirne von Mörder:innen haben Folgendes ergeben: a. eine überdurchschnittliche Aktivierung in den Frontallappen. b. eine geringere Aktivierung in den Frontallappen als normal. c. mehr Frontallappengewebe als normal. d. keine Unterschiede in den Gehirnstrukturen oder der ‑aktivität. 4. Welche der folgenden Aussagen zu Bulimia nervosa ist zutreffend? a. Menschen mit Bulimie wollen auch dann noch abnehmen, wenn sie untergewichtig sind. b. Bulimie ist gekennzeichnet durch Gewichtsschwankungen innerhalb des Normalbereichs oder darüber. c. Bulimie-Patient:innen kommen häufig aus Familien, die konkurrenzorientiert, sehr leistungsfähig und beschützend sind. d. Wenn bei einem Zwilling Bulimie diagnostiziert wird, ist die Wahrscheinlichkeit, dass der andere Zwilling die Störung hat, größer, wenn es sich um zweieiige Zwillinge und nicht um eineiige handelt.
Weiterführende deutsche Literatur Berking, M., & Rief, W. (2012). Grundlagen und Störungswissen. Klinische Psychologie und Psychotherapie für Bachelor, Bd. 1. Heidelberg: Springer. Dilling, H., & Freyberger, H. J. (Hrsg.). (2019). Taschenführer zur ICD-10-Klassifikation psychischer Störungen (9. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Döring, S., & Möller, H. (2008). Frankenstein und Belle de Jour. 30 Filmcharaktere und ihre psychischen Störungen. Heidelberg: Springer. Hoyer, J., & Knappe, S. (2011). Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Perrez, M., & Baumann, U. (Hrsg.). (2011). Lehrbuch Klinische Psychologie – Psychotherapie (4. Aufl.). Bern: Huber. Reinecker, H. (Hrsg.). (2003). Lehrbuch der klinischen Psychologie und Psychotherapie. Modelle psychischer Störungen (4. Aufl.). Göttingen: Hogrefe.
16
719
Klinische Psychologie: Therapie Inhaltsverzeichnis 17.1
Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie – 720
17.1.1 17.1.2 17.1.3 17.1.4 17.1.5 17.1.6 17.1.7
Behandlung psychischer Störungen – 720 Psychoanalyse und psychodynamische Therapie – 722 Humanistische Therapien – 724 Verhaltenstherapien – 726 Kognitive Therapien – 731 Gruppen- und Familientherapien – 734 Rückblick: Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie – 736
17.2
Therapieevaluation – 738
17.2.1 17.2.2 17.2.3 17.2.4 17.2.5 17.2.6 17.2.7
Ist Psychotherapie effektiv? – 738 Welche Psychotherapie wirkt am besten? – 741 Evaluation alternativer Therapien – 742 Auf welche Weise hilft Psychotherapie Menschen? – 744 Kultur und Wertvorstellungen in der Psychotherapie – 746 Das passende Therapieangebot finden – 746 Rückblick: Therapieevaluation – 747
17.3
Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen – 748
17.3.1 17.3.2 17.3.3 17.3.4 17.3.5
Medikamentöse Therapien – 748 Stimulation des Gehirns – 753 Psychochirurgie – 755 Prävention psychischer Störungen und Aufbau von Resilienz – 757 Rückblick: Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen – 759
Weiterführende deutsche Literatur – 759
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_17
17
720
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
Kay Redfield Jamison, eine preisgekrönte klinische Psychologin und weltbekannte Expertin für die emotionalen Extreme bipolarer Störungen, kennt ihr Fachgebiet aus erster Hand. „Seit ich mich entsinnen kann“, erinnert sie sich in An Unquiet Mind, „war ich erschreckend, wiewohl oft wundervoll, mit Stimmungen verbunden. Als Kind äußerst emotional, als junges Mädchen launenhaft, zuerst massiv depressiv als Jugendliche und dann unerbittlich in den Zyklen einer manisch-depressiven Erkrankung gefangen, wurde ich, als mein Berufsleben begann – sowohl aus dem Bedürfnis als auch aus der intellektuellen Neigung heraus – eine Studentin der Stimmungen“ (1995, S. 4 f.). Ihr Leben war mit Zeiten starken Feingefühls und leidenschaftlicher Tatkraft gesegnet. Aber wie das Leben ihres Vaters wurde es gelegentlich auch von rücksichtslosen Kaufanfällen, rasenden Gesprächen und Schlaflosigkeit beeinträchtigt, abwechselnd mit Schwankungen in „die schwärzesten Abgründe des Geistes“. Dann, „inmitten des heillosen Durcheinanders“, traf sie eine vernünftige und ungemein hilfreiche Entscheidung. Sie riskierte eine berufliche Peinlichkeit und vereinbarte einen Termin mit einem Therapeuten, einem Psychiater, den sie in den kommenden Jahren wöchentlich aufsuchen würde.
» „Er hielt mich zigtausendfach am Leben. Er begleitete
17
mich durch Wahnsinn, Verzweiflung, wundervolle und furchtbare Liebesbeziehungen, Enttäuschungen und Erfolge, Wiedererkrankungen, einen fast tödlichen Suizidversuch, den Tod eines Mannes, den ich sehr liebte, und durch die immensen Freuden und Ärgernisse meines Berufslebens … Er war sehr hartnäckig, ebenso war er sehr gütig, und selbst wenn er besser als jeder andere verstand, wie viel ich durch die Medikamente zu verlieren glaubte – Kraft, Lebhaftigkeit und Eigenständigkeit – war er nie dazu verleitet, den Überblick darüber aus den Augen zu verlieren, wie verlustreich, schädlich und lebensbedrohlich meine Krankheit war … Obwohl ich zu ihm ging, um wegen einer Krankheit behandelt zu werden, lehrte er mich … die völlige Verbundenheit des Gehirns zum Geist und des Geistes zum Gehirn.“ Jamison, An Unquiet Mind (1995, S. 87 f.)
„Psychotherapie heilt“, erzählt Jamison. „Sie gibt dem Durcheinander einen Sinn, schränkt die furchteinflößenden Gedanken und Gefühle ein, gibt einem ein bisschen Kontrolle, Hoffnung und eröffnet neue Möglichkeiten.“ Dieses Kapitel befasst sich mit einigen der Heilungsmöglichkeiten, die Therapeut:innen und Menschen, die ihre Hilfe suchen, zur Verfügung stehen. Wir beginnen mit der Betrachtung und Beurteilung von Formen der Psychotherapie und werden uns dann auf biomedizinische Therapien sowie die Prävention von Störungen konzentrieren.
..Abb. 17.1 Dorothea Dix (1802–1887). „Ich … mache Sie aufmerksam auf den Zustand der geisteskranken Menschen, die in diesem Commonwealth in Käfigen gefangen sind.“
17.1 Einführung
in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
In der langen Geschichte der Behandlung psychischer Störungen gibt es eine verblüffende Vielfalt von brutalen und sanften Methoden: Kranken wurden von wohlmeinenden Menschen Löcher in die Köpfe gebohrt, sie wurden angebunden, zur Ader gelassen oder „der Teufel“ wurde aus ihnen heraus geprügelt. Aber man verordnete ihnen auch warme Bäder und Massagen und brachte sie in sonnigen, freundlichen Umgebungen unter. Man gab ihnen Medikamente und Elektroschocks. Und man sprach mit den Patient:innen über Kindheitserfahrungen, derzeitige Gefühle und über ungünstige Gedanken und Verhaltensweisen. Die Reformer:innen Philippe Pinel (1745–1826) und Dorothea Dix (1802–1887; . Abb. 17.1) drängten auf sanftere, humanere Behandlungsmethoden und auf den Bau psychiatrischer Kliniken. Seit den 1950er Jahren hat die Einführung effektiver medikamentöser Therapien und Gemeindepsychiatrie dazu geführt, dass sich die meisten dieser Krankenhäuser leerten (. Abb. 17.2). 17.1.1
Behandlung psychischer Störungen
?? 17.1 Wie unterscheiden sich Psychotherapie und die
biomedikamentöse Therapie?
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
721
..Abb. 17.2 Geschichte der Behandlungsmethoden. Gäste psychiatrischer Kliniken des 18. Jahrhunderts bezahlten Eintritt, um die Kranken zu begaffen, als handele es sich um Tiere im Zoo. William Hogarths (1697–1764) Gemälde zeigt einen dieser Besuche im Londoner Krankenhaus St. Mary of Bethlehem (auch Bedlam genannt; © Mary Evans Picture Library/ picture alliance)
-
Die heutzutage in der westlichen Welt eingesetzten Therapien kann man in zwei Hauptkategorien einteilen. Die Psychotherapie, bei der ausgebildete Fachpersonen psychologische Techniken anwenden, um jemanden zu unterstützen, der Schwierigkeiten überwinden oder persönliches Wachstum erreichen will. Strategien, die dabei zum Einsatz kommen können, umfassen die Erkundung früherer Beziehungen, die Ermutigung, neue Denkweisen anzunehmen, oder die Unterstützung dabei, alte Verhaltensweisen durch neue zu ersetzen. Die biomedizinischen Therapien nutzen Medikamente oder andere biologische Behandlungen. Eine Person mit schwerer Depression kann etwa mit Antidepressiva, einer Elektrokrampftherapie (EKT) oder einer tiefen Hirnstimulation behandelt werden.
-
Die Ausbildung und das Fachwissen der betreuenden Fachperson sowie das Störungsbild selbst beeinflussen die Wahl der Behandlung. Psychotherapie und medikamentöse Behandlung werden häufig miteinander kombiniert. Kay Redfield Jamison erhielt während der Sitzungen mit ihrem Psychiater eine Psychotherapie und nahm darüber hinaus Medikamente ein, um ihre starken Stimmungsschwankungen zu kontrollieren. Lassen Sie uns zuerst die psychotherapeutischen „Gesprächstherapien“ betrachten. Jede dieser Richtungen basiert auf einer oder mehreren der wichtigsten
Theorien der Psychologie und ihre Orientierung ist daher psychodynamisch, humanistisch, verhaltensorientiert oder kognitiv. Die meisten dieser Techniken können als Einzel- oder Gruppentherapie angeboten werden. Mitunter werden die unterschiedlichen Richtungen auch miteinander kombiniert. Tatsächlich beschreiben viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten ihren Ansatz als eklektisch, was bedeutet, dass sie eine Mischung aus verschiedenen Therapieformen anwenden. Psychotherapie („psychotherapy“) – Behandlung, die
psychologische Techniken beinhaltet. Besteht aus Interaktion zwischen einem oder einer ausgebildeten Therapeut:in und jemandem, der psychologische Schwierigkeiten überwinden oder persönliches Wachstum erreichen will. Biomedizinische Therapie („biomedical therapy“) – verschriebene Medikamente oder medizinische Verfahren, die direkt auf das Nervensystem der erkrankten Person einwirken. Eklektischer Ansatz („eclectic approach“) – Form der Psychotherapie, bei der je nach dem Problem der betroffenen Person Techniken aus unterschiedlichen Therapieformen eingesetzt werden.
17
722
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
17.1.2 Psychoanalyse
und psychodynamische Therapie
?? 17.2 Welches sind die Ziele und Techniken der
Psychoanalyse und wie wurden sie in der psychodynamischen Therapie angepasst?
Sigmund Freuds Psychoanalyse war die erste der psychologischen Therapien. Obwohl heute nur noch wenige Kliniker:innen die Therapie so praktizieren wie Freud es tat, verdient es seine Arbeit trotzdem erwähnt zu werden, denn sie ist ein Teil der Grundlage für die Behandlung psychischer Störungen und beeinflusst weiterhin Therapien, die unter der psychodynamischen Perspektive durchgeführt werden.
Ziele der Psychoanalyse
Psychoanalyse („psychoanalysis“) – von Sigmund Freud entwickelte therapeutische Vorgehensweise. Freud nahm an, dass die freien Assoziationen von Patient:innen, ihre Widerstände, Träume und Übertragungen – und deren Deutung durch den Therapeuten oder die Therapeutin – zuvor verdrängte Gefühle freisetzen; dies gestattet es der betroffenen Person, Selbsteinsicht zu erlangen.
17
Freud glaubte, dass mit Therapie ein gesünderes und weniger von Ängsten eingeschränktes Leben möglich wird, sobald der oder die Betreffende die Energie freisetzen kann, die bis dahin durch den Konflikt zwischen Es, Ich und Über-Ich gebunden war (7 Kap. 14). Freud nahm an, dass wir uns selbst nicht vollständig kennen. Es gibt bedrohliche Dinge, die wir verdrängen – die wir nicht wissen zu wollen scheinen, leugnen oder abstreiten. Freuds Therapie hatte das Ziel, verdrängte oder verleugnete Gefühle der Patient:innen in die bewusste Wahrnehmung zu bringen. Indem er oder sie ihnen hilft, ihre unbewussten Gedanken und Gefühle wiederzuerlangen, und ihnen Einblick in den Ursprung ihrer Erkrankung gibt, kann ein:e Therapeut:in (Analytiker:in) ihnen dabei helfen, die das innere Wachstum störenden inneren Konflikte abzubauen.
Methoden der Psychoanalyse Die psychoanalytische Theorie betont die prägende Kraft der Kindheitserfahrungen und ihre Fähigkeit, den Erwachsenen zu formen. Die Psychoanalyse ist daher eine Rekonstruktion der Lebensgeschichte des Patienten oder der Patientin. Somit ist es ihr Ziel, die Vergangenheit zutage zu bringen, um die Gegenwart von den Belastungen der Vergangenheit zu befreien. Freud wandte sich von der Hypnose ab, als er merkte, dass sie als Technik zur Analyse nicht verlässlich war. Er entwickelte die Methode der freien Assoziation. Stellen Sie sich vor, Sie sind Patient:in und nutzen die freie Assoziation. Zunächst einmal entspannen Sie
sich, vielleicht liegen Sie auf einer Couch. Während der Psychoanalytiker außerhalb Ihres Gesichtsfeldes sitzt, sprechen Sie laut aus, was Ihnen in den Sinn kommt. Einmal beziehen Sie sich auf eine Kindheitserinnerung. Ein anderes Mal beschreiben Sie einen Traum oder eine kürzlich erlebte Erfahrung. Das klingt kinderleicht, aber Sie werden bald bemerken, wie oft Sie Ihre Gedanken einer Zensur unterwerfen, sobald Sie sie aussprechen. Sie hören einen Moment auf zu sprechen, ehe Sie einen peinlichen Gedanken äußern. Sie lassen aus, was Ihnen banal oder unwichtig scheint oder was mit Scham verbunden ist. Manchmal ist Ihr Geist leer oder Sie können sich an wichtige Einzelheiten nicht erinnern. Vielleicht machen Sie eine witzige Bemerkung oder wechseln das Thema und sprechen über etwas, das weniger bedrohlich ist. Für den Psychoanalytiker weisen solche Unterbrechungen im Fluss Ihrer freien Assoziationen auf einen Widerstand hin. Sie deuten darauf hin, dass Angst im Hintergrund lauert und dass Sie etwas abwehren, was mit Ihren Gefühlen zu tun hat (. Abb. 17.3). Der Analytiker wird Ihre Widerstände bemerken und Ihnen dann Einsicht in ihre Bedeutung ermöglichen. Wenn sie im richtigen Augenblick kommt, kann diese Deutung – wenn Sie beispielsweise nicht über Ihre Mutter sprechen wollen oder sie auf irgendeine andere Weise kontaktieren möchten – ein Licht auf grundlegende Wünsche oder Gefühle werfen, oder auch auf Konflikte, die sie vermeiden. Der Analytiker gibt Ihnen vielleicht auch eine Erklärung dazu, wie dieser Widerstand zu den anderen Teilen Ihres seelischen Puzzles passt, einschließlich derer, die auf der Deutung ihrer Trauminhalte basieren. Widerstand („resistance“) – bedeutet in der Psychoana-
lyse, dass mit Angst verbundenes Material vom Bewusstsein ferngehalten wird. Deutung („interpretation“) – heißt in der Psychoanalyse, dass der Analytiker oder die Analytikerin die Bedeutung der Träume, des Widerstands und anderer aufschlussreicher Verhaltensweisen interpretiert, um den Patienten oder die Patientin auf dem Weg zur Einsicht weiterzubringen. Im Lauf der vielen Sitzungen werden Ihre Beziehungsmuster in der Interaktion mit Ihrem Therapeuten zutage treten. Sie werden vielleicht entdecken, dass Sie Ihrem Analytiker starke positive oder negative Gefühle entgegenbringen. Der Analytiker wird Sie darauf hinweisen, dass sie Gefühle – wie Abhängigkeit oder eine Mischung aus Liebe und Wut – übertragen, die Sie in früheren Beziehungen zu Familienmitgliedern oder anderen wichtigen Menschen erlebt haben (. Abb. 17.4). Indem Sie solche Gefühle enthüllen, können Sie besser verstehen, was in Ihren aktuellen Beziehungen abläuft.
723
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
..Abb. 17.3 „Sie sagen: ‚Kopf ab‘, aber ich höre heraus: ‚Ich fühle mich vernachlässigt‘.“ (© Claudia Styrsky)
..Abb. 17.4 (Paul Noth/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Prüfen Sie Ihr Wissen
Übertragung („transference“) – bedeutet in der Psycho-
analyse, dass der Patient bzw. die Patientin Emotionen aus anderen Beziehungen (wie etwa Liebe oder Hass für einen Elternteil) auf den/die Analytiker:in überträgt. Die Psychoanalyse im engeren Sinne, d. h. die „klassische Psychoanalyse“, bildet zwar die Grundlage der in Deutschland eingesetzten und anerkannten psychoanalytischen Behandlungsformen, sie ist aber selbst als langfristige Behandlung mit jeweils mindestens 4 Wochenstunden keine Kassenleistung. Vergleichsweise wenige Therapeut:innen in Nordamerika bieten eine traditionelle Psychoanalyse an. Ein großer Teil der zugrunde liegenden Theorie wird nicht durch wissenschaftliche Forschung gestützt (7 Kap. 14). Die Interpretationen der Analytiker:innen können weder bestätigt, noch kann ihr Gegenteil bewiesen werden. Außerdem kostet die Psychoanalyse eine beträchtliche Menge Geld und Zeit, oft werden Jahre mit mehreren wöchentlichen Sitzungen benötigt. Manche der genannten Probleme werden in der modernen psychodyna‑ mischen Sichtweise aufgegriffen, die sich aus der Psychoanalyse entwickelt hat. In Deutschland gibt es heute vier sogenannte Richtlinienverfahren, deren Kosten von den Krankenkassen getragen werden. Dazu zählt auch die „analytische Psychotherapie“, die der hier dargestellten klassischen Psychoanalyse sehr ähnlich ist. Sie wird aber im Gegensatz zu dieser mit einer Wochenstundenfrequenz von nur zwei bis drei Stunden durchgeführt. Maximal 300 Therapiestunden werden von den Kassen übernommen.
» „Ich habe meinen Analytiker seit 200 Jahren nicht mehr
gesehen. Er war ein rigoroser Freudianer. Wenn ich während all dieser Zeit hingegangen wäre, wäre ich möglicherweise inzwischen geheilt.“ Woody Allen im Film „Sleeper“ (dtsch. „Der Schläfer“), nachdem er aus dem Scheintod erwacht ist
– In der Psychoanalyse nennt man es ___, wenn Patient:innen starke Gefühle gegenüber ihrem Therapeuten oder ihrer Therapeutin empfinden. Man sagt, dass es auf Ängste der Patient:innen hinweist, wenn wegen heikler Erinnerungen Unterbrechungen in ihrer freien Assoziation auftreten – sie zeigen ___. Der/die Therapeut:in wird versuchen, dem Patienten bzw. der Patientin Einblick in die eigentlichen Ängste zu geben, indem er/sie eine ___ der mentalen Blockaden vorschlägt.
Psychodynamische Therapie Obwohl ihre Arbeit von Freuds Annahmen beeinflusst wird, sprechen psychodynamische Therapeut:innen nicht oft über Ich, Es und Über-Ich. Stattdessen versuchen sie, ihren Patient:innen zu helfen, aktuelle Probleme zu verstehen. Sie konzentrieren sich auf Themen, die einen Bezug zu wichtigen Beziehungen aufweisen (einschließlich der Kindheitserfahrungen und der Beziehung zum Therapeuten bzw. zur Therapeutin). „Wir können derselben Person freundliche und hasserfüllte Gefühle entgegenbringen“, so der psychodynamische Therapeut Jonathan Shedler (2009), und „wir können etwas begehren und es gleichzeitig fürchten“. Therapeutische Sitzungen finden ein- oder zweimal wöchentlich statt (nicht mehrmals wöchentlich), und die Therapie dauert oft nur einige Wochen oder Monate (und nicht mehrere Jahre). Anstatt auf einer Couch zu liegen, außerhalb des Blickfeldes des Therapeuten oder der Therapeutin, sitzen die Patient:innen ihren Therapeut:innen gegenüber, erkunden Gedanken und Gefühle, gegen die sie sich wehren, und erlangen Einsicht in diese. Psychodynamische Therapie („psychodynamic therapy“)
– von der psychoanalytischen Tradition abgeleitete Therapie, die annimmt, dass das Handeln von Individuen durch unbewusste Kräfte und Kindheitserinnerungen beeinflusst wird, und die die Verbesserung der Selbsteinsicht anstrebt.
17
724
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
Der Therapeut David Shapiro (1999, S. 8) veranschaulicht dies mithilfe des Falles eines jungen Mannes, der Frauen gesagt hatte, dass er sie liebe, obwohl er wusste, dass er es nicht tat. Sie erwarteten es, also sagte er es. Wenn es aber um seine Frau geht, die sich wünscht, er würde ihr sagen, dass er sie liebt, erkennt er, dass er das „nicht tun kann“ – „Ich weiß nicht warum, aber ich kann nicht.“ Therapeut: Denken Sie, dass Sie es gerne tun würden, wenn Sie es könnten? Patient: Nun ja, ich weiß nicht … Vielleicht kann ich es nicht sagen, weil ich mir nicht sicher bin, ob es wahr ist. Vielleicht liebe ich sie gar nicht.
-
17
Weitere Gespräche ließen erkennen, dass er wahre Liebe nicht ausdrücken kann, weil es sich „weich“ und „schwächlich“ und damit unmännlich anfühlen würde. Er steht „im Konflikt mit sich selbst und ist von der wahren Natur dieses Konflikts abgeschnitten“. Shapiro merkte an, dass psychodynamische Therapeut:innen bei solchen Patient:innen, die sich von sich selbst entfremdet haben, „die Möglichkeit haben, diese mit sich selbst bekannt zu machen. Wir können ihr Bewusstsein für ihre eigenen Wünsche und Gefühle wiederherstellen, genauso wie das Bewusstsein ihrer Reaktionen auf diese Wünsche und Gefühle“. Psychodynamische Therapeut:innen können auch dabei helfen, vergangene Beziehungsprobleme als den Ursprung gegenwärtiger Schwierigkeiten aufzudecken. Jonathan Shedler (2010a) erinnert sich an seinen Patienten Jeffrey, der Schwierigkeiten im Umgang mit seinen Kolleg:innen und seiner Frau hatte, die ihn als übertrieben kritisch sahen. Jeffrey begann dann, „mir zu antworten, als sei ich ein unberechenbarer, böser Feind“. Shedler nutzte diese Gelegenheit, um Jeffrey zu helfen, das Beziehungsmuster zu erkennen, dessen Wurzeln die Angriffe und Demütigungen waren, die er durch seinen alkoholabhängigen Vater erfahren hatte – und er half ihm dabei, die abwehrenden Reaktionen gegenüber anderen zu bearbeiten und diese loszulassen. Ohne Freuds Vorgehensweise vollständig zu übernehmen, zielt die psychodynamische Therapie also darauf ab, Menschen dabei zu helfen, Einsicht in unbewusste Dynamiken zu gewinnen, die sich aus ihrer Lebenserfahrung ergeben. In Deutschland ist die hier beschriebene Therapieform unter dem Namen „tiefenpsychologisch fundierte Psycho‑ therapie“ bekannt (die Bezeichnung tiefenpsychologisch konnte sich international jedoch nicht durchsetzen). Die Therapieform ist in Deutschland wie auch die analytische Psychotherapie ein Richtlinienverfahren, dessen Kosten von den Krankenkassen getragen werden; sie wird mit einer Frequenz von 1–2 Wochenstunden durchgeführt. Reimer und Rüger (2003) zufolge wird inzwischen die tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie 4-mal so häufig angewandt wie die ihrem Anspruch nach tiefer gehende, aber zeitaufwändigere analytische Psychotherapie.
17.1.3
Humanistische Therapien
?? 17.3 Was sind die grundlegenden Themen der huma-
nistischen Therapie? Welches sind die speziellen Ziele und Techniken der klientenzentrierten Therapie nach Carl Rogers?
Der humanistische Ansatz (7 Kap. 15) legte den Schwerpunkt auf das dem Menschen innewohnende Potenzial zur Selbsterfüllung. Daher versuchen humanistische Therapien, die inneren Konflikte zu verringern, die die natürliche Wachstumsentwicklung behindern, indem sie ihren Klient:innen zu mehr Einsicht verhelfen. Da sie dasselbe Ziel verfolgen, werden die psychodynamischen und die humanistischen Therapien tatsächlich oft als Einsichttherapien bezeichnet. Aber humanistische Therapeut:innen unterscheiden sich von psychoanalytischen Therapeut:innen auf viele andere Arten: Humanistische Therapeut:innen sind darum bemüht, die Selbsterfüllung der Menschen zu unterstützen, indem sie ihnen helfen, ihre Selbstwahrnehmung und Selbstakzeptanz zu verbessern. Das Unterstützen dieser Entwicklung, nicht die Heilung von Krankheiten, ist der Schwerpunkt der Therapie. Deshalb wird bei dieser Therapieform von „Klient:innen“ oder einfach nur von „Personen“ und nicht von „Patient:innen“ gesprochen (eine Veränderung, die viele Therapeut:innen übernahmen). Der Weg zur Weiterentwicklung verlangt die unmittel‑ bare Verantwortung für die eigenen Gefühle und Hand‑ lungen, statt verborgene Determinanten aufzudecken. Bewusste Gedanken sind wichtiger als unbewusste. Die Gegenwart und die Zukunft sind wichtiger als die Vergangenheit. Das Ziel ist eher, Gefühle zu erkunden, wenn sie auftreten, als Einsicht in den Ursprung dieser Gefühle in der Kindheit zu erlangen.
--
Einsichttherapien („insight therapies“) – Vielzahl von
Therapien, deren Ziel es ist, die seelische Gesundheit zu verbessern, indem sie das Bewusstsein einer Person für ihre grundlegenden Beweggründe und Abwehrreaktionen stärkt. Carl Rogers (1902–1987) entwickelte die weit verbreitete humanistische Vorgehensweise, die er klientenzentrierte Therapie nannte, die sich auf die bewussten Selbstwahrnehmungen der Person konzentriert. In dieser nichtdirek‑ tiven Therapie hört der Therapeut bzw. die Therapeutin zu, ohne zu urteilen oder zu deuten, und verzichtet auch darauf, Klient:innen in Richtung bestimmter Einsichten zu lenken. Aus der Überzeugung heraus, dass die meisten Menschen über ein Wachstumspotenzial verfügen, ermutigte Rogers (1961, 1980) Therapeut:innen dazu, Echtheit, Akzeptanz und Empathie zu zeigen. Wenn sie sich nicht hinter einer Fassade verstecken, sondern ihre wahren Ge-
725
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
fühle mit Echtheit aussprechen, wenn sie Klient:innen das Gefühl vermitteln, bedingungslos akzeptiert zu werden und wenn sie voll Empathie die Gefühle der Klient:innen wahrnehmen und sie spiegeln, dann wird das Verständnis der Klient:innen für ihr eigenes Selbst tiefer und damit auch die Selbstakzeptanz (Hill & Nakayama, 2000). Rogers (1980, S. 10) erklärte das so:
» „Hören hat Konsequenzen. Wenn ich einen Menschen und die Bedeutungen, die in diesem Augenblick für ihn wichtig sind, wirklich höre – nicht bloß seine Worte, sondern ihn –, und wenn ich ihm zu erkennen gebe, dass ich seine privaten, ganz persönlichen Bedeutungen aufgenommen habe, dann geschehen viele Dinge. Zunächst ist da ein dankbarer Blick. Er fühlt sich erlöst. Er möchte mir mehr über seine Welt erzählen. Er fährt mit einem neuen Gefühl der Freiheit fort. Er wird offener für den Prozess der Veränderung. Ich habe oft festgestellt, dass, je tiefer ich die Bedeutungen einer Person höre, desto mehr passiert. Fast immer, wenn eine Person feststellt, dass ich ihr wirklich zuhöre, bekommt sie feuchte Augen. Ich denke, sie weint vor Freude und das in seiner wahren Bedeutung. Es ist so, als würde sie sagen: ‚Gott sei Dank, endlich hat mich jemand gehört. Jemand weiß, was es heißt, ich zu sein.‘“
Klientenzentrierte Therapie („client-centered therapy“) –
von Carl Rogers entwickelte humanistische Therapie, bei der Therapeut:innen in einem echten, akzeptierenden und empathischen Setting Techniken wie aktives Zuhören anwenden, um das Wachstum der Klient:innen zu fördern (auch als personzentrierte Therapie bezeichnet). Mit „Hören“ bezeichnet Rogers seine Vorgehensweise des aktiven Zuhörens: Das Gesagte wiedergeben, die Aussage mit eigenen Worten verdeutlichen und durch Nachfragen klären, was der/die Klient:in (verbal und nonverbal) ausdrückt, und die ausgedrückten Gefühle anerkennen (. Abb. 17.5). Aktives Zuhören ist heute eine allgemein akzeptierte Technik in der therapeutischen Beratungsarbeit in vielen Schulen, Hochschulen und Kliniken. Der/die Berater:in hört aufmerksam zu und unterbricht nur, um die Gefühle des/der Klient:in erneut darzustellen und zu bestätigen, um zum Ausdruck zu bringen, dass er/sie akzeptiert, was der/die Klient:in sagt, oder um Unklarheiten zu beseitigen. Der folgende kurze Auszug eines Gesprächs zwischen Rogers und einem männlichen Klienten (Meador & Rogers, 1984, S. 167) zeigt, wie er darum bemüht ist, das Verhalten des Klienten psychologisch zu spiegeln und damit dem Klienten zu helfen, sich selbst deutlicher wahrzunehmen. Aktives Zuhören („active listening“) – empathisches Zuhören, bei dem der Zuhörer das Gehörte wiederholt, in eigenen Worten wiedergibt und verdeutlicht, was er ge-
..Abb. 17.5 Aktives Zuhören. Carl Rogers gilt weithin als einer der Gründerväter der Psychotherapieforschung. Für seine wegweisenden Forschungen wurde er 1956 von der American Psychological Association (APA) mit dem Award for Distinguished Scientific Contributions geehrt. (© Bettmann/Getty Images)
hört hat; Merkmal der klientenzentrierten Therapie von Carl Rogers.
» „Wir haben zwei Ohren und einen Mund, sodass wir
-
mehr zuhören und weniger sprechen mögen.“ Zenon von Kition, 335–263 v. Chr.
Rogers: So fühlen Sie sich jetzt, nicht wahr? Dass Sie für sich selbst zu nichts von Nutzen sind und auch für sonst niemanden. Und auch nie für jemanden von Nutzen sein werden. Einfach wertlos, ganz und gar, oder? Das sind wirklich miserable Gefühle. Sich zu fühlen, als wäre man nie für jemanden von Nutzen. Klient: Ja (murmelt leise und mutlos vor sich hin). Jedenfalls hat mir das der Typ gesagt, mit dem ich neulich in die Stadt gegangen bin. Rogers: Der Typ, mit dem Sie neulich in die Stadt gegangen sind, der hat tatsächlich gesagt, Sie wären für niemanden von Nutzen? Ist es das, was Sie sagen? Habe ich das richtig verstanden? Klient: Hmh. Rogers: Wenn ich das richtig verstanden habe, denke ich, das bedeutet, dass da jemand ist, der Ihnen wichtig ist und auch, was er von Ihnen hält? Also, und der hat gesagt, er glaubt, dass Sie für niemanden von Nutzen sind, kein bisschen. Und das zieht Ihnen glatt den Boden unter den Füßen weg. (Klient weint still vor sich hin.) Das bringt Sie zum Weinen. (20 Se‑ kunden Schweigen.) Klient: (Ziemlich trotzig) Aber das ist mir egal. Rogers: Sie sagen sich, dass es Ihnen egal ist, aber irgendwie hab ich das Gefühl, dass da ein Teil von Ihnen ist, dem ist es nicht egal, denn ein Teil von Ihnen weint deswegen.
---
17
726
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
Kann ein:e Therapeut:in wirklich ein Spiegel sein, ohne auszuwählen und zu interpretieren, was gespiegelt wird? Rogers gab zu, dass seine Vorgehensweise nicht voll‑ ständig nichtdirektiv ist. Trotzdem glaubte er, der wichtigste Beitrag der Therapeut:innen bestehe darin, die Klient:innen zu akzeptieren und Verständnis zu zeigen. In einer nicht wertenden, verständnisvollen Umgebung, die bedingungslose positive Wertschätzung bietet, können Personen selbst ihre schlimmsten Persönlichkeitsmerkmale akzeptieren und sich geschätzt und gesund fühlen. Bedingungslose positive Wertschätzung („unconditional positive regard“) – mitfühlende, akzeptierende, nicht
wertende Haltung, von der Carl Rogers glaubte, dass sie Klient:innen dabei helfen würde, Selbstwahrnehmung und Selbstakzeptanz zu entwickeln. Wenn Sie selbst in Ihren Beziehungen aktiver zuhören wollen, können die folgenden drei von Rogers inspirierten Hinweise vielleicht hilfreich sein. 1. Paraphrasieren. Überprüfen Sie, ob Sie wirklich verstanden haben, was Ihr Gegenüber gesagt hat, indem Sie das Gesagte noch einmal mit Ihren eigenen Worten zusammenfassen. 2. Zur Klarstellung auffordern. „Könntest du mir dafür ein Beispiel geben?“ könnte Ihr Gegenüber dazu veranlassen, sich ausführlicher zu äußern. 3. Gefühle spiegeln. „Das klingt frustrierend“ könnte spiegeln, was Sie in der Körpersprache und Sprechweise Ihres Gegenübers spüren. In Deutschland ist die humanistische Psychotherapie kein Richtlinienverfahren, dessen Kosten von den Krankenkassen getragen werden. 17.1.4 Verhaltenstherapien
17
?? 17.4 Wie unterscheidet sich die Grundannahme der
Verhaltenstherapie von denen der psychodynamischen und humanistischen Therapien? Welche Techniken werden bei den Expositionstherapien und der Aversionskonditionierung genutzt?
Die Einsichttherapien beruhen auf der Annahme, dass viele psychische Probleme in dem Maße zurückgehen, wie die Bewusstheit vom Selbst zunimmt. Psychodynamische Therapeut:innen gehen davon aus, dass ein Problem behoben ist, wenn der betroffene Mensch seine ungelösten und unbewussten Spannungen erkennt. Die humanistischen Therapeut:innen nehmen an, dass die Probleme geringer werden, wenn Betroffene mit ihren Gefühlen Verbindung aufnehmen. Vertreter:innen der Verhaltenstherapie bezweifeln indes die heilende Kraft der Selbstwahrnehmung. Sie gehen davon aus, dass die
..Abb. 17.6 (© Sidney Harris/Search ID: CS184921, Rights Available from CartoonStock.com)
problematischen Verhaltensweisen das Problem sind und dass die Anwendung von Lernprinzipien das problematische Verhalten beseitigen kann (. Abb. 17.6). (Es kann Ihnen durchaus bewusst sein, warum Sie während Prüfungen sehr ängstlich sind, trotzdem können Sie Angst haben.) Wenn es sich bei Phobien, sexuellen Störungen oder anderen fehlangepassten Symptomen um erlernte Verhaltensweisen handelt, könnten dann nicht Lernprinzipien angewandt werden, um sie durch konstruktive Verhaltensweisen zu ersetzen? Verhaltenstherapie („behavior therapy“) – Therapie, die
Lernprinzipien anwendet, um unerwünschte Verhaltensweisen zu löschen. Bei der Verhaltenstherapie handelt es sich übrigens um das dritte Richtlinienverfahren in Deutschland, dessen Kosten von den Krankenkassen getragen werden.
Techniken des klassischen Konditionierens Ein Teil der verhaltenstherapeutischen Techniken leitet sich von den Pawlow’schen Konditionierungsexperimenten im frühen 20. Jahrhundert ab (7 Kap. 8). Wie Pawlow und andere Forschende nachweisen konnten, lernen wir viele Verhaltensweisen und Emotionen durch klassische Konditionierung. Wenn wir von einem Hund gebissen werden, zeigen wir danach vielleicht eine konditionierte Angstreaktion, wenn sich andere Hunde nähern. (Unsere Angst verallgemeinert sich und alle Hunde werden zu konditionierten Reizen.) Könnten fehlangepasste Symptome Beispiele für konditionierte Reaktionen sein? Falls ja, könnte dann eine Neukonditionierung die Lösung sein? Der Lerntheoretiker O. H. Mowrer war dieser Meinung und entwickelte eine erfolgreiche Konditionierungstherapie bei chronischem Bettnässen. Das Kind schläft auf einem Kissen, das auf Flüssigkeit reagiert und mit einem Alarmgeber verbunden ist. Sobald Feuchtigkeit auf das Kissen gelangt, wird der Alarm ausgelöst und weckt das Kind auf.
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
Wird dieses Vorgehen oft genug wiederholt, dann stoppt die Assoziation zwischen austretendem Harn und Gewecktwerden das Bettnässen. In 3 von 4 Fällen erwies sich die Behandlung als erfolgreich, und dieser Erfolg verbessert wiederum das Selbstbild des Kindes (Christophersen & Edwards, 1992; Houts et al., 1994). Können wir, wenn wir beispielsweise Angst davor haben, Reden zu halten oder in ein Flugzeug zu steigen, diese Angstreaktionen durch eine neue Konditionierung verlernen? Vielen Menschen ist dies gelungen. Schauen wir uns etwa die Angst davor an, mit einem Aufzug zu fahren, die oft eine erlernte Abneigung gegen enge Räume darstellt. Die Gegenkonditionierung, z. B. mit einer Expositionstherapie koppelt den auslösenden Reiz (in diesem Fall der enge Raum des Aufzugs) mit einer neuen Reaktion (Entspannung), die mit Angst unvereinbar ist. Gegenkonditionierung („counterconditioning“) – Ver-
fahren der Verhaltenstherapie, das die klassische Konditionierung nutzt, um neue Reaktionen auf jene Reize zu erzeugen, die unerwünschte Verhaltensweisen auslösen. Schließt Expositionstherapien und die Aversionskonditionierung ein.
727
sofort Eingang ins psychologische Wissen ihrer Zeit. Erst 30 Jahre später verfeinerte der Psychiater Joseph Wolpe (1958; Wolpe & Plaud, 1997) Jones’ Technik und entwickelte das, was heute eine der am häufigsten eingesetzten Methoden der Verhaltenstherapie ist: die Expositionstherapie. Bei diesen Therapien wird auf unterschiedliche Weise versucht, die Reaktionen einer Person zu verändern, indem sie wiederholt Reizen ausgesetzt werden, die zunächst unerwünschte Reaktionen auslösen. Durch wiederholte Exposition gegenüber Dingen, die sie normalerweise vermeiden oder vor denen sie fliehen, gewöhnen sich Menschen an sie. Wir alle erleben diesen Prozess in unserem täglichen Leben. Nach dem Umzug in eine neue Wohnung kann es vielleicht sein, dass wir uns vom Lärm des vorbeifahrenden Verkehrs gestört fühlen. Nach einer Weile jedoch gewöhnen wir uns daran. Dies trifft ebenso auf Menschen zu, die auf bestimmte Ereignisse mit Angst reagieren. Wenn sie wiederholt mit der Situation konfrontiert werden, vor der sie sich einst fürchteten, können sie mit Unterstützung einer Gesprächstherapie lernen, weniger ängstlich zu reagieren (Barrera et al., 2013; Foa & McLean, 2016). Expositionstherapie („exposure therapy“) – Technik der
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was könnte ein:e psychodynamische:r Therapeut:in über Mowrers Therapie für das Bettnässen sagen? Was würde ein:e Verhaltenstherapeut:in antworten?
zz Expositionstherapien
Stellen Sie sich die Szene vor, die Mary Cover Jones 1924 berichtete: Der 3-jährige Peter erstarrt vor Angst beim Anblick von Kaninchen und anderen pelzigen Objekten. Jones’ Ziel war es, Peters Angst vor Kaninchen durch eine konditionierte Reaktion zu ersetzen, die mit Angst unvereinbar war. Ihre Strategie bestand darin, das angsterregende Kaninchen mit der angenehmen und entspannten Reaktion des Essens zu koppeln. Als Peter seine Nachmittagsmahlzeit einnimmt, bringt Jones ein Kaninchen im Käfig herein und stellt es auf die andere Seite des großen Raums. Peter knabbert weiter an seinen Crackern und trinkt seine Milch und nimmt das Kaninchen kaum zur Kenntnis. An den folgenden Tagen bringt Jones das Kaninchen immer näher heran. Innerhalb von 2 Monaten kann Peter das Kaninchen, während er isst, auf den Schoß nehmen und streichelt es sogar. Gleichzeitig verschwindet auch seine Angst vor pelzigen Objekten, denn sie wurde ersetzt durch einen Zustand der Entspannung, der nicht gleichzeitig zusammen mit Angst auftreten kann (Fisher, 1984; Jones, 1924). Leider – und zum Schaden der Menschen, denen diese Gegenkonditionierung hätte helfen können – fand Jones’ Geschichte von Peter und dem Kaninchen nicht
Verhaltensmodifikation – wie die systematische Desensi‑ bilisierung und die Expositionstherapie mit Hilfe virtueller Realität –, die Ängste bekämpft, indem Menschen (in der Vorstellung oder in der Realität) mit den Dingen konfrontiert werden, vor denen sie Angst haben und die sie vermeiden. Eine weit verbreitete Form der Expositionstherapie bei der Behandlung von Phobien ist die systematische Desensibilisierung. Es ist nicht möglich, gleichzeitig ängstlich und entspannt zu sein. Wenn Sie sich also jedes Mal entspannen, sobald Sie auf einen angsterregenden Reiz stoßen, werden Sie allmählich Ihre Angst löschen. Der Trick besteht darin, in Abstufungen vorzugehen. Stellen Sie sich vor, Sie litten unter der Angst, in der Öffentlichkeit zu sprechen. Ein Verhaltenstherapeut würde Sie wahrscheinlich zuerst bitten, ihm bei der Erstellung einer Hierarchie der Angst auslösenden Situationen behilflich zu sein. Ihre Angsthierarchie würde vielleicht von einer nur wenig angstauslösenden Situation (vor einer kleinen Gruppe von Freund:innen zu sprechen) bis zu den panikauslösenden Situationen reichen (etwa vor einem großen Publikum eine Rede zu halten). Systematische Desensibilisierung („systematic desensitization“) – eine Art Expositionstherapie, die einen
angenehm entspannten Zustand mit allmählich immer stärker angstauslösenden Reizen koppelt. Wird häufig zur Behandlung von Phobien eingesetzt. Der Therapeut würde dann die Technik der progressiven Muskelentspannung benutzen und mit Ihnen üben, eine Muskelgruppe nach der anderen zu entspannen, bis Sie
17
728
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
in den leicht benommenen Zustand der völligen Entspannung und des Wohlbefindens gleiten. Dann bittet Sie der Therapeut, sich mit geschlossenen Augen in eine wenig angstauslösende Situation zu versetzen: Sie trinken Kaffee mit Ihren Freund:innen und versuchen zu entscheiden, ob Sie sprechen sollen. Wenn die Vorstellung dieser Szene bei Ihnen Angstgefühle auslöst, signalisieren Sie die Spannung, die Sie empfinden, indem Sie einen Finger heben. Daraufhin gibt Ihnen der Therapeut die Instruktion, das innere Bild abzuschalten und in die tiefe Entspannung zurückzugehen. Die angsterregende Szene wird so lange immer wieder mit Entspannung gekoppelt, bis Sie keine Spur von Angst mehr empfinden. Dann geht der Therapeut auf der vorher erstellten Angsthierarchie weiter und nutzt den Entspannungszustand, um Sie bei jeder einzelnen der vorgestellten Situationen zu desensibilisieren. Nach ein paar Sitzungen üben Sie in der Praxis das, was Sie bisher mental geübt haben. Sie beginnen mit relativ leichten Aufgaben und steigern sich nach und nach bis zu den Situationen, die mehr Angst auslösen. Wenn Sie Ihre Angst nicht nur in einer fantasierten Situation, sondern in der Realität besiegen können, wird Ihr Selbstbewusstsein zunehmen (Foa & Kozak, 1986; Williams, 1987). Vielleicht werden Sie sogar schließlich ein:e Redner:in mit großem Selbstvertrauen. Häufig haben Menschen nicht nur Angst vor einer bestimmten Situation wie dem Halten einer Rede vor einem Publikum, sondern auch davor, dass sie ihre Angstreaktion handlungsunfähig macht. Wenn die Angst nachlässt, nimmt auch die Angst vor der Angst ab.
» „Es gibt nur eine Sache, die wir fürchten müssen, und das
ist die Furcht selbst.“ US-Präsident Franklin D. Roosevelt bei seiner ersten Amtseinführung (1933)
17
Wenn eine angsterregende Situation zu teuer, zu schwierig oder zu peinlich ist, um sie in der Realität bereitzustellen, gibt es die Expositionstherapie in virtuellen Realitäten, die ein wirkungsvolles Übungsfeld darstellt. Mit einem am Kopf angebrachten Gerät, das eine dreidimensionale virtuelle Welt projiziert, würden Sie eine Reihe lebensechter Szenen sehen, die genau an Ihre spezielle Angst angepasst wären. Wenn Sie Ihren Kopf drehen, verändert sich die Szenerie entsprechend. In Experimenten, die von mehreren Forschungsteams durchgeführt wurden, wurden viele verschiedene Menschen mit vielen unterschiedlichen Ängsten behandelt – Flugangst, Höhenangst, Angst vor bestimmten Tieren und Angst vor öffentlichen Auftritten (Parsons & Rizzo, 2008). So können beispielsweise Personen mit Flugangst aus dem virtuellen Fenster eines simulierten Flugzeugs schauen, die Vibrationen spüren und die Maschinen donnern hören, während das Flugzeug über die Rollbahn fährt und abhebt. In Studien haben die Klient:innen, die mit Exposition in einer virtuellen Realität behandelt wurden, im wirklichen Leben ein deutlicheres Nachlassen ihrer
..Abb. 17.7 „Jetzt reiß dich endlich zusammen, sonst verpassen wir wegen deiner Flugangst wieder den Abflug in den Süden!“ (© Claudia Styrsky)
Ängste erlebt als die Kontrollgruppe (Turner & Casey, 2014; . Abb. 17.7; 17.8). Expositionstherapie mit Hilfe virtueller Realität („virtual reality exposure therapy“) – eine Angstbehandlung, bei
der Menschen zunehmend mit simulierten Beispielen für ihre größten Ängste konfrontiert werden (z. B. Fliegen in einem Flugzeug, Spinnen, Sprechen vor Publikum). Weiterentwicklungen in der Therapie mit virtuellen Realitäten deuten darauf hin, dass es wahrscheinlich bald immer raffiniertere simulierte Welten geben wird, in denen Personen mithilfe eines Avatars (eine elektronische Verkörperung ihrer selbst) neue Verhaltensweisen in virtuellen Umgebungen ausprobieren können (Gorini, 2007). Jemand mit einer sozialen Phobie könnte zum Beispiel virtuelle Partys oder Gruppendiskussionen besuchen, an denen auch andere teilnehmen können. zz Aversionskonditionierung
Bei der Expositionstherapie besteht das Ziel darin, eine negative (furchtsame) Reaktion auf einen harmlosen Reiz durch eine positive (entspannte) Reaktion zu ersetzen. Sie hilft Menschen dabei, das zu tun, was sie tun sollten. Bei der Aversionskonditionierung ist es das Ziel, die positive Reaktion auf einen schädlichen Reiz (beispielsweise Alkohol) durch eine negative (aversive) Reaktion zu ersetzen. Sie hilft Menschen also dabei, zu lernen, was sie nicht tun sollten. Das Vorgehen ist einfach: Das unerwünschte Verhalten wird mit unangenehmen Gefühlen gekoppelt. Zur Behandlung des Nägelkauens kann man beispielsweise die Fingernägel mit einem widerlich schmeckenden Nagellack bestreichen (Baskind, 1997). Um eine Alkoholabhängigkeit zu behandeln, bietet der/die Aversionstherapeut:in den Klient:innen verlockende Drinks an, die
729
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
..Abb. 17.8 Expositionstherapie mit Hilfe virtueller Realität. Die Expositionstherapie mit Hilfe virtueller Realität setzt Personen lebhaften Simulationen gefürchteter Reize aus, z. B. sich in großer Höhe zu befinden. (© PHANIE/GARO/Science Photo Library)
jedoch mit einem Medikament versetzt sind, das schwere Übelkeit verursacht. Durch die Verbindung von Alkohol mit heftigem Erbrechen, versucht der/die Therapeut:in die positive Reaktion der Patient:innen auf Alkohol in eine negative umzuwandeln (. Abb. 17.9).
Behandlung einschränken. Deshalb wird die Aversionskonditionierung gern mit anderen Behandlungsverfahren kombiniert.
Aversionskonditionierung („aversive conditioning“) –
?? 17.5 Was ist die Grundannahme der Verhaltens-
Form der Gegenkonditionierung, die einen unangenehmen Zustand (Übelkeit) mit unerwünschtem Verhalten (Alkohol trinken) koppelt. Das Erlernen von Geschmacksaversionen hat sich in einigen Tierschutzprogrammen als erfolgreiche Alternative zum Töten von Raubtieren erwiesen (Dingfelder, 2010; Garcia & Gustavson, 1997). Nachdem sie durch den Verzehr eines verdorbenen Schafes krank geworden sind, meiden Wölfe möglicherweise Schaffleisch. Verändert die Aversionskonditionierung auch die Reaktionen von Menschen auf Alkohol? Kurzfristig gesehen tut sie das. In einer einflussreichen Studie arbeiteten Arthur Wiens und Carol Menustik (1983) mit 685 alkoholabhängigen Patient:innen, die sich in einem Krankenhaus in Portland (Oregon) einer Aversionstherapie unterzogen. Danach durchliefen sie wiederholte Behandlungen, die die Verbindung Alkohol – Übelkeit fördern sollten. Nach 1 Jahr waren 63 % immer noch abstinent. Doch nach 3 Jahren waren nur noch 33 % abstinent geblieben. Wie auch in der Forschung besteht das Problem in der Therapie darin, dass die Kognition einen Einfluss auf Konditionierung hat. Die Patient:innen wissen sehr wohl, dass sie außerhalb der Praxisräume der Therapeut:innen trinken können, ohne Angst vor Übelkeit haben zu müssen. Sie sind durchaus fähig, zwischen der Situation der Aversionskonditionierung und der realen Welt zu unterscheiden, und dieses Wissen kann die Wirkung der
Operantes Konditionieren modifikation, und was sind die Auffassungen derer, die diesen Ansatz befürworten bzw. kritisieren?
Wenn Sie schwimmen gelernt haben, haben Sie gelernt, Ihren Kopf unter Wasser zu halten, ohne zu ersticken, Ihren Körper durch das Wasser zu bewegen und vielleicht sogar, sicher zu tauchen. Diese Lernprozesse wurden durch operante Konditionierung geprägt. Sichere und effektive Verhaltensweisen wurden verstärkt. Im Gegensatz dazu wurden Sie für falsches Schwimmverhalten bestraft, z. B. indem Sie Wasser geschluckt haben. Willkürliche Verhaltensweisen werden stark von ihren Konsequenzen beeinflusst. Diese simple Tatsache macht es möglich, dass Verhaltenstherapeut:innen Verhaltens‑ modifikation betreiben – dass sie ein gewünschtes Verhalten verstärken und die Verstärkung für unerwünschtes Verhalten nicht gewähren. Das operante Konditionieren bei spezifischen Verhaltensproblemen weckte Hoffnungen für Problemfälle, die man bislang für hoffnungslos gehalten hatte. Kindern mit Intelligenzminderung wurde beigebracht, für sich selbst zu sorgen. Kinder auf dem Autismus-Spektrum, die sich in sich selbst zurückziehen, haben gelernt, mit anderen zu interagieren. Von Schizophrenie Betroffene konnten dazu gebracht werden, sich innerhalb des klinischen Settings berechenbarer zu verhalten. In solchen Fällen arbeiten die Therapeut:innen mit positiver Verstärkung. Um das
17
730
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
..Abb. 17.9 Aversionstherapie bei Alkoholabhängigkeit. Manche Menschen mit einer länger andauernden Alkoholabhängigkeit entwickeln zumindest für eine gewisse Zeit eine konditionierte Aversion gegen Alkohol, wenn sie mehrfach ein alkoholisches Getränk zu sich nehmen, das mit einem Medikament versetzt wurde und daher heftige Übelkeit auslöst. (Denken Sie daran: US heißt unkonditionierter Reiz, UR heißt unkonditionierte Reaktion, NS heißt neutraler Reiz, CS heißt konditionierter Reiz und CR heißt konditionierte Reaktion.)
US (Medikament)
NS (Alkohol)
UR (Übelkeit)
+
CS (Alkohol)
17
Verhalten Schritt für Schritt zu formen, wird jede weitere Annäherung an das gewünschte Verhalten belohnt. Für Extremfälle ist eine intensive Behandlung erforderlich. In einer 2 Jahre dauernden Studie nahmen 19 autistische 3-jährige Kinder, die nicht sprachen, an einem Programm teil, bei dem die Eltern 40 Stunden pro Woche versuchten, das Verhalten ihres Kindes zu formen (Lovaas, 1987). Die Kombination von Verstärkung des gewünschten Verhaltens und Ignorieren oder Bestrafen von aggressivem oder selbstschädigendem Verhalten wirkte bei einigen Kindern Wunder. In der 1. Klasse gliederten sich 9 der 19 Kinder erfolgreich ein und zeigten eine normale Intelligenz. In einer Gruppe von 40 vergleichbaren Kindern, die nicht an der aufwendigen Behandlung teilgenommen hatten, zeigte nur eins eine ähnliche Verbesserung seines Zustands. Folgestudien konzentrierten sich auf die positive Verstärkung, den wirksamen Aspekt dieser intensiven frühen Verhaltensmodifikation (Reichow, 2012). Zur Modifikation des Problemverhaltens werden ganz unterschiedliche Belohnungen verwendet. Für manche Fälle genügen Aufmerksamkeit und Lob als Verstärkung. Andere brauchen konkrete Belohnungen, beispielsweise etwas zu essen. Im klinischen Setting bauen Therapeut:innen häufig ein Tokensystem auf. Verhält sich eine Person in der gewünschten Weise – steht auf, wäscht sich, zieht sich an, isst, spricht zusammenhängend, räumt ihr Zimmer auf oder beteiligt sich an einem Spiel –, dann erhält sie ein symbolisches Geldstück („Token“) oder einen Plastikchip als positiven Verstärker. Zu einem späteren Zeitpunkt kann sie ihre gesammelten Tokens gegen verschiedene Belohnungen eintauschen (etwa Süßigkeiten, Fernsehen, Ausflüge in die Stadt oder ein besseres Zimmer). Dieses Tokensystem wurde in verschiedenen Settings erfolgreich eingesetzt (zu Hause, im Klassenzimmer, in Krankenhäusern oder Erziehungsheimen) und auch mit verschiedenen Bevölkerungsgruppen (einschließlich Kinder mit Verhaltensstörungen, Patient:in-
US (Medikament)
UR (Übelkeit)
CR (Übelkeit)
nen mit Schizophrenie oder Menschen mit anderen psychischen Störungen) (Matson & Boisjoli, 2009). Tokensystem („token economy“) – Verfahren der ope-
ranten Konditionierung, bei dem Personen Symbolgeld erhalten, wenn sie das gewünschte Verhalten zeigen. Anschließend können sie die Chips gegen verschiedene Vergünstigungen oder Leckereien eintauschen.
-
Die Kritiker:innen der Verhaltensmodifikation äußern zwei Bedenken: Wie beständig sind die Verhaltensänderungen? Werden die Patient:innen vielleicht so abhängig von extrinsischer Belohnung, dass das angemessene Verhalten ohne Belohnung wieder verschwindet? Die Befürworter:innen der Verhaltensmodifikation glauben, dass das Verhalten anhält, wenn die Therapeut:innen die Patient:innen von den Tokens entwöhnen. Dies ist möglich, indem sie sie auf andere Verstärker verweisen, etwa auf soziale Anerkennung, also etwas, wovon das Leben außerhalb der Institution geprägt ist. Sie betonen auch, dass das angemessene Verhalten selbst intrinsisch verstärkend sein kann. Wenn z. B. ein in sich gekehrter Mensch mehr soziale Kompetenz gewinnt, dann mag die intrinsische Befriedigung über die soziale Interaktion dem oder der Betroffenen helfen, dieses Verhalten beizubehalten. Ist es richtig, dass ein Mensch das Verhalten eines anderen kontrolliert? Wer mit dem Tokensystem arbeitet, entzieht dem Menschen möglicherweise etwas, was dieser sich wünscht, und entscheidet dann, welches Verhalten verstärkt werden soll. Für die Kritiker:innen ist der gesamte Vorgang der Verhaltensmodifikation mit dem Makel des Autoritären behaftet. Die Befürworter:innen antworten, dass ohnehin schon eine Kontrolle besteht; Belohnungen und Bestrafungen erhalten bereits zerstörerische Verhaltensmuster aufrecht. Warum sollte man nicht
-
731
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
stattdessen das angemessene Verhalten verstärken? Ein Argument der Befürworter:innen ist auch, dass eine Behandlung mit positiven Belohnungen menschlicher ist als die Unterbringung in einer Institution oder eine Bestrafung und dass das Recht auf eine wirkungsvolle Behandlung und ein besseres Leben die kurzzeitige Deprivation rechtfertigt.
Arbeitsplatz verloren
Innere Überzeugung: Ich tauge nichts, es ist hoffnungslos Depression
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind Einsichttherapien und wie unterscheiden sie sich von Verhaltenstherapien? – Manche ungünstigen Verhaltensweisen sind erlernt. Was kann man sich dadurch erhoffen? – Expositionstherapien und Aversionskonditionierung sind Anwendungsmöglichkeiten der ___ Konditionierung. Tokensysteme sind eine Anwendungsmöglichkeit der ___ Konditionierung.
17.1.5
Kognitive Therapien
?? 17.6 Welches sind die Ziele und Techniken der kogni-
tiven Therapie und der kognitiven Verhaltenstherapie?
Wir haben nun gesehen, wie Verhaltenstherapeut:innen spezifische Ängste behandeln und wie sie mit Problemverhalten umgehen. Doch wie gehen sie gegen eine Major Depression vor? Oder gegen eine generalisierte Angststörung, bei der die Angst nicht auf etwas Bestimmtes gerichtet ist und bei der es schwierig ist, eine Hierarchie der angstauslösenden Situationen zu erstellen? Verhaltenstherapeut:innen, die diese weniger eindeutig definierten psychischen Probleme behandelten, kam dieselbe kognitive Wende zu Hilfe, die im letzten halben Jahrhundert andere Gebiete der Psychologie grundlegend verändert hat. Die kognitiven Therapien basieren auf der Annahme, dass unsere Gedanken unseren Gefühlen eine bestimmte Färbung geben. Zwischen einem Ereignis und der Reaktion darauf schaltet sich der Verstand ein. Selbstbeschuldigungen und übergeneralisierte Erklärungen für unerfreuliche Vorfälle sind oft wesentliche Bestandteile des Teufelskreises der Depression (. Abb. 17.10). Angst entsteht durch eine „Aufmerksamkeitsverzerrung gegenüber Bedrohungen“ (MacLeod & Clarke, 2015). Ein Mensch, der unter einer Depression leidet, interpretiert eine Anregung als Kritik, fehlende Zustimmung als Ablehnung seiner Person, Lob als Schmeichelei, Freundlichkeit als Mitleid. Das ständige Brüten über solchen Gedanken hält die schlechte Stimmung aufrecht. Wenn aber depressive Denkmuster erlernt sind, können sie sicher auch verlernt und durch positivere ersetzt werden. Kognitive Therapeut:innen versuchen daher auf verschiedene Weise, den Betroffenen zu einer anderen, neuen und konstruktiveren Denkweise zu verhelfen.
Arbeitsplatz verloren
Innere Überzeugung: Mein Chef ist ein Rindvieh. Ich verdiene etwas Besseres Keine Depression
..Abb. 17.10 Der kognitive Ansatz bei der Behandlung psychischer Störungen. Die emotionalen Reaktionen eines Menschen auf ein Ereignis werden nicht unmittelbar von dem betreffenden Ereignis hervorgerufen, sondern durch seine Gedanken in Reaktion auf dieses Ereignis
Kognitive Therapie („cognitive therapy“) – lehrt die Betroffenen neue, besser an die Realität angepasste Denkweisen. Beruht auf der Annahme, dass zwischen Ereignissen und emotionalen Reaktionen Gedanken vermittelnd Einfluss nehmen.
» „Das Leben besteht nicht hauptsächlich, nicht einmal
größtenteils, aus Tatsachen und Ereignissen. Es besteht hauptsächlich aus den Gedankenstürmen, die für immer durch unseren Geist strömen.“ Mark Twain (1835–1910)
Aaron Becks Therapie bei Depression In den späten 1960er Jahren verließ eine Frau vorzeitig eine Party, die nicht gut für sie gelaufen war. Sie fühlte sich von den anderen Partygästen ausgeschlossen und nahm an, dass sich niemand für sie interessierte. Ein paar Tage später suchte sie den Therapeuten Aaron Beck auf. Anstatt den traditionellen Weg in ihre Kindheit einzuschlagen, forderte Beck ihre Denkweise heraus. Nachdem sie daraufhin einige Menschen aufgezählt hatte, die sich um sie kümmerten, erkannte Beck, dass es therapeutisch wirken kann, die automatischen negativen Gedanken von Menschen in Frage zu stellen. So entstand seine kognitive Therapie, die davon ausgeht, dass Menschen ihre Lebensqualität verbessern können, wenn sie ihre Denkweise verändern (Spiegel, 2015). Ursprünglich analysierte Beck die Träume von Menschen mit Depression. Er stieß auf immer wiederkehrende negative Themen wie Verlust, Zurückweisung und Verlassenheit, die selbst in den Wachgedanken
17
732
der Betroffenen auftauchten. Sogar bis in die Therapie hinein erstreckten sich diese negativen Themen, denn die Patient:innen erinnerten sich immer wieder an ihr Scheitern und an ihre schlimmsten Triebregungen (Kelly, 2000). Beck et al. (1979) versuchten mit Hilfe der kognitiven Therapie, die verhängnisvolle Einstellung der Klient:innen zur eigenen Person, zu ihrer aktuellen Situation und ihrer Zukunft umzukehren. Mit sanften Fragen, die darauf abzielen, den Menschen zu helfen, ihre Irrationalitäten zu entdecken, bewegen sie die Patient:innen dazu, die schwarze Brille abzusetzen, durch die sie ihr Leben sehen (Beck et al., 1979, S. 145–146, republished with permission of Guilford Publications, Copyright © 1979; permission conveyed through Copyright Clearance Center, Inc.): Patient: Ich bin damit einverstanden, wie Sie mich beschreiben. Aber ich denke, ich bin nicht einverstanden damit, dass mich meine Art zu denken depressiv machen soll. Beck: Wie erklären Sie es sich dann? Patient: Ich werde depressiv, wenn etwas schiefgeht. Wenn ich z. B. durch eine Prüfung falle. Beck: Wie kann Sie der Misserfolg bei einer Prüfung depressiv machen? Patient: Na ja, wenn ich durchfalle, werde ich das Rechtsreferendariat nicht beginnen können. Beck: Es bedeutet Ihnen also viel, wenn Sie die Prüfung nicht bestehen. Aber wenn das Versagen bei einer Prüfung ernsthafte Depressionen auslösen könnte, müsste dann nicht jeder, der durchfällt, depressiv werden? Wurde jeder, der durchfiel, depressiv genug, um eine Behandlung zu benötigen? Patient: Nein, doch das hängt davon ab, wie wichtig die Prüfung für diese Person war. Beck: Richtig, und wer entscheidet über die Wichtigkeit? Patient: Ich. Beck: Deshalb müssen wir prüfen, wie Sie die Prüfung sehen (oder wie Sie über die Prüfung denken) und wie dadurch Ihre Chancen, das Referendariat zu beginnen, beeinflusst werden. Sind Sie einverstanden? Patient: Ja. Beck: Stimmen Sie mir zu, dass die Art, wie Sie die Prüfungsergebnisse interpretieren, Sie insgesamt beeinträchtigt? Sie sind möglicherweise deprimiert, haben Schlafstörungen und keinen Appetit, und Sie denken vielleicht sogar daran, das Studium aufzugeben. Patient: Ich habe schon daran gedacht, dass ich es nicht schaffe. Ja, ich gebe Ihnen Recht. Beck: Welche Bedeutung hatte der Misserfolg also? Patient: (Unter Tränen) Dass ich nicht ins Referendariat komme. Beck: Und was bedeutet das für Sie? Patient: Dass ich einfach nicht klug genug bin.
--
17
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
---
---
---
Beck: Sonst noch etwas? Patient: Dass ich nie glücklich sein kann. Beck: Und wie fühlen Sie sich bei diesem Gedanken? Patient: Sehr unglücklich. Beck: Was Sie unglücklich macht, ist also die Bedeutung, die das Nichtbestehen einer Prüfung für Sie hat. Zu glauben, dass Sie nie glücklich sein können, ist tatsächlich ein wichtiger Faktor bei der Entstehung des Gefühls, unglücklich zu sein. Sie sind also in eine Falle geraten – nämlich dadurch, dass Sie Ihr mögliches Scheitern im Grundstudium mit „Ich kann nie mehr glücklich sein“ gleichsetzen.
Wir denken oft in Worten. Daher ist es eine wirksame Methode, das Denken der Menschen zu verändern, indem man sie dazu bringt, zu verändern, was sie über sich selbst sagen (. Abb. 17.11). Vielleicht können Sie sich ja mit dem ängstlichen Studenten identifizieren, der vor der Prüfung durch selbstabwertende Gedanken alles nur noch schlimmer macht: „Diese Prüfung wird wahrscheinlich unmöglich zu schaffen sein. All diese anderen Studenten scheinen so entspannt und selbstbewusst zu sein. Ich wünschte mir, ich wäre besser vorbereitet. Ich bin so nervös, dass ich alles vergessen werde.“ In der Psychologie wird diese Art von unerbittlichem, übergeneralisiertem und selbstbeschuldigendem Verhalten als Katastrophisierung bezeichnet. Um ein solches negatives Selbstgespräch zu verändern, bot Donald Meichenbaum (1977, 1985) sein Stressimpfungstraining an, bei dem er den Beteiligten beibrachte, in stressigen Situationen ihr Denken neu zu strukturieren. Manchmal reicht es vielleicht einfach aus, etwas Positiveres über die eigene Person zu sagen: „Entspann dich. Die Prüfung ist vielleicht schwer, aber sie wird auch für alle anderen schwer sein. Ich habe mehr gelernt als die anderen. Außerdem brauche ich keine tolle Note, um eine gute Gesamtnote zu bekommen.“ In Experimenten war bei Kindern und Studierenden, die zu Depression neigen, künftig die Häufigkeit für eine Depression nur halb so groß, nachdem man ihnen beigebracht hatte, ihre negativen Gedanken infrage zu stellen (Reivich et al., 2013; Seligman et al., 2009). Großenteils ist es der Gedanke, der eigentlich zählt. . Tab. 17.1 bietet eine Übersicht über einige Techniken, die häufig in der kognitiven Therapie genutzt werden. Nicht nur Menschen mit Depression können von positiven Selbstgesprächen profitieren. Wir alle reden mit uns selbst (der Gedanke „Ich wünschte, ich hätte das nicht gesagt“ kann uns davor bewahren, einen Fehler zu wiederholen). Die Ergebnisse von fast drei Dutzend sportpsychologischen Untersuchungen zeigen, dass Selbstgespräche das Erlernen athletischer Fähigkeiten verbessern können (Hatzigeorgiadis et al., 2011). So können Neulinge im Basketball etwa trainiert werden, an „Fokus“ und „Durchziehen“ zu denken, im Schwimmen an einen „hohen Ellbogen“ und im Tennis daran, „auf
733
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
..Abb. 17.11 (© Peanuts Worldwide LLC./Dist. By Universal Uclick/Distr. Bulls)
..Tab. 17.1 Ausgewählte Techniken der kognitiven Therapie Ziel der Technik
Technik
Hinweise des Therapeuten bzw. der Therapeutin
Überzeugungen aufdecken
Interpretationen hinterfragen
Erkunden Sie Ihre Überzeugungen, decken Sie fehlerhafte Annahmen auf, wie: „Ich muss von jedem gemocht werden.“
Gedanken und Gefühle in eine Rangreihe bringen
Erlangen Sie einen anderen Blickwinkel, indem Sie Ihre Gedanken in eine Rangreihe bringen, von wenig bis extrem schlimm.
Konsequenzen prüfen
Erkunden Sie schwierige Situationen, indem Sie mögliche Konsequenzen bewerten und fehlerhafte Schlussfolgerungen hinterfragen.
Denken entkatastrophisieren
Durchdenken Sie die tatsächlich schlimmstmögliche Konsequenz der Situation, in der Sie sich gerade befinden (es ist oft nicht so schlimm wie befürchtet). Dann entscheiden Sie, wie Sie mit der eigentlichen Situation umgehen, vor der Sie stehen.
Angemessene Verantwortung übernehmen
Begegnen Sie Schuldzuweisungen gegenüber sich selbst und negativem Denken. Beachten Sie Punkte, für die Sie wirklich verantwortlich sind, genauso wie Punkte, die nicht in Ihren Verantwortungsbereich fallen.
Extremen widerstehen
Entwickeln Sie neue Arten zu denken und zu fühlen, um ungünstige Gewohnheiten zu ersetzen. Zum Beispiel denken Sie statt „Ich bin ein totaler Versager“ lieber „Für diese Hausarbeit habe ich eine schlechte Note bekommen, aber ich kann die Hinweise annehmen, um es das nächste Mal besser zu machen“.
Überzeugungen überprüfen
Überzeugungen ändern
den Ball schauen“. Menschen, die Angst vor öffentlichen Auftritten haben, gewinnen an Selbstvertrauen, wenn sie dazu aufgefordert werden, sich an einen erfolgreichen Auftritt zu erinnern und dann zu erklären, warum sie diesen Erfolg erzielt haben (Zunick et al., 2015).
Kognitive Verhaltenstherapie („cognitive behavior therapy“)
Kognitive Verhaltenstherapie
Angststörungen teilen ein gemeinsames Problem mit depressiven und affektiven Störungen: die Emotionsregulation (Aldao & Nolen-Hoeksema, 2010; Szkodny et al., 2014). In einem wirksamen Behandlungsprogramm für diese emotionalen Störungen lernen die Betroffenen einerseits, ihre katastrophisierenden Gedanken durch realistischere Annahmen zu ersetzen, und andererseits, als Hausaufgabe, Verhaltensweisen zu üben, die mit ihrem Problem nicht vereinbar sind (Kazantzis et al., 2010a, 2010b; Moses & Barlow, 2006). Eine Person könnte zum Beispiel ein Tagebuch über alltägliche Situationen führen, die sie mit negativen oder positiven Emotionen verbunden hat, und dann öfter die Tätigkeiten ausführen, die sie dazu führen, sich gut zu fühlen. Ein anderes Beispiel wäre, dass Personen, die sich vor sozialen Situationen fürchten, angewiesen werden, die Annäherung an andere Menschen zu üben.
„Das Problem der meisten Therapien ist,“ in den Worten des Therapeuten Albert Ellis (1913–2007), „dass sie einem helfen, sich besser zu fühlen. Aber es geht dir nicht besser. Man muss es mit Taten, Taten, Taten sicherstellen.“ Die kognitive Verhaltenstherapie setzt einen kombinierten Ansatz ein, um depressive und andere Störungen zu behandeln. Diese weit verbreitete integrative Therapie zielt darauf ab, nicht nur das Denken, sondern auch das Handeln ihrer Klient:innen zu verändern. Es wird wie bei anderen kognitiven Therapien daran gearbeitet, den Betroffenen ihr irrationales negatives Denken bewusst zu machen und es durch eine neue Art des Denkens zu ersetzen. Und genauso wie andere Verhaltenstherapien versucht die kognitive Verhaltenstherapie Menschen zu zeigen, wie sie sich im Alltag positiver verhalten können.
– verbreitete integrative Therapie, bei der die Techniken der kognitiven Therapie (Veränderung der selbstabwertenden Gedankenmuster) mit den Techniken der Verhaltenstherapie (Verhaltensänderung) kombiniert werden.
17
734
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
..Abb. 17.12 Kognitive Therapie bei Essstörungen mit Hilfe von Tagebuchaufzeichnungen. Die kognitive Therapie leitet Menschen dazu an, ihre guten und schlechten Erfahrungen auf neue Weise zu erklären. Indem sie positive Ereignisse aufschreibt und vermerkt, wie sie diese ermöglicht hat, kann diese Frau ihre Selbstkontrolle bewusster wahrnehmen und optimistischer werden. (© Lara Jo Regan)
17
Die kognitive Verhaltenstherapie ist eine wirksame Methode zur Behandlung von Menschen mit Zwangsstörungen (Öst et al., 2015). In einer klassischen Studie lernten Erkrankte, ihre Zwänge anders zu benennen (Schwartz et al., 1996). Wenn der Drang auftrat, sich wieder die Hände zu waschen, sollten sie sich sagen: „Ich habe einen Drang, der mich zwingt“; sie sollten diesen Drang dann mit der abnormen Aktivität ihres Gehirns erklären, die sie in ihren PET-Aufnahmen gesehen hatten. Statt dem Drang nachzugeben, ließen sie sich für die nächste Viertelstunde auf eine andere angenehme Beschäftigung ein, etwa ein Instrument zu spielen, spazieren zu gehen oder im Garten zu arbeiten. Dadurch konnte das Gehirn den Zwangsgedanken loslassen, die Aufmerksamkeit wurde auf etwas anderes gelenkt und so andere Hirnareale aktiviert. Die Therapie mit wöchentlichen Sitzungen dauerte 2–3 Monate und umfasste auch die Aufgabe, zu Hause Zwänge neu zu benennen und die Aufmerksamkeit auf etwas anderes zu richten. Als die Studie beendet wurde, hatten sich bei den meisten Betroffenen die Symptome gebessert, und ihre PET-Aufnahmen zeigten eine normale Hirnaktivität. Viele andere Studien bestätigen die Wirksamkeit der kognitiven Verhaltenstherapie für Menschen, die an einer Angststörung, Depression oder Essstörung leiden (Cristea et al., 2015; Milrod et al., 2015; Turner et al., 2016; . Abb. 17.12). Sogar auf der kognitiven Verhaltenstherapie basierende Fragebogen und Aufgaben, die online angeboten werden und eine Therapie ohne eine:n persönliche:n Therapeut:in darstellen, haben Menschen dabei geholfen, ihre Schlaflosigkeit, Depression und Angstzustände zu lindern (Andersson, 2016; Christensen et al., 2016; Kampmann et al., 2016; Vigerland et al., 2016). Eine neuere Variante der kognitiven Verhaltenstherapie, die dialektische Verhaltenstherapie (DBT), hilft Menschen dabei, schädliche und sogar suizidale Verhaltensmuster zu verändern (Linehan et al., 2015; Mehlum
et al., 2016; Valentine et al., 2015). Dialektisch bedeutet „gegensätzlich“ und diese Therapieform versucht, zwei gegensätzliche Kräfte miteinander in Einklang zu bringen: Akzeptanz und Veränderung. Während der Therapie vermittelt ein akzeptierendes und ermutigendes Umfeld den Klient:innen das Gefühl, in ihrem/ihrer Therapeut:in eine:n Verbündete:n zu haben, der/die ihnen konstruktives Feedback und Anleitung gibt. In Einzelsitzungen lernen die Klient:innen neue Denkweisen, die ihnen dabei helfen, Belastungen zu ertragen und ihre Gefühle zu regulieren. Sie erlernen auch soziale Fähigkeiten und Achtsamkeitsmeditationen, die zur Linderung von depressiven Störungen beitragen (Gu et al., 2015; Kuyken et al., 2016). Gruppensitzungen bieten zusätzliche Gelegenheiten, die neuen Fähigkeiten in einem sozialen Kontext zu üben, wobei weitere Übungen als Hausaufgaben gegeben werden. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie unterscheiden sich die humanistischen und die kognitiven Therapien? – Ein entscheidendes Merkmal der von Aaron Beck entwickelten ___ ist die Überzeugung, dass es Menschen besser gehen kann, wenn sie ihr Denken verändern. – Was macht die kognitive Verhaltenstherapie aus, und für welche Art von Problemen ist diese Therapie am besten geeignet?
17.1.6
Gruppen- und Familientherapien
?? 17.7 Welches sind die Ziele und die Vorteile der
Gruppentherapie und der Familientherapie?
735
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
Gruppentherapie
Familientherapie
Mit Ausnahme der traditionellen Psychoanalyse sind die meisten Therapieverfahren auch für Kleingruppen geeignet. In einer Gruppentherapie geht der Therapeut oder die Therapeutin weniger auf die Einzelnen ein. Jedoch bietet sie auch Vorteile: Sie kostet Therapeut:innen weniger Zeit und Klient:in‑ nen weniger Geld – und sie ist oft genauso wirkungsvoll (Burlingame et al., 2016). Sie bietet ein soziales Experimentierfeld, um zwischen‑ menschliche Verhaltensweisen erkunden und soziale Fähigkeiten entwickeln zu können. Therapeut:innen raten Menschen mit beständigen Problemen häufig zu einer Gruppentherapie, ebenso auch Personen, die durch ihr Verhalten Schwierigkeiten im Umgang mit anderen haben. Therapeut:innen leiten die Interaktionen der Teilnehmenden, während sie über bestimmte Themen diskutieren und neue Verhaltensweisen ausprobieren. Sie ermöglicht es den Teilnehmenden, zu sehen, dass andere ihre Probleme teilen. Es kann eine Erleichterung sein, festzustellen, dass man nicht allein ist – zu erfahren, dass andere trotz ihrer Gelassenheit die gleichen störenden Gefühle und Verhaltensweisen erfahren (Ooi et al., 2016). Sie ermöglicht es den Patient:innen eine Rückmeldung zu bekommen, wenn sie neue Verhaltensweisen aus‑ probieren. Es kann sehr beruhigend sein, wenn man hört, dass man selbstsicher wirkt, obwohl man sich ängstlich und gehemmt fühlt.
Eine besondere Form der Interaktion in Gruppen, die Familientherapie, geht davon aus, dass niemand für sich allein existiert: Wir leben und wachsen in der Beziehung zu anderen, insbesondere in der Familie. Wir führen heftige Kämpfe, um uns von der Familie zu lösen, doch brauchen wir sie auch als emotionalen Rückhalt. Manche unserer Konflikte entstehen aus der Spannung zwischen diesen beiden Bedürfnissen, die dann familiäre Probleme verursachen können (. Abb. 17.13).
-
-
Gruppentherapie („group therapy“) – wird mit Gruppen
statt Einzelpersonen durchgeführt, ermöglicht therapeutische Vorteile durch die Gruppeninteraktion.
..Abb. 17.13 Familientherapie. Diese Art der Therapie fungiert oft als präventive Strategie für die Sicherung der geistigen Gesundheit und kann auch eine Ehetherapie beinhalten. Der Therapeut bzw. die Therapeutin hilft Familienmitgliedern dabei zu verstehen, wie ihre Art miteinander umzugehen, Probleme hervorruft. Der Behandlungsschwerpunkt ist nicht, die Individuen, sondern ihre Beziehungen und Interaktionen zu verändern. (© KatarzynaBialasiewicz/Getty Images/iStock)
Familientherapie („family therapy“) – Therapie, die die
Familie als Gesamtsystem behandelt. Sie geht davon aus, dass das unerwünschte Verhalten Einzelner von anderen Familienmitgliedern beeinflusst oder auf sie gerichtet ist. In der Familientherapie wird die Familie als System betrachtet, in dem die Handlungen jeder Person Reaktionen der anderen hervorrufen. Die Aufsässigkeit eines Kindes zum Beispiel hat Auswirkungen auf Spannungen in der Familie und wird davon wiederum beeinflusst. Therapeutinnen und Therapeuten können den Familienmitgliedern häufig dabei helfen, ihre Rolle zu entdecken, die sie im sozialen System der Familie einnehmen, die Kommunikation innerhalb der Familie offener zu gestalten oder neue Wege zu finden, um Konflikte zu vermeiden oder zu lösen (Hazelrigg et al., 1987; Shadish et al., 1993). In Deutschland ist die hier beschriebene Therapieform unter dem Namen „systemische Therapie“ bekannt. Diese ist in Deutschland das vierte Richtlinienverfahren, dessen Kosten von den Krankenkassen getragen werden.
Selbsthilfegruppen Mehr als 100 Mio. Amerikaner:innen gehören kleinen Religionsgemeinschaften, Interessens- oder Selbsthilfegruppen an, die sich regelmäßig treffen – und 90 %
17
736
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
von ihnen geben an, dass die Gruppenmitglieder „sich gegenseitig emotional unterstützen“ (Gallup, 1994). Eine Studie zu Unterstützungsgruppen im Internet und zu Selbsthilfegruppen berichtet, dass sich die meisten Organisationen zur Unterstützung der Betroffenen auf Krankheiten konzentrieren, die stigmatisiert sind oder über die man nur schwer sprechen kann (Davison et al., 2000). Bei Aids-Erkrankten ist die Wahrscheinlichkeit 250-mal größer, dass sie in einer Unterstützungsgruppe sind, als bei Patient:innen mit hohem Blutdruck. Diejenigen, die mit Magersucht und Alkoholabhängigkeit kämpfen, treten oft Gruppen bei; Menschen mit Migräne und Magengeschwüren tun dies üblicherweise nicht. Die Anonymen Alkoholiker (AA), die sozusagen den Prototypen der Selbsthilfegruppen darstellen, haben nach Berichten mehr als 2,1 Mio. Mitglieder in 118.000 Untergruppen weltweit. Sie verlangen in ihrem berühmten, von vielen anderen Selbsthilfegruppen nachgeahmten 12-Punkte-Programm, die eigene Machtlosigkeit zuzugeben, Hilfe bei einer höheren Macht oder den anderen Mitgliedern zu suchen sowie (das ist der 12. Schritt) die Botschaft an andere weiterzugeben, die sie brauchen (Galanter, 2016). Studien haben gezeigt, dass solche 12-Punkte-Programme, wie das der AA, vergleichbar gut dabei geholfen haben, Alkoholabhängigkeit zu reduzieren, wie andere Behandlungen (Ferri et al., 2006; Moos & Moos, 2005). Bei einer Untersuchung, die 8 Jahre dauerte und 27 Mio. Dollar kostete, verringerten Menschen, die bei den AA teilnahmen, ihr Trinkverhalten drastisch. Aber das war auch bei denjenigen der Fall, die einer kognitiven Verhaltenstherapie oder einer alternativen Therapie zugewiesen wurden (Project Match, 1997). Je mehr Treffen die Betroffenen besuchen, desto langfristiger bleiben sie abstinent (Moos
& Moos, 2006). Diejenigen, deren persönliche Erfahrung eine „Erlösungsgeschichte“ enthält, die also empfinden, dass ihre Erfahrung etwas Gutes bewirkt hat, bleiben häufiger abstinent (Dunlop & Tracy, 2013). >>Mit mehr als 2 Mio. Mitgliedern weltweit gelten die Ano-
nymen Alkoholiker als „die größte Organisation auf der Erde, der niemand jemals beitreten wollte“ (Finlay, 2000).
In einer von Individualismus geprägten Zeit, in der immer mehr Menschen allein wohnen oder sich vereinsamt fühlen, scheint die Beliebtheit von Gruppen, die soziale Unterstützung bieten – für Süchtige, für Trauernde, für Geschiedene oder einfach für diejenigen, die nach sozialem Kontakt und persönlicher Entwicklung suchen –, Ausdruck eines Verlangens nach Gemeinschaft und Verbundenheit zu sein. Eine Übersicht über die modernen Formen der Psychotherapie, die bisher besprochen wurden, ist in . Tab. 17.2 zu finden. 17.1.7
Rückblick: Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
Verständnisfragen
17.1 – Wie unterscheiden sich Psychotherapie und die bio‑
medizinische Therapie? 17.2 – Welches sind die Ziele und Techniken der Psychoanalyse und wie wurden sie in der psychodynamischen Therapie angepasst?
..Tab. 17.2 Unterscheidung moderner Psychotherapien
17
Therapie
Vermutetes Problem
Therapieziel
Therapietechnik
Psychodynamisch
Unbewusste Konflikte aus Kindheitserfahrungen
Ängste durch Selbsteinsicht vermindern
Erinnerungen und Gefühle der Patient:innen interpretieren
Klientenzentriert
Hindernisse für Selbstverständnis und Selbstakzeptanz
Wachstum durch bedingungslose positive Wertschätzung, Akzeptanz, Echtheit und Empathie
Aktives Zuhören und Spiegeln der Emotionen der Klient:innen
Verhaltensbezogen
Ungünstige Verhaltensweisen
Günstige Verhaltensweisen erlernen, sich von problematischen lösen
Nutzung der klassischen Konditionierung (per Expositions- oder Aversionstherapie) oder der operanten Konditionierung (wie in Tokensystemen)
Kognitiv
Negatives, selbstzerstörerisches Denken
Gesündere Gedanken und innere Monologe fördern
Menschen beibringen, negative Gedanken und Zuschreibungen anzuzweifeln
Kognitiv-verhaltensbezogen
Selbstschädigende Gedanken und Verhaltensweisen
Gesündere Gedanken und vorteilhafte Verhaltensweisen fördern
Menschen beibringen, gegen selbstschädigende Gedanken und Verhaltensweisen vorzugehen
Gruppe und Familie
Konflikthafte Beziehungen
Beziehungen verbessern
Verständnis für Familie und andere soziale Systeme entwickeln, Rollen erkunden und Kommunikation verbessern
17.1 • Einführung in die Therapie und Formen psychologischer Therapie
17.3 – Was sind die grundlegenden Themen der humanis-
tischen Therapie? Welches sind die speziellen Ziele und Techniken der klientenzentrierten Therapie nach Carl Rogers? 17.4 – Wie unterscheidet sich die Grundannahme der Verhaltenstherapie von denen der psychodynamischen und humanistischen Therapien? Welche Techniken werden bei den Expositionstherapien und der Aversionskonditionierung genutzt? 17.5 – Was ist die Grundannahme der Verhaltensmodifikation, und was sind die Auffassungen derer, die diesen Ansatz befürworten bzw. kritisieren? 17.6 – Welches sind die Ziele und Techniken der kognitiven Therapie und der kognitiven Verhaltenstherapie? 17.7 – Welches sind die Ziele und die Vorteile der Gruppentherapie und der Familientherapie?
------------
Schlüsselbegriffe Aktives Zuhören Aversionskonditionierung Bedingungslose positive Wertschätzung Biomedikamentöse Therapie Deutung Einsichttherapien Eklektischer Ansatz Expositionstherapie Expositionstherapie mit Hilfe virtueller Realität Familientherapie Gegenkonditionierung Gruppentherapie Klientenzentrierte Therapie Kognitive Therapie Kognitive Verhaltenstherapie Psychoanalyse Psychodynamische Therapie Psychotherapie Systematische Desensibilisierung Tokensystem Übertragung Verhaltenstherapie Widerstand
Master the Material 1. Ein Therapeut, der seinen Patient:innen bei der Suche nach den unbewussten Wurzeln ihrer Probleme hilft und ihnen Interpretationen ihrer Verhaltensweisen, Gefühle und Träume anbietet, schöpft aus der … a. Psychoanalyse. b. humanistischen Therapie. c. klientenzentrierten Therapie. d. Verhaltenstherapie. 2. ___ wollen Menschen dabei helfen, die Gedanken und Gefühle zu entdecken, die ihre Motivation und Verhalten bestimmen.
737
3. Im Vergleich zur Psychoanalyse wird welcher der folgenden Aspekte in der humanistischen Therapie stärker betont? a. Unbewusste oder verdrängte Gefühle b. Kindheitserfahrungen c. Psychologische Störungen d. Selbsterfüllung und Wachstum 4. Welche Technik übt eine Therapeutin aus, die die Aussagen eines Klienten wiederholt und verdeutlicht? 5. Was ist das Ziel der Verhaltenstherapie? a. Die Identifizierung und Behandlung der Ursachen, die Problemen zugrunde liegen b. Die Verbesserung des Lernens und der Einsicht von Patient:innen c. Die Behebung unerwünschter Verhaltensweisen d. Die Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit und des sozialen Fingerspitzengefühls 6. In Verhaltenstherapien werden häufig Techniken der ___ wie die systematische Desensibilisierung und die Aversionskonditionierung eingesetzt, um Klient:innen zu ermutigen, neue Reaktionen auf alte Reize zu zeigen. 7. Das Verfahren der ___ bringt Menschen bei, sich in Gegenwart von Reizen, die zunehmend mehr Angst auslösen, zu entspannen. 8. Nach einem beinahe tödlichen Autounfall hat Rico eine so starke Angst vor dem Fahren auf der Autobahn entwickelt, dass er jeden Tag lange Umwege zur Arbeit nimmt. Welche psychologische Therapie könnte Rico am besten dabei helfen, seine Phobie zu überwinden, und warum? 9. In einem Behandlungszentrum erhalten Personen, die ein gewünschtes Verhalten zeigen, Münzen, die sie später gegen andere Belohnungen eintauschen können. Wofür ist dies ein Beispiel? 10. Zur Behandlung welcher Symptome hat sich die kognitive Therapie als besonders wirksam erwiesen? a. Fingernägelkauen b. Phobien c. Überhöhter Alkoholkonsum d. Depression 11. Die ___ hilft Menschen dabei, ihre selbstschädigenden Denkweisen zu ändern und diese Änderungen in ihrem alltäglichen Verhalten umzusetzen. 12. Was nehmen Therapeutinnen und Therapeuten in Familientherapien an? a. Nur ein einziges Familienmitglied muss sein Verhalten ändern. b. Das Verhalten jedes Familienmitglieds führt zu Reaktionen der anderen Familienmitglieder. c. Dysfunktionales Familienverhalten geht größtenteils auf genetische Faktoren zurück. d. Die Therapie ist dann besonders wirksam, wenn die Klient:innen außerhalb des Familiensystems behandelt werden.
17
738
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
17.2 Therapieevaluation
Viele Menschen gehen davon aus, dass Psychotherapie wirkt. Ratgeberkolumnen raten häufig: „Gehen Sie in Therapie. Fragen Sie ihre Freund:innen, Ihnen dabei zu helfen, einen Therapieplatz zu finden.“ Vor 1950 waren nur Psychiater:innen für die psychische Gesundheitsversorgung zuständig. Heutzutage sind auch klinische und beratende Psycholog:innen eingebunden, außerdem Sozialarbeiter:innen, die Kirchen, Eheberater:innen und Berater:innen in Schulen. In Deutschland gilt seit 1999 das Psychotherapeutengesetz, nach dem Psycholog:innen durch eine mehrjährige Ausbildung ihre Approbation erhalten. Außerdem gibt es Facharztausbildungen, die zu den Titeln „Facharzt bzw. -ärztin für Psychiatrie und Psychotherapie“ oder „Facharzt bzw. -ärztin für Psychotherapeutische Medizin“ führen. Bei diesem riesigen Aufwand an Zeit und Geld, Mühe und Hoffnung darf man die Frage stellen: Ist der Glaube gerechtfertigt, den Millionen von Menschen auf der ganzen Welt in die heilende Kraft der Psychotherapie setzen (. Abb. 17.14)? 17.2.1
Ist Psychotherapie effektiv?
?? 17.8 Funktioniert Psychotherapie? Wie können wir
das herausfinden?
Diese Frage ist leicht gestellt, aber nicht leicht zu beantworten. Wenn eine Infektion schnell abklingt, können wir getrost davon ausgehen, dass ein Antibiotikum wirksam ist. Aber wenn Sie oder ich uns einer Psychotherapie unterziehen sollten: Woran würden wir deren Wirkung bemessen? Daran, ob wir selbst das Gefühl haben, Fort-
17
schritte zu machen? Daran, wie unser:e Therapeut:in über unseren Fortschritt denkt? Daran, wie unsere Familie und unsere Freund:innen das erleben? Daran, wie sich unser Verhalten verändert hat?
Die Sichtweise der Klient:innen Wären die Aussagen der Klient:innen der einzige Maßstab, ließe sich die Wirksamkeit von Psychotherapie gut bestätigen. Als 2900 Lesende der Consumer Reports (1995; Kotkin et al., 1996; Seligman, 1995) von ihren Erfahrungen mit niedergelassenen Psychotherapeut:innen berichteten, sagten 89 %, sie seien zumindest „ziemlich zufrieden“ gewesen (genau wie Kay Redfield Jamison wie wir am Anfang dieses Kapitels gesehen haben). Von denen, die sich zu Beginn der Therapie „ziemlich schlecht“ oder „sehr schlecht“ fühlten, sagten 9 von 10, sie fühlten sich jetzt „sehr gut“, „gut“ oder zumindest „es geht so“. Wir haben also ihre Aussagen – und wer sollte es besser wissen als sie? Wir sollten diese Aussagen nicht leichtfertig vom Tisch wischen. Doch aus mehreren Gründen lassen sich die, die der Psychotherapie skeptisch gegenüberstehen, von den Aussagen der Betroffenen nicht überzeugen: Wer in Therapie geht, steckt oft in einer Krise. Wenn die Krise durch das normale Auf und Ab der alltäglichen Geschehnisse vorbeigeht, schreiben Betroffene die Besserung ihres Zustands möglicherweise der Therapie zu. Menschen mit Depression geht es oft unabhängig davon, was sie tun, besser. Wer in Therapie geht, glaubt oft daran, dass die The‑ rapie wirksam sein wird. Der Placeboeffekt erklärt die heilende Wirkung positiver Erwartungen. Wer in Therapie geht, spricht meist freundlich von sei‑ nem Therapeuten oder seiner Therapeutin. Und zwar auch dann, sagen die Kritiker:innen, wenn das Problem weiterhin besteht. „Sie geben sich große Mühe, etwas Positives zu sagen. Der Therapeut war sehr einfühlsam, der Klient hat eine neue Perspektive gewonnen, er hat gelernt, besser zu kommunizieren, sein Herz wurde leichter … alles Mögliche wird gesagt, damit man nicht gestehen muss, dass die Behandlung gescheitert ist“ (Zilbergeld, 1983, S. 117). Wer in Therapie geht, möchte glauben, dass die Thera‑ pie den Aufwand wert war. Zuzugeben, dass man Zeit und Geld in etwas investiert, was keine Wirkung hat, ist so, als müsste man zugeben, dass man sein Auto immer wieder einem Mechaniker zur Wartung überlässt, die es nie repariert.
-
..Abb. 17.14 (© Jon Carter/Search ID: CS248784, Rights Available from CartoonStock.com)
Wie die früheren Kapitel gezeigt haben, sind wir anfällig für selektive und verzerrte Erinnerungen und auch geneigt, Urteile zu fällen, die unsere Überzeugungen bestätigen. Psycholog:innen nennen dies Rechtfertigung des Aufwandes („effort justification“). Lassen Sie uns ein Experiment mit über 500 Jungen aus Massachusetts zwischen 5 und 13 Jahren näher betrachten, von denen viele offensichtlich straffällig zu werden drohten. Die Hälfte
739
17.2 • Therapieevaluation
dieser Jungen wurde nach dem Zufallsprinzip – Kopf oder Zahl eines Münzwurfs – einem 5 Jahre dauernden Behandlungsprogramm zugewiesen. Zweimal monatlich kamen Berater:innen zu den behandelten Jungen. Sie nahmen an Gemeindeaktivitäten teil und sie erhielten schulische Unterstützung, medizinische Versorgung und Familienhilfe, falls dies benötigt wurde. Etwa 30 Jahre nach Beendigung des Programms machte Joan McCord (1978, 1979) 485 der damaligen Teilnehmer ausfindig, schickte ihnen Fragebögen und überprüfte die Akten bei Gericht, in psychiatrischen Institutionen und nutzte auch andere Quellen. War die Behandlung wirksam? Die Aussagen der Teilnehmer ergaben ermutigende Resultate, sogar zum Teil überschwängliche Berichte. Manche Männer schrieben, es sei nur ihrem Berater oder ihrer Beraterin zu verdanken, dass sie „nicht im Gefängnis gelandet“ seien. Sie sagten „Mein Leben wäre anders verlaufen“ oder „Ich glaube, ich wäre schließlich auf die schiefe Bahn gekommen“. Die Gerichtsakten lieferten offensichtliche Unterstützung für diese Aussagen. Sogar von den „schwierigen“ Jungen der Behandlungsgruppe hatten 66 % keine Vorstrafen (. Abb. 17.15). Aber erinnern Sie sich an das wichtigste Werkzeug der Psychologie, wenn man zwischen Wunsch und Wirklichkeit unterscheiden will: die Kontrollgruppe. Auf jeden Jungen im Programm kam ein Junge in der Kontrollgruppe, der in ähnlichen Umständen lebte, aber nicht am Programm teilgenommen hatte. 70 % dieser unbehandelten Männer hatten keine Vorstrafen. Bei zahlreichen anderen Maßen, etwa die in Bezug auf wiederholte Straftaten, Alkoholabhängigkeit, Todesrate und Zufriedenheit mit der Arbeitsstelle, hatten die nicht betreuten Jungen sogar etwas weniger Probleme. Die begeisterten Berichte der betreuten Gruppe waren eine Täuschung gewesen, wenn auch eine unabsichtliche.
Die Sichtweise der Therapeut:innen Würden wir die Sichtweise der Kliniker:innen als Beleg dafür ansehen, dass Therapie wirkt, würde unser Urteil sogar noch positiver ausfallen. auch einen Grund zu feiern? Fallstudien über erfolgreiche Behandlungen gibt es in Hülle und Fülle. Das Problem dabei ist, dass die Klient:innen den Beginn der Therapie damit rechtfertigen, dass sie ihr Unglück stärker betonen, und die Beendigung der Therapie damit, dass sie ihr Wohlbefinden hervorheben. Außerdem hütet jede:r Therapeut:in einen Schatz von Dankesbezeugungen der Klient:innen, die beim Abschied oder später geäußert werden, aber hört wenig von denen, die nur eine teilweise Verbesserung erfahren und eine weitere Therapie für ihre wiederkehrenden Probleme aufsuchen. Daher sind sich Therapeut:innen viel eher der Misserfolge anderer Therapeut:innen bewusst – derjenigen, deren Klient:innen, nachdem sie nur vorübergehende Linderung erfahren haben, nun eine:n neue:n Therapeut:in für ihre wiederkehrenden Probleme aufsuchen. Folglich kann ein und
..Abb. 17.15 „Ähm – hi Doc! Ich wollte nur sagen, dass Ihre Therapie schon wirkt. Ich konnte dem Schmuck widerstehen und habe nur den Fernseher mitgenommen!“ (© Claudia Styrsky)
derselbe Patient oder ein und dieselbe Patientin – immer noch mit den alten Ängsten, der Depression oder den Eheproblemen – bei mehreren Therapeut:innen in der Erfolgsstatistik auftauchen. Zudem unterliegen natürlich auch Therapeut:innen wie wir alle Denkfehlern wie der Bestätigungstendenz und Scheinkorrelationen (Lilienfeld et al., 2015).
Wirkungsforschung Wie können wir also die Wirksamkeit einer Psychotherapie objektiv messen, wenn weder Klient:innen noch Kliniker:innen sie beurteilen können? Wie können wir feststellen, welchen Menschen mit welchen Problemen am besten geholfen werden kann, und durch welche Art von Psychotherapie? Auf der Suche nach Antworten haben sich Psycholog:innen den kontrollierten Studien zugewandt. Im 19. Jahrhundert führte eine vergleichbare Forschung zur Veränderung des Feldes der Medizin. Ärzt:innen, die den herkömmlichen Behandlungsmethoden (zur Ader lassen, Abführmittel oder die Verabreichung von Kräutertees und metallischen Substanzen) skeptisch gegenüberstanden, begannen zu erkennen, dass viele Patient:innen auch ohne diese Behandlungen wieder gesund wurden, und dass andere trotz dieser Mittel starben. Wenn man Fakten von abergläubischen Überzeugungen unterscheiden wollte, musste man den Krankheitsverlauf von Menschen
17
740
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
17
..Abb. 17.16 Behandlung versus keine Behandlung. Diese beiden normalverteilten Kurven, die auf den Ergebnissen aus 475 Studien beruhen, zeigen, wie sich der Zustand bei nicht behandelten Menschen und bei Psychotherapieklient:innen besserte. Die Wirkung für durchschnittliche Therapieklient:innen übertrifft die von 80 % der nicht behandelten Personen. (Nach Smith et al., 1980)
Anzahl Personen
mit und ohne eine bestimmte Behandlung genau beobachten. Der Zustand von Typhuspatient:innen besserte sich beispielsweise oft nach einem Aderlass, weshalb die meisten Ärzt:innen von der Wirksamkeit dieser Methode überzeugt waren. Erst als man einer Kontrollgruppe einfach nur Bettruhe verordnete – und 70 % nach 5 Wochen genesen waren –, merkten die Ärzt:innen, so ein Schreck, dass die Behandlung wertlos war (Thomas, 1992). Im 20. Jahrhundert stand die Psychologie mit ihren vielen verschiedenen Therapiemöglichkeiten vor einer ähnlichen Herausforderung. Es war der britische Psychologe Hans Eysenck (1952), der sich als Erster mit der Therapieforschung beschäftigte. Er fasste 24 Studien zusammen, die nachwiesen, dass sich bei zwei Dritteln der Patient:innen mit nichtpsychotischen Störungen der Zustand nach einer psychotherapeutischen Behandlung deutlich gebessert hatte und löste damit eine lebhafte Diskussion aus. Bis heute bestreitet niemand diese optimistische Schätzung. Warum diskutieren wir dann immer noch über die Wirksamkeit der Psychotherapie? Weil Eysenck auch von einer vergleichbaren Verbesserung des Zustands bei nicht behandelten Patient:innen berichtete, z. B. bei denen, die auf einer Warteliste standen. Ob mit oder ohne Psychotherapie, sagte er, ging es ca. zwei Dritteln der Patient:innen deutlich besser. Die Zeit erwies sich als große Heilerin. Spätere Forschung deckte Mängel in Eysencks Analysen auf. Seine Stichprobe war klein (1952 waren es nur 24 Studien über die Wirkung von Psychotherapien). Heute sind hunderte Studien verfügbar. Die besten sind randomisierte klinische Versuche, bei denen Forschende Personen nach dem Zufallsprinzip entweder auf eine Warteliste für eine Therapie setzen, oder die Personen keine Therapie bekommen. Hinterher werden alle evaluiert, wobei man Tests und Berichte von anderen verwendet, die nicht wissen, ob der Klient oder die Klientin psychotherapeutisch behandelt wurde oder nicht.
Die Ergebnisse vieler solcher Studien werden dann mit Hilfe der Technik der Metaanalyse weiter bearbeitet. Das ist ein statistisches Verfahren, bei dem die Schlussfolgerungen einer großen Anzahl verschiedener Studien zusammengefasst werden. Einfach ausgedrückt sagen uns Metaanalysen, was unter dem Strich bei einer großen Menge von Studien herausgekommen ist. Psychotherapeut:innen begrüßten die erste Metaanalyse von ungefähr 475 Studien über die Wirkung der Psychotherapie (Smith et al., 1980). Es zeigte sich, dass es durchschnittlichen Therapieklient:innen nach Beendigung der Behandlung besser geht als 80 % der unbehandelten Personen, die auf der Warteliste stehen (. Abb. 17.16). Doch das Ergebnis ist bescheidener, als es zunächst den Anschein hat – per Definition fühlen sich etwa 50 % der nicht behandelten Klient:innen besser als durchschnittliche nicht behandelte Klient:innen. Trotzdem jubelten Mary Lee Smith und ihre Kolleg:innen: „Psychotherapie hilft Menschen aller Altersstufen so zuverlässig, wie der Schulbesuch ihre Bildung fördert, die Medizin sie heilt oder ein Geschäft einen Profit abwirft“ (1980, S. 183). Metaanalyse („meta-analysis“) – Verfahren zur statis-
tischen Zusammenfassung der Resultate vieler unterschiedlicher Studien. Dutzende nachfolgende Zusammenfassungen haben diese Frage jetzt genauer untersucht. In ihnen wiederholen sich die Ergebnisse früherer Wirksamkeitsstudien: Oft bessert sich der Zustand der Patient:innen auch ohne Therapie; doch für Patient:innen, die sich einer Therapie unterziehen, sind die Chancen auf eine schnellere Bes‑ serung höher und das Rückfallrisiko ist geringer (Kolovos et al., 2017; Weisz et al., 2017; . Abb. 17.17). (Einschränkend muss hierbei jedoch berücksichtigt werden, dass Studien, die einen positiven Therapieeffekt feststellen,
Durchschnitt Unbehandelte:r Klient:in
Schlechtes Ergebnis 80% der nicht behandelten Menschen haben ein schlechteres Ergebnis als durchschnittliche behandelte Klient:innen
Durchschnitt Behandelte:r Klient:in
Gutes Ergebnis
17.2 • Therapieevaluation
im Vergleich zu solchen, die keinen Therapieeffekt nachweisen, eher veröffentlicht werden [Driessen et al., 2015].) Dennoch weisen viele Menschen nach einer Therapie eine stabilere und offenere Persönlichkeit auf (Roberts et al., 2017). Zudem gehen bei manchen Menschen die Symptome zwischen den Behandlungssitzungen bei Depression oder Angstzuständen plötzlich zurück. Diese „plötzlichen Fortschritte“ sind ein gutes Zeichen für eine langfristige Verbesserung (Aderka et al., 2012). Psychotherapie kann auch kostengünstig sein. Studien zeigen, dass die Personen, die sich in eine psychotherapeutische Behandlung begeben, weniger häufig eine andere medizinische Behandlung benötigen. Bis zu 16 % weniger medizinische Behandlungen fand man in einer Zusammenfassung von 91 Studien (Chiles et al., 1999). Die alljährlich durch psychische Störungen und Substanzmissbrauch entstehenden Kosten – einschließlich Verbrechen, Unfälle, Arbeitsplatzverlust und Behandlungen – sind schwindelerregend hoch. Psychotherapie ist eine gute Investition, genauso wie Geld, das in präund postnatale Präventionsmaßnahmen investiert wird (Chisholm et al., 2016; Ising et al., 2015). Beides senkt die langfristigen Kosten. Alles, was beispielsweise das seelische Wohlbefinden der Angestellten einer Firma verbessert, kann die Kosten für medizinische Behandlung verringern, Fehlzeiten reduzieren und die Effizienz der Arbeit erhöhen. Sie sollten jedoch dabei beachten, dass sich die Behauptung, die Psychotherapie sei im Durchschnitt auf irgendeine Weise wirksam, nicht auf eine spezielle Therapieform bezieht. Das ist so, als teilte man einem Patienten oder einer Patientin mit Lungenkrebs mit, dass die medizinische Behandlung von Gesundheitsproblemen „im Durchschnitt“ wirksam ist. Was ein betroffener Mensch, der für die Behandlung bezahlt, erfahren möchte, ist wie gut eine bestimmte Behandlung bei seinem speziellen Problem wirkt.
741
..Abb. 17.17 Trauma. Diese Menschen betrauern den tragischen Verlust von Leben und Eigenheimen durch das Erdbeben von 2023 in der Türkei und Syrien. Die Menschen, die unter einem solchen Trauma leiden, könnten von Beratungen profitieren, obwohl viele Menschen sich selbstständig, oder durch die Hilfe unterstützender Beziehungen zu Freund:innen und Familie, wieder erholen. „Das Leben selbst ist immer noch ein sehr wirksamer Therapeut“, bemerkte die psychodynamische Therapeutin Karen Horney (Our Inner Conflicts 1945; © SEDAT SUNA/EPA/picture alliance)
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie beeinflusst der Placeboeffekt die Bewertung der Wirksamkeit von Psychotherapien durch Klient:innen und Kliniker:innen?
17.2.2
Welche Psychotherapie wirkt am besten?
?? 17.9 Sind manche Psychotherapien bei bestimmten
Störungen wirksamer als andere?
Die ersten statistischen Zusammenfassungen und Erhebungen fanden heraus, dass keine bestimmte Form der Psychotherapie den anderen generell überlegen ist (Smith
et al., 1977, 1980). Spätere Untersuchungen haben ebenfalls nur einen geringen Zusammenhang zwischen der Berufserfahrung, Ausbildung, Supervision und behördlichen Zulassung der Therapeut:innen einerseits und den mit Klient:innen erzielten Ergebnissen andererseits gefunden (Barth et al., 2013; Cuijpers, 2017; Kivlighan et al., 2015). Consumer Reports zog die Schlussfolgerung, dass alle Klient:innen gleich zufrieden sind, ganz unabhängig davon, ob sie von einem oder einer Psychiater:in, Psycholog:in oder Sozialarbeiter:in behandelt wurden, ob allein oder im Gruppenkontext oder ob der oder die Therapeut:in sehr viel oder nur relativ wenig Übung und Erfahrung hatte (Seligman, 1995). Hatte der Dodo-Vogel aus Alice im Wunderland also Recht: „Alle haben gewonnen und alle müssen einen Preis bekommen“? Nicht ganz. Ein genereller Befund,
17
742
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
der sich über viele Studien hinweg gezeigt hat, ist, dass eine Therapie am wirksamsten ist, wenn das Problem klar umrissen ist (Singer, 1981; Westen & Morrison, 2001). Für diejenigen, die Phobien oder Panikattacken erleben, die selbstunsicher sind oder die von Problemen bei ihrer sexuellen Leistungsfähigkeit geplagt werden, besteht Hoffnung auf Besserung. Diejenigen, die unter weniger klar umgrenzten Problemen (z. B. Depression und Angst) leiden, profitieren gewöhnlich kurzfristig davon, erleben aber später oft einen Rückfall. Es liegt oft eine Überlagerung – oder Komorbidität – von Störungen vor. Dennoch bekommen einige Therapieformen für ihre wirksame Behandlung bestimmter Probleme einen Preis: Kognitive Therapien und kognitive Verhaltensthera‑ pien: Ängste, posttraumatische Belastungsstörung, Schlaflosigkeit und Depression (Qaseem et al., 2016; Scaini et al., 2016; Tolin, 2010). Auf Konditionierung beruhende Verhaltenstherapien: Spezifische Verhaltensprobleme wie Bettnässen, Phobien, Zwängen, Eheprobleme oder sexuelle Störungen (Baker et al., 2008; Hunsley & DiGiulio, 2002; Shadish & Baldwin, 2005). Psychodynamische Therapien: Depression und Ängste (Driessen et al., 2010; Leichsenring & Rabung, 2008; Shedler, 2010b). Nichtdirektive (klientenzentrierte) Beratung: Leichte bis mittelschwere Depression (Cuijpers et al., 2012).
-
» „Für jede Wunde ist ein eigenes Kraut gewachsen.“ Englisches Sprichwort
17
Die Frage der Bewertung – welche Therapien werden als wirksam bezeichnet und welche nicht – ist das Herzstück dessen, was manche als den Bürgerkrieg der Psychologie bezeichnen. In welchem Maße sollte die Wissenschaft die Richtschnur sein, und das sowohl für die klinische Praxis als auch für die Bereitschaft der Kostentragenden im Gesundheitswesen und der Krankenkassen, die Psychotherapie zu bezahlen? Da sind auf der einen Seite die forschenden Psycholog:innen, die wissenschaftliche Methoden dazu nutzen, die Liste wohldefinierter und validierter Therapien für viele Störungen zu erweitern. Sie prangern Kliniker:innen an, die „ihren persönlichen Erfahrungen mehr Bedeutung zumessen“ (Baker et al., 2008). Und da sind andererseits die nichtwissenschaftlichen Therapeut:innen, die ihre Tätigkeit eher als Kunst denn als Wissenschaft ansehen, die sagen, dass Menschen zu komplex sind und die Therapie zu intuitiv ist für die Beschreibung in einem Handbuch oder für die Überprüfung durch ein Experiment. Zwischen diesen zwei Fraktionen befinden sich die wissenschaftsorientierten Kliniker:innen, die eine evidenzbasierte Praxis in der Psychologie stärken wollen, wie sie von der American Psychological Association (Verband der amerikanischen Psychologen) und anderen unterstützt wird
Klinische Entscheidungsfindung
Werte, Merkmale, Vorlieben und Lebensumstände der Patient:innen
Forschungsergebnisse
Klinische Expertise ..Abb. 17.18 Treffen evidenzbasierter klinischer Entscheidungen. Das Treffen einer idealen klinischen Entscheidung ähnelt einem dreibeinigen Hocker, der von Forschungsbefunden, klinischer Erfahrung und Wissen über die Patient:innen getragen wird
(APA, 2006; Lilienfeld et al., 2013). Befürworter:innen dieses Ansatzes verbinden die besten verfügbaren Forschungsergebnisse mit klinischem Fachwissen und den Präferenzen sowie den individuellen Eigenschaften ihrer Patient:innen (. Abb. 17.18). Nach einer strikten Bewertung wenden sie Therapien an, die ihren eigenen Fähigkeiten und der besonderen Situation ihrer Patient:innen entsprechen. Die Unterstützung für psychosoziale Dienste von Versicherungen und Regierungen erfordert zunehmend eine evidenzbasierte Praxis. Evidenzbasierte Praxis („evidence-based practice“) –
Treffen klinischer Entscheidungen, bei dem die besten verfügbaren Forschungsbefunde, klinische Erfahrung und die Vorlieben und Eigenschaften der Patient:innen vereint werden. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Eine Therapie hilft wahrscheinlicher bei den Patient:innen mit (klar/weniger klar) umrissenen Problemen.
17.2.3
Evaluation alternativer Therapien
?? 17.10 Wie schneiden alternative Therapien unter dem
prüfenden Blick der Wissenschaft ab?
Die Tendenz ungewöhnlicher Bewusstseinszustände, wieder in den Normalzustand zurückzukehren, schafft zusammen mit dem Placeboeffekt (der heilenden Kraft des bloßen Glaubens an eine Behandlung) einen frucht-
743
17.2 • Therapieevaluation
baren Boden für Pseudotherapien. Durch anekdotische Berichte gestützt, in den Medien verkündet und im Internet gepriesen breiten sich alternative Therapien wie Strohfeuer aus. Diese Therapien stellen neuere, nichttraditionelle Behandlungen dar, die häufig eine Heilung verschiedener Beschwerden versprechen. Nach einer landesweiten Umfrage nahmen 57 % derjenigen mit Angstattacken und 54 % derjenigen mit einer Depression in ihrer Krankengeschichte Zuflucht zu alternativen Behandlungen wie Kräutermedizin, Massage und Geistheilen (Kessler et al., 2001). Befürworter:innen alternativer Therapien sind oft der Ansicht, dass ihre persönlichen Erfahrungsberichte als Beweise für ihre Wirksamkeit ausreichen. Aber wie gut halten diese Therapien einer wissenschaftlichen Prüfung stand? Für die meisten von ihnen gibt es kaum Belege – weder dafür, noch dagegen. Einige sind jedoch Gegenstand kontrollierter Forschungsarbeiten. An bestimmte alternative Therapien gehen keine Auszeichnungen, da sie wissenschaftlich nicht gestützt werden (Arkowitz & Lilienfeld, 2006; Lilienfeld et al., 2015). Wir täten deshalb alle gut daran, Energietherapien zu meiden, die das Ziel haben, die unsichtbaren Energiefelder von Menschen zu beeinflussen; ebenso handgeführte moderierte Kommuni‑ kationen mit unkommunikativen Menschen; Therapien mit wiedergefundenen Erinnerungen, die das Ziel haben, „unterdrückte Erinnerungen“ an frühkindlichen Missbrauch aufzudecken; und Wiedergeburtstherapien, die Menschen dazu bringen, das vermutliche Trauma ihrer Geburt nachzuspielen. Genau wie bei manchen medizinischen Therapien ist es möglich, dass psychologische Behandlungen nicht nur wirkungslos, sondern sogar schädlich sind (Barlow, 2010; Castonguay et al., 2010; Dimidjian & Hollon, 2010). Der National Science and Technology Council führt das Programm „Scared Straight“ (das Kinder und Jugendliche von Verbrechen abhalten soll) als Beispiel für ein gut gemeintes Programm an, das sich als wirkungslos oder sogar schädlich herausgestellt hat. Die American Psychiatric Association und die British Psychological Society haben vor „Konversionstherapien“ für Menschen mit gleichgeschlechtlichen Anziehungen gewarnt. Konversionstherapien, einschließlich der „reparativen Therapie“, zielen darauf ab, „etwas zu reparieren“, das keine psychische Krankheit darstellt und daher keine Therapie erfordert, erklärte der Präsident der American Psychological Association Barry Anton (2015). „Es gibt keine ausreichenden wissenschaftlichen Befunde dafür, dass sie funktionieren, und sie haben das Potenzial, dem Klienten zu schaden.“ Lassen Sie uns auf zwei alternative Therapien näher eingehen. Wenn wir dies tun, sollten Sie im Hinterkopf behalten, dass wir eine wissenschaftliche Haltung bewahren sollten, wenn wir die Spreu vom Weizen trennen wollen: skeptisch bleiben, aber nicht zynisch werden, offen für Überraschungen sein, doch nicht leichtgläubig.
Eye Movement Desensitization and Reprocessing (EMDR) EMDR („eye movement desensitization and reproces‑ sing“) ist eine Therapie, die Tausende bewundern und Tausende als Scharlatanerie abtun. Psychologin Francine Shapiro (1989, 2007, 2012) entwickelte EMDR, während sie in einem Park spazieren ging und dabei die Erfahrung machte, dass angstvolle Gedanken verschwanden, wenn sie ihre Augen spontan umherschweifen ließ. Ihre neue Form der Angstbehandlung bot sie anderen an: Während die Patient:innen vor ihrem inneren Auge traumatische Szenen ablaufen ließ, löste Shapiro bei ihnen dadurch Augenbewegungen aus, dass sie einen Finger schnell hin und her bewegte. Sie versetzte die Patient:innen dadurch angeblich in die Lage, zuvor eingefrorene traumatische Erinnerungen herauszulassen und neu zu verarbeiten. Zigtausende Angehörige der professionellen Heilberufe aus mehr als 75 Ländern haben seitdem die Ausbildung durchlaufen (EMDR, 2011). Aber funktioniert EMDR? Bei 84–100 % der Teilnehmenden an 4 neueren Studien, die ein einzelnes Trauma zu bewältigen haben, lautet die Antwort „Ja“, berichtet Shapiro (1999, 2002). Andere Studien haben ihre Wirkung bei Traumaüberlebenden gezeigt (Chen et al., 2015). Warum sollte es therapeutisch wirksam sein, fragen sich die Skeptiker:innen, seine Augen zu bewegen, während man sich an ein Trauma erinnert? Manche argumentieren, dass Augenbewegungen dazu dienen, die Patient:innen zu entspannen oder abzulenken; somit wird es möglich, die erinnerungsabhängigen Emotionen zu löschen (Gunter & Bodner, 2008). (Ein Teil der therapeutischen Veränderung besteht darin, alte Erinnerungen abzurufen und sie mit neuen Emotionen zu verknüpfen [Lane et al., 2015].) Andere glauben, dass die Augenbewegungen selbst wohl nicht das therapeutisch wirksame Mittel sind (wie auch das Anschauen eines schnellen Tischtennisspiels nicht therapeutisch wirkt). In Studien, in denen sich Patient:innen traumatische Szenen vorstellten und mit einem Finger klopften oder nur strikt geradeaus blickten, während der Therapeut oder die Therapeutin mit dem Finger wedelte, waren die therapeutischen Ergebnisse die gleichen (Devilly, 2003). EMDR wirkt besser, als nichts zu tun, räumen Skeptiker:innen ein (Lilienfeld & Arkowitz, 2007), aber viele vermuten, dass das therapeutisch Wirksame daran die Kombination eines robusten Placeboeffekts und einer Expositionstherapie ist – traumatische Erinnerungen immer wieder durchleben in einem sicheren und geschützten Raum, der ein wenig emotionalen Abstand von der Erfahrung bietet.
» „Studien
weisen darauf hin, dass EMDR genauso wirksam ist mit unbewegten Augen. Falls diese Schlussfolgerung richtig ist, ist das Nützliche an der Therapie nicht neu (hauptsächlich behaviorale Desensibilisierung),
17
744
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
und was daran neu ist, ist überflüssig.“ Harvard Mental Health Letter (2002)
Lichttherapie
17
Haben Sie jemals festgestellt, dass Sie in der Zeit der wolkenverhangenen und trüben Wintertage morgens verschlafen, dass Sie an Gewicht zunehmen und sich antriebslos fühlen? Anscheinend war es ein Überlebensvorteil unserer frühen Vorfahr:innen, es während der dunklen Wintertage etwas langsamer angehen zu lassen und Energie zu sparen. Um dieser Lethargie entgegenzuwirken, hatten die Forscher des National Institute of Mental Health in den frühen 1980er Jahren eine Idee: Menschen sollten jeden Tag eine wohlberechnete Dosis an intensiver Lichtbestrahlung erhalten. Tatsächlich berichteten die Personen, dass sie sich besser fühlten (. Abb. 17.19). War das eine leuchtende Idee oder ein weiteres geistloses Beispiel für den Placeboeffekt? Neuere Studien trugen im Hinblick auf diese Therapie etwas zur Aufklärung bei. Bei einer dieser Studien setzte man einige Personen mit SAD 90 Minuten lang einem hellen Licht aus, während andere eine Placebobehandlung erhielten: Ein fauchender „Generator für negative Ionen“, über den sich das Personal genauso enthusiastisch äußerte (der aber gar nicht eingeschaltet war). Nach 4 Wochen ging es 61 % der Patient:innen, die einem hellen Morgenlicht ausgesetzt worden waren, deutlich besser, genauso wie 50 % derer, die man dem Abendlicht ausgesetzt hatte und 32 % der Patient:innen, die mit einem Placebo behandelt worden waren (Eastman et al., 1998). Einige Studien haben einen Schatten auf die Lichttherapie geworfen. Doch andere Untersuchungen ergaben, dass 30 Minuten Exposition mit weißem, fluoreszierendem 10.000-Lux-Licht bei den meisten depressiven Menschen, die Morgenlicht erhielten, eine Besserung bewirkte. Außerdem ist es genauso wirkungsvoll wie die Einnahme von Antidepressiva oder wie eine kognitive Verhaltenstherapie (Lam et al., 2006, 2016; Rohan et al., 2007, 2015). Die Effekte sind auch bei Gehirnuntersuchungen zu sehen; die Lichttherapie aktiviert eine Gehirnregion, welche die Erregung und die Hormone des Körpers beeinflusst (Ishida et al., 2005; . Abb. 17.20). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind evidenzbasierte Entscheidungen im klinischen Kontext? – Welche alternative Psychotherapie hat sich eher als authentische Behandlung erwiesen – EMDR oder Lichttherapie?
..Abb. 17.19 (© LeMieux/Distr. King Feature Syndicate, Inc./Distr. Bulls)
17.2.4
Auf welche Weise hilft Psychotherapie Menschen?
?? 17.11 Welche drei Merkmale haben alle Formen der
Psychotherapie gemein?
Warum haben verschiedene Studien nur geringe Korrelationen zwischen der Ausbildung und Erfahrung von Therapeut:innen und der Wirkung auf die Patienten gefunden? Der Grund dafür scheint zu sein, dass alle Psychotherapien zumindest drei gemeinsame Vorzüge haben (Frank, 1982; Wampold, 2007): Hoffnung für entmutigte Menschen: Menschen, die sich um eine Therapie bemühen, fühlen sich im Allgemeinen ängstlich, niedergeschlagen, wertlos und nicht imstande, mit dem Leben fertigzuwerden. Was jede Therapie anbietet, ist die Erwartung, dass durch die aktive Mithilfe dessen, der die Therapie aufsucht, alles besser werden kann und besser werden wird (. Abb. 17.21). Dieser Glaube allein mag schon jenseits aller therapeutischen Techniken helfen, indem er eine positivere innere Einstellung fördert, ein neues Gefühl der Selbstwirksamkeit hervorruft und damit eine Verringerung der Symptome bewirkt (Corrigan, 2014; Meyerhoff & Rohan, 2016). Eine neue Perspektive: Jede Therapie bietet dem Hilfesuchenden eine plausible Erklärung für seine Symptome. Mit Hilfe einer neuen Sichtweise können die Klient:innen das Leben mit einer neuen Haltung angehen, offen für die Veränderung ihrer Verhaltensweisen und ihrer Sicht auf sich selbst.
-
17.2 • Therapieevaluation
745
..Abb. 17.20 Lichttherapie. Um der Winterdepression entgegenzuwirken, verbringen manche Menschen jeden Morgen eine gewisse Zeit vor einer Leuchte, die intensives Licht ausstrahlt, das dem natürlichen Licht im Freien ähnlich ist. (© Christin Klose/dpa-tmn/picture alliance)
-
Eine empathische, vertrauensvolle und fürsorgliche Beziehung: Die Aussage, dass die Therapiewirkung nicht mit Ausbildung oder Erfahrung zusammenhängt, bedeutet nicht, dass alle Therapeut:innen gleich wirksam sind. Unabhängig davon, welche therapeutische Technik sie nutzen, sind wirkungsvolle Therapeut:innen empathische Menschen, die versuchen, die Erfahrungen des Anderen nachzuvollziehen. Sie kommunizieren ihre Fürsorge und ihr Interesse für die Bedürfnisse ihrer Klient:innen. Und sie gewinnen das Vertrauen der Klient:innen durch respektvolles Zuhören, beruhigende Worte und Ratschläge. Marvin Goldfried et al. (1998) fanden diese Eigenschaften in Mitschnitten der Therapiesitzungen von 36 anerkannt guten Therapeut:innen. Manche von ihnen waren kognitive Verhaltenstherapeut:innen, andere psychodynamische Therapeut:innen. Aber das spielte keine große Rolle, denn der überraschende Befund der Studie war, wie ähnlich sie sich waren. In gewissen Schlüsselmomenten halfen die empathischen Therapeut:innen beider Schulrichtungen den Klient:innen bei der Bewertung ihrer Person, beim Herstellen einer Verbindung zwischen bestimmten Aspekten ihres Lebens und beim Verstehen ihrer Interaktion mit anderen Menschen. Das emotionale Band zwischen Therapeut:in und Klient:in – das therapeutische Bündnis – ist ein Kernaspekt der wirksamen Therapie (Klein et al., 2003; Wampold, 2001).
Therapeutisches Bündnis („therapeutic alliance“) – ein
Band des Vertrauens und gegenseitigen Verständnisses zwischen Therapeut:in und Klient:in, die zusammen versuchen, zielführend das Problem des Klienten oder der Klientin zu bewältigen.
..Abb. 17.21 (Mort Gerberg/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Diese drei Elemente – Hoffnung, eine neue Perspektive und eine empathische, fürsorgliche Beziehung – helfen uns auch dabei, besser zu verstehen, wie „Paraprofessionelle“ (kurz ausgebildete Helfer:innen, die mitunter selbst ehemalige Klient:innen sind) so vielen belasteten Menschen so wirkungsvoll zu helfen vermögen (Bryan & Arkowitz, 2015; Christensen & Jacobson, 1994). Sie sind auch ein Teil dessen, was die wachsende Anzahl von Unterstützungsund Selbsthilfegruppen für ihre Mitglieder bereithält. Und sie sind ein Teil dessen, was traditionelle Heiler:innen den Leidenden geboten haben (Jackson, 1992). Heiler:innen überall auf der Welt – jene besonderen Menschen, denen man sein Leid klagen kann, seien es Psychiater:innen, Hexer und Hexen oder Schaman:innen – haben zugehört, um zu verstehen und mitzufühlen, zu beruhigen, zu beraten,
17
746
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
zu trösten, zu deuten oder zu erklären (Torrey, 1986). Solche Eigenschaften mögen eine Erklärung dafür sein, warum Menschen, die sich durch enge Beziehungen gestützt fühlen – die die Kameradschaft und die Freundschaft fürsorglicher Menschen erleben –, seltener eine Therapie benötigen oder nach therapeutischer Hilfe suchen (Frank, 1982; O’Connor & Brown, 1984). Lassen Sie uns rekapitulieren: Menschen, die Hilfe annehmen, erleben üblicherweise eine Besserung ihres Zustands. Das gilt auch für viele von denen, die sich keiner Psychotherapie unterziehen – und das ist eine Anerkennung unseres menschlichen Einfallsreichtums und unserer Fähigkeit, uns umeinander zu kümmern. Trotzdem muss gesagt werden, dass Menschen, die eine Psychotherapie machen, eine deutlichere Besserung spüren als die, die das nicht tun, auch wenn die therapeutische Orientierung und Erfahrung keine besondere Rolle zu spielen scheinen. Am meisten profitieren in der Regel die Menschen von einer Therapie, die klar umrissene, spezifische Probleme haben. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Diejenigen, die eine Psychotherapie machen, erleben (wahrscheinlicher/unwahrscheinlicher) eine Besserung ihres Zustands als diejenigen, die sich keiner Psychotherapie unterziehen.
17.2.5
Kultur und Wertvorstellungen in der Psychotherapie
?? 17.12 Wie beeinflussen Kultur und Wertvorstellungen
leicht Schwierigkeiten haben, wenn ihr:e Therapeut:in von ihnen erwartet, sie sollten nur an ihr eigenes Wohlbefinden denken (Markus & Kitayama, 1991). Kulturelle Unterschiede können auch erklären, warum manche Gruppen eher unwillig sind, psychosoziale Dienste in Anspruch zu nehmen. Für Menschen, die in sog. „Ehrenkulturen“ leben, ist es oft wichtig, als stark und zäh wahrgenommen zu werden. Deswegen können sie den Eindruck haben, dass die Inanspruchnahme psychosozialer Hilfe keine Wachstumsmöglichkeit darstellt, sondern einem Eingeständnis von Schwäche gleicht (Brown et al., 2014). Angehörige mancher Minderheiten nehmen staatliche Gesundheitsdienste ebenfalls nur sehr zögerlich in Anspruch und neigen dazu, die Therapie vorzeitig zu beenden (Chen et al., 2009; Sue et al., 2009). In einem Experiment nahmen asiatisch-amerikanische Klient:innen, die Berater:innen mit den gleichen kulturellen Wertvorstellungen zugewiesen bekamen (und nicht solche, bei denen das nicht der Fall war), beim Berater oder der Beraterin eine stärkere Empathie wahr und empfanden ein stärkeres Bündnis mit ihm bzw. ihr (Kim et al., 2005). Ein anderes Gebiet potenzieller Konflikte zwischen Therapeut:innen und ihren Klient:innen sind religiöse Werte. Stark religiöse Menschen könnten stärker von religiös ähnlich ausgerichteten Therapeuten profitieren und diese auch bevorzugen. Möglicherweise haben sie Probleme damit, ein emotionales Band zu einem Therapeuten oder einer Therapeutin aufzubauen, der oder die nicht ihre Wertvorstellungen teilt (Masters, 2010; Pearce et al., 2015). 17.2.6
die Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in?
17
Alle Therapien bieten Hoffnung und fast alle Therapeut:innen versuchen, die Sensibilität, Offenheit, persönliche Verantwortung und Sinnhaftigkeit der Klient:innen zu verstärken (Jensen & Bergin, 1988). Doch im Hinblick auf ihre Moral- und Wertvorstellungen und im Hinblick auf kulturelle Besonderheiten unterscheiden sich die Therapeut:innen voneinander und eventuell auch von ihren Klient:innen (Delaney et al., 2007; Kelly, 1990). Diese Differenzen werden beispielsweise da deutlich, wo ein:e Therapeut:in einer Kultur mit einem Klienten oder einer Klientin aus einer anderen Kultur arbeitet. Die meisten nordamerikanischen, europäischen und australischen Therapeut:innen vertreten beispielsweise den für ihre Kultur typischen Individualismus, der persönlichen Bestrebungen und der eigenen Identität Vorrang einräumt. Schwierig kann das für Klient:innen mit einer kollektivistischen Weltanschauung sein. Dies mag auf Klient:innen zutreffen, die aus einem asiatischen Land eingewandert sind, wo Menschen aufmerksamer gegenüber den Erwartungen anderer sind und Harmonie sowie Gruppenziele wertschätzen. Sie können dann
Das passende Therapieangebot finden
?? 17.13 Auf was sollte eine Person achten, die eine:n
Therapeut:in auswählen will?
Für jeden von uns ist das Leben ein bunter Mix aus Heiterkeit und Ärger, Segen und Trauer, guter und schlechter Laune. Wann sollte also jemand die Dienste eines Fachmanns oder einer Fachfrau für psychische Probleme in Anspruch nehmen? Die American Psychological Association nennt folgende Kennzeichen für seelische Probleme: Gefühle der Hoffnungslosigkeit tiefe Depression, die nicht vorübergeht selbstzerstörerisches Verhalten (z. B. Alkohol- und Drogenabhängigkeit) beklemmende Angstgefühle plötzliche Stimmungswechsel Suizidgedanken Zwangsrituale (z. B. Hände waschen) sexuelle Probleme Hören von Stimmen oder das Sehen von Dingen, die andere nicht wahrnehmen
-----
747
17.2 • Therapieevaluation
..Tab. 17.3 Berufsgruppen in Therapie und Beratung Art der Ausbildung
Beschreibung
Klinischer Psychologe/ Klinische Psychologin
Psycholog:in mit Schwerpunkt auf Ätiologie, Diagnostik und Therapie psychischer Störungen; der Titel „Psycholog:in“ ist gesetzlich geschützt, er wird durch ein abgeschlossenes Psychologie-Studium mit dem Abschluss Diplom oder Master erlangt. Ungefähr die Hälfte von ihnen arbeitet in Behörden und Therapieeinrichtungen, die andere Hälfte in privaten Praxen.
Psychiater/Psychiaterin
Mediziner:in mit Facharztweiterbildung „Psychiatrie und Psychotherapie“; erst eine psychotherapeutische Zusatzausbildung berechtigt eine:n Psychiater:in, auch Psychotherapie auszuüben und neben der Facharztbezeichnung Psychiater:in die Zusatzbezeichnung „Psychotherapie“ oder „Psychoanalyse“ zu führen. Psychiater:innen können Medikamente verschreiben. Deshalb werden sie meist von Patient:innen mit schweren Störungen aufgesucht. Viele haben ihre eigene, private Praxis.
Psychotherapeut/ Psychotherapeutin
Psycholog:in mit abgeschlossenem Hochschulstudium und anschließender psychotherapeutischer Zusatzausbildung („Psychologische:r Psychotherapeut:in“); Psycholog:innen dürfen keine Medikamente verschreiben. Seit 2020 erfolgt die Ausbildung zum Psychotherapeuten bzw. zur Psychotherapeutin über ein Direktstudium (Bachelor/Master), das zur Approbation führt und dem sich eine mehrjährige, vergütete Weiterbildung während praktischer Tätigkeit anschließt. Mediziner:in (Psychiater:in oder andere Fachärzt:in) mit psychotherapeutischer Zusatzausbildung („Ärztliche:r Psychotherapeut:in“)
Berater/Beraterin/Coach
Der Begriff „Berater:in“ ist nicht geschützt (nur der Begriff „systemische:r Berater:in“). Berater:innen kommen häufig aus anderen sozialen Berufen als der Psychologie, z. B. der Sozialarbeit oder Sozialpädagogik, oder sie sind Laienhelfer:innen ohne professionelle Ausbildung. Angeboten werden u. a. Eheund Familienberatung, spezialisiert auf Familienprobleme; kirchliche Berater:innen bieten Beratung in allen Lebenslagen; Suchtberater:innen arbeiten mit Substanzabhängigen.
Wenn Sie eine:n Therapeut:in suchen, kann es sinnvoll sein, bei zwei oder drei Therapeut:innen eine Probesitzung zu vereinbaren. Die Gesundheitszentren der Universitäten sind allgemein ein guter Anfangspunkt, dort können auch kostenlose Dienste angeboten werden. Sie können Ihr Problem schildern und die unterschiedlichen Arbeitsweisen der Therapeut:innen kennenlernen. In Deutschland sind sogar mindestens die ersten beiden Sitzungen „probatorische Sitzungen“, d. h. sie sind, falls die Therapie von einer Krankenkasse übernommen wird und die Therapeut:innen auch über eine Kassenzulassung verfügen, für die Patient:innen in der Regel kostenlos. Sie können den Therapeuten oder die Therapeutin nach Wertvorstellungen, Ausbildung (. Tab. 17.3) und ggf. Honorar fragen. Und Sie können feststellen, was Ihr Gefühl zu jeder dieser Personen meint. Das emotionale Band zwischen Therapeut:in und Klient:in ist möglicherweise der wichtigste Einflussfaktor einer wirksamen Therapie. Der Berufsverband Deutscher Psychologinnen und Psychologen (BDP) unterhält in Deutschland zudem den Psychotherapie-Informationsdienst PID, der kostenlos bei der Wahl der geeigneten Therapeutin oder des geeigneten Therapeuten berät (. Tab. 17.3). Die American Psychological Association betont die Bedeutung eines starken therapeutischen Bündnisses und begrüßt Therapeut:innen, die sich gut auf unterschiedliche Klient:innen einstellen können. Sie akkreditiert Studiengänge, die eine Ausbildung in kultureller Sensibilität (z. B. in Bezug auf unterschiedliche Werte, Kommunikationsstile und Sprache) anbieten und unterrepräsentierte kulturelle Gruppen rekrutieren.
17.2.7
Rückblick: Therapieevaluation
Verständnisfragen
17.8 – Funktioniert Psychotherapie? Wie können wir das
herausfinden? 17.9 – Sind manche Psychotherapien bei bestimmten Störungen wirksamer als andere? 17.10 – Wie schneiden alternative Therapien unter dem prüfenden Blick der Wissenschaft ab? 17.11 – Welche drei Merkmale haben alle Formen der Psychotherapie gemein? 17.12 – Wie beeinflussen Kultur und Wertvorstellungen die Beziehung zwischen Therapeut:in und Klient:in? 17.13 – Auf was sollte eine Person achten, die eine:n Therapeut:in auswählen will?
--
Schlüsselbegriffe Evidenzbasierte Praxis Metaanalyse Therapeutisches Bündnis
Master the Material 1. Woher kommt die enthusiastischste oder optimistischste Ansicht über die Wirksamkeit der Psychotherapie? a. Wirkungsforschung b. Randomisierte klinische Untersuchungen c. Berichte von Klient:innen und Kliniker:innen
17
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
748
d. Regierungsstudien zur Behandlung von Depression 2. Welche Form der Therapie ist Studien zufolge am effektivsten bei den meisten psychologischen Störungen? a. Verhaltenstherapie b. Humanistische Therapie c. Psychodynamische Therapie d. Keine der genannten 3. Was sind die drei Merkmale der evidenzbasierten Praxis? 4. Auf welche Weise beeinflusst der Placeboeffekt die Ansicht von Klient:innen über die Wirksamkeit verschiedener Therapieformen? 17.3
Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
Psychotherapie ist die eine Möglichkeit, psychische Störungen zu behandeln. Die andere Möglichkeit ist die biomedizinische Therapie: die physische Veränderung der Hirnfunktionen durch Eingriff in die Körperchemie mit Hilfe von Medikamenten, durch die Beeinflussung der Verschaltungen im Gehirn mit Elektroschocks, magnetischen Impulsen und Psychochirurgie oder über die Verordnung von Lebensstiländerungen.
» „Kein verdrehter Gedanke ohne ein verdrehtes Molekül.“ Dem Psychologen Ralph Gerard zugeschrieben
17
Überrascht es Sie, dass Lebensstiländerungen auf dieser Liste zu finden sind? Zwar macht es die Dinge einfacher, wenn wir von getrennten psychologischen und biologischen Einflüssen sprechen, aber alles Psychologische ist zugleich auch biologisch. Einige Psychologinnen und Psychologen betrachten sogar die Psychotherapie als eine biologische Behandlung, denn die Veränderung unserer Denk- und Verhaltensweisen stellt einen Eingriff dar, der sich direkt auf das Gehirn auswirkt (Kandel, 2013). Wenn eine Psychotherapie Verhaltensweisen lindert, die mit Zwangsstörungen oder Schizophrenie einhergehen, zeigen PET-Scans eine beruhigte Gehirnaktivität (Habel et al., 2010; Schwartz et al., 1996). Jeder Gedanke und jedes Gefühl hängt von unseren Gehirnfunktionen ab. Jede kreative Idee, jeder glückliche oder verärgerte Moment, jede Phase der Depression entsteht aus der elektrochemischen Aktivität unseres lebenden Gehirns. Angststörungen, Zwangsstörungen, posttraumatische Belastungsstörungen, schwere depressive Störungen, bipolare Störungen und Schizophrenien sind allesamt biologische Ereignisse. Wie wir immer wieder gesehen haben, sind Menschen integrierte biopsychosoziale Systeme. Deswegen wirkt sich unser Lebensstil
– Bewegung, Ernährung, Beziehungen, Erholung, Entspannung, religiöses oder spirituelles Engagement – auf unsere psychische Gesundheit aus (Schuch et al., 2016b; Walsh, 2011; . Abb. 17.22). ?? 17.14 Warum wird eine therapeutische Lebensstil-
änderung als effektive biomedizinische Therapie angesehen und wie funktioniert sie? Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was sind einige Beispiele für Lebensstiländerungen, die wir vornehmen können, um unsere psychische Gesundheit zu verbessern?
17.3.1
Medikamentöse Therapien
?? 17.15 Was sind medikamentöse Therapien? Wie
helfen Doppelblindstudien Forscher:innen dabei, die Wirksamkeit eines Medikaments zu beurteilen?
Die weltweit am häufigsten eingesetzten biomedizinischen Therapien sind bei weitem die medikamentösen Therapien. Die meisten Medikamente gegen Angstzustände und Depression werden von Hausärzt:innen verschrieben, gefolgt von Psychiater:innen und in einigen Ländern auch von Psycholog:innen. Seit den 50er Jahren revolutionierten die Entdeckungen der Psychopharmakologie (die Untersuchung der Wirkung bestimmter Substanzen auf psychische Prozesse und auf das Verhalten) die Behandlung von Patient:innen mit schweren Störungen und befreiten Hunderttausende aus der Enge psychiatrischer Anstalten. Dank der medikamentösen Therapie – und auch dank der Bemühungen, die Zahl der Zwangseinweisungen zu verringern und die Unterstützung der Kranken durch die Gemeindepsychiatrie zu sichern – ist die Zahl der Dauerpatient:innen öffentlicher psychiatrischer Kliniken in den USA verglichen mit der Zeit vor einem halben Jahrhundert auf ein Bruchteil zurückgegangen. Auch in Deutschland wurde seit Mitte der 60er Jahre des vorigen Jahrhunderts die Enthospitalisierung, d. h. die Entlassung möglichst vieler Langzeitpatient:innen angestrebt. Für manche, die nicht für sich selbst sorgen konnten, hat die Entlassung aus den Krankenhäusern jedoch Obdachlosigkeit, nicht Befreiung, bedeutet. Psychopharmakologie („psychopharmacology“) – die
Untersuchung der Effekte von Medikamenten auf seelische Vorgänge und das Verhalten. Beinahe jede neue Behandlungsmethode, auch die medikamentöse Therapie, wird zunächst von einer Welle des Enthusiasmus willkommen geheißen, denn vielen
749
17.3 • Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
LEBENSSTIL
beeinflusst unser Gehirn und unseren Körper
(Bewegung, Ernährung, Beziehungen, Freizeitaktivitäten, Entspannung und religiöses oder spirituelles Engagement) Wir sind für körperliche und soziale Aktivitäten gemacht. Unsere Vorfahren haben in Gruppen gejagt, gesammelt und gebaut.
Die moderne Forschung zeigt, dass Bewegung in der freien Natur Stress abbaut und die Gesundheit fördert.2
wirkt sich auf unsere psychische Gesundheit aus1
ANWENDUNG IN DER THERAPIE Trainingsseminare fördern eine therapeutische Lebensstiländerung.3 Menschen mit Depression durchlaufen in kleinen Gruppen ein 12-wöchiges Trainingsprogramm mit den folgenden Zielen: Sportliche Betätigung, 30 Minuten pro Tag, mindestens dreimal pro Woche (steigert die Fitness und Lebensfreude, stimuliert Endorphine)
Regelmäßiges Ausdauertraining ist ähnlich effektiv wie Antidepressiva.4
Lichtexposition, 15 bis 30 Minuten jeden Morgen mit einem Leuchtkasten (regt an, beeinflusst die Hormone)
Ausreichender Schlaf, mit einem Ziel von 7 bis 8 Stunden pro Nacht (erhöht die Energie und Aufmerksamkeit, fördert das Immunsystem) Eine erholsame Nachtruhe verbessert die Stimmung und erhöht die Energie.5 z z zzzzzzzzzzzzzzzz zzzzzz Soziale Kontakte, weniger Zeit allein und mindestens zwei signifikante soziale Aktivitäten pro Woche (befriedigen das menschliche Bedürfnis nach Zugehörigkeit)
Nahrungsergänzungsmittel, darunter ein tägliches Fischölpräparat mit Omega-3-Fettsäuren (trägt zu einer gesunden Gehirnfunktion bei)
Verringerung der Rumination, indem negative Gedanken identifiziert und umgelenkt werden (fördert das positive Denken)
Kleine Erststudie (74 Versuchspersonen)6 77% der Personen, die das Programm abschlossen, erlebten eine Verbesserung ihrer depressiven Symptome.
Lediglich 19% der Personen, die einer Kontrollgruppe mit der üblichen Behandlung zugeteilt wurden, zeigten ähnliche Ergebnisse.
Zukünftige Forschungsarbeiten werden versuchen zu beantworten, welche Teile der Behandlung die therapeutische Wirkung hervorrufen.
Die biomedizinischen Therapien gehen davon aus, dass Geist und Körper eine Einheit bilden: Wenn man den einen beeinflusst, beeinflusst man auch den anderen. 1 Sánchez-Villegas et al., 2015; Walsh, 2011. 2 MacKerron & Mourato, 2013; NEEF, 2015; Phillips, 2011. 3 Ilardi, 2009. 4 Babyak et al., 2000; Salmon, 2001; Schuch et
al., 2016b. 5 Gregory et al., 2009; Walker & van der Helm, 2009. 6 Ilardi, 2009, 2016.
..Abb. 17.22 Kritisch nachdenken über: Therapeutische Lebensstiländerung
Menschen geht es nach einer Behandlung offensichtlich besser (. Abb. 17.23). Bei näherer Betrachtung wird dieser Enthusiasmus jedoch häufig gebremst. Um die Wirksamkeit eines neuen Medikaments beurteilen zu können, muss die Forschung auch auf die normalen Erholungsraten achten: Wie viele Menschen erholen sich auch ohne Behandlung? Und wie schnell geht es ihnen besser? Ist die Erholung auf das Medikament oder auf den Placeboeffekt zurückzuführen? Wenn Patient:innen oder psychosoziale Fachkräfte positive Ergebnisse erwarten, sehen sie möglicherweise das, was sie er-
-
warten, und nicht das, was wirklich passiert. Selbst Werbung für die angebliche Wirksamkeit eines Medikaments kann allein bereits dessen Wirkung verstärken (Kamenica et al., 2013). Um diese Einflüsse zu kontrollieren, wird in Studien der Hälfte der Patient:innen das Medikament und der anderen Hälfte ein gleich aussehendes Placebo gegeben. Weil weder das Krankenhauspersonal noch die Patient:innen wissen, wer was bekommen hat, nennt man dieses Vorgehen die Doppelblindtechnik. Die gute Nachricht lautet, dass manche Medikamente sich in Doppelblindstudien
17
750
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
Die Moleküle der meisten üblichen antipsychotischen Medikamente sind denen des Neurotransmitters Dopamin gerade so ähnlich, dass sie an dessen Rezeptoren andocken und seine Aktivität hemmen können. Dieser Befund stützt die Auffassung, dass ein überaktives dopaminerges System zu Schizophrenie beiträgt. Neuroleptika haben starke Nebenwirkungen. Manche führen zu Trägheit, Tremor (Muskelzittern) und Zuckungen, sie rufen also ähnliche Symptome hervor wie die Parkinson-Krankheit (Kaplan & Saddock, 1989). Der langfristige Einsatz dieser Medikamente kann das dystone Syndrom hervorrufen, das mit unwillkürlichen Bewegungen der Gesichtsmuskeln (z. B. Grimassieren), der Zunge und der Gliedmaßen einhergeht. Obwohl sie Schizophreniesymptome nicht effektiver kontrollieren, wirken viele Neuroleptika der neuen Generation, z. B. Risperidon (Risperdal) und Olanzapin (Zyprexa), am besten für Menschen mit schweren Symptomen und zeigen weniger dieser Nebenwirkungen (Furukawa et al., 2015). Diese Medikamente scheinen jedoch das Risiko von Adipositas und Diabetes zu vergrößern (Buchanan et al., 2010; Tiihonen et al., 2009). ..Abb. 17.23 (© Claudia Styrsky)
für die Behandlung psychologischer Störungen als nützlich erwiesen haben.
Antipsychotische Medikamente: Neuroleptika
17
Die Revolution der medikamentösen Behandlung psychischer Störungen begann mit der Zufallsentdeckung, dass manche Medikamente, die eigentlich für andere medizinische Zwecke gedacht waren, Patient:innen mit Psychosen (Störungen, bei denen Halluzinationen oder Wahnvorstellungen auf einen Verlust des Kontakts mit der Realität hinweisen) ruhigstellten. Diese erste Generation antipsychotischer Medikamente, z. B. Chlorpromazin (wird als Thorazin verkauft), dämpften die Reaktionsbereitschaft auf irrelevante Reize. Deshalb waren sie besonders gut geeignet für Schizophreniepatient:innen mit positiven (aktiv störenden) Symptomen wie auditorische Halluzinationen und Paranoia (Lehman et al., 1998; Lenzenweger et al., 1989). (Antipsychotische Medikamente sind nicht gleichermaßen wirksam bei der Behandlung negativer Symptome wie Apathie und Rückzug.) Antipsychotika (Neuroleptika; „antipsychotic drugs“) –
Medikamente, die genutzt werden, um Schizophrenie und andere schwere Formen von Störungen der Gedanken zu behandeln.
>>Vielleicht können Sie erraten, welchen Nebeneffekt
L-Dopa, ein Medikament, das den Dopaminspiegel bei Parkinson-Patient:innen erhöht, gelegentlich hat: Halluzinationen.
Antipsychotische Medikamente haben vielen Personen mit Schizophrenie, in Kombination mit einem Kompetenztraining und dem Halt ihrer Familie, neue Hoffnung gegeben (Guo, 2010). Hundertausende Patient:innen haben die Abteilungen der psychiatrischen Krankenhäuser verlassen, sind an ihren Arbeitsplatz und in ein fast normales Leben zurückgekehrt (Leucht et al., 2003). Elyn Saks (2007), Juraprofessorin an der University of Southern California, weiß, was es heißt, mit Schizophrenie zu leben. Dank ihrer Behandlung, die eine Kombination aus einem antipsychotischen Medikament und Psychotherapie umfasst, stellt sie fest: „Jetzt geht es mir meistens gut. Ich kann meistens klar denken. Ich habe zwar Schübe, aber es ist nicht so, dass ich die ganze Zeit darum kämpfe, auf der richtigen Seite der Linie zu bleiben.“
Medikamente gegen Angst: Anxiolytika Anxiolytika, beispielsweise Alprazolam oder Lorazepam, verringern, ähnlich wie Alkohol, die Aktivität des Zentralnervensystems (und sollten deshalb nie in Verbindung mit Alkohol eingenommen werden). Manche Anxiolytika können erfolgreich mit einer psychologischen Therapie kombiniert werden, um die Löschung gelernter Ängste mit Hilfe einer Expositionstherapie zu verbessern und dabei zu helfen, die Symptome der posttraumatischen Belastungsstörung und von Zwangsstörungen zu verringern (Davis, 2005; Kushner et al., 2007).
Anxiolytika („antianxiety drugs“) – Medikamente, die
genutzt werden, um Ängstlichkeit und Erregung zu kontrollieren. Eine oft geäußerte Kritik am Einsatz von Anxiolytika ist, dass sie die Symptome verringern, ohne die auslösenden Probleme aufzudecken. Dies kann insbesondere dann gelten, wenn sie über einen längeren Zeitraum eingenommen werden. Beim leisesten Anzeichen von Spannung einfach „Alprazolam einzuwerfen“, kann zu einer psychischen Abhängigkeit führen; das sofortige Nachlassen der Spannung wirkt als Verstärker für die Neigung der Patient:innen, ein Medikament zu nehmen, sobald sie Angst verspüren. Medikamente gegen Angst können auch zu einer physiologischen Abhängigkeit führen. Wer häufig Zuflucht zu ihnen sucht und dann damit aufhört, kann stärkere Angstgefühle, Schlaflosigkeit oder andere Entzugssymptome erleben.
Medikamente gegen Depression: Antidepressiva
Antidepressiva wurden nach ihrer Fähigkeit benannt, die Patient:innen aus ihrer Depression herauszureißen und das war bis vor kurzem auch ihr Haupteinsatzgebiet. Die Bezeichnung ist heutzutage etwas irreführend, da diese Medikamente auch mit zunehmendem Erfolg dazu verwendet werden, um Angststörungen, Zwangsstörungen und die posttraumatische Belastungsstörung zu behandeln (Wetherell et al., 2013). Diese Klasse von Medikamenten wirkt meist dadurch, dass sie die Verfügbarkeit von Noradrenalin oder Serotonin verbessert; das sind Neurotransmitter, die die Erregung erhöhen, die Stimmung aufhellen und während einer Depression an-
Botschaft wird über den synaptischen Spalt geschickt.
17
751
17.3 • Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
scheinend knapp sind. Die am häufigsten verschriebenen Medikamente dieser Gruppe wie Prozac (in Deutschland wird es u. a. als Fluoxetin vertrieben) oder verwandte Wirkstoffe wie Sertralin und Paroxetin wirken, indem sie die Verweildauer von Serotoninmolekülen in den Synapsen des Gehirns verlängern. Dies wird dadurch erreicht, dass sie teilweise die Wiederaufnahme und Entfernung von Serotonin von den Synapsen blockieren (. Abb. 17.24). Weil diese Medikamente nicht nur bei Depression zum Einsatz kommen, sondern auch bei anderen Störungen, von Angst bis zu Schlaganfällen, werden sie meistens selektive Serotoninwiederaufnah‑ mehemmer („selective serotonin reuptake inhibitors“, SSRIs) genannt (Kramer, 2011). Einige ältere Antidepressiva blockieren die Wiederaufnahme oder Aufspaltung der beiden Neurotransmitter Noradrenalin und Serotonin. Obwohl die doppelt wirkenden Antidepressiva wirksam sind, haben sie mehr potenzielle Nebenwirkungen (trockener Mund, Gewichtszunahme, Bluthochdruck oder Schwindelanfälle [Anderson, 2000; Mulrow, 1999]). Werden diese Medikamente mit Hilfe eines Pflasters verabreicht – und dadurch der Verdauungstrakt und die Leber umgangen –, können diese Nebenwirkungen weniger stark sein (Bodkin & Amsterdam, 2002). Manche Praktiker:innen ziehen SSRIs anderen Antidepressiva vor (Jakubovski et al., 2015; Kramer, 2011). Antidepressiva („antidepressant drugs“) – Medikamente,
die genutzt werden, um Depression, Angststörungen, Zwangsstörungen und posttraumatische Belastungsstörung zu behandeln. Viele der am häufigsten eingesetzten Antidepressiva sind selektive Serotoninwiederaufnahme‑ hemmer („selective serotonin reuptake inhibitors“, SSRIs).
Die Botschaft wird empfangen; Überschuss an Serotoninmolekülen wird vom aussendenden Neuron wieder absorbiert.
Fluoxetin blockiert teilweise die normale Wiederaufnahme des Neurotransmitters Serotonin; der Überschuss an Serotonin in der Synapse bewirkt eine Stimmungsverbesserung.
Sendendes Neuron Aktionspotential
Wiederaufnahme
Synaptischer Spalt
Empfangendes Neuron Serotoninmolekül
a
Fluoxetin
Serotonin
Rezeptor
b
c
..Abb. 17.24 a–c Biologie der Antidepressiva. Die Abbildung zeigt die Wirkung von Fluoxetin, das die Wiederaufnahme von Serotonin teilweise blockiert
752
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
Aber Vorsicht: Patient:innen, die mit der Einnahme von Antidepressiva anfangen, werden nicht gleich am nächsten Tag aufwachen und „Oh, what a beautiful morning!“ singen. Zwar dauert es nur wenige Stunden, bis die Antidepressiva auf die Neurotransmitter wirken, aber die volle psychische Wirkung entfaltet sich oft erst nach 4 Wochen (und kann die Nebenwirkung verringerten sexuellen Verlangens mit sich bringen). Ein Grund für diese verzögerte Wirkung könnte darin liegen, dass ein erhöhter Serotoninspiegel anscheinend die Neurogenese, die Bildung neuer Hirnzellen, anregt und dadurch vielleicht eine Umkehrung des durch Stress verursachten Zellverlusts bewirkt (Launay et al., 2011). Doch die Möglichkeit schneller wirkender Antidepressiva wird ebenfalls erforscht. Eines davon, Ketamin, das auch ein Narkosemittel und eine Partydroge ist, blockiert hyperaktive Rezeptoren für den Neurotransmitter Glutamat und regt die Entstehung neuer Synapsen an. Es kann innerhalb von Stunden nach einer Infusion depressive Störungen lindern, oft nach vorübergehenden Halluzinationen (Grimm & Scheidegger, 2013; McGirr et al., 2015; Naughton et al., 2014). Der Effekt verschwindet jedoch oft innerhalb einer Woche (Kishimoto et al., 2016). Einige Pharmaunternehmen hoffen auf die Entwicklung eines dem Ketamin ähnlichen, schnell wirkenden Medikaments ohne dieselben Nebenwirkungen (Kirby, 2015). Antidepressiva sind aber nicht die einzige Möglichkeit, Patient:innen wieder in Schwung zu bringen: Sportliche Betätigung trägt neben anderen positiven Effekten dazu bei, dass sich Menschen, die sich ängstlich fühlen, beruhigen und dass diejenigen, die sich deprimiert fühlen, neue Energie tanken. Eine kognitive Therapie, die Betroffenen hilft, die nun schon zur Gewohnheit gewordene negative Denkweise zu überwinden, kann die durch das Medikament hervorgerufene Milderung
17
..Abb. 17.25 (Peter C. Vey/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
der Depression verstärken und die Gefahr eines Rückfalls verringern, wenn das Medikament abgesetzt wird (Amick et al., 2015). Noch besser ist es, wie einige Studien empfehlen, die Depression (und auch die Ängstlichkeit) von oben und von unten anzugehen (Cuijpers et al., 2010; Hollon et al., 2014; Kennard et al., 2014) und Antidepressiva (die sozusagen von unten auf das an der Bildung von Emotionen beteiligte limbische System wirken) in Verbindung mit einer kognitiven Verhaltenstherapie (die quasi von oben wirkt und mit einer veränderten Aktivität der Frontallappen beginnt) einzusetzen. Niemand widerspricht der Aussage, dass es depressiven Patient:innen nach einem Monat Einnahme von Antidepressiva häufig besser geht. Doch wenn wir die natürliche Erholung (die Rückkehr zum Normalzustand, auch als Spontanremission bezeichnet) und den Placeboeffekt berücksichtigen, wie stark ist dann die Wirkung des Medikaments? Nicht überwältigend, berichten Irving Kirsch und seine Kolleg:innen (1998, 2014, 2016). Ihre Auswertung klinischer Doppelblindstudien weist darauf hin, dass Placebos für 75 % der Medikamentenwirkung verantwortlich sind (. Abb. 17.25). Der Placeboeffekt war für diejenigen mit einer schweren Depression geringer, was den zusätzlichen Nutzen des Medikaments für sie etwas größer machte (Fournier et al., 2010; Kirsch et al., 2008; Olfson & Marcus, 2009). In Anbetracht der Tatsache, dass Antidepressiva oft unerwünschte Nebenwirkungen haben und dass Ausdauertrainings sowie kognitive Verhaltenstherapien ebenfalls wirksame Mittel gegen leichte oder mittelschwere Depression darstellen, empfiehlt Irving Kirsch (2016) einen begrenzteren Einsatz von Antidepressiva: „Wenn sie überhaupt eingesetzt werden sollen, dann nur als letztes Mittel“.
753
17.3 • Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
..Abb. 17.26 „Zunächst einmal sollten Sie wissen, dass die Verkaufszahlen des letzten Quartals die Wirkung meiner stimmungsstabilisierenden Medikamente beeinträchtigen.“ (Peter C. Vey/The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Stimmungsstabilisierende Medikamente Zusätzlich zu den Neuroleptika, den Anxiolytika und den Antidepressiva haben die Psychiater:innen stimmungssta‑ bilisierende Medikamente in ihrem Arsenal. Eines davon ist Depakote und wurde ursprünglich zur Behandlung von Epilepsie eingesetzt. Es hat sich auch als wirksam bei der Kontrolle manischer Episoden im Zusammenhang mit der bipolaren Störung erwiesen. Das simple Salz Li‑ thium kann ebenfalls ein wirkungsvoller Stimmungsstabilisator für Patient:innen sein, die unter den emotionalen Hochs und Tiefs dieser Störung leiden (. Abb. 17.26). Der australische Arzt John Cade machte diese Entdeckung, als er in den 1940er Jahren einem Patienten mit einer schweren Manie Lithium verordnete. Nach nicht einmal einer Woche stellte er fest, dass der Zustand seines Patienten wieder sehr gut war (Snyder, 1986). Nachdem sie jahrelang unter den Stimmungsumschwüngen der bipolaren Störung gelitten haben, profitieren 7 von 10 Patient:innen von dieser Langzeittherapie, bei der täglich eine bestimmte Dosis des günstigen Salzes eingenommen wird, das dabei hilft, manische Episoden zu verhindern oder zu lindern und, in geringerem Ausmaß, depressive Störungen mildert (Solomon et al., 1995). Kay Redfield Jamison (1995, S. 88–89) beschrieb diese Wirkung:
» „Lithium verhindert meine verlockenden, aber verhäng-
nisvollen Höhenflüge, vermindert meine Depressionen, macht mein ungeordnetes Denken frei von allem Wirren, verlangsamt mich, macht mich sanfter, hindert mich daran, meine Karriere und Beziehungen zu zerstören, hält mich vom Krankenhaus fern, am Leben und macht die Psychotherapie erst möglich.“
Ihr Suizidrisiko beträgt nur noch ein Sechstel des Risikos von Patient:innen mit bipolarer Störung, die kein Lithium einnehmen (Oquendo et al., 2011). Die Lithiummenge im Trinkwasser korrelierte auch mit geringeren Suizidraten (in 18 japanischen Groß- und Kleinstädten)
und mit geringeren Kriminalitätsraten (in 27 texanischen Bezirken [Ohgami et al., 2009; Schrauzer & Shrestha, 1990, 2010; Terao et al., 2010]). Lithium wirkt. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Wie bewerten Forschende die Wirksamkeit von bestimmten medikamentösen Therapien? – Die Medikamente, die am häufigsten genutzt werden, um depressive Störungen zu behandeln, heißen ___. Die Schizophrenie wird oft mit ___ behandelt.
17.3.2
Stimulation des Gehirns
?? 17.16 Wie werden die Stimulation des Gehirns und
die Psychochirurgie bei der Behandlung bestimmter Störungen genutzt?
Elektrokrampftherapie Eine weitere biomedizinische Behandlung ist die Schockbehandlung oder Elektrokrampftherapie (EKT). Bei ihrer ersten Anwendung im Jahr 1938 wurde der hellwache Patient auf einem Tisch festgeschnallt und erhielt Stromstöße ins Gehirn, was schmerzhafte Zuckungen und eine kurze Bewusstlosigkeit hervorrief. Das verschaffte der Elektrokrampftherapie den Ruf einer barbarischen Behandlung. Obwohl dieser Ruf immer noch besteht, ist die heutige EKT sehr viel freundlicher und sanfter – und nicht mehr „krampfartig“. Die Patient:innen erhalten zuerst ein Betäubungsmittel, außerdem ein Muskelrelaxans (um Verletzungen durch die Zuckungen zu verhindern), bevor der Psychiater oder die Psychiaterin das Gehirn des Patienten oder der Patientin 30–60 Sekunden lang dem elektrischen Strom aussetzt (McCall et al., 2017). Innerhalb von 30 Minuten erwacht der Patient oder der
17
754
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
Patientin wieder und erinnert sich nicht an die Behandlung oder an die vorangegangenen Stunden. Eine Studie nach der anderen bestätigt, dass die Elektrokrampftherapie bei schwerer Depression eine wirksame Behandlungsmethode für Patient:innen ist, die auf eine medikamentöse Therapie nicht ansprachen (Bailine et al., 2010; Fink, 2009; Lima et al., 2013; Medda et al., 2015). Nach drei solcher wöchentlichen Sitzungen, die zwei bis vier Stunden dauern, zeigt sich bei mindestens 70 % der Patient:innen, die die EKT erhalten, eine deutliche Besserung des Befindens ohne erkennbare Hinrschädigung und mit geringerem Gedächtnisverlust als frühere Versionen der EKT (HMHL, 2007). Ein Leitartikel im Journal of the American Medical Association schlussfolgerte, dass „die Ergebnisse der Elektrokrampftherapie bei der Behandlung schwerer Depressionen zu den positivsten Behandlungseffekten der gesamten Medizin gehörten“ (Glass, 2001). Elektrokrampftherapie (EKT; „electroconvulsive therapy“) – biomedizinische Therapie für schwer depres-
sive Patient:innen, bei der ein kurzer Stromstoß durch das Gehirn der anästhesierten Patient:innen geschickt wird. >>Die Verwendung von Elektrizität in der Medizin ist eine
alte Praxis. Der römische Kaiser Claudius (10 v. Chr.– 54 n. Chr.) wurde wegen seiner Kopfschmerzen von seinen Ärzten mit Zitteraalen, die an seine Schläfen gesetzt wurden, behandelt. Heute erhalten etwa 17 von 100.000 Menschen, deren Depression nicht auf andere Behandlungen anspricht, eine EKT (Lesage et al., 2016).
17
Wie lindert die Elektrokrampftherapie eine schwere Depression? Auch nach mehr als 70 Jahren weiß das niemand ganz genau. Ein Behandelter verglich die EKT mit dem Pockenimpfstoff, der Leben rettete, ehe man wusste, wie er wirkt. Vielleicht beruhigen die schockinduzierten Anfälle neuronale Zentren, deren Überaktivität die Depression auslöst. Einige Forschungsergebnisse deuten darauf hin, dass EKT die Neurogenese (d. h. die Bildung neuer Neuronen) und neue synaptische Verbindungen im Hippocampus und in der Amygdala stimuliert (Joshi et al., 2016; Rotheneichner et al., 2014). Ganz gleich, wie beeindruckend die Ergebnisse sind: Der Gedanke, Krämpfe durch elektrische Schocks bei einem Menschen auszulösen, kommt vielen barbarisch vor, vor allem da ja niemand weiß, warum diese Therapie überhaupt wirkt. Hinzu kommt, dass viele Patient:innen, die mit der Elektrokrampftherapie behandelt wurden, bald einen Rückfall in die Depression erlitten haben, obwohl die Rückfallraten etwas geringer sind für diejenigen, die Antidepressiva erhalten oder ein Ausdauertraining ausüben (Rosenquist et al., 2016; Salehi et al., 2016). Trotzdem ist die Elektrokrampftherapie in den Augen vieler Psychiater:innen und Patient:innen ein kleineres
Übel als eine schwere Depression mit ihrem Elend, ihren Qualen und der ständigen Suizidgefahr. Und wie Norman Endler (1982) schrieb, nachdem eine Elektrokrampftherapie seine schwere Depression gelindert hatte: „Innerhalb von zwei Wochen ist ein Wunder geschehen.“
Alternative Neurostimulationstherapien Drei andere neuronale Stimulationstechniken – die leichte elektrische Stimulation des Gehirns, die leichte magnetische Stimulation des Gehirns und die tiefe Hirnstimulation – zielen ebenfalls darauf ab, das depressive Gehirn zu behandeln (. Abb. 17.27). zz Transkranielle elektrische Stimulation
Im Gegensatz zur EKT, bei der mit etwa 800 Milliampere Strom ein Krampfanfall im Gehirn ausgelöst wird, wird bei der transkraniellen Gleichstromstimulation (tDCS) ein schwacher Strom von 1–2 Milliampere an die Kopfhaut abgegeben. Der Strom ist so schwach, dass einige Menschen versucht haben, mit tDCS-Geräten ihre eigenen kognitiven Fähigkeiten zu stimulieren, obwohl Skeptiker:innen argumentieren, dass ein solcher Strom zu schwach ist, um in das Gehirn einzudringen, und dass Studien keinerlei kognitive Vorteile bestätigt haben (Horvath et al., 2015; Underwood, 2016). Zwei europäische Expert:innengremien berichteten jedoch nach der Überprüfung aktueller Studien eine „wahrscheinliche Wirksamkeit“ der tDCS in der Depressionsbehandlung (Brunoni et al., 2016; Lefaucheur et al., 2017). zz Magnetstimulation
Depressive Stimmungen bessern sich manchmal auch dann, wenn bei hellwachen Patient:innen über mehrere Wochen ein schmerzfreies Verfahren, das als wiederholte transkranielle Magnetstimulation (rTMS) bezeichnet wird, durchgeführt wird. Wiederholte Impulse, die durch eine nahe am Schädel gehaltene Magnetspule fließen, können die Aktivität in unterschiedlichen Bereichen der Hirnrinde anregen oder unterdrücken. Wie auch die transkraniellen Gleichstromstimulation und im Gegensatz zur Elektrokrampftherapie ruft die transkranielle Magnetstimulation keine Gedächtnisverluste oder andere starke Nebenwirkungen hervor (außer möglichen Kopfschmerzen). Wiederholte transkranielle Magnetstimulation („repetitive transcranial magnetic stimulation“, rTMS) – sich
wiederholende Einwirkung von Pulswellen magnetischer Energie auf das Gehirn; kommt zum Einsatz, um Gehirnaktivität zu stimulieren oder zu unterdrücken. Einige Studien haben gezeigt, dass die wiederholte transkranielle Magnetstimulation bei 30–40 % der Menschen mit Depression wirkt (Becker et al., 2016; Brunoni et al., 2017; Taylor et al., 2017). Wie sie wirkt, ist jedoch unklar. Eine mögliche Erklärung besteht darin, dass die Stimulierung den linken Frontallappen anregt, der bei
Stimulierende Elektroden EEGAufzeichnung EKT-Gerät
Stimulierende Elektroden
Getaktetes Magnetfeld
17
755
17.3 • Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
Drahtspule
Elektrode Sonde
Maximale Tiefe des Feldes
tDCSGerät Impulsgeber
Aufzeichnung
Elektrokrampftherapie (EKT) Der Psychiater oder die Psychiaterin verabreicht einen starken Strom, der bei dem betäubten Patienten oder der betäubten Patientin einen Krampfanfall auslöst.
Transkranielle Gleichstromstimulation (tDCS) Der Psychiater oder die Psychiaterin legt einen schwachen Strom an der Kopfhaut an.
Wiederholte transkranielle Magnetstimulation (rTMS) Der Psychiater oder die Psychiaterin sendet ein schmerzloses magnetisches Feld durch den Schädel an die Oberfläche der Hirnrinde, um die Hirnaktivität zu verändern.
Tiefe Hirnstimulation (THS) Der Psychiater oder die Psychiaterin stimuliert Elektroden, die in "Traurigkeitszentren" implantiert sind, um diese Bereiche zu beruhigen.
..Abb. 17.27 Ein stimulierendes Erlebnis. Bei den heutigen Neurostimulationstherapien wird starke oder schwache elektrische oder magnetische Energie entweder auf die Oberfläche des Schädels oder direkt auf die Neuronen des Gehirns übertragen
depressiven Patient:innen relativ inaktiv ist (Helmuth, 2001). Wenn die Nervenzellen wiederholt stimuliert werden, können sie durch einen Prozess, der als Lang‑ zeitpotenzierung (LTP) beschrieben wurde, funktionierende Schaltkreise im Gehirn ausbilden. Zukünftige Forschungsarbeiten werden Aufschluss darüber geben, auf welche Weise die wiederholte transkranielle Magnetstimulation wirkt und für wen. >>Eine Metaanalyse von 17 klinischen Experimenten fand
heraus, dass auch eine andere Stimulationstechnik Depression mildert: die Massagetherapie (Hou et al., 2010).
Drittel der Patient:innen hat Berichten zufolge „extrem gut“ reagiert und weitere 30 % haben sich mäßig verbessert (Underwood, 2013). Manche fühlten sich plötzlich wacher und wurden gesprächiger und kontaktfreudiger; anderen ging es nur geringfügig besser, wenn überhaupt. Andere Studien haben jedoch nur einen geringen Nutzen der tiefen Hirnstimulation im Vergleich zu „Schein“Elektrodenbehandlungen (Placebo) festgestellt (Witter & Ward, 2016). Weitere Untersuchungen werden zeigen, ob Mayberg einen Schalter entdeckt hat, der Depression aufheben kann oder nicht.
zz Tiefe Hirnstimulation
Andere Patient:innen, deren Depression weder auf Medikamente, die den Körper überschwemmen, noch auf Elektrokrampftherapie ansprachen, die mindestens das halbe Gehirn anstößt, haben von einer experimentellen Behandlung profitiert, die sich auf ein neuronales Zentrum konzentriert, welches die denkenden Frontallappen und das limbische System verbindet (Becker et al., 2016; Brunoni et al., 2017; Ryder & Holtzheimer, 2016; . Abb. 17.28). Dieses Gebiet, das im Gehirn depressiver oder zeitweise trauriger Personen überaktiviert ist, beruhigt sich bei der Behandlung mit der EKT oder unter Antidepressiva. Um Neuronen experimentell zu erregen, die die verstärkende Aktivität von negativen Emotionen hemmen, nutzte die Neurowissenschaftlerin Helen Mayberg die Technologie der tiefen Hirn‑ stimulation, die manchmal genutzt wird, um das Zittern bei Parkinson-Patient:innen zu behandeln. Seit 2003 haben sie und ihre Kolleg:innen etwa 200 depressive Patient:innen mit der tiefen Hirnstimulation behandelt, indem sie ihnen Elektroden in einem Hirnbereich implantiert haben, der das neuronale „Traurigkeitszentrum“ darstellt (Lozano & Mayberg, 2015). Etwa ein
..Abb. 17.28 Ein Schalter für Depression. Indem sie die Gehirne von Patient:innen mit und ohne Depression verglich, identifizierte die Forscherin Helen Mayberg ein Gehirnareal (rot hervorgehoben), das bei depressiven oder traurigen Personen aktiv zu sein scheint und dessen Aktivität durch tiefe Hirnstimulation beruhigt werden könnte. (Helen Mayberg, M.D. Psychiatric Neuroimaging and Therapeutics, The Mayberg Lab at Emory University, Atlanta, GA/V. J. Wedeen and L. L. Wald/Athinoula A. Martinos Center For Biomedical Imaging and The Human Connectome Project, Boston, MA; mit freundlicher Genehmigung)
756
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
17.3.3 Psychochirurgie
Weil ihre Folgen unumkehrbar sind, ist die Psychochirurgie – chirurgische Eingriffe, bei denen Hirngewebe zerstört oder entfernt wird – die drastischste und am wenigsten genutzte biomedizinische Intervention bei Verhaltensstörungen. Der portugiesische Arzt Egas Moniz entwickelte in den 1930er Jahren die Lobotomie, die der wohl bekannteste psychochirurgische Eingriff wurde. Moniz fand Folgendes heraus: Wenn man die Nerven, die die Frontallappen mit den emotionssteuernden Zentren im Inneren des Gehirns verbinden, durchtrennt, werden unkontrollierbar emotionale und gewalttätige Patient:innen ruhiggestellt. Bei diesem Verfahren, das später in den Händen anderer zu einem groben, aber schnellen und einfachen Eingriff werden sollte, versetzte ein Neurochirurg den Patienten oder die Patientin mittels Schock in ein Koma, schlug ein Instrument, das einem kleinen Eispickel ähnelte, durch die Höhlen beider Augen ins Gehirn und drehte und wendete es hin und her, um die Nervenverbindungen zu kappen, die zu den Frontallappen führten. Zwischen 1936 und 1954 wurden Zehntausende Menschen mit schweren Störungen „lobotomisiert“ (Valenstein, 1986). Psychochirurgie („psychosurgery“) – chirurgischer Ein-
griff zur Entfernung oder Zerstörung von Hirngewebe mit dem Ziel, dadurch eine Verhaltensänderung zu bewirken. Lobotomie („lobotomy“) – psychochirurgischer Eingriff, der früher angewendet wurde, um unkontrollierbar emotionale oder gewalttätige Patient:innen ruhigzustellen. Bei dem Eingriff wurden die Nervenverbindungen zwischen den Frontallappen und den emotionssteuernden Zentren im Inneren des Gehirns durchtrennt.
17
Beabsichtigt war zwar einfach nur die chirurgische Trennung von Emotion und Gedanken, doch das Ergebnis einer Lobotomie war häufig viel drastischer: Die Lobotomie senkte die Not und Spannung der Person, aber sie brachte gewöhnlich eine nur noch lethargische, unreife und unkreative Persönlichkeit hervor (. Abb. 17.29). Nachdem bis in die 1950er Jahre allein in den USA rund 35.000 Menschen lobotomisiert worden waren, kamen die Beruhigungsmittel auf den Markt und die Psychochirurgie wurde weitgehend aufgegeben. Heute gehört die Lobotomie zur Medizingeschichte. Aber die mehr zielgerichtete Mikropsychochirurgie wird manchmal in extremen Fällen vorgenommen. Wenn etwa ein:e Patient:in unter unkontrollierbaren Krämpfen leidet, kann ein:e Chirurg:in das spezielle Bündel von Nervenfasern deaktivieren, das die Zuckungen verursacht oder weiterleitet. Die MRT-gestützte Präzisionschirurgie wird auch gelegentlich eingesetzt, um die Verschaltungen
..Abb. 17.29 Gescheiterte Lobotomie. Dieses Foto von 1940 zeigt Rosemary Kennedy (Mitte) im Alter von 22 Jahren mit ihrem Bruder (und zukünftigem US-Präsidenten) John (rechts) und ihrer Schwester Jean (links). Ein Jahr später stimmte ihr Vater auf medizinischen Rat hin einer Lobotomie zu, die versprach, ihre berichteten heftigen Stimmungsschwankungen zu kontrollieren. Die Prozedur ließ sie mit einer kindlichen Mentalität in einem Krankenhaus zurück, bis zu ihrem Tod im Jahre 2005 im Alter von 86 Jahren. (© ASSOCIATED PRESS/ picture alliance)
von Neuronen zu durchtrennen, die an schweren Zwangsstörungen beteiligt sind (Carey, 2009, 2011; Sachdev & Sachdev, 1997). Da diese Eingriffe jedoch irreversibel sind, sind sie umstritten und die Neurochirurgie nimmt nur als letztes Mittel Zuflucht zu ihnen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Schwere depressive Störungen, die nicht auf andere Therapien ansprachen, können mit der ___ behandelt werden, die Anfälle und Gedächtnisverlust hervorrufen kann. Eher milde neuronale Stimulationstechniken, die entwickelt wurden, um depressive Störungen zu vermindern, umfassen ___ Gleichstromstimulation, ___ ___ Magnetstimulation und ___ ___stimulation.
757
17.3 • Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
..Tab. 17.4 Vergleich biomedizinischer Therapien Therapie
Angenommenes Problem
Therapieziel
Therapietechnik
Therapeutische Änderung des Lebensstils
Stress und ungesunder Lebensstil
Gesunden biologischen Zustand wiederherstellen
Lebensstil ändern durch genügend Bewegung, Schlaf, Ernährung und andere Veränderungen
Medikamentöse Therapie
Fehlsteuerung der Neurotransmitter
Symptome von psychischen Störungen kontrollieren
Gehirnchemie durch Medikamente verändern
Gehirnstimulation
Depression (EKT wird nur bei schwerer, behandlungsresistenter Depression eingesetzt)
Depression mildern, insbesondere wenn sie nicht auf medikamentöse Therapie oder andere Behandlungsformen anspricht
Gehirn durch Elektrokrampftherapie, leichte elektrische Stimulation, magnetische Impulse oder tiefe Hirnstimulation anregen
Psychochirurgie
Fehlfunktion des Gehirns
Schwere Störungen verbessern
Gehirngewebe entfernen oder zerstören
. Tab. 17.4 fasst einige Aspekte der biomedizinischen Therapien zusammen, die hier besprochen wurden. 17.3.4
Prävention psychischer Störungen und Aufbau von Resilienz
?? 17.17 Was ist der Grundgedanke von Präventions-
programmen für psychische Gesundheit und warum ist es wichtig, Resilienz aufzubauen?
Psychotherapien und biomedizinische Therapien neigen dazu, die Ursache psychischer Störungen in erster Linie im Innern des Menschen zu lokalisieren, der die Störung hat. Wenn ein Mensch grausam handelt, schließen wir daraus, dass er grausam sein muss und wenn sich Menschen „verrückt“ aufführen, dass sie wohl „krank“ sein müssen. Wir hängen solchen Menschen ein Etikett an und können sie dadurch von den „Normalen“ unterscheiden. Daraus ergibt sich, dass wir versuchen, „abnorme“ Menschen zu behandeln, indem wir ihnen Einsicht in ihre Probleme vermitteln, ihre Denkweise verändern und ihnen helfen, sich durch Medikamente unter Kontrolle zu bringen. Man kann diese Dinge auch anders sehen. Wir könnten etliche psychische Störungen als verständliche Reaktionen auf eine krank machende und Stress verursachende Gesellschaft interpretieren (. Abb. 17.30). Dieser Ansicht folgend, ist es nicht nur der Mensch, der eine Behandlung braucht, sondern auch der soziale Kontext dieses Menschen. Es ist besser, der Entstehung eines Problems dadurch vorzubeugen, dass man eine kranke Situation schrittweise ändert und die Bewältigungskompetenzen der Menschen verbessert, als zu warten, bis ein Problem entsteht, und es dann zu behandeln.
..Abb. 17.30 (© Dave Coverly/speedbump.com)
Präventionsprogramme für psychische Gesundheit Eine kleine Anekdote über die Rettung eines Ertrinkenden aus einem reißenden Fluss soll diesen Gesichtspunkt illustrieren: Der Retter hatte gerade das erste Opfer erfolgreich mit Erste-Hilfe-Maßnahmen behandelt, da sieht er eine Frau, die kurz vor dem Ertrinken war, und zieht auch sie an Land. Nachdem sich die Geschichte sechsmal wiederholt, dreht sich der Retter plötzlich um und läuft davon, während der Fluss einen weiteren Ertrinkenden heranträgt. „Willst du den denn nicht retten?“, fragt jemand, der in der Nähe steht.
17
758
Kapitel 17 • Klinische Psychologie: Therapie
„Zum Teufel, nein“, erwidert der Retter. „Ich gehe jetzt flussaufwärts und schaue nach, was alle diese Leute ins Wasser treibt.“
Gemeindepsychologinnen und ‑psychologen Menschen dazu befähigen, ihre Kompetenz, Gesundheit und ihr Wohlbefinden zu verbessern.
» „Vorbeugen ist besser als heilen.“ Peruanische Volks-
Resilienz aufbauen
weisheit
17
Präventive Gesundheitsfürsorge heißt, flussaufwärts zuzupacken. Mit der Gesundheitsfürsorge will man psychische Katastrophen verhindern und deshalb die verursachenden Bedingungen ausmachen und ihren Einfluss verringern. Wie George Albee (1986, 2006) glaubte, gebe es eine Fülle von Indizien dafür, dass Armut, sinnentleerte Arbeit, unablässige Kritik, Arbeitslosigkeit, Rassismus und Sexismus das Gefühl der Menschen für ihre eigene Kompetenz, ihr Gefühl der Eigenverantwortung und ihr Selbstwertgefühl untergraben. Solche Formen von Stress verstärken die Gefahr, in Depression oder Alkoholabhängigkeit zu geraten oder Suizid zu begehen. Albee meinte, dass wir, denen daran gelegen ist, psychische Katastrophen zu vermeiden, Programme unterstützen sollten, deren Ziel es ist, diese demoralisierenden Zustände abzubauen. Wir haben die Pocken nicht dadurch ausgerottet, dass wir die Kranken versorgt haben, sondern durch Impfprogramme für die Gesunden. Wir haben das Gelbfieber besiegt, indem wir die Stechmücken bekämpft haben. Prävention psychischer Probleme bedeutet, denen Kraft zu geben, die sich hilflos fühlen; es bedeutet, Lebensräume zu verändern, die Einsamkeit hervorbringen, die zerfallenden Familien mit neuer Kraft zu versehen, Kommunikationstrainings für Paare anzubieten und die Fähigkeiten von Eltern und Lehrer:innen zu stärken. Es bedeutet, dass positive psychologische Interventionen eingesetzt werden, um das menschliche Wohlbefinden zu steigern. „Alles, was darauf abzielt, die Situation des Menschen zu verbessern und das Leben erfüllender und sinnvoller zu machen, kann als Bestandteil einer primären Prävention gegen mentale oder emotionale Störungen betrachtet werden“ (Kessler & Albee, 1975, S. 557). Prävention kann sich manchmal doppelt auszahlen. Menschen, die in ihrem Leben einen Sinn empfinden, sind sozial engagierter (Stillman et al., 2011). Wenn wir Menschen dabei helfen, einen solchen Sinn zu finden, können wir auch ihre Einsamkeit verringern, da sie zu engagierteren Begleitern werden.
» „Seelische Störungen entstehen aus körperlichen und ebenso entstehen körperliche Krankheiten aus seelischen.“ Der Mahabharata (200 v. u. Z.)
Zu denjenigen, die flussaufwärts zupacken und Präventionshilfe leisten, gehören Gemeindepsychologinnen und ‑psychologen. Sie sind sich bewusst, wie Menschen mit ihrer Umwelt interagieren, und konzentrieren sich darauf, ein Umfeld zu schaffen, das ihre psychische Gesundheit fördert. Durch Forschung und soziales Handeln wollen
Die präventive psychische Gesundheitsfürsorge umfasst Bemühungen, unsere Resilienz zu erhöhen – die menschliche Fähigkeit, mit Stress umzugehen und sich von Widrigkeiten zu erholen. Wenn sie mit einem unvorhergesehenen seelischen Schock konfrontiert werden, zeigen die meisten Erwachsenen Resilienz. Das galt auch für die Bevölkerung New Yorks in der Folgezeit des 11. Septembers, besonders für jene, die unterstützende, nahe Beziehungen genossen und nicht kürzlich ein anderes stressreiches Erlebnis hatten (Bonanno et al., 2007). Mehr als 9 von 10 New Yorker:innen hatten nach dem 11. September keine dysfunktionale Stressreaktion, obwohl auch sie verständlicherweise von Trauer und Entsetzen wie betäubt waren. Bis zum darauffolgenden Januar waren auch die Stresssymptome der übrigen weitgehend zurückgegangen (Person et al., 2006). Sogar in Gruppen von kampferprobten Veteran:innen, politischen Dissident:innen, die Folterprozeduren überlebt haben, und Menschen mit Querschnittslähmung entwickelten die meisten später keine posttraumatische Belastungsstörung (Bonanno et al., 2012; Mineka & Zimbarg, 1996). Die Bewältigung schwieriger Krisen kann sogar zu posttraumatischem Wachstum führen. Viele Krebsüberlebende berichten von einer größeren Wertschätzung des Lebens, bedeutungsvolleren Beziehungen, mehr persönlicher Stärke, veränderten Prioritäten und einem reicheren spirituellen Leben (Tedeschi & Calhoun, 2004). Amerikaner:innen, die versuchten, die Terroranschläge vom 11. September 2001 zu verarbeiten, waren weniger belastet (Park et al., 2012). Selbst aus unseren schlimmsten Erfahrungen kann etwas Gutes entstehen, insbesondere dann, wenn wir uns neue Möglichkeiten vorstellen können (Roepke, 2015; Roepke & Seligman, 2015). Leid kann zu neuer Sensibilität und Stärke führen. Resilienz („resilience“) – die persönliche Stärke, die den
meisten Menschen dabei hilft, mit Stress umzugehen und sich von Widrigkeiten und sogar von Traumen zu erholen. Posttraumatisches Wachstum („posttraumatic growth“) – positive psychologische Veränderungen als Ergebnis der Bewältigung extrem schwieriger Umstände und Lebenskrisen. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist der Unterschied zwischen präventiver Therapie für die seelische Gesundheit und psychologischen oder biomedizinischen Therapien?
Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
17.3.5
Rückblick: Biomedizinische Therapien und die Prävention psychologischer Störungen
Verständnisfragen
17.14 – Warum wird eine therapeutische Lebensstilände-
rung als effektive biomedizinische Therapie angesehen und wie funktioniert sie? 17.15 – Was sind medikamentöse Therapien? Wie helfen Doppelblindstudien Forschenden dabei, die Wirksamkeit eines Medikaments zu beurteilen? 17.16 – Wie werden die Stimulation des Gehirns und die Psychochirurgie bei der Behandlung bestimmter Störungen genutzt? 17.17 – Was ist der Grundgedanke von Präventionsprogrammen für psychische Gesundheit und warum ist es wichtig, Resilienz aufzubauen?
------
Schlüsselbegriffe Antidepressiva Antipsychotika Anxiolytika Elektrokrampftherapie (EKT) Lobotomie Posttraumatisches Wachstum Psychochirurgie Psychopharmakologie Resilienz Wiederholte transkranielle Magnetstimulation
Master the Material 1. Einige Antipsychotika, die zur Beruhigung von Menschen mit Schizophrenie eingesetzt werden, können unangenehme Nebenwirkungen haben, vor allem … a. Hyperaktivität b. Krämpfe und Gedächtnisverlust c. Trägheit, Zittern und Zuckungen d. Paranoia 2. Medikamente wie Alprazolam und Lorazepam, die die Aktivität des zentralen Nervensystems dämpfen, können zu Abhängigkeit führen, wenn sie als Dauertherapie eingesetzt werden. Diese Medikamente werden als ___ bezeichnet. 3. Ein simples Salz, das Menschen, die unter den Höhen und Tiefen einer bipolaren Störung leiden, oft Erleichterung verschafft, ist ___. 4. Wenn eine medikamentöse Behandlung nicht wirkt, kann eine Elektrokrampftherapie (EKT) als Behandlung eingesetzt werden. Menschen mit welchem Störungsbild können besonders davon profitieren? a. Schwere Zwangsstörungen b. Schwere Depression c. Schizophrenie d. Angststörungen
759
5. Wie wird ein Ansatz genannt, der darauf abzielt, Umstände zu erkennen und zu lindern, die ein hohes Risiko für die Entwicklung psychischer Störungen bergen? a. Tiefe Hirnstimulation b. Stimmungsstabilisierende Perspektive c. Spontane Erholung d. Präventive Gesundheitsfürsorge
Weiterführende deutsche Literatur Esser, G. (2011). Lehrbuch der Klinischen Psychologie und Psychothe‑ rapie bei Kindern und Jugendlichen (4. Aufl.). Stuttgart: Thieme. Hoyer, J., & Knappe, S. (2020). Klinische Psychologie & Psychotherapie (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Margraf, J., & Schneider, S. (Hrsg.). (2018). Psychologische Therapie bei Indikationen im Erwachsenenalter (4. Aufl.). Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Bd. 2. Heidelberg: Springer. Reimer, C., & Rüger, U. (Hrsg.). (2012). Psychodynamische Psychothe‑ rapie: Lehrbuch der tiefenpsychologisch fundierten Psychotherapie‑ verfahren (4. Aufl.). Heidelberg: Springer. Reinecker, H. (Hrsg.). (2003). Lehrbuch der klinischen Psychologie und Psychotherapie. Modelle psychischer Störungen (4. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Urban, A. (2011). Psychotherapie für Dummies. Weinheim: Wiley.
17
761
Pädagogische Psychologie Beate Schuster
Inhaltsverzeichnis 18.1
Erziehung – 762
18.2
Klassenführung und Gestalten von Miteinander statt Mobbing – 764
18.3
Motivation und Lernen – 767
18.4
Umgang mit Auffälligkeiten – 768
18.5
Resumée und Ausblick – 771
18.6
Rückblick – 772
18.6.1 Verständnisfragen – 772 18.6.2 Schlüsselbegriffe – 772 18.6.3 Master the Material – 772
Weiterführende deutsche Literatur – 773
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1_18
18
762
18
Kapitel 18 • Pädagogische Psychologie
Die Pädagogische Psychologie ist neben der Klinischen und der Arbeits‑, Organisations- und Wirtschaftspsy‑ chologie eines der drei großen Anwendungsfelder der Psychologie (s. Homepage der Deutschen Gesellschaft für Psychologie, DGPs). Das Fach weist dabei eine lange Tradition auf: Schon seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird versucht, genuin psychologisches Grundlagenwis‑ sen für die Lösung von Problemen im pädagogischen Anwendungskontext, prototypisch Schule und Familie, nutzbar zu machen (Graesser et al., 2022). Meilensteine waren dabei u. a. die Veröffentlichung des programma‑ tischen Editorials von Edward L. Thorndike (1910), das er anlässlich der Gründung des Journal of Educational Psychology dem ersten Heft vorangestellt hat, sowie sein knapp 20 Jahre später erschienenes Lehrbuch Elementary Principles of Education (Thorndike & Gates, 1929). Zentrale Themen waren von Anfang an Methoden des Lehrens und Lernens sowie die Messung von Leistungen und Fähigkeiten; aber auch die derzeit hoch relevante Frage nach dem sinnvollen Einbezug von neuen Techno‑ logien und Medien zur Unterstützung des Wissenser‑ werbs (z. B. Fischer et al., 2022) wurde in der Geschichte der Pädagogischen Psychologie immer wieder intensiv behandelt (Graesser et al., 2022). Ein weiteres bedeut‑ sames Thema betrifft Fragen der Erziehung und den pä‑ dagogischen Umgang mit Auffälligkeiten und Störungen (z. B. Hoppe-Graff, 2010; Schuster, 2017). Die American Educational Research Association (AERA; dtsch. Ame‑ rikanische Gesellschaft der Erziehungswissenschaft) listet auf ihrer Homepage (7 https://www.aera.net/Newsroom/ Trending-Research-Topics) eine Sammlung aktueller For‑ schungsthemen, die zusätzlich zu den genannten traditio‑ nellen u. a. auch Mobbing/Bullying nennt, Umgang mit COVID-19, oder Aus- und Fortbildung der Schulleitung. Einen profunden Überblick über die große Bandbreite von psychologischem Wissen, welches im Schulkontext hilfreich sein kann, bietet das von Urhahne et al. (2019) herausgegebene Lehrwerk. Im vorliegenden Kapitel werde ich exemplarisch die hohe alltagspraktische Relevanz von theoretisch und empirisch fundierten Prinzipien dieses Teilgebietes der Psychologie anhand einer Auswahl von einschlägigen Themen aufzeigen: (1) Erziehung, (2) Klassenführung und Gestalten von Miteinander statt Mobbing, (3) Moti‑ vation und Lernen, und (4) Umgang mit Auffälligkeiten. 18.1 Erziehung ?? 18.1 Wie gelingt Erziehung? Wie können aus Kindern
und Jugendliche verantwortliche Erwachsene werden, die sich an sozialen und leistungsbezogenen Standards orientieren? ?? 18.2 Wie kann man Fehlverhalten modifizieren und
angemessenes Verhalten wahrscheinlicher machen?
Worauf kommt es in der Erziehung von Kindern und Jugendlichen an, damit diese verantwortliche Erwach‑ sene werden, denen die Balance gelingt zwischen Ein‑ gebundenheit und Autonomie, zwischen Kooperation einerseits und Widerstand gegen illegitime Ansprüche sozialer Gruppen oder Systeme andererseits (vgl. Sork‑ habi & Larzelere, 2019)? In ihrer wegweisenden Arbeit betonte Diana Baumrind (1971, 1991), dass hierfür vor allem die Kombination aus zwei Dimensionen zentral sei: die „responsiveness“, also die Ausrichtung der erziehen‑ den Person an den Bedürfnissen des Kindes, oder auch Wärme, die gegenüber dem Kind gezeigt wird, sowie die „demandingness“, die klare und feste Lenkung und Orientierung. Sowohl Baumrinds eigene Längsschnitt‑ studien (z. B. in Baumrind, 2013) als auch umfangreiche Forschungsarbeiten von Kolleg:innen (z. B. in Larzelere et al., 2013) konnten in den darauf folgenden Jahr‑ zehnten empirisch eine Fülle von positiven Effekten der sog. „autoritativen“ (im Deutschen häufig als partner‑ schaftlich bezeichneten) Erziehung nachweisen, bei der beide Dimensionen hoch ausgeprägt sind – im Gegen‑ satz zu einer sogenannten „autoritären“ Erziehung, die vorwiegend Forderungen stellt bei wenig warmer Un‑ terstützung, oder „permissiven“, die mit dem Verzicht auf Forderungen auch zu wenig Orientierung gibt, und schließlich „vernachlässigenden“ Erziehung mit nied‑ riger Ausprägung in beiden Dimensionen. Prototypisch für diese Forschung ist z. B. die Studie von Carlo et al. (2018). Befragt wurden Kinder von me‑ xikanischen Immigrant:innen nach dem mütterlichen und väterlichen Erziehungsverhalten (z. B. „Your father understood your problems and worries“ – Kindzentrie‑ rung, oder „Your father knew who your friends were“ – Monitoring) sowie nach dem Ausmaß ihrer prosozialen Haltung (z. B. „You tend to help people who are in a real crises or need“) und ihren schulischen Leistungen („If your Math teacher was going to give you a grade for your work up to now, what grade would you get“). Wie er‑ wartet, ging eine Orientierung an Lenkung und Kindzen‑ trierung/Wärme mit höherem Ausmaß an Prosozialität einher, die ihrerseits wiederum das akademische Selbst‑ konzept und die akademischen Leistungen vorhersagte. Besonders eindrucksvoll belegen solche Zusammen‑ hänge auch die Befragungen, die Sam und Pearl Oliner (1988) mit Personen durchführten, die den Recherchen von Yad Vashem (Holocaust-Gedenkstätte in Jerusalem) zufolge nachgewiesenermaßen jüdischen Mitbürger:in‑ nen zum Überleben verholfen hatten und dabei ihr ei‑ genes Leben riskierten. Die Forscher:innen verglichen deren Antworten mit den Angaben von Personen mit ähnlichen soziodemographischen Merkmalen, die kein vergleichbares Engagement gezeigt hatten. Oliner und Oliner erfragten sowohl retrospektiv, wie diese beiden Personengruppen die Erziehung durch ihre Eltern erlebt hatten, als auch ihr gegenwärtiges soziales Engagement (z. B. Ehrenamt, Blutspenden). Hier zeigte sich zum einen
18.1 • Erziehung
..Abb. 18.1 Onkel Emil. Karin Friedrich gehörte wie ihre Mutter Ruth Andreas-Friedrich während der Nazizeit der Widerstandsgruppe Onkel Emil (benannt nach ihrem Warnruf) in Berlin an. Ruth Andre‑ as-Friedrich wurde im Jahr 2002 von Yad Vashem als „Gerechte unter den Völkern“ ausgezeichnet, ihre Tochter Karin im Jahr 2004. Von 1953 bis 1992 arbeitete Karin als Journalistin für die Süddeutsche Zeitung, wo sie sowohl den Adventskalender für gute Zwecke betreute als auch über soziale Missstände berichtete. Zudem engagierte sie sich in der Weiße Rose Stiftung und für Pro Asyl. Auf dem Bild ist sie an ihrem 90. Geburtstag mit den Büchern ihrer Mutter in ihrem Wohn‑ zimmer in Gauting bei München zu sehen. (© Catherina Hess/SZ Photo/picture alliance)
eine eindrucksvolle Konsistenz – ehemalige Helfer:innen handeln auch in der Gegenwart prosozialer. Zum ande‑ ren beschrieben die „Gerechten unter den Völkern“ (is‑ raelischer Ehrentitel) ihre Eltern als einerseits warm und voller Zuneigung für das Kind, anderseits aber als klare soziale, moralische und akademische Standards setzend, also als „autoritativ“ erziehend (. Abb. 18.1). Wie kann man einen solchen Erziehungsstil konkret umsetzen, nicht nur in der Familie, sondern auch etwa als Lehrkraft im Klassenzimmer? Wie einleitend erwähnt, zieht die Pädagogische Psychologie für solche Fragen ge‑ nuin psychologisches Grundlagenwissen heran. So lassen sich z. B. aus der Forschung zu den Lerntheorien von B. F. Skinner und zu beziehungsorientierten Ansätzen wie etwa der Bindungstheorie von John Bowlby oder der non-direktiven, klientenzentrierten PsychotherapieTheorie von Carl Rogers einige Prinzipen ableiten, die in der „Pädagogischen Verhaltensmodifikation“ (Schuster, 2020) umgesetzt werden können: Grundgedanke der Lerntheorien ist, dass Verhalten erlernt ist, und zwar speziell laut der Lerntheorie des ope‑ ranten Konditionierens nach Skinner (1971) aufgrund der Konsequenzen, die in der Vergangenheit auf spontan gezeigtes Verhalten gefolgt sind. Demzufolge müsste man bei Vorliegen von als dysfunktional wahrgenommenem Verhalten (z. B. Aggression, Arbeitsverweigerung, op‑ positionelles Verhalten) im ersten Schritt beobachten, welche Konsequenzen in diesem Kontext typischerweise gegeben sind. Diese Konsequenzen werden in der Fach‑ terminologie „Verstärker“ genannt. Was aber ein Ver‑
763
stärker – eine Belohnung oder eine Bestrafung – ist, be‑ stimmt sich immer aus der individuellen Perspektive der sanktionierten Person: Was von der erziehenden Person als Belohnung gedacht ist, kann aus Sicht der sanktio‑ nierten Person als Bestrafung wahrgenommen werden und umgekehrt. Kollektives Nachsitzen in der Gruppe mag beispielsweise für manche Kinder eine kohäsions‑ stiftende Erfahrung darstellen und demnach als Beloh‑ nung erlebt werden. Umgekehrt wenden sich Erziehende häufig vom Kind ab, sobald es mit dem Fehlverhalten aufhört und das gewünschte Verhalten zeigt – damit wird nun aber das richtige Verhalten aus Sicht der sank‑ tionierten Person mit Aufmerksamkeitsentzug bestraft. Die sogenannte versteckte Verstärkeranalyse würde also prüfen, ob im gegebenen Kontext möglicherweise Fehl‑ verhalten aus Sicht der zu Erziehenden belohnt wird, und richtiges Verhalten aus ihrer individuellen Perspektive bestraft (dazu ausführlicher Schuster, 2020). Hat man solche unabsichtlich falschen Konsequenzen identifiziert, sollte man im nächsten Schritt bewusster und gezielter auf gezeigtes Verhalten der betreffenden Kinder und Jugendlichen reagieren. Hier greift das nächste Prinzip: Belohnen von angemessenem Verhalten ist effektiver als Bestrafen von falschem. Dieses Prinzip besagt im Kern, dass man sensibler sein soll dafür, wenn ein Kind oder ein:e Jugendliche:r das Erwünschte macht, und dies dann auch anerkennen, statt immer nur darauf zu fokussieren, was falsch läuft. Häufig hört man, man habe mit Person X wirklich „alles“ versucht, aber es habe nichts gebracht. Nachfragen erbringen meist eine Reihe unterschiedlich schwerer Strafen, aber keine Anerken‑ nung bei positivem Verhalten. Bei (dennoch) auftretendem Fehlverhalten greifen zwei weitere Prinzipien: Dem ‚Prinzip der geringsten Interven‑ tion‘ zufolge sollte man sehr frühzeitig eingreifen (wehret den Anfängen!), allerdings eher „reagierend“ als „bestra‑ fend“. Es geht darum zu zeigen, dass Fehlverhalten nicht einfach ignoriert und übergangen wird, sondern dass man es bemerkt hat und ein verändertes Verhalten wünscht. Er‑ gänzend sollte man sich an dem Prinzip ‚Verhalten, nicht Person bestrafen‘ orientieren. Gute Sanktionen bei Fehl‑ verhalten sollten dem Kind oder den Jugendlichen zeigen, dass man das Kind oder die Jugendlichen selbst weiterhin „bedingungslos“ wertschätzt, seine bzw. ihre Bedürfnisse ernst nimmt und versteht (vgl. Rogers, 1994). Gerade aus Wertschätzung heraus hilft man ihnen, das falsche Ver‑ halten zu verlernen und das richtige zu erlernen – es ist eine gemeinsame Arbeit! Der erzieherische Anteil besteht darin, schnell eine angemessene Reaktion folgen zu lassen, die sich konkret auf das Verhalten bezieht, aber das Kind nicht abwertet (auch hierzu s. die ausführlichen konkreten Beispiele in Schuster 2020; s. dort auch Ausführungen zu weiteren Prinzipien). Verschiedene empirische Arbeiten haben gezeigt, dass es große Vorteile für Kinder und Jugendliche hat, wenn sich Erwachsene an solche, an der Therapietheorie der
18
764
Kapitel 18 • Pädagogische Psychologie
Verhaltenstherapie orientierte Prinzipien halten. Pelham et al. (2014) beobachteten z. B. in einer Ferienlagerstudie eine markante Reduktion von dysfunktionalen Verhal‑ tensweisen von Kindern, die mit ADHS diagnostiziert waren, wenn deren Betreuer:innen entsprechendes Er‑ ziehungsverhalten praktizierten – und zwar in vergleich‑ barem Umfang wie Medikation ohne Orientierung an solchen Prinzipien! Die zentrale Bedeutung dieser Prinzipien für die Er‑ ziehung von Kindern hat auch sehr konzise die Kinderund Jugendpsychiaterin Alice Miller in nahezu poetische Worte gefasst (. Abb. 18.2). In ihrem 1980 erschienenen Klassiker Am Anfang war Erziehung leitete sie aus einer Analyse der Erziehungsratgeber, die die Elterngenera‑ tion der Nazi-Verbrecher gelesen hatten (vgl. die sog. „schwarze Pädagogik“) ab, wie zentral die Orientierung an Lenkung, aber auch Wärme für das Gedeihen von Kindern und Jugendlichen ist:
» „Jedes Kind kommt auf die Welt, um zu wachsen, sich
zu entfalten, zu lieben und seine Bedürfnisse und Gefühle zu seinem Schutz zu artikulieren. Um sich entfalten zu können, braucht das Kind die Achtung und den Schutz der Erwachsenen, die es ernst nehmen, lieben und ihm ehrlich helfen, sich zu orientieren. Werden diese lebens‑ wichtigen Bedürfnisse des Kindes frustriert, wird das Kind stattdessen für die Bedürfnisse Erwachsener aus‑ gebeutet, (…) vernachlässigt, betrogen, ohne dass je ein Zeuge eingreift, so wird die Integrität des Kindes nach‑ haltig verletzt.“
Zusammenfassend zeigen die Ausführungen zu Über‑ legungen und Befunden aus der Pädagogischen Psycho‑ logie, dass eine Kombination aus Kindzentrierung oder Wärme, und Lenkung oder Standards, anders gesagt aus Förderung und Forderung, hoch wünschenswert ist für eine gedeihliche Entwicklung von Kindern und Jugend‑ lichen. 18.2 Klassenführung
18
und Gestalten von Miteinander statt Mobbing
?? 18.3 Wie kann man mehr Disziplin und eine gute
Lernatmosphäre im Klassenzimmer fördern? ?? 18.4 Wie kann man Mobbing entgegenwirken?
Erziehung spielt nicht nur in der Familie, sondern auch in staatlichen Institutionen wie insbesondere der Schule eine zentrale Rolle. Lehrkräfte unterrichten nicht nur, sondern gehen mit den einzelnen Schüler:innen sowie der Klassengemeinschaft in eine Beziehung und vermitteln dabei auch emotionale und soziale Kompetenzen, und sie schaffen über ihre Erziehungsarbeit überhaupt erst ein
..Abb. 18.2 Alice Miller (1923–2010). (© Julika Miller/dpa/picture alliance)
Klima, in welchem Lernen stattfinden kann. In manchen Klassen und bei manchen Lehrkräften gelingt das gut, bei anderen weniger. Von welchen Faktoren hängt dies ab – wann gilt beispielsweise eine Klasse als „schlimmste siebte dieser Schule“, und unter welchen Bedingungen herrscht eine produktive und herzliche Arbeitsatmo‑ sphäre? Die Alltagspsychologie macht hier häufig die zu‑ fällige Zusammensetzung der zugeteilten Schüler:innenPersönlichkeiten verantwortlich. Wiewohl Aspekte der Klassenzusammensetzung durchaus bedeutsam werden können (z. B. Hochweber et al., 2014; Lavrijsen et al., 2022), zeigt die Pädagogische Psychologie differenzierter, unter welchen Randbedingungen solche Faktoren beson‑ dere Bedeutung entfalten, und sie sucht vor allem nach veränderbaren Faktoren, die von der Lehrkraft selbst gestaltet werden können, um eine gedeihliche Lernumge‑ bung herzustellen (z. B. Hattie, 2009). In einer klassischen Studie zeigte beispielsweise Kou‑ nin (1970) auf der Basis von Videobeobachtungen, dass Lehrkräfte von Klassen mit hoher Disziplin im Gegen‑ satz zu solchen mit Disziplinproblemen wie Zuspätkom‑ men, ohne Melden Reinrufen, mangelhafte Erledigung von Hausaufgaben etc. systematische Unterschiede in ihrem Verhalten aufwiesen und folgenden grundlegenden Prinzipien folgten: Sie sorgten für Gruppenmobilisierung statt nur einzelne Schüler:innen zu aktivieren – statt etwa wie in der bayrischen „Ausfragesituation“ zur Erhebung von mündlichen Noten zu Beginn der Schulstunde ein einzelnes Kind aufzurufen und nur dieses den Stoff der letzten Stunde rekapitulieren zu lassen, stellten Lehr‑ kräfte ihre Fragen in die allgemeine Gruppe und erst nach kurzer Denkpause zeigten sie an, welche Person antworten sollte. Diese Lehrkräfte erzeugten ferner Fluss im Unterricht. Lehrkräfte mit „schwierigen“ Klassen dagegen stören Kounins Beobachtungen zufolge selbst häufig das Entstehen oder Aufrechterhalten von Mo‑ mentum: Wenn etwa die ganze Klasse in einen Zustand vertiefter Diskussion oder Ausarbeitung eines Stoffes ge‑ langt ist, wird dieses „Fahrtaufnehmen“ gestört, indem
18.2 • Klassenführung und Gestalten von Miteinander statt Mobbing
die Lehrkraft selbst ihrem nächstbesten Impuls folgt und etwa über herumliegenden Müll schimpft, statt dies erst nach Beendigung der Arbeitsphase anzusprechen. Da‑ rüber hinaus wiesen Lehrkräfte von Klassen mit wenig Disziplinproblemen eine hohe Präsenz auf, sie schienen allgegenwärtig und konzentriert alle zentrale Geschehen wahrzunehmen, und mithilfe von Methodenvielfalt und abwechslungsreichem, spannenden Unterricht prakti‑ zierten sie Überdrussvermeidung. Diese klassische Arbeit hat eine große Zahl von nach‑ folgenden Forschungsarbeiten angeregt, die u. a. nach‑ weisen konnten, dass die durch entsprechendes Lehrkraft‑ verhalten hergestellte Disziplin in der Klasse zu besseren Schul- bzw. Testleistungen bei individuellen Schüler:innen führt (Herman et al., 2022), und mit positiveren Emo‑ tionen bei den Lehrkräften selbst einhergeht (z. B. Hage‑ nauer et al., 2015). Viele Studien zeigten darüber hinaus, dass neben den generell positiven Effekten „vulnerable“ Untergruppen besonders von effektiver Klassenführung (im englischsprachigen Kontext: Classroom Manage‑ ment) profitierten. So waren beispielsweise bei Seiz et al. (2016) bei gleicher akademischer Ausgangslage die günsti‑ gen Effekte für Schüler:innen mit Migrationshintergrund ausgeprägter als bei Schüler:innen ohne Migrationshin‑ tergrund. Differenzielle Effekte gibt es nicht nur in Be‑ zug auf Untergruppen von Schüler:innen, sondern auch in Hinblick auf die Wirksamkeit einzelner Verhaltens‑ weisen: Während wie erwartet in den von Aldrup et al. (2018) untersuchten Klassen auf Klassenebene das von der Lehrkraft eingeschätzte Ausmaß an Störungen und Disziplinproblemen mit der Leistung der Schüler:innen im Zusammenhang stand, war auf individueller Ebene besonders die von den Schüler:innen wahrgenommene soziale Unterstützung zentral für deren Leistung. Die bislang ausgeführten Überlegungen zu Erziehung und Klassenführung helfen nicht nur, Disziplin in der Klasse und eine lernförderliche Arbeitsumgebung herzu‑ stellen, sondern ihre Berücksichtigung reduziert empi‑ rischen Studien zufolge auch das Risiko von Mobbing (Roland & Galoway, 2002; Casas et al., 2015; Gregory et al., 2015). Die sozialpsychologische Grundlagenfor‑ schung hat verschiedene Mechanismen identifiziert, über die man diesen Zusammenhang zwischen guter Klassen‑ führung und reduziertem Mobbing erklären kann: Nach dem „Prinzip der graduellen Eskalation“ sind größere Übergriffe wahrscheinlicher, wenn zuvor kleinere ohne Konsequenzen durchgeführt wurden, und die klei‑ neren Übergriffe schrittweise gesteigert wurden. So zeigte z. B. Milgram (1963) in seinen berühmten GehorsamStudien, dass Personen eher dem Befehl folgten, einer anderen Person starke Stromstöße zu verabreichen, wenn sie mit einer niedrigen Dosis (15 Volt) begonnen hatten und nach und nach immer 15 Volt mehr verabreichen mussten, als wenn sie sofort beim ersten Mal eine höhere Dosis verwenden sollten. Die Entscheidung, jemanden etwa 150 Volt zu verabreichen, ist so groß und bedeutsam,
765
dass die Versuchspersonen sich den situativen Zwängen widersetzen konnten. Die Entscheidung, 15 Volt mehr zu geben, als man selbst gerade schon gemacht hat, wird allerdings psychologisch als ein „kleiner Schritt“ emp‑ funden, zumal als einer, den man ja gerade davor schon wiederholt ohne Konsequenzen getätigt hatte. Die Bedeutung dieses Mechanismus veranschaulichte in bemerkenswerter Weise Robert Musil in seinem schon zu Anfang des 20. Jahrhunderts erschienenen Roman Der Zögling Törleß, in dem sich ein Mobbingprozess schrittweise entwickelt, hin zu der Vergewaltigung eines Mitschülers in der Klasse vor den Augen aller. Dieser extreme Übergriff wäre ohne die schrittweise Vorberei‑ tung zuvor den Leser:innen kaum plausibel zu machen gewesen; durch die schleichende Entwicklung mit immer größeren Übergriffen, jeweils ohne Konsequenzen für die Täter, erscheint dagegen die Entwicklung folgerichtig, wenn nicht gar zwingend. Meines Erachtens kann man die Bedeutsamkeit dieses Mechanismus auch in der Politik der Nationalsozialisten sehen: Die Vernichtungslager wurden nicht sofort mit der Machtergreifung eingerichtet, sondern erst Jahre später, nachdem zunächst schrittweise mit immer neuen Geset‑ zen die Rechte der jüdischen Bevölkerung beschnitten wurden, dann u. a. in der Reichspogromnacht der Schutz des Eigentums nicht mehr gewährleistet wurde, und zu‑ nehmend bei willkürlichen Verhaftungen der Rechtsstaat außer Kraft gesetzt wurde. Jeder Übergriff war etwas stärker als der vorhergehende; der systematische Genozid kam nicht übergangslos, sondern „schleichend“. Diese Analysen und Analogien legen nahe, dass der in den oben zitierten pädagogisch-psychologischen Studien gefundene Zusammenhang zwischen Disziplinschwierig‑ keiten und Mobbing u. a. darauf zurückzuführen ist, dass in manchen Klassen zwar formal Regeln des Zusam‑ menlebens und Arbeitens existieren, deren Übertretung aber in der Regel folgenlos bleibt. In der Folge dehnen die Schüler:innen die Grenzen der Regeln schrittweise immer weiter aus, und mit der Zeit werden nicht nur Zuspät‑ kommen, fehlende Hausaufgaben und unflätige Kom‑ mentare häufiger, sondern auch respektloses Verhalten gegenüber schwachen Mitschüler:innen und schließlich auch gegen schwache Lehrkräfte selbst. Ein weiterer Mechanismus, den Milgram (1963) demonstrierte, ist (fehlende) Nähe zwischen Täter und Opfer: Sollten die Stromstöße einer Person verabreicht werden, die sich im selben Raum aufhielt, man gar der Person die Hand auf die Platte legen musste, durch die der Strom (angeblich) lief, weigerten sich sehr viel mehr Personen, den Befehlen Folge zu leisten, als wenn sich die Person in einem anderen Raum befand. Auch dieser Mechanismus mag bei der Organisation des Holocaust durch die Nazis eine Rolle gespielt haben: Die meisten Konzentrationslager wurden in den eroberten Gebieten im Osten gebaut, und nicht auf dem Gebiet des ehema‑ ligen deutschen Reiches, also weit weg.
18
766
Kapitel 18 • Pädagogische Psychologie
..Abb. 18.3 Nähe schafft Freundschaft. Zwei Mädchen, die in der letzten Reihe an einem Tisch sitzen, werden am Ende des Schuljahrs wahrscheinlicher befreundet sein als ein Junge, der ganz vorn links, und einer, der ganz hinten rechts sitzt. (© Jens Büttner/dpa-Zentralbild/dpa/ picture alliance)
18
Das bereits von Milgram im Zusammenhang mit der Erklärung von extremem moralischem Fehlverhalten thematisierte Konzept „Nähe“ wurde umgekehrt auch zur Erklärung des Zustandekommens von Sympathie, oder „Mögen“, von verschiedenen Individuen heran‑ gezogen (Schuster, 2020). Diese Analyse hat unmittelbare Relevanz für die Anwendung im pädagogisch-psycho‑ logischen Kontext, da sie helfen kann, Mobbing-Prozes‑ sen vorzubeugen oder bei vorhandenem Mobbing aktiv einzugreifen und die Dynamik positiv zu gestalten. Leon Festinger, einer der Gründerväter der Sozial‑ psychologie, sagte mithilfe dieses Konzepts erfolgreich vorher, welche Studierenden eines Jahrganges am Ende des Studienjahres miteinander mit höherer Wahrschein‑ lichkeit befreundet sein würden (Festinger et al., 1950). Hierzu brauchten er und seine Kollegen eine einzige Frage – die nach der Adresse der Untersuchungsteil‑ nehmer:innen! Seine Logik war simpel: Wer im selben Studierendenwohnheim wohnt, würde eher befreundet sein als solche in getrennten Wohnheimen. Wer im selben Wohnheim im selben Stock wohnt, würde wahrscheinli‑ cher miteinander befreundet sein als wer in verschiedenen Stockwerken wohnt. Und wer im selben Stockwerk Tür an Tür wohnt, würde mit größerer Wahrscheinlichkeit befreundet sein als diejenigen, deren Zimmer am jewei‑ ligen anderen Ende des Flures liegen. Die Empirie gab den Forschenden recht! Übertragen aufs Klassenzimmer: Wer näher bei‑ einander sitzt, wird eher befreundet sein als diejenigen, die weiter auseinandersitzen (. Abb. 18.3)! Mittlerweile gibt es eine Reihe von Studien, die diese Zusammenhänge empirisch zeigen, u. a. die Doktorarbeit von Steffi Lipp (LMU, in Vorbereitung), in der günstige „Zonen des Kon‑ taktes“ im Klassenzimmer empirisch bestätigt wurden.
Mit den Plätzen ganz hinten am Rand oder in der ersten Reihe bei der Tür am Rand gehen rein zahlenmäßig we‑ nig natürliche Begegnungsmöglichkeiten einher, während z. B. in der Mitte des Raumes, in der sogenannten „action zone“, kurze informelle, „unbemühte“, da sich in natürli‑ cher Weise ergebende Kontakte nach allen Seiten möglich sind. In ähnlicher Weise zeigen auch Arbeiten der hollän‑ dischen Arbeitsgruppe um Cillessen (Braun et al., 2020), dass der Status von einzelnen Kindern durch systemati‑ sches Umsetzen verbessert werden kann. Will man demnach im Klassenzimmer mehr Klassenals Cliquenkohäsion fördern, könnte man den Sitzplan immer wieder verändern und durchrotieren; will man verstehen, warum einzelne Kinder größere Schwierig‑ keiten haben und andere ganz einfach integriert sind, könnte man deren jeweilige Sitzplätze bzw. Sitzplatz‑ konstellationen in den Blick nehmen und entsprechend umgestalten (genauer s. Ausführungen in Schuster, 2020). Neben den Möglichkeiten zu Kontakt und Austausch und damit gemeinsamen Erfahrungen erklärt noch ein weiterer wichtiger Mechanismus, warum Nähe einen Ef‑ fekt auf Mögen hat: Vertrautheit. Diesen Prozess hat un‑ ter anderem Robert Zajonc (1968) in einem mittlerweile ebenfalls klassischen Experiment zu dem sogenannten Mere-Exposure-Effekt (reines Ausgesetztsein) gezeigt: Objekte, deren Abbildung häufiger gezeigt wurden, wurden von Versuchspersonen positiver eingeschätzt als solche, die ihnen seltener präsentiert worden waren. Äquivalent dazu wurden EWS-Studierende (Schuster & Dubowy, 2013), deren Fotos anderen EWS-Studierenden mit hoher Frequenz gezeigt wurden, als sympathischer eingeschätzt und häufiger als Kolleg:innen zu einer ge‑ meinsamen Klassenfahrt ausgewählt als solche, deren Bild seltener gezeigt wurde. Auch Lehrkräfte, denen mit
18.3 • Motivation und Lernen
unterschiedlicher Häufigkeit Fotos von Schulkindern ge‑ zeigt worden waren, und die nun auf Skalen angeben sollten, wie gern sie die jeweiligen Kinder in ihrer eigenen Klasse hätten, präferierten diejenigen, deren Foto ihnen häufiger gezeigt wurde. Vertrautheit kann man nicht nur durch Nähe und häufigen Kontakt erreichen, sondern auch durch Salienz, also durch besondere Sichtbarkeit (vgl. Moreland & Be‑ ach, 1992). Besonders markantes und Aufmerksamkeit heischendes Fehlverhalten erhöht die Sichtbarkeit von einzelnen Schüler:innen, und die damit einhergehende höhere Vertrautheit kann wiederum zu mehr Sympathie führen. In Übereinstimmung mit dieser Beobachtung zeigen einige pädagogisch-psychologische Studien, dass Fehlverhalten mit höherem sozialen Status einhergeht (Reijntjes et al., 2013). Die pädagogisch-psychologische Anwendung solcher Grundlagenforschung könnte darin bestehen, Schüler:in‑ nen einer Klasse gleichmäßiger Aufmerksamkeit und Sichtbarkeit zukommen zu lassen, z. B. über gezielteres Aufrufen und damit gleichmäßiger verteilten Redebeiträ‑ gen, durch Verteilung von kleinen Ämtern und Aufgaben etc. (ausführlicher dazu Schuster, 2020). Zusammenfassend zeigen die beschriebenen Ar‑ beiten, dass pädagogisch-psychologische Überlegungen von höchster Relevanz in der Schulpraxis sind, wenn es darum geht, in der konkreten Praxis, im Schulalltag, eine gedeihliche und produktive Lernumgebung herzustellen, in der sich die Schülerinnen und Schüler aufgehoben, geschützt und zugehörig fühlen. 18.3 Motivation
und Lernen
?? 18.5 Welche Aussagen machen Atkinson und Weiner
zu den motivationsrelevanten Emotionen Stolz und Scham? ?? 18.6 Was bestimmt laut Dweck, ob Personen moti‑
viert sind?
Eine zentrale Frage der Pädagogischen Psychologie besteht darin, wovon es abhängt, ob ein Schüler oder eine Schülerin motiviert ist oder nicht. In diesem Ab‑ schnitt möchte ich ebenfalls kurz genuin psychologisches Grundlagenwissen skizzieren und zeigen, wie die Ein‑ sichten motivationspsychologischer Ansätze konkret helfen können, die Motivation von Schulkindern für das notwendige Erarbeiten des fachlichen Stoffes zu erhöhen. Eine klassische Analyse stammt von John Atkinson (1957, 1964), der zum einen auf die zentrale Bedeutung der antizipierten Emotionen von Stolz und Scham, kon‑ kreter: das erwartete Erleben dieser Gefühle im Zusam‑ menhang mit der gezeigten Leistung, hingewiesen hat sowie auf die Unterscheidung von erfolgsmotivierten
767
..Abb. 18.4 Stolz statt Scham. Erfahrungen von Beschämung soll‑ ten im Schulkontext reduziert werden. Stolz dagegen ist ein sehr wirk‑ mächtiger Motivator. (© Michelle Fraikin/Westend61/picture alliance)
versus misserfolgsmotivierten Personen. Während die erste Gruppe durch die Erwartung angetrieben wird, nach Aufgabenbearbeitung Stolz über den eigenen Er‑ folg empfinden zu können, ist die zweite Gruppe bestrebt, Misserfolg zu vermeiden, um dem erwarteten Gefühl von Scham entgehen zu können. Aus diesen zwei konträren Tendenzen ergeben sich unterschiedliche Strategien im Umgang mit Leistungsanforderungen. Erfolgsmotivierte Personen suchen sich aktiv mittelschwere Aufgaben aus, bei denen man nicht nur Erfolg erleben kann, sondern bei deren Bearbeitung sich noch Lerngelegenheiten stellen. Misserfolgsmotivierte dagegen suchen sich entweder ganz leichte Aufgaben aus, um Misserfolg und die da‑ mit einhergehende Scham zu vermeiden, oder sie wählen sehr schwere Aufgaben aus, bei denen niemand von ihnen Erfolg erwarten kann und damit die Scham sich in Gren‑ zen hält. Beide Strategien vermeiden zwar das peinigende Gefühl von Beschämung, allerdings zum Preis fehlender Lerngelegenheiten und Entwicklung von Kompetenzen. Pädagogisch-psychologisch relevant sind die Einsich‑ ten zum einen für alle Schüler:innen insofern, als deutlich wird, dass generell Beschämungserfahrungen im Schul‑ kontext reduziert werden sollten und dass Stolz ein sehr wirkmächtiger Motivator ist (. Abb. 18.4). Statt den Fokus auf Fehler zu legen (wie in der Schule der Scham, s. Wildt, 2011, leider immer noch nur zu häufig der Fall),
18
768
18
Kapitel 18 • Pädagogische Psychologie
sollte der Fokus stärker auf Stärken und Erreichen von Zwischenzielen gelegt werden. Besonders interessant ist darüber hinaus der Befund von Stoeber et al. (2008), demzufolge Kinder, die sich nicht zugehörig fühlen, besonders sensibel für antizipierte Beschämungserleb‑ nisse sind und demzufolge eine Misserfolgsorientierung entwickeln. An der Zugehörigkeit von (allen) Kindern und Jugendlichen aktiv zu arbeiten, u. a. mithilfe der in 7 Abschn. 18.2 angesprochenen Gestaltung der situa‑ tionalen Faktoren wie Aufrufverhalten und Sitzordnung, bedeutet demnach auch zu motivieren! Die Unterscheidung zwischen Annäherungs- und Ver‑ meidungsmotivation ist unter Verwendung einer etwas anderen Terminologie von Carol Dweck (z. B. Dweck & Leggett, 1988; Dweck, 2012) aufgegriffen worden: Er‑ gänzend hat sie gezeigt, dass die „naive Intelligenztheo‑ rie“, also die alltagspsychologischen Vorstellungen, die die Kinder oder Lehrkräfte oder Eltern über Intelligenz haben, ebenfalls einen Einfluss auf die Motivation von Schüler:innen hat. Glauben Individuen, dass Intelligenz angeboren und unveränderlich ist, neigen sie sehr viel stärker zu misserfolgsmotivierten Tendenzen als wenn sie glauben, dass Fähigkeiten und auch Intelligenz ver‑ änderbar sind, u. a. durch den Erwerb von relevantem Vorwissen und den Einsatz von richtigen Lernstrategien (wofür es auch in der neueren wissenschaftlichen For‑ schung zunehmend Konsens gibt, s. z. B. die entsprechen‑ den Kapitel in Urhahne et al., 2019). Die pädagogischpsychologische Implikation dieser Befunde ist demnach, dass „motivieren“ bedeutet, die naiven Überzeugungen über Veränderbarkeit von Fähigkeiten und Intelligenz zu hinterfragen, und den Kindern und Jugendlichen zu vermitteln, dass diese sehr wohl wachsen können. Wie bereits ausgeführt, kommt Atkinson zufolge den beiden Emotionen Stolz und Scham eine Schlüssel‑ rolle zu, wenn man verstehen möchte, warum ein Kind motiviert ist, das andere dagegen demotiviert. Weiner (1985) hat in späteren Arbeiten präzisiert, dass dem Er‑ leben dieser beiden wichtigen Leistungsemotionen cha‑ rakteristische ursächliche Erklärungen zugrunde liegen. Ihm zufolge kann man nur stolz sein bzw. sich schämen, wenn man den Erfolg bzw. den Misserfolg auf sich selbst zurückführt, also eine sog. internale Attribution vornimmt. Führt man den Erfolg bzw. Misserfolg auf äußere Umstände zurück (externale Attribution), kann man sich zwar freuen bzw. traurig sein, aber ist weder stolz noch beschämt. Weiner verweist hier auf ein Zitat von Kant, wonach sich alle über ein gutes Essen freuen könnten, aber nur der Koch stolz darauf sein könne. Die pädagogisch-psychologische Implikation ist demnach, dass man Schüler:innen nicht einfach nur Erfolgserleb‑ nisse vermitteln sollte, sondern Bedingungen schaffen muss, dass sie den Erfolg sich selbst zuschreiben, und damit auch stolz auf sich sein können. Dies wird z. B. in dem Ratschlag zur Hausaufgabenbetreuung umgesetzt, diese prozess- und nicht produktorientiert zu gestalten.
Die Betreuung sollte also darin bestehen, dem Kind zu zeigen, wie es die Arbeit selbst gut erledigen kann, statt Teile der Arbeit selbst zu übernehmen. Aus einer ganz anderen Tradition, nämlich der huma‑ nistischen Psychologie kommend, ergänzt ein weiterer wichtiger motivationspsychologischer Ansatz, dass es von zentraler Bedeutung ist, die Bedürfnisse der Schü‑ ler:innen im Blick zu behalten und ernst zu nehmen. Deci und Ryan (1985, 2012) betonen hierbei die Wichtigkeit der Bedürfnisse nach Autonomie, Zugehörigkeit und Kompetenz. Interessanterweise sind zwei der drei zen‑ tralen Bedürfnisse diejenigen, die Baumrinds Forschung (7 Abschn. 18.2) zufolge eher ausbalanciert werden können, wenn man eine autoritative Erziehung genossen hat, nämlich Zugehörigkeit und Autonomie. Wie leicht Autonomie hergestellt werden und welch bedeutsamen Effekte sie im Schulkontext haben kann, haben z. B. Patall et al. (2010) gezeigt: Die Hälfte der Schüler:innen durfte aus einer Auswahl an Aufgaben wählen, mithilfe welcher speziell sie einen bestimmten Lernschritt üben sollten, die anderen mussten wie im Standardunterricht eine vorgegebene Aufgabe bearbeiten. Nicht nur erledigte die erste Hälfte ihre Hausaufgaben zuverlässiger, sondern sie erzielte auch im anschließenden Test bessere Ergeb‑ nisse. Die pädagogisch-psychologische Implikation ist klar: Autonomie über den Lernprozess geben, wie z. B. über den Zeitplan, wann welche Aufgaben erledigt sein sollen, steigert Motivation und darüber Leistung. Das dritte Bedürfnis, das nach Kompetenz, ist eben‑ falls durch die Lehrkraft beeinflussbar, indem sie päda‑ gogisch-psychologische Befunde berücksichtigt, sei es in Bezug auf ihre eigenen Lehrmethoden (z. B. Kollar & Fischer, 2019) oder in Hinblick auf die explizite Ver‑ mittlung von Lernstrategien, die die Schülerinnen und Schüler zu effektiverem Lernen verhelfen können (Wild & Möller, 2020). Wie einleitend schon erwähnt, sind Motivation und Lernen klassische Themen der Pädagogischen Psycho‑ logie. Der kurze Abriss hier hat gezeigt, dass das entspre‑ chende Wissen nicht nur „graue Theorie“ ist, sondern unmittelbar in der praktischen Arbeit berücksichtigt bzw. angewendet werden kann. 18.4 Umgang
mit Auffälligkeiten
?? 18.7 Depression im Kindesalter: Was sind die zen‑
tralen Merkmale? ?? 18.8 Maßnahmen bei Depression?
Nicht nur Erwachsene leiden unter psychischen Erkran‑ kungen, auch Kinder und Jugendliche können emotio‑ nale, soziale oder verhaltensbezogene Auffälligkeiten und Störungen entwickeln. Nicht immer sind diese Störungen
18.4 • Umgang mit Auffälligkeiten
769
..Abb. 18.5 Ich bin alles. Die Corona-Pandemie hat psychische Be‑ lastungen und Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen verstärkt. Mittlerweile liegt die Zahl derer in Deutschland mit psychischen Auf‑ fälligkeiten bei rund 30 %. Das Infoportal 7 www.ich-bin-alles.de bie‑ tet Hilfestellung und richtet sich direkt an Betroffene mit Depression
und nicht Erkrankte, die sich zu dem Thema informieren möchten, sowie an Eltern. Zum Start des Portals gestaltete der Münchner Graffiti-Künstler Loomit mit einer Gruppe Kinder und Jugendlicher im Werksviertel ein Graffito über Depression. (© Catherina Hess/SZ Photo/picture alliance)
für Erziehende leicht erkennbar, und entsprechend zeigen manche Eltern und/oder Lehrkräfte in ihrer pädagogi‑ schen Arbeit Reaktionen, die wenig hilfreich sind – weder für die Kinder und Jugendlichen, noch für die Erwach‑ senen selbst. Illustrativ ist Depression im Kindes- und Jugendalter (. Abb. 18.5). Eine für die pädagogische Arbeit zentrale Einsicht besteht zunächst darin, dass sich Depression bei Jüngeren in etwas anderem Erscheinungsbild zeigt als bei Erwachsenen (DSM‑5; APA, 2013). Zwar geht De‑ pression auch in dieser Altersgruppe mit u. a. negativer Gestimmtheit und niedrigem Selbstwertempfinden ein‑ her, aber ausgeprägter als bei Erwachsenen (auch) mit Gereiztheit. Scheinbar unprovoziert, grundlos, reagieren die Betroffenen so, als seien sie angegriffen worden, was wiederum Erwachsene zu „Gegenwehr“ provoziert – und nicht zu Verständnis und Unterstützung. Ferner ist für die pädagogische Arbeit wichtig zu realisieren, dass insbesondere bei Mädchen mit Ein‑ setzen der Pubertät ein dramatischer Anstieg an De‑ pressionsraten zu verzeichnen ist, und dass sich dieser Anstieg vor allem in Selbst- und weniger in Fremdein‑ schätzungen zeigt (Bettge et al., 2008). Dabei beziehen sich diese Selbstberichte nicht auf eine generalisierte Wahrnehmung, „depressiv“ zu sein, sondern auf die vielen konkreten Verhaltensweisen und Erlebensinhalte, die laut DSM‑5 (Liste von Kriterien, erstellt von der Vereinigung der Amerikanischen Psychiater:innen) oder ICD‑10 (Liste von Kriterien, erstellt von der WHO) für Depression typisch sind. Das heißt, die Mädchen gaben sich nicht einfach aus irgendwelchen Gründen (wie
„Sich-wichtig-machen-Wollen“, „Entschuldigungen“ für Versäumnisse) selbst die Diagnose Depression, sondern sie berichteten konkretes Verhalten und Erleben, das in der Zusammenschau das klinische Bild einer Depression ergibt. Zu diesem klinischen Bild gehören laut DSM‑5 wei‑ tere Merkmale wie Veränderungen im Schlaf- und/oder Essverhalten (sowohl Steigerungen als auch Reduktionen wurden beobachtet), aber auch Entscheidungs- und Kon‑ zentrationsschwierigkeiten sowie Gedächtnis- und Lern‑ probleme. Insbesondere die Konzentrationsschwierigkei‑ ten sind für den Schulkontext hoch relevant, da sie zum einen dazu führen können, dass die Störung mit AD(H)S verwechselt wird, woraus wiederum falsche Interventio‑ nen resultieren können. Zum anderen lösen Schwierig‑ keiten wie Entscheidungsprobleme ähnlich wie die oben besprochene „Gereiztheit“ häufig eher Ärgerreaktionen aus als Unterstützungsangebote, da die entsprechenden Verhaltensweisen, die faktisch konstitutiv für Depression sind und für die Betroffenen nicht oder nur schwer kon‑ trollierbar sind, von Außenstehenden wie etwa Lehrkräf‑ ten als willentlich beeinflussbar gesehen werden. In ähnlicher Weise führen auch die Konzentrations‑ schwierigkeiten der Kinder und Jugendlichen häufig bei erziehenden Erwachsenen eher zu Ärger als zu Hilfe. Auf‑ forderungen wie „du musst jetzt endlich lernen, für dich selbst Verantwortung zu übernehmen“, „alt genug bist du ja nun“, sind relativ typisch. Empathie fehlt häufig auch für die mit Depression einhergehenden Gedächt‑ nis- bzw. Lernprobleme: Die Betroffenen beschreiben ihren Zustand häufig als leer, taub – sie können nichts
18
770
18
Kapitel 18 • Pädagogische Psychologie
aufnehmen. Entsprechend stellen sich mit der Zeit Schul‑ leistungsprobleme ein, die wiederum die Depression verschärfen können. Diese gegenseitigen Auswirkungen können also in ungünstige Teufelskreise münden. Typisch für Depression ist schließlich auch eine hohe Rate komorbider Erkrankungen oder Folgestörungen. So findet man z. B. höhere Depressionsraten bei essge‑ störten Personen (Herpertz-Dahlmann & Scharte, 2009), ähnlich wie selbstverletzendes Verhalten typischerweise mit wahrgenommener Hoffnungslosigkeit (ein zentrales Merkmal von Depression) einhergeht (Fox et al., 2015), sowie ein höheres Suizidrisiko (Avenevoli et al., 2015). Spätestens durch die Aufzählung der Merkmale und Folgen von Depression im Kindes- und Jugendalter wird deutlich, dass dringend Hinschauen und Handeln gebo‑ ten ist, welches an den Faktoren ansetzt, die zur Ent‑ wicklung und/oder Aufrechterhaltung einer Depression beitragen – und diese kann man leicht in der pädago‑ gisch-psychologischen Arbeit berücksichtigen. Laut einer einschlägigen Überblicksarbeit (Hyde et al., 2008) gibt es zwei große Gruppen von Risikofak‑ toren: Stress sowie das Vorliegen einer „Vulnerabilität“ (s. unten). Im pädagogischen Kontext Schule liegen nur zu häufig zwei große Gruppen von Stressoren vor: Leis‑ tungsanforderungen und Kampf um soziale Zugehörig‑ keit. Die pädagogisch-psychologische Forschung hat mittlerweile eine Fülle von Befunden erbracht, die in der praktischen Arbeit herangezogen werden können, um beide Gruppen von Stressoren – ohne Senkung von Standards (!) – drastisch zu reduzieren. Leistungsstress kann beispielsweise durch effektivere Methoden des Lehrens und Lernens reduziert werden. Hier handelt es sich um ein ganz klassisches Feld der Pädagogischen Psychologie, und die jahrzehntelange Forschung in diesem Bereich hat eine Fülle von praxis‑ relevanten Einsichten zutage gebracht (s. z. B. Darstel‑ lungen in Schuster, 2017; Urhahne et al., 2019), wie z. B. dass verteiltes Üben effektiver ist als massiertes, ebenso wie der Einsatz von Lernstrategien. Bei beidem kann die Lehrkraft die Schüler:innen unterstützen, indem sie am Anfang Regulationshilfen gibt und gezielte Vorschläge zum Lernprozess, was im Verlauf des Schuljahres immer mehr automatisiert und in die Verantwortung der Schü‑ ler:innen selbst übergeben werden kann. Grundsätzlich wird Stress durch Autonomie und Kontrolle reduziert, z. B. durch Vorhersehbarkeit und Planbarkeit von Prü‑ fungen und zeitlichen Gestaltungsspielraum beim eige‑ nen Lernprozess. Illustrativ ist z. B. die Studie von Khanna (2015): Sie variierten, ob vor den großen Klausuren unange‑ kündigte, benotete kleinere Tests durchgeführt wurden versus angekündigte, benotete oder unangekündigte, unbenotete, bei welcher die Lernenden selbst die Rich‑ tigkeit ihrer Antworten feststellen konnten, und erfass‑ ten u. a. die erbrachten Leistungen in der eigentlichen Klausur. Am schlechtesten schnitt die Variante ab, bei
..Abb. 18.6 Soziale Ausgrenzung und Mobbing. (© Michael Meister/ dieKLEINERT.de/picture alliance)
der sehr viel Kontrolle und Druck ausgeübt wurde, nämlich unangekündigte, benotete Zwischentests; am besten waren Tests, die zwischendrin Rückmeldung ermöglichten, ohne benotet zu werden und soziale Realität herzustellen. Die pädagogisch-psychologische Forschung legt also nahe, dass allein durch den Ver‑ zicht des Stressors unangekündigte Leistungserhebung nicht nur mehr Leistung erzielt werden kann, sondern auch einer der Faktoren, die zur Entstehung der pro‑ blematischen Störung Depression beitragen, günstig beeinflusst werden kann. Der zweite große Stressor im Schulkontext bezieht sich auf soziale Ausgrenzung und Mobbing (. Abb. 18.6). Auch hier zeigt die pädagogisch-psychologische For‑ schung, dass die Lehrkraft erheblich zur Reduktion dieses Stressors beitragen kann. Allein schon dem Kind emotionale Unterstützung zu gewähren, reduziert Pössel et al. (2013) zufolge das Risiko, dass betroffene Schü‑ ler:innen zusätzlich zu dem Erleben von Mobbing auch noch eine Depression entwickeln. Darüber hinaus kann die Lehrkraft, wie oben in 7 Abschn. 18.2 gezeigt, durch aktive Gestaltung der Situation wie z. B. variierende Sitz‑ ordnung, gleichmäßiges Aufrufen oder Anwendung der Prinzipien der Pädagogischen Verhaltensmodifikation u. v. m. (Schuster, 2020) dem Auftreten von Mobbing vorbeugen bzw. bei Vorliegen von sozialer Ausgrenzung gegensteuern. Stress führt nicht bei allen Individuen gleichermaßen zu Depression. Der Überblicksarbeit von Hyde et al. (2008) zufolge ist das Risiko erhöht bei Vorliegen von „Vulnerabilitäten“. Hierzu zählt zum einen eine geneti‑ sche Disposition (allerdings gilt die genetische Determi‑ niertheit nicht als besonders hoch), aber auch sogenannte dysfunktionale Denkstile. Während manche Personen habituell dazu neigen, Erfolge und Misserfolge selbst‑ wertdienlich zu erklären, nehmen andere Personen für Misserfolge (unangemessen) häufig internale und stabile Ursachenzuschreibungen (wie z. B. auf mangelnde Fä‑
771
18.5 • Resumée und Ausblick
higkeit) vor, während sie sich ihre Erfolge mit beispiels‑ weise Glück (external, variabel) weg-erklären. Wer dazu neigt, Misserfolge – sei es schulische Schwierigkeiten oder soziale Zurückweisungen – internal und stabil zu erklären, erlebt ungünstigere Emotionen und entwickelt weniger Erfolgszuversicht, was zur Entwicklung einer de‑ pressiven Störung maßgeblich beitragen kann. Die päda‑ gogische Arbeit würde in diesem Fall in sogenannten Re‑ attributionstrainings (Försterling, 1985, 1988) bestehen können, bei denen man den Schüler:innen beispielsweise variable Ursachenzuschreibungen wie falsche Strategie oder ungünstige Situation nahelegt. Die Prävention von bzw. Intervention bei Depression im Kindes- und Jugendalter ist nicht nur eine zentrale Aufgabe im pädagogisch-psychologischen Kontext, um das Risiko von Suiziden zu reduzieren, sondern auch das Risiko von komorbiden oder Folgestörungen wie Essoder Angststörungen und selbstverletzendem Verhalten (s. Darstellung in Schuster, 2017). Eine weitere Störung mit hoher Relevanz für den pä‑ dagogisch-psychologischen Kontext ist AD(H)S. Wie‑ wohl bei dieser Störung eine ausgeprägtere genetische Komponente angenommen wird als beispielsweise bei Depression (Petermann, 2013; . Abb. 18.7), zeigt sich, dass viele der diese Störung konstituierenden bzw. aus ihr folgenden Verhaltensweisen durch Veränderungen in der Umwelt modifizierbar sind. Illustrativ ist z. B. die oben bereits angesprochene Studie von Pelham et al. (2014). Mit AD(H)S diagnostizierte Kinder und Jugendliche nahmen über insgesamt 9 Wochen an einem Ferienlager teil, und außenstehende Beobachter:innen protokollierten über die gesamte Zeit hinweg auffälliges Verhalten. Variiert wurde (in unterschiedlicher Reihen‑ folge) die Menge an verabreichtem Methylphenidat – 3 Wochen lang, 15 mg/kg Körpergewicht, 3 Wochen lang 0,30 mg/kg und weitere 3 Wochen 0,60 mg/kg. Darüber hinaus zeigten die Erziehenden 3 Wochen lang „normales“ Betreuer:innenverhalten, 3 Wochen lang waren sie angehalten, sich zu bemühen, die oben ausgeführten Prinzipien der Pädagogischen Verhaltens‑ modifikation umzusetzen, und 3 Wochen lang sollten sie diese Pädagogische Verhaltensmodifikation so systema‑ tisch umsetzen, dass u. a. explizite Kontingenzverträge abgeschlossen wurden. Es zeigte sich, dass sowohl Medikamente als auch Pä‑ dagogische Verhaltensmodifikation positive Auswirkun‑ gen hatten (sogenannte Haupteffekte, d. h., jede Maß‑ nahme erzielte für sich genommen größere Wirkung, je mehr von der Maßnahme umgesetzt wurde). Interessant sind aber die sogenannten Interaktionen (Wechselwir‑ kungen zwischen den beiden Maßnahmen): Erst bei der höchsten Stufe von Medikation konnte kein zusätzlicher Effekt der Pädagogischen Verhaltensmodifikation mehr nachgewiesen werden. Aus diesen und weiteren Studien kann man schließen, dass eine systematische Pädagogi‑ sche Verhaltensmodifikation Mittel der ersten Wahl sein
..Abb. 18.7 Die genetische Komponente bei AD(H)S. (© Karsten Weyershausen/dieKLEINERT/picture alliance)
sollte – wie dies auch die Vereinigung der amerikanischen Psychiater:innen fordert („first line treatment“) –, und Medikamente erst eingesetzt werden sollten, wenn ein solches Umfeld zu Hause und in der Schule nicht syste‑ matisch sichergestellt werden kann. 18.5 Resumée
und Ausblick
Das vorliegende Kapitel hat beispielhaft pädagogischpsychologisches Wissen und dessen Anwendungsrele‑ vanz für Fragen der Erziehung, der Klassenführung und der Gestaltung von Miteinander, der Motivation und Lernen sowie zum Umgang mit Auffälligkeiten ausgeführt. Dieses Wissen ist nicht nur für den genuin pädagogisch-psychologischen Kontext wie Schule und Familie hoch relevant, sondern aus meiner Sicht darüber hinaus für weitere gesellschaftliche Kontexte. Wenn z. B. bei Bürger:innen Verhaltensänderungen er‑ zielt werden sollen (z. B. aktuell in Bezug auf die Ein‑ haltung von Corona-Regeln oder beim Energiesparen), können Überlegungen zur Pädagogischen Verhaltens‑ modifikation in gleicher Weise herangezogen werden wie von einer Lehrkraft im Klassenzimmer, ebenso wie allgemeiner in allen zwischenmenschlichen (und zwi‑ schenstaatlichen) Versuchen, Einfluss auf das Verhalten von Interaktionspartner:innen (oder größere Inter‑ aktions-Einheiten) zu nehmen. Bei der Pädagogischen Psychologie handelt es sich demnach zurecht um eines der drei großen Anwendungsgebiete der Psychologie (s. einleitend), das eine hohe gesellschaftliche Relevanz aufweist.
18
772
Kapitel 18 • Pädagogische Psychologie
18.6 Rückblick 18.6.1 Verständnisfragen 18.1 – Wie gelingt Erziehung? Wie können aus Kindern
und Jugendliche verantwortliche Erwachsene werden, die sich an sozialen und leistungsbezogenen Standards orientieren? 18.2 – Wie kann man Fehlverhalten modifizieren und angemessenes Verhalten wahrscheinlicher machen? 18.3 – Wie kann man mehr Disziplin und eine gute Lern‑ atmosphäre im Klassenzimmer fördern? 18.4 – Wie kann man Mobbing entgegenwirken? 18.5 – Welche Aussagen machen Atkinson und Weiner zu den motivationsrelevanten Emotionen Stolz und Scham? 18.6 – Was bestimmt laut Dweck, ob Personen motiviert sind? 18.7 – Depression im Kindesalter: Was sind die zentralen Merkmale? 18.8 – Maßnahmen bei Depression? 18.6.2 Schlüsselbegriffe
----
Pädagogische Psychologie Erziehung Klassenführung Mobbing Lernen Motivation Auffälligkeiten
18.6.3
18
Master the Material
1. Erziehung: Welche Aussage ist richtig? a. Autoritative Erziehung legt hohen Wert auf Ein‑ haltung vorgegebener Standards, und wenig auf die Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen. b. Autoritativ erzogene Kinder und Jugendliche zei‑ gen auch im Erwachsenenalter eine höhere Ori‑ entierung an moralischen Standards als Personen, die anderen Erziehungsstilen ausgesetzt waren. c. Längsschnittstudien erbrachten die meisten po‑ sitiven Effekte in der Gruppe der permissiv erzo‑ genen Kinder. d. Bei permissiver Erziehung sind beide Dimensio‑ nen, die von Diana Baumrind als wichtig erachtet werden, gering ausgeprägt. 2. Prinzipien der Pädagogischen Verhaltensmodifika‑ tion: Welche Aussage ist richtig? a. Dysfunktionales Verhalten wie z. B. impulsives Unterbrechen kann durch Beachtung von Prin‑
zipien wie „Lob ist wichtiger als Bestrafen“ re‑ duziert werden. b. Um oppositionelles Verhalten im Rahmen einer AD(H)S-Störung zu reduzieren, ist es grund‑ sätzlich wichtig, bei ersten Anzeichen sofort mit klaren und markanten Strafen zu reagieren. c. Die versteckte Verstärkeranalyse ist in Gruppen‑ kontexten notwendig, nicht bei Individuen. d. Das „Prinzip der geringsten Intervention“ weist darauf hin, dass man auch schon bei geringstem Fehlverhalten mit spürbaren Konsequenzen rea‑ gieren sollte. 3. Klassenführung und Mobbing: Welche Aussage ist richtig? a. Nach dem Prinzip der graduellen Eskalation sind größere Übergriffe unwahrscheinlicher, wenn kleinere ohne Konsequenzen durchgeführt wer‑ den durften, da die Frustration schon abgebaut werden konnte. b. Gegenseitige Sympathie oder Antipathie unter Mitschüler:innen ist von der Lehrkraft nicht be‑ einflussbar. c. Überträgt man die Analyse von Festinger, die sei‑ ner Wohnheimstudie zugrunde liegt, dann sollte die Sitzplatzgestaltung im Klassenzimmer einen Einfluss auf Leistung, nicht aber die sozialen Be‑ ziehungen haben. d. Mobbing kann durch Veränderung von situa‑ tionalen Faktoren entgegengewirkt werden, wie z. B. durch häufigeres Aufrufen von einzelnen Personen, worüber höhere Sichtbarkeit von und größere Vertrautheit mit diesen Schüler:innen be‑ wirkt wird (vgl. Befunde zu „mere exposure“) 4. Welche Aussage ist gemäß Atkinson, Dweck und Weiner richtig? a. Erfolgsmotivierte Personen werden Atkinson zufolge durch die Aussicht auf Erfolg motiviert, Aufgaben anzugehen, misserfolgsmotivierte ma‑ chen sich an die Arbeit, um Scham zu vermeiden. b. Erfolgsmotivierte Menschen verstehen Dweck zufolge, dass Intelligenz angeboren und stabil ist. Sie freuen sich deshalb über jede Gelegenheit, ihre angeborene Intelligenz unter Beweis stellen zu können. c. Stolz setzt Weiner zufolge gute Leistung voraus; die ursächliche Erklärung spielt bei dieser Leis‑ tungsemotion keine Rolle. d. Weiner schließt sich Kants Forderung an, dass sich jede:r über gutes Essen freuen sollte. 5. Depression und Leistungsstress: Welche Aussage ist richtig? a. Stress kann einen Risikofaktor für die Entwick‑ lung einer Depression darstellen. b. Stress gehört zum Leben. Zu Depression neigende Kinder und Jugendliche sollten deshalb nicht vor Stress (z. B. Zurückweisung durch Mitschüler:in‑
Weiterführende deutsche Literatur
nen) geschützt werden, sondern müssen lernen, damit umgehen zu können. c. Depression im Kindes- und Jugendalter unter‑ scheidet sich nicht von der Depression im Er‑ wachsenenalter. d. Wie die Studie von u. a. Khanna gezeigt hat, redu‑ zieren viele kleine benotete Leistungserhebungen Stress, da die einzelnen Bewertungen insgesamt weniger Gewicht haben. 6. AD(H)S: Welche Aussage ist richtig? a. Wie u. a. Pelham gezeigt hat, ist Medikation drin‑ gend erforderlich. Alles andere ist Ideologie. b. Die Pelham-Ferienlagerstudien haben gezeigt, dass ausgebildete Erzieher:innen durch ihre rich‑ tige Erziehung Kinder „heilen“ können und nach dem Camp die Störung behoben ist. c. Die Pelham-Studien haben gezeigt, dass Pädago‑ gische Verhaltensmodifikation wirksam ist. Unter anderem deshalb empfiehlt die APA Medikamente nur als Mittel der zweiten Wahl. d. Die Pelham-Studien haben gezeigt, dass zwar Pä‑ dagogische Verhaltensmodifikation etwas nutzt, aber bei AD(H)S Medikamente trotzdem erfor‑ derlich bleiben und entsprechend laut APA Mittel der ersten Wahl sind.
Weiterführende deutsche Literatur Schuster, B. (2017). Pädagogische Psychologie: Lernen, Motivation und Umgang mit Auffälligkeiten. Heidelberg: Springer. Schuster, B. (2020). Führung im Klassenzimmer: Disziplinschwierigkeiten und sozialen Störungen effektiv begegnen – der LMU-Leitfaden für Miteinander im Unterricht (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Urhahne, D., Dresel, M., & Fischer, F. (Hrsg.). (2019). Psychologie für den Lehrberuf. Heidelberg: Springer. Wild, E., & Möller, J. (Hrsg.). (2020). Pädagogische Psychologie (3. Aufl.). Heidelberg: Springer.
773
18
775
Serviceteil Serviceteil 775
Anhang A – Arbeitspsychologie – 776 Directory-1_Backmatter Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie – 791 Glossar – 797 Literatur – 827 Stichwortverzeichnis – 953
© Der/die Autor(en), exklusiv lizenziert an Springer-Verlag GmbH, DE, ein Teil von Springer Nature 2023 D. G. Myers, C. N. DeWall, Psychologie, https://doi.org/10.1007/978-3-662-66765-1
776
Anhang A – Arbeitspsychologie Für die meisten Menschen bedeutet zu leben zu arbeiten. Arbeit ist die wichtigste Wachaktivität im Leben. Arbeit hilft, vielfältige Bedürfnisse zu befriedigen. Arbeit unterstützt uns und sorgt für Nahrung, Wasser und Unterkunft. Arbeit verbindet uns und erfüllt unsere sozialen Bedürfnisse. Arbeit hilft uns, uns zu definieren. Wenn wir jemanden zum ersten Mal begegnen und uns über seine Identität Gedanken machen, fragen wir vielleicht: „Was machst du denn so?“ Aber die Antwort gibt uns vielleicht nur ein unvollständiges Bild vom Leben einer Person. Wir haben viele Motive, die über die Arbeit hinausgehen, darunter den Wunsch nach Familie, Freund:innen und Hobbys. Außerdem unterscheiden wir uns in unserer Arbeitszufriedenheit. An dem Tag, an dem wir aus dem Berufsleben ausscheiden, werden einige von uns traurig von ihrer früheren Arbeitsstelle Abschied nehmen, andere werden froh sein sie loszuwerden. Welche Faktoren beeinflussen unsere Wahrnehmung der Arbeit als einer Tätigkeit, die von Frustration versus Flow gekennzeichnet ist, als notwendige Aufgabe versus sinnvolle Berufung oder als Möglichkeit, das Nötigste zu tun, anstatt unser Potenzial zu maximieren?
Arbeits- und Lebenszufriedenheit Flow bei der Arbeit ?? A-1 Was bedeutet Flow?
Über alle Berufe hinweg haben Menschen unterschiedliche Einstellungen zu ihrer Arbeit. Einige betrachten ihre Arbeit als einen Job, eine wenig erfüllende, aber notwendige Möglichkeit, Geld zu verdienen. Andere sehen ihre Arbeit als Karriere, als eine Möglichkeit, von einer Stelle zur nächsten aufzusteigen. Die übrigen – diejenigen, die ihre Arbeit als Berufung, als erfüllende und gesellschaftlich nützliche Tätigkeit sehen – sind mit ihrer Arbeit und ihrem Leben am zufriedensten (Dik & Duffy, 2012; Wrzesniewski & Dutton, 2001). Dieser Befund würde Mihaly Csikszentmihalyi [chick-SENT-me-hi] (1990, 1999) nicht besonders überraschen. Er beobachtete, dass unsere Lebensqualität steigt, wenn wir zielgerichtet engagiert sind. Zwischen der Angst, überflutet zu werden und gestresst zu sein, und der Apathie durch Unterforderung und Langeweile liegt eine Zone, in der wir Flow erleben. Können Sie sich daran erinnern, dass Sie sich in einem Flow-Zustand befanden, während Sie eine SMS schrieben oder ein Videospiel spielten? Wenn ja, dann können Sie vielleicht mit
den beiden Northwest-Airlines-Piloten mitfühlen, die 2009 so sehr auf ihre Laptops konzentriert waren, dass sie die Nachrichten des Kontrollturms verpassten. Die Piloten flogen 150 Meilen über ihren Zielort Minneapolis hinaus – und verloren ihren Job. Csikszentmihalyi formulierte das Flow-Konzept, nachdem er Künstler:innen beobachtet hatte, die Stunde um Stunde mit fokussierter Konzentration malten oder modellierten. Vertieft in ein Projekt, arbeiteten sie, als ob nichts anderes wichtig wäre, und wenn sie fertig waren, vergaßen sie es sofort wieder. Die Künstler:innen schienen weniger von äußeren Belohnungen angetrieben zu werden – Geld, Lob, Beförderung –, als durch die intrinsischen Belohnungen ihres Kunstschaffens. Fast 200 weitere Studien bestätigen, dass intrinsische Motivation die Leistung steigert (Cerasoli et al., 2014). Flow („flow“) – ein vollständig involvierter, konzentrierter
Zustand, mit vermindertem Bewusstsein für sich selbst und die Zeit; resultiert aus dem vollen Einsatz unserer Fähigkeiten. Csikszentmihalyi untersuchte Tänzerinnen, Schachspieler, Chirurginnen, Schriftsteller, Eltern, Bergsteigerinnen, Segler und Landwirtinnen. Seine Forschung umfasste Menschen aus Australien, Nordamerika, Korea, Japan und Italien. Das Alter der Teilnehmenden reichte von den Teenagerjahren bis ins hohe Alter. Es kristallisierte sich ein klares Prinzip heraus: Es ist aufregend, sich von einer Tätigkeit, die unsere Fähigkeiten voll ausschöpft, mitreißen zu lassen (Fong et al., 2015). Flow-Erfahrungen steigern unser Selbstwertgefühl, unsere Kompetenz und unser Wohlbefinden. Müßiggang mag wie Glückseligkeit klingen, aber zielgerichtete Arbeit bereichert unser Leben. Vielbeschäftigte Menschen sind glücklicher (Hsee et al., 2010; Robinson & Martin, 2008). Ein Forschungsteam hat Menschen bei etwa einer Viertelmillion Gelegenheiten unterbrochen (mithilfe einer Telefon-App) und festgestellt, dass die Gedanken der Menschen in 47 % der Zeit abschweiften. Sie waren im Durchschnitt glücklicher, wenn ihre Gedanken nicht abschweiften (Killingsworth & Gilbert, 2010; Abb. A.1). >>Ist Ihnen schon einmal aufgefallen, dass, wenn Sie in
eine Tätigkeit vertieft sind, die Zeit wie im Flug vergeht? Und dass, wenn Sie auf die Uhr schauen, sie langsamer zu vergehen scheint? Französische Forschende haben bestätigt, je mehr wir auf die Dauer eines Ereignisses achten, desto länger scheint es zu dauern (Couli et al., 2004).
Anhang A – Arbeitspsychologie
777
..Abb. A.1 Gestörtes Leben. Spielen und Kontakte knüpfen online sind eine ständige Quelle der Ablenkung. Es kostet Energie, dem Blick auf das Handy zu widerstehen, und Zeit, um die geistige Konzentration nach jeder Unterbrechung zurückzugewinnen. Solche häufigen Unterbrechungen stören den Arbeitsfluss, daher ist es eine gute Idee, stattdessen regelmäßige Pausen einzuplanen, um aufs Handy zu gucken. (© fizkes/ stock.adobe.com)
Seinen eigenen Flow finden und die Interessen an die Arbeit anpassen
» „Finde einen Job, den du liebst, und du wirst nie einen weiteren Tag deines Lebens arbeiten.“ Facebook-Einstellungsvideo (2016)
Möchten Sie Ihren eigenen Weg zum Flow finden? Sie können damit beginnen, Ihre Stärken und die Tätigkeiten, die sich als befriedigend und erfolgreich erweisen könnten, zu ermitteln. Marcus Buckingham und Donald Clifton (2001) schlagen vor, sich vier Fragen zu stellen: 1. Welche Tätigkeiten bereiten mir Freude? Ordnung in das Chaos bringen? Besuch bewirten? Anderen zu helfen? Nachlässigkeit im Denken zu hinterfragen? 2. Bei welchen Aktivitäten frage ich mich eher: „Wann kann ich das wieder tun?“ als „Wann wird das vorbei sein?“ 3. Welche Art von Herausforderungen genieße ich? Und vor welchen fürchte ich mich? 4. Welche Art von Aufgaben lerne ich leicht? Und mit welchen tue ich mich schwer? Sie werden feststellen, dass Ihre Fähigkeiten gefragt sind und die Zeit wie im Flug vergeht, wenn Sie unterrichten oder verkaufen oder schreiben oder putzen oder trösten oder etwas erschaffen oder reparieren. Wenn sich eine Tätigkeit gut anfühlt, wenn sie Ihnen leicht fällt, wenn Sie sich darauf freuen, dann schauen Sie genauer hin. Sie werden Ihre Stärken bei der Arbeit erkennen (Buckingham, 2007).
Arbeits- und Organisationspsychologie (A/O-Psychologie) („industrial-organizational [I/O] psychology“) – die An-
wendung psychologischer Konzepte und Methoden zur Optimierung des menschlichen Verhaltens an Arbeitsplätzen. Personalpsychologie („personnel psychology“) – ein Teilbereich der A/O-Psychologie, der bei der Arbeitssuche hilft und bei der Rekrutierung, Auswahl, Vermittlung, Ausbildung, Beurteilung und Entwicklung von Mitarbeitenden. Organisationspsychologie („organizational psychology“)
– ein Teilgebiet der A/O-Psychologie, das die organisatorischen Einflüsse auf die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden untersucht und organisatorische Veränderung erleichtert. Human-Factors-Psychologie („human factors psychology“) – ein Teilgebiet der Psychologie, das mit der A/O-
Psychologie verwandt ist und erforscht, wie Menschen und Maschinen interagieren und wie Maschinen und Umgebungen sicher und benutzerfreundlich gestaltet werden können. Tun Sie, was Sie lieben, und Sie werden lieben, was Sie tun. Eine Berufsberatung hat folgende Ziele: Erstens, die unterschiedlichen Werte, Persönlichkeiten und vor allem Interessen der Menschen zu ermitteln, die erstaunlich stabil sind (Dik & Rottinghaus, 2013). (Ihr Job mag sich ändern, aber Ihre Interessen von heute werden wahrscheinlich auch noch in 10 Jahren Ihre Interessen sein.) Zweitens zielt sie darauf ab, Menschen auf gut passende Berufe aufmerksam zu machen – Berufe mit einer guten Passung zwischen Person und Umfeld. Eine
778
Anhang A – Arbeitspsychologie
..Tab. A.1 A/O-Psychologie und Human-Factors-Psychologie bei der Arbeit. Als Wissenschaftlerinnen, Berater und Managementexpertinnen helfen Arbeits- und Organisationspsychologen (A/O-Psychologinnen) Unternehmen bei der Lösung von Konflikten zwischen Familie und Beruf, bei der Mitarbeitendenbindung, sie kümmern sich um das Organisationsklima oder die Verbesserung der Teamarbeit. Human-Factors-Psycholog:innen tragen zur Arbeitssicherheit und zur Designoptimierung bei Personalpsychologie: Das menschliche Potenzial maximieren
Organisationspsychologie: Aufbau besserer Organisationen
Entwicklung von Schulungsprogrammen zur Steigerung des Erfolgs von Arbeitssuchenden
Entwicklung von Organisationen – Analyse von Organisationsstrukturen – Maximierung von Mitarbeitendenzufriedenheit und Produktivität – Erleichterung des organisatorischen Wandels
Auswahl und Vermittlung von Mitarbeitenden – Entwicklung und Erprobung von Beurteilungsinstrumenten für die Auswahl, Vermittlung und Förderung von Arbeitskräften – Analyse von Arbeitsinhalten – Optimierung der Vermittlung von Arbeitskräften Schulung und Entwicklung von Mitarbeitenden – Identifizierung von Bedürfnissen – Schulungsprogramme entwerfen – Evaluierung von Schulungsprogrammen
Verbesserung der Qualität des Arbeitslebens – Erweiterung der individuellen Produktivität – Identifizierung von Elementen der Zufriedenheit – Neugestaltung von Arbeitsplätzen – Vereinbarkeit von Arbeit und Privatleben im Zeitalter der sozialen Medien, Smartphones und anderer Technologien
Leistungsbeurteilung – Entwicklung von Richtlinien – Messung der individuellen Leistung – Messung der organisatorischen Leistung
Human-Factors-Psychologie – Gestaltung optimaler Arbeitsumgebungen – Optimierung der Mensch-Maschine-Interaktion – Entwicklung von Systemtechnologien
Informationen der Society of Industrial and Organizational Psychology. Weitere Informationen über A/O-Psychologie und damit zusammenhängende Beschäftigungsmöglichkeiten finden Sie unter 7 siop.org
Studie untersuchte die Interessen von 400.000 Highschool-Schüler:innen und begleitete sie dann über einen längeren Zeitraum. Die Schlussfolgerung daraus: „Interessen sagen in einzigartiger Weise akademischen und beruflichen Erfolg voraus und übertreffen damit kognitive Fähigkeiten und Persönlichkeit“ (Rounds & Su, 2014). 60 weitere Studien bestätigen dies sowohl für Schüler:innen als auch für Arbeitnehmende: Interessen sagen sowohl Leistung als auch Ausdauer voraus (Nye et al., 2012). Eine mangelnde Passung zur Arbeit kann Frustration hervorrufen, die zu unproduktivem und sogar schädigendem Arbeitsverhalten führen kann (Harold et al., 2016). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was bringt die Erfahrung von Flow in unserer Arbeit?
Arbeits- und Organisationpsychologie ?? A-2 Welches sind die drei wichtigsten Studienbereiche
im Zusammenhang mit der Arbeits- und Organisationspsychologie?
In den Industrieländern hat sich die Arbeit weiterentwickelt, von der Landwirtschaft über die verarbeiten-
den Gewerbe bis hin zur Wissensarbeit. Immer mehr Arbeit wird an Zeitarbeitende und Beratende ausgelagert oder an Arbeitnehmende, die von externen Arbeitsplätzen aus Telearbeit leisten (Allen et al., 2015). So wie sich die Arbeit verändert hat, hat sich auch unsere Einstellung zur Arbeit verändert? Hat unsere Zufriedenheit mit der Arbeit zu- oder abgenommen? Ist der psychologische Vertrag – das Gefühl der gegenseitigen Verpflichtungen zwischen Arbeitnehmenden und Arbeitgebenden – mehr oder weniger vertrauensvoll und sicher geworden? Dies sind einige der Fragen, die Arbeits- und Organisationspsycholog:innen faszinieren, wenn sie die Prinzipien der Psychologie auf den Arbeitsplatz anwenden (Tab. A.1). Das Teilgebiet der A/O-Psychologie, die Personalpsychologie, wendet die Methoden und Prinzipien der Psychologie bei der Auswahl, Platzierung, Schulung und Bewertung von Arbeitnehmenden an. Personalpsycholog:innen bringen Menschen mit Arbeitsplätzen zusammen, indem sie gut geeignete Kandidat:innen identifizieren und vermitteln. Der Teilbereich der Organisationspsychologie befasst sich damit, wie Arbeitsumgebungen und Managementstile die Motivation, Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden beeinflussen. Sie konzentriert sich auf die Anpassung von Arbeitsplätzen und Überwachung in einer Weise, die Moral und Produktivität fördert. Die Human-Factors-Psychologie, die jetzt ein eigenständiges Gebiet ist, das mit der A/O-Psychologie
-
779
Anhang A – Arbeitspsychologie
verbunden ist, erforscht, wie Maschinen und Umgebungen optimal auf die menschlichen Fähigkeiten zugeschnitten werden können. Human-Factors-Psychologen untersuchen die natürlichen Wahrnehmungen und Neigungen der Menschen, um benutzerfreundliche Maschinen und Arbeitsumgebungen zu schaffen.
Können Vorstellungsgespräche die Leistung vorhersagen?
Psycholog:innen unterstützen Unternehmen in verschiedenen Phasen der Auswahl und Beurteilung von Mitarbeitenden. Sie können dabei helfen, die erforderlichen beruflichen Fähigkeiten zu ermitteln, effektive Auswahlmethoden zu entwickeln, geeignete Bewerber:innen zu rekrutieren und zu bewerten, neue Mitarbeiter:innen einzuführen und zu schulen und ihre Leistung zu beurteilen. Sie helfen auch den Arbeitssuchenden. In vier Dutzend Studien haben Schulungsprogramme (die Fähigkeiten zur Arbeitssuche vermitteln, die Selbstpräsentation verbessern, das Selbstvertrauen stärken, die Zielsetzung fördern und Unterstützung einholen) den Erfolg von Arbeitssuchenden fast verdreifacht (Liu et al., 2014)
Zur Personalauswahl gehört in der Regel ein Vorstellungsgespräch. Viele Personalverantwortliche sind davon überzeugt, dass sie die langfristige Leistung von Mitarbeitenden aus einem (unstrukturierten) Vorstellungsgespräch vorhersagen können. Es ist daher schockierend, wie fehleranfällig die Vorstellungsgespräche bei der Vorhersage des Erfolgs im Job oder an der Hochschule sein können. Aus ihrem Review von 85 Jahren Personalauswahlforschung haben die A/O-Psychologen Frank Schmidt und John Hunter (1998; Schmidt, 2002) festgestellt, dass für alle Berufe, mit Ausnahme der weniger qualifizierten, die allgemeinen geistigen Fähigkeiten am besten die Leistung am Arbeitsplatz vorhersagen. Subjektive Gesamtbewertungen aus informellen Gesprächen sind nützlicher als eine Handschriftenanalyse (die wertlos ist). Aber informelle Gespräche sind weniger aussagekräftig als Eignungstests, Arbeitsproben, Tests zum beruflichen Wissen und frühere berufliche Leistungen. Beim Arbeitgeber Google beispielsweise fand man nach der Untersuchung von Tausenden von informellen Gesprächen und späterem Berufserfolg „null Zusammenhang. Es ist ein völliges Durcheinander“ (Bock, 2013). Strukturierte Vorstellungsgespräche können jedoch genauere Vorhersagen liefern.
Stärken für eine erfolgreiche Auswahl nutzen
Unstrukturierte Interviews und die Interviewertäuschung
Als neue Personalleiterin bei AT&T wurde die Psychologin Mary Tenopyr (1997) mit der Lösung eines Problems beauftragt: Kundendienstmitarbeiter:innen versagten in hohem Maße. Nachdem sie zu dem Schluss gekommen war, dass viele der eingestellten Mitarbeitenden den Anforderungen ihrer neuen Stelle nicht gewachsen waren, entwickelte Tenopyr ein neues Auswahlinstrument: 1. Sie bat neue Bewerber:innen, verschiedene Testfragen zu beantworten (ohne wie bisher deren Antworten zu verwenden). 2. Später wurde nachgefasst, um zu beurteilen, welche der Bewerber:innen sich bei der Arbeit besonders hervorgetan hatten. 3. Sie ermittelte die früheren Testfragen, die den Erfolg am besten vorhersagten.
Traditionelle, unstrukturierte Interviews können einen Eindruck von der Persönlichkeit eines Individuums vermitteln – z. B. ihre Ausdrucksfähigkeit, ihre Wärme und ihre verbalen Fähigkeiten. Aber diese informellen Interviews geben den Befragten auch die Möglichkeit, den Eindruck, den sie in der Interviewsituation machen, zu kontrollieren (Barrick et al., 2009). Warum also vertrauen viele Interviewende so sehr auf ihre Fähigkeit, die Eignung einer sich bewerbenden Person für eine Stelle zu erkennen? „Ich habe ausgezeichnete Interviewfähigkeiten“, hören A/O-Beratende oft, „also brauche ich eine Referenzprüfung nicht so sehr, wie jemand, der nicht über meine Fähigkeit verfügt, Menschen zu lesen“. Überbewertung der eigenen Fähigkeit, die Zukunft von Menschen vorherzusagen, wird als Interviewertäuschung („interviewer illusion“) bezeichnet (Dana et al., 2013; Nisbett, 1987). Fünf Faktoren erklären die Selbstüberschätzung von Interviewenden: Interviewende gehen davon aus, dass Menschen so sind, wie sie in der Interviewsituation zu sein scheinen. Ein unstrukturiertes Interview kann einen falschen Eindruck vom Verhalten einer Person gegenüber anderen in verschiedenen Situationen hervorrufen. Einige Befragte können eine gewünschte Haltung vortäuschen, andere können nervös sein. Persönlichkeitspsycholog:innen erklären, dass wir bei Begegnungen
Personalpsychologie ?? A-3 Wie unterstützen Personalpsycholog:innen die
Arbeitssuche, Personalauswahl, Arbeitsvermittlung und Leistungsbeurteilung?
Das erfreuliche Ergebnis ihrer datengestützten Arbeit war ein neuer Test, der es AT&T ermöglichte die erfolgversprechenden Vertreter:innen zu identifizieren. Personalauswahltechniken wie diese zielen darauf ab, Mitarbeitende mit den Stärken einzustellen, die ihnen und ihrem Unternehmen zum Erfolg verhelfen. Wenn man die Stärken von Menschen mit den Aufgaben von Organisationen verbindet, ist das Ergebnis oft Wohlstand und Gewinn.
-
780
Anhang A – Arbeitspsychologie
mit anderen, den enormen Einfluss unterschiedlicher Situationen außer Acht lassen und fälschlicherweise annehmen, dass das, was wir sehen, auch das ist, was wir bekommen werden. Doch Untersuchungen zu allen Aspekten von Gesprächigkeit bis hin zur Gewissenhaftigkeit zeigen, dass unser Verhalten nicht nur unsere dauerhaften Eigenschaften widerspiegelt, sondern auch die Details der jeweiligen Situation (z. B. im Vorstellungsgespräch beeindrucken). Vorurteile und Stimmungen der Interviewenden beeinflussen, wie sie die Antworten der Befragten wahrnehmen (Cable & Gilovich, 1998; Macan & Dipboye, 1994). Wenn Interviewenden eine Person, die ihnen vielleicht ähnlich ist, auf Anhieb sympathisch ist, können sie die Bestimmtheit einer Person eher als „Selbstvertrauen“ denn als „Arroganz“ interpretieren. Wenn ihnen gesagt wird, dass bestimmte Bewerber:innen einer Vorauswahl unterzogen wurden, sind die Interviewenden geneigt, sie wohlwollender zu beurteilen. Interviewende beurteilen Personen im Vergleich zu denen, die kurz vor und nach ihnen interviewt wurden (Simonsohn & Gino, 2013). Wenn Sie ein Vorstellungsgespräch für ein Wirtschaftsstudium oder ein Medizinstudium haben, hoffen Sie auf einen Zeitpunkt, zu dem die anderen Befragten schwach waren. Interviewende verfolgen häufiger die erfolgreichen Karrieren derer, die sie eingestellt haben, als die erfolgreichen Karrieren derjenigen, die sie abgelehnt haben. Dieses fehlende Feedback verhindert, dass die Interviewenden einen Realitätscheck ihrer Auswahlfähigkeit erhalten. Interviews offenbaren die guten Absichten des Befragten, die weniger aufschlussreich sind als gewohnheitsmäßige Verhaltensweisen (Ouellette & Wood, 1998). Absichten sind wichtig. Menschen können sich ändern. Aber der beste Prädiktor für die Person, die wir sein werden, ist die Person, die wir waren. Im Vergleich zu arbeitsscheuen Universitätsstudierenden sind diejenigen, die ihre Aufgaben erfüllen, ein Jahrzehnt und mehr später mit höherer Wahrscheinlichkeit engagierte Arbeitskräfte (Salmela-Aro et al., 2009). In einer Studie über 40 Jahre wuchsen verantwortungsbewusste, leistungsstarke 12-jährige Schüler:innen in der Regel zu erfolgreichen, gut verdienenden erwachsenen Arbeitnehmer:innen heran (Spengler et al., 2015). Wohin wir auch gehen, wir nehmen uns selbst mit.
-
-
» „Zwischen die Idee und die Realität … fällt der Schatten.“ T. S. Eliot (The Hollow Men, 1925)
In der Hoffnung, die Vorhersage und Auswahl zu verbessern, haben Personalpsycholog:innen Menschen in simulierte Arbeitssituationen versetzt, Informationen über frühere Leistungen eingeholt, Bewertungen aus mehreren Gesprächen zusammengetragen, Tests durchgeführt und und berufsspezifische Interviews entwickelt.
Strukturierte Interviews Im Gegensatz zu lockeren Gesprächen, die darauf abzielen, ein Gefühl für eine Person zu bekommen, bieten strukturierte Interviews eine systematische Methode, um Informationen zu sammeln. Ein:e Personalpsycholog:in kann eine Tätigkeit analysieren, Fragen formulieren und die Interviewenden schulen. Die Interviewenden stellen dann allen Bewerber:innen die gleichen Fragen in der gleichen Reihenfolge und bewerten jede Person auf festgelegten Skalen. In einem unstrukturierten Interview könnte jemand fragen: „Wie organisiert sind Sie?“ „Wie gut kommen Sie mit Menschen zurecht?“ oder „Wie gehen Sie mit Stress um?“ Clevere Bewerbende wissen, wie sie punkten können: „Obwohl ich mich manchmal zu sehr anstrenge, gehe ich mit Stress um, indem ich Prioritäten setze und delegiere und mir Zeit für Schlaf und Sport lasse.“ Im Gegensatz dazu werden in strukturierten Vorstellungsgesprächen die Stärken (Einstellungen, Verhaltensweisen, Kenntnisse und Fähigkeiten) herausgearbeitet, die Leistungsträger:innen in einem bestimmten Arbeitsbereich auszeichnen. Dabei werden arbeitsplatzspezifische Situationen skizziert und die Bewerbenden gebeten zu erklären, wie sie diese bewältigen würden und wie sie ähnliche Situationen in ihrer früheren Beschäftigung gemeistert haben. „Erzählen Sie mir von einer Situation, in der Sie zwischen widersprüchlichen Anforderungen feststeckten und keine Zeit hatten, beides zu erledigen. Wie haben Sie das gemeistert?“ In Vorstellungsgesprächen bei Google wurde gefragt: „Nennen Sie mir ein Beispiel, bei dem Sie ein analytisch schwieriges Problem gelöst haben“ (Bock, 2013). Um Erinnerungsverzerrungen und Verzerrungen zu verringern, machen sich Interviewer:innen Notizen, nehmen im Verlauf des Gesprächs Bewertungen vor und vermeiden irrelevante Fragen und Folgefragen. Das strukturierte Interview fühlt sich daher weniger warm an, aber das kann dem Bewerber oder der Bewerberin erklärt werden: „Dieses Gespräch wird nicht typisch dafür sein, wie wir in dieser Organisation miteinander umgehen.“ Eine Überprüfung von 150 Ergebnissen zeigte, dass strukturierte Interviews eine doppelt so hohe Vorhersagegenauigkeit aufweisen wie unstrukturierte Interviews (Schmidt & Hunter, 1998; Wiesner & Cronshaw, 1988). Strukturierte Interviews verringern auch Verzerrungen, z. B. gegenüber übergewichtigen Bewerber:innen (Kutcher & Bragger, 2004). Wenn wir stattdessen unsere Intuitionen den Einstellungsprozess beeinflussen lassen, so Malcolm Gladwell (2000, S. 86), dann „haben wir lediglich das Netzwerk alter Seilschaften, in dem Sie Ihren Neffen einstellten, durch ein neues ersetzt, bei dem Sie denjenigen einstellen, der Sie am meisten beeindruckt hat, als Sie ihm die Hand schüttelten. Sozialer Fortschritt kann, wenn wir nicht aufpassen, lediglich das Mittel sein, mit dem wir das offensichtlich Willkürliche durch das nicht so offensichtlich Willkürliche ersetzen.“ Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Personalpsycholog:innen dabei helfen, Arbeitssuchende zu schulen,
781
Anhang A – Arbeitspsychologie
Lebenslauf
Arbeitsplatzdefinition
Personalauswahl
Einstellung
..Abb. A.2 Personalpsychologie bei der Arbeit. Personalpsycholog:innen beraten im Personalwesen, von der Arbeitsplatzdefinition über die Einstellung bis hin zur Leistungsbeurteilung
Testen
und sie unterstützen Unternehmen bei der Stellenanalyse, der Rekrutierung geeigneter Bewerber:innen und der Auswahl und Vermittlung von Teammitgliedern. Sie beurteilen auch die Leistung der Angestellten (Abb. A.2) – unser nächstes Thema. Strukturiertes Interview („structured interview“) – ein In-
terviewverfahren, bei dem allen Bewerber:innen dieselben stellenrelevanten Fragen gestellt werden, die jeweils auf festgelegten Skalen bewertet werden.
Assessment Center
Zeugnisse
Arbeitsvermittlung
Leistungsbeurteilung
Vorstellungsgespräche
Beurteilung durch vorgesetzte Person
Selbstbeurteilung
Leistungsbeurteilung
Beurteilung durch gleichgestellte Person
Leistungsbeurteilung Die Leistungsbeurteilung dient Unternehmenszwecken: Sie hilft zu entscheiden, wer weiterbeschäftigt werden soll, wie die Mitarbeitenden angemessen zu entlohnen und zu bezahlen sind und wie die Stärken der Arbeitskräfte besser genutzt werden können, manchmal durch Stellenwechsel oder Beförderungen. Die Leistungsbeurteilung dient auch individuellen Zwecken: Das Feedback bestätigt die Stärken der Mitarbeitenden und motiviert zu notwendigen Verbesserungen. Zu den Methoden der Leistungsbeurteilung gehören: Checklisten, auf denen Vorgesetzte einfach bestimmte Verhaltensweisen ankreuzen, die den Arbeitnehmer bzw. die Arbeitnehmerin beschreiben („kümmert sich immer um die Bedürfnisse der Kunden“, „macht lange Pausen“). Grafische Bewertungsskalen, auf denen eine Führungskraft auf einer fünfstufigen Skala ankreuzt, wie oft eine Arbeitskraft zuverlässig, produktiv usw. ist. Verhaltensbewertungsskalen, auf denen eine Führungskraft skalierte Verhaltensweisen ankreuzt, die die Leistung einer Arbeitskraft beschreiben. Wenn eine Führungskraft das Ausmaß bewertet, in dem eine Arbeitskraft „Abläufen folgt“, könnte eine Führungskraft die Arbeitskraft irgendwo zwischen „nimmt oft Abkürzungen“ und „folgt immer den festgelegten Verfahren“ (Levy, 2003) einordnen.
-
In einigen Unternehmen kommt das Leistungsfeedback nicht nur von den Vorgesetzten, sondern auch von allen
Beurteilung durch Kundschaft
Beurteilung durch unterstellte Person
..Abb. A.3 360-Grad-Feedback. Beim 360-Grad-Feedback mit unterschiedlichen Quellen werden unsere Kenntnisse, Fähigkeiten und Verhaltensweisen von uns selbst und andere Personen aus unserem Umfeld bewertet. Professor:innen können z. B. von ihren Abteilungsleiter:innen, ihren Studierenden und ihren Kolleg:innen bewertet werden. Nachdem sie all diese Bewertungen erhalten haben, besprechen die Professor:innen das 360-Grad-Feedback mit ihrem Fachbereichsvorsitz
Organisationsebenen. Wenn Sie in einem Unternehmen arbeiten, das ein 360-Grad-Feedback praktiziert (Abb. A.3), werden Sie sich selbst, Ihre:n Vorgesetzte:n und Ihre anderen Kolleg:innen bewerten, und Sie werden von Ihrer Führungskraft, anderen Kolleg:innen und Kund:innen bewertet (Green, 2002). Das Ergebnis ist oft eine offenere Kommunikation und eine vollständigere Beurteilung. Die Leistungsbeurteilung ist, wie andere soziale Beurteilungen auch, anfällig für Verzerrungen (Murphy & Cleveland, 1995). Halo-Fehler treten auf, wenn die Gesamtbewertung eines Teammitglieds oder einer persönlichen Eigenschaft, wie z. B. Freundlichkeit, die Bewertung spezifischer arbeitsbezogener Verhaltensweisen, wie z. B. die Zuverlässigkeit, verzerrt. Nachsichtigkeitsund Strengefehler spiegeln die Tendenz von Beurteilen-
782
Anhang A – Arbeitspsychologie
..Abb. A.4 Sich gut fühlen und dabei gute Arbeit leisten: Das großartige Experiment. Ende des 18. Jahrhunderts beschäftigte die Baumwollspinnerei in New Lanark, Schottland, mehr als 1000 Arbeitende. Viele von ihnen waren Kinder aus den Armenhäusern von Glasgow. Sie arbeiteten 13 Stunden am Tag und lebten unter erbärmlichen Bedingungen. Bei einem Besuch in Glasgow lernte der gebürtige Waliser Robert Owen – ein idealistischer junger Baumwollspinnereileiter – zufällig die Tochter des Spinnereibesitzers kennen und heiratete sie. Owen und einige Partner:innen kauften die Mühle und begannen am ersten Tag des 19. Jahrhunderts, wie er sagte, „das wichtigste Experiment für das Glück der menschlichen Rasse, das zu irgendeiner Zeit in irgendeinem Teil der Welt eingeführt worden war“ (Owen, 1814). Er stellte fest, dass die Ausbeutung der Arbeit von Kindern und Erwachsenen unglückliche und ineffiziente Angestellte zur Folge hatte. Owen zeigte transformationale Führung, als er zahlreiche Neuerungen einführte: eine Kinderkrippe für Kinder im Vorschulalter, Bildung für ältere Kinder (mit Ermutigung statt körperlicher Züchtigung), freie Sonn-
tage, Gesundheitsfürsorge, bezahlte Krankheitstage, Arbeitslosengeld für Tage, an denen die Fabrik nicht arbeiten konnte, und ein Firmenladen, in dem Waren zu reduzierten Preisen verkauft wurden. Er führte auch ein Programm zur Bewertung von Zielen und Angestellten ein, das detaillierte Aufzeichnungen über die tägliche Produktivität und die Kosten umfasste, aber „keine Schläge, keine Beschimpfungen“. Der darauf folgende kommerzielle Erfolg beflügelte eine humanitäre Reformbewegung. Im Jahr 1816, als noch Jahrzehnte der Rentabilität vor ihm lagen, glaubte Owen, dass er bewiesen hatte, „dass die Gesellschaft so gestaltet werden kann, dass sie ohne Verbrechen, ohne Armut, mit stark verbesserter Gesundheit, mit wenig oder gar keinem Elend, und mit hundertfach gesteigerter Intelligenz und Glück“ funktioniert. Obwohl sich seine utopische Vision nicht erfüllt hat, legte Owens Experiment den Grundstein für Beschäftigungspraktiken, die sich heute in weiten Teilen der Welt durchgesetzt haben. (© Michael Runkel/robertharding/picture alliance)
den wider, entweder zu nachsichtig oder zu streng mit jedem zu sein. Recency-Fehler treten auf, wenn sich die Beurteiler:innen nur auf leicht erinnerbares Verhalten in jüngster Zeit konzentrieren. Durch den Einsatz mehrerer Beurteiler:innen und die Entwicklung objektiver, arbeitsrelevanter Leistungsmaßstäbe versuchen Personalpsycholog:innen, ihre Organisationen zu unterstützen und gleichzeitig den Beschäftigten zu helfen, den Beurteilungsprozess als fair zu empfinden.
Organisationspsychologie
Prüfen Sie Ihr Wissen
– Eine Personaldirektorin erklärt Ihnen: „Ich kümmere mich nicht um Tests oder Referenzen. Es geht nur um das Vorstellungsgespräch.“ Welche Bedenken ergeben sich aus Sicht der A/O-Forschung?
?? A-4 Was ist die Aufgabe von Organisationspsycho-
log:innen?
Es ist wichtig, Mitarbeitende erfolgreich zu rekrutieren, einzustellen, auszubilden und zu beurteilen, aber das gilt auch für Motivation und Moral der Arbeitskräfte. Die Organisationspsychologie hilft bei den Bemühungen, um Mitarbeitende zu motivieren und zu engagieren.
Zufriedenheit und Engagement bei der Arbeit A/O-Psycholog:innen haben herausgefunden, dass die Zufriedenheit mit der Arbeit, und mit der Work-LifeBalance, die Gesamtzufriedenheit mit dem Leben för-
Anhang A – Arbeitspsychologie
783
..Abb. A.5 Ein engagierter Mitarbeiter. Mohamed Mamow wurde von seinem Arbeitgeber zum Treueschwur begleitet, als er die USStaatsbürgerschaft erhielt. Mamow und seine Frau lernten sich in einem somalischen Flüchtlingslager kennen und haben fünf Kinder, die er durch seine Arbeit als Maschinenführer unterstützt. Sich seiner Verantwortung bewusst –„Ich will meinen Job nicht verlieren. Ich habe
eine Verantwortung für meine Kinder und meine Familie.“ – kam er immer eine halbe Stunde früher zur Arbeit und kümmerte sich um jedes Detail seiner Schicht. „Er ist ein äußerst fleißiger Mitarbeiter“, so sein Arbeitgeber, und „eine Mahnung für uns alle, dass wir wirklich gesegnet sind.“ (Roelofs, 2010; © Pablo Martinez Monsivais/AP Photo/picture alliance)
dert (Bowling et al., 2010). Verheiratete Männer und Frauen, die eine:n unterstützende:n Ehepartner:in haben, genießen oft ein gesundes Gleichgewicht zwischen Arbeit und Privatleben, mit Erfolg in beiden Bereichen (Solomon & Jackson, 2014). Darüber hinaus sagen Gesundheitspsycholog:innen, dass geringerer Arbeitsstress, manchmal unterstützt durch Telearbeit, zu einer besseren Gesundheit führt (Allen et al., 2015).
Einige Unternehmen scheinen ein Händchen dafür zu haben, engagiertere und produktivere Arbeitskräfte zu entwickeln. In den Vereinigten Staaten haben die vom Magazin Fortune ermittelten „100 Best Companies to Work For“ auch deutlich überdurchschnittliche Renditen für ihre Investierenden erzielt (Fulmer et al., 2003). Und beachten Sie eine Studie über mehr als 198.000 Beschäftigte in fast 8000 Geschäftseinheiten von 36 großen Unternehmen (darunter etwa 1100 Bankfilialen, 1200 Geschäfte und 4200 Teams oder Abteilungen). James Harter, Frank Schmidt und Theodore Hayes (2002) untersuchten Korrelationen zwischen verschiedenen Maßen des Unternehmenserfolgs und dem Engagement der Beschäftigten – dem Ausmaß des Einsatzes, der Begeisterung und der Identifikation mit ihrem Unternehmen (s. Übersicht). Sie fanden heraus, dass engagierte Beschäftigte (im Vergleich zu unengagierten Beschäftigten, die nur ihre Zeit ableisten) wussten, was von ihnen erwartet wurde, was sie für ihre Arbeit benötigten, sich in ihrer Arbeit erfüllt fühlten, regelmäßig Gelegenheit hatten, das zu tun, was sie am besten können, das Gefühl hatten, Teil von etwas Bedeutendem zu sein, und Möglichkeiten hatten, zu lernen und sich weiterzuentwickeln. Sie fanden auch heraus, dass Geschäftseinheiten mit engagierten Beschäftigten loyalere Kundschaft, niedrigere Fluktuationsraten, höhere Produktivität und größere Gewinne erzielten (Abb. A.5).
» „The only place success comes before work is in the dic-
tionary.“ Der ehemalige Footballtrainer der Green Bay Packers, Vince Lombardi
Zufriedene Arbeitskräfte tragen auch zu erfolgreichen Organisationen bei (Abb. A.4). Positive Stimmung am Arbeitsplatz fördert Kreativität, Ausdauer und Hilfsbereitschaft (Ford et al., 2011; Jeffrey et al., 2014; Shockley et al., 2012). Fehlen engagierte, glückliche Arbeitnehmende auch seltener? Kündigen sie seltener? Neigen sie weniger zu Diebstählen? Sind sie pünktlicher? Produktiver? Statistische Auswertungen früherer Untersuchungen ergaben eine bescheidene positive Korrelation zwischen individueller Arbeitszufriedenheit und Leistung (Judge et al., 2001; Ng et al., 2009; Parker et al., 2003). In einer Analyse von 4500 Beschäftigten in 42 britischen Produktionsunternehmen waren die produktivsten Angestellten diejenigen, die ihr Arbeitsumfeld als zufriedenstellend empfanden (Patterson et al., 2004).
Anhang A – Arbeitspsychologie
784
-
Drei Typen von Mitarbeitenden Engagiert: Sie arbeiten mit Leidenschaft und fühlen sich ihrem Unternehmen oder ihrer Organisation tief verbunden. Nicht engagiert: Sie investieren Zeit, aber nur wenig Leidenschaft oder Energie in ihre Arbeit. Aktiv unengagiert: Unzufriedene Mitarbeitende, die die Leistungen ihrer Kolleg:innen unterminieren. (Informationen von Gallup über Crabtree, 2005)
Aber welche kausalen Faktoren erklären diese Korrelation zwischen Unternehmenserfolg und Mitarbeitendenmoral und ‑engagement? Fördert der Erfolg die Moral oder fördert eine hohe Moral den Erfolg? In einer längsschnittlichen Follow-up-Studie mit 142.000 Arbeitnehmer:innen fand man heraus, dass die Einstellung der Mitarbeiter:innen im Laufe der Zeit den zukünftigen Unternehmenserfolg vorhersagt (eher als umgekehrt; Harter et al., 2010). Viele andere Studien bestätigen, dass zufriedene Arbeitskräfte in der Regel auch gute Arbeitskräfte sind (Ford et al., 2011; Seibert et al., 2011; Shockley et al., 2012). Eine Analyse verglich Unternehmen, die im oberen Viertel in Hinblick auf das Mitarbeitendenengagement liegen, mit solchen, die unter dem Durchschnitt liegen. Über einen Zeitraum von drei Jahren stiegen die Gewinne der Unternehmen mit hoch engagierten Mitarbeitern 2,6-mal schneller (Ott, 2007). Engagierte Angestellte zu haben, zahlt sich aus.
Effektive Führung ?? A-5 Wie können Führungskräfte am effektivsten sein?
Gute Führungskräfte unterstützen das Wohlbefinden ihrer Belegschaft, formulieren klare Ziele und führen auf eine Weise, die der Situation angemessen ist und den kulturellen Kontext berücksichtigt.
Spezifische, herausfordernde Ziele setzen Messbare Ziele, wie z. B. „bis Freitag die Informationen für das Geschichtsreferat zu sammeln“, lenken unsere Aufmerksamkeit und regen uns an, durchzuhalten und kreativ zu sein. Ziele motivieren besonders, wenn sie mit Fortschrittsberichten kombiniert werden (Harkin et al., 2016). Für viele Menschen ist ein besonderes Ereignis – ein besonderer Geburtstag, das neue Jahr oder ein neues Schuljahr, ein Schulabschluss, ein neuer Job – ein Anlass dazu, persönliche Ziele zu setzen (Dai et al., 2014). Aktionspläne, die große Ziele in kleinere Schritte (Unterziele) aufteilen und „Umsetzungsabsichten“ angeben – wann, wo und wie diese Schritte erreicht werden sollen –, erhöhen die Chancen, ein Projekt rechtzeitig abzuschließen (Fishbach et al., 2006; Gollwitzer & Sheeran,
2006). Durch Höhen und Tiefen einer Aufgabe halten wir unsere Stimmung und Motivation am besten aufrecht, wenn wir uns auf unmittelbare Ziele (z. B. das tägliche Lernen) konzentrieren und nicht auf weit entfernte Ziele (z. B. eine Kursnote). Es ist besser, die Nase am Arbeitstisch zu haben, als den ultimativen Erfolg ins Visier zu nehmen (Houser-Marko & Sheldon, 2008). Daher arbeitet unser Team vor Beginn jeder neuen Ausgabe dieses Buches mit Zielvorgaben – wir vereinbaren Fristen für die Fertigstellung und Bearbeitung eines jeden Entwurfs. Wenn wir uns darauf konzentrieren, jedes dieser kurzfristigen Ziele zu erreichen, stellt sich der Preis – ein pünktlich fertiges Buch – von selbst ein. Um also zu hoher Produktivität zu motivieren, arbeiten effektive Führungskräfte mit den Arbeitskräften zusammen, um explizite Ziele, Teilziele und Umsetzungspläne zu definieren und anschließend Feedback zum Fortschritt zu geben.
Auswahl eines angemessenen Führungsstils Effektive Leitende von Laborgruppen, Arbeitsteams und großen Unternehmen strahlen oft Charisma aus (Goethals & Allison, 2014; House & Singh, 1987; Shamir et al., 1993). Menschen mit Charisma haben die Fähigkeit, Menschen zur Zusammenarbeit für ein gemeinsames Ziel zu motivieren (Grabo & van Vugt, 2016).
» „Gute Führungspersönlichkeiten verlangen nicht mehr,
als ihre Mitarbeiter geben können, aber sie fordern – und bekommen – oft mehr als ihre Mitarbeiter zu geben beabsichtigten oder es für möglich hielten, zu geben.“ John W. Gardner (Exzellenz, 1984)
Obwohl charismatische Führungspersönlichkeiten inspirieren können, variiert Führung – die Fähigkeit, Menschen zu motivieren und zu beeinflussen, um den Erfolg ihrer Gruppe zu ermöglichen, in Abhängigkeit sowohl von der Führungsperson wie von der Situation. In manchen Situationen (man denke an Befehlshaber:innen, die Truppen in die Schlacht führen) kann ein direktiver Stil erforderlich sein (Fiedler, 1981). In anderen Situationen – z. B. bei der Entwicklung einer Comedy-Show – kann eine Führungskraft mit einem demokratischen Stil, der die Kreativität der Teammitglieder fördert, bessere Ergebnisse erzielen. Führung („leadership“) – die Fähigkeit einer Person, an-
dere zu motivieren und zu beeinflussen, damit sie zum Erfolg ihrer Gruppe beitragen. Aufgabenorientierte Führung („task leadership“) – Zielorientierte Führung, die Standards setzt, die Arbeit organisiert und die Aufmerksamkeit auf Ziele lenkt. Soziale Führung („social leadership“) – gruppenorientiert Führung, die Teamarbeit fördert, Konflikte schlichtet und Unterstützung bietet.
Anhang A – Arbeitspsychologie
Führungskräfte unterscheiden sich in ihren persönlichen Qualitäten, die sie für ihre Position mitbringen. Einige zeichnen sich durch die aufgabenorientierte Führung aus, indem sie Standards setzen, die Arbeit organisieren und die Aufmerksamkeit auf Ziele lenken. Um die Gruppe auf ihre Aufgabe zu konzentrieren, verwenden sie in der Regel einen direktiven Stil, der gut funktionieren kann, wenn die Führungskraft gute Handlungsanweisungen gibt (Fiedler, 1987). Andere Führungskräfte zeichnen sich durch soziale Führung aus. Sie erläutern Entscheidungen, helfen Gruppenmitgliedern, ihre Konflikte zu lösen und Teams aufzubauen, die gut zusammenarbeiten (Evans & Dion, 1991; Pfaff et al., 2013). Soziale Führungskräfte, von denen viele Frauen sind, haben oft einen demokratischen Stil. Sie teilen Autorität und begrüßen die Meinungen der Teammitglieder. Soziale Führung und Teambildung steigern die Arbeitsmoral und Produktivität (Shuffler et al., 2011, 2013). Wir fühlen uns in der Regel zufriedener und motivierter und erbringen bessere Leistungen, wenn wir an der Entscheidungsfindung teilnehmen können (Cawley et al., 1998; Pereira & Osburn, 2007). Außerdem lösen Gruppen Probleme mit größerer „kollektiver Intelligenz“, wenn die Mitglieder füreinander sensibel sind und sich gleichberechtigt beteiligen (Woolley et al., 2010). In einer Studie mit 50 niederländischen Unternehmen stellte sich heraus, dass die Firmen mit der höchsten Arbeitsmoral Führungskräfte hatten, die ihre Teams am meisten dazu animierten, „ihre Eigeninteressen zum Wohle des Kollektivs zu überwinden“ (de Hoogh et al., 2004). Eine solche transformationale Führung motiviert andere dazu, sich mit dem Auftrag der Gruppe zu identifizieren und sich für ihn einzusetzen. Transformationale Führungskräfte, von denen viele von Natur aus extravertiert sind, formulieren hohe Standards, inspirieren Menschen, ihre Vision zu teilen, und bieten persönliche Aufmerksamkeit (Bono & Judge, 2004). Das Ergebnis sind häufig engagiertere, vertrauensvollere und effektivere Angestellte (Turner et al., 2002). Frauen neigen mehr als Männer dazu, transformationale Führungsqualitäten zu zeigen. Alice Eagly (2007, 2013) glaubt, dass dies erklärt, warum Unternehmen mit Frauen in den höchsten Managementpositionen in der Regel bessere Finanzergebnisse erzielen, selbst wenn man Variablen wie die Unternehmensgröße kontrolliert. Studien in Indien, Taiwan und dem Iran legen nahe, dass effektive Manager:innen – ob in Kohlebergwerken, Banken oder Regierungsstellen – oft ein hohes Maß an sowohl aufgabenorientierter wie sozialer Führung aufweisen (Smith & Tayeb, 1989). Als leistungsorientierte Menschen ist es effektiven Führungskräften wichtig, dass die Arbeit gut gemacht wird, aber sie sind auch sensibel für die Bedürfnisse der Teammitglieder. Beschäftigte in familienfreundlichen Unternehmen, die flexible Arbeitszeiten anbieten, berichten von einer größeren Arbeitszufriedenheit und Loyalität gegenüber ihrem Arbeitgeber oder ihrer
785
..Abb. A.6 Die Kraft des positiven Coachings. Football-Trainer Pete Carroll, der die University of Southern California zu zwei nationalen Meisterschaften und die Seattle Seahawks zu einer Super-Bowl-Meisterschaft geführt hat, verbindet positive Begeisterung und Spaß am Training mit „einem Engagement für ein förderliches Umfeld, das es den Leuten erlaubt, sie selbst zu sein, während sie dennoch für das Team verantwortlich sind“ (Trotter, 2014). „Es zeigt, dass man mit Positivität gewinnen kann“, bemerkte Seahawk-Star-Defensivspieler Richard Sherman. „Es ist buchstäblich nur positive Verstärkung“, sagte Teamkollege Jimmy Graham (Belson, 2015; © Elaine Thompson/AP Photo/picture alliance)
Arbeitgeberin (Butts et al., 2013; Roehling et al., 2001). Im Laufe der Zeit wurden US-Senator:innen, die gemeinsame Tugenden (Bescheidenheit, Weisheit, Mut) in Führungspositionen pflegten, einflussreicher als diejenigen, die Manipulation und Einschüchterung praktizieren (ten Brinke et al., 2016). Soziale Tugenden wirken (Abb. A.6). Positive Verstärkung Erfolgreiche Führung beruht oft
auf dem Grundprinzip der operanten Konditionierung: Um ein Verhalten zu erlernen, muss man eine Person dabei erwischen, wie sie etwas richtig macht, und es verstärken. Das klingt einfach, aber viele Manager:innen sind wie Eltern, die, wenn ihr Kind ein fast perfektes Zeugnis nach Hause bringt, sich auf die eine schlechte Note in Biologie konzentrieren und den Rest ignorieren. „65 Prozent der Amerikaner:innen erhielten im letzten Jahr KEIN Lob oder keine Anerkennung am Arbeitsplatz“, berichtet die Gallup Organization (2004). Das Bedürfnis nach Zugehörigkeit befriedigen Ein Arbeits-
umfeld, das das Bedürfnis der Mitarbeitenden nach Zugehörigkeit befriedigt, wirkt anregend. Angestellte, die gute Beziehungen zu ihrem Kollegium haben, gehen mit mehr Elan an ihre Arbeit (Carmeli et al., 2009). Gallup-Forschende haben mehr als 15 Mio. Arbeitskräfte weltweit gefragt, ob sie eine:n „beste:n Freund:in bei der Arbeit“ haben. Die 30 %, die das bejahen, „sind 7-mal so häufig in ihrem Job engagiert“ als diejenigen, die verneinen, berichten Tom Rath und James Harter (2010).
786
Anhang A – Arbeitspsychologie
..Abb. A.7 (Anthony Taber/ The New Yorker Collection/The Cartoon Bank)
Und wie wir bereits erwähnt haben, sind positive, engagierte Mitarbeiter:innen ein Zeichen für florierende Organisationen. Mitarbeitendenbeteiligung Die Beteiligung der Arbeit-
nehmer:innen an der Entscheidungsfindung ist in Schweden, Japan, den Vereinigten Staaten und anderswo üblich (Cawley et al., 1998; Sundstrom et al., 1990). Angestellte, die die Möglichkeit haben, ihre Meinung zu äußern und am Entscheidungsprozess teilzunehmen, reagierten positiver auf die endgültige Entscheidung (van den Bos & Spruijt, 2002; Abb. A.7). Sie fühlen sich auch stärker befähigt und sind daher wahrscheinlich kreativer und engagierter (Hennessey & Amabile, 2010; Seibert et al., 2011). Das Nonplusultra der Arbeitnehmendenbeteiligung ist das Unternehmen im Besitz der Arbeitnehmer:innen. Ein solches Unternehmen in meiner [DMs] Stadt ist die Fleetwood Group – ein florierender Hersteller von Lehrmobiliar und drahtlosen elektronischen Geräten, der 165 Menschen beschäftigt. Jede:r Mitarbeiter:in besitzt einen Teil des Unternehmens und als Gruppe gehören den Mitarbeitenden 100 %. Der persönliche Firmenanteil wächst mit den Jahren der Unternehmenszugehörigkeit, aber niemand besitzt mehr als 5 %. Wie jeder Firmenvorstand arbeitet auch die Geschäftsführung von Fleetwood für ihre Anteilsinhaber:innen, die zufällig auch ihre Angestellten sind. Als Unternehmen, das eine von Vertrauen inspirierte dienende Führung sowie „Respekt und Fürsorge für jedes Teammitglied und jeden Eigentümer“ befürwortet, steht es Fleetwood frei, den Menschen über den Gewinn zu stellen. Deshalb, als die Aufträge während einer Rezession zurückgingen, beschlossen die Mitarbeiter:innen/ Eigentümer:innen, dass die Sicherheit des Arbeitsplatzes mehr bedeutet als Gewinne. Also bezahlte das Unternehmen ansonsten untätige Angestellte für gemeinnützige Tätigkeiten wie Telefondienst bei gemeinnützigen Orga-
nisationen und den Bau von „Habitat for Humanity“Häusern. Mitarbeitendenbeteiligung zieht talentierte Leute an und hält sie im Unternehmen, was für Fleetwood den Erfolg des Unternehmens bedeutet.
Kulturelle Einflüsse auf Führungsstile ?? A-6 Welche kulturellen Einflüsse müssen bei der Wahl
eines effektiven Führungsstils berücksichtigt werden?
Die Arbeits- und Organisationspsychologie hat ihre Wurzeln in Nordamerika. Wie gut lassen sich also ihre Führungsprinzipien auf globale Kulturen übertragen? Weltweit haben Forschende das Projekt GLOBE (Global Leadership and Organizational Behavior Effectiveness) durchgeführt, um kulturelle Unterschiede in den Erwartungen an die Führungskraft zu untersuchen (House et al., 2001). Einige Kulturen fördern zum Beispiel die gemeinsame Nutzung von Ressourcen und Belohnungen; andere sind eher individualistisch. In einigen Kulturen werden die Geschlechterrollen heruntergespielt, in anderen werden sie betont. Manche Kulturen legen Wert auf Freundlichkeit, Fürsorge und Güte, und andere fördern Aggressivität. In der ersten Forschungsphase des Programms wurden 17.300 Führungskräfte von 950 Organisationen in 61 Ländern untersucht (Brodbeck et al., 2008; Dorfman et al., 2012). Ein Ergebnis: Führungskräfte, die die Erwartungen erfüllen, etwa indem sie in einigen Kulturen direktiv, in anderen partizipativ agieren, sind tendenziell erfolgreich. Kulturen prägen Führung und was Führungserfolg ausmacht. Dennoch sind einige Verhaltensweisen von Führungskräften universell effektiv. In ihrer umfangreichen Studie von fast 50.000 Geschäftsbereichen in 45 Ländern hat die Gallup festgestellt, dass erfolgreiche Unternehmen sich darauf konzentrieren, die Stärken ihrer Belegschaft zu erkennen und zu fördern (anstatt ihre Schwächen zu
Anhang A – Arbeitspsychologie
787
bestrafen). Auf diese Weise lassen sich ein höheres Engagement, eine höhere Zufriedenheit der Kundschaft und eine höhere Rentabilität vorhersagen (Rigoni & Asplund, 2016a,b). Eine „stärkenbasierte“ Führung zahlt sich aus. Indem sie sich um ihre Mitarbeitenden kümmern und ihre Stärken fördern, sorgen diese Führungskräfte für zufriedenere, kreativere und produktivere Angestellte mit weniger Fehlzeiten und weniger Fluktuation (Amabile & Kramer, 2011; De Neve et al., 2013). Darüber hinaus wirken sich dieselben Prinzipien auf die Zufriedenheit, die Bindung und den künftigen Erfolg aus (Larkin et al., 2013; Ray & Kafka, 2014). Studierende, die sich von fürsorglichen Freund:innen und Mentor:innen unterstützt fühlen und sich in ihrem Campusleben engagieren, sind in der Regel während der Studienzeit und nach dem Studienabschluss erfolgreich. Prüfen Sie Ihr Wissen
– Welche Eigenschaften sind für transformationale Führungskräfte wichtig?
Human-Factors-Psychologie ?? A-7 Wie arbeiten Human-Factors-Psycholog:innen,
um Maschinen und Arbeitsumgebungen benutzerfreundlich zu gestalten?
Bei der Designentwicklung wird der Faktor Mensch manchmal vernachlässigt. Der Kognitionswissenschaftler Donald Norman (2001) beklagte sich über die Schwierigkeit, seinen neuen HDTV, die dazugehörigen Komponenten und 7 Fernbedienungen zu einem brauchbaren Gerät zusammenzubauen: „Ich war Vizepräsident für fortgeschrittene Technologie bei Apple. Ich kann Dutzende von Computern in Dutzenden von Sprachen programmieren. Ich verstehe etwas vom Fernsehen, wirklich, das tue ich … Aber das spielt keine Rolle: Ich bin überfordert.“ Human-Factors-Psycholog:innen arbeiten mit Designer:innen und Ingenieur:innen zusammen, um Geräte, Maschinen und Arbeitsumgebungen an unsere natürlichen Wahrnehmungen und Vorstellungen anzupassen. Bankautomaten sind im Inneren komplexer als Fernbedienungen jemals waren, aber dank Human-FactorsEngineering, sind Geldautomaten leichter zu bedienen. Digitalrekorder haben das Problem der Fernsehaufzeichnung mit einem einfachen Auswahlmenü gelöst („Nimm das auf“). Apple hat mit dem iPhone und dem iPad eine ähnlich einfache Benutzerfreundlichkeit geschaffen. Bei Handhelds und mobilen Technologien wird zunehmend auf haptisches (berührungsbasiertes) Feedback zurückgegriffen – das Entsperren eines Telefons mit einem Daumenabdruck, das Teilen des Herzschlags über eine Smartwatch oder GPS-Richtungsanweisungen („Links
..Abb. A.8 Produkte so gestalten, dass sie zum Menschen passen. Donald Norman, Experte für Human Factors, sammelt Beispiele für effektiv gestaltete Produkte. Der OXO-Handrührer mit rutschfesten Griffflächen ermöglicht das Schlagen von Sahne, Eischnee und leichten Teigen ohne Strom und, durch die Möglichkeit zum Aufsetzen auf dem Rührgefäß, auch ohne müde Arme. (© Frank Rumpenhorst/dpa/picture alliance)
abbiegen“-Pfeil), die mit am Handgelenk getragenen Geräten auf die Haut „gezeichnet“ werden. Norman betreibt eine Website (jnd.org, Abb. A.8), auf der gute Designs vorgestellt werden, die zu den Menschen passen. Human-Factors-Psycholog:innen helfen auch bei der Gestaltung effizienter Umgebungen. Forschende haben herausgefunden, dass ein ideales Küchenlayout die benötigten Gegenstände in der Nähe ihres Einsatzortes und in Augenhöhe platziert. Die Arbeitsbereiche werden so angeordnet, dass die Aufgaben in der richtigen Reihenfolge erledigt werden können, z. B. indem Kühlschrank, Herd und Spüle in einem Dreieck angeordnet werden. Es werden Arbeitsflächen geschaffen, die es den Händen ermöglichen, auf oder knapp unter Höhe des Ellenbogens arbeiten können (Boehm-Davis, 2005). Das Verständnis der menschlichen Faktoren kann dazu beitragen, Unfälle zu vermeiden. Durch die Untersuchung der menschlichen Faktoren bei Verkehrsunfällen suchen Psycholog:innen nach Wegen, um Ablenkungen,
788
Anhang A – Arbeitspsychologie
10
Flughöhe in Tausend Fuß
8
Von Pilot:innen wahrgenommener Sinkflugpfad
6 Flughöhe sieht so viel höher aus
4 2 0
Tatsächlicher Sinkflugpfad
20 18 16 14 12 10
8
6
4
2
0
Entfernung von der Landebahn in Meilen ..Abb. A.9 Der menschliche Faktor bei Unfällen. Als Pilot:innen am Flugsimulator eine Nachtlandung übten und sich von einer dunklen Fläche kommend der Landebahn näherten, fehlte es ihnen an Merkmalen zum Einschätzen der Entfernung. Sie neigten deshalb dazu, zu niedrig zu fliegen. (Daten aus Kraft, 1978)
Müdigkeit und Unaufmerksamkeit zu verringern, die zu 1,25 Mio. Verkehrstoten pro Jahr weltweit beitragen (WHO, 2016a). Mindestens zwei Drittel der Unfälle in der kommerziellen Luftfahrt sind auf menschliches Versagen zurückzuführen (Shappell et al., 2007). Nach Aufnahme des kommerziellen Flugbetriebs in den 1960er Jahren war die Boeing 727 in mehrere Landeunfälle verwickelt, die durch Pilot:innenfehler verursacht wurden. Der Psychologe Conrad Kraft (1978) stellte ein gemeinsames Merkmal dieser Unfälle fest: Alle ereigneten sich nachts und alle kurz vor der Landebahn, nachdem eine dunkle Wasserfläche oder unbeleuchteter Boden überquert wurde. Kraft schlussfolgerte, dass die Lichter der Stadt jenseits der Landebahn bei ansteigendem Gelände ein größeres Bild auf die Netzhaut projizieren, sodass der Boden weiter entfernt erscheint, als er ist. Indem er diese Bedingungen in Flugsimulationen nachstellte, entdeckte Kraft, dass Pilot:innen getäuscht wurden, indem sie glaubten, höher zu fliegen, als sie tatsächlich waren (Abb. A.9). Aufgrund von Krafts Erkenntnissen verlangten die Fluggesellschaften, dass der Kopilot oder die Kopilotin den Höhenmesser überwacht und die Höhe während des Sinkflugs ansagt – und die Unfälle gingen zurück. Human-Factors-Psycholog:innen können uns auch dabei helfen, in anderen Umgebungen zu funktionieren. Denken Sie an die unterstützende Hörtechnologie, die in verschiedenen Theatern, Auditorien und Gotteshäusern verfügbar ist. Eine Technologie, die in den Vereinigten Staaten weit verbreitet ist, erfordert ein Headset, das an einen Empfänger im Taschenformat angeschlossen wird. Die wohlmeinenden Menschen, die diese Systeme anbieten, sind sich darüber im Klaren, dass die Technologie den Ton direkt in die Ohren des Benutzers oder der Benutzerin bringt. Leider machen sich nur wenige Menschen mit Hörverlust den Aufwand und die Unannehmlichkeiten, ein
..Abb. A.10 Der menschliche Faktor bei sicheren Landungen. Ein fortschrittliches Cockpitdesign und eingespielte Notfallverfahren halfen dem Piloten Chesley „Sully“ Sullenberger, einem Absolventen der U.S. Air Force Academy, der einen Master-Abschluss in Arbeitspsychologie hat. Im Jahr 2009 leiteten Sullenbergers blitzschnelle Entscheidungen sein beschädigtes Flugzeug erfolgreich auf den Hudson River in New York City, wo alle 155 Reisenden und Besatzungsmitglieder sicher evakuiert wurden. (© Jason DeCrow/ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
auffälliges Headset zu finden, anzufordern, zu tragen und zurückzugeben. Die meisten dieser Geräte stehen daher in Schränken. Großbritannien, die skandinavischen Länder, Australien und jetzt auch viele Teile der Vereinigten Staaten haben stattdessen Systeme installiert (s. hearingloop. org), die den individuellen Ton direkt über das eigene Hörgerät übertragen. Wenn es entsprechend ausgestattet ist, kann ein Hörgerät durch einen diskreten Knopfdruck in einen individuellen Im-Ohr-Lautsprecher verwandelt werden. Wenn man ihnen bequeme, unauffällige, auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene Klänge anbietet, entscheiden sich viel mehr Menschen für die Nutzung von Hörhilfen.
» „Je besser man etwas weiß, desto weniger erinnert man
sich daran, wie schwer es zu lernen war.“ Psychologe Steven Pinker (The Sense of Style, 2014)
Designs, die eine sichere, einfache und effektive Interaktion zwischen Mensch und Technik ermöglichen,
Anhang A – Arbeitspsychologie
scheinen im Nachhinein oft selbstverständlich. Warum sind sie dann nicht häufiger anzutreffen? Technologieentwickler:innen, wie wir alle, gehen manchmal fälschlicherweise davon aus, dass andere ihr Fachwissen teilen – dass das, was für sie klar ist, auch für andere klar ist (Camerer et al., 1989; Nickerson, 1999). Wenn Menschen mit den Fingerknöcheln auf einen Tisch klopfen, um eine bekannte Melodie zu erzeugen (versuchen Sie das mal mit einem Freund oder einer Freundin), erwarten sie oft, dass ihr:e Zuhörer:in sie erkennt. Aber für den Zuhörer bzw. die Zuhörerin ist dies eine fast unmögliche Aufgabe (Newton, 1991). Wenn man eine Sache kennt, ist es schwer mental zu simulieren, wie es ist, etwas nicht zu wissen, und das nennt man den Fluch des Wissens. Merken Sie sich: Alle profitieren davon, wenn Designer:innen und Ingenieur:innen Maschinen, Technologien und Umgebungen an die menschlichen Fähigkeiten und Verhaltensweisen anpassen, wenn sie ihre Arbeit vor der Produktion und Verbreitung testen und wenn sie den Fluch des Wissens im Hinterkopf behalten (Abb. A.10). Prüfen Sie Ihr Wissen
– Was ist der Fluch des Wissens und was hat er mit der Arbeit von Human-Factors-Psycholog:innen zu tun?
Rückblick: Arbeitspsychologie Verständnisfragen A.1 – Was bedeutet Flow? A.2 – Welches sind die drei wichtigsten Studienbereiche
im Zusammenhang mit der Arbeits- und Organisationspsychologie? A.3 – Wie unterstützen Personalpsycholog:innen die Arbeitssuche, Personalauswahl, Arbeitsvermittlung und Leistungsbeurteilung? A.4 – Was ist die Aufgabe von Organisationspsycholog:innen? A.5 – Wie können Führungskräfte am effektivsten sein? A.6 – Welche kulturellen Einflüsse müssen bei der Wahl eines effektiven Führungsstils berücksichtigt werden? A.7 – Wie arbeiten Human-Factors-Psycholog:innen, um Maschinen und Arbeitsumgebungen benutzerfreundlich zu gestalten?
---
Schlüsselbegriffe Flow Arbeits- und Organisationspsychologie Personalpsychologie Organisationspsychologie
789
---
Human-Factors-Psychologie Strukturiertes Interview Führung Aufgabenbezogene Führung Soziale Führung
Master the Material 1. Menschen, die ihre Arbeit als Berufung betrachten, erleben oft ___, einen konzentrierten Bewusstseinszustand, mit einem verminderten Bewusstsein für sich selbst und für die Zeit. 2. ___-Psycholog:innen helfen bei der Arbeitssuche, und bei der Einstellung, Auswahl, Vermittlung, Ausbildung, Beurteilung und Entwicklung von Mitarbeitenden; ___-Psycholog:innen konzentrieren sich darauf, wie Menschen und Maschinen interagieren, und auf die Optimierung von Geräten und Arbeitsumgebungen. 3. Eine Personalpsychologin hat einen Fragenkatalog erstellt, der allen Bewerber:innen für eine offene Stelle vorgelegt werden soll. Sie schulte dann die Interviewer des Unternehmens, nur diese Fragen zu stellen, sich Notizen zu machen und die Antworten der Bewerber:innen zu bewerten. Diese Technik ist bekannt als(n) … a. strukturiertes Vorstellungsgespräch. b. unstrukturiertes Gespräch. c. Checkliste für die Leistungsbeurteilung. d. Verhaltensbewertungsskala. 4. In Ihrem Beruf bewerten Sie Ihre eigene Leistung, die Ihrer Führungskraft, und die Ihrer Teammitglieder. Ihre Führungskraft, Ihr Kollegium und Ihre Kundschaft bewerten ebenfalls Ihre Leistung. Ihr Unternehmen verwendet eine Form der Leistungsbeurteilung namens … a. Flow-Verfahren. b. grafisches Feedback. c. strukturierte Gespräche. d. 360-Grad-Feedback. 5. Welche Art von Zielen hilft Ihnen am besten, konzentriert und motiviert zu bleiben, um Ihre beste Arbeit in diesem Kurs zu leisten? 6. Untersuchungen zeigen, dass Frauen oft soziale Führungspersönlichkeiten sind. Sie sind auch eher als Männer in der Lage, einen ___ Führungsstil zu haben. 7. Effektive Manager zeigen oft … a. nur aufgabenorientierte Führung. b. nur soziale Führung. c. sowohl aufgabenorientierte als auch soziale Führung, je nach Situation und der Person. d. aufgabenorientierte Führung für den Aufbau von Teams und soziale Führung beim Setzen von Standards.
790
Anhang A – Arbeitspsychologie
8. Human-Factors-Psycholog:innen konzentrieren sich hauptsächlich auf … a. Ausbildung und Entwicklung von Mitarbeitenden. b. die Beurteilung der Leistung von Mitarbeitenden. c. Maximierung der Mitarbeitendenzufriedenheit. d. Verbesserung der Gestaltung von Maschinen und Umgebungen.
Weiterführende deutsche Literatur Kals, E., & Gallenmüller-Roschmann, J. G. (2017). Arbeits- und Organisationspsychologie kompakt (3. Aufl.). Weinheim: Beltz. Kauffeld, S. (2019). Arbeits-, Organisations- & Personalpsychologie für Bachelor (3. Aufl.). Heidelberg: Springer. Kirchler, E. (2011). Arbeits- und Organisationspsychologie (3. Aufl.). Stuttgart: UTB. Moser, H. (2015). Wirtschaftspsychologie (2. Aufl.). Heidelberg: Springer. Nerdinger, F. W., Blickle, G., & Schaper, N. (2019). Arbeits- und Organisationspsychologie (4. Aufl.). Heidelberg: Springer. v. Rosenstiel, L., & Nerdinger, F. W. (2011). Grundlagen der Organisationspsychologie. Basiswissen und Anwendungshinweise (7. Aufl.). Stuttgart: Schäffer-Poeschel. Schuler, H., & Moser, K.(Hrsg.). (2019). Lehrbuch Organisationspsychologie (5. Aufl.). Göttingen: Hogrefe. Wiswede, G. (2021). Einführung in die Wirtschaftspsychologie (6. Aufl.). Stuttgart: UTB.
791
Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie Jennifer Zwolinski
Was können Sie mit einem Abschluss in Psychologie machen? Eine ganze Menge! Als Psychologiestudierende werden Sie Ihr Studium mit einer wissenschaftlichen Perspektive und einem Be‑ wusstsein für die grundlegenden Prinzipien menschlichen Erlebens und Verhaltens (biologische Mechanismen, Entwicklung, Kognition, psychologische Störungen, soziale Interaktion) abschließen. Dieses Wissen liefert Ihnen eine solide Grundlage für den erfolgreichen Be‑ rufsweg in einer ganzen Reihe von Fachgebieten, z. B. in der Wirtschaft, in helfenden Berufen, im Gesundheits‑ wesen, in Marketing, Recht, Verkauf und Lehre. Sie kön‑ nen außerdem Weiterbildungen machen, um Expertise
in einem bestimmten Gebiet der Psychologie zu erwer‑ ben. Im vorliegenden Beitrag erhalten Sie einen Über‑ blick über die einzelnen Arbeitsfelder der Psychologie.1 Außerdem finden Sie Informationen zu Berufsmöglich‑ keiten in der Psychologie im Job-Portal „PsychJobs“ (http://www.hogrefe.de/psychjob), wo Sie mehr über die 1 Der vorliegende Text basiert auf amerikanischen Daten, die In‑ formationen zu Ausbildungsmöglichkeiten, Vereinigungen sowie zum aktuellen Stand auf dem Arbeitsmarkt beziehen sich aber auf Deutschland. Die Beschreibungen der einzelnen Arbeitsfelder der Psychologie sind dabei weitgehend auf Deutschland übertragbar mit der Ausnahme der Gesellschaftspsychologie, die in Deutschland nicht durch eine ausgewiesene Fächergruppe der DGPs vertreten ist.
..Tab. B.1 Fachgruppen der DGPs. (Deutsche Gesellschaft für Psychologie e. V., 2013) Fachgruppe
Inhalte
Allgemeine Psychologie
Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Denken, Sprache, Lernen, Gedächtnis, Motivation und Emotion
Arbeits‑, Organisationsund Wirtschaftspsychologie
Wechselbeziehungen zwischen Arbeits- und Organisationsbedingungen und menschlichem Erleben und Verhalten
Biologische Psychologie und Neuropsychologie
Biopsychologie: anatomische und physiologische Grundlagen menschlichen Verhaltens und Er‑ lebens sowie physiologische Effekte psychologischer Prozesse Neuropsychologie: neuronale Bedingungen psychologischer Prozesse
Differenzielle Psychologie, Persönlichkeitspsychologie und psychologische Diagnostik
Persönlichkeitspsychologie und Differenzielle Psychologie: individuelle Besonderheiten und inter‑ individuelle Unterschiede Psychologische Diagnostik: Anwendung psychologischen Wissens auf den Einzelfall; Beschrei‑ bung, Erklärung und Prognose von Verhalten
Entwicklungspsychologie
Veränderungsprozesse über die Lebensspanne (inkl. Gerontopsychologie: Besonderheiten psy‑ chischer Funktionen im höheren Alter)
Geschichte der Psychologie
Historische Entwicklung der Psychologie als eigenständige Wissenschaft
Gesundheitspsychologie
Personale, soziale und strukturelle Einflussfaktoren auf die körperliche und seelische Gesundheit
Klinische Psychologie und Psychotherapie
Bedingungen von Krankheit und Gesundheit sowie Entwicklung von verhaltens- und erlebensver‑ ändernden Interventionen (inkl. Rehabilitationspsychologie: Anwendung psychologischer Kennt‑ nisse in der Rehabilitation)
Medienpsychologie
Menschliches Erleben und Verhalten im Zusammenhang mit der Nutzung von Medien
Methoden und Evaluation
Methodenlehre: Verfahren der Datenerhebung und der Datenauswertung, Untersuchungsplanung und Wissenschaftstheorie Evaluation: Untersuchungspläne und Verfahren zur Überprüfung von Interventionen im Hinblick auf zu definierende Standards und Kriterien
Pädagogische Psychologie
Pädagogisch beeinflussbare Kompetenzen, Fertigkeiten, Überzeugungssysteme und Werthaltungen
Rechtspsychologie
Anwendung psychologischer Theorien, Methoden und Erkenntnisse auf Fragestellungen, die sich aus der Gestaltung und Anwendung des Rechts ergeben
Sozialpsychologie
Beeinflussung von Gedanken, Gefühlen und Verhaltensweisen durch den tatsächlichen, vorgestell‑ ten oder angenommenen sozialen Kontext sowie die daran beteiligten kognitiven Prozesse
Umweltpsychologie
Einstellungen zur Umwelt und Umweltbewusstsein, umweltbezogenes Verhalten und Gestaltung eines ökologisch gesunden Lebensumfeldes
Verkehrspsychologie
Wechselbeziehungen zwischen menschlichem Erleben und Verhalten und technischen Verkehrs‑ systemen sowie dem Verkehrsumfeld
792
Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie
..Abb. B.1 Kognitionspsychologische Beratung. Allgemeine Psycholog:innen können Unternehmen dabei beraten, wie man durch das Verstehen der beteiligten Human Factors effektiver arbeitet. (© fizkes/stock. adobe.com)
vielen interessanten Möglichkeiten erfahren können, die sich jenen mit Bachelor‑, Master- und Doktorabschluss in Psychologie eröffnen. Umfangreiche Informationen zur Lage der Psychologie als Arbeitsfeld in Deutschland liefert außerdem der alle paar Jahre von Manfred Bausch als Arbeitsmarkt-Information für Psychologinnen und Psychologen herausgegebene Bericht (Bausch, 2005). Vielleicht geht es Ihnen wie den meisten Psychologie‑ studierenden, und Sie sind sich der breiten Vielfalt der Spezialisierungen und der Arbeitsfelder gar nicht bewusst, die Ihnen die Psychologie bietet (Terre & Stoddart, 2000). Bislang verfügt die American Psychological Association (APA) über 56 Abteilungen. Die Deutsche Gesellschaft für Psychologie e. V. (DGPs) umfasst 15 Fachgruppen (Tab. B.1). In den folgenden Absätzen werden (alpha‑ betisch sortiert) einige der wichtigsten Berufsfelder des Fachgebiets Psychologie skizziert, von denen die meisten einen Hochschulabschluss in Psychologie voraussetzen. Allgemeine oder Kognitive Psycholog:innen Sie beschäfti‑ gen sich mit mentalen Prozessen und konzentrieren sich auf Themen wie Wahrnehmung, Sprache, Aufmerk‑ samkeit, Problemlösen, Gedächtnis, Urteilen und Ent‑ scheidungsfindung, Vergessen und Intelligenz. Aktuelle Forschungsthemen umfassen z. B. computerbasierte Modelle für Kognitionen zu entwerfen und biologische Korrelate der Kognition auszumachen. Sie arbeiten als Dozentin, Industrieberater oder Human-Factors-Spezia‑ listin in einem pädagogischen Umfeld oder Wirtschafts‑ unternehmen (Abb. B.1).
nisationsstruktur und den Organisationswandel, Konsu‑ mentenverhalten, Personalauswahl und ‑entwicklung ein. Als Arbeits- und Organisationspsycholog:in führen Sie Trainings am Arbeitsplatz durch oder übernehmen für Unternehmen die Organisationsanalyse und ‑entwick‑ lung. Als Arbeitsstelle kommen Wirtschaft, Industrie, der öffentliche Dienst oder die Universität in Frage. Sie können auch selbstständig als Berater:in arbeiten oder für eine Unternehmensberatung tätig sein. Beratungspsycholog:innen Sie helfen Menschen, sich
an einschneidende Veränderungen in ihrem Leben an‑ zupassen oder ihre Lebensweise zu ändern. Das Berufs‑ feld ist dem der Klinischen Psycholog:innen sehr ähnlich, allerdings helfen beratend tätige Psycholog:innen eher Menschen mit Anpassungsstörungen als Personen mit schweren psychischen Störungen. Wie Klinische Psycho‑ log:innen führen Beratungspsycholog:innen Therapien und Diagnostiken bei Individuen und Gruppen durch. Als Beratungspsycholog:in heben Sie die Stärken ihrer Klient:innen hervor, um ihnen zu helfen, ihre eigenen Fä‑ higkeiten, Interessen und Begabungen zur Bewältigung während der Lebensveränderungen zu nutzen. Sie kön‑ nen im akademischen Kontext als Fakultätsmitglied oder Verwaltungsleitung oder in einem universitären Bera‑ tungscenter, einem Gemeindezentrum für psychische Ge‑ sundheit, einem Unternehmen oder freiberuflich arbei‑ ten. Wie bei den Klinischen Psycholog:innen wird häufig, falls Sie eine selbstständige Praxis betreiben möchten, eine psychotherapeutische Ausbildung vorausgesetzt, um öffentlich Beratungsdienste anbieten zu können.
Arbeits- und Organisationspsycholog:innen Sie erforschen
die Beziehung zwischen Menschen und ihrer Arbeits‑ umwelt. Sie entwickeln neue Methoden, um die Produk‑ tivität zu erhöhen, die Personalauswahl zu verbessern oder die Arbeitszufriedenheit in einem organisatorischen Rahmen zu fördern. Ihre Interessen schließen die Orga‑
Entwicklungspsycholog:innen Sie
erforschen alters‑ bedingte Verhaltensänderungen und wenden ihre wis‑ senschaftlichen Erkenntnisse in Erziehungsberatungs‑ stellen, bei der Betreuung von Kindern, in der Politik und in anderen verwandten Gebieten an. Als Entwick‑
Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie
793
..Abb. B.2 Strafermittlung. Forensische Psycholog:innen können hinzugezogen werden, um Polizeikräfte in den USA bei der Untersuchung eines Tatorts zu unterstützen, wie hier nach einer Schießerei in Florida. Der Großteil der forensischen Arbeit findet jedoch im Labor und im Justizsystem statt. (© CRISTO‑ BAL HERRERA-ULASHKE‑ VICH/EPA/picture alliance)
lungspsycholog:in untersuchen Sie Veränderungen in einem breiten Themenspektrum, einschließlich der bio‑ logischen, psychologischen, kognitiven und sozialen As‑ pekte der Entwicklung. Entwicklungspsychologie liegt einer Reihe von Anwendungsfeldern zugrunde, u. a. der Pädagogischen Psychologie, Schulpsychologie, Entwick‑ lungspsychopathologie und der Gerontologie. Darüber hinaus beeinflusst dieser Fachbereich politische Maß‑ nahmen in Bereichen wie der Erziehungs- und Kinder‑ betreuungsreform, der Gesundheit von Müttern und ihren Kindern sowie Bindung und Adoption. Man kann sich auf eine Phase der Lebensspanne spezialisieren, z. B. das Säuglingsalter, Kindesalter, Jugendalter oder auf das mittlere oder späte Erwachsenenalter. Die Arbeitsstelle kann z. B. eine Erziehungseinrichtung, ein Pflegeheim, eine Einrichtung zur Betreuung Jugendlicher oder ein Altenheim sein. Experimentalpsycholog:innen Sie sind eine heterogene Gruppe von Wissenschaftler:innen, die eine Vielzahl grundlegender Verhaltensweisen und kognitiver Prozesse an Menschen und Tieren erforschen. Zu den wichtigsten Bereichen der experimentellen Forschung gehören ver‑ gleichende Methoden der Wissenschaft, Motivation, Lernen, Denken, Aufmerksamkeit, Gedächtnis, Wahr‑ nehmung und Sprache. Die meisten Experimental‑ psycholog:innen identifizieren sich in Abhängigkeit von ihren Interessen und ihrer Ausbildung mit einem speziellen Teilfeld, wie beispielsweise der Kognitiven Psychologie. Es ist dabei wichtig zu beachten, dass die Methoden der experimentellen Forschung nicht auf das Feld der Experimentalpsychologie beschränkt sind; viele andere Arbeitsfelder sind auf experimentelle Methoden angewiesen, um ihre Studien durchführen zu können. Als
Experimentalpsycholog:in werden Sie wahrscheinlich in einem universitären Bereich arbeiten, Vorlesungen halten und die Arbeiten von Studierenden betreuen, daneben führen Sie Ihre eigene Forschung durch. Sie können auch an einer Forschungsinstitution, einem Zoo, einem Unternehmen oder im öffentlichen Dienst angestellt sein. Forensische Psycholog:innen Sie wenden psychologische
Prinzipien auf rechtliche Fragen an. Sie führen Unter‑ suchungen an der Schnittstelle zwischen Gesetz und Psychologie durch, helfen dabei, öffentliche Richtlinien im Zusammenhang mit psychischer Gesundheit zu ent‑ werfen, wirken in Strafvollzugsanstalten bei strafrecht‑ lichen Ermittlungen mit oder führen Befragungen zur Auswahl von Geschworenen und bei Beratungsprozessen durch. Darüber hinaus bieten Sie Gutachten zur Unter‑ stützung der Rechtsgemeinde an. Obwohl die meisten Forensischen Psycholog:innen Klinische Psycholog:in‑ nen sind, können sie Fachkenntnisse in anderen Ge‑ bieten der Psychologie aufweisen, wie z. B. der Sozial‑ psychologie oder Kognitiven Psychologie. Einige besitzen zudem einen juristischen Abschluss. Als Forensische:r Psycholog:in arbeiten Sie an der Universität im Institut für Psychologie, in einer juristischen Fakultät, in For‑ schungseinrichtungen, einem Gemeindezentrum für psy‑ chische Gesundheit, bei der Polizei, für das Gericht oder in Justizvollzugsanstalten (Abb. B.2). Gesellschaftspsycholog:innen Sie lösen sich von der Be‑
trachtung konkreter Individuen oder Familien und be‑ schäftigen sich mit großen Problemen der psychischen Gesundheit im gesellschaftlichen Setting. Diese Psycho‑ log:innen nehmen an, dass menschliches Verhalten stark von der Interaktion zwischen Menschen und ihrer physi‑
794
Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie
..Abb. B.3 Gemeinschaftsbetreuung. Gemeindepsycholog:in‑ nen in Haiti haben dort lebenden Menschen dabei geholfen, die an‑ haltenden emotionalen Heraus‑ forderungen zu bewältigen, die auf das verheerende Erdbeben im Jahr 2010 und später den zerstörerischen Hurrikan im Jahr 2016 folgten. (© Paul Chiasson/ ASSOCIATED PRESS/picture alliance)
kalischen, sozialen, politischen und ökonomischen Um‑ welt beeinflusst wird. Sie bemühen sich, die psychische Gesundheit mithilfe der Verbesserung allgemeiner Rah‑ menbedingungen zu fördern. Dabei konzentrieren sie sich auf präventive Verfahren und Krisenintervention unter besonderer Berücksichtigung der Probleme benachtei‑ ligter Gruppen und ethnischer Minderheiten. Angesichts der Prävention als gemeinsamem Schwerpunkt arbeiten manche Gesellschaftspsycholog:innen mit Expert:innen anderer Gebiete zusammen, wie etwa dem Gesundheits‑ wesen. Als Gesellschaftspsycholog:in können Sie in staat‑ lichen, länderspezifischen oder lokalen Abteilungen für psychische Gesundheit, in Gefängnisbehörden sowie So‑ zialabteilungen arbeiten. Sie können Forschungsarbeiten durchführen oder dabei helfen, Forschungen im Bereich des Gesundheitswesens zu evaluieren, als unabhängiger Berater für den privaten oder öffentlichen Dienst fungie‑ ren oder aber als universitäres Mitglied unterrichten und beraten (Abb. B.3). Gesundheitspsycholog:innen Sie sind Forscher:innen
und Praktiker:innen, die sich damit beschäftigen, wel‑ chen Beitrag die Psychologie leisten kann, um die Ge‑ sundheit zu erhalten und Krankheiten vorzubeugen. Als angewandte Psycholog:innen oder Kliniker:innen verhel‑ fen sie Menschen zu einer gesünderen Lebensweise, in‑ dem sie Gesundheitsprogramme entwerfen, durchführen und evaluieren. In diesen Programmen geht es darum, mit dem Rauchen aufzuhören, Gewicht zu verlieren, den Schlaf zu verbessern, Schmerzen zu behandeln, die Verbreitung sexuell übertragbarer Krankheiten zu ver‑ hindern oder psychosoziale Probleme zu therapieren, die mit chronischen und unheilbaren Krankheiten ver‑ bunden sind. Als Forscher:innen und Klinker:innen er‑
mitteln sie Bedingungen und Verhaltensweisen für Ge‑ sundheit und Krankheit, um wirksame Interventionen zu entwickeln. Im öffentlichen Dienst studieren und ar‑ beiten Gesundheitspsycholog:innen daran, Regierungs‑ maßnahmen sowie das Gesundheitswesen zu verbessern. Als Gesundheitspsycholog:in können Sie in einem Kran‑ kenhaus, einer Pflegeschule, einer Rehabilitationsklinik, einer Gesundheitsbehörde oder an der Universität tätig sein oder, falls Sie gleichzeitig Klinische:r Psycholog:in sind, Sie machen sich selbstständig. Klinische Psycholog:innen Sie fördern die psychische
Gesundheit von Individuen, Gruppen und Organisatio‑ nen. Einige Klinische Psycholog:innen haben sich auf bestimmte psychische Störungen spezialisiert. Andere behandeln eine ganze Bandbreite von Störungen, von Anpassungsschwierigkeiten bis zu ernsten psychopatho‑ logischen Störungen. Klinische Psycholog:innen können auch in der Forschung, Lehre, Diagnostik und Beratung arbeiten. Einige halten Workshops und Vorlesungen ab, zu psychologischen Themen für Angehörige anderer Be‑ rufsgruppen oder für die breite Öffentlichkeit. Klinische Psycholog:innen arbeiten in einer Vielzahl von Settings, u. a. als Selbstständige, in Gesundheitsorganisationen, Schulen, Universitäten, in der Industrie, im Rechtswesen, im Gesundheitswesen, in Beratungsstellen, im öffent‑ lichen Dienst und bei der Bundeswehr. Um Klinische:r Psychotherapeut:in oder Kinder- und Jugendlichentherapeut:in zu werden, ist eine Weiterbil‑ dung erforderlich, dies wird seit 1999 durch das Psycho‑ therapeutengesetz (PsychThG) geregelt. Das Gesetz bindet die Führung der Berufsbezeichnung „Psycho‑ logische:r Psychotherapeut:in“ bzw. „Kinder- und Jugendpsychotherapeut:in“ an eine Approbation. Für
Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie
795
..Abb. B.4 Beurteilung und Unterstützung von Kindern. Schulpsycholog:innen können mit Kindern einzeln oder in Gruppen arbeiten. Sie er‑ halten eine interdisziplinäre Ausbildung in den Bereichen psychische Gesundheitsbeur‑ teilung, Verhaltensanalyse, For‑ schungsmethoden und ‑designs sowie Sonderpädagogik. Sie arbeiten vorrangig in Schulen, aber manchmal auch in einer Reihe anderer Einrichtungen wie Kinderkliniken, psychiatrische Zentren und Justizvollzugsan‑ stalten. (© Monkey Business 2/ Shotshop/picture alliance)
diese Weiterbildung veranschlagt man ca. 20.000 €, die von den Teilnehmenden selbst zu tragen sind (Bausch, 2005). Die Ausbildungsdauer umfasst entweder eine 3-jährige Vollzeit- oder eine 5-jährige begleitende Aus‑ bildung. Ausführliche Hinweise und Tipps zu den Anfor‑ derungen und Stolperfallen in dieser Ausbildungszeit als „Psychotherapeut:in in Ausbildung“ (PiA) geben z. B. Lindel und Sellin (2007).
effektive Tests – darunter Messungen der Eignung und der Leistung – entwerfen. Sie können an einer Schule oder in der Verwaltung des öffentlichen Dienstes arbeiten oder in der Wirtschaft mit der Entwicklung und Durch‑ führung von wirksamen Fortbildungsprogrammen für die Angestellten eines Unternehmens betraut sein.
Neuropsycholog:innen Sie untersuchen die Beziehung
zwischen neurologischen Prozessen (Struktur und Funk‑ tion des Gehirns) und Verhalten. Als Neuropsycholog:in können Sie Störungen des Zentralen Nervensystems wie die Alzheimer-Krankheit oder Schlaganfälle beur‑ teilen, diagnostizieren und behandeln. Sie können da‑ rüber hinaus Einzelpersonen auf Anzeichen für Kopf‑ verletzungen, Lern- und Entwicklungsbehinderungen, wie Autismus, und andere psychiatrische Störungen, wie die Aufmerksamkeitsdefizit‑/Hyperaktivitätsstörung (ADHS), untersuchen. Wenn Sie Klinische:r Neuro‑ psycholog:in sind, können Sie in der Neurologie, Neu‑ rochirurgie oder der psychiatrischen Abteilung einer Klinik arbeiten. Neuropsycholog:innen arbeiten auch in akademischen Bereichen, wo sie Forschung und Lehre betreiben.
niken, die eingesetzt werden, um psychologisches Wis‑ sen zu erzeugen. Psychometriker:innen überarbeiten vorliegende neurokognitive oder Persönlichkeitstests oder entwickeln neue Tests für die Anwendung in Kli‑ nik, Schule oder Unternehmen und Wirtschaft. Diese Psycholog:innen führen Tests durch, werten sie aus und interpretieren sie. Quantitative Psycholog:innen arbei‑ ten mit Forschenden zusammen, um Forschungspro‑ gramme zu erstellen, zu analysieren und die Ergebnisse zu interpretieren. Wenn Sie auf diesem Gebiet arbeiten wollen, müssen Sie gut ausgebildet sein in Forschungs‑ methoden, der Statistik und dem Umgang mit Com‑ putertechnologie. Wahrscheinlich arbeiten Sie an einer Universität, in einem Marktforschungsunternehmen, einem Forschungsinstitut oder für die Verwaltung des öffentlichen Dienstes.
Pädagogische Psycholog:innen Sie sind an den psycho‑
Rehabilitationspsycholog:innen Sie sind Forscher:innen
logischen Prozessen interessiert, die am Lernen beteiligt sind. Sie studieren die Beziehung zwischen Lernprozes‑ sen und unserer physikalischen und sozialen Umwelt und entwickeln Strategien, um den Lernprozess zu verbes‑ sern. Als Pädagogische:r Psycholog:in an der psychologi‑ schen oder der pädagogischen Fakultät der Universität können Sie Grundlagenforschung zu lernverwandten Themen betreiben oder innovative Lehrmethoden zur Verstärkung des Lernprozesses entwickeln. Sie können
und Praktiker:innen, die mit Menschen arbeiten, die nach einem Unfall, einer Krankheit oder einem anderen Ereig‑ nis ihre optimale Funktionsfähigkeit verloren haben. Als Rehabilitationspsycholog:in arbeiten Sie wahrscheinlich in einer medizinischen Rehabilitationseinrichtung oder einer Klinik. Sie können auch in der medizinischen Aus‑ bildung, der Universität, im öffentlichen Dienst oder in freier Praxis tätig sein, um Menschen mit physischen Ein‑ schränkungen zu helfen.
Psycholog:innen der Psychometrie und der quantitativen Verfahren Sie befassen sich mit Methoden und Tech‑
796
Anhang B – Arbeitsfelder der Psychologie
..Abb. B.5 Fußball heilt. Sportpsycholog:innen arbeiten oft direkt mit Athletinnen und Athleten zusammen, um ihnen dabei zu helfen, ihre Leistung zu verbessern. Seit 2012 berät die Sportpsychologin Birgit Prinz, zuvor selbst auf dem Platz aktiv und sehr erfolgreich, den Frau‑ enfußball-Bundesligisten TSG 1899 Hoffenheim. (© Carlotta Erler/C. Erler/picture alliance)
Schulpsycholog:innen Sie wirken in der Diagnostik und
Intervention bei Kindern in Erziehungseinrichtungen mit. Sie diagnostizieren und behandeln kognitive, soziale und emotionale Probleme, die einen negativen Einfluss auf das Lernen und das allgemeine Wohlbefinden des Kindes in der Schule haben. Als Schulpsycholog:in ar‑ beiten Sie eng mit Lehrenden, Eltern und Verwaltungs‑ angestellten zusammen und geben Empfehlungen, um die Leistungen eines Schülers oder einer Schülerin zu verbessern. Sie arbeiten im wissenschaftlichen Bereich, für den öffentlichen Dienst, eine Erziehungseinrichtung oder ein Verhaltensforschungslabor (Abb. B.4). Sozialpsycholog:innen Sie sind an unseren Interaktionen
mit anderen interessiert. Sozialpsycholog:innen unter‑ suchen, wie unsere Gedanken, Gefühle und unser Ver‑ halten von anderen Menschen beeinflusst werden und wiederum andere Menschen beeinflussen. Sie beschäfti‑ gen sich mit Themen wie Einstellungen, Aggression, Vor‑ urteilen, zwischenmenschlicher Anziehung, Gruppenver‑ halten und Führung. Als Sozialpsycholog:in werden Sie vermutlich ein Mitglied der Universitätsfakultät sein. Sie können auch in der Unternehmensberatung, in der Marktforschung oder anderen Feldern der Angewandten Psychologie arbeiten, einschließlich sozialer Neurowis‑ senschaften. Einige Sozialpsycholog:innen arbeiten für Krankenhäuser, den öffentlichen Dienst oder Unterneh‑ men, die angewandte Forschung betreiben. Sportpsycholog:innen Sie untersuchen psychologische
Faktoren, die die Teilnahme an Sport und anderen kör‑ perlichen Aktivitäten beeinflussen und von ihnen beein‑ flusst werden. Ihre beruflichen Tätigkeiten schließen die Ausbildung von Trainer:innen und die Vorbereitung von Sportler:innen, ebenso wie Forschung und Lehre ein. Sportpsycholog:innen, die darüber hinaus einen kli‑
nischen oder beratenden Abschluss haben, können die erworbenen Kenntnisse anwenden, um mit Personen zu arbeiten, die psychische Probleme haben, wie etwa Angstzustände oder Drogenmissbrauch, welche mit ei‑ ner optimalen Leistung interferieren können. Als Sport‑ psycholog:in arbeiten Sie wahrscheinlich, falls Sie nicht in einem akademischen oder forschenden Rahmen tätig sind, als Teil eines Teams oder einer Organisation, man kann jedoch auch selbstständig auf diesem Gebiet ar‑ beiten (Abb. B.5). Bleibt festzuhalten: Wenn Sie also das nächste Mal je‑ mand fragt, was Sie denn mit Ihrem Abschluss anfangen wollen, erzählen Sie ihr bzw. ihm, wie viele Möglichkei‑ ten Sie haben. Sie können Ihre erworbenen Fähigkeiten und Ihr Verständnis nutzen, um einen Arbeitsplatz zu erhalten und in beliebig vielen Branchen erfolgreich zu werden, oder Sie schlagen eine wissenschaftliche Lauf‑ bahn ein und verfolgen berufliche Aufstiegsmöglichkei‑ ten in zugehörigen Berufsfeldern. In jedem Fall wird das, was Sie über das Erleben und Verhalten des Menschen gelernt haben, Ihr Leben bereichern (Hammer, 2003).
797
Glossar Abhängige Variable („dependent variable“) Ergebnisfaktor; diese Variable kann sich als Reaktion auf die Manipulationen der unabhängigen Variablen verändern. 7 Kap. 2 Abruf oder aktive, freie Reproduktion („recall“) Maß für
die Erinnerungsfähigkeit, bei dem die Versuchsperson vorher gelernte Informationen aktiv abrufen muss, etwa beim Ausfüllen eines Lückentexts. 7 Kap. 9
durch das Human Immunodeficiency Virus (HIV) verursacht wird. Aids schwächt das Immunsystem und macht die erkrankte Person anfällig für Infektionen. 7 Kap. 12 Akkommodation („accommodation“) Modifizierung des bisherigen Schemas, um neue Informationen integrieren zu können. 7 Kap. 6 Akkommodation („accomodation“) Anpassungsvorgang,
formationen im Gedächtnisspeicher. 7 Kap. 9
bei dem die Augenlinse ihre Form verändert, um nahe oder entfernte Gegenstände auf der Retina scharf abzubilden. 7 Kap. 7
Absolute Schwelle („absolute threshold“) Mindeststimulation, die erforderlich ist, um einen bestimmten Reiz in mindestens 50 % der Fälle wahrzunehmen. 7 Kap. 7
Aktionspotenzial („action potential“) Nervenimpuls, also eine kurzfristige elektrische Ladung, die am Axon entlangwandert. 7 Kap. 3
Abwehrmechanismen („defense mechanisms“) in der psychoanalytischen Theorie die Schutzmechanismen des Ichs, durch die Ängste verringert werden, indem unbewusst die Realität verzerrt wird. 7 Kap. 15
Akute oder reaktive Schizophrenie („acute schizophrenia“, auch „reactive schizophrenia“) eine Form der Schizo-
Abrufen („retrieval“) Wiederauffinden gespeicherter In-
Achtsamkeitsmeditation („mindfulness meditation“) eine Geistesübung, bei der Menschen aktuellen Erfahrungen auf eine nicht wertende und akzeptierende Weise begegnen. 7 Kap. 13 Adipositas („obesity“) Definiert als ein Body-MassIndex (BMI) von 30 oder höher. (Übergewichtige Personen haben einen BMI von 25 oder höher.) 7 Kap. 12 Adoleszenz oder Jugendalter („adolescence“) Übergangs-
periode zwischen Kindheit und Erwachsenenalter. Sie beginnt mit der Pubertät und endet mit dem Erreichen der Selbstständigkeit im Erwachsenenalter. 7 Kap. 6 Aerobes Training („aerobic training“) Ausdauertraining, bei dem die Funktionsfähigkeit des Herzens und der Lunge zunimmt, kann auch depressive Störungen und Angststörungen lindern. 7 Kap. 13 Aggression („aggression“) jedes körperliche oder verbale
Verhalten, das mit der Absicht ausgeführt wird, jemandem physisch oder emotional zu schaden. 7 Kap. 14 Aggression („aggression“) jedes körperliche oder verbale
Verhalten, das mit der Absicht ausgeführt wird, jemanden körperlich oder emotional zu verletzen. 7 Kap. 5 Agonist („agonist“) Molekül, das die Wirkung eines Neu-
rotransmitters verstärkt. 7 Kap. 3 Aids („acquired immune deficiency syndrome“) eine lebensbedrohliche, sexuell übertragbare Infektion, die
phrenie, die in jedem Alter beginnen kann, sie tritt häufig als Reaktion auf ein emotional traumatisches Ereignis auf und hat längere Erholungsphasen. 7 Kap. 16 Algorithmus („algorithm“) eine systematische, logische Regel oder Vorgehensweise, die garantiert zur Lösung des vorliegenden Problems führt. Im Gegensatz dazu die schnellere, aber auch fehleranfälligere Heuristik. 7 Kap. 10 Alkoholkonsumstörung („alcohol dependance“) Alkoholkonsum, der von Toleranz, Entzug und dem Drang zur Fortsetzung des problematischen Konsums geprägt ist. 7 Kap. 4 Alles-oder-nichts-Reaktion („all-or-none response“) Reaktion des Neurons, entweder (mit voller Stärke) zu feuern oder nicht zu feuern. 7 Kap. 3 Allgemeine Intelligenz oder g-Faktor („general intelligence“) nach Ansicht von Spearman und anderen
Psycholog:innen liegt die allgemeine Intelligenz allen geistigen Fähigkeiten eines Menschen zugrunde und wird daher durch jede Aufgabe in einem Intelligenztest gemessen. 7 Kap. 11 Allgemeines Adaptationssyndrom („general adaptation syndrome“, GAS) Selyes Konzept einer adaptiven phy-
siologischen Reaktion auf Stress in drei Phasen: Alarmreaktion, Widerstand, Erschöpfung. 7 Kap. 13 Alphawellen (α-Wellen; „alpha waves“) relativ langsame Hirnwellen, die kennzeichnend für einen entspannten Wachzustand sind. 7 Kap. 4
798
Glossar
Altruismus („altruism“) selbstloses Interesse am Wohlergehen anderer. 7 Kap. 14
Anreiz („incentive“) positiver oder negativer Reiz in der Umwelt, der ein Verhalten motiviert. 7 Kap. 12
Alzheimer-Krankheit („Alzheimer’s disease“) Eine neuro-
Anschlussmotivation („affiliation need“) das Bedürfnis
kognitive Störung, die durch neuronale Plaques (Ablagerungen) gekennzeichnet ist, häufig nach dem 80. Lebensjahr auftritt und mit einer fortschreitenden Abnahme des Gedächtnisses und anderer kognitiver Fähigkeiten einhergeht. 7 Kap. 6
Antagonist („antagonist“) Molekül, das die Wirkung eines Neurotransmitters hemmt oder blockiert. 7 Kap. 3
Amphetamine („amphetamines“) Substanzen, die die
Anterograde Amnesie („anterograde amnesia“) das Un-
neuronale Aktivität stimulieren und zu einer Beschleunigung der Körperfunktionen führen. Der Energiepegel steigt an und die Stimmung verbessert sich. 7 Kap. 4 Amygdala (auch Mandelkern; „amygdala“) zwei bohnen-
große Neuronenverbände, die Teil des limbischen Systems und an der Entstehung von Emotionen beteiligt sind. 7 Kap. 3 Analyseebenen („levels of analysis“) die unterschiedlichen sich gegenseitig ergänzenden Auffassungen zur Analyse irgendeines vorgegebenen Phänomens, die von der biologischen über die psychologische bis zur soziokulturellen Auffassung reichen. 7 Kap. 1 Androgynie („androgyny“) das Aufweisen sowohl tradi-
tionell männlicher als auch weiblicher psychologischer Merkmale. 7 Kap. 5 Angewandte Forschung („applied research“) wissen-
schaftliche Untersuchungen zur Lösung praktischer Probleme. 7 Kap. 1 Angststörungen („anxiety disorders“) psychische Stö-
rungen, die gekennzeichnet sind durch eine quälende, überdauernde Angst oder unangemessene Verhaltensweisen, um die Angst zu reduzieren. 7 Kap. 16 Anlage-Umwelt-Debatte (auch Erbe-Umwelt-Debatte, „nature-nurture issue“) die alte Kontroverse darüber,
wie groß im Vergleich zu Erfahrung und Lernen der Einfluss der Gene auf die Ausbildung psychischer Merkmale und die Entwicklung von Verhaltensweisen ist. Heutzutage wird angenommen, dass Eigenschaften und Verhaltensweisen durch die Wechselwirkung von Anlage und Umwelt entstehen. 7 Kap. 1 Anorexia nervosa („anorexia nervosa“) Essstörung, bei
der eine Person (meistens ein Mädchen in der Adoleszenz) Diät hält und deutlich untergewichtig wird, aber trotzdem weiter hungert, manchmal auch exzessiv trainiert. 7 Kap. 16 Anpassungsniveau („adaptation level“) unsere Tendenz, uns ein Urteil (über Töne, Lichter oder Einkommen) aufgrund eines neutralen Niveaus zu bilden, das durch unsere Vorerfahrung bestimmt wird. 7 Kap. 13
danach, Beziehungen aufzubauen und sich als Teil einer Gruppe zu fühlen. 7 Kap. 12
vermögen, neue Erinnerungen zu bilden. 7 Kap. 9 Antisoziale Persönlichkeitsstörung („antisocial personality disorder“) Persönlichkeitsstörung, bei der die be-
troffene Person (in der Regel ein Mann) ein schwach ausgebildetes Gewissen hinsichtlich des eigenen Fehlverhaltens, auch gegenüber Freund:innen und Familienmitgliedern, aufweist; sie kann aggressiv und rücksichtslos oder ein:e clevere:r Trickbetrüger:in sein. 7 Kap. 16 Aphasie („aphasia“) Sprachstörung, die normalerweise durch eine Schädigung der linken Hemisphäre, entweder im Broca-Zentrum (gestörte Sprechfähigkeit) oder im Wernicke-Zentrum (gestörtes Sprachverständnis) entsteht. 7 Kap. 10 Arbeitsgedächtnis („working memory“) ein neueres Verständnis des Kurzzeitgedächtnisses, zu dem die bewusste, aktive Verarbeitung von eingehenden auditiven und visuellen Informationen sowie von Informationen aus dem Langzeitgedächtnis gehört. 7 Kap. 9 Asexuell („asexual“) das Fehlen sexuellen Interesses an
anderen. 7 Kap. 12 Assimilation („assimilation“) Interpretation neuer Erfahrungen mit Hilfe von Begriffen der bereits existierenden Schemata. 7 Kap. 6 Assoziationsfelder („association areas“) Bereiche des ze-
rebralen Kortex, die nicht an den primären motorischen und sensorischen Funktionen beteiligt sind, sondern an höheren geistigen Fähigkeiten wie Lernen, Erinnern, Denken und Sprechen. 7 Kap. 3 Assoziatives Lernen („associative learning“) Lernen, dass bestimmte Ereignisse zusammen auftreten. Bei den Ereignissen kann es sich (in der klassischen Konditionierung) um zwei Reize oder (in der operanten Konditionierung) um eine Reaktion und ihre Konsequenzen handeln. 7 Kap. 8 Attributionstheorie („attribution theory“) beschreibt, dass wir das Verhalten eines Menschen erklären, indem wir die Verantwortung dafür entweder der Situation oder der Veranlagung des betreffenden Menschen zuschreiben. 7 Kap. 14
Glossar
Aufgabenorientierte Führung („task leadership“) Zielorientierte Führung, die Standards setzt, die Arbeit organisiert und die Aufmerksamkeit auf Ziele lenkt. 7 Anhang A Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS; „attention-deficit/hyperactivity disorder“, ADHD) psy-
chische Störung, gekennzeichnet durch extreme Unaufmerksamkeit und/oder Hyperaktivität und Impulsivität. 7 Kap. 16 Ausgrenzung („ostracism“) absichtliche soziale Ausgrenzung von Einzelpersonen oder Gruppen. 7 Kap. 12 Autismus-Spektrum-Störung (ASS, „autism spectrum disorder“) Störung, die im Kindesalter auftritt und durch
799
Bedürfnishierarchie („hierarchy of needs“) Maslows Py-
ramide der menschlichen Bedürfnisse; beginnend mit den physiologischen Bedürfnissen, die erst erfüllt sein müssen, bevor auf einer höheren Stufe das Bedürfnis nach Sicherheit und danach die psychischen Bedürfnisse aktuell werden. 7 Kap. 15 Befragung („survey“) deskriptive Technik, bei der die von ihnen selbst berichteten Einstellungen oder Verhaltensweisen der Menschen einer bestimmten Gruppe ermittelt werden; im Allgemeinen wird eine repräsentative Zufallsstichprobe befragt. 7 Kap. 2 Begriff („concept“) mentale Gruppierung ähnlicher Ge-
genstände, Ereignisse, Ideen oder Personen. 7 Kap. 10
signifikante Defizite in der Kommunikation und sozialer Interaktion sowie durch starr fixierte Interessen und sich wiederholende Verhaltensweisen gekennzeichnet ist. 7 Kap. 6
Beharren auf Überzeugungen („belief perseverance“) Fest-
Automatische Verarbeitung („automatic processing“) unbewusste Enkodierung zufällig anfallender Informationen, wie Raum, Zeit und Häufigkeit, sowie erlernter, aber inzwischen wohlbekannter Informationen (z. B. Wortbedeutungen). 7 Kap. 9
Behaviorismus („behaviorism“) Sichtweise von der Psy-
halten an den ursprünglichen Auffassungen, nachdem die Grundlage, auf der sie gebildet wurden, zweifelhaft geworden ist. 7 Kap. 10 chologie als 1. einer objektiven Wissenschaft, die 2. das Verhalten ohne Bezugnahme auf mentale Prozesse untersucht. Heute stimmen die meisten Psychologen, die in der Forschung tätig sind, lediglich der ersten Aussage zu. 7 Kap. 8
Autonomes (vegetatives) Nervensystem (ANS bzw. VNS; „autonomic nervous system“) Teil des peripheren Ner-
Behaviorismus („behaviorism“) Sichtweise, dass Psycho-
vensystems, der die Drüsen und Muskeln der Körperorgane (z. B. des Herzens) kontrolliert. Der sympathische Teil sorgt für Erregung, der parasympathische für Beruhigung. 7 Kap. 3
logie 1. eine objektive Wissenschaft sein sollte, die 2. Verhalten ohne Bezug auf mentale Prozesse untersucht. Heutzutage stimmen die meisten in der Forschung tätigen Psychologen Punkt 1 zu, aber nicht Punkt 2. 7 Kap. 1
Außersinnliche Wahrnehmung („extrasensory perception“, ESP) umstrittene These, dass Wahrnehmung auch
Beobachtung in natürlicher Umgebung (auch Feldbeobachtung; „naturalistic observation“) eine deskriptive Me-
stattfinden kann, wenn keine sensorischen Signale eintreffen. Zusammenfassender Begriff für Phänomene wie Telepathie, Hellsehen und Präkognition. 7 Kap. 7
thode zur Beobachtung und Erfassung von Verhalten in natürlichen Situationen unter Verzicht auf Manipulation oder Kontrolle der Situation. 7 Kap. 2
Axon („axon“) Erweiterung eines Neurons, mit der Bot-
Beobachtungslernen („observational learning“) durch die Beobachtung anderer Menschen lernen. 7 Kap. 8
schaften an andere Neurone bzw. an Muskeln oder Drüsen weitergeleitet werden; die Verzweigungen des Axons werden axonale Endigungen oder Kollaterale genannt. 7 Kap. 3 Barbiturate („barbiturates“) Substanzen, die zur Ver-
ringerung der Aktivität des zentralen Nervensystems führen. Sie wirken angstreduzierend, schränken jedoch das Gedächtnis und die Urteilsfähigkeit ein. 7 Kap. 4 Bedürfnishierarchie („hierarchy of needs“) Maslows Py-
ramide der menschlichen Bedürfnisse; beginnend mit den physiologischen Bedürfnissen, die erst erfüllt sein müssen, bevor auf einer höheren Stufe das Bedürfnis nach Sicherheit und danach die psychischen Bedürfnisse aktuell werden. 7 Kap. 12
Bestrafung („punishment“) Ereignis, das das vorausgehende Verhalten reduziert. 7 Kap. 8 Bestätigungstendenz („confirmation bias“) Tendenz, nach Informationen zu suchen, die eine vorgefasste Meinung bestätigen, und Hinweise zu ignorieren oder zu verzerren, die dieser Meinung widersprechen. 7 Kap. 10 Bewusste Verarbeitung („effortful processing“) Form der Enkodierung, die Aufmerksamkeit und bewusste Anstrengung erfordert. 7 Kap. 9 Bewusstsein („consciousness“) Gesamtheit der unmittelbaren Erfahrung, die sich aus der Wahrnehmung von
800
Glossar
uns selbst und unserer Umgebung, unseren Kognitionen, Vorstellungen und Gefühlen zusammensetzt. 7 Kap. 4 Bindung („attachment“) emotionales Band zwischen dem sehr kleinen Kind und seiner Bezugsperson. Das Kind sucht die Nähe zur Bezugsperson und reagiert auf Trennung mit Kummer und Schmerz. 7 Kap. 6 Binge-Eating-Störung („binge-eating disorder“) deutliche
Fressepisoden, gefolgt von Leiden, Ekel oder Schuld, aber ohne die Kompensation durch Erbrechen oder Fasten, wie bei der Bulimia nervosa. 7 Kap. 16 Binokulare Hinweisreize („binocular cues“) Tiefenmerkmale, wie retinale Disparität, die voraussetzen, dass man beide Augen zu Hilfe nimmt. 7 Kap. 7 Biologische Psychologie („biological psychology“) Teilbereich der Psychologie, der das Zusammenspiel von biologischen (genetischen, neuronalen, hormonellen) und psychologischen Prozessen untersucht. Sie wird von manchen auch bezeichnet als Verhaltensneurowissenschaft, Neuropsychologie, Verhaltensgenetik, Physiologische Psychologie oder Biopsychologie. 7 Kap. 3 Biologisches Geschlecht („sex“) in der Psychologie Bezeichnung für die biologisch („sex“) beeinflussten Charakteristika, die Menschen als männlich und weiblich definieren. 7 Kap. 5 Biomedizinische Therapie („biomedical therapy“) verschriebene Medikamente oder medizinische Verfahren, die direkt auf das Nervensystem der erkrankten Person einwirken. 7 Kap. 17 Biopsychosozialer Ansatz („biopsychosocial approach“) eine integrierende Sichtweise, die biologische,
psychologische und soziokulturelle Analyseebenen berücksichtigt. 7 Kap. 1. Bipolare Störung („bipolar disorder“) Störung, bei der ein Mensch zwischen der Hoffnungslosigkeit und Lethargie der Depression und dem übererregten Zustand der Manie hin und her wechselt (früher manisch-depressive Störung genannt). 7 Kap. 16 Blinder Fleck („blind spot“) Punkt der Netzhaut, an dem
der Sehnerv das Auge verlässt und ein „blinder“ Fleck entsteht, weil hier keine Rezeptorzellen vorhanden sind. 7 Kap. 7 Blindes Sehen („blindsight“) Zustand, in dem eine Per-
son auf einen visuellen Stimulus reagieren kann, ohne diesen bewusst zu erleben. 7 Kap. 4 Blindheit durch Unaufmerksamkeit (auch Unaufmerksamkeitsblindheit; „inattentional blindness“) Die Unfähig-
keit, sichtbare Objekte zu sehen, wenn die Aufmerksamkeit woanders ist. 7 Kap. 4
Blitzlichterinnerungen („flashbulb memories“) sehr klare Erinnerungen an emotional bedeutsame Momente oder Ereignisse. 7 Kap. 9 Bottom-up-Verarbeitung (aufsteigende, datengesteuerte Informationsverarbeitung; „bottom-up processing“) Analyse, die mit den Sinnesrezeptoren beginnt
und aufsteigend bis zur Integration der sensorischen Information durch das Gehirn erfolgt. 7 Kap. 7 Broca-Zentrum („Broca’s area“) hilft, den sprachlichen
Ausdruck zu steuern; Teil des Frontalkortex, meist in der linken Hemisphäre; steuert die Muskelbewegungen, die an der Lautbildung beteiligt sind. 7 Kap. 10 Bulimia nervosa („bulimia nervosa“) Essstörung, bei der sich die Fressepisoden (Verzehr von meist kalorienreichen Lebensmitteln) abwechseln mit unangemessenem gewichtsreduzierendem Verhalten wie Erbrechen, der Verwendung von Abführmitteln, Fasten oder exzessivem Training. 7 Kap. 16 Cannon-Bard-Theorie („Cannon-Bard theory“) sagt aus,
dass ein emotionserregender Reiz gleichzeitig 1. physiologische Reaktionen und 2. die subjektive Erfahrung der Emotion auslöst. 7 Kap. 13 Chromosomen („chromosomes“) fadenähnliche Struktu-
ren aus DNA-Molekülen, die Gene enthalten. 7 Kap. 5 Chronische Schizophrenie („chronic schizophrenia“, auch „process schizophrenia“) eine Form der Schizophrenie,
bei der die Symptome gewöhnlich im späten Jugendalter oder frühen Erwachsenenalter auftreten. Mit zunehmendem Alter dauern die psychotischen Episoden länger und die Erholungsphasen verkürzen sich. 7 Kap. 16 Chunking („chunking“) Organisieren einzelner Items in handhabbare und/oder vertraute Einheiten; geschieht häufig automatisch. 7 Kap. 9 Coping (Bewältigung; „coping“) Verringerung von Stress auf emotionalem oder kognitivem Wege bzw. durch Verhalten. 7 Kap. 13 Corpus callosum (auch Balken; „corpus callosum“) breites Band aus Nervenfasern, das die beiden Gehirnhälften miteinander verbindet und über das Informationen weitergeleitet werden. 7 Kap. 3 DNA/DNS (Desoxyribonukleinsäure; „deoxyribonucleic acid“) komplexes Molekül, das die genetische Infor-
mation enthält, die die Chromosomen bildet. 7 Kap. 5 DSM‑5 Diagnostisches und Statistisches Manual Psychischer Störungen (5. Ausgabe) der American Psychiatric Association, ein weithin genutztes System zur Klassifikation psychischer Störungen. 7 Kap. 16
Glossar
Das Selbst („self“) die moderne Psychologie vermutet hierin das Zentrum der Persönlichkeit. Es ordnet unsere Gedanken, Gefühle und Handlungen. 7 Kap. 15 Das Unbewusste („unconscious“) ist laut Freud ein Auffangbecken für meist inakzeptable Gedanken, Wünsche, Gefühle und Erinnerungen. In der heutigen Psychologie steht der Begriff „unbewusst“ für eine Form der Informationsverarbeitung, derer wir uns nicht bewusst sind. 7 Kap. 15
801
sonen als auch die Mitarbeitenden der Versuchsleitung nicht wissen („blind“ sind), ob die Teilnehmenden eine Behandlung oder ein Placebo erhalten. Diese Methode wird im Allgemeinen bei der Evaluation von Studien zur Wirkung von Medikamenten angewandt. 7 Kap. 2 Dreifarbentheorie von Young und Helmholtz („YoungHelmholtz trichromatic theory“) Theorie, die besagt,
Deindividuation („deindividuation“) Verlust der Selbstwahrnehmung und Zurückhaltung in Gruppensituationen, die Erregung und Anonymität fördern. 7 Kap. 14
dass die Retina drei verschiedene Farbrezeptortypen enthält, von denen einer besonders empfindlich auf Rot reagiert, ein anderer auf Grün und ein dritter auf Blau. Werden sie in Kombination stimuliert, können sie die Wahrnehmung jedes beliebigen Farbtons erzeugen. 7 Kap. 7
Deltawellen (δ-Wellen; „delta waves“) langsame Hirnwel-
Dämpfende Substanzen („depressant“) Substanzen (wie
len mit großer Amplitude. δ-Wellen gehen mit Tiefschlaf einher. 7 Kap. 4
Dendriten („dendrites“) vielfach verzweigte Erweiterungen einer Nervenzelle, mit denen Botschaften empfangen und Impulse an den Zellkörper weitergegeben werden. 7 Kap. 3 Deutung („interpretation“) heißt in der Psychoanalyse,
Alkohol, Barbiturate und Opiate), die die neuronale Aktivität reduzieren und die Körperfunktionen verlangsamen 7 Kap. 4 Déjà-vu-Erfahrung („déjà vu“) der unheimliche Eindruck, etwas schon einmal erlebt zu haben. Hinweisreize aus der aktuellen Situation könnten unbewusst die Erinnerung an eine frühere Situation auslösen. 7 Kap. 9
dass der Analytiker oder die Analytikerin die Bedeutung der Träume, des Widerstands und anderer aufschlussreicher Verhaltensweisen interpretiert, um den Patienten oder die Patientin auf dem Weg zur Einsicht weiterzubringen. 7 Kap. 17
Echogedächtnis („echoic memory“) kurzzeitiges sensorisches Gedächtnis für auditive Reize; wenn die Aufmerksamkeit abgelenkt ist, können Wörter oder Geräusche noch in einem Zeitfenster von drei oder vier Sekunden erinnert werden. 7 Kap. 9
Diskriminierung („discrimination“) nicht zu rechtferti-
Ecstasy (auch MDMA, „ecstasy“) synthetisches Stimulans und schwaches Halluzinogen. Führt zu Euphorie und dem Gefühl sozialer Nähe, birgt jedoch kurzfristige Gesundheitsrisiken und beschädigt längerfristig serotonerge Neuronen; wirkt auf Stimmung und Kognition. 7 Kap. 4
gendes, negatives Verhalten gegenüber einer Gruppe oder ihren Mitgliedern. 7 Kap. 14 Dissoziation („dissociation“) eine Bewusstseinsspaltung,
die es ermöglicht, dass einige Gedanken und Verhaltensweisen gleichzeitig mit anderen auftreten. 7 Kap. 7 Dissoziative Identitätsstörung („dissociative identity disorder“) seltene Form einer dissoziativen Störung, bei
der eine Person zwei oder mehrere voneinander unterscheidbare und einander abwechselnde Persönlichkeiten zeigt; früher bezeichnet als multiple Persönlichkeitsstörung. 7 Kap. 16 Dissoziative Störungen („dissociative disorders“) um-
strittene, seltene Störungen, bei denen sich das Bewusstsein von früheren Erinnerungen, Gedanken und Gefühlen abspaltet (dissoziiert). 7 Kap. 16 Divergentes Denken („divergent thinking“) Ausweiten der Anzahl der möglichen Problemlösungen; kreatives Denken, das in verschiedene Richtungen auseinanderdriftet. 7 Kap. 10 Doppelblindversuch („double-blind procedure“) experi-
mentelles Vorgehen, bei dem sowohl die Versuchsper-
Effektgesetz („law of effect“) Thorndikes Prinzip, dass Verhaltensweisen, die angenehme Konsequenzen zur Folge haben, häufiger auftreten, während Verhaltensweisen, denen unangenehme Konsequenzen folgen, seltener gezeigt werden. 7 Kap. 8 Egozentrismus („egocentrism“) in Piagets Entwicklungs-
theorie die mangelnde Fähigkeit des Kindes im präoperatorischen Stadium, den Standpunkt eines anderen Menschen einzunehmen. 7 Kap. 6 Eigengruppe („in-group“) „Wir“ die Menschen, mit denen man eine gemeinsame Identität teilt. 7 Kap. 14 Eigengruppenverzerrung („in-group bias“) Tendenz, die
eigene Gruppe anderen vorzuziehen. 7 Kap. 14 Eignungstest („aptitude test“) Test, der die künftig zu
erwartende Leistung eines Menschen vorhersagen soll; Eignung ist die Fähigkeit zu lernen. 7 Kap. 11
802
Glossar
Eineiige (monozygote) Zwillinge („identical twins“) entwickeln sich aus einer einzigen befruchteten Eizelle, die sich dann in zwei Eizellen teilt und somit zwei genetisch identische Organismen bildet. 7 Kap. 5 Einsicht („insight“) plötzliche und oft überraschend auftauchende Lösung eines Problems; im Unterschied zu strategisch angelegten Lösungen. 7 Kap. 10 Einsichttherapien („insight therapies“) Vielzahl von Therapien, deren Ziel es ist, die seelische Gesundheit zu verbessern, indem sie das Bewusstsein einer Person für ihre grundlegenden Beweggründe und Abwehrreaktionen stärkt. 7 Kap. 17 Einstellung („attitude“) Gefühle, oft von unseren Über-
zeugungen beeinflusst, die Menschen prädisponieren, in einer bestimmten Art und Weise auf Dinge, Menschen und Ereignisse zu reagieren. 7 Kap. 14 Einwortstadium („one-word stage“) Phase der Sprach-
entwicklung, die ungefähr das 2. Lebensjahr umfasst, während der das Kind hauptsächlich in einzelnen Wörtern spricht. 7 Kap. 10 Einzelfallstudie („case study“) Beobachtungstechnik, bei der ein Individuum oder eine Gruppe gründlich und intensiv beobachtet wird in der Hoffnung, auf diese Weise universelle Prinzipien entdecken zu können. 7 Kap. 2 Eklektischer Ansatz („eclectic approach“) Form der Psychotherapie, bei der je nach dem Problem der betroffenen Person Techniken aus unterschiedlichen Therapieformen eingesetzt werden. 7 Kap. 17
Emotionsfokussierte Bewältigung („emotion-focused coping“) Versuch, den Stress indirekt zu verringern,
indem man einen Stressor meidet oder ihn ignoriert und seine Aufmerksamkeit auf emotionale Bedürfnisse richtet, die mit der eigenen Stressreaktion zusammenhängen. 7 Kap. 13 Empirisch ermittelter Test („empirically derived test“) ein Test, wie der MMPI, in dem ein Itempool untersucht wird und hinterher diejenigen Items zu Gruppen zusammengefasst werden, die am besten zwischen den Dimensionen diskriminieren. 7 Kap. 15 Empirische Methode („empirical approach“) eine evi-
denzbasierte Methode, die sich auf Beobachtungen und Experimente stützt. 7 Kap. 1 Endokrines System („endocrine system“) „langsames“ chemisches Kommunikationssystem des Körpers; es besteht aus einer Reihe von Drüsen, die Hormone ins Blut ausschütten. 7 Kap. 3 Endorphine („endorphins“) „innere Morphine“; natürliche, den Opiaten ähnelnde Neurotransmitter, die mit Schmerzlinderung und Lust in Zusammenhang gebracht werden. 7 Kap. 3 Enkodieren („encoding“) Verarbeitung von Informatio-
nen zur Eingabe in das Gedächtnissystem, z. B. durch Herstellen eines Bedeutungszusammenhangs. 7 Kap. 9 Entschlossenheit („grit“) in der Psychologie Leiden-
schaft und Ausdauer bei der Verfolgung langfristiger Ziele. 7 Kap. 12 Entwicklungspsychologie („developmental psychology“)
Elektroenzephalogramm (EEG; „electroencephalogram“) Verstärkung von Hirnstromwellen, also Wellen elektrischer Aktivität, die über die Oberfläche des Gehirns laufen. Diese Wellen werden von Elektroden gemessen, die am Schädel befestigt werden. 7 Kap. 3
Teildisziplin der Psychologie, die die im Verlauf des Lebens auftretenden Veränderungen auf der physischen, kognitiven und sozialen Ebene untersucht. 7 Kap. 6
Embodied Cognition (auch Embodiment; „embodied cognition“) der Einfluss von körperlichen Empfindungen,
gen des Absetzens einer suchterzeugenden Substanz oder des Aufhörens mit einem Suchtverhalten. 7 Kap. 4
Gesten und anderen Zuständen auf kognitive Vorlieben und Urteile. 7 Kap. 7
Epigenetik („epigenetics“) die Erforschung, wie sich
Embryo („embryo“) sich entwickelnder menschlicher
Organismus. Die Embryonalphase dauert etwa von der 2. Woche nach der Befruchtung bis zum Ende des 2. Monats 7 Kap. 6 Emotion („emotion“) Reaktion des gesamten Organismus, die 1. physiologische Erregung, 2. Ausdrucksverhalten und 3. bewusste Erfahrung beinhaltet. 7 Kap. 13 Emotionale Intelligenz („emotional intelligence“) Fähigkeit, Emotionen wahrzunehmen, zu verstehen, mit ihnen umzugehen und sie zu nutzen. 7 Kap. 11
Entzug („withdrawal“) unangenehme und quälende Fol-
Umwelteinflüsse auf die Genexpression auswirken, ohne dass eine Veränderung der DNA erfolgt. 7 Kap. 16 Epigenetik („epigenetics“) „über“ oder „zusätzlich zu“ (epi) der Genetik; die Untersuchung von Umwelteinflüssen auf die Genexpression, die auftreten, ohne die DNA zu verändern. 7 Kap. 5 Episodisches Gedächtnis („episodic memory“) explizite Erinnerung an persönlich erlebte Ereignisse; eines unserer zwei bewussten Gedächtnissysteme (das andere ist das semantische Gedächtnis). 7 Kap. 9
Glossar
Equity (ausgewogenes Verhältnis von Geben und Nehmen; „equity“) ein Zustand, in dem Menschen aus einer Bezie-
803
hung genauso viel bekommen, wie sie geben. 7 Kap. 14
(abhängige Variable) zu beobachten. Durch Zufallszuweisung der Teilnehmenden können andere wichtige Faktoren kontrolliert werden. 7 Kap. 2
Erblichkeit („heritability“) Ausmaß, in dem individuelle
Explizites Gedächtnis („explicit memory“) das Behalten
Unterschiede auf Gene zurückgeführt werden können. Die Erblichkeit eines Persönlichkeitsmerkmals kann in Abhängigkeit von der ausgewählten Population und den untersuchten Umweltbedingungen variieren. 7 Kap. 5
von Fakten und Erfahrungen, die man bewusst wissen und „deklarieren“ kann (auch als deklaratives Gedächtnis bezeichnet). 7 Kap. 9
Erblichkeit („heritability“) Ausmaß, in dem interindivi-
duelle Unterschiede in einer Gruppe auf Gene zurückgeführt werden können. Die Erblichkeit eines Persönlichkeitsmerkmals kann in Abhängigkeit von der ausgewählten Population und den untersuchten Umweltbedingungen variieren. 7 Kap. 11
externale Kontrollüberzeugung („external locus of control“) die Wahrnehmung, dass der Zufall oder äußere
Kräfte jenseits unserer persönlichen Kontrolle unser Schicksal bestimmen. 7 Kap. 13 Extrinsische Motivation („extrinsic motivation“) Wunsch, ein Verhalten wegen versprochener Belohnungen oder drohender Bestrafung zu zeigen. 7 Kap. 8
Erektionsstörung („erectile disorder“) Unfähigkeit, aufgrund eines unzureichenden Blutflusses zum Penis eine Erektion zu bekommen oder zu halten. 7 Kap. 12
Farbton („hue“) Farbdimension, die durch die Wellenlän-
Erlernte Hilflosigkeit („learned helplessness“) Die Hoffnungslosigkeit und passive Resignation, die ein Tier oder Individuum lernt, wenn es nicht in der Lage ist, wiederholte aversive Ereignisse zu vermeiden. 7 Kap. 13
Fehlinformationseffekt („misinformation effect“) dieser Efffekt tritt auf, wenn irreführende Informationen an ein Ereignis in die Erinnerung eingebaut werden. 7 Kap. 9
Erneutes Lernen („relearning“) Maß für die Erinnerungs-
fähigkeit, mit dem erfasst wird, wie viel schneller bereits erlerntes Material zum wiederholten Mal gelernt wird. 7 Kap. 9 Erwerb („acquisition“) erste Phase der klassischen Kon-
ditionierung; die Phase, in der ein neutraler Reiz mit einem unkonditionierten Reiz gekoppelt wird, sodass der neutrale Reiz eine konditionierte Reaktion auslöst. Bei der operanten Konditionierung: die Bekräftigung einer verstärkten Reaktion. 7 Kap. 8 Es („id“) enthält ein Reservoir unbewusster Energie, de-
ren Streben laut Freud auf die Erfüllung grundlegender sexueller und aggressiver Triebe gerichtet ist. Das Es handelt nach dem Lustprinzip und verlangt sofortige Befriedigung. 7 Kap. 15 Evolutionspsychologie („evolutionary psychology“) die
ge des Lichts bestimmt wird und die wir als die uns bekannten Farben Blau, Grün etc. wahrnehmen. 7 Kap. 7
Fester Intervallplan („fixed-interval schedule“) ein Verstärkungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem die erste Reaktion nach einer vorab festgelegten Zeitspanne verstärkt wird. 7 Kap. 8 Fester Quotenplan („fixed-ratio schedule“) ein Verstärkungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem eine Reaktion erst nach einer bestimmten Anzahl von Reaktionen verstärkt wird. 7 Kap. 8 Figur-Grund-Beziehung („figure-ground“) Organisation des Gesichtsfelds in Objekte (Figuren), die sich von ihrer Umgebung abheben (Grund). 7 Kap. 7 Fixierung („fixation“) die Unfähigkeit, ein Problem men-
tal aus einer neuen Perspektive zu sehen; ein Hindernis beim Lösen von Problemen. 7 Kap. 10 Fixierung („fixation“) nach Freud eine Bindung der
Untersuchung der Evolution des Verhaltens und des Denkens mithilfe der Prinzipien der natürlichen Selektion. 7 Kap. 5
Lust suchenden Energien an eine vorhergehende psychosexuelle Phase, in der Konflikte nicht gelöst wurden. 7 Kap. 15
Evolutionäre Psychologie („evolutionary psychology“) die
Fluide Intelligenz („fluid intelligence“) Fähigkeit eines Menschen, schnell und abstrakt zu denken. Diese Fähigkeit nimmt tendenziell mit dem Alter ab, besonders im späten Erwachsenenalter. 7 Kap. 11
Untersuchung der Evolution von Geist und Verhalten unter Anwendung des Prinzips der natürlichen Selek tion. 7 Kap. 1 Experiment („experiment“) Forschungsmethode,
bei der der Forschende einen oder mehrere Faktoren (unabhängige Variablen) manipuliert, um die Auswirkung auf eine Verhaltensweise oder einen mentalen Prozess
Foot-in-the-Door-Technik („foot-in-the-door phenomenon“) Neigung von Menschen, die zunächst einer beschei-
denen Forderung zugestimmt haben, später auch einer weiter gehenden Forderung zuzustimmen. 7 Kap. 14
804
Glossar
Formal-operatorisches Stadium („formal operational stage“) nach Piaget das Stadium der kognitiven Entwick-
lung, das normalerweise mit dem 12. Lebensjahr beginnt. In dieser Phase erwirbt das Kind die Fähigkeit, logisch über abstrakte Konzepte nachzudenken. 7 Kap. 6 Formatio reticularis („reticular formation“) neuronales
Netz, das durch den Hirnstamm in den Thalamus wandert und eine wichtige Rolle bei der Steuerung der Erregung spielt. 7 Kap. 3 Fötales Alkoholsyndrom (FAS, „fetal alcohol syndrome“)
körperliche und kognitive Anomalien, verursacht durch mütterlichen Alkoholmissbrauch während der Schwangerschaft. In schweren Fällen kann es zu auffallenden Veränderungen der Kopfproportionen und zu Gesichtsanomalien kommen. 7 Kap. 6 Fötus („fetus“) Bezeichnung für den sich entwickelnden
menschlichen Organismus ab der 9. Woche nach der Empfängnis bis zur Geburt. 7 Kap. 6 Fovea (auch Sehgrube; „fovea“) Punkt des schärfsten Sehens auf der Retina, um den herum die Zapfen des Auges gehäuft vorkommen. 7 Kap. 7 Framing-Effekt (auch Rahmeneffekt;„framing effect“) Aus-
wirkung der Darstellungsweise eines Gegenstands oder Themas; Framing-Effekte können einen großen Einfluss auf Entscheidungen und Urteile ausüben. 7 Kap. 10 Freie Assoziation („free association“) psychoanalytische
Methode zur Erforschung des Unbewussten, bei der der Patient sich entspannt und alles ausspricht, was ihm durch den Kopf geht, auch wenn es nichtssagend oder peinlich ist. 7 Kap. 15 Fremdeln („stranger anxiety“) Furcht vor Menschen, die dem Kind unbekannt sind. Das Fremdeln tritt allgemein bei Kindern ab dem 8. Lebensmonat erstmals auf. 7 Kap. 6 Fremdgruppe („out-group“) „Sie“ diejenigen, die als verschieden oder getrennt von der eigenen Gruppe wahrgenommen werden. 7 Kap. 14
Frontallappen („frontal lobes“) Teil des zerebralen Kortex, der direkt hinter der Stirn liegt. Beteiligt an der Sprache und Willkürmotorik und an der Planung und Urteilsfindung. 7 Kap. 3 Frustrations-Aggressions-Prinzip („frustration aggression principle“) besagt, dass durch Frustration, d. h. wenn
man daran gehindert wird, ein Ziel zu erreichen, Wut entsteht, die zu Aggressionen führen kann. 7 Kap. 14 Fundamentaler Attributionsfehler („fundamental attribution error“) Tendenz, dass Beobachtende bei der Ana-
lyse des Verhaltens eines Menschen den Einfluss der Situation unter- und den Einfluss der persönlichen Veranlagung überschätzen. 7 Kap. 14 Funktionalismus („functionalism“) frühe Denkrichtung, die von James repräsentiert und von Darwin beeinflusst wurde. Sie untersuchte, wie mentale Prozesse und Verhaltensweisen funktionieren und inwiefern sie dazu beitragen, dass sich Organismen anpassen, überleben und gedeihen. 7 Kap. 1 funktionelle MRT (fMRT; „functional MRI“) ein Verfahren
zur Darstellung von Blutfluss und damit Hirnaktivität, indem man zeitlich aufeinander folgende MRT-Scans miteinander vergleicht. Mit Hilfe von fMRT-Scans kann man sowohl die Funktionen als auch die Struktur des Gehirns erkennen. 7 Kap. 3 GRIT („Graduated and Reciprocated Initiatives in TensionReduction“) schrittweise und wechselseitige Initiativen
zur Spannungsreduktion eine Strategie zur Verringerung internationaler Spannungen. 7 Kap. 14 Gate-Control-Theorie („gate-control theory“) besagt, dass das Rückenmark über ein neurologisches „Tor“ („gate“) verfügt, das Schmerzsignale aufhält oder zum Gehirn durchlässt. Das „Tor“ wird geöffnet durch die Aktivität von Schmerzsignalen, die über feine Nervenfasern nach oben steigen, und geschlossen durch die Aktivität in dickeren Fasern oder durch vom Gehirn kommende Informationen. 7 Kap. 7 Gedächtnis („memory“) dauerhaftes Fortbestehen von aufgenommenen Informationen über die Zeit; es ermöglicht die Kodierung, die Speicherung und das Abrufen von Informationen. 7 Kap. 9
Frequenz („frequency“) Anzahl von vollständigen Schwingungen, die einen bestimmten Punkt in einem vorgegebenen Zeitraum passieren (z. B. pro Sekunde). 7 Kap. 7 Gedächtniskonsolidierung („memory consolidation“) Die neuronale Speicherung einer Erinnerung in das LangFrequenztheorie („frequency theory“) besagt, dass beim zeitgedächtnis 7 Kap. 9 Gehör die Anzahl der über den Hörnerv übertragenen Nervenimpulse der Frequenz eines Tons entspricht und Gegenfarbentheorie („opponent-process theory“) Theouns damit ermöglicht, die Höhe dieses Tons wahrzuneh- rie, derzufolge das Farbensehen auf den retinalen Ermen. 7 Kap. 7 regungsverhältnissen der Gegenfarbenpaare beruht (Rot/Grün, Gelb/Blau und Schwarz/Weiß). So werden
805
Glossar
beispielsweise manche Zellen durch Grün stimuliert und durch Rot gehemmt, andere werden durch Rot stimuliert und durch Grün gehemmt. 7 Kap. 7
Gesundheitspsychologie („health psychology“) Teilbereich der Psychologie, der den Beitrag der Psychologie zur Verhaltensmedizin liefert. 7 Kap. 13
Gehör („audition“) Sinneskanal des Hörens oder unser
Hörvermögen. 7 Kap. 7
Gleichgewichtssinn (auch vestibulärer Sinn; „vestibular sense“) Sinnessystem zur Wahrnehmung der Bewegung
Geistige Behinderung („intellectual disability“) ein Zu-
und Lage des Körpers. Dies umfasst den Gleichgewichtssinn. 7 Kap. 7
stand eingeschränkter geistiger Fähigkeiten, gekennzeichnet durch einen IQ von unter 70 und Schwierigkeiten, den Anforderungen des normalen Alltagslebens gerecht zu werden (früher als mentale Retardierung bezeichnet). 7 Kap. 11
Gliazellen („glial cells“) Zellen innerhalb des Nerven-
systems, die die Neuronen stützen, ernähren und schützen und beim Lernen, Denken und Erinnern eine Rolle spielen. 7 Kap. 3
Gemeindepsychologie („community psychology“) ein Zweig der Psychologie, der untersucht, wie Menschen mit ihrem sozialen Umfeld interagieren und wie soziale Institutionen Individuen und Gruppen beeinflussen. 7 Kap. 1
Glukose („glucose“) Form des Zuckers, die im Blut zirkuliert und die Hauptenergiequelle für das Körpergewebe darstellt. Sinkt der Glukosespiegel, fühlen wir uns hungrig. 7 Kap. 12
Gene („genes“) biochemische Bausteine für die Ver-
Sprache, mit deren Hilfe wir uns anderen Menschen mitteilen und sie verstehen können. Die Semantik („semantics“) ist die Gesamtheit aller Regeln der Sprache, mit deren Hilfe wir aus Morphemen, Wörtern und Sätzen Bedeutung ableiten; und die Syntax („syntax“) beschreibt die Regeln, nach denen Wörter zu sinnvollen Sätzen kombiniert werden. 7 Kap. 10
erbung, aus denen die Chromosomen bestehen. Gene sind Segmente der DNA, die fähig sind, Proteine zu synthetisieren (aufzubauen). 7 Kap. 5 Generalisierte Angststörung („generalized anxiety disorder“) Angststörung, bei der die Betroffenen kon-
tinuierlich angespannt und besorgt sind und eine anhaltende Erregung des autonomen Nervensystems aufweisen. 7 Kap. 16 Genom („genome“) enthält die vollständigen Informa-
Grammatik („grammar“) System von Regeln in einer
Grundlagenforschung („basic research“) reine Wissen-
schaft mit dem Ziel der Vergrößerung des wissenschaftlich fundierten Basiswissens. 7 Kap. 1
tionen, um einen Organismus herzustellen; besteht aus dem gesamten genetischen Material in den Chromosomen des Organismus. 7 Kap. 5
Grundumsatz („basal metabolic rate“) Energiemenge, die ein Körper im Ruhezustand verbraucht. 7 Kap. 12
Gerechte-Welt-Glaube („just-world phenomenon“) Ten-
auftritt, wenn in einer Gruppe das Harmoniebedürfnis bei Entscheidungen stärker ist als die realistische Bewertung von Alternativen. 7 Kap. 14
denz von Menschen, zu glauben, dass die Welt gerecht ist und dass Menschen deshalb bekommen, was sie verdienen, und verdienen, was sie bekommen. 7 Kap. 14
Gruppendenken („groupthink“) Denkweise, die dann
Geschlechtsidentität („gender identity“) das
Gruppenpolarisierung („group polarization“) Extremisierung der in einer Gruppe vorherrschenden Einstellungen durch Diskussionen in der Gruppe. 7 Kap. 14
Geschlechtsrolle („gender role“) Reihe von Erwartungen
Gruppierung („grouping“) Tendenz unserer Wahrnehmung, Reize zu kohärenten Gruppen zusammenzufassen. 7 Kap. 7
Gefühl einer Person, Mann, Frau oder eine Kombination aus beidem zu sein. 7 Kap. 5
an das Verhalten, Einstellungen und Eigenschaften von Männern und Frauen. 7 Kap. 5 Geschlechtstypisierung
(„gender-typing“) bezeichnet
den Erwerb einer traditionell männlichen oder weiblichen Rolle. 7 Kap. 5 Gestalt („gestalt“) organisiertes Ganzes. Die Gestalt-
psycholog:innen heben unsere Tendenz hervor, einzelne Informationselemente zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzufügen. 7 Kap. 7
Habituation („habituation“) Abnahme der Reaktionsbereitschaft bei wiederholter Stimulusdarbietung. In dem Maß, wie ein Säugling durch wiederholte Darbietung mit einem Stimulus vertraut wird, schwindet sein Interesse; er fixiert den Stimulus immer kürzer und wendet früher den Blick ab. 7 Kap. 6 Halluzinationen („hallucinations“) irrtümliche sensorische Wahrnehmungen, wie etwa das Sehen von Objekten ohne äußere visuelle Reize. 7 Kap. 4
806
Glossar
Halluzinogene („hallucinogens“) psychedelische („be-
wusstseinserweiternde“) Substanzen, wie LSD, die Wahrnehmungen verzerren und sensorische Bilder ohne sensorischen Input generieren. 7 Kap. 4 Heuristik („heuristic“) einfache Denkstrategie für effi-
zientere Urteile und Problemlösungen; schneller, aber auch fehleranfälliger als der Algorithmus. 7 Kap. 10 Hindsightbias (Verzerrung durch nachträgliche Einsicht, „hindsight bias“) Tendenz, nach dem Eintreten eines Er-
eignisses zu glauben, man hätte es vorhersehen können (auch bekannt als Rückschaufehler). 7 Kap. 2 Hippocampus („hippocampus“) neuronales Zentrum im limbischen System, das an der Verarbeitung expliziter (bewusster) Erinnerungen für die endgültige Speicherung von Fakten und Ereignissen beteiligt ist. 7 Kap. 9 Hippocampus („hippocampus“) neuronales Zentrum,
das sich im limbischen System befindet; hilft bei der Verarbeitung expliziter (bewusster) Erinnerungen an Fakten und Ereignisse. 7 Kap. 3 Hirnstamm („brain stem“) ältester Teil und Kern des Gehirns, der dort beginnt, wo das Rückenmark in den Schädel eintritt und etwas dicker wird. Der Hirnstamm ist für die automatische Aufrechterhaltung der Lebensfunktionen zuständig. 7 Kap. 3 Homöostase („homeostasis“) Tendenz, einen ausgegli-
chenen und konstanten inneren Zustand aufrechtzuerhalten; Regulation aller Bereiche der Körperchemie, wie z. B. die Regulierung des Blutzuckers auf einer bestimmten Höhe. 7 Kap. 12 Hormone („hormones“) von den endokrinen Drüsen
hergestellte chemische Botenstoffe, die sich durch den Blutkreislauf fortbewegen und andere Gewebe beeinflussen. 7 Kap. 3 Human-Factors-Psychologie („human factors psychology“) ein Teilgebiet der Psychologie, das mit der A/O-
Hypnose („hypnosis“) eine soziale Interaktion, bei der eine Person (der Hypnotiseur bzw. die Hypnotiseurin) einer anderen (der Testperson) suggeriert, dass bestimmte Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken oder Verhaltensweisen spontan auftreten werden. 7 Kap. 7 Hypophyse („pituitary gland“) wichtigste Drüse des endokrinen Systems. Unter dem Einfluss des Hypothalamus reguliert sie das Wachstum und kontrolliert die Aktivität anderer endokriner Drüsen. 7 Kap. 3 Hypothalamus („hypothalamus“) neuronale Struktur, die unterhalb („hypo“) des Thalamus liegt; steuert die lebenserhaltenden Aktivitäten (wie Essen, Trinken und die Körpertemperatur), beeinflusst über die Hypophyse das endokrine System und wird mit Emotionen in Zusammenhang gebracht. 7 Kap. 3 Hypothese („hypothesis“) meist aus einer Theorie abge-
leitete überprüfbare Vorhersage. 7 Kap. 2 Ich („ego“) das weitgehend bewusst arbeitende „ausführende Organ“ der Persönlichkeit, das nach Freuds Meinung einen Kompromiss zwischen den Forderungen des Es, des Über-Ichs und der Realität sucht. Das Ich arbeitet nach dem Realitätsprinzip und befriedigt die Wünsche des Es auf eine Weise, dass eher Lust als Schmerz zu erwarten ist. 7 Kap. 15 Identifizierung („identification“) Prozess, durch den nach Freuds Auffassung Kinder die Wertvorstellungen ihrer Eltern in ihr eigenes Über-Ich integrieren. 7 Kap. 15 Identität („identity“) Gefühl für das eigene Selbst. Nach
Erikson besteht die Aufgabe der Adoleszenz darin, das Selbstgefühl zu festigen; dabei werden verschiedene Rollen erprobt und ggf. integriert. 7 Kap. 6 Ikonisches Gedächtnis („iconic memory“) kurzzeitiges sensorisches Gedächtnis für visuelle Eindrücke, ähnlich wie eine Momentaufnahme oder ein Bild, das nur wenige Zehntelsekunden lang erinnert werden kann. 7 Kap. 9
Psychologie verwandt ist und erforscht, wie Menschen und Maschinen interagieren und wie Maschinen und Umgebungen sicher und benutzerfreundlich gestaltet werden können. 7 Anhang A
Illusorische Korrelation („illusory correlation“) die Wahr-
Humanistische Psychologie („humanistic psychology“) his-
Implizites Gedächtnis („implicit memory“) das Behalten von erlernten Fähigkeiten oder klassisch konditionierten Assoziationen, das unabhängig von bewusster Erinnerung ist (auch als nondeklaratives Gedächtnis bezeichnet). 7 Kap. 9
torisch bedeutsame Auffassung, bei der das Wachstumspotenzial des Menschen betont wird. 7 Kap. 1 Humanistische Theorien („humanistic theories“) betrachten Persönlichkeit in Bezug auf das menschliche Potenzial zu gesundem persönlichem Wachstum. 7 Kap. 15
nehmung einer Beziehung dort, wo keine existiert, oder die Annahme, dass eine Beziehung stärker ist als es tatsächlich der Fall ist. 7 Kap. 2
Individualismus („individualism“) Die Priorität für die eigenen Ziele ist höher als die für Gruppenziele; die ei-
807
Glossar
gene Identität definiert sich eher über persönliche Eigenschaften als über Gruppenmerkmale. 7 Kap. 5 Informationaler sozialer Einfluss („informational social influence“) Einfluss, der sich aus der Bereitschaft eines
Menschen ergibt, die Meinungen anderer über die Wirklichkeit anzunehmen. 7 Kap. 14 Informierte Einwilligung („informed consent“) ein ethi-
scher Grundsatz, der darin besteht, dass Versuchspersonen genügend informiert werden, um entscheiden zu können, ob sie an einem Versuch teilnehmen möchten. 7 Kap. 2 Inhaltsvalidität („content validity“) Ausmaß, in dem ein Test das zu testende Verhalten tatsächlich stichprobenartig erfasst. 7 Kap. 11 Innenohr („inner ear“) innerster Teil des Ohrs, der u. a. aus Kochlea, Bogengängen und Sacculi des Vestibularapparats besteht. 7 Kap. 7 Insomnie („insomnia“) wiederholt
auftretende Einschlaf- oder Durchschlafschwierigkeiten. 7 Kap. 4
Instinkt („instinct“) komplexes Verhalten, das bei jedem
Mitglied einer Gattung als Muster festgelegt ist und nicht gelernt werden muss. 7 Kap. 12 Instinktive Tendenz („instinctive drift“) die Tendenz, von
erlerntem Verhalten allmählich zu biologisch veranlagten prädisponierten Mustern zurückzukehren. 7 Kap. 8 Intelligenz („intelligence“) die Fähigkeit, aus Erfahrung
zu lernen, Probleme zu lösen und Wissen einzusetzen, um sich an neue Situationen anzupassen. 7 Kap. 11 Intelligenzalter („mental age“) von Binet eingeführtes
Maß zur Feststellung der Intelligenztestleistung; die Leistungsebene, die typischerweise Kindern in einem bestimmten Lebensalter zugeordnet wird. So sagt man, wenn ein Kind die Leistungen eines durchschnittlichen 8-Jährigen vollbringt, es habe ein Intelligenzalter von 8. 7 Kap. 11 Intelligenzquotient oder IQ („intelligence quotient“) ur-
sprünglich definiert als das Verhältnis von Intelligenzalter (IA) zum Lebensalter (LA) multipliziert mit 100, nach der Formel IQ = 100. In neueren Intelligenztests wird die durchschnittliche Leistungsfähigkeit einer bestimmten Altersgruppe mit einem Wert von 100 gleichgesetzt. 7 Kap. 11 Intelligenztest („intelligence test“) Methode zur Beurteilung der geistigen Fähigkeiten eines Individuums und zum Vergleich mit den Fähigkeiten anderer unter Verwendung eines Punktesystems. 7 Kap. 11
Intelligenztest („intelligence test“) ein Verfahren, um die
geistigen Fähigkeiten eines Menschen zu erfassen und sie anhand numerischer Testwerte mit denen anderer zu vergleichen. 7 Kap. 11 Intensität („intensity“) Energiemenge von Licht oder Klangwellen, die wir als Helligkeit oder Lautstärke wahrnehmen und die von der Amplitude (Höhe) der Wellen abhängt. 7 Kap. 7 Interaktion („interaction“) das Zusammenspiel, das auf-
tritt, wenn die Auswirkung eines Faktors (z. B. der Umwelt) von einem anderen Faktor abhängt (z. B. den Anlagen). 7 Kap. 5 Intergeschlechtlichkeit („intersex“) ein Zustand, der bei der Geburt aufgrund ungewöhnlicher Kombinationen von männlichen und weiblichen Chromosomen, Hormonen und Anatomie auftritt; das Baby weist biologische Geschlechtsmerkmale beider Geschlechter auf. 7 Kap. 5 internale Kontrollüberzeugung („internal locus of control“) die Wahrnehmung, dass wir unser eigenes Schick-
sal kontrollieren können. 7 Kap. 13 Interneurone („interneurons“) Neuronen des zentralen Nervensystems, deren Aufgabe es ist, die interne Kommunikation zu gewährleisten sowie Informationen zwischen sensorischem Input und motorischem Output zu verarbeiten. 7 Kap. 3 Intimität („intimacy“) nach Eriksons Theorie die Fähig-
keit, enge Liebesbeziehungen einzugehen. Intimität zulassen zu können, ist die primäre Entwicklungsaufgabe im jungen Erwachsenenalter. 7 Kap. 6 Intrinsische Motivation („intrinsic motivation“) Wunsch, ein Verhalten um seiner selbst willen zu zeigen. 7 Kap. 8 Intuition („intuition“) ein müheloser, plötzlicher und automatischer Gefühlszustand oder Gedanke im Gegensatz zu explizitem, bewusstem Überlegen. 7 Kap. 10 James-Lange-Theorie („James-Lange theory“) sagt aus,
dass unsere Emotionserfahrung dadurch entsteht, dass wir uns unserer physiologischen Reaktionen auf emotionserregende Reize bewusst werden. 7 Kap. 13 Kameradschaftliche Liebe („companionate love“) tiefe, liebevolle Bindung, die wir gegenüber Menschen empfinden, mit denen unser Leben in komplexer Weise verbunden ist. 7 Kap. 14 Katharsis („catharsis“) in der Psychologie besagt dies,
dass man sich durch das „Herauslassen“ aggressiver
808
Glossar
Energie (durch Handlungen oder in der Fantasie) von aggressiven Impulsen befreien kann. 7 Kap. 13
tivität in Verbindung mit Kognition (einschließlich Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis und Sprache). 7 Kap. 1
Kinästhesie („kinesthesis“) Fähigkeit zur Wahrnehmung Kognitive Neurowissenschaft („cognitive neuroscience“) der Position und Bewegung einzelner Gliedmaßen. interdisziplinäre Studie der Gehirnaktivität in Zusam7 Kap. 7 menhang mit Kognition (u. a. Wahrnehmung, Denken, Gedächtnis und Sprache). 7 Kap. 4 Klassische Konditionierung („classical conditioning“) Form des Lernens, bei der wir zwei oder mehr Reize mit- Kognitive Psychologie („cognitive psychology“) die Uneinander assoziieren; um es mit Pawlows klassischem Ex- tersuchung mentaler Prozesse wie sie beim Wahrnehperiment zu verdeutlichen, löst der erste Reiz (ein Ton) men, Lernen, Erinnern, Denken, Kommunizieren und als Ergebnis das Verhalten aus (Sabbern) in Vorwegnah- Problemlösen auftreten. 7 Kap. 1 me des zweiten Reizes (Futter). 7 Kap. 8 Kognitives Lernen („cognitive learning“) Erwerb menKleinhirn (Zerebellum; „cerebellum“) „kleines Gehirn“ taler Information durch Beobachten von Ereignissen am hinteren Teil des Hirnstamms, das für die Verarbei- oder Personen oder durch Sprache. 7 Kap. 8 tung der sensorischen Signale, für die Koordination zwischen motorischen Reaktionen und dem Gleichge- Kohorte („cohort“) Population, deren Mitglieder ein wichtssinn sowie für das Ermöglichen von nonverbalem gemeinsames Merkmal verbindet, wie z. B. im selben Zeitraum geboren zu sein. 7 Kap. 11 Lernen und Erinnern zuständig ist. 7 Kap. 3 Klientenzentrierte Therapie („client-centered therapy“)
von Carl Rogers entwickelte humanistische Therapie, bei der Therapeut:innen in einem echten, akzeptierenden und empathischen Setting Techniken wie aktives Zuhören anwenden, um das Wachstum der Klient:innen zu fördern (auch als personzentrierte Therapie bezeichnet). 7 Kap. 17 Klinische Psychologie („clinical psychology“) Teildisziplin
der Psychologie, die Menschen mit psychischen Störungen untersucht, testet und behandelt. 7 Kap. 1 Kochlea (Schnecke; „cochlea“) spiralförmig aufgerollte, flüssigkeitsgefüllte knöcherne Röhre im Innenohr, über die die Schallwellen Nervenimpulse auslösen. 7 Kap. 7 Kochleaimplantat („cochlear implant“) Gerät zur Um-
wandlung elektrischer Signale und zur Stimulation des Hörnervs über Elektroden, die in die Kochlea eingefädelt werden. 7 Kap. 7 Kognition („cognition“) Gesamtheit der geistigen Ak-
tivitäten im Zusammenhang mit Denken, Wissen, Erinnern und Kommunizieren. 7 Kap. 6 Kognition („cognition“) alle mentalen Aktivitäten, die mit Denken, Wissen, Erinnerung und Kommunikation zu tun haben. 7 Kap. 10 Kognitive Landkarte („cognitive map“) mentale Darstel-
lung der eigenen Umgebung. Beispielsweise verhalten sich Ratten, nachdem sie ein Labyrinth erkundet haben, als hätten sie eine kognitive Landkarte dieses Labyrinths entwickelt. 7 Kap. 8 Kognitive Neurowissenschaft („cognitive neuroscience“) die interdisziplinäre Untersuchung der Gehirnak-
Kokain („cocaine“) ein starkes und abhängig machendes Stimulanzmittel, das aus der Kokapflanze gewonnen wird; bewirkt vorübergehend erhöhte Wachsamkeit und Euphorie. 7 Kap. 4 Kollektives Unbewusstes („collective unconscious“) Carl Jungs Konzept einer gemeinsamen Erbmasse an Erinnerungsspuren aus der Geschichte unserer Art. 7 Kap. 15 Kollektivismus („collectivism“) Die Ziele der Gruppe (oft die Großfamilie oder die Arbeitsgruppe) haben Priorität, die Definition der eigenen Identität richtet sich an ihnen aus. 7 Kap. 5 Konditionierte Reaktion (CR; auch bedingte Reaktion; „conditioned response“) in der klassischen Konditionie-
rung die gelernte Antwort auf einen zunächst neutralen, nun jedoch konditionierten Reiz (CS). 7 Kap. 8 Konditionierter Stimulus bzw. Reiz (CS; auch bedingter Stimulus; „conditioned stimulus“) in der klassischen Kon-
ditionierung ein zunächst irrelevanter Reiz, der nach der Assoziation mit einem unkonditionierten Reiz (US) eine konditionierte Reaktion (CR) auslöst. 7 Kap. 8 Konditionierter Verstärker („conditioned reinforcer“) Reiz, der dadurch verstärkend wirkt, dass er mit
einem primären Verstärker gekoppelt wird; auch bekannt als sekundärer Verstärker. 7 Kap. 8 Konditionierung höherer Ordnung („higher-order conditioning“) Prozess, bei dem der konditionierte Reiz aus
einer konditionierten Erfahrung mit einem neuen neutralen Reiz verbunden wird und dadurch ein zweiter (oftmals schwächerer) konditionierter Reiz geschaffen wird. Wenn ein Tier z. B. gelernt hat, dass ein Ton Futter vorhersagt, könnte es lernen, dass ein Lichtsignal den
809
Glossar
Ton vorhersagt und dann schon auf das Lichtsignal reagieren. (Auch Konditionierung zweiter Ordnung genannt.) 7 Kap. 8 Konflikt („conflict“) wahrgenommene Unvereinbarkeit
von Handlungen, Zielen oder Ideen. 7 Kap. 14 Konformität („conformity“) Anpassung des Verhaltens
oder Denkens, um mit dem Gruppenstandard übereinzustimmen. 7 Kap. 14 Konkret-operatorisches Stadium („concrete operational stage“) in Piagets Theorie das Stadium der kognitiven
Entwicklung (vom 6./7. bis zum 11. Lebensjahr), in dem Kinder die geistigen Operationen entwickeln, die sie dazu befähigen, logisch über konkrete Ereignisse nachzudenken. 7 Kap. 6 Kontinuierliche Verstärkung („continuous reinforcement“) Verstärkung der erwarteten Reaktion bei jedem
Auftreten. 7 Kap. 8 Kontrollgruppe („control group“) Gruppe in einem Ex-
periment, die keine Behandlung erhält; die Kontrollgruppe steht der Versuchsgruppe gegenüber und wird als Vergleich herangezogen, um die Wirkung der Behandlung zu evaluieren. 7 Kap. 2 Konvergentes Denken („convergent thinking“) Eingrenzen der verfügbaren Problemlösungen zur Bestimmung der einzigen besten Lösung. 7 Kap. 10 Koronare Herzerkrankungen („coronary heart disease“) zusammenfassende Bezeichnung für alle Erkran-
kungen, bei denen die Sauerstoffversorgung des Herzmuskels durch verstopfte Gefäße beeinträchtigt ist; eine der Haupttodesursachen in vielen Industrienationen. 7 Kap. 13
oder Erfahrungen ausgesetzt, so wird der angemessene Entwicklungsprozess in Gang gesetzt. 7 Kap. 6 Kritisches Denken („critical thinking“) eine Art zu denken, die Argumente und Schlussfolgerungen nicht einfach blindlings akzeptiert. Stattdessen werden Vorannahmen einer Prüfung unterzogen, die Glaubwürdigkeit von Informationsquellen beurteilt, Abweichungen werden aufgedeckt, Beweise auf ihre Richtigkeit hin überprüft und daraus resultierende Schlussfolgerungen werden erfasst. 7 Kap. 1 Kultur („culture“) dauerhafte Verhaltensweisen, Vorstellungen, Einstellungen, Werte und Traditionen einer Gruppe von Menschen, die von einer Generation zur nächsten überliefert werden. 7 Kap. 1 Kultur („culture“) überdauernde Verhaltensweisen, Vorstellungen, Einstellungen, Werte und Traditionen, die von einer großen Gruppe von Menschen geteilt und von einer Generation an die nächste weitergegeben werden. 7 Kap. 5 Kurzzeitgedächtnis („short-term memory“) aktiviertes Gedächtnis, das einige Items für kurze Zeit festhält (wie z. B. während eines Anrufs die sieben Ziffern einer Handynummer ohne Vorwahl), um sie dann entweder abzuspeichern oder zu vergessen. 7 Kap. 9 LSD (Lysergsäurediethylamid; „lysercig acid diethylamide“) starke halluzinogene Droge, auch als „Acid“
bekannt. 7 Kap. 4 Lallstadium („babbling stage“) beginnt mit etwa 4 Monaten. Die Phase der Sprachentwicklung, in der ein Säugling spontan verschiedene Laute hervorbringt, zunächst auch solche, die nicht in der Sprache seiner Umgebung vorkommen. 7 Kap. 10
Korrelation („correlation“) Maßeinheit, welche das Ausmaß des Zusammenhangs zwischen zwei Merkmalsvariablen angibt und damit ausdrückt, wie gut eine Variable die andere Variable vorhersagt. 7 Kap. 2
Langzeitgedächtnis („long-term memory“) relativ zeit-
Korrelationskoeffizient („correlation coefficient“) statistische Maßzahl des Zusammenhangs zwischen zwei Variablen (von −1 bis +1). 7 Kap. 2
Langzeitpotenzierung (LTP; „long-term potentiation“) Zu-
Kreativität („creativity“) Die Fähigkeit, neue und wertvolle Ideen zu entwickeln. 7 Kap. 10 Kristalline Intelligenz („crystallized intelligence“) gesammeltes Wissen und Ausdrucksfähigkeit eines Menschen. Diese Form der Intelligenz steigt im Alter tendenziell an. 7 Kap. 11 Kritische Phase („critical period“) wird ein Organismus zu
diesem optimalen, frühen Zeitpunkt bestimmten Reizen
überdauernder und unbegrenzt aufnahmefähiger Speicher des Gedächtnissystems; dazu gehören Wissen, Fertigkeiten und Erfahrungen. 7 Kap. 9 nahme des Potenzials einer Synapse, nach einer kurzen, schnellen Stimulierung feuern zu können; eine neuronale Grundlage für Lernen und Gedächtnis ist. 7 Kap. 9 Latenter Trauminhalt („latent content“) nach Freud die verborgene Bedeutung eines Traumes (im Gegensatz zum manifesten Inhalt). Freud war davon überzeugt, dass der latente Inhalt von Träumen die Funktion eines Sicherheitsventils hat. 7 Kap. 4 Latentes Lernen („latent learning“) Form des Lernens,
die erst sichtbar wird, wenn ein Anreiz besteht, das Gelernte zu zeigen. 7 Kap. 8
810
Glossar
Leidenschaftliche Liebe („passionate love“) erregter Zustand intensiven, vollkommenen Ineinander-Aufgehens, der in der Regel zu Beginn einer Liebesbeziehung auftritt. 7 Kap. 14 Leistungsmotivation („achievement motivation“) Ausmaß des Strebens nach herausragenden Leistungen; beinhaltet einen Wunsch nach der Beherrschung von Fähigkeiten oder Ideen, nach Kontrolle und nach schnellem Erreichen eines hohen Standards. 7 Kap. 12 Leistungstest („achievement test“) Test, mit dem erfasst
werden soll, was eine Person in einem bestimmten Bereich gelernt hat. 7 Kap. 11 Lernen („learning“) relativ
dauerhafte Veränderung im Verhalten eines Organismus aufgrund von Erfahrung. 7 Kap. 8
Limbisches System („limbic system“) neuronales System (beinhaltet die Amygdala, den Hypothalamus und den Hippocampus), das unter den zerebralen Hemisphären liegt. Die Aktivität des Systems wird in Zusammenhang gebracht mit Gefühlen und Trieben. 7 Kap. 3 Linguistischer Determinismus („linguistic determinism“)
Whorfs Hypothese, dass die Sprache unsere Denkweise bestimmt. 7 Kap. 10
oder eine andere Operation entstandene Zerstörung von Hirngewebe. 7 Kap. 3 Löschung (auch Extinktion; „extinction“) kontinuierliches Schwächerwerden der konditionierten Reaktion. In der klassischen Konditionierung tritt Löschung ein, wenn dem konditionierten Reiz (CS) kein unkonditionierter Reiz (US) folgt; in der operanten Konditionierung geschieht dies, wenn eine Reaktion nicht mehr verstärkt wird. 7 Kap. 8 Lügendetektor bzw. Polygraf („polygraph“) ein Gerät, das mit dem Ziel verwendet wird, Lügen aufzudecken. Es misst die physiologischen Reaktionen, die mit Emotionen einhergehen (wie Änderungen in der Schweißproduktion, der Herzfrequenz und der Atmung). 7 Kap. 13 Magnetoenzephalografie (MEG; „magnetoencephalography“) ein bildgebendes Verfahren, das Magnetfelder
aus der natürlichen elektrischen Aktivität des Gehirns misst. 7 Kap. 3 Magnetresonanztomografie (MRT, auch Kernspintomografie; „magnetic resonance imaging“ oder MRI) ein
Verfahren, das mit Hilfe von Magnetfeldern und elektromagnetischen Wellen computergestützt Bilder von weichem Gewebe erstellt. MRT-Scans stellen die Strukturen innerhalb des Gehirns dar. 7 Kap. 3
Lobotomie
(„lobotomy“) psychochirurgischer Eingriff, der früher angewendet wurde, um unkontrollierbar emotionale oder gewalttätige Patient:innen ruhigzustellen. Bei dem Eingriff wurden die Nervenverbindungen zwischen den Frontallappen und den emotionssteuernden Zentren im Inneren des Gehirns durchtrennt. 7 Kap. 17
Major Depression („major depressive disorder“) affektive Störung, bei der ein Mensch für 2 Wochen 5 oder mehr Symptome zeigt, von denen mindestens eines von ihnen entweder (1) eine depressive Stimmung oder (2) ein Verlust von Interesse oder Freude ist, ohne dass Drogenkonsum oder andere medizinische Gründe vorliegen. 7 Kap. 16
Lymphozyten („lymphocytes“) zwei Arten von weißen Blutkörperchen, die zum körpereigenen Immunsystem gehören. B-Lymphozyten werden im Knochenmark gebildet und setzen Antikörper frei, die bakterielle Infektionen bekämpfen. T-Lymphozyten werden in der Thymusdrüse gebildet und haben u. a. die Aufgabe, Krebszellen, Viren und körperfremde Substanzen anzugreifen. 7 Kap. 13
Manie („mania“) hyperaktiver, überaus optimistischer Zustand, der insbesondere durch mangelndes Urteilsvermögen charakterisiert ist. 7 Kap. 16
Längsschnittstudie („longitudinal study“) Studie, bei der
eine Hälfte der Werte liegt unterhalb, die andere Hälfte oberhalb des Medianwertes. 7 Kap. 2
ein und dieselben Personen über einen längeren Zeitraum immer wieder getestet werden. 7 Kap. 11 Längsschnittstudie („longitudinal study“) eine wissen-
schaftliche Methode, bei der die gleichen Menschen über einen längeren Zeitraum hinweg immer wieder untersucht und getestet werden. 7 Kap. 6 Läsion („lesion“) Zerstörung von Gewebe. Eine Hirnläsion ist eine auf natürliche Weise, durch ein Experiment
Manifester Trauminhalt („manifest content“) nach Freud
die erinnerte Handlung eines Traums (im Unterschied zu seinem latenten Inhalt). 7 Kap. 4 Median („median“) der mittlere Wert in einer Verteilung;
Medizinischer Ansatz („medical model“) Konzept, dass Krankheiten, in diesem Fall psychische Störungen, auf physischen Ursachen beruhen, die diagnostiziert, behandelt und in den meisten Fällen auch geheilt werden können, oft durch Behandlung in einem Krankenhaus. 7 Kap. 16
Glossar
811
Medulla oblongata („medulla“) unterer Teil des Hirn- Mnemotechniken („mnemonics“) Gedächtnishilfen, insstamms, der Herzschlag und Atmung kontrolliert. besondere jene Techniken, die eindringliche Bilder und 7 Kap. 3 Ordnungsstrukturen nutzen. 7 Kap. 9 Menarche („menarche“) die erste Regelblutung bei Mäd-
Modalwert („mode“) der Wert oder die Werte, die in ei-
chen. 7 Kap. 5
ner Verteilung am häufigsten auftreten. 7 Kap. 2
Mengenerhaltung („conservation“) Wissen, dass Masse, Volumen und Anzahl von Gegenständen gleich bleiben, wenn diese die Form verändern. Piaget hielt das Erfassen dieses Prinzips für einen Bestandteil des konkretoperatorischen Denkens. 7 Kap. 6
Modelllernen („modeling“) Prozess des Beobachtens und
Menopause („menopause“) das natürliche Ende der
Menstruation. Bezieht sich auch auf die biologischen Veränderungen, die mit der Abnahme der Reproduktionsfähigkeit der Frau einhergehen. 7 Kap. 6 Mentales Set („mental set“) Tendenz, ein Problem auf eine bestimmte Weise anzupacken, insbesondere auf eine Weise, die schon einmal erfolgreich war. 7 Kap. 10 Mere-Exposure-Effekt („mere exposure effect“) Phänomen, dass die wiederholte bloße Darbietung neuer Reize dazu beiträgt, daran Gefallen zu finden. 7 Kap. 14
Nachahmens eines bestimmten Verhaltens. 7 Kap. 8 Molekulare Verhaltensgenetik („molecular behavior genetics“) Untersuchung der Art und Weise, wie die Struk-
tur und Funktion von Genen mit unserer Umwelt interagieren und so unser Verhalten beeinflussen. 7 Kap. 5 Molekulargenetik („molecular genetics“) Teilgebiet der Biologie, das sich mit der Untersuchung der molekularen Struktur und Funktion von Genen befasst. 7 Kap. 5 Monokulare Hinweisreize („monocular cues“) Entfernungsmerkmale, wie Zentralperspektive (auch Linearperspektive) und Überlappung, die jedes Auge für sich alleine erkennen kann. 7 Kap. 7 Morphem („morpheme“) kleinster bedeutungstragender
Merkmalsdetektoren („feature detectors“) Nervenzellen
Baustein einer Sprache; kann ein Wort oder ein Wortbestandteil sein. 7 Kap. 10
im Gehirn, die auf bestimmte Merkmale von Reizen (z. B. Form, Winkel oder Bewegung) reagieren. 7 Kap. 7
Motivation („motivation“) ein Bedürfnis oder ein Wunsch,
Methamphetamin („methamphetamine“) stark süchtig
machende Droge, die das zentrale Nervensystem stimuliert; führt zu beschleunigten Körperfunktionen und Veränderungen in Bezug auf Energie und Stimmung; mit der Zeit scheint sie das Ausgangsniveau des Dopaminspiegels zu verringern. 7 Kap. 4 Minnesota Multiphasic Personality Inventory (MMPI) der am besten erforschte und in den USA am häufigsten klinisch angewandte Persönlichkeitstest. Ursprünglich entwickelt zur Diagnose emotionaler Störungen (was auch heute noch als sein bestes Einsatzgebiet gilt). Er wird heute für vielfältige andere Zwecke, wie etwa zum Screening, eingesetzt. 7 Kap. 15 Mittelohr („middle ear“) Kammer zwischen Trommelfell und Kochlea; sie enthält drei Knöchelchen (Hammer, Amboss und Steigbügel), die dafür sorgen, dass sich die Schwingungen des Trommelfells auf das ovale Fenster der Kochlea konzentrieren. 7 Kap. 7 Mittelwert („mean“) das arithmetische Mittel wird berechnet durch die Addition sämtlicher Werte; diese Summe wird durch die Gesamtzahl der Werte dividiert. 7 Kap. 2
das/der unser Verhalten antreibt und lenkt. 7 Kap. 12 Motoneurone („motor neurons“) Efferente Neuronen,
die den Muskeln und Drüsen die Informationen vom zentralen Nervensystem übermitteln. 7 Kap. 3 Motorischer Kortex („motor cortex“) Areal im hinteren
Teil des Frontallappens, das die Willkürbewegung steuert. 7 Kap. 3 Mutation („mutation“) Zufallsfehler bei der Genreplika-
tion, der zu einer Veränderung führt. 7 Kap. 5 Myelinschicht (auch Markscheide;„myelin sheath“) Schicht von fettreichem Gewebe, das die Axone vieler Neuronen abschnittsweise umspannt. Durch die Myelinisierung wird die Geschwindigkeit der Informationsvermittlung erhöht, weil die Impulse von einem Knoten (RanvierSchnürring) zum nächsten springen. 7 Kap. 3 Nachbesprechung („debriefing“) Aufklären der Versuchspersonen nach Abschluss des Experiments über die Studie, inklusive ihres Ziels und der verwendeten Täuschungen. 7 Kap. 2 Nacheinander ablaufende Prozesse („sequential processing“) Verarbeitung jeweils eines Aspekts eines Pro-
blems; wird im Allgemeinen verwendet, um neue Infor-
812
Glossar
mationen zu verarbeiten oder schwierige Probleme zu lösen. 7 Kap. 4
Körper, das aus allen Nervenzellen des peripheren und zentralen Nervensystems besteht. 7 Kap. 3
Nahtoderfahrung („near-death experience“) veränderter Bewusstseinszustand, der häufig von Menschen erlebt wird, die dem Tod nahe sind (z. B. bei einem Herzstillstand); ähnelt oft drogeninduzierten Halluzinationen 7 Kap. 4
Neurogenese („neurogenesis“) Bildung neuer Neuronen.
Narkolepsie („narcolepsy“) Schlafstörung, die durch
unkontrollierbare Schlafattacken gekennzeichnet ist. Betroffene Personen fallen unter Umständen direkt in REM-Schlafstadien, oft zu den unpassendsten Gelegenheiten. 7 Kap. 4 Narzissmus („narcisissm“) exzessive
Selbstliebe
und
Selbstversunkenheit. 7 Kap. 15 Narzissmus („narcissism“) übermäßige Selbstliebe und
Selbstbezogenheit. 7 Kap. 12 Natürliche Selektion („natural selection“) Prinzip, dass vererbte Merkmale, die es einem Organismus besser ermöglichen, in einer bestimmten Umwelt zu überleben und sich fortzupflanzen, eher an nachfolgende Generationen weitergegeben werden als andere (konkurrierende) Merkmale. 7 Kap. 5 Natürliche Selektion („natural selection“) das Prinzip,
dass aus der Menge der ererbten Merkmalsvarianten diejenigen an die nachfolgenden Generationen weitergegeben werden, die am meisten zur Fortpflanzung und zum Überleben der Lebewesen in einer bestimmten Umwelt beitragen. 7 Kap. 1 Nebennieren („adrenal glands“) Paar endokriner Drü-
sen direkt oberhalb der Niere. Sie schütten die Hormone Adrenalin (oder Epinephrin) und Noradrenalin (oder Norepinephrin) aus, die den Körper bei Stresssituationen in Erregung versetzen. 7 Kap. 3 Negative Verstärkung („negative reinforcement“) Zunah-
me der Häufigkeit eines Verhaltens, wenn negative Reize wie ein Elektroschock nicht mehr oder schwächer dargeboten werden. Ein negativer Verstärker ist jeder Reiz, der, wenn er nach einer Reaktion entfernt wird, die Reaktion bekräftigt. (Beachten Sie bitte, dass negative Verstärkung nicht dasselbe wie Bestrafung ist.) 7 Kap. 8 Nerven („nerves“) neuronale „Kabel“, die aus vielen
gebündelten Axonen bestehen. Diese sind Teil des peripheren Nervensystems und verbinden das zentrale Nervensystem mit Muskeln, Drüsen und Sinnesorganen. 7 Kap. 3 Nervensystem („nervous system“) elektrochemisches Hochgeschwindigkeitskommunikationsnetz in unserem
7 Kap. 3
Neurokognitive Störungen (NCDs, „neurocognitive disorders“) erworbene (nicht lebenslange) Störungen, die
durch kognitive Defizite gekennzeichnet sind; oft im Zusammenhang mit der Alzheimer-Krankheit, einer Hirnverletzung oder–erkrankung oder Drogenmissbrauch. Bei älteren Erwachsenen wurden die neurokognitiven Störungen früher als Demenz bezeichnet. 7 Kap. 6 Neuron („neuron“) Nervenzelle, der Grundbaustein des
Nervensystems. 7 Kap. 3 Neurotransmitter („neurotransmitter“) chemische Bo-
tenstoffe, die den synaptischen Spalt zwischen den Neuronen überqueren. Die Stoffe werden vom präsynaptischen Neuron ausgeschüttet und wandern über den Spalt zum postsynaptischen Neuron, wo sie an Rezeptormoleküle gebunden werden. Damit haben die Neurotransmitter einen Einfluss darauf, ob in der postsynaptischen Zelle ein neuronaler Impuls entsteht. 7 Kap. 3 Neutraler Stimulus bzw. Reiz (NS; „neutral stimulus“) in der klassischen Konditionierung ein Reiz, der vor der Konditionierung keine Reaktion auslöst. 7 Kap. 8 Nikotin („nicotine“) –eine stimulierende und höchst süchtig machende psychoaktive Substanz in Tabak. 7 Kap. 4 Norm („norm“) allgemein verstandene Regel für akzeptiertes und erwartetes Verhalten. Normen schreiben ein „angemessenes“ Verhalten vor. 7 Kap. 5 Norm der sozialen Verantwortung („social responsibility norm“) Erwartung, dass wir denen, die unsere Hilfe
benötigen, helfen. 7 Kap. 14 Normalverteilung („normal curve“) glockenförmige Kurve, mit der die Verteilung vieler körperlicher und psychischer Merkmale beschrieben wird. Die meisten Werte liegen im Bereich unmittelbar links und rechts des Durchschnitts. Je weiter man sich zu den Extremen hin bewegt, desto weniger Werte findet man. 7 Kap. 11 Normalverteilung („normal curve“, „normal distribution“) symmetrische, glockenförmige Kurve, mit der die
Verteilung vieler Datentypen beschrieben wird. Die meisten Werte finden sich in der Nähe des Durchschnitts (ungefähr 68 % liegen im Bereich einer Standardabweichung links oder rechts des Durchschnitts). Je weiter man sich zu den Extremen hin bewegt, desto weniger Werte findet man. 7 Kap. 2
813
Glossar
Normativer sozialer Einfluss („normative social influence“) Einfluss, der sich aus dem Wunsch einer Person
ergibt, Zustimmung zu bekommen und Ablehnung zu vermeiden. 7 Kap. 14 Normierung („standardization“) Festlegung einheitlicher
Testverfahren und sinnvoller Werte durch den Vergleich mit den Werten einer zuvor getesteten Normierungsstichprobe; auch Eichung genannt. 7 Kap. 11 Nucleus suprachiasmaticus („suprachiasmatic nucleus“)
ein Zellhaufen-Paar im Hypothalamus, das die zirkadiane Rhythmik steuert. Als Reaktion auf Licht veranlasst der Nucleus suprachiasmaticus die Zirbeldrüse, die Melatoninproduktion zu regulieren und so unser Müdigkeitsgefühl zu verändern. 7 Kap. 4
rischen Einflüsse auf die Zufriedenheit und Produktivität der Mitarbeitenden untersucht und organisatorische Veränderung erleichtert. 7 Anhang A Ortstheorie („place theory“) besagt, dass beim Gehör jede Tonhöhe der Erregung eines bestimmten Orts der Basilarmembran der Kochlea entspricht. 7 Kap. 7 Östrogen („estrogen“) Geschlechtshormon (z. B. Öst-
radiol), das bei Frauen in größerem Umfang vorkommt als bei Männern, und das zur Entstehung weiblicher Geschlechtsmerkmale beiträgt. Der Östrogenspiegel erreicht beim Eisprung seinen Höhepunkt. Bei nichtmenschlichen weiblichen Säugetieren regt dies die sexuelle Empfänglichkeit an. 7 Kap. 12
Oberflächliche Verarbeitung Enkodierung auf einer sehr
Other-Race-Effekt (auch Cross-Race-Effekt, Own-RaceBias; „other-race effect“) Tendenz, sich an Gesichter der
einfachen Stufe, die auf der Struktur oder dem Erscheinungsbild von Wörtern basiert. 7 Kap. 9
eigenen Ethnie besser zu erinnern, als an die von Mitgliedern anderer Herkunft. 7 Kap. 14
Objektpermanenz („object permanence“) Wissen, dass
Panikstörung („panic disorder“) Angststörung, die sich
ein Gegenstand weiterhin existiert, auch wenn er gerade nicht wahrgenommen werden kann. 7 Kap. 6
durch unvorhersehbare Episoden intensiver Angst auszeichnet, die einige Minuten andauern und in denen die Betroffenen Todesangst erleben, verbunden mit Schmerzen im Brustkorb, dem Gefühl zu ersticken oder anderen furchterregenden Empfindungen. Nach einer solchen Attacke besteht oft die Angst vor einem erneuten Ausbruch. 7 Kap. 16
Ödipuskomplex („Oedipus complex“) nach Freud die sexuellen Wünsche von Söhnen gegenüber der Mutter und die damit verbundenen Gefühle von Hass und Eifersucht gegenüber dem Vater, der als Rivale erlebt wird. 7 Kap. 15 Okzipitallappen („occipital lobes“) Teil des zerebralen
Kortex, der am Hinterkopf liegt. Umfasst Areale, die Informationen aus dem Blickfeld erhalten. 7 Kap. 3 Olfaktion („olfaction“) der Geruchssinn 7 Kap. 7 Operante Konditionierung („operant conditioning“)
Form des Lernens, bei der ein Verhalten mit höherer Wahrscheinlichkeit wieder auftritt, wenn ihm ein Verstärker folgt, oder abgeschwächt wird, wenn eine Bestrafung folgt. 7 Kap. 8 Operationale Definition („operational definition“) eine sorgfältig formulierte Darstellung der genauen Verfahren (Operationen), die in einer Forschungsstudie verwendet werden. So kann menschliche Intelligenz beispielsweise operational definiert werden als „das, was ein Intelligenztest misst“. 7 Kap. 2 Opiate („opiates“) Opium und seine Derivate wie Morphium und Heroin vermindern die neuronale Aktivität und lindern daher zeitweise Schmerzen und Angstgefühle. 7 Kap. 4 Organisationspsychologie („organizational psychology“)
ein Teilgebiet der A/O-Psychologie, das die organisato-
Parallel ablaufende Prozesse („parallel processing“) Verarbeitung vieler Aspekte eines Problems gleichzeitig; wird im Allgemeinen verwendet, um gut gelernte Informationen zu verarbeiten oder einfache Probleme zu lösen. 7 Kap. 4 Parallele Prozessverarbeitung („parallel processing“) Das gleichzeitige Verarbeiten mehrerer Aspekte eines Problems; der normale, für viele Aufgaben genutzte Gehirnmodus zur Informationsverarbeitung 7 Kap. 9 Parallelverarbeitung („dual processing“) Prinzip, dass Informationen oftmals gleichzeitig auf getrennten bewussten und unbewussten Spuren verarbeitet werden. 7 Kap. 4 Parallelverarbeitung („parallel processing“) gleichzeitiges Verarbeiten mehrerer Aspekte eines Problems. Die natürliche Arbeitsweise des Gehirns bei der Informationsverarbeitung für eine Vielzahl von Funktionen (u. a. beim Sehen). 7 Kap. 7 Paraphilien („paraphilias“) sexuelle
Erregung durch Phantasien, Verhaltensweisen oder Triebe, die nichtmenschliche Objekte, das eigene Leiden oder Leiden anderer und/oder nicht-einwilligende Personen beinhalten. 7 Kap. 12
814
Glossar
Parapsychologie („parapsychology“) beschäftigt sich mit
paranormalen Phänomenen wie außersinnlicher Wahrnehmung und Psychokinese. 7 Kap. 7 Parasympathikus („parasympathetic nervous system“) Teil des vegetativen Nervensystems, der für Beru-
higung sorgt und es damit dem Körper ermöglicht, neue Energie zu speichern bzw. Energie zu sparen. 7 Kap. 3 Parietallappen („parietal lobes“) Teil des zerebralen Kortex, der oben und weiter hinten am Kopf liegt. Erhält sensorische Signale für Berührungen und Körperposition. 7 Kap. 3 Partieller (intermittierender) Verstärkungsplan („partial or intermittent reinforcement schedule“) nur gelegent-
liche Verstärkung einer Reaktion. Intermittierende Verstärkung führt zu langsamerem Erlernen einer Reaktion, ist aber deutlich löschungsresistenter als eine Reaktion, die durch kontinuierliche Verstärkung gelernt wird. 7 Kap. 8 Pavor nocturnus („night terrors“) hohes Erregungsni-
veau und ein Gefühl starker Angst sind typisch für diese Schlafstörung. Im Gegensatz zu Albträumen treten diese Phasen nächtlicher Panik im NREM-3-Schlaf innerhalb der ersten 2 bis 3 Stunden nach dem Einschlafen auf; in der Regel können sich die Betroffenen am nächsten Tag nicht daran erinnern. 7 Kap. 4 Periphere Route der Überzeugung („peripheral route persuasion“) tritt auf, wenn man durch nebensächliche
Hinweise beeinflusst wird, wie beispielsweise die Attraktivität eines Redners bzw. einer Rednerin. 7 Kap. 14 Peripheres Nervensystem (PNS; „peripheral nervous system“) sensorische Neuronen und Motoneuronen, die
das zentrale Nervensystem (ZNS) mit dem Rest des Körpers verbinden, sowie die Neuronen des autonomen Nervensystems. 7 Kap. 3 Personalpsychologie („personnel psychology“) ein Teil-
bereich der A/O-Psychologie, der bei der Arbeitssuche hilft und bei der Rekrutierung, Auswahl, Vermittlung, Ausbildung, Beurteilung und Entwicklung von Mitarbeitenden. 7 Anhang A Persönliche Kontrolle („personal control“) Das Gefühl,
unsere Umgebung kontrollieren zu können, statt sich hilflos zu fühlen. 7 Kap. 13 Persönlichkeit („personality“) das für ein Individuum
charakteristische Muster des Denkens, Fühlens und Handelns. 7 Kap. 15 Persönlichkeitsinventar („personality inventory“) Fragebogen, bei dem die Proband:innen auf Items (oft Richtig-falsch-Items oder Aussagen, die mit „stimme
zu stimme nicht zu“ zu beantworten sind) antworten, die so konzipiert sind, dass sie einen weiten Bereich von Gefühlen und Verhaltensweisen abdecken; wird zur Erfassung ausgewählter Persönlichkeitsmerkmale eingesetzt. 7 Kap. 15 Persönlichkeitsstörung („personality disorder“) unflexible, andauernde Verhaltensmuster, die die soziale Funktionsfähigkeit beeinträchtigen. 7 Kap. 16 Phi-Phänomen („phi phenomenon“) Scheinbewegung, die durch zwei oder mehr nebeneinander angeordnete Lichter erzeugt wird, die in rascher Folge an- und ausgehen. 7 Kap. 7 Phobie („phobia“) Angststörung, gekennzeichnet durch anhaltende irrationale Angst und Vermeidung eines spezifischen Objekts, einer bestimmten Aktivität oder Situation. 7 Kap. 16 Phonem („phoneme“) kleinste unterscheidbare Lautein-
heit in einer gesprochenen Sprache. 7 Kap. 10 Phänomen „Fühl dich gut und du tust etwas Gutes“ („feelgood, do-good phenomenon“) Tendenz von Menschen,
hilfreich zu sein, wenn sie in einer guten Stimmung sind. 7 Kap. 13 Placeboeffekt (Aussprache Betonung: Platsebo; lateinisch für „Ich werde gefallen“; „placebo effect“) experimentelle
Ergebnisse, die nur durch Erwartungen zustande kommen; jede Auswirkung auf das Verhalten, die durch die Verabreichung einer unwirksamen Substanz hervorgerufen wird, von der die Versuchsteilnehmenden jedoch annehmen, dass sie wirkt. 7 Kap. 2 Plastizität („plasticity“) Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen, vor allem während der Kindheit. Geschieht durch Reorganisation nach einer Verletzung oder durch Bilden neuer Verbindungen basierend auf Erfahrungen. 7 Kap. 3 Population („population“) sämtliche Fälle in einer
Gruppe, aus der eine Stichprobe für eine Studie gezogen wird. (Achtung: Mit Ausnahme von nationalen Studien ist damit nicht die gesamte Population eines Landes gemeint.) 7 Kap. 2 Positive Psychologie („positive psychology“) die wissen-
schaftliche Untersuchung der Funktionsfähigkeit des Menschen mit dem Ziel, die Stärken und guten Eigenschaften zu entdecken und zu fördern, die das Gedeihen des Einzelnen und der Gemeinschaft ermöglichen. 7 Kap. 1 Positive Psychologie („positive psychology“) die wissen-
schaftliche Untersuchung des menschlichen Wohlbefindens mit dem Ziel, Stärken und Tugenden zu entdecken
Glossar
und zu fördern, um dem Einzelnen und gesellschaftlichen Gruppen die Möglichkeit zur Entfaltung zu bieten. 7 Kap. 13 Positive Verstärkung („positive reinforcement“) Zunahme der Häufigkeit eines Verhaltens, wenn positive Reize wie Essen dargeboten werden. Ein positiver Verstärker ist jeder Reiz, der, wenn er dargeboten wird, die Reaktion bekräftigt. 7 Kap. 8
815
Prinzip der Enkodierungsspezifität („encoding specificity principle“) die Idee, dass spezifische Hinweise und Kon-
texte zu einer bestimmten Erinnerung den Abruf dieser Erinnerung besonders effektiv ermöglichen. 7 Kap. 9 Proaktive Interferenz (auch proaktive Hemmung; „proactive interference“) vorwärts gerichteter Störeffekt von
früher Gelerntem auf die Reproduktion neuer Informationen. 7 Kap. 9
Positronenemissionstomografie (PET; „positron-emission tomography“) Form der Visualisierung von Gehirn-
Problemfokussierte Bewältigung („problem-focused coping“) Versuch, den Stress direkt zu verringern, indem
aktivität, bei der die Verteilung radioaktiv markierter Glukose im Gehirn beobachtet werden kann, während eine vorgegebene Aufgabe ausgeführt wird. 7 Kap. 3
wir den Stressor selbst oder die Art und Weise ändern, wie wir damit umgehen. 7 Kap. 13
Posthypnotische Suggestion („posthypnotic suggestion“)
ein Vorschlag, der während einer Hypnosesitzung gemacht wird und durchgeführt werden soll, nachdem die Person nicht mehr hypnotisiert ist; wird in einigen klinischen Situationen verwendet, um unerwünschte Symptome und Verhaltensweisen zu kontrollieren. 7 Kap. 7 Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS; „posttraumatic stress disorder“, PTSD) Eine Störung, die charak-
Projektiver Test („projective text“) Persönlichkeitstest, z. B. Rorschach-Test, der vieldeutige Reize vorgibt, um eine Projektion der inneren Dynamik des Probanden bzw. der Probandin hervorzurufen. 7 Kap. 15 Prosoziales Verhalten („prosocial behavior“) positives, konstruktives, hilfsbereites Verhalten. Das Gegenteil von antisozialem Verhalten. 7 Kap. 8 Prototyp („prototype“) Vorstellungsbild oder typisches
terisiert ist durch quälende Erinnerungen, Albträume, Hypervigilanz, sozialen Rückzug, nervöse Angst, emotionale Abstumpfung und/oder eine nach einer traumatischen Erfahrung 4 Wochen oder länger anhaltende Schlaflosigkeit. 7 Kap. 16
Beispiel für eine Kategorie. Wenn man neue Wahrnehmungen mit dem Prototyp abgleicht, hat man ein schnelles und einfaches Verfahren, Wahrnehmungen in Kategorien zu sortieren (z. B. wenn man gefiederte Lebewesen mit prototypischen Vögeln wie dem Spatz vergleicht). 7 Kap. 10
Posttraumatisches Wachstum („posttraumatic growth“) positive psychologische Veränderungen als Ergebnis der Bewältigung extrem schwieriger Umstände und Lebenskrisen. 7 Kap. 17
Prägung („imprinting“) Vorgang, der bei manchen Tieren zur Ausbildung eines Bindungsverhaltens führt. Die Prägung erfolgt in der kritischen Phase. 7 Kap. 6
Preparedness (vorbereitetes Lernen) eine biologische
Prädisposition, überlebenswichtige Assoziationen zu lernen, wie zum Beispiel zwischen Geschmack und Übelkeit. 7 Kap. 8 Priming (Voraktivierung; „priming“) häufig unbewusst erfolgende Aktivierung spezieller Assoziationen im Gedächtnis. 7 Kap. 9 Priming („priming“) oft unbewusste Aktivierung be-
stimmter Assoziationen; damit wird die Wahrnehmung, das Gedächtnis oder die Reaktion in bestimmter Weise empfänglich gemacht. 7 Kap. 7 Primäre Geschlechtsmerkmale („primary sex characteristics“) zur Fortpflanzung nötige Organe und Strukturen
(Eierstöcke, Hoden und äußere Genitalien). 7 Kap. 5 Primärer Verstärker („primary reinforcer“) von Geburt
an verstärkender Reiz, der beispielsweise ein natürliches Bedürfnis befriedigt. 7 Kap. 8
Präoperatorisches Stadium („preoperational stage“) in Piagets Theorie die Phase (etwa vom 2. bis zum 6. oder 7. Lebensjahr), in der ein Kind lernt, Sprache zu verwenden, jedoch die Denkoperationen der konkreten Logik noch nicht begreift. 7 Kap. 6 Psychiatrie („psychiatry“) Teildisziplin der Medizin, die sich mit psychischen Störungen beschäftigt; wird von Ärzt:innen ausgeübt, die sowohl medizinische Behandlung (z. B. Medikamente) als auch Psychotherapie anbieten. 7 Kap. 1 Psychische Störung („psychological disorder“) ein Krankheitsbild, das durch eine klinisch signifikante Störung in der Kognition, der Emotionsregulation oder des Verhaltens gekennzeichnet ist. 7 Kap. 16 Psychoaktive Droge („psychoactive drug“) ein chemischer Stoff, der Wahrnehmungen und Stimmungen verändert. 7 Kap. 4
816
Glossar
Psychoanalyse („psychoanalysis“) Freuds Persönlichkeits-
Pubertät („puberty“) Zeit, in der der menschliche Kör-
theorie, die alle unsere Gedanken und Handlungen unbewussten Motiven und Konflikten zuschreibt; der Begriff umschreibt auch die bei der Behandlung psychischer Störungen verwendeten Techniken, mit deren Hilfe unbewusste Spannungen aufgedeckt und interpretiert werden. 7 Kap. 15
per die Geschlechtsreife und damit die biologische Fortpflanzungsfähigkeit erlangt. 7 Kap. 5 Pubertät („puberty“) Zeit, in der der menschliche Kör-
Psychoanalyse („psychoanalysis“) von Sigmund Freud
Quellenamnesie („source amnesia“) die Zuordnung ei-
entwickelte therapeutische Vorgehensweise. Freud nahm an, dass die freien Assoziationen von Patient:innen, ihre Widerstände, Träume und Übertragungen und deren Deutung durch den Therapeuten oder die Therapeutin zuvor verdrängte Gefühle freisetzen; dies gestattet es der betroffenen Person, Selbsteinsicht zu erlangen. 7 Kap. 17 Psychodynamische Theorien („psychodynamic theories“) betrachten Persönlichkeit mit dem Fokus auf das
Unbewusste und die Bedeutung von Kindheitserlebnissen. 7 Kap. 15 Psychologie („psychology“) die Wissenschaft vom Verhalten und von den mentalen Prozessen. 7 Kap. 1 Psychologische Beratung („counseling psychology“) ein
Zweig der Psychologie, der Menschen bei Problemen hilft, die sie im Leben (oft in Bezug auf Studium, Arbeit oder Ehe) und beim Erreichen eines besseren Allgemeinzustands haben. 7 Kap. 1 Psychoneuroimmunologie („psychoneuroimmunology“) die Wissenschaft darüber, wie psychologische, neuronale und endokrine Prozesse zusammen das Immunsystem und die daraus resultierende Gesundheit beeinflussen. 7 Kap. 13 Psychophysik („psychophysics“) Untersuchung der Beziehungen zwischen den physikalischen Merkmalen von Reizen, z. B. Reizintensität, und unserem psychischen Erleben dieser Reize. 7 Kap. 7 Psychophysiologische Krankheit („psychophysical illness“) wörtlich, eine „Körper-und-Geist“-Krankheit;
körperliche Krankheit, die mit Stress in Zusammenhang steht, z. B. Bluthochdruck und bestimmte Formen von Kopfschmerzen. 7 Kap. 13 Psychose („psychosis“) eine
Krankheitsgruppe psychischer Störungen, die durch irrationale Ideen, eine gestörte Wahrnehmung und Realitätsverlust gekennzeichnet ist. 7 Kap. 16
Psychosexuelle Phasen („psychosexual stages“) Entwicklungsphasen in der Kindheit (oral, anal, phallisch, latent und genital), in denen sich laut Freud die Lust suchenden Energien des Es auf bestimmte erogene Zonen richten. 7 Kap. 15
per die Geschlechtsreife und damit die biologische Fortpflanzungsfähigkeit erlangt. 7 Kap. 6 nes erlebten Ereignisses oder von etwas, das man gehört, gelesen oder sich vorgestellt hat, zu einer falschen Quelle (auch Quellen-Fehlattribution genannt). Zusammen mit dem Fehlinformationseffekt ist die Quellenamnesie der Ursprung vieler falscher Erinnerungen. 7 Kap. 9 Querschnittstudie („cross-sectional study“) Studie, die Menschen unterschiedlichen Alters zum gleichen Zeitpunkt vergleicht. 7 Kap. 11 Querschnittstudie („cross-sectional study“) eine wissenschaftliche Methode, bei der zu einem Untersuchungszeitpunkt Menschen verschiedener Altersstufen miteinander verglichen werden. 7 Kap. 6 REM-Rebound („REM rebound“) Tendenz zur Verlänge-
rung der REM-Schlaf-Phasen nach einem REM-SchlafEntzug. 7 Kap. 4 REM-Schlaf („REM sleep“) Schlafphase, in der sich die Augen schnell bewegen („rapid eye movements“). In diesem sich wiederholenden Schlafstadium kommt es in der Regel zu lebhaften Träumen. Der REM-Schlaf wird auch als paradoxer Schlaf bezeichnet, weil die Muskeln entspannt sind (kleinere Zuckungen ausgenommen), andere Körperfunktionen aber aktiv. 7 Kap. 4 Randomisierung (auch Zufallszuweisung; „random assignment“) die Teilnehmenden an der Versuchs- und an
der Kontrollbedingung werden zufällig ausgewählt. Dadurch wird es höchst unwahrscheinlich, dass die beiden Gruppen sich vorher bereits unterscheiden. 7 Kap. 2 Reflex („reflex“) automatische Reaktion auf einen senso-
rischen Reiz, wie z. B. der Kniesehnenreflex. 7 Kap. 3 Refraktärphase („refractory period“) eine Ruhephase in
der menschlichen Sexualität, die nach dem Orgasmus auftritt und in der eine Person keinen weiteren Orgasmus erreichen kann. 7 Kap. 12 Refraktärphase („refractory period“) kurze Ruhepause bei der neuronalen Verarbeitung, die eintritt, nachdem ein Neuron gefeuert hat; nachfolgende Aktionspotenziale können erst auftreten, wenn das Axon in seinen Ruhezustand zurückkehrt. 7 Kap. 3 Regression zur Mitte („regression toward the mean“) die Tendenz, dass sich extreme oder ungewöhnliche Werte
Glossar
817
oder Ereignisse wieder in Richtung des Durchschnitts bewegen (Regression). 7 Kap. 2
führen, dass wir andere relevante Informationen ignorieren. 7 Kap. 10
Reifung („maturation“) biologische Wachstumsprozesse, die die Grundlage für systematisch und von äußeren Verhältnissen und Erfahrungen relativ unbeeinflusst ablaufende Verhaltensänderungen sind. 7 Kap. 6
Respondentes Verhalten („respondent behavior“) Verhalten, das als automatische Antwort auf einen Reiz folgt. 7 Kap. 8
Reiz (Stimulus; „stimulus“) alle Ereignisse oder Situatio-
Oberfläche des Auges, in der die Stäbchen und Zapfen der Fotorezeptoren sowie Neuronenschichten enthalten sind, in denen die Verarbeitung der visuellen Information beginnt. 7 Kap. 7
nen, die eine Reaktion auslösen. 7 Kap. 8 Reizdiskrimination („discrimination“) bei der klassischen
Konditionierung die gelernte Fähigkeit, den konditionierten Reiz von anderen ähnlichen Reizen zu unterscheiden, die keinen unkonditionierten Reiz ankündigen (in der operanten Konditionierung die Fähigkeit, Reaktionen, die verstärkt werden, von ähnlichen Reaktionen, die nicht verstärkt werden, zu unterscheiden). 7 Kap. 8 Reizgeneralisierung („generalization“) Tendenz, dass nach Konditionierung einer Reaktion bestimmte Reize, die dem konditionierten Reiz ähneln, ähnliche Reaktionen hervorrufen. In der operanten Konditionierung tritt Reizgeneralisierung ein, wenn in einer Situation gelernte Reaktionen in anderen, ähnlichen Situationen auftreten. 7 Kap. 8 Rekonsolidierung („reconsolidation“) ein Prozess, bei
dem zuvor gespeicherte Erinnerungen nach ihrem Abruf potenziell verändert werden, bevor sie wieder gespeichert werden 7 Kap. 9
Retina (auch Netzhaut; „retina“) lichtempfindliche innere
Retinale Disparität („retinal disparity“) binokulares Merk-
mal zur Tiefenwahrnehmung: Anhand des Vergleichs der beiden von den Augäpfeln übermittelten Bilder berechnet das Gehirn die Entfernung je größer die Disparität (der Unterschied) zwischen den beiden Bildern, desto näher das Objekt. 7 Kap. 7 Retroaktive Interferenz (auch retroaktive Hemmung; „retroactive interference“) rückwärts gerichteter Störeffekt
neu gelernter Informationen auf die Reproduktion alter Informationen. 7 Kap. 9 Retrograde Amnesie („retrograde amnesia“) das Unver-
mögen, Erinnerungen aus der Vergangenheit wieder abzurufen. 7 Kap. 9 Reziproker Determinismus („reciprocal determinism“) bezeichnet die interagierenden Einflüsse von Verhalten, innerer Kognition und Umweltfaktoren. 7 Kap. 15
Relationale Aggression („relational aggression“) ein Akt der Aggression (körperlich oder verbal), der darauf abzielt, die Beziehung oder die soziale Stellung einer Person zu schädigen. 7 Kap. 5
Reziprozitätsnorm („reciprocity norm“) Erwartung, dass wir denen, die uns geholfen haben, helfen und ihnen keinen Schaden zufügen sollten. 7 Kap. 14
Relative Deprivation („relative deprivation“) Wahrneh-
Rolle („role“) Reihe von Erwartungen (Normen) an eine
mung, dass es einem selbst schlechter geht als denen, mit denen man sich vergleicht. 7 Kap. 13
soziale Position. Sie definieren, wie sich jemand in dieser Position verhalten sollte. 7 Kap. 5
Reliabilität (auch Zuverlässigkeit; „reliability“) Ausmaß,
Rolle („role“) Reihe von Erwartungen (Normen) an eine
in dem ein Test konsistente Ergebnisse liefert; wird anhand der Übereinstimmung der Werte aus zwei getrennt durchgeführten Hälften des Tests oder bei wiederholter Durchführung des Tests ermittelt. 7 Kap. 11 Replikation („replication“) Wiederholung der wesentli-
chen Parameter eines Experiments, in der Regel mit anderen Versuchsteilnehmenden in anderen Situationen, um zu prüfen, ob das grundlegende Ergebnis reproduzierbar ist. 7 Kap. 2 Repräsentativitätsheuristik („representativeness heuristic“) Einschätzung der Wahrscheinlichkeit von Ereig-
nissen in Bezug darauf, wie genau sie bestimmte Prototypen repräsentieren oder zu ihnen passen; es kann dazu
soziale Position. Sie definiert, wie sich jemand in dieser Position verhalten sollte. 7 Kap. 14 Rorschach-Test („Rorschach inkblot test“) am weitesten verbreiteter projektiver Test. Er besteht aus einem Satz von 10 Tintenklecksbildern, die von Hermann Rorschach entworfen wurden. Die Auswertung der Art und Weise, wie der Proband bzw. die Probandin die Kleckse deutet, soll seine inneren Gefühle deutlich machen. 7 Kap. 15 Rumination („rumination“) zwanghaftes Grübeln; zu viel über Probleme und deren Ursachen nachdenken. 7 Kap. 16
818
Glossar
Rückkopplungseffekt des Gesichtsausdrucks („facial feedback effect“) die Tendenz unserer Gesichtsmuskeln, Ge-
fühle (wie Angst, Wut oder Glück) auszulösen, die ihrem Anspannungsmuster entsprechen. 7 Kap. 13 Rückkopplungseffekt des Verhaltens („behavior feedback effect“) die Tendenz des Verhaltens, unsere eigenen Ge-
danken, Gefühle und Handlungen und die der anderen zu beeinflussen. 7 Kap. 13 SQ3R Eine Lernmethode, die fünf Schritte umfasst: Sur-
vey, Question, Read, Retrieve und Review, also Überblick verschaffen, Fragen stellen, lesen, abrufen und nochmal durchdenken. 7 Kap. 1 Savant-Syndrom („savant syndrome“) Zustand, der sich
dadurch auszeichnet, dass ein Mensch mit einer an sich eingeschränkten geistigen Fähigkeit über eine ganz außergewöhnliche Begabung (Inselbegabung) verfügt, beispielsweise im Rechnen oder Zeichnen. 7 Kap. 11
Sehnerv (Nervus opticus; „optic nerve“) Nerv, über
den die Nervenimpulse vom Auge ins Gehirn gelangen. 7 Kap. 7 Sekundäre Geschlechtsmerkmale („secondary sex characteristics“) nicht zur Fortpflanzung erforderliche Merk-
male wie weibliche Brüste und Hüften sowie männliche Stimme und Körperbehaarung. 7 Kap. 5 Selbsterfüllende Prophezeiung („self-fulfilling prophecy“) eine Überzeugung, die zu ihrer eigenen Erfüllung
führt. 7 Kap. 14 Selbstkontrolle („self-control“) Die Fähigkeit, Impulse
zu kontrollieren und eine kurzfristige Befriedigung für größere langfristige Belohnungen aufzuschieben. 7 Kap. 13 Selbstkonzept („self-concept“) alle Gedanken und Gefühle, die bei der Beantwortung der Frage „Wer bin ich?“ aufkommen. 7 Kap. 15
Scaffolding („scaffold“) in Vygotskys Theorie ein Gerüst, das Kindern vorübergehend Unterstützung bietet, während sie ein höheres Denkniveau erreichen. 7 Kap. 6
Selbstkonzept („self-concept“) alle unsere Gedanken
Schallempfindungsschwerhörigkeit („sensorineural hearing loss“) Schwerhörigkeit infolge von Verletzungen
Selbstoffenbarung („self-disclosure“) anderen Menschen
der Rezeptorzellen der Kochlea oder der Hörnerven; die häufigste Form des Hörverlusts, die auch als Nervenschwerhörigkeit bezeichnet wird. 7 Kap. 7 Schallleitungsschwerhörigkeit („conduction hearing loss“)
Eine seltenere Form der Schwerhörigkeit infolge einer Schädigung des mechanischen Systems, das Schallwellen zur Kochlea weiterleitet. 7 Kap. 7 Schema („schema“) kognitive Struktur, mit der Informationen geordnet und erklärt werden. 7 Kap. 6 Schizophrenie („schizophrenia“) eine Störung, die durch
und Gefühle über uns selbst, als Antwort auf die Frage: „Wer bin ich?“. 7 Kap. 6 intime Aspekte von sich selbst mitteilen. 7 Kap. 14 Selbsttranszendenz („self-transcendence“) nach Maslow das Streben nach Identität, Bedeutung und einem Zweck jenseits des Selbst. 7 Kap. 15 Selbstverwirklichung („self-actualization“) nach Mas-
low das höchste psychologische Bedürfnis, das auftritt, wenn alle physischen und psychischen Grundbedürfnisse erfüllt sind und Selbstwertgefühl erlangt wurde; Selbstverwirklichung ist die Motivation, das eigene Potenzial zu verwirklichen. 7 Kap. 15
Wahnvorstellungen, Halluzinationen, desorganisierte Sprache und/oder unangemessene Gefühlsäußerungen gekennzeichnet ist. 7 Kap. 16
Selbstwertdienliche Verzerrung („self-serving bias“) Bereitschaft, uns selbst in einem günstigen Licht zu sehen. 7 Kap. 15
Schlaf („sleep“) periodischer, natürlicher Bewusstseins-
Selbstwertgefühl („self-esteem“) Gefühl für den hohen
verlust im Gegensatz zu Bewusstseinsverlusten, die durch Koma, Narkose oder Winterschlaf hervorgerufen werden (nach Dement, 1999) 7 Kap. 4 Schlafapnoesyndrom („sleep apnea“) Schlafstörung, die durch ein gelegentliches Aussetzen der Atmung während des Schlafes und das anschließende kurze Erwachen gekennzeichnet ist. 7 Kap. 4 Schwellenwert („threshold“) Grad an Stimulation, der
benötigt wird, um einen neuronalen Impuls auszulösen. 7 Kap. 3
oder geringen Wert der eigenen Person. 7 Kap. 15 Selbstwirksamkeit („self-efficacy“) Gefühl für die Kompetenz und Effektivität der eigenen Person. 7 Kap. 15 Selektive Aufmerksamkeit („selective attention“) Konzentration des Bewusstseins auf einen bestimmten Stimulus, wie etwa beim Cocktailpartyeffekt. 7 Kap. 4 Semantisches Gedächtnis („semantic memory“) explizite Erinnerung an Fakten und Allgemeinwissen; eines unserer zwei bewussten Gedächtnissysteme (das andere ist das episodische Gedächtnis). 7 Kap. 9
Glossar
819
Sensomotorisches Stadium („sensorimotor stage“) Nach Piagets Theorie wird auf dieser Stufe (von der Geburt bis etwa zum 2. Lebensjahr) die Welt primär als Sinneseindruck wahrgenommen und mit motorischen Aktivitäten erforscht. 7 Kap. 6
Signaldetektionstheorie (SDT; Signalentdeckungstheorie; „signal detection theory“) Theorie, die vorhersagt,
Sensorische Interaktion („sensory interaction“) Prinzip der gegenseitigen Beeinflussung verschiedener Sinne, wie beispielsweise der Geruch von Essen seinen Geschmack beeinflusst. 7 Kap. 7
Sinnesempfindung („sensation“) Prozess, bei dem unsere Sinnesrezeptoren und unser Nervensystem Reizenergien aus unserer Umwelt empfangen und darstellen. 7 Kap. 7
Sensorische Neuronen („sensory neurons“) Afferente Nervenzellen, die von den Sinnesrezeptoren eingehende Informationen zum zentralen Nervensystem (Gehirn und Rückenmark) übermitteln. 7 Kap. 3
Sinnesrezeptoren („sensory receptors“) Sensorische Ner-
wie und wann wir das Vorhandensein eines schwachen Reizes (Signal) unter Hintergrundstimulation (Lärm) wahrnehmen; geht davon aus, dass es keine feste absolute Schwelle gibt, sondern dass die Signalwahrnehmung Sensorische Adaptation („sensory adaptation“) ver- teilweise von der Erfahrung, den Erwartungen, der Mominderte Sensibilität als Folge konstanter Stimulation. tivation und dem Grad an Müdigkeit der jeweiligen Per7 Kap. 7 son abhängt. 7 Kap. 7
Sensorisches Gedächtnis („sensory memory“) unmittelbare, sehr kurze Zwischenspeicherung sensorischer Informationen im Gedächtnissystem. 7 Kap. 9 Serieller Positionseffekt („serial position effect“) unsere Tendenz, uns am besten an die ersten (Recency Effekt) und letzten (Primacy Effekt) Items einer Liste zu erinnern. 7 Kap. 9 Set Point (Sollwert; „set point“) Punkt, auf den der indi-
venenden, die auf Reize reagieren 7 Kap. 7 Skinner-Box („operant chamber“ oder „Skinner box“) Kammer, in der sich ein Hebel oder eine Taste befindet, die ein Tier betätigen kann, um Futter oder Wasser als Belohnung zu erhalten; dazu gehören Messgeräte, die die Häufigkeit des Hebel- oder Tastendrückens durch das Tier aufzeichnen. Wird in der Forschung zur operanten Konditionierung verwendet. 7 Kap. 8 Somatisches Nervensystem („somatic nervous system“) Teil des peripheren Nervensystems, der die Skelettmuskulatur kontrolliert. 7 Kap. 3
viduelle „Körperthermostat“ ausgerichtet ist. Fällt das Körpergewicht unter diesen Punkt, führt normalerweise eine Steigerung des Hungers und eine Senkung des Stoffwechsels dazu, dass man wieder zunimmt. 7 Kap. 12
Somatosensorischer Kortex („sensory cortex“) vorderer Teil des Parietallappens, in dem die Empfindungen für Körperberührungen und Bewegungen registriert und verarbeitet werden. 7 Kap. 3
Sexuelle Orientierung („sexual orientation“) konsistente Ausrichtung des sexuellen Interesses auf Menschen desselben Geschlechts (Homosexualität), des anderen Geschlechts (Heterosexualität) oder beider Geschlechter (Bisexualität). 7 Kap. 12
Sozial-kognitive Perspektive („social-cognitive approach“) sieht Verhalten als beeinflusst von der Interaktion zwischen dem Individuum (und seinem Denken) und seinem sozialen Umfeld. 7 Kap. 15
Sexuelle Störung („sexual disorder“) anhaltende Stö-
Soziale Erleichterung („social facilitation“) Leistungssteigerung durch die Anwesenheit anderer; tritt bei einfachen oder gut gelernten Aufgaben auf. 7 Kap. 14
rung der sexuellen Erregung oder Funktionsfähigkeit während einer der Phasen des sexuellen Reaktionszyklus. 7 Kap. 12 Sexueller Reaktionszyklus („sexual response cycle“) die
vier Phasen der sexuellen Reaktion, die von Masters und Johnson beschrieben wurden: Erregung, Plateau, Orgasmus und Entspannung. 7 Kap. 12 Shaping (Verhaltensformung; „shaping“) Vorgang inner-
halb der operanten Konditionierung; die Verstärkung führt das Verhalten immer näher an das gewünschte Ziel heran. 7 Kap. 8
Soziale Falle („social trap“) Situation, in der sich die
am Konflikt beteiligten Parteien in wechselseitig destruktivem Verhalten verfangen, weil jede Partei die eigenen Interessen und nicht das Wohl der Gruppe verfolgt. 7 Kap. 14 Soziale Führung („social leadership“) gruppenorientiert Führung, die Teamarbeit fördert, Konflikte schlichtet und Unterstützung bietet. 7 Anhang A Soziale Identität („social identity“) das Wir-Gefühl als Teil unseres Selbstkonzepts; derjenige Teil unserer Ant-
820
Glossar
wort auf die Frage „Wer bin ich?“, der durch unsere Gruppenzugehörigkeit bestimmt wird. 7 Kap. 6 Soziale Uhr („social clock“) die in einer Kultur vorgegebenen Zeiträume für bestimmte soziale Ereignisse wie Heirat, Elternschaft oder Ruhestand. 7 Kap. 6 Soziales Faulenzen („social loafing“) Tendenz, dass sich Menschen in Gruppen weniger anstrengen, um ein gemeinsames Ziel zu erreichen, als wenn sie allein verantwortlich sind. 7 Kap. 14 Soziales Geschlecht („gender“) in der Psychologie Bezeichnung für die sozial („gender“) beeinflussten Charakteristika, die Menschen als Junge, Mädchen, Mann und Frau definieren. 7 Kap. 5 Soziales Skript („social script“) kulturell geformter Leit-
faden, der bestimmt, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll. 7 Kap. 14 Soziales Skript („social script“) kulturell geformter Leit-
faden, der bestimmt, wie man sich in bestimmten Situationen verhalten soll. 7 Kap. 5 Sozialpsychologie („social psychology“) die wissenschaftliche Untersuchung davon, wie wir übereinander denken, uns gegenseitig beeinflussen und in welcher Beziehung wir zueinander stehen. 7 Kap. 14 Spacing-Effekt („spacing effect“) Tendenz, dass durch
zeitlich verteiltes Lernen oder Üben bessere langfristige Behaltenserfolge erzielt werden als bei massiertem Lernen oder Üben. 7 Kap. 9 Speichern („storage“) dauerhaftes Behalten der enko-
dierten Informationen. 7 Kap. 9 Spermarche („spermarche“) die erste Ejakulation bei
Jungen. 7 Kap. 5 Spiegelbildliche Wahrnehmungen („mirror-image perceptions“) gegenseitige Wahrnehmung, die konfligierende
Parteien häufig haben, wenn sie beispielsweise sich selbst jeweils als ethisch korrekt und friedlich, die andere Seite hingegen als böse und aggressiv sehen. 7 Kap. 14 Spiegelneurone („mirror neurons“) Stirnlappenneuronen, die wie manche Forschende glauben reagieren, wenn wir bestimmte Tätigkeiten ausführen oder wenn jemand anderes bei der Ausführung beobachten. Der im Gehirn ablaufende Vorgang des Spiegelns der Tätigkeit eines anderen Menschen könnte zur Nachahmung und zur Empathie beitragen. 7 Kap. 8 Split-Brain („split-brain“) Zustand nach einer Operation,
bei der die beiden Gehirnhälften voneinander getrennt
wurden, nachdem die sie verbindenden Fasern, vor allem die des Corpus callosum, durchgeschnitten wurden. 7 Kap. 3 Spontanerholung („spontaneous recovery“) erneutes Auftreten einer gelöschten konditionierten Antwort nach einer Pause. 7 Kap. 8 Spotlight-Effekt („spotlight effect“) Überschätzen der
Wahrnehmung und Bewertung unserer äußeren Erscheinung, Leistungen und Fehlleistungen durch andere Menschen (als ob wir im Licht eines Scheinwerfers stünden). 7 Kap. 15 Sprache („language“) unsere gesprochenen, geschriebenen oder durch Gebärden ausgedrückten Wörter und die Art und Weise, wie wir diese miteinander verbinden, um Bedeutungen auszudrücken. 7 Kap. 10 Standardabweichung („standard deviation“) berechnete Maßzahl, die die Streuung der Daten um den Mittelwert angibt. 7 Kap. 2 Stanford-Binet-Intelligenztest („Stanford-Binet“) häufig angewandte amerikanische Variante des ursprünglichen Binet-Intelligenztests (abgewandelt durch Lewis Terman von der Stanford-Universität). 7 Kap. 11 Statistische Signifikanz („statistical significance“) statistische Aussage über die Wahrscheinlichkeit, mit der das Ergebnis einer Untersuchung dem Zufall zuzuschreiben ist. 7 Kap. 2 Stereotyp („stereotype“) verallgemeinernde (manchmal
richtige, oft aber übergeneralisierende) Einstellung gegenüber einer Gruppe von Menschen. 7 Kap. 14 Stereotype Threat (Bedrohung durch ein Stereotyp; „stereotype threat“) eine sich selbst bestätigende Besorgnis,
die Bewertung des eigenen Verhaltens erfolge auf der Basis eines negativen Stereotyps. 7 Kap. 11 Stimmungskongruente Erinnerung („mood-congruent memory“) Tendenz, sich an Erfahrungen zu erinnern,
die mit der aktuellen guten oder schlechten Stimmung übereinstimmen. 7 Kap. 9 Stimulanzien („stimulants“) Substanzen (wie Koffein, Nikotin und stärkere, wie Kokain, Amphetamine, Methamphetamine und Ecstasy), die die neuronale Aktivität verstärken und die Körperfunktionen beschleunigen. 7 Kap. 4 Stress („stress“) Prozess, durch den wir bestimmte Ereignisse (Stressoren) wahrnehmen und darauf reagieren. Stressoren können als Bedrohung oder als Herausforderung bewertet werden. 7 Kap. 13
Glossar
Streudiagramm (auch Punktdiagramm; „scatterplot“) grafisch dargestellte Punktewolke. Jeder Punkt in einem Streudiagramm gibt die Werte von zwei Merkmalsvariablen an. Der Verlauf der Verbindungslinie zwischen den Punkten zeigt die Richtung des Zusammenhangs zwischen den beiden Variablen an. Die Konzentration der Punkte verweist auf die Stärke des Zusammenhangs (eng beieinanderliegende Punkte bedeuten hohe Korrelation). 7 Kap. 2 Strukturalismus („structuralism“) frühe Denkrichtung, die von Wundt und Titchener repräsentiert wurde. Sie nutzte Introspektion, um die Struktur der menschlichen Psyche aufzudecken. 7 Kap. 1 Stäbchen („rods“) Fotorezeptoren auf der Retina, die
Schwarz, Weiß und Grau erkennen können und für das periphere Sehen und das Sehen in der Dämmerung erforderlich sind, wenn die Zapfen nicht reagieren. 7 Kap. 7 Störvariable („confounding variable“) ein anderer Fak-
tor als die unabhängige Variable, der in einem Experiment eine Wirkung entfalten könnte. 7 Kap. 2 Subjektives Wohlbefinden („subjective well-being“) selbst wahrgenommenes Gefühl des Glücks im Leben oder der Zufriedenheit mit dem Leben. Wird zusammen mit Maßen des objektiven Wohlbefindens verwendet (beispielsweise körperliche und ökonomische Faktoren), um die Lebensqualität eines Menschen zu erfassen. 7 Kap. 13 Subliminal („subliminal“) unter der absoluten Schwelle
der bewussten Wahrnehmung. 7 Kap. 7 Substanzkonsumstörung („substance use disorder“) eine Störung, die dadurch gekennzeichnet ist, dass das Verlangen nach und der Gebrauch von Substanzen trotz erheblicher Beeinträchtigung des Lebens und/oder eines körperlichen Risikos fortgesetzt wird. 7 Kap. 4 Sympathikus („sympathetic nervous system“) Teil des
vegetativen Nervensystems, der für körperliche Erregung und damit für das Bereitstellen von Energie sorgt. 7 Kap. 3 Synapse („synapse“) Verbindungsstelle zwischen der
axonalen Endigung des präsynaptischen Neurons, das Impulse weitergibt, und einem Dendriten oder dem Zellkörper des postsynaptischen Neurons, das die Impulse empfängt. Der winzige Zwischenraum zwischen den beiden Zellen wird als synaptischer Spalt bezeichnet. 7 Kap. 3 Systematische Selbstüberschätzung („overconfidence bias“) Tendenz, mit großem Selbstvertrauen auf fal-
schen Aussagen zu beharren die Verlässlichkeit der
821
eigenen Überzeugungen und Einschätzungen zu überschätzen. 7 Kap. 10 Sündenbocktheorie („scapegoat theory“) besagt, dass Vorurteile ein Ventil für Aggressionen darstellen, indem sie jemanden als Schuldige:n definieren. 7 Kap. 14 THC (Tetrahydrocannabinol; „tetrahydrocannabinol“) Hauptwirkstoff von Marihuana. Hat verschiedene Wirkungen, unter anderem führt es zu leichten Halluzinationen. 7 Kap. 4 Telegrammstil („telegraphic speech“) frühe Sprechphase, in der das Kind ähnlich den Formulierungen in einem Telegramm spricht „Auto gehen“ d. h. es verwendet vorzugsweise Substantive und Verben. 7 Kap. 10 Temperament („temperament“) charakteristische emo-
tionale Reaktionsbereitschaft und Reaktionsstärke eines Menschen. 7 Kap. 5 Temporallappen („temporal lobes“) Teile des zerebralen Kortex, die etwas oberhalb der Ohren liegen; sie enthalten die auditorischen Areale, die hauptsächlich Informationen vom jeweils gegenüberliegenden Ohr empfangen. 7 Kap. 3 „Tend-and-befriend“-Reaktion („tend and befriend“) unter Stress bieten Menschen (vor allem Frauen) anderen ihre Unterstützung an („tend“) und schließen sich mit ihnen zusammen („befriend“), um selbst Halt zu finden. 7 Kap. 13 Teratogene (wörtlich: „Monstermacher“; „teratogens“) Wirkstoffe (wie chemische Stoffe und Viren), die zum Embryo bzw. Fötus durchdringen und ihn während der pränatalen Entwicklung schädigen können. 7 Kap. 6 Terrormanagementtheorie („terror-management theory“) eine Theorie der Todesangst; sie erforscht die emo-
tionalen und verhaltensbezogenen Reaktionen auf Erinnerungen an unseren bevorstehenden Tod. 7 Kap. 15 Testeffekt („testing effect“) verbesserte Gedächtnisleis-
tung, nachdem Informationen reproduziert und nicht bloß nochmal gelesen wurden; manchmal auch als „retrieval practice effect“ oder „test-enhanced learning“ bezeichnet. 7 Kap. 9 Testing Effect („testing effect“) verbesserte Erinnerung
nach Abruf statt einfachem erneuten Lesen von Informationen. Auch manchmal bezeichnet als „retrieval practice effect“. 7 Kap. 1 Testosteron („testosterone“) das wichtigste männliche
Geschlechtshormon; es kommt sowohl bei Frauen als auch bei Männern vor. Aber das zusätzliche Testosteron
822
Glossar
bei männlichen Lebewesen stimuliert das Wachstum der männlichen Geschlechtsorgane im Fötus und die Entwicklung der männlichen Geschlechtsmerkmale während der Pubertät. 7 Kap. 12 Testosteron („testosterone“) wichtigstes männliches Se-
xualhormon. Es ist bei Frauen und Männern vorhanden, allerdings stimuliert die zusätzliche Menge an Testosteron bei Männern die Entwicklung männlicher Sexualorgane im Fötus sowie das Wachstum der männlichen Geschlechtsmerkmale während der Pubertät. 7 Kap. 5 Thalamus („thalamus“) Schaltzentrale für sensorische
Signale im Gehirn, die am oberen Ende des Hirnstamms lokalisiert ist. Der Thalamus übermittelt Informationen zu sensorischen Arealen im Kortex und leitet die Reaktionen zum Kleinhirn sowie zur Medulla oblongata weiter. 7 Kap. 3 Thematischer Apperzeptionstest („Thematic Apperception Test“; TAT) ein projektiver Test, bei dem Personen ihre
inneren Gefühle und Interessen mit Geschichten ausdrücken, die auf mehrdeutigen Szenen basieren. 7 Kap. 15 Theorie („theory“) auf Prinzipien gestütztes Erklärungs-
modell, das Beobachtungen in einen Zusammenhang stellt und Verhalten oder Ereignisse vorhersagt. 7 Kap. 2 Theorie der kognitiven Dissonanz („cognitive dissonance theory“) besagt, dass wir handeln, um den unangeneh-
men Zustand (kognitive Dissonanz) zu verringern, den wir empfinden, wenn zwei unserer Gedanken (Kognitionen) miteinander inkonsistent sind. Wenn beispielsweise unsere bewusste Einstellung unseren Handlungen widerspricht, können wir die Dissonanz, die sich daraus ergibt, verringern, indem wir unsere Einstellung ändern. 7 Kap. 14 Theorie des sozialen Austauschs („social exchange theory“) besagt, dass es sich bei unserem Sozialverhalten
um einen Austauschprozess handelt, dessen Ziel es ist, den Nutzen zu maximieren und die Kosten zu minimieren. 7 Kap. 14
Tiefe Verarbeitung semantische Enkodierung, die auf der Bedeutung von Worten beruht; erzielt im Durchschnitt die beste Behaltensleistung. 7 Kap. 9 Tiefenwahrnehmung („depth perception“) Fähigkeit, Gegenstände in drei Dimensionen zu sehen, obwohl die Bilder, die auf die Retina projiziert werden, zweidimensional sind. Die Tiefenwahrnehmung befähigt uns zur Einschätzung der Entfernung. 7 Kap. 7 Toleranz („tolerance“) die abnehmende Wirkung, wenn
man dieselbe Dosis einer Droge regelmäßig nimmt; der Konsument muss dann immer größere Dosen nehmen, bis er die Wirkung der Droge erlebt. 7 Kap. 4 Tonhöhe („pitch“) Höhe oder Tiefe eines Tons; sie hängt
von der Frequenz ab. 7 Kap. 7 Top-down-Verarbeitung (absteigende, konzeptgesteuerte Informationsverarbeitung; „top-down processing“) In-
formationsverarbeitung, gesteuert durch höhere mentale Prozesse, beispielsweise wenn wir Wahrnehmungen aufgrund unserer Erfahrungen und Erwartungen interpretieren. 7 Kap. 7 Trait (Merkmal, Persönlichkeitszug; „trait“) für einen be-
stimmten Menschen typisches Verhaltens- oder Veranlagungsmuster, das sich in seiner Art zu fühlen und zu handeln ausdrückt; kann erfasst werden durch Fragebögen zur Erhebung der Selbst- und der Fremdeinschätzung. 7 Kap. 15 Transduktion („transduction“) Umwandlung einer Energieform in eine andere. Im sensorischen Bereich die Umwandlung von Reizenergien (wie Sehreize, Töne und Gerüche) in Nervenimpulse, die unser Gehirn interpretieren kann. 7 Kap. 7 Transidentische Persönlichkeit („transgender“) Überbe-
griff für Personen, deren Geschlechtsidentität oder Ausdruck ihres Geschlechts sich von dem, was man mit ihrem Geburtsgeschlecht assoziiert, unterscheidet. 7 Kap. 5 Traum („dream“) Abfolge von Bildern, Emotionen und
Theory of Mind (Theorie über mentale Zustände; „theory of mind“) naive Psychologie, mit deren Hilfe sich Men-
Gedanken, die sich im Geist eines Schläfers abspielt. Bemerkenswert an Träumen sind die halluzinationsartigen Bilder, die Wandelbarkeit und Inkongruenz des Traumgeschehens sowie die beinahe wahrhafte Bereitschaft des Träumenden, das Traumgeschehen und den inhaltlich oft nicht nachvollziehbaren Zusammenhang des Erlebten zu akzeptieren. 7 Kap. 4
schen die mentalen Zustände und inneren Prozesse anderer Menschen erklären. Dadurch sind sie in der Lage, die Gefühle, Wahrnehmungen und Gedanken anderer einzuordnen und Verhaltensweisen vorab einzuschätzen. 7 Kap. 6
Triebreduktionstheorie („drive-reduction theory“) Annahme, dass ein physiologisches Bedürfnis eine erregte Spannung erzeugt (einen Trieb), die den Organismus motiviert, das Bedürfnis zu befriedigen. 7 Kap. 12
Theorie des sozialen Lernens („social learning theory“)
besagt, dass wir Sozialverhalten lernen, indem wir etwas beobachten und nachahmen und indem wir dafür belohnt oder bestraft werden. 7 Kap. 5
Glossar
Typ A („type A“) Friedmans und Rosenmans Bezeich-
nung für ehrgeizige, gehetzte, ungeduldige, aggressive und reizbare Menschen. 7 Kap. 13 Typ B („type B“) Friedmans und Rosenmans Bezeichnung
für gelassene und entspannte Menschen. 7 Kap. 13 Übergang ins Erwachsenenalter („emerging adulthood“) in modernen Kulturen der Zeitraum zwischen dem späten Jugendalter und etwa 25 Jahren, der als Zwischenstadium zwischen jugendlicher Abhängigkeit und vollkommener Unabhängigkeit und Verantwortung des Erwachsenenalters angesehen wird. 7 Kap. 6 Übergeordnete Ziele („superordinate goals“) gemeinsame Ziele, durch die Differenzen unter Menschen überwunden werden, weil sie deren Kooperation erfordern. 7 Kap. 14 Über-Ich („superego“) Teil der Persönlichkeit, der laut
Freud die internalisierten Ideale und Normen repräsentiert, die Richtschnur für die Urteilsfähigkeit (Gewissen) liefert und Ziele für die Zukunft setzt. 7 Kap. 15 Umwelt („environment“) jeder nichtgenetische Einfluss, von der pränatalen Ernährung bis zu den Menschen und Dingen in unserer Umgebung. 7 Kap. 5 Unabhängige Variable („independent variable“) Faktor im Experiment, der manipuliert wird und dessen Wirkung untersucht wird. 7 Kap. 2 Unbedingte Wertschätzung („unconditional positive regard“) nach Rogers eine Einstellung, die durch das
vollkommene Akzeptieren eines anderen Menschen gekennzeichnet ist und die Menschen dabei hilft, Selbstbewusstsein und Selbstakzeptanz aufzubauen. 7 Kap. 15 Unkonditionierte Reaktion (UR; auch unbedingte Reaktion; „unconditioned response“) in der klassischen Kon-
ditionierung die nicht gelernte, natürlich auftretende Reaktion auf einen unkonditionierten Stimulus (US), wie etwa Speichelfluss, wenn sich Futter im Maul befindet. 7 Kap. 8 Unkonditionierter Stimulus bzw. Reiz (US; auch unbedingter Stimulus; „unconditioned stimulus“) in der klas-
sischen Konditionierung ein Reiz, der unkonditioniert (ungelernt) natürlich und automatisch eine Reaktion (UR) auslöst. 7 Kap. 8 Unterschiedsschwelle („difference threshold“) minimaler Unterschied zwischen zwei Reizen, der erforderlich ist, damit er in 50 % der Fälle erkannt wird. Wir erleben die Unterschiedsschwelle als den eben noch merklichen Unterschied („just noticeable difference“). 7 Kap. 7
823
Urvertrauen („basic trust“) Laut Erik Erikson ist Urvertrauen das Gefühl, dass die Welt ein sicherer und vertrauenerweckender Ort ist. Dieses Vertrauen entsteht in der frühen Kindheit durch die entsprechenden Erfahrungen mit aufgeschlossenen und einfühlsamen Bezugspersonen. 7 Kap. 6 Validität oder Gültigkeit („validity“) Ausmaß, in dem ein Test das misst oder vorhersagt, was er messen oder vorhersagen soll (s. auch Inhaltsvalidität und Vorhersagevalidität). 7 Kap. 11 Variable („variable“) alles, was variieren kann und dessen Messung möglich und ethisch vertretbar ist. 7 Kap. 2 Variabler Intervallplan („variable-interval schedule“) ein Verstärkungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem eine Reaktion in wechselnden Zeitabständen verstärkt wird. 7 Kap. 8 Variabler Quotenplan („variable-ratio schedule“) ein Verstärkungsplan in der operanten Konditionierung, bei dem die Anzahl der Reaktionen, die gezeigt werden, bevor eine Verstärkung gegeben wird, von einer Verstärkungsphase zur anderen variiert. 7 Kap. 8 Variationsbreite („range“) Differenz zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Wert einer Verteilung. 7 Kap. 2 Verdrängung („repression“) in der psychoanalytischen
Theorie der Abwehrmechanismus, auf dem alle anderen Formen der Abwehr beruhen. Angsterregende Gefühle, Gedanken und Erinnerungen werden aus dem Bewusstsein verdrängt. 7 Kap. 15 Verdrängung („repression“) in der psychoanalytischen
Theorie der wichtigste Abwehrmechanismus, mit dessen Hilfe Angst auslösende Gedanken, Gefühle und Erinnerungen aus dem Bewusstsein verbannt werden. 7 Kap. 9 Vererbung („heredity“) die genetische Übertragung von
Merkmalen und Eigenschaften von den Eltern auf die Nachkommen. 7 Kap. 5 Verfügbarkeitsheuristik („availability heuristic“) Einschät-
zung der Wahrscheinlichkeit von Ereignissen je nach ihrer Verfügbarkeit in der Erinnerung; wenn uns Beispiele schnell einfallen (vielleicht weil sie spektakulär sind), halten wir ein solches Ereignis für normal. 7 Kap. 10 Verhaltensgenetik („behavior genetics“) die Untersuchung der relativen Gewichte und Grenzen von genetischen und Umwelteinflüssen auf das Verhalten. 7 Kap. 5
824
Glossar
Verhaltensgenetik („behavior genetics“) die Unter- Helligkeit, Farbe, Form und Größe) wahrzunehmen, suchung der relativen Bedeutung und Grenzen der Ein- auch wenn sich die Beleuchtung und die Bilder auf der flüsse von Genen und der Umwelt auf das Verhalten. Retina verändern. 7 Kap. 7 7 Kap. 1 Wahrnehmungsset („perceptual set“) mentale PrädisVerstärkung („reinforcement“) in der operanten Kondi- position, etwas Bestimmtes wahrzunehmen und nicht tionierung jedes Ereignis, durch das ein vorausgehendes etwas anderes. 7 Kap. 7 Verhalten verstärkt wird. 7 Kap. 8 Weber’sches Gesetz („Weber’s law“) Prinzip, das besagt, Verstärkungsplan („reinforcement schedule“) ein Mus- dass sich zwei Reize um einen konstanten minimalen ter, das definiert, wie oft ein erwünschtes Verhalten ver- Prozentsatz (und nicht um einen konstanten Absolutstärkt wird. 7 Kap. 8 betrag) unterscheiden müssen, damit sie als unterschiedlich wahrgenommen werden. 7 Kap. 7 Versuchsgruppe („experimental group“) Gruppe in einem Experiment, deren Teilnehmende einer Behandlung Wechsler Adult Intelligence Scale (WAIS) in Deutschland unterzogen werden, die in diesem Fall eine Ausprägung sind der WAIS und die entsprechenden Versionen für der unabhängigen Variable darstellt. 7 Kap. 2 Kinder die am häufigsten verwendete Intelligenztests; zu ihnen gehören Untertests, die zu einem Verbalteil Veränderungsblindheit („change blindness“) Unfähig- und einem Handlungsteil (nonverbal) zusammengefasst keit, Veränderungen in der Umgebung wahrzuneh- sind. 7 Kap. 11 men; eine Art von Blindheit durch UnaufmerksamWeibliche Orgasmusstörung („female orgasmic disorkeit 7 Kap. 4 der“) Leid über das unregelmäßige Erleben oder AusVisuelle Klippe („visual cliff“) Laboreinrichtung zum bleiben von Orgasmen. 7 Kap. 12 Testen der Tiefenwahrnehmung bei Kleinkindern und Jungtieren. 7 Kap. 7 Wellenlänge („wavelength“) Abstand zwischen den Scheitelpunkten von zwei aufeinander folgenden WelVorhersagevalidität (auch Kriteriumsvalidität; „predic- len. Das Spektrum der elektromagnetischen Wellentive validity“) Ausmaß, in dem ein Test das Verhalten lägen reicht von den kurzen Impulsen der kosmischen vorhersagt, das er vorhersagen soll. Der Erfolg wird Strahlen bis zu den Langwellen, die für die Radioüberdurch Berechnung der Korrelation zwischen den Test- tragung verwendet werden. 7 Kap. 7 werten und dem kriteriumsrelevanten Verhalten erfasst. 7 Kap. 11 Wernicke-Zentrum („Wernicke’s area“) Bereich des Gehirns, der am Sprachverstehen und am sprachlichen Vorurteil („prejudice“) ungerechtfertigte (und in der Ausdruck beteiligt ist und sich meist im linken TempoRegel negative) Einstellung gegenüber einer Gruppe rallappen befindet. 7 Kap. 10 und ihren Mitgliedern. Vorurteile beinhalten im Allgemeinen stereotype Überzeugungen, negative Gefühle Wiederaufnahme („reuptake“) Prozess, bei dem die ausund die Bereitschaft zu diskriminierendem Verhal- geschütteten Neurotransmitter aus dem synaptischen ten. 7 Kap. 14 Spalt wieder vom präsynaptischen Neuron aufgenommen werden. 7 Kap. 3 Wahnvorstellung („delusion“) eine falsche Überzeugung (häufig zu Verfolgung oder eigener Großartigkeit), die mit Wiedererkennen („recognition“) Maß für die Erinnepsychotischen Störungen einhergehen kann. 7 Kap. 16 rungsfähigkeit. Wie bei einem Multiple-Choice-Test identifiziert die Versuchsperson Items, die sie vorher erWahrnehmung („perception“) Prozess, bei dem die sen- lernt hat. 7 Kap. 9 sorischen Informationen organisiert und interpretiert werden; dies ermöglicht uns, die Bedeutung von Gegen- X-Chromosom („X chromosome“) Geschlechtschromoständen und Ereignissen zu erkennen. 7 Kap. 7 som, das sowohl bei weiblichen als auch bei männlichen Personen vorhanden ist. Weibliche Personen haben tyWahrnehmungsadaptation („perceptual adaptation“) Fä- pischerweise zwei X-Chromosomen, männliche dagegen higkeit zur Anpassung an veränderte sensorische Reize typischerweise nur eines. Aus jeweils einem X-Chromowie z. B. ein künstlich verzerrtes oder gar auf den Kopf som von beiden Elternteilen entsteht ein Kind mit weibgestelltes Blickfeld. 7 Kap. 7 lichem Geschlecht. 7 Kap. 5 Wahrnehmungskonstanz („perceptual constancy“) Fähigkeit, Objekte als unverändert (mit gleichbleibender
Y-Chromosom („Y chromosome“) Geschlechtschromosom, das typischerweise nur bei Personen männlichen
Glossar
Geschlechts vorhanden ist. Wenn es mit einem X-Chromosom der Mutter zusammentrifft, entsteht daraus ein Kind mit männlichem Geschlecht. 7 Kap. 5 Yerkes-Dodson-Gesetz („Yerkes-Dodson law“) das Prin-
zip, nach dem Leistung nur bis zu einem bestimmten Punkt mit dem Erregungsniveau zunimmt und danach abnimmt. 7 Kap. 12 Zapfen („cones“) Fotorezeptorzellen, die insbesondere
um die Mitte der Retina angesiedelt sind und die am besten bei hellem Tageslicht und bei guter Beleuchtung funktionieren. Mit Hilfe der Zapfen können feine Details unterschieden und Farben empfunden werden. 7 Kap. 7 Zellkörper („cell body“) Teil eines Neurons, der den Zell-
kern enthält; das Lebenserhaltungszentrum der Zelle. 7 Kap. 3
Zentrale Route der Überzeugung („central route to persuasion“) tritt auf, wenn am Thema interessierte Men-
schen sich auf die Argumente konzentrieren und positiv darauf reagieren. 7 Kap. 14 Zentrales Nervensystem (ZNS; „central nervous system“) Gehirn und Rückenmark. 7 Kap. 3 Zerebraler Kortex („cerebral cortex“) komplizierte Struktur miteinander verbundener Nervenzellen, die die Hirnhälften abdeckt; das oberste Steuerungs- und Informationsverarbeitungszentrum des Körpers. 7 Kap. 3 Zirkadiane Rhythmik („circadian rhythm“) unsere biologische Uhr; reguläre Rhythmik der Körperfunktionen (z. B. der Körpertemperatur und des Wachzustands) in einem 24-stündigen Zyklus. 7 Kap. 4 Zufallsstichprobe („random sample“) Stichprobe, die eine Population weitgehend repräsentiert, weil jedes Mitglied der Population mit der gleichen Wahrscheinlichkeit in die Stichprobe aufgenommen werden kann. 7 Kap. 2 Zuschauendeneffekt („bystander effect“) Tendenz eines
einzelnen Zuschauers oder einer einzelnen Zuschauerin, seltener zu helfen, wenn weitere Zuschauende anwesend sind. 7 Kap. 14 Zwangsstörung („obsessive-compulsive disorder“, OCD) Eine Störung, die charakterisiert ist durch sich
aufdrängende, wiederholte Zwangsgedanken, Zwangshandlungen oder beides. 7 Kap. 16 Zwei-Faktoren-Theorie („two-factor theory“) Schachters und Singers Theorie sagt aus, dass man, um Emotionen zu erfahren, 1. physiologisch erregt sein und 2. diese Erregung kognitiv interpretieren muss. 7 Kap. 13
825
Zweieiige (dizygote) Zwillinge („fraternal twins“) entwickeln sich aus separaten Eizellen. Sie sind sich genetisch nicht näher als Geschwister, aber sie teilen sich eine pränatale gemeinsame Umwelt. 7 Kap. 5 Zweiwortstadium („two-word stage“) beginnt mit etwa
2 Jahren; Phase der Sprachentwicklung, während der das Kind hauptsächlich in Sätzen aus 2 Wörtern spricht. 7 Kap. 10 Zygote („zygote“) befruchtete Eizelle; tritt in eine 2-wö-
chige Phase rascher Zellteilung ein und entwickelt sich zu einem Embryo. 7 Kap. 6
827
Literatur AAA (2010). Asleep at the wheel: the prevalence and impact of drowsy driving (S. 104). AAA Foundation for Traffic Safety. aaafoundation.org/pdf/2010DrowsyDrivingReport.pdf AAA (2015). Teen driver safety: environmental factors and driver behaviors in teen driver crashes (S. 90). AAA Foundation for Traffic Safety. aaafoundation.org/sites/default/files/2015TeenCrashCausationFS.pdf AAMC (2014). Medical students, selected years, 1965–2014 (S. 154, 162). American Association of Medical Colleges. aamc.org AAMC (2016). Total enrollment by U.S. medical school and sex, 2011–2012 through 2015–2016 (S. 162). American Association of Medical Colleges. aamc.org Aarts, H., & Custers, R. (2012). Unconscious goal pursuit: Nonconscious goal regulation and motivation. In R. M. Ryan (Hrsg.), The Oxford handbook of human motivation (S. 232–247). New York: Oxford University Press. Abbey, A. (1987). Misperceptions of friendly behavior as sexual interest: A survey of naturally occurring incidents. Psychology of Women Quarterly, 11, 173–194. Abel, E. L., & Kruger, M. L. (2010). Smile intensity in photographs predicts longevity. Psychological Science, 21, 542–544. Abel, K. M., Drake, R., & Goldstein, J. M. (2010). Sex differences in schizophrenia. International Review of Psychiatry, 22, 417–428. Abrams, D. B., & Wilson, G. T. (1983). Alcohol, sexual arousal, and self-control. Journal of Personality and Social Psychology, 45, 188–198. Abrams, L. (2008). Tip-of-the-tongue states yield language insights. American Scientist, 96, 234–239. Abrams, M. (2002). Sight unseen—Restoring a blind man’s vision is now a real possibility through stem-cell surgery. But even perfect eyes cannot see unless the brain has been taught to use them. Discover, 23, 54–60. Abramson, L. Y., Metalsky, G. I., & Alloy, L. B. (1989). Hopelessness depression: a theory-based subtype. Psychological Review, 96, 358–372. Abramson, L. Y., Seligman, M. E. P., & Teasdale, J. D. (1978). Learned helplessness in humans: Critique and reformulation. Journal of Abnormal Psychology, 87, 49–74. Abuhamdeh, S., Csikszentmihalyi, M., & Jalal, B. (2015). Enjoying the possibility of defeat: outcome uncertainty, suspense, and intrinsic motivation. Motivation and Emotion, 39, 1–10. Academy of Science of South Africa (2015). Diversity in human sexuality: Implications for policy in Africa (S. 36). Academy of Science of South Africa. assaf.org.za. Acevedo, B. P., & Aron, A. (2009). Does a long-term relationship kill romantic love? Review of General Psychology, 13, 59–65. Acevedo, B. P., Aron, A., Fisher, H. E., & Brown, L. L. (2012). Neural correlates of long-term intense romantic love. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 7, 145–159. ACHA (2009). American College Health Association-National College Health Assessment II: Reference group executive summary Fall 2008. Baltimore: American College Health Association. Ackerman, D. (2004). An alchemy of mind: The marvel and mystery of the brain (S. 55). New York: Scribner. Ackerman, P. L. (2014). Adolescent and adult intellectual development. Current Directions in Psychological Science, 23, 246–251. ACMD (2009). MDMA (‘ecstasy’): a review of its harms and classification under the misuse of drugs act 1971 (S. 119). London: Home Office; Advisory Council on the Misuse of Drugs. Adachi, T., Fujino, H., Nakae, A., Mashimo, T., & Sasaki, J. (2014). A meta-analysis of hypnosis for chronic pain problems: a comparison between hypnosis, standard care, and other psychological
interventions. International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis, 62, 1–28. Adams, H. E., Wright Jr., L. W., & Lohr, B. A. (1996). Is homophobia associated with homosexual arousal? Journal of Abnormal Psychology, 105, 440–446. Adelmann, P. K., Antonucci, T. C., Crohan, S. F., & Coleman, L. M. (1989). Empty nest, cohort, and employment in the well-being of midlife women. Sex Roles, 20, 173–189. Adelstein, J. S., Shehzad, Z., Mennes, M., DeYoung, C. G., Zuo, X.-N., Kelly, C., & Milham, M. P. (2011). Personality is reflected in the brain’s intrinsic functional architecture. PLoS ONE, 6, e27633. Ader, R., & Cohen, N. (1985). CNS-immune system interactions: conditioning phenomena. Behavioral and Brain Sciences, 8, 379–394. Aderka, I. M., Nickerson, A., Bøe, H. J., & Hofmann, S. G. (2012). Sudden gains during psychological treatments of anxiety and depression: a meta-analysis. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 80, 93–101. Adetunji, J. (2014). Genes predispose obesity but it’s fullness that makes you fat. The Conversation, theconversation.com. Adler, J. (2012). Erasing painful memories. Scientific American, 306, 56–61. Adler, J. M., Lodi-Smith, J., Philippe, F. L., & Houle, I. (2016). The incremental validity of narrative identity in predicting well-being: a review of the field and recommendations for the future. Personality and Social Psychology Review, 20, 142–175. Adolph, K. E., Kretch, K. S., & LoBue, V. (2014). Fear of heights in infants? Current Directions in Psychological Science, 23, 60–66. Affleck, G., Tennen, H., Urrows, S., & Higgins, P. (1994). Person and contextual features of daily stress reactivity: Individual differences in relations of undesirable daily events with mood disturbance and chronic pain intensity. Journal of Personality and Social Psychology, 66, 329–340. AFSP (2015). Facts and figures (S. 590). American Foundation for Suicide Prevention. afsp.org/understanding-suicide/facts-and-figures Agerström, J., Björklund, F., Carlsson, R., & Rooth, D.-O. (2012). Warm and competent Hassan = cold and incompetent Eric: a harsh equation of real-life hiring discrimination. Basic and Applied Social Psychology, 34, 359–366. Agrawal, Y., Platz, E. A., & Niparko, J. K. (2008). Prevalence of hearing loss and differences by demographic characteristics among US adults: Data from the National Health and Nutrition Examination Survey, 1999–2004. Archives of Internal Medicine, 168, 1522–1530. Agrigoroaei, S., & Lachman, M. E. (2011). Cognitive functioning in midlife and old age: Combined effects of psychosocial and behavioral factors. The Journals of Gerontology. Series B: Psychological Sciences and Social Sciences, 66, 1130–1140. Agrillo, C. (2011). Near-death experience: out-of-body and out-ofbrain? Review of General Psychology, 15, 1–10. Agudelo, L. Z., Femenía, T., Orhan, F., Porsmyr-Palmertz, M., Goiny, M., Martinez-Redondo, V., & Ruas, J. L. (2014). Skeletal muscle PGC-1 1 modulates kynurenine metabolism and mediates resilience to stress-induced depression. Cell, 159, 33–45. Ahrén, J. C., Chiesa, F., Koupil, I., Magnusson, C., Dalman, C., & Goodman, A. (2013). We are family—parents, siblings, and eating disorders in a prospective total-population study of 250,000 Swedish males and females. International Journal of Eating Disorders, 46, 693–700. Ai, A. L., Park, C. L., Huang, B., Rodgers, W., & Tice, T. N. (2007). Psychosocial mediation of religious coping styles: a study of shortterm psychological distress following cardiac surgery. Personality and Social Psychology Bulletin, 33, 867–882.
828
Literatur
Aichele, S., Rabbitt, P., & Ghisletta, P. (2016). Think fast, feel fine, live long: a 29-year study of cognition, health, and survival in middleaged and older adults. Psychological Science, 27, 518–529. Aiello, J. R., Thompson, D. D., & Brodzinsky, D. M. (1983). How funny is crowding anyway? Effects of room size, group size, and the introduction of humor. Basic and Applied Social Psychology, 4, 193–207. Aimone, J. B., Jessberger, S., & Gage, F. H. (2010, last modified February 5). Adult neurogenesis. Scholarpedia scholarpedia.org. Ainsworth, M. D. S. (1973). The development of infant-mother attachment. In B. Caldwell & H. Ricciuti (Hrsg.), Review of child development research (Bd. 3, S. 184). Chicago: University of Chicago Press. Ainsworth, M. D. S. (1979). Infant-mother attachment. American Psychologist, 34, 932–937. Ainsworth, M. D. S. (1989). Attachments beyond infancy. American Psychologist, 44, 709–716. Airan, R. D., Meltzer, L. A., Roy, M., Gong, Y., Chen, H., & Deisseroth, K. (2007). High-speed imaging reveals neurophysiological links to behavior in an animal model of depression. Science, 317, 819–823. Akbarian, S., Liu, C., Knowles, J. A., Vaccarino, F. M., Farnham, P. J., Crawford, G. E., & Mill, J. (2015). The PsychENCODE project. Nature Neuroscience, 18, 1707–1712. Åkerlund, D., Golsteyn, B. H., Grönqvist, H., & Lindahl, L. (2016). Time discounting and criminal behavior. PNAS, 113, 6160–6165. Akers, K. G., Martinez-Canabal, A., Restivo, L., Yiu, A. P., De Cristofara, A., Hsiang, H.-L., & Frankland, P. W. (2014). Hippocampal neurogenesis regulates forgetting during adulthood and infancy. Science, 344, 598–602. Aknin, L. B., & Human, L. J. (2015). Give a piece of you: gifts that reflect givers promote closeness. Journal of Experimental Social Psychology, 60, 8–16. Aknin, L. B., Barrington-Leigh, C., Dunn, E. W., Helliwell, J. F., Burns, J., Biswas-Diener, R., & Norton, M. I. (2013). Prosocial spending and well-being: cross-cultural evidence for a psychological universal. Journal of Personality and Social Psychology, 104, 635–652. Aknin, L. B., Broesch, T., Hamlin, K. J., & Van de Vondervoort, J. W. (2015). Pro-social behavior leads to happiness in a small-scale rural society. Journal of Experimental Psychology: General, 144, 788–795. Akpinar, E., & Berger, J. (2015). Drivers of cultural success: the case of sensory metaphors. Journal of Personality and Social Psychology, 109, 20–34. Alanko, K., Santtila, P., Harlaar, N., Witting, K., Varjonen, M., Jern, P., & Sandnabba, N. K. (2010). Common genetic effects of gender atypical behavior in childhood and sexual orientation in adulthood: A study of Finnish twins. Archives of Sexual Behavior, 39, 81–92. al-Asaadi, M. (2016). “We sleep afraid, we wake up afraid”: A child’s life in Yemen. The New York Times. nytimes.com Albee, G. W. (1986). Toward a just society: lessons from observations on the primary prevention of psychopathology. American Psychologist, 41, 891–898. Albee, G. W. (2006). Historical overview of primary prevention of psychopathology: Address to the 3rd world conference on the promotion of mental health and prevention of mental and behavioral disorders. September 15–17, 2004, Auckland, New Zealand. The Journal of Primary Prevention, 27, 449–456. Alcock, J. E. (2011). Back from the future: Parapsychology and the Bem affair. Skeptical Inquirer. Bd. 258 (S. 31–39). Aldao, A., & Nolen-Hoeksema, S. (2010). Emotion-regulation strategies across psychopathology: a meta-analytic review. Clinical Psychology Review, 30, 217–237. Aldrup, K., Klusmann, U., Lüdtke, O., Göllner, R., & Trautwein, U. (2018) Social support and classroom management are related to secondary students’ general school adjustment: A multilevel structural equation model using student and teacher ratings. Educational psychology, 110, 1066–1083.
Aleman, A., Kahn, R. S., & Selten, J.-P. (2003). Sex differences in the risk of schizophrenia: evidence from meta-analysis. Archives of General Psychiatry, 60, 565–571. Alexander, L., & Tredoux, C. (2010). The spaces between us: a spatial analysis of informal segregation. Journal of Social Issues, 66, 367–386. Allard, F., & Burnett, N. (1985). Skill in sport. Canadian Journal of Psychology, 39, 294–312. Allen, J. P., Uchino, B. N., & Hafen, C. A. (2015). Running with the pack: Teen peer-relationship qualities as predictors of adult physical health. Psychological Science, 26, 1574–1583. Allen, J., Weinrich, M., Hoppitt, W., & Rendell, L. (2013). Networkbased diffusion analysis reveals cultural transmission of lobtail feeding in humpback whales. Science, 340, 485–488. Allen, K. (2003). Are pets a healthy pleasure? The influence of pets on blood pressure. Current Directions in Psychological Science, 12, 236–239. Allen, M. S., & Jones, M. V. (2014). The “home advantage” in athletic competitions. Current Directions in Psychological Science, 23, 48–53. Allen, M. W., Gupta, R., & Monnier, A. (2008). The interactive effect of cultural symbols and human values on taste evaluation. Journal of Consumer Research, 35, 294–308. Allen, M., D’Alessio, D., & Emmers-Sommer, T. M. (2000). Reactions of criminal sexual offenders to pornography: A meta-analytic summary. In M. Roloff (Ed.), Communication yearbook 22. Thousand Oaks, CA: Sage. Allen, M., Emmers, T. M., Gebhardt, L., & Giery, M. (1995). Pornography and rape myth acceptance. Journal of Communication, 45, 5–26. Allen, T. D., Golden, T. D., & Shockley, K. M. (2015). How effective is telecommuting? Assessing the status of our scientific findings. Psychological Science in the Public Interest, 16, 40–68. Allen, T., & Sherman, J. (2011). Ego threat and intergroup bias: a test of motivated-activation versus self-regulatory accounts. Psychological Science, 22, 331–333. Allesøe, K., Hundrup, V. A., Thomsen, J. F., & Osler, M. (2010). Psychosocial work environment and risk of ischaemic heart disease in women: The Danish Nurse Cohort Study. Occupational and Environmental Medicine, 67, 318–322. Alloy, L. B., Abramson, L. Y., Whitehouse, W. G., Hogan, M. E., Tashman, N. A., Steinberg, D. L., & Donovan, P. (1999). Depressogenic cognitive styles: Predictive validity, information processing and personality characteristics, and developmental origins. Behaviour Research and Therapy, 37, 503–531. Allport, G. W. (1954). The nature of prejudice (S. 26). New York: Addison-Wesley. Allport, G. W., & Odbert, H. S. (1936). Trait-names: a psycho-lexical study. Psychological Monographs, 47, 543. Ally, B. A., Hussey, E. P., & Donahue, M. J. (2013). A case of hyperthymesia: rethinking the role of the amygdala in autobiographical memory. Neurocase, 19, 166–181. Almås, I., Cappelen, A. W., Sørensen, E. Ø., & Tungodden, B. (2010). Fairness and the development of inequality acceptance. Science, 328, 1176–1178. Almeida, J., He, D., Chen, Q., Mahon, B. Z., Zhang, F., Gonçalves, Ó. F., & Bi, Y. (2015). Decoding visual location from neural patterns in the auditory cortex of the congenitally deaf. Psychological Science, 26, 1771–1782. Al Ramiah, A., & Hewstone, M. (2013). Intergroup contact as a tool for reducing, resolving, and preventing intergroup conflict: evidence, limitations, and potential. American Psychologist, 68, 527–542. Al-Sayegh, H., Lowry, J., Polur, R. N., Hines, R. B., Liu, F., & Zhang, J. (2015). Suicide history and mortality: a follow-up of a national cohort in the United States. Archives of Suicide Research, 19, 35–47. Altamirano, L. J., Miyake, A., & Whitmer, A. J. (2010). When mental inflexibility facilitates executive control: Beneficial side effects of
Literatur
ruminative tendencies on goal maintenance. Psychological Science, 21, 1377–1382. Alter, A. L., Stern, C., Granot, Y., & Balcetis, E. (2016). The “bad is black” effect: why people believe evildoers have darker skin than do-gooders. Personality & Social Psychology Bulletin, 42, 1653– 1665. Alvarez, L., & Schwartz, J. (2014). On death row with low I.Q., and new hope for a reprieve. The New York Times. nytimes.com Alving, C. R. (2011, March 2). “I was swimming in a pool of liposomes.” Podcast, Science (membercentral .aas.org). Alwin, D. F. (1990). Historical changes in parental orientations to children. In N. Mandell (Ed.), Sociological studies of child development (Vol. 3). Greenwich, CT: JAI Press. Amabile, T. M., & Hennessey, B. A. (1992). The motivation for creativity in children. In A. K. Boggiano & T. S. Pittman (Hrsg.), Achievement and motivation: A social-developmental perspective (S. 340). New York: Cambridge University Press. Amabile, T. M., & Kramer, S. J. (2011). The progress principle: Using small wins to ignite joy, engagement, and creativity at work (S. A-12). Cambridge: Harvard Business Review Press. Ambady, N. (2010). The perils of pondering: intuition and thin slice judgments. Psychological Inquiry, 21, 271–278. Ambady, N., Hallahan, M., & Rosenthal, R. (1995). On judging and being judged accurately in zero-acquaintance situations. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 518–529. Ambrose, C. T. (2010). The widening gyrus. American Scientist, 98, 270–274. Amedi, A., Merabet, L. B., Bermpohl, F., & Pascual-Leone, A. (2005). The occipital cortex in the blind: lessons about plasticity and vision. Current Directions in Psychological Science, 14, 306–311. Amen, D. G., Stubblefield, M., Carmichael, B., & Thisted, R. (1996). Brain SPECT findings and aggressiveness. Annals of Clinical Psychiatry, 8, 129–137. American Academy of Pediatrics (2009). Policy statement—media violence. Pediatrics, 124, 1495–1503. American Academy of Pediatrics (2013). Promoting the well-being of children whose parents are gay or lesbian. pediatrics.aapublications.org. American Academy of Pediatrics (2014). Policy statement: school start times for adolescents. Pediatrics, 134, 642–649. American Enterprise (1992). Women, men, marriages & ministers (S. 106). American Psychiatric Association (2013). Diagnostic and statistical manual of mental disorders (5. Aufl.). Arlington: American Psychiatric Publishing. American Sociological Association (2013). Brief of Amicus Curiae American Sociological Association in support of respondent Kristin M. Perry and Respondent Edith Schlain Windsor. Supreme Court of the United States, Nos. 12–144. (S. 12–307). Amick, H. R., Gartlehner, G., Gaynes, B. N., Forneris, C., Asher, G. N., Morgan, L. C., & Lohr, K. N. (2015). Comparative benefits and harms of second generation antidepressants and cognitive behavioral therapies in initial treatment of major depressive disorder: Systematic review and meta-analysis. BMJ, 351, h6019. Ammori, B. Viewpoint: Benefits of bariatric surgery. GP. gponline.com (Erstellt: 4. Jan. 2013). Andersen, R. A. (2005). Dialogue: a locksmith for the mind. Discover. discovermagazine.com. Andersen, R. A., Burdick, J. W., Musallam, S., Pesaran, B., & Cham, J. G. (2004). Cognitive neural prosthetics. Trends in Cognitive Sciences, 8, 486–493. Andersen, R. A., Hwang, E. J., & Mulliken, G. H. (2010). Cognitive neural prosthetics. Annual Review of Psychology, 61, 169–190. Andersen, S. M. (1998). Service learning: A national strategy for youth development. A position paper issued by the Task Force on Education Policy (S. 196). Washington, DC: Institute for Communitarian Policy Studies, George Washington University.
829
Andersen, S. M., & Saribay, S. A. (2005). The relational self and transference: Evoking motives, self-regulation, and emotions through activation of mental representations of significant others. In M. W. Baldwin (Hrsg.), Interpersonal cognition (S. 312). New York: Guilford. Anderson, B. L. (2002). Biobehavioral outcomes following psychological interventions for cancer patients. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 70, 590–610. Anderson, C. A. (2004). An update on the effects of playing violent video games. Journal of Adolescence, 27, 113–122. Anderson, C. A. (2013). Guns, games, and mass shootings in the U.S. The Bulletin of the International Society for Research on Aggression, 35, 14–19. Anderson, C. A., & Delisi, M. (2011). Implications of global climate change for violence in developed and developing countries. In J. Forgas, A. Kruglanski & K. Williams (Hrsg.), The psychology of social conflict and aggression (S. 507). New York: Psychology Press. Anderson, C. A., & Dill, K. E. (2000). Video games and aggressive thoughts, feelings, and behavior in the laboratory and in life. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 772–790. Anderson, C. A., & Warburton, W. A. (2012). The impact of violent video games: An overview. In W. Warburton & D. Braunstein (Eds.), Growing up fast and furious. Annandale, NSW, Australia: The Federation Press. Anderson, C. A., Anderson, K. B., Dorr, N., DeNeve, K. M., & Flanagan, M. (2000). Temperature and aggression. In M. P. Zanna (Ed.), Advances in experimental social psychology. San Diego: Academic Press. Anderson, C. A., Brion, S., Moore, D. A., & Kennedy, J. A. (2012). A status-enhancement account of overconfidence. Journal of Personality and Social Psychology, 103, 718–735. Anderson, C. A., Bushman, B. J., & Groom, R. W. (1997). Hot years and serious and deadly assault: empirical tests of the heat hypothesis. Journal of Personality and Social Psychology, 73, 1213–1223. Anderson, C. A., Lindsay, J. J., & Bushman, B. J. (1999). Research in the psychological laboratory: truth or triviality? Current Directions in Psychological Science, 8, 3–9. Anderson, C. A., Shibuya, A., Ihori, N., Swing, E. L., Bushman, B. J., Sakamoto, A., & Saleem, M. (2010). Violent video game effects on aggression, empathy, and prosocial behavior in eastern and western countries: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 136, 151–173. Anderson, C., Hildreth, J. A. D., & Howland, L. (2015). Is the desire for status a fundamental human motive? A review of the empirical literature. Psychological Bulletin, 141, 574–601. Anderson, E., Siegel, E., White, D., & Barrett, L. F. (2012). Out of sight but not out of mind: Unseen affective faces influence evaluations and social impressions. Emotion, 12, 1210–1221. Anderson, I. M. (2000). Selective serotonin reuptake inhibitors versus tricyclic antidepressants: a meta-analysis of efficacy and tolerability. Journal of Affective Disorders, 58, 19–36. Anderson, J. R., Myowa-Yamakoshi, M., & Matsuzawa, T. (2004). Contagious yawning in chimpanzees. Biology Letters, 271, S468– S470. Anderson, R. C., Pichert, J. W., Goetz, E. T., Schallert, D. L., Stevens, K. V., & Trollip, S. R. (1976). Instantiation of general terms. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 15, 667–679. Anderson, S. E., Dallal, G. E., & Must, A. (2003). Relative weight and race influence average age at menarche: results from two nationally representative surveys of U.S. girls studied 25 years apart. Pediatrics, 111, 844–850. Andersson, G. (2016). Internet-delivered psychological treatments. Annual Review of Clinical Psychology, 12, 157–179. Andics, A., Gábor, A., Gácsi, M., Faragó, T., Szabó, D., & Miklósi, Á. (2016). Neural mechanisms for lexical processing in dogs. Science, 353, 1030–1032.
830
Literatur
Andreasen, N. C. (1997). Linking mind and brain in the study of mental illnesses: a project for a scientific psychopathology. Science, 275, 1586–1593. Andreasen, N. C. (2001). Brave new brain: conquering mental illness in the era of the genome (S. 595). New York: Oxford University Press. Andreasen, N. C., Arndt, S., Swayze II, V., Cizadlo, T., & Flaum, M. (1994). Thalamic abnormalities in schizophrenia visualized through magnetic resonance image averaging. Science, 266, 294–298. Andrews, P. W., & Thomson Jr., J. A. (2009a). The bright side of being blue: Depression as an adaptation for analyzing complex problems. Psychological Review, 116, 620–654. Andrews, P. W., & Thomson Jr., J. A. (2009b). Depression’s evolutionary roots. Scientific American Mind, 20, 56–61. Andrillon, T., Nir, Y., Cirelli, C., Tononi, G., & Fried, I. (2015). Singleneuron activity and eye movements during human REM sleep and awake vision. Nature Communications. https://doi.org/10.1038/ ncomms8884. Anglemyer, A., Horvath, T., & Rutherford, G. (2014). The accessibility of firearms and risk for suicide and homicide victimization among household members. Annals of Internal Medicine, 160, 101–112. Annan, K. A. (2001). We can love what we are, without hating who—and what—we are not. Nobel Peace Prize lecture. (S. 524). Annese, J., Schenker-Ahmed, N. M., Bartsch, H., Maechler, P., Sheh, C., Thomas, N., & Corkin, S. (2014). Postmortem examination of patient H. M.’s brain based on histological sectioning and digital 3D reconstruction. Nature Communications. https://doi. org/10.1038/ncomms4122. Ansari, A., Purtell, K., & Gershoff, E. (2015). Classroom age composition and the school readiness of 3- and 4-year-olds in the head start program. Psychological Science, 27, 53–63. Anton, B. S. (2015). Quoted in, “APA applauds President Obama’s call to end use of therapies intended to change sexual orientation. Monitor, 46, 10. Antonaccio, O., Botchkovar, E. V., & Tittle, C. R. (2011). Attracted to crime: exploration of criminal motivation among respondents in three European cities. Criminal Justice and Behavior, 38, 1200– 1221. Antony, M. M., Brown, T. A., & Barlow, D. H. (1992). Current perspectives on panic and panic disorder. Current Directions in Psychological Science, 1, 79–82. Antrobus, J. (1991). Dreaming: cognitive processes during cortical activation and high afferent thresholds. Psychological Review, 98, 96–121. Anzures, G., Quinn, P. C., Pascalis, O., Slater, A. M., Tanaka, J. W., & Lee, K. (2013). Developmental origins of the other-race effect. Current Directions in Psychological Science, 22, 173–178. AP (2007). AP-Ipsos poll of 1,013 U.S. adults taken October 16–18, 2007 and distributed via Associated Press (S. 257). AP (2009). AP-mtvU poll: Financial worries, stress and depression on college campus (S. 103). Associated Press. hosted.ap.org APA (2006). Evidence-based practice in psychology (from APA Presidential Task Force on Evidence-Based Practice). American Psychologist, 61, 271–285. APA (2007). Report of the task force on the sexualization of girls. Washington, DC: American Psychological Association. APA (2010). Answers to your questions about transgender individuals and gender identity (S. 161). Washington, DC: American Psychological Association. APA (2012). Guidelines for ethical conduct in the care and use of nonhuman animals in research (S. 39). American Psychological Association: Washington, DC. APA Task Force on Violent Media (2015). Technical report on the review of the violent video game literature (S. 293). American Psychological Association. apa.org/pi/families/review-video-games.pdf Apostolova, L. G., Dutton, R. A., Dinov, I. D., Hayashi, K. M., Toga, A. W., Cummings, J. L., & Thompson, P. M. (2006). Conversion
of mild cognitive impairment to Alzheimer disease predicted by hippocampal atrophy maps. Archives of Neurology, 63, 693–699. Archer, J. (2000). Sex differences in aggression between heterosexual partners: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 126, 651–680. Archer, J. (2004). Sex differences in aggression in real-world settings: A meta-analytic review. Review of General Psychology, 8, 291–322. Archer, J. (2007). A cross-cultural perspective on physical aggression between partners. Issues in Forensic Psychology, 6, 125–131. Archer, J. (2009). Does sexual selection explain human sex differences in aggression? Behavioral and Brain Sciences, 32, 249–311. Arendt, H. (1963). Eichmann in jerusalem: a report on the banality of evil (S. 196). New York: Viking Press. Ariely, D. (2009). Predictably irrational: the hidden forces that shape our decisions (S. 312). New York: HarperCollins. Ariely, D. (2010). Predictably irrational, revised and expanded edition: the hidden forces that shape our decisions (S. 535). New York: Harper Perennial. Ariely, D., & Loewenstein, G. (2006). The heat of the moment: The effect of sexual arousal on sexual decision making. Journal of Behavioral Decision Making, 19, 87–98. Aries, E. (1987). Gender and communication. In P. Shaver & C. Henrick (Eds.), Review of Personality and Social Psychology, 7, 149–176. Arkowitz, H., & Lilienfeld, S. O. (2006). Psychotherapy on trial. Scientific American: Mind, 17, 42–49. Armony, J. L., Quirk, G. J., & LeDoux, J. E. (1998). Differential effects of amygdala lesions on early and late plastic components of auditory cortex spike trains during fear conditioning. Journal of Neuroscience, 18, 2592–2601. Armstrong, E. A., England, P., & Fogarty, A. C. K. (2012). Accounting for women’s orgasm and sexual enjoyment in college hookups and relationships. American Sociological Review, 77, 435–462. Arnedo, J., Mamah, D., Baranger, D. A., Harms, M. P., Barch, D. M., Svrakic, D. M., & Zwir, I. (2015). Decomposition of brain diffusion imaging data uncovers latent schizophrenias with distinct patterns of white matter anisotropy. NeuroImage, 120, 43–54. Arnett, J. J. (1999). Adolescent storm and stress, reconsidered. American Psychologist, 54, 317–326. Arnett, J. J. (2006). Emerging adulthood: understanding the new way of coming of age. In J. J. Arnett & J. L. Tanner (Hrsg.), Emerging adults in America: coming of age in the 21st century (S. 200). Washington, DC: American Psychological Association. Arnett, J. J. (2007). Socialization in emerging adulthood: from the family to the wider world, from socialization to self-socialization. In J. E. Grusec & P. D. Hastings (Hrsg.), Handbook of socialization: theory and research (S. 200). New York: Guilford. Arnone, D., Cavanagh, J., Gerber, D., Lawrie, S. M., Ebmeier, K. P., & McIntosh, A. M. (2009). Magnetic resonance imaging studies in bipolar disorder and schizophrenia: Meta-analysis. British Journal of Psychiatry, 195, 194–201. Arnone, D., McIntosh, A. M., Tan, G. M. Y., & Ebmeier, K. P. (2008). Meta-analysis of magnetic resonance imaging studies of the corpus callosum in schizophrenia. Schizophrenia Research, 101, 124–132. Aron, A. P., Melinat, E., Aron, E. N., Vallone, R. D., & Bator, R. J. (1997). The experimental generation of interpersonal closeness: a procedure and some preliminary findings. Personality and Social Psychology Bulletin, 23, 363–377. Aron, A., Norman, C. C., Aron, E. N., McKenna, C., & Heyman, R. E. (2000). Couples’ shared participation in novel and arousing activities and experienced relationship quality. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 273–284. Aronson, E. (2001). Newsworthy violence. E-mail to SPSP discussion list, drawing from Nobody Left to Hate (S. 199). New York: Freeman. Arrazola, R. A., Singh, T., Corey, C. G., Husten, C. G., Neff, L. J., Apelberg, B. J., & McAfee, T. (2015). Tobacco use among middle
Literatur
and high school students—United States, 2011–2014. Morbidity and Mortality Weekly Report, 64, 381–385. Arriaga, P., Adrião, J., Madeira, F., Cavaleiro, I., Maia e Silva, A., Barahona, I., & Esteves, F. (2015). A “dry eye” for victims of violence: Effects of playing a violent video game on pupillary dilation to victims and on aggressive behavior. Psychology of Violence, 5, 199–208. Artiga, A. I., Viana, J. B., Maldonado, C. R., Chandler-Laney, P. C., Oswald, K. D., & Boggiano, M. M. (2007). Body composition and endocrine status of long-term stress-induced binge-eating rats. Physiology and Behavior, 91, 424–431. Arzi, A., Shedlesky, L., Ben-Shaul, M., Nasser, K., Oksenberg, A., Hairston, I. S., & Sobel, N. (2012). Humans can learn new information during sleep. Nature Neuroscience, 15, 1460–1465. Asch, S. E. (1955). Opinions and social pressure. Scientific American, 193, 31–35. Aserinsky, E. (1988). Personal communication (S. 97). Ashton, K., Bellis, M., Davies, A., Hardcastle, K., & Hughes, K. (2016). Adverse childhood experiences and their association with chronic disease and health service use in the Welsh adult population. Welsh Adverse Childhood Experiences (ACE) Study, NHS Wales Public Trust. Retrieved from wales.nhs.uk/. Askay, S. W., & Patterson, D. R. (2007). Hypnotic analgesia. Expert Review of Neurotherapeutics, 7, 1675–1683. Aspinwall, L. G., Brown, T. R., & Tabery, J. (2012). The double-edged sword: Does biomechanism increase or decrease judges’ sentencing of psychopaths? Science, 337, 846–849. Aspinwall, L. G., & Tedeschi, R. G. (2010). The value of positive psychology for health psychology: Progress and pitfalls in examining the relation of positive phenomena to health. Annals of Behavioral Medicine, 39, 4–15. ASPS (2010). 2010 report of the 2009 statistics: National Clearinghouse of Plastic Surgery statistics (S. 513). American Society of Plastic Surgeons. plasticsurgery.org Aspy, C. B., Vesely, S. K., Oman, R. F., Rodine, S., Marshall, L., & McLeroy, K. (2007). Parental communication and youth sexual behaviour. Journal of Adolescence, 30, 449–466. Assanand, S., Pinel, J. P. J., & Lehman, D. R. (1998). Personal theories of hunger and eating. Journal of Applied Social Psychology, 28, 998–1015. Associated Press (1999). Airline passengers mistakenly told plane would crash (S. A3). Grand Rapids: Grand Rapids Press. Astin, A. W., Astin, H. S., & Lindholm, J. A. (2004). Spirituality in higher education: a national study of college students’ search for meaning and purpose (S. 198). Los Angeles: Higher Education Research Institute, UCLA. Atkinson, J. W. (1957) Motivational determinants of risk-taking. Psychology Review, 64, 359–372 Atkinson, J. W. (1964) An introduction to motivation. Van Norstrand Reinhold Company, New York. Atkinson, R. C., & Shiffrin, R. M. (1968). Human memory: A control system and its control processes. In K. Spence (Hrsg.), The psychology of learning and motivation (Bd. 2, S. 299). New York: Academic Press. Atkinson, R. C., & Shiffrin, R. M. (2016). Human memory: A proposed system and its control processes. In R. J. Sternberg, S. T. Fiske & D. J. Foss (Hrsg.), Scientists making a difference: One hundred eminent behavioral and brain scientists talk about their most important contributions (S. 299). New York: Cambridge University Press. Atlas, D. Autism’s first-ever patient, now 82, “has continued to grow his whole life.” People (Erstellt: 29. Jan. 2016). people.com/article/ donald-triplett-first-ever-autism-case. Austin, E. J., Deary, I. J., Whiteman, M. C., Fowkes, F. G. R., Pedersen, N. L., Rabbitt, P., & McInnes, L. (2002). Relationships between ability and personality: Does intelligence contribute positively to personal and social adjustment? Personality and Individual Differences, 32, 1391–1411.
831
Australian Unity (2008). What makes us happy? The Australian Unity Wellbeing Index (S. 445). South Melbourne: Australian Unity. Auyeung, B., Baron-Cohen, S., Ashwin, E., Knickmeyer, R., Taylor, K., Hackett, G., & Hines, M. (2009). Fetal testosterone predicts sexually differentiated childhood behavior in girls and in boys. Psychological Science, 20, 144–148. Avenevoli, S., Swendsen, J., He, J. P., Burstein, M., & Merikangas, K. R. (2015) Major depression in the National Comorbidity Survey – Adolescent supplement: Prevalence, correlates, and treatment. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 54, 37–44. Averill, J. R. (1983). Studies on anger and aggression: Implications for theories of emotion. American Psychologist, 38, 1145–1160. Averill, J. R. (1993). William James’s other theory of emotion. In M. E. Donnelly (Ed.), Reinterpreting the legacy of William James. Washington, DC: American Psychological Association. Aviezer, H., Hassin, R. R., Ryan, J., Grady, C., Susskind, J., Anderson, A., & Bentin, S. (2008). Angry, disgusted, or afraid? Studies on the malleability of emotion perception. Psychological Science, 19, 724–732. Ayan, S. (2009). Laughing matters. Scientific American Mind, 20, 24–31. Aydin, N., Fischer, P., & Frey, D. (2010). Turning to god in the face of ostracism: effects of social exclusion on religiousness. Personality and Social Psychology Bulletin, 36, 742–753. Azar, B. (1998). Why can’t this man feel whether or not he’s standing up? APA Monitor. apa.org/monitor/jun98/touch.html. Azevedo, F. A., Carvalho, L. R., Grinberg, L. T., Farfel, J. M., Ferretti, R. E., Leite, R. E., & Herculano-Houzel, S. (2009). Equal numbers of neuronal and nonneuronal cells make the human brain an isometrically scaled-up primate brain. Journal of Comparative Neurology, 513, 532–541. Baas, M., De Dreu, C. K. W., & Nijstad, B. A. (2008). A meta-analysis of 25 years of mood-creativity research: hedonic tone, activation, or regulatory focus? Psychological Bulletin, 134, 779–806. Baas, M., Nijstad, B. A., Boot, N. C., & De Dreu, C. K. (2016). Mad genius revisited: Vulnerability to psychopathology, biobehavioral approach-avoidance, and creativity. Psychological Bulletin, 142, 668–692. Babyak, M., Blumenthal, J. A., Herman, S., Khatri, P., Doraiswamy, M., Moore, K., & Krishnan, K. R. (2000). Exercise treatment for major depression: maintenance of therapeutic benefit at ten months. Psychosomatic Medicine, 62, 633–638. Bachman, J., O’Malley, P. M., Schulenberg, J. E., Johnston, L. D., Freedman-Doan, P., & Messersmith, E. E. (2007). The educationdrug use connection: How successes and failures in school relate to adolescent smoking, drinking, drug use, and delinquency (S. 124). Mahwah: Earlbaum. Back, M. D., Stopfer, J. M., Vazire, S., Gaddis, S., Schmukle, S. C., Egloff, B., & Gosling, S. D. (2010). Facebook profiles reflect actual personality, not self-idealization. Psychological Science, 21, 372–374. Backman, L., & Dixon, R. A. (1992). Psychological compensation: a theoretical framework. Psychological Bulletin, 112, 259–283. Backman, L., & MacDonald, S. W. S. (2006). Death and cognition: synthesis and outlook. European Psychologist, 11, 224–235. Baddeley, A. D. (1982). Your memory: a user’s guide (S. 297, 298). New York: Macmillan. Baddeley, A. D. (2002). Is working memory still working? European Psychologist, 7, 85–97. Baddeley, A. D., Thomson, N., & Buchanan, M. (1975). Word length and the structure of short-term memory. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 14, 575–589. Baddeley, J. L., & Singer, J. A. (2009). A social interactional model of bereavement narrative disclosure. Review of General Psychology, 13, 202–218. Bagemihl, B. (1999). Biological exuberance: animal homosexuality and natural diversity (S. 412). New York: St. Martins.
832
Literatur
Baglioni, C., Nanovska, S., Regen, W., Spiegelhalder, K., Feige, B., Nissen, C., & Riemann, D. (2016). Sleep and mental disorders: a meta-analysis of polysomnographic research. Psychological Bulletin, 142, 969–990. Bahrick, H. P. (1984). Semantic memory content in permastore: 50 years of memory for Spanish learned in school. Journal of Experimental Psychology: General, 111, 1–29. Bahrick, H. P., Bahrick, P. O., & Wittlinger, R. P. (1975). Fifty years of memory for names and faces: a cross-sectional approach. Journal of Experimental Psychology: General, 104, 54–75. Bailey, J. M., Gaulin, S., Agyei, Y., & Gladue, B. A. (1994). Effects of gender and sexual orientation on evolutionary relevant aspects of human mating psychology. Journal of Personality and Social Psychology, 66, 1081–1093. Bailey, J. M., Kirk, K. M., Zhu, G., Dunne, M. P., & Martin, N. G. (2000). Do individual differences in sociosexuality represent genetic or environmentally contingent strategies? Evidence from the Australian twin registry. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 537–545. Bailey, J. M., Vasey, P. L., Diamond, L. M., Breedlove, S. M., Vilain, E., & Epprecht, M. (2016). Sexual orientation, controversy, and science. Psychological Science in the Public Interest, 17, 45–101. Bailey, R. E., & Gillaspy Jr., J. A. (2005). Operant psychology goes to the fair: Marian and Keller Breland in the popular press, 1947– 1966. The Behavior Analyst, 28, 143–159. Bailine, S., Fink, M., Knapp, R., Petrides, G., Husain, M. M., Rasmussen, K., & Kellner, C. H. (2010). Electroconvulsive therapy is equally effective in unipolar and bipolar depression. Acta Psychiatrica Scandinavica, 121, 431–436. Baillargeon, R. (2008). Innate ideas revisited: for a principle of persistence in infants’ physical reasoning. Perspectives in Psychological Science, 3, 2–13. Baillargeon, R., Scott, R. M., & Bian, L. (2016). Psychological reasoning in infancy. Annual Review of Psychology, 67, 159–186. Bak, T. H., Nissan, J. J., Allerhand, M. M., & Deary, I. J. (2014). Does bilingualism influence cognitive aging? Annals of Neurology, 75, 959–963. Baker, D. H., & Cass, J. R. (2013). A dissociation of performance and awareness during binocular rivalry. Psychological Science, 24, 2563–2568. Baker, T. B., McFall, R. M., & Shoham, V. (2008). Current status and future prospects of clinical psychology: toward a scientifically principles approach to mental and behavioral health care. Psychological Science in the Public Interest, 9, 67–103. Baker, T. B., Piper, M. E., McCarthy, D. E., Majeskie, M. R., & Fiore, M. C. (2004). Addiction motivation reformulated: an affective processing model of negative reinforcement. Psychological Review, 111, 33–51. Bakermans-Kranenburg, M. J., van IJzendoorn, M. H., & Juffer, F. (2003). Less is more: meta-analyses of sensitivity and attachment interventions in early childhood. Psychological Bulletin, 129, 195– 215. Bakshy, E., Messing, S., & Adamic, L. A. (2015). Exposure to ideologically diverse news and opinion on Facebook. Science, 348, 1130–1132. Balcetis, E., & Dunning, D. (2010). Wishful seeing: more desire objects are seen as closer. Psychological Science, 21, 147–152. Balodis, I. M., Wynne-Edwards, K. E., & Olmstead, M. C. (2010). The other side of the curve: examining the relationship between prestressor physiological responses and stress reactivity. Psychoneuroendocrinology, 35, 1363–1373. Balsam, K. F., Beauchaine, T. P., Rothblum, E. S., & Solomon, S. E. (2008). Three-year follow-up of same-sex couples who had civil unions in Vermont, same-sex couples not in civil unions, and heterosexual married couples. Developmental Psychology, 44, 102–116. Balter, M. (2010). Animal communication helps reveal roots of language. Science, 328, 969–970.
Balter, M. (2014). Science misused to justify Ugandan antigay law. Science, 343, 956. Balter, M. (2015). Can epigenetics explain homosexuality puzzle? Science, 350, 148. Bambico, F. R., Nguyen, N.-T., Katz, N., & Gobbi, G. (2010). Chronic exposure to cannabinoids during adolescence but not during adulthood impairs emotional behaviour and monoaminergic neurotransmission. Neurobiology of Disease, 37, 641–655. Banaji, M. R., & Greenwald, A. G. (2013). Blindspot: Hidden biases of good people (S. 498). New York: Delacorte Press. Bancroft, J., Loftus, J., & Long, J. S. (2003). Distress about sex: a national survey of women in heterosexual relationships. Archives of Sexual Behavior, 32, 193–208. Bandura, A. (1977). Self-efficacy: Toward a unifying theory of behavior. Psychological Review, 84, 191–215. Bandura, A. (1982). The psychology of chance encounters and life paths. American Psychologist, 37, 747–755. Bandura, A. (1986). Social foundations of thought and action: a socialcognitive theory (S. 551). Englewood Cliffs: Prentice-Hall. Bandura, A. (2005). The evolution of social cognitive theory. In K. G. Smith & M. A. Hitt (Eds.), Great minds in management: The process of theory development. Oxford: Oxford University Press. Bandura, A. (2006). Toward a psychology of human agency. Perspectives on Psychological Science, 1, 164–180. Bandura, A. (2008). An agentic perspective on positive psychology. In S. J. Lopez (Ed.), The science of human flourishing. Westport, CT: Praeger. Bandura, A. (2016). The power of observational learning through social modeling. In R. J. Sternberg, S. T. Fiske, & D. J. Foss (Eds.), Scientists making a difference: One hundred eminent behavioral and brain scientists talk about their most important contributions. New York: Cambridge University Press. Bandura, A., Ross, D., & Ross, S. A. (1961). Transmission of aggression through imitation of aggressive models. Journal of Abnormal and Social Psychology, 63, 575–582. Bansak, K., Hainmueller, J., & Hangartner, D. (2016). How economic, humanitarian, and religious concerns shape European attitudes toward asylum seekers. Science, 354, 217–222. Banville, J. (2012). APA weighs in on the constitutionality of life without parole for juvenile offenders. Monitor on Psychology, 43, 12. Bao, A.-M., & Swaab, D. F. (2011). Sexual differentiation of the human brain: Relation to gender identity, sexual orientation and neuropsychiatric disorders. Frontiers in Neuroendocrinology, 32, 214–226. Barac, R., Moreno, S., & Bialystok, E. (2016). Behavioral and electrophysiological differences in executive control between monolingual and bilingual children. Child Development, 87, 1277–1290. Barash, D. P. (2006, July 14). I am, therefore I think. Chronicle of Higher Education. Barash, D. P. (2012). Homo mysterius: evolutionary puzzles of human nature (S. 142). New York: Oxford University Press. Barbaresi, W. J., Katusic, S. K., Colligan, R. C., Weaver, A. L., & Jacobsen, S. J. (2007). Modifiers of long-term school outcomes for children with attention deficit/hyperactivity disorder: Does treatment with stimulant medication make a difference? Results from a population-based study. Journal of Developmental and Behavioral Pediatrics, 28, 274–287. Barberá, P., Jost, J. T., Nagler, J., Tucker, J. A., & Bonneau, R. (2015). Tweeting from left to right: Is online political communication more than an echo chamber? Psychological Science, 26, 1531–1542. Bargh, J. A., & Chartrand, T. L. (1999). The unbearable automaticity of being. American Psychologist, 54, 462–479. Bargh, J. A., & McKenna, K. Y. A. (2004). The Internet and social life. Annual Review of Psychology, 55, 573–590. Bargh, J. A., McKenna, K. Y. A., & Fitzsimons, G. M. (2002). Can you see the real me? Activation and expression of the “true self ” on the Internet. Journal of Social Issues, 58, 33–48.
Literatur
Bargh, J. A., & Morsella, E. (2008). The unconscious mind. Perspectives on Psychological Science, 3, 73–79. Bar-Haim, Y., Lamy, D., Pergamin, L., Bakermans-Kranenburg, M. J., & van IJzendoorn, M. H. (2007). Threat-related attentional bias in anxious and nonanxious individuals: A meta-analytic study. Psychological Bulletin, 133, 1–24. Barinaga, M. B. (1992). The brain remaps its own contours. Science, 258, 216–218. Barinaga, M. B. (1997). How exercise works its magic. Science, 276, 1325. Barinaga, M. B. (1999). Salmon follow watery odors home. Science, 286, 705–706. Barkley, R. A., et al. (2002). International consensus statement (January 2002). Clinical Child and Family Psychology Review, 5(2), 89–111. Barkley-Levenson, E., & Galván, A. (2014). Neural representation of expected value in the adolescent brain. PNAS, 111, 1646–1651. Barlow, D. H. (2010). Negative effects from psychological treatments: a perspective. American Psychologist, 65, 13–20. Barlow, M., Woodman, T., & Hardy, L. (2013). Great expectations: different high-risk activities satisfy different motives. Journal of Personality and Social Psychology, 105, 458–475. Barnier, A. J., & McConkey, K. M. (2004). Defining and identifying the highly hypnotizable person. In M. Heap, R. J. Brown, & D. A. Oakley (Eds.), High hypnotisability: Theoretical, experimental and clinical issues. London: Brunner-Routledge. Baron, C. E., Smith, T. W., Uchino, B. N., Baucom, B. R., & Birmingham, W. C. (2016). Getting along and getting ahead: Affiliation and dominance predict ambulatory blood pressure. Health Psychology, 35, 253–261. Baron-Cohen, S. (2010). Autism and the empathizing-systemizing (E-S) theory. In P. D. Zelazo, M. Chandler & E. Crone (Eds.), Developmental social cognitive neuroscience. New York: Psychology Press. Baron-Cohen, S., Bowen, D. C., Rosemary, J. H., Allison, C., Auyeung, B., Lombardo, M. V., & Lai, M.-C. (2015). The “reading the mind in the eyes” test: Complete absence of typical difference in ~400 men and women with autism. PLoS ONE, 10(181), e136521. Baron-Cohen, S., Golan, O., Chapman, E., & Granader, Y. (2007). Transported to a world of emotion. The Psychologist, 20, 76–77. Baron-Cohen, S., Leslie, A. M., & Frith, U. (1985). Does the autistic child have a “theory of mind”? Cognition, 21, 37–46. Barrera, T. L., Mott, J. M., Hofstein, R. F., & Teng, E. J. (2013). A meta-analytic review of exposure in group cognitive behavioral therapy for posttraumatic stress disorder. Clinical Psychology Review, 33, 24–32. Barrett, D. (2011). Answers in your dreams. Scientific American Mind, 22, 26–33. Barrett, H. C., Bolyanatz, A., Crittenden, A. N., Fessler, D. M., Fitzpatrick, S., Gurven, M., & Scelza, B. A. (2016). Small-scale societies exhibit fundamental variation in the role of intentions in moral judgment. PNAS, 113, 4688–4693. Barrett, L. F. (2006). Are emotions natural kinds? Perspectives on Psychological Science, 1, 28–58. Barrett, L. F. (2012). Emotions are real. Emotion, 12, 413–429. Barrett, L. F. (2013). Quoted by Fischer, S. About face: Emotional and facial expressions may not be directly related. Boston Magazine. Barrett, L. F., & Bliss-Moreau, E. (2009). She’s emotional. He’s having a bad day: attributional explanations for emotion stereotypes. Emotion, 9, 649–658. Barrett, L. F., Lane, R. D., Sechrest, L., & Schwartz, G. E. (2000). Sex differences in emotional awareness. Personality and Social Psychology Bulletin, 26, 1027–1035. Barretto, R. P., Gillis-Smith, S., Chandrashekar, J., Yarmolinsky, D. A., Schnitzer, M. J., Ryba, N. J., & Zuker, C. S. (2015). The neural representation of taste quality at the periphery. Nature, 517, 373–376. Barrick, M. R., Mount, M. K., & Judge, T. A. (2001). Personality and performance at the beginning of the new millennium: what do we
833
know and where do we go next? International Journal of Selection and Assessment, 9, 9–30. Barrick, M. R., Shaffer, J. A., & DeGrassi, S. W. (2009). What you see may not be what you get: relationships among self-presentation tactics and ratings of interview and job performance. Journal of Applied Psychology, 94, 1304–1411. Barrington-Trimis, J. L., Berhane, K., Unger, J. B., Cruz, T. B., Urman, R., Chou, C. P., & Huh, J. (2016). The e-cigarette social environment, e-cigarette use, and susceptibility to cigarette smoking. Journal of Adolescent Health, 59, 75–80. Barrouillet, P., Portrat, S., & Camos, V. (2011). On the law relating processing to storage in working memory. Psychological Review, 118, 175–192. Barry, C. L., McGinty, E. E., Vernick, J. S., & Webster, D. W. (2013). After Newtown—Public opinion on gun policy and mental illness. New England Journal of Medicine, 368, 1077–1081. Barry, D. (1995). Teen smokers, too, get cool, toxic, waste-blackened lungs (S. D3). New Jersey: Asbury Park Press. Bartels, M. (2015). Genetics of wellbeing and its components with life, happiness, and quality of life: a review of meta-analysis of heritability studies. Behavior Genetics, 45, 137–156. Barth, J., Munder, T., Gerger, H., Nuesch, E., Trelle, S., Znoj, H., & Cuijpers, P. (2013). Comparative efficacy of seven psychotherapeutic interventions for patients with depression: a network meta-analysis. PLoS Medicine, 10, 1454. Bartoshuk, L. M. (2000). Comparing sensory experiences across individuals: Recent psychophysical advances illuminate genetic variation in taste perception. Chemical Senses, 25, 447–460. Bartz, J. A. (2016). Oxytocin and the pharmacological dissection of affiliation. Current Directions in Psychological Science, 25, 104–110. Bashore, T. R., Ridderinkhof, K. R., & van der Molen, M. W. (1997). The decline of cognitive processing speed in old age. Current Directions in Psychological Science, 6, 163–169. Baskind, D. E. (1997). Personal communication, from Delta College (S. 617). Bastian, B., Jetten, J., Hornsey, M. J., & Leknes, S. (2014). The positive consequences of pain: a biopsychosocial approach. Personality and Social Psychology Review, 18, 256–279. Basu, S., & Basu, D. (2015). The relationship between psychoactive drugs, the brain and psychosis. International Archives of Addiction Research and Medicine, 1(003), 595. Bat-Chava, Y. (1993). Antecedents of self-esteem in deaf people: a meta-analytic review. Rehabilitation Psychology, 38, 221–234. Bat-Chava, Y. (1994). Group identification and self-esteem of deaf adults. Personality and Social Psychology Bulletin, 20, 494–502. Bates, T. C. (2015). The glass is half full and half empty: a populationrepresentative twin study testing if optimism and pessimism are distinct systems. Journal of Positive Psychology, 10, 533–542. Bathje, G. J., & Pryor, J. B. (2011). The relationships of public and selfstigma to seeking mental health services. Journal of Mental Health Counseling, 33, 161–177. Batsell, W. R., Perry, J. L., Hanley, E., & Hostetter, A. B. (2017). Ecological validity of the testing effect: The use of daily quizzes in introductory psychology. Teaching of Psychology, 44, 18–23. Bauer, M., Cassar, A., Chytilová, J., & Henrich, J. (2014). War’s enduring effects on the development of egalitarian motivations and in-group biases. Psychological Science, 25, 47–57. Bauer, P. J., Burch, M. M., Scholin, S. E., & Güler, O. E. (2007). Using cue words to investigate the distribution of autobiographical memories in childhood. Psychological Science, 18, 910–916. Bauer, P. J., & Larkina, M. (2014). The onset of childhood amnesia in childhood: a prospective investigation of the course and determinants of forgetting of early-life events. Memory, 22, 907–924. Baumann, J., & DeSteno, D. (2010). Emotion guided threat detection: Expecting guns where there are none. Journal of Personality and Social Psychology, 99, 595–610.
834
Literatur
Baumeister, H., & Härter, M. (2007). Prevalence of mental disorders based on general population surveys. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 42, 537–546. Baumeister, R. F. (1996). Should schools try to boost self-esteem? Beware the dark side. American Educator, 20, 43. Baumeister, R. F. (2000). Gender differences in erotic plasticity: The female sex drive as socially flexible and responsive. Psychological Bulletin, 126, 347–374. Baumeister, R. F. (2001). Violent pride: Do people turn violent because of self-hate, or self-love? Scientific American, 17, 96–101. Baumeister, R. F. (2005). The cultural animal: Human nature, meaning, and social life (S. 147). New York: Oxford University Press. Baumeister, R. F. (2006). Violent pride. Scientific American Mind, 17, 54–59. Baumeister, R. F. (2010). Is there anything good about men?: How cultures flourish by exploiting men (S. 155). New York: Oxford. Baumeister, R. F. (2015). Toward a general theory of motivation: Problems, challenges, opportunities, and the big picture. Motivation and Emotion, 40, 1–10. Baumeister, R. F., & Bratslavsky, E. (1999). Passion, intimacy, and time: passionate love as a function of change in intimacy. Personality and Social Psychology Review, 3, 49–67. Baumeister, R. F., Bratslavsky, E., Muraven, M., & Tice, D. M. (1998a). Ego depletion: Is the active self a limited resource? Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1252–1265. Baumeister, R. F., Dale, K., & Sommer, K. L. (1998b). Freudian defense mechanisms and empirical findings in modern personality and social psychology: Reaction formation, projection, displacement, undoing, isolation, sublimation, and denial. Journal of Personality, 66, 1081–1125. Baumeister, R. F., & Leary, M. R. (1995). The need to belong: Desire for interpersonal attachments as a fundamental human motivation. Psychological Bulletin, 117, 497–529. Baumeister, R. F., & Tice, D. M. (1986). How adolescence became the struggle for self: A historical transformation of psychological development. In J. Suls & A. G. Greenwald (Eds.), Psychological perspectives on the self (Vol. 3). Hillsdale, NJ: Erlbaum. Baumeister, R. F., & Vohs, K. D. (2016). Strength model of self-regulation as limited resource: assessment, controversies, update. Advances in Experimental Social Psychology, 54, 67–127. Baumgardner, A. H., Kaufman, C. M., & Levy, P. E. (1989). Regulating affect interpersonally: when low esteem leads to greater enhancement. Journal of Personality and Social Psychology, 56, 907–921. Baumrind, D. (1966). Effects of authoritative parental control on child behavior. Child Development, 37, 887–907. Baumrind, D. (1967). Child care practices anteceding three patterns of preschool behavior. Genetic Psychology Monographs, 75, 43–88. Baumrind, D. (1971) Current patterns of parental authority. Developmental psychology, 4, 1–103. Baumrind, D. (1991) The influence of parenting style on adolescent competence and substance use. Journal of Early Adolescence, 11, 56–95. Baumrind, D. (1996). The discipline controversy revisited. Family Relations, 45, 405–414. Baumrind, D. (2013). Is a pejorative view of power assertion in the socialization process justified? Review of General Psychology, 17, 420–427. Baumrind, D. (2013). Authoritative parenting revisited: History and current status. In: R.E. Lazarele, A.S. Morris, & A.W. Harrist (Eds.) Authoritative parenting: Synthetizing nurturance and discipline for optimal child development. APA, Washington. Baumrind, D., Larzelere, R. E., & Cowan, P. A. (2002). Ordinary physical punishment: Is it harmful? Comment on Gershoff (2002). Psychological Bulletin, 128, 602–611. Baur, E., Forsman, M., Santtila, P., Johansson, A., Sandnabba, K., & Långström, N. (2016). Paraphilic sexual interests and sexually
coercive behavior: A population-based twin study. Archives of Sexual Behavior, 45, 1163–1172. Bavelier, D., Newport, E. L., & Supalla, T. (2003). Children need natural languages, signed or spoken. Cerebrum, 5, 19–32. Bavelier, D., Tomann, A., Hutton, C., Mitchell, T., Corina, D., Liu, G., & Neville, H. (2000). Visual attention to the periphery is enhanced in congenitally deaf individuals. Journal of Neuroscience, 20, 1–6. Beam, C. R., Emery, R. E., Reynolds, C. A., Gatz, M., Turkheimer, R., & Pedersen, N. L. (2016). Widowhood and the stability of late life depressive symptomatology in the Swedish Adoption Twin Study of Aging. Behavior Genetics, 46, 100–113. Beaman, A. L., & Klentz, B. (1983). The supposed physical attractiveness bias against supporters of the women’s movement: a metaanalysis. Personality and Social Psychology Bulletin, 9, 544–550. Beames, J. R., Schofield, T. P., & Denson, T. F. (im Druck). A metaanalysis of improving self-control with practice. In D. T. D. de Ridder, M. A. Adriaanse & K. Fujita (Hrsg.), Handbook of self-control in health and well-being (S. 466). New York: Routledge. Bearzi, M., & Stanford, C. (2010). A bigger, better brain. American Scientist, 98, 402–409. Beauchamp, G. K. (1987). The human preference for excess salt. American Scientist, 75, 27–33. Beauvois, J.-L. Courbet, D., & Oberlé, D. (2012). The prescriptive power of the television host: A transposition of Milgram’s obedience paradigm to the context of TV game show. European Review of Applied Psychology/Revue Européenne De Psychologie Appliquée, 62, 111–119. Beaver, K. M., & Barnes, J. C. (2012). Genetic and nonshared environmental factors affect the likelihood of being charged with driving under the influence (DUI) and driving while intoxicated (DWI). Addictive Behaviors, 37, 1377–1381. Beck, A. T., & Bredemeier, K. (2016). A unified model of depression: Integrating clinical, cognitive, biological, and evolutionary perspectives. Clinical Psychological Science, 4, 596–619. Beck, A. T., Rush, A. J., Shaw, B. F., & Emery, G. (1979). Cognitive therapy of depression (S. 619). New York: Guilford. Beck, D. M. (2010). The appeal of the brain in the popular press. Perspectives on Psychological Science, 5, 762–766. Becker, D. V., Kenrick, D. T., Neuberg, S. L., Blackwell, K. C., & Smith, D. M. (2007). The confounded nature of angry men and happy women. Journal of Personality and Social Psychology, 92, 179–190. Becker, J. E., Maley, C., Shultz, E., & Taylor, W. D. (2016). Update on transcranial magnetic stimulation for depression and other neuropsychiatric illnesses. Psychiatric Annals, 46, 637–641. Becker, M., Cortina, K. S., Tsai, Y., & Eccles, J. S. (2014). Sexual orientation, psychological well-being, and mental health: a longitudinal analysis from adolescence to young adulthood. Psychology of Sexual Orientation and Gender Diversity, 1, 132–145. Becklen, R., & Cervone, D. (1983). Selective looking and the noticing of unexpected events. Memory and Cognition, 11, 601–608. Beeman, M. J., & Chiarello, C. (1998). Complementary right- and lefthemisphere language comprehension. Current Directions in Psychological Science, 7, 2–8. Bègue, L., Bushman, B. J., Giancola, P. R., Subra, B., & Rosset, E. (2010). “There is no such thing as an accident,” especially when people are drunk. Personality and Social Psychology Bulletin, 36, 1301–1304. Bègue, L., Subra, B., Arvers, P., Muller, D., Bricout, V., & Zorman, M. (2009). A message in a bottle: extrapharmacological effects of alcohol on aggression. Journal of Experimental Social Psychology, 45, 137–142. Beilin, H. (1992). Piaget’s enduring contribution to developmental psychology. Developmental Psychology, 28, 191–204. Beilock, S. (2010). Choke: What the secrets of the brain reveal about getting it right when you have to (S. 338). New York: Free Press.
Literatur
Beintner, I., Jacobi, C., & Taylor, C. B. (2012). Effects of an Internetbased prevention programme for eating disorders in the USA and Germany: a meta-analytic review. European Eating Disorders Review, 20, 1–8. Bell, A. P., Weinberg, M. S., & Hammersmith, S. K. (1981). Sexual preference: Its development in men and women (S. 411). Bloomington: Indiana University Press. Belluck, P. (2012). Footprints to cognitive decline and Alzheimer’s are seen in gait. The New York Times. nytimes.com Belluck, P. (2013). People with mental illness more likely to be smokers, study finds. The New York Times. nytimes.com Belot, M., & Francesconi, M. (2006). Can anyone be “the one”? Evidence on mate selection from speed dating (S. 513). London: Centre for Economic Policy Research (cepr.org). Belsky, D. W., Moffitt, T. E., Corcoran, D. L., Domingue, B., Harrington, H., Hogan, S., & Poulton, R. (2016). The genetics of success: How single-nucleotide polymorphisms associated with educational attainment relate to life-course development. Psychological Science, 27, 957–972. Belsky, J., & Pluess, M. (2009). Beyond diathesis stress: differential susceptibility to environmental influences. Psychological Bulletin, 135, 885–908. Belson, K. (2015). No foul mouths on this field: Football with a New Age twist. The New York Times. nytimes.com Bem, D., Tressoldi, P. E., Rabeyron, T., & Duggan, M. (2014, April 11). Feeling the future:A meta-analysis of 90 experiments on the anomalous anticipation of random future events. Retrieved from papers. ssrn.com /sol3/papers.cfm?abstract_id=2423692 Bem, D. J. (1984). Quoted in The Skeptical Inquirer, 8, 194. Bem, D. J. (2011). Feeling the future: Experimental evidence for anomalous retroactive influences on cognition and affect. Journal of Personality and Social Psychology, 100, 407–425. Bem, S. L. (1987). Masculinity and femininity exist only in the mind of the perceiver. In J. M. Reinisch, L. A. Rosenblum & S. A. Sanders (Hrsg.), Masculinity/femininity: basic perspectives (S. 160). New York: Oxford University Press. Bem, S. L. (1993). The lenses of gender (S. 160). New Haven: Yale University Press. Bender, T. W., Anestis, M. D., Anestis, J. C., Gordon, K. H., & Joiner, T. E. (2012). Affective and behavioral paths toward the acquired capacity for suicide. Journal of Social and Clinical Psychology, 31, 81–100. Benedict, C., Brooks, S. J., O’Daly, O. G., Almen, M. S., Morell, A., Aberg, K., & Schiöth, H. B. (2012). Acute sleep deprivation enhances the brain’s response to hedonic food stimuli: An fMRI study. Journal of Clinical Endocrinology and Metabolism, 97, 2011–2759. Benenson, J. F., Markovits, H., Fitzgerald, C., Geoffroy, D., Flemming, J., Kahlenberg, S. M., & Wrangham, R. W. (2009). Males’ greater tolerance of same-sex peers. Psychological Science, 20, 184–190. Benjamin Jr., L. T., & Simpson, J. A. (2009). The power of the situation: the impact of Milgram’s obedience studies on personality and social psychology. American Psychologist, 64, 12–19. Benjamins, M. R., Ellison, C. G., & Rogers, R. G. (2010). Religious involvement and mortality risk among pre-retirement aged U.S. adults. In C. E. Ellison & R. A. Hummer (Eds.), Religion, families, and health: Population-based research in the United States. New Brunswick, NJ: Rutgers University Press. Bennett, W. I. (1995). Beyond overeating. New England Journal of Medicine, 332, 673–674. Ben-Shakhar, G., & Elaad, E. (2003). The validity of psychophysiological detection of information with the guilty knowledge test: a meta-analytic review. Journal of Applied Psychology, 88, 131–151. Benson, P. L. (1992). Patterns of religious development in adolescence and adulthood. PiRI Newsletter. (S. 2–9). Bentley, K. H., Nock, M. K., & Barlow, D. H. (2014). The four-function model of nonsuicidal self-injury: Key directions for future research. Clinical Psychological Science, 2, 638–656.
835
Berg, J. M., Wall, M., Larson, N., Eisenberg, M. E., Loth, K. A., & Neumark-Sztainer, D. (2014). The unique and additive associations of family functioning and parenting practices with disordered eating behaviors in diverse adolescents. Journal of Behavioral Medicine, 37, 205–217. Bergelson, E., & Swingley, D. (2012). At 6–9 months, human infants know the meanings of many common nouns. PNAS, 109, 3253– 3258. Bergelson, E., & Swingley, D. (2013). The acquisition of abstract words by young infants. Cognition, 127, 391–397. Bergen, B. K. (2014). Universal grammar. Response to 2014 Edge question: What scientific idea is ready for retirement? The Edge. edge.org. Berger, J., Meredith, M., & Wheeler, S. C. (2008). Does where you vote affect how you vote? The impact of environmental cues on voting behavior. PNAS, 105, 8846–8849. Berk, L. E. (1994). Why children talk to themselves. Scientific American, 271, 78–83. Berk, L. S., Felten, D. L., Tan, S. A., Bittman, B. B., & Westengard, J. (2001). Modulation of neuroimmune parameters during the eustress of humor-associated mirthful laughter. Alternative Therapies, 7, 62–76. Berken, J. A., Gracco, V. L., Chen, J., Soles, J., Watkins, K. E., Baum, S., & Klein, D. (2015). Neural activation in speech production and reading aloud in native and non-native languages. NeuroImage, 112, 208–217. Berkovich-Ohana, A., Glickson, J., & Goldstein, A. (2014). Studying the default mode and its mindfulness-induced changes using EEF functional connectivity. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 9, 1616–1624. Berkowitz, L. (1983). Aversively stimulated aggression: Some parallels and differences in research with animals and humans. American Psychologist, 38, 1135–1144. Berkowitz, L. (1989). Frustration-aggression hypothesis: Examination and reformulation. Psychological Bulletin, 106, 59–73. Berkowitz, L. (1990). On the formation and regulation of anger and aggression: a cognitive-neoassociationistic analysis. American Psychologist, 45, 494–503. Berman, M. G., Jonides, J., & Kaplan, S. (2008). The cognitive benefits of interacting with nature. Psychological Science, 19, 1207–1212. Berndt, T. J. (1992). Friendship and friends’ influence in adolescence. Current Directions in Psychological Science, 1, 156–159. Bernieri, F., Davis, J., Rosenthal, R., & Knee, C. (1994). Interactional synchrony and rapport: measuring synchrony in displays devoid of sound and facial affect. Personality and Social Psychology Bulletin, 20, 303–311. Bernstein, D. M., & Loftus, E. F. (2009a). The consequences of false memories for food preferences and choices. Perspectives on Psychological Science, 4, 135–139. Bernstein, D. M., & Loftus, E. F. (2009b). How to tell if a particular memory is true or false. Perspectives on Psychological Science, 4, 370–374. Bernstein, M. J., Young, S. G., & Claypool, H. M. (2010). Is Obama’s win a gain for Blacks? Changes in implicit racial prejudice following the 2008 election. Social Psychology, 41, 147–151. Berntson, G. G., Norman, G. J., Bechara, A., Bruss, J., Tranel, D., & Cacioppo, J. T. (2011). The insula and evaluative processes. Psychological Science, 22, 80–86. Berridge, K. C., Robinson, T. E., & Aldridge, J. W. (2009). Dissecting components of reward: “liking”, “wanting”, and learning. Current Opinion in Pharmacology, 9, 65–73. Berry, C. M., & Sackett, P. R. (2009). Individual differences in course choice result in underestimation of the validity of college admissions systems. Psychological Science, 20, 822–830. Berry, C. M., & Zhao, P. (2015). Addressing criticisms of existing predictive bias research: Cognitive ability test scores still overpredict
836
Literatur
African Americans’ job performance. Journal of Applied Psychology, 100, 162–179. Berscheid, E. (1981). An overview of the psychological effects of physical attractiveness and some comments upon the psychological effects of knowledge of the effects of physical attractiveness. In G. W. Lucker, K. Ribbens, & J. A. McNamara (Eds.), Psychological aspects of facial form (Craniofacial growth series). Ann Arbor: Center for Human Growth and Development, University of Michigan. Berscheid, E. (1985). Interpersonal attraction. In G. Lindzey & E. Aronson (Hrsg.), The handbook of social psychology (S. 418). New York: Random House. Berscheid, E. (2010). Love in the fourth dimension. Annual Review of Psychology, 61, 1–25. Berscheid, E., Gangestad, S. W., & Kulakowski, D. (1984). Emotion in close relationships: Implications for relationship counseling. In S. D. Brown & R. W. Lent (Hrsg.), Handbook of counseling psychology (S. 516). New York: Wiley. Berti, A., Cottini, G., Gandola, M., Pia, L., Smania, N., Stracciari, A., & Paulesu, E. (2005). Shared cortical anatomy for motor awareness and motor control. Science, 309, 488–491. Bértolo, H. (2005). Visual imagery without visual perception? Psicológica, 26, 173–188. Bertrand, M., & Mullainathan, S. (2003). Are Emily and Greg more employable than Lakisha and Jamal? A field experiment on labor market discrimination. Massachusetts Institute of Technology, Department of Economics, Working Paper 03–22. Bettge S., Wille D. P. N., Barkmann C., Schulte-Markwort M., RavensSieberer U., & BELLA Study Group (2008) Depressive symptoms of children and adolescents in a German representative sample: Results of the BELLA study. European Child & Adolescent Psychiatry, 17, 71–81 Bhatt, R. S., Wasserman, E. A., Reynolds Jr., W. F., & Knauss, K. S. (1988). Conceptual behavior in pigeons: Categorization of both familiar and novel examples from four classes of natural and artificial stimuli. Journal of Experimental Psychology: Animal Behavior Processes, 14, 219–234. Bialystok, E., Craik, F. I. M., & Luk, G. (2012). Bilingualism: consequences for mind and brain. Trends in Cognitive Sciences, 16, 240–250. Bialystok, E., Kroll, J. F., Green, D. W., MacWhinney, B., & Craik, F. I. M. (2015). Publication bias and the validity of evidence: what’s the connection? Psychological Science, 26, 944–946. Bianconi, E., Piovesan, A., Facchin, F., Beraudi, A., Casadei, R., Frabetti, F., & Canaider, S. (2013). An estimation of the number of cells in the human body. Annals of Human Biology, 40, 463–471. Bick, J., Zhu, T., Stamoulis, C., Fox, N. A., Zeanah, C., & Nelson, C. A. (2015). Effect of early institutionalization and foster care on long-term white matter development: a randomized clinical trial. JAMA Pediatrics, 169, 211–219. Bienvenu, O. J., Davydow, D. S., & Kendler, K. S. (2011). Psychiatric “diseases” versus behavioral disorders and degree of genetic influence. Psychological Medicine, 41, 33–40. Bilefsky, D. (2009). Europeans debate castration of sex offenders. March, Bd. 11 (S. 403). The New York Times. nytimes.com Billock, V. A., & Tsou, B. H. (2012). Elementary visual hallucinations and their relationships to neural pattern-forming mechanisms. Psychological Bulletin, 138, 744–774. Binet, A. (1909). Les idées modernes sur les enfants [Modern ideas about children]. Paris: Flammarion. Quoted in A. Clarke & A. Clarke (2006), Born to be bright. The Psychologist, 19, 409. Bird, C. D., & Emery, N. J. (2009). Rooks use stones to raise the water level to reach a floating worm. Current Biology, 19, 1410–1414. Birkeland, M. S., Blix, I., Solberg, Ø., & Heir, T. (2016). Does optimism act as a buffer against posttraumatic stress over time? A longitudinal study of the protective role of optimism after the 2011
Oslo bombing. Psychological Trauma. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/tra0000188 Birnbaum, G. E., & Reis, H. T. (2012). When does responsiveness pique sexual interest? Attachment and sexual desire in initial acquaintanceships. Personality and Social Psychology Bulletin, 38, 946–958. Birnbaum, G. E., Reis, H. T., Mikulincer, M., Gillath, O., & Orpaz, A. (2006). When sex is more than just sex: attachment orientations, sexual experience, and relationship quality. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 929–943. Biro, D., Humle, T., Koops, K., Sousa, C., Hayashi, M., & Matsuzawa, T. (2010). Chimpanzee mothers at Bossou, Guinea carry the mummified remains of their dead infants. Current Biology, 20, R351–R352. Biro, F. M., Galvez, M. P., Greenspan, L. C., Succop, P. A., Vangeepuram, N., Pinney, S. M., & Wolff, M. S. (2010). Pubertal assessment method and baseline characteristics in a mixed longitudinal study of girls. Pediatrics, 126, e583–e590. Biro, F. M., Greenspan, L. C., & Galvez, M. P. (2012). Puberty in girls of the 21st century. Journal of Pediatric and Adolescent Gynecology, 25, 289–294. Bishop, D. I., Weisgram, E. S., Holleque, K. M., Lund, K. E., & Wheeler, J. R. (2005). Identity development and alcohol consumption: current and retrospective self-reports by college students. Journal of Adolescence, 28, 523–533. Bishop, G. D. (1991). Understanding the understanding of illness: Lay disease representations. In J. A. Skelton & R. T. Croyle (Hrsg.), Mental representation in health and illness (S. 330). New York: Springer. Bjork, E. L., & Bjork, R. (2011). Making things hard on yourself, but in a good way: Creating desirable difficulties to enhance learning. In M. A. Gernsbacher, M. A. Pew, L. M. Hough & J. R. Pomerantz (Hrsg.), Psychology and the real world (S. 19). New York: Worth Publishers. Bjork, R. (2011). Quoted by P. Belluck, To really learn, quit studying and take a test. The New York Times. nytimes.com Bjorklund, D. F., & Green, B. L. (1992). The adaptive nature of cognitive immaturity. American Psychologist, 47, 46–54. Blackhart, G. C., Nelson, B. C., Knowles, M. L., & Baumeister, R. F. (2009). Rejection elicits emotional reactions but neither causes immediate distress nor lowers self-esteem: A meta-analytic review of 192 studies on social exclusion. Personality and Social Psychology Bulletin, 13, 269–309. Blake, A., Nazarian, M., & Castel, A. (2015). The apple of the mind’s eye: everyday attention, metamemory, and reconstructive memory for the apple logo. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 68, 858–865. Blake, W. (2013). Voices from solitary: a sentence worse than death. Essay published at solitary watch, news from a nation in Lockdown. solitarywatch.com. Blakemore, S.-J. (2008). Development of the social brain during adolescence. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 61, 40–49. Blakemore, S.-J., Wolpert, D. M., & Frith, C. D. (1998). Central cancellation of self-produced tickle sensation. Nature Neuroscience, 1, 635–640. Blakeslee, S. (2006). Cells that read minds. The New York Times. nytimes.com Blanchard, R. (2004). Quantitative and theoretical analyses of the relation between older brothers and homosexuality in men. Journal of Theoretical Biology, 230, 173–187. Blanchard, R. (2008a). Review and theory of handedness, birth order, and homosexuality in men. Laterality, 13, 51–70. Blanchard, R. (2008b). Sex ratio of older siblings in heterosexual and homosexual, right-handed and non-right-handed men. Archives of Sexual Behavior, 37, 977–981. Blanchard, R. (2014). Detecting and correcting for family size differences in the study of sexual orientation and fraternal birth order. Archives of Sexual Behavior, 43, 845–852.
Literatur
Blanchard, R., Kuban, M. E., Blak, T., Klassen, P. E., Dickey, R., & Cantor, J. M. (2012). Sexual attraction to others: a comparison of two models of alloerotic responding in men. Archives of Sexual Behavior, 41, 13–29. Blanchard, R., Lykins, A. D., Wherrett, D., Kuban, M. E., Cantor, J. M., Blak, T., & Klassen, P. E. (2009). Pedophilia, hebephilia, and the DSM-V. Archives of Sexual Behavior, 38, 335–350. Blanchard-Fields, F. (2007). Everyday problem solving and emotion: an adult developmental perspective. Current Directions in Psychological Science, 16, 26–31. Blanke, O. (2012). Multisensory brain mechanisms of bodily self-consciousness. Nature Reviews Neuroscience, 13, 556–571. Blascovich, J. & Mendes, W. B. (2010). Social psychophysiology and embodiment. In S. T. Fiske, D. T. Gilbert, & G. Lindzey (Eds.), The handbook of social psychology, 5th ed. New York: John Wiley & Sons Inc. Blasi, D. E., Wichmann, S., Hammarström, H., Stadler, P. F., & Christiansen, M. H. (2016). Sound-meaning association biases evidenced across thousands of languages. PNAS, 113, 10818–10823. Blass, T. (1996). Stanley Milgram: A life of inventiveness and controversy. In G. A. Kimble, C. A. Boneau, & M. Wertheimer (Eds.), Portraits of pioneers in psychology (Vol. II). Washington, DC and Mahwah, NJ: American Psychological Association and Lawrence Erlbaum Publishers. Blass, T. (1999). The Milgram paradigm after 35 years: Some things we now know about obedience to authority. Journal of Applied Social Psychology, 29, 955–978. Blease, C. R. (2015). Too many “friends,” too few “likes”? Evolutionary psychology and “Facebook depression. Review of General Psychology, 19, 1–13. Blechert, J., Testa, G., Georgii, C., Klimesch, W., & Wilhelm, F. H. (2016). The Pavlovian Craver: neural and experiential correlates of single trial naturalistic food conditioning in humans. Physiology & Behavior, 158, 18–25. Bleidorn, W. (2015). What accounts for personality maturation in early adulthood? Current Directions in Psychological Science, 24, 245–252. Bleidorn, W., Arslan, R. C., Denissen, J. J. A., Rentfrow, P. J., Gebauer, J. E., Potter, J., & Gosling, S. D. (2016). Age and gender differences in self-esteem—A cross-cultural window. Journal of Personality and Social Psychology, 111, 396–410. Blinkhorn, V., Lyons, M., & Almond, L. (2015). The ultimate femme fatale: narcissism predicts serious and aggressive sexually coercive behavior in females. Personality and Individual Differences, 87, 219–223. Bloom, B. C. (Hrsg.). (1985). Developing talent in young people (S. 423). New York: Ballantine. Bloom, F. E. (1993). What’s new in neurotransmitters. Brain-Work, 1, 7–9. Bloom, P. (2000). How children learn the meanings of words (S. 346). Cambridge: MIT Press. Blow, C. M. (2015). Officers’ race matters less than you think.The New York Times. nytimes.com BLS (2011). American time use survey summary (S. 148). Bureau of Labor Statistics. bls.gov Blum, D. (2011). Love at Goon Park: Harry Harlow and the science of affection (2. Aufl.). (S. 185). New York: Perseus. Blum, K., Cull, J. G., Braverman, E. R., & Comings, D. E. (1996). Reward deficiency syndrome. American Scientist, 84, 132–145. Blumenstein, B., & Orbach, I. (2012). Mental practice in sport: twenty case studies (S. 356). New York: Novinka/Nova Science Publishers. Boag, S. (2006). Freudian repression, the common view, and pathological science. Review of General Psychology, 10, 74–86. Boccardi, M., Frisoni, G. B., Hare, R. D., Cavedo, E., Najt, P., Pievani, M., & Tiihonen, J. (2011). Cortex and amygdala morphology in psychopathy. Psychiatry Research: Neuroimaging, 193, 85–92.
837
Bock, L. (2013). Interview by Adam Bryant, “In head-hunting, big data may not be such a big deal.” The New York Times. nytimes.com Bocklandt, S., Horvath, S., Vilain, E., & Hamer, D. H. (2006). Extreme skewing of X chromosome inactivation in mothers of homosexual men. Human Genetics, 118, 691–694. Bockting, W. O. (2014). Transgender identity development. In W. O. Bockting (Ed.), APA handbook of sexuality and psychology (Vol. 1). Washington, D.C.: American Psychological Association. Bodenhausen, G. V., Sheppard, L. A., & Kramer, G. P. (1994). Negative affect and social judgment: the differential impact of anger and sadness. European Journal of Social Psychology, 24, 45–62. Bodenmann, G., Meuwly, N., Germann, J., Nussbeck, F. W., Heinrichs, M., & Bradbury, T. N. (2015). Effects of stress on the social support provided by men and women in intimate relationships. Psychological Science, 26, 1584–1594. Bodkin, J. A., & Amsterdam, J. D. (2002). Transdermal selegiline in major depression: a double-blind, placebo-controlled, parallelgroup study in outpatients. American Journal of Psychiatry, 159, 1869–1875. Boecker, H., Sprenger, T., Spilker, M. E., Henriksen, G., Koppenhoefer, M., Wagner, K. J., & Tolle, T. R. (2008). The runner’s high: Opioidergic mechanisms in the human brain. Cerebral Cortex, 18, 2523–2531. Boehm, J. K., & Kubzansky, L. D. (2012). The heart’s content: the association between positive psychological well-being and cardiovascular health. Psychological Bulletin, 138, 655–691. Boehm, J. K., Trudel-Fitzgerald, C., Kivimaki, M., & Kubzansky, L. D. (2015a). The prospective association between positive psychological well-being and diabetes. Health Psychology, 34, 1013–1021. Boehm, J. K., Winning, A., Segerstrom, S., & Kubzansky, L. D. (2015b). Variability modifies life satisfaction’s association with mortality risk in older adults. Psychological Science, 26, 1063–1070. Boehm-Davis, D. A. (2005). Improving product safety and effectiveness in the home. In R. S. Nickerson (Ed.), Reviews of human factors and ergonomics. Volume 1. Santa Monica, CA: Human Factors and Ergonomics Society. Boenigk, S., & Mayr, M. L. (2016). The happiness of giving: evidence from the German socioeconomic panel that happier people are more generous. Journal of Happiness Studies, 17, 1825–1846. Boesch-Achermann, H., & Boesch, C. (1993). Tool use in wild chimpanzees: new light from dark forests. Current Directions in Psychological Science, 2, 18–21. Bogaert, A. F. (2003). Number of older brothers and sexual orientation: new texts and the attraction/behavior distinction in two national probability samples. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 644–652. Bogaert, A. F. (2004). Asexuality: prevalence and associated factors in a national probability sample. Journal of Sex Research, 41, 279–287. Bogaert, A. F. (2006). Biological versus nonbiological older brothers and men’s sexual orientation. PNAS, 103, 10771–10774. Bogaert, A. F. (2010). Physical development and sexual orientation in men and women: an analysis of NATSAL-2000. Archives of Sexual Behavior, 39, 110–116. Bogaert, A. F. (2015). Asexuality: what it is and why it matters. Journal of Sex Research, 52, 362–379. Bogaert, A. F., Friesen, C., & Klentrou, P. (2002). Age of puberty and sexual orientation in a national probability sample. Archives of Sexual Behavior, 31, 73–81. Boggiano, A. K., Harackiewicz, J. M., Bessette, M. M., & Main, D. S. (1985). Increasing children’s interest through performance-contingent reward. Social Cognition, 3, 400–411. Bohannon, J. (2016). Government “nudges” prove their worth. Science, 352, 1042. Bohlken, M. M., Brouwer, R. M., Mandl, R. C. W., v d Heuvel, M. P., Hedman, A. M., De Hert, M., & Hulshoff, P. H. E. (2016). Structural brain connectivity as a genetic marker for schizophrenia. JAMA Psychiatry, 73, 11–19.
838
Literatur
Bohman, M., & Sigvardsson, S. (1990). Outcome in adoption: lessons from longitudinal studies. In D. Brodzinsky & M. Schechter (Hrsg.), The psychology of adoption (S. 133). New York: Oxford University Press. Bois, C., Levita, L., Ripp, I., Owens, D. C. G., Johnstone, E. C., Whalley, H. C., & Lawrie, S. M. (2016). Longitudinal changes in hippocampal volume in the Edinburgh high risk study of schizophrenia. Schizophrenia Research, 173, 146–151. Bolger, N., DeLongis, A., Kessler, R. C., & Schilling, E. A. (1989). Effects of daily stress on negative mood. Journal of Personality and Social Psychology, 57, 808–818. Bolmont, M., Cacioppo, J. T., & Cacioppo, S. (2014). Love is in the gaze: an eyetracking study of love and sexual desire. Psychological Science, 25, 1748–1756. Boly, M., Garrido, M. I., Gosseries, O., Bruno, M.-A., Boveroux, P., Schnakers, C., & Friston, K. (2011). Preserved feed-forward but impaired top-down processes in the vegetative state. Science, 332, 858–862. Bonanno, G. A. (2004). Loss, trauma, and human resilience: have we underestimated the human capacity to thrive after extremely aversive events? American Psychologist, 59, 20–28. Bonanno, G. A. (2005). Adult resilience to potential trauma. Current Directions in Psychological Science, 14, 135–137. Bonanno, G. A., Brewin, C. R., Kaniasty, K., & La Greca, A. M. (2010). Weighing the costs of disaster: consequences, risks, and resilience in individuals, families, and communities. Psychological Science in the Public Interest, 11, 1–49. Bonanno, G. A., Galea, S., Bucciarelli, A., & Vlahov, D. (2006). Psychological resilience after disaster. Psychological Science, 17, 181–186. Bonanno, G. A., Galea, S., Bucciarelli, A., & Vlahov, D. (2007). What predicts psychological resilience after disaster? The role of demographics, resources, and life stress. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 75, 671–682. Bonanno, G. A., & Kaltman, S. (1999). Toward an integrative perspective on bereavement. Psychological Bulletin, 125, 760–777. Bonanno, G. A., Kennedy, P., Galatzer-Levy, I. R., Lude, P., & Elfström, M. L. (2012). Trajectories of resilience, depression, and anxiety following spinal cord injury. Rehabilitation Psychology, 57, 236–247. Bonanno, G. A., Westphal, M., & Mancini, A. D. (2011). Resilience to loss and potential trauma. Annual Review of Clinical Psychology, 11, 511–535. Bond Jr., C. F., & DePaulo, B. M. (2006). Accuracy of deception judgments. Personality and Social Psychology Review, 10, 214–234. Bond Jr., C. F., & DePaulo, B. M. (2008). Individual differences in detecting deception: accuracy and bias. Psychological Bulletin, 134, 477–492. Bond, M. H., Lun, V. M.-C., Chan, J., Chan, W. W.-Y., & Wong, D. (2012). Enacting modesty in Chinese culture: the joint contribution of personal characteristics and contextual features. Asian Journal of Social Psychology, 15, 14–25. Bond, R., & Smith, P. B. (1996). Culture and conformity: a meta-analysis of studies using Asch’s (1952b, 1956) line judgment task. Psychological Bulletin, 119, 111–137. Bonezzi, A., Brendl, C. M., & DeAngelis, M. (2011). Stuck in the middle: the psychophysics of goal pursuit. Psychological Science, 22, 607–612. Bonfils, K. A., Lysaker, P. H., Minor, K. S., & Salyers, M. P. (2016). Affective empathy in schizophrenia: a meta-analysis. Schizophrenia Research, 175, 109–117. Bono, J. E., & Judge, T. A. (2004). Personality and transformational and transactional leadership: a meta-analysis. Journal of Applied Psychology, 89, 901–910. Bookheimer, S. H., Strojwas, M. H., Cohen, M. S., Saunders, A. M., Pericak-Vance, M. A., Mazziotta, J. C., & Small, G. W. (2000). Pat-
terns of brain activation in people at risk for Alzheimer’s disease. New England Journal of Medicine, 343, 450–456. Booth, F. W., & Neufer, P. D. (2005). Exercise controls gene expression. American Scientist, 93, 28–35. Bor, D. (2010). The mechanics of mind reading. Scientific American, 21, 52–57. Bora, E., & Pantelis, C. (2013). Theory of mind impairments in firstepisode psychosis, individuals at ultra-high risk for psychosis and in first-degree relatives of schizophrenia: systematic review and meta-analysis. Schizophrenia Research, 144, 31–36. Bora, E., & Pantelis, C. (2016). Social cognitive in schizophrenia in comparison to bipolar disorder: a meta-analysis. Schizophrenia Research, 175, 72–78. Boring, E. G. (1930). A new ambiguous figure. American Journal of Psychology, 42, 444–445. Bornstein, M. H., Cote, L. R., Maital, S., Painter, K., Park, S.-Y., Pascual, L., & Vyt, A. (2004). Cross-linguistic analysis of vocabulary in young children: Spanish, Dutch, French, Hebrew, Italian, Korean, and American English. Child Development, 75, 1115–1139. Bornstein, M. H., Tal, J., Rahn, C., Galperin, C. Z., Pecheux, M.G., Lamour, M., & Tamis-LeMonda, C. S. (1992a). Functional analysis of the contents of maternal speech to infants of 5 and 13 months in four cultures: Argentina, France, Japan, and the United States. Developmental Psychology, 28, 593–603. Bornstein, M. H., Tamis-LeMonda, C. S., Tal, J., Ludemann, P., Toda, S., Rahn, C. W., & Vardi, D. (1992b). Maternal responsiveness to infants in three societies: The United States, France, and Japan. Child Development, 63, 808–821. Bornstein, R. F. (1989). Exposure and affect: overview and meta-analysis of research, 1968–1987. Psychological Bulletin, 106, 265–289. Bornstein, R. F. (1999). Source amnesia, misattribution, and the power of unconscious perceptions and memories. Psychoanalytic Psychology, 16, 155–178. Bornstein, R. F., Galley, D. J., Leone, D. R., & Kale, A. R. (1991). The temporal stability of ratings of parents: test-retest reliability and influence of parental contact. Journal of Social Behavior and Personality, 6, 641–649. Boroditsky, L. (2009). How does our language shape the way we think? The Edge (edge.org). (S. 346, 354). Boroditsky, L. (2011). How language shapes thought (S. 63–65). Scientific American. https://www.scientificamerican.com/ Bos, H. M. W., Knox, J. R., van Rijn-van Gelderen, L., & Gartrell, N. K. (2016). Same-sex and different-sex parent households and child health outcomes: Findings from the national survey of children’s health. Journal of Developmental and Behavioral Pediatrics, 37, 179–187. Bosma, H., Marmot, M. G., Hemingway, H., Nicolson, A. C., Brunner, E., & Stansfeld, S. A. (1997). Low job control and risk of coronary heart disease in Whitehall II (prospective cohort) study. British Medical Journal, 314, 558–565. Bosma, H., Peter, R., Siegrist, J., & Marmot, M. (1998). Two alternative job stress models and the risk of coronary heart disease. American Journal of Public Health, 88, 68–74. Bostwick, J. M., Pabbati, C., Geske, J. R., & McKean, A. J. (2016). Suicide attempt as a risk factor for completed suicide: even more lethal than we knew. The American Journal of Psychiatry, 173, 1094–1100. Bostwick, J. M., & Pankratz, V. S. (2000). Affective disorders and suicide risk: a re-examination. American Journal of Psychiatry, 157, 1925–1932. Bosworth, R. G., & Dobkins, K. R. (1999). Left-hemisphere dominance for motion processing in deaf signers. Psychological Science, 10, 256–262. Bothwell, R. K., Brigham, J. C., & Malpass, R. S. (1989). Cross-racial identification. Personality and Social Psychology Bulletin, 15, 19–25.
Literatur
Bouchard Jr., T. J. (2009). Genetic influences on human intelligence (spearman’s g): how much? Annals of Human Biology, 36, 527–544. Boucher, J., Mayes, A., & Bigham, S. (2012). Memory in autistic spectrum disorder. Psychological Bulletin, 138, 458–496. Bouton, C. E., Shaikhouni, A., Annetta, N. V., Bockbrader, M. A., Friedenberg, D. A., Nielson, D. M., & Morgan, A. G. (2016). Restoring cortical control of functional movement in a human with quadriplegia. Nature, 533, 247–250. Bowden, E. M., & Beeman, M. J. (1998). Getting the right idea: semantic activation in the right hemisphere may help solve insight problems. Psychological Science, 9, 435–440. Bowen, N. K., Wegmann, K. M., & Webber, K. C. (2013). Enhancing a brief writing intervention to combat stereotype threat among middle-school students. Journal of Educational Psychology, 105, 427–435. Bower, B. (2009, February 14). The dating go round. Science News. Bower, G. H. (1986). Prime time in cognitive psychology. In P. Eelen (Ed.), Cognitive research and behavior therapy: Beyond the conditioning paradigm. Amsterdam: North Holland Publishers. Bower, G. H., Clark, M. C., Lesgold, A. M., & Winzenz, D. (1969). Hierarchical retrieval schemes in recall of categorized word lists. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 8, 323–343. Bower, G. H., & Morrow, D. G. (1990). Mental models in narrative comprehension. Science, 247, 44–48. Bower, J. M., & Parsons, L. M. (2003). Rethinking the “lesser” brain. Scientific American, 289, 50–57. Bowers, J. S. (2009). On the biological plausibility of grandmother cells: implications for neural network theories in psychology and neuroscience. Psychological Review, 116, 220–251. Bowers, J. S. (2016). The practical and principled problems with educational neuroscience. Psychological Review. Advance online publication. https://doi.org/10.1037/rev0000025. Bowers, J. S., Mattys, S. L., & Gage, S. H. (2009). Preserved implicit knowledge of a forgotten childhood language. Psychological Science, 20, 1064–1069. Bowker, E., & Dorstyn, D. (2016). Hypnotherapy for disability-related pain: a meta-analysis. Journal of Health Psychology, 21, 526–539. Bowling, N. A., Eschleman, K. J., & Wang, Q. (2010). A meta-analytic examination of the relationship between job satisfaction and subjective well-being. Journal of Occupational and Organizational Psychology, 83, 915–934. Boxer, P., Huesmann, L. R., Bushman, B. J., O’Brien, M., & Moceri, D. (2009). The role of violent media preference in cumulative developmental risk for violence and general aggression. Journal of Youth and Adolescence, 38, 417–428. Boyatzis, C. J. (2012). Development of spirituality in children and adolescents. In L. Miller (Ed.), Oxford handbook of the psychology of religion and spirituality. New York: Oxford University Press. Boyatzis, C. J., Matillo, G. M., & Nesbitt, K. M. (1995). Effects of the “Mighty Morphin Power Rangers” on children’s aggression with peers. Child Study Journal, 25, 45–55. Boyce, C. J., Brown, G. D. A., & Moore, S. C. (2010). Money and happiness: rank of income, not income, affects life satisfaction. Psychological Science, 21, 471–475. Boyce, C. J., & Wood, A. M. (2011). Personality prior to disability determines adaptation: agreeable individuals recover lost life satisfaction faster and more completely. Psychological Science, 22, 1397–1402. Boyce, C. J., Wood, A. M., Daly, M., & Sedikides, C. (2015). Personality change following unemployment. Journal of Applied Psychology, 100, 991–1011. Boyce, R., Glasgow, S. D., Williams, S., & Adamantidis, A. (2016). Causal evidence for the role of REM sleep theta rhythm in contextual memory consolidation. Science, 352, 812–816. Boyden, E. S. (2014). Let there be light. Scientific American, 25, 62–69. Boynton, R. M. (1979). Human color vision (S. 229). New York: Holt, Rinehart & Winston.
839
Braden, J. P. (1994). Deafness, deprivation, and IQ (S. 383). New York: Plenum. Bradley, D. R., Dumais, S. T., & Petry, H. M. (1976). Reply to Cavonius. Nature, 261, 78. Bradley, R. B., Binder, E. B., Epstein, M. P., Tan, Y.-L., Nair, H. P., Liu, W., & . . . Ressler, K. (2008). Influence of child abuse on adult depression: Moderation by the corticotropin-releasing hormone receptor gene. Archives of General Psychiatry, 65, 190–200. Bradshaw, C., Sawyer, A., & O’Brennan, L. (2009). A social disorganization perspective on bullying-related attitudes and behaviors: the influence of school context. American Journal of Community Psychology, 43, 204–220. Braiker, B. (2005). A quiet revolt against the rules on SIDS. The New York Times nytimes.com Brainerd, C. J. (1996). Piaget: a centennial celebration. Psychological Science, 7, 191–195. Brakefield, T. A., Mednick, S. C., Wilson, H. W., De Neve, J., Christakis, N. A., & Fowler, J. H. (2014). Same-sex sexual attraction does not spread in adolescent social networks. Archives of Sexual Behavior, 43, 335–344. Brand, B. L., Sar, V., Stavropoulos, P., Krüger, C., Korzekwa, M., Martínez-Taboas, A., & Middleton, W. (2016). Separating fact from fiction: an empirical examination of six myths about dissociative identity disorder. Harvard Review of Psychiatry, 24, 257–270. Brandon, S., Boakes, J., Glaser, & Green, R. (1998). Recovered memories of childhood sexual abuse: Implications for clinical practice. British Journal of Psychiatry, 172, 294–307. Brang, D., Edwards, L., Ramachandran, V. S., & Coulson, S. (2008). Is the sky 2? Contextual priming in grapheme-color synaesthesia. Psychological Science, 19, 421–428. Brannan, D., Biswas-Diener, R., Mohr, C., Mortazavi, S., & Stein, N. (2013). Friends and family: a cross-cultural investigation of social support and subjective wellbeing among college students. Journal of Positive Psychology, 8, 65–75. Bransford, J. D., & Johnson, M. K. (1972). Contextual prerequisites for understanding: some investigations of comprehension and recall. Journal of Verbal Learning and Verbal Behavior, 11, 717–726. Brasel, S. A., & Gips, J. (2011). Media multitasking behavior: concurrent television and computer usage. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 14, 527–534. Braun, S. (1996). New experiments underscore warnings on maternal drinking. Science, 273, 738–739. Braun, S. (2001). Seeking insight by prescription. Cerebrum, https:// dana.org/. Braun, S. S., van den Berg, Y. H. M., & Cillessen, A. H. N. (2020) Effects of a seating chart intervention for target and nontarget students. Journal of experimental child psychology, 191, (104742), 1–16. Braunstein, G. D., Sundwall, D. A., Katz, M., Shifren, J. L., Buster, J. E., Simon, J. A., & Watts, N. B. (2005). Safety and efficacy of a testosterone patch for the treatment of hypoactive sexual desire disorder in surgically menopausal women: A randomized, placebocontrolled trial. Archives of Internal Medicine, 165, 1582–1589. Bray, D. W., & Byham, W. C. (1991). Assessment centers and their derivatives. Journal of Continuing Higher Education, 39, 8–11. Bray, D. W., & Byham, W. C., interviewed by Mayes, B. T. (1997). Insights into the history and future of assessment centers: An interview with Dr. Douglas W. Bray and Dr. William Byham. Journal of Social Behavior and Personality, 12, 3–12. Brayne, C., Spiegelhalter, D. J., Dufouil, C., Chi, L.-Y., Dening, T. R., Paykel, E. S., & Huppert, F. A. (1999). Estimating the true extent of cognitive decline in the old old. Journal of the American Geriatrics Society, 47, 1283–1288. Breedlove, S. M. (1997). Sex on the brain. Nature, 389, 801. Brehm, S., & Brehm, J. W. (1981). Psychological reactance: a theory of freedom and control (S. 491). New York: Academic Press.
840
Literatur
Brennan, Z. (2010, April 8). The Goering who saved Jews: While Hermann masterminded the Final Solution his brother Albert rescued Gestapo victims. Daily Mail (dailymail.co.uk). Breslau, J., Aguilar-Gaxiola, S., Borges, G., Kendler, K. S., Su, M., & Kessler, R. C. (2007). Risk for psychiatric disorder among immigrants and their U.S.-born descendants. Journal of Nervous and Mental Disease, 195, 189–195. Breslin, C. W., & Safer, M. A. (2011). Effects of event valence on longterm memory for two baseball championship games. Psychological Science, 22, 1408–1412. Brethel-Haurwitz, K. M., & Marsh, A. A. (2014). Geographical differences in subjective well-being predict extraordinary altruism. Psychological Science, 25, 762–771. Brewer, C. L. (1990). Personal correspondence (S. 135). Brewer, C. L. (1996). Personal communication (S. 12). Brewer, M. B., & Chen, Y.-R. (2007). Where (who) are collectives in collectivism? Toward conceptual clarification of individualism and collectivism. Psychological Review, 114, 133–151. Brewer, W. F. (1977). Memory for the pragmatic implications of sentences. Memory & Cognition, 5, 673–678. Brewin, C. R., & Andrews, B. (2016). Creating memories for false autobiographical events in childhood: a systematic review. Applied Cognitive Psychology. https://doi.org/10.1002/acp.3220. Brewin, C. R., Andrews, B., Rose, S., & Kirk, M. (1999). Acute stress disorder and posttraumatic stress disorder in victims of violent crime. American Journal of Psychiatry, 156, 360–366. Brewin, C. R., Kleiner, J. S., Vasterling, J. J., & Field, A. P. (2007). Memory for emotionally neutral information in posttraumatic stress disorder: a meta-analytic investigation. Journal of Abnormal Psychology, 116, 448–463. Briers, B., Pandelaere, M., Dewitte, S., & Warlop, L. (2006). Hungry for money: The desire for caloric resources increases the desire for financial resources and vice versa. Psychological Science, 17, 939–943. Briley, D. A., & Tucker-Drob, E. (2014). Genetic and environmental continuity in personality development: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 140, 1303–1331. Briscoe, D. (1997). Women lawmakers still not in charge (S. A23). Grand Rapids: Grand Rapids Press. Brislin, R. W. (1988). Increasing awareness of class, ethnicity, culture, and race by expanding on students’ own experiences. In I. Cohen (Hrsg.), The G. Stanley Hall lecture series (S. 147). Washington, DC: American Psychological Association. Broadbent, E., Kakokehr, A., Booth, R. J., Thomas, J., Windsor, J. A., Buchanan, C. M., & Hill, A. G. (2012). A brief relaxation intervention reduces stress and improves surgical wound healing response: A randomized trial. Brain, Behavior, and Immunity, 26, 212–217. Brodbeck, F. C., Chhokar, J. S., & House, R. J. (2008). Culture and leadership in 25 societies: Integration, conclusions, and future directions. In J. S. Chhokar, F. C. Brodbeck & R. J. House (Eds.), Culture and leadership across the world: The GLOBE book of indepth studies of 25 societies,. Mahwah, NJ: Erlbaum. Brody, S., & Tillmann, H. C. (2006). The post-orgasmic prolactin increase following intercourse is greater than following masturbation and suggests greater satiety. Biological Psychology, 71, 312–315. Broks, P. (2007). April). The mystery of consciousness. Prospect (prospect-magazine.co.uk Bromet, E., Andrade, L. H., Hwang, I., Sampson, N. A., Alonso, J., de Girolamo, G., & Kessler, R. C. (2011). Cross-national epidemiology of DSM-IV major depressive episode. BMC Medicine, 9, 90. Brooks, A. W. (2014). Get excited: reappraising pre-performance anxiety as excitement. Journal of Experimental Psychology: General, 143, 1144–1158. Brooks, R. (2012). “Asia’s missing women” as a problem in applied evolutionary psychology? Evolutionary Psychology, 12, 910–925. Brooks, S. (2015). Does personal social media usage affect efficiency and well-being? Computers in Human Behavior, 46, 26–37.
Brose, A., de Roover, K., Ceulemans, E., & Kuppens, P. (2015). Older adults’ affective experiences across 100 days are less variable and less complex than younger adults. Psychology and Aging, 30, 194–208. Brown, A. S., Begg, M. D., Gravenstein, S., Schaefer, C. A., Wyatt, R. J., Bresnahan, M., & Susser, E. S. (2004). Serologic evidence of prenatal influenza in the etiology of schizophrenia. Archives of General Psychiatry, 61, 774–780. Brown, A. S., & Marsh, E. (2009). Creating illusions of past encounter through brief exposure. Psychological Science, 20, 534–538. Brown, A. S., & Patterson, P. H. (2011). Maternal infection and schizophrenia: Implications for prevention. Schizophrenia Bulletin, 37, 284–290. Brown, A. S., Schaefer, C. A., Wyatt, R. J., Goetz, R., Begg, M. D., Gorman, J. M., & Susser, E. S. (2000). Maternal exposure to respiratory infections and adult schizophrenia spectrum disorders: a prospective birth cohort study. Schizophrenia Bulletin, 26, 287–295. Brown, E. L., & Deffenbacher, K. (1979). Perception and the senses. New York: Oxford University Press. Brown, J. A. (1958). Some tests of the decay theory of immediate memory. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 10, 12–21. Brown, J. D. (2012). Understanding the better than average effect: motives (still) matter. Personality and Social Psychology Bulletin, 38, 209–219. Brown, K. W., Creswell, J. D., & Ryan, R. M. (Hrsg.). (2016). Handbook of mindfulness: theory, research, and practice (S. 472). New York: Guilford. Brown, K. W., Goodman, R. J., & Inzlicht, M. (2013). Dispositional mindfulness and the attenuation of neural responses to emotional stimuli. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 8, 93–99. Brown, P. C., Roediger, H. L. III, & McDaniel, M. A. (2014). Make it stick: The science of successful learning (S. 303). Cambridge: Harvard University Press. Brown, R. (1986). Linguistic relativity. In S. H. Hulse & B. F. Green Jr. (Hrsg.), One hundred years of psychological research in America (S. 354). Baltimore: Johns Hopkins University Press. Brown, R. P., Imura, M., & Mayeux, L. (2014). Honor and the stigma of mental healthcare. Personality and Social Psychology Bulletin, 40, 1119–1131. Brown, R. P., Osterman, L. L., & Barnes, C. D. (2009). School violence and the culture of honor. Psychological Science, 20, 1400–1405. Brown, S. L., Brown, R. M., House, J. S., & Smith, D. M. (2008). Coping with spousal loss: potential buffering effects of self-reported helping behavior. Personality and Social Psychology Bulletin, 34, 849–861. Browning, C. (1992). Ordinary men: Reserve police battalion 101 and the final solution in Poland (S. 489). New York: HarperCollins. Browning, R. (1868). The ring and the book. IV—Tertium quid (S. 519). New York: Thomas Y. Crowell. Bruch, E., Feinberg, F., & Lee, K. Y. (2016). Extracting multistage screening rules from online dating activity data. PNAS, 113, 10530–10535. Bruck, M., & Ceci, S. J. (1999). The suggestibility of children’s memory. Annual Review of Psychology, 50, 419–439. Bruck, M., & Ceci, S. J. (2004). Forensic developmental psychology: unveiling four common misconceptions. Current Directions in Psychological Science, 15, 229–232. Bruer, J. T. (1999). The myth of the first three years: a new understanding of early brain development and lifelong learning (S. 380). New York: Free Press. Brummelman, E., Thomaes, S., Nelemans, S. A., Orobio de Castro, B., Overbeek, G., & Bushman, B. J. (2015). Origins of narcissism in children. PNAS, 112, 3659–3662. Brunner, M., Gogol, K. M., Sonnleitner, P., Keller, U., Krauss, S., & Preckel, F. (2013). Gender differences in the mean level, variability, and profile shape of student achievement: Results from 41 countries. Intelligence, 41, 378–395.
Literatur
Bruno, M.-A., Bernheim, J. L., Ledoux, D., Pellas, F., Demertzi, A., & Laureys, S. (2011). A survey on self-assessed well-being in a cohort of chronic locked-in syndrome patients: Happy majority, miserable minority. BMJ Open, 1, e39. Bruno, M.-A., Pellas, F., & Laureys, S. (2008). Quality of life in lockedin syndrome survivors. In J. L. Vincent (Ed.), 2008 yearbook of intensive care and emergency medicine. New York: Springer. Brunoni, A. R., Chaimani, A., Moffa, A. H., Razza, L. B., Gattaz, W. F., Daskalakis, Z. J., & Carvalho, A. F. (2017). Repetitive transcranial magnetic stimulation for the acute treatment of major depressive episodes: a systematic review with network meta-analysis. JAMA Psychiatry, 74, 143–152. Brunoni, A. R., Moffa, A. H., Fregni, F., Palm, U., Padberg, F., Blumberger, D. M., & Loo, C. K. (2016). Transcranial direct current stimulation for acute major depressive episodes: Meta-analysis of individual patient data. The British Journal of Psychiatry, 208, 522–531. Bryan, A. D., Gillman, A. S., & Hansen, N. S. (2016). Changing the context is important and necessary, but not sufficient, for reducing adolescent risky sexual behavior: a reply to Steinberg (2015). Perspectives on Psychological Science, 11, 535–538. Bryan, A. E. B., & Arkowitz, H. (2015). Meta-analysis of the effects of peer-administered psychosocial interventions on symptoms of depression. American Journal of Community Psychology, 55, 455–471. Bryant, A. N., & Astin, H. A. (2008). The correlates of spiritual struggle during the college years. Journal of Higher Education, 79, 1–27. Bub, K. L., Robinson, L. E., & Curtis, D. S. (2016). Longitudinal associations between self-regulation and health across childhood and adolescence. Health Psychology, 35, 1235–1245. Buchanan, R. W., Kreyenbuhl, J., Kelly, D. L., Noel, J. M., Boggs, D. L., Fischer, B. A., & Keller, W. (2010). The 2009 schizophrenia PORT psychopharmacological treatment recommendations and summary statements. Schizophrenia Bulletin, 36, 71–93. Buchanan, T. W. (2007). Retrieval of emotional memories. Psychological Bulletin, 133, 761–779. Buck, L. B., & Axel, R. (1991). A novel multigene family may encode odorant receptors: a molecular basis for odor recognition. Cell, 65, 175–187. Buckholtz, J. W., Treadway, M. T., Cowan, R. L., Woodward, N. D., Benning, S. D., Li, R., & Zald, D. H. (2010). Mesolimbic dopamine reward system hypersensitivity in individuals with psychopathic traits. Nature Neuroscience, 13, 419–421. Buckingham, M. (2007). Go put your strengths to work: 6 powerful steps to achieve outstanding performance (S. A-2). New York: Free Press. Buckingham, M., & Clifton, D. O. (2001). Now, discover your strengths (S. A-2). New York: Free Press. Buckley, C. (2007). Man is rescued by stranger on subway tracks. The New York Times. nytimes.com Buehler, R., Griffin, D., & Ross, M. (1994). Exploring the “planning fallacy”: Why people underestimate their task completion times. Journal of Personality and Social Psychology, 67, 366–381. Buehler, R., Griffin, D., & Ross, M. (2002). Inside the planning fallacy: the causes and consequences of optimistic time predictions. In T. Gilovich, D. Griffin & D. Kahneman (Hrsg.), Heuristics and biases: the psychology of intuitive judgment (S. 336). Cambridge: Cambridge University Press. Buffardi, L. E., & Campbell, W. K. (2008). Narcissism and social networking web sites. Personality and Social Psychology Bulletin, 34, 1303–1314. Bugental, D. B. (1986). Unmasking the “polite smile”: situational and personal determinants of managed affect in adult-child interaction. Personality and Social Psychology Bulletin, 12, 7–16. Buhle, J. T., Silvers, J. A., Wager, T. D., Lopez, R., Onyemekwu, C., Kober, H., & Ochsner, K. N. (2014). Cognitive reappraisal of emotion: A meta-analysis of human neuroimaging studies. Cerebral Cortex, 24, 2981–2990.
841
Buhle, J. T., Stevens, B. L., Friedman, J. J., & Wager, T. D. (2012). Distraction and placebo: two separate routes to pain control. Psychological Science, 23, 246–253. Buka, S. L., Tsuang, M. T., Torrey, E. F., Klebanoff, M. A., Wagner, R. L., & Yolken, R. H. (2001). Maternal infections and subsequent psychosis among offspring. Archives of General Psychiatry, 58, 1032–1037. Bullock, B., & Murray, G. (2014). Reduced amplitude of the 24-hour activity rhythm: a biomarker of vulnerability to bipolar disorder? Clinical Psychological Science, 2, 86–96. Bunde, J., & Suls, J. (2006). A quantitative analysis of the relationship between the Cook-Medley Hostility Scale and traditional coronary artery disease risk factors. Health Psychology, 25, 493–500. Buquet, R. (1988). Le reve et les deficients visuels [Dreams and the visually impaired]. Psychanalyse-a-l’Universite, 13, 319–327. Burelli, J. (2008). Thirty-three years of women in S&E faculty positions (Publication No. NSF 08-308). Arlington, VA: National Science Foundation. Retrieved from wayback.archive-it.org/5902/ 20160210152800/http://www.nsf.gov/statistics/infbrief/nsf08308/ Burger, J. M. (2009). Replicating Milgram: would people still obey today? American Psychologist, 64, 1–11. Burger, J. M., Bender, T. J., Day, L., DeBolt, J. A., Guthridge, L., How, H. W., & Taylor, S. (2015). The power of one: The relative influence of helpful and selfish models. Social Influence, 10, 77–84. Buri, J. R., Louiselle, P. A., Misukanis, T. M., & Mueller, R. A. (1988). Effects of parental authoritarianism and authoritativeness on selfesteem. Personality and Social Psychology Bulletin, 14, 271–282. Burish, T. G., & Carey, M. P. (1986). Conditioned aversive responses in cancer chemotherapy patients: theoretical and developmental analysis. Journal of Counseling and Clinical Psychology, 54, 593–600. Burk, W. J., Denissen, J., Van Doorn, M. D., Branje, S. J. T., & Laursen, B. (2009). The vicissitudes of conflict measurement: stability and reliability in the frequency of disagreements. European Psychologist, 14, 153–159. Burke, B. L., Martens, A., & Faucher, E. H. (2010). Two decades of terror management theory: a meta-analysis of mortality salience research. Personality and Social Psychology Review, 14, 155–195. Burke, D. M., & Shafto, M. A. (2004). Aging and language production. Current Directions in Psychological Science, 13, 21–24. Burke, M., Adamic, L. A., & Marciniak, K. (2013). Families on Facebook. Association for the Advancement of Artificial Intelligence: Seventh International AAAI Conference on Weblogs and Social Media. (S. 199). facebook.com/publications/families-on-facebook/. Burkhauser, R. V., De Neve, J.-E., & Powdthavee, N. (2016). Top incomes and human well-being around the world. London School of Economic and Political Science: Centre for Economic Performance, CEP Discussion Paper No. 1400. (S. 447). Burlingame, G. M., Seebeck, J. D., Janis, R. A., Whitcomb, K. E., Barkowski, S., Rosendahl, J., & Strauss, B. (2016). Outcome differences between individual and group formats when identical and nonidentical treatments, patients, and doses are compared: a 25-year meta-analytic perspective. Psychotherapy, 53, 446–461. Burns, B. C. (2004). The effects of speed on skilled chess performance. Psychological Science, 15, 442–447. Burrell, B. D. (2015). Genius in a jar: The bizarre journey of Einstein’s brain illustrates the pitfalls in science’s search for the origins of brilliance. Scientific American, 313, 82–87. Burris, C. T., & Branscombe, N. R. (2005). Distorted distance estimation induced by a self-relevant national boundary. Journal of Experimental Social Psychology, 41, 305–312. Burrow, A. L., Hill, P. L., & Sumner, R. (2016). Leveling mountains: Purpose attenuates links between perceptions of effort and steepness. Personality and Social Psychology Bulletin, 42, 94–103. Burton, C. M., & King, L. A. (2008). Effects of (very) brief writing on health: the two-minute miracle. British Journal of Health Psychology, 13, 9–14.
842
Literatur
Busby, D. M., Carroll, J. S., & Willoughby, B. J. (2010). Compatibility or restraint? The effects of sexual timing on marriage relationships. Journal of Family Psychology, 24, 766–774. Bushdid, C., Magnasco, M. O., Vosshall, L. B., & Keller, A. (2014). Humans can discriminate more than 1 trillion olfactory stimuli. Science, 343, 1370–1372. Bushman, B. J. (1993). Human aggression while under the influence of alcohol and other drugs: an integrative research review. Current Directions in Psychological Science, 2, 148–152. Bushman, B. J. (2002). Does venting anger feed or extinguish the flame? Catharsis, rumination, distraction, anger, and aggressive responding. Personality and Social Psychology Bulletin, 28, 724–731. Bushman, B. J. (2016). Violent media and hostile appraisals: a metaanalytic review. Aggressive Behavior, 42, 605–613. Bushman, B. J., & Anderson, C. A. (2009). Comfortably numb: desensitizing effects of violent media on helping others. Psychological Science, 20, 273–277. Bushman, B. J., & Baumeister, R. F. (1998). Threatened egotism, narcissism, self-esteem, and direct and displaced aggression: does selflove or self-hate lead to violence? Journal of Personality and Social Psychology, 75, 219–229. Bushman, B. J., Baumeister, R. F., Thomaes, S., Ryu, E., Begeer, S., & West, S. G. (2009). Looking again, and harder, for a link between low self-esteem and aggression. Journal of Personality, 77, 427–446. Bushman, B. J., Bonacci, A. M., van Dijk, M., & Baumeister, R. F. (2003). Narcissism, sexual refusal, and aggression: testing a narcissistic reactance model of sexual coercion. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 1027–1040. Bushman, B. J., Gollwitzer, M., & Cruz, C. (2015). There is broad consensus: media researchers agree that violent media increase aggression in children, and pediatricians and parents concur. Psychology of Popular Media Culture, 4, 200–214. Bushman, B. J., & Huesmann, L. R. (2010). Aggression. In S. T. Fiske, D. T. Gilbert, & G. Lindzey (Eds.), Handbook of social psychology (5th ed., Ch. 23). New York: Wiley. Bushman, B. J., Moeller, S. J., & Crocker, J. (2011). Sweets, sex, or self-esteem? Comparing the value of self-esteem boosts with other pleasant rewards. Journal of Personality, 79, 993–1012. Bushman, B. J., Ridge, R. D., Das, E., Key, C. W., & Busath, G. L. (2007). When god sanctions killing: effects of scriptural violence on aggression. Psychological Science, 18, 204–207. Buss, A. H. (1989). Personality as traits. American Psychologist, 44, 1378–1388. Buss, D. M. (1991). Evolutionary personality psychology. Annual Review of Psychology, 42, 459–491. Buss, D. M. (1994). The strategies of human mating: people worldwide are attracted to the same qualities in the opposite sex. American Scientist, 82, 238–249. Buss, D. M. (1995). Evolutionary psychology: a new paradigm for psychological science. Psychological Inquiry, 6, 1–30. Buss, D. M. (2008). Female sexual psychology. World Question Center 2008. The Edge (edge.org). (S. 406). Buster, J. E., Kingsberg, S. A., Aguirre, O., Brown, C., Breaux, J. G., Buch, A., & Casson, P. (2005). Testosterone patch for low sexual desire in surgically menopausal women: a randomized trial. Obstetrics and Gynecology, 105, 944–952. Butler, A., Oruc, I., Fox, C. J., & Barton, J. J. S. (2008). Factors contributing to the adaptation aftereffects of facial expression. Brain Research, 1191, 116–126. Butler, A. C., Hokanson, J. E., & Flynn, H. A. (1994). A comparison of self-esteem lability and low trait self-esteem as vulnerability factors for depression. Journal of Personality and Social Psychology, 66, 166–177. Butler, R. A. (1954). Curiosity in monkeys (S. 70–75). Scientific American. https://www.scientificamerican.com/. Butterworth, G. (1992). Origins of self-perception in infancy. Psychological Inquiry, 3, 103–111.
Butts, M. M., Casper, W. J., & Yang, T. S. (2013). How important are work-family support policies? A meta-analytic investigation of their effects on employee outcomes. Journal of Applied Psychology, 98, 1–25. Buxton, O. M., Cain, S. W., O’Connor, S. P., Porter, J. H., Duffy, J. F., Wang, W., & Shea, S. A. (2012). Adverse metabolic consequences in humans of prolonged sleep restriction combined with circadian disruption. Science Translational Medicine, 4, 129–143. Byers-Heinlein, K., Burns, T. C., & Werker, J. F. (2010). The roots of bilingualism in newborns. Psychological Science, 21, 343–348. Byrc, K., Durand, E. Y., Macpherson, J. M., Reich, D., & Mountain, J. L. (2015). The genetic ancestry of African Americans, Latinos, and European Americans across the United States. American Journal of Human Genetics, 96, 37–53. Byrne, D. (1971). The attraction paradigm (S. 515). New York: Academic Press. Byrne, D. (1982). Predicting human sexual behavior. In A. G. Kraut (Ed.), The G. Stanley Hall lecture series (Vol. 2). Washington, DC: American Psychological Association. (267, 403) Byrne, R. W. (1991). Brute intellect. The Sciences, 31, 42–47. Byrne, R. W., Bates, L. A., & Moss, C. J. (2009). Elephant cognition in primate perspective. Comparative Cognition & Behavior Reviews, 4, 1–15. Byron, K., & Khazanchi, S. (2011). A meta-analytic investigation of the relationship of state and trait anxiety to performance on figural and verbal creative tasks. Personality and Social Psychology Bulletin, 37, 269–283. Cable, D. M., & Gilovich, T. (1998). Looked over or overlooked? Prescreening decisions and post-interview evaluations. Journal of Personality and Social Psychology, 83, 501–508. Cacioppo, J. T. (2007). Better interdisciplinary research through psychological science. APS Observer, 20(3), 48–49. Cacioppo, J. T., Cacioppo, S., Capitanio, J. P., & Cole, S. W. (2015). The neuroendocrinology of social isolation. Annual Review of Psychology, 66, 733–767. Cacioppo, J. T., Cacioppo, S., Gonzaga, G. C., Ogburn, E. L., & VanderWeele, T. J. (2013). Marital satisfaction and break-ups differ across on-line and off-line meeting venues. PNAS, 110, 10135– 10140. Cacioppo, S., Bianchi-Demicheli, F., Frum, C., Pfaus, J. G., & Lewis, J. W. (2012). The common neural bases between sexual desire and love: a multilevel kernel density fMRI analysis. Journal of Sexual Medicine, 12, 1048–1054. Cacioppo, S., Capitanio, J. P., & Cacioppo, J. T. (2014). Toward a neurology of loneliness. Psychological Bulletin, 140, 1464–1504. Caddick, A., & Porter, L. E. (2012). Exploring a model of professionalism in multiple perpetrator violent crime in the UK. Criminological & Criminal Justice: An International Journal, 12, 61–82. Cain, S. (2012). Quiet: The power of introverts in a world that can’t stop talking (S. 544). New York: Crown. Calati, R., De Ronchi, D., Bellini, M., & Serretti, A. (2011). The 5-HTTLPR polymorphism and eating disorders: a meta-analysis. International Journal of Eating Disorders, 44, 191–199. Caldwell, J. A. (2012). Crew schedules, sleep deprivation, and aviation performance. Current Directions in Psychological Science, 21, 85–89. Cale, E. M., & Lilienfeld, S. O. (2002). Sex differences in psychopathy and antisocial personality disorder: A review and integration. Clinical Psychology Review, 22, 1179–1207. Callaghan, T., Rochat, P., Lillard, A., Claux, M. L., Odden, H., Itakura, S., & Singh, S. (2005). Synchrony in the onset of mental-state reasoning. Psychological Science, 16, 378–384. Callan, M. J., Shead, N. W., & Olson, J. M. (2011). Personal relative deprivation, delay discounting, and gambling. Journal of Personality and Social Psychology, 101, 955–973.
Literatur
Calvo-Merino, B., Glaser, D. E., Grèzes, J., Passingham, R. E., & Haggard, P. (2004). Action observation and acquired motor skills: An fMRI study with expert dancers. Cerebral Cortex, 15, 1243–1249. Camerer, C. F., Loewenstein, G., & Weber, M. (1989). The curse of knowledge in economic settings: An experimental analysis. Journal of Political Economy, 97, 1232–1254. Camp, J. P., Skeem, J. L., Barchard, K., Lilienfeld, S. O., & Poythress, N. G. (2013). Psychopathic predators? Getting specific about the relation between psychopathy and violence. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 81, 467–480. Campbell, A. (2010). Oxytocin and human social behavior. Personality and Social Psychology Review, 14, 281–205. Campbell, D. T. (1975). On the conflicts between biological and social evolution and between psychology and moral tradition. American Psychologist, 30, 1103–1126. Campbell, D. T., & Specht, J. C. (1985). Altruism: Biology, culture, and religion. Journal of Social and Clinical Psychology, 3, 33–42. Campbell, L., & Marshall, T. (2011). Anxious attachment and relationship processes: an interactionist perspective. Journal of Personality, 79, 1219–1249. Campbell, M. W., & de Waal, F. B. M. (2011). Ingroup-outgroup bias in contagious yawning by chimpanzees supports link to empathy. PLoS ONE, 6, e18283. Campbell, S. (1986). The loch ness monster: the evidence (S. 220). Willingborough: Acquarian Press. Camper, J. (1990, February 7). Drop pompom squad, U. of I. rape study says. Chicago Tribune, 1. (114) Camperio-Ciani, A., Corna, F., & Capiluppi, C. (2004). Evidence for maternally inherited factors favouring male homosexuality and promoting female fecundity. Proceedings of the Royal Society of London B, 271, 2217–2221. Camperio-Ciani, A., Lemmola, F., & Blecher, S. R. (2009). Genetic factors increase fecundity in female maternal relatives of bisexual men as in homosexuals. Journal of Sexual Medicine, 6, 449–455. Camperio-Ciani, A., & Pellizzari, E. (2012). Fecundity of paternal and maternal non-parental female relatives of homosexual and heterosexual men. PLoS ONE, 7, e51088. Campitelli, G., & Gobet, F. (2011). Deliberate practice: necessary but not sufficient. Current Directions in Psychological Science, 20, 280–285. Campos, B., Schoebi, D., Gonzaga, G. C., Gable, S. L., & Keltner, D. (2015). Attuned to the positive? Awareness and responsiveness to others’ positive emotion experience and display. Motivation and Emotion, 39, 780–794. Campos, J. J., Bertenthal, B. I., & Kermoian, R. (1992). Early experience and emotional development: the emergence of wariness and heights. Psychological Science, 3, 61–64. Canetta, S., Sourander, A., Surcel, H., Hinkka-Yli-Salomäki, S., Leiviskä, J., Kellendonk, C., & Brown, A. S. (2014). Elevated maternal C-reactive protein and increased risk of schizophrenia in a national birth cohort. American Journal of Psychiatry, 171, 960–968. Canli, T. (2008). The character code. Scientific American Mind, 19, 52–57. Canli, T., Desmond, J. E., Zhao, Z., & Gabrieli, J. D. E. (2002). Sex differences in the neural basis of emotional memories. PNAS, 99, 10789–10794. Cannon, W. B. (1929). Bodily changes in pain, hunger, fear, and rage (S. 396, 454). New York: Branford. Cannon, W. B., & Washburn, A. L. (1912). An explanation of hunger. American Journal of Physiology, 29, 441–454. Cantor, N., & Kihlstrom, J. F. (1987). Personality and social intelligence (S. 363). Englewood Cliffs: Prentice-Hall. Caplan, N., Choy, M. H., & Whitmore, J. K. (1992). Indochinese refugee families and academic achievement. Scientific American, 2, 36–42. Caprariello, P. A., & Reis, H. T. (2013). To do, to have, or to share? Valuing experiences over material possessions depends on the
843
involvement of others. Journal of Personality and Social Psychology, 104, 199–215. Carducci, B. J., Cosby, P. C., & Ward, D. D. (1978). Sexual arousal and interpersonal evaluations. Journal of Experimental Social Psychology, 14, 449–457. Carey, B. (2007). Bipolar illness soars as a diagnosis for the young. The New York Times. nytimes.com. Carey, B. (2009). Surgery for mental ills offers both hope and risk. The New York Times. nytimes.com Carey, B. (2010). Seeking emotional clues without facial cues. The New York Times. nytimes.com Carey, B. (2011). Wariness on surgery of the mind. The New York Times. nytimes.com Carey, B. (2016). Did Debbie Reynolds die of a broken heart? The New York Times. nytimes.com Carey, G. (1990). Genes, fears, phobias, and phobic disorders. Journal of Counseling and Development, 68, 628–632. Carhart-Harris, R. L., Muthukumaraswamy, S., Roseman, L., Kaelen, M., Droog, W., Murphy, K., & Leech, R. (2016). Neural correlates of the LSD experience revealed by multimodal neuroimaging. Proceedings of the National Academy of Sciences, 113, 4853–4858. Carli, L. L., & Leonard, J. B. (1989). The effect of hindsight on victim derogation. Journal of Social and Clinical Psychology, 8, 331–343. Carlo, G., White, R. M. B., Streit, C., Knight, G. P., & Zeiders K. H. (2018) Longitudinal Relations Among Parenting Styles, Prosocial Behaviors, and Academic Outcomes in U.S. Mexican Adolescents. Child Development, 89, 577–592. Carlson, M., Charlin, V., & Miller, N. (1988). Positive mood and helping behavior: a test of six hypotheses. Journal of Personality and Social Psychology, 55, 211–229. Carmeli, A., Ben-Hador, B., Waldman, D. A., & Rupp, D. E. (2009). How leaders cultivate social capital and nurture employee vigor: Implications for job performance. Journal of Applied Psychology, 94, 1553–1561. Carnahan, T., & McFarland, S. (2007). Revisiting the stanford prison experiment: could participant self-selection have led to the cruelty? Personality and Social Psychology Bulletin, 33, 603–614. Carney, D. R., Cuddy, A. J. C., & Yap, A. J. (2015). Review and summary of research on the embodied effects of expansive (vs. contractive) nonverbal displays. Psychological Science, 26, 657–663. Caroll, H. (2013). Teen fashion model Georgina got so thin her organs were failing. But fashion designers still queued up to book her. Now she’s telling her story to shame the whole industry. The Daily Mail, dailymail.co.uk Carpusor, A., & Loges, W. E. (2006). Rental discrimination and ethnicity in names. Journal of Applied Social Psychology, 36, 934–952. Carragan, R. C., & Dweck, C. S. (2014). Rethinking natural altruism: Simple reciprocal interactions trigger children’s benevolence. PNAS, 111, 17071–17074. Carré, J. M., McCormick, C. M., & Mondloch, C. J. (2009). Facial structure is a reliable cue of aggressive behavior. Psychological Science, 20, 1194–1198. Carroll, D., Smith, D. G., & Bennett, P. (1994). Health and socioeconomic status. The Psychologist, 8, 122–125. Carroll, E. L., & Bright, P. (2016). Involvement of Spearman’s g in conceptualization versus execution of complex tasks. Acta Psychologica, 170, 112–126. Carroll, J. M., & Russell, J. A. (1996). Do facial expressions signal specific emotions? Judging emotion from the face in context. Journal of Personality and Social Psychology, 70, 205–218. Carroll, P., Sweeny, K., & Shepperd, J. A. (2006). Forsaking optimism. Review of General Psychology, 10, 56–73. Carskadon, M. (2002). Adolescent sleep patterns: biological, social, and psychological influences (S. 103). New York: Cambridge University Press.
844
Literatur
Carstensen, L. L. (2011). A long bright future: happiness, health and financial security in an age of increased longevity (S. 206). New York: PublicAffairs. Carstensen, L. L., & Mikels, J. A. (2005). At the intersection of emotion and cognition: aging and the positivity effect. Current Directions in Psychological Science, 14, 117–121. Carstensen, L. L., Turan, B., Scheibe, S., Ram, N., Ersner-Hershfield, H., Samanez-Larkin, G. R., & Nesselroade, J. R. (2011). Emotional experience improves with age: Evidence based on over 10 years of experience sampling. Psychology and Aging, 26, 21–33. Carter, R. M., Bowling, D. L., Reeck, C., & Huettel, S. A. (2012). A distinct role of the temporal-parietal junction in predicting socially guided decisions. Science, 337, 109–111. Carter, T. J., & Gilovich, T. (2010). The relative relativity of material and experiential purchases. Journal of Personality and Social Psychology, 98, 146–159. Carver, C. S., Johnson, S. L., & Joormann, J. (2008). Serotonergic function, two-mode models of self-regulation, and vulnerability to depression: What depression has in common with impulsive aggression. Psychological Bulletin, 134, 912–943. Carver, C. S., Scheier, M. F., & Segerstrom, S. C. (2010). Optimism. Clinical Psychology Review, 30, 879–889. CASA (2003). The formative years: pathways to substance abuse among girls and young women ages 8–22 (S. 114, 123). New York: National Center on Addiction and Substance Use, Columbia University. Casas, J. A., Ortega-Ruiz, R., & Del Rey R. (2015) Bullying: The impact of teacher management and trait emotional intelligence. The British Journal of Educational Psychology, 85, 407–423. Casey, B. J., & Caudle, K. (2013). The teenage brain: self-control. Current Directions in Psychological Science, 22, 82–87. Casey, B. J., Getz, S., & Galvan, A. (2008). The adolescent brain. Developmental Review, 28, 62–77. Casey, B. J., Somerville, L. H., Gotlib, I. H., Ayduk, O., Franklin, N. T., Askren, M. K., & Shoda, Y. (2011). Behavioral and neural correlates of delay of gratification 40 years later. PNAS, 108, 14998–15003. Caspi, A. (2000). The child is father of the man: personality continuities from childhood to adulthood. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 158–172. Caspi, A., Harrington, H., Milne, B., Amell, J. W., Theodore, R. F., & Moffitt, T. E. (2003). Children’s behavioral styles at age 3 are linked to their adult personality traits at age 26. Journal of Personality, 71, 496–513. Caspi, A., McClay, J., Moffitt, T., Mill, J., Martin, J., Craig, I. W., & Poulton, R. (2002). Role of genotype in the cycle of violence in maltreated children. Science, 297, 851–854. Caspi, A., Moffitt, T. E., Newman, D. L., & Silva, P. A. (1996). Behavioral observations at age 3 years predict adult psychiatric disorders: Longitudinal evidence from a birth cohort. Archives of General Psychiatry, 53, 1033–1039. Cassidy, J., & Shaver, P. R. (1999). Handbook of attachment (S. 184). New York: Guilford. Castonguay, L. G., Boswell, J. F., Constantino, M. J., Goldfried, M. R., & Hill, C. E. (2010). Training implications of harmful effects of psychological treatments. American Psychologist, 65, 34–49. Catalan-Matamoros, D., Gomez-Conesa, A., Stubbs, B., & Vancampfort, D. (2016). Exercise improves depressive symptoms in older adults: An umbrella review of systematic reviews and meta-analyses. Psychiatry Research, 244, 202–209. Cavalli-Sforza, L., Menozzi, P., & Piazza, A. (1994). The history and geography of human genes (S. 383). Princeton: Princeton University Press. Cawley, B. D., Keeping, L. M., & Levy, P. E. (1998). Participation in the performance appraisal process and employee reactions: a metaanalytic review of field investigations. Journal of Applied Psychology, 83, 615–633.
News, C. B. C. (2014). Distracted driving laws across. March, Bd. 19 (S. 90). Canada: CBC News (cbc.ca). News, C. B. C. (2017). Depression top cause of disability, WHO says: Youth, pregnant or post-partem women, and the elderly are three groups particularly vulnerable. CBC News (cbc.ca). February, Bd. 23 (S. 582). CDC. (2009). Self-harm, all injury causes, nonfatal injuries and rates per 100,000. National Center for Injury Prevention and Control. Retrieved from webappa.cdc .gov/cgi-bin/broker.exe (591, 592) CDC (2011). Who’s at risk? Tobacco use—smoking (S. 125). Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov CDC (2012). Suicide rates among persons ages 10 years and older, by race/ethnicity and sex, United States, 2005–2009 (S. 590). National Suicide Statistics at a Glance, Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov CDC (2013a). Diagnoses of HIV infection in the United States and dependent areas, 2013. HIV Surveillance Report, Bd. 25 (S. 406). Washington, DC: Centers for Disease Control and Prevention. CDC (2013b). Tobacco-related mortality (S. 116). Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov CDC (2014a). Depression in the U.S. household population, 2009–2012. NCHS Data Brief No. 172. (S. 570, 584). Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov. CDC (2014b). Pregnant women need a flu shot (S. 596). Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov/flu/pdf/freeresources/ pregnant/flushot _pregnant_factsheet.pdf. CDC. (2014c, March 28). Prevalence of autism spectrum disorder among children aged 8 years—Autism and developmental disabilities monitoring network, 11 sites. United States, 2010. Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR), 63(SS02), 1–21. (181) CDC (2015). Drug overdose deaths hit record numbers in 2014 (S. 116). Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov. CDC (2016a). Heart disease facts (S. 459). Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov/heartdisease/facts.htm. CDC (2016b). Reproductive health: teen pregnancy. Centers for Disease Control and Prevention. cdc.gov /teenpregnancy (405, 407) CEA (2014). Nine facts about American families and work (S. 154). Office of the President of the United States: Council of Economic Advisers, https://obamawhitehouse.archives.gov/. Ceci, S. J. (1993). Cognitive and social factors in children’s testimony. Master lecture presented at the Annual Convention of the American Psychological Association. (S. 324, 326). Ceci, S. J., & Bruck, M. (1993). Child witnesses: Translating research into policy. Social Policy Report (Society for Research in Child Development), 7, 1–30. Ceci, S. J., & Bruck, M. (1995). Jeopardy in the courtroom: a scientific analysis of children’s testimony (S. 324). Washington, DC: American Psychological Association. Ceci, S. J., Ginther, D. K., Kahn, S., & Williams, W. M. (2014). Women in academic science: a changing landscape. Psychological Science in the Public Interest, 15, 75–141. Ceci, S. J., Huffman, M. L. C., Smith, E., & Loftus, E. F. (1994). Repeatedly thinking about a non-event: source misattributions among preschoolers. Consciousness and Cognition, 3, 388–407. Ceci, S. J., & Williams, W. M. (1997). Schooling, intelligence, and income. American Psychologist, 52, 1051–1058. Ceci, S. J., & Williams, W. M. (2009). The mathematics of sex: how biology and society conspire to limit talented women and girls (S. 380). New York: Oxford University Press. Ceci, S. J., & Williams, W. M. (2010). Sex differences in math-intensive fields. Current Directions in Psychological Science, 19, 275–279. Ceci, S. J., & Williams, W. M. (2011). Understanding current causes of women’s underrepresentation in science. PNAS, 108, 3157–3162. Census Bureau (2014). Industry and occupation. Table 1: Full-time, year-round workers and median earnings in the past 12 months by sex and detailed occupation (S. 154). Washington, DC: Bureau of the Census.
Literatur
Centerwall, B. S. (1989). Exposure to television as a risk factor for violence. American Journal of Epidemiology, 129, 643–652. Cepeda, N. J., Pashler, H., Vul, E., Wixted, J. T., & Rohrer, D. (2006). Distributed practice in verbal recall tasks: a review and quantitative synthesis. Psychological Bulletin, 132, 354–380. Cepeda, N. J., Vul, E., Rohrer, D., Wixed, J. T., & Pashler, H. (2008). Spacing effects in learning: A temporal ridgeline of optimal retention. Psychological Science, 19, 1095–1102. Cerasoli, C. P., Nicklin, J. M., & Ford, M. T. (2014). Intrinsic motivation and extrinsic incentives jointly predict performance: a 40-year meta-analysis. Psychological Bulletin, 140, 980–1008. Cerasoli, C. P., Nicklin, J. M., & Nassrelgrgawi, A. S. (2016). Performance, incentives, and needs for autonomy, competence, and relatedness: a meta-analysis. Motivation and Emotion, 40, 781–813. Cerrillo-Urbina, A. J., García-Hermoso, A., Sánchez-López, M., Pardo-Guijarro, M. J., Gómez, S. J. L., & Martínez-Vizcaíno, V. (2015). The effects of physical exercise in children with attention deficit hyperactivity disorder: a systematic review and meta-analysis of randomized control trials. Child: Care, Health and Development, 41, 779–788. CFI (2003). International developments. Report (S. 259). Amherst: Center for Inquiry International. Chabris, C. (2015). Quoted by Parker-Pope, T. Was Brian Williams a victim of false memory? The New York Times. nytimes.com Chabris, C. F., & Simons, D. (2010). The invisible gorilla: And other ways our intuitions deceive us (S. 91). New York: Crown. Chajut, E., Caspi, A., Chen, R., Hod, M., & Ariely, D. (2014). In pain thou shalt bring forth children: the peak-and-end rule in recall of labor pain. Psychological Science, 25, 2266–2271. Chamove, A. S. (1980). Nongenetic induction of acquired levels of aggression. Journal of Abnormal Psychology, 89, 469–488. Champagne, F. A. (2010). Early adversity and developmental outcomes: Interaction between genetics, epigenetics, and social experiences across the life span. Perspectives on Psychological Science, 5, 564–574. Champagne, F. A., Francis, D. D., Mar, A., & Meaney, M. J. (2003). Naturally-occurring variations in maternal care in the rat as a mediating influence for the effects of environment on the development of individual differences in stress reactivity. Physiology & Behavior, 79, 359–371. Champagne, F. A., & Mashoodh, R. (2009). Genes in context: geneenvironment interplay and the origins of individual differences in behavior. Current Directions in Psychological Science, 18, 127–131. Chan, M. K., Krebs, M. O., Cox, D., Guest, P. C., Yolken, R. H., Rahmoune, H., . . . Bahn, S. (2015, July 14). Development of a bloodbased molecular biomarker test for identification of schizophrenia before disease onset. Translational Psychiatry, 5, e601. (595) News, C. (1997). More on the frequency of letters in texts. Dart.Chance (S. 29). Dartmouth: edu. 25 November Chandler, J. J., & Pronin, E. (2012). Fast thought speed induces risk taking. Psychological Science, 23, 370–374. Chandra, A., Mosher, W. D., & Copen, C. (2011, March). Sexual behavior, sexual attraction, and sexual identity in the United States: Data from the 2006–2008 National Survey of Family Growth. National Health Statistics Reports, Number 36 (Centers for Disease Control and Prevention). (409) Chang, A.-M., Aeschbach, D., Duggy, J. F., & Czeisler, C. A. (2015). Evening use of light-emitting eReaders negatively affects sleep, circadian timing, and next-morning alertness. PNAS, 112, 1232–1237. Chang, E. C. (2001). Cultural influences on optimism and pessimism: Differences in Western and Eastern construals of the self. In E. C. Chang (Ed.), Optimism and pessimism. Washington, DC: APA Books. (556) Chang, Y.-T., Chen, Y.-C., Hayter, M., & Lin, M.-L. (2009). Menstrual and menarche experience among pubescent female students in Taiwan: Implications for health education and promotion service. Journal of Clinical Nursing, 18, 2040–2048.
845
Chaplin, T. M. (2015). Gender and emotion expression: a developmental contextual perspective. Emotion Review, 7, 14–21. Chaplin, T. M., & Aldao, A. (2013). Gender differences in emotion expression in children: A meta-analytic review. Psychological Bulletin, 139, 735–765. Chaplin, W. F., Phillips, J. B., Brown, J. D., Clanton, N. R., & Stein, J. L. (2000). Handshaking, gender, personality, and first impressions. Journal of Personality and Social Psychology, 79, 110–117. Charles, S. T., Piazza, J. R., Mogle, J., Sliwinski, M. J., & Almeida, D. M. (2013). The wear and tear of daily stressors on mental health. Psychological Science, 24, 733–741. Charness, N., & Boot, W. R. (2009). Aging and information technology use. Current Directions in Psychological Science, 18, 253–258. Charpak, G., & Broch, H. (2004). Debunked! ESP, telekinesis, and other pseudoscience (S. 258). Baltimore: Johns Hopkins University Press. Chartrand, T. L., & Bargh, J. A. (1999). The chameleon effect: The perception-behavior link and social interaction. Journal of Personality and Social Psychology, 76, 893–910. Chartrand, T. L., & Lakin, J. (2013). The antecedents and consequences of human behavioral mimicry. Annual Review of Psychology, 64, 285–308. Chartrand, T. L., & van Baaren, R. (2009). Human mimicry. In M. P. Zanna (Ed.), Advances in experimental social psychology (219–274). San Diego, CA: Elsevier Academic Press. (484) Chassin, M. R. L., & MacKinnon, D. P. (2015). Role transitions and young adult maturing out of heavy drinking: evidence for larger effects of marriage among more severe premarriage problem drinkers. Alcoholism: Clinical and Experimental Research, 39, 1064–1074. Chassy, P., & Gobet, F. (2011). A hypothesis about the biological basis of expert intuition. Review of General Psychology, 15, 198–212. Chatard, A., & Selimbegović, L. (2011). When self-destructive thoughts flash through the mind: failure to meet standards affects the accessibility of suicide-related thoughts. Journal of Personality and Social Psychology, 100, 587–605. Chater, N., Reali, F., & Christiansen, M. H. (2009). Restrictions on biological adaptation in language evolution. PNAS, 106, 1015–1020. Chatterjee, R. (2015, October 3). Out of the darkness. Science, 350, 372–375. (239) Cheek, J. M., & Melchior, L. A. (1990). Shyness, self-esteem, and selfconsciousness. In H. Leitenberg (Hrsg.), Handbook of social and evaluation anxiety (S. 149). New York: Plenum. Chein, J. M., & Schneider, W. (2012). The brain’s learning and control architecture. Current Directions in Psychological Science, 21, 78–84. Cheit, R. E. (1998). Consider this, skeptics of recovered memory. Ethics & Behavior, 8, 141–160. (536) Chen, A. W., Kazanjian, A., & Wong, H. (2009). Why do Chinese Canadians not consult mental health services: Health status, language or culture? Transcultural Psychiatry, 46, 623–640. Chen, G., Wu, Z., Guo, Z., & Gearing, M. (2014). Tonic inhibition in dentate gyrus impairs long-term potentiation and memory in an Alzheimer’s disease model. Nature Communications, 5, 4159. Chen, L., Zhang, G., Hu, M., & Liang, X. (2015). Eye movement desensitization and reprocessing versus cognitive-behavioral therapy for adult posttraumatic stress disorder: Systematic review and metaanalysis. Journal of Nervous and Mental Disease, 203, 443–451. Chen, M.-H., Lan, W.-H., Bai, Y.-M., Huang, K.-L., Su, T.-P., Tsai, S.-J., & Hsu, J.-W. (2016). Influence of relative age on diagnosis and treatment of attention-deficit hyperactivity disorder in Taiwanese children. Journal of Pediatrics, 172, 162–167. Chen, S. H., Kennedy, M., & Zhou, Q. (2012). Parents’ expression and discussion of emotion in the multilingual family: Does language matter? Perspectives on Psychological Science, 7, 365–383. Chen, S. X., & Bond, M. H. (2010). Two languages, two personalities? Examining language effects on the expression of personality in a bilingual context. Personality and Social Psychology Bulletin, 36, 1514–1528.
846
Literatur
Cheng, C., & Li, A. Y.-I. (2014). Internet addiction prevalence and quality of (real) life: a meta-analysis of 31 nations across seven world regions. Cyberpsychology, Behavior, and Social Networking, 17, 755–760. Chennu, S., Pinoia, P., Kamau, E., Allanson, J., Williams, G. B., Monti, M. M., & Bekinschtein, T. A. (2014). Spectral signatures of reorganised brain network in disorders of consciousness. PLoS Computational Biology, 10, e1003887. Cherniss, C. (2010a). Emotional intelligence: New insights and further clarifications. Industrial and Organizational Psychology, 3, 183–191. Cherniss, C. (2010b). Emotional intelligence: Toward clarification of a concept. Industrial and Organizational Psychology, 3, 110–126. Chess, S., & Thomas, A. (1987). Know your child: an authoritative guide for today’s parents (S. 185). New York: Basic Books. Chester, D. S., & DeWall, C. N. (2016). The pleasure of revenge: Retaliatory aggression arises from a neural imbalance toward reward. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 11, 1173–1182. Cheung, B. Y., Chudek, M., & Heine, S. J. (2011). Evidence for a sensitive period for acculturation: younger immigrants report acculturating at a faster rate. Psychological Science, 22, 147–152. Cheung, F., & Lucas, R. E. (2015). When does money matter most? Examining the association between income and life satisfaction over the life course. Psychology and Aging, 30, 120–135. Cheung, F., & Lucas, R. E. (2016). Income inequality is associated with stronger social comparison effects: the effect of relative income on life satisfaction. Journal of Personality and Social Psychology, 110, 332–341. Chida, Y., & Hamer, M. (2008). Chronic psychosocial factors and acute physiological responses to laboratory-induced stress in healthy populations: a quantitative review of 30 years of investigations. Psychological Bulletin, 134, 829–885. Chida, Y., Hamer, M., Wardle, J., & Steptoe, A. (2008). Do stressrelated psychosocial factors contribute to cancer incidence and survival? Nature Reviews: Clinical Oncology, 5, 466–475. Chida, Y., & Steptoe, A. (2009). The association of anger and hostility with future coronary heart disease: a meta-analytic review of prospective evidence. Journal of the American College of Cardiology, 17, 936–946. Chida, Y., Steptoe, A., & Powell, L. H. (2009). Religiosity/spirituality and mortality. Psychotherapy and Psychosomatics, 78, 81–90. Chida, Y., & Vedhara, K. (2009). Adverse psychosocial factors predict poorer prognosis in HIV disease: a meta-analytic review of prospective investigations. Brain, Behavior, and Immunity, 23, 434–445. Chiles, J. A., Lambert, M. J., & Hatch, A. L. (1999). The impact of psychological interventions on medical cost offset: A meta-analytic review. Clinical Psychology: Science and Practice, 6, 204–220. Chisholm, D., Sweeny, K., Sheehan, P., Rasmussen, B., Smit, F., Cuijpers, P., & Saxena, S. (2016). Scaling-up treatment of depression and anxiety: A global return on investment analysis. The Lancet Psychiatry, 3, 415–424. Chisolm, T. H., Johnson, C. E., Danhauer, J. L., Portz, L. J. P., Abrams, H. B., Lesner, S., & Newman, C. W. (2007). A systematic review of health-related quality of life and hearing aids: Final report of the American Academy of Audiology Task Force on the Health-Related Quality of Life Benefits of Amplification in Adults. Journal of the American Academy of Audiology, 18, 151–183. Chivers, M. L., Seto, M. C., & Blanchard, R. (2007). Gender and sexual orientation differences in sexual response to sexual activities versus gender of actors in sexual films. Journal of Personality and Social Psychology, 93, 1108–1121. Chivers, M. L., Seto, M. C., Lalumière, M. L., Laan, E., & Grimbos, T. (2010). Agreement of self-reported and genital measures of sexual arousal in men and women: A meta-analysis. Archives of Sexual Behavior, 39, 5–56. Choi, C. Q. (2008, March). Do you need only half your brain? Scientific American. Retrieved from scientificamerican.com/article/do-youneed-only-half-your-brain/ (81)
Chomsky, N. (1972). Language and mind (S. 352). New York: Harcourt Brace. Chopik, W., & O’Brien, E. (2017). Happy you, healthy me? Having a happy partner is independently associated with better health in oneself. Health Psychology, 36, 21–30. Chopik, W. J., Edelstein, R. S., & Fraley, R. C. (2013). From the cradle to the grave: age differences in attachment from early adulthood to old age. Journal of Personality, 81, 171–183. Christakis, D. A., Garrison, M. M., Herrenkohl, T., Haggerty, K., Rivara, K. P., Zhou, C., & Liekweg, K. (2013). Modifying media content for preschool children: a randomized control trial. Pediatrics, 131, 431–438. Christakis, N. A., & Fowler, J. H. (2007). The spread of obesity in a large social network over 32 years. New England Journal of Medicine, 357, 370–379. Christakis, N. A., & Fowler, J. H. (2008). The collective dynamics of smoking in a large social network. New England Journal of Medicine, 358, 2249–2258. Christakis, N. A., & Fowler, J. H. (2009). Connected: The surprising power of social networks and how they shape our lives (S. 484). New York: Little, Brown. Christensen, A., & Jacobson, N. S. (1994). Who (or what) can do psychotherapy: the status and challenge of nonprofessional therapies. Psychological Science, 5, 8–14. Christensen, H., Batterham, P. J., Gosling, J. A., Ritterband, L. M., Griffiths, K. M., Thorndike, F. P., & Mackinnon, A. J. (2016). Effectiveness of an online insomnia program (SHUTi) for prevention of depressive episodes (the GoodNight study): A randomised controlled trial: Correction. The Lancet Psychiatry, 3, 331–341. Christiansen, P., Jennings, E., & Rose, A. K. (2016). Anticipated effects of alcohol stimulate craving and impair inhibitory control. Psychology of Addictive Behaviors, 30, 383–388. Christoff, K., Gordon, A. M., Smallwood, J., Smith, R., & Schooler, J. W. (2009). Experience sampling during fMRI reveals default network and executive system contributions to mind wandering. PNAS, 106, 8719–8724. Christophersen, E. R., & Edwards, K. J. (1992). Treatment of elimination disorders: State of the art 1991. Applied & Preventive Psychology, 1, 15–22. Chu, C., Podlogar, M. C., Hagan, C. R., Buchman-Schmitt, J. M., Silva, C., Chiurliza, B., & Joiner, T. E. (2016). The interactive effects of the capability for suicide and major depressive episodes on suicidal behavior in a military sample. Cognitive Therapy and Research, 40, 22–30. Chua, A. (2011). Battle hymn of the tiger mother (S. 146). New York: Bloomsbury. Chua, H. F., Boland, J. E., & Nisbett, R. E. (2005). Cultural variation in eye movements during scene perception. PNAS, 102, 12629– 12633. Chugani, H. T., & Phelps, M. E. (1986). Maturational changes in cerebral function in infants determined by 18FDG positron emission tomography. Science, 231, 840–843. Chulov, M. (2014). The inside story. The Guardian (theguardian.com). ISIS, 1(1), 494. Church, A. T., Katigbak, M. S., Mazuera Arias, R., Rincon, B. C., Vargas-Flores, J., Ibáñez-Reyes, J., & Ortiz, F. A. (2014). A fourculture study of self-enhancement and adjustment using the social relations model: Do alternative conceptualizations and indices make a difference? Journal of Personality and Social Psychology, 106, 997–1014. Churchland, P. S. (2013). Touching a nerve: the self as brain (S. 120). New York: Norton. CIA (2014). Sex ratio. The world fact book (S. 500). cia.gov. Cialdini, R. B. (1993). Influence: science and practice (3. Aufl.). (S. 481). New York: HarperCollins.
Literatur
Cialdini, R. B., & Richardson, K. D. (1980). Two indirect tactics of image management: basking and blasting. Journal of Personality and Social Psychology, 39, 406–415. Cin, S. D., Gibson, B., Zanna, M. P., Shumate, R., & Fong, G. T. (2007). Smoking in movies, implicit associations of smoking with the self, and intentions to smoke. Psychological Science, 18, 559–563. Clack, B., Dixon, J., & Tredoux, C. (2005). Eating together apart: patterns of segregation in a multi-ethnic cafeteria. Journal of Community and Applied Social Psychology, 15, 1–16. Claidière, N., & Whiten, A. (2012). Integrating the study of conformity and culture in humans and nonhuman animals. Psychological Bulletin, 138, 126–145. Claidière, N., Smith, K., Kirby, S., & Fagot, J. (2014). Cultural evolution of systematically structured behaviour in a non-human primate. Proceedings of the Royal Society, B, 281, 20141541. Clancy, S. A. (2005). Abducted: How people come to believe they were kidnapped by aliens (S. 98). Cambridge: Harvard University Press. Clancy, S. A. (2010). The trauma myth: The truth about the sexual abuse of children—and its aftermath (S. 187). New York: Basic Books. Clark, A., Seidler, A., & Miller, M. (2001). Inverse association between sense of humor and coronary heart disease. International Journal of Cardiology, 80, 87–88. Clark, C. J., Luguri, J. B., Ditto, P. H., Knobe, J., Shariff, A. F., & Baumeister, R. F. (2014). Free to punish: a motivated account of free will belief. Journal of Personality and Social Psychology, 106, 501–513. Clark, I. A., & Maguire, E. A. (2016). Remembering preservation in hippocampal amnesia. Annual Review of Psychology, 67, 51–82. Clark, K. B., & Clark, M. P. (1947). Racial identification and preference in Negro children. In T. M. Newcomb & E. L. Hartley (Hrsg.), Readings in social psychology (S. 40). New York: Holt. Clark III, R. D., & Hatfield, E. (1989). Gender differences in willingness to engage in casual sex. Journal of Psychology and Human Sexuality, 2, 39–55. Clarke, E., Reichard, U. H., & Zuberbuehler, K. (2015). Context-specific close-range “hoo” calls in wild gibbons (Hylobates lar). BMC Evolutionary Biology, 15, Article: 56. Claro, S., Paunesku, D., & Dweck, C. S. (2016). Growth mindset tempers the effects of poverty on academic achievement. PNAS, 113, 8664–8668. Claxton, S. E., DeLuca, H. K., & van Dulmen, M. H. (2015). The association between alcohol use and engagement in casual sexual relationships and experiences: A meta-analytic review of non-experimental studies. Archives of Sexual Behavior, 44, 837–856. Cleary, A. M. (2008). Recognition memory, familiarity, and déjà vu experiences. Current Directions in Psychological Science, 17, 353–357. Clynes, T. (2016). How to raise a genius. Nature, 537, 152–155. Coan, J. A., Schaefer, H. S., & Davidson, R. J. (2006). Lending a hand: social regulation of the neural response to threat. Psychological Science, 17, 1032–1039. Coelho, C. M., & Purkis, H. (2009). The origins of specific phobias: influential theories and current perspectives. Review of General Psychology, 13, 335–348. Cohen, A. B. (2009). Many forms of culture. American Psychologist, 64, 194–204. Cohen, A. O., Breiner, K., Steinberg, L., Bonnie, R. J., Scott, E. S., Taylor-Thompson, K. A., & Silverman, M. R. (2016). When is an adolescent an adult? Assessing cognitive control in emotional and nonemotional contexts. Psychological Science, 27, 549–562. Cohen, D. (1995). Now we are one, or two, or three. New Scientist, https://www.newscientist.com. Cohen, F., & Solomon, S. (2011). The politics of mortal terror. Current Directions in Psychological Science, 20, 316–320. Cohen, G. L. (2013). Quoted by E. Yong, Armor against prejudice. Scientific American, 308, 76–80.
847
Cohen, G. L., Garcia, J., Apfel, N., & Master, A. (2006). Reducing the racial achievement gap: A social-psychological intervention. Science, 313, 1307–1310. Cohen, G. L., Garcia, J., Purdie-Vaughns, V., Apfel, N., & Brzustoski, P. (2009). Recursive processes in self-affirmation: Intervening to close the minority achievement gap. Science, 324, 400–403. Cohen, G. L., & Sherman, D. K. (2014). The psychology of change: Self-affirmation and social psychological intervention. Annual Review of Psychology, 65, 333–371. Cohen, K. M. (2002). Relationships among childhood sex-atypical behavior, spatial ability, handedness, and sexual orientation in men. Archives of Sexual Behavior, 31, 129–143. Cohen, P. (2007). Freud is widely taught at universities, except in the psychology department. The New York Times. nytimes.com Cohen, P. (2010). Long road to adulthood is growing even longer. The New York Times. nytimes.com. Cohen, S. (2004). Social relationships and health. American Psychologist, 59, 676–684. Cohen, S., Alper, C. M., Doyle, W. J., Treanor, J. J., & Turner, R. B. (2006). Positive emotional style predicts resistance to illness after experimental exposure to rhinovirus or influenza A virus. Psychosomatic Medicine, 68, 809–815. Cohen, S., Doyle, W. J., Skoner, D. P., Rabin, B. S., & Gwaltney Jr., J. M. (1997). Social ties and susceptibility to the common cold. Journal of the American Medical Association, 277, 1940–1944. Cohen, S., Doyle, W. J., Turner, R., Alper, C. M., & Skoner, D. P. (2003). Sociability and susceptibility to the common cold. Psychological Science, 14, 389–395. Cohen, S., Gianaros, P. J., & Manuck, S. B. (2016). A stage model of stress and disease. Perspectives on Psychological Science, 11, 456–463. Cohen, S., Janicki-Deverts, D., Turner, R. B., & Doyle, W. J. (2015). Does hugging provide stress-buffering social support? A study of susceptibility to upper respiratory infection and illness. Psychological Science, 26, 135–147. Cohen, S., Kaplan, J. R., Cunnick, J. E., Manuck, S. B., & Rabin, B. S. (1992). Chronic social stress, affiliation, and cellular immune response in nonhuman primates. Psychological Science, 3, 301–304. Cohen, S., & Pressman, S. D. (2006). Positive affect and health. Current Directions in Psychological Science, 15, 122–125. Cohen, S., Tyrrell, D. A. J., & Smith, A. P. (1991). Psychological stress and susceptibility to the common cold. New England Journal of Medicine, 325, 606–612. Cohn, Y. (2013). Love and marriage. Pew Research (pewsocialtrends. org). February, 1(3), 209. Colapinto, J. (2000). As nature made him: The boy who was raised as a girl (S. 159). New York: HarperCollins. Colarelli, S. M., Spranger, J. L., & Hechanova, M. R. (2006). Women, power, and sex composition in small groups: An evolutionary perspective. Journal of Organizational Behavior, 27, 163–184. Cole, K. C. (1998). The universe and the teacup: The mathematics of truth and beauty (S. 116). New York: Harcourt Brace. Cole, M. W., Ito, T., & Braver, T. S. (2015). Lateral prefrontal cortex contributes to fluid intelligence through multinetwork connectivity. Brain Connectivity, 5, 497–504. Colen C. G., & Ramey, D. M. (2014). Is breast truly best? Estimating the effects of breastfeeding on long-term child health and wellbeing in the United States using sibling comparisons. Social Science & Medicine, 109, 55–65. Coley, R. L., Medeiros, B. L., & Schindler, H. (2008). Using sibling differences to estimate effects of parenting on adolescent sexual risk behaviors. Journal of Adolescent Health, 43, 133–140. Collier, K. L., Bos, H. M. W., & Sandfort, T. G. M. (2012). Intergroup contact, attitudes toward homosexuality, and the role of acceptance of gender non-conformity in young adolescents. Journal of Adolescence, 35, 899–907.
848
Literatur
Collinger, J. L., Wodlinger, B., Downey, J. E., Wang, W., Tyler-Kabara, E. C., Weber, D. J., . . . Schwartz, A. B. (2013). High-performance neuroprosthetic control by an individual with tetraplegia. The Lancet, 381, 557–564. Collins, F. (2006). The language of God (S. 163). New York: Free Press. Collins, F. S., & Tabak, L. A. (2014). Policy: NIH plans to enhance reproducibility. Nature, 505, 612–613. Collins, G. (2009). The rant list. The New York Times. nytimes.com. Collins, N. L., & Miller, L. C. (1994). Self-disclosure and liking: A meta-analytic review. Psychological Bulletin, 116, 457–475. Collins, R. L., Elliott, M. N., Berry, S. H., Danouse, D. E., Kunkel, D., Hunter, S. B., & Miu, A. (2004). Watching sex on television predicts adolescent initiation of sexual behavior. Pediatrics, 114, 280–289. Collins, W. A., Welsh, D. P., & Furman, W. (2009). Adolescent romantic relationships. Annual Review of Psychology, 60, 631–652. Collinson, S. L., MacKay, C. E., James, A. C., Quested, D. J., Phillips, T., Roberts, N., & Crow, T. J. (2003). Brain volume, asymmetry and intellectual impairment in relation to sex in early-onset schizophrenia. British Journal of Psychiatry, 183, 114–120. Colombo, J. (1982). The critical period concept: Research, methodology, and theoretical issues. Psychological Bulletin, 91, 260–275. Colvert, E., Beata, T., McEwen, F., Stewart, C., Curran, S. R., Woodhouse, E., . . . Bolton, P. (2015). Heritability of autism spectrum disorder in a UK population-based twin sample. JAMA Psychiatry, 72, 415–423. Confer, J. C., Easton, J. A., Fleischman, D. S., Goetz, C. D., Lewis, D. M. G., Perilloux, C., & Buss, D. M. (2010). Evolutionary psychology: Controversies, questions, prospects, and limitations. American Psychologist, 65, 110–126. Conley, C. S., & Rudolph, K. D. (2009). The emerging sex difference in adolescent depression: Interacting contributions of puberty and peer stress. Development and Psychopathology, 21, 593–620 Conley, T. D. (2011). Perceived proposer personality characteristics and gender differences in acceptance of casual sex offers. Journal of Personality and Social Psychology, 100, 300–329. Conn, V. S. (2010). Depressive symptom outcomes of physical activity interventions: Meta-analysis findings. Annals of Behavioral Medicine, 39, 128–138. Connor, C. E. (2010). A new viewpoint on faces. Science, 330, 764–765. Connor-Smith, J. K., & Flachsbart, C. (2007). Relations between personality and coping: A meta-analysis. Journal of Personality and Social Psychology, 93, 1080–1107. Conroy-Beam, D., Buss, D. M., Pham, M. N., & Shackelford, T. K. (2015). How sexually dimorphic are human mate preferences? Personality and Social Psychology Bulletin, 41, 1082–1093. Consumer Reports. (1995, November). Does therapy help? 734–739. Conway, A. R. A., Skitka, L. J., Hemmerich, J. A., & Kershaw, T. C. (2009). Flashbulb memory for 11 September 2001. Applied Cognitive Psychology, 23, 605–623. Conway, M. A., Wang, Q., Hanyu, K., & Haque, S. (2005). A crosscultural investigation of autobiographical memory. On the universality and cultural variation of the reminiscence bump. Journal of Cross-Cultural Psychology, 36, 739–749. Cooke, L. J., Wardle, J., & Gibson, E. L. (2003). Relationship between parental report of food neophobia and everyday food consumption in 2–6-year-old children. Appetite, 41, 205–206. Cooney, G., Gilbert, D. T., & Wilson, T. D. (2014). The unforeseen costs of extraordinary experience. Psychological Science, 25, 2259–2265. Cooper, K. J. (1999). This time, copycat wave is broader. The Washington Post, washingtonpost.com. Cooper, W. H., & Withey, M. J. (2009). The strong situation hypothesis. Personality and Social Psychology Review, 13, 62–72. Coopersmith, S. (1967). The antecedents of self-esteem (S. 190). San Francisco: Freeman. Copeland, W., Shanahan, L., Miller, S., Costello, E. J., Angold, A., & Maughan, B. (2010). Outcomes of early pubertal timing in young
women: A prospective population-based study. American Journal of Psychiatry, 167, 1218–1225. Copen, C. E., Chandra, A., & Febo-Vazquez, I. (2016, January 7). Sexual behavior, sexual attraction, and sexual orientation among adults aged 18–44 in the United States: Data from the 2011–2013 National Survey of Family Growth. Centers for Disease Control and Prevention, National Health Statistics Reports, Number 88. Corballis, M. C. (2002). From hand to mouth: The origins of language (S. 352). Princeton, NJ: Princeton University Press. Corballis, M. C. (2003). From mouth to hand: Gesture, speech, and the evolution of right-handedness. Behavioral and Brain Sciences, 26, 199–260. Corcoran, D. W. J. (1964). The relation between introversion and salivation. The American Journal of Psychology, 77, 298–300. Coren, S. (1996). Sleep thieves: An eye-opening exploration into the science and mysteries of sleep. New York: Free Press. Corey, D. P., García-Añoveros, J., Holt, J. R., Kwan, K. Y., Lin, S. Y., Vollrath, M. A., . . . Zhang, D. S. (2004). TRPA1 is a candidate for the mechanosensitive transduction channel of vertebrate hair cells. Nature, 432, 723–730. Corina, D. P. (1998). The processing of sign language: Evidence from aphasia. In B. Stemmer & H. A. Whittaker (Hrsg.), Handbook of neurolinguistics (S. 84). San Diego: Academic Press. Corina, D. P., Vaid, J., & Bellugi, U. (1992). The linguistic basis of left hemisphere specialization. Science, 255, 1258–1260. Corkin, S. (2013). Permanent present tense: The unforgettable life of the amnesic patient (S. 316). New York: Basic Books. Corkin, S., quoted by R. Adelson. (2005, September). Lessons from H. M. Monitor on Psychology, 59. Cormier, Z. (2016). Brain scans reveal how LSD affects consciousness. Nature. Retrieved from nature .com/news/brain-scans-reveal-howlsd-affects-consciousness-1.19727. Corneille, O., Huart, J., Becquart, E., & Brédart, S. (2004). When memory shifts toward more typical category exemplars: Accentuation effects in the recollection of ethnically ambiguous faces. Journal of Personality and Social Psychology, 86, 236–250. Cornette, M. M., deRoom-Cassini, T. A., Fosco, G. M., Holloway, R. L., Clark, D. C., & Joiner, T. E. (2009). Application of an interpersonal-psychological model of suicidal behavior to physicians and medical trainees. Archives of Suicide Research, 13, 1–14. Cornier, M.-A. (2011). Is your brain to blame for weight regain? Physiology & Behavior, 104, 608–612. (397) Cornil, Y., & Chandon, P. (2013). From fan to fat? Vicarious losing increases unhealthy eating, but self-affirmation is an effective remedy. Psychological Science, 24, 1936–1946. Correll, J., Park, B., Judd, C. M., Wittenbrink, B., Sadler, M. S., & Keesee, T. (2007). Across the thin blue line: Police officers and racial bias in the decision to shoot. Journal of Personality and Social Psychology, 92, 1006–1023. Correll, J., Wittenbrink, B., Crawford, M. T., & Sadler, M. S. (2015). Stereotypic vision: How stereotypes disambiguate visual stimuli. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 219–233. Corrigan, P. W. (2014). Can there be false hope in recovery? British Journal of Psychiatry, 205, 423–424. (631) Corrigan, P. W., Druss, B. G., & Perlick, D. A. (2014). The impact of mental illness stigma on seeking and participating in mental health care. Psychological Science in the Public Interest, 15, 37–70. Costa, A., Foucart, A., Hayakawa, S., Aparici, M., Apesteguia, J., Heafner, J., & Keysar, B. (2014). Your morals depend on language. PLoS ONE, 9(e94842), 354. https://doi.org/10.1371/journal. pone.0094842. Costa, P. T., Jr., & McCrae, R. R. (2011). The five-factor model, fivefactor theory, and interpersonal psychology. In L. M. Horowitz & S. Strack (Eds.), Handbook of interpersonal psychology:Theory, research, assessment, and therapeutic interventions (91–104). Hoboken, NJ: Wiley.
Literatur
Costa, P. T., Jr., Terracciano, A., & McCrae, R. R. (2001). Gender differences in personality traits across cultures: Robust and surprising findings. Journal of Personality and Social Psychology, 81, 322–331. Costello, E. J., Compton, S. N., Keeler, G., & Angold, A. (2003). Relationships between poverty and psychopathology: A natural experiment. Journal of the American Medical Association, 290, 2023–2029. Coughlin, J. F., Mohyde, M., D’Ambrosio, L. A., & Gilbert, J. (2004). Who drives older driver decisions? (S. 203). Cambridge, MA: MIT Age Lab. Couli, J. T., Vidal, F., Nazarian, B., & Macar, F. (2004). Functional anatomy of the attentional modulation of time estimation. Science, 303, 1506–1508. Coulter, K. C., & Malouff, J. M. (2013). Effects of an intervention designed to enhance romantic relationship excitement: A randomized-control trial. Couple and Family Psychology: Research and Practice, 2, 34–44. Courage, M. L., & Howe, M. L. (2002). From infant to child: The dynamics of cognitive change in the second year of life. Psychological Bulletin, 128, 250–277. Courtney, J. G., Longnecker, M. P., Theorell, T., & de Verdier, M. G. (1993). Stressful life events and the risk of colorectal cancer. Epidemiology, 4, 407–414. Cowan, N. (1988). Evolving conceptions of memory storage, selective attention, and their mutual constraints within the human information-processing system. Psychological Bulletin, 104, 163–191. Cowan, N. (2008). What are the differences between long-term, shortterm, and working memory? Progress in Brain Research, 169, 323–338. Cowan, N. (2010). The magical mystery four: How is working memory capacity limited, and why? Current Directions in Psychological Science, 19, 51–57. Cowan, N. (2015). George Miller’s magical number of immediate memory in retrospect: Observations on the faltering progression of science. Psychological Review, 122, 536–541. Cowan, N. (2016). Working memory maturation: Can we get at the essence of cognitive growth? Perspectives on Psychological Science, 11, 239–264. Cowart, B. J. (1981). Development of taste perception in humans: Sensitivity and preference throughout the life span. Psychological Bulletin, 90, 43–73. Cowart, B. J. (2005). Taste, our body’s gustatory gatekeeper. Cerebrum, 7, 7–22. Cowell, J. M., & Decety, J. (2015). Precursors to morality in development as a complex interplay between neural, socioenvironmental, and behavioral facets. PNAS, 112, 12657–12662. Cox, C. R., & Arndt, J. (2012). How sweet it is to be loved by you: The role of perceived regard in the terror management of close relationships. Journal of Personality and Social Psychology, 102, 616–632. Cox, J. J., Reimann, F., Nicholas, A. K., Thornton, G., Robert, E., Springell, K., . . . Woods, C. G. (2006). An SCN9A channelopathy causes congenital inability to experience pain. Nature, 444, 894– 898. Coye, C., Ouattara, K., Zuberbühler, K., & Lemasson, A. (2015). Suffixation influences receivers’ behaviour in non-human primates. Proceedings of the Royal Society B, 282(1807), 352. Coyne, J. C., & Tennen, H. (2010). Positive psychology in cancer care: Bad science, exaggerated claims, and unproven medicine. Annals of Behavioral Medicine, 39, 16–26. Coyne, J. C., Ranchor, A. V., & Palmer, S. C. (2010). Meta-analysis of stress-related factors in cancer. Nature Reviews: Clinical Oncology, 7.https://doi.org/10.1038/ncponc1134-c1. Coyne, J. C., Stefanek, M., & Palmer, S. C. (2007). Psychotherapy and survival in cancer: The conflict between hope and evidence. Psychological Bulletin, 133, 367–394.
849
Coyne, J. C., & Tennen, H. (2010). Positive psychology in cancer care: Bad science, exaggerated claims, and unproven medicine. Annals of Behavioral Medicine, 39, 16–26. Coyne, J. C., Thombs, B. C., Stefanek, M., & Palmer, S. C. (2009). Time to let go of the illusion that psychotherapy extends the survival of cancer patients: Reply to Kraemer, Kuchler, and Spiegel (2009). Psychological Bulletin, 135, 179–182. CPP. (2017). Myers-Briggs Type Indicator® (MBTI®). CPP, Inc. (cpp. com). (542) Crabbe, J. C. (2002). Genetic contributions to addiction. Annual Review of Psychology, 53, 435–462. (122) Crabtree, S. (2005, January 13). Engagement keeps the doctor away. Gallup Management Journal (gmj.gallup .com). Crabtree, S. (2011). U.S. seniors maintain happiness highs with less social time. December, Bd. 12 (S. 211). poll (gallup.com): Gallup. Craik, F. I. M., & Tulving, E. (1975). Depth of processing and the retention of words in episodic memory. Journal of Experimental Psychology: General, 104, 268–294. Crandall, C. S. (1988). Social contagion of binge eating. Journal of Personality and Social Psychology, 55, 588–598. Crandall, C. S., & White II, M. H. (2016). Trump and the social psychology of prejudice. Undark. Retrieved from undark.org/article/ trump-social-psychology-prejudice-unleashed Crawford, M., Chaffin, R., & Fitton, L. (1995). Cognition in social context. Learning and individual differences, special issue: Psychological and psychobiological perspectives on sex differences in cognition: 1. Theory and Research, 7, 341–362. Credé, M., & Kuncel, N. R. (2008). Study habits, skills, and attitudes: the third pillar supporting collegiate academic performance. Perspectives on Psychological Science, 3, 425–453. Credé, M., Tynan, M. C., & Harms, P. D. (2016). Much ado about grit: a meta-analytic synthesis of the grit literature. Journal of Personality and Social Psychology. https://doi.org/10.1037/pspp0000102. Creswell, J. D., Bursley, J. K., & Satpute, A. B. (2013). Neural reactivation links unconscious thought to decision making performance. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 8, 863–869. Creswell, J. D., Way, B. M., Eisenberger, N. I., & Lieberman, M. D. (2007). Neural correlates of dispositional mindfulness during affect labeling. Psychosomatic Medicine, 69, 560–565. Creswell, K. G., Chung, T., Clark, D., & Martin, C. (2014). Solitary alcohol use in teens is associated with drinking in response to negative affect and predicts alcohol problems in young adulthood. Clinical Psychological Science, 2, 602–610. Crews, F. T., He, J., & Hodge, C. (2007). Adolescent cortical development: a critical period of vulnerability for addiction. Pharmacology, Biochemistry and Behavior, 86, 189–199. Crews, F. T., Mdzinarishvilli, A., Kim, D., He, J., & Nixon, K. (2006). Neurogenesis in adolescent brain is potently inhibited by ethanol. Neuroscience, 137, 437–445. Crifasi, C. K., Meyers, J. S., Vernick, J. S., & Webster, D. W. (2015). Effects of changes in permit-to-purchase handgun laws in Connecticut and Missouri on suicide rates. Preventive Medicine, 79, 43–49. Cristea, I. A., Huibers, M. J., David, D., Hollon, S. D., Andersson, G., & Cuijpers, P. (2015). The effects of cognitive behavior therapy for adult depression on dysfunctional thinking: a meta-analysis. Clinical Psychology Review, 42, 62–71. Crivelli, C., Carrera, P., & Fernández-Dols, J. (2015). Are smiles a sign of happiness? Spontaneous expressions of judo winners. Evolution and Human Behavior, 36, 52–58. Crivelli, C., Jarillo, S., Russell, J. A., & Fernández-Dols, J. M. (2016a). Reading emotions from faces in two indigenous societies. Journal of Experimental Psychology: General, 145, 830–843. Crivelli, C., Russell, J. A., Jarillo, S., & Fernández-Dols, J. M. (2016b). The fear gasping face as a threat display in a Melanesian society. PNAS, 113, 12403–12407. Crocker, J., & Park, L. E. (2004). The costly pursuit of self-esteem. Psychological Bulletin, 130, 392–414.
850
Literatur
Crocker, J., Thompson, L. L., McGraw, K. M., & Ingerman, C. (1987). Downward comparison, prejudice, and evaluation of others: effects of self-esteem and threat. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 907–916. Crockett, M. J., Kurth-Nelson, Z., Siegel, J. Z., Dayan, P., & Dolan, R. J. (2014). Harm to others outweighs harm to self in moral decision making. PNAS, 111, 17320–17325. Croft, A., Schmader, T., Block, K., & Baron, A. S. (2014). The second shift reflected in the second generation: do parents’ gender roles at home predict children’s aspirations? Psychological Science, 25, 1418–1428. Croft, R. J., Klugman, A., Baldeweg, T., & Gruzelier, J. H. (2001). Electrophysiological evidence of serotonergic impairment in long-term MDMA (“Ecstasy”) users. American Journal of Psychiatry, 158, 1687–1692. Crombie, A. C. (1964). Early concepts of the senses and the mind (S. 108–116). Scientific American. 225 Crook, T. H., & West, R. L. (1990). Name recall performance across the adult lifespan. British Journal of Psychology, 81, 335–340. Crosier, B. S., Webster, G. D., & Dillon, H. M. (2012). Wired to connect: evolutionary psychology and social networks. Review of General Psychology, 16, 230–239. Cross-National Collaborative Group (1992). The changing rate of major depression. Journal of the American Medical Association, 268, 3098–3105. Crowell, J. A., & Waters, E. (1994). Bowlby’s theory grown up: The role of attachment in adult love relationships. Psychological Inquiry, 5, 1–22. Croy, I., Bojanowski, V., & Hummel, T. (2013). Men without a sense of smell exhibit a strongly reduced number of sexual relationships, women exhibit reduced partnership security: A reanalysis of previously published data. Biological Psychology, 92, 292–294. Croy, I., Negoias, S., Novakova, L., Landis, B. N., & Hummel, T. (2012). Learning about the functions of the olfactory system from people without a sense of smell. PLoS ONE, 7, e33365. https://doi. org/10.1371/journal.pone.0033365. Csikszentmihalyi, M. (1990). Flow: the psychology of optimal experience. New York: Harper & Row. A-1. Csikszentmihalyi, M. (1999). If we are so rich, why aren’t we happy? American Psychologist, 54, 821–827. Csikszentmihalyi, M., & Hunter, J. (2003). Happiness in everyday life: the uses of experience sampling. Journal of Happiness Studies, 4, 185–199. Csikszentmihalyi, M., & Larson, R. (1984). Being adolescent: conflict and growth in the teenage years (S. 211). New York: Basic Books. Cucchi, A., Ryan, D., Konstantakopoulos, G., Stroumpa, S., Kaçar, A. Ş., Renshaw, S., & Kravariti, E. (2016). Lifetime prevalence of non-suicidal self-injury in patients with eating disorders: a systematic review and meta-analysis. Psychological Medicine, 46, 1345–1358. Cuijpers, P. (2017). Four decades of outcome research on psychotherapies for adult depression: an overview of a series of meta-analyses. Canadian Psychology/Psychologie Canadienne, 58, 7–19. Cuijpers, P., Driessen, E., Hollon, S. D., van Oppen, P., Barth, J., & Andersson, G. (2012). The efficacy of non-directive supportive therapy for adult depression: a meta-analysis. Clinical Psychology Review, 32, 280–291. Cuijpers, P., van Straten, A., Schuurmans, J., van Oppen, P., Hollon, S. D., & Andersson, G. (2010). Psychotherapy for chronic major depression and dysthymia: a meta-analysis. Clinical Psychology Review, 30, 51–62. Culbert, K. M., Burt, S. A., McGue, M., Iacono, W. G., & Klump, K. L. (2009). Puberty and the genetic diathesis of disordered eating attitudes and behaviors. Journal of Abnormal Psychology, 118, 788–796. Culbert, K. M., Racine, S. E., & Klump, K. L. (2015). Research review: What we have learned about the causes of eating disorders—a
synthesis of sociocultural, psychological, and biological research. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 56, 1141–1164. Culverhouse, R. C., Bowes, L., Breslau, N., Nurnberger Jr., J. I., Burmeister, M., Fergusson, D. M., & Bierut, L. J. (2013). Protocol for a collaborative meta-analysis of 5-HTTLPR, stress, and depression. BMC Psychiatry, https://doi.org/10.1186/1471-244X-13-304 Cummins, R. A. (2006). Australian Unity Wellbeing Index: Survey 14.1 (S. 445). Melbourne: Australian Centre on Quality of Life, Deakin University. Cunningham, G. B., Ferreira, M., & Fink, J. S. (2009). Reactions to prejudicial statements: the influence of statement content and characteristics of the commenter. Group Dynamics: Theory, Research, and Practice, 13, 59–73. Cunningham, M. R., Roberts, A., Barbee, A. P., Druen, P. B., & Wu, C.-H. (2005). “Their ideas of beauty are, on the whole, the same as ours”: Consistency and variability in the cross-cultural perception of female physical attractiveness. Journal of Personality and Social Psychology, 68, 261–279. Cunningham, W. A., Johnson, M. K., Raye, C. L., Gatenby, J. C., Gore, J. C., & Banaji, M. R. (2004). Separable neural components in the processing of Black and White faces. Psychological Science, 15, 806–813. Curci, A., Lanciano, T., Mastandrea, S., & Sartori, G. (2015). Flashbulb memories of the Pope’s resignation: explicit and implicit measure across different religious groups. Memory, 23, 529–544. Currie, T. E., & Little, A. C. (2009). The relative importance of the face and body in judgments of human physical attractiveness. Evolution and Human Behavior, 30, 409–416. Curry, J., Silva, S., Rohde, P., Ginsburg, G., Kratochvil, C., Simons, A., & March, J. (2011). Recovery and recurrence following treatment for adolescent major depression. Archives of General Psychiatry, 68, 263–269. Curtis, R. C., & Miller, K. (1986). Believing another likes or dislikes you: behaviors making the beliefs come true. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 284–290. Custers, R., & Aarts, H. (2010). The unconscious will: How the pursuit of goals operates outside of conscious awareness. Science, 329, 47–50. Cyders, M. A., & Smith, G. T. (2008). Emotion-based dispositions to rash action: positive and negative urgency. Psychological Bulletin, 134, 807–828. Czarna, A. Z., Leifeld, P., Mieja, M., Dufner, M., & Salovey, P. (2016). Do narcissism and emotional intelligence win us friends? Modeling dynamics of peer popularity using inferential network analysis. Personality and Social Psychology Bulletin, 42, 1588–1599. Czeisler, C. A., Allan, J. S., Strogatz, S. H., Ronda, J. M., Sanchez, R., Rios, & Kronauer, R. E. (1986). Bright light resets the human circadian pacemaker independent of the timing of the sleep-wake cycle. Science, 233, 667–671. Czeisler, C. A., Duffy, J. F., Shanahan, T. L., Brown, E. N., Mitchell, J. F. R., & Kronauer, R. E. (1999). Stability, precision, and near24-hour period of the human circadian pacemaker. Science, 284, 2177–2181. Czeisler, C. A., Kronauer, R. E., Allan, J. S., & Duffy, J. F. (1989). Bright light induction of strong (Type O) resetting of the human circadian pacemaker. Science, 244, 1328–1333. Dabbs Jr., J. M., Bernieri, F. J., Strong, R. K., Campo, R., & Milun, R. (2001). Going on stage: testosterone in greetings and meetings. Journal of Research in Personality, 35, 27–40. Dai, H., Milkman, K. L., & Riis, J. (2014). The fresh start effect: temporal landmarks motivate aspirational behavior. Management Science, 60, 2563–2582. Daley, J. (2011). What you don’t know can kill you. Discover, discovermagazine.com. Dalton, P., & Fraenkel, N. (2012). Gorillas we have missed: sustained inattentional deafness for dynamic events. Cognition, 124, 364–367.
Literatur
Daly, M., Delaney, L., Egan, R. F., & Baumeister, R. F. (2015). Childhood self-control and unemployment throughout the life span: evidence from two British cohort studies. Psychological Science, 26, 709–723. Damasio, A. R. (2003). Looking for Spinoza: Joy, sorrow, and the feeling brain (S. 427). New York: Harcourt. Damasio, A. R. (2010). Self comes to mind: Constructing the conscious brain (S. 555). New York: Pantheon. Damian, R. I., & Roberts, B. W. (2015). The associations of birth order with personality and intelligence in a representative sample of U.S. high school students. Journal of Research in Personality, 58, 96–105. Damon, W., & Hart, D. (1982). The development of self-understanding from infancy through adolescence. Child Development, 53, 841–864. Damon, W., & Hart, D. (1988). Self-understanding in childhood and adolescence. “ (S. 188). Cambridge: Cambridge University Press. Damon, W., & Hart, D. (1992). Self-understanding and its role in social and moral development. In M. H. Bornstein & M. E. Lamb (Hrsg.), Developmental psychology: An advanced textbook (3. Aufl. S. 188). Hillsdale: Lawrence Erlbaum. Damon, W., Menon, J., & Bronk, K. (2003). The development of purpose during adolescence. Applied Developmental Science, 7, 119–128. Dana, J., Dawes, R., & Peterson, N. (2013). Belief in the unstructured interview: the persistence of an illusion. Judgment and Decision Making, 8, 512–520. Danelli, L., Cossu, G., Berlingeri, M., Bottini, G., Sberna, M., & Paulesu, E. (2013). Is a lone right hemisphere enough? Neurolinguistic architecture in a case with a very early left hemispherectomy. Neurocase, 19, 209–231. Danner, D. D., Snowdon, D. A., & Friesen, W. V. (2001). Positive emotions in early life and longevity: findings from the nun study. Journal of Personality and Social Psychology, 80, 804–813. Danso, H., & Esses, V. (2001). Black experimenters and the intellectual test performance of white participants: the tables are turned. Journal of Experimental Social Psychology, 37, 158–165. Danziger, S., & Ward, R. (2010). Language changes implicit associations between ethnic groups and evaluation in bilinguals. Psychological Science, 21, 799–800. Darby, M. M., Yolken, R. H., & Sabunciyan, S. (2016). Consistently altered expression of gene sets in postmortem brains of individuals with major psychiatric disorders. Translational Psychiatry, 6, e890. Darley, J. M. (2009). Morality in the law: the psychological foundations of citizens’ desires to punish transgressions. Annual Review of Law and Social Science, 5, 1–23. Darley, J. M., & Alter, A. (2013). Behavioral issues of punishment, retribution, and deterrence. In E. Shafir (Hrsg.), The behavioral foundations of public policy (S. 181–194). Princeton: Princeton University Press. Darley, J. M., & Latané, B. (1968a). Bystander intervention in emergencies: Diffusion of responsibility. Journal of Personality and Social Psychology, 8, 377–383. Darley, J. M., & Latané, B. (1968b). Psychology Today, 54–57, 70–71. Darrach, B., & Norris, J. (1984). An American tragedy. Life, 7, 58–74. Darwin, C. (1859). On the origin of species by means of natural selection (S. 139). London: John Murray. Darwin, C. (1872). The expression of the emotions in man and animals (S. 439). London: John Murray. Daum, I., & Schugens, M. M. (1996). On the cerebellum and classical conditioning. Psychological Science, 5, 58–61. Davey, G., & Rato, R. (2012). Subjective well-being in China: a review. Journal of Happiness Studies, 13, 333–346. Davey, G. C. L. (1992). Classical conditioning and the acquisition of human fears and phobias: a review and synthesis of the literature. Advances in Behavior Research and Therapy, 14, 29–66.
851
Davey, G. C. L. (1995). Preparedness and phobias: specific evolved associations or a generalized expectancy bias? Behavioral and Brain Sciences, 18, 289–297. Davidoff, J. (2004). Coloured thinking. The Psychologist, 17, 570–572. Davidson, R. J. (2000). Affective style, psychopathology, and resilience: brain mechanisms and plasticity. American Psychologist, 55, 1196–1209. Davidson, R. J., & Begley, S. (2012). The emotional life of your brain: How its unique patterns affect the way you think, feel, and live—and how you can change them (S. 427). New York: Hudson Street Press. Davidson, R. J., Kabat-Zinn, J., Schumacher, J., Rosenkranz, M., Muller, D., Santorelli, S. F., & Sheridan, J. F. (2003). Alterations in brain and immune function produced by mindfulness meditation. Psychosomatic Medicine, 65, 564–570. Davidson, R. J., Pizzagalli, D., Nitschke, J. B., & Putnam, K. (2002). Depression: perspectives from affective neuroscience. Annual Review of Psychology, 53, 545–574. Davidson, T. L., & Riley, A. L. (2015). Taste, sickness, and learning. American Scientist, 103, 204–211. Davies, P. (2007). Cosmic jackpot: why our universe is just right for life (S. 163). Boston: Houghton Mifflin. Davis, B. E., Moon, R. Y., Sachs, H. C., & Ottolini, M. C. (1998). Effects of sleep position on infant motor development. Pediatrics, 102, 1135–1140. Davis, D. E., Choe, E., Meyers, J., Wade, N., Varias, K., Gifford, A., & Worthington, E. L. (2016). Thankful for the little things: a metaanalysis of gratitude interventions. Journal of Counseling Psychology, 63, 20–31. Davis I V, H., Liotti, M., Ngan, E. T., Woodward, T. S., Van Sellenberg, J. X., van Anders, S. M., & Mayberg, H. S. (2008). FMRI BOLD signal changes in elite swimmers while viewing videos of personal failures. Brain Imaging and Behavior, 2, 94–104. Davis, J. O., & Phelps, J. A. (1995). Twins with schizophrenia: genes or germs? Schizophrenia Bulletin, 21, 13–18. Davis, J. O., Phelps, J. A., & Bracha, H. S. (1995). Prenatal development of monozygotic twins and concordance for schizophrenia. Schizophrenia Bulletin, 21, 357–366. Davis, J. P., Lander, K., & Jansari, A. (2013). I never forget a face. The Psychologist, 26, 726–729. Davis, K., Christodoulou, J., Seider, S., & Gardner, H. (2011). The theory of multiple intelligences. In R. J. Sternberg & S. B. Kaufman (Hrsg.), Cambridge handbook of intelligence (S. 361). Cambridge, New York: Cambridge University Press. Davis, M. (2005). Searching for a drug to extinguish fear. Cerebrum, 7, 47–58. Davison, K. P., Pennebaker, J. W., & Dickerson, S. S. (2000). Who talks? The social psychology of illness support groups. American Psychologist, 55, 205–217. Davison, S. L., & Davis, S. R. (2011). Androgenic hormones and aging—the link with female sexual function. Hormones and Behavior, 59, 745–753. Dawes, R. M. (1980). Social dilemmas. Annual Review of Psychology, 31, 169–193. Dawes, R. M. (1994). House of cards: psychology and psychotherapy built on myth (S. 555). New York: Free Press. Dawkins, L., Shahzad, F.-Z., Ahmed, S. S., & Edmonds, C. J. (2011). Expectation of having consumed caffeine can improve performance and mood. Appetite, 57, 597–600. Dawkins, R. (1998). Unweaving the rainbow (S. 163). Boston: Houghton Mifflin. Dawkins, R. (2007, July 1). Inferior design. The New York Times. nytimes.com de Boysson-Bardies, B., Halle, P., Sagart, L., & Durand, C. (1989). A cross linguistic investigation of vowel formats in babbling. Journal of Child Language, 16, 1–17.
852
Literatur
de Bruin, A., Barbara, T., & Sala, D. S. (2015a). Cognitive advantage in bilingualism: An example of publication bias? Psychological Science, 26, 99–107. de Bruin, A., Treccani, B., & Sala, D. S. (2015b). The connection is in the data: we should consider them all. Psychological Science, 26, 947–949. de Chastelaine, M., Mattson, J. T., Wang, T. H., Donley, B. E., & Rugg, M. D. (2016). The neural correlates of recollection and retrieval monitoring: Relationships with age and recollection performance. NeuroImage, 138, 164–175. de Courten-Myers, G. M. (2005). Personal correspondence (estimating total brain neurons, extrapolating from her carefully estimated 20 to 23 billion cortical neurons) (S. 74). De Dreu, C. K. W., Greer, L. L., Handgraaf, M. J. J., Shalvi, S., Van Kleef, G. A., Baas, M., & Feith, S. W. W. (2010). The neuropeptide oxytocin regulated parochial altruism in intergroup conflict among humans. Science, 328, 1409–1411. De Dreu, C. K. W., Nijstad, B. A., Baas, M., Wolsink, I., & Roskes, M. (2012). Working memory benefits creative insight, musical improvisation, and original ideation through maintained task-focused attention. Personality and Social Psychology Bulletin, 38, 656–669. De Gee, J., Knapen, T., & Donner, T. H. (2014). Decision-related pupil dilation reflects upcoming choice and individual bias. PNAS, 111, E618–E625. De Gelder, B. (2010). Uncanny sight in the blind. Scientific American, 302, 60–65. de Hoogh, A. H. B., den Hartog, D. N., Koopman, P. L., Thierry, H., van den Berg, P. T., van der Weide, J. G., & Wilderom, C. P. M. (2004). Charismatic leadership, environmental dynamism, and performance. European Journal of Work and Organisational Psychology, 13, 447–471. De Koninck, J. (2000). Waking experiences and dreaming. In M. Kryger, T. Roth & W. Dement (Hrsg.), Principles and practice of sleep medicine (3. Aufl. S. 107). Philadelphia: Saunders. de la Vega, A., Chang, L. J., Banich, M. T., Wager, T. D., & Yarkoni, T. (2016). Large-scale meta-analysis of human medial frontal cortex reveals tripartite functional organization. The Journal of Neuroscience, 36, 6553–6562. de Lange, M., Debets, L., Ruitenberg, K., & Holland, R. (2012). Making less of a mess: scent exposure as a tool for behavioral change. Social Influence, 7, 90–97. de Lau, L. M., & Breteler, M. M. (2006). Epidemiology of Parkinson’s disease. The Lancet Neurology, 5, 525–535. De Meyer, G., Shapiro, F., Vanderstichele, H., Vanmechelen, E., Engelborghs, S., De Deyn, P. P., & Trojanowski, J. Q. (2010). Diagnosisindependent Alzheimer disease biomarker signature in cognitively normal elderly people. Archives of Neurology, 67, 949–956. De Neve, J.-E., Diener, E., Tay, L., & Xuereb, C. (2013). The objective benefits of subjective well-being. In J. F. Helliwell, R. Layard & J. Sachs (Hrsg.), World happiness report 2013 (Bd. 2, S. 54–79). New York: UN Sustainable Network Development Solutions Network. De Neve, J., Christakis, N. A., Fowler, J. H., & Frey, B. S. (2012). Genes, economics, and happiness. Journal of Neuroscience, Psychology, and Economics, 5, 193–211. De Neve, K. M., & Cooper, H. (1998). The happy personality: A metaanalysis of 137 personality traits and subjective well-being. Psychological Bulletin, 124, 197–229. de Waal, F. (2016). Are we smart enough to know how smart animals are? (S. 342). New York: Norton. de Wit, L., Luppino, F., van Straten, A., Penninx, B., Zitman, F., & Cuijpers, P. (2010). Depression and obesity: A meta-analysis of community-based studies. Psychiatry Research, 178, 230–235. De Wolff, M. S., & van IJzendoorn, M. H. (1997). Sensitivity and attachment: A meta-analysis on parental antecedents of infant attachment. Child Development, 68, 571–591. Deal, G. Chinese parenting: Thanks, I’ll pass. The Wall Street Journal. blogs.wsj.com (Erstellt: 14. Jan. 2011).
Dean, G. (2012). Phrenology and the grand delusion of experience. Skeptical Inquirer, 36, 31–38. Deary, I. J. (2008). Why do intelligent people live longer? Nature, 456, 175–176. Deary, I. J. (2016). Intelligence over time. Quoted in APS Award Address (S. 15). Association for Psychological Science Observer, https:// www.psychologicalscience.org/observer Deary, I. J., Johnson, W., & Houlihan, L. M. (2009a). Genetic foundations of human intelligence. Human Genetics, 126, 215–232. Deary, I. J., Pattie, A., & Starr, J. M. (2013). The stability of intelligence from age 11 to age 90 years: the Lothian birth cohort of 1921. Psychological Science, 24, 2361–2368. Deary, I. J., & Ritchie, S. J. (2016). Processing speed differences between 70- and 83-year-olds matched on childhood IQ. Intelligence, 55, 28–33. Deary, I. J., Strand, S., Smith, P., & Fernandes, C. (2007). Intelligence and educational achievement. Intelligence, 35, 13–21. Deary, I. J., Thorpe, G., Wilson, V., Starr, J. M., & Whalley, L. J. (2003). Population sex differences in IQ at age 11: the Scottish mental survey 1932. Intelligence, 31, 533–541. Deary, I. J., Whalley, L. J., & Starr, J. M. (2009b). A lifetime of intelligence: follow-up studies of the scottish mental surveys of 1932 and 1947 (S. 370, 374). Washington, DC: American Psychological Association. Deary, I. J., Whiteman, M. C., Starr, J. M., Whalley, L. J., & Fox, H. C. (2004). The impact of childhood intelligence on later life: following up the Scottish mental surveys of 1932 and 1947. Journal of Personality and Social Psychology, 86, 130–147. Deary, I. J., Yang, J., Davies, G., Harris, S. E., Tenesa, A., Liewald, D., & Visscher, P. M. (2012). Genetic contributions to stability and change in intelligence from childhood to old age. Nature, 481, 212–215. DeBruine, L. M. (2002). Facial resemblance enhances trust. Proceedings of the Royal Society of London, 269, 1307–1312. DeBruine, L. M. (2004). Facial resemblance increases the attractiveness of same-sex faces more than other-sex faces. Proceedings of the Royal Society of London B, 271, 2085–2090. DeCasper, A. J., Lecanuet, J.-P., Busnel, M.-C., Granier-Deferre, C., & Maugeais, R. (1994). Fetal reactions to recurrent maternal speech. Infant Behavior and Development, 17, 159–164. DeCasper, A. J., & Spence, M. J. (1986). Prenatal maternal speech influences newborns’ perception of speech sounds. Infant Behavior and Development, 9, 133–150. Dechêne, A., Stahl, C., Hansen, J., & Wänke, M. (2010). The truth about the truth: a meta-analytic review of the truth effect. Personality and Social Psychology Review, 14, 238–257. Dechesne, M., Pyszczynski, T., Arndt, J., Ransom, S., Sheldon, K. M., van Knippenberg, A., & Janssen, J. (2003). Literal and symbolic immortality: The effect of evidence of literal immortality on selfesteem striving in response to mortality salience. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 722–737. Deci, E. L., & Ryan, R. M. (1985) Intrinsic motivation and self-determination in human behavior. Springer, New York Deci, E. L., Koestner, R., & Ryan, R. M. (1999). A meta-analytic review of experiments examining the effects of extrinsic rewards on intrinsic motivation. Psychological Bulletin, 125, 627–668. Deci, E. L., & Ryan, R. M. (2009). Self-determination theory: a consideration of human motivational universals. In P. J. Corr & G. Matthews (Hrsg.), The Cambridge handbook of personality psychology (S. 287, 418). New York: Cambridge University Press. Deci E. L., Ryan R. M. (2012) Motivation, personality, and development within embedded social contexts: An overview of self-determination theory. In: R.M. Ryan (Eds.) The Oxford handbook of human motivation. Oxford University Press, New York, S 85–107. Deeley, Q., Daly, E., Surguladze, S., Tunstall, N., Mezey, G., Beer, D., & Murphy, D. G. (2006). Facial emotion processing in criminal psychopathy. British Journal of Psychiatry, 189, 533–539.
Literatur
DeFina, R., & Hannon, L. (2015). The changing relationship between unemployment and suicide. Suicide and Life-Threatening Behavior, 45, 217–229. Dehaene, S. (2014). Consciousness and the brain: deciphering how the brain codes our thoughts (S. 174). New York: Viking. Dehne, K. L., & Riedner, G. (2005). Sexually transmitted infections among adolescents: the need for adequate health services (S. 405). Geneva: World Health Organization. DeLamater, J. (2012). Sexual expression in later life: a review and synthesis. Journal of Sex Research, 49, 125–141. DeLamater, J. D., & Sill, M. (2005). Sexual desire in later life. Journal of Sex Research, 42, 138–149. Delaney, H. D., Miller, W. R., & Bisonó, A. M. (2007). Religiosity and spirituality among psychologists: a survey of clinician members of the American psychological association. Professional Psychology: Research and Practice, 38, 538–546. Delaunay-El Allam, M., Soussignan, R., Patris, B., Marlier, L., & Schaal, B. (2010). Long-lasting memory for an odor acquired at the mother’s breast. Developmental Science, 13, 849–863. Delgado, J. M. R. (1969). Physical control of the mind: Toward a psychocivilized society (S. 75). New York: Harper & Row. DeLoache, J. S. (1987). Rapid change in the symbolic functioning of very young children. Science, 238, 1556–1557. DeLoache, J. S., Chiong, C., Sherman, K., Islam, N., Vanderborght, M., Troseth, G. L., & O’Doherty, K. (2010). Do babies learn from baby media? Psychological Science, 21, 1570–1574. DeLongis, A., Coyne, J. C., Dakof, G., Folkman, S., & Lazarus, R. S. (1982). Relationship of daily hassles, uplifts, and major life events to health status. Health Psychology, 1, 119–136. DeLongis, A., Folkman, S., & Lazarus, R. S. (1988). The impact of daily stress on health and mood: psychological and social resources as mediators. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 486–495. Dement, W. C. (1978). Some must watch while some must sleep (S. 97). New York: Norton. Dement, W. C. (1999). The promise of sleep (S. 95, 97, 98, 100, 102, 103). New York: Delacorte Press. Dement, W. C., & Wolpert, E. A. (1958). The relation of eye movements, body mobility, and external stimuli to dream content. Journal of Experimental Psychology, 55, 543–553. Demeter, E., & Woldorff, M. G. (2016). Transient distraction and attentional control during a sustained selective attention task. Journal of Cognitive Neuroscience, 28, 935–947. Deming, D. (2009). Early childhood intervention and life-cycle skill development: evidence from Head Start. American Economic Journal: Applied Economics, 1, 111–134. Demir, E., & Dickson, B. J. (2005). Fruitless splicing specifies male courtship behavior in Drosophila. Cell, 121, 785–794. Dempster, E., Viana, J., Pidsley, R., & Mill, J. (2013). Epigenetic studies of schizophrenia: progress, predicaments, and promises for the future. Schizophrenia Bulletin, 39, 11–16. Dennett, D. C. (1996, September 9). Quoted by Ian Parker, Richard Dawkins’ evolution. The New Yorker, 41–45. (10) Denny, B. T., Inhoff, M. C., Zerubavel, N., Davachi, L., & Ochsner, K. N. (2015). Getting over it: long-lasting effects of emotion regulation on amygdala response. Psychological Science, 26, 1377–1388. Denton, K., & Krebs, D. (1990). From the scene to the crime: the effect of alcohol and social context on moral judgment. Journal of Personality and Social Psychology, 59, 242–248. DePaulo, B. M., Blank, A. L., Swaim, G. W., & Hairfield, J. G. (1992). Expressiveness and expressive control. Personality and Social Psychology Bulletin, 18, 276–285. Depla, M. F. I. A., ten Have, M. L., van Balkom, A. J. L. M., & de Graaf, R. (2008). Specific fears and phobias in the general population: results from the Netherlands mental health survey and incidence study (NEMESIS). Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 43, 200–208.
853
Deputy, N. P., & Boehmer, U. (2014). Weight status and sexual orientation: differences by age and within racial and ethnic subgroups. American Journal of Public Health, 104, 103–109. Dermer, M., Cohen, S. J., Jacobsen, E., & Anderson, E. A. (1979). Evaluative judgments of aspects of life as a function of vicarious exposure to hedonic extremes. Journal of Personality and Social Psychology, 37, 247–260. Dermer, M., & Pyszczynski, T. A. (1978). Effects of erotica upon men’s loving and liking responses for women they love. Journal of Personality and Social Psychology, 36, 1302–1309. Desikan, R. S., Cabral, H. J., Hess, C. P., Dillon, W. P., Glastonbury, C. M., Weiner, M. W., & Fischl, B. (2009). Automated MRI measures identify individuals with mild cognitive impairment and Alzheimer’s disease. Brain, 132, 2048–2057. Desmurget, M., Reilly, K. T., Richard, N., Szathmari, A., Mottolese, C., & Sirigu, A. (2009). Movement intention after parietal cortex stimulation in humans. Science, 324, 811–813. DeSteno, D., Dasgupta, N., Bartlett, M. Y., & Cajdric, A. (2004). Prejudice from thin air: the effect of emotion on automatic intergroup attitudes. Psychological Science, 15, 319–324. DeSteno, D., Petty, R. E., Wegener, D. T., & Rucker, D. D. (2000). Beyond valence in the perception of likelihood: the role of emotion specificity. Journal of Personality and Social Psychology, 78, 397–416. Dettman, S. J., Pinder, D., Briggs, R. J. S., Dowell, R. C., & Leigh, J. R. (2007). Communication development in children who receive the cochlear implant younger than 12 months: Risk versus benefits. Ear and Hearing, 28(Suppl), 11S–18S. Deutsch, J. A. (1972, July). Brain reward: ESP and ecstasy. Psychology Today, 46–48. (71) DeValois, R. L., & DeValois, K. K. (1975). Neural coding of color. In E. C. Carterette & M. P. Friedman (Hrsg.), Seeing (Bd. V, S. 230). New York: Academic Press. Devilly, G. J. (2003). Eye movement desensitization and reprocessing: a chronology of its development and scientific standing. Scientific Review of Mental Health Practice, 1, 113–118. Dew, M. A., Hoch, C. C., Buysse, D. J., Monk, T. H., Begley, A. E., Houck, P. R., & Reynolds III, C. F. (2003). Healthy older adults’ sleep predicts all-cause mortality at 4 to 19 years of follow-up. Psychosomatic Medicine, 65, 63–73. DeWall, C. N., Lambert, N. M., Slotter, E. B., Pond Jr., R. S., Deckman, T., Finkel, E. J., & Fincham, F. D. (2011). So far away from one’s partner, yet so close to romantic alternatives: Avoidant attachment, interest in alternatives, and infidelity. Journal of Personality and Social Psychology, 101, 1302–1316. DeWall, C. N., MacDonald, G., Webster, G. D., Masten, C. L., Baumeister, R. F., Powell, C., & Eisenberger, N. I. (2010). Acetaminophen reduces social pain: Behavioral and neural evidence. Psychological Science, 21, 931–937. DeWall, C. N., & Pond Jr., R. S. (2011). Loneliness and smoking: the costs of the desire to reconnect. Self and Identity, 10, 375–385. DeWall, C. N., Pond Jr., R. S., Carter, E. C., McCullough, M. E., Lambert, N. M., Fincham, F. D., & Nezlek, J. B. (2014). Explaining the relationship between religiousness and substance use: Selfcontrol matters. Journal of Personality and Social Psychology, 107, 339–351. Dewar, M., Alber, J., Butler, C., Cowan, N., & Sala, S. D. (2012). Brief wakeful resting boosts new memories over the long term. Psychological Science, 23, 955–960. DeYoung, C. G., Hirsch, J. B., Shane, M. S., Papademetris, X., Rajeevan, N., & Gray, J. R. (2010). Testing predictions from personality neuroscience: Brain structure and the Big Five. Psychological Science, 21, 820–828. Di Tella, R., Haisken-De New, J., & MacCulloch, R. (2010). Happiness adaptation to income and to status in an individual panel. Journal of Economic Behavior & Organization, 76, 834–852.
854
Literatur
Di Tella, R., & MacCulloch, R. (2010). Happiness adaptation to income beyond “basic needs.”. In E. Diener, J. Helliwell & D. Kahneman (Hrsg.), International differences in well-being (S. 217–247). New York: Oxford University Press. Diaconis, P. (2002, August 11). Quoted by L. Belkin, The odds of that. The New York Times (nytimes.com). (24) Diaconis, P., & Mosteller, F. (1989). Methods for studying coincidences. Journal of the American Statistical Association, 84, 853–861. Diamond, L. M., & Rosky, C. J. (2016). Scrutinizing immutability: research on sexual orientation and U.S. legal advocacy for sexual minorities. Journal of Sex Research, 53, 363–391. Dias, B. G., & Ressler, K. J. (2014). Parental olfactory experience influences behavioral and neural structure in subsequent generations. Nature Neuroscience, 17, 89–96. Dias-Ferreira, E., Sousa, J. C., Melo, I., Morgado, P., Mesquita, A. R., Cerqueira, J. J., & Sousa, N. (2009). Chronic stress causes frontostriatal reorganization and affects decision-making. Science, 325, 621–625. Dick, D. M. (2007). Identification of genes influencing a spectrum of externalizing psychopathology. Current Directions in Psychological Science, 16, 331–335. Dickens, W. T., & Flynn, J. R. (2006). Black Americans reduce the racial IQ gap: Evidence from standardization samples. Psychological Science, 17, 913–920. Dickerson, S. S., Gable, S. L., Irwin, M. R., Aziz, N., & Kemeny, M. E. (2009). Social-evaluative threat and proinflammatory cytokine regulation: an experimental laboratory investigation. Psychological Science, 20, 1237–1243. Dickerson, S. S., & Kemeny, M. E. (2004). Acute stressors and cortisol responses: a theoretical integration and synthesis of laboratory research. Psychological Bulletin, 130, 355–391. Dickson, B. J. (2005, June 3). Quoted in E. Rosenthal, For fruit flies, gene shift tilts sex orientation. The New York Times (nytimes.com). (413) Dickson, N., van Roode, T., Cameron, C., & Paul, C. (2013). Stability and change in same-sex attraction, experience, and identity by sex and age in a New Zealand birth cohort. Archives of Sexual Behavior, 42, 753–763. Diener, E., & Biswas-Diener, R. (2008). Happiness: Unlocking the mysteries of psychological wealth (S. 445). Malden: Blackwell. Diener, E., & Chan, M. (2011). Happy people live longer: Subjective well-being contributes to health and longevity. Applied Psychology: Health and Well-Being, 3, 1–43. Diener, E., Nickerson, C., Lucas, R. E., & Sandvik, E. (2002). Dispositional affect and job outcomes. Social Indicators Research, 59, 229–259. Diener, E., & Oishi, S. (2000). Money and happiness: Income and subjective wellbeing across nations. In E. Diener & E. M. Suh (Hrsg.), Subjective well-being across cultures. Cambridge: MIT Press. Diener, E., Oishi, S., & Lucas, R. E. (2003). Personality, culture, and subjective well-being: emotional and cognitive evaluations of life. Annual Review of Psychology, 54, 403–425. Diener, E., Oishi, S., & Lucas, R. E. (2015). National accounts of subjective well-being. American Psychologist, 70, 234–242. Diener, E., Oishi, S., & Park, J. Y. (2014). An incomplete list of eminent psychologists of the modern era. Archives of Scientific Psychology, 21, 20–31. Diener, E., & Seligman, M. E. P. (2002). Very happy people. Psychological Science, 13, 81–84. Diener, E., & Tay, L. (2015). Subjective well-being and human welfare around the world as reflected in the Gallup world poll. International Journal of Psychology, 50, 135–149. Diener, E., Tay, L., & Myers, D. G. (2011). The religion paradox: If religion makes people happy, why are so many dropping out? Journal of Personality and Social Psychology, 101, 1278–1290.
Diener, E., Wolsic, B., & Fujita, F. (1995). Physical attractiveness and subjective well-being. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 120–129. DiFranza, J. R. (2008). Hooked from the first cigarette. Scientific American, 298, 82–87. Dijksterhuis, A., & Aarts, H. (2003). On wildebeests and humans: the preferential detection of negative stimuli. Psychological Science, 14, 14–18. Dijksterhuis, A., & Strick, M. (2016). A case for thinking without consciousness. Perspectives on Psychological Science, 11, 117–132. Dik, B. J., & Duffy, R. D. (2012). Make your job a calling: how the psychology of vocation can change your life at work. Conshohocken: Templeton Press. A-1 Dik, B. J., & Rottinghaus, P. J. (2013). Assessments of interests. In K. F. Geisinger & others (Hrsg.), APA handbook of testing and assessment in psychology Bd. 2. Washington, DC: APA. A-3. DiLalla, D. L., Carey, G., Gottesman, I. I., & Bouchard Jr., T. J. (1996). Heritability of MMPI personality indicators of psychopathology in twins reared apart. Journal of Abnormal Psychology, 105, 491– 499. Dimberg, U., Thunberg, M., & Elmehed, K. (2000). Unconscious facial reactions to emotional facial expressions. Psychological Science, 11, 86–89. Dimidjian, S., & Hollon, S. D. (2010). How would we know if psychotherapy were harmful? American Psychologist, 65, 21–33. Dinan, T. G., Stilling, R. M., Stanton, C., & Cryan, J. F. (2015). Collective unconscious: How gut microbes shape human behavior. Journal of Psychiatric Research, 63, 1–9. Dindia, K., & Allen, M. (1992). Sex differences in self-disclosure: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 112, 106–124. Ding, F., O’Donnell, J., Xu, Q., Kang, N., Goldman, N., & Nedergaard, M. (2016). Changes in the composition of brain interstitial ions control the sleep-wake cycle. Science, 352, 550–555. Dinges, N. G., & Hull, P. (1992). Personality, culture, and international studies. In D. Lieberman (Hrsg.), Revealing the world: an interdisciplinary reader for international studies (S. 354). Dubuque: Kendall-Hunt. Dingfelder, S. F. (2010). A second chance for the Mexican wolf. Monitor on Psychology, 41, 20–21. Dion, K. K., & Dion, K. L. (1993). Individualistic and collectivistic perspectives on gender and the cultural context of love and intimacy. Journal of Social Issues, 49, 53–69. Dirix, C. E. H., Nijhuis, J. G., Jongsma, H. W., & Hornstra, G. (2009). Aspects of fetal learning and memory. Child Development, 80, 1251–1258. DiSantis, K. I., Birch, L. L., Davey, A., Serrano, E. L., Zhang, J., Bruton, Y., & Fisher, J. O. (2013). Plate size and children’s appetite: effects of larger dishware on self-served portions and intake. Pediatrics, 131, e1451–e1458. Discover (1996). A fistful of risks, 82–83. (116) Ditre, J. W., Brandon, T. H., Zale, E. L., & Meagher, M. M. (2011). Pain, nicotine, and smoking: research findings and mechanistic considerations. Psychological Bulletin, 137, 1065–1093. Dixon, J., Durrheim, K., & Tredoux, C. (2007). Intergroup contact and attitudes toward the principle and practice of racial equality. Psychological Science, 18, 867–872. Dobbs, D. (2009). The post-traumatic stress trap. Scientific American, 300, 64–69. Dodge, K. A. (2009). Mechanisms of gene-environment interaction effects in the development of conduct disorder. Perspectives on Psychological Science, 4, 408–414. Dodge, K. A., Bai, Y., Ladd, H. F., & Muschkin, C. G. (2017). Impact of North Carolina’s early childhood programs and policies on educational outcomes in elementary school. Child Development, 88, 996–1014. Doherty, C., & Kiley, J. (2016). Key facts about partisanship and political animosity in America. Pew Research, 88, 494. pewresearch.org.
Literatur
Doherty, E. W., & Doherty, W. J. (1998). Smoke gets in your eyes: Cigarette smoking and divorce in a national sample of American adults. Families, Systems, and Health, 16, 393–400. Dohrenwend, B. P., Levav, I., Shrout, P. E., Schwartz, S., Naveh, G., Link, B. G., & Stueve, A. (1992). Socioeconomic status and psychiatric disorders: The causation-selection issue. Science, 255, 946–952. Dohrenwend, B. P., Pearlin, L., Clayton, P., Hamburg, B., Dohrenwend, B. P., Riley, M., & Rose, R. (1982). Report on stress and life events. In G. R. Elliott & C. Eisdorfer (Hrsg.), Stress and human health: analysis and implications of research (A study by the institute of medicine/national academy of sciences) (S. 452). New York: Springer. Doidge, N. (2007). The brain that changes itself (S. 81). New York: Viking. DOL Women in labor force. U.S. Department of Labor. dol.gov/wb/ stats/facts_over_time.htm (Erstellt: 4. März 2015). Dolezal, H. (1982). Living in a world transformed (S. 240). New York: Academic Press. Dolinoy, D. C., Huang, D., & Jirtle, R. L. (2007). Maternal nutrient supplementation counteracts bisphenol A-induced DNA hypomethylation in early development. PNAS, 104, 13056–13061. Domhoff, G. W. (1996). Finding meaning in dreams: a quantitative approach (S. 107). New York: Plenum. Domhoff, G. W. (2003). The scientific study of dreams: neural networks, cognitive development, and content analysis (S. 108, 109). Washington, DC: APA Books. Domhoff, G. W. (2007). Realistic simulations and bizarreness in dream content: Past findings and suggestions for future research. In D. Barrett & P. McNamara (Hrsg.), The new science of dreaming: Content, recall, and personality characteristics (S. 107). Westport: Praeger. Domhoff, G. W. (2010). The case for a cognitive theory of dreams. Unpublished manuscript: University of California at Santa Cruz. dreamresearch .net/Library/domhoff2010.html Domhoff, G. W. (2011). The neural substrate for dreaming: Is it a subsystem of the default network? Consciousness and Cognition, 20, 1163–1174. Domhoff, G. W. (2014). Personal communication (S. 110). Domjan, M. (1992). Adult learning and mate choice: possibilities and experimental evidence. American Zoologist, 32, 48–61. Domjan, M. (1994). Formulation of a behavior system for sexual conditioning. Psychonomic Bulletin & Review, 1, 421–428. Domjan, M. (2005). Pavlovian conditioning: a functional perspective. Annual Review of Psychology, 56, 179–206. Donnellan, M. B., Trzesniewski, K. H., Robins, R. W., Moffitt, T. E., & Caspi, A. (2005). Low self-esteem is related to aggression, antisocial behavior, and delinquency. Psychological Science, 16, 328–335. Donnelly, G. E., Ksendzova, M., Howell, R. T., Vohs, K. D., & Baumeister, R. F. (2016). Buying to blunt negative feelings: materialistic escape from the self. Review of General Psychology, 20, 272–316. Donnerstein, E. (1998). Why do we have those new ratings on television? (S. 292). National Institute on the Teaching of Psychology. https:// nitop.org/. Donnerstein, E. (2011). The media and aggression: from TV to the Internet. In J. Forgas, A. Kruglanski & K. Williams (Hrsg.), The psychology of social conflict and aggression (S. 292). New York: Psychology Press. Dorfman, P., Javidan, M., Hanges, P., Dastmalchian, A., & House, R. (2012). GLOBE: a twenty year journey into the intriguing world of culture and leadership. Journal of World Business, 47, 504–518. Dorner, G. (1976). Hormones and brain differentiation (S. 413). Amsterdam: Elsevier. Dorner, G. (1988). Neuroendocrine response to estrogen and brain differentiation in heterosexuals, homosexuals, and transsexuals. Archives of Sexual Behavior, 17, 57–75.
855
Doss, B. D., Rhoades, G. K., Stanley, S. M., & Markman, H. J. (2009). The effect of the transition to parenthood on relationship quality: an 8-year prospective study. Journal of Personality and Social Psychology, 96, 601–619. Dotan-Eliaz, O., Sommer, K. L., & Rubin, S. (2009). Multilingual groups: Effects of linguistic ostracism on felt rejection and anger, coworker attraction, perceived team potency, and creative performance. Basic and Applied Social Psychology, 31, 363–375. Doty, R. L. (2001). Olfaction. Annual Review of Psychology, 52, 423– 452. Douglas, K. S., Guy, L. S., & Hart, S. D. (2009). Psychosis as a risk factor for violence to others: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 135, 679–706. Dovidio, J. F., & Gaertner, S. L. (1999). Reducing prejudice: Combating intergroup biases. Current Directions in Psychological Science, 8, 101–105. Dovidio, J. F., ten Vergert, M., Stewart, T. L., Gaertner, S. L., Johnson, J. D., Esses, V. M., & Pearson, A. R. (2004). Perspective and prejudice: Antecedents and mediating mechanisms. Personality and Social Psychology Bulletin, 30, 1537–1549. Downing, P. E., Jiang, Y., & Shuman, M. (2001). A cortical area selective for visual processing of the human body. Science, 293, 2470–2473. Downs, E., & Smith, S. L. (2010). Keeping abreast of hypersexuality: a video game character content analysis. Sex Roles, 62, 721–733. Doyle, R. (2005). Gay and lesbian census (S. 28). Scientific American. https://www.scientificamerican.com/ Draganski, B., Gaser, C., Busch, V., Schuierer, G., Bogdahn, U., & May, A. (2004). Neuroplasticity: changes in grey matter induced by training. Nature, 427, 311–312. Draguns, J. G. (1990a). Normal and abnormal behavior in cross-cultural perspective: Specifying the nature of their relationship. Nebraska Symposium on Motivation 1989, 37, 235–277. Draguns, J. G. (1990b). Applications of cross-cultural psychology in the field of mental health. In R. W. Brislin (Hrsg.), Applied crosscultural psychology (S. 562). Newbury Park: SAGE. Draguns, J. G. (1997). Abnormal behavior patterns across cultures: Implications for counseling and psychotherapy. International Journal of Intercultural Relations, 21, 213–248. Drake, B., & Poushter, J. (2016). In views of diversity, many Europeans are less positive than Americans (S. 498). Pew Research Center, pewresearch.org Drake, R. A., & Myers, L. R. (2006). Visual attention, emotion, and action tendency: feeling active or passive. Cognition and Emotion, 20, 608–622. Dreger, A. (2011). Do gay men have more sexual interest in children than straight men do? psychologytoday.com/blog/fetishes-i-dontget/201102/do-gay-men-have-more-sexual-interest-in-childrenstraight-men-do Drescher, A., & Schultheiss, O. C. (2016). Meta-analytic evidence for higher implicit affiliation and intimacy motivation scores in women, compared to men. Journal of Research in Personality, 64, 1–10. Drew, L. J., Kheirbek, M. A., Luna, V. M., Denny, C. A., Cloidt, M. A., Wu, M. V., & Hen, R. (2016). Activation of location inhibitory circuits in the dentate gyrus by adult-born neurons. Hippocampus, 26, 763–778. Drew, T., Vō, M. L.-H., & Wolfe, J. M. (2013). Sustained inattentional blindness in expert observers. Psychological Science, 24, 1848–1853. Driessen, E., Cuijpers, P., de Maat, S. C. M., Abbas, A. A., de Jonghe, F., & Dekker, J. J. M. (2010). The efficacy of short-term psychodynamic psychotherapy for depression: a meta-analysis. Clinical Psychology Review, 30, 25–36. Driessen, E., Hollon, S. D., Bockting, C. L. H., Cuijpers, P., & Turner, E. H. (2015). Does publican bias inflate the apparent efficacy of psychological treatment for major depressive disorder? A systema-
856
Literatur
tic review and meta-analysis of U.S. National Institutes of Healthfunded trials. PLoS ONE, 10, e137864. Druckman, D., & Bjork, R. A. (1991). In the mind’s eye: enhancing human performance (S. 542). Washington, DC: National Academy Press. Drummond, S. (2010). Relationship between changes in sleep and memory in older adults. Presentation at AAAS 2010 Annual Meeting, University of California, San Diego. (S. 101). Drydakis, N. (2009). Sexual orientation discrimination in the labour market. Labour Economics, 16, 364–372. Duckworth, A. (2016). Grit: the power of passion and perseverance (S. 423). New York: Scribner. Duckworth, A. L., Gendler, T. S., & Gross, J. J. (2016). Situational strategies for self-control. Perspectives on Psychological Science, 11, 35–55. Duckworth, A. L., Quinn, P. D., Lynam, D. R., Loeber, R., & Stouthamer-Loeber, M. (2011). Role of test motivation in intelligence testing. PNAS, 108, 7716–7720. Duckworth, A. L., & Seligman, M. E. P. (2005). Discipline outdoes talent: Self-discipline predicts academic performance in adolescents. Psychological Science, 12, 939–944. Duckworth, A. L., & Seligman, M. E. P. (2006). Self-discipline gives girls the edge: gender in self-discipline, grades, and achievement tests. Journal of Educational Psychology, 98, 198–208. Duckworth, A. L., Tsukayama, E., & Kirby, T. A. (2013). Is it really self-control? Examining the predictive power of the delay of gratification task. Personality and Social Psychology Bulletin, 39, 843–855. Duclos, S. E., Laird, J. D., Sexter, M., Stern, L., & Van Lighten, O. (1989). Emotion-specific effects of facial expressions and postures on emotional experience. Journal of Personality and Social Psychology, 57, 100–108. Dugan, A. (2015). Men, women differ on morals of sex, relationships. Gallup Poll, gallup.com. Duggan, J. P., & Booth, D. A. (1986). Obesity, overeating, and rapid gastric emptying in rats with ventromedial hypothalamic lesions. Science, 231, 609–611. Duits, P., Cath, D. C., Lissek, S., Hox, J. J., Hamm, A. O., Engelhard, I. M., & Baas, J. M. P. (2015). Updated meta-analysis of classical fear conditioning in the anxiety disorders. Depression and Anxiety, 32, 239–253. Dumont, K. A., Widom, C. S., & Czaja, S. J. (2007). Predictors of resilience in abused and neglected children grown-up: the role of individual and neighborhood characteristics. Child Abuse & Neglect, 31, 255–274. Dunbar, R. I. M., Baron, R., Frangou, A., Pearce, E., van Leeuwin, E. J. C., Stow, J., & van Vugt, M. (2011). Social laughter is correlated with an elevated pain threshold. Proceedings of the Royal Society B, 279, 1161–1167. Dunlop, W. L., & Tracy, J. L. (2013). Sobering stories: narratives of self-redemption predict behavioral change and improved health among recovering alcoholics. Journal of Personality and Social Psychology, 104, 576–590. Dunn, E. W., Aknin, L. B., & Norton, M. I. (2008). Spending money on others promotes happiness. Science, 319, 1687–1688. Dunn, E. W., Aknin, L. B., & Norton, M. I. (2014). Pro-social spending and happiness: using money to benefit others pays off. Current Directions in Psychological Science, 13, 347–355. Dunn, E., & Norton, M. (2013). Happy money: the science of smarter spending (S. 519). New York: Simon & Schuster. Dunn, M., & Searle, R. (2010). Effect of manipulated prestige-car ownership on both sex attractiveness ratings. British Journal of Psychology, 101, 69–80. Dunning, D. (2006). Strangers to ourselves? The Psychologist, 19, 600–603.
Dunsmoor, J. E., Murty, V. P., Davachi, L., & Phelps, E. A. (2015). Emotional learning selectively and retroactively strengthens memories for related events. Nature, 520, 345–348. Dunson, D. B., Colombo, B., & Baird, D. D. (2002). Changes with age in the level and duration of fertility in the menstrual cycle. Human Reproduction, 17, 1399–1403. Dutton, D. G., & Aron, A. P. (1974). Some evidence for heightened sexual attraction under conditions of high anxiety. Journal of Personality and Social Psychology, 30, 510–517. Dutton, D. G., & Aron, A. P. (1989). Romantic attraction and generalized liking for others who are sources of conflict-based arousal. Canadian Journal of Behavioural Sciences, 21, 246–257. Dutton, K. (2012). The wisdom of psychopaths: what saints, spies, and serial killers can teach us about success (S. 602). New York: Scientific American/Farrar, Straus and Giroux. Dweck, C. S. (2006). Mindset: the new psychology of success (S. 381). New York: Random House. Dweck, C. S. (2012). Implicit theories. In: P.A.M. van Lange, A.W. Kruglanski, amp; E.T. Higgins (Eds.), Handbook of theories of social psychology, Bd. 2. SAGE, London:, S 43–61. Dweck, C. S. (2015a). The secret to raising smart kids. Scientific American, 381, scientificamerican.com. Dweck, C. S. (2015b). Carol Dweck revisits the “growth mindset.”. Education Week, edweek.org. Dweck, C. S. (2016). The remarkable reach of growth mindsets. Scientific American Mind, 27, 35–41. Dweck, C. S., & Leggett E. L. (1988) A social-cognitive approach to motivation and personality. Psychological Review, 95, 256–273. Dyrdal, G. M., & Lucas, R. E. (2011). Reaction and adaptation to the birth of a child: A couple level analysis. Unpublished manuscript, Michigan State University. (207) Eagen, K., Stolzenberg, E. B., Bates, A. K., Aragon, M. C., Suchard, M. R., & Rios-Aguilar, C. R. (2016). The American freshman: National norms 2015 (S. 445). Morrehall, Los Angeles: Los Angeles, Higher Education Research Institute, UCLA. Eagan, K., Stolzenberg, E. B., Ramirez, J. J., Aragon, M. C., Suchard, M. R., & Hurtado, S. (2014). The American freshman: National norms fall 2014 (S. 421). Los Angeles: UCLA Higher Education Research Institute. Eagleman, D. (2011). Secret life of the mind. Discover, 50–53. (93) Eagly, A. H. (2007). Female leadership advantage and disadvantage: resolving the contradictions. Psychology of Women Quarterly, 31, 1–12. Eagly, A. H. (2009). The his and hers of prosocial behavior: an examination of the social psychology of gender. American Psychologist, 64, 644–658. Eagly, A. H. (2013, March 20). Hybrid style works, and women are best at it. The New York Times (nytimes.com). (A-10) Eagly, A. H., Ashmore, R. D., Makhijani, M. G., & Kennedy, L. C. (1991). What is beautiful is good, but . . .: A meta-analytic review of research on the physical attractiveness stereotype. Psychological Bulletin, 110, 109–128. Eagly, A. H., & Carli, L. (2007). Through the labyrinth: The truth about how women become leaders (S. 154). Cambridge: Harvard University Press. Eagly, A. H., & Wood, W. (1999). The origins of sex differences in human behavior: Evolved dispositions versus social roles. American Psychologist, 54, 408–423. Eagly, A. H., & Wood, W. (2013). The nature-nurture debates: 25 years of challenges in understanding the psychology of gender. Perspectives on Psychological Science, 8, 340–357. Easterlin, R. A., Morgan, R., Switek, M., & Wang, F. (2012). China’s life satisfaction, 1990–2010. PNAS, 109, 9670–9671. Eastman, C. L., Boulos, Z., Terman, M., Campbell, S. S., Dijk, D.-J., & Lewy, A. J. (1995). Light treatment for sleep disorders: consensus report. VI. Shift work. Journal of Biological Rhythms, 10, 157–164.
Literatur
Eastman, C. L., Young, M. A., Fogg, L. F., Liu, L., & Meaden, P. M. (1998). Bright light treatment of winter depression: a placebo-controlled trial. Archives of General Psychiatry, 55, 883–889. Eastwick, P. W., & Finkel, E. J. (2008a). Speed-dating as a methodological innovation. The Psychologist, 21, 402–403. Eastwick, P. W., & Finkel, E. J. (2008b). Sex differences in mate preferences revisited: Do people know what they initially desire in a romantic partner? Journal of Personality and Social Psychology, 94, 245–264. Eastwick, P. W., Luchies, L. B., Finkel, E. J., & Hunt, L. L. (2014a). The many voices of Darwin’s descendants: reply to Schmitt (2014). Psychological Bulletin, 140, 673–681. Eastwick, P. W., Luchies, L. B., Finkel, E. J., & Hunt, L. L. (2014b). The predictive validity of ideal partner preferences: a review and meta-analysis. Psychological Bulletin, 140, 623–665. Ebbinghaus, H. (1964). Memory: A contribution to experimental psychology (S. 303, 317, 318). New York: Dover. H. A. Ruger & C. E. Bussenius, Trans. Eberhardt, J. L. (2005). Imaging race. American Psychologist, 60, 181–190. Eccles, J. S., Jacobs, J. E., & Harold, R. D. (1990). Gender role stereotypes, expectancy effects, and parents’ socialization of gender differences. Journal of Social Issues, 46, 183–201. Eckensberger, L. H. (1994). Moral development and its measurement across cultures. In W. J. Lonner & R. Malpass (Hrsg.), Psychology and culture (S. 195). Boston: Allyn & Bacon. Eckert, E. D., Heston, L. L., & Bouchard, T. J. Jr. (1981). MZ twins reared apart: Preliminary findings of psychiatric disturbances and traits. In L. Gedda, P. Paris & W. D. Nance (Hrsg.), Twin research: Vol. 3. Pt. B. Intelligence, personality, and development (S. 578). New York: Alan Liss. Eckholm, E. (2010, September 21). Woman on death row runs out of appeals. The New York Times (nytimes.com). (376) Ecklund-Flores, L. (1992). The infant as a model for the teaching of introductory psychology. Paper presented at the American Psychological Association annual convention. (S. 169). Economist (2001). An anthropology of happiness. The Economist, economist.com/world /asia. Eddy, K. T., Tabri, N., Thomas, J. J., Murray, H. B., Keshaviah, A., Hastings, E., & Franko, D. L. (2017). Recovery from anorexia nervosa and bulimia nervosa at 22-year follow-up. Journal of Clinical Psychiatry, 78, 184–189. Edelman, B., Luca, M., & Svirsky, D. (2017). Racial discrimination in the sharing economy: Evidence from a field experiment. American Economic Journal: Applied Economics, 9, 497. Edwards, A. C., & Kendler, K. S. (2012). A twin study of depression and nicotine dependence: shared liability or causal relationship? Journal of Affective Disorders, 142, 90–97. Edwards, L. A. (2014). A meta-analysis of imitation abilities in individuals with autism spectrum disorders. Autism Research, 7, 363–380. Edwards, R. R., Campbell, C., Jamison, R. N., & Wiech, K. (2009). The neurobiological underpinnings of coping with pain. Current Directions in Psychological Science, 18, 237–241. Egan, P. J., & Mullin, M. (2012). Turning personal experience into political attitudes: the effects of local weather on americans’ perceptions about global warming. Journal of Politics, 74, 796–809. Egeland, M., Zunszain, P. A., & Pariante, C. M. (2015). Molecular mechanisms in the regulation of adult neurogenesis during stress. Nature Reviews Neuroscience, 16, 189–200. Eibl-Eibesfeldt, I. (1971). Love and hate: the natural history of behavior patterns (S. 437). New York: Holt, Rinehart & Winston. Eich, E. (1990). Learning during sleep. In R. B. Bootzin, J. F. Kihlstrom & D. L. Schacter (Hrsg.), Sleep and cognition (S. 108). Washington, DC: American Psychological Association. Eichstaedt, J. C., Schwartz, H. A., Kern, M. L., Park, G., Labarthe, D. R., Merchant, R. M., & Seligman, M. E. P. (2015). Psycho-
857
logical language on Twitter predicts county-level heart disease mortality. Psychological Science, 26, 159–169. Ein-Dor, T., Mikulincer, M., Doron, G., & Shaver, P. R. (2010). The attachment paradox: How can so many of us (the insecure ones) have no adaptive advantages? Perspectives on Psychological Science, 5, 123–141. Ein-Dor, T., & Perry, A. (2012). Scared saviors: evidence that people high in attachment anxiety are more effective in alerting others to threat. European Journal of Social Psychology, 42, 667–671. Ein-Dor, T., & Perry, A. (2013). Full house of fears: evidence that people high in attachment anxiety are more accurate in detecting deceit. Journal of Personality, 82, 83–92. Einstein, G. O., & McDaniel, M. A. (1990). Normal aging and prospective memory. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 16, 717–726. Einstein, G. O., McDaniel, M. A., Richardson, S. L., Guynn, M. J., & Cunfer, A. R. (1995). Aging and prospective memory: examining the influences of self-initiated retrieval processes. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 21, 996–1007. Einstein, G. O., McDaniel, M. A., Smith, R. E., & Shaw, P. (1998). Habitual prospective memory and aging: remembering intentions and forgetting actions. Psychological Science, 9, 284–288. Eippert, F., Finsterbush, J., Bingel, U., & Bùchel, C. (2009). Direct evidence for spinal cord involvement in placebo analgesia. Science, 326, 404. Eisenberg, D., Hunt, Speer, & Zivin, K. (2011). Mental health service utilization among college students in the United States. The Journal of Nervous and Mental Disease, 199, 301–308. Eisenberg, N., & Lennon, R. (1983). Sex differences in empathy and related capacities. Psychological Bulletin, 94, 100–131. Eisenberger, N. I. (2015). Social pain and the brain: Controversies, questions, and where to go from here. Annual Review of Psychology, 66, 601–629. Eisenberger, N. I., Master, S. L., Inagaki, T. K., Taylor, S. E., Shirinyan, D., Lieberman, M. D., & Nalifoff, B. D. (2011). Attachment figures activate a safety signal-related neural region and reduce pain experience. PNAS, 108, 11721–11726. Eisenberger, R., & Aselage, J. (2009). Incremental effects of reward on experienced performance pressure: positive outcomes for intrinsic interest and creativity. Journal of Organizational Behavior, 30, 95–117. Ekman, P. (1994). Strong evidence for universals in facial expressions: a reply to Russell’s mistaken critique. Psychological Bulletin, 115, 268–287. Ekman, P. (2016). What scientists who study emotion agree about. Perspectives on Psychological Science, 11, 31–34. Ekman, P., & Friesen, W. V. (1971). Constants across cultures in the face and emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 17, 124–129. Ekman, P., & Friesen, W. V. (1976). Pictures of Facial Affect. Consulting Psychologist's Press: Palo Alto, CA Elbert, T., Pantev, C., Wienbruch, C., Rockstroh, B., & Taub, E. (1995). Increased cortical representation of the fingers of the left hand in string players. Science, 270, 305–307. Elbogen, E. B., Dennis, P. A., & Johnson, S. C. (2016). Beyond mental illness: targeting stronger and more direct pathways to violence. Clinical Psychological Science, 4, 747–759. Elfenbein, H. A., & Ambady, N. (2002). On the universality and cultural specificity of emotion recognition: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 128, 203–235. Elias, S., Lozano, J., & Bentley, J. (2016). How executive functioning, anxiety, and technology use impact university students’ course performance. Paper presented at the Western Psychological Association Convention. (S. 421). Elkind, D. (1970). The origins of religion in the child. Review of Religious Research, 12, 35–42.
858
Literatur
Elkind, D. (1978). The child’s reality: three developmental themes (S. 194). Hillsdale: Erlbaum. Elkins, G., Johnson, A., & Fisher, W. (2012). Cognitive hypnotherapy for pain management. American Journal of Clinical Hypnosis, 54, 294–310. Ellenbogen, J. M., Hu, P. T., Payne, J. D., Titone, D., & Walker, M. P. (2007). Human relational memory requires time and sleep. PNAS, 104, 7723–7728. Ellis, A., & Becker, I. M. (1982). A guide to personal happiness (S. 271). North Hollywood: Wilshire Book. Ellis, B. J., Bates, J. E., Dodge, K. A., Fergusson, D. M., John, H. L., Pettit, G. S., & Woodward, L. (2003). Does father absence place daughters at special risk for early sexual activity and teenage pregnancy? Child Development, 74, 801–821. Ellis, B. J., & Boyce, W. T. (2008). Biological sensitivity to context. Current Directions in Psychological Science, 17, 183–187. Ellis, B. J., Schlomer, G. L., Tilley, E. H., & Butler, E. A. (2012). Impact of fathers on risky sexual behavior in daughters: a genetically and environmentally controlled sibling study. Development and Psychopathology, 24, 317–332. Ellis, L., & Ames, M. A. (1987). Neurohormonal functioning and sexual orientation: a theory of homosexuality-heterosexuality. Psychological Bulletin, 101, 233–258. Ellison, K. (2015). A.D.H.D. rates rise around globe, but sympathy often lags. The New York Times (nytimes.com). Ellison-Wright, I., Glahn, D. C., Laird, A. R., Thelen, S. M., & Bullmore, E. (2008). The anatomy of first-episode and chronic schizophrenia: an anatomical likelihood estimation meta-analysis. American Journal of Psychiatry, 165, 1015–1023. Else-Quest, N. M., Hyde, J. S., & Linn, M. C. (2010). Cross-national patterns of gender differences in mathematics: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 136, 103–127. Elzinga, B. M., Ardon, A. M., Heijnis, M. K., De Ruiter, M. B., Van Dyck, R., & Veltman, D. J. (2007). Neural correlates of enhanced working-memory performance in dissociative disorder: a functional MRI study. Psychological Medicine, 37, 235–245. EMDR. (2011, February 18). E-mail correspondence from Robbie Dunton, EMDR Institute (emdr.org). Emerging Trends (1997). Teens turn more to parents than friends on whether to attend church (S. 199). Princeton: Princeton Religion Research Center. Emmons, S., Geisler, C., Kaplan, K. J., & Harrow, M. (1997). Living with schizophrenia (S. 561). Muncie: Taylor and Francis. Empson, J. A. C., & Clarke, P. R. F. (1970). Rapid eye movements and remembering. Nature, 227, 287–288. Endendijk, J. J., Beltz, A. M., McHale, S. M., Bryk, K., & Berenbaum, S. A. (2016). Linking prenatal androgens to gender-related attitudes, identity, and activities: Evidence from girls with congenital adrenal hyperplasia. Archives of Sexual Behavior, 45, 1807–1815. Endler, N. S. (1982). Holiday of darkness: a psychologist’s personal journey out of his depression (S. 587). New York: Wiley. Engen, T. (1987). Remembering odors and their names. American Scientist, 75, 497–503. Engle, R. W. (2002). Working memory capacity as executive attention. Current Directions in Psychological Science, 11, 19–23. English, T., Davis, J., Wei, M., & Gross, J. J. (2017). Homesickness and adjustment across the first year of college: a longitudinal study. Emotion, 17, 1–5. Epel, E. S. (2009). Telomeres in a life-span perspective: a new “psychobiomarker”? Current Directions in Psychological Science, 18, 6–9. Epel, E. S., Blackburn, E. H., Lin, J., Dhabhar, F. S., Adler, N. E., Morrow, J. D., & Cawthon, R. M. (2004). Accelerated telomere shortening in response to life stress. PNAS, 101, 17312–17315. Epley, N., & Dunning, D. (2000). Feeling “holier than thou”: Are selfserving assessments produced by errors in self- or social prediction? Journal of Personality and Social Psychology, 79, 861–875.
Epley, N., Keysar, B., Van Boven, L., & Gilovich, T. (2004). Perspective taking as egocentric anchoring and adjustment. Journal of Personality and Social Psychology, 87, 327–339. Epley, N., Savitsky, K., & Gilovich, T. (2002). Empathy neglect: Reconciling the spotlight effect and the correspondence bias. Journal of Personality and Social Psychology, 83, 300–312. Epstein, J., Stern, E., & Silbersweig, D. (1998). Mesolimbic activity associated with psychosis in schizophrenia: Symptom-specific PET studies. In J. F. McGinty (Hrsg.), Advancing from the ventral striatum to the extended amygdala: Implications for neuropsychiatry and drug use: In honor of Lennart Heimer. Annals of the New York Academy of Sciences, (Bd. 877, S. 562–574). Epstein, S. (1983a). Aggregation and beyond: Some basic issues on the prediction of behavior. Journal of Personality, 51, 360–392. Epstein, S. (1983b). The stability of behavior across time and situations. In R. Zucker, J. Aronoff & A. I. Rabin (Hrsg.), Personality and the prediction of behavior (S. 549). San Diego: Academic Press. Eranti, S. V., MacCabe, J. H., Bundy, H., & Murray, R. M. (2013). Gender difference in age at onset of schizophrenia: a meta-analysis. Psychological Medicine, 43, 155–167. Erdelyi, M. H. (1985). Psychoanalysis: Freud’s cognitive psychology (S. 536). New York: Freeman. Erdelyi, M. H. (1988). Repression, reconstruction, and defense: History and integration of the psychoanalytic and experimental frameworks. In J. Singer (Hrsg.), Repression: Defense mechanism and cognitive style (S. 536). Chicago: University of Chicago Press. Erdelyi, M. H. (2006). The unified theory of repression. Behavioral and Brain Sciences, 29, 499–551. Erel, O., & Burman, B. (1995). Interrelatedness of marital relations and parent-child relations: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 118, 108–132. Erickson, K. I. (2009). Aerobic fitness is associated with hippocampal volume in elderly humans. Hippocampus, 19, 1030–1039. Erickson, K. I., Banducci, S. E., Weinstein, A. M., MacDonald III, A. W., Ferrell, R. E., & Manuck, S. B. (2013). The brain-derived neurotrophic factor Val66met polymorphism moderates an effect of physical activity on working memory performance. Psychological Science, 24, 1770–1779. Erickson, L. C., & Thiessen, E. D. (2015). Statistical learning of language: theory, validity, and predictions of a statistical learning account of language acquisition. Developmental Review, 37, 66– 108. Erickson, M. F., & Aird, E. G. (2005). The motherhood study: fresh insights on mothers’ attitudes and concerns (S. 209). New York: The Motherhood Project, Institute for American Values. Ericsson, K. A. (2001). Attaining excellence through deliberate practice: Insights from the study of expert performance. In M. Ferrari (Hrsg.), The pursuit of excellence in education (S. 423). Hillsdale: Erlbaum. Ericsson, K. A. (2006). The influence of experience and deliberate practice on the development of superior expert performance. In K. A. Ericsson, N. Charness, P. J. Feltovich & R. R. Hoffman (Hrsg.), The Cambridge handbook of expertise and expert performance (S. 423). Cambridge: Cambridge University Press. Ericsson, K. A. (2007). Deliberate practice and the modifiability of body and mind: toward a science of the structure and acquisition of expert and elite performance. International Journal of Sport Psychology, 38, 4–34. Ericsson, K. A., & Pool, R. (2016). PEAK: secrets from the new science of expertise (S. 362). Boston: Houghton Mifflin. Ericsson, K. A., Roring, R. W., & Nandagopal, K. (2007). Giftedness and evidence for reproducibly superior performance: an account based on the expert performance framework. High Ability Studies, 18, 3–56. Erikson, E. H. (1963). Childhood and society (S. 196). New York: Norton.
Literatur
Erikson, E. H. (1983). A conversation with Erikson (by E. Hall). Psychology Today, 17, 22–30. Erlich, N., Lipp, O. V., & Slaughter, V. (2013). Of hissing snakes and angry voices: human infants are differentially responsive to evolutionary fear-relevant sounds. Developmental Science, 16, 894–904. Ermer, E., Cope, L. M., Nyalakanti, P. K., Calhoun, V. D., & Kiehl, K. A. (2012). Aberrant paralimbic gray matter in criminal psychopathy. Journal of Abnormal Psychology, 121, 649–658. Ermer, E., Kahn, R. E., Salovey, P., & Kiehl, K. A. (2012). Emotional intelligence in incarcerated men with psychopathic traits. Journal of Personality and Social Psychology, 103, 194–204. Ert, E., Yechiam, E., & Arshavsky, O. (2013). Smokers’ decision making: more than mere risk taking. PLoS ONE, 8, e68064. Ertmer, D. J., Young, N. M., & Nathani, S. (2007). Profiles of focal development in young cochlear implant recipients. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 50, 393–407. Escasa, M. J., Casey, J. F., & Gray, P. B. (2011). Salivary testosterone levels in men at a U.S. sex club. Archives of Sexual Behavior, 40, 921–926. Escobar-Chaves, S. L., Tortolero, S. R., Markham, C. M., Low, B. J., Eitel, P., & Thickstun, P. (2005). Impact of the media on adolescent sexual attitudes and behaviors. Pediatrics, 116, 303–326. Escobedo, J. R., & Adolphs, R. (2010). Becoming a better person: temporal remoteness biases autobiographical memories for moral events. Emotion, 10, 511–518. Esposito, G., Yoshida, S., Ohnishi, R., Tsuneoka, Y., Rostagno, M., Yokoto, S., & Kuroda, K. O. (2013). Infant calming responses during maternal carrying in humans and mice. Current Biology, 23, 739–745. Esser, J. K., & Lindoerfer, J. S. (1989). Groupthink and the space shuttle Challenger accident: toward a quantitative case analysis. Journal of Behavioral Decision Making, 2, 167–177. Esterson, A. (2001). The mythologizing of psychoanalytic history: Deception and self-deception in Freud’s accounts of the seduction theory episode. History of Psychiatry, 12, 329–352. Etkin, A., Büchel, C., & Gross, J. J. (2015). The neural bases of emotion regulation. Nature Reviews Neuroscience, 16, 693–700. Etkin, A., & Wager, T. D. (2007). Functional neuroimaging of anxiety: a meta-analysis of emotional processing in PTSD, social anxiety disorder, and specific phobia. American Journal of Psychiatry, 164, 1476–1488. Eurich, T. L., Krause, D. E., Cigularov, K., & Thornton III, G. C. (2009). Assessment centers: current practices in the United States. Journal of Business Psychology, 24, 387–407. Euston, D. R., Tatsuno, M., & McNaughton, B. L. (2007). Fast-forward playback of recent memory sequences in prefrontal cortex during sleep. Science, 318, 1147–1150. Evans, C. R., & Dion, K. L. (1991). Group cohesion and performance: a meta-analysis. Small Group Research, 22, 175–186. Evans, G. W., Palsane, M. N., & Carrere, S. (1987). Type A behavior and occupational stress: a cross-cultural study of blue-collar workers. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 1002–1007. Evans, J. S. B. T., & Stanovich, K. E. (2013). Dual-process theories of higher cognition: advancing the debate. Perspectives on Psychological Science, 8, 223–241. Evenson, K. R., Wen, F., & Herring, A. H. (2016). Associations of accelerometry-assessed and self-reported physical activity and sedentary behavior with all-cause and cardiovascular mortality among U.S. adults. American Journal of Epidemiology, 184, 621–632. Everett, J. A. C., Caviola, L., Kahane, G., Savulescu, J., & Faber, N. S. (2015). Doing good by doing nothing? The role of social norms in explaining default effects in altruistic contexts. European Journal of Social Psychology, 45, 230–241. Evers, A., Muñiz, J., Bartram, D., Boben, D., Egeland, J., FernándezHermida, J. R., & Urbánek, T. (2012). Testing practices in the 21st century: Developments and European psychologists’ opinions. European Psychologist, 17, 300–319.
859
Everson, S. A., Goldberg, D. E., Kaplan, G. A., Cohen, R. D., Pukkala, E., Tuomilehto, J., & Salonen, J. T. (1996). Hopelessness and risk of mortality and incidence of myocardial infarction and cancer. Psychosomatic Medicine, 58, 113–121. Exelmans, L., Custers, K., & Van den Bulck, J. (2015). Violent video games and delinquent behavior in adolescents: a risk factor perspective. Aggressive Behavior, 41, 267–279. Eysenck, H. J. (1952). The effects of psychotherapy: an evaluation. Journal of Consulting Psychology, 16, 319–324. Eysenck, H. J. (1990). An improvement on personality inventory. Current Contents: Social and Behavioral Sciences, 22, 20. Eysenck, H. J. (1992). Four ways five factors are not basic. Personality and Individual Differences, 13, 667–673. Eysenck, H. J., & Grossarth-Maticek, R. (1991). Creative novation behaviour therapy as a prophylactic treatment for cancer and coronary heart disease: Part II—Effects of treatment. Behaviour Research and Therapy, 29, 17–31. Eysenck, H. J., Wakefield Jr., J. A., & Friedman, A. F. (1983). Diagnosis and clinical assessment: the DSM-III. Annual Review of Psychology, 34, 167–193. Eysenck, S. B. G., & Eysenck, H. J. (1963). The validity of questionnaire and rating assessments of extraversion and neuroticism, and their factorial stability. British Journal of Psychology, 54, 51–62. Fabiano, G. A., Pelham Jr., W. E., Coles, E. K., Gnagy, E. M., Chronis-Tuscano, A., & O’Connor, B. C. (2008). A meta-analysis of behavioral treatments for attention-deficit/hyperactivity disorder. Clinical Psychology Review, 29, 129–140. Fabiansson, E. C., Denson, T. F., Moulds, M. L., Grisham, J. R., & Schira, M. M. (2012). Don’t look back in anger: neural correlates of reappraisal, analytical rumination, and angry rumination during a recall of an anger-inducing autobiographical memory. NeuroImage, 59, 2974–2981. Fagan, J. F., & Holland, C. R. (2007a). Equal opportunity and racial differences in IQ. Intelligence, 30, 361–387. Fagan, J. F., & Holland, C. R. (2007b). Racial equality in intelligence: Predictions from a theory of intelligence as processing. Intelligence, 35, 319–334. Fagan, J. F., & Holland, C. R. (2009). Culture-fair prediction of academic achievement. Intelligence, 37, 62–67. Fagundes, C. P., & Way, B. (2014). Early-life stress and adult inflammation. Current Directions in Psychological Science, 23, 277–283. Faheem, S., Petti, V., & Mellos, G. (2017). Disruptive mood dysregulation disorder and its effect on bipolar disorder. Annals of Clinical Psychiatry, 29(1), e1–e8. Fairbairn, C. E., & Sayette, M. A. (2014). A social-attributional analysis of alcohol response. Psychological Bulletin, 140, 1361–1382. Fairfield, H. (2012, February 4). Girls lead in science exam, but NOT in the United States. The New York Times (nytimes.com). Fales, M. R., Frederick, D. A., Garcia, J. R., Gildersleeve, K. A., Haselton, M. G., & Fisher, H. E. (2016). Mating markets and bargaining hands: Mate preferences for attractiveness and resources in two national US studies. Personality and Individual Differences, 88, 78–87. Falk, C. F., Heine, S. J., Yuki, M., & Takemura, K. (2009). Why do Westerners self-enhance more than East Asians? European Journal of Personality, 23, 183–203. Falk, E. B., Berkman, E. T., & Lieberman, M. D. (2012). From neural responses to population behavior: neural focus group predicts population-level media effects. Psychological Science, 23, 439–445. Falk, E. B., O’Donnell, M. B., Tompson, S., Gonzalez, R., Dal Cin, S., Strecher, V., & An, L. (2016). Functional brain imaging predicts public health campaign success. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 11, 204–214. Falk, R., Falk, R., & Ayton, P. (2009). Subjective patterns of randomness and choice: some consequences of collective responses. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 35, 203–224.
860
Literatur
Falkner, A. L., Grosenick, L., Davidson, T. J., Deisseroth, K., & Lin, D. (2016). Hypothalamic control of male aggression-seeking behavior. Nature Neuroscience, 19, 596–604. Fan, S. P., Liberman, Z., Keysar, B., & Kinzler, K. D. (2015). The exposure advantage: Early exposure to a multilingual environment promotes effective communication. Psychological Science, 26, 1090–1097. Fang, Z., Spaeth, A. M., Ma, N., Zhu, S., Hu, S., Goel, N., & Rao, H. (2015). Altered salience network connectivity predicts macronutrient intake after sleep deprivation. Scientific Reports, 5, Article 8215. https://doi.org/10.1038/srep08215. Fanti, K. A., Vanman, E., Henrich, C. C., & Avraamides, M. N. (2009). Desensitization to media violence over a short period of time. Aggressive Behavior, 35, 179–187. Farah, M. J., Rabinowitz, C., Quinn, G. E., & Liu, G. T. (2000). Early commitment of neural substrates for face recognition. Cognitive Neuropsychology, 17, 117–124. Farb, N. A. S., Anderson, A. K., Mayberg, H., Bean, J., McKeon, D., & Segal, Z. V. (2010). Minding one’s emotions: mindfulness training alters the neural expression of sadness. Emotion, 10, 25–33. Farina, A. (1982). The stigma of mental disorders. In A. G. Miller (Hrsg.), In the eye of the beholder (S. 563, 566). New York: Praeger. Farley, M., Baral, I., Kiremire, M., & Sezgin, U. (1998). Prostitution in five countries: violence and post-traumatic stress disorder. Feminism and Psychology, 8, 405–426. Farnia, V., Shakeri, J., Tatari, F., Juibari, T. A., Yazdchi, K., Bajoghli, H., & Aghaei, A. (2014). Randomized controlled trial of aripiprazole versus risperidone for the treatment of amphetamine-induced psychosis. The American Journal of Drug and Alcohol Abuse, 40, 10–15. Farrington, D. P. (1991). Antisocial personality from childhood to adulthood. The Psychologist: Bulletin of the British Psychological Society, 4, 389–394. Farsalinos, K. E., Kistler, K. A., Gillman, G., & Voudris, V. (2014). Evaluation of electronic cigarette liquids and aerosol for the presence of selected inhalation toxins. Nicotine and Tobacco Research, 17, 168–174. Farstad, S. M., McGeown, L. M., & von Ranson, K. M. (2016). Eating disorders and personality, 2004–2016: a systematic review and meta-analysis. Clinical Psychology Review, 46, 91–105. Fatemi, S. H., & Folsom, T. D. (2009). The neurodevelopmental hypothesis of schizophrenia, revisted. Schizophrenia Bulletin, 35, 528–548. Fattore, L. (2016). Synthetic cannabinoids—further evidence supporting the relationship between cannabinoids and psychosis. Biological Psychiatry, 79, 539–548. Fazel, S., & Grann, M. (2006). The population impact of severe mental illness on violent crime. American Journal of Psychiatry, 163, 1397–1403. Fazel, S., Langstrom, N., Hjern, A., Grann, M., & Lichtenstein, P. (2009). Schizophrenia, substance abuse, and violent crime. JAMA, 301, 2016–2023. Fazel, S., Lichtenstein, P., Grann, M., Goodwin, G. M., & Långström, N. (2010). Bipolar disorder and violent crime: new evidence from population-based longitudinal studies and systematic review. Archives of General Psychiatry, 67, 931–938. Fazio, L. K., Brashier, N. M., Payne, B. K., & Marsh, E. J. (2015). Knowledge does not protect against illusory truth. Journal of Experimental Psychology: General, 144, 993–1002. FBI (2016). Hate crime statistics. ucr.fbi.gov/hate-crime/2014 and ucr. fbi.gov/hate-crime/2015 Fedorenko, E., Scott, T. L., Brunner, P., Coon, W. G., Pritchett, B., Schalk, G., & Kanwisher, N. (2016). Neural correlate of the construction of sentence meaning. PNAS, 113, E6256–E6262. Feeney, D. M. (1987). Human rights and animal welfare. American Psychologist, 42, 593–599.
Feigenson, L., Carey, S., & Spelke, E. (2002). Infants’ discrimination of number vs. continuous extent. Cognitive Psychology, 44, 33–66. Feinberg, M., Willer, R., Antonenko, O., & John, O. P. (2012). Liberating reason from the passions: overriding intuitionist moral judgments through emotion reappraisal. Psychological Science, 23, 788–795. Feinberg, M., Willer, R., & Schultz, M. (2014). Gossip and ostracism promote cooperation in groups. Psychological Science, 25, 656–664. Feinberg, T. E., & Mallatt, J. (2016). The nature of primary consciousness: a new synthesis. Consciousness and Cognition, 43, 113–127. Feingold, A. (1992). Good-looking people are not what we think. Psychological Bulletin, 111, 304–341. Feingold, A., & Mazzella, R. (1998). Gender differences in body image are increasing. Psychological Science, 9, 190–195. Feinstein, J. S., Buzza, C., Hurlemann, R., Follmer, R. L., Dahdaleh, N. S., Coryell, W. H., & Wemmie, J. A. (2013). Fear and panic in humans with bilateral amygdala damage. Nature Neuroscience, 16, 270–272. Feinstein, J. S., Duff, M. C., & Tranel, D. (2010). Sustained experiences of emotion after loss of memory in patients with amnesia. PNAS, 107, 7674–7679. Feldman, M. B., & Meyer, I. H. (2010). Comorbidity and age of onset of eating disorders in gay men, lesbians, and bisexuals. Psychiatry Research, 180, 126–131. Feldman, R., Rosenthal, Z., & Eidelman, A. I. (2014). Maternal-preterm skin-to-skin contact enhances child physiologic organization and cognitive control across the first 10 years of life. Biological Psychiatry, 75, 56–64. Fellinger, J., Holzinger, D., Gerich, J., & Goldberg, D. (2007). Mental distress and quality of life in the hard of hearing. Acta Psychiatrica Scandinavica, 115, 243–245. Fenigstein, A. (2015). Milgram’s shock experiments and the Nazi perpetrators: a contrarian perspective on the role of obedience pressures during the holocaust. Theory and Psychology, 25, 581–598. Fenn, K. M., & Hambrick, D. Z. (2012). Individual differences in working memory capacity predict sleep-dependent memory consolidation. Journal of Experimental Psychology: General, 141, 404–410. Fenn, K. M., Shintel, H., Atkins, A. S., Skipper, J. I., Bond, V. C., & Nusbaum, H. C. (2011). When less is heard than meets the ear: change deafness in a telephone conversation. Quarterly Journal of Experimental Psychology, 64, 1442–1456. Fenton, W. S., & McGlashan, T. H. (1991). Natural history of schizophrenia subtypes: II. Positive and negative symptoms and longterm course. Archives of General Psychiatry, 48, 978–986. Fenton, W. S., & McGlashan, T. H. (1994). Antecedents, symptom progression, and long-term outcome of the deficit syndrome in schizophrenia. American Journal of Psychiatry, 151, 351–356. Ferguson, C. (2009). Not every child is secretly a genius. The Chronicle Review, chronicle.com. Ferguson, C. J. (2013a). Spanking, corporal punishment and negative long-term outcomes: a meta-analytic review of longitudinal studies. Clinical Psychology Review, 33, 196–208. Ferguson, C. J. (2013b). Violent video games and the Supreme Court: Lessons for the scientific community in the wake of Brown v. Entertainment Merchants Association. American Psychologist, 68, 57–74. Ferguson, C. J. (2014). Is video game violence bad? Psychologist, 27, 324–327. Ferguson, C. J. (2015). Do angry birds make for angry children? A meta-analysis of video game influences on children’s and adolescents’ aggression, mental health, prosocial behavior, and academic performance. Perspectives on Psychological Science, 10, 646–666. Ferguson, C. J., Winegard, B., & Winegard, B. M. (2011). Who is the fairest one of all? How evolution guides peer and media influences on female body dissatisfaction. Review of General Psychology, 15, 11–28.
Literatur
Ferguson, E. D. (1989). Adler’s motivational theory: an historical perspective on belonging and the fundamental human striving. Individual Psychology, 45, 354–361. Ferguson, E. D. (2001). Adler and Dreikurs: cognitive-social dynamic innovators. Journal of Individual Psychology, 57, 324–341. Ferguson, E. D. (2003). Social processes, personal goals, and their intertwining: their importance in Adlerian theory and practice. Journal of Individual Psychology, 59, 136–144. Ferguson, E. D. (2010). Editor’s notes: Adler’s innovative contributions regarding the need to belong. Journal of Individual Psychology, 66, 1–7. Ferguson, M. J., & Zayas, V. (2009). Automatic evaluation. Current Directions in Psychological Science, 18, 362–366. Fergusson, D. M., Boden, J. M., & Horwood, L. J. (2009). Tests of causal links between alcohol abuse or dependence and major depression. Archives of General Psychiatry, 66, 260–266. Fernández-Dols, J.-M., & Ruiz-Belda, M.-A. (1995). Are smiles a sign of happiness? Gold medal winners at the Olympic Games. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 1113–1119. Fernandez-Duque, E., Evans, J., Christian, C., & Hodges, S. D. (2015). Superfluous neuroscience information makes explanations of psychological phenomena more appealing. Journal of Cognitive Neuroscience, 27, 926–944. Fernbach, P. M., Rogers, T., Fox, C. R., & Sloman, S. A. (2013). Political extremism is supported by an illusion of understanding. Psychological Science, 24, 939–946. Fernie, G., Peeters, M., Gullo, M. J., Christianson, P., Cole, J. C., Sumnall, H., & Field, M. (2013). Multiple behavioral impulsivity tasks predict prospective alcohol involvement in adolescents. Addiction, 108, 1916–1923. Fernyhough, C. (2008). Getting Vygotskian about theory of mind: mediation, dialogue, and the development of social understanding. Developmental Review, 28, 225–262. Ferrari, A. J., Charlson, F. J., Norman, R. E., Patten, S. B., Freedman, G., Murray, C. J. L., & Whiteford, H. A. (2013). Burden of depressive disorders by country, sex, age, and year: Findings from the Global Burden of Disease Study 2010. PLoS Medicine, 10, e1001547. Ferri, M., Amato, L., & Davoli, M. (2006). Alcoholics Anonymous and other 12-step programmes for alcohol dependence. Cochrane Database of Systematic Reviews, 19(3), CD5032. Ferriman, K., Lubinski, D., & Benbow, C. P. (2009). Work preferences, life values, and personal views of top math/science graduate students and the profoundly gifted: Developmental changes and gender differences during emerging adulthood and parenthood. Journal of Personality and Social Psychology, 97, 517–522. Ferris, C. F. (1996). The rage of innocents. The Sciences, 36, 22–26. Festinger, L. (1957). A theory of cognitive dissonance (S. 482). Stanford: Stanford University Press. Festinger L., Schachter S., Back K. (1950) Social pressures in informal groups; a study of human factors in housing. Oxford:Harper Fetvadjiev, V. H., Meiring, D., van de Vijver, F. J., Nel, J. A., Sekaja, L., & Laher, S. (2017). Personality and behavior prediction and consistency across cultures: a multimethod study of blacks and whites in south africa. Journal of Personality and Social Psychology. https://doi.org/10.1037/pspp0000129. Fichter, M. M., & Quadflieg, N. (2016). Mortality in eating disorders— results of a large prospective clinical longitudinal study. International Journal of Eating Disorders, 49, 391–401. Fiedler, F. E. (1981). Leadership effectiveness. American Behavioral Scientist, 24, 619–632. Fiedler, F. E. (1987). When to lead, when to stand back. Psychology Today, 21, 26–27. Field, A. P. (2006). I don’t like it because it eats sprouts: conditioning preferences in children. Behaviour Research and Therapy, 44, 439– 455.
861
Field, A. P. (2006). Is conditioning a useful framework for understanding the development and treatment of phobias? Clinical Psychology Review, 26, 857–875. Field, T., Diego, M., & Hernandez-Reif, M. (2007). Massage therapy research. Developmental Review, 27, 75–89. Field, T., Hernandez-Reif, M., Feijo, L., & Freedman, J. (2006). Prenatal, perinatal and neonatal stimulation: a survey of neonatal nurseries. Infant Behavior & Development, 29, 24–31. Fielder, R. L., Walsh, J. L., Carey, K. B., & Carey, M. P. (2013). Predictors of sexual hookups: a theory-based, prospective study of firstyear college women. Archives of Sexual Behavior, 42, 1425–1441. Fields, R. D. (2004). The other half of the brain. Scientific American, 290, 54–61. Fields, R. D. (2005). Making memories stick. Scientific American, 292, 74–81. Fields, R. D. (2008). White matter matters. Scientific American, 298, 54–61. Fields, R. D. (2011). The hidden brain. Scientific American, 22, 52–59. Fields, R. D. (2013). Neuroscience: map the other brain. Nature, 501, 25–27. Fincham, F. D., & Bradbury, T. N. (1993). Marital satisfaction, depression, and attributions: a longitudinal analysis. Journal of Personality and Social Psychology, 64, 442–452. Finchilescu, G., & Tredoux, C. (Eds.) (2010). Intergroup relations in post apartheid South Africa: Change, and obstacles to change. Journal of Social Issues, 66, 223–236. Findlay, L. (2017). Depression and suicidal ideation among Canadians aged 15 to 24. Statistics Canada. statcan.gc.ca/pub/82003-x/2017001/article/14697-eng.htm Fine, C. (2010). From scanner to sound bite: Issues in interpreting and reporting sex differences in the brain. Current Directions in Psychological Science, 19, 280–283. Finer, L. B., & Philbin, J. M. (2014). Trends in ages at key reproductive transitions in the United States, 1951–2010. Women’s Health Issues, 24, e271–e279. Fingelkurts, A. A., & Fingelkurts, A. A. (2009). Is our brain hardwired to produce God, or is our brain hardwired to perceive God? A systematic review on the role of the brain in mediating religious experience. Cognitive Processes, 10, 293–326. Fingerman, K. L., & Charles, S. T. (2010). It takes two to tango: Why older people have the best relationships. Current Directions in Psychological Science, 19, 172–176. Fink, M. (2009). Electroconvulsive therapy: a guide for professionals and their patients (S. 639). New York: Oxford University Press. Finkel, E. J. (2017). The all-or-nothing marriage (S. 208). New York: Dutton. Finkel, E. J., DeWall, C. N., Slotter, E. B., McNulty, J. K., Pond Jr., R. S., & Atkins, D. C. (2012a). Using I3 theory to clarify when dispositional aggressiveness predicts intimate partner violence perpetration. Journal of Personality and Social Psychology, 102, 533–549. Finkel, E. J., & Eastwick, P. W. (2008). Speed-dating. Current Directions in Psychological Science, 17, 193–197. Finkel, E. J., & Eastwick, P. W. (2009). Arbitrary social norms influence sex differences in romantic selectivity. Psychological Science, 20, 1290–1295. Finkel, E. J., Eastwick, P. W., Karney, B. R., Reis, H. T., & Sprecher, S. (2012b). Dating in a digital world. Scientific American Mind, 23, 26–33. Finkenauer, C., Buyukcan-Tetik, A., Baumeister, R. F., Schoemaker, K., Bartels, M., & Vohs, K. D. (2015). Out of control: Identifying the role of self-control strength in family violence. Current Directions in Psychological Science, 24, 261–266. Finlay, S. W. (2000). Influence of Carl Jung and William James on the origin of alcoholics anonymous. Review of General Psychology, 4, 3–12.
862
Literatur
Fiore, M. C., Jaén, C. R., Baker, T. B., Bailey, W. C., Benowitz, N. L., Curry, S. J., & Wewers, M. E. (2008). Treating tobacco use and dependence: 2008 update. Clinical practice guideline (S. 117). Rockville: U.S. Department of Health and Human Services, Public Health Service. Fischer, A., & LaFrance, M. (2015). What drives the smile and the tear: Why women are more emotionally expressive than men. Emotion Review, 7, 22–29. Fischer, C., Baker, R., Li, Q., Orona, G. A., & Warschauer, M. (2022) Increasing Success in Higher Education: The Relationships of Online Course Taking With College Completion and Time-to-Degree. Educational Evaluation and Policy Analysis, 44, 355–379. Fischer, P., & Greitemeyer, T. (2006). Music and aggression: The impact of sexual-aggressive song lyrics on aggression-related thoughts, emotions, and behavior toward the same and the opposite sex. Personality and Social Psychology Bulletin, 32, 1165–1176. Fischer, P., Greitemeyer, T., Kastenmüller, A., Vogrincic, C., & Sauer, A. (2011). The effects of risk-glorifying media exposure on risk-positive cognitions, emotions, and behaviors: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 137, 367–390. Fischer, R., & Boer, D. (2011). What is more important for national well-being: money or autonomy? A meta-analysis of well-being, burnout, and anxiety across 63 societies. Journal of Personality and Social Psychology, 101, 164–184. Fischetti, M. (2014). Sleeping through high school. Scientific American, 311, 27. Fischhoff, B. (1982). Debiasing. In D. Kahneman, P. Slovic & A. Tversky (Hrsg.), Judgment under uncertainty: heuristics and biases (S. 336). New York: Cambridge University Press. Fischhoff, B., Slovic, P., & Lichtenstein, S. (1977). Knowing with certainty: the appropriateness of extreme confidence. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 3, 552–564. Fishbach, A., Dhar, R., & Zhang, Y. (2006). Subgoals as substitutes or complements: the role of goal accessibility. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 232–242. Fisher, G., & Rangel, A. (2014). Symmetry in cold-to-hot and hot-tocold valuation gaps. Psychological Science, 25, 120–127. Fisher, H. E. (1993). After all, maybe it’s biology. Psychology Today, 26, 40–45. Fisher, H. T. (1984). Little Albert and Little Peter. Bulletin of the British Psychological Society, 37, 269. Fitzgerald, R. J., & Price, H. L. (2015). Eyewitness identification across the life span: a meta-analysis of age differences. Psychological Bulletin, 141, 1228–1265. Flack, W. F. (2006). Peripheral feedback effects of facial expressions, bodily postures, and vocal expressions on emotional feelings. Cognition and Emotion, 20, 177–195. Flaherty, D. K. (2011). The vaccine-autism connection: a public health crisis caused by unethical medical practices and fraudulent science. Annals of Pharmacotherapy, 45, 1302–1304. Flegal, K. M., Carroll, M. D., Kit, B. K., & Ogden, C. L. (2012). Prevalence of obesity and trends in the distribution of body mass index among US adults, 1999–2010. JAMA, 307, 491. Flegal, K. M., Carroll, M. D., Ogden, C. L., & Curtin, L. R. (2010). Prevalence and trends in obesity among US adults, 1999–2008. JAMA, 303, 235–241. Flegal, K. M., Kruszon-Moran, D., Carroll, M. D., Fryar, C. D., & Ogden, C. L. (2016). Trends in obesity among adults in the United States, 2005 to 2014. JAMA, 315, 2284–2291. Fleischman, D. A., Yang, J., Arfanakis, K., Avanitakis, Z., Leurgans, S. E., Turner, A. D., & Buchman, A. S. (2015). Physical activity, motor function, and white matter hyperintensity burden in healthy older adults. Neurology, 84, 1294–1300. Fleming, I., Baum, A., & Weiss, L. (1987). Social density and perceived control as mediator of crowding stress in high-density residential
neighborhoods. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 899–906. Fleming, J. H., & Scott, B. A. (1991). The costs of confession: the Persian Gulf War POW tapes in historical and theoretical perspective. Contemporary Social Psychology, 15, 127–138. Fletcher, G. J. O., Fitness, J., & Blampied, N. M. (1990). The link between attributions and happiness in close relationships: the roles of depression and explanatory style. Journal of Social and Clinical Psychology, 9, 243–255. Flinker, A., Korzeniewska, A., Shestyuk, A. Y., Franaszczuk, P. J., Dronkers, N. F., Knight, R. T., & Crone, N. E. (2015). Redefining the role of Broca’s area in speech. PNAS, 112, 2871–2875. Flora, S. R. (2004). The power of reinforcement (S. 280). Albany: SUNY Press. Flora, S. R., & Bobby, S. E. (2008). The bipolar bamboozle. Skeptical Inquirer, 32, 41–45. Flores, A. R., Herman, J. L., Gates, G. J., & Brown, T. N. T. (2016). How many adults identify as transgender in the United States? (S. 161). Los Angeles: Williams Institute. Floud, R., Fogel, R. W., Harris, B., & Hong, S. C. (2011). The changing body: Health, nutrition, and human development in the western world since 1700 (S. 134). New York: Cambridge University Press. Flouri, E., & Buchanan, A. (2004). Early father’s and mother’s involvement and child’s later educational outcomes. British Journal of Educational Psychology, 74, 141–153. Flueckiger, L., Lieb, R., Meyer, A., Witthauer, C., & Mata, J. (2016). The importance of physical activity and sleep for affect on stressful days: Two intensive longitudinal studies. Emotion, 16, 488–497. Flynn, J. R. (1987). Massive IQ gains in 14 nations: what IQ tests really measure. Psychological Bulletin, 101, 171–191. Flynn, J. R. (2009). Requiem for nutrition as the cause of IQ gains: Raven’s gains in Britain 1938–2008. Economics and Human Biology, 7, 18–27. Flynn, J. R. (2012). Are we getting smarter? Rising IQ in the twentyfirst century (S. 369, 384). Cambridge: Cambridge University Press. Foa, E. B., & Kozak, M. J. (1986). Emotional processing of fear: exposure to corrective information. Psychological Bulletin, 99, 20–35. Foa, E. B., & McLean, C. P. (2016). The efficacy of exposure therapy for anxiety-related disorders and its underlying mechanisms: the case of OCD and PTSD. Annual Review of Clinical Psychology, 12, 1–28. Fodor, J. D. (1999). Let your brain alone. London Review of Books, 21, 64. lrb.co.uk. Foer, J. (2011a). Moonwalking with Einstein: the art and science of remembering everything (S. 303). New York: Penguin. Foer, J. (2011b, February 20). Secrets of a mind-gamer. The New York Times (nytimes.com). Foley, M. A. (2015). Setting the records straight: Impossible memories and the persistence of their phenomenological qualities. Review of General Psychology, 19, 230–248. Foley, R. T., Whitwell, R. L., & Goodale, M. A. (2015). The twovisual-systems hypothesis and the perspectival features of visual experience. Consciousness and Cognition, 35, 225–233. Fong, C. J., Zaleski, D. J., & Leach, J. K. (2015). The challenge–skill balance and antecedents of flow: a meta-analytic investigation. Journal of Positive Psychology, 10, 425–446. Fong, K., & Mar, R. A. (2015). What does my avatar say about me? Inferring personality from avatars. Personality and Social Psychology Bulletin, 41, 237–249. Ford, E. S. (2002). Does exercise reduce inflammation? Physical activity and B-reactive protein among U.S. adults. Epidemiology, 13, 561–569. Ford, M. T., Cerasoli, C. P., Higgins, J. A., & Deccesare, A. L. (2011). Relationships between psychological, physical, and behavioural health and work performance: A review and meta-analysis. Work & Stress, 25, 185–204.
Literatur
Foree, D. D., & LoLordo, V. M. (1973). Attention in the pigeon: differential effects of food-getting versus shock-avoidance procedures. Journal of Comparative and Physiological Psychology, 85, 551–558. Forest, A., & Wood, J. (2012). When social networking is not working: Individuals with low self-esteem recognize but do not reap the benefits of self-disclosure on Facebook. Psychological Science, 23, 295–302. Forest, A. L., Kille, D. R., Wood, J. V., & Stehouwer, L. R. (2015). Turbulent times, rocky relationships: Relational consequences of experiencing physical instability. Psychological Science, 26, 1261–1271. Forgas, J. P. (2008). Affect and cognition. Perspectives on Psychological Science, 3, 94–101. Forgas, J. P. (2009). Think negative! Australian Science, 10, 14–17. Forgas, J. P. (2013). Don’t worry, be sad! On the cognitive, motivational, and interpersonal benefits of negative mood. Current Directions in Psychological Science, 22, 225–232. Forgas, J. P., Bower, G. H., & Krantz, S. E. (1984). The influence of mood on perceptions of social interactions. Journal of Experimental Social Psychology, 20, 497–513. Forman, D. R., Aksan, N., & Kochanska, G. (2004). Toddlers’ responsive imitation predicts preschool-age conscience. Psychological Science, 15, 699–704. Forsyth, D. R., Lawrence, N. K., Burnette, J. L., & Baumeister, R. F. (2007). Attempting to improve academic performance of struggling college students by bolstering their self-esteem: An intervention that backfired. Journal of Social and Clinical Psychology, 26, 447–459. Foss, D. J., & Hakes, D. T. (1978). Psycholinguistics: an introduction to the psychology of language (S. 535). Englewood Cliffs: PrenticeHall. Foster, E., Wildner, H., Tudeau, L., Haueter, S., Ralvenius, W., Jegen, M., & Zeilhofer, H. (2015). Targeted ablation, silencing, and activation establish glycinergic dorsal horn neurons as key components of a spinal gate for pain and itch. Neuron, 85, 1289–1304. Foster, J. (2011). Our deadly anorexic pact. The Daily Mail. dailymail. co.uk/femail/article-2004003/Anorexia-pact-Identical-twins-compete-disturbing-way.html Fothergill, E., Guo, J., Howard, L., Kerns, J. C., Knuth, J. D., Brychta, R., & Hall, K. D. K. (2016). Persistent metabolic adaptation 6 years after “The Biggest Loser” competition. Obesity, 24, 1612–1619. Foubert, J. D., Brosi, M. W., & Bannon, R. S. (2011). Pornography viewing among fraternity men: effects on bystander intervention, rape myth acceptance, and behavioral intent to commit sexual assault. Sexual Addiction & Compulsivity, 18, 212–231. Foulkes, D. (1999). Children’s dreaming and the development of consciousness (S. 109). Cambridge: Harvard University Press. Fournier, J. C., DeRubeis, R. J., Hollon, S. D., Dimidjian, S., Amsterdam, J. D., Shelton, R. C., & Fawcett, J. (2010). Antidepressant drug effects and depression severity: a patient-level meta-analysis. Journal of the American Medical Association, 303, 47–53. Fouts, R. S. (1992). Transmission of a human gestural language in a chimpanzee mother-infant relationship. Friends of Washoe, 12/13, 2–8. Fouts, R. S. (1997). Next of kin: What chimpanzees have taught me about who we are (S. 352). New York: Morrow. Fowles, D. C. (1992). Schizophrenia: diathesis-stress revisited. Annual Review of Psychology, 43, 303–336. Fowles, D. C., & Dindo, L. (2009). Temperament and psychopathy: A dual-pathway model. Current Directions in Psychological Science, 18, 179–183. Fox, A. S., Oler, J. A., Shackman, A. J., Shelton, S. E., Raveendran, M., McKay, D. R., & Rogers, J. (2015). Intergenerational neural mediators of early-life anxious temperament. Proceedings of the National Academy of Sciences, 112, 9118–9122. Fox, C. R., & Tannenbaum, D. (2015, September 26). The curious politics of the “nudge.” The New York Times (nytimes.com). Fox, D. (2010). The insanity virus. Discover, 5, 58–62.
863
Fox, K. C. R., Nijeboer, S., Solomonova, E., Domhoff, G. W., & Christoff, K. (2013). Dreaming as mind wandering: Evidence from functional neuroimaging and first-person content reports. Frontiers in Human Neuroscience, 7, 110. https://doi.org/10.3389/ fnhum.2013.00412. Fox, K. R., Franklin, J. C., Ribeiro, J. D., Kleiman, E. M., Bentley, K. H., & Nock, M. K. (2015) Meta-analysis of risk factors for nonsuicidal self-injury. Clinical Psychology Review, 42, 156–167. Fox, M. L., Dwyer, D. J., & Ganster, D. C. (1993). Effects of stressful job demands and control on physiological and attitudinal outcomes in a hospital setting. Academy of Management Journal, 36, 289–318. Fox, N. A., Bakermans-Kranenburg, M., Yoo, K. H., Bowman, L. C., Cannon, E. N., Vanderwert, R. E., & van IJzendoorn, M. H. (2016). Assessing human mirror activity with EEG mu rhythm: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 142, 291–313. Fozard, J. L., & Popkin, S. J. (1978). Optimizing adult development: Ends and means of an applied psychology of aging. American Psychologist, 33, 975–989. Fraley, R. C., Roisman, G. I., Booth-LaForce, C., Owen, M. T., & Holland, A. S. (2013). Interpersonal and genetic origins of adult attachment styles: A longitudinal study from infancy to early adulthood. Journal of Personality and Social Psychology, 104, 817–838. Fraley, R. C., & Tancredy, C. M. (2012). Twin and sibling attachment in a nationally representative sample. Personality and Social Psychology Bulletin, 38, 308–316. Fraley, R. C., Vicary, A. M., Brumbaugh, C. C., & Roisman, G. I. (2011). Patterns of stability in adult attachment: an empirical test of two models of continuity and change. Journal of Personality and Social Psychology, 101, 974–992. Frances, A. J. (2012). DSM-5 is guide, not Bible—Ignore its ten worst changes. Psychology Today, psychologytoday.com/blog/dsm5-indistress/201212/dsm-5-is-guide-not-bible-ignore-its-ten-worstchanges Frances, A. J. (2013). Saving normal: An insider’s revolt against out-ofcontrol psychiatric diagnosis, DSM-5, Big Pharma, and the medicalization of ordinary life (S. 566). New York: HarperCollins. Frances, A. J. (2014). No child left undiagnosed. Psychology Today, https://www.psychologytoday.com/intl. Frank, J. D. (1982). Therapeutic components shared by all psychotherapies. In J. H. Harvey & M. M. Parks (Hrsg.), Psychotherapy research and behavior change. The master lecture series, (Bd. 1, S. 631, 632). Washington, DC: American Psychological Association. Frankel, A., Strange, D. R., & Schoonover, R. (1983). CRAP: Consumer rated assessment procedure. In G. H. Scherr & R. LiebmannSmith (Hrsg.), The best of the journal of Irreproducible results (S. 545). New York: Workman Publishing. Frankenburg, W., Dodds, J., Archer, P., Shapiro, H., & Bresnick, B. (1992). The Denver II: A major revision and restandardization of the Denver Developmental Screening Test. Pediatrics, 89, 91–97. Frankl, V. E. (1962). Man’s search for meaning: an introduction to logotherapy (S. 393). Boston: Beacon Press. Franklin, J. C., Ribeiro, J. D., Fox, K. R., Bentley, K. H., Kleiman, E. M., Huang, X., & Nock, M. K. (2017). Risk factors for suicidal thoughts and behaviors: A meta-analysis of 50 years of research. Psychological Bulletin, 143, 187–232. Franklin, M., & Foa, E. B. (2011). Treatment of obsessive-compulsive disorder. Annual Review of Clinical Psychology, 7, 229–243. Franz, E. A., Waldie, K. E., & Smith, M. J. (2000). The effect of callosotomy on novel versus familiar bimanual actions: a neural dissociation between controlled and automatic processes? Psychological Science, 11, 82–85. Fraser, M. A., Shaw, M. E., & Cherubin, N. (2015). A systematic review and meta-analysis of longitudinal hippocampal atrophy in healthy human ageing. NeuroImage, 112, 364–374. Frassanito, P., & Pettorini, B. (2008). Pink and blue: the color of gender. Child’s Nervous System, 24, 881–882.
864
Literatur
Frasure-Smith, N., & Lesperance, F. (2005). Depression and coronary heart disease: complex synergism of mind, body, and environment. Current Directions in Psychological Science, 14, 39–43. Frattaroli, J. (2006). Experimental disclosure and its moderators: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 132, 823–865. Frederick, S. (2005). Cognitive reflection and decision making. Journal of Economic Perspectives, 4, 25–42. Fredrickson, B. L. (2013). Updated thinking on positivity ratios. American Psychologist, 68, 814–822. Fredrickson, B. L., Grewen, K. M., Coffey, K. A., Algoe, S. B., Firestine, A. M., Arevalo, J. M. G., & Cole, S. W. (2013). A functional genomic perspective on human well-being. PNAS, 110, 13684– 13689. Freedman, D. H. (2011). How to fix the obesity crisis (S. 40–47). Scientific American 304. Freedman, D. J., Riesenhuber, M., Poggio, T., & Miller, E. K. (2001). Categorical representation of visual stimuli in the primate prefrontal cortex. Science, 291, 312–316. Freedman, J. L., & Fraser, S. C. (1966). Compliance without pressure: The foot-in-the-door technique. Journal of Personality and Social Psychology, 4, 195–202. Freedman, J. L., & Perlick, D. (1979). Crowding, contagion, and laughter. Journal of Experimental Social Psychology, 15, 295–303. Freedman, L. R., Rock, D., Roberts, S. A., Cornblatt, B. A., & Erlenmeyer-Kimling, L. (1998). The New York high-risk project: attention, anhedonia and social outcome. Schizophrenia Research, 30, 1–9. Freedman, R., Lewis, D. A., Michels, R., Pine, D. S., Schultz, S. K., Tamminga, C. A., & Yager, J. (2013). The initial field trials of DSM-5: New blooms and old thorns. American Journal of Psychiatry, 170, 1–5. Freeman, D., & Freeman, J. (2013). The stressed sex: uncovering the truth about men, women, and mental health (S. 584). Oxford: Oxford University Press. Freeman, E. C., & Twenge, J. M. (2010). Using MySpace increases the endorsement of narcissistic personality traits. Poster presented at the annual conference of the Society for Personality and Social Psychology, Las Vegas. (S. 421). Freeman, W. J. (1991). The physiology of perception (S. 78–85). Scientific American. Frenda, S. J., Knowles, E. D., Saletan, W., & Loftus, E. F. (2013). False memories of fabricated political events. Journal of Experimental Social Psychology, 49, 280–286. Frenda, S. J., Patihis, L., Loftus, E. F., Lewis, H. C., & Fenn, K. M. (2014). Sleep deprivation and false memories. Clinical Psychological Science, 25, 1674–1681. Freud, S. (1935). A general introduction to psychoanalysis (S. 208). New York: Washington Square Press. Frey, M. C., & Detterman, D. K. (2004). Scholastic assessment org? The relationship between the Scholastic Assessment Test and general cognitive ability. Psychological Science, 15, 373–378. Freyd, J. J., DePrince, A. P., & Gleaves, D. H. (2007). The state of betrayal trauma theory: reply to McNally—conceptual issues and future directions. Memory, 15, 295–311. Fried, I., Mukramel, R., & Kreiman, G. (2011). Internally generated preactivation of single neurons in human medial frontal cortex predicts volition. Neuron, 69, 548–562. Friedel, J. E., DeHart, W. B., Madden, G. J., & Odum, A. L. (2014). Impulsivity and cigarette smoking: discounting of monetary and consumable outcomes in current and non-smokers. Psychopharmacology, 231, 4517–4526. Friedman, H. S., & Martin, L. R. (2012). The longevity project (S. 376). New York: Penguin (Plume). Friedman, M., & Ulmer, D. (1984). Treating type A behavior—and your heart (S. 459, 472). New York: Knopf. Friedman, R., & James, J. W. (2008). The myth of the sages of dying, death and grief. Skeptic, 14, 37–41.
Friedman, R. A. (2012, December 17). In gun debate, a misguided focus on mental illness. The New York Times (nytimes.com). Friedrich, M., Wilhelhm, I., Born, J., & Friederici, A. D. (2015). Generalization of word meanings during infant sleep. Nature Communications, 6, Article 6004. https://doi.org/10.1038/ncomms7004. Friend, T. (2004). Animal talk: breaking the codes of animal language (S. 353). New York: Free Press. Friesen, J. P., Campbell, T. H., & Kay, A. C. (2015). The psychological advantage of unfalsifiability: The appeal of untestable religious and political ideologies. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 515–529. Frijda, N. H. (1988). The laws of emotion. American Psychologist, 43, 349–358. Frisch, M., & Zdravkovic, S. (2010). Body size at birth and same-sex marriage in young adulthood. Archives of Sexual Behavior, 39, 117–123. Frisell, T., Pawitan, Y., Långström, N., & Lichtenstein, P. (2012). Heritability, assortative mating and gender differences in violent crime: Results from a total population sample using twin, adoption, and sibling models. Behavior Genetics, 42, 3–18. Frith, U., & Frith, C. (2001). The biological basis of social interaction. Current Directions in Psychological Science, 10, 151–155. Fromkin, V., & Rodman, R. (1983). An introduction to language (3. Aufl.). (S. 348). New York: Holt, Rinehart & Winston. Frühauf, S., Gerger, H., Schmidt, H. M., Munder, T., & Barth, J. (2013). Efficacy of psychological interventions for sexual dysfunction: a systematic review and meta-analysis. Archives of Sexual Behavior, 42, 915–933. Fry, A. F., & Hale, S. (1996). Processing speed, working memory, and fluid intelligence: evidence for a developmental cascade. Psychological Science, 7, 237–241. Fry, D. P. (2012). Life without war. Science, 336, 879–884. FTC (2016). Lumosity to pay $2 million to settle FTC deceptive advertising charges for its “brain training” program (S. 206). Federal Trade Commission. Press release, ftc.gov/news-events/press-releases/2016/01/lumosity-pay-2-million-settle-ftc-deceptive-advertising-charges. Fu, A., & Markus, H. R. (2014). My mother and me: Why tiger mothers motivate Asian Americans but not European Americans. Personality and Social Psychology Bulletin, 40, 739–749. Fuhrmann, D., Knoll, L. J., & Blakemore, S. J. (2015). Adolescence as a sensitive period of brain development. Trends in Cognitive Sciences, 19(10), 558–566. Fuller, M. J., & Downs, A. C. (1990). Spermarche is a salient biological marker in men’s development. Poster presented at the American Psychological Society convention. (S. 158). Fuller-Thomson, E., Agbeyaka, S., LaFond, D. M., & Bern-Klug, M. (2016). Flourishing after depression: factors associated with achieving complete mental health among those with a history of depression. Psychiatry Research, 242, 111–120. Fulmer, C. A., Gelfand, M. J., Kruglanski, A. W., Kim-Prieto, C., Diener, E., Pierro, A., & Higgins, E. T. (2010). On “feeling right” in cultural contexts: How person-culture match affects self-esteem and subjective well-being. Psychological Science, 21, 1563–1569. Fulmer, I. S., Gerhart, B., & Scott, K. S. (2003). Are the 100 best better? An empirical investigation of the relationship between being a “great place to work” and firm performance. Personnel Psychology, 56, 965–993. Funder, D. C. (2001). Personality. Annual Review of Psychology, 52, 197–221. Funder, D. C. (2009). Persons, behaviors and situations: An agenda for personality psychology in the postwar era. Journal of Research in Personality, 43, 155–162. Funder, D. C., & Block, J. (1989). The role of ego-control, ego-resiliency, and IQ in delay of gratification in adolescence. Journal of Personality and Social Psychology, 57, 1041–1050.
Literatur
Furnham, A. (1982). Explanations for unemployment in Britain. European Journal of Social Psychology, 12, 335–352. Furnham, A. (2016). Whether you think you can, or you think you can’t—you’re right. In R. J. Sternberg, S. T. Fiske & D. J. Foss (Hrsg.), Scientists making a difference: one hundred eminent behavioral and brain scientists talk about their most important contributions (S. 382). New York: Cambridge University Press. Furnham, A., & Baguma, P. (1994). Cross-cultural differences in the evaluation of male and female body shapes. International Journal of Eating Disorders, 15, 81–89. Furnham, A., & Wu, J. (2008). Gender differences in estimates of one’s own and parental intelligence in China. Individual Differences Research, 6, 1–12. Furr, R. M., & Funder, D. C. (1998). A multimodal analysis of personal negativity. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1580–1591. Furukawa, T. A., Levine, S. Z., Tanaka, S., Goldberg, Y., Samara, M., Davis, J. M., & Leucht, S. (2015). Initial severity of schizophrenia and efficacy of antipsychotics: Participant-level meta-analysis of 6 placebo-controlled studies. JAMA Psychiatry, 72, 14–21. Furukawa, T. A., Yoshimura, R., Harai, H., Imaizumi, T., Takeuchi, H., Kitamua, T., & Takahashi, K. (2009). How many well vs. unwell days can you expect over 10 years, once you become depressed? Acta Psychiatrica Scandinavica, 119, 290–297. Fuss, J., Steinle, J., Bindila, L., Auer, M. K., Kirchherr, H., Lutz, B., & Gass, P. (2015). A runner’s high depends on cannabinoid receptors in mice. PNAS, 112, 13105–13108. Futrell, R., Mahowald, K., & Gibson, E. (2015). Large-scale evidence of dependency length minimization in 37 languages. PNAS, 112, 10336–10341. Gable, S. L., Gosnell, C. L., Maisel, N. C., & Strachman, A. (2012). Safely testing the alarm: close others’ responses to personal positive events. Journal of Personality and Social Psychology, 103, 963–981. Gabrieli, J. D. E., Satrajit, S. G., & Whitfield-Gabrieli, S. (2015). Prediction as a humanitarian and pragmatic contribution from human cognitive neuroscience. Neuron, 85, 11–26. Gaddy, M. A., & Ingram, R. E. (2014). A meta-analytic review of mood-congruent implicit memory in depressed mood. Clinical Psychology Review, 34, 402–416. Gaertner, L., Iuzzini, J., & O’Mara, E. M. (2008). When rejection by one fosters aggression against many: multiple-victim aggression as a consequence of social rejection and perceived groupness. Journal of Experimental Social Psychology, 44, 958–970. Gaillard, R., Dehaene, S., Adam, C., Clémenceau, S., Hasboun, D., Baulac, M., Cohen, L., & Naccache, L. (2009). Converging intracranial markers of conscious access. PLoS Biology, 7(e), e1000061. Gaissmaier, W., & Gigerenzer, G. (2012). 9/11, Act II: A fine-grained analysis of regional variations in traffic fatalities in the aftermath of the terrorist attacks. Psychological Science, 23, 1449–1454. Gaither, S. E., & Sommers, S. R. (2013). Living with another-race roommate shapes whites’ behavior in subsequent diverse settings. Journal of Experimental Social Psychology, 49, 272–276. Galak, J., Leboeuf, R. A., Nelson, L. D., & Simmons, J. P. (2012). Correcting the past: failures to replicate psi. Journal of Personality and Social Psychology, 103, 933–948. Galambos, N. L. (1992). Parent-adolescent relations. Current Directions in Psychological Science, 1, 146–149. Galanter, E. (1962). Contemporary psychophysics. In R. Brown, E. Galanter, E. H. Hess & G. Mandler (Hrsg.), New directions in psychology (S. 215). New York: Holt Rinehart & Winston. Galanter, M. (2016). What is alcoholics anonymous? (S. 623). New York: Oxford University Press. Galati, D., Scherer, K. R., & Ricci-Bitti, P. E. (1997). Voluntary facial expression of emotion: Comparing congenitally blind with normally sighted encoders. Journal of Personality and Social Psychology, 73, 1363–1379.
865
Gale, C. R., Batty, G. D., & Deary, I. J. (2008). Locus of control at age 10 years and health outcomes and behaviors at age 30 years: the 1970 British Cohort Study. Psychosomatic Medicine, 70, 397–403. Gale, C. R., Booth, T., Mõttus, R., Kuh, D., & Deary, I. J. (2013). Neuroticism and extraversion in youth predict mental well-being and life satisfaction 40 years later. Journal of Research in Personality, 47, 687–697. Galinsky, A. M., & Sonenstein, F. L. (2013). Relationship commitment, perceived equity, and sexual enjoyment among young adults in the United States. Archives of Sexual Behavior, 42, 93–104. Galinsky, E., Aumann, K., & Bond, J. T. (2008). Times are changing: Gender and generation at work and at home (S. 558). Work and Families Institute. from familiesandwork.org. Galla, B. M., & Duckworth, A. L. (2015). More than resisting temptation: Beneficial habits mediate the relationship between self-control and positive life outcomes. Journal of Personality and Social Psychology, 109, 508–525. Gallace, A. (2012). Living with touch. Psychologist, 25, 896–899. Gallace, A., & Spence, C. (2011). To what extent do Gestalt grouping principles influence tactile perception? Psychological Bulletin, 137, 538–561. Gallese, V., Gernsbacher, M. A., Heyes, C., Hickok, G., & Iacoboni, M. (2011). Mirror neuron forum. Perspectives on Psychological Science, 6, 369–407. Gallo, W. T., Teng, H. M., Falba, T. A., Kasl, S. V., Krumholz, H. M., & Bradley, E. H. (2006). The impact of late career job loss on myocardial infarction and stroke: A 10-year follow up using the health and retirement survey. Occupational and Environmental Medicine, 63, 683–687. Gallup. (2004, August 16). 65 % of Americans receive NO praise or recognition in the workplace. E-mail from Tom Rath: bucketbook@ gallup.com. Gallup Jr., G. G., & Frederick, D. A. (2010). The science of sex appeal: an evolutionary perspective. Review of General Psychology, 14, 240–250. Gallup, G. G. Jr., & Suarez, S. D. (1986). Self-awareness and the emergence of mind in humans and other primates. In J. Suls & A. G. Greenwald (Hrsg.), Psychological perspectives on the self (Bd. 3, S. 189). Hillsdale: Erlbaum. Gallup, G. H. (1972). The Gallup poll: public opinion 1935–1971. Bd. 3 (S. 522). New York: Random House. Gallup Jr., G. H. (1994). Millions finding care and support in small groups. Emerging Trends, 2–5. Gana, K., Broc, G., Saada, Y., Amieva, H., & Quintard, B. (2016). Subjective wellbeing and longevity: findings from a 22-year cohort study. Journal of Psychosomatic Research, 85, 28–34. Gandhi, A. V., Mosser, E. A., Oikonomou, G., & Prober, D. A. (2015). Melatonin is required for the circadian regulation of sleep. Neuron, 85, 1193–1199. Gandhi, T. K., Ganesh, S., & Sinha, P. (2014). Improvement in spatial imagery following sight onset late in childhood. Psychological Science, 25(9), 693–701. Gangestad, S. W., Thornhill, R., & Garver-Apgar, C. E. (2010). Men’s facial masculinity predicts changes in their female partners’ sexual interests across the ovulatory cycle, whereas men’s intelligence does not. Evolution and Human Behavior, 31, 412–424. Gangwisch, J. E., Babiss, L. A., Malaspina, D., Turner, J. B., Zammit, G. K., & Posner, K. (2010). Earlier parental set bedtimes as a protective factor against depression and suicidal ideation. Sleep, 33, 97–106. Gao, Y., Raine, A., Venables, P. H., Dawson, M. E., & Mednick, S. A. (2010). Association of poor child fear conditioning and adult crime. American Journal of Psychiatry, 167, 56–60. Garcia, J. R., Massey, S. G., Merriwether, A. M., & Seibold-Simpson, S. M. (2013). Orgasm experience among emerging adult men and women: Relationship context and attitudes toward uncommitted sex (S.
866
Literatur
408, 416). Washington, DC: Poster presentation at the Association for Psychological Science convention. Garcia, J., & Gustavson, A. R. (1997). Carl R. Gustavson (1946–1996): pioneering wildlife psychologist. APS Observer, https://www.psychologicalscience.org/. Garcia, J., & Koelling, R. A. (1966). Relation of cue to consequence in avoidance learning. Psychonomic Science, 4, 123–124. Garcia, J. R., Reiber, C., Massey, S. G., & Merriwether, A. M. (2012). Sexual hookup culture: a review. Review of General Psychology, 16, 161–176. Garcia-Falgueras, A., & Swaab, D. F. (2010). Sexual hormones and the brain: an essential alliance for sexual identity and sexual orientation. Endocrine Development, 17, 22–35. Gardner, H. (1983). Frames of mind: the theory of multiple intelligences (S. 361). New York: Basic Books. Gardner, H. (1998). An intelligent way to progress. The Independent, https://www.independent.co.uk/ Gardner, H. (1999a). Multiple views of multiple intelligence (S. 361). New York: Basic Books. Gardner, H. (1999b). Who owns intelligence? Atlantic Monthly, https:// www.theatlantic.com/world/ Gardner, H. (2006). The development and education of the mind: the selected works of Howard Gardner (S. 361). New York: Routledge/ Taylor & Francis. Gardner, H. (2011). The theory of multiple intelligences: as psychology, as education, as social science. Address on the receipt of an honorary degree from José Cela University in Madrid and the Prince of Asturias Prize for Social Science. (S. 361). Gardner, J., & Oswald, A. J. (2007). Money and mental well-being: a longitudinal study of medium-sized lottery wins. Journal of Health Economics, 6, 49–60. Gardner, R. A., & Gardner, B. I. (1969). Teaching sign language to a chimpanzee. Science, 165, 664–672. Garfield, C. (1986). Peak performers: the new heroes of American business (S. 356). New York: Morrow. Garon, N., Bryson, S. E., & Smith, I. M. (2008). Executive function in preschoolers: a review using an integrative framework. Psychological Bulletin, 134, 31–60. Garry, M., Loftus, E. F., & Brown, S. W. (1994). Memory: a river runs through it. Consciousness and Cognition, 3, 438–451. Gartrell, N., & Bos, H. (2010). U.S. national longitudinal lesbian family study: psychological adjustment of 17-year-old adolescents. Pediatrics, 126, 28–36. Gasiorowska, A., Chaplin, L. N., Zaleskiewicz, T., Wygrab, S., & Vohs, K. D. (2016). Money cues increase agency and decrease prosociality among children: early signs of market-mode behaviors. Psychological Science, 27, 331–344. Gatchel, R. J., Peng, Y. B., Peters, M. L., Fuchs, P. N., & Turk, D. C. (2007). The biopsychosocial approach to chronic pain: scientific advances and future directions. Psychological Bulletin, 133, 581– 624. Gates, W. Charity begins when I’m ready (interview). Fortune. pathfinder .com/fortune/1998/980720/bil7.html (Erstellt: 20. Juli 1998). Gavin, K. U-M team reports evidence that smoking affects human brain’s natural “feel good” chemical system [Press release. med. umich.edu/ (Erstellt: 9. Nov. 2004). Gawande, A. (1998). The pain perplex. The New Yorker. Gawin, F. H. (1991). Cocaine addiction: psychology and neurophysiology. Science, 251, 1580–1586. Gawronski, B., & Quinn, K. (2013). Guilty by mere similarity: assimilative effects of facial resemblance on automatic evaluation. Journal of Experimental Social Psychology, 49, 120–125. Gazzaniga, M. S. (1967). The split brain in man. Scientific American, 217, 24–29. Gazzaniga, M. S. (1983). Right hemisphere language following brain bisection: a 20-year perspective. American Psychologist, 38, 525– 537.
Gazzaniga, M. S. (1988). Organization of the human brain. Science, 245, 947–952. Gazzola, V., Spezio, M. L., Etzel, J. A., Catelli, F., Adolphs, R., & Keysers, C. (2012). Primary somatosensory cortex discriminates affective significance in social touch. PNAS, 109, E1657–E1666. Ge, X., & Natsuaki, M. N. (2009). In search of explanations for early pubertal timing effects on developmental psychopathology. Current Directions in Psychological Science, 18, 327–441. Ge, Y., Knittel, C. R., MacKenzie, D., & Zoepf, S. (2016). Racial and gender discrimination in transportation network companies. NBER Working Paper No. 22776. (S. 497). nber.org/papers /w2276. Geary, D. C. (1995). Sexual selection and sex differences in spatial cognition. Learning and Individual Differences, 7, 289–301. Geary, D. C. (1996). Sexual selection and sex differences in mathematical abilities. Behavioral and Brain Sciences, 19, 229–247. Geary, D. C. (2010). Male, female: the evolution of human sex differences (2. Aufl.). (S. 156). Washington, DC: American Psychological Association. Geary, D. C., Salthouse, T. A., Chen, G.-P., & Fan, L. (1996). Are East Asian versus American differences in arithmetical ability a recent phenomenon? Developmental Psychology, 32, 254–262. Geddes, L. (2015). The big baby experiment. Nature, 527, 22–25. Geen, R. G., & Quanty, M. B. (1977). The catharsis of aggression: an evaluation of a hypothesis. In L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in experimental social psychology (Bd. 10, S. 442). New York: Academic Press. Geers, A. E., & Nicholas, J. G. (2013). Enduring advantages of early cochlear implantation for spoken language development. Journal of Speech, Language, and Hearing Research, 56, 643–653. Gehring, W. J., Wimke, J., & Nisenson, L. G. (2000). Action monitoring dysfunction in obsessive-compulsive disorder. Psychological Science, 11, 1–6. Geier, A. B., Rozin, P., & Doros, G. (2006). Unit bias: a new heuristic that helps explain the effects of portion size on food intake. Psychological Science, 17, 521–525. Gellis, L. A., Arigo, D., & Elliott, J. C. (2013). Cognitive refocusing treatment for insomnia: a randomized controlled trial in university students. Behavior Therapy, 44, 100–110. Gelman, D. (1989, May 15). Voyages to the unknown. Newsweek, pp. 66–69. Genesee, F., & Gándara, P. (1999). Bilingual education programs: a cross-national perspective. Journal of Social Issues, 55, 665–685. Gentile, D. A. (2009). Pathological video-game use among youth ages 8 to 18: a national study. Psychological Science, 20, 594–602. Gentile, D. A., & Bushman, B. J. (2012). Reassessing media violence effects using a risk and resilience approach to understanding aggression. Psychology of Popular Media Culture, 1, 138–151. Gentile, D. A., Coyne, S., & Walsh, D. A. (2011). Media violence, physical aggression and relational aggression in school age children: a short-term longitudinal study. Aggressive Behavior, 37, 193–206. Gentner, D. (2016). Language as cognitive tool kit: how language supports relational thought. American Psychologist, 71, 650–657. Gentzkow, M., Shapiro, J. M., & Taddy, M. (2016). Measuring polarization in high-dimensional data: method and application to congressional speech. NBER Working Paper 22423. (S. 494). nber .org/ papers/w22423. Geraerts, E., Bernstein, D. M., Merckelbach, H., Linders, C., Raymaekers, L., & Loftus, E. F. (2008). Lasting false beliefs and their behavioral consequences. Psychological Science, 19, 749–753. Geraerts, E., Schooler, J. W., Merckelbach, H., Jelicic, M., Hauer, B. J. A., & Ambadar, Z. (2007). The reality of recovered memories: corroborating continuous and discontinuous memories of childhood sexual abuse. Psychological Science, 18, 564–568. Germain, A. (2013). Sleep disturbances as the hallmark of PTSD: Where are we now? Archives of Journal of Psychiatry, 170, 372–382.
Literatur
Gernsbacher, M. A., Dawson, M., & Goldsmith, H. H. (2005). Three reasons not to believe in an autism epidemic. Current Directions in Psychological Science, 14, 55–58. Gershenson, S., Holt, S. B., & Papageorge, N. W. (2016). Who believes in me? The effect of student-teacher demographic match on teacher expectations. Economics of Education Review, 52, 209–224. Gershoff, E. T. (2002). Parental corporal punishment and associated child behaviors and experiences: a meta-analytic and theoretical review. Psychological Bulletin, 128, 539–579. Gershoff, E. T., & Grogan-Kaylor, A. (2016). Spanking and child outcomes: old controversies and new meta-analyses. Journal of Family Psychology, 30, 453–469. Gershoff, E. T., Grogan-Kaylor, A., Lansford, J. E., Chang, L., Zelli, A., Deater-Deckard, K., & Dodge, K. A. (2010). Parent discipline practices in an international sample: associations with child behaviors and moderation by perceived normativeness. Child Development, 81, 487–502. Gershon, A., Ram, N., Johnson, S. L., Harvey, A. G., & Zeitzer, J. M. (2016). Daily actigraphy profiles distinguish depressive and interepisode states in bipolar disorder. Clinical Psychological Science, 4, 641–650. Gerst-Emerson, K., & Jayawardhana, J. (2015). Loneliness as a public health issue: the impact of loneliness on health care utilization among older adults. American Journal of Public Health, 105, 1013–1019. Gerstorf, D., Ram, N., Röcke, C., Lindenberger, U., & Smith, J. (2008). Decline in life satisfaction in old age: longitudinal evidence for links to distance-to-death. Psychology and Aging, 23, 154–168. Geschwind, N. (1979). Specializations of the human brain. Scientific American, 241, 180–199. Geukes, K., Nestler, S., Hutteman, R., Dufner, M., Küfner, A. C., Egloff, B., & Back, M. D. (2016). Puffed-up but shaky selves: State self-esteem level and variability in narcissists. Journal of Personality and Social Psychology. https://doi.org/10.1037/pspp0000093. Geurts, D. E., Von Borries, K., Volman, I., Bulten, B. H., Cools, R., & Verkes, R. J. (2016). Neural connectivity during reward expectation dissociates psychopathic criminals from non-criminal individuals with high impulsive/antisocial psychopathic traits. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 11, 1326–1334. Giampietro, M., & Cavallera, G. M. (2007). Morning and evening types and creative thinking. Personality and Individual Differences, 42, 453–463. Giancola, P. R., & Corman, M. D. (2007). Alcohol and aggression: a test of the attention-allocation model. Psychological Science, 18, 649–655. Giancola, P. R., Josephs, R. A., Parrott, D. J., & Duke, A. A. (2010). Alcohol myopia revisited: clarifying aggression and other acts of disinhibition through a distorted lens. Perspectives on Psychological Science, 5, 265–278. Gibbons, F. X. (1986). Social comparison and depression: company’s effect on misery. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 140–148. Gibbs, W. W. (1996). Mind readings. Scientific American, 274, 34–36. Gibson, E. J., & Walk, R. D. (1960). The “visual cliff.” (S. 64–71). Scientific American, 202, 64–71. Giedd, J. N. (2015). The amazing teen brain. Scientific American, 312, 32–37. Giesbrecht, T., Lynn, S. J., Lilienfeld, S. O., & Merckelbach, H. (2008). Cognitive processes in dissociation: an analysis of core theoretical assumptions. Psychological Bulletin, 134, 617–647. Giesbrecht, T., Lynn, S. J., Lilienfeld, S. O., & Merckelbach, H. (2010). Cognitive processes, trauma, and dissociation—misconceptions and misrepresentations: reply to Bremmer (2010). Psychological Bulletin, 136, 7–11. Gigerenzer, G. (2004). Dread risk, September 11, and fatal traffic accidents. Psychological Science, 15, 286–287.
867
Gigerenzer, G. (2006). Out of the frying pan into the fire: Behavioral reactions to terrorist attacks. Risk Analysis, 26, 347–351. Gigerenzer, G. (2010). Rationality for mortals: How people cope with uncertainty (S. 43). New York: Oxford University Press. Gigerenzer, G. (2015). Simply rational: decision making in the real world (S. 332). New York: Oxford University Press. Gigerenzer, G., Galesic, M., & Garcia-Retamero, R. (2014). Stereotypes about men’s and women’s intuitions: a study of two nations. Journal of Cross-Cultural Psychology, 45, 62–81. Gilbert, D. T. (2006). Stumbling on happiness (S. 209, 344, 428, 558, 581). New York: Knopf. Gilbert, D. T., King, G., Pettigrew, S., & Wilson, T. D. (2016). Comment on “Estimating the reproducibility of psychological science.”. Science, 351, 1037. Gilbert, D. T., Pinel, E. C., Wilson, T. D., Blumberg, S. J., & Wheatley, T. P. (1998). Immune neglect: a source of durability bias in affective forecasting. Journal of Personality and Social Psychology, 75, 617–638. Gilbertson, M. W., Paulus, L. A., Williston, S. K., Gurvits, T. V., Lasko, N. B., Pitman, R. K., & Orr, S. P. (2006). Neurocognitive function in monozygotic twins discordant for combat exposure: Relationship to posttraumatic stress disorder. Journal of Abnormal Psychology, 115, 484–495. Gildersleeve, K., Haselton, M., & Fales, M. R. (2014). Do women’s mate preferences change across the menstrual cycle? A meta-analytic review. Psychological Bulletin, 140, 1205–1259. Gillen-O’Neel, C., Huynh, V. W., & Fuligni, A. J. (2013). To study or to sleep? The academic costs of extra studying at the expense of sleep. Child Development, 84, 133–142. Gilovich, T. D. (1996). The spotlight effect: Exaggerated impressions of the self as a social stimulus. Unpublished manuscript, Cornell University. Gilovich, T. D., & Medvec, V. H. (1995). The experience of regret: what, when, and why. Psychological Review, 102, 379–395. Gilovich, T. D., & Savitsky, K. (1999). The spotlight effect and the illusion of transparency: egocentric assessments of how we are seen by others. Current Directions in Psychological Science, 8, 165–168. Gingerich, O. (1999). Is there a role for natural theology today? The Real Issue. origins.org/real/n9501/natural.html Gingerich, O. (2006). God’s universe (S. 1). Cambridge: Belknap Press of Harvard University Press. Gino, G., Wilmuth, C. A., & Brooks, A. W. (2015). Compared to men, women view professional advancement as equally attainable, but less desirable. PNAS, 112, 12354–12359. Giuliano, T. A., Barnes, L. C., Fiala, S. E., & Davis, D. M. (1998). An empirical investigation of male answer syndrome. Paper presented at the Southwestern Psychological Association convention. (S. 155). Gladue, B. A. (1994). The biopsychology of sexual orientation. Current Directions in Psychological Science, 3, 150–154. Gladwell, M. (2000, May 9). The new-boy network: What do job interviews really tell us? The New Yorker, pp. 68–86. Glasman, L. R., & Albarracín, D. (2006). Forming attitudes that predict future behavior: a meta-analysis of the attitude-behavior relation. Psychological Bulletin, 132, 778–822. Glass, R. M. (2001). Electroconvulsive therapy: time to bring it out of the shadows. Journal of the American Medical Association, 285, 1346–1348. Glasser, M. F., Coalson, T. S., Robinson, E. C., Hacker, C. D., Harwell, J., Yacoub, E., & Van Essen, D. C. (2016). A multi-modal parcellation of human cerebral cortex. Nature, 536, 171–178. Gleaves, D. H. (1996). The sociocognitive model of dissociative identity disorder: a reexamination of the evidence. Psychological Bulletin, 120, 42–59. Glenn, A. L., & Raine, A. (2014). Neurocriminology: Implications for the punishment, prediction and prevention of criminal behavior. Nature Reviews Neuroscience, 15, 54–63.
868
Literatur
Glenn, A. L., Raine, A., Yaralian, P. S., & Yang, Y. (2010). Increased volume of the striatum in psychopathic individuals. Biological Psychiatry, 67, 52–58. Gliklich, E., Guo, R., & Bergmark, R. W. (2016). Texting while driving: a study of 1211 US adults with the Distracted Driving Survey. Preventive Medicine Reports, 4, 486–489. Global Burden of Disease Study, 2013 collaborators (2015). Global, regional, and national incidence, prevalence, and years lived with disability for 301 acute and chronic diseases and injuries in 188 countries, 1990–2013: A systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2013. The Lancet, 386, 743–800. GLSEN (2012). The 2011 national school climate survey (S. 500). New York: Gay, Lesbian & Straight Education Network. glsen.org Glynn, L. M., & Sandman, C. A. (2011). Prenatal origins of neurological development: a critical period for fetus and mothers. Current Directions in Psychological Science, 20, 384–389. Godden, D. R., & Baddeley, A. D. (1975). Context-dependent memory in two natural environments: on land and underwater. British Journal of Psychology, 66, 325–331. Goethals, G. R., & Allison, S. T. (2014). Kings and charisma, Lincoln and leadership: An evolutionary perspective. In G. R. Goethals, S. T. Allison, R. M. Kramer & D. M. Messick (Hrsg.), Conceptions of leadership: Enduring ideas and emerging insights (S. 111–124). New York: Palgrave Macmillan. Goetz, S. M. M., Tang, L., Thomason, M. E., Diamond, M. P., Hariri, A. R., & Carré, J. (2014). Testosterone rapidly increases neural reactivity to threat in healthy men: a novel two-step pharmacological challenge paradigm. Biological Psychiatry, 76, 324–331. Goff, D. C., & Simms, C. A. (1993). Has multiple personality disorder remained consistent over time? Journal of Nervous and Mental Disease, 181, 595–600. Golan, O., Ashwin, E., Granader, Y., McClintock, S., Day, K., Leggett, V., & Baron-Cohen, S. (2010). Enhancing emotion recognition in children with autism spectrum conditions: an intervention using animated vehicles with real emotional faces. Journal of Autism Development and Disorders, 40, 269–279. Gold, M., & Yanof, D. S. (1985). Mothers, daughters, and girlfriends. Journal of Personality and Social Psychology, 49, 654–659. Goldberg, J. Quivering bundles that let us hear. Howard Hughes Medical Institute. hhmi.org/senses/c120.html (Erstellt: 31. Mai 2007). Golder, S. A., & Macy, M. W. (2011). Diurnal and seasonal mood vary with work, sleep, and day-length across diverse cultures. Science, 333, 1878–1881. Goldfried, M. R. (2001). Integrating gay, lesbian, and bisexual issues into mainstream psychology. American Psychologist, 56, 977–988. Goldfried, M. R., Raue, P. J., & Castonguay, L. G. (1998). The therapeutic focus in significant sessions of master therapists: a comparison of cognitive-behavioral and psychodynamic-interpersonal interventions. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 66, 803–810. Goldinger, S. D., & Papesh, M. H. (2012). Pupil dilation reflects the creation and retrieval of memories. Current Directions in Psychological Science, 21, 90–95. Goldman, A. L., Pezawas, L., Mattay, V. S., Fischl, B., Verchinski, B. A., Chen, Q., & Meyer-Lindenberg, A. (2009). Widespread reductions of cortical thickness in schizophrenia and spectrum disorders and evidence of heritability. Archives of General Psychiatry, 66, 467–477. Goldstein, A. P., Glick, B., & Gibbs, J. C. (1998). Aggression replacement training: a comprehensive intervention for aggressive youth (S. 35). Champaign: Research Press. rev. ed. Goldstein, I. (2000). Male sexual circuitry. Scientific American, 283, 70–75. Goleman, D. (1980). 1,528 little geniuses and how they grew. Psychology Today, https://feliciasgiftedwork.weebly.com/uploads/5/9/0/8/59081931/1528_little_geniusesarticle.pdf
Goleman, D. (2006). Social intelligence (S. 363). New York: Bantam Books. Golkar, A., Selbing, I., Flygare, O., Öhman, A., & Olsson, A. (2013). Other people as means to a safe end: vicarious extinction blocks the return of learned fear. Psychological Science, 24, 2182–2190. Gollwitzer, P. M., & Oettingen, G. (2012). Goal pursuit. In P. M. Gollwitzer & G. Oettingen (Hrsg.), The Oxford handbook of human motivation (S. 208–231). New York: Oxford University Press. Gollwitzer, P. M., & Sheeran, P. (2006). Implementation intentions and goal achievement: A meta-analysis of effects and processes. Advances in Experimental Social Psychology, 38, 69–119. Gómez-Robles, A., Hopkins, W. D., Schapiro, S. J., & Sherwood, C. C. (2015). Relaxed genetic control of cortical organization in humans brains compared with chimpanzees. PNAS, 112, 14799–14804. Gong, H., Liu, Y.-Z., Zhang, Y., Su, W.-J., Lian, Y.-J., Peng, W., & Jiang, C.-L. (2016). Mindfulness meditation for insomnia: a metaanalysis of randomized controlled trials. Journal of Psychosomatic Research, 89, 1–6. Gonsalkorale, K., & Williams, K. D. (2006). The KKK would not let me play: Ostracism even by a despised outgroup hurts. European Journal of Social Psychology, 36, 1–11. Gonsalves, B., Reber, P. J., Gitelman, D. R., Parrish, T. B., Mesulam, M.-M., & Paller, K. A. (2004). Neural evidence that vivid imagining can lead to false remembering. Psychological Science, 15, 655–659. Goodall, J. (1986). The chimpanzees of Gombe: patterns of behavior (S. 502). Cambridge: Harvard University Press. Goodall, J. (1998). Learning from the chimpanzees: A message humans can understand. Science, 282, 2184–2185. Goode, E. (1999, April 13). If things taste bad, “phantoms” may be at work. The New York Times (nytimes.com). Goodhart, D. E. (1986). The effects of positive and negative thinking on performance in an achievement situation. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 117–124. Goodman, G. S. (2006). Children’s eyewitness memory: a modern history and contemporary commentary. Journal of Social Issues, 62, 811–832. Goodman, G. S., Ghetti, S., Quas, J. A., Edelstein, R. S., Alexander, K. W., Redlich, A. D., & Jones, D. P. H. (2003). A prospective study of memory for child sexual abuse: New findings relevant to the repressed-memory controversy. Psychological Science, 14, 113–118. Goodwin, P. Y., Mosher, W. D., & Chandra, A. (2010). Marriage and cohabitation in the United States: a statistical portrait based on Cycle 6 (2002) of the National Survey of Family Growth. National Center for Health Statistics. Vital Health Statistics, 23(28), 208. Gopnik, A., Griffiths, T. L., & Lucas, C. G. (2015). When younger learners can be better (or at least more open-minded) than older ones. Current Directions in Psychological Science, 24, 87–92. Gopnik, A., & Meltzoff, A. N. (1986). Relations between semantic and cognitive development in the one-word stage: the specificity hypothesis. Child Development, 57, 1040–1053. Goranson, R. E. (1978). The hindsight effect in problem solving. Unpublished manuscript, cited by G. Wood (1984), Research methodology: A decision-making perspective. In A. M. Rogers & C. J. Scheirer (Hrsg.), The G. Stanley Hall lecture series (Bd. 4, S. 22). Washington, DC.: American Psychological Association. Gorchoff, S. M., John, O. P., & Helson, R. (2008). Contextualizing change in marital satisfaction during middle age. Psychological Science, 19, 1194–1200. Gordon, A. M., & Chen, S. (2010). When you accept me for me: The relational benefits of intrinsic affirmations from one’s relationship partner. Personality and Social Psychology Bulletin, 36, 1439–1453. Gordon, A. M., & Chen, S. (2014). The role of sleep in interpersonal conflict: do sleepless nights mean worse fights? Social Psychological and Personality Science, 5, 168–175.
Literatur
Gordon, I., Vander Wyk, B. C., Bennett, R. H., Cordeaux, C., Lucas, M. V., Eilbott, J. A., & Pelphrey, K. A. (2013). Oxytocin enhances brain function in children with autism. PNAS, 110, 20953–20958. Gordon, J. L., Eisenlohr-Moul, T., Rubinow, D. R., Schrubbe, L., & Girdler, S. S. (2016). Naturally occurring changes in estradiol concentrations in the menopause transition predict morning cortisol and negative mood in perimenopausal depression. Clinical Psychological Science, 4, 919–935. Gordon, P. (2004). Numerical cognition without words: evidence from Amazonia. Science, 306, 496–499. Gore, J., & Sadler-Smith, E. (2011). Unpacking intuition: a process and outcome framework. Review of General Psychology, 15, 304–316. Gore-Felton, C., Koopman, C., Thoresen, C., Arnow, B., Bridges, E., & Spiegel, D. (2000). Psychologists’ beliefs and clinical characteristics: judging the veracity of childhood sexual abuse memories. Professional Psychology: Research and Practice, 31, 372–377. Gorka, S. M., Lieberman, L., Shankman, S. A., & Phan, K. L. (2017). Startle potentiation to uncertain threat as a psychophysiological indicator of fear-based psychopathology: an examination across multiple internalizing disorders. Journal of Abnormal Psychology, 126(8), 572. Gorlick, A. Stanford scientists link brain development to chances of recovering vision after blindness. Stanford Report. news.stanford. edu (Erstellt: 13. Jan. 2010). Gorman, J. (2014, January 6). The brain, in exquisite detail. The New York Times (nytimes.com). Gorrese, A., & Ruggieri, R. (2012). Peer attachment: a meta-analytic review of gender and age differences and associations with parent attachment. Journal of Youth and Adolescence, 41, 650–672. Gosling, S. D. (2008). Snoop: what your stuff says about you (S. 549). New York: Basic Books. Gosling, S. D., Gladdis, S., & Vazire, S. (2007). Personality impressions based on Facebook profiles. Paper presented to the Society for Personality and Social Psychology meeting. (S. 549). Gosling, S. D., Kwan, V. S. Y., & John, O. P. (2003). A dog’s got personality: a cross-species comparative approach to personality judgments in dogs and humans. Journal of Personality and Social Psychology, 85, 1161–1169. Gotink, R. A., Meijboom, R., Vernooij, M. W., Smits, M., & Hunink, M. G. M. (2016). 8-week mindfulness based stress reduction induces brain changes similar to traditional long-term meditation practice—A systematic review. Brain and Cognition, 108, 32–41. Gotlib, I. H., & Hammen, C. L. (1992). Psychological aspects of depression: toward a cognitive-interpersonal integration (S. 589). New York: Wiley. Gottesman, I. I. (1991). Schizophrenia genesis: the origins of madness (S. 597). New York: Freeman. Gottesman, I. I. (2001). Psychopathology through a life span—genetic prism. American Psychologist, 56, 867–881. Gottfredson, L. S. (2002a). Where and why g matters: not a mystery. Human Performance, 15, 25–46. Gottfredson, L. S. (2002b). g: Highly general and highly practical. In R. J. Sternberg & E. L. Grigorenko (Hrsg.), The general factor of intelligence: How general is it? (S. 362). Mahwah: Erlbaum. Gottfredson, L. S. (2003a). Dissecting practical intelligence theory: its claims and evidence. Intelligence, 31, 343–397. Gottfredson, L. S. (2003b). On Sternberg’s “Reply to Gottfredson. Intelligence, 31, 415–424. Gottfried, J. A., O’Doherty, J., & Dolan, R. J. (2003). Encoding predictive reward value in human amygdala and orbitofrontal cortex. Science, 301, 1104–1108. Gottman, J. (2007). Why marriages succeed or fail—2007 publication (S. 517). London: Bloomsbury. Gottman, J., & Silver, N. (1994). Why marriages succeed or fail (S. 209). New York: Simon & Schuster. Gould, E. (2007). How widespread is adult neurogenesis in mammals? Nature Neuroscience, 8, 481–488.
869
Gould, S. J. (1981). The mismeasure of man (S. 366). New York: Norton. Gow, A. J., Bastin, M. E., Maniega, S. M., Hernández, M. C. V., Morris, Z., Murray, C., & Wardlaw, J. M. (2012). Neuroprotective lifestyles and the aging brain: activity, atrophy, and white matter integrity. Neurology, 79, 1802–1808. Goyal, M., Singh, S., Sibinga, E. S., Gould, N. F., Rowland-Seymour, A., Sharma, R., & Haythornthwaite, J. A. (2014). Meditation programs for psychological stress and well-being: A systematic review and meta-analysis. JAMA Internal Medicine, 174, 357–368. Grabe, S., Ward, L. M., & Hyde, J. S. (2008). The role of the media in body image concerns among women: a meta-analysis of experimental and correlational studies. Psychological Bulletin, 134, 460–476. Grabo, A., & van Vugt, M. (2016). Charismatic leadership and the evolution of cooperation. Evolution and Human Behavior, 37, 399–406. Gradinaru, V., Mogri, M., Thompson, K. R., Henderson, J. M., & Deisseroth, K. (2009). Optical deconstruction of Parkinsonian neural circuitry. Science, 324, 354–359. Grady, C. L., McIntosh, A. R., Horwitz, B., Maisog, J. M., Ungeleider, L. G., Mentis, M. J., & Haxby, J. V. (1995). Age-related reductions in human recognition memory due to impaired encoding. Science, 269, 218–221. Graesser, A. C., Sabatini, J. P., & Li, H. (2022) Educational psychology is evolving to accommodate technology, multiple disciplines, and twenty-first-century skills. Annual Review of Psycholog, 73, 547–574. Graf, S., Paolini, S., & Rubin, M. (2014). Negative intergroup contact is more influential, but positive intergroup contact is more common: assessing contact prominence and contact prevalence in five central European countries. European Journal of Social Psychology, 44, 536–547. Graham, A. M., Fisher, P. A., & Pfeifer, J. H. (2013). What sleeping babies hear: a functional MRI study of interparental conflict and infants’ emotion processing. Psychological Science, 24, 782–789. Graham, C. (2011). Does more money make you happier? Why so much debate? Applied Research in Quality Life, 6, 219–239. Graham, J., Nosek, B. A., & Haidt, J. (2012). The moral stereotypes of liberals and conservatives: exaggeration of differences across the political spectrum. PLoS ONE, 7, e50092. Grand, J. A. (2016). Brain drain? An examination of stereotype threat effects during training on knowledge acquisition and organizational effectiveness. Journal of Applied Psychology. https://doi. org/10.1037/apl0000171. Granic, I., Lobel, A., & Engels, R. C. M. E. (2014). The benefits of playing video games. American Psychologist, 69, 66–78. Granqvist, P., Mikulincer, M., & Shaver, P. R. (2010). Religion as attachment: normative processes and individual differences. Personality and Social Psychology Review, 14, 49–59. Grant, A. M., Gino, F., & Hofmann, D. A. (2011). Reversing the extraverted leadership advantage: the role of employee proactivity. Academy of Management Journal, 54, 528–550. Grant, N., Wardle, J., & Steptoe, A. (2009). The relationship between life satisfaction and health behavior: a cross-cultural analysis of young adults. International Journal of Behavioral Medicine, 16, 259–268. Gray-Little, B., & Burks, N. (1983). Power and satisfaction in marriage: a review and critique. Psychological Bulletin, 93, 513–538. Graybiel, A. M., & Smith, K. S. (2014). Good habits, bad habits. Scientific American, 310, 38–43. Green, B. (2002). Listening to leaders: feedback on 360-degree feedback one year later. Organizational Development Journal, 20, 8–16. Green, J. D., Sedikides, C., & Gregg, A. P. (2008). Forgotten but not gone: the recall and recognition of self-threatening memories. Journal of Experimental Social Psychology, 44, 547–561. Green, J. T., & Woodruff-Pak, D. S. (2000). Eyeblink classical conditioning: hippocampal formation is for neutral stimulus associations
870
Literatur
as cerebellum is for association-response. Psychological Bulletin, 126, 138–158. Greenaway, K. H., Cruwys, T., Haslam, S. A., & Jetten, J. (2016). Social identities promote well-being because they satisfy global psychological needs. European Journal of Social Psychology, 46, 294–307. Greenaway, K. H., Haslam, S. A., Cruwys, T., Branscombe, N. R., Ysseldyk, R., & Heldreth, C. (2015). From “we” to “me”: Group identification enhances perceived personal control with consequences for health and well-being. Journal of Personality and Social Psychology, 109, 53–74. Greenberg, J. (2008). Understanding the vital human quest for self-esteem. Perspectives on Psychological Science, 3, 48–55. Greenberg, J., Solomon, S., & Pyszczynski, T. (1997). Terror management theory of self-esteem and cultural worldviews: Empirical assessments and conceptual refinements. Advances in Social Psychology, 29, 61–142. Greene, J. (2010). Remarks to an edge conference: the new science of morality. The Edge, edge.org. Greene, J. D., Sommerville, R. B., Nystrom, L. E., Darley, J. M., & Cohen, J. D. (2001). An fMRI investigation of emotional engagement in moral judgment. Science, 293, 2105–2108. Greenwald, A. G. (1992). Subliminal semantic activation and subliminal snake oil. Paper presented to the American Psychological Association Convention, Washington, DC. (S. 217). Greenwald, A. G., Banaji, M. R., & Nosek, B. A. (2015). Statistically small effects of the implicit association test can have societally large effects. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 553–561. Greenwald, A. G., & Pettigrew, T. F. (2014). With malice toward none and charity for some: ingroup favoritism enables discrimination. American Psychologist, 69, 645–655. Greenwald, A. G., Spangenberg, E. R., Pratkanis, A. R., & Eskenazi, J. (1991). Double-blind tests of subliminal self-help audiotapes. Psychological Science, 2, 119–122. Greenwald, G. Discussing the motives of the Afghan shooter. Salon. salon.com (Erstellt: 19. März 2012). Greer, S. G., Goldstein, A. N., & Walker, M. P. (2013). The impact of sleep deprivation on food desire in the human brain. Nature Communications, 4, 2259. https://doi.org/10.1038/ncomms3259. Gregory, A., Cornell, D., Fan, X., Sheras, P., Shih, T., & Huang, F. (2010) Authoritative school discipline: High school practices associated with lower bullying and victimization. Journal of Educational Psychology, 102, 483–496. Gregory, A. M., Rijksdijk, F. V., Lau, J. Y., Dahl, R. E., & Eley, T. C. (2009). The direction of longitudinal associations between sleep problems and depression symptoms: a study of twins aged 8 and 10 years. Sleep, 32, 189–199. Gregory, R. L. (1978). Eye and brain: the psychology of seeing (3. Aufl.). (S. 145, 239). New York: McGraw-Hill. Gregory, R. L., & Gombrich, E. H. (Hrsg.). (1973). Illusion in nature and art (S. 221). New York: Charles Scribner’s Sons. Greist, J. H., Jefferson, J. W., & Marks, I. M. (1986). Anxiety and its treatment: help is available (S. 573). Washington, DC: American Psychiatric Press. Greitemeyer, T., & Mügge, D. O. (2014). Video games do affect social outcomes: a meta-analytic review of the effects of violent and prosocial video game play. Personality and Social Psychology Bulletin, 40, 578–589. Greyson, B. (2010). Implications of near-death experiences for a postmaterialist psychology. Review of Religion and Spirituality, 2, 37–45. Grèzes, J., & Decety, J. (2001). Function anatomy of execution, mental simulation, observation, and verb generation of actions: a metaanalysis. Human Brain Mapping, 12, 1–19. Griffiths, M. (2001). Sex on the Internet: observations and implications for Internet sex addiction. Journal of Sex Research, 38, 333–342.
Griggs, R. (2014). Coverage of the Stanford Prison Experiment in introductory psychology textbooks. Teaching of Psychology, 41, 195–203. Grijalva, E., Newman, D. A., Tay, L., Donnellan, M. B., Harms, P. D., Robins, R. W., & Yan, T. (2015). Gender differences in narcissism: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 141, 261–310. Grillon, C., Quispe-Escudero, D., Mathur, A., & Ernst, M. (2015). Mental fatigue impairs emotion regulation. Emotion, 15, 383–389. Grilo, C. M., & Pogue-Geile, M. F. (1991). The nature of environmental influences on weight and obesity: a behavior genetic analysis. Psychological Bulletin, 110, 520–537. Grimm, S., & Scheidegger, M. (2013). A trip out of depression. Scientific American, 24, https://www.scientificamerican.com/. Grinker, R. R. (2007). Unstrange minds: remapping the world of autism (S. 181). New York: Basic Books. Grobstein, C. (1979). External human fertilization. Scientific American, 240, 57–67. Grodin, E. N., & White, T. L. (2015). The neuroanatomical delineation of agentic and affiliative extraversion. Cognitive, Affective, and Behavioral Neuroscience, 15, 321–334. Groothuis, T. G. G., & Carere, C. (2005). Avian personalities: characterization and epigenesis. Neuroscience and Biobehavioral Reviews, 29, 137–150. Gross, A. E., & Crofton, C. (1977). What is good is beautiful. Sociometry, 40, 85–90. Gross, J. J. (2013). Emotion regulation: taking stock and moving forward. Emotion, 13, 359–365. Grossberg, S. (1995). The attentive brain. American Scientist, 83, 438–449. Grossmann, I., & Kross, E. (2014). Exploring solomon’s paradox: selfdistancing eliminates the self-other asymmetry in wise reasoning about close relationships in younger and older adults. Psychological Science, 25, 1571–1580. Grossmann, I., Na, J., Varnum, M. E. W., Park, D. C., Kitayama, S., & Nisbett, R. E. (2010). Reasoning about social conflicts improves into old age. PNAS, 107, 7246–7250. Grossmann, I., & Varnum, M. E. W. (2015). Social structure, infectious diseases, disasters, secularism, and cultural change in America. Psychological Science, 26, 311–324. Grover, S., & Helliwell, J. F. (2014). How’s life at home? New evidence on marriage and the set point for happiness. NBER Working Paper No. 20794. (S. 418). nber.org/papers/w20794. Gruber, J. (2011). Can feeling too good be bad? Positive emotion persistence (PEP) in bipolar disorder. Current Directions in Psychological Science, 20, 217–221. Gruber, J., Gilbert, K. E., Youngstrom, E., Kogos Youngstrom, J., Feeny, N. C., & Findling, R. L. (2013). Reward dysregulation and mood symptoms in an adolescent outpatient sample. Journal of Abnormal Child Psychology, 41, 1053–1065. Gruder, C. L. (1977). Choice of comparison persons in evaluating oneself. In J. M. Suls & R. L. Miller (Hrsg.), Social comparison processes (S. 447). New York: Hemisphere. Gu, J., Strauss, C., Bond, R., & Cavanagh, K. (2015). How do mindfulness-based cognitive therapy and mindfulness-based stress reduction improve mental health and wellbeing? A systematic review and meta-analysis of mediation studies. Clinical Psychology Review, 37, 1–12. Gu, X., Lohrenz, T., Salas, R., Baldwin, P. R., Soltani, A., Kirk, U., & Montague, P. R. (2015). Belief about nicotine selectively modulates value and reward prediction error signals in smokers. PNAS, 112, 2539–2544. Guardino, C. M., Schetter, C. D., Saxbe, D. E., Adam, E. K., Ramey, S. L., & Shalowitz, M. U. (2016). Diurnal salivary cortisol patterns prior to pregnancy predict infant birth weight. Health Psychology, 35, 625–633.
Literatur
Guéguen, N. (2011). Effects of solicitor sex and attractiveness on receptivity to sexual offers: a field study. Archives of Sexual Behavior, 40, 915–919. Guerin, B. (1986). Mere presence effects in humans: a review. Journal of Personality and Social Psychology, 22, 38–77. Guerin, B. (2003). Language use as social strategy: a review and an analytic framework for the social sciences. Review of General Psychology, 7, 251–298. Guiso, L., Monte, F., Sapienza, P., & Zingales, L. (2008). Culture, gender, and math. Science, 320, 1164–1165. Gunderson, E. A., Gripshover, S. J., Romero, C., Dweck, C. S., GoldinMeadow, S., & Levine, S. C. (2013). Parent praise to 1- to 3-yearolds predicts children’s motivational frameworks 5 years later. Child Development, 84, 1526–1541. Gunnery, S. D., & Ruben, M. A. (2016). Perceptions of Duchenne and non-Duchenne smiles: a meta-analysis. Cognition and Emotion, 30, 501–515. Gunter, R. W., & Bodner, G. E. (2008). How eye movements affect unpleasant memories: support for a working-memory account. Behaviour Research and Therapy, 46, 913–931. Gunter, T. D., Vaughn, M. G., & Philibert, R. A. (2010). Behavioral genetics in antisocial spectrum disorders and psychopathy: a review of the recent literature. Behavioral Sciences and the Law, 28, 148–173. Guo, J., He, H., Qu, Z., Wang, X., & Liu, C. (2017). Post-traumatic stress disorder and depression among adult survivors 8 years after the 2008 Wenchuan earthquake in China. Journal of Affective Disorders, 210, 27–34. Guo, X., Zhai, J., Liu, Z., Fang, M., Wang, B., Wang, C., & Zhao, J. (2010). Effect of antipsychotic medication alone vs combined with psychosocial intervention on outcomes of early-stage schizophrenia. Archives of General Psychiatry, 67, 895–904. Gurillo, P., Jauhar, S., Murray, R. M., & MacCabe, J. H. (2015). Does tobacco use cause psychosis? Systematic review and meta-analysis. The Lancet Psychiatry, 2, 718–725. Gustavson, C. R., Garcia, J., Hankins, W. G., & Rusiniak, K. W. (1974). Coyote predation control by aversive conditioning. Science, 184, 581–583. Gustavson, C. R., Kelly, D. J., & Sweeney, M. (1976). Prey-lithium aversions I: coyotes and wolves. Behavioral Biology, 17, 61–72. Gutchess, A. (2014). Plasticity in the aging brain: new directions in cognitive neuroscience. Science, 346, 579–582. Guttmacher Institute (1994). Sex and America’s teenagers (S. 200, 405). New York: Alan Guttmacher Institute. Sally, H. (1979). Videotape recording number T–3, Fortunoff video archive of holocaust testimonies (S. 536). New Haven: Yale University Library. Haapakoski, R., Mathieu, J., Ebmeier, K. P., Alenius, H., & Kivimäki, M. (2015). Cumulative meta-analysis of interleukins 6 and 1ß, tumour necrosis factor a and C-reactive protein in patients with major depressive disorder. Brain, Behavior, and Immunity, 49, 206–215. Haas, A. P., Eliason, M., Mays, V. M., Mathy, R. M., Cochran, S. D., D’Augelli, A. R., & Clayton, P. J. (2011). Suicide and suicide risk in lesbian, gay, bisexual, and transgender populations: Review and recommendations. Journal of Homosexuality, 58, 10–51. Habashi, M. M., Graziano, W. G., & Hoover, A. E. (2016). Searching for the prosocial personality: a big five approach to linking personality and prosocial behavior. Personality and Social Psychology Bulletin, 42, 1177–1192. Habel, U., Koch, K., Kellerman, T., Reske, M., Frommann, N., Wolwer, W., & Schneider, F. (2010). Training of affect recognition in schizophrenia: Neurobiological correlates. Social Neuroscience, 5, 92–104. Haber, R. N. (1970). How we remember what we see. Scientific American, 222, 104–112.
871
Hadjistavropoulos, T., Craig, K. D., Duck, S., Cano, A., Goubert, L., Jackson, P. L., & Fitzgerald, T. D. (2011). A biopsychosocial formulation of pain communication. Psychological Bulletin, 137, 910–939. Haedt-Matt, A. A., & Keel, P. K. (2011). Revisiting the affect regulation model of binge eating: a meta-analysis of studies using ecological momentary assessment. Psychological Bulletin, 137, 660–681. Hafenbrack, A. C., Kinias, Z., & Barsade, S. G. (2014). Debiasing the mind through meditation: mindfulness and the sunk-cost bias. Psychological Science, 25, 369–376. Hagenauer, G., Hascher, T., & Volet, S. (2015) Teacher emotions in the classroom: Associations with students’ engagement, classroom discipline and the interpersonal teacher-student relationship. European Journal of Psychological Education, 30, 385–403. Hagger, M. S., Chatzisarantis, N. L. D., Alberts, H., Anggono, C. O., Birt, A., Brand, R., & Cannon, T. (2016). A multi-lab pre-registered replication of the ego-depletion effect. Perspectives on Psychological Science, 11, 546–573. Hahn, A., Kranz, G., Sladky, R., Kaufmann, U., Ganger, S., Hummer, A., & Lanzenberger, R. (2016). Testosterone affects language areas of the adult human brain. Human Brain Mapping, 37, 1738–1748. Haidt, J. (2000). The positive emotion of elevation. Prevention and Treatment, 3(volume3), article 3. Haidt, J. (2002). The moral emotions. In R. J. Davidson, K. Scherer & H. H. Goldsmith (Hrsg.), Handbook of affective sciences (S. 195). New York: Oxford University Press. Haidt, J. (2012). The righteous mind: why good people are divided by politics and religion (S. 195). New York: Pantheon. Hajhosseini, B., Stewart, B., Tan, J. C., Busque, S., & Melcher, M. L. (2013). Evaluating deceased donor registries: Identifying predictive factors of donor designation. American Surgeon, 79, 235–241. Hakuta, K., Bialystok, E., & Wiley, E. (2003). Critical evidence: a test of the critical-period hypothesis for second-language acquisition. Psychological Science, 14, 31–38. Halberstadt, J. B., Sherman, S. J., & Sherman, J. W. (2011). Why Barack Obama is black: a cognitive account of hypodescent. Psychological Science, 22, 29–33. Halberstadt, J. B., Niedenthal, P. M., & Kushner, J. (1995). Resolution of lexical ambiguity by emotional state. Psychological Science, 6, 278–281. Haldeman, D. C. (1994). The practice and ethics of sexual orientation conversion therapy. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 62, 221–227. Haldeman, D. C. (2002). Gay rights, patient rights: The implications of sexual orientation conversion therapy. Professional Psychology: Research and Practice, 33, 260–264. Hales, A. H., Kassner, M. P., Williams, K. D., & Graziano, W. G. (2016). Disagreeableness as a cause and consequence of ostracism. Personality and Social Psychology Review, 42, 782–797. Hall, C. S., Dornhoff, W., Blick, K. A., & Weesner, K. E. (1982). The dreams of college men and women in 1950 and 1980: a comparison of dream contents and sex differences. Sleep, 5, 188–194. Hall, C. S., & Lindzey, G. (1978). Theories of personality (2. Aufl.). (S. 535). New York: Wiley. Hall, G. (1997). Context aversion, Pavlovian conditioning, and the psychological side effects of chemotherapy. European Psychologist, 2, 118–124. Hall, G. S. (1904). Adolescence: its psychology and its relations to physiology, anthropology, sex, crime, religion and education. Bd. I (S. 192). New York: Appleton-Century-Crofts. Hall, J. A. (1984). Nonverbal sex differences: communication accuracy and expressive style (S. 435). Baltimore: Johns Hopkins University Press. Hall, J. A. (1987). On explaining gender differences: the case of nonverbal communication. In P. Shaver & C. Hendrick (Hrsg.), Review of personality and social psychology (Bd. 7, S. 177–200).
872
Literatur
Hall, J. A. Y., & Kimura, D. (1994). Dermatoglyphic assymetry and sexual orientation in men. Behavioral Neuroscience, 108, 1203–1206. Hall, K. M., Knudson, S. T., Wright, J., Charlifue, S. W., Graves, D. E., & Warner, P. (1999). Follow-up study of individuals with high tetraplegia (C1–C4) 14 to 24 years postinjury. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation, 80, 1507–1513. Hall, P. A. (2016). Executive-control processes in high-calorie food consumption. Current Directions in Psychological Science, 25, 91–98. Hall, S. S. (2004). The good egg. Discover, https://www.discovermagazine.com/mind. Hallal, P. C., Andersen, L. B., Bull, F. C., Guthold, R., Haskell, W., & Ekelund, U. (2012). Global physical activity levels: surveillance progress, pitfalls, and prospects. The Lancet, 380, 247–257. Haller, R., Rummel, C., Henneberg, S., Pollmer, U., & Köster, E. P. (1999). The influence of early experience with vanillin on food preference later in life. Chemical Senses, 24, 465–467. Halmburger, A., Baumert, A., & Schmitt, M. (2015). Anger as driving factor of moral courage in comparison with guilt and global mood: a multimethod approach. European Journal of Social Psychology, 45, 39–51. Halpern, D. (2015). The rise of psychology in policy: The UK’s de facto council of psychological science advisers. Perspectives on Psychological Science, 10, 768–771. Halpern, D., Valenzuela, S., & Katz, J. E. (2016). “Selfie-ists” or “Narci-selfiers”?: A cross-lagged panel analysis of selfie taking and narcissism. Personality and Individual Differences, 97, 98–101. Halpern, D. F., Benbow, C. P., Geary, D. C., Gur, R. C., Hyde, J. S., & Gernsbacher, M. A. (2007). The science of sex differences in science and mathematics. Psychological Science in the Public Interest, 8, 1–51. Hambrick, D. Z. (2014). Brain training doesn’t make you smarter. Scientific American scientificamerican.com/article/brain-trainingdoesn-t-make-you-smarter/. Hambrick, D. Z., Altmann, E. M., Oswald, F. L., Meinz, E. J., Gobet, F., & Campitelli, G. (2014a). Accounting for expert performance: the devil is in the details. Intelligence, 45, 112–114. Hambrick, D. Z., & Meinz, E. J. (2011). Limits on the predictive power of domain-specific experience and knowledge in skilled performance. Current Directions in Psychological Science, 20, 275–279. Hambrick, D. Z., Oswald, F. L., Altmann, E. M., Meinz, E. J., Gobet, F., & Campitelli, G. (2014b). Deliberate practice: Is that all it takes to become an expert? Intelligence, 45, 34–45. Hamid, A. A., Pettibone, J. R., Mabrouk, O. S., Hetrick, V. L., Schmidt, R., Vander Weele, C. M., & Berke, J. D. (2016). Mesolimbic dopamine signals the value of work. Nature Neuroscience, 19, 117–126. Hamilton, J. L., Stange, J. P., Abramson, L. Y., & Alloy, L. B. (2015). Stress and the development of cognitive vulnerabilities to depression explain sex differences in depressive symptoms during adolescence. Clinical Psychological Science, 3, 702–714. Hamlin, J. K., Wynn, K., Bloom, P., & Mahajan, N. (2011). How infants and toddlers reach to antisocial others. PNAS, 108, 19931– 19936. Hammack, P. L. (2005). The life course development of human sexual orientation: an integrative paradigm. Human Development, 48, 267–290. Hammer, E. (2003). How lucky you are to be a psychology major. Eye on Psi Chi, 7, 4–5. Hammersmith, S. K. (1982). Sexual preference: an empirical study from the Alfred C. Kinsey institute for sex research. Paper presented at the meeting of the American Psychological Association, Washington, DC. (S. 411). Hammond, D. C. (2008). Hypnosis as sole anesthesia for major surgeries: historical and contemporary perspectives. American Journal of Clinical Hypnosis, 51, 101–121. Hampshire, A., Highfield, R. R., Parkin, B. L., & Owen, A. M. (2012). Fractionating human intelligence. Neuron, 76, 1225–1237.
Hamza, C. A., Willoughby, T., & Heffer, T. (2015). Impulsivity and nonsuicidal self-injury: a review and meta-analysis. Clinical Psychology Review, 38, 13–24. Han, B., Kott, P. S., Hughes, A., McKeon, R., Blanco, C., & Compton, W. M. (2016). Estimating the rates of deaths by suicide among adults who attempt suicide in the United States. Journal of Psychiatric Research, 77, 125–133. Hanania, R. (2017). The personalities of politicians: a big five survey of American legislators. Personality and Individual Differences, 108, 164–167. Haney, J. L. (2016). Predictors of homonegativity in the United States and the Netherlands using the fifth wave of the World Values Survey. Journal of Homosexuality, 63, 1355–1377. Hänggi, J., Koeneke, S., Bezzola, L., & Jäncke, L. (2010). Structural neuroplasticity in the sensorimotor network of professional female ballet dancers. Human Brain Mapping, 31, 1196–1206. Hankin, B. L., & Abramson, L. Y. (2001). Development of gender differences in depression: an elaborated cognitive vulnerabilitytransactional stress theory. Psychological Bulletin, 127, 773–796. Hanlon, E. C., Tasali, E., Leproult, R., Stuhr, K. L., Doncheck, E., de Wit, H., & Van Cauter, E. (2015). Sleep restriction enhances the daily rhythm of circulating levels of endocannabinoid 2-arachidonoylglycerol. Sleep, 39, 653–664. Hannikainen, I., Cabral, G., Machery, E., & Struchiner, N. (2016). A deterministic worldview promotes approval of state paternalism. Journal of Experimental Social Psychology, 70, 251–259. Hansen, C. H., & Hansen, R. D. (1988). Finding the face-in-the-crowd: an anger superiority effect. Journal of Personality and Social Psychology, 54, 917–924. Hanson, J. L., Nacewicz, B. M., Sutterer, M. J., Cayo, A. A., Schaefer, S. M., Rudolph, K. D., & Davidson, R. J. (2015). Behavioral problems after early life stress: Contributions of the hippocampus and amygdala. Biological Psychiatry, 77, 314–323. Harackiewicz, J. M., Canning, E. A., Tibbetts, Y., Giffen, C. J., Blair, S. S., Rouse, D. I., & Hyde, J. S. (2014). Closing the social class achievement gap for first-generation students in undergraduate biology. Journal of Educational Psychology, 106, 375–389. Harackiewicz, J. M., Canning, E. A., Tibbetts, Y., Priniski, S. J., & Hyde, J. S. (2016). Closing achievement gaps with a utility-value intervention: Disentangling race and social class. Journal of Personality and Social Psychology, 111, 745–765. Harbaugh, W. T., Mayr, U., & Burghart, D. R. (2007). Neural responses to taxation and voluntary giving reveal motives for charitable donations. Science, 316, 1622–1625. Harber, K. D. (1998). Feedback to minorities: evidence of a positive bias. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 622–628. Harden, K. P. (2012). True love waits? A sibling-comparison study of age at first sexual intercourse and romantic relationships in young adulthood. Psychological Science, 23, 1324–1336. Harden, K. P., & Mendle, J. (2011). Why don’t smart teens have sex? A behavioral genetic approach. Child Development, 82, 1327–1344. Hardt, O., Einarsson, E. O., & Nader, K. (2010). A bridge over troubled water: reconsolidation as a link between cognitive and neuroscientific memory research traditions. Annual Review of Psychology, 61, 141–167. Hare, R. D. (1975). Psychophysiological studies of psychopathy. In D. C. Fowles (Hrsg.), Clinical applications of psychophysiology (S. 602). New York: Columbia University Press. Harenski, C. L., Harenski, K. A., Shane, M. W., & Kiehl, K. A. (2010). Aberrant neural processing of moral violations in criminal psychopaths. Journal of Abnormal Psychology, 119, 863–874. Harkin, B., Webb, T. L., Chang, B. P. I., Prestwich, A., Conner, M., Kellar, I., & Sheeran, P. (2016). Does monitoring goal progress promote goal attainment? A meta-analysis of the experimental evidence. Psychological Bulletin, 142, 198–229. Harkins, S. G., & Szymanski, K. (1989). Social loafing and group evaluation. Journal of Personality and Social Psychology, 56, 934–941.
Literatur
Harlow, H. F., Harlow, M. K., & Suomi, S. J. (1971). From thought to therapy: lessons from a primate laboratory. American Scientist, 59, 538–549. Harmon-Jones, E., Abramson, L. Y., Sigelman, J., Bohlig, A., Hogan, M. E., & Harmon-Jones, C. (2002). Proneness to hypomania/mania symptoms or depression symptoms and asymmetrical frontal cortical responses to an anger-evoking event. Journal of Personality and Social Psychology, 82, 610–618. Harmon-Jones, E., Harmon-Jones, C., & Levy, N. (2015). An actionbased model of cognitive-dissonance processes. Current Directions in Psychological Science, 24, 184–189. Harold, C. M., Oh, I.-S., Holtz, B. C., Han, S., & Giacalone, R. A. (2016). Fit and frustration as drivers of targeted counterproductive work behaviors: a multifoci perspective. Journal of Applied Psychology, 101, 1513–1535. Harper, C., & McLanahan, S. (2004). Father absence and youth incarceration. Journal of Research on Adolescence, 14, 369–397. Harper’s. (2009, November). Harper’s index. Harper’s, p. 13. Interactive, H. (2010). 2009 eHarmony® marriage metrics study: Methodological notes. eHarmony. eharmony.com/press-release/31/ Harris, B. (1979). Whatever happened to Little Albert? American Psychologist, 34, 151–160. Harris, J. R. (1998). The nurture assumption (S. 146, 185). New York: Free Press. Harris, J. R. (2000). Beyond the nurture assumption: Testing hypotheses about the child’s environment. In J. G. Borkowski & S. L. Ramey (Hrsg.), Parenting and the child’s world: Influences on academic, intellectual, and social-emotional development (S. 146). Washington, DC: APA Books. Harris, J. R. (2006). No two are alike: human nature and human individuality (S. 131). New York: Norton. Harris, J. R. (2007, August 8). Do pals matter more than parents? The Times (timesonline.co.uk). Harris, J. R. (2009). The nurture assumption: Why children turn out the way they do, revised and updated (S. 546). New York: Free Press. Harris, R. J. (1994). The impact of sexually explicit media. In J. Brant & D. Zillmann (Hrsg.), Media effects: advances in theory and research (S. 508). Hillsdale: Erlbaum. Harrison, G., Hopper, K. I. M., Craig, T., Laska, E., Siegel, C., Wanderling, J., & Holmberg, S. K. (2001). Recovery from psychotic illness: a 15-and 25-year international follow-up study. The British Journal of Psychiatry, 178, 506–517. Harrison, L. A., Hurlemann, R., & Adolphs, R. (2015). An enhanced default approach bias following amygdala lesions in humans. Psychological Science, 26, 1543–1555. Harriston, K. A. (1993, December 24). 1 shakes, 1 snoozes: Both win $45 million. Washington Post release (in Tacoma News Tribune, pp. A1, A2). Harter, J. K., Schmidt, F. L., Asplund, J. W., Killham, E. A., & Agrawal, S. (2010). Causal impact of employee work perceptions on the bottom line of organizations. Perspectives on Psychological Science, 5, 378–389. Harter, J. K., Schmidt, F. L., & Hayes, T. L. (2002). Business-unit-level relationship between employee satisfaction, employee engagement, and business outcomes: A meta-analysis. Journal of Applied Psychology, 87, 268–279. Hartl, A. C., Laursen, B., & Cillessen, A. H. (2015). A survival analysis of adolescent friendships: The downside of dissimilarity. Psychological Science, 26, 1304–1315. Hartwig, M., & Bond Jr., C. F. (2011). Why do lie-catchers fail? A lens model meta-analysis of human lie judgments. Psychological Bulletin, 137, 643–659. Harvey, A. G., & Tang, N. K. Y. (2012). (Mis)perception of sleep in insomnia: A puzzle and a resolution. Psychological Bulletin, 138, 77–101.
873
Harward, S. C., Hedrick, N. G., Hall, C. E., Parra-Bueno, P., Milner, T. A., Pan, E., & McNamara, J. O. (2016). Autocrine BDNF–TrkB signalling within a single dendritic spine. Nature, 538, 99–103. Haselton, M. G., & Gildersleeve, K. (2011). Can men detect ovulation? Current Directions in Psychological Science, 20, 87–92. Haselton, M. G., & Gildersleeve, K. (2016). Human ovulation cues. Current Opinion in Psychology, 7, 120–125. Haslam, S. A., & Reicher, S. D. (2007). Beyond the banality of evil: three dynamics of an interactionist social psychology of tyranny. Personality and Social Psychology Bulletin, 33, 615–622. Haslam, S. A., & Reicher, S. D. (2012). Contesting the “nature” of conformity: what Milgram and Zimbardo’s studies really show. PLoS Biology, 10, e1001426. Haslam, S. A., Reicher, S. D., & Birney, M. E. (2014). Nothing by mere authority: evidence that in an experimental analogue of the Milgram paradigm participants are motivated not by orders but by appeals to science. Journal of Social Issues, 70, 473–488. Haslam, S. A., Reicher, S. D., & Birney, M. E. (2016). Questioning authority: New perspectives on Milgram’s “obedience” research and its implications for intergroup relations. Current Opinion in Psychology, 11, 6–9. Hassan, B., & Rahman, Q. (2007). Selective sexual orientation-related differences in object location memory. Behavioral Neuroscience, 121, 625–633. Hassan, J. (2016, October 12). Homophobic attacks in the U.K. have risen 147 % since Brexit, report says. The Washington Post (washingtonpost.com). Hassin, R. R. (2013). Yes it can: on the functional abilities of the human unconscious. Perspectives on Psychological Science, 8, 195–207. Hatfield, E. (1988). Passionate and companionate love. In R. J. Sternberg & M. L. Barnes (Hrsg.), The psychology of love (S. 515, 516). New Haven: Yale University Press. Hatfield, E. (2016). Love and sex in the marketplace. In R. J. Sternberg, S. T. Fiske & D. J. Foss (Hrsg.), Scientists making a difference: one hundred eminent behavioral and brain scientists talk about their most important contributions (S. 512). New York: Cambridge University Press. Hatfield, E., Mo, Y., & Rapson, R. L. (2015). Love, sex, and marriage across cultures. Oxford Handbooks Online. (S. 515). oxfordhandbooks.com. Hatfield, E., & Sprecher, S. (1986). Mirror, mirror . . . the importance of looks in everyday life (S. 513). Albany: SUNY Press. Hattie, J. (2009). Visible learning: a synthesis of 800. Meta analyses on achievement. Abingdon: Routledge, https://apprendre.auf. org/wp-content/opera/13-BF-References-et-biblio-RPT-2014/ Visible%20Learning_A%20synthesis%20or%20over%20800%20 Meta-analyses%20Relating%20to%20Achievement_Hattie%20 J%202009%20...pdf. Hathaway, S. R. (1972). An MMPI Handbook. Bd. 1 (S. 545). Minneapolis: University of Minnesota Press. 1960 Hatzenbuehler, M. L. (2011). The social environment and suicide attempts in lesbian, gay, and bisexual youth. Pediatrics, 127, 896–903. Hatzenbuehler, M. L. (2014). Structural stigma and the health of lesbian, gay, and bisexual populations. Current Directions in Psychological Science, 23, 127–132. Hatzenbuehler, M. L., Nolen-Hoeksema, S., & Dovidio, J. (2009). How does stigma “get under the skin?” The mediating role of emotion regulation. Psychological Science, 20, 1282–1289. Hatzigeorgiadis, A., Zourbanos, N., Galanis, E., & Theodorakis, Y. (2011). Self-talk and sports performance: a meta-analysis. Perspectives on Psychological Science, 6, 348–356. Haun, D. B. M., Rekers, Y., & Tomasello, M. (2014). Children conform to the behavior of peers; other great apes stick with what they know. Psychological Science, 25, 2160–2167. Hauser, M. D., Chomsky, N., & Fitch, W. T. (2002). The faculty of language: What is it, who has it, and how did it evolve? Science, 298, 1569–1579.
874
Literatur
Havas, D. A., Glenberg, A. M., Gutowski, K. A., Lucarelli, M. J., & Davidson, R. J. (2010). Cosmetic use of Botulinum Toxin-A affects processing of emotional language. Psychological Science, 21, 895–900. Havas, D. A., Glenberg, A. M., & Rink, M. (2007). Emotion simulation during language comprehension. Psychonomic Bulletin & Review, 14, 436–441. Hawkley, L. C., Hughes, M. E., Waite, L. J., Masi, C. M., Thisted, R. A., & Cacioppo, J. T. (2008). From social structure factors to perceptions of relationship quality and loneliness: the Chicago health, aging, and social relations study. Journal of Gerontology: Series B, 63, S375–S384. Haworth, C. M. A., Wright, M. J., Martin, N. W., Martin, N. G., Boomsma, D. I., Bartels, M., & Plomin, R. (2009). A twin study of the genetics of high cognitive ability selected from 11,000 twin pairs in six studies from four countries. Behavior Genetics, 39, 359–370. Haworth, C. M. A., Wright, M. J., Luciano, M., Martin, N. G., de Geus, E. J., van Beijsterveldt, C. E., & Plomin, R. (2010). The heritability of general cognitive ability increases linearly from childhood to young adulthood. Molecular Psychiatry, 15, 1112–1120. Hawton, K., Bergen, H., Cooper, J., Turnbull, P., Waters, K., Ness, J., & Kapur, N. (2015). Suicide following self-harm: findings from the multicentre study of self-harm in England, 2000–2012. Journal of Affective Disorders, 175, 147–151. Haxby, J. V. (2001, July 7). Quoted by B. Bower, Faces of perception. Science News, pp. 10–12. See also J. V. Haxby, M. I. Gobbini, M. L. Furey, A. Ishai, J. L. Schouten & P. Pietrini, Distributed and overlapping representations of faces and objects in ventral temporal cortex. Science, 293, 2425–2430. Hayasaki, E. (2014, July). Want to know when you’ll die? Big data could tell you. Newsweek (newsweek.com). Hayashi, Y., Kashiwagi, M., Yasuda, K., Ando, R., Kanuka, M., Sakai, K., & Itohara, S. (2015). Cells of a common developmental origin regulate REM/non-REM sleep and wakefulness in mice. Science, 350, 957–961. Haynes, J.-D. (2008, April 13). Quoted by Brandon Keim, Brain scanners can see your decisions before you make them. Wired (wired. com/2008/04/mind-decision). Hays, C., & Carver, L. J. (2014). Follow the liar: The effects of adult lies on children’s honesty. Developmental Science, 17, 977–983. Hazan, C., & Shaver, P. R. (1994). Attachment as an organizational framework for research on close relationships. Psychological Inquiry, 5, 1–22. Hazelrigg, M. D., Cooper, H. M., & Borduin, C. M. (1987). Evaluating the effectiveness of family therapies: an integrative review and analysis. Psychological Bulletin, 101, 428–442. He, Z., & Jin, Y. (2016). Intrinsic control of axon regeneration. Neuron, 90, 437–451. Head Start (2013). About. Office of Head Start, An Office of the Administration for Families and Children. acf.hhs.gov Headey, B., Muffels, R., & Wagner, G. G. (2010). Long-running German panel survey shows that personal and economic choices, not just genes, matter for happiness. PNAS, 107, 17922–17926. Health Canada (2012). Major findings from the Canadian alcohol and drug use monitoring survey (CADUMS) 2011. Health Canada. hc-sc.gc.ca/hc-ps/drugs-drogues/stat/index-eng.php Heavey, C. L., & Hurlburt, R. T. (2008). The phenomena of inner experience. Consciousness and Cognition, 17, 798–810. Heberle, A. E., & Carter, A. S. (2015). Cognitive aspects of young children’s experience of economic disadvantage. Psychological Bulletin, 141, 723–746. Hedström, P., Liu, K.-Y., & Nordvik, M. K. (2008). Interaction domains and suicides: a population-based panel study of suicides in the stockholm metropolitan area, 1991–1999. Social Forces, 2, 713–740.
Hehman, E., Leitner, J. B., Deegan, M. P., & Gaertner, S. L. (2013). Facial structure is indicative of explicit support for prejudicial beliefs. Psychological Science, 24, 289–296. Heider, F. (1958). The psychology of interpersonal relations (S. 478). New York: Wiley. Heiman, J. R. (1975). The physiology of erotica: women’s sexual arousal. Psychology Today, 8, 90–94. Hein, G., Morishima, Y., Leiberg, S., Sul, S., & Fehr, E. (2016). The brain’s functional network architecture reveals human motives. Science, 351, 1074–1078. Heine, S. J., Proulx, T., & Vohs, K. D. (2006). Meaning maintenance model: on the coherence of human motivations. Personality and Social Psychology Review, 10, 88–110. Hejmadi, A., Davidson, R. J., & Rozin, P. (2000). Exploring Hindu Indian emotion expressions: evidence for accurate recognition by Americans and Indians. Psychological Science, 11, 183–187. Helfand, D. (2011, January 7). An assault on rationality. The New York Times (nytimes.com). Helleberg, M., Afzal, S., Kronborg, G., Larsen, C. S., Pedersen, G., Pedersen, C., & Obel, N. (2013). Mortality attributable to smoking among HIV-1-infected individuals: A nationwide, population-based cohort study. Clinical Infectious Diseases, 56, 727–734. Heller, A. S., Johnstone, T., Schackman, A. J., Light, S. N., Peterson, M. J., Kolden, G. G., & Davidson, R. J. (2009). Reduced capacity to sustain positive emotion in major depression reflects diminished maintenance of fronto-striatal brain activation. PNAS, 106, 22445–22450. Heller, S. B. (2014). Summer jobs reduce violence among disadvantaged youth. Science, 346, 1219–1222. Heller, W. (1990). Of one mind: Second thoughts about the brain’s dual nature. The Sciences, 30, 38–44. Helliwell, J., Layard, R., & Sachs, J. (Hrsg.). (2013). World happiness report (S. 447, 448). New York: The Earth Institute, Columbia University. Helliwell, J. F., & Wang, S. (2015). How was the weekend? How the social context underlies weekend effects in happiness and other emotions for U.S. workers. PLoS ONE, 10, e145123. Helmreich, W. B. (1992). Against all odds: holocaust survivors and the successful lives they made in america (S. 187, 536). New York: Simon & Schuster. Helmreich, W. B. (1994). Personal correspondence (S. 536). New York: Department of Sociology, City University of New York. Helms, J. E., Jernigan, M., & Mascher, J. (2005). The meaning of race in psychology and how to change it: a methodological perspective. American Psychologist, 60, 27–36. Helmuth, L. (2001). Boosting brain activity from the outside in. Science, 292, 1284–1286. Helsen, K., Goubert, L., Peters, M. L., & Vlaeyen, J. W. S. (2011). Observational learning and pain-related fear: an experimental study with colored cold pressor tasks. The Journal of Pain, 12, 1230–1239. Helweg-Larsen, M. (1999). (The lack of) optimistic biases in response to the 1994 Northridge earthquake: the role of personal experience. Basic and Applied Social Psychology, 21, 119–129. Hembree, R. (1988). Correlates, causes, effects, and treatment of test anxiety. Review of Educational Research, 58, 47–77. Henderlong, J., & Lepper, M. R. (2002). The effects of praise on children’s intrinsic motivation: a review and synthesis. Psychological Bulletin, 128, 774–795. Henderson, J. M. (2007). Regarding scenes. Current Directions in Psychological Science, 16, 219–222. Henig, R. M. (2010, August 18). What is it about 20-somethings? The New York Times (nytimes.com).s Henkel, L. A., Franklin, N., & Johnson, M. K. (2000). Cross-modal source monitoring confusions between perceived and imagined events. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, & Cognition, 26, 321–335.
Literatur
Henley, N. M. (1989). Molehill or mountain? What we know and don’t know about sex bias in language. In M. Crawford & M. Gentry (Hrsg.), Gender and thought: Psychological perspectives (S. 59–78). New York: Springer. Hennenlotter, A., Dresel, C., Castrop, F., Ceballos Baumann, A., Wohschlager, A., & Haslinger, B. (2008). The link between facial feedback and neural activity within central circuitries of emotion: new insights from Botulinum toxin-induced denervation of frown muscles. Cerebral Cortex, 19, 537–542. Hennessey, B. A., & Amabile, T. M. (2010). Creativity. Annual Review of Psychology, 61, 569–598. Henrich, J., Heine, S. J., & Norenzayan, A. (2010). The weirdest people in the world? Behavioral and Brain Sciences, 33, 61–135. Henry, J. D., MacLeod, M. S., Phillips, L. H., & Crawford, J. R. (2004). A meta-analytic review of prospective memory and aging. Psychology and Aging, 19, 27–39. Hepper, P. (2005). Unravelling our beginnings. The Psychologist, 18, 474–477. Herbenick, D., Reece, M., Schick, V., & Sanders, S. A. (2014). Erect penile length and circumference dimensions of 1,661 sexually active men in the United States. Journal of Sexual Medicine, 11, 93–101. Herbenick, D., Reece, M., Schick, V., Sanders, S. A., Dodge, B., & Fortenberry, J. D. (2010a). Sexual behavior in the United States: results from a national probability sample of men and women ages 14–94. Journal of Sexual Medicine, 7(suppl. 5), 255–265. Herbenick, D., Reece, M., Schick, V., Sanders, S. A., Dodge, B., & Fortenberry, J. D. (2010b). Sexual behaviors, relationships, and perceived health among adult women in the United States: results from a national probability sample. Journal of Sexual Medicine, 7(suppl 5), 277–290. Herculano-Houzel, S. (2012). The remarkable, yet not extraordinary, human brain as a scaled-up primate brain and its associated cost. PNAS, 109(suppl 1), 10661–10668. Herek, G. M. (2016). Facts about homosexuality and child molestation. psychology.ucdavis.edu/rainbow/html/facts _molestation.html Herholz, S. C., & Zatorre, R. J. (2012). Musical training as a framework for brain plasticity: behavior, function, and structure. Neuron, 76, 486–502. Herman-Giddens, M. E. (2013). The enigmatic pursuit of puberty in girls. Pediatrics, 132, 1125–1126. Herman-Giddens, M. E., Steffes, J., Harris, D., Slora, E., Hussey, M., Dowshen, S. A., & Reiter, E. O. (2012). Secondary sexual characteristics in boys: Data from the pediatric research in office settings network. Pediatrics, 130, 1058–1068. Herman, C. P., & Polivy, J. (1980). Restrained eating. In A. J. Stunkard (Hrsg.), Obesity (S. 400). Philadelphia: Saunders. Herman, C. P., Polivy, J., Pliner, P., & Vartanian, L. R. (2015). Mechanisms underlying the portion-size effect. Physiology & Behavior, 144, 129–136. Herman, C. P., Roth, D. A., & Polivy, J. (2003). Effects of the presence of others on food intake: a normative interpretation. Psychological Bulletin, 129, 873–886. Herman, K. C., Reinke, W. M., Dong, N., & Bradshaw, C. P. (2022). Can effective classroom behavior management increase student achievement in middle school? Findings from a group randomized trial. Journal of Educational Psychology, 114, 144–160. Hernandez, A. E., & Li, P. (2007). Age of acquisition: its neural and computational mechanisms. Psychological Bulletin, 133, 638–650. Hernandez, R., Kershaw, K. N., Siddique, J., Boehm, J. K., Kubzansky, L. D., Diez-Roux, A., & Lloyd-Jones, D. M. (2015). Optimism and cardiovascular health: Multi-Ethnic Study of Atherosclerosis (MESA). Health Behavior and Policy Review, 2, 62–73. Herpertz-Dahlmann, B., & Schwarte, R. (2009). Anorexia nervosa. In: S. Schneider S, & J. Margraf (Eds.), Störungen im Kindes und Jugendalter. Lehrbuch der Verhaltenstherapie, Bd. 3., Heidelberg: Springer, S 720–738.
875
Herrero, N., Gadea, M., Rodríguez-Alarcón, G., Espert, R., & Salvador, A. (2010). What happens when we get angry? Hormonal, cardiovascular and asymmetrical brain responses. Hormones and Behavior, 57, 276–283. Herring, D. R., White, K. R., Jabeen, L. N., Hinojos, M., & Terrazas, G. (2013). On the automatic activation of attitudes: a quarter century of evaluative priming research. Psychological Bulletin, 132, 1062–1089. Herringa, R. J., Phillips, M. L., Fournier, J. C., Kronhaus, D. M., & Germain, A. (2013). Childhood and adult trauma both correlate with dorsal anterior cingulate activation to threat in combat veterans. Psychological Medicine, 43, 1533–1542. Herrmann, E., Call, J., Hernández-Lloreda, M. V., Hare, B., & Tomasello, M. (2007). Humans have evolved specialized skills of social cognition: the cultural intelligence hypothesis. Science, 317, 1360–1365. Herrmann, E., Hernández-Lloreda, V., Call, J., Hare, B., & Tomasello, M. (2010). The structure of individual differences in the cognitive abilities of children and chimpanzees. Psychological Science, 21, 102–110. Herrnstein, R. J., & Loveland, D. H. (1964). Complex visual concept in the pigeon. Science, 146, 549–551. Hershenson, M. (1989). The moon illusion (S. 238). Hillsdale: Erlbaum. Hertenstein, M. (2009). The tell: the little cues that reveal big truths about who we are (S. 460). New York: Basic Books. Hertenstein, M. J., Hansel, C., Butts, S., & Hile, S. (2009). Smile intensity in photographs predicts divorce later in life. Motivation & Emotion, 33, 99–105. Hertenstein, M. J., Verkamp, J. M., Kerestes, A. M., & Holmes, R. M. (2006). The communicative functions of touch in humans, nonhumans primates, and rats: A review and synthesis of the empirical research. Genetic, Social, and General Psychology Monographs, 132, 5–94. Herz, R. (2007). The scent of desire: discovering our enigmatic sense of smell (S. 253). New York: Morrow/HarperCollins. Herz, R. (2012, January 28). You eat that? The Wall Street Journal (online.wsj.com). (p. 399) Herz, R. S. (2001). Ah sweet skunk! Why we like or dislike what we smell. Cerebrum, 3, 31–47. Herz, R. S., Beland, S. L., & Hellerstein, M. (2004). Changing odor hedonic perception through emotional associations in humans. International Journal of Comparative Psychology, 17, 315–339. Hess, E. H. (1956). Space perception in the chick. Scientific American, https://www.scientificamerican.com/. Hess, U., & Thibault, P. (2009). Darwin and emotion expression. American Psychologist, 64, 120–128. Hetherington, M. M., Anderson, A. S., Norton, G. N. M., & Newson, L. (2006). Situational effects on meal intake: a comparison of eating alone and eating with others. Physiology and Behavior, 88, 498–505. Hibar, D. P., Westlye, L. T., van Erp, T. G., Rasmussen, J., Leonardo, C. D., Faskowitz, J., & Dale, A. M. (2016). Subcortical volumetric abnormalities in bipolar disorder. Molecular Psychiatry, 21, 1710–1716. Hickok, G. (2014). The myth of mirror neurons: the real neuroscience of communication and cognition (S. 289, 290). New York: Norton. Hickok, G., Bellugi, U., & Klima, E. S. (2001). Sign language in the brain. Scientific American, 284, 58–65. Hilgard, E. R. (1986). Divided consciousness: Multiple controls in human thought and action (S. 250). New York: Wiley. Hilgard, E. R. (1992). Dissociation and theories of hypnosis. In E. Fromm & M. R. Nash (Hrsg.), Contemporary hypnosis research (S. 250). New York: Guilford. Hill, A. J. (2007). The psychology of food craving. Proceedings of the Nutrition Society, 66, 277–285.
876
Literatur
Hill, C. E., & Nakayama, E. Y. (2000). Client-centered therapy: where has it been and where is it going? A comment on Hathaway. Journal of Clinical Psychology, 56, 961–875. Hills, P. J., Werno, M. A., & Lewis, M. B. (2011). Sad people are more accurate at face recognition than happy people. Consciousness and Cognition, 20, 1502–1517. Hills, T. T., & Adelman, J. S. (2015). Recent evolution of learnability in American English from 1800 to 2000. Cognition, 143, 87–92. Hines, M. (2004). Brain gender (S. 157). New York: Oxford University Press. Hingson, R. W., Heeren, T., & Winter, M. R. (2006). Age at drinking onset and alcohol dependence. Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 160, 739–746. Hintzman, D. L. (1978). The psychology of learning and memory (S. 302). San Francisco: Freeman. Hinz, L. D., & Williamson, D. A. (1987). Bulimia and depression: a review of the affective variant hypothesis. Psychological Bulletin, 102, 150–158. Hirsh-Pasek, K., Adamson, L. B., Bakeman, R., Owen, M. T., Golinkoff, R. M., Pace, A., & Suma, K. (2015). The contribution of early communication quality to low-income children’s language success. Psychological Science, 26, 1071–1083. Hirst, W., & Phelps, E. A. (2016). Flashbulb memories. Current Directions in Psychological Science, 25, 36–41. Hirst, W., Phelps, E. A., Buckner, R. L., Budson, A. E., Cuc, A., Gabrieli, J. D. E., & Vaidya, C. J. (2009). Long-term memory for the terrorist attack of September 11: flashbulb memories, event memories, and the factors that influence their retention. Journal of Experimental Psychology: General, 138, 161–176. Hirt, E. R., Zillmann, D., Erickson, G. A., & Kennedy, C. (1992). Costs and benefits of allegiance: changes in fans’ self-ascribed competencies after team victory versus defeat. Journal of Personality and Social Psychology, 63, 724–738. Hjelmborg, J. V. B., Fagnani, C., Silventoinen, K., McGue, M., Korkeila, M., Christensen, K., & Kaprio, J. (2008). Genetic influences on growth traits of BMI: A longitudinal study of adult twins. Obesity, 16, 847–852. Hjorthøj, C., Stürup, A. E., McGrath, J. J., & Nordentoft, M. (2017). Years of potential life lost and life expectancy in schizophrenia: A systematic review and meta-analysis. The Lancet Psychiatry, 4, 295–301. HMHL (2002). Disaster and trauma. Harvard Mental Health Letter, https://www.health.harvard.edu/. HMHL (2007). Electroconvulsive therapy. Harvard Mental Health Letter, https://www.health.harvard.edu/. Hobaiter, C., Poisot, T., Zuberbühler, K., Hoppitt, W., & Gruber, T. (2014). Social network analysis shows direct evidence for social transmission of tool use in wild chimpanzees. PLoS Biology, 12, e1001960. Hobbs, W. R., Burke, M., Christakis, N. A., & Fowler, J. H. (2016). Online social integration is association with reduced mortality risk. PNAS, 113, 12980–12984. Hobson, J. A. (1995, September). Quoted by C. H. Colt, The power of dreams. Life, pp. 36–49. Hobson, J. A. (2003). Dreaming: an introduction to the science of sleep (S. 109). New York: Oxford. Hobson, J. A. (2004). 13 dreams Freud never had: the new mind science (S. 109). New York: Pi Press. Hobson, J. A. (2009). REM sleep and dreaming: towards a theory of protoconsciousness. Nature Reviews, 10, 803–814. Hochberg, L. R., Bacher, D., Jarosiewicz, B., Masse, N. Y., Simeral, J. D., Vogel, J., & Donoghue, J. P. (2012). Reach and grasp by people with tetraplegia using a neutrally controlled robotic arm. Nature, 485, 375–375. Hochberg, L. R., Serruya, M. D., Friehs, G. M., Mukand, J. A., Saleh, M., Caplan, A. H., & Donoghue, J. P. (2006). Neuronal ensemble
control of prosthetic devices by a human with tetraplegia. Nature, 442, 164–171. Hochmair, I. (2013). Cochlear implants: The size of the task concerning children born deaf. medel.com/cochlear-implants-facts Hochweber, J., Hosenfeld, I., & Klieme, E. (2014) Classroom composition, classroom management, and the relationship between student attributes and grades. Journal of Educational Psychology, 106, 289–300. Hodgins, S., Larm, P., Ellenbogen, M., Vitaro, F., & Tremblay, R. E. (2013). Teachers’ ratings of childhood behaviours predict adolescent and adult crime among 3016 males and females. The Canadian Journal of Psychiatry/La Revue Canadienne De Psychiatrie, 58, 143–150. Hoebel, B. G., & Teitelbaum, P. (1966). Effects of forcefeeding and starvation on food intake and body weight in a rat with ventromedial hypothalamic lesions. Journal of Comparative and Physiological Psychology, 61, 189–193. Hoeft, F., Watson, C. L., Kesler, S. R., Bettinger, K. E., & Reiss, A. L. (2008). Gender differences in the mesocorticolimbic system during computer game-play. Journal of Psychiatric Research, 42, 253–258. Hoffman, B. M., Babyak, M. A., Craighead, W. E., Sherwood, A., Doraiswamy, P. M., Coons, M. J., & Blumenthal, J. A. (2011). Exercise and pharmacotherapy in patients with major depression: One-year follow-up of the SMILE study. Psychosomatic Medicine, 73, 127–133. Hoffman, D. D. (1998). Visual intelligence: how we create what we see (S. 232). New York: Norton. Hoffman, H. (2012). Considering the role of conditioning in sexual orientation. Archives of Sexual Behavior, 41, 63–71. Hoffman, H. G. (2004). Virtual-reality therapy (S. 58–65). Scientific American, https://www.scientificamerican.com/. Hoffman, K. M., Trawalter, S., Axt, J. R., & Oliver, M. N. (2016). Racial bias in pain assessment and treatment recommendations, and false believes about biological differences between blacks and whites. Proceedings of the National Academy of Sciences, 113, 4296–4301. Hoffman, Y. S. G., Shrira, A., Cohen-Fridel, S., Grossman, E. S., & Bodner, E. (2016). The effect of exposure to missile attacks on posttraumatic stress disorder symptoms as a function of perceived media control and locus of control. Psychiatry Research, 244, 51–56. Hofmann, S. G., Sawyer, A. T., Witt, A. A., & Oh, D. (2010). The effect of mindfulness-based therapy on anxiety and depression: a metaanalytic review. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 78, 169–183. Hofstadter, D. (2011, January 7). A cutoff for craziness. The New York Times (nytimes.com). (p. 258) Hogan, C. L., Catalino, L. I., Mata, J., & Fredrickson, B. L. (2015). Beyond emotional benefits: physical activity and sedentary behavior affect psychosocial resources through emotions. Psychology & Health, 30, 354–369. Hogan, R. (1998). Reinventing personality. Journal of Social and Clinical Psychology, 17, 1–10. Hoge, C. W., Terhakopian, A., Castro, C. A., Messer, S. C., & Engel, C. C. (2007). Association of posttraumatic stress disorder with somatic symptoms, health care visits, and absenteeism among Iraq War veterans. American Journal of Psychiatry, 164, 150–153. Hogg, M. A. (1996). Intragroup processes, group structure and social identity. In W. P. Robinson (Hrsg.), Social groups and identities: developing the legacy of Henri Tajfel (S. 501). Oxford: Butterworth Heinemann. Hogg, M. A. (2006). Social identity theory. In P. J. Burke (Hrsg.), Contemporary social psychological theories (S. 501). Stanford: Stanford University Press. Hohmann, G. W. (1966). Some effects of spinal cord lesions on experienced emotional feelings. Psychophysiology, 3, 143–156.
Literatur
Hokanson, J. E., & Edelman, R. (1966). Effects of three social responses on vascular processes. Journal of Personality and Social Psychology, 3, 442–447. Holahan, C. K., & Sears, R. R. (1995). The gifted group in later maturity (S. 376). Stanford: Stanford University Press. Holden, G. W., & Miller, P. C. (1999). Enduring and different: a metaanalysis of the similarity in parents’ child rearing. Psychological Bulletin, 125, 223–254. Holland, D., Chang, L., Ernst, T. M., Curran, M., Buchthal, S. D., Alicata, D., & Dale, A. M. (2014). Structural growth trajectories and rates of change in the first 3 months of infant brain development. JAMA Neurology, 71, 1266–1274. Holland, J. L. (1996). Exploring careers with a typology: what we have learned and some new directions. American Psychologist, 51, 397–406. Holle, H., Warne, K., Seth, A. K., Critchley, H. D., & Ward, J. (2012). Neural basis of contagious itch and why some people are more prone to it. PNAS, 109, 19816–19821. Holliday, R. E., & Albon, A. J. (2004). Minimizing misinformation effects in young children with cognitive interview mnemonics. Applied Cognitive Psychology, 18, 263–281. Hollis, K. L. (1997). Contemporary research on Pavlovian conditioning: a “new” functional analysis. American Psychologist, 52, 956–965. Hollon, S. D., DeRubeis, R. J., Fawcett, J., Amsterdam, J. D., Shelton, R. C., Zajecka, J., & Gallop, R. (2014). Effect of cognitive therapy with antidepressant medications vs. antidepressants alone on the rate of recovery in major depressive disorder. JAMA Psychiatry, 71, 1157–1164. Holman, E. A., Garfin, D. R., & Silver, R. C. (2014). Media’s role in broadcasting acute stress following the Boston marathon bombings. PNAS, 111, 93–98. Holstege, G., Georgiadis, J. R., Paans, A. M. J., Meiners, L. C., van der Graaf, F. H. C. E., & Reinders, A. A. T. S. (2003a). Brain activation during male ejaculation. Journal of Neuroscience, 23, 9185–9193. Holstege, G., Reinders, A. A. T., Paans, A. M. J., Meiners, L. C., Pruim, J., & Georgiadis, J. R. (2003b). Brain activation during female sexual orgasm. Program No. 727.7. (S. 404). Washington, DC: Society for Neuroscience. Holt, L. (2002, August). Reported in “Sounds of speech,” p. 26, and in personal correspondence, July 18, 2002. (p. 345) Holtgraves, T. (2011). Text messaging, personality, and the social context. Journal of Research in Personality, 45, 92–99. Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., Baker, M., Harris, T., & Stephenson, D. (2015). Loneliness and social isolation as risk factors for mortality: a meta-analytic review. Perspectives on Psychological Science, 10, 227–237. Holt-Lunstad, J., Smith, T. B., & Layton, J. B. (2010). Social relationships and mortality risk: a meta-analytic review. PLoS Medicine, 7, e1000316. Holwerda, T. J., Deeg, D. J., Beekman, A. T., van Tilburg, T. G., Stek, M. L., Jonker, C., & Schoevers, R. A. (2014). Feelings of loneliness, but not social isolation, predict dementia onset: results from the Amsterdam Study of the Elderly (AMSTEL). Journal of Neurology, Neurosurgery, and Psychiatry, 85, 135–142. Homer, B. D., Solomon, T. M., Moeller, R. W., Mascia, A., DeRaleau, L., & Halkitis, P. N. (2008). Methamphetamine abuse and impairment of social functioning: A review of the underlying neurophysiological causes and behavioral implications. Psychological Bulletin, 134, 301–310. Hoogman, M., Bralten, J., Hibar, D. P., Mennes, M., Zwiers, M. P., Schweren, L. S., & de Zeeuw, P. (2017). Subcortical brain volume differences in participants with attention deficit hyperactivity disorder in children and adults: a cross-sectional mega-analysis. The Lancet Psychiatry, 4, 310–319.
877
Hooper, J., & Teresi, D. (1986). The three-pound universe (S. 71). New York: Macmillan. Hopkins, E. D., & Cantalupo, C. (2008). Theoretical speculations on the evolutionary origins of hemispheric specialization. Current Directions in Psychological Science, 17, 233–237. Hoppenbrouwers, S. S., Bulten, B. H., & Brazil, I. A. (2016). Parsing fear: a reassessment of the evidence for fear deficits in psychopathy. Psychological Bulletin, 142, 573–600. Hoppe-Graf, S. (2010) Pädagogische Psychologie. In D. G. Myers (Hrsg.), Psychologie (S. 745–783). Heidelberg: Springer. Hopper, L. M., Lambeth, S. P., Schapiro, S. J., & Whiten, A. (2008). Observational learning in chimpanzees and children studied through “ghost” conditions. Proceedings of the Royal Society, 275, 835–840. Horn, J. L. (1982). The aging of human abilities. In J. Wolman (Hrsg.), Handbook of developmental psychology (S. 373). Englewood Cliffs: Prentice-Hall. Horne, J. (2011). The end of sleep: “Sleep debt” versus biological adaptation of human sleep to waking needs. Biological Psychology, 87, 1–14. Horner, V., Whiten, A., Flynn, E., & de Waal, F. B. M. (2006). Faithful replication of foraging techniques along cultural transmission chains by chimpanzees and children. Proceedings of the National Academy of Sciences, 103, 13878–13883. Horowitz, S. S. (2012). The science and art of listening. The New York Times (nytimes.com). (p. 242) Horta, L., de Mola, C. L., & Victora, C. G. (2015). Breastfeeding and intelligence: systematic review and meta-analysis. Acta Paediatrica, 104, 14–19. Hortenhuis, R., & de Gelder, B. (2014). The neural basis of the bystander effect: the influence of group size on neural activity when witnessing an emergency. NeuroImage, 93, 53–58. Horvath, J. C., Forte, J. D., & Carter, O. (2015). Quantitative review finds no evidence of cognitive effects in healthy populations from single-session transcranial direct current stimulation (tDCS). Brain Stimulation, 8, 535–550. Horwood, L. J., & Fergusson, D. M. (1998). Breastfeeding and later cognitive and academic outcomes. Pediatrics, 101, E9. Hostetter, A. B. (2011). When do gestures communicate? A meta-analysis. Psychological Bulletin, 137, 297–315. Hostinar, C. E., Sullivan, R., & Gunnar, M. R. (2014). Psychobiological mechanisms underlying the social buffering of the hypothalamic-pituitary-adrenocortical axis: A review of animal models and human studies across development. Psychological Bulletin, 140, 256–282. Hou, W.-H., Chiang, P.-T., Hsu, T.-Y., Chiu, S.-Y., & Yen, Y.-C. (2010). Treatment effects of massage therapy in depressed people: a metaanalysis. Journal of Clinical Psychiatry, 71, 894–901. House, R., Javidan, M., & Dorfman, P. (2001). Project GLOBE: an introduction. Applied Psychology: An International Review, 50, 489–505. House, R. J., & Singh, J. V. (1987). Organizational behavior: some new directions for I/O psychology. Annual Review of Psychology, 38, 669–718. Houser-Marko, L., & Sheldon, K. M. (2008). Eyes on the prize or nose to the grindstone? The effects of level of goal evaluation on mood and motivation. Personality and Social Psychology Bulletin, 34, 1556–1569. Houts, A. C., Berman, J. S., & Abramson, H. (1994). Effectiveness of psychological and pharmacological treatments for nocturnal enuresis. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 62, 737–745. Hovatta, I., Tennant, R. S., Helton, R., Marr, R. A., Singer, O., Redwine, J. M., & Barlow, C. (2005). Glyoxalase 1 and glutathione reductase 1 regulate anxiety in mice. Nature, 438, 662–666. Howell, E. C., Etchells, P. J., & Penton-Voak, I. S. (2012). The sexual overperception bias is associated with sociosexuality. Personality and Individual Differences, 53, 1012–1016.
878
Literatur
Hoyer, G., & Lund, E. (1993). Suicide among women related to number of children in marriage. Archives of General Psychiatry, 50, 134–137. Hsee, C. K., & Ruan, B. (2016). The Pandora effect: the power and peril of curiosity. Psychological Science, 27, 659–666. Hsee, C. K., Yang, A. X., & Wang, L. (2010). Idleness aversion and the need for justifiable busyness. Psychological Science, 21, 926–930. Hsiang, S. M., Burke, M., & Miguel, E. (2013). Quantifying the influence of climate on human conflict. Science, 341, 1212. Huang, C. (2010). Mean-level change in self-esteem from childhood through adulthood meta-analysis of longitudinal studies. Review of General Psychology, 14, 251–260. Huang, C. (2015). Relation between attributional style and subsequent depressive symptoms: a systematic review and meta-analysis of longitudinal studies. Cognitive Therapy and Research, 39, 721–735. Huang, J., Chaloupka, F. J., & Fong, G. T. (2013). Cigarette graphic warning labels and smoking prevalence in Canada: a critical examination and reformulation of the FDA regulatory impact analysis. Tobacco Control, tobaccocontrol.bmj.com/content / early/2013/11/11/tobaccocontrol-2013-051170.full.pdf Huart, J., Corneille, O., & Becquart, E. (2005). Face-based categorization, context-based categorization, and distortions in the recollection of gender ambiguous faces. Journal of Experimental Social Psychology, 41, 598–608. Hubbard, E. M., Arman, A. C., Ramachandran, V. S., & Boynton, G. M. (2005). Individual differences among grapheme-color synesthetes: brain-behavior correlations. Neuron, 45, 975–985. Hubel, D. H. (1979). The brain. Scientific American, https://www. scientificamerican.com/. Hubel, D. H., & Wiesel, T. N. (1963). Receptive fields of cells in striate cortex of very young, visually inexperienced kittens. Journal of Neurophysiology, 26, 994–1002. Hubel, D. H., & Wiesel, T. N. (1979). Brian mechanisms of vision (S. 150–162). Scientific American, https://www.scientificamerican. com/. Huber, E., Webster, J. M., Brewer, A. A., MacLeod, D. I. A., Wandell, B. A., Boynton, G. M., & Fine, I. (2015). A lack of experiencedependent plasticity after more than a decade of recovered sight. Psychological Science, 26, 393–401. Huberman, J. S., Maracle, A. C., & Chivers, M. L. (2015). Genderspecificity of women’s and men’s self-reported attention to sexual stimuli. Journal of Sex Research, 52, 983–995. Hucker, S. J., & Bain, J. (1990). Androgenic hormones and sexual assault. In W. Marshall, R. Law & H. Barbaree (Hrsg.), The handbook on sexual assault (S. 403). New York: Plenum. Hudson, J. I., Hiripi, E., Pope, H. G., & Kessler, R. C. (2007). The prevalence and correlates of eating disorders in the National Comorbidity Survey Replication. Biological Psychiatry, 61, 348–358. Hudson, N. W., & Roberts, B. W. (2014). Goals to change personality traits: Concurrent links between personality traits, daily behavior, and goals to change oneself. Journal of Research in Personality, 53, 68–83. Huey, E. D., Krueger, F., & Grafman, J. (2006). Representations in the human prefrontal cortex. Current Directions in Psychological Science, 15, 167–171. Hugenberg, K., & Bodenhausen, G. V. (2003). Facing prejudice: implicit prejudice and the perception of facial threat. Psychological Science, 14, 640–643. Hugenberg, K., Young, S. G., Bernstein, M. J., & Sacco, D. F. (2010). The categorization-individuation model: An integrative account of the other-race recognition deficit. Psychological Review, 117, 1168–1187. Hughes, J. R. (2010). Craving among long-abstinent smokers: an Internet survey. Nicotine & Tobacco Research, 12, 459–462. Hughes, M. L., Geraci, L., & De Forrest, R. L. (2013). Aging 5 years in 5 minutes: the effect of taking a memory test on older adults’ subjective age. Psychological Science, 24, 2481–2488.
Hulbert, A. (2005, November 20). The prodigy puzzle. New York Times Magazine (nytimes.com). (p. 376) Hull, H. R., Morrow, M. L., Dinger, M. K., Han, J. L., & Fields, D. A. (2007). Characterization of body weight and composition changes during the sophomore year of college. BMC Women’s Health, 7, 21. Hull, J. G., & Bond Jr., C. F. (1986). Social and behavioral consequences of alcohol consumption and expectancy: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 99, 347–360. Hull, J. M. (1990). Touching the rock: an experience of blindness (S. 312). New York: Vintage Books. Hull, S. J., Hennessy, M., Bleakley, A., Fishbein, M., & Jordan, A. (2011). Identifying the causal pathways from religiosity to delayed adolescent sexual behavior. Journal of Sex Research, 48, 543–553. Hülsheger, U. R., Anderson, N., & Salgado, J. F. (2009). Team-level predictors of innovation at work: a comprehensive meta-analysis spanning three decades of research. Journal of Applied Psychology, 94, 1128–1145. Human Connectome Project. The human connectome project. humanconnectome.org. Zugegriffen: 11. Juli 2013. Hummer, R. A., Rogers, R. G., Nam, C. B., & Ellison, C. G. (1999). Religious involvement and U.S. adult mortality. Demography, 36, 273–285. Humphrey, S. E., Nahrgang, J. D., & Morgeson, F. P. (2007). Integrating motivational, social, and contextual work design features: a meta-analytic summary and theoretical extension of the work design literature. Journal of Applied Psychology, 92, 1332–1356. Humphreys, L. G., & Davey, T. C. (1988). Continuity in intellectual growth from 12 months to 9 years. Intelligence, 12, 183–197. Hunsberger, J. G., Newton, S. S., Bennett, A. H., Duman, C. H., Russell, D. S., Salton, S. R., & Duman, R. S. (2007). Antidepressant actions of the exercise-regulated gene VGF. Nature Medicine, 13, 1476–1482. Hunsley, J., & Bailey, J. M. (1999). The clinical utility of the Rorschach: Unfulfilled promises and an uncertain future. Psychological Assessment, 11, 266–277. Hunsley, J., & Di Giulio, G. (2002). Dodo bird, phoenix, or urban legend? The question of psychotherapy equivalence. Scientific Review of Mental Health Practice, 1, 11–22. Hunt, C., Slade, T., & Andrews, G. (2004). Generalized anxiety disorder and major depressive disorder comorbidity in the National Survey of Mental Health and Well-Being. Depression and Anxiety, 20, 23–31. Hunt, E., & Carlson, J. (2007). Considerations relating to the study of group differences in intelligence. Perspectives on Psychological Science, 2, 194–213. Hunt, J. M. (1982). Toward equalizing the developmental opportunities of infants and preschool children. Journal of Social Issues, 38, 163–191. Hunt, L. L., Eastwick, P. W., & Finkel, E. J. (2015). Leveling the playing field: longer acquaintance predicts reduced assortative mating on attractiveness. Psychological Science, 26, 1046–1053. Hunt, M. (1993). The story of psychology (S. 6, 10, 16, 50, 196, 271, 376). New York: Doubleday. Hunter, S., & Sundel, M. (Hrsg.). (1989). Midlife myths: issues, findings, and practice implications (S. 207). Newbury Park: SAGE. Hurd, Y. L., Michaelides, M., Miller, M. L., & Jutras-Aswad, D. (2013). Trajectory of adolescent cannabis use on addiction vulnerability. Neuropharmacology, 76, 416–424. Hurlburt, R. T., Heavey, C. L., & Kelsey, J. M. (2013). Toward a phenomenology of inner speaking. Consciousness and Cognition: An International Journal, 22, 1477–1494. Hussak, L. J., & Cimpian, A. (2015). An early-emerging explanatory heuristic promotes support for the status quo. Journal of Personality and Social Psychology, 109, 739–752. Hutchinson, R. (2006). Calum’s road (S. 423). Edinburgh: Burlinn Limited.
Literatur
Hutchison, K. A., Smith, J. L., & Ferris, A. (2013). Goals can be threatened to extinction using the Stroop task to clarify working memory depletion under stereotype threat. Social and Personality Psychological Science, 4, 74–81. Hutteman, R., Nestler, S., Wagner, J., Egloff, B., & Back, M. D. (2015). Wherever I may roam: processes of self-esteem development from adolescence to emerging adulthood in the context of international student exchange. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 767–783. Hvistendahl, M. (2011). China’s population growing slowly, changing fast. Science, 332, 650–651. Hyde, C. L., Nagle, M. W., Tian, C., Chen, X., Paciga, C. A., Wendland, J. R., & Winslow, A. R. (2016). Identification of 15 genetic loci associated with risk of major depression in individuals of European descent. Nature Genetics, 48, 1031–1036. Hyde, J. S. (2005). The gender similarities hypothesis. American Psychologist, 60, 581–592. Hyde, J. S. (2014). Gender similarities and differences. Annual Review of Psychology, 65, 373–398. Hyde, J. S., & Mertz, J. E. (2009). Gender, culture, and mathematics performance. PNAS, 106, 8801–8807. Hyde, J. S., Mezulis, A. H., & Abramson, L. Y. (2008) The ABCs of depression: Integrating affective, biological, and cognitive models to explain the emergence of the gender difference in depression. Psychological Review, 115, 291–313. Hymowitz, K., Carroll, J. S., Wilcox, W. B., & Kaye, K. (2013). Knot yet: the benefits and costs of delayed marriage in america (S. 186). Charlottesville: National Marriage Project, University of Virginia. Iacoboni, M. (2008). Mirroring people: the new science of how we connect with others (S. 289, 290). New York: Farrar, Straus & Giroux. Iacoboni, M. (2009). Imitation, empathy, and mirror neurons. Annual Review of Psychology, 60, 653–670. Ibbotson, P., & Tomasello, M. (2016). Language in a new key. Scientific American, https://www.scientificamerican.com/. Ibos, G., & Freedman, D. J. (2014). Dynamic integration of taskrelevant visual features in posterior parietal cortex. Neuron, 83, 1468–1480. Ickes, W., Snyder, M., & Garcia, S. (1997). Personality influences on the choice of situations. In R. Hogan, J. Johnson & S. Briggs (Hrsg.), Handbook of personality psychology (S. 552). San Diego: Academic Press. Idson, L. C., & Mischel, W. (2001). The personality of familiar and significant people: the lay perceiver as a social-cognitive theorist. Journal of Personality and Social Psychology, 80, 585–596. IJzerman, H., & Semin, G. R. (2009). The thermometer of social relations: mapping social proximity on temperature. Psychological Science, 20, 1214–1220. Ikizer, E. G., & Blanton, H. (2016). Media coverage of “wise” interventions can reduce concern for the disadvantaged. Journal of Experimental Psychology: Applied, 22, 135–147. Ilardi, S. Therapeutic lifestyle change (TLC). University of Kansas. tlc. ku.edu. Zugegriffen: 2. Mai 2016. Ilardi, S. S. (2009). The depression cure: the six-step program to beat depression without drugs (S. 586, 635). Cambridge: De Capo Lifelong Books. Ilieva, I. P., Hook, C. J., & Farah, M. J. (2015). Prescription stimulants’ effects on healthy inhibitory control, working memory, and episodic memory: a meta-analysis. Journal of Cognitive Neuroscience, 27, 1069–1089. Imuta, K., Henry, J. D., Slaughter, V., Selcuk, B., & Ruffman, T. (2016). Theory of mind and prosocial behavior in childhood: a meta-analytic review. Developmental Psychology, 52, 1192–1205. Inagaki, T., & Eisenberger, N. (2013). Shared neural mechanisms underlying social warmth and physical warmth. Psychological Science, 24, 2272–2280.
879
Inbar, Y., Cone, J., & Gilovich, T. (2010). People’s intuitions about intuitive insight and intuitive choice. Journal of Personality and Social Psychology, 99, 232–247. Inbar, Y., Pizarro, D., & Bloom, P. (2011). Disgusting smells cause decreased liking of gay men. Unpublished manuscript, Tillburg University. (p. 253) Infurna, F. J., & Luthar, S. S. (2016a). The multidimensional nature of resilience to spousal loss. Journal of Personality and Social Psychology. https://doi.org/10.1037/pspp0000095. Infurna, F. J., & Luthar, S. S. (2016b). Resilience to major life stressors is not as common as thought. Perspectives on Psychological Science, 11, 175–194. Ingalhalikar, M., Smith, A., Parker, D., Satterthwaite, T. D., Elliott, M. A., Ruparel, K., & Verma, R. (2013). Sex differences in the structural connectome of the human brain. PNAS, 111, 823–828. Ingham, A. G., Levinger, G., Graves, J., & Peckham, V. (1974). The Ringelmann effect: Studies of group size and group performance. Journal of Experimental Social Psychology, 10, 371–384. Inglehart, R. (1990). Culture shift in advanced industrial society (S. 418). Princeton: Princeton University Press. Inglehart, R., Foa, R., Peterson, C., & Welzel, C. (2008). Development, freedom, and rising happiness: a global perspective (1981–2007). Perspectives on Psychological Science, 3, 264–285. Ingraham, C. (2016, May 1). Toddlers have shot at least 23 people this year. TheWashington Post (washingtonpost.com). (p. 334) Inman, M. L., & Baron, R. S. (1996). Influence of prototypes on perceptions of prejudice. Journal of Personality and Social Psychology, 70, 727–739. Innocence Project (2015). Eyewitness misidentification. innocenceproject.org /understand/Eyewitness-Misidentification.php Insel, T. R. (2010). Faulty circuits. Scientific American, 302, 44–51. Insel, T. R., & Cuthbert, B. N. (2015). Brain disorders? Precisely. Science, 348, 499–500. Insel, T., Cuthbert, B., Garvey, M., Heinssen, R., Pine, D. S., Quinn, K., & Wang, P. (2010). Research Domain Criteria (RDoC): Toward a new classification framework for research on mental disorders. American Journal of Psychiatry, 167, 748–751. Insel, T. R., & Lieberman, J. A. DSM-5 and RDoC: Shared interests. National Institute of Mental Health. nimh.nih .gov/news/sciencenews/2013/dsm-5-and-rdoc-shared-interests.shtml (Erstellt: 13. Mai 2013). International Schizophrenia Consortium (2009). Common polygenic variation contributes to risk of schizophrenia and bipolar disorder. Nature, 460, 748–752. Inzlicht, M., & Ben-Zeev, T. (2000). A threatening intellectual environment: why females are susceptible to experiencing problemsolving deficits in the presence of males. Psychological Science, 11, 365–371. Inzlicht, M., & Kang, S. K. (2010). Stereotype threat spillover: how coping with threats to social identity affects aggression, eating, decision making, and attention. Journal of Personality and Social Psychology, 99, 467–481. IPPA. (2017, January 27). Communication from International Positive Psychology Association. (p. 444) Ipsos One in five (20 %) global citizens believe that alien beings have come down to earth and walk amongst us in our communities disguised as humans. ipsos-na.com (Erstellt: 8. Apr. 2010). IPU Women in national parliaments: Situation as of 1 January 2015. International Parliamentary Union. ipu.org/wmn-e/world.htm (Erstellt: 1. Jan. 2015). IPU Women in national parliaments: Situation as of 1st June 2016. International Parliamentary Union (Erstellt: 1. Juni 2016). ipu.org. Ireland, M. E., & Pennebaker, J. W. (2010). Language style matching in writing: synchrony in essays, correspondence, and poetry. Journal of Personality and Social Psychology, 99, 549–571. Ironson, G., Solomon, G. F., Balbin, E. G., O’Cleirigh, C., George, A., Kumar, M., & Woods, T. E. (2002). The Ironson-Woods spi-
880
Literatur
ritual/religiousness index is associated with long survival, health behaviors, less distress, and low cortisol in people with HIV/AIDS. Annals of Behavioral Medicine, 24, 34–48. Irwin, M. R., Cole, J. C., & Nicassio, P. M. (2006). Comparative metaanalysis of behavioral interventions for insomnia and their efficacy in middle-aged adults and in older adults 55+ years of age. Health Psychology, 25, 3–14. Isaacowitz, D. M. (2012). Mood regulation in real time: Age differences in the role of looking. Current Directions in Psychological Science, 21, 237–242. Ishida, A., Mutoh, T., Ueyama, T., Brando, H., Masubuchi, S., Nakahara, D., & Okamura, H. (2005). Light activates the adrenal gland: timing of gene expression and glucocorticoid release. Cell Metabolism, 2, 297–307. Ising, H. K., Smit, F., Veling, W., Rietdijk, J., Dragt, S., Klaassen, R. M. C., & van der Gaag, M. (2015). Cost-effectiveness of preventing first-episode psychosis in ultra-high-risk subjects: multicentre randomized controlled trial. Psychological Medicine, 45, 1435–1446. Islam, S. S., & Johnson, C. (2003). Correlates of smoking behavior among Muslim Arab-American adolescents. Ethnicity & Health, 8, 319–337. Iso, H., Simoda, S., & Matsuyama, T. (2007). Environmental change during postnatal development alters behaviour. Behavioural Brain Research, 179, 90–98. Iso-Markku, P., Waller, K., Vuoksimaa, E., Heikkilä, K., Rinne, J., Kaprio, J., & Kujala, U. M. (2016). Midlife physical activity and cognition later in life: a prospective twin study [Preprint]. Journal of Alzheimer’s Disease, 54, 1303–1317. Ito, T. A., Miller, N., & Pollock, V. E. (1996). Alcohol and aggression: a meta-analysis on the moderating effects of inhibitory cues, triggering events, and self-focused attention. Psychological Bulletin, 120, 60–82. ITU ICT facts and figures 2016. International Telecommunications Union. itu.int/en/ITU-D/Statistics/Documents/facts/ICTFactsFigures2016.pdf. Zugegriffen: 26. Dez. 2016. Ives-Deliperi, V. L., Solms, M., & Meintjes, E. M. (2011). The neural substrates of mindfulness: an fMRI investigation. Social Neuroscience, 6, 231–242. Iyengar, S. S., & Lepper, M. R. (2000). When choice is demotivating: can one desire too much of a good thing? Journal of Personality and Social Psychology, 79, 995–1006. Izard, C. E. (1977). Human emotions (S. 436, 440). New York: Plenum Press. Izard, C. E. (1994). Innate and universal facial expressions: evidence from developmental and cross-cultural research. Psychological Bulletin, 114, 288–299. Jääskeläinen, E., Juola, P., Hirvonen, N., McGrath, J. J., Saha, S., Isohanni, M., & Miettunen, J. (2013). A systematic review and meta-analysis of recovery in schizophrenia. Schizophrenia Bulletin, 39, 1296–1306. Jablensky, A. (1999). Schizophrenia: epidemiology. Current Opinion in Psychiatry, 12, 19–28. Jack, R. E., Garrod, O. G. B., Yu, H., Caldara, & Schyns, P. G. (2012). Facial expressions of emotion are not culturally universal. PNAS, 109, 7241–7244. Jäckle, S., & Wenzelburger, G. (2015). Religion, religiosity, and the attitudes toward homosexuality—A multilevel analysis of 79 countries. Journal of Homosexuality, 62, 207–241. Jackson, G. (2009). Sexual response in cardiovascular disease. Journal of Sex Research, 46, 233–236. Jackson, J. J., Connolly, J. J., Garrison, S. M., Leveille, M. M., & Connolly, S. L. (2015). Your friends know how long you will live: a 75year study of peer-rated personality traits. Psychological Science, 26, 335–340. Jackson, J. J., Thoemmes, F., Jonkmann, K., Lüdtke, O., & Trautwien, U. (2012). Military training and personality trait development:
does the military make the man, or does the man make the military? Psychological Science, 23, 270–277. Jackson, J. M., & Williams, K. D. (1988). Social loafing: A review and theoretical analysis. Unpublished manuscript, Fordham University. (p. 492) Jackson, S. W. (1992). The listening healer in the history of psychological healing. American Journal Psychiatry, 149, 1623–1632. Jacobs, B. L. (1994). Serotonin, motor activity, and depression-related disorders. American Scientist, 82, 456–463. Jacoby, L. L., Bishara, A. J., Hessels, S., & Toth, J. P. (2005). Aging, subjective experience, and cognitive control: dramatic false remembering by older adults. Journal of Experimental Psychology: General, 154, 131–148. Jacoby, L. L., & Rhodes, M. G. (2006). False remembering in the aged. Current Directions in Psychological Science, 15, 49–53. Jacques, C., & Rossion, B. (2006). The speed of individual face categorization. Psychological Science, 17, 485–492. Jacques-Tiura, A. J., Abbey, A., Parkhill, M. R., & Zawacki, T. (2007). Why do some men misperceive women’s sexual intentions more frequently than others do? An application of the confluence model. Personality and Social Psychology Bulletin, 33, 1467–1480. Jaffe, E. (2004). Peace in the Middle East may be impossible: Lee D. Ross on naive realism and conflict resolution. APS Observer, https://www.psychologicalscience.org/. Jakubovski, E., Varigonda, A. L., Freemantle, N., Taylor, M. J., & Bloch, M. H. (2015). Systematic review and meta-analysis: doseresponse relationship of selective serotonin reuptake inhibitors in major depressive disorder. American Journal of Psychiatry, 173, 174–183. James, K. (1986). Priming and social categorizational factors: impact on awareness of emergency situations. Personality and Social Psychology Bulletin, 12, 462–467. James, S. E., Herman, J. L., Rankin, S., Keisling, M., Mottet, L., & Anafi, M. (2016). The report of the 2015 U.S. Transgender survey (S. 161). Washington, DC: National Center for Transgender Equality. James, W. (1890). The principles of psychology. Bd. 2 (S. 6, 18, 61, 246, 315, 327, 427, 439, 483). New York: Holt. Jameson, D. (1985). Opponent-colors theory in light of physiological findings. In D. Ottoson & S. Zeki (Hrsg.), Central and peripheral mechanisms of color vision (S. 237). New York: Macmillan. Jamieson, J. P. (2010). The home field advantage in athletics: a metaanalysis. Journal of Applied Social Psychology, 40, 1819–1848. Jamieson, J. P., Peters, B. J., Greenwood, E. J., & Altose, A. J. (2016). Reappraising stress arousal improves performance and reduces evaluation anxiety in classroom exam situations. Social Psychological and Personality Science, 7, 579–587. Jamison, K. R. (1993). Touched with fire: manic-depressive illness and the artistic temperament (S. 583). New York: Free Press. Jamison, K. R. (1995). An unquiet mind (S. 583, 609, 638). New York: Knopf. Janis, I. L. (1982). Groupthink: psychological studies of policy decisions and fiascoes (S. 494). Boston: Houghton Mifflin. Janis, I. L. (1986). Problems of international crisis management in the nuclear age. Journal of Social Issues, 42, 201–220. Janoff-Bulman, R., Timko, C., & Carli, L. L. (1985). Cognitive biases in blaming the victim. Journal of Experimental Social Psychology, 21, 161–177. Janssen, S. M. J., Rubin, D. C., & Conway, M. A. (2012). The reminiscence bump in the temporal distribution of the best football players of all time: Pelé, Cruijff or Maradona? The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 65, 165–178. Jarbo, K., & Verstynen, T. D. (2015). Converging structural and functional connectivity of orbitofrontal, dorsolateral prefrontal, and posterior parietal cortex in the human striatum. Journal of Neuroscience, 35, 3865–3878.
Literatur
Jayakar, R., King, T. Z., Morris, R., & Na, S. (2015). Hippocampal volume and auditory attention on a verbal memory task with adult survivors of pediatric brain tumor. Neuropsychology, 29, 303–319. Jedrychowski, W., Perera, F., Jankowski, J., Butscher, M., Mroz, E., Flak, E., & Sowa, A. (2012). Effect of exclusive breastfeeding on the development of children’s cognitive function in the Krakow prospective birth cohort study. European Journal of Pediatrics, 171, 151–158. Jeffrey, K., Mahoney, S., Michaelson, J., & Abdallah, S. (2014). Wellbeing at work: a review of the literature. neweconomics.org/publications/entry/well-being-at-work p. A-8. Jenkins, J. G., & Dallenbach, K. M. (1924). Obliviscence during sleep and waking. American Journal of Psychology, 35, 605–612. Jenkins, J. M., & Astington, J. W. (1996). Cognitive factors and family structure associated with theory of mind development in young children. Developmental Psychology, 32, 70–78. Jensen, A. R. (1980). Bias in mental testing (S. 370). New York: Free Press. Jensen, A. R. (1983). The nature of the black-white difference on various psychometric tests: spearman’s hypothesis. Paper presented at the meeting of the American Psychological Association, Anaheim. (S. 385). Jensen, A. R. (1998). The g factor: The science of mental ability (S. 385). Westport: Praeger/Greenwood. Jensen, J. P., & Bergin, A. E. (1988). Mental health values of professional therapists: a national interdisciplinary survey. Professional Psychology: Research and Practice, 19, 290–297. Jensen, M. P. (2008). The neurophysiology of pain perception and hypnotic analgesia: implications for clinical practice. American Journal of Clinical Hypnosis, 51, 123–147. Jepson, C., Krantz, D. H., & Nisbett, R. E. (1983). Inductive reasoning: competence or skill. The Behavioral and Brain Sciences, 3, 494–501. Jessberger, S., Aimone, J. B., & Gage, F. H. (2008). Neurogenesis. In learning and memory: a comprehensive reference (S. 81). Oxford: Elsevier. Jia, J. S., Jia, J., Hsee, C. K., & Shiv, B. (2016). The role of hedonic behavior in reducing perceived risk: Evidence from postearthquake mobile-app data. Psychological Science, 28, 23–35. Jiang, H., White, M. P., Greicius, M. D., Waelde, L. C., & Spiegel, D. (2016). Brain activity and functional connectivity associated with hypnosis. Cerebral Cortex. https://doi.org/10.1093/cercor/bhw220. Jiang, Y., Costello, P., Fang, F., Huang, M., & He, S. (2006). A gender- and sexual orientation-dependent spatial attentional effect of invisible things. PNAS, 103, 17048–17052. Job, V., Dweck, C. S., & Walton, G. M. (2010). Ego depletion—Is it all in your head?: Implicit theories about willpower affect self-regulation. Psychological Science, 21, 1686–1693. Jobe, T. H., & Harrow, M. (2010). Schizophrenia course, long-term outcome, recovery, and prognosis. Current Directions in Psychological Science, 19, 220–225. Jobson, L., & Cheraghi, S. (2016). Influence of memory theme and posttraumatic stress disorder on memory specificity in British and Iranian trauma survivors. Memory, 24, 1015–1022. Joel, D., Berman, Z., Tavor, I., Wexler, N., Gaber, O., Stein, Y., & Assaf, Y. (2015). Sex beyond the genitalia: the human brain mosaic. PNAS, 112, 15468–15473. Johansson, P., Hall, L., Sikström, S., & Olsson, A. (2005). Failure to detect mismatches between intention and outcome in a simple decision task. Science, 310, 116–119. Johansson, P., Hall, L., Tärning, B., Sikström, S., & Chater, N. (2014). Choice blindness and preference change: you will like this paper better if you (believe you) chose to read it! Journal of Behavioral Decision Making, 27, 281–289. Johnson, D. F. (1997). Margaret Floy Washburn. Psychology of Women Newsletter, 127, 17, 22. Johnson, D. L., Wiebe, J. S., Gold, S. M., Andreasen, N. C., Hichwa, R. D., Watkins, G. L., & Ponto, L. L. B. (1999). Cerebral blood
881
flow and personality: A positron emission tomography study. American Journal of Psychiatry, 156, 252–257. Johnson, D. P., Rhee, S. H., Friedman, N. P., Corley, R. P., MunnChernoff, M., Hewitt, J. K., & Whisman, M. A. (2016). A twin study examining rumination as a transdiagnostic correlate of psychopathology. Clinical Psychological Science, 4, 971–987. Johnson, E. J., & Goldstein, D. (2003). Do defaults save lives? Science, 302, 1338–1339. Johnson, J. A. Not so situational. Commentary on the SPSP listserv. [email protected] (Erstellt: 26. Juni 2007). Johnson, J. G., Cohen, P., Kotler, L., Kasen, S., & Brook, J. S. (2002). Psychiatric disorders associated with risk for the development of eating disorders during adolescence and early adulthood. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 70, 1119–1128. Johnson, J. S., & Newport, E. L. (1991). Critical period affects on universal properties of language: the status of subjacency in the acquisition of a second language. Cognition, 39, 215–258. Johnson, K. (2008, January 29). For many of USA’s inmates, crime runs in the family. USA Today, pp. 1A, 2A. Johnson, M. D., & Chen, J. (2015). Blame it on the alcohol: The influence of alcohol consumption during adolescence, the transition to adulthood, and young adulthood on one-time sexual hookups. Journal of Sex Research, 52, 570–579. Johnson, M. H. (1992). Imprinting and the development of face recognition: from chick to man. Current Directions in Psychological Science, 1, 52–55. Johnson, M. H., & Morton, J. (1991). Biology and cognitive development: the case of face recognition (S. 171). Oxford: Blackwell Publishing. Johnson, S. C., Schmitz, T. W., Moritz, C. H., Meyerand, M. E., Rowley, H. A., Alexander, A. L., & Alexander, G. E. (2006). Activation of brain regions vulnerable to Alzheimer’s disease: The effect of mild cognitive impairment. Neurobiology of Aging, 27, 1604–1612. Johnson, W. (2010). Understanding the genetics of intelligence: Can height help? Can corn oil? Current Directions in Psychological Science, 19, 177–182. Johnson, W., Carothers, A., & Deary, I. J. (2008). Sex differences in variability in general intelligence: a new look at the old question. Perspectives on Psychological Science, 3, 518–531. Johnson, W., Gow, A. J., Corley, J., Starr, J. M., & Deary, I. J. (2010). Location in cognitive and residential space at age 70 reflects a lifelong trait over parental and environmental circumstances: The Lothian Birth Cohort 1936. Intelligence, 38, 403–411. Johnson, W., Turkheimer, E., Gottesman, I. I., & Bouchard Jr., T. J. (2009). Beyond heritability: twin studies in behavioral research. Current Directions in Psychological Science, 18, 217–220. Johnston, L. D., O’Malley, P. M., Bachman, J. G., & Schulenberg, J. E. (2007). Monitoring the future national results on adolescent drug use: overview of key findings, 2006 (S. 124). Bethesda: National Institute on Drug Abuse. Johnston, L. D., O’Malley, P. M., Miech, R. A., Bachman, J. G., & Schulenberg, J. E. (2017). Monitoring the future national survey results on drug use, 1975–2015: overview, key findings on adolescent drug use (S. 119, 122). Ann Arbor: Institute for Social Research, The University of Michigan. Johnstone, E. C., Ebmeier, K. P., Miller, P., Owens, D. G. C., & Lawrie, S. M. (2005). Predicting schizophrenia: findings from the edinburgh high-risk study. British Journal of Psychiatry, 186, 18–25. Joiner, T. E. Jr. (2006). Why people die by suicide (S. 592). Cambridge: Harvard University Press. Joiner, T. E. Jr. (2010). Myths about suicide (S. 590). Cambridge: Harvard University Press. Jokela, M., Elovainio, M., Archana, S.-M., & Kivimäki, M. (2009). IQ, socioeconomic status, and early death: The U.S. National Longitudinal Survey of Youth. Psychosomatic Medicine, 71, 322–328. Jolly, A. (2007). The social origin of mind. Science, 317, 1326.
882
Literatur
Jonas, E., & Fischer, P. (2006). Terror management and religion: evidence that intrinsic religiousness mitigates worldview defense following mortality salience. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 553–567. Jones, A. C., & Gosling, S. D. (2005). Temperament and personality in dogs (Canis familiaris): a review and evaluation of past research. Applied Animal Behaviour Science, 95, 1–53. Jones, B., Reedy, E. J., & Weinberg, B. A. (2014). Age and scientific genius. NBER Working Paper Series. nber.org/papers/w19866. Jones, E. (1957). Sigmund freud: life and work. Bd. 3 (S. 532). New York: Basic Books. Jones, J. M. Atheists, Muslims see most bias as presidential candidates. gallup.com/poll/155285/atheistsmuslims-bias-presidential-candidates.aspx (Erstellt: 21. Juni 2012). Jones, J. M. In U.S., 40 % get less than recommended amount of sleep. Gallup Poll (Erstellt: 19. Dez. 2013). gallup.com. Jones, J. M. Record-high 77 % of Americans perceive nation as divided. Gallup Poll. gallup.com (Erstellt: 21. Nov. 2016). Jones, M. B. (2015). The home advantage in major league baseball. Perceptual and Motor Skills, 121, 791–804. Jones, M. C. (1924). A laboratory study of fear: the case of Peter. Journal of Genetic Psychology, 31, 308–315. Jones, S. S. (2007). Imitation in infancy: the development of mimicry. Psychological Science, 18, 593–599. Jones, W., & Klin, A. (2013). Attention to eyes is present but in decline in 2–6-month-old infants later diagnosed with autism. Nature, 504, 427–431. Jones, W. H., Carpenter, B. N., & Quintana, D. (1985). Personality and interpersonal predictors of loneliness in two cultures. Journal of Personality and Social Psychology, 48, 1503–1511. Jordan, A. H., Monin, B., Dweck, C. S., Lovett, B. J., John, O. P., & Gross, J. J. (2011). Misery has more company than people think: underestimating the prevalence of others’ negative emotions. Personality and Social Psychology Bulletin, 37, 120–135. Jorm, A. F., Reavley, N. J., & Ross, A. M. (2012). Belief in the dangerousness of people with mental disorders: a review. Australian and New Zealand Journal of Psychiatry, 46, 1029–1045. Jose, A., O’Leary, D., & Moyer, A. (2010). Does premarital cohabitation predict subsequent marital stability and marital quality? A meta-analysis. Journal of Marriage and Family, 72, 105–116. Joseph, J. (2001). Separated twins and the genetics of personality differences: a critique. American Journal of Psychology, 114, 1–30. Joshi, S. H., Espinoza, R. T., Pirnia, T., Shi, J., Wang, Y., Ayers, B., & Narr, K. L. (2016). Structural plasticity of the hippocampus and amygdala induced by electroconvulsive therapy in major depression. Biological Psychiatry, 79, 282–292. Jost, J. T., Kay, A. C., & Thorisdottir, H. (Hrsg.). (2009). Social and psychological bases of ideology and system justification (S. 504). New York: Oxford University Press. Jovanovic, T., Blanding, N. Q., Norrholm, S. D., Duncan, E., Bradley, B., & Ressler, K. J. (2009). Childhood abuse is associated with increased startle reactivity in adulthood. Depression and Anxiety, 26, 1018–1026. Judge, T. A., Thoresen, C. J., Bono, J. E., & Patton, G. K. (2001). The job satisfaction/job performance relationship: a qualitative and quantitative review. Psychological Bulletin, 127, 376–407. Jung, R. E., & Haier, R. J. (2013). Creativity and intelligence: Brain networks that link and differentiate the expression of genius. In O. Vartanian, A. S. Bristol & J. C. Kaufman (Hrsg.), Neuroscience of creativity (S. 339). Cambridge: MIT Press. Jung-Beeman, M., Bowden, E. M., Haberman, J., Frymiare, J. L., Arambel-Liu, S., Greenblatt, R., & Kounios, J. (2004). Neural activity when people solve verbal problems with insight. PLoS Biology, 2, e111. Just, M. A., Keller, T. A., & Cynkar, J. (2008). A decrease in brain activation associated with driving when listening to someone speak. Brain Research, 1205, 70–80.
Kabat-Zinn, J. (2001). Mindfulness-based interventions in context: past, present, and future. Clinical Psychology: Science and Practice, 10, 144–156. Kagan, J. (1976). Emergent themes in human development. American Scientist, 64, 186–196. Kagan, J. (1984). The nature of the child (S. 183). New York: Basic Books. Kagan, J. (1995). On attachment. Harvard Review of Psychiatry, 3, 104–106. Kagan, J. (1998). Three seductive ideas (S. 85). Cambridge: Harvard University Press. Kagan, J., & Snidman, N. (2004). The long shadow of temperament (S. 133). Cambridge: Belknap Press. Kahneman, D. (1985). Quoted by K. McKean, Decisions, decisions. Discover, http://d1m3qhodv9fjlf.cloudfront.net/wp-content/uploads/2013/01/Decisions_Decisions.pdf Kahneman, D. (1999). Assessments of objective happiness: a bottomup approach. In D. Kahneman, E. Diener & N. Schwartz (Hrsg.), Understanding well-being: scientific perspectives on enjoyment and suffering (S. 249). New York: SAGE. Kahneman, D. (2005a). Are you happy now? Gallup Management Journal interview. gmj.gallup.com (Erstellt: 10.02.). Kahneman, D. (2005b). What were they thinking? Q&A with Daniel Kahneman. Gallup Management Journal. gmj.gallup.com (Erstellt: 13.01.). Kahneman, D. (2011). Thinking, fast and slow (S. 93). New York: Farrar, Straus and Giroux. Kahneman, D. (2015, July 18). Quoted by D. Shariatmadari, “Daniel Kahneman: ‘What would I eliminate if I had a magic wand? Overconfidence.’” The Guardian (theguardian.com). (p. 336) Kahneman, D., Fredrickson, B. L., Schreiber, C. A., & Redelmeier, D. A. (1993). When more pain is preferred to less: adding a better end. Psychological Science, 4, 401–405. Kahneman, D., Krueger, A. B., Schkade, D. A., Schwarz, N., & Stone, A. A. (2004). A survey method for characterizing daily life experience: the day reconstruction method. Science, 306, 1776–1780. Kail, R. (1991). Developmental change in speed of processing during childhood and adolescence. Psychological Bulletin, 109, 490–501. Kail, R., & Hall, L. K. (2001). Distinguishing short-term memory from working memory. Memory & Cognition, 29, 1–9. Kaiser, R. H., Andrews-Hanna, J. R., Wager, T. D., & Pizzagalli, D. A. (2015). Large-scale network dysfunction in major depressive disorder: a meta-analysis of resting-state functional connectivity. JAMA Psychiatry, 72, 603–611. Kaiser Family Foundation (2010). Generation M2: media in the lives of 8- to 18-year-olds (S. 422). Menlo Park: Henry J. Kaiser Family Foundation. by V. J. Rideout, U. G. Foeher, & D. F. Roberts. Kakinami, L., Barnett, T. A., Séguin, L., & Paradis, G. (2015). Parenting style and obesity risk in children. Preventive Medicine, 75, 18–22. Kállay, É. (2015). Physical and psychological benefits of written emotional expression: review of meta-analyses and recommendations. European Psychologist, 20, 242–251. Kamatali, J.-M. (2014, April 4). Following orders in Rwanda. The New York Times (nytimes.com). (p. 488) Kambeitz, J., Kambelitz-Hankovic, L., Cabral, C., Dwyer, D. B., Calhoun, V. C., van den Heuvel, M. P., & Malchow, B. (2016). Aberrant functional whole-brain network architecture in patients with schizophrenia: A meta-analysis. Schizophrenia Bulletin, 42(Suppl. no. 1), S13–S21. Kamel, N. S., & Gammack, J. K. (2006). Insomnia in the elderly: cause, approach, and treatment. American Journal of Medicine, 119, 463–469. Kamenica, E., Naclerio, R., & Malani, A. (2013). Advertisements impact the physiological efficacy of a branded drug. PNAS, 110, 12931–12935.
Literatur
Kamil, A. C., & Cheng, K. (2001). Way-finding and landmarks: the multiple-bearings hypothesis. Journal of Experimental Biology, 204, 103–113. Kaminski, J., Cali, J., & Fischer, J. (2004). Word learning in a domestic dog: evidence for “fast mapping. Science, 304, 1682–1683. Kampmann, I. L., Emmelkamp, P. M. G., & Morina, N. (2016). Metaanalysis of technology-assisted interventions for social anxiety disorder. Journal of Anxiety Disorders, 42, 71–84. Kanaya, T., Scullin, M. H., & Ceci, S. J. (2003). The Flynn effect and U.S. policies: the impact of rising IQ scores on American society via mental retardation diagnoses. American Psychologist, 58, 778–790. Kandel, E. (2008). Quoted in S. Avan, Speaking of memory. Scientific American Mind, https://wtri.com/wp-content/uploads/2015/06/ Speaking-of-Memory.pdf Kandel, E. (2012, March 5). Interview by Claudia Dreifus: A quest to understand how memory works. The New York Times (nytimes. com). (p. 310) Kandel, E. (2013, September 6). The new science of mind. The New York Times (nytimes.com). (p. 634) Kandel, E. R., & Schwartz, J. H. (1982). Molecular biology of learning: modulation of transmitter release. Science, 218, 433–443. Kandler, C. (2011). The genetic links between the big five personality traits and general interest domains. Personality and Social Psychology Bulletin, 37, 1633–1643. Kandler, C., Bleidorn, W., Riemann, R., Angleitner, A., & Spinath, F. M. (2012). Life events as environmental states and genetic traits and the role of personality: a longitudinal twin study. Behavior Genetics, 42, 57–72. Kandler, C., & Riemann, R. (2013). Genetic and environmental sources of individual religiousness: the roles of individual personality traits and perceived environmental religiousness. Behavior Genetics, 43, 297–313. Kandler, C., Riemann, R., & Angleitner, A. (2013). Patterns and sources of continuity and change of energetic and temporal aspects of temperament in adulthood: a longitudinal twin study of self- and peer reports. Developmental Psychology, 49, 1739–1753. Kane, G. D. (2010). Revisiting gay men’s body image issues: exposing the fault lines. Review of General Psychology, 14, 311–317. Kane, J. M., & Mertz, J. E. (2012). Debunking myths about gender and mathematics performance. Notices of the American Mathematical Society, 59, 10–21. Kane, M. J., Brown, L. H., McVay, J. C., Silvia, P. J., Myin-Germeys, I., & Kwapil, T. R. (2007). For whom the mind wanders, and when: an experience-sampling study of working memory and executive control in daily life. Psychological Science, 18, 614–621. Kanwar, A., Malik, S., Prokop, L. J., Sim, L. A., Feldstein, D., Wang, Z., & Murad, M. H. (2013). The association between anxiety disorders and suicidal behaviors: a systematic review and meta-analysis. Depression and Anxiety, 30, 917–929. Kaplan, B. J., Rucklidge, J. J., Romijn, A., & McLeod, K. (2015). The emerging field of nutritional mental health: inflammation, the microbiome, oxidative stress, and mitochondrial function. Clinical Psychological Science, 3, 964–980. Kaplan, H. I., & Saddock, B. J. (Hrsg.). (1989). Comprehensive textbook of psychiatry, V (S. 636). Baltimore: Williams and Wilkins. Kaprio, J., Koskenvuo, M., & Rita, H. (1987). Mortality after bereavement: a prospective study of 95,647 widowed persons. American Journal of Public Health, 77, 283–287. Kaptchuk, T. J., Stason, W. B., Davis, R. B., Legedza, A. R. T., Schnyer, R. N., Kerr, C. E., & Goldman, R. H. (2006). Sham device v inert pill: Randomised controlled trial of two placebo treatments. British Medical Journal, 332, 391–397. Karacan, I., Aslan, C., & Hirshkowitz, M. (1983). Erectile mechanisms in man. Science, 220, 1080–1082.
883
Karacan, I., Goodenough, D. R., Shapiro, A., & Starker, S. (1966). Erection cycle during sleep in relation to dream anxiety. Archives of General Psychiatry, 15, 183–189. Karasik, L. B., Adolph, K. E., Tamis-LeMonda, C. S., & Bornstein, M. H. (2010). WEIRD walking: cross-cultural research on motor development. Behavioral and Brain Sciences, 33, 95–96. Karau, S. J., & Williams, K. D. (1993). Social loafing: A meta-analytic review and theoretical integration. Journal of Personality and Social Psychology, 65, 681–706. Karg, K., Burmeister, M., Shedden, K., & Sen, S. (2011). The serotonin transporter promoters variant (5-HTTLPR), stress, and depression meta-analysis revised: Evidence of genetic moderation. Archives of General Psychiatry, 68, 444–454. Kark, J. D., Shemi, G., Friedlander, Y., Martin, O., Manor, O., & Blondheim, S. H. (1996). Does religious observance promote health? Mortality in secular vs. religious kibbutzim in Israel. American Journal of Public Health, 86, 341–346. Karlén, J., Ludvigsson, J., Hedmark, M., Faresjö, Å., Theodorsson, E., & Faresjö, T. (2015). Early psychosocial exposures, hair cortisol levels, and disease risk. Pediatrics, 135, e1450–e1457. Karlsgodt, K. H., Sun, D., & Cannon, T. D. (2010). Structural and functional brain abnormalities in schizophrenia. Current Directions in Psychological Science, 19, 226–231. Karni, A., Meyer, G., Rey-Hipolito, C., Jezzard, P., Adams, M. M., Turner, R., & Ungerleider, L. G. (1998). The acquisition of skilled motor performance: Fast and slow experience-driven changes in primary motor cortex. PNAS, 95, 861–868. Karni, A., & Sagi, D. (1994). Dependence on REM sleep for overnight improvement of perceptual skills. Science, 265, 679–682. Karns, C. M., Dow, M. W., & Neville, H. J. (2012). Altered cross-modal processing in the primary auditory cortex of congenitally deaf adults: a visual-somatosensory fMRI study with a double-flash illusion. The Journal of Neuroscience, 32, 9626–9638. Karpicke, J. D. (2012). Retrieval-based learning: active retrieval promotes meaningful learning. Current Directions in Psychological Science, 21, 157–163. Karpicke, J. D., & Roediger III, H. L. (2008). The critical importance of retrieval for learning. Science, 319, 966–968. Karremans, J. C., Frankenhis, W. E., & Arons, S. (2010). Blind men prefer a low waist-to-hip ratio. Evolution and Human Behavior, 31, 182–186. Kasen, S., Chen, H., Sneed, J., Crawford, T., & Cohen, P. (2006). Social role and birth cohort influences on gender-linked personality traits in women: a 20-year longitudinal analysis. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 944–958. Kashdan, T., DeWall, C. N., Schurtz, D., Deckman, T., Lykins, E. L. B., Evans, D., & Brown, K. (2014). More than words: contemplating death enhances positive emotional word use. Personality and Individual Differences, 71, 171–175. Kashubeck-West, S., & Meyer, J. (2008). The well-being of women who are late deafened. Journal of Counseling Psychology, 55, 463–472. Kasser, T., Rosenblum, K. L., Sameroff, A. J., Deci, E. L., Niemiec, C. P., Ryan, R. M., & Hawks, S. (2014). Changes in materialism, changes in psychological well-being: Evidence from three longitudinal studies and an intervention experiment. Motivation and Emotion, 38, 1–22. Katz-Wise, S. L., & Hyde, J. S. (2012). Victimization experiences of lesbian, gay, and bisexual individuals: a meta-analysis. Journal of Sex Research, 49, 142–167. Katz-Wise, S. L., Priess, H. A., & Hyde, J. S. (2010). Gender-role attitudes and behavior across the transition to parenthood. Developmental Psychology, 46, 18–28. Kaufman, G., & Libby, L. K. (2012). Changing beliefs and behavior through experience-taking. Journal of Personality and Social Psychology, 103, 1–19.
884
Literatur
Kaufman, J. C., & Baer, J. (2002). I bask in dreams of suicide: mental illness, poetry, and women. Review of General Psychology, 6, 271–286. Kaufman, J., & Zigler, E. (1987). Do abused children become abusive parents? American Journal of Orthopsychiatry, 57, 186–192. Kaufman, L., & Kaufman, J. H. (2000). Explaining the moon illusion. PNAS, 97, 500–505. Kaufmann, R. K., Mann, M. L., Gopal, S., Liederman, J. A., Howe, P. D., Pretis, F., & Gilmore, M. (2017). Spatial heterogeneity of climate change as an experiential basis for skepticism. PNAS, 114, 334. Kaunitz, L. N., Rowe, E. G., & Tsuchiya, N. (2016). Large capacity of conscious access for incidental memories in natural scenes. Psychological Science, 27, 1266–1277. Kawakami, K., Dunn, E., Karmali, F., & Dovidio, J. F. (2009). Mispredicting affective and behavioral responses to racism. Science, 323, 276–278. Kawamichi, H., Yoshihara, K., Sugawara, S. K., Matsunaga, M., Makita, K., Hamano, Y. H., & Sadato, N. (2015). Helping behavior induced by empathic concern attenuates anterior cingulate activation in response to others’ distress. Social Neuroscience, 11, 109–122. https://doi.org/10.1080/17470919.2015.1049709. Kay, A. C., Baucher, D., Peach, J. M., Laurin, K., Friesen, J., Zanna, M. P., & Spencer, S. J. (2009). Inequality, discrimination, and the power of the status quo: Direct evidence for a motivation to see the way things are as the way they should be. Journal of Personality and Social Psychology, 97, 421–434. Kayser, C. (2007). Listening with your eyes. Scientific American Mind, https://www.scientificamerican.com/ Kazantzis, N., & Dattilio, F. M. (2010). Definitions of homework, types of homework and ratings of the importance of homework among psychologists with cognitive behavior therapy and psychoanalytic theoretical orientations. Journal of Clinical Psychology, 66, 758–773. Kazantzis, N., Whittington, C., & Dattilio, F. M. (2010). meta-analysis of homework effects in cognitive and behavioral therapy: a replication and extension. Clinical Psychology: Science and Practice, 17, 144–156. Kazdin, A. E. (2015). Editor’s introduction to the special series: targeted training of cognitive processes for behavioral and emotional disorders. Clinical Psychological Science, 3, 38. Kean, S. (2016). The audacious plan to save this man’s life by transplanting his head. The Atlantic, theatlantic.com. Kearns, M. C., Ressler, K. J., Zatzick, D., & Rothbaum, B. O. (2012). Early interventions for PTSD: a review. Depression and Anxiety, 29, 833–842. Keesey, R. E., & Corbett, S. W. (1984). Metabolic defense of the body weight set-point. In A. J. Stunkard & E. Stellar (Hrsg.), Eating and its disorders (S. 398). New York: Raven Press. Keiser, H. N., Sackett, P. R., Kuncel, N. R., & Brothen, T. (2016). Why women perform better in college than admission scores would predict: exploring the roles of conscientiousness and course-taking patterns. Journal of Applied Psychology, 101, 569–581. Keith, S. W., Redden, D. T., Katzmarzyk, P. T., Boggiano, M. M., Hanlon, E. C., Benca, R. M., & Allison, D. B. (2006). Putative contributors to the secular increase in obesity: Exploring the roads less traveled. International Journal of Obesity, 30, 1585–1594. Kell, H. J., Lubinski, D., & Benbow, C. P. (2013). Who rises to the top? Early indicators. Psychological Science, 24, 648–659. Keller, C., Hartmann, C., & Siegrist, M. (2016). The association between dispositional self-control and longitudinal changes in eating behaviors, diet quality, and BMI. Psychology & Health, 31, 1311–1327. Kellerman, J., Lewis, J., & Laird, J. D. (1989). Looking and loving: The effects of mutual gaze on feelings of romantic love. Journal of Research in Personality, 23, 145–161.
Kelling, S. T., & Halpern, B. P. (1983). Taste flashes: reaction times, intensity, and quality. Science, 219, 412–414. Kellner, C. H., Knapp, R. G., Petrides, G., Rummans, T. A., Husain, M. M., Rasmussen, K., & Fink, M. (2006). Continuation electroconvulsive therapy vs. pharmacotherapy for relapse prevention in major depression: a multisite study from the consortium for research in Electroconvulsive therapy (CORE). Archives of General Psychiatry, 63, 1337–1344. Kelly, A. E. (2000). Helping construct desirable identities: a self-presentational view of psychotherapy. Psychological Bulletin, 126, 475–494. Kelly, D. J., Quinn, P. C., Slater, A. M., Lee, K., Ge, L., & Pascalis, O. (2007). The other-race effect develops during infancy: evidence of perceptual narrowing. Psychological Science, 18, 1084–1089. Kelly, S. D., Özyürek, A., & Maris, E. (2010). Two sides of the same coin: Speech and gesture mutually interact to enhance comprehension. Psychological Science, 21, 260–267. Kelly, T. A. (1990). The role of values in psychotherapy: a critical review of process and outcome effects. Clinical Psychology Review, 10, 171–186. Kempe, R. S., & Kempe, C. C. (1978). Child abuse (S. 188). Cambridge: Harvard University Press. Kempermann, G. (2013). What the bomb said about the brain. Science, 340, 1180–1181. Kendall-Tackett, K. A., Williams, L. M., & Finkelhor, D. (1993). Impact of sexual abuse on children: A review and synthesis of recent empirical studies. Psychological Bulletin, 113, 164–180. Kendler, K. S. (1996). Parenting: A genetic-epidemiologic perspective. The American Journal of Psychiatry, 153, 11–20. Kendler, K. S. (1998). Major depression and the environment: A psychiatric genetic perspective. Pharmacopsychiatry, 31, 5–9. Kendler, K. S., Gardner, C. O., & Prescott, C. A. (2006). Toward a comprehensive developmental model for major depression in men. American Journal of Psychiatry, 163, 115–124. Kendler, K. S., Maes, H. H., Lönn, S. L., Morris, N. A., Lichtenstein, P., Sundquist, J., & Sundquist, K. (2015a). A Swedish national twin study of criminal behavior and its violent, white-collar and property subtypes. Psychological Medicine, 45, 2253–2262. Kendler, K. S., Myers, J., & Zisook, S. (2008). Does bereavement-related major depression differ from major depression associated with other stressful life events? American Journal of Psychiatry, 165, 1449–1455. Kendler, K. S., Neale, M. C., Kessler, R. C., Heath, A. C., & Eaves, L. J. (1994). Parent treatment and the equal environment assumption in twin studies of psychiatric illness. Psychological Medicine, 24, 579–590. Kendler, K. S., Neale, M. C., Thornton, L. M., Aggen, S. H., Gilman, S. E., & Kessler, R. C. (2002). Cannabis use in the last year in a U.S. national sample of twin and sibling pairs. Psychological Medicine, 32, 551–554. Kendler, K. S., Sundquist, K., Ohlsson, H., Palmer, K., Maes, H., Winkleby, M. A., & Sundquist, J. (2012). Genetic and familiar environmental influences on the risk for drug abuse: A Swedish adoption study. Archives of General Psychiatry, 69, 690–697. Kendler, K. S., Turkheimer, E., Ohlsson, H., Sundquist, J., & Sundquist, K. (2015b). Family environment and the malleability of cognitive ability: a Swedish national home-reared and adopted-away cosibling control study. PNAS, 112, 4612–4617. Kendrick, K. M., & Feng, J. (2011). Neural encoding principles in face perception revealed using non-primate models. In G. Rhodes, A. Calder, M. Johnson & J. V. Haxby (Hrsg.), The Oxford handbook of face perception (S. 296). Oxford: Oxford University Press. Kennard, B. D., Emslie, G. J., Mayes, T. L., Nakonezny, P. A., Jones, J. M., Foxwell, A. A., & King, J. (2014). Sequential treatment of fluoxetine and relapse-prevention CBT to improve outcomes in pediatric depression. American Journal of Psychiatry, 171, 1083–1090.
Literatur
Kennedy, M., Kreppner, J., Knights, N., Kumsta, R., Maughan, B., Golm, D., & Sonuga-Barke, E. J. (2016). Early severe institutional deprivation is associated with a persistent variant of adult attention-deficit/hyperactivity disorder: Clinical presentation, developmental continuities and life circumstances in the English and Romanian Adoptees study. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 57, 1113–1125. Kennedy, S., & Over, R. (1990). Psychophysiological assessment of male sexual arousal following spinal cord injury. Archives of Sexual Behavior, 19, 15–27. Kenrick, D. T., & Funder, D. C. (1988). Profiting from controversy: lessons from the person-situation debate. American Psychologist, 43, 23–34. Kenrick, D. T., Griskevicious, V., Neuberg, S. L., & Schaller, M. (2010). Renovating the pyramid of needs: contemporary extensions build upon ancient foundations. Perspectives on Psychological Science, 5, 292–314. Kenrick, D. T., & Gutierres, S. E. (1980). Contrast effects and judgments of physical attractiveness: when beauty becomes a social problem. Journal of Personality and Social Psychology, 38, 131–140. Kenrick, D. T., Nieuweboer, S., & Buunk, A. P. (2009). Universal mechanisms and cultural diversity: replacing the blank slate with a coloring book. In M. Schaller, A. Norenzayan, S. Heine, A. Norenzayan, T. Yamagishi & T. Kameda (Hrsg.), Evolution, culture, and the human mind (S. 141). Mahwah: Erlbaum. Kensinger, E. A. (2007). Negative emotion enhances memory accuracy: behavioral and neuroimaging evidence. Current Directions in Psychological Science, 16, 213–218. Kenyon, P. After Brexit vote, U.K. sees a wave of hate crimes and racist abuse. National Public Radio. npr.org (Erstellt: 29. Juni 2016). Keough, K. A., Zimbardo, P. G., & Boyd, J. N. (1999). Who’s smoking, drinking, and using drugs? Time perspective as a predictor of substance use. Basic and Applied Social Psychology, 2, 149–164. Kern, M. L., Eichstaedt, J. C., Schwartz, H. A., Dziurzynski, L., Ungar, L. H., Stillwell, D. J., & Seligman, M. E. P. (2014). The online social self: an open vocabulary approach to personality. Assessment, 21, 158–169. Kernis, M. H. (2003). Toward a conceptualization of optimal self-esteem. Psychological Inquiry, 14, 1–26. Kerr, N. L., & Bruun, S. E. (1983). Dispensability of member effort and group motivation losses: Free-rider effects. Journal of Personality and Social Psychology, 44, 78–94. Kessler, M., & Albee, G. (1975). Primary prevention. Annual Review of Psychology, 26, 557–591. Kessler, R. C., Aguilar-Gaxiola, S., Alonso, J., Chatterji, S., Lee, S., Ormel, J., & Wang, P. S. (2009). The global burden of mental disorders: an update from the WHO world mental health (WMH) surveys. Epidemiology and Psychiatric Services, 18, 23–33. Kessler, R. C., Akiskal, H. S., Ames, M., Birnbaum, H., Greenberg, P., Hirschfeld, R. M. A., & Wang, P. S. (2006). Prevalence and effects of mood disorders on work performance in a nationally representative sample of U.S. workers. American Journal of Psychiatry, 163, 1561–1568. Kessler, R. C., Birnbaum, H. G., Shahly, V., Bromet, E., Hwang, I., McLaughlin, K. A., & Stein, D. J. (2010). Age differences in the prevalence and co-morbidity of DSM-IV major depressive episodes: results from the WHO World Mental Health Survey Initiative. Depression and Anxiety, 27, 351–364. Kessler, R. C., Petukhova, M., Sampson, N. A., Zaslavsky, A. M., & Wittchen, H.-A. (2012). Twelve-month and lifetime morbid risk of anxiety and mood disorders in the United States. International Journal of Methods in Psychiatric Research, 21, 169–184. Kessler, R. C., Soukup, J., Davis, R. B., Foster, D. F., Wilkey, S. A., Van Rompay, M. I., & Eisenberg, D. M. (2001). The use of complementary and alternative therapies to treat anxiety and depression in the United States. American Journal of Psychiatry, 158, 289–294.
885
Keyes, K. M., Maslowsky, J., Hamilton, A., & Schulenberg, J. (2015). The great sleep recession: Changes in sleep duration among U.S. adolescents, 1991–2012. Pediatrics, 135, 460–468. Keynes, M. (1980). Handel’s illnesses. The Lancet, 2, 1354–1355. Keys, A., Brozek, J., Henschel, A., Mickelsen, O., & Taylor, H. L. (1950). The biology of human starvation (S. 395). Minneapolis: University of Minnesota Press. Khanna, M. M. (2015). Ungraded pop quizzes: Test-enhanced learning without all the anxiety. Teaching of Psychology, 42, 174–178. Khanna, S., & Greyson, B. (2014). Daily spiritual experiences before and after near-death experiences. Psychology of Religion and Spirituality, 6, 302–309. Khanna, S., & Greyson, B. (2015). Near-death experiences and posttraumatic growth. Journal of Nervous and Mental Disease, 203, 749–755. Khazanoy, G. K., & Ruscio, A. M. (2016). Is low positive emotionality a specific risk factor for depression? A meta-analysis of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 142, 991–1015. Khera, M., Bhattacharya, R. K., Blick, G., Kushner, H., Nguyen, D., & Miner, M. M. (2011). Improved sexual function with testosterone replacement therapy in hypogonadal men: Real-world data from the Testim Registry in the United States (TriUS). Journal of Sexual Medicine, 8, 3204–3213. Kiatpongsan, S., & Norton, M. I. (2014). How much (more) should CEOs make? A universal desire for more equal pay. Perspectives on Psychological Science, 9, 587–593. Kiecolt-Glaser, J. K. (2009). Psychoneuroimmunology: psychology’s gateway to the biomedical future. Perspectives on Psychological Science, 4, 367–369. Kiecolt-Glaser, J. K., Loving, T. J., Stowell, J. R., Malarkey, W. B., Lemeshow, S., Dickinson, S. L., & Glaser, R. (2005). Hostile marital interactions, proinflammatory cytokine production, and wound healing. Archives of General Psychiatry, 62, 1377–1384. Kiecolt-Glaser, J. K., Page, G. G., Marucha, P. T., MacCallum, R. C., & Glaser, R. (1998). Psychological influences on surgical recovery: perspectives from psychoneuroimmunology. American Psychologist, 53, 1209–1218. Kiehl, K. A., & Buckholtz, J. W. (2010). Inside the mind of a psychopath. Scientific American Mind, 21, 22–29. Kiekens, G., Claes, L., Demyttenaere, K., Auerbach, R. P., Green, J. G., Kessler, R. C., & Bruffaerts, R. (2016). Lifetime and 12-month nonsuicidal self-injury and academic performance in college freshmen. Suicide and Life-Threatening Behavior, 46, 563–576. Kihlstrom, J. F. (2005). Dissociative disorders. Annual Review of Clinical Psychology, 1, 227–253. Kihlstrom, J. F. (2006). Repression: a unified theory of a will-o’-thewisp. Behavioral and Brain Sciences, 29, 523. Kille, D. R., Forest, A. L., & Wood, J. V. (2013). Tall, dark, and stable: embodiment motivates mate selection preferences. Psychological Science, 24, 112–114. Killingsworth, M. A., & Gilbert, D. T. (2010). A wandering mind is an unhappy mind. Science, 330, 932. Kilpatrick, L. A., Suyenobu, B. Y., Smith, S. R., Bueller, J. A., Goodman, T., Creswell, J. D., & Naliboff, B. D. (2011). Impact of mindfulness-based stress reduction training on intrinsic brain activity. NeuroImage, 56, 290–298. Kilpeläinen, T. O., Qi, L., Brage, S., Sharp, S. J., Sonestedt, E., Demerath, E., & Loos, R. J. F. (2012). Physical activity attenuates the influence of FTO variants on obesity risk: a meta-analysis of 218,166 adults and 19,268 children. PLoS Medicine, 8, e1001116. Kim, B. S. K., Ng, G. F., & Ahn, A. J. (2005). Effects of client expectation for counseling success, client-counselor worldview match, and client adherence to Asian and European American cultural values on counseling process with Asian Americans. Journal of Counseling Psychology, 52, 67–76. Kim, E. S., Hagan, K. A., Grodstein, F., DeMeo, D. L., De Vivo, I., & Kubzansky, L. D. (2017). Optimism and cause-specific mortality: a
886
Literatur
prospective cohort study. American Journal of Epidemiology, 185, 21–29. Kim, H., & Markus, H. R. (1999). Deviance or uniqueness, harmony or conformity? A cultural analysis. Journal of Personality and Social Psychology, 77, 785–800. Kim, J., Suh, W., Kim, S., & Gopalan, H. (2012). Coping strategies to manage acculturative stress: meaningful activity participation, social support, and positive emotion among Korean immigrant adolescents in the USA. International Journal of Qualitative Studies on Health and Well-Being, 7, 1–10. Kim, J. L., & Ward, L. M. (2012). Striving for pleasure without fear: short-term effects of reading a women’s magazine on women’s sexual attitudes. Psychology of Women Quarterly, 36, 326–336. Kim, S. H., Hwang, J. H., Park, H. S., & Kim, S. E. (2008). Resting brain metabolic correlates of neuroticism and extraversion in young men. NeuroReport, 19, 883–886. Kim, S. H., Vincent, L. C., & Goncalo, J. A. (2013). Outside advantage: can social rejection fuel creative thought? Journal of Experimental Psychology: General, 142, 605–611. Kim, Y. S., Leventhal, B. L., Koh, Y., Fombonne, E., Laska, E., Lim, E., & Grinker, R. R. (2011). Prevalence of autism spectrum disorders in a total population sample. The American Journal of Psychiatry, 168, 904–912. Kimata, H. (2001). Effect of humor on allergen-induced wheal reactions. Journal of the American Medical Association, 285, 737. Kimble, G. A. (1956). Principles of general psychology (S. 284). New York: Ronald Press. Kimble, G. A. (1981). Biological and cognitive constraints on learning (S. 284). American Psychological Association: Washington, DC. Kim-Yeary, K. H., Ounpraseuth, S., Moore, P., Bursac, Z., & Greene, P. (2012). Religion, social capital, and health. Review of Religious Research, 54, 331–347. Kindt, M., Soeter, M., & Vervliet, B. (2009). Beyond extinction: erasing human fear responses and preventing the return of fear. Nature Neuroscience, 12, 256–258. King, D. W., King, L. A., Park, C. L., Lee, L. O., Pless Kaiser, A., Spiro, A., & Keane, T. M. (2015). Positive adjustment among American repatriated prisoners of the Vietnam War: Modeling the longterm effects of captivity. Clinical Psychological Science, 3, 861–876. King, L. A., Heintzelman, S. J., & Ward, S. J. (2016). Beyond the search for meaning: a contemporary science of the experience of meaning in life. Current Directions in Psychological Science, 25, 211–216. King, S., St.-Hilaire, A., & Heidkamp, D. (2010). Prenatal factors in schizophrenia. Current Directions in Psychological Science, 19, 209–213. Kinnier, R. T., & Metha, A. T. (1989). Regrets and priorities at three stages of life. Counseling and Values, 33, 182–193. Kinsella, E. L., Ritchie, T. D., & Igou, E. R. (2015). Zeroing in on heroes: a prototype analysis of hero features. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 114–127. Kirby, D. (2002). Effective approaches to reducing adolescent unprotected sex, pregnancy, and childbearing. Journal of Sex Research, 39, 51–57. Kirby, T. (2015). Ketamine for depression: the highs and lows. The Lancet Psychiatry, 2, 783–784. Kircanski, K., Thompson, R. J., Sorenson, J. E., Sherdell, L., & Gotlib, I. H. (2015). Rumination and worry in daily life examining the naturalistic validity of theoretical constructs. Clinical Psychological Science, 3, 926–939. Kirkpatrick, B., Fenton, W. S., Carpenter Jr., W. T., & Marder, S. R. (2006). The NIMH-MATRICS consensus statement on negative symptoms. Schizophrenia Bulletin, 32, 214–219. Kirkpatrick, L. (1999). Attachment and religious representations and behavior. In J. Cassidy & P. R. Shaver (Hrsg.), Handbook of attachment (S. 184). New York: Guilford. Kirsch, I. (2010). The emperor’s new drugs: exploding the antidepressant myth (S. 35). New York: Basic Books.
Kirsch, I. (2016). The emperor’s new drugs: medication and placebo in the treatment of depression. In Behind and beyond the brain. Symposium conducted by the Bial Foundation, March 30–April 2. (S. 638). www.bial.com/imagem/Programa_e%20_ResumosProgram_and_Abstracts.pdf. Kirsch, I., Deacon, B. J., Huedo-Medina, T. B., Scoboria, A., Moore, T. J., & Johnson, B. T. (2008). Initial severity and antidepressant benefits: a meta-analysis of data submitted to the food and drug administration. Public Library of Science Medicine, 5, e45. Kirsch, I., Kong, J., Sadler, P., Spaeth, R., Cook, A., Kaptchuk, T. J., & Gollub, R. (2014). Expectancy and conditioning in placebo analgesia: separate or connected processes? Psychology of Consciousness, Theory, Research, and Practice, 1, 51–59. Kirsch, I., & Sapirstein, G. (1998). Listening to Prozac but hearing placebo: a meta-analysis of antidepressant medication. Prevention and Treatment, 1, 638. Posted June 26 at journals.apa.org/prevention/volume1. Kirsch, I., Wampold, B., & Kelley, J. M. (2016). Controlling for the placebo effect in psychotherapy: noble quest or tilting at windmills? Psychology of Consciousness: Theory, Research, and Practice, 3, 121–131. Kish, D. (2015). How I use sonar to navigate the world. ted.com/talks/ daniel_kish_how _i_use_sonar_to_navigate_the_world?language=en Kishimoto, T., Chawla, J. M., Hagi, K., Zarate, C. A. J., Kane, J. M., Bauer, M., & Correll, C. U. (2016). Single-dose infusion ketamine and non-ketamine N-methyl-D-aspartate receptor antagonists for unipolar and bipolar depression: a meta-analysis of efficacy, safety and time trajectories. Psychological Medicine, 46, 1459–1472. Kisley, M. A., Wood, S., & Burrows, C. L. (2007). Looking at the sunny side of life: Age-related change in an event-related potential measure of the negativity bias. Psychological Science, 18, 838–843. Kisor, H. (1990). What’s that pig outdoors? A memoir of deafness (S. 350). New York: Hill and Wang. Kitahara, C. M., Flint, A. J., de Gonzalez, A. B., Bernstein, L., Brotzman, M., MacInnis, R. J., & Hartge, P. (2014). Association between class III obesity (BMI of 40–59 kg/m2) and mortality: A pooled analysis of 20 prospective studies. PLOS Medicine. https://doi. org/10.1371/journal.pmed.1001673. Kitaoka, A. Facebook post. facebook.com/photo.php?fbid =10207806660899237&set=a.2215289656523.118366 .1076035621&type=3&theater (Erstellt: 11. Sept. 2016). Kitayama, S., Chua, H. F., Tompson, S., & Han, S. (2013). Neural mechanisms of dissonance: an fMRI investigation of choice justification. NeuroImage, 69, 206–212. Kitayama, S., Conway III, L. G., Pietromonaci, P. R., Park, H., & Plaut, V. C. (2010). Ethos of independence across regions in the United States: the production-adoption model of cultural change. American Psychologist, 65, 559–574. Kitayama, S., Ishii, K., Imada, T., Takemura, K., & Ramaswamy, J. (2006). Voluntary settlement and the spirit of independence: evidence from Japan’s “northern frontier.”. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 369–384. Kitayama, S., Park, H., Sevincer, A. T., Karasawa, M., & Uskul, A. K. (2009). A cultural task analysis of implicit independence: comparing North America, Western Europe, and East Asia. Journal of Personality and Social Psychology, 97, 236–255. Kitayama, S., Park, J., Boylan, J. M., Miyamoto, Y., Levine, C. S., Markus, H. R., & Ryff, C. D. (2015). Expression of anger and ill health in two cultures: An examination of inflammation and cardiovascular risk. Psychological Science, 26, 211–220. Kivimaki, M., Leino-Arjas, P., Luukkonen, R., Rihimaki, H., & Kirjonen, J. (2002). Work stress and risk of cardiovascular mortality: prospective cohort study of industrial employees. British Medical Journal, 325, 857. Kivlighan, D. M., Goldberg, S. B., Abbas, M., Pace, B. T., Yulish, N. E., Thomas, J. G., & Wampold, B. E. (2015). The enduring ef-
Literatur
fects of psychodynamic treatments vis-à-vis alternative treatments: A multilevel longitudinal meta-analysis. Clinical Psychology Review, 40, 1–14. Klahr, A. M., & Burt, S. A. (2014). Elucidating the etiology of individual differences in parenting: a meta-analysis of behavioral genetic research. Psychological Bulletin, 140, 544–586. Klayman, J., & Ha, Y.-W. (1987). Confirmation, disconfirmation, and information in hypothesis testing. Psychological Review, 94, 211–228. Klein, D. N. (2010). Chronic depression: diagnosis and classification. Current Directions in Psychological Science, 19, 96–100. Klein, D. N., & Kotov, R. (2016). Course of depression in a 10-year prospective study: evidence for qualitatively distinct subgroups. Journal of Abnormal Psychology, 125, 337–348. Klein, D. N., Schwartz, J. E., Santiago, N. J., Vivian, D., Vocisano, C., Castonguay, L. G., & Keller, M. B. (2003). Therapeutic alliance in depression treatment: controlling for prior change and patient characteristics. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 71, 997–1006. Klein, R. A., Ratliff, K. A., Vianello, M., Adams Jr., R. B., Bahni, A., Bernstein, M. J., & Nosek, B. A. (2014). Investigating variation in replicability: a “many labs” replication project. Social Psychology, 45, 142–152. Kleinke, C. L. (1986). Gaze and eye contact: a research review. Psychological Bulletin, 1000, 78–100. Kleinman, D., & Gollan, T. H. (2016). Speaking two languages for the price of one: bypassing language control mechanisms via accessibility-driven switches. Psychological Science, 27, 700–714. Kleinmuntz, B., & Szucko, J. J. (1984). A field study of the fallibility of polygraph lie detection. Nature, 308, 449–450. Kleitman, N. (1960). Patterns of dreaming. Scientific American, https:// www.scientificamerican.com/. Klemm, W. R. (1990). Historical and introductory perspectives on brainstem-mediated behaviors. In W. R. Klemm & R. P. Vertes (Hrsg.), Brainstem mechanisms of behavior (S. 69). New York: Wiley. Klimstra, T. A., Hale III, W. W., Raaijmakers, Q. A. W., Branje, S. J. T., & Meeus, W. H. J. (2009). Maturation of personality in adolescence. Journal of Personality and Social Psychology, 96, 898–912. Klimstra, T. A., Kuppens, P., Luyckx, K., Branje, S., Hale, W. W., Oosterwegel, A., & Meeus, W. H. J. (2015). Daily dynamics of adolescent mood and identity. Journal of Research on Adolescence, 26, 459–473. Kline, D., & Schieber, F. (1985). Vision and aging. In J. E. Birren & K. W. Schaie (Hrsg.), Handbook of the psychology of aging (2. Aufl. S. 296–331). New York: Van Nostrand Reinhold. Kline, N. S. (1974). From sad to glad (S. 589). New York: Ballantine Books. Klinke, R., Kral, A., Heid, S., Tillein, J., & Hartmann, R. (1999). Recruitment of the auditory cortex in congenitally deaf cats by long-term cochlear electrostimulation. Science, 285, 1729–1733. Klump, K. L., & Culbert, K. M. (2007). Molecular genetic studies of eating disorders: current status and future directions. Current Directions in Psychological Science, 16, 37–41. Klump, K. L., Suisman, J. L., Burt, S. A., McGue, M., & Iacono, W. G. (2009). Genetic and environmental influences on disordered eating: an adoption study. Journal of Abnormal Psychology, 118, 797–805. Knapp, S., & VandeCreek, L. (2000). Recovered memories of childhood abuse: Is there an underlying professional consensus? Professional Psychology: Research and Practice, 31, 365–371. Knickmeyer, E. (2001, August 7). In Africa, big is definitely better. Seattle Times, p. A7. Knight, R. T. (2007). Neural networks debunk phrenology. Science, 316, 1578–1579. Knight, W. Animated face helps deaf with phone chat. NewScientist. com (Erstellt: 2. Aug. 2004).
887
Knoblich, G., & Oellinger, M. (2006). The Eureka moment. Scientific American Mind, 17, 38–43. Knuts, I. J. E., Cosci, F., Esquivel, G., Goossens, L., van Duinen, M., Bareman, M., & Schruers, K. R. J. (2010). Cigarette smoking and 35 % CO2 induced panic in panic disorder patients. Journal of Affective Disorders, 124, 215–218. Knutsen, J., Mandell, D. S., & Frye, D. (2015). Children with autism are impaired in the understanding of teaching. Developmental Science. https://doi.org/10.1111/desc.12368. Knutsson, A., & Bøggild, H. (2010). Gastrointestinal disorders among shift workers. Scandinavian Journal of Work, Environment & Health, 36, 85–95. Ko, C.-K., Yen, J.-Y., Chen, C.-C., Chen, S.-H., & Yen, C.-F. (2005). Proposed diagnostic criteria of Internet addiction for adolescents. Journal of Nervous and Mental Disease, 193, 728–733. Koch, C. (2015). The face as entryway to the self. Scientific American Mind, https://www.scientificamerican.com/. Koch, C., Massimini, M., Boly, M., & Tononi, G. (2016). Neural correlates of consciousness: progress and problems. Nature Reviews Neuroscience, 17, 307–321. Koenen, K. C., Moffitt, T. E., Roberts, A. L., Martin, L. T., Kubzansky, L., Harrington, H., & Caspi, A. (2009). Childhood IQ and adult mental disorders: A test of the cognitive reserve hypothesis. American Journal of Psychiatry, 166, 50–57. Koenig, H. G., & Larson, D. B. (1998). Use of hospital services, religious attendance, and religious affiliation. Southern Medical Journal, 91, 925–932. Koenig, H. G., King, D. E., & Carson, V. B. (2012). Handbook of religion and health (2. Aufl.). (S. 473). New York: Oxford University Press. Koenig, L. B., & Vaillant, G. E. (2009). A prospective study of church attendance and health over the lifespan. Health Psychology, 28, 117–124. Koenigs, M., Young, L., Adolphs, R., Tranel, D., Cushman, F., Hauser, M., & Damasio, A. (2007). Damage to the prefrontal cortex increases utilitarian moral judgements. Nature, 446, 908–911. Kofler, M. J., Raiker, J. S., Sarver, D. E., Wells, E. L., & Soto, E. F. (2016). Is hyperactivity ubiquitous in ADHD or dependent on environmental demands? Evidence from meta-analysis. Clinical Psychology Review, 46, 12–24. Kohlberg, L. (1981). The philosophy of moral development: essays on moral development. Bd. 1 (S. 194). San Francisco: Harper & Row. Kohlberg, L. (1984). The psychology of moral development: essays on moral development. Bd. 2 (S. 194). San Francisco: Harper & Row. Kohler, I. (1962). Experiments with goggles. Scientific American, https://www.scientificamerican.com/. Köhler, W. (1925). The mentality of apes (S. 342). London: Pelican. Kolassa, I.-T., & Elbert, T. (2007). Structural and functional neuroplasticity in relation to traumatic stress. Current Directions in Psychological Science, 16, 321–325. Kolb, B. (1989). Brain development, plasticity, and behavior. American Psychologist, 44, 1203–1212. Kolb, B., & Whishaw, I. Q. (1998). Brain plasticity and behavior. Annual Review of Psychology, 49, 43–64. Kolb, B., & Whishaw, I. Q. (2006). An introduction to brain and behavior (2. Aufl.). (S. 339). New York: Worth. Kollar, I., & Fischer, F. (2019) Lehren und Unterrichten. In: D. Urhahne, M. Dresel, & F. Fischer (Hrsg.), Psychologie für den Lehrberuf. Berlin:Springer, S. 333–351. Kolker, K. (2002). Video violence disturbs some: Others scoff at influence (S. A1, A12). Grand Rapids, The Grand Rapids Press. Kolovos, S., van Tulder, M. W., Cuijpers, P., Prigent, A., Chevreul, K., Riper, H., & Bosmans, J. E. (2017). The effect of treatment as usual on major depressive disorder: a meta-analysis. Journal of Affective Disorders, 210, 72–81. Koltko-Rivera, M. E. (2006). Rediscovering the later version of Maslow’s hierarchy of needs: self-transcendence and opportunities for
888
Literatur
theory, research, and unification. Review of General Psychology, 10, 302–317. Komisaruk, B. R., & Whipple, B. (2011). Non-genital orgasms. Sexual and Relationship Therapy, 26, 356–372. Konkle, T., Brady, T. F., Alvarez, G. A., & Oliva, A. (2010). Conceptual distinctiveness supports detailed visual long-term memory for realworld objects. Journal of Experimental Psychology: General, 139, 558–578. Kontula, O., & Haavio-Mannila, E. (2009). The impact of aging on human sexual activity and sexual desire. Journal of Sex Research, 46, 46–56. Koole, S. L., Greenberg, J., & Pyszczynski, T. (2006). Introducing science to the psychology of the soul. Current Directions in Psychological Science, 15, 212–216. Kornell, N., & Bjork, R. A. (2008). Learning concepts and categories: Is spacing the “enemy of induction?”. Psychological Science, 19, 585–592. Kosfeld, M., Heinrichs, M., Zak, P. J., Fischbacher, U., & Fehr, E. (2005). Oxytocin increases trust in humans. Nature, 435, 673–676. Kosslyn, S. M. (2005). Reflective thinking and mental imagery: A perspective on the development of posttraumatic stress disorder. Development and Psychopathology, 17, 851–863. Kosslyn, S. M. (2008). The world in the brain. In 2008: What have you changed your mind about? Why? (S. 348). The Edge (edge.org). Kosslyn, S. M., & Koenig, O. (1992). Wet mind: the new cognitive neuroscience (S. 60). New York: Free Press. Kotchick, B. A., Shaffer, A., & Forehand, R. (2001). Adolescent sexual risk behavior: a multi-system perspective. Clinical Psychology Review, 21, 493–519. Koten Jr., J. W., Wood, G., Hagoort, P., Goebel, R., Propping, P., Willmes, K., & Boomsma, D. I. (2009). Genetic contribution to variation in cognitive function: an fMRI study in twins. Science, 323, 1737–1740. Kotkin, M., Daviet, C., & Gurin, J. (1996). The Consumer Reports mental health survey. American Psychologist, 51, 1080–1082. Kouider, S., Stahlhut, C., Gelskov, S. V., Barbosa, L. S., Dutat, M., de Gardelle, V., & Dehaene-Lambertz, G. (2013). A neural marker of perceptual consciousness in infants. Science, 340, 376–380. Kounin, J. S. (1970). Discipline and group management in classrooms. Oxford: Holt, Rinehart, & Winston. Kounios, J., & Beeman, M. (2014). The cognitive neuroscience of insight. Annual Review of Psychology, 65, 71–93. Kovács, Á. M., Téglás, E., & Endress, A. D. (2010). The social sense: susceptibility to others’ beliefs in human infants and adults. Science, 330, 1830–1834. Kovelman, I., Shalinsky, M. H., Berens, M. S., & Petitto, L. (2014). Words in the bilingual brain: an fNIRS brain imaging investigation of lexical processing in sign-speech bimodal bilinguals. Frontiers in Human Neuroscience, 8, article 606. Kposowa, A., Hamilton, D., & Wang, K. (2016). Impact of firearm availability and gun regulation on state suicide rates. Suicide and Life-Threating Behavior,, 46, 678–696. Kposowa, A. J., & D’Auria, S. (2009). Association of temporal factors and suicides in the United States, 2000–2004. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 45, 433–445. Kraft, C. (1978). A psychophysical approach to air safety: Simulator studies of visual illusions in night approaches. In H. L. Pick, H. W. Leibowitz, J. E. Singer, A. Steinschneider & H. W. Stevenson (Hrsg.), Psychology: from research to practice (S. A-13). New York: Plenum Press. Kraft, T., & Pressman, S. (2012). Grin and bear it: the influence of the manipulated facial expression on the stress response. Psychological Science, 23, 137–1378. Kramer, A. (2010). Personal communication (S. 444). Kramer, A. D. I. (2012). The spread of emotion via Facebook. Proceedings of the SIGCHI Conference on Human Factors in Com-
puting Systems. (S. 767–770). New York: ACM (Association for Computing Machinery). p. 440 Kramer, A. F., & Erickson, K. I. (2007). Capitalizing on cortical plasticity: Influence of physical activity on cognition and brain function. Trends in Cognitive Sciences, 11, 342–348. Kramer, M. S., Boud, F., Mironova, E., Vanilovich, I., Platt, R. W., Matush, L., & Promotion of Breastfeeding Intervention Trial (PROBIT) Study Group (2008). Breastfeeding and child cognitive development: new evidence from a large randomized trial. Archives of General Psychiatry, 65, 578–584. Kramer, P. D. (2011, July 9). In defense of antidepressants. The New York Times (nytimes.com). (pp. 637, 638) Kranz, F., & Ishai, A. (2006). Face perception is modulated by sexual preference. Current Biology, 16, 63–68. Kranz, G. S., Hahn, A., Kaufmann, U., Küblböck, M., Hummer, A., Ganger, S., & Lanzenberger, R. (2014). White matter microstructure in transsexuals and controls investigated by diffusion tensor imaging. The Journal of Neuroscience, 34, 15466–15475. Kraul, C. (2010, October 12). Chief engineer knew it would take a miracle. The Los Angeles Times (latimes.com). (p. 257) Kring, A. M., & Caponigro, J. M. (2010). Emotion in schizophrenia: where feeling meets thinking. Current Directions in Psychological Science, 19, 255–259. Kring, A. M., & Gordon, A. H. (1998). Sex differences in emotion: expression, experience, and physiology. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 686–703. Kringelbach, M. L., & Berridge, K. C. (2012). The joyful mind. Scientific American, 307, 40–45. Krishnan, A., Zhang, R., Yao, V., Theesfeld, C. L., Wong, A. K., Tadych, A., & Troyanskaya, O. G. (2016). Genome-wide prediction and functional characterization of the genetic basis of autism spectrum disorder. Nature Neuroscience. https://doi.org/10.1038/ nn.4353. Kristof, N. D. (2004, July 21). Saying no to killers. The New York Times (nytimes.com). (p. 517) Kristof, N. D. (2010, September 18). Message to Muslims: I’m sorry. TheNew York Times (nytimes.com). (p. 501) Krizan, Z., & Johar, O. (2015). Narcissistic rage revisited. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 784–801. Kroes, M. C. W., Tendolkar, I., van Wingen, G. A., van Waarde, J. A., Strange, B. A., & Fernández, G. (2014). An electroconvulsive therapy procedure impairs reconsolidation of episodic memories in humans. Nature Neuroscience, 17, 204–206. Kroll, J. F., & Bialystok, E. (2013). Understanding the consequences of bilingualism for language processing and cognition. Journal of Cognitive Psychology, 25, 497–514. Kroll, J. F., Bobb, S. C., & Hoshino, N. (2014). Two languages in mind: bilingualism as a tool to investigate language, cognition, and the brain. Current Directions in Psychological Science, 23, 159–163. Krosnick, J. A., & Alwin, D. F. (1989). Aging and susceptibility to attitude change. Journal of Personality and Social Psychology, 57, 416–425. Krosnick, J. A., Betz, A. L., Jussim, L. J., & Lynn, A. R. (1992). Subliminal conditioning of attitudes. Personality and Social Psychology Bulletin, 18, 152–162. Kross, E., & Ayduk, O. (2011). Making meaning out of negative experiences by self-distancing. Current Directions in Psychological Science, 20, 187–191. Kross, E., Berman, M., Mischel, W., Smith, E. E., & Wager, T. (2011). Social rejection shares somatosensory representations with physical pain. PNAS, 108, 6270–6275. Kross, E., Bruehlman-Senecal, E., Park, J., Burson, A., Dougherty, A., Shablack, H., & Ayduk, O. (2014). Self-talk as a regulatory mechanism: How you do it matters. Journal of Personality and Social Psychology, 106, 304–324. Kruger, J., & Dunning, D. (1999). Unskilled and unaware of it: how difficulties in recognizing one’s own incompetence lead to inflated
Literatur
self-assessments. Journal of Personality and Social Psychology, 77, 1121–1134. Kruger, J., Epley, N., Parker, J., & Ng, Z.-W. (2005). Egocentrism over e-mail: Can we communicate as well as we think? Journal of Personality and Social Psychology, 89, 925–936. Krumhansl, C. L. (2010). Plink: “Thin slices” of music. Music Perception, 27, 337–354. Krupenye, C., Kano, F., Hirata, S., Call, J., & Tomasello, M. (2016). Great apes anticipate that other individuals will act according to false beliefs. Science, 354, 110–113. Krützen, M., Mann, J., Heithaus, M. R., Connor, R. C., Bejder, L., & Sherwin, W. B. (2005). Cultural transmission of tool use in bottlenose dolphins. PNAS, 102, 8939–8943. Kubo, K., Okanoya, K., & Kawai, N. (2012). Apology isn’t good enough: an apology suppresses an approach motivation but not the physiological and psychological anger. PLoS ONE, 7, e33006. Kubzansky, L. D., Koenen, K. C., Jones, C., & Eaton, W. W. (2009). A prospective study of posttraumatic stress disorder symptoms and coronary heart disease in women. Health Psychology, 28, 125–130. Kubzansky, L. D., Sparrow, D., Vokanas, P., & Kawachi, I. (2001). Is the glass half empty or half full? A prospective study of optimism and coronary heart disease in the normative aging study. Psychosomatic Medicine, 63, 910–916. Kuehner, C. (2017). Why is depression more common among women than among men? The Lancet Psychiatry, 4, 146–158. Kuhl, P. K. (2015). Baby talk. Scientific American, https://www.scientificamerican.com/. Kuhl, P. K., & Meltzoff, A. N. (1982). The bimodal perception of speech in infancy. Science, 218, 1138–1141. Kuhl, P. K., Ramírez, R. R., Bosseler, A., Lin, J. L., & Imada, T. (2014). Infants’ brain responses to speech suggest analysis by synthesis. PNAS, 111, 11238–11245. Kühn, S., & Gallinat, J. (2014). Brain structure and functional connectivity associated with pornography consumption. Journal of the American Medical Association Psychiatry, 71, 827–834. Kumar, A., & Gilovich, T. (2013). Talking about what you did and what you have: The differential story utility of experiential and material purchases. Advances in Consumer Research, 41, 449. Kumar, A., & Gilovich, T. (2015). Some “thing” to talk about? Differential story utility from experiential and material purchases. Personality and Social Psychology Bulletin, 41, 1320–1331. Kuncel, N. R., & Hezlett, S. A. (2007). Standardized tests predict graduate students’ success. Science, 315, 1080–1081. Kuncel, N. R., & Hezlett, S. A. (2010). Fact and fiction in cognitive ability testing for admissions and hiring decisions. Current Directions in Psychological Science, 19, 339–345. Kupfer, D. J. Dr Kupfer defends DSM-5. medscape.com/viewarticle/764735 (Erstellt: 1. Juni 2012). Kupper, N., & Denollet, J. (2007). Type D personality as a prognostic factor in heart disease: assessment and mediating mechanisms. Journal of Personality Assessment, 89, 265–276. Kurtycz, L. M. (2015). Choice and control for animals in captivity. The Psychologist, 28, 892–893. Kushlev, K., & Dunn, E. W. (2015). Checking email less frequently reduces stress. Computers in Human Behavior, 43, 220–228. Kushner, M. G., Kim, S. W., Conahue, C., Thuras, P., Adson, D., Kotlyar, M., & Foa, E. B. (2007). D-cycloserine augmented exposure therapy for obsessive-compulsive disorder. Biological Psychiatry, 62, 835–838. Kutas, M. (1990). Event-related brain potential (ERP) studies of cognition during sleep: Is it more than a dream? In R. R. Bootzin, J. F. Kihlstrom & D. Schacter (Hrsg.), Sleep and cognition (S. 95). Washington, DC: American Psychological Association. Kutcher, E. J., & Bragger, J. D. (2004). Selection interviews of overweight job applicants: Can structure reduce the bias? Journal of Applied Social Psychology, 34, 1993–2022.
889
Kuttler, A. F., La Greca, A. M., & Prinstein, M. J. (1999). Friendship qualities and social-emotional functioning of adolescents with close, cross-sex friendships. Journal of Research on Adolescence, 9, 339–366. Kuyken, W., Warren, F. C., Taylor, R. S., Whalley, B., Crane, C., Bondolfi, G., & Dalgleish, T. (2016). Efficacy of mindfulness-based cognitive therapy in prevention of depressive relapse: An individual patient data meta-analysis from randomized trials. JAMA Psychiatry, 73, 565–574. Kuzawa, C. W., Chugani, H. T., Grossman, L. I., Lipovich, L., Muzik, O., Hof, P. R., & Lange, N. (2014). Metabolic costs and evolutionary implications of human brain development. Proceedings of the National Academy of Sciences of the United States of America, 111, 13010–13015. Kvam, S., Kleppe, C. L., Nordhus, I. H., & Hovland, A. (2016). Exercise as a treatment for depression: a meta-analysis. Journal of Affective Disorders, 202, 67–86. Kyaga, S., Landén, M., Boman, M., Hultman, C. M., Lángström, N., & Lichtenstein, P. (2013). Mental illness, suicide, and creativity: 40-year prospective total population study. Journal of Psychiatric Research, 47, 83–90. La Londe, K. B., Mahoney, A., Edwards, T. L., Cox, C., Weetjens, B., Durgin, A., & Poling, A. (2015). Training pouched rats to find people. Journal of Applied Behavior Analysis, 48, 1–10. LaCapria, K. Kindergarten, stop. Snopes.com (Erstellt: 17. Dez. 2015). Laceulle, O. M., Ormel, J., Aggen, S. H., Neale, N. C., & Kendler, K. S. (2011). Genetic and environmental influences on the longitudinal structure of neuroticism: a trait-state approach. Psychological Science, 24, 1780–1790. Lacey, M. (2010, December 11). He found bag of cash, but did the unexpected. The New York Times (nytimes.com). (p. 520) Lachman, M. E. (2004). Development in midlife. Annual Review of Psychology, 55, 305–331. Ladd, G. T. (1887). Elements of physiological psychology (S. 88). New York: Scribner’s. Laeng, B., & Sulutvedt, U. (2014). The eye pupil adjusts to imaginary light. Psychological Science, 25, 188–197. Lafleur, D. L., Pittenger, C., Kelmendi, B., Gardner, T., Wasylink, S., Malison, R. T., & Coric, V. (2006). N-acetylcysteine augmentation in serotonin reuptake inhibitor refractory obsessive-compulsive disorder. Psychopharmacology, 184, 254–256. Lai, M.-C., Lombardo, M. V., Auyeung, B., Chakrabarti, B., & BaronCohen, S. (2015). Sex/gender differences and autism: setting the scene for future research. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 54, 11–24. Laird, J. D. (1974). Self-attribution of emotion: the effects of expressive behavior on the quality of emotional experience. Journal of Personality and Social Psychology, 29, 475–486. Laird, J. D. (1984). The real role of facial response in the experience of emotion: a reply to Tourangeau and Ellsworth, and others. Journal of Personality and Social Psychology, 47, 909–917. Laird, J. D., & Lacasse, K. (2014). Bodily influences on emotional feelings: accumulating evidence and extensions of William James’s theory of emotion. Emotion Review, 6, 27–34. Lakin, J. L., Chartrand, T. L., & Arkin, R. M. (2008). I am too just like you: nonconscious mimicry as an automatic behavioral response to social exclusion. Psychological Science, 19, 816–822. Lally, P., Van Jaarsveld, C. H. M., Potts, H. W. W., & Wardle, J. (2010). How are habits formed: modelling habit formation in the real world. European Journal of Social Psychology, 40, 998–1009. Lam, C. B., & McBride-Chang, C. A. (2007). Resilience in young adulthood: the moderating influences of gender-related personality traits and coping flexibility. Sex Roles, 56, 159–172. Lam, R. W., Levitt, A. J., Levitan, R. D., Enns, M. W., Morehouse, R., Michalak, E. E., & Tam, E. M. (2006). The Can-SAD study: a randomized controlled trial of the effectiveness of light therapy
890
Literatur
and fluoxetine in patients with winter seasonal affective disorder. American Journal of Psychiatry, 163, 805–812. Lam, R. W., Levitt, A. J., Levitan, R. D., Michalak, E. E., Cheung, A. H., Morehouse, R., & Tam, E. M. (2016). Efficacy of bright light treatment, fluoxetine, and the combination in patients with nonseasonal major depressive disorder: a randomized clinical trial. JAMA Psychiatry, 73, 56–63. Lambert, J.-C., Ibrahim-Verbaas, C. A., Harold, D., Naj, A. C., Sims, R., Bellenguiez, C., & Amouyel, P. (2013). Meta-analysis of 74,046 individuals identifies 11 new susceptibility loci for Alzheimer’s disease. Nature Genetics, 45, 1452–1458. Lambert, N. M., DeWall, C. N., Bushman, B. J., Tillman, T. F., Fincham, F. D., Pond, R. S. Jr., & Gwinn, A. M. (2011). Lashing out in lust: effect of pornography on nonsexual, physical aggression against relationship partners. Paper presentation at the Society for Personality and Social Psychology convention. (S. 407, 508). Lambert, N. M., Negash, S., Stillman, T. F., Olmstead, S. B., & Fincham, F. D. (2012). A love that doesn’t last: pornography consumption and weakened commitment to a romantic partner. Journal of Social and Clinical Psychology, 31, 410–438. Lambert, W. E. (1992). Challenging established views on social issues: the power and limitations of research. American Psychologist, 47, 533–542. Lambert, W. E., Genesee, F., Holobow, N., & Chartrand, L. (1993). Bilingual education for majority English-speaking children. European Journal of Psychology of Education, 8, 3–22. Lambird, K. H., & Mann, T. (2006). When do ego threats lead to selfregulation failure? Negative consequences of defensive high selfesteem. Personality and Social Psychology Bulletin, 32, 1177–1187. Landau, E., Verjee, Z., & Mortensen, A. (2014, February 24). Uganda president: Homosexuals are “disgusting.” CNN, cnn.com Landau, M. J., Oyserman, D., Keefer, L. A., & Smith, G. C. (2014). The college journey and academic engagement: how metaphor use enhances identity-based motivation. Journal of Personality and Social Psychology, 106, 679–698. Landauer, T. (2001). Quoted by R. Herbert, You must remember this. APS Observer, https://www.apa.org/. Landberg, J., & Norström, T. (2011). Alcohol and homicide in russia and the United States: a comparative analysis. Journal of Studies on Alcohol and Drugs, 72, 723–730. Landry, M. J. (2002). MDMA: a review of epidemiologic data. Journal of Psychoactive Drugs, 34, 163–169. Lane, R. D., Ryan, L., Nadel, L., & Greenberg, L. (2015). Memory reconsolidation, emotional arousal, and the process of change in psychotherapy: new insights from brain science. Behavioral and Brain Sciences, 38, e28. Lange, N., & McDougle, C. J. (2013). Help for the child with autism. Scientific American, 25, 72–77. Langer, E. J. (1983). The psychology of control (S. 464). Beverly Hills: SAGE. Langer, E. J., & Abelson, R. P. (1974). A patient by any other name . . .: Clinician group differences in labeling bias. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 42, 4–9. Langer, E. J., & Imber, L. (1980). The role of mindlessness in the perception of deviance. Journal of Personality and Social Psychology, 39, 360–367. Langlois, J. H., Kalakanis, L., Rubenstein, A. J., Larson, A., Hallam, M., & Smoot, M. (2000). Maxims or myths of beauty? A meta-analytic and theoretical review. Psychological Bulletin, 126, 390–423. Langlois, J. H., & Roggman, L. A. (1990). Attractive faces are only average. Psychological Science, 1, 115–121. Langmeyer, A., Guglhör-Rudan, A., & Tarnai, C. (2012). What do music preferences reveal about personality? A cross-cultural replication using self-ratings and ratings of music samples. Journal of Individual Differences, 33, 119–130. Långström, N. H., Rahman, Q., Carlström, E., & Lichtenstein, P. (2010). Genetic and environmental effects on same-sex sexual be-
havior: A population study of twins in Sweden. Archives of Sexual Behavior, 39, 75–80. Lankford, A. (2009). Promoting aggression and violence at Abu Ghraib: The U.S. military’s transformation of ordinary people into torturers. Aggression and Violent Behavior, 14, 388–395. Larkin, J. E., Brasel, A. M., & Pines, H. A. (2013). Cross-disciplinary applications of I/O psychology concepts: predicting student retention and employee turnover. Review of General Psychology, 17, 82–92. Larkin, K., Resko, J. A., Stormshak, F., Stellflug, J. N., & Roselli, C. E. (2002). Neuroanatomical correlates of sex and sexual partner preference in sheep. Paper presented at Society for Neuroscience convention. (S. 412). Larrick, R. P., Timmerman, T. A., Carton, A. M., & Abrevaya, J. (2011). Temper, temperature, and temptation: heat-related retaliation in baseball. Psychological Science, 22, 423–428. Larsen, R. J., & Diener, E. (1987). Affect intensity as an individual difference characteristic: a review. Journal of Research in Personality, 21, 1–39. Larson, R. W., & Verma, S. (1999). How children and adolescents spend time across the world: work, play, and developmental opportunities. Psychological Bulletin, 125, 701–736. Larzelere, R. E. (2000). Child outcomes of non-abusive and customary physical punishment by parents: an updated literature review. Clinical Child and Family Psychology Review, 3, 199–221. Larzelere, R. E., & Kuhn, B. R. (2005). Comparing child outcomes of physical punishment and alternative disciplinary tactics: a metaanalysis. Clinical Child and Family Psychology Review, 8, 1–37. Larzelere, R. E., Kuhn, B. R., & Johnson, B. (2004). The intervention selection bias: An underrecognized confound in intervention research. Psychological Bulletin, 130, 289–303. Lashley, K. S. (1950). In search of the engram. In Symposium of the Society for Experimental Biology (Bd. 4, S. 307). New York: Cambridge University Press. Lassiter, G. D., & Irvine, A. A. (1986). Video-taped confessions: the impact of camera point of view on judgments of coercion. Journal of Personality and Social Psychology, 16, 268–276. Latané, B. (1981). The psychology of social impact. American Psychologist, 36, 343–356. Latané, B., & Dabbs Jr., J. M. (1975). Sex, group size and helping in three cities. Sociometry, 38, 180–194. Latzman, R. D., Freeman, H. D., Schapiro, S. J., & Hopkins, W. D. (2015). The contribution of genetics and early rearing experiences to hierarchical personality dimensions in chimpanzees (pan troglodytes). Journal of Personality and Social Psychology, 109, 889–900. Laudenslager, M. L., & Reite, M. L. (1984). Losses and separations: immunological consequences and health implications. Review of Personality and Social Psychology, 5, 285–312. Laukka, P., Elfenbein, H. A., Thingujam, N. S., Rockstuhl, T., Iraki, F. K., Chui, W., & Althoff, J. (2016). The expression and recognition of emotions in the voice across five nations: A lens model analysis based on acoustic features. Journal of Personality and Social Psychology, 111, 686–705. Laumann, E. O., Gagnon, J. H., Michael, R. T., & Michaels, S. (1994). The social organization of sexuality: sexual practices in the United States (S. 140). Chicago: University of Chicago Press. Launay, J. M., Mouillet-Richard, S., Baudry, A., Pietri, M., & Kellermann, O. (2011). Raphe-mediated signals control the hippocampal response to SRI antidepressants via miR-16. Translational Psychiatry, 1, e56. Lavrijsen, J., Dockx, J., Struyf, E., & Verschueren, K. (2022) Class composition, student achievement, and the role of the learning environment. Journal of Educational Psychology, 114, 498–512. Laws, K. R., & Kokkalis, J. (2007). Ecstasy (MDMA) and memory function: a meta-analytic update. Human Psychopharmacology: Clinical and Experimental, 22, 381–388.
Literatur
Layous, K., & Lyubomirsky, S. (2014). The how, who, what, when, and why of happiness: mechanisms underlying the success of positive activity interventions. In J. Gruber & J. T. Moskowitz (Hrsg.), Positive emotions: integrating the light and dark sides (S. 473–495). New York: Oxford University Press. Lazaruk, W. (2007). Linguistic, academic, and cognitive benefits of French immersion. Canadian Modern Language Review, 63, 605– 628. Lazarus, R. S. (1990). Theory-based stress measurement. Psychological Inquiry, 1, 3–13. Lazarus, R. S. (1991). Progress on a cognitive-motivational-relational theory of emotion. American Psychologist, 46, 352–367. Lazarus, R. S. (1998). Fifty years of the research and theory of R. S. Lazarus: an analysis of historical and perennial issues (S. 429, 451). Mahwah: Erlbaum. Lea, S. E. G. (2000). Towards an ethical use of animals. The Psychologist, 13, 556–557. Leaper, C., & Ayres, M. M. (2007). A meta-analytic review of gender variations in adults’ language use: talkativeness, affiliative speech, and assertive speech. Personality and Social Psychology Review, 11, 328–363. Leary, M. R. (1999). The social and psychological importance of selfesteem. In R. M. Kowalski & M. R. Leary (Hrsg.), The social psychology of emotional and behavioral problems (S. 555). Washington, DC: APA Books. Leary, M. R. (2012). Sociometer theory. In L. Van Lange, A. W. Kruglanski & E. T. Higgins (Hrsg.), Handbook of theories of social psychology (Bd. 2, S. 141–159). Los Angeles: SAGE. Lebedev, A. V., Lövdén, M., Rosenthal, G., Feilding, A., Nutt, D. J., & Carhart-Harris, R. L. (2015). Finding the self by losing the self: neural correlates of ego-dissolution under psilocybin. Human Brain Mapping, 36, 3137–3153. Leckelt, M., Küfner, A. C. P., Nestler, S., & Back, M. D. (2015). Behavioral processes underlying the decline of narcissists’ popularity over time. Journal of Personality and Social Psychology, 109, 856–871. LeDoux, J. (1996). The emotional brain: The mysterious underpinnings of emotional life (S. 308). New York: Simon & Schuster. LeDoux, J. (2002). The synaptic self (S. 145, 429). London: Macmillan. LeDoux, J. (2009). Quoted by K. McGowan, Out of the past. Discover, https://www.discovermagazine.com/. LeDoux, J. (2015). Anxious: using the brain to understand and treat fear and anxiety (S. 429). New York: Viking. LeDoux, J. E., & Armony, J. (1999). Can neurobiology tell us anything about human feelings? In D. Kahneman, E. Diener & N. Schwartz (Hrsg.), Well-being: the foundations of hedonic psychology (S. 429). New York: SAGE. Lee, C. A., Derefinko, K. J., Milich, R., Lynam, D. R., & DeWall, C. N. (2017). Longitudinal and reciprocal relations between delay discounting and crime. Personality and Individual Differences, 111, 193–198. Lee, C. S., Therriault, D. J., & Linderholm, T. (2012). On the cognitive benefits of cultural experience: exploring the relationship between studying abroad and creative thinking. Applied Cognitive Psychology, 26, 768–778. Lee, D. S., Kim, E., & Schwartz, N. (2015). Something smells fishy: olfactory suspicion cues improve performance on the moses illusion and Wason rule discovery task. Journal of Experimental Social Psychology, 59, 47–50. Lee, G., Ojha, A., Kang, J.-S., & Lee, M. (2015). Modulation of resource allocation by intelligent individuals in linguistic, mathematical, and visuo-spatial tasks. International Journal of Psychophysiology, 97, 14–22. Lee, G. Y., & Kisilevsky, B. S. (2014). Fetuses respond to father’s voice but prefer mother’s voice after birth. Developmental Psychobiology, 56, 1–11.
891
Lee, L., Frederick, S., & Ariely, D. (2006). Try it, you’ll like it: the influence of expectation, consumption, and revelation on preferences for beer. Psychological Science, 17, 1054–1058. Lefaucheur, J.-P., Antal, A., Ayache, S. S., Benninger, D. H., Brunelin, J., Cogiamanian, F., & Paulus, W. (2017). Evidence-based guidelines on the therapeutic use of transcranial direct current stimulation (tDCS). Clinical Neuropsychology, 128, 56–92. Lefcourt, H. M. (1982). Locus of control: current trends in theory and research (S. 465). Hillsdale: Erlbaum. Lehman, A. F., Steinwachs, D. M., Dixon, L. B., Goldman, H. H., Osher, F., Postrado, L., & Zito, J. (1998). Translating research into practice: the schizophrenic patient outcomes research team (PORT) treatment recommendations. Schizophrenia Bulletin, 24, 1–10. Lehman, D. R., Wortman, C. B., & Williams, A. F. (1987). Long-term effects of losing a spouse or child in a motor vehicle crash. Journal of Personality and Social Psychology, 52, 218–231. Leichsenring, F., & Rabung, S. (2008). Effectiveness of long-term psychodynamic psychotherapy: a meta-analysis. JAMA, 300, 1551–1565. Leitenberg, H., & Henning, K. (1995). Sexual fantasy. Psychological Bulletin, 117, 469–496. Lemmer, G., & Wagner, U. (2015). Can we really reduce ethnic prejudice outside the lab? A meta-analysis of direct and indirect contact interventions. European Journal of Social Psychology, 45, 152–168. Lemonick, M. D. (2002, June 3). Lean and hungrier. Time, p. 54. Lenhart, A. (2015a). Mobile access shifts social media use and other online activities (S. 155). Pew Research Center. pewresearch.org Lenhart, A. (2015b). Teens, social media & technology overview 2015 (S. 199, 421). Pew Internet & Research Center. pewinternet.org Lenneberg, E. H. (1967). Biological foundations of language (S. 348). New York: Wiley. Lennox, B. R., Bert, S., Park, G., Jones, P. B., & Morris, P. G. (1999). Spatial and temporal mapping of neural activity associated with auditory hallucinations. The Lancet, 353, 644. Lenton, A. P., & Francesconi, M. (2010). How humans cognitively manage an abundance of mate options. Psychological Science, 21, 528–533. Lenzenweger, M. F., Dworkin, R. H., & Wethington, E. (1989). Models of positive and negative symptoms in schizophrenia: an empirical evaluation of latent structures. Journal of Abnormal Psychology, 98, 62–70. Leonhard, C., & Randler, C. (2009). In sync with the family: children and partners influence the sleep-wake circadian rhythm and social habits of women. Chronobiology International, 26, 510–525. LePort, A. K. R., Mattfeld, A. T., Dickinson-Anson, H., Fallon, J. H., Stark, C. E. L., Kruggel, F., & McGaugh, J. L. (2012). Behavioral and neuroanatomical investigation of highly superior autobiographical memory (HSAM). Neurobiology of Learning and Memory, 98, 78–92. Lepp, A., Barkley, J. E., & Karpinski, A. C. (2014). The relationship between cell phone use, academic performance, anxiety, and satisfaction with life in college students. Computers in Human Behavior, 31, 343–350. Lereya, S. T., Copeland, W. E., Costello, E. J., & Wolke, D. (2015). Adult mental health consequences of peer bullying and maltreatment in childhood: two cohorts in two countries. Lancet Psychiatry, 2, 524–531. Lesage, A., Lemasson, M., Medina, K., Tsopmo, J., Sebti, N., Potvin, S., & Patry, S. (2016). The prevalence of electroconvulsive therapy use since 1973: A meta-analysis. Journal of ECT, 32, 236–242. Leslie, M. (2011). Are telomere tests ready for prime time? Science, 322, 414–415. Leucht, S., Barnes, T. R. E., Kissling, W., Engel, R. R., Correll, C., & Kane, J. M. (2003). Relapse prevention in schizophrenia with newgeneration antipsychotics: A systematic review and exploratory
892
Literatur
meta-analysis of randomized, controlled trials. American Journal of Psychiatry, 160, 1209–1222. Leuner, B., Glasper, E. R., & Gould, E. (2010). Sexual experience promotes adult neurogenesis in the hippocampus despite an initial elevation in stress hormones. PLoS ONE, 5, e11597. Leuthardt, E. C., Schalk, G., Roland, J., Rouse, A., & Moran, D. W. (2009). Evolution of brain-computer interfaces: Going beyond classic motor physiology. Neurosurgical Focus, 27, E4. LeVay, S. (1991). A difference in hypothalamic structure between heterosexual and homosexual men. Science, 253, 1034–1037. LeVay, S. (1994). Quoted in D. Nimmons, Sex and the brain. Discover, https://www.discovermagazine.com/. LeVay, S. (2011). Gay, straight, and the reason why: the science of sexual orientation (S. 413, 414). New York: Oxford University Press. Levenson, R. M., Krupinski, E. A., Navarro, V. M., & Wasserman, E. A. (2015). Pigeons (Columba livia) as trainable observers of pathology and radiology breast cancer images. PLoS ONE, 10, e141357. Levin, R., & Nielsen, T. A. (2007). Disturbed dreaming, posttraumatic stress disorder, and affect distress: a review and neurocognitive model. Psychological Bulletin, 133, 482–528. Levin, R., & Nielsen, T. A. (2009). Nightmares, bad dreams, and emotion dysregulation. Current Directions in Psychological Science, 18, 84–87. Levine, J. A., Lanningham-Foster, L. M., McCrady, S. K., Krizan, A. C., Olson, L. R., Kane, P. H., & Clark, M. M. (2005). Interindividual variation in posture allocation: Possible role in human obesity. Science, 307, 584–586. Levine, R. (2016). Stranger in the mirror: the scientific search for self (S. 149, 483). Princeton: Princeton University Press. Levine, R., Sato, S., Hashimoto, T., & Verma, J. (1995). Love and marriage in eleven cultures. Journal of Cross-Cultural Psychology, 26, 554–571. Levine, R. V., & Norenzayan, A. (1999). The pace of life in 31 countries. Journal of Cross-Cultural Psychology, 30, 178–205. Levy, B., & Langer, E. (1992). Avoidance of the memory loss stereotype: enhanced memory among the elderly deaf. Paper presented at American Psychological Association convention, Washington, DC. (S. 350). Levy, D. J., Heissel, J. A., Richeson, J. A., & Adam, E. K. (2016). Psychological and biological responses to race-based social stress as pathways to disparities in educational outcomes. American Psychologist, 71, 455–473. Levy, J., Goldstein, A., Influs, M., Masalha, S., Zagoory-Sharon, O., & Feldman, R. (2016). Adolescents growing up amidst intractable conflict attenuate brain response to pain of outgroup. Proceedings of the National Academy of Sciences, 113, 13696–13701. Levy, P. E. (2003). Industrial/organizational psychology: understanding the workplace (S. A-7). Boston: Houghton Mifflin. Lewald, J. (2007). More accurate sound localisation induced by shortterm light deprivation. Neuropsychologia, 45, 1215–1222. Lewandowski Jr., G. W., Aron, A., & Gee, J. (2007). Personality goes a long way: the malleability of opposite-sex physical attractiveness. Personality Relationships, 14, 571–585. Lewicki, P. (1985). Nonconscious biasing effects of single instances on subsequent judgments. Journal of Personality and Social Psychology, 48, 563–574. Lewinsohn, P. M., Hoberman, H., Teri, L., & Hautziner, M. (1985). An integrative theory of depression. In S. Reiss & R. Bootzin (Hrsg.), Theoretical issues in behavior therapy (S. 583). Orlando: Academic Press. Lewinsohn, P. M., Petit, J., Joiner Jr., T. E., & Seeley, J. R. (2003). The symptomatic expression of major depressive disorder in adolescents and young adults. Journal of Abnormal Psychology, 112, 244–252.
Lewinsohn, P. M., Rohde, P., & Seeley, J. R. (1998). Major depressive disorder in older adolescents: prevalence, risk factors, and clinical implications. Clinical Psychology Review, 18, 765–794. Lewis, C. S. (1960). Mere christianity (S. 8, 559). New York: Macmillan. Lewis, C. S. (1967). Christian reflections (S. 317). Grand Rapids: Eerdmans. Lewis, D. M. G., Russell, E. M., Al-Shawaf, L., & Buss, D. M. (2015). Lumbar curvature: a previously undiscovered standard of attractiveness. Evolution and Human Behavior, 36, 345–350. Lewis, D. O., Pincus, J. H., Bard, B., Richardson, E., Prichep, L. S., Feldman, M., & Yeager, C. (1988). Neuropsychiatric, psychoeducational, and family characteristics of 14 juveniles condemned to death in the United States. American Journal of Psychiatry, 145, 584–589. Lewis, D. O., Yeager, C. A., Swica, Y., Pincus, J. H., & Lewis, M. (1997). Objective documentation of child abuse and dissociation in 12 murderers with dissociative identity disorder. American Journal of Psychiatry, 154, 1703–1710. Lewontin, R. (1976). Race and intelligence. In N. J. Block & G. Dworkin (Hrsg.), The IQ controversy: critical readings (S. 383). New York: Pantheon. Lewontin, R. (1982). Human diversity (S. 138). New York: Scientific American Library. Li, C.-M., Zhang, X., Hoffman, H. J., Cotch, M. F., Themann, C. L., & Wilson, M. R. (2014). Hearing impairment associated with depression in US adults, National Health and Nutrition Examination Survey 2005–2010. Otolaryngology—Head & Neck Surgery, 140, 293–302. Li, J., Laursen, T. M., Precht, D. H., Olsen, J., & Mortensen, P. B. (2005). Hospitalization for mental illness among parents after the death of a child. New England Journal of Medicine, 352, 1190–1196. Li, N., & DiCarlo, J. J. (2008). Unsupervised natural experience rapidly alters invariant object representation in visual cortex. Science, 321, 1502–1506. Li, S., Stampfer, M. J., Williams, D. R., & VanderWeele, T. J. (2016). Association of religious service attendance with mortality among women. JAMA Internal Medicine, 176, 777–785. Li, Y., Johnson, E. J., & Zaval, L. (2011). Local warming: daily temperature change influences belief in global warming. Psychological Science, 22, 454–459. Li, Z. H., Jiang, D., Pepler, D., & Craig, W. (2010). Adolescent romantic relationships in China and Canada: a cross-national comparison. International Journal of Behavioral Development, 34, 113–120. Liberman, M. C. (2015). Hidden hearing loss. Scientific American, 49–53. Libertus, M. E., & Brannon, E. M. (2009). Behavioral and neural basis of number sense in infancy. Current Directions in Psychological Science, 18, 346–351. Libet, B. (1985). Unconscious cerebral initiative and the role of conscious will in voluntary action. Behavioral and Brain Sciences, 12, 181–187. Libet, B. (2004). Mind time: the temporal factor in consciousness (S. 94). Cambridge: Harvard University Press. Licata, A., Taylor, S., Berman, M., & Cranston, J. (1993). Effects of cocaine on human aggression. Pharmacology Biochemistry and Behavior, 45, 549–552. Lichtenstein, E., Zhu, S.-H., & Tedeschi, G. J. (2010). Smoking cessation quitlines: an underrecognized intervention success story. American Psychologist, 65, 252–261. Lick, D. J., Durso, L. E., & Johnson, K. L. (2013). Minority stress and physical health among sexual minorities. Perspectives on Psychological Science, 8, 521–548. Liddle, J. R., Shackelford, T. K., & Weekes-Shackelford, V. W. (2012). Why can’t we all just get along?: evolutionary perspectives on violence, homicide, and war. Review of General Psychology, 16, 24–36. Lieberman, M. D., Eisenberger, N. L., Crockett, M. J., Tom, S. M., Pfeifer, J. H., & Way, B. M. (2007). Putting feelings into words:
Literatur
affect labeling disrupts amygdala activity in response to affective stimuli. Psychological Science, 18, 421–428. Lieberman, P. (2013). Synapses, language, and being human. Science, 342, 944–945. Lievens, F., Dilchert, S., & Ones, D. S. (2009). The importance of exercise and dimension factors in assessment centers: simultaneous examinations of construct-related and criterion-related validity. Human Performance, 22, 375–390. Lilienfeld, S. O. (2009). Tips for spotting psychological pseudoscience: a student-friendly guide. Eye of Psi Chi, 13, 23–26. Lilienfeld, S. O. (2017). Clinical psychological science: then and now. Clinical Psychological Science, 5, 3–13. Lilienfeld, S. O., & Arkowitz, H. (2007). Taking a closer look: Can moving your eyes back and forth help to ease anxiety? Scientific American Mind, 80–81. Lilienfeld, S. O., Lynn, S. J., Kirsch, I., Chaves, J. F., Sarbin, T. R., Ganaway, G. K., & Powell, R. A. (1999). Dissociative identity disorder and the sociocognitive model: Recalling the lessons of the past. Psychological Bulletin, 125, 507–523. Lilienfeld, S. O., Marshall, J., Todd, J. T., & Shane, H. C. (2015). The persistence of fad interventions in the face of negative scientific evidence: Facilitated communication for autism as a case example. Evidence-Based Communication Assessment and Intervention, 8, 62–101. Lilienfeld, S. O., Ritschel, L. A., Lynn, S. J., Cautin, R. L., & Latzman, R. D. (2013). Why many clinical psychologists are resistant to evidence-based practice: Root causes and constructive remedies. Clinical Psychology Review, 33, 883–900. Lilienfeld, S. O., Sauvigné, K. C., Reber, J., Watts, A. L., Hamann, S., Smith, S. F., & Tranel, D. (2017). Potential effects of severe bilateral amygdala damage on psychopathic features: a case report. Personality Disorders: Theory, Research, and Treatment. https://doi. org/10.1037/per0000230. Lilienfeld, S. O., Smith, S. F., & Watts, A. L. (2016). Fearless dominance and its implications for psychopathy: are the right stuff and the wrong stuff flip sides of the same coin? In V. Zeigler-Hill & D. K. Marcus (Hrsg.), The dark side of personality: science and practice in social, personality, and clinical psychology (S. 65–86). American Psychological Association: Washington, DC. Lilienfeld, S. O., Waldman, I. D., Landfield, K., Watts, A. L., Rubenzer, S., & Fashingbauer, T. R. (2012). Fearless dominance and the U.S. presidency: Implications of psychopathic personality traits for successful and unsuccessful political leadership. Journal of Personality and Social Psychology, 103, 489–505. Lilienfeld, S. O., Wood, J. M., & Garb, H. N. (2001). What’s wrong with this picture? Scientific American, 284, 81–87. Lim, D., & DeSteno, D. (2016). Suffering and compassion: the links among adverse life experiences, empathy, compassion, and prosocial behavior. Emotion, 16, 175–182. Lim, J., & Dinges, D. F. (2010). A meta-analysis of the impact of short-term sleep deprivation on cognitive variables. Psychological Bulletin, 136, 375–389. Lima, N., Nascimento, V., Peixoto, J. A. C., Moreira, M. M., Neto, M. L. R., Almeida, J. C., & Reis, A. O. A. (2013). Electroconvulsive therapy use in adolescents: a systematic review. Annals of General Psychiatry, 12, 17. https://doi.org/10.1186/1744-859X-12-17. Lin, F. R., Ferrucci, L., Metter, E. J., An, Y., Zonderman, A. B., & Resnick, S. M. (2011a). Hearing loss and cognition in the Baltimore longitudinal study of aging. Neuropsychology, 25, 763–770. Lin, F. R., Metter, E. J., O’Brien, R. J., Resnick, S. M., Zonderman, A. B., & Ferrucci, L. (2011b). Hearing loss and incident dementia. Archives of Neurology, 68, 214–220. Lin, F. R., Yaffe, K., Xia, J., Xue, Q.-L., Harris, T. B., Purchase-Helzner, E., & Simonsick, E. M. (2013). Hearing loss and cognitive decline in older adults. JAMA, 173, 293–299. Lin, X., Chen, W., Wei, F., Ying, M., Wei, W., & Xie, X. (2015). Nightshift work increases morbidity of breast cancer and all-cause
893
mortality: a meta-analysis of 16 prospective cohort studies. Sleep Medicine, 16, 1381–1387. Lin, Z., & Murray, S. O. (2015). More power to the unconscious: conscious, but not unconscious, exogenous attention requires location variation. Psychological Science, 26, 221–230. Lind, A., Hall, L., Breidegard, B., Balkenius, C., & Johansson, P. (2014). Speakers’ acceptance of real-time speech exchange indicates that we use auditory feedback to specify the meaning of what we say. Psychological Science, 25, 1198–1205. Lindberg, S. M., Hyde, J. S., Linn, M. C., & Petersen, J. L. (2010). New trends in gender and mathematics performance: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 136, 1125–1135. Linder, D. (1982). Social trap analogs: the tragedy of the commons in the laboratory. In V. J. Derlega & J. Grzelak (Hrsg.), Cooperative and helping behavior: Theories and research (S. 521). New York: Academic Press. Lindner, I., Echterhoff, G., Davidson, P. S. R., & Brand, M. (2010). Observation inflation: your actions become mine. Psychological Science, 21, 1291–1299. Lindskold, S. (1978). Trust development, the GRIT proposal, and the effects of conciliatory acts on conflict and cooperation. Psychological Bulletin, 85, 772–793. Lindskold, S., & Han, G. (1988). GRIT as a foundation for integrative bargaining. Personality and Social Psychology Bulletin, 14, 335–345. Lindson-Hawley, N., Banting, M., West, R., Michie, S., Shinkins, B., & Aveyard, P. (2016). Graduate versus abrupt smoking cessation: a randomized, controlled noninferiority trial. Annals of Internal Medicine, 164, 585–592. Linehan, M. M., Korslund, K. E., Harned, M. S., Gallop, R. J., Lungu, A., Neacsiu, A. D., & Murray-Gregory, A. M. (2015). Dialectical behavior therapy for high suicide risk in individuals with borderline personality disorder: A randomized clinical trial and component analysis. JAMA Psychiatry, 72, 475–482. Lippa, R. A. (2006). Is high sex drive associated with increased sexual attraction to both sexes? It depends on whether you are male or female. Psychological Science, 17, 46–52. Lippa, R. A. (2007). The relation between sex drive and sexual attraction to men and women: a cross-national study of heterosexual, bisexual, and homosexual men and women. Archives of Sexual Behavior, 36, 209–222. Lippa, R. A. (2008). Sex differences and sexual orientation differences in personality: findings from the BBC Internet survey. Archives of Sexual Behavior, Special Issue: Biological research on sex-dimorphic behavior and sexual orientation, 37, 173–187. Lippa, R. A. (2009). Sex differences in sex drive, sociosexuality, and height across 53 nations: testing evolutionary and social structural theories. Archives of Sexual Behavior, 38, 631–651. Lippa, R. A., Patterson, T. M., & Marelich, W. D. (2010). Looking at and longing for male and female “swimsuit models”: Men are much more category-specific than women. Social Psychological and Personality Science, 1, 238–245. Lipsey, M. W., & Wilson, D. B. (1993). The efficacy of psychological, educational, and behavioral treatment: confirmation from metaanalyses. American Psychologist, 48, 1181–1209. Lipsitt, L. P. (2003). Crib death: A biobehavioral phenomenon? Current Directions in Psychological Science, 12, 164–170. Liu, D., & Baumeister, R. F. (2016). Social networking online and personality of self-worth: a meta-analysis. Journal of Research in Personality, 64, 79–89. Liu, R. T., Cheek, S. M., & Nestor, B. A. (2016). Non-suicidal selfinjury and life stress: a systematic meta-analysis and theoretical elaboration. Clinical Psychology Review, 47, 1–14. Liu, S., Huang, J. L., & Wang, M. (2014). Effectiveness of job search interventions: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 140, 1009–1041.
894
Literatur
Liu, X. S., Pang, P. T., Puryear, C. B., Govindarajan, A., Deisseroth, K., & Tonegawa, S. (2012). Optogenetic stimulation of a hippocampal engram activates fear memory recall. Nature, 484, 381–385. Liu, Y., Balaraman, Y., Wang, G., Nephew, K. P., & Zhou, F. C. (2009). Alcohol exposure alters DNA methylation profiles in mouse embryos at early neurulation. Epigenetics, 4, 500–511. Livingston, G., & Parker, K. (2011). A tale of two fathers: more are active, but more are absent (S. 186). Pew Research Center. pewresearch.org Livingstone, M., & Hubel, D. (1988). Segregation of form, color, movement, and depth: anatomy, physiology, and perception. Science, 240, 740–749. Lo, J. C., Chong, P. L., Ganesan, S., Leong, R. L., & Chee, M. W. (2016). Sleep deprivation increases formation of false memory. Journal of Sleep Research. https://doi.org/10.1111/jsr.12436. Locke, A. E., Kahali, B., Berndt, S. I., Justice, A. E., Pers, T. H., Day, F. R., & Speliotes, E. K. (2015). Genetic studies of body mass index yield new insights for obesity biology. Nature, 518, 195–206. Lockwood, L. E., Su, S., & Youssef, N. A. (2015). The role of epigenetics in depression and suicide: A platform for gene-environment interactions. Psychiatry Research, 228, 235–242. Loehlin, J. C. (2012). The differential heritability of personality item clusters. Behavior Genetics, 42, 500–507. Loehlin, J. C. (2016). What can an adoption study tell us about the effect of prenatal environment on a trait. Behavior Genetics, 46, 329–333. Loehlin, J. C., Horn, J. M., & Ernst, J. L. (2007). Genetic and environmental influences on adult life outcomes: evidence from the texas adoption project. Behavior Genetics, 37, 463–476. Loehlin, J. C., & Nichols, R. C. (1976). Heredity, environment, and personality (S. 130). Austin: University of Texas Press. Loewenstein, G., Krishnamurti, T., Kopsic, J., & McDonald, D. (2015). Does increased sexual frequency enhance happiness? Journal of Economic Behavior & Organization, 116, 206–218. Loftus, E. F. (2001). Imagining the past. The Psychologist, 14, 584–587. Loftus, E. F. (2012). Manufacturing memories. Invited address to the International Congress of Psychology, Cape Town. (S. 321). Loftus, E. F., & Ketcham, K. (1994). The myth of repressed memory: false memories and allegations of sexual abuse (S. 107). New York: St. Martin’s Press. Loftus, E. F., Levidow, B., & Duensing, S. (1992). Who remembers best? Individual differences in memory for events that occurred in a science museum. Applied Cognitive Psychology, 6, 93–107. Loftus, E. F., & Loftus, G. R. (1980). On the permanence of stored information in the human brain. American Psychologist, 35, 409–420. Loftus, E. F., & Palmer, J. C. (1974). Reconstruction of automobile destruction: an example of the interaction between language and memory. Journal of Verbal Learning & Verbal Behavior, 13, 585–589. Logan, T. K., Walker, R., Cole, J., & Leukefeld, C. (2002). Victimization and substance abuse among women: contributing factors, interventions, and implications. Review of General Psychology, 6, 325–397. Logue, A. W. (1998a). Laboratory research on self-control: applications to administration. Review of General Psychology, 2, 221–238. Logue, A. W. (1998b). Self-control. In W. T. O’Donohue (Hrsg.), Learning and behavior therapy (S. 276). Boston: Allyn & Bacon. London, P. (1970). The rescuers: motivational hypotheses about Christians who saved jews from the Nazis. In J. Macaulay & L. Berkowitz (Hrsg.), Altruism and helping behavior (S. 292). New York: Academic Press. Lonergan, M. H., Olivera-Figueroa, L., Pitman, R. K., & Brunet, A. (2013). Propranolol’s effects on the consolidation and reconsolidation of long-term emotional memory in healthy participants: a meta-analysis. Journal of Psychiatry & Neuroscience, 38, 222–231. Loomes, R., Hull, L., & Mandy, W. P. L. (2017). What is the maleto-female ratio in autism spectrum disorder? A systematic review
and meta-analysis. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 56, 466–474. Lopez, D. J. (2002). Snaring the fowler: Mark Twain debunks phrenology. Skeptical Inquirer, 1, 50. csicop.org. de Lopez-Quintero, I. C., Hasin, D. S., Okuda, M., Wang, S., Grant, B. F., & Blanco, C. (2011). Probability and predictors of transition from first use to dependence on nicotine, alcohol, cannabis, and cocaine: Results of the national epidemiologic survey on alcohol and related conditions (NESARC). Drug and Alcohol Dependence, 115, 120–130. Loprinzi, P. D., Loenneke, J. P., & Blackburn, E. H. (2015). Movementbased behaviors and leukocyte telomere length among US adults. Medical Science and Sports Exercise, 47, 2347–2352. Lord, C. G., Lepper, M. R., & Preston, E. (1984). Considering the opposite: a corrective strategy for social judgment. Journal of Personality and Social Psychology, 47, 1231–1247. Lord, C. G., Ross, L., & Lepper, M. (1979). Biased assimilation and attitude polarization: the effects of prior theories on subsequently considered evidence. Journal of Personality and Social Psychology, 37, 2098–2109. Lorenz, K. (1937). The companion in the bird’s world. Auk, 54, 245– 273. Louie, K., & Wilson, M. A. (2001). Temporally structured replay of awake hippocampal ensemble activity during rapid eye movement sleep. Neuron, 29, 145–156. Lourenco, O., & Machado, A. (1996). In defense of Piaget’s theory: a reply to 10 common criticisms. Psychological Review, 103, 143–164. Lovaas, O. I. (1987). Behavioral treatment and normal educational and intellectual functioning in young autistic children. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 55, 3–9. Low, P. (2012). The cambridge declaration on consciousness. Francis Crick Memorial Conference on Consciousness in Human and nonHuman Animals, Cambridge, 7. Juli 2012. (S. 342). fcmconference. org/img /CambridgeDeclarationOnConsciousness.pdf. Lowry, P. E. (1997). The assessment center process: new directions. Journal of Social Behavior and Personality, 12, 53–62. Lozano, A. M., & Mayberg, H. S. (2015). Treating depression at the source. Scientific American, 312, 68–73. Lu, J., Zhong, X., Liu, H., Hao, L., Huang, C. T. L., Sherafat, M. A., & Zhang, S. C. (2016). Generation of serotonin neurons from human pluripotent stem cells. Nature Biotechnology, 34, 89–94. Lu, Z.-L., Williamson, S. J., & Kaufman, L. (1992). Behavioral lifetime of human auditory sensory memory predicted by physiological measures. Science, 258, 1668–1670. Lubinski, D. (2009). Cognitive epidemiology: With emphasis on untangling cognitive ability and socioeconomic status. Intelligence, 37, 625–633. Lubinski, D. (2016). From Terman to today: a century of findings on intellectual precocity. Review of Educational Research, 86, 900–944. Lubinski, D., Benbow, C. P., & Kell, H. J. (2014). Life paths and accomplishments of mathematically precocious males and females four decades later. Psychological Science, 25, 2217–2232. Luby, J. L., Belden, A., Harms, M. P., Tillman, R., & Barch, D. M. (2016). Preschool is a sensitive period for the influence of maternal support on the trajectory of hippocampal development. PNAS, 113, 5742–5747. Lucas, A., Morley, R., Cole, T. J., Lister, G., & Leeson-Payne, C. (1992). Breast milk and subsequent intelligence quotient in children born preterm. The Lancet, 339, 261–264. Lucas, R. E., Clark, A. E., Georgellis, Y., & Diener, E. (2004). Unemployment alters the set point for life satisfaction. Psychological Science, 15, 8–13. Lucas, R. E., & Donnellan, M. B. (2007). How stable is happiness? Using the STARTS model to estimate the stability of life satisfaction. Journal of Research in Personality, 41, 1091–1098.
Literatur
Lucas, R. E., & Donnellan, M. B. (2009). Age differences in personality: evidence from a nationally representative Australian sample. Developmental Psychology, 45, 1353–1363. Luciano, M., Gow, A. J., Harris, S. E., Hayward, C., Allerhand, M., Starr, J. M., & Deary, I. J. (2009). Cognitive ability at age 11 and 70 years, information processing speed, and APOE variation: the Lothian birth cohort 1936 study. Psychology and Aging, 24, 129–138. Ludwig, A. M. (1995). The price of greatness: resolving the creativity and madness controversy (S. 582, 583). New York: Guilford. Ludwig, D. S., & Friedman, M. I. (2014). Increasing adiposity: consequence or cause of overeating? JAMA, 311, 2167–2168. Luethi, M. S., Friese, M., Binder, J., Boesiger, P., Luechinger, R., & Rasch, B. (2016). Motivational incentives lead to a strong increase in lateral prefrontal activity after self-control exertion. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 10, 1618–1626. Luhmann, M., & Hawkley, L. C. (2016). Age differences in loneliness from late adolescence to oldest old age. Developmental Psychology, 52, 943–959. Luhmann, M., Hofmann, W., Eid, M., & Lucas, R. E. (2012). Subjective well-being and adaptation to life events: a meta-analysis. Journal of Personality and Social Psychology, 102, 592–615. Lukaszewski, A. W., Simmons, Z. L., Anderson, C., & Roney, J. R. (2016). The role of physical formidability in human social status allocation. Journal of Personality and Social Psychology, 110, 385–406. Lund, T. J., & Dearing, E. (2012). Is growing up affluent risky for adolescents or is the problem growing up in an affluent neighborhood? Journal of Research on Adolescence, 23, 274–282. Lundy, A. C. (1985). The reliability of the thematic apperception test. Journal of Personality Assessment, 49, 141–145. Luppino, F. S., de Wit, L. M., Bouvy, P. F., Stijnen, T., Cuijpers, P., Penninx, W. J. H., & Zitman, F. G. (2010). Overweight, obesity, and depression. Archives of General Psychiatry, 67, 220–229. Luria, A. M. (1968). The mind of a mnemonist (S. 296). New York: Basic Books. L. Solotaroff (Trans.). Lustig, C., & Buckner, R. L. (2004). Preserved neural correlates of priming in old age and dementia. Neuron, 42, 865–875. Lutfey, K. E., Link, C. L., Rosen, R. C., Wiegel, M., & McKinlay, J. B. (2009). Prevalence and correlates of sexual activity and function in women: results from the boston area community health (BACH) survey. Archives of Sexual Behavior, 38, 514–527. Lutgendorf, S. K., & Andersen, B. L. (2015). Biobehavioral approaches to cancer progression and survival. American Psychologist, 70, 186–197. Lutgendorf, S. K., Lamkin, D. M., Jennings, N. B., Arevalo, J. M. G., Penedo, F., DeGeest, K., & Sood, A. K. (2008). Biobehavioral influences on matrix metalloproteinase expression in ovarian carcinoma. Clinical Cancer Research, 14, 6839–6846. Lutgendorf, S. K., Russell, D., Ullrich, P., Harris, T. B., & Wallace, R. (2004). Religious participation, interleukin-6, and mortality in older adults. Health Psychology, 23, 465–475. Luthar, S. S., Barkin, S. H., & Crossman, E. J. (2013). “I can, therefore I must”: fragility in the upper-middle classes. Development and Psychopathology, 25, 1529–1549. Luyckx, K., Tildesley, E. A., Soenens, B., Andrews, J. A., Hampson, S. E., Peterson, M., & Duriez, B. (2011). Parenting and trajectories of children’s maladaptive behaviors: a 12-year prospective community study. Journal of Clinical Child and Adolescent Psychology, 40, 468–478. Lyall, S. (2005, November 29). What’s the buzz? Rowdy teenagers don’t want to hear it. The New York Times (nytimes.com). (p. 203) Lykes, V. A., & Kemmelmeier, M. (2014). What predicts loneliness? Cultural difference between individualistic and collectivistic societies in Europe. Journal of Cross-Cultural Psychology, 45, 468–490. Lykken, D. T. (1991). Science, lies, and controversy: an epitaph for the polygraph. Invited address upon receipt of the Senior Career
895
Award for Distinguished Contribution to Psychology in the Public Interest, American Psychological Association convention. (S. 432). Lykken, D. T. (2006). The mechanism of emergenesis. Genes, Brain & Behavior, 5, 306–310. Lynch, G. (2002). Memory enhancement: the search for mechanismbased drugs. Nature Neuroscience, 5(suppl), 1035–1038. Lynch, G., Palmer, L. C., & Gall, C. M. (2011). The likelihood of cognitive enhancement. Pharmacology, Biochemistry and Behavior, 99, 116–129. Lynch, G., & Staubli, U. (1991). Possible contributions of long-term potentiation to the encoding and organization of memory. Brain Research Reviews, 16, 204–206. Lynn, M. (1988). The effects of alcohol consumption on restaurant tipping. Personality and Social Psychology Bulletin, 14, 87–91. Lynn, R. (2009). What has caused the Flynn effect? Secular increases in the development quotients of infants. Intelligence, 37, 16–24. Lynn, R., Cheng, H., & Wang, M. (2016). Differences in the intelligence of children across thirty-one provinces and municipalities of China and their economic and social correlates. Intelligence, 58, 10–13. Lynn, R., & Harvey, J. (2008). The decline of the world’s intelligence. Intelligence, 36, 112–120. Lynn, R., Sakar, C., & Cheng, H. (2015). Regional differences in intelligence, income and other socio-economic variables in Turkey. Intelligence, 50, 144–149. Lynn, R., & Vanhanen, T. (2012). Intelligence: a unifying construct for the social sciences (S. 384). London: Ulster Institute for Social Research. Lynn, S. J., Lilienfeld, S. O., Merckelbach, H., Giesbrecht, T., McNally, R. J., Loftus, E. F., & Malaktaris, A. (2014). The trauma model of dissociation: Inconvenient truths and stubborn fictions. Comment on Dalenberg et al. (2012). Psychological Bulletin, 140, 896–910. Lynn, S. J., Rhue, J. W., & Weekes, J. R. (1990). Hypnotic involuntariness: a social cognitive analysis. Psychological Review, 97, 169–184. Lynne, S. D., Graber, J. A., Nichols, T. R., Brooks-Gunn, J., & Botvin, G. J. (2007). Links between pubertal timing, peer influences, and externalizing behaviors among urban students followed through middle school. Journal of Adolescent Health, 40, 181.e7–181.e13. Lyons, A. (2015). Resilience in lesbians and gay men: a review and key findings from a nationwide Australian survey. International Review of Psychiatry, 27, 435–443. Lyons, B. D., Hoffman, B. J., Michel, J. W., & Williams, K. J. (2011). On the predictive efficiency of past performance and physical ability: the case of the National Football League. Human Performance, 24, 158–172. Lyons, D. E., Young, A. G., & Keil, F. C. (2007). The hidden structure of overimitation. PNAS, 104, 19751–19756. Lyons, H. A., Manning, W. D., Longmore, M. A., & Giordano, P. C. (2015). Gender and casual sexual activity from adolescence to emerging adulthood: Social and life course correlates. Journal of Sex Research, 52, 543–557. Lyons, L. (2004). Growing up lonely: Examining teen alienation. Gallup poll, gallup.com. Lyons, P. A., Kenworthy, J. B., & Popan, J. R. (2010). Ingroup identification and group-level narcissism as predictors of U.S. citizens’ attitudes and behavior toward Arab immigrants. Personality and Social Psychology Bulletin, 36, 1267–1280. Lyubomirsky, S. (2001). Why are some people happier than others? The role of cognitive and motivational processes in well-being. American Psychologist, 56, 239–249. Lyubomirsky, S. (2008). The how of happiness (S. 466). New York: Penguin. Lyubomirsky, S., Sousa, L., & Dickerhoof, R. (2006). The costs and benefits of writing, talking, and thinking about life’s triumphs and defeats. Journal of Personality and Social Psychology, 90, 690–708. Ma, D. S., Correll, J., Wittenbrink, B., Bar-Anan, Y., Sriram, N., & Nosek, B. A. (2013). When fatigue turns deadly: the association
896
Literatur
between fatigue and racial bias in the decision to shoot. Basic and Applied Social Psychology, 35, 515–524. Ma, L. (1997). On the origin of Darwin’s ills. Discover. Maas, J. B. (1999). Power sleep. The revolutionary program that prepares your mind and body for peak performance (S. 104). New York: HarperCollins. Maas, J. B., & Robbins, R. S. (2010). Sleep for success: everything you must know about sleep but are too tired to ask (S. 102). Bloomington, IN: Author House. Maass, A., D’Ettole, C., & Cadinu, M. (2008). Checkmate? The role of gender stereotypes in the ultimate intellectual sport. European Journal of Social Psychology, 38, 231–245. Macan, T. H., & Dipboye, R. L. (1994). The effects of the application on processing of information from the employment interview. Journal of Applied Social Psychology, 24, 1291. MacCabe, J. H., Lambe, M. P., Cnattingius, S., Torrång, A., Björk, C., Sham, P. C., & Hultman, C. M. (2008). Scholastic achievement at age 16 and risk of schizophrenia and other psychoses: a national cohort study. Psychological Medicine, 38, 1133–1140. Maccoby, E. (1980). Social development: psychological growth and the parent-child relationship (S. 189). New York: Harcourt Brace Jovanovich. Maccoby, E. E. (1990). Gender and relationships: a developmental account. American Psychologist, 45, 513–520. Maccoby, E. E. (1998). The paradox of gender (S. 156). Cambridge: Harvard University Press. Maccoby, E. E. (2002). Gender and group process: a developmental perspective. Current Directions in Psychological Science, 11, 54–58. MacCormack, J. K., & Lindquist, K. A. (2016). Bodily contribution to emotion: Schachter’s legacy for a psychological constructionist view on emotion. Emotion Review, 9, 36–45. MacDonald, G., & Leary, M. R. (2005). Why does social exclusion hurt? The relationship between social and physical pain. Psychological Bulletin, 131, 202–223. MacDonald, T. K., & Hynie, M. (2008). Ambivalence and unprotected sex: Failure to predict sexual activity and decreased condom use. Journal of Applied Social Psychology, 38, 1092–1107. MacDonald, T. K., Zanna, M. P., & Fong, G. T. (1995). Decision making in altered states: effects of alcohol on attitudes toward drinking and driving. Journal of Personality and Social Psychology, 68, 973–985. MacFarlane, A. (1978). What a baby knows. Human Nature, https:// www.springer.com/journal/12110. Macfarlane, J. W. (1964). Perspectives on personality consistency and change from the guidance study. Vita Humana, 7, 115–126. Maciejewski, P. K., Maercker, A., Boelen, P. A., & Prigerson, H. G. (2016). “prolonged grief disorder” and “persistent complex bereavement disorder”, but not “complicated grief,” are one and the same diagnostic entity: an analysis of data from the Yale bereavement study. World Psychiatry, 15, 266–275. MacInnis, C. C., & Hodson, G. (2015). Do American states with more religious or conservative populations search more for sexual content on Google? Archives of Sexual Behavior, 44, 137–147. Mack, A., & Rock, I. (2000). Inattentional blindness (S. 91). Cambridge: MIT Press. MacKay, D. M. (1978). Selves and brains. Neuroscience, 3, 599–606. Mackenzie, J. L., Aggen, S. H., Kirkpatrick, R. M., Kendler, K. S., & Amstadter, A. B. (2015). A longitudinal twin study of insomnia symptoms in adults. Sleep, 38, 1423–1430. MacKenzie, M. J., Nicklas, E., Waldfogel, J., & Brooks-Gunn, J. (2013). Spanking and child development across the first decade of life. Pediatrics, 132, e1118–e1125. MacKerron, G., & Mourato, S. (2013). Happiness is greater in natural environments. Global Environmental Change, 23, 992–1000. MacLeod, C., & Clarke, P. J. F. (2015). The attentional bias modification approach to anxiety intervention. Clinical Psychological Science, 3, 58–78.
Macmillan, M., & Lena, M. L. (2010). Rehabilitating Phineas Gage. Neuropsychological Rehabilitation, 17, 1–18. Macnamara, B. N., Hambrick, D. Z., & Oswald, F. L. (2014). Deliberate practice and performance in music, games, sports, education, and professions: a meta-analysis. Psychological Science, 25, 1608–1618. Macnamara, B. N., Moreau, D., & Hambrick, D. Z. (2016). The relationship between deliberate practice and performance in sports: a meta-analysis. Perspectives on Psychological Science, 11, 333–350. MacNeilage, P. F., & Davis, B. L. (2000). On the origin of internal structure of word forms. Science, 288, 527–531. MacNeilage, P. F., Rogers, L. J., & Vallortigara, G. (2009). Origins of the left and right brain. Scientific American, 301, 60–67. MacPherson, S. E., Turner, M. S., Bozzali, M., Cipolotti, L., & Shallice, T. (2016). The Doors and People Test: the effect of frontal lobe lesions on recall and recognition memory performance. Neuropsychology, 30, 332–337. Maddieson, I. (1984). Patterns of sounds (S. 345). Cambridge: Cambridge University Press. Madison, G., Mosling, M. A., Verweij, K. J. H., Pedersen, N. L., & Ullen, F. (2016). Common genetic influences on intelligence and auditory simple reaction time in a large Swedish sample. Intelligence, 59, 157–162. Maeda, Y., & Yoon, S. Y. (2013). A meta-analysis on gender differences in mental rotation ability measured by the Purdue spatial visualization tests: Visualization of rotations (PSVT:R). Educational Psychology Review, 25, 69–94. Maes, H. H. M., Neale, M. C., & Eaves, L. J. (1997). Genetic and environmental factors in relative body weight and human adiposity. Behavior Genetics, 27, 325–351. Maestripieri, D. (2003). Similarities in affiliation and aggression between cross-fostered rhesus macaque females and their biological mothers. Developmental Psychobiology, 43, 321–327. Maestripieri, D. (2005). Early experience affects the intergenerational transmission of infant abuse in rhesus monkeys. PNAS, 102, 9726–9729. Magnussen, S., Andersson, J., Cornoldi, C., De Beni, R., Endestad, T., Goodman, G. S., & Zimmer, H. (2006). What people believe about memory. Memory, 4, 595–613. Magnusson, D. (1990). Personality research—challenges for the future. European Journal of Personality, 4, 1–17. Maguire, E. A., Gadian, D. G., Johnsrude, I. S., Good, C. D., Ashburner, J., Frackowiak, R. S. J., & Frith, C. D. (2000). Navigation-related structural change in the hippocampi of taxi drivers. PNAS, 97, 4398–4403. Maguire, E. A., Spiers, H. J., Good, C. D., Hartley, T., Frackowiak, R. S. J., & Burgess, N. (2003a). Navigation expertise and the human hippocampus: A structural brain imaging analysis. Hippocampus, 13, 250–259. Maguire, E. A., Valentine, E. R., Wilding, J. M., & Kapur, N. (2003b). Routes to remembering: the brains behind superior memory. Nature Neuroscience, 6, 90–95. Maguire, E. A., Woollett, K., & Spiers, H. J. (2006). London taxi drivers and bus drivers: a structural MRI and neuropsychological analysis. Hippocampus, 16, 1091–1101. Mah, C. D., Mah, K. E., Kezirian, E. J., & Dement, W. C. (2011). The effects of sleep extension on the athletic performance of collegiate basketball players. Sleep, 34, 943–950. Maher, S., Ekstrom, T., & Chen, Y. (2014). Greater perceptual sensitivity to happy facial expression. Perception, 43, 1353–1364. Maia, T. V., & Frank, M. J. (2017). An integrative perspective on the role of dopamine in schizophrenia. Biological Psychiatry, 81, 52–66. Maier, S. F., & Seligman, M. E. P. (2016). Learned helplessness at fifty: insights from neuroscience. Psychological Review, 123, 349–367.
Literatur
Maier, S. F., Watkins, L. R., & Fleshner, M. (1994). Psychoneuroimmunology: the interface between behavior, brain, and immunity. American Psychologist, 49, 1004–1017. Maiti, S., Kumar, K. H. B. G., Castellini, C. A., O’Reilly, R., & Singh, S. M. (2011). Ontonogenetic de novo copy number variations (CNVs) as a source of genetic individuality: Studies on two families with MZD twins for schizophrenia. PLoS ONE, 6, e17125. Major, B., Carrington, P. I., & Carnevale, P. J. D. (1984). Physical attractiveness and self-esteem: Attribution for praise from an othersex evaluator. Personality and Social Psychology Bulletin, 10, 43–50. Major, B., Schmidlin, A. M., & Williams, L. (1990). Gender patterns in social touch: the impact of setting and age. Journal of Personality and Social Psychology, 58, 634–643. Makel, M. C., Kell, H. J., Lubinski, D., Putallaz, M., & Benbow, C. P. (2016). When lightning strikes twice: Profoundly gifted, profoundly accomplished. Psychological Science, 27, 1004–1018. Makin, S. (2015). What really causes autism. Scientific American, 26, 56–63. Maldonado-Molina, M. M., Reingle, J. M., Jennings, W. G., & Prado, G. (2011). Drinking and driving among immigrant and U.S.-born Hispanic young adults: Results from a longitudinal and nationally representative study. Addictive Behavior, 36, 381–388. Malkiel, B. G. (2016). A random walk down Wall Street: The time-tested strategy for successful investing (11. Aufl.). (S. 336). New York: Norton. Malle, B. F. (2006). The actor-observer asymmetry in attribution: a (surprising) meta-analysis. Psychological Bulletin, 132, 895–919. Malle, B. F., Knobe, J. M., & Nelson, S. E. (2007). Actor-observer asymmetries in explanations of behavior: new answers to an old question. Journal of Personality and Social Psychology, 93, 491– 514. Malmquist, C. P. (1986). Children who witness parental murder: posttraumatic aspects. Journal of the American Academy of Child Psychiatry, 25, 320–325. Maltby, N., Tolin, D. F., Worhunsky, P., O’Keefe, T. M., & Kiehl, K. A. (2005). Dysfunctional action monitoring hyperactivates frontalstriatal circuits in obsessive-compulsive disorder: an event-related fMRI study. NeuroImage, 24, 495–503. Mampe, B., Friederici, A. D., Christophe, A., & Wermke, K. (2009). Newborns’ cry melody is shaped by their native language. Current Biology, 19, 1–4. Maner, J. K., DeWall, C. N., Baumeister, R. F., & Schaller, M. (2007). Does social exclusion motivate interpersonal reconnection? Resolving the “porcupine problem”. Journal of Personality and Social Psychology, 92, 42–55. Maner, J. K., Kenrick, D. T., Neuberg, S. L., Becker, D. V., Robertson, T., Hofer, B., & Schaller, M. (2005). Functional projection: how fundamental social motives can bias interpersonal perception. Journal of Personality and Social Psychology, 88, 63–78. Mani, A., Mullainathan, S., Shafir, E., & Zhao, J. (2013). Poverty impedes cognitive function. Science, 341, 976–980. Mann, T., Tomiyama, A. J., & Ward, A. (2015). Promoting public health in the context of the “obesity epidemic”: false starts and promising new directions. Perspectives on Psychological Science, 10, 706–710. Manning, W., & Cohen, J. A. (2012). Premarital cohabitation and marital dissolution: an examination of recent marriages. Journal of Marriage and Family, 74, 377–387. Manson, J. E. (2002). Walking compared with vigorous exercise for the prevention of cardiovascular events in women. New England Journal of Medicine, 347, 716–725. Manuck, S. B., & McCaffery, J. M. (2014). Gene-environment interaction. Annual Review of Psychology, 65, 41–70. Maquet, P. (2001). The role of sleep in learning and memory. Science, 294, 1048–1052.
897
Maquet, P., Peters, J.-M., Aerts, J., Delfiore, G., Degueldre, C., Luxen, A., & Franck, G. (1996). Functional neuroanatomy of human rapid-eye-movement sleep and dreaming. Nature, 383, 163–166. Mar, R. A., & Oatley, K. (2008). The function of fiction is the abstraction and simulation of social experience. Perspectives on Psychological Science, 3, 173–192. Mar, R. A., Oatley, K., & Peterson, J. B. (2009). Exploring the link between reading fiction and empathy: ruling out individual differences and examining outcomes. Communications: The European Journal of Communication, 34, 407–428. Marangolo, P., Fiori, V., Sabatini, U., De Pasquale, G., Razzano, C., Caltagirone, C., & Gili, T. (2016). Bilateral transcranial direct current stimulation language treatment enhances functional connectivity in the left hemisphere: preliminary data from aphasia. Journal of Cognitive Neuroscience, 28, 724–738. Marceau, K., McMaster, M. T. B., Smith, T. F., Daams, J. G., van Beijsterveldt, C. E. M., Boomsma, D. I., & Knopik, V. S. (2016). The prenatal environment in twin studies: a review on chorionicity. Behavior Genetics, 46, 286–303. Marcus, A. D. (2016, April 13). Brain implant helps restore movement for paralyzed patient, researchers say. The Wall Street Journal. Retrieved from wsj.com/articles/brain-implant-helps-restore-movement-for-paralyzed-patient-researchers-say-1460566801 (p. 77) Marcus, B., Machilek, F., & Schütz, A. (2006). Personality in cyberspace: personal web sites as media for personality expressions and impressions. Journal of Personality and Social Psychology, 90, 1014–1031. Margolis, M. L. (2000). Brahms’ lullaby revisited: did the composer have obstructive sleep apnea? Chest, 118, 210–213. Mariani, J., Simonini, M. V., Palejev, D., Tomasini, L., Coppola, G., Szekely, A. M., & Vaccarino, F. M. (2012). Modeling human cortical development in vitro using induced pluripotent stem cells. PNAS, 109, 12779–12775. Marinak, B. A., & Gambrell, L. B. (2008). Intrinsic motivation and rewards: what sustains young children’s engagement with text? Literacy Research and Instruction, 47, 9–26. Marjonen, H., Sierra, A., Nyman, A., Rogojin, V., Gröhn, O., Linden, A.-M., & Kaminen-Ahola, N. (2015). Early maternal alcohol consumption alters hippocampal DNA methylation, gene expression and volume in a mouse model. PLoS ONE, 10, e124931. https:// doi.org/10.1371/journal.pone.0124931. Markovizky, G., & Samid, Y. (2008). The process of immigrant adjustment: The role of time in determining psychological adjustment. Journal of Cross-Cultural Psychology, 39, 782–798. Marks, A. K., Patton, F., & Coll, C. G. (2011). Being bicultural: a mixed-methods study of adolescents’ implicitly and explicitly measured multiethnic identities. Developmental Psychology, 47, 270–288. Markus, G. B. (1986). Stability and change in political attitudes: observe, recall, and “explain.”. Political Behavior, 8, 21–44. Markus, H. R., & Kitayama, S. (1991). Culture and the self: implications for cognition, emotion, and motivation. Psychological Review, 98, 224–253. Markus, H. R., & Nurius, P. (1986). Possible selves. American Psychologist, 41, 954–969. Markus, H. R., Uchida, Y., Omoregie, H., Townsend, S. S. M., & Kitayama, S. (2006). Going for the gold: models of agency in Japanese and American contexts. Psychological Science, 17, 103–112. Marley, J., & Bulia, S. (2001). Crimes against people with mental illness: types, perpetrators and influencing factors. Social Work, 46, 115–124. Marmot, M. G., Bosma, H., Hemingway, H., Brunner, E., & Stansfeld, S. (1997). Contribution to job control and other risk factors to social variations in coronary heart disease incidents. The Lancet, 350, 235–239.
898
Literatur
Marsh, A. A., Elfenbein, H. A., & Ambady, N. (2003). Nonverbal “accents”: cultural differences in facial expressions of emotion. Psychological Science, 14, 373–376. Marsh, H. W., & Craven, R. G. (2006). Reciprocal effects of selfconcept and performance from a multidimensional perspective: beyond seductive pleasure and unidimensional perspectives. Perspectives on Psychological Science, 1, 133–163. Marsh, H. W., & Parker, J. W. (1984). Determinants of student selfconcept: Is it better to be a relatively large fish in a small pond even if you don’t learn to swim as well? Journal of Personality and Social Psychology, 47, 213–231. Marsh, N., Scheele, D., Gerhardt, H., Strang, S., Enax, L., Weber, B., & Hurlemann, R. (2015). The neuropeptide oxytocin induces a social altruism bias. The Journal of Neuroscience, 35, 15696–15701. Marshall, M. J. (2002). Why spanking doesn’t work (S. 278). Springville: Bonneville Books. Marshall, P. J., & Meltzoff, A. N. (2014). Neural mirroring mechanisms and imitation in human infants. Philosophical Transactions of the Royal Society: Series B, 369, 290. https://doi.org/10.1098/ rstb.2013.0620. Marteau, T. M. (1989). Framing of information: Its influences upon decisions of doctors and patients. British Journal of Social Psychology, 28, 89–94. Martel, M. M., Levinson, C. A., Langer, J. K., & Nigg, J. T. (2016). A network analysis of developmental change in ADHD symptom structure from preschool to adulthood. Clinical Psychological Science, 4, 988–1001. Martela, F., & Steger, M. F. (2016). The three meanings of meaning in life: distinguishing coherence, purpose, and significance. The Journal of Positive Psychology, 11, 531–545. Martin, C. K., Anton, S. D., Walden, H., Arnett, C., Greenway, F. L., & Williamson, D. A. (2007). Slower eating rate reduces the food intake of men, but not women: implications for behavioural weight control. Behaviour Research and Therapy, 45, 2349–2359. Martin, C. L., & Ruble, D. (2004). Children’s search for gender cues. Current Directions in Psychological Science, 13, 67–70. Martin, C. L., Ruble, D. N., & Szkrybalo, J. (2002). Cognitive theories of early gender development. Psychological Bulletin, 128, 903–933. Martín, R., Bajo-Grañeras, R., Moratalla, R., Perea, G., & Araque, A. (2015). Circuit-specific signaling in astrocyte-neuron networks in basal ganglia pathways. Science, 349, 730–734. Martin, S. J., Kelly, I. W., & Saklofske, D. H. (1992). Suicide and lunar cycles: a critical review over 28 years. Psychological Reports, 71, 787–795. Martins, Y., Preti, G., Crabtree, C. R., & Wysocki, C. J. (2005). Preference for human body odors is influenced by gender and sexual orientation. Psychological Science, 16, 694–701. Marzoli, D., Custodero, M., Pagliara, A., & Tommasi, L. (2013). Suninduced frowning fosters aggressive feelings. Cognition and Emotion, 27, 1513–1521. Maslow, A. H. (1970). Motivation and personality (2. Aufl.). (S. 392, 539). New York: Harper & Row. Maslow, A. H. (1971). The farther reaches of human nature (S. 392). New York: Viking Press. Mason, A. E., Sbarra, D. A., & Mehl, M. R. (2010). Thin-slicing divorce: thirty seconds of information predict changes in psychological adjustment over 90 days. Psychological Science, 21, 1420–1422. Mason, C., & Kandel, E. R. (1991). Central visual pathways. In E. R. Kandel, J. H. Schwartz & T. M. Jessell (Hrsg.), Principles of neural science (3. Aufl. S. 58). New York: Elsevier. Mason, H. (2003). Wake up, sleepy teen. Gallup Poll Tuesday Briefing. gallup.com Mason, H. (2005). Who dreams, perchance to sleep? Gallup News Service. gallup.com Mason, M. F., & Morris, M. W. (2010). Culture, attribution and automaticity: a social cognitive neuroscience view. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 5, 292–306.
Mason, M. F., Norton, M. I., Van Horn, J. D., Wegner, D. M., Grafton, S. T., & Macrae, C. N. (2007). Wandering minds: the default network and stimulus-independent thought. Science, 315, 393–395. Mason, R. A., & Just, M. A. (2004). How the brain processes causal inferences in text. Psychological Science, 15, 1–7. Mason, R. A., & Just, M. A. (2016). Neural representations of physics concepts. Psychological Science, 27, 904–913. Massimini, M., Ferrarelli, F., Huber, R., Esser, S. K., Singh, H., & Tononi, G. (2005). Breakdown of cortical effective connectivity during sleep. Science, 309, 2228–2232. Mast, M. S., & Hall, J. A. (2006). Women’s advantage at remembering others’ appearance: a systematic look at the why and when of a gender difference. Personality and Social Psychology Bulletin, 32, 353–364. Masten, A. S. (2001). Ordinary magic: resilience processes in development. American Psychologist, 56, 227–238. Masters, K. S. (2010). The role of religion in therapy: time for psychologists to have a little faith? Cognitive and Behavioral Practice, 17, 393–400. Masters, K. S., & Hooker, S. A. (2013). Religiousness/spirituality, cardiovascular disease, and cancer: cultural integration for health research and intervention. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 81, 206–216. Masters, W. H., & Johnson, V. E. (1966). Human sexual response (S. 404). Boston: Little, Brown. Mastroianni, G. R. (2015). Obedience in perspective: psychology and the holocaust. Theory and Psychology, 25, 657–669. Mastroianni, G. R., & Reed, G. (2006). Apples, barrels, and Abu Ghraib. Sociological Focus, 39, 239–250. Masuda, T., Ellsworth, P. C., Mesquita, B., Leu, J., Tanida, S., & Van de Veerdonk, E. (2008). Placing the face in context: cultural differences in the perception of facial emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 94, 365–381. Mata, A., Ferreira, M. B., & Sherman, S. J. (2013). The metacognitive advantage of deliberative thinkers: a dual-process perspective on overconfidence. Journal of Personality and Social Psychology, 105, 353–373. Mata, R., Josef, A. K., & Hertwig, R. (2016). Propensity for risk taking across the life span and around the globe. Psychological Science, 27, 231–243. Mataix-Cols, D., Rosario-Campos, M. C., & Leckman, J. F. (2005). A multidimensional model of obsessive-compulsive disorder. American Journal of Psychiatry, 162, 228–238. Mataix-Cols, D., Wooderson, S., Lawrence, N., Brammer, M. J., Speckens, A., & Phillips, M. L. (2004). Distinct neural correlates of washing, checking, and hoarding symptom dimensions in obsessive-compulsive disorder. Archives of General Psychiatry, 61, 564–576. Mather, M. (2016). The affective neuroscience of aging. Annual Review of Psychology, 67, 213–238. Mather, M., & Sutherland, M. (2012). The selective effects of emotional arousal on memory. APA Science Brief. apa.org Mather, M., Cacioppo, J. T., & Kanwisher, N. (2013). How fMRI can inform cognitive theories. Perspectives on Psychological Science, 8, 108–113. Mather, M., Canli, T., English, T., Whitfield, S., Wais, P., Ochsner, K., & Carstensen, L. L. (2004). Amygdala responses to emotionally valenced stimuli in older and younger adults. Psychological Science, 15, 259–263. Matson, J. L., & Boisjoli, J. A. (2009). The token economy for children with intellectual disability and/or autism: a review. Research on Developmental Disabilities, 30, 240–248. Matsumoto, D. (1994). People: psychology from a cultural perspective (S. 354). Pacific Grove: Brooks/Cole. Matsumoto, D., & Ekman, P. (1989). American-Japanese cultural differences in intensity ratings of facial expressions of emotion. Motivation and Emotion, 13, 143–157.
Literatur
Matsumoto, D., Frank, M. G., & Hwang, H. C. (2015). The role of intergroup emotions on political violence. Current Directions in Psychological Science, 24, 369–373. Matsumoto, D., & Willingham, B. (2006). The thrill of victory and the agony of defeat: spontaneous expressions of medal winners of the 2004 Athens olympic games. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 568–581. Matsumoto, D., & Willingham, B. (2009). Spontaneous facial expressions of emotion of congenitally and noncongenitally blind individuals. Journal of Personality and Social Psychology, 96, 1–10. Matsumoto, D., Willingham, B., & Olide, A. (2009). Sequential dynamics of culturally moderated facial expressions of emotion. Psychological Science, 20, 1269–1275. Mattanah, J. F., Lopez, F. G., & Govern, J. M. (2011). The contributions of parental attachment bonds to college student development and adjustment: a meta-analytic review. Journal of Counseling Psychology, 58, 565–596. Mattheisen, M., Samuels, J. F., Wang, Y., Greenberg, B. D., Fyer, A. J., McCracken, J. T., & Riddle, M. A. (2015). Genome-wide association study in obsessive-compulsive disorder: Results from OCGAS. Molecular Psychiatry, 20, 337–344. Matthews, R. N., Domjan, M., Ramsey, M., & Crews, D. (2007). Learning effects on sperm competition and reproductive fitness. Psychological Science, 18, 758–762. Maurer, D., & Maurer, C. (1988). The world of the newborn (S. 171). New York: Basic Books. Mautz, B., Wong, B., Peters, R., & Jennions, M. (2013). Penis size interacts with body shape and height to influence male attractiveness. PNAS, 110, 6925–6693. Maxwell, S. E., Lau, M. Y., & Howard, G. S. (2015). Is psychology suffering from a replication crisis? What does “failure to replicate” really mean? American Psychologist, 70, 487–498. May, C., & Hasher, L. (1998). Synchrony effects in inhibitory control over thought and action. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 24, 363–380. May, P. A., Baete, J., Russo, A. J., Elliott, J., Blankenship, J., Kalberg, W. O., & Hoyme, H. E. (2014). Prevalence and characteristics of fetal alcohol spectrum disorders. Pediatrics, 134, 855–866. May, R. (1982). The problem of evil: An open letter to Carl Rogers. Journal of Humanistic Psychology, 22, 10–21. Mayberry, R. I., Lock, E., & Kazmi, H. (2002). Linguistic ability and early language exposure. Nature, 417, 38. Mayberry, S. (2016). 2016 Rio Olympics: Using sleep to boost performance. WDIV ClickOnDetroit. clickondetroit.com Mayer, J. D., Salovey, P., & Caruso, D. R. (2002). The Mayer-SaloveyCaruso emotional intelligence test (MSCEIT) (S. 363). Toronto: Multi-Health Systems. Mayer, J. D., Salovey, P., & Caruso, D. R. (2012). The validity of the MSCEIT: additional analyses and evidence. Emotion Review, 4, 403–408. Mayer, J. D., Salovey, P., Caruso, D. R., & Cherkasskiy, L. (2011). Emotional intelligence. In R. J. Sternberg & S. B. Kaufman (Hrsg.), The Cambridge handbook of intelligence (S. 363). New York: Cambridge University Press. Mazure, C., Keita, G., & Blehar, M. (2002). Summit on women and depression: proceedings and recommendations (S. 587). Washington, DC: American Psychological Association. apa.org/pi/wpo/ women&depression.pdf. Mazzoni, G., Scoboria, A., & Harvey, L. (2010). Nonbelieved memories. Psychological Science, 21, 1334–1340. Mazzoni, G., & Vannucci, M. (2007). Hindsight bias, the misinformation effect, and false autobiographical memories. Social Cognition, 25, 203–220. McAdams, D. P., & Guo, J. (2015). Narrating the generative life. Psychological Science, 26, 475–483. McAleer, P., Todorov, A., & Belin, P. (2014). How do you say ‘hello’? Personality impressions from brief novel voices. PLoS ONE, 9, 9.
899
McAndrew, F. T. (2009). The interacting roles of testosterone and challenges to status in human male aggression. Aggression and Violent Behavior, 14, 330–335. McBurney, D. H. (1996). How to think like a psychologist: critical thinking in psychology (S. 79). Upper Saddle River: Prentice-Hall. McBurney, D. H., & Collings, V. B. (1984). Introduction to sensation and perception (2. Aufl.). (S. 238). Englewood Cliffs: Prentice-Hall. McBurney, D. H., & Gent, J. F. (1979). On the nature of taste qualities. Psychological Bulletin, 86, 151–167. McCabe, K. O., & Fleeson, W. (2016). Are traits useful? Explaining trait manifestations as tools in the pursuit of goals. Journal of Personality and Social Psychology, 110, 287–301. McCain, J. L., & Campbell, W. K. (2017). Narcissism and social media use: a meta-analytic review. Psychology of Popular Media Culture, 7, 558. McCall, W. V., Lisanby, S. H., Rosenquist, P. B., Dooley, M., Husain, M. M., Knapp, R. G., & Kellner, C. H. (2017). Effects of a right unilateral ultrabrief pulse electroconvulsive therapy course on health related quality of life in elderly depressed patients. Journal of Affective Disorders, 209, 39–45. McCann, I. L., & Holmes, D. S. (1984). Influence of aerobic exercise on depression. Journal of Personality and Social Psychology, 46, 1142–1147. McCann, U. D., Eligulashvili, V., & Ricaurte, G. A. (2001). (+−)3,4-Methylenedioxymethamphetamine (‘Ecstasy’)-induced serotonin neurotoxicity: Clinical studies. Neuropsychobiology, 42, 11–16. McCarrey, J. R. (2015). The epigenome—a family affair. Science, 350, 634–635. McCarthy, J. (2016). One in eight U.S. adults say they smoke marijuana. Gallup Poll. gallup.com McCarthy, P. (1986). Scent: the tie that binds? Psychology Today. McCauley, C. R. (2002). Psychological issues in understanding terrorism and the response to terrorism. In C. E. Stout (Hrsg.), The psychology of terrorism (Bd. 3, S. 494). Westport: Praeger/Greenwood. McCauley, C. R., & Segal, M. E. (1987). Social psychology of terrorist groups. In C. Hendrick (Hrsg.), Group processes and intergroup relations (S. 494). Beverly Hills: SAGE. McClendon, B. T., & Prentice-Dunn, S. (2001). Reducing skin cancer risk: An intervention based on protection motivation theory. Journal of Health Psychology, 6, 321–328. McClintock, M. K., & Herdt, G. (1996). Rethinking puberty: the development of sexual attraction. Current Directions in Psychological Science, 5, 178–183. McClung, M., & Collins, D. (2007). “because I know it will!”: placebo effects of an ergogenic aid on athletic performance. Journal of Sport & Exercise Psychology, 29, 382–394. McClure, E. B. (2000). A meta-analytic review of sex differences in facial expression processing and their development in infants, children, and adolescents. Psychological Bulletin, 126, 424–453. McClure, M. J., & Lydon, J. E. (2014). Anxiety doesn’t become you: how attachment compromises relational opportunities. Journal of Personality and Social Psychology, 106, 89–111. McConnell, A. R., Brown, C. M., Shoda, T. M., Stayton, L. E., & Martin, C. E. (2011). Friends with benefits: On the positive consequences of pet ownership. Journal of Personality and Social Psychology, 101, 1239–1252. McCool, G. Mirror-gazing Venezuelans top of vanity stakes. The Toronto Star. via web.lexis-nexis.com (Erstellt: 26. Okt. 1999). McCord, J. (1978). A thirty-year follow-up on treatment effects. American Psychologist, 33, 284–289. McCord, J. (1979). Following up on Cambridge-Somerville. American Psychologist, 34(727), 626. McCormick, C. M., & Witelson, S. F. (1991). A cognitive profile of homosexual men compared to heterosexual men and women. Psychoneuroendocrinology, 16, 459–473. McCrae, R. R. (2011). Personality theories for the 21st century. Teaching of Psychology, 38, 209–214.
900
Literatur
McCrae, R. R., & Costa Jr., P. T. (1986). Clinical assessment can benefit from recent advances in personality psychology. American Psychologist, 41, 1001–1003. McCrae, R. R., & Costa, P. T. Jr. (1990). Personality in adulthood (S. 207). New York: Guilford. McCrae, R. R., & Costa Jr., P. T. (1994). The stability of personality: observations and evaluations. Current Directions in Psychological Science, 3, 173–175. McCrae, R. R., & Costa, P. T. Jr. (2008). The five-factor theory of personality. In O. P. John, R. W. Robins & L. A. Pervin (Hrsg.), Handbook of personality: theory and research (3. Aufl. S. 545). New York: Guilford. McCrae, R. R., Scally, M., Terraccioani, A., Abecasis, G. R., & Costa Jr., P. T. (2010). An alternative to the search for single polymorphisms: toward molecular personality scales for the five-factor model. Journal of Personality and Social Psychology, 99, 1014–1024. McCrae, R. R., Terracciano, A., & 78 members of the Personality Profiles and Cultures Project (2005). Universal features of personality traits from the observer’s perspective: data from 50 cultures. Journal of Personality and Social Psychology, 88, 547–561. McCrink, K., & Wynn, K. (2004). Large-number addition and subtraction by 9-month-old infants. Psychological Science, 15, 776–781. McCrory, C., Dooley, C., Layte, R., & Kenny, R. A. (2015). The lasting legacy of childhood adversity for disease risk in later life. Health Psychology, 34, 687–696. McCrory, E. J., De Brito, S. A., Sebastian, C. L., Mechelli, A., Bird, G., Kelly, P. A., & Viding, E. (2011). Heightened neural reactivity to threat in child victims of family violence. Current Biology, 21, R947–R948. McCullough, M. E., Hoyt, W. T., Larson, D. B., Koenig, H. G., & Thoresen, C. (2000). Religious involvement and mortality: a metaanalytic review. Health Psychology, 19, 211–222. McCullough, M. E., & Laurenceau, J.-P. (2005). Religiousness and the trajectory of self-rated health across adulthood. Personality and Social Psychology Bulletin, 31, 560–573. McCullough, M. E., & Willoughby, B. L. B. (2009). Religion, self-regulation, and self-control: associations, explanations, and implications. Psychological Bulletin, 135, 69–93. McDaniel, M. A., Bugg, J. M., Liu, Y., & Brick, J. (2015). When does the test-study-test sequence optimize learning and retention? Journal of Experimental Psychology: Applied, 21, 370–382. McDaniel, M. A., Howard, D. C., & Einstein, G. O. (2009). The readrecite-review study strategy: effective and portable. Psychological Science, 20, 516–522. McDermott, R., Tingley, D., Cowden, J., Frazzetto, G., & Johnson, D. D. P. (2009). Monoamine oxidase A gene (MAOA) predicts behavioral aggression following provocation. PNAS, 106, 2118–2123. McEvoy, S. P., Stevenson, M. R., McCartt, A. T., Woodward, M., Hawroth, C., Palamara, P., & Ceracelli, R. (2005). Role of mobile phones in motor vehicle crashes resulting in hospital attendance: a case-crossover study. British Medical Journal, 33, 428. McEvoy, S. P., Stevenson, M. R., & Woodward, M. (2007). The contribution of passengers versus mobile phone use to motor vehicle crashes resulting in hospital attendance by the driver. Accident Analysis and Prevention, 39, 1170–1176. McFadden, D. (2002). Masculinization effects in the auditory system. Archives of Sexual Behavior, 31, 99–111. McFarland, C., & Ross, M. (1987). The relation between current impressions and memories of self and dating partners. Psychological Bulletin, 13, 228–238. McGaugh, J. L. (1994). Quoted by B. Bower, Stress hormones hike emotional memories. Science News, 146, 262. McGaugh, J. L. (2003). Memory and emotion: the making of lasting memories (S. 309). New York: Columbia University Press. McGaugh, J. L. (2015). Consolidating memories. Annual Review of Psychology, 66, 1–24.
McGaugh, J. L., & LePort, A. (2014). Remembrance of all things past. Scientific American, 310, 40–45. McGhee, P. E. (1976). Children’s appreciation of humor: a test of the cognitive congruency principle. Child Development, 47, 420–426. McGirr, A., Berlim, M. T., Bond, D. J., Fleck, M. P., Yatham, L. N., & Lam, R. W. (2015). A systematic review and meta-analysis of randomized, double-blind, placebo-controlled trials of ketamine in the rapid treatment of major depressive episodes. Psychological Medicine, 45, 693–704. McGowan, P. O., Sasaki, A., D’Alessio, A. C., Dymov, S., Labonté, B., Szyl, M., & Meaney, M. J. (2009). Epigenetic regulation of the glucocorticoid receptor in human brain associates with childhood abuse. Nature Neuroscience, 12, 342–348. McGrath, J. J., & Welham, J. L. (1999). Season of birth and schizophrenia: a systematic review and meta-analysis of data from the southern hemisphere. Schizophrenia Research, 35, 237–242. McGrath, J. J., Welham, J., & Pemberton, M. (1995). Month of birth, hemisphere of birth and schizophrenia. British Journal of Psychiatry, 167, 783–785. McGrath, R. E. (2015). Character strengths in 75 nations: an update. The Journal of Positive Psychology, 10, 41–52. McGue, M. (2010). The end of behavioral genetics? Behavioral Genetics, 40, 284–296. McGue, M., & Bouchard Jr., T. J. (1998). Genetic and environmental influences on human behavioral differences. Annual Review of Neuroscience, 21, 1–24. McGue, M., Bouchard, T. J. Jr., Iacono, W. G., & Lykken, D. T. (1993). Behavioral genetics of cognitive ability: a life-span perspective. In R. Plomin & G. E. McClearn (Hrsg.), Nature, nurture and psychology (S. 378, 379). Washington, DC: American Psychological Association. McGue, M., & Christensen, K. (2013). Growing old but not growing apart: twin similarity in the latter half of the lifespan. Behavior Genetics, 43, 1–12. McGurk, H., & MacDonald, J. (1976). Hearing lips and seeing voices. Nature, 264, 746–748. McHugh, P. R. (1995a). Resolved: Multiple personality disorder is an individually and socially created artifact. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 34, 957–959. McHugh, P. R. (1995b). Witches, multiple personalities, and other psychiatric artifacts. Nature Medicine, 1, 110–114. McKay, J. (2000). Building self-esteem in children. In M. McKay & P. Fanning (Hrsg.), Self-esteem (S. 555). New York: New Harbinger/ St. Martins. McKellar, J., Stewart, E., & Humphreys, K. (2003). Alcoholics anonymous involvement and positive alcohol-related outcomes: cause, consequence, or just a correlate? A prospective 2-year study of 2,319 alcohol-dependent men. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 71, 302–308. McKenna, K. Y. A., Green, A. S., & Gleason, M. E. J. (2002). What’s the big attraction? Relationship formation on the Internet. Journal of Social Issues, 58, 9–31. McKinnon, M. C., Palombo, D. J., Nazarov, A., Kumar, N., Khuu, W., & Levine, B. (2015). Threat of death and autobiographical memory a study of passengers from flight AT236. Clinical Psychological Science, 3, 487–502. McKone, E., Kanwisher, N., & Duchaine, B. C. (2007). Can generic expertise explain special processing for faces? Trends in Cognitive Sciences, 11, 8–15. McLaughlin, K. A., Sheridan, M. A., Tibu, F., Fox, N. A., Zeanah, C. H., & Nelson, C. A. (2015). Causal effects of the early caregiving environment on development of stress response systems in children. PNAS, 112, 5637–5642. McLaughlin, M. J. K. Rowling: Depression, the ‘terrible place that allowed me to come back stronger.’ The Scotsman. scotsman.com (Erstellt: 2. Okt. 2010).
Literatur
McLean, C. P., & Anderson, E. R. (2009). Brave men and timid women? A review of the gender differences in fear and anxiety. Clinical Psychology Review, 29, 496–505. McMurray, B. (2007). Defusing the childhood vocabulary explosion. Science, 317, 631. McNally, R. J. (2003). Remembering trauma (S. 325, 576). Cambridge: Harvard University Press. McNally, R. J. (2007). Betrayal trauma theory: a critical appraisal. Memory, 15, 280–294. McNally, R. J. (2012). Are we winning the war against posttraumatic stress disorder? Science, 336, 872–874. McNally, R. J., & Geraerts, E. (2009). A new solution to the recovered memory debate. Perspectives on Psychological Science, 4, 126–134. McNeil, B. J., Pauker, S. G., & Tversky, A. (1988). On the framing of medical decisions. In D. E. Bell, H. Raiffa & A. Tversky (Hrsg.), Decision making: Descriptive, normative, and prescriptive interactions (S. 562–568). New York: Cambridge University Press. McNulty, J. K., Olson, M. A., Meltzer, A. L., & Shaffer, M. J. (2013). Though they may be unaware newlyweds implicitly know whether their marriage will be satisfying. Science, 342, 1119–1120. Meador, B. D., & Rogers, C. R. (1984). Person-centered therapy. In R. J. Corsini (Hrsg.), Current psychotherapies (3. Aufl. S. 614). Itasca: Peacock. Medda, P., Toni, C., Mariani, M. G., De Simone, L., Mauri, M., & Perugi, G. (2015). Electroconvulsive therapy in 197 patients with a severe, drug-resistant bipolar mixed state: treatment outcome and predictors of response. The Journal of Clinical Psychiatry, 76, 1168–1173. Mednick, S. A., Huttunen, M. O., & Machon, R. A. (1994). Prenatal influenza infections and adult schizophrenia. Schizophrenia Bulletin, 20, 263–267. Medvec, V. H., Madey, S. F., & Gilovich, T. (1995). When less is more: counterfactual thinking and satisfaction among olympic medalists. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 603–610. Mehl, M., Gosling, S. D., & Pennebaker, J. W. (2006). Personality in its natural habitat: manifestations and implicit folk theories of personality in daily life. Journal of Personality and Social Psychology, 90, 862–877. Mehl, M. R., Vazire, S., Holleran, S. E., & Clark, C. S. (2010). Eavesdropping on happiness: well-being is related to having less small talk and more substantive conversations. Psychological Science, 21, 539–541. Mehl, M. R., Vazire, S., Ramírez-Esparza, N., Slatcher, R. B., & Pennebaker, J. W. (2007). Are women really more talkative than men? Science, 317, 82. Mehlum, L., Ramberg, M., Tørmoen, A. J., Haga, E., Diep, L. M., Stanley, B. H., & Grøholt, B. (2016). Dialectical behavior therapy compared with enhanced usual care for adolescents with repeated suicidal and self-harming behavior: outcomes over a one-year follow-up. Journal of the American Academy of Child & Adolescent Psychiatry, 55, 295–300. Mehta, D., Klengel, T., Conneely, K. N., Smith, A. K., Altmann, A., Pace, T. W., & Binder, E. B. (2013). Childhood maltreatment is associated with distinct genomic and epigenetic profiles in posttraumatic stress disorder. PNAS, 110, 8302–8307. Mehta, M. R. (2007). Cortico-hippocampal interaction during updown states and memory consolidation. Nature Neuroscience, 10, 13–15. Meichenbaum, D. (1977). Cognitive-behavior modification: an integrative approach (S. 620). New York: Plenum Press. Meichenbaum, D. (1985). Stress inoculation training (S. 620). New York: Pergamon. Melby-Lervåg, M., Redick, T. S., & Hulme, C. (2016). Working memory training does not improve performance on measures of intelligence or other measures of “far transfer”: evidence from a meta-analytic review. Perspectives on Psychological Science, 11, 512–534.
901
Melioli, T., Bauer, S., Franko, D. L., Moessner, M., Ozer, F., Chabrol, H., & Rodgers, R. F. (2016). Reducing eating disorder symptoms and risk factors using the internet: a meta-analytic review. International Journal of Eating Disorders, 49, 19–31. Mellers, B., Stone, E., Atanasov, P., Rohrbaugh, N., Metz, S. E., Ungar, L., & Tetlock, P. (2015). The psychology of intelligence analysis: drivers of prediction accuracy in world politics. Journal of Experimental Psychology: Applied, 21, 1–14. Meltzoff, A. N. (1988). Infant imitation after a 1-week delay: Longterm memory for novel acts and multiple stimuli. Developmental Psychology, 24, 470–476. Meltzoff, A. N., Kuhl, P. K., Movellan, J., & Sejnowski, T. J. (2009). Foundations for a new science of learning. Science, 325, 284–288. Meltzoff, A. N., & Moore, M. K. (1989). Imitation in newborn infants: exploring the range of gestures imitated and the underlying mechanisms. Developmental Psychology, 25, 954–962. Meltzoff, A. N., & Moore, M. K. (1997). Explaining facial imitation: a theoretical model. Early Development and Parenting, 6, 179–192. Melzack, R. (1992). Phantom limbs. Scientific American Melzack, R. (1998). Quoted in Phantom limbs. Discover. Melzack, R. (2005). Evolution of the neuromatrix theory of pain. Pain Practice, 5, 85–94. Melzack, R., & Katz, J. (2013). Pain. Wiley Interdisciplinary Reviews: Cognitive Science, 4, 1–15. Melzack, R., & Wall, P. D. (1965). Pain mechanisms: a new theory. Science, 150, 971–979. Melzack, R., & Wall, P. D. (1983). The challenge of pain (S. 248). New York: Basic Books. Mendelson, J. L., Gates, J. A., & Lerner, M. D. (2016). Friendship in school-age boys with autism spectrum disorders: a meta-analytic summary and developmental, process-based model. Psychological Bulletin, 142, 601–622. Mendes, E. U.S. exercise levels up, but demographic differences remain. Gallup poll. gallup.com (Erstellt: 2. Juni 2010). Mendes, E., & McGeeney, K. Women’s health trails men’s most in former Soviet Union. Gallup. gallup.com (Erstellt: 9. Juli 2012). Mende-Siedlecki, P., Said, C. P., & Todorov, A. (2013). The social evaluation of faces: a meta-analysis of functional neuroimaging studies. SCAN, 8, 285–299. Mendle, J., Eisenlohr-Moul, T., & Kiesner, J. (2016). From menarche to menopause: Women’s reproductive milestones and risk for psychopathology—an introduction to the special series. Clinical Psychological Science, 4, 859–866. Mendle, J., Turkheimer, E., & Emery, R. E. (2007). Detrimental psychological outcomes associated with early pubertal timing in adolescent girls. Developmental Review, 27, 151–171. Mendolia, M., & Kleck, R. E. (1993). Effects of talking about a stressful event on arousal: does what we talk about make a difference? Journal of Personality and Social Psychology, 64, 283–292. Mennella, J. A., Coren, P., Jagnow, M. S., & Beauchamp, G. K. (2001). Prenatal and postnatal flavor learning by human infants. Pediatrics, 107, E88. Merari, A. (2002). Explaining suicidal terrorism: theories versus empirical evidence (S. 494). American Psychological Association. Mercer, T. (2015). Wakeful rest alleviates interference-based forgetting. Memory, 23, 127–137. Meriac, J. P., Hoffman, B. J., Woehr, D. J., & Fleisher, M. S. (2008). Further evidence for the validity of assessment center dimensions: a meta-analysis of the incremental criterion-related validity of dimension ratings. Journal of Applied Psychology, 93, 1042–1052. Merikangas, K. R., Jin, R., He, J. P., Kessler, R. C., Lee, S., Sampson, N. A., & Zarkov, Z. (2011). Prevalence and correlates of bipolar spectrum disorder in the World Mental Health Survey initiative. Archives of General Psychiatry, 68, 241–251. Merskey, H. (1992). The manufacture of personalities: the production of multiple personality disorder. British Journal of Psychiatry, 160, 327–340.
902
Literatur
Mervis, J. (2011). Giving children a Head Start is possible—but it’s not easy. Science, 333, 956–957. Merzenich, M. (2007). Quoted at Posit Science Brain Fitness Program. Posit Science. positscience.com Mesman, J., van IJzendoorn, M., Behrens, K., Carbonell, O. A., Cárcamo, R., Cohen-Paraira, I., & Kondo-Ikemura, K. (2015). Is the ideal mother a sensitive mother? Beliefs about early childhood parenting in mothers across the globe. International Journal of Behavioral Development, 40, 385–397. Mesoudi, A. (2009). How cultural evolutionary theory can inform social psychology and vice versa. Psychological Review, 116, 929–952. Messias, E., Eaton, W. W., & Grooms, A. N. (2011). Economic grand rounds: Income inequality and depression prevalence across the United States: an ecological study. Psychiatric Services, 62, 710– 712. Meston, C. M., & Buss, D. M. (2007). Why humans have sex. Archives of Sexual Behavior, 36, 477–507. Metcalfe, J. (1986). Premonitions of insight predict impending error. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 12, 623–634. Metcalfe, J. (1998). Cognitive optimism: self-deception or memorybased processing heuristics. Personality and Social Psychology Review, 2, 100–110. Metzler, D. (2011). Vocabulary growth in adult cross-fostered chimpanzees. Friends of Washoe, 32, 11–13. Meyer, A., Proudfit, G. H., Bufferd, S. J., Kujawa, A. J., Laptook, R. S., Torpey, D. C., & Klein, D. N. (2015). Self-reported and observed punitive parenting prospectively predicts increased error-related brain activity in six-year-old children. Journal of Abnormal Child Psychology, 43, 821–829. Meyer, I. H. (2003). Prejudice, social stress, and mental health in lesbian, gay, and bisexual populations: conceptual issues and research evidence. Psychological Bulletin, 129, 674–697. Meyer-Bahlburg, H. F. L. (1995). Psychoneuroendocrinology and sexual pleasure: the aspect of sexual orientation. In P. R. Abramson & S. D. Pinkerton (Hrsg.), Sexual nature/sexual culture (S. 413). Chicago: University of Chicago Press. Meyerhoff, J., & Rohan, K. J. (2016). Treatment expectations for cognitive-behavioral therapy and light therapy for seasonal affective disorder: change across treatment and relation to outcome. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 84, 898–906. Miao, C., Humphrey, R. H., & Qian, S. (2016). Leader emotional intelligence and subordinate job satisfaction: a meta-analysis of main, mediator, and moderator effects. Personality and Individual Differences, 102, 13–24. Michael, R. B., Garry, M., & Kirsch, I. (2012). Suggestion, cognition, and behavior. Current Directions in Psychological Science, 21, 151–156. Michaels, J. W., Bloomel, J. M., Brocato, R. M., Linkous, R. A., & Rowe, J. S. (1982). Social facilitation and inhibition in a natural setting. Replications in Social Psychology, 2, 21–24. Michalka, S. W., Kong, L., Rosen, M. L., Shinn-Cunningham, B., & Somers, D. C. (2015). Short-term memory for space and time flexibly recruit complementary sensory-biased frontal lobe attention networks. Neuron, 87, 882–892. Michener, J. A. (1978). External forces and inner voices. Speech at the Chapel of the Four Chaplains, Philadelphia. (S. 490). Mick, P., & Pichora-Fuller, M. K. (2016). Is hearing loss associated with poorer health in older adults who might benefit from hearing screening? Ear & Hearing, 37, e194–e201. Middlebrooks, J. C., & Green, D. M. (1991). Sound localization by human listeners. Annual Review of Psychology, 42, 135–159. Miech, R. A., Johnston, L. D., O’Malley, P. M., Bachman, J. G., & Schulenberg, J. E. (2016). Secondary school students. Monitoring the Future national survey results on drug use, 1975–2015, Bd. I (S. 122). Ann Arbor: Institute for Social Research, The University of Michigan.
Miers, R. (2009). Calum’s road. Scottish Life, 75, 36–39. Mihura, J. L., Meyer, G. J., Bombel, G., & Dumitrascu, N. (2015). Standards, accuracy, and questions of bias in Rorschach metaanalyses: reply to Wood, Garb, Nezworski, Lilienfeld, and Duke (2015). Psychological Bulletin, 141, 250–260. Mihura, J. L., Meyer, G. J., Dumitrascu, N., & Bombel, G. (2013). The validity of individual Rorschach variables: systematic reviews and meta-analyses of the comprehensive system. Psychological Bulletin, 139, 548–605. Mikhail, J. (2007). Universal moral grammar: theory, evidence and the future. Trends in Cognitive Sciences, 11, 143–152. Mikkelsen, T. S., & Chimpanzee Sequencing Consortium, T. A. (2005). Initial sequence of the chimpanzee genome and comparison with the human genome. Nature, 437, 69–87. Mikolajczak, M., Pinon, N., Lane, A., de Timary, P., & Luminet, O. (2010). Oxytocin not only increases trust when money is at stake, but also when confidential information is in the balance. Biological Psychology, 85, 182–184. Mikulincer, M., Florian, V., & Hirschberger, G. (2003). The existential function of close relationships: introducing death into the science of love. Personality and Social Psychology Review, 7, 20–40. Mikulincer, M., & Shaver, P. R. (2001). Attachment theory and intergroup bias: evidence that priming the secure base schema attenuates negative reactions to out-groups. Journal of Personality and Social Psychology, 81, 97–115. Milan Jr., R. J., & Kilmann, P. R. (1987). Interpersonal factors in premarital contraception. Journal of Sex Research, 23, 289–321. Miles, D. R., & Carey, G. (1997). Genetic and environmental architecture of human aggression. Journal of Personality and Social Psychology, 72, 207–217. Milgram, S. (1963). Behavioral study of obedience. Journal of Abnormal & Social Psychology, 67, 371–378. Milgram, S. (1974). Obedience to authority (S. 487, 489, 490). New York: Harper & Row. Miller, A. (1980). Am Anfang war Erziehung. Suhrkamp. Miller, C. H., Hamilton, J. P., Sacchet, M. D., & Gotlib, I. H. (2015). Meta-analysis of functional neuroimaging of major depressive disorder in youth. JAMA Psychiatry, 72, 1045–1053. Miller, G. (2004). Axel, Buck share award for deciphering how the nose knows. Science, 306, 207. Miller, G. (2008). Tackling alcoholism with drugs. Science, 320, 168– 170. Miller, G. (2012a). Drone wars: are remotely piloted aircraft changing the nature of war? Science, 336, 842–843. Miller, G. A. (1956). The magical number seven, plus or minus two: some limits on our capacity for processing information. Psychological Review, 63, 81–97. Miller, G. E., & Blackwell, E. (2006). Turning up the heat: inflammation as a mechanism linking chronic stress, depression, and heart disease. Current Directions in Psychological Science, 15, 269–272. Miller, G. E., & Chen, E. (2010). Harsh family climate in early life presages the emergence of a proinflammatory phenotype in adolescence. Psychological Science, 21, 848–856. Miller, J., Shepherdson, P., & Trevena, J. (2011). Effects of clock monitoring on electroencephalographic activity: is unconscious movement initiation an artifact of the clock? Psychological Science, 22, 103–109. Miller, J. F., Neufang, M., Solway, A., Brandt, A., Trippel, M., Mader, I., & Schulze-Bonhage, A. (2013). Neural activity in human hippocampal formation reveals the spatial context of retrieved memories. Science, 342, 1111–1114. Miller, J. G., & Bersoff, D. M. (1995). Development in the context of everyday family relationships: culture, interpersonal morality and adaptation. In M. Killen & D. Hart (Hrsg.), Morality in everyday life: a developmental perspective (S. 195). New York: Cambridge University Press.
Literatur
Miller, L. K. (1999). The Savant Syndrome: intellectual impairment and exceptional skill. Psychological Bulletin, 125, 31–46. Miller, M., Azrael, D., & Hemenway, D. (2002). Household firearm ownership levels and suicide across U.S. regions and states, 1988– 1997. Epidemiology, 13, 517–524. Miller, M., Swanson, S. A., & Azrael, D. (2016). Are we missing something pertinent? A bias analysis of unmeasured confounding in the firearm-suicide literature. Epidemiologic Reviews, 38, 62–69. Miller, N. E. (1985). Rx: Biofeedback. Psychology Today Miller, P. (2012). A thing or two about twins. National Geographic. Miller, P. J. O., Aoki, K., Rendell, L. E., & Amano, M. (2008). Stereotypical resting behavior of the sperm whale. Current Biology, 18, R21–R23. Milner, A. D., & Goodale, M. A. (2008). Two visual systems reviewed. Neuropsychologia, 46, 774–785. Milojev, P., & Sibley, C. G. (2016). Normative personality trait development in adulthood: a 6-year cohort-sequential growth model. Journal of Personality and Social Psychology. https://doi.org/10.1037/ pspp0000121. Milrod, B., Chambless, D. L., Gallop, R., Busch, F. N., Schwalberg, M., McCarthy, K. S., & Barber, J. P. (2015). Psychotherapies for panic disorder: a tale of two sites. Journal of Clinical Psychiatry, 77, 927–935. Milyavskaya, M., Gingras, I., Mageau, G. A., Koestner, R., Gagnon, H., Fang, J., & Bolché, J. (2009). Balance across contexts: importance of balanced need satisfaction across various life domains. Personality and Social Psychology Bulletin, 35, 1031–1045. Mineka, S. (1985). The frightful complexity of the origins of fears. In F. R. Brush & J. B. Overmier (Hrsg.), Affect, conditioning and cognition: Essays on the determinants of behavior (S. 577). Hillsdale: Erlbaum. Mineka, S. (2002). Animal models of clinical psychology. In N. Smelser & P. Baltes (Hrsg.), International encyclopedia of the social and behavioral sciences (S. 577). Oxford: Elsevier. Mineka, S., & Oehlberg, K. (2008). The relevance of recent developments in classical conditioning to understanding the etiology and maintenance of anxiety disorders. Acta Psychologica, 127, 567–580. Mineka, S., & Zinbarg, R. (1996). Conditioning and ethological models of anxiety disorders: stress-in-dynamic-context anxiety models. In D. Hope (Hrsg.), Perspectives on anxiety, panic, and fear (Nebraska Symposium on Motivation) (S. 579, 643). Lincoln: University of Nebraska Press. Minsky, M. (1986). The society of mind (S. 89). New York: Simon & Schuster. Mirescu, C., & Gould, E. (2006). Stress and adult neurogenesis. Hippocampus, 16, 233–238. Mischel, W. (1968). Personality and assessment (S. 548, 549). New York: Wiley. Mischel, W. (1981). Current issues and challenges in personality. In L. T. Benjamin Jr (Hrsg.), The G. Stanley Hall lecture series (Bd. 1, S. 553). Washington, DC: American Psychological Association. Mischel, W. (2014). The marshmallow test: mastering self-control (S. 196, 276). Boston: Little, Brown. Mischkowski, D., Kross, E., & Bushman, B. (2012). Flies on the wall are less aggressive: self-distancing “in the heat of the moment” reduces aggressive thoughts, angry feelings and aggressive behavior. Journal of Experimental Social Psychology, 48, 1187–1191. Miserandino, M. (1991). Memory and the seven dwarfs. Teaching of Psychology, 18, 169–171. Mishkin, M. (1982). A memory system in the monkey. Philosophical Transactions of the Royal Society of London: Biological Sciences, 298, 83–95. Mishkin, M., Suzuki, W. A., Gadian, D. G., & Vargha-Khadem, F. (1997). Hierarchical organization of cognitive memory. Philosophical Transactions of the Royal Society of London: Biological Sciences, 352, 1461–1467.
903
Mishra, A., & Mishra, H. (2010). Border bias: the belief that state borders can protect against disasters. Psychological Science, 21, 1582–1586. Mita, T. H., Dermer, M., & Knight, J. (1977). Reversed facial images and the mere-exposure hypothesis. Journal of Personality and Social Psychology, 35, 597–601. Mitani, J. C., Watts, D. P., & Amsler, S. J. (2010). Lethal intergroup aggression leads to territorial expansion in wild chimpanzees. Current Biology, 20, R507–R509. Mitchell, J. P. (2009). Social psychology as a natural kind. Cell, 13, 246–251. Mitte, K. (2008). Memory bias for threatening information in anxiety and anxiety disorders: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 134, 886–911. Mobbs, D., Yu, R., Meyer, M., Passamonti, L., Seymour, B., Calder, A. J., & Dalgeish, T. (2009). A key role for similarity in vicarious reward. Science, 324, 900. Moffitt, T. E. (2005). The new look of behavioral genetics in developmental psychopathology: gene-environment interplay in antisocial behaviors. Psychological Bulletin, 131, 533–554. Moffitt, T. E., Arsenault, L., Belsky, D., Dickson, N., Hancox, R. J., Harrington, H., & Caspi, A. (2011). A gradient of childhood selfcontrol predicts health, wealth, and public safety. PNAS, 108, 2693–2698. Moffitt, T. E., Caspi, A., Harrington, H., & Milne, B. J. (2002). Males on the life-course—persistent and adolescence-limited antisocial pathways: follow-up at age 26 years. Development and Psychopathology, 14, 179–207. Moffitt, T. E., Caspi, A., & Rutter, M. (2006). Measured gene-environment interactions in psychopathology: concepts, research strategies, and implications for research, intervention, and public understanding of genetics. Perspectives on Psychological Science, 1, 5–27. Moffitt, T. E., Harrington, H., Caspi, A., Kim-Cohen, J., Goldberg, D., Gregory, A. M., & Poulton, R. (2007). Depression and generalized anxiety disorder: Cumulative and sequential comorbidity in a birth cohort followed prospectively to age 32 years. Archives of General Psychiatry, 64, 651–660. Moffitt, T. E., Poulton, R., & Caspi, A. (2013). Lifelong impact of early self-control. American Scientist, 101, 352–359. Moghaddam, F. M. (2005). The staircase to terrorism: a psychological exploration. American Psychologist, 60, 161–169. Mogilner, C., & Norton, M. I. (2016). Time, money, and happiness. Current Opinion in Psychology, 10, 12–16. Molenberghs, P., Ogilivie, C., Louis, W. R., Decety, J., Bagnall, & Bain, P. G. (2015). The neural correlates of justified and unjustified killing: an fMRI study. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 10, 1397–1404. Möller-Levet, C. S., Archer, S. N., Bucca, G., Laing, E. E., Slak, A., Kabiljo, R., & Dijk, D.-J. (2013). Effects of insufficient sleep on circadian rhythmicity and expression amplitude of the human blood transcriptome. PNAS, 110, E1132–E1141. Mommersteeg, P. M. C., Schoemaker, R. G., Naudé, P. J., Eisel, U. L., Garrelds, I. M., Schalkwijk, C. G., & Denollet, J. (2016). Depression and markers of inflammation as predictors of all-cause mortality in heart failure. Brain, Behavior, and Immunity, 57, 144–150. Mondloch, C. J., Lewis, T. L., Budreau, D. R., Maurer, D., Dannemiller, J. L., Stephens, B. R., & Kleiner-Gathercoal, K. A. (1999). Face perception during early infancy. Psychological Science, 10, 419–422. Money, J. (1987). Sin, sickness, or status? Homosexual gender identity and psychoneuroendocrinology. American Psychologist, 42, 384–399. Money, J., Berlin, F. S., Falck, A., & Stein, M. (1983). Antiandrogenic and counseling treatment of sex offenders (S. 403). Baltimore: Department of Psychiatry and Behavioral Sciences, The Johns Hopkins University School of Medicine.
904
Literatur
Monroe, S. M., & Reid, M. W. (2009). Life stress and major depression. Currents Directions in Psychological Science, 18, 68–72. Monroe, S. M., & Simons, A. D. (1991). Diathesis-stress theories in the context of life stress research: implications for the depressive disorders. Psychological Bulletin, 110, 406–425. Montagne, A., Barnes, S. R., Sweeney, M. D., Halliday, M. R., Sagare, A. P., Zhao, Z., & Zlokovic, B. V. (2015). Blood-brain barrier breakdown in the aging human hippocampus. Neuron, 85, 296–302. Montoya, E. R., Terburg, D., Box, P. A., & van Honk, J. (2012). Testosterone, cortisol, and serotonin as key regulators of social aggression: a review and theoretical perspective. Motivation and Emotion, 36, 65–73. Montoya, R. M., & Horton, R. S. (2013). A meta-analytic investigation of the processes underlying the similarity-attraction effect. Journal of Social and Personal Relationships, 30, 64–94. Montoya, R. M., & Horton, R. S. (2014). A two-dimensional model for the study of interpersonal attraction. Personality and Social Psychology Review, 18, 59–86. Mooallem, J. Rescue flight. The New York Times Magazine. nytimes. com/2009/02/22 /magazine/22cranes-t.html?_r=0 (Erstellt: 19. Febr. 2009). Mook, D. G. (1983). In defense of external invalidity. American Psychologist, 38, 379–387. Moon, C., Lagercrantz, H., & Kuhl, P. K. (2013). Language experienced in utero affects vowel perception after birth: a two-country study. Acta Paediatrica, 102, 156–160. Moorcroft, W. H. (2003). Understanding sleep and dreaming (S. 97, 109). New York: Kluwer/Plenum. Moore, D. W. Sweet dreams go with a good night’s sleep. Gallup News Service. gallup .com (Erstellt: 17. Dez. 2004). Moore, D. W. Three in four Americans believe in paranormal. Gallup New Service. gallup.com (Erstellt: 16. Juni 2005). Moore, S. C., Lee, I., Weiderpass, E., Campbell, P. T., Sampson, J. N., Kitahara, C. M., & Patel, A. V. (2016). Association of leisure-time physical activity with risk of 26 types of cancer in 1.44 million adults. JAMA Internal Medicine, 176, 816–825. Moore, S. C., Patel, A. V., Matthews, C. E., Berrington de Gonzalez, A., Park, Y., Katki, H. A., & Lee, I.-M. (2012). Leisure time physical activity of moderate to vigorous intensity and mortality: a large pooled cohort analysis. PLoS Medicine, 9, e1001335. Moos, R. H., & Moos, B. S. (2005). Sixteen-year changes and stable remission among treated and untreated individuals with alcohol use disorders. Drug and Alcohol Dependence, 80, 337–347. Moos, R. H., & Moos, B. S. (2006). Participation in treatment and Alcoholics Anonymous: a 16-year follow-up of initially untreated individuals. Journal of Clinical Psychology, 62, 735–750. Mor, N., & Winquist, J. (2002). Self-focused attention and negative affect: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 128, 638–662. More, H. L., Hutchinson, J. R., Collins, D. F., Weber, D. J., Aung, S. K. H., & Donelan, J. M. (2010). Scaling of sensorimotor control in terrestrial mammals. Proceedings of the Royal Society B, 277, 3563–3568. Moreira, M. T., Smith, L. A., & Foxcroft, D. (2009). Social norms interventions to reduce alcohol misuse in university or college students. Cochrane Database of Systematic Reviews, 8, CD6748. Moreland, R. L., & Zajonc, R. B. (1982). Exposure effects in person perception: familiarity, similarity, and attraction. Journal of Experimental Social Psychology, 18, 395–415. Moreland, R. L., & Beach, S. R. (1992) Exposure effects in the classroom: The development of affinity among students. Journal of Experimental Social Psychology, 28, 255–276. Morelli, G. A., Rogoff, B., Oppenheim, D., & Goldsmith, D. (1992). Cultural variation in infants’ sleeping arrangements: questions of independence. Developmental Psychology, 26, 604–613. Moreno, C., Laje, G., Blanco, C., Jiang, H., Schmidt, A. B., & Olfson, M. (2007). National trends in the outpatient diagnosis and treat-
ment of bipolar disorder in youth. Archives of General Psychiatry, 64, 1032–1039. Morey, R. A., Inan, S., Mitchell, T. V., Perkins, D. O., Lieberman, J. A., & Belger, A. (2005). Imaging frontostriatal function in ultra-highrisk, early, and chronic schizophrenia during executive processing. Archives of General Psychiatry, 62, 254–262. Morgan, A. B., & Lilienfeld, S. O. (2000). A meta-analytic review of the relation between antisocial behavior and neuropsychological measures of executive function. Clinical Psychology Review, 20, 113–136. Mori, K., & Mori, H. (2009). Another test of the passive facial feedback hypothesis: when you face smiles, you feel happy. Perceptual and Motor Skills, 109, 1–3. Morin, R. (2014). Facebook’s experiment causes a lot of fuss for little result (S. 47). Pew Research Center. pewresearch.org Morin, R., & Brossard, M. A. (1997, March 4). Communication breakdown on drugs. TheWashington Post, pp. A1, A6. Morris, G., Baker-Ward, L., & Bauer, P. J. (2010). What remains of that day: the survival of children’s autobiographical memories across time. Applied Cognitive Psychology, 24, 527–544. Morris, M. (2015). Damaging labels do transgender people a disservice. Edmonton Journal, edmontonjournal.com. Morrison, A. R. (2003). The brain on night shift. Cerebrum, 5, 23–36. Morrison, M., Tay, L., & Diener, E. (2014). Subjective well-being across the lifespan worldwide. Paper presented at the Society for Personality and Social Psychology convention, Austin. (S. 210). Mortensen, P. B. (1999). Effects of family history and place and season of birth on the risk of schizophrenia. New England Journal of Medicine, 340, 603–608. Moscovici, S. (1985). Social influence and conformity. In G. Lindzey & E. Aronson (Hrsg.), The handbook of social psychology (3. Aufl. S. 491). Hillsdale: Erlbaum. Moses, E. B., & Barlow, D. H. (2006). A new unified treatment approach for emotional disorders based on emotion science. Current Directions in Psychological Science, 15, 146–150. Mosher, C. E., & Danoff-Burg, S. (2008). Agentic and communal personality traits: relations to disordered eating behavior, body shape concern, and depressive symptoms. Eating Behaviors, 9, 497–500. Mosher, W. D., Chandra, A., & Jones, J. (2005). Sexual behavior and selected health measures: Men and women 15–44 years of age, United States, 2002. Advance Data from Vital and Health Statistics, No. 362. (S. 410). National Center for Health Statistics, Centers for Disease Control and Prevention, U.S. Department of Health and Human Services, https://www.cdc.gov/nchs/index.htm. Mosing, M. A., Zietsch, B. P., Shekar, S. N., Wright, M. J., & Martin, N. G. (2009). Genetic and environmental influences on optimism and its relationship to mental and self-rated health: a study of aging twins. Behavior Genetics, 39, 597–604. Moskowitz, T. J., & Wertheim, L. J. (2011). Scorecasting: the hidden influences behind how sports are played and games are won (S. 492). New York: Crown Archetype. Mosnier, I., Bebear, J.-P., Marx, M., Fraysse, B., Truy, E., Lina-Granade, G., & Sterkers, O. (2015). Improvement of cognitive function after cochlear implantation in elderly patients. JAMA Otolaryngology—Head & Neck Surgery, 141, 442–450. Moss, A. C., & Albery, I. P. (2009). A dual-process model of the alcohol-behavior link for social drinking. Psychological Bulletin, 135, 516–530. Moss, A. J., Allen, K. F., Giovino, G. A., & Mills, S. L. (1992). Recent trends in adolescent smoking, smoking-update correlates, and expectations about the future. Advance Data No. 221 (from Vital and Health Statistics of the Centers for Disease Control and Prevention). (S. 124). Motivala, S. J., & Irwin, M. R. (2007). Sleep and immunity: Cytokine pathways linking sleep and health outcomes. Current Directions in Psychological Science, 16, 21–25.
Literatur
Moulin, S., Waldfogel, J., & Washbrook, E. (2014). Baby bonds: parenting, attachment, and a secure base for children. Sutton Trust, https://eric.ed.gov/?id=ED559213 Moxley, J. H., Ericsson, K. A., Charness, N., & Krampe, R. T. (2012). The role of intuition and deliberative thinking in experts’ superior tactical decision-making. Cognition, 124, 72–78. Moyer, K. E. (1983). The physiology of motivation: aggression as a model. In C. J. Scheier & A. M. Rogers (Hrsg.), G. Stanley Hall lecture series (Bd. 3, S. 505). Washington, DC: American Psychological Association. Mroczek, D. K., & Kolarz, D. M. (1998). The effect of age on positive and negative affect: a developmental perspective on happiness. Journal of Personality and Social Psychology, 75, 1333–1349. Muchnik, L., Aral, S., & Taylor, S. J. (2013). Social influence bias: a randomized experiment. Science, 341, 647–651. Mueller, P. A., & Oppenheimer, D. M. (2014). The pen is mightier than the keyboard: advantages of longhand over laptop note-taking. Psychological Science, 25, 1159–1168. Muhlnickel, W. (1998). Reorganization of auditory cortex in tinnitus. PNAS, 95, 10340–10343. Mulcahy, N. J., & Call, J. (2006). Apes save tools for future use. Science, 312, 1038–1040. Muller, J. E., & Verrier, R. L. (1996). Triggering of sudden death— Lessons from an earthquake. New England Journal of Medicine, 334, 461. Muller, J. E., Mittleman, M. A., Maclure, M., Sherwood, J. B., & Tofler, G. H. (1996). Triggering myocardial infarction by sexual activity. Journal of the American Medical Association, 275, 1405–1409. Mullin, C. R., & Linz, D. (1995). Desensitization and resensitization to violence against women: effects of exposure to sexually violent films on judgments of domestic violence victims. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 449–459. Mulrow, C. D. (1999). Treatment of depression—newer pharmacotherapies, summary. Evidence Report/Technology Assessment, 7. Rockville: Agency for Health Care Policy and Research. ahrq.gov/clinic/ deprsumm.htm. Munafò, M. R., Durrant, C., Lewis, G., & Flint, J. (2009). Gene X environment interactions at the serotonin transporter locus. Biological Psychiatry, 65, 211–219. Munafò, M. R., Nosek, B. A., Bishop, D. V. M., Button, K. S., Chambers, C. D., Percie du Sert, N., & Ioannidis, J. P. A. (2017). A manifesto for reproducible science. Nature Human Behaviour, 1, 25. https://doi.org/10.1038/s41562-016-0021. Murayama, K., Pekrun, R., Lichtenfeld, S., & vom Hofe, R. (2013). Predicting long-term growth in students’ mathematics achievement: the unique contributions of motivation and cognitive strategies. Child Development, 84, 1475–1490. Murdik, L., Breska, A., Lamy, D., & Deouell, L. Y. (2011). Integration without awareness: expanding the limits of unconscious processing. Psychological Science, 22, 764–770. Murphy, G. E., & Wetzel, R. D. (1990). The lifetime risk of suicide in alcoholism. Archives of General Psychiatry, 47, 383–392. Murphy, K. R., & Cleveland, J. N. (1995). Understanding performance appraisal: social, organizational, and goal-based perspectives (S. A-7). Thousand Oaks: SAGE. Murphy, S. T., Monahan, J. L., & Zajonc, R. B. (1995). Additivity of nonconscious affect: combined effects of priming and exposure. Journal of Personality and Social Psychology, 69, 589–602. Murray, H. (1938). Explorations in personality (S. 423). New York: Oxford University Press. Murray, H. A. (1933). The effect of fear upon estimates of the maliciousness of other personalities. Journal of Social Psychology, 4, 310–329. Murray, H. A., & Wheeler, D. R. (1937). A note on the possible clairvoyance of dreams. Journal of Psychology, 3, 309–313.
905
Murray, R., Jones, P., O’Callaghan, E., Takei, N., & Sham, P. (1992). Genes, viruses, and neurodevelopmental schizophrenia. Journal of Psychiatric Research, 26, 225–235. Murray, S. L., Bellavia, G. M., Rose, P., & Griffin, D. W. (2003). Once hurt, twice hurtful: How perceived regard regulates daily marital interactions. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 126–147. Murty, V. P., Calabro, F., & Luna, B. (2016). The role of experience in adolescent cognitive development: Integration of executive, memory, and mesolimbic systems. Neuroscience & Biobehavioral Reviews. https://doi.org/10.1016/j.neubiorev.2016.07.034. Musallam, S., Corneil, B. D., Greger, B., Scherberger, H., & Andersen, R. A. (2004). Cognitive control signals for neural prosthetics. Science, 305, 258–262. Musick, M. A., Herzog, A. R., & House, J. S. (1999). Volunteering and mortality among older adults: findings from a national sample. Journals of Gerontology, 54B, 173–180. Mustanski, B. S., Bailey, J. M., & Kaspar, S. (2002). Dermatoglyphics, handedness, sex, and sexual orientation. Archives of Sexual Behavior, 31, 113–122. Muusses, L. D., Kerkhof, P., & Finkenauer, C. (2015). Internet pornography and relationship quality: a longitudinal study of within and between partner effects of adjustment, sexual satisfaction and sexually explicit internet material among newly-weds. Computers in Human Behavior, 45, 77–84. Mydans, S. (2002, May 17). In Pakistan, rape victims are the “criminals.” The New York Times (nytimes.com). (p. 504) Myers, D. G. (1993). The pursuit of happiness (S. xii, 448). New York: Harper. Myers, D. G. (2000). The American paradox: spiritual hunger in an age of plenty (S. 448). New Haven: Yale University Press. Myers, D. G. (2010). Social psychology (10. Aufl.). (S. 557). New York: McGraw-Hill. Myers, D. G., & Bishop, G. D. (1970). Discussion effects on racial attitudes. Science, 169, 78–779. Myers, D. G., & Diener, E. (1995). Who is happy? Psychological Science, 6, 10–19. Myers, D. G., & Diener, E. (1996). The pursuit of happiness. Scientific American, scientificamerican.com/article/the-pursuit-of-happiness/. Myers, D. G., & Scanzoni, L. D. (2005). What God has joined together (S. 209, 410). San Francisco: Harper. Myers, I. B. (1987). Introduction to type: a description of the theory and applications of the Myers-Briggs type indicator (S. 542). Palo Alto: Consulting Psychologists Press. Myers, T. A., & Crowther, J. H. (2009). Social comparison as a predictor of body dissatisfaction: a meta-analytic review. Journal of Abnormal Psychology, 118, 683–698. Nagourney, A. (2002, September 25). For remarks on Iraq, Gore gets praise and scorn. The New York Times (nytimes.com). (p. 480) Napolitan, D. A., & Goethals, G. R. (1979). The attribution of friendliness. Journal of Experimental Social Psychology, 15, 105–113. NAS (2011). Statistics: How many people have autistic spectrum disorders (S. 181). National Autistic Society. autism.org.uk Nasie, M., Diamond, A. H., & Bar-Tal, D. (2016). Young children in intractable conflicts: the Israeli case. Personality and Social Psychology Review, 20, 365–392. Nathan, D. (2011). Sybil exposed: the extraordinary story behind the famous multiple personality case (S. 601). New York: Simon and Schuster. Nathanson, L., Rivers, S. E., Flynn, L. M., & Brackett, M. A. (2016). Creating emotionally intelligent schools with RULER. Emotion Review, 8, 1–6. National Academies of Sciences, Engineering, and Medicine (2017). The health effects of cannabis and cannabinoids: the current state of evidence and recommendations for research (S. 120). Washington, DC: National Academies Press.
906
Literatur
National Academy of Sciences (2001). Exploring the biological contributions to human health: does sex matter? (S. 159). Washington, DC: Institute of Medicine, National Academy Press. National Academy of Sciences (2002). The polygraph and lie detection (S. 432). Washington, DC: National Academies Press. National Center for Health Statistics (1990). Health, United States, 1989 (S. 203). Washington, DC: U.S. Department of Health and Human Services. National Council on Aging (1999). The consequences of untreated hearing loss in older persons (S. 350). Washington, DC: National Council on Aging. ncoa.org. National Research Council (1990). Human factors research needs for an aging population (S. 203). Washington, DC: National Academy Press. National Safety Council (2016). Injury Facts®, 2016 Edition (S. 156– 157). Itasca: National Safety Council. p. 335 Naughton, M., Clarke, G., O’Leary, O. F., Cryan, J. F., & Dinan, T. G. (2014). A review of ketamine in affective disorders: current evidence of clinical efficacy, limitations of use and pre-clinical evidence on proposed mechanisms of action. Journal of Affective Disorders, 156, 24–35. Naumann, L. P., Vazire, S., Rentfrow, P. J., & Gosling, S. D. (2009). Personality judgments based on physical appearance. Personality and Social Psychology Bulletin, 35, 1661–1671. Nausheen, B., Carr, N. J., Peveler, R. C., Moss-Morris, R., Verrill, C., Robbins, E., & Gidron, Y. (2010). Relationship between loneliness and proangiogenic cytokines in newly diagnosed tumors of colon and rectum. Psychosomatic Medicine, 72, 912–916. Nave, G., Camerer, C., & McCullough, M. E. (2015). Does oxytocin increase trust in humans? Critical review of research. Perspectives on Psychological Science, 10, 772–789. NCASA (2007). Wasting the best and the brightest: substance abuse at america’s colleges and universities (S. 124). New York: National Center on Addiction and Drug Abuse, Columbia University. NCD Risk Factor Collaboration (2016). Trends in adult body-mass index in 200 countries from 1975 to 2014: a pooled analysis of 1698 population-based measurement studies with 19.2 million participants. The Lancet, 387, 1377–1396. Neal, D. T., Wood, W., & Drolet, A. (2013). How do people adhere to goals when willpower is low? The profits (and pitfalls) of strong habits. Journal of Personality and Social Psychology, 104, 959–975. Nedeltcheva, A. V., Kilkus, J. M., Imperial, J., Schoeller, D. A., & Penev, P. D. (2010). Insufficient sleep undermines dietary efforts to reduce adiposity. Annals of Internal Medicine, 153, 435–441. NEEF (2015). Fact sheet: children’s health and nature. National Environmental Education Foundation. neefusa.org/resource /children%E2%80%99s-health-and-nature-fact-sheet Nesse, R. M. (1991). What good is feeling bad? The evolutionary benefits of psychic pain. The Sciences, 31, 30–37. Neimeyer, R. A., & Currier, J. M. (2009). Grief therapy: evidence of efficacy and emerging directions. Current Directions in Psychological Science, 18, 352–356. Neisser, U. (1979). The control of information pickup in selective looking. In A. D. Pick (Hrsg.), Perception and its development: a tribute to Eleanor J. Gibson (S. 90). Hillsdale: Erlbaum. Neisser, U., Boodoo, G., Bouchard Jr., T. J., Boykin, A. W., Brody, N., Ceci, S. J., & Urbina, S. (1996). Intelligence: knowns and unknowns. American Psychologist, 51, 77–101. Neisser, U., Winograd, E., & Weldon, M. S. (1991). Remembering the earthquake: “What I experienced” vs. “How I heard the news.”. Paper presented to the Psychonomic Society convention. (S. 309). Neitz, J., Carroll, J., & Neitz, M. (2001). Color vision: almost reason enough for having eyes. Optics & Photonics News, 12, 26–33. Neitz, J., Geist, T., & Jacobs, G. H. (1989). Color vision in the dog. Visual Neuroscience, 3, 119–125. Nelson, C. A. III, Fox, N. A., & Zeanah, C. H. Jr. (2014). Romania’s abandoned children (S. 187). Cambridge: Harvard University Press.
Nelson III, C. A., Furtado, E. Z., Fox, N. A., & Zeanah Jr., C. H. (2009). The deprived human brain. American Scientist, 97, 222– 229. Nelson, J., Klumparendt, A., Doebler, P., & Ehring, T. (2017). Childhood maltreatment and characteristics of adult depression: a metaanalysis. The British Journal of Psychiatry, 210, 96–104. Nelson, M. D., Saykin, A. J., Flashman, L. A., & Riordan, H. J. (1998). Hippocampal volume reduction in schizophrenia as assessed by magnetic resonance imaging. Archives of General Psychiatry, 55, 433–440. Nelson, S. K., Kushlev, K., English, T., Dunn, E. W., & Lyubomirsky, S. (2013). In defense of parenthood: Children are associated with more joy than misery. Psychological Science, 24, 3–10. Nemeth, C. J., & Ormiston, M. (2007). Creative idea generation: harmony versus stimulation. European Journal of Social Psychology, 37, 524–535. Nes, R. B., Czajkowski, N., & Tambs, K. (2010). Family matters: happiness in nuclear families and twins. Behavior Genetics, 40, 577–590. Ness, E. (2016). FDA OKs sex drug for women. Discover. Nestler, E. J. (2011). Hidden switches in the mind. Scientific American, 305, 76–83. Nestoriuc, Y., Rief, W., & Martin, A. (2008). meta-analysis of biofeedback for tension-type headache: efficacy, specificity, and treatment moderators. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 76, 379–396. Nettle, D., Andrews, C., & Bateson, M. (2017). Food insecurity as a driver of obesity in humans: The insurance hypothesis. Behavioral and Brain Sciences, 40, 401. Neubauer, D. N. (1999). Sleep problems in the elderly. American Family Physician, 59, 2551–2558. Neumann, R., & Strack, F. (2000). “mood contagion”: the automatic transfer of mood between persons. Journal of Personality and Social Psychology, 79, 211–223. Newcomb, M. D., & Harlow, L. L. (1986). Life events and substance use among adolescents: mediating effects of perceived loss of control and meaninglessness in life. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 564–577. Newell, B. R. (2015). “Wait! Just let me not think about that for a minute”: what role do implicit processes play in higher-level cognition? Current Directions in Psychological Science, 24, 65–70. Newell, F. N., & Mitchell, K. J. (2016). Multisensory integration and cross-modal learning in synaesthesia: a unifying model. Neuropsychologia, 88, 140–150. Newman, L. S., & Ruble, D. N. (1988). Stability and change in selfunderstanding: the early elementary school years. Early Child Development and Care, 40, 77–99. Newport, C., Wallis, G., Reshitnyk, Y., & Siebeck, U. E. (2016). Discrimination of human faces by archerfish (Toxotes chatareus). Scientific Reports, 6, 27523. Newport, E. L. (1990). Maturational constraints on language learning. Cognitive Science, 14, 11–28. Newport, F. (1999). Americans today much more accepting of a woman, black, Catholic, or Jew as president. Gallup Poll. gallup.com (Erstellt: 28. Apr. 2016). Newport, F. (2001). Americans see women as emotional and affectionate, men as more aggressive. The Gallup Poll Monthly, www. gallup.com/home.aspx. Newport, F. To stop shootings, Americans focus on police, mental health. Gallup. gallup.com (Erstellt: 19. Dez. 2012). Newport, F. (2013a). Former smokers say best way to quit is just to stop “cold turkey.” Gallup Poll. gallup.com pp. 113, 117. Newport, F. (2013b). In U.S. 87 % approve of Black-White marriage, vs. 4 % in 1958. Gallup Poll. gallup.com Newport, F. (2014). In U.S., 42 % believe creationist view of human origins. gallup.com /poll/170822/believe-creationist-view-humanorigins .aspx
Literatur
Newport, F. (2015). Most U.S. smartphone owners check phone at least hourly. Gallup Poll. gallup .com Newport, F., Argrawal, S., & Witters, D. Very religious Americans lead healthier lives. Gallup poll. gallup.com (Erstellt: 23. Dez. 2010). Newport, F., & Pelham, B. Don’t worry, be 80: Worry and stress decline with age. gallup.com/poll/124655/dont-worry-be-80-worry-stressdecline-age.aspx (Erstellt: 14. Dez. 2009). Newport, F., & Wilke, J. Most in U.S. want marriage, but its importance has dropped. Gallup. gallup.com/poll/163802/marriage-importance-dropped.aspx (Erstellt: 2. Aug. 2013). Newton, E. L. (1991). The rocky road from actions to intentions. Dissertation Abstracts International, 51, 4105. Newton, I. (1704). Opticks: Or, a treatise of the reflexions, refractions, inflexions and colours of light (S. 125). London: Royal Society. p. 229 Ng, J. Y. Y., Ntoumanis, N., Thøgersen-Ntoumani, C., Deci, E. L., Ryan, R. M., Duda, J. L., & Williams, G. C. (2012). Self-determination theory applied to health contexts: a meta-analysis. Perspectives on Psychological Science, 7, 325–340. Ng, M., Fleming, T., Robinson, M., Thomson, B., Graetz, N., Margono, C., & Gakidou, E. (2014). Global, regional, and national prevalence of overweight and obesity in children and adults during 1980–2013: A systematic analysis for the Global Burden of Disease Study 2013. The Lancet, 384, 766–781. Ng, S. H. (1990). Androcentric coding of man and his in memory by language users. Journal of Experimental Social Psychology, 26, 455–464. Ng, T. W. H., Sorensen, K. L., & Yim, F. H. K. (2009). Does the job satisfaction—job performance relationship vary across cultures? Journal of Cross-Cultural Psychology, 40, 761–796. Ng, W., Diener, E., Aurora, R., & Harter, J. (2009). Affluence, feelings of stress, and well-being. Social Indicators Research, 94, 257–271. Ng, W. W. H., Sorensen, K. L., & Eby, L. T. (2006). Locus of control at work: a meta-analysis. Journal of Organizational Behavior, 27, 1057–1087. Nguyen, H.-H. D., & Ryan, A. M. (2008). Does stereotype threat affect test performance of minorities and women? A meta-analysis of experimental evidence. Journal of Applied Psychology, 93, 1314–1334. NHTSA (2000). Traffic safety facts 1999: Older population (S. 204). Washington, DC: National Highway Traffic Safety Administration. ntl.bts.gov. Nicholson, I. (2011). “Torture at Yale”: Experimental subjects, laboratory torment and the “rehabilitation” of Milgram’s “Obedience to Authority. Theory and Psychology, 21, 737–761. Nickell, J. (2005). The case of the psychic detectives. Skeptical Inquirer. skeptically.org/skepticism/id10.html Nickell, J. (Hrsg.). (1994). Psychic sleuths: ESP and sensational cases (S. 257). Buffalo: Prometheus Books. Nickerson, R. S. (1999). How we know—and sometimes misjudge— what others know: imputing one’s own knowledge to others. Psychological Bulletin, 125, 737–759. Nickerson, R. S. (2002). The production and perception of randomness. Psychological Review, 109, 330–357. Nickerson, R. S. (2005). Bertrand’s chord, Buffon’s needles, and the concept of randomness. Thinking & Reasoning, 11, 67–96. Nickerson, R. S., & Adams, M. J. (1979). Long-term memory for a common object. Cognitive Psychology, 11, 287–307. Nicol, S. E., & Gottesman, I. I. (1983). Clues to the genetics and neurobiology of schizophrenia. American Scientist, 71, 398–404. Nicolas, S., & Levine, Z. (2012). Beyond intelligence testing: remembering Alfred Binet after a century. European Psychologist, 17, 320–325. Nicolaus, L. K., Cassel, J. F., Carlson, R. B., & Gustavson, C. R. (1983). Taste-aversion conditioning of crows to control predation on eggs. Science, 220, 212–214.
907
Nicolelis, M. A. L. (2011). Beyond boundaries: the new neuroscience of connecting brains with machines—and how it will change our lives (S. 76). New York: Times Books. NIDA (2002). Methamphetamine abuse and addiction. Research Report Series. NIH Publication Number 02–4210. (S. 119). National Institute on Drug Abuse, https://nida.nih.gov/ NIDA (2005). Methamphetamine. NIDA Info Facts (S. 119). National Institute on Drug Abuse, https://nida.nih.gov/ Nielsen, K. M., Faergeman, O., Larsen, M. L., & Foldspang, A. (2006). Danish singles have a twofold risk of acute coronary syndrome: data from a cohort of 138,290 persons. Journal of Epidemiology and Community Health, 60, 721–728. Nielsen, M., & Tomaselli, K. (2010). Overimitation in Kalahari Bushman children and the origins of human cultural cognition. Psychological Science, 21, 729–736. Niemiec, C. P., Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2009). The path taken: consequences of attaining intrinsic and extrinsic aspirations in post-college life. Journal of Research in Personality, 43, 291–306. Nietzsche, F. (1990). Twilight of the idols and the Anti-Christ: Or how to philosophize with a hammer (R. J. Hollindale, translator) (S. 576). New York: Penguin Classics. Nieuwenstein, M. R., Wierenga, T., Morey, R. D., Wicherts, J. M., Blom, T. N., Wagenmakers, E., & van Rijn, H. (2015). On making the right choice: a meta-analysis and large-scale replication attempt of the unconscious thought advantage. Judgment and Decision Making, 10, 1–17. NIH (2001). Workshop summary: scientific evidence on condom effectiveness for sexually transmitted disease (STD) prevention (S. 405). Bethesda: National Institute of Allergy and Infectious Diseases, National Institutes of Health. NIH (2010). Teacher’s guide: information about sleep (S. 101). National Institutes of Health. science.education.nih.gov NIH (2013). Prenatal inflammation linked to autism risk (S. 181). National Institutes of Health. nih.gov NIH (2016). NIH Senior Health. National Institutes of Health. nihseniorhealth.gov /parkinsonsdisease/whatcausesparkinsonsdisease /01.html Nikolas, M. A., & Burt, A. (2010). Genetic and environmental influences on ADHD symptom dimensions of inattention and hyperactivity: a meta-analysis. Journal of Abnormal Psychology, 119, 1–17. Nikolova, H., & Lamberton, C. (2016). Men and the middle: Gender differences in dyadic compromise effects. Journal of Consumer Research. https://doi.org/10.1093/jcr/ucw035. Niles, A. N., Craske, M. G., Lieberman, M. D., & Hur, C. (2015). Affect labeling enhances exposure effectiveness for public speaking anxiety. Behavior Research and Therapy, 68, 27–36. NIMH (2015). Any mental illness (AMI) among U.S. adults. National Institute of Mental Health. nimh.nih .gov/health/statistics/prevalence/any-mental-illness-ami-among-us-adults.shtml NIMH (2017). Research Domain Criteria (RDoC) (S. 566). National Institute of Mental Health. nimh.nih.gov/research-priorities/rdoc Ninio, J., & Stevens, K. A. (2000). Variations on the Hermann grid: an extinction illusion. Perception, 29, 1209–1217. Niparko, J. K., Tobey, E. A., Thal, D. J., Eisenberg, L. S., Wang, N., Quittner, A. L., & Fink, N. E. (2010). Spoken language development in children following cochlear implantation. JAMA, 303, 1498–1506. Nir, Y., & Tononi, G. (2010). Dreaming and the brain: From phenomenology to neurophysiology. Trends in Cognitive Sciences, 14, 88–100. Nisbett, R. (2015). Mindware: Tools for smart thinking (S. 46). New York: Farrar, Straus and Giroux. Nisbett, R. E. (1987). Lay personality theory: Its nature, origin, and utility. In N. E. Grunberg & R. E. Nisbett, et al. (Hrsg.), A distinctive approach to psychological research: the influence of Stanley Schachter (S. A-5). Hillsdale: Erlbaum.
908
Literatur
Nisbett, R. E. (2003). The geography of thought: how Asians and Westerners think differently . . . and why (S. 478). New York: Free Press. Nisbett, R. E. (2009). Intelligence and how to get it: why schools and culture count (S. 384). New York: Norton. Nisbett, R. E., Aronson, J., Blair, C., Dickens, W., Flynn, J., Halpern, D. F., & Turkheimer, E. (2012). Intelligence: new findings and theoretical developments. American Psychologist, 67, 130–159. Nisbett, R. E., & Cohen, D. (1996). Culture of honor: the psychology of violence in the south (S. 507). Boulder: Westview Press. Nisbett, R. E., & Ross, L. (1980). Human inference: strategies and shortcomings of social judgment (S. 333). Englewood Cliffs: PrenticeHall. Nizzi, M. C., Demertzi, A., Gosseries, O., Bruno, M. A., Jouen, F., & Laureys, S. (2012). From armchair to wheelchair: how patients with a locked-in syndrome integrate bodily changes in experienced identity. Consciousness and Cognition, 21, 431–437. Nocera, J. (2012, December 7.) It’s hard to be a hero. The New York Times (nytimes.com). (p. 520) Nock, M. (2016, May 6). Five myths about suicide. The Washington Post (washingtonpost.com). (p. 590) Nock, M. K. (2010). Self-injury. Annual Review of Clinical Psychology, 6, 339–363. Nock, M. K., Borges, G., Bromet, E. J., Alonso, J., Angermeyer, M., Beautrais, A., & Williams, D. (2008). Cross-national prevalence and risk factors for suicidal ideation, plans, and attempts. British Journal of Psychiatry, 192, 98–105. Nock, M. K., & Kessler, R. C. (2006). Prevalence of and risk factors for suicide attempts versus suicide gestures: analysis of the national comorbidity survey. Journal of Abnormal Psychology, 115, 616–623. Noel, J. G., Forsyth, D. R., & Kelley, K. N. (1987). Improving the performance of failing students by overcoming their self-serving attributional biases. Basic and Applied Social Psychology, 8, 151–162. Noice, H., & Noice, T. (2006). What studies of actors and acting can tell us about memory and cognitive functioning. Current Directions in Psychological Science, 15, 14–18. Noland, M., Ickes, M. J., Rayens, M. K., Butler, K., Wiggins, A. T., & Hahn, E. J. (2016). Social influences on use of cigarettes, e-cigarettes, and hookah by college students. Journal of American College Health, 64, 319–328. Nolen-Hoeksema, S. (2001). Gender differences in depression. Current Directions in Psychological Science, 10, 173–176. Nolen-Hoeksema, S. (2003). Women who think too much: how to break free of overthinking and reclaim your life (S. 587). New York: Holt. Nolen-Hoeksema, S., & Larson, J. (1999). Coping with loss (S. 212). Mahwah: Erlbaum. Nook, E. C., Ong, D. C., Morelli, S. A., Mitchell, J. P., & Zaki, J. (2016). Prosocial conformity: prosocial norms generalize across behavior and empathy. Personality and Social Psychology Bulletin, 42, 1045–1062. Norberg, M. M., Krystal, J. H., & Tolin, D. F. (2008). A meta-analysis of d-cycloserine and the facilitation of fear extinction and exposure therapy. Biological Psychiatry, 63, 1118–1126. Nørby, S. (2015). Why forget? On the adaptive value of memory loss. Perspectives on Psychological Science, 10, 551–578. NORC (2016a). General Social Survey data, 1972 through 2014 (S. 418). Chicago: National Opinion Research Center (University of Chicago). sda.berkeley.edu. NORC (2016b). New insights into Americans’ perceptions and misperceptions of obesity treatments, and the struggles many face (S. 401). Chicago: National Opinion Research Center and the American Society for Metabolic and Bariatric Surgery. norc.org. Nordgren, L. F., McDonnell, M.-H. M., & Loewenstein, G. (2011). What constitutes torture? Psychological impediments to an objective evaluation of enhanced interrogation tactics. Psychological Science, 22, 689–694.
Nordgren, L. F., van Harreveld, F., & van der Pligt, J. (2009). The restraint bias: How the illusion of self-restraint promoted impulsive behavior. Psychological Science, 20, 1523–1528. Nordgren, L. F., van der Pligt, J., & van Harreveld, F. (2006). Visceral drives in retrospect: explanations about the inaccessible past. Psychological Science, 17, 635–640. Nordgren, L. F., van der Pligt, J., & van Harreveld, F. (2007). Evaluating Eve: visceral states influence the evaluation of impulsive behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 93, 75–84. Norem, J. K. (2001). The positive power of negative thinking: using defensive pessimism to harness anxiety and perform at your peak (S. 556). New York: Basic Books. Norenzayan, A., & Hansen, I. G. (2006). Belief in supernatural agents in the face of death. Personality and Social Psychology Bulletin, 32, 174–187. Norko, M. A., Freeman, D., Phillips, J., Hunter, W., Lewis, R., & Viswanathan, R. (2017). Can religion protect against suicide? Journal of Nervous and Mental Disease, 205, 9–14. Norman, D. A. (2001). The perils of home theater. jnd.org/dn.mss/ ProblemsOfHome Theater.html p. A-12. Norman, E. (2010). “The unconscious” in current psychology. European Psychologist, 15, 193–201. Norris, A. L., Marcus, D. K., & Green, B. A. (2015). Homosexuality as a discrete class. Psychological Science, 26, 1843–1853. North, A. (2016, November 8). A wave of harassment after Trump’s victory. The New York Times (nytimes.com). Norton, K. L., Olds, T. S., Olive, S., & Dank, S. (1996). Ken and Barbie at life size. Sex Roles, 34, 287–294. Nowakowski, M. E., McCabe, R., Rowa, K., Pellizzari, J., Surette, M., Moayyedi, P., & Anglin, R. (2016). The gut microbiome: potential innovations for the understanding and treatment of psychopathology. Canadian Psychology/Psychologie Canadienne, 57, 67–75. NPR Afraid to fly? Try living on a plane. National Public Radio. npr. org (Erstellt: 11. Juli 2009). NSC (2010). Transportation mode comparison. In Injury facts 2010 edition National Safety Council (S. 90). nsc.org. NSF (2001). Public bounces back after Sept. 11 attacks, national study shows. National Science Foundation (S. 452). nsf.gov/od/lpa /news/ press/ol/pr0185.htm. NSF (2006). The ABC’s of back-to-school sleep schedules: the consequences of insufficient sleep (S. 103). National Sleep Foundation press release. sleepfoundation.org NSF (2008). 2008 sleep in America poll (S. 100). National Sleep Foundation. sleepfoundation.org NSF (2013). 2013 International Bedroom Poll: Summary of findings (S. 100). National Sleep Foundation. sleepfoundation.org NSF (2016a). Doctorate recipients, by sex and major field of study: 2005–15. Table 15 of Science and Engineering Doctorates (S. 382). Washington, DC: National Science Foundation. nsf.gov /statistics/2017/nsf17306/datatables/tab-15.htm. NSF (2016b). Sleepwalking (S. 106). National Sleep Foundation. sleepfoundation.org Nugent, N. R., Goldberg, A., & Uddin, M. (2016). Topical review: the emerging field of epigenetics: informing models of pediatric trauma and physical health. Journal of Pediatric Psychology, 41, 55–64. Nurmikko, A. V., Donoghue, J. P., Hochberg, L. R., Patterson, W. R., Song, Y.-K., Bull, C. W., & Aceros, J. (2010). Listening to brain microcircuits for interfacing with external world—Progress in wireless implantable microelectronic neuroengineering devices. Proceedings of the IEEE, 98, 375–388. Nussinovitch, U., & Shoenfeld, Y. (2012). The role of gender and organ specific autoimmunity. Autoimmunity Reviews, 11, A377–A385. Nuttin Jr., J. M. (1987). Affective consequences of mere ownership: the name letter effect in twelve European languages. European Journal of Social Psychology, 17, 381–402.
Literatur
Nye, C. D., Su, R., Rounds, J., & Drasgow, F. (2012). Vocational interests and performance: a quantitative summary of over 60 years of research. Perspectives on Psychological Science, 7, 384–403. O’Brien, E., & Ellsworth, P. C. (2012). Saving the last for best: a positivity bias for end experiences. Psychological Science, 23, 163–165. O’Brien, L., Albert, D., Chein, J., & Steinberg, L. (2011). Adolescents prefer more immediate rewards when in the presence of their peers. Journal of Research on Adolescence, 21, 747–753. O’Connor, P., & Brown, G. W. (1984). Supportive relationships: fact or fancy? Journal of Social and Personal Relationships, 1, 159–175. O’Donnell, L., Stueve, A., O’Donnell, C., Duran, R., San Doval, A., Wilson, R. F., & Pleck, J. H. (2002). Long-term reductions in sexual initiation and sexual activity among urban middle schoolers in the reach for health service learning program. Journal of Adolescent Health, 31, 93–100. O’Donovan, A., Neylan, T. C., Metzler, T., & Cohen, B. E. (2012). Lifetime exposure to traumatic psychological stress is associated with elevated inflammation in the heart and soul study. Brain, Behavior, and Immunity, 26, 642–649. O’Hara, R. E., Gibbons, F. X., Gerrard, M., Li, Z., & Sargent, J. D. (2012). Greater exposure to sexual content in popular movies predicts earlier sexual debut and increased sexual risk taking. Psychological Science, 23, 984–993. O’Leary, T., Williams, A. H., Franci, A., & Marder, E. (2014). Cell types, network homeostasis, and pathological compensation from a biologically plausible ion channel expression model. Neuron, 82, 809–821. O’Neill, M. J. (1993). The relationship between privacy, control, and stress responses in office workers. Paper presented to the Human Factors and Ergonomics Society convention. (S. 464). O’Sullivan, M., Frank, M. G., Hurley, C. M., & Tiwana, J. (2009). Police lie detection accuracy: the effect of lie scenario. Law and Human Behavior, 33, 530–538. Oakley, D. A., & Halligan, P. W. (2013). Hypnotic suggestion: opportunities for cognitive neuroscience. Nature Reviews Neuroscience, 14, 565–576. Oberman, L. M., & Ramachandran, V. S. (2007). The simulating social mind: the role of the mirror neuron system and simulation in the social and communicative deficits of autism spectrum disorders. Psychological Bulletin, 133, 310–327. Ochsner, K. N., Ray, R. R., Hughes, B., McRae, K., Cooper, J. C., Weber, J., & Gross, J. J. (2009). Bottom-up and top-down processes in emotion generation: Common and distinct neural mechanisms. Psychological Science, 20, 1322–1331. Odgers, C. L., Caspi, A., Nagin, D. S., Piquero, A. R., Slutske, W. S., Milne, B. J., & Moffitt, T. E. (2008). Is it important to prevent early exposure to drugs and alcohol among adolescents? Psychological Science, 19, 1037–1044. Oelschläger, M., Pfannmöller, J., Langer, I., & Lotze, M. (2014). Using of the middle finger shapes reorganization of the primary somatosensory cortex in patients with index finger. Restorative Neurology and Neuroscience, 32, 507–515. Oettingen, G., & Mayer, D. (2002). The motivating function of thinking about the future: expectations versus fantasies. Journal of Personality and Social Psychology, 83, 1198–1212. Offer, D., Kaiz, M., Howard, K. I., & Bennett, E. S. (2000). The altering of reported experiences. Journal of the American Academy of Child and Adolescent Psychiatry, 39, 735–742. Offer, D., Ostrov, E., Howard, K. I., & Atkinson, R. (1988). The teenage world: adolescents’ self-image in ten countries (S. 198). New York: Plenum. Ogden, J. (2012). HM, the man with no memory. Psychology Today, psychologytoday.com. Ogihara, Y., Fujita, H., Tominaga, H., Ishigaki, S., Kashimoto, T., Takahashi, A., & Uchida, Y. (2015). Are common names becoming less common? The rise in uniqueness and individualism in Japan. Frontiers in Psychology, 6, article 1490.
909
Ogunnaike, O., Dunham, Y., & Banaji, M. R. (2010). The language of implicit preferences. Journal of Experimental Social Psychology, 46, 999–1003. Ohgami, H., Terao, T., Shiotsuki, I., Ishii, N., & Iwata, N. (2009). Lithium levels in drinking water and risk of suicide. British Journal of Psychiatry, 194, 464–465. Öhman, A. (2009). Of snakes and fears: an evolutionary perspective on the psychology of fear. Scandinavian Journal of Psychology, 50, 543–552. Oishi, S., & Diener, E. (2014). Can and should happiness be a policy goal? Policy Insights from Behavioral and Brain Sciences, 1, 195– 203. Oishi, S., & Kesebir, S. (2015). Income inequality explains why economic growth does not always translate to an increase in happiness. Psychological Science, 26, 1630–1638. Oishi, S., & Schimmack, U. (2010a). Culture and well-being: a new inquiry into the psychological wealth of nations. Perspectives in Psychological Science, 5, 463–471. Oishi, S., & Schimmack, U. (2010b). Residential mobility, well-being, and mortality. Journal of Personality and Social Psychology, 98, 980–994. Oishi, S., Diener, E. F., Lucas, R. E., & Suh, E. M. (1999). Cross-cultural variations in predictors of life satisfaction: perspectives from needs and values. Personality and Social Psychology Bulletin, 25, 980–990. Oishi, S., Kesebir, S., & Diener, E. (2011). Income inequality and happiness. Psychological Science, 22, 1095–1100. Oishi, S., Kesebir, S., Miao, F., Talhelm, T., Endo, U., Uchida, Y., & Norasakkunkit, V. (2013a). Residential mobility increases motivation to expand social network. But why? Journal of Experimental Social Psychology, 49, 217–223. Oishi, S., Schiller, J., & Blair, E. G. (2013b). Felt understanding and misunderstanding affect the perception of pain, slant, and distance. Social Psychological and Personality Science, 4, 259–266. Ojeda, C., & Hatemi, P. K. (2015). Accounting for the child in the transmission of party identification. American Sociological Review, 80, 1150–1174. Okada, K., & Samreth, S. (2013). A study on the socio-economic determinants of suicide: Evidence from 13 European OECD countries. Journal of Behavioral Economics, 45, 78–85. Okbay, A., Beauchamp, J. P., Fontana, M. A., Lee, J. J., Pers, T. H., Rietveld, C. A., & Oskarsson, S. (2016). Genome-wide association study identifies 74 loci associated with educational attainment. Nature, 533, 539–542. Okimoto, T. G., & Brescoll, V. L. (2010). The price of power: power seeking and backlash against female politicians. Personality and Social Psychology Bulletin, 36, 923–936. Okuyama, T., Kitamura, T., Roy, D. S., Itohara, S., & Tonegawa, S. (2016). Ventral CA1 neurons store social memory. Science, 353, 1536–1541. Olatunji, B. O., & Wolitzky-Taylor, K. B. (2009). Anxiety sensitivity and the anxiety disorders: a meta-analytic review and synthesis. Psychological Bulletin, 135, 974–999. Olds, J. (1958). Self-stimulation of the brain. Science, 127, 315–324. Olds, J. (1975). Mapping the mind onto the brain. In F. G. Worden, J. P. Swazey & G. Adelman (Hrsg.), The neurosciences: paths of discovery (S. 71). Cambridge: MIT Press. Olds, J., & Milner, P. (1954). Positive reinforcement produced by electrical stimulation of the septal area and other regions of rat brain. Journal of Comparative and Physiological Psychology, 47, 419–427. Olff, M., Langeland, W., Draijer, N., & Gersons, B. P. R. (2007). Gender differences in posttraumatic stress disorder. Psychological Bulletin, 135, 183–204. Olfson, M., Gerhard, T., Huang, C., Crystal, S., & Stroup, T. S. (2015). Premature mortality among adults with schizophrenia in the United States. JAMA Psychiatry, 72, 1172–1181.
910
Literatur
Olfson, M., & Marcus, S. C. (2009). National patterns in antidepressant medication treatment. Archives of General Psychiatry, 66, 848–856. Oliner, S. P., & Oliner, P. M. (1988). The altruistic personality: rescuers of Jews in Nazi Europe (S. 292). New York: Free Press. Olivé, I., Templemann, C., Berthoz, A., & Heinze, H.-J. (2015). Increased functional connectivity between superior colliculus and brain regions implicated in bodily self-consciousness during the rubber band illusion. Human Brain Mapping, 36, 717–730. Olivola, C. Y., & Todorov, A. (2010). Elected in 100 milliseconds: Appearance-based trait inferences and voting. Journal of Nonverbal Behavior, 54, 83–110. Olshansky, S. J. (2011). Aging of U.S. Presidents. Journal of the American Medical Association, 306, 2328–2329. Olson, J. A., Amlani, A. A., Raz, A., & Rensink, R. A. (2015a). Influencing choice without awareness. Consciousness and Cognition, 37, 225–236. Olson, K. R., Key, A. C., & Eaton, N. R. (2015b). Gender cognition in transgender children. Psychological Science, 26, 467–474. Olson, M. A., & Fazio, R. H. (2001). Implicit attitude formation through classical conditioning. Psychological Science, 12, 413–417. Olson, R. L., Hanowski, R. J., Hickman, J. S., & Bocanegra, J. (2009). Driver distraction in commercial vehicle operations (S. 90). Washington, DC: U.S. Department of Transportation, Federal Motor Carrier Safety Administration. Olsson, A., Nearing, K. I., & Phelps, E. A. (2007). Learning fears by observing others: the neural systems of social fear transmission. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 2, 3–11. Olweus, D., Mattsson, A., Schalling, D., & Low, H. (1988). Circulating testosterone levels and aggression in adolescent males: a causal analysis. Psychosomatic Medicine, 50, 261–272. Oman, D., Kurata, J. H., Strawbridge, W. J., & Cohen, R. D. (2002). Religious attendance and cause of death over 31 years. International Journal of Psychiatry in Medicine, 32, 69–89. ONS (2015). Personal well-being in the UK, 2014/2015 (S. 448). Office for National Statistics. ons.gov .uk/ Ooi, J., Dodd, H. F., Stuijfzand, B. G., Walsh, J., & Broeren, S. (2016). Do you think I should be scared? The effect of peer discussion on children’s fears. Behaviour Research and Therapy, 87, 23–33. Open Science Collaboration (2015). Estimating the reproducibility of psychological science. Science, 349, 943. Open Science Collaboration (2017). Maximizing the reproducibility of your research. In S. O. Lilienfeld & I. D. Waldman (Hrsg.), Psychological science under scrutiny: recent challenges and proposed solutions (S. 25). New York: Wiley. Opp, M. R., & Krueger, J. M. (2015). Sleep and immunity: a growing field with clinical impact. Brain, Behavior, and Immunity, 47, 1–3. Oquendo, M. A., Galfalvy, H. C., Currier, D., Grunebaum, M. F., Sher, L., Sullivan, G. M., & Mann, J. J. (2011). Treatment of suicide attempters with bipolar disorder: A randomized clinical trial comparing lithium and valproate in the prevention of suicidal behavior. The American Journal of Psychiatry, 168, 1050–1056. Orehek, E., & Human, L. J. (2017). Self-expression on social media: Do tweets present accurate and positive portraits of impulsivity, self-esteem, and attachment style? Personality and Social Psychology Bulletin, 43, 60–70. Oren, D. A., & Terman, M. (1998). Tweaking the human circadian clock with light. Science, 279, 333–334. Orth, U., & Robins, R. W. (2014). The development of self-esteem. Current Directions in Psychological Science, 23, 381–387. Orth, U., Robins, R. W., Meier, L. L., & Conger, R. D. (2016). Refining the vulnerability model of low self-esteem and depression: disentangling the effects of genuine self-esteem and narcissism. Journal of Personality and Social Psychology, 110, 133–149. Orth, U., Robins, R. W., Trzesniewski, K. H., Maes, J., & Schmitt, M. (2009). Low self-esteem is a risk factor for depressive symptoms from young adulthood to old age. Journal of Abnormal Psychology, 118, 472–478.
Osborne, J. W. (1997). Race and academic disidentification. Journal of Educational Psychology, 89, 728–735. Osborne, L. (1999, October 27). A linguistic big bang. The New York Times Magazine (nytimes.com). (p. 346) Osgood, C. E. (1962). An alternative to war or surrender (S. 524). University of Illinois Press: Urbana. Osgood, C. E. (1980). GRIT: A strategy for survival in mankind’s nuclear age? Paper presented at the Pugwash Conference on New Directions in Disarmament. (S. 524). Oskarsson, A. T., Van Voven, L., McClelland, G. H., & Hastie, R. (2009). What’s next? Judging sequences of binary events. Psychological Bulletin, 135, 262–285. OSS Assessment Staff (1948). The assessment of men (S. 553). New York: Rinehart. Ossher, L., Flegal, K. E., & Lustig, C. (2012). Everyday memory errors in older adults. Aging, Neuropsychology, and Cognition, 20, 220–242. Öst, L. G., Havnen, A., Hansen, B., & Kvale, G. (2015). Cognitive behavioral treatments of obsessive-compulsive disorder. A systematic review and meta-analysis of studies published 1993–2014. Clinical Psychology Review, 40, 156–169. Öst, L. G., & Hugdahl, K. (1981). Acquisition of phobias and anxiety response patterns in clinical patients. Behaviour Research and Therapy, 16, 439–447. Österman, K., Björkqvist, K., & Wahlbeck, K. (2014). Twenty-eight years after the complete ban on the physical punishment of children in Finland: trends and psychosocial concomitants. Aggressive Behavior, 40, 568–581. Ostfeld, A. M., Kasl, S. V., D’Atri, D. A., & Fitzgerald, E. F. (1987). Stress, crowding, and blood pressure in prison (S. 464). Hillsdale: Erlbaum. Osvath, M., & Karvonen, E. (2012). Spontaneous innovation for future deception in a male chimpanzee. PLoS ONE, 7, e36782. Oswald, F. L., Mitchell, G., Blanton, H., Jaccard, J., & Tetlock, P. E. (2013). Predicting ethnic and racial discrimination: a meta-analysis of IAT criterion studies. Journal of Personality and Social Psychology, 105, 171–192. Oswald, F. L., Mitchell, G., Blanton, H., Jaccard, J., & Tetlock, P. E. (2015). Using the IAT to predict ethnic and racial discrimination: small effect sizes of unknown societal significance. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 562–571. Ott, B. (2007). Investors, take note: engagement boosts earnings. Gallup Management Journal, gmj.gallup.com. Ott, C. H., Lueger, R. J., Kelber, S. T., & Prigerson, H. G. (2007). Spousal bereavement in older adults: common, resilient, and chronic grief with defining characteristics. Journal of Nervous and Mental Disease, 195, 332–341. Ouellette, J. A., & Wood, W. (1998). Habit and intention in everyday life: the multiple processes by which past behavior predicts future behavior. Psychological Bulletin, 124, 54–74. Overall, N. C., Fletcher, G. J. O., Simpson, J. A., & Fillo, J. (2015). Attachment insecurity, biased perceptions of romantic partners’ negative emotions, and hostile relationship behavior. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 730–749. Owen, A. M. (2014). Disorders of consciousness: diagnostic accuracy of brain imaging in the vegetative state. Nature Review: Neurology, 10, 370–371. Owen, A. M., Coleman, M. R., Boly, M., Davis, M. H., Laureys, S., & Pickard, J. D. (2006). Detecting awareness in the vegetative state. Science, 313, 1402. Owen, R. (1993). First essay in New view of society or the formation of character. Quoted in The story of New Lamark (S. A-8). New Lamark Mills: New Lamark Conservation Trust. Oxfam (2005). Three months on: New figures show tsunami may have killed up to four times as many women as men (S. 159). Oxfam Press. oxfam.org .uk
Literatur
Özçaliskan, S., Lucero, C., & Goldin-Meadow, S. (2016). Is seeing gesture necessary to gesture like a native speaker? Psychological Science, 27, 737–747. Ozer, E. J., Best, S. R., Lipsey, T. L., & Weiss, D. S. (2003). Predictors of posttraumatic stress disorder and symptoms in adults: a metaanalysis. Psychological Bulletin, 1, 52–73. Ozer, E. J., & Weiss, D. S. (2004). Who develops posttraumatic stress disorder? Current Directions in Psychological Science, 13, 169–172. Özgen, E. (2004). Language, learning, and color perception. Current Directions in Psychological Science, 13, 95–98. Pace-Schott, E. F., Germain, A., & Milad, M. R. (2015). Effects of sleep on memory for conditioned fear and fear extinction. Psychological Bulletin, 141, 835–857. Pace-Schott, E. P., & Spencer, R. M. C. (2011). Age-related changes in the cognitive function of sleep. Progress in Brain Research, 191, 75–89. Padgett, V. R. (1989). Predicting organizational violence: an application of 11 powerful principles of obedience. Paper presented to the American Psychological Association convention. (S. 488). Page, S. E. (2007). The difference: how the power of diversity creates better groups, firms, schools, and societies (S. 495). Princeton: Princeton University Press. Palejwala, M. H., & Fine, J. G. (2015). Gender differences in latent cognitive abilities in children aged 2 to 7. Intelligence, 48, 96–108. Palladino, J. J., & Carducci, B. J. (1983). “Things that go bump in the night”: Students’ knowledge of sleep and dreams. Paper presented at the meeting of the Southeastern Psychological Association. (S. 96). Palmer, D. C. (1989). A behavioral interpretation of memory. In L. J. Hayes (Hrsg.), Dialogues on verbal behavior: the first international institute on verbal relations (S. 261–279). Reno: Context Press. Palmer, S., Schreiber, C., & Box, C. (1991). Remembering the earthquake: “Flashbulb” memory for experienced vs. reported events. Paper presented to the Psychonomic Society convention. (S. 309). Palmese, L. B., DeGeorge, P. C., Ratliff, J. C., Srihari, V. H., Wexler, B. E., Krystal, A. D., & Tek, C. (2011). Insomnia is frequent in schizophrenia and associated with night eating and obesity. Schizophrenia Research, 133, 238–243. Palomar-García, M. Á., Bueichekú, E., Ávila, C., Sanjuán, A., Strijkers, K., Ventura-Campos, N., & Costa, A. (2015). Do bilinguals show neural differences with monolinguals when processing their native language? Brain and Language, 142, 36–44. Palombo, D. J., McKinnon, M. C., McIntosh, A. R., Anderson, A. K., Todd, R. M., & Levine, B. (2015). The neural correlates of memory for a life-threatening event: An fMRI study of passengers from Flight AT236. Clinical Psychological Science, 4, 67. Pan, S. C., Pashler, H., Potter, Z. E., & Rickard, T. C. (2015). Testing enhances learning across a range of episodic memory abilities. Journal of Memory and Language, 83, 53–61. Pandey, J., Sinha, Y., Prakash, A., & Tripathi, R. C. (1982). Right-left political ideologies and attribution of the causes of poverty. European Journal of Social Psychology, 12, 327–331. Pänkäläinen, M., Kerola, T., Kampman, O., Kauppi, M., & Hintikka, J. (2016). Pessimism and risk of death from coronary heart disease among middle-aged and older Finns: An eleven-year follow-up study. BMC Public Health, 16, 1124. Panksepp, J. (2007). Neurologizing the psychology of affects: how appraisal-based constructivism and basic emotion theory can coexist. Perspectives on Psychological Science, 2, 281–295. Pantev, C., Oostenveld, R., Engelien, A., Ross, B., Roberts, L. R., & Hoke, M. (1998). Increased auditory cortical representation in musicians. Nature, 392, 811–814. Panzarella, C., Alloy, L. B., & Whitehouse, W. G. (2006). Expanded hopelessness theory of depression: on the mechanisms by which social support protects against depression. Cognitive Theory and Research, 30, 307–333. Paolini, S., Harwood, J., Rubin, M., Husnu, S., Joyce, N., & Hewstone, M. (2014). Positive and extensive intergroup contact in the past
911
buffers against the disproportionate impact of negative contact in the present. European Journal of Social Psychology, 44, 548–562. Pardini, D. A., Raine, A., Erickson, K., & Loeber, R. (2014). Lower amygdala volume in men is associated with childhood aggression, early psychopathic traits, and future violence. Biological Psychiatry, 75, 73–80. Park, C. L., Riley, K. E., & Snyder, L. B. (2012). Meaning making coping, making sense, and post-traumatic growth following the 9/11 terrorist attacks. The Journal of Positive Psychology, 7, 198–207. Park, D. C., & McDonough, I. M. (2013). The dynamic aging mind: revelations from functional neuroimaging research. Perspectives on Psychological Science, 8, 62–67. Park, G., Lubinski, D., & Benbow, C. P. (2008). Ability differences among people who have commensurate degrees matter for scientific creativity. Psychological Science, 19, 957–961. Park, G., Schwartz, H. A., Eichstaedt, J. C., Kern, M. L., Kosinski, M., Stillwell, D. J., & Seligman, M. E. P. (2015). Automatic personality assessment through social media language. Journal of Personality and Social Psychology, 108, 934–952. Park, G., Yaden, D. R., Schwartz, H. A., Kern, M. L., Eichstaedt, J. C., Kosinski, M., & Seligman, M. E. P. (2016). Women are warmer but no less assertive than men: gender and language on Facebook. PLoS ONE. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0155885. Parker, C. P., Baltes, B. B., Young, S. A., Huff, J. W., Altmann, R. A., LaCost, H. A., & Roberts, J. E. (2003). Relationships between psychological climate perceptions and work outcomes: a meta-analytic review. Journal of Organizational Behavior, 24, 389–416. Parker, E. S., Cahill, L., & McGaugh, J. L. (2006). A case of unusual autobiographical remembering. Neurocase, 12, 35–49. Parker, K., & Wang, W. (2013). Modern parenthood. Pew Research Center, Social & Demographic Trends. pewsocialtrends.org/2013/03/14/ modern-parenthood-roles-of-moms-and-dads-converge-as-theybalance-work-and-family pp. 154, 162. Parkes, A., Wight, D., Hunt, K., Henderson, M., & Sargent, J. (2013). Are sexual media exposure, parental restrictions on media use and co-viewing TV and DVDs with parents and friends associated with teenagers’ early sexual behaviour? Journal of Adolescence, 36, 1121–1133. Parkinson, J., & Haggard, P. (2015). Choosing to stop: Responses evoked by externally triggered and internally generated inhibition identify a neural mechanism of will. Journal of Cognitive Neuroscience, 27, 1948–1956. Parnia, S., Spearpoint, K., de Vos, G., Fenwick, P., Goldberg, D., Yang, J., & Wood, M. (2014). AWARE—AWAreness during REsuscitation—A prospective study. Resuscitation, 85, 1799–1805. Parsaik, A. K., Mascarenhas, S. S., Hashmi, A., Prokop, L. J., John, V., Okusaga, O., & Singh, B. (2016). Role of botulinum toxin in depression. Journal of Psychiatric Practice, 22, 99–110. Parsons, T. D., & Rizzo, A. A. (2008). Affective outcomes of virtual reality exposure therapy for anxiety and specific phobias: a metaanalysis. Journal of Behavior Therapy and Experimental Psychiatry, 39, 250–261. Partanen, E., Kujala, T., Näätänen, R., Liitola, A., Sambeth, A., & Huotilainen, M. (2013). Learning-induced neural plasticity of speech processing before birth. PNAS, 110, 15145–15150. Parthasarathy, S., Vasquez, M. M., Halonen, M., Bootzin, R., Quan, S. F., Martinez, F. D., & Guerra, S. (2015). Persistent insomnia is associated with mortality risk. American Journal of Medicine, 128, 268–275. Paşca, A. M., Sloan, S. A., Clarke, L. E., Tian, Y., Makinson, C. D., Huber, N., & Smith, S. J. (2015). Functional cortical neurons and astrocytes from human pluripotent stem cells in 3D culture. Nature Methods, 12, 671–678. Pascoe, E. A., & Richman, L. S. (2009). Perceived discrimination and health: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 135, 531– 554.
912
Literatur
Passell, P. (1993, March 9). Like a new drug, social programs are put to the test. The New York Times, pp. C1, C10. Patall, E. A., Cooper, H., & Wynn, S. R. (2010) The effectiveness and relative importance of choice in the classroom. Journal of Educational Psychology, 102, 896–915. Patihis, L. (2016). Individual differences and correlates of highly superior autobiographical memory. Memory, 24, 961–978. Patihis, L., Ho, L. Y., Tingen, I. W., Lilienfeld, S. O., & Loftus, E. F. (2014a). Are the “memory wars” over? A scientist-practitioner gap in beliefs about repressed memory. Psychological Science, 25, 519–530. Patihis, L., Lilienfeld, S. O., Ho, L. Y., & Loftus, E. F. (2014b). Unconscious repressed memory is scientifically questionable. Psychological Science, 25, 1967–1968. Patten, S. B., Williams, J. V. A., Lavorato, D. H., Wang, J. L., Bulloch, A. G. M., & Sajobi, T. (2016). The association between major depression prevalence and sex becomes weaker with age. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 51, 203–210. Patterson, F. (1978). Conversations with a gorilla. National Geographic. Patterson, G. R., Chamberlain, P., & Reid, J. B. (1982). A comparative evaluation of parent training procedures. Behavior Therapy, 13, 638–650. Patterson, M., Warr, P., & West, M. (2004). Organizational climate and company productivity: the role of employee affect and employee level. Journal of Occupational and Organizational Psychology, 77, 193–216. Patterson, R. (1951). The riddle of Emily Dickinson (S. 589). Boston: Houghton Mifflin. Pauker, K., Weisbuch, M., Ambady, N., Sommers, S. R., Adams Jr., R. B., & Ivcevic, Z. (2009). Not so black and white: memory for ambiguous group members. Journal of Personality and Social Psychology, 96, 795–810. Paulesu, E., Démonet, J.-F., Fazio, F., McCrory, E., Chanoine, V., Brunswick, N., & Frith, U. (2001). Dyslexia: cultural diversity and biological unity. Science, 291, 2165–2167. Pauly, K., Finkelmeyer, A., Schneider, F., & Habel, U. (2013). The neural correlates of positive self-evaluation and self-related memory. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 8, 878–886. Paunesku, D., Walton, G. M., Romero, C., Smith, E. N., Yeager, D. S., & Dweck, C. S. (2015). Mind-set interventions are a scalable treatment for academic underachievement. Psychological Science, 26, 784–793. Paus, T., Zijdenbos, A., Worsley, K., Collins, D. L., Blumenthal, J., Giedd, J. N., & Evans, A. C. (1999). Structural maturation of neural pathways in children and adolescents: In vivo study. Science, 283, 1908–1911. Pavlenko, A. (2014). The bilingual mind and what it tells us about language and thought (S. 354). New York: Cambridge University Press. Pavlov, I. (1927). Conditioned reflexes: an investigation of the physiological activity of the cerebral cortex (S. 264, 268). Oxford: Oxford University Press. Payne, B. K. (2006). Weapon bias: split-second decisions and unintended stereotyping. Current Directions in Psychological Science, 15, 287–291. Payne, B. K., & Corrigan, E. (2007). Emotional constraints on intentional forgetting. Journal of Experimental Social Psychology, 43, 780–786. Payne, B. K., Krosnick, J. A., Pasek, J., Lelkes, Y., Akhtar, O., & Tompson, T. (2010). Implicit and explicit prejudice in the 2008 American presidential election. Journal of Experimental Social Psychology, 46, 367–374. Pearce, M. J., Koenig, H. G., Robins, C. J., Nelson, B., Shaw, S. F., Cohen, H. J., & King, M. B. (2015). Religiously integrated cognitive behavioral therapy: A new method of treatment for major depression in patients with chronic medical illness. Psychotherapy, 52, 56–66.
Peck, E. (2015, April 29). Harvard Business School launches new effort to attract women. Huffington Post (huffingtonpost.com). (p. 154) Peckham, A. D., McHugh, R. K., & Otto, M. W. (2010). A meta-analysis of the magnitude of biased attention in depression. Depression and Anxiety, 27, 1135–1142. Pedersen, A., Zachariae, R., & Bovbjerg, D. H. (2010). Influence of psychological stress on upper respiratory infection—A meta-analysis of prospective studies. Psychosomatic Medicine, 72, 823–832. Pedersen, N. L., Plomin, R., McClearn, G. E., & Friberg, L. (1988). Neuroticism, extraversion, and related traits in adult twins reared apart and reared together. Journal of Personality and Social Psychology, 55, 950–957. Peigneux, P., Laureys, S., Fuchs, S., Collette, F., Perrin, F., Reggers, J., & Maquet, P. (2004). Are spatial memories strengthened in the human hippocampus during slow wave sleep? Neuron, 44, 535–545. Pelham, B., & Crabtree, S. Worldwide, highly religious more likely to help others. Gallup Poll. gallup.com (Erstellt: 8. Okt. 2008). Pelham, B. W. (1993). On the highly positive thoughts of the highly depressed. In R. F. Baumeister (Hrsg.), Self-esteem: the puzzle of low self-regard (S. 556). New York: Plenum. Pelham, B. W. About one in six Americans report history of depression. Gallup. gallup.com (Erstellt: 22. Okt. 2009). Pelham, W. E., Burrows-MacLean, L., Gnagy, E. M., Fabiano, G. A., Coles, E. K., Wymbs, B. T., Chako, A., Walker, K. S., Wymbs, F., Garefino, A., Hoffman, M. T., Waxmonsky, J. G., & Waschbusch, D. A. (2014). A dose-ranging study of behavioral and pharmacological treatment in social settings for children with ADHD. Journal of Abnormal Child Psychology, 42, 1019–1031. Pelham Jr., W. E., Fabiano, G. A., Waxmonsky, J. G., Greiner, A. R., Gnagy, E. M., Pelham, W. E., & Murphy, S. A. (2016). Treatment sequencing for childhood ADHD: A multiple-randomization study of adaptive medication and behavioral interventions. Journal of Clinical Child and Adolescent Psychology, 45, 396–415. Pennebaker, J. W. (1985). Traumatic experience and psychosomatic disease: exploring the roles of behavioral inhibition, obsession, and confiding. Canadian Psychology, 26, 82–95. Pennebaker, J. W. (1990). Opening up: the healing power of confiding in others (S. 468, 536). New York: William Morrow. Pennebaker, J. W. (2011). The secret life of pronouns: what our words say about us (S. 549). New York: Bloomsbury Press. Pennebaker, J. W., Barger, S. D., & Tiebout, J. (1989). Disclosure of traumas and health among Holocaust survivors. Psychosomatic Medicine, 51, 577–589. Pennebaker, J. W., Gosling, S. D., & Ferrell, J. D. (2013). Daily online testing in large classes: boosting college performance while reducing achievement gaps. PLoS ONE, 8, e79774. Pennebaker, J. W., & O’Heeron, R. C. (1984). Confiding in others and illness rate among spouses of suicide and accidental death victims. Journal of Abnormal Psychology, 93, 473–476. Pennisi, E. (2016). The power of personality. Science, 352, 644–647. Peplau, L. A., & Fingerhut, A. W. (2007). The close relationships of lesbians and gay men. Annual Review of Psychology, 58, 405–424. Pepler, D., & Craig, W. (2012). Health development depends on healthy relationships. Paper prepared for the Division of Childhood and Adolescence. (S. 198). Centre for Health Promotion, Public Health Agency of Canada. PREVNet and York University, https:// youthdatingviolence.prevnet.ca/wp-content/uploads/2020/01/ydvhealthy-relationships-paper-en.pdf Pepperberg, I. M. (2009). Alex & me: How a scientist and a parrot discovered a hidden world of animal intelligence—and formed a deep bond in the process (S. 342). New York: Harper. Pepperberg, I. M. (2012). Further evidence for addition and numerical competence by a grey parrot (Psittacus erithacus). Animal Cognition, 15, 711–717. Pepperberg, I. M. (2013). Abstract concepts: data from a grey parrot. Behavioural Processes, 93, 82–90.
Literatur
Pereg, D., Gow, R., Mosseri, M., Lishner, M., Rieder, M., Van Uum, S., & Koren, G. (2011). Hair cortisol and the risk for acute myocardial infarction in adult men. Stress, 14, 73–81. Pereira, A. C., Huddleston, D. E., Brickman, A. M., Sosunov, A. A., Hen, R., McKhann, G. M., & Small, S. A. (2007). An in vivo correlate of exercise-induced neurogenesis in the adult dentate gyrus. PNAS, 104, 5638–5643. Pereira, G. M., & Osburn, H. G. (2007). Effects of participation in decision making on performance and employee attitudes: a quality circles meta-analysis. Journal of Business Psychology, 22, 145–153. Pergamin-Hight, L., Bakermans-Kranenburg, M. J., van IJzendoorn, M. H., & Bar-Haim, Y. (2012). Variations in the promoter region of the serotonin transporter gene and biased attention for emotional information: a meta-analysis. Biological Psychiatry, 71, 373–379. Pergamin-Hight, L., Naim, R., Bakermans-Kranenburg, M. J., van IJzendoorn, M. H., & Bar-Haim, Y. (2015). Content specificity of attention bias to threat in anxiety disorders: a meta-analysis. Clinical Psychology Review, 35, 10–18. Perilloux, C., Easton, J. A., & Buss, D. M. (2012). The misperception of sexual interest. Psychological Science, 23, 146–151. Perilloux, H. K., Webster, G. D., & Gaulin, S. J. (2010). Signals of genetic quality and maternal investment capacity: The dynamic effects of fluctuating asymmetry and waist-to-hip ratio on men’s ratings of women’s attractiveness. Social Psychology and Personality Science, 1, 34–42. Perkins, A., & Fitzgerald, J. A. (1997). Sexual orientation in domestic rams: some biological and social correlates. In L. Ellis & L. Ebertz (Hrsg.), Sexual orientation: toward biological understanding (S. 412). Westport: Praeger Publishers. Perkins, A. M., Inchley-Mort, S. L., Pickering, A. D., Corr, P. J., & Burgess, A. P. (2012). A facial expression for anxiety. Journal of Personality and Social Psychology, 102, 910–924. Perkinson-Gloor, N., Lemola, S., & Grob, A. (2013). Sleep duration, positive attitude toward life, and academic achievement: The role of daytime tiredness, behavioral persistence, and school start times. Journal of Adolescence, 36, 311–318. Perrachione, T. K., Del Tufo, S. N., & Gabrieli, J. D. E. (2011). Human voice recognition depends on language ability. Science, 333, 595. Perrett, D. Perception laboratory, Department of Psychology, University of St. Andrews, Scotland. perception.st-and.ac.uk (Erstellt: 1. Okt. 2002). Perrett, D. (2010). In your face: the new science of human attraction (S. 514). New York: Palgrave Macmillan. Perrett, D. I., Harries, M., Mistlin, A. J., & Chitty, A. J. (1990). Three stages in the classification of body movements by visual neurons. In H. Barlow, C. Blakemore & M. Weston-Smith (Hrsg.), Images and understanding (S. 94–108). Cambridge: Cambridge University Press. Perrett, D. I., Hietanen, J. K., Oram, M. W., & Benson, P. J. (1992). Organization and functions of cells responsive to faces in the temporal cortex. Philosophical Transactions of the Royal Society of London: Series B, 335, 23–30. Perrett, D. I., May, K. A., & Yoshikawa, S. (1994). Facial shape and judgments of female attractiveness. Nature, 368, 239–242. Perry, G. (2013). Behind the shock machine: the untold story of the notorious Milgram psychology experiments (S. 488). New York: New Press. Perry, J. R. B., Day, F., Elks, C. E., Sulem, P., Thompson, D. J., Ferreira, T., et al. (2014). Parent-of-specific allelic associations among 106 genomic loci for age at menarche. Nature, 514, 92–97. Person, C., Tracy, M., & Galea, S. (2006). Risk factors for depression after a disaster. Journal of Nervous and Mental Disease, 194, 659– 666. Pert, C. B. (1986). Quoted. In J. Hooper & D. Teresi (Hrsg.), The threepound universe (S. 71). New York: Macmillan.
913
Pert, C. B., & Snyder, S. H. (1973). Opiate receptor: Demonstration in nervous tissue. Science, 179, 1011–1014. Perugini, E. M., Kirsch, I., Allen, S. T., Coldwell, E., Meredith, J., Montgomery, G. H., & Sheehan, J. (1998). Surreptitious observation of responses to hypnotically suggested hallucinations: A test of the compliance hypothesis. International Journal of Clinical and Experimental Hypnosis, 46, 191–203. Peschel, E. R., & Peschel, R. E. (1987). Medical insights into the castrati in opera. American Scientist, 75, 578–583. Pescosolido, B. A., Martin, J. K., Long, J. S., Medina, T. R., Phelan, J. C., & Link, B. G. (2010). “A disease like any other?” A decade of change in public reactions to schizophrenia, depression, and alcohol dependence. American Journal of Psychiatry, 167, 1321–1330. Pesko, M. F. (2014). Stress and smoking: associations with terrorism and causal impact. Contemporary Economic Policy, 32, 351–371. Peter, C. J., Fischer, L. K., Kundakovic, M., Garg, P., Jakovcevski, M., Dincer, A., & Akbarian, S. (2016). DNA methylation signatures of early childhood malnutrition associated with impairments in attention and cognition. Biological Psychiatry, 80, 765–774. Peter, J., & Valkenburg, P. M. (2016). Adolescents and pornography: A review of 20 years of research. Journal of Sex Research, 53, 509–531. Petermann, F. (2013) Lehrbuch der klinischen Kinderpsychologie. Gottingen: Hogrefe. Peters, K., & Kashima, Y. (2015). A multimodal theory of affect diffusion. Psychological Bulletin, 141, 966–992. Peters, M., Rhodes, G., & Simmons, L. W. (2007). Contributions of the face and body to overall attractiveness. Animal Behaviour, 73, 937–942. Peters, T. J., & Waterman, R. H. Jr. (1982). In search of excellence: Lessons from America’s best-run companies (S. 281). New York: Harper & Row. Petersen, J. L., & Hyde, J. S. (2010). A meta-analytic review of research on gender differences in sexuality, 1993–2007. Psychological Bulletin, 136, 21–38. Petersen, J. L., & Hyde, J. S. (2011). Gender differences in sexual attitudes and behaviors: a review of meta-analytic results and large datasets. Journal of Sex Research, 48, 149–165. Peterson, C., & Barrett, L. C. (1987). Explanatory style and academic performance among university freshmen. Journal of Personality and Social Psychology, 53, 603–607. Peterson, C., Peterson, J., & Skevington, S. (1986). Heated argument and adolescent development. Journal of Social and Personal Relationships, 3, 229–240. Peterson, C. C., & Siegal, M. (1999). Representing inner worlds: theory of mind in autistic, deaf, and normal hearing children. Psychological Science, 10, 126–129. Peterson, C. K., & Harmon-Jones, E. (2012). Anger and testosterone: Evidence that situationally-induced anger relates to situationallyinduced testosterone. Emotion, 12, 899–902. Peterson, L. R., & Peterson, M. J. (1959). Short-term retention of individual verbal items. Journal of Experimental Psychology, 58, 193–198. Petitto, L. A., & Marentette, P. F. (1991). Babbling in the manual mode: evidence for the ontogeny of language. Science, 251, 1493–1496. Pettegrew, J. W., Keshavan, M. S., & Minshew, N. J. (1993). 31P nuclear magnetic resonance spectroscopy: Neurodevelopment and schizophrenia. Schizophrenia Bulletin, 19, 35–53. Petticrew, M., Bell, R., & Hunter, D. (2002). Influence of psychological coping on survival and recurrence in people with cancer: Systematic review. British Medical Journal, 325, 1066. Petticrew, M., Fraser, J. M., & Regan, M. F. (1999). Adverse life events and risk of breast cancer: a meta-analysis. British Journal of Health Psychology, 4, 1–17. Pettigrew, T. F., & Tropp, L. R. (2011). When groups meet: the dynamics of intergroup contact (S. 523). New York: Psychology Press.
914
Literatur
Pew (2007). Modern marriage: “I like hugs. I like kisses. But what I really love is help with the dishes.” (S. 516). Pew Research Center. pewresearch.org Pew (2009). Social isolation and new technology: how the Internet and mobile phones impact americans’ social networks (S. 421). Pew Research Center. pewresearch.org Pew (2010). Gender equality universally embraced, but inequalities acknowledged (S. 160). Pew Research Center Publications. pewresearch.org Pew (2011). 17 % and 61 %—Texting, talking on the phone and driving (S. 90). Pew Research Center. pewresearch.org Pew (2012). Section 8: Values about immigration and race (S. 498). Pew Research Center for the People & the Press. people-press.org Pew (2013b). The global divide on homosexuality (S. 409, 523). Pew Research Center. Global Attitudes Project (pewglobal.org) Pew (2013c). A survey of LGBT Americans (S. 500). Pew Research Center. SDT_LGBT-Americans_06-2013.pdf Pew (2014a). Climate change: Key data points from Pew Research (S. 334). (pewresearch.org): Pew Research Center. Pew (2014b). Global views of morality (S. 407, 500). Pew Research Center. Global Attitudes Project (pewglobal.org) Pew (2015). Raising kids and running a household: How working parents share the load (S. 154). Pew Research Center. pewsocialtrends.org Pew (2016). Where the public stands on religious liberty vs. nondiscrimination (S. 523). Pew Forum (pewforum.org). Pew (2017). nternet/Broadband technology fact sheet (S. 373). Pew Research Center. pewinternet.org /fact-sheet/internet-broadband/ Pfaff, L. A., Boatwright, K. J., Potthoff, A. L., Finan, C., Ulrey, L. A., & Huber, D. M. (2013). Perceptions of women and men leaders following 360-degree feedback evaluations. Performance Improvement Quarterly, 26, 35–56. Pfaus, J. G., Kippin, T. E., Coria-Avila, G., Gelez, H., Afonso, V. M., Ismail, N., & Parada, M. (2012). Who, what, where, when (and maybe even why)? How the experience of sexual reward connects sexual desire, preference, and performance. Archives of Sexual Behavior, 41, 31–62. Phelps, J. A., Davis, J. O., & Schartz, K. M. (1997). Nature, nurture, and twin research strategies. Current Directions in Psychological Science, 6, 117–120. Philbeck, J. W., & Witt, J. K. (2015). Action-specific influences on perception and postperceptual processes: present controversies and future directions. Psychological Bulletin, 141, 1120–1144. Morris, P. (2003). Philip Morris USA youth smoking prevention. Teenage attitudes and behavior study, 2002. Raising kids who don’t smoke, 1(2), 124. Phillips, A. C., Batty, G. D., Gale, C. R., Deary, I. J., Osborn, D., MacIntyre, K., & Carroll, D. (2009). Generalized anxiety disorder, major depressive disorder, and their comorbidity as predictors of all-cause and cardiovascular mortality: the Vietnam Experience Study. Psychosomatic Medicine, 71, 395–403. Phillips, A. L. (2011). A walk in the woods. American Scientist, 69, 301–302. Phillips, D. P. (1985). Natural experiments on the effects of mass media violence on fatal aggression: strengths and weaknesses of a new approach. In L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in experimental social psychology (Bd. 19, S. 485). Orlando: Academic Press. Phillips, D. P., Carstensen, L. L., & Paight, D. J. (1989). Effects of mass media news stories on suicide, with new evidence on the role of story content. In D. R. Pfeffer (Hrsg.), Suicide among youth: perspectives on risk and prevention (S. 485). Washington, DC: American Psychiatric Press. Phillips, J. L. (1969). Origins of intellect: Piaget’s theory (S. 177). San Francisco: Freeman. Phillips, W. J., Fletcher, J. M., Marks, A. D. G., & Hine, D. W. (2016). Thinking styles and decision making: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 142, 260–290.
Piaget, J. (1930). The child’s conception of physical causality (S. 175). London: Routledge & Kegan Paul. Piaget, J. (1932). The moral judgment of the child (S. 194). New York: Harcourt, Brace & World. Pianta, R. C., Barnett, W. S., Burchinal, M., & Thornburg, K. R. (2009). The effects of preschool education: what we know, how public policy is or is not aligned with the evidence base, and what we need to know. Psychological Science in the Public Interest, 10, 49–88. Piazza, J. R., Charles, S. T., Silwinski, M. J., Mogle, J., & Almeida, D. M. (2013). Affective reactivity to daily stressors and long-term risk of reporting a chronic health condition. Annals of Behavioral Medicine, 45, 110–120. Picardi, A., Fagnani, C., Nisticò, L., & Stazi, M. A. (2011). A twin study of attachment style in young adults. Journal of Personality, 79, 965–992. Picchioni, M. M., & Murray, R. M. (2007). Schizophrenia. British Medical Journal, 335, 91–95. Picci, G., Gotts, S. J., & Scherf, K. S. (2016). A theoretical rut: revisiting and critically evaluating the generalized under/over-connectivity hypothesis of autism. Developmental Science, 19, 524–549. Piekarski, D. J., Routman, D. M., Schoomer, E. E., Driscoll, J. R., Park, J. H., Butler, M. P., & Zucker, I. (2009). Infrequent low dose testosterone treatment maintains male sexual behavior in Syrian hamsters. Hormones and Behavior, 55, 182–189. Pierce, L. J., Klein, D., Chen, J., Delcenserie, A., & Genesee, F. (2014). Mapping the unconscious maintenance of a lost first language. PNAS, 111, 17314–17319. Pietschnig, J., & Voracek, M. (2015). One century of global IQ gains: a formal meta-analysis of the Flynn effect (1909–2013). Perspectives on Psychological Science, 10, 282–306. Piliavin, J. A. (2003). Doing well by doing good: benefits for the benefactor. In C. L. M. Keyes & J. Haidt (Hrsg.), Flourishing: positive psychology and the life well-lived (S. 196). Washington, DC: American Psychological Association. Pillemer, D. (1998). Momentous events, vivid memories (S. 205). Cambridge: Harvard University Press. Pillemer, D. B., Ivcevic, Z., Gooze, R. A., & Collins, K. A. (2007). Selfesteem memories: feeling good about achievement success, feeling bad about relationship distress. Personality and Social Psychology Bulletin, 33, 1292–1305. Pilley, J. W. (2013). Chaser: Unlocking the genius of the dog who knows a thousand words (S. 353). Boston: Houghton Mifflin. Pinker, S. (1990). Quoted by J. de Cuevas, “No, she holded them loosely.”. Harvard Magazine, https://www.harvardmagazine.com/. Pinker, S. (1995). The language instinct. The General Psychologist, 31, 63–65. Pinker, S. (1998). Words and rules. Lingua, 106, 219–242. Pinker, S. (2002). A biological understanding of human nature: a talk with Steven Pinker. The Edge Third Culture Mail List, edge.org. Pinker, S. (2005). The science of gender and science: A conversation with Elizabeth Spelke. Harvard University. The Edge, edge.org. Pinker, S. (2007). The stuff of thought (S. 355). New York: Viking. Pinker, S. (2008). The sexual paradox: men, women, and the real gender gap (S. 154). New York: Scribner. Pinker, S. (2010, June 10). Mind over mass media. The New York Times, A31. Pinker, S. (2011). A history of violence. The Edge, edge.org. Pinker, S. (2014). The village effect: why face-to-face contact matters (S. 421). Toronto: Random House Canada. Pinker, S. (2015). The trauma of residential schools is passed down through the generations. The Globe and Mail, globeandmail.com. Pinkham, A. E., Griffin, M., Baron, R., Sasson, N. J., & Gur, R. C. (2010). The face in the crowd effect: anger superiority when using real faces and multiple identities. Emotion, 10, 141–146. Pinquart, M. (2015). Associations of parenting styles and dimensions with academic achievement in children and adolescents: a meta-
Literatur
analysis. Educational Psychology Review, 1–19, 190. https://doi. org/10.1007/s10648-015-9338-y. Pereira, P. S. M., Geoffroy, M., & Power, C. (2014). Depressive symptoms and physical activity during 3 decades in adult life: bidirectional associations in a prospective cohort study. JAMA Psychiatry, 71, 1373–1380. Piore, A. (2011). Silent warrior. Discover. Pipe, M.-E., Lamb, M. E., Orbach, Y., & Esplin, P. W. (2004). Recent research on children’s testimony about experienced and witnessed events. Developmental Review, 24, 440–468. Pipher, M. (2002). The middle of everywhere: the world’s refugees come to our town (S. 419, 452). New York: Harcourt Brace. Pitcher, D., Walsh, V., Yovel, G., & Duchaine, B. (2007). TMS evidence for the involvement of the right occipital face area in early face processing. Current Biology, 17, 1568–1573. Pitman, R. K., & Delahanty, D. L. (2005). Conceptually driven pharmacologic approaches to acute trauma. CNS Spectrums, 10, 99–106. Pitman, R. K., Sanders, K. M., Zusman, R. M., Healy, A. R., Cheema, F., Lasko, N. B., & Orr, S. P. (2002). Pilot study of secondary prevention of posttraumatic stress disorder with propranolol. Biological Psychiatry, 51, 189–192. Pittenger, D. J. (1993). The utility of the Myers-Briggs Type Indicator. Review of Educational Research, 63, 467–488. Pittinsky, T. L., & Diamante, N. (2015). Global bystander nonintervention. Peace and Conflict: Journal of Peace Psychology, 21, 226–247. Place, S. S., Todd, P. M., Penke, L., & Asendorph, J. B. (2009). The ability to judge the romantic interest of others. Psychological Science, 20, 22–26. Plant, E. A., & Peruche, B. M. (2005). The consequences of race for police officers’ responses to criminal suspects. Psychological Science, 16, 180–183. Plassmann, H., O’Doherty, J., Shiv, B., & Rangel, A. (2008). Marketing actions can modulate neural representations of experienced pleasantness. PNAS, 105, 1050–1054. Platek, S. M., & Singh, D. (2010). Optimal waist-to-hip ratios in women activate neural reward centers in men. PLoS ONE, 5, e9042. https://doi.org/10.1371/journal.pone.0009042. Pliner, P. (1982). The effects of mere exposure on liking for edible substances. Appetite: Journal for Intake Research, 3, 283–290. Pliner, P., Pelchat, M., & Grabski, M. (1993). Reduction of neophobia in humans by exposure to novel foods. Appetite, 20, 111–123. Plomin, R. (1999). Genetics and general cognitive ability. Nature, 402, C25–C29. Plomin, R. (2011). Why are children in the same family so different? Nonshared environment three decades later. International Journal of Epidemiology, 40, 582–592. Plomin, R., & Bergeman, C. S. (1991). The nature of nurture: genetic influence on “environmental” measures. Behavioral and Brain Sciences, 14, 373–427. Plomin, R., & Daniels, D. (1987). Why are children in the same family so different from one another? Behavioral and Brain Sciences, 10, 1–60. Plomin, R., & DeFries, J. C. (1998). The genetics of cognitive abilities and disabilities. Scientific American, 278, 62–69. Plomin, R., DeFries, J. C., Knopik, V. S., & Neiderhiser, J. M. (2016). Top 10 replicated findings from behavioral genetics. Perspectives on Psychological Science, 11, 3–23. Plomin, R., DeFries, J. C., McClearn, G. E., & Rutter, M. (1997). Behavioral genetics (S. 138, 401, 596). New York: Freeman. Plomin, R., McClearn, G. E., Pedersen, N. L., Nesselroade, J. R., & Bergeman, C. S. (1988). Genetic influence on childhood family environment perceived retrospectively from the last half of the life span. Developmental Psychology, 24, 37–45. Plomin, R., & McGuffin, P. (2003). Psychopathology in the postgenomic era. Annual Review of Psychology, 54, 205–228.
915
Plomin, R., Reiss, D., Hetherington, E. M., & Howe, G. W. (1994). Nature and nurture: genetic contributions to measures of the family environment. Developmental Psychology, 30, 32–43. Plotkin, H. (1994). Darwin machines and the nature of knowledge (S. 585). Cambridge: Harvard University Press. Plous, S., & Herzog, H. A. (2000). Poll shows researchers favor lab animal protection. Science, 290, 711. Pluess, M., & Belsky, J. (2013). Vantage sensitivity: individual differences in response to positive experiences. Psychological Bulletin, 139, 901–916. Poelmans, G., Pauls, D. L., Buitelaar, J. K., & Franke, B. (2011). Integrated genomewide association study findings: identification of a neurodevelopmental network for attention deficit hyperactivity disorder. American Journal of Psychiatry, 168, 365–377. Polanin, J. R., Espelage, D. L., & Pigott, T. D. (2012). A meta-analysis of school-based bully prevention programs’ effects on bystander intervention behavior. School Psychology Review, 41, 47–65. Polderman, T. J. C., Benyamin, B., de Leeuw, C. A., Sullivan, P. F., van Bochoven, A., Visscher, P. M., & Posthuma, D. (2015). Meta-analysis of the heritability of human traits based on fifty years of twin studies. Nature Genetics, 47, 702–709. Poldrack, R. A., Halchenko, Y. O., & Hanson, S. J. (2009). Decoding the large-scale structure of brain function by classifying mental states across individuals. Psychological Science, 20, 1364–1372. Polivy, J., Herman, C. P., & Coelho, J. S. (2008). Caloric restriction in the presence of attractive food cues: external cues, eating, and weight. Physiology and Behavior, 94, 729–733. Pollak, S. D., & Kistler, D. J. (2002). Early experience is associated with the development of categorical representations for facial expressions of emotion. PNAS, 99, 9072–9076. Pollak, S. D., & Tolley-Schell, S. A. (2003). Selective attention to facial emotion in physically abused children. Journal of Abnormal Psychology, 112, 323–328. Pollak, S., Cicchetti, D., & Klorman, R. (1998). Stress, memory, and emotion: developmental considerations from the study of child maltreatment. Developmental Psychopathology, 10, 811–828. Pollard, R. (1992). 100 years in psychology and deafness: a centennial retrospective (S. 352). Washington, DC: American Psychological Association convention. Pollatsek, A., Romoser, M. R. E., & Fisher, D. L. (2012). Identifying and remediating failures of selective attention in older drivers. Current Directions in Psychological Science, 21, 3–7. Pollick, A. S., & de Waal, F. B. M. (2007). Ape gestures and language evolution. PNAS, 104, 8184–8189. Poole, D. A., & Lindsay, D. S. (1995). Interviewing preschoolers: effects of nonsuggestive techniques, parental coaching and leading questions on reports of nonexperienced events. Journal of Experimental Child Psychology, 60, 129–154. Poole, D. A., & Lindsay, D. S. (2001). Children’s eyewitness reports after exposure to misinformation from parents. Journal of Experimental Psychology: Applied, 7, 27–50. Pope Francis (2015). Encyclical Letter Laudato Si’ of the Holy Father Francis on care for our common home (official English-language text of encyclical). w2.vatican.va Pope, D., & Simonsohn, U. (2011). Round numbers as goals: evidence from baseball, SAT takers, and the lab. Psychological Science, 22, 71–79. Poropat, A. E. (2014). Other-rated personality and academic performance: evidence and implications. Learning and Individual Differences, 34, 24–32. Porter, D., & Neuringer, A. (1984). Music discriminations by pigeons. Journal of Experimental Psychology: Animal Behavior Processes, 10, 138–148. Porter, S., Birt, A. R., Yuille, J. C., & Lehman, D. R. (2000). Negotiating false memories: interviewer and rememberer characteristics relate to memory distortion. Psychological Science, 11, 507–510.
916
Literatur
Porter, S., & Peace, K. A. (2007). The scars of memory: a prospective, longitudinal investigation of the consistency of traumatic and positive emotional memories in adulthood. Psychological Science, 18, 435–441. Pössel, P., Rudasill, K. M., Sawyer, M. G., Spence, S. H., & Bjerg, A. C. (2013) Associations between teacher emotional support and depressive symptoms in Australian adolescents: A 5-year longitudinal study. Developmental Psychology, 49, 2135–2146. Poulton, R., Moffitt, T. E., & Silva, P. A. (2015). The Dunedin multidisciplinary health and development study: overview of the first 40 years, with an eye to the future. Social Psychiatry and Psychiatric Epidemiology, 50, 679–693. Poundstone, W. (2014). How to predict the unpredictable. The art of outsmarting almost everyone (S. 23). London: OneWorld. Poushter, J. (2016). Smartphone ownership and Internet usage continues to climb in emerging economies (S. 421). Pew Research Center. pewglobal.org Powell, R. A., & Boer, D. P. (1994). Did Freud mislead patients to confabulate memories of abuse? Psychological Reports, 74, 1283–1298. Powell, R., Digdon, N. A., Harris, B., & Smithson, C. (2014). Correcting the record on Watson, Rayner and Little Albert: Albert Barger as “Psychology’s Lost Boy.”. American Psychologist, 69, 600–611. Power, R. A., Steinberg, S., Bjornsdottir, G., Rietveld, C. A., Abdellaoui, A., Nivard, M. M., & Stefansson, K. (2015). Polygenic risk scores for schizophrenia and bipolar disorder predict creativity. Nature Neuroscience, 18, 953–955. Power, R. A., Tansey, K. E., Buttenschøn, H. N., Cohen-Woods, S., Bigdeli, T., Hall, L. S., & Teumer, A. (2017). Genome-wide association for major depression through age at onset stratification: major depressive disorder working group of the psychiatric genomics consortium. Biological Psychiatry, 81, 325–335. Prather, A. A., Janicki-Deverts, D., Hall, M. H., & Cohen, S. (2015). Behaviorally assessed sleep and susceptibility to the common cold. Sleep, 38, 1353–1359. Preckel, F., Lipnevich, A., Boehme, K., Branderner, L., Georgi, K., Könen, T., & Roberts, R. (2013). Morningness-eveningness and educational outcomes: The lark has an advantage over the owl at high school. British Journal of Educational Psychology, 83, 114–134. Premack, D. G. (2007). Human and animal cognition: Continuity and discontinuity. PNAS, 104, 13861–13867. Premack, D. G., & Woodruff, G. (1978). Does the chimpanzee have a theory of mind? Behavioral and Brain Sciences, 1, 515–526. Prentice, D. A., & Miller, D. T. (1993). Pluralistic ignorance and alcohol use on campus: some consequences of misperceiving the social norm. Journal of Personality and Social Psychology, 64, 243–256. Presley, C. A., Meilman, P. W., & Lyerla, R. (1997). Alcohol and drugs on American college campuses: Issues of violence and harassment (S. 114). Carbondale: Core Institute, Southern Illinois University. Primack, B. A., Shensa, A., Escobar-Viera, C. G., Barrett, E. L., Sidani, J. E., Colditz, J. B., & James, A. E. (2016). Use of multiple social media platforms and symptoms of depression and anxiety: A nationally-representative study among U.S. young adults. Computers in Human Behavior, 69, 1–9. Profet, M. (1992). Pregnancy sickness as adaptation: a deterrent to maternal ingestion of teratogens. In J. H. Barkow, L. Cosmides & J. Tooby (Hrsg.), The adapted mind: Evolutionary psychology and the generation of culture (S. 327–366). New York: Oxford University Press. Proffitt, D. R. (2006a). Embodied perception and the economy of action. Perspectives on Psychological Science, 1, 110–122. Proffitt, D. R. (2006b). Distance perception. Current Directions in Psychological Research, 15, 131–135. Project Match Research Group (1997). Matching alcoholism treatments to client heterogeneity: project MATCH posttreatment drinking outcomes. Journal of Studies on Alcohol, 58, 7–29.
Pronin, E. (2013). When the mind races: effects of thought speed on feeling and action. Current Directions in Psychological Science, 22, 283–288. Pronin, E., Berger, J., & Molouki, S. (2007). Alone in a crowd of sheep: asymmetric perceptions of conformity and their roots in an introspection illusion. Journal of Personality and Social Psychology, 92, 585–595. Pronin, E., & Ross, L. (2006). Temporal differences in trait self-ascription: when the self is seen as another. Journal of Personality and Social Psychology, 90, 197–209. Propper, R. E., Stickgold, R., Keeley, R., & Christman, S. D. (2007). Is television traumatic? Dreams, stress, and media exposure in the aftermath of September 11, 2001. Psychological Science, 18, 334–340. Prot, S., Gentile, D. A., Anderson, C. A., Suzuki, K., Horiuchi, Y., Jelic, M., & Lam, B. C. P. (2014). Long-term relations among prosocial-media use, empathy, and prosocial behavior. Psychological Science, 25, 358–368. Protzko, J., Aronson, J., & Blair, C. (2013). How to make a young child smarter: evidence from the database of raising intelligence. Perspectives on Psychological Science, 8, 25–40. Provine, R. (2012). Curious behavior: Yawning, laughing, hiccupping, and beyond (S. 27, 484). Cambridge: Harvard University Press. Provine, R. R. (2001). Laughter: a scientific investigation (S. 28). New York: Penguin. Provine, R. R., Krosnowski, K. A., & Brocato, N. W. (2009). Tearing: Breakthrough in human emotional signaling. Evolutionary Psychology, 7, 52–56. Pryor, J. H., Hurtado, S., DeAngelo, L., Blake, L. P., & Tran, S. (2011). The American freshman: national norms fall 2010 (S. 155). Los Angeles: UCLA Higher Education Research Institute. Pryor, J. H., Hurtado, S., Saenz, V. B., Korn, J. S., Santos, J. L., & Korn, W. S. (2006). The American freshman: national norms for fall 2006 (S. 587). Los Angeles: UCLA Higher Education Research Institute. Pryor, J. H., Hurtado, S., Saenz, V. B., Lindholm, J. A., Korn, W. S., & Mahoney, K. M. (2005). The American freshman: National norms for Fall 2005 (S. 140). Los Angeles: UCLA Higher Education Research Institute. Pryor, J. H., Hurtado, S., Sharkness, J., & Korn, W. S. (2007). The American freshman: National norms for fall 2007 (S. 155). Los Angeles: UCLA Higher Education Research Institute. Psaltopoulou, T., Sergentanis, T. N., Panagiotakos, D. B., Sergentanis, I. N., Kosti, R., & Scarmeas, N. (2013). Mediterranean diet, stroke, cognitive impairment, and depression: a meta-analysis. Annals of Neurology, 74, 580–591. Psychologist (2003). Who’s the greatest? The Psychologist, 16, 172. PTC (2007). Dying to entertain: Violence on prime time broadcast TV, 1998 to 2006 (S. 292). Parents Television Council. parentstv.org Public Policy Polling (2016). Ryan disliked by Republicans; Trump could hurt down ballot (S. 337). Public Policy Polling. www.publicpolicypolling.com Puhl, R. M., Latner, J. D., O’Brien, K., Luedicke, J., Forhan, M., & Danielsdottir, S. (2015). Cross-national perspectives about weighbased bullying in youth: nature, extent and remedies. Pediatric Obesity, 11, 241–250. Punamäki, R. L., & Joustie, M. (1998). The role of culture, violence, and personal factors affecting dream content. Journal of Cross-Cultural Psychology, 29, 320–342. Puterman, E., Gemmill, A., Karasek, D., Weir, D., Adler, N. E., Prather, A. A., & Epel, E. S. (2016). Lifespan adversity and later adulthood telomere length in the nationally representative U.S. Health and Retirement Study. PNAS, 113, E6335–E6342. Putnam, F. W. (1991). Recent research on multiple personality disorder. Psychiatric Clinics of North America, 14, 489–502. Putnam, R. (2000). Bowling alone (S. 148). New York: Simon and Schuster.
Literatur
Puttonen, S., Kivimäki, M., Elovainio, M., Pulkki-Råback, L., Hintsanen, M., Vahtera, J., & Keltikangas-Järvinen, L. (2009). Shift work in young adults and carotid artery intima-media thickness: the Cardiovascular Risk in Young Finns study. Atherosclerosis, 205, 608–613. Pyszczynski, T. A., Motyl, M., Vail, K. E. I., Hirschberger II, G., Arndt, J., & Kesebir, P. (2012). Drawing attention to global climate change decreases support for war. Peace and Conflict: Journal of Peace Psychology, 18, 354–368. Pyszczynski, T. A., Rothschild, Z., & Abdollahi, A. (2008). Terrorism, violence, and hope for peace: a terror management perspective. Current Directions in Psychological Science, 17, 318–322. Pyszczynski, T. A., Solomon, S., & Greenberg, J. (2002). In the wake of 9/11: the psychology of terror (S. 502). Washington, DC: American Psychological Association. Qaseem, A., Kansagara, D., Forciea, M. A., Cooke, M., Denberg, T. D., & Clinical Guidelines Committee of the American College of Physicians (2016). Management of chronic insomnia disorder in adults: a clinical practice guideline from the American College of Physicians. Annals of Internal Medicine, 165, 125–133. Qin, H.-F., & Piao, T.-J. (2011). Dispositional optimism and life satisfaction of Chinese and Japanese college students: examining the mediating effects of affects and coping efficacy. Chinese Journal of Clinical Psychology, 19, 259–261. Qiu, L., Lin, H., Ramsay, J., & Yang, F. (2012). You are what you tweet: personality expression and perception on Twitter. Journal of Research in Personality, 46, 710–718. Quasha, S. (1980). Albert Einstein: an intimate portrait (S. 374). New York: Forest. Quinn, P. C., Bhatt, R. S., Brush, D., Grimes, A., & Sharpnack, H. (2002). Development of form similarity as a Gestalt grouping principle in infancy. Psychological Science, 13, 320–328. Quiroga, R. Q., Fried, I., & Koch, C. (2013). Brain cells for grandmother. Scientific American. Quoidbach, J., Dunn, E. W., Hansenne, M., & Bustin, G. (2015). The price of abundance: how a wealth of experiences impoverishes savoring. Personality and Social Psychology Bulletin, 41, 393–404. Quoidbach, J., Dunn, E. W., Petrides, K. V., & Mikolajczak, M. (2010). Money giveth, money taketh away: the dual effect of wealth on happiness. Psychological Science, 21, 759–763. Quoidbach, J., Gilbert, D. T., & Wilson, T. D. (2013). The end of history illusion. Science, 339, 96–98. Rabbitt, P. (2006). Tales of the unexpected: 25 years of cognitive gerontology. The Psychologist, 19, 674–676. Rabinowicz, T., Dean, D. E., Petetot, J. M., & de Courten-Myers, G. M. (1999). Gender differences in the human cerebral cortex: more neurons in males; more processes in females. Journal of Child Neurology, 14, 98–107. Rabinowicz, T., deCourten-Myers, G. M., Petetot, J. M., Xi, G., & de los, R. E. (1996). Human cortex development: estimates of neuronal numbers indicate major loss late during gestation. Journal of Neuropathology and Experimental Neurology, 55, 320–328. Raby, K. L., Cicchetti, D., Carlson, E. A., Cutuli, J. J., Englund, M. M., & Egeland, B. (2012). Genetic and care-giving-based contributions to infant attachment: unique associations with distress reactivity and attachment security. Psychological Science, 23, 1016–1023. Raby, K. L., Roisman, G. I., Fraley, R. C., & Simpson, J. A. (2014). The enduring predictive significance of early maternal sensitivity: Social and academic competence through age 32 years. Child Development, 86, 695–708. Racsmány, M., Conway, M. A., & Demeter, G. (2010). Consolidation of episodic memories during sleep: long-term effects of retrieval practice. Psychological Science, 21, 80–85. Radford, B. (2010). Missing persons and abductions reveal psychics’ failures. DiscoveryNews, news.discovery.com.
917
Radford, B. (2013). Psychic claimed Amanda Berry was dead. DNews. news.discovery.com/human/psychic-claimed-amanda-berrydead-130508.htm Radua, J., Schmidt, A., Borgwardt, S., Heinz, A., Schlagenhauf, F., McGuire, P., & Fusar-Poli, P. (2015). Ventral striatal activation during reward processing in psychosis: a neurofunctional metaanalysis. JAMA Psychiatry, 72, 1243–1251. Rahl, H. A., Lindsay, E. K., Pacilio, L. E., Brown, K. W., & Creswell, J. D. (2016). Brief mindfulness meditation training reduces mind wandering: the critical role of acceptance. Emotion. https://doi. org/10.1037/emo0000250. Rahman, Q. (2015, July 24). “Gay genes”: Science is on the right track, we’re born this way. Let’s deal with it. The Guardian (theguardian. com). Rahman, Q., & Koerting, J. (2008). Sexual orientation-related differences in allocentric spatial memory tasks. Hippocampus, 18, 55–63. Rahman, Q., & Wilson, G. D. (2003). Born gay? The psychobiology of human sexual orientation. Personality and Individual Differences, 34, 1337–1382. Rahman, Q., Wilson, G. D., & Abrahams, S. (2004). Biosocial factors, sexual orientation and neurocognitive functioning. Psychoneuroendocrinology, 29, 867–881. Raichle, M. (2010). The brain’s dark energy. Scientific American. Raichlen, D. A., & Polk, J. D. (2013). Linking brains and brawn: exercise and the evolution of human neurobiology. Proceedings of the Royal Society Biology, 280, 20122250. Raila, H., Scholl, B. J., & Gruber, J. (2015). Seeing the world through rose-colored glasses: people who are happy and satisfied with life preferentially attend to positive stimuli. Emotion, 15, 449–462. Raine, A. (1999). Murderous minds: can we see the mark of cain? Cerebrum: The Dana Forum on Brain Science, 1, 15–29. Raine, A. (2005). The interaction of biological and social measures in the explanation of antisocial and violent behavior. In D. M. Stoff & E. J. Susman (Hrsg.), Developmental psychobiology of aggression (S. 603). New York: Cambridge University Press. Raine, A. (2013). The anatomy of violence: the biological roots of crime (S. 505). New York: Pantheon. Raine, A., Brennan, P., Mednick, B., & Mednick, S. A. (1996). High rates of violence, crime, academic problems, and behavioral problems in males with both early neuromotor deficits and unstable family environments. Archives of General Psychiatry, 53, 544–549. Raine, A., Lencz, T., Bihrle, S., LaCasse, L., & Colletti, P. (2000). Reduced prefrontal gray matter volume and reduced autonomic activity in antisocial personality disorder. Archives of General Psychiatry, 57, 119–127. Rainie, L., Purcell, K., Goulet, L. S., & Hampton, K. H. (2011). Social networking sites and our lives (S. 421). Pew Research Center. pewresearch.org Rainville, P., Duncan, G. H., Price, D. D., Carrier, B., & Bushnell, M. C. (1997). Pain affect encoded in human anterior cingulate but not somatosensory cortex. Science, 277, 968–971. Raison, C. L., Klein, H. M., & Steckler, M. (1999). The moon and madness reconsidered. Journal of Affective Disorders, 53, 99–106. Rajangam, S., Tseng, P. H., Yin, A., Lehew, G., Schwarz, D., Lebedev, M. A., & Nicolelis, M. A. (2016). Wireless cortical brain-machine interface for whole-body navigation in primates. Scientific Reports, 6, 22170. Rajendran, G., & Mitchell, P. (2007). Cognitive theories of autism. Developmental Review, 27, 224–260. Raji, C. A., Merrill, D. A., Eyre, H., Mallam, S., Torosyan, N., Erickson, K. I., & Kuller, L. H. (2016). Longitudinal relationships between caloric expenditure and gray matter in the cardiovascular health study. Journal of Alzheimer’s Disease, 52, 719–729. Ramachandran, V. S., & Blakeslee, S. (1998). Phantoms in the brain: probing the mysteries of the human mind (S. 81, 248). New York: Morrow.
918
Literatur
Ramírez-Esparza, N., Gosling, S. D., Benet-Martínez, V., Potter, J. P., & Pennebaker, J. W. (2006). Do bilinguals have two personalities? A special case of cultural frame switching. Journal of Research in Personality, 40, 99–120. Rammstedt, B., & John, O. P. (2007). Measuring personality in one minute or less: A 10-item short version of the Big Five Inventory in English and German. Journal of Research in Personality, 41(1), 203–212. Ramos, M. R., Cassidy, C., Reicher, S., & Haslam, S. A. (2012). A longitudinal investigation of the rejection-identification hypothesis. British Journal of Social Psychology, 51, 642–660. Randall, D. K. (2012, September 22). Rethinking sleep. The New York Times (nytimes.com). (p. 100) Randi, J. (1999). 2000 club mailing list e-mail letter (S. 259). Randler, C. (2008). Morningness-eveningness and satisfaction with life. Social Indicators Research, 86, 297–302. Randler, C. (2009). Proactive people are morning people. Journal of Applied Social Psychology, 39, 2787–2797. Randler, C., & Bausback, V. (2010). Morningness-eveningness in women around the transition through menopause and its relationship with climacteric complaints. Biological Rhythm Research, 41, 415–431. Rapoport, J. L. (1989). The biology of obsessions and compulsions. Scientific American, 260, 83–89. Räsänen, S., Pakaslahti, A., Syvalahti, E., Jones, P. B., & Isohanni, M. (2000). Sex differences in schizophrenia: a review. Nordic Journal of Psychiatry, 54, 37–45. Rasmussen, H. N., Scheier, M. F., & Greenhouse, J. B. (2009). Optimism and physical health: a meta-analytic review. Annals of Behavioral Medicine, 37, 239–256. Rasmussen, K. (2016). Entitled vengeance: a meta-analysis relating narcissism to provoked aggression. Aggressive Behavior. https:// doi.org/10.1002/ab.21632. Ratcliff, K. S. (2013). The power of poverty: Individual agency and structural constraints. In K. M. Fitzpatrick (Hrsg.), Poverty and health: a crisis among America’s most vulnerable (Bd. 1, S. 5–30). Santa Barbara: Praeger. Rath, T., & Harter, J. K. (2010). Your friends and your social wellbeing: close friendships are vital to health, happiness, and even workplace productivity. Gallup Management Journal, gmj.gallup.com. Rathbone, C. J., Salgado, S., Akan, M., Havelka, J., & Berntsen, D. (2016). Imagining the future: a cross-cultural perspective on possible selves. Consciousness and Cognition, 42, 113–124. Rattan, A., Savani, K., Naidu, N. V. R., & Dweck, C. S. (2012). Can everyone become highly intelligent? Cultural differences in and societal consequences of beliefs about the universal potential for intelligence. Journal of Personality and Social Psychology, 103, 787–803. Ray, J. (2005). U.S. teens walk away from anger: boys and girls manage anger differently. Gallup poll, gallup.com. Ray, J., & Kafka, S. (2014). Life in college matters for life after college. Gallup, gallup.com/poll. Ray, O., & Ksir, C. (1990). Drugs, society, and human behavior (5. Aufl.). (S. 118). St. Louis: Times Mirror/Mosby. Ray, R., Sanes, M., & Schmitt, J. (2013). No-vacation nation revisited. Center for Economic and Policy Research, https://cepr.net Raynor, H. A., & Epstein, L. H. (2001). Dietary variety, energy regulation, and obesity. Psychological Bulletin, 127, 325–341. Reason, J. (1987). The Chernobyl errors. Bulletin of the British Psychological Society, 40, 201–206. Reason, J., & Mycielska, K. (1982). Absent-minded? The psychology of mental lapses and everyday errors (S. 220). Englewood Cliffs: Prentice-Hall. Rebar, A. L., Stanton, R., Geard, D., Short, C., Duncan, M. J., & Vandelanotte, C. (2015). A meta-meta-analysis of the effect of physical activity on depression and anxiety in non-clinical adult populations. Health Psychology Review, 9, 366–378.
Rechenberg, K. (2016). Nutritional interventions in clinical depression. Clinical Psychological Science, 4, 144–162. Redden, J. P., Mann, T., Vickers, Z., Mykerezi, E., Reicks, M., & Elsbernd, E. (2015). Serving first in isolation increases vegetable intake among elementary schoolchildren. PLoS ONE, 10, e121283. Reece, M., Herbenick, D., Schick, V., Sanders, S. A., Dodge, B., & Fortenberry, J. D. (2010). Sexual behaviors, relationships, and perceived health among adult men in the United States: Results from a national probability sample. Journal of Sexual Medicine, 7(suppl 5), 291–304. Reed, D. (2012). A thing or two about twins. Quoted by Miller, P. National Geographic, https://www.nationalgeographic.com/. Reed, P. (2000). Serial position effects in recognition memory for odors. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 26, 411–422. Rees, M. (1999). Just six numbers: the deep forces that shape the universe (S. 163). New York: Basic Books. Reeves, A., McKee, M., & Stuckler, D. (2014). Economic suicides in the Great Recession in Europe and North America. British Journal of Psychiatry, 205, 246–247. Regan, P. C., & Atkins, L. (2007). Sex differences and similarities in frequency and intensity of sexual desire. Social Behavior and Personality, 34, 95–102. Reichenberg, A., & Harvey, P. D. (2007). Neuropsychological impairments in schizophrenia: integration of performance-based and brain imaging findings. Psychological Bulletin, 133, 833–858. Reichenberg, A., Cederlöf, M., McMillan, A., Trzaskowski, M., Kapara, O., Fruchter, E., & Plomin, R. (2016). Discontinuity in the genetic and environmental causes of the intellectual disability spectrum. PNAS, 113, 1098–1103. Reichenberg, A., Gross, R., Weiser, M., Bresnahan, M., Silverman, J., Harlap, S., & Susser, E. (2007). Advancing paternal age and autism. Archives of General Psychiatry, 63, 1026–1032. Reichert, R. A., Robb, M. B., Fender, J. G., & Wartella, E. (2010). Word learning from baby videos. Archives of Pediatrics & Adolescent Medicine, 164, 432–437. Reichow, B. (2012). Overview of meta-analyses on early intensive behavioral intervention for young children with autism spectrum disorders. Journal of Autism and Developmental Disorders, 42, 512–520. Reifman, A. S., Larrick, R. P., & Fein, S. (1991). Temper and temperature on the diamond: the heat-aggression relationship in major league baseball. Personality and Social Psychology Bulletin, 17, 580–585. Reijntjes, A., Vermande, M., Olthof, T., Goossens, F. A., van de Schoot, R., Aleva, L., & van der Meulen, M. (2013). Costs and benefits of bullying in the context of the peer group: A three wave longitudinal analysis. Journal of Abnormal Child Psychology, 41, 1217–1229. Reimann, F., Cox, J. J., Belfer, I., Diatchenko, L., Zaykin, D. V., McHale, D. P., & Woods, C. G. (2010). Pain perception is altered by a nucleotide polymorphism in SCN9A. PNAS, 107, 5148–5153. Reimão, R. N., & Lefévre, A. B. (1980). Prevalence of sleep-talking in childhood. Brain and Development, 2, 353–357. Reiner, W. G., & Gearhart, J. P. (2004). Discordant sexual identity in some genetic males with cloacal exstrophy assigned to female sex at birth. New England Journal of Medicine, 350, 333–341. Reis, H. T., & Aron, A. (2008). Love: what is it, why does it matter, and how does it operate? Perspectives on Psychological Science, 3, 80–86. Reis, H. T., Smith, S. M., Carmichael, C. L., Caprariello, P. A., Tsa, F.-F., Rodrigues, A., & Maniaci, M. R. (2010). Are you happy for me? How sharing positive events with others provides personal and interpersonal benefits. Journal of Personality and Social Psychology, 99, 311–329. Reis, S. M. (2001). Toward a theory of creativity in diverse creative women. In M. Bloom & T. Gullotta (Hrsg.), Promoting creativity across the life span (S. 231–275). Washington, DC: CWLA Press.
Literatur
Reisenzein, R. (1983). The Schachter theory of emotion: two decades later. Psychological Bulletin, 94, 239–264. Reiser, M. (1982). Police psychology (S. 257). Los Angeles: LEHI. Reitz, A. K., Motti-Stefanidi, F., & Asendorpf, J. B. (2016). Me, us, and them: testing sociometer theory in a socially diverse real-life context. Journal of Personality and Social Psychology, 110, 908–920. Reitzle, M. (2006). The connections between adulthood transitions and the self-perception of being adult in the changing contexts of East and West Germany. European Psychologist, 11, 25–38. Reivich, K., Gillham, J. E., Chaplin, T. M., & Seligman, M. E. P. (2013). From helplessness to optimism: The role of resilience in treating and preventing depression in youth (S. 620). New York: Springer. Rekker, R., Keijsers, L., Branje, S., & Meeus, W. (2015). Political attitudes in adolescence and emerging adulthood: developmental changes in mean level, polarization, rank-order stability, and correlates. Journal of Adolescence, 41, 136–147. Remick, A. K., Polivy, J., & Pliner, P. (2009). Internal and external moderators of the effect of variety on food intake. Psychological Bulletin, 135, 434–451. Remington, A., Swettenham, J., Campbell, R., & Coleman, M. (2009). Selective attention and perceptual load in autism spectrum disorder. Psychological Science, 20, 1388–1393. Remley, A. (1988). From obedience to independence. Psychology Today, https://www.psychologytoday.com/intl. Renner, M. J., & Renner, C. H. (1993). Expert and novice intuitive judgments about animal behavior. Bulletin of the Psychonomic Society, 31, 551–552. Renner, M. J., & Rosenzweig, M. R. (1987). Enriched and impoverished environments: effects on brain and behavior (S. 144). New York: Springer. Renninger, K. A., & Granott, N. (2005). The process of scaffolding in learning and development. New Ideas in Psychology, 23, 111–114. Rentfrow, P. J., & Gosling, S. D. (2003). The do re mi’s of everyday life: the structure and personality correlates of music preferences. Journal of Personality and Social Psychology, 84, 1236–1256. Rentfrow, P. J., & Gosling, S. D. (2006). Message in a ballad: the role of music preferences in interpersonal perception. Psychological Science, 17, 236–242. Repacholi, B. M., Meltzoff, A. N., Toub, T. S., & Ruba, A. L. (2016). Infants’ generalizations about other people’s emotions: foundations for trait-like attributions. Developmental Psychology, 52, 364. Rescorla, R. A., & Wagner, A. R. (1972). A theory of pavlovian conditioning: variations in the effectiveness of reinforcement and nonreinforcement. In A. H. Black & W. F. Perokasy (Hrsg.), Classical conditioning II: current theory (S. 286). New York: Appleton-Century-Crofts. Resnick, M. D., Bearman, P. S., Blum, R. W., Bauman, K. E., Harris, K. M., Jones, J., & Udry, J. R. (1997). Protecting adolescents from harm: findings from the National Longitudinal Study on Adolescent Health. Journal of the American Medical Association, 278, 823–832. Resnick, S. M. (1992). Positron emission tomography in psychiatric illness. Current Directions in Psychological Science, 1, 92–98. Reuters. (5. Juli 2000). Many teens regret decision to have sex (National Campaign to Prevent Teen Pregnancy survey). The Washington Post (washingtonpost.com). Reuters. (Erstellt: 25. Nov. 2015) Most important problem facing the U.S. today. Reuters Polling. polling.reuters.com/#!poll/SC8/type/ smallest/dates/20150901-20151125/collapsed/true/spotlight/1. Reyna, V. F., Chick, C. F., Corbin, J. C., & Hsia, A. N. (2014). Developmental reversals in risky decision making: intelligence agents show larger decision biases than college students. Psychological Science, 25, 76–84. Reyna, V. F., & Farley, F. (2006). Risk and rationality in adolescent decision making: implications for theory, practice, and public policy. Psychological Science in the Public Interest, 7, 1–44.
919
Reynolds, C. R., Niland, J., Wright, J. E., & Rosenn, M. (2010). Failure to apply the Flynn correction in death penalty litigation: standard practice of today maybe, but certainly malpractice of tomorrow. Journal of Psychoeducational Assessment, 28, 477–481. Reynolds, G. (2009, November 18). Phys ed: Why exercise makes you less anxious. The New York Times blog. Retrieved from well.blogs. nytimes.com (p. 470) Reynolds, J., Stewart, M., MacDonald, R., & Sischo, L. (2006). Have adolescents become too ambitious? High school seniors’ educational and occupational plans, 1976 to 2000. Social Problems, 53, 186–206. Rhodes, G., Sumich, A., & Byatt, G. (1999). Are average facial configurations attractive only because of their symmetry? Psychological Science, 10, 52–58. Rhodes, M. G., & Anastasi, J. S. (2012). The own-age bias in face recognition: a meta-analytic and theoretical review. Psychological Bulletin, 138, 146–174. Riccelli, R., Toschi, N., Nigro, S., Terracciano, A., & Passamonti, L. (2017). Surface-based morphometry reveals the neuroanatomical basis of the five-factor model of personality. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 1, 14. Ricciardelli, L. A., & McCabe, M. P. (2004). A biopsychosocial model of disordered eating and the pursuit of muscularity in adolescent boys. Psychological Bulletin, 130, 179–205. Rice, M. E., & Grusec, J. E. (1975). Saying and doing: effects on observer performance. Journal of Personality and Social Psychology, 32, 584–593. Richardson, J. (1993). The curious case of coins: remembering the appearance of familiar objects. The Psychologist: Bulletin of the British Psychological Society, 6, 360–366. Richardson, J. T. E., & Zucco, G. M. (1989). Cognition and olfaction: a review. Psychological Bulletin, 105, 352–360. Richardson, M., Abraham, C., & Bond, R. (2012). Psychological correlates of university students’ academic performance: a systematic review and meta-analysis. Psychological Bulletin, 138, 353–387. Richeson, J. A., & Shelton, J. N. (2007). Negotiating interracial interactions. Current Directions in Psychological Science, 16, 316–320. Rickard, I. J., Frankenhuis, W. E., & Nettle, D. (2014). Why are childhood family factors associated with timing of maturation? A role for internal prediction. Perspectives on Psychological Science, 9, 3–15. Rieff, P. (1979). Freud: the mind of a moralist (3. Aufl.). (S. 535). Chicago: University of Chicago Press. Rieger, G., Savin-Williams, R., Chivers, M. L., & Bailey, J. M. (2016). Sexual arousal and masculinity-femininity of women. Journal of Personality and Social Psychology, 111, 265–283. Riemer, H., Shavitt, S., Koo, M., & Markus, H. R. (2014). Preferences don’t have to be personal: expanding attitude theorizing with a cross-cultural perspective. Psychological Review, 121, 619–648. Rietveld, C. A., Conley, D., Eriksson, N., Esko, T., Medland, S. E., Vinkhuyzen, A. A. E., & Koellinger, P. D. (2014). Replicability and robustness of genome-wide-association studies for behavioral traits. Psychological Science, 25, 1975–1986. Rietveld, C. A., Medland, S. E., Derringer, J., Yang, J., Esko, T., Martin, N. W., & Koellinger, P. D. (2013). GWAS of 126,559 individuals identifies genetic variants associated with educational attainment. Science, 340, 1467–1471. Rigoni, J. B., & Asplund, J. (2016a). Strengths-based development: the business results (S. A-12). The Gallup Organization. gallup.com Rigoni, J. B., & Asplund, J. (2016b). Global study: ROI for strengthsbased development (S. A-12). The Gallup Organization. gallup.com Riley, L. D., & Bowen, C. (2005). The sandwich generation: challenges and coping strategies of multigenerational families. The Family Journal, 13, 52–58. Rimfeld, K., Kovas, Y., Dale, P. S., & Plomin, R. (2016). True grit and genetics: predicting academic achievement from personality. Journal of Personality and Social Psychology, 111, 780–789.
920
Literatur
Rindermann, H., Becker, D., & Coyle, T. R. (2016). Survey of expert opinion on intelligence: the Flynn effect and the future of intelligence. Personality and Individual Differences, 106, 242–247. Rindermann, H., & Ceci, S. J. (2009). Educational policy and country outcomes in international cognitive competence studies. Perspectives on Psychological Science, 4, 551–577. Riordan, M. (2013). Tobacco warning labels: evidence of effectiveness (S. 334). Washington, DC: The Campaign for Tobacco-Free Kids. tobaccofreekids.org. Ripke, S., Wray, N. R., Lewis, C. M., Hamilton, S. P., Weissman, M. M., Breen, G., & Heath, A. C. (2013). A mega-analysis of genome-wide association studies for major depressive disorder. Molecular Psychiatry, 18, 497–511. Ritchie, S. J., Dickie, D. A., Cox, S. R., Hernandez, del, M. C. V., Corley, J., Royle, N. A., & Deary, I. J. (2015). Brain volumetric changes and cognitive ageing during the eighth decade of life. Human Brain Mapping, 36, 4910–4925. Ritchie, S. J., Wiseman, R., & French, C. C. (2012). Failing the future: three unsuccessful attempts to replicate Bem’s ‘retroactive facilitation of recall’ effect. PLoS ONE, 7, e33r23. (plosone.org). Ritter, S. M., Damian, R. I., Simonton, D. K., van Baaren, R. B., Strick, M., Derks, J., & Dijksterhuis, A. (2012). Diversifying experiences enhance cognitive flexibility. Journal of Experimental Social Psychology, 48, 961–964. Rizzolatti, G., Fadiga, L., Fogassi, L., & Gallese, V. (2002). From mirror neurons to imitation: facts and speculations. In A. N. Meltzoff & W. Prinz (Hrsg.), The imitative mind: development, evolution, and brain bases (S. 289). Cambridge: Cambridge University Press. Rizzolatti, G., Fogassi, L., & Gallese, V. (2006). Mirrors in the mind. Scientific American, 295, 54–61. Roan, S. (2010, August 15). Medical treatment carries possible side effect of limiting homosexuality. The Los Angeles Times (latimes. com). (p. 415) Roberson, D., Davidoff, J., Davies, I. R. L., & Shapiro, L. R. (2004). The development of color categories in two languages: a longitudinal study. Journal of Experimental Psychology: General, 133, 554–571. Roberson, D., Davies, I. R. L., Corbett, G. G., & Vandervyver, M. (2005). Free-sorting of colors across cultures: are there universal grounds for grouping? Journal of Cognition and Culture, 5, 349– 386. Roberti, J. W., Storch, E. A., & Bravata, E. A. (2004). Sensation seeking, exposure to psychosocial stressors, and body modifications in a college population. Personality and Individual Differences, 37, 1167–1177. Roberts, A. L., Glymour, M. M., & Koenen, K. C. (2013). Does maltreatment in childhood affect sexual orientation in adulthood? Archives of Sexual Behavior, 42, 161–171. Roberts, B. W., & DelVecchio, W. F. (2000). The rank-order consistency of personality traits from childhood to old age: a quantitative review of longitudinal studies. Psychological Bulletin, 126, 3–25. Roberts, B. W., Donnellan, M. B., & Hill, P. L. (2013). Personality trait development in adulthood. In H. Tennen, J. Suls & I. B. Weiner (Hrsg.), Personality and social psychology 2. Aufl. (Bd. 5, S. 168). Hoboken: Wiley. Roberts, B. W., Kuncel, N. R., Shiner, R., Caspi, A., & Goldberg, L. R. (2007). The power of personality: the comparative validity of personality traits, socioeconomic status, and cognitive ability for predicting important life outcomes. Perspectives on Psychological Science, 2, 313–345. Roberts, B. W., Luo, J., Briley, D. A., Chow, P. I., Su, R., & Hill, P. L. (2017). A systematic review of personality trait change through intervention. Psychological Bulletin, 143, 117–141. Roberts, L. (1988). Beyond Noah’s ark: What do we need to know? Science, 242, 1247.
Roberts, T.-A. (1991). Determinants of gender differences in responsiveness to others’ evaluations. Dissertation Abstracts International, 51(8–B), 155. Robertson, K. F., Smeets, S., Lubinski, D., & Benbow, C. P. (2010). Beyond the threshold hypothesis: even among the gifted and top math/science graduate students, cognitive abilities, vocational interests, and lifestyle preferences matter for career choice, performance, and persistence. Current Directions in Psychological Science, 19, 346–351. Robins, L., & Regier, D. (Hrsg.). (1991). Psychiatric disorders in America (S. 571). New York: Free Press. Robins, L. N., Davis, D. H., & Goodwin, D. W. (1974). Drug use by U.S. Army enlisted men in Vietnam: a follow-up on their return home. American Journal of Epidemiology, 99, 235–249. Robins, R. W., & Trzesniewski, K. H. (2005). Self-esteem development across the lifespan. Current Directions in Psychological Science, 14, 158–162. Robinson, F. P. (1970). Effective study (S. 18). New York: Harper & Row. Robinson, J. P., & Martin, S. (2008). What do happy people do? Social Indicators Research, 89, 565–571. Robinson, J. P., & Martin, S. (2009). Changes in American daily life: 1965–2005. Social Indicators Research, 93, 47–56. Robinson, O. J., Cools, R., Carlisi, C. O., & Drevets, W. C. (2012). Ventral striatum response during reward and punishment reversal learning in unmedicated major depressive disorder. American Journal of Psychiatry, 169, 152–159. Robinson, T. E., & Berridge, K. C. (2003). Addiction. Annual Review of Psychology, 54, 25–53. Robinson, T. N., Borzekowski, D. L. G., Matheson, D. M., & Kraemer, H. C. (2007). Effects of fast food branding on young children’s taste preferences. Archives of Pediatric and Adolescent Medicine, 161, 792–797. Robinson, V. M. (1983). Humor and health. In P. E. McGhee & J. H. Goldstein (Hrsg.), Applied studies. Handbook of humor research, (Bd. II, S. 467). New York: Springer. Robles, T. F. (2015). Marital quality and health: implications for marriage in the 21st century. Current Directions in Psychological Science, 23, 427–432. Robles, T. F., Slatcher, R. B., Trombello, J. M., & McGinn, M. M. (2014). Marital quality and health: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 140, 140–187. Rochat, F. (1993). How did they resist authority? Protecting refugees in Le Chambon during World War II. Paper presented at the American Psychological Association convention. (S. 489). Rock, I., & Palmer, S. (1990). The legacy of Gestalt psychology. Scientific American. Rodin, J. (1986). Aging and health: effects of the sense of control. Science, 233, 1271–1276. Roediger III, H. L., & Finn, B. (2010). The pluses of getting it wrong. Scientific American Mind. Roediger III, H. L., & Geraci, L. (2007). Aging and the misinformation effect: a neuropsychological analysis. Journal of Experimental Psychology, 33, 321–334. Roediger III, H. L., & Karpicke, J. D. (2006). Test-enhanced learning: Taking memory tests improves long-term retention. Psychological Science, 17, 249–255. Roediger, H. L. III, & McDaniel, M. A. (2007). Illusory recollection in older adults: testing Mark twain’s conjecture. In M. H. Garry Hayne (Hrsg.), Do justice and let the sky fall: Elizabeth F. Loftus and her contributions to science, law, and academic freedom (S. 326). Mahwah: Erlbaum. Roediger III, H. L., & McDermott, K. B. (1995). Creating false memories: remembering words not presented in lists. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 21, 803–814. Roediger, H. L. III, Wheeler, M. A., & Rajaram, S. (1993). Remembering, knowing, and reconstructing the past. In D. L. Medin
Literatur
(Hrsg.), The psychology of learning and motivation: Advances in research and theory (Bd. 30, S. 324). Orlando: Academic Press. Roediger III, H. L. (2013). Applying cognitive psychology to education: translational educational science. Psychological Science in the Public Interest, 14, 1–3. Roediger III, H. L., & DeSoto, K. A. (2016). Was Alexander Hamilton president? Psychological Science, 27, 644–650. Roehling, P. V., Roehling, M. V., & Moen, P. (2001). The relationship between work-life policies and practices and employee loyalty: a life course perspective. Journal of Family and Economic Issues, 22, 141–170. Roelofs, T. (2010). Somali refugee takes oath of U.S. citizenship year after his brother (S. A-8). The Grand Rapids Press. mlive.com Roenneberg, T., Kuehnle, T., Pramstaller, P. P., Ricken, J., Havel, M., Guth, A., & Merrow, M. (2004). A marker for the end of adolescence. Current Biology, 14, R1038–R1039. Roepke, A. M. (2015). Psychosocial interventions and posttraumatic growth: a meta-analysis. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 83, 129. Roepke, A. M., & Seligman, M. E. P. (2015). Doors opening: a mechanism for growth after adversity. Journal of Positive Psychology, 10, 107–115. Roese, N. J., & Summerville, A. (2005). What we regret most . . . and why. Personality and Social Psychology Bulletin, 31, 1273–1285. Roese, N. J., & Vohs, K. D. (2012). Hindsight bias. Perspectives on Psychological Science, 7, 411–426. Roesser, R. (1998). What you should know about hearing conservation (S. 244). Better Hearing Institute. betterhearing.org Rogers, C. (1994) Die nicht-direktive Beratung. Frankfurt: Fischer. Rogers, C. R. (1961). On becoming a person: a therapist’s view of psychotherapy (S. 613). Boston: Houghton Mifflin. Rogers, C. R. (1980). A way of being (S. 539, 540, 613). Boston: Houghton Mifflin. Rogers, C. R. (1985). Quoted by M. L. Wallach & L. Wallach, How psychology sanctions the cult of the self. Washington Monthly, https://washingtonmonthly.com/ Rogers, T., & Feller, A. (2016). Discouraged by peer excellence: exposure to exemplary peer performance causes quitting. Psychological Science, 27, 365–374. Rogers, T., & Milkman, K. L. (2016). Reminders through association. Psychological Science, 27, 973–986. Rohan, K. J., Mahon, J. N., Evans, M., Ho, S., Meyerhoff, J., Postolache, T. T., & Vacek, P. M. (2015). Randomized trial of cognitivebehavioral therapy versus light therapy for seasonal affective disorder: acute outcomes. The American Journal of Psychiatry, 172, 862–869. Rohan, K. J., Roecklein, K. A., Lindsey, K. T., Johnson, L. G., Lippy, R. D., Lacy, T. J., & Barton, F. B. (2007). A randomized controlled trial of cognitive-behavioral therapy, light therapy, and their combination for seasonal affective disorder. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 75, 489–500. Rohner, R. P., & Veneziano, R. A. (2001). The importance of father love: history and contemporary evidence. Review of General Psychology, 5, 382–405. Rohrer, J. M., Egloff, B., & Schmukle, S. C. (2015). Examining the effects of birth order on personality. PNAS, 112, 14224–14229. Roiser, J. P., Cook, L. J., Cooper, J. D., Rubinsztein, D. C., & Sahakian, B. J. (2005). Association of a functional polymorphism in the serotonin transporter gene with abnormal emotional processing in Ecstasy users. American Journal of Psychiatry, 162, 609–612. Rokach, A., Orzeck, T., Moya, M., & Exposito, F. (2002). Causes of loneliness in North America and Spain. European Psychologist, 7, 70–79. Roland, E., & Galloway, D. (2002) Classroom influences on bullying. Educational Research, 44, 299–312. Romelsjö, A., Danielsson, A., Wennberg, P., & Hibell, B. (2014). Cannabis use and drug related problems among adolescents in 27
921
European countries: The utility of the prevention paradox. Nordic Studies on Alcohol and Drugs, 31, 359–369. Romens, S. E., McDonald, J., Svaren, J., & Pollak, S. D. (2015). Associations between early life stress and gene methylation in children. Child Development, 86, 303–309. Ronald, A., & Hoekstra, R. A. (2011). Autism spectrum disorders and autistic traits: a decade of new twin studies. American Journal of Medical Genetics Part B, 156, 255–274. Ronay, R., & von Hippel, W. (2010). The presence of an attractive woman elevates testosterone and physical risk taking in young men. Social Psychology and Personality Science, 1, 57–64. Root, T. L., Thornton, L. M., Lindroos, A. K., Stunkard, A. J., Lichtenstein, P., Pedersen, N. L., & Bulik, C. M. (2010). Shared and unique genetic and environmental influences on binge eating and night eating: a Swedish twin study. Eating Behaviors, 11, 92–98. Roper, K. R. (2016). Public Facebook post. facebook.com/kate.riffleroper/posts/1746348308987959 Roque, L., Verissimo, M., Oliveira, T. F., & Oliveira, R. F. (2012). Attachment security and HPA axis reactivity to positive and challenging emotional situations in child-mother dyads in naturalistic settings. Developmental Psychobiology, 54, 401–411. Rosch, E. (1978). Principles of categorization. In E. Rosch & B. L. Lloyd (Hrsg.), Cognition and categorization (S. 330). Hillsdale: Erlbaum. Rose, A. J., & Rudolph, K. D. (2006). A review of sex differences in peer relationship processes: potential trade-offs for the emotional and behavioral development of girls and boys. Psychological Bulletin, 132, 98–131. Rose, J. S., Chassin, L., Presson, C. C., & Sherman, S. J. (1999). Peer influences on adolescent cigarette smoking: a prospective sibling analysis. Merrill-Palmer Quarterly, 45, 62–84. Rose, R. J., Kaprio, J., Winter, T., Dick, D. M., Viken, R. J., Pulkkinen, L., & Koskenvuo, M. (2002). Femininity and fertility in sisters with twin brothers: prenatal androgenization? Cross-sex socialization? Psychological Science, 13, 263–266. Rose, R. J., Viken, R. J., Dick, D. M., Bates, J. E., Pulkkinen, L., & Kaprio, J. (2003). It does take a village: nonfamiliar environments and children’s behavior. Psychological Science, 14, 273–277. Roselli, C. E., Larkin, K., Schrunk, J. M., & Stormshak, F. (2004). Sexual partner preference, hypothalamic morphology and aromatase in rams. Physiology and Behavior, 83, 233–245. Roselli, C. E., Resko, J. A., & Stormshak, F. (2002). Hormonal influences on sexual partner preference in rams. Archives of Sexual Behavior, 31, 43–49. Rosenbaum, M. (1986). The repulsion hypothesis: on the nondevelopment of relationships. Journal of Personality and Social Psychology, 51, 1156–1166. Rosenberg, E. L., Zanesco, A. P., King, B. G., Aichele, S. R., Jacobs, R. L., Bridwell, D. A., & Saron, C. D. (2015). Intensive meditation training influences emotional responses to suffering. Emotion, 15, 775–790. Rosenberg, N. A., Pritchard, J. K., Weber, J. L., Cann, H. M., Kidd, K. K., Zhivotosky, L. A., & Feldman, M. W. (2002). Genetic structure of human populations. Science, 298, 2381–2385. Rosenberg, T. (2010, November 1). The opt-out solution. The New York Times (nytimes.com). (p. 338) Rosenblum, L. D. (2013). A confederacy of senses. Scientific American. Rosenfeld, M. J. (2013, August 26). Personal communication. (p. 208) Rosenfeld, M. J. (2014). Couple longevity in the era of same-sex marriage in the United States. Journal of Marriage and Family, 76, 905–911. Rosenfeld, M. J., & Thomas, R. J. (2012). Searching for a mate: the rise of the Internet as a social intermediary. American Sociological Review, 77, 523–547. Rosenhan, D. L. (1973). On being sane in insane places. Science, 179, 250–258.
922
Literatur
Rosenkranz, M. A., Davidson, R. J., Maccoon, D. G., Sheridan, J. F., Kalin, N. H., & Lutz, A. (2013). A comparison of mindfulnessbased stress reduction and an active control in modulation of neurogenic inflammation. Brain, Behavior, and Immunity, 27, 174–184. Rosenquist, P. B., McCall, W. V., & Youssef, N. (2016). Charting the course of electroconvulsive therapy: where have we been and where are we headed? Psychiatric Annals, 46, 647–651. Rosenthal, E. (2009, November 2). When texting kills, Britain offers path of prison. The New York Times (nytimes.com). (p. 90) Rosenthal, R., Hall, J. A., Archer, D., DiMatteo, M. R., & Rogers, P. L. (1979). The PONS test: measuring sensitivity to nonverbal cues. In S. Weitz (Hrsg.), Nonverbal communication (2. Aufl., S. 435). New York: Oxford University Press. Rosenzweig, M. R. (1984). Experience, memory, and the brain. American Psychologist, 39, 365–376. Rosenzweig, M. R., Krech, D., Bennett, E. L., & Diamond, M. C. (1962). Effects of environmental complexity and training on brain chemistry and anatomy: A replication and extension. Journal of Comparative and Physiological Psychology, 55, 429–437. Roseth, C. J., Johnson, D. W., & Johnson, R. T. (2008). Promoting early adolescents’ achievement and peer relationships: the effects of cooperative, competitive, and individualistic goal structures. Psychological Bulletin, 134, 223–246. Rosin, H. (2010). The end of men. The Atlantic. theatlantic.com Ross, J. (2006). Sleep on a problem . . . it works like a dream. The Psychologist, 19, 738–740. Ross, L. (1977). The intuitive psychologist and his shortcomings: distortions in the attribution process. In L. Berkowitz (Hrsg.), Advances in experimental social psychology (Bd. 10, S. 478). New York: Academic Press. Ross, M., McFarland, C., & Fletcher, G. J. O. (1981). The effect of attitude on the recall of personal histories. Journal of Personality and Social Psychology, 40, 627–634. Ross, M., Xun, W. Q. E., & Wilson, A. E. (2002). Language and the bicultural self. Personality and Social Psychology Bulletin, 28, 1040–1050. Rossi, A. S., & Rossi, P. H. (1993). Of human bonding: parent-child relations across the life course (S. 155). Hawthorne: De Gruyter. Rossi, P. J. (1968). Adaptation and negative aftereffect to lateral optical displacement in newly hatched chicks. Science, 160, 430–432. Rossion, B., & Boremanse, A. (2011). Robust sensitivity to facial identity in the right human occipito-temporal cortex as revealed by steady-state visual-evoked potentials. Journal of Vision, 11(16), 1–21. Rotge, J.-Y., Lemogne, C., Hinfray, S., Huguet, P., Grynszpan, O., Tartour, E., & Fossati, P. (2015). A meta-analysis of the anterior cingulate contribution to social pain. Social Cognitive and Affective Neuroscience, 10, 19–27. Roth, B., Becker, N., Romeyke, S., Schäfer, S., Domnick, F., & Spinath, F. M. (2015). Intelligence and school grades: a meta-analysis. Intelligence, 53, 118–137. Roth, B., Hahn, E., & Spinath, F. M. (2016). Income inequality, life satisfaction, and economic worries. Social Psychological and Personality Science. https://doi.org/10.1177/1948550616664955. Roth, T., Roehrs, T., Zwyghuizen-Doorenbos, A., Stpeanski, E., & Witting, R. (1988). Sleep and memory. In I. Hindmarch & H. Ott (Hrsg.), Benzodiazepine receptor ligans, memory and information processing (S. 108). New York: Springer. Rothbart, M., Fulero, S., Jensen, C., Howard, J., & Birrell, P. (1978). From individual to group impressions: availability heuristics in stereotype formation. Journal of Experimental Social Psychology, 14, 237–255. Rothbaum, F., & Tsang, B. Y.-P. (1998). Love songs in the United States and China: on the nature of romantic love. Journal of Cross-Cultural Psychology, 29, 306–319. Rotheneichner, P., Lange, S., O’Sullivan, A., Marschallinger, J., Zaunmair, P., Geretsegger, C., & Couillard-Despres, S. (2014).
Hippocampal neurogenesis and antidepressive therapy: shocking relations. Neural Plasticity, 2014, 723915. Rothman, A. J., & Salovey, P. (1997). Shaping perceptions to motivate healthy behavior: the role of message framing. Psychological Bulletin, 121, 3–19. Rottensteiner, M., Leskinen, T., Niskanen, E., Aaltonen, S., Mutikainen, S., Wikgren, J., & Kujala, U. M. (2015). Physical activity, fitness, glucose homeostasis, and brain morphology in twins. Medicine and Science in Sports and Exercise, 47, 509–518. Rotton, J., & Kelly, I. W. (1985). Much ado about the full moon: a meta-analysis of lunar-lunacy research. Psychological Bulletin, 97, 286–306. Rounds, J., & Su, R. (2014). The nature and power of interests. Current Directions in Psychological Science, 23, 98–103. Rovee-Collier, C. (1989). The joy of kicking: memories, motives, and mobiles. In P. R. Solomon, G. R. Goethals, C. M. Kelley & B. R. Stephens (Hrsg.), Memory: interdisciplinary approaches (S. 174). New York: Springer. Rovee-Collier, C. (1993). The capacity for long-term memory in infancy. Current Directions in Psychological Science, 2, 130–135. Rovee-Collier, C. (1997). Dissociations in infant memory: rethinking the development of implicit and explicit memory. Psychological Review, 104, 467–498. Rovee-Collier, C. (1999). The development of infant memory. Current Directions in Psychological Science, 8, 80–85. Rowe, D. C. (1990). As the twig is bent? The myth of child-rearing influences on personality development. Journal of Counseling and Development, 68, 606–611. Rowe, D. C., Almeida, D. M., & Jacobson, K. C. (1999). School context and genetic influences on aggression in adolescence. Psychological Science, 10, 277–280. Rowe, D. C., Vazsonyi, A. T., & Flannery, D. J. (1994). No more than skin deep: ethnic and racial similarity in developmental process. Psychological Review, 101, 396. Rowe, D. C., Vazsonyi, A. T., & Flannery, D. J. (1995). Ethnic and racial similarity in developmental process: a study of academic achievement. Psychological Science, 6, 33–38. Rozin, P., Dow, S., Mosovitch, M., & Rajaram, S. (1998). What causes humans to begin and end a meal? A role for memory for what has been eaten, as evidenced by a study of multiple meal eating in amnesic patients. Psychological Science, 9, 392–396. Rozin, P., Haddad, B., Nemeroff, C., & Slovic, P. (2015). Psychological aspects of the rejection of recycled water: contamination, purification and disgust. Judgment and Decision Making, 10, 50–63. Rozin, P., Millman, L., & Nemeroff, C. (1986). Operation of the laws of sympathetic magic in disgust and other domains. Journal of Personality and Social Psychology, 50, 703–712. Ruau, D., Liu, L. Y., Clark, J. D., Angst, M. S., & Butte, A. J. (2012). Sex differences in reported pain across 11,000 patients captured in electronic medical records. Journal of Pain, 13, 228–234. Ruback, R. B., Carr, T. S., & Hopper, C. H. (1986). Perceived control in prison: Its relation to reported crowding, stress, and symptoms. Journal of Applied Social Psychology, 16, 375–386. Rubenstein, J. S., Meyer, D. E., & Evans, J. E. (2001). Executive control of cognitive processes in task switching. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 27, 763–797. Rubenstein, L. M., Freed, R. D., Shapero, B. G., Fauber, R. L., & Alloy, L. B. (2016). Cognitive attributions in depression: bridging the gap between research and clinical practice. Journal of Psychotherapy Integration, 26, 103–115. Ruberton, P. M., Gladstone, J., & Lyubomirsky, S. (2016). How your bank balance buys happiness. Emotion, 16, 575–580. Rubin, D. C., Rahhal, T. A., & Poon, L. W. (1998). Things learned in early adulthood are remembered best. Memory and Cognition, 26, 3–19. Rubin, J. Z., Pruitt, D. G., & Kim, S. H. (1994). Social conflict: escalation, stalemate, and settlement (S. 524). New York: McGraw-Hill.
Literatur
Rubin, L. B. (1985). Just friends: the role of friendship in our lives (S. 155). New York: Harper & Row. Rubin, Z. (1970). Measurement of romantic love. Journal of Personality and Social Psychology, 16, 265–273. Rubinstein, G. (2016). Modesty doesn’t become me: Narcissism and the Big Five among male and female candidates for the Big Brother TV show. Journal of Individual Differences, 37, 223–230. Rubio, G., & López-Ibor, J. J. (2007). Generalized anxiety disorder: a 40-year follow-up study. Acta Psychiatrica Scandinavica, 115, 372–379. Rubio-Fernández, P., & Geurts, B. (2013). How to pass the false-belief task before your fourth birthday. Psychological Science, 24, 27–33. Ruchlis, H. (1990). Clear thinking: a practical introduction (S. 331). Buffalo: Prometheus Books. Rudman, L. A., McLean, M. C., & Bunzl, M. (2013). When truth is personally inconvenient, attitudes change: the impact of extreme weather on implicit support for green politicians and explicit climate-change beliefs. Psychological Science, 14, 2290–2296. Rueckert, L., Doan, T., & Branch, B. (2010). Emotion and relationship effects on gender differences in empathy. Presented at the annual meeting of the Association for Psychological Science, Boston. (S. 436). Rueger, S. Y., Malecki, C. K., Pyun, Y., Aycock, C., & Coyle, S. (2016). A meta-analytic review of the association between perceived social support and depression in childhood and adolescence. Psychological Bulletin, 142, 1017–1067. Ruffin, C. L. (1993). Stress and health—little hassles vs. major life events. Australian Psychologist, 28, 201–208. Rule, B. G., & Ferguson, T. J. (1986). The effects of media violence on attitudes, emotions, and cognitions. Journal of Social Issues, 42, 29–50. Rumbaugh, D. M. (1977). Language learning by a chimpanzee: the Lana project (S. 352). New York: Academic Press. Rumbaugh, D. M., & Washburn, D. A. (2003). Intelligence of apes and other rational beings (S. 353). New Haven: Yale University Press. Runeson, B., Haglund, A., Lichtenstein, P., & Tidemalm, C. (2016). Suicide risk after nonfatal self-harm: a national cohort study, 2000–2008. Journal of Clinical Psychiatry, 77, 240–256. Ruotsalainen, H., Kyngäs, H., Tammelin, T., & Kääriäinen, M. (2015). Systematic review of physical activity and exercise interventions on body mass indices, subsequent physical activity and psychological symptoms in overweight and obese adolescents. Journal of Advanced Nursing, 71, 2461–2477. Rusanen, M., Kivipelto, M., Quesenberry Jr., C. P., Zhou, J., & Whitmer, R. A. (2011). Heavy smoking in midlife and long-term risk of Alzheimer disease and vascular dementia. Archives of Internal Medicine, 171, 333–339. Rushton, J. P. (1975). Generosity in children: Immediate and long-term effects of modeling, preaching, and moral judgment. Journal of Personality and Social Psychology, 31, 459–466. Russell, B. (1985). The conquest of happiness (S. 447). London: Unwin Paperbacks. Rutchick, A. M. (2010). Deus ex machine: the influence of polling place on voting behavior. Political Psychology, 31, 209–225. Rutchick, A. M., Slepian, M. L., & Ferris, B. D. (2010). The pen is mightier than the word: object priming of evaluative standards. European Journal of Social Psychology, 40, 704–708. Ruthsatz, J., & Urbach, J. B. (2012). Child prodigy: a novel cognitive profile places elevated general intelligence, exceptional working memory and attention to detail at the root of prodigiousness. Intelligence, 40, 419–426. Rutledge, R. B., Skandali, N., Dayan, P., & Dolan, R. J. (2014). A computational and neural model of momentary subjective well-being. PNAS, 111, 12252–12257. Rutz, C., Klump, B. C., Komarczyk, L., Leighton, R., Kramer, R., Wischnewski, S., & Masuda, B. M. (2016). Discovery of specieswide tool use in the Hawaiian crow. Nature, 537, 403–407.
923
Ryan, B. (2016). Women’s life ratings get better with full-time jobs. Gallup World Poll, gallup.com Ryan, P. (2015, December 15). Quoted by Editorial Board of The New York Times. Don’t blame mental illness for gun violence. The New York Times (nytimes.com). (p. 569) Ryan, R. (1999, February 2). Quoted by Alfie Kohn, In pursuit of affluence, at a high price. The New York Times (nytimes.com). (p. 447) Ryan, R. M., & Deci, E. L. (2004). Avoiding death or engaging life as accounts of meaning and culture: comment on Pyszczynski et al. Psychological Bulletin, 130, 473–477. Rydell, R. J., Rydell, M. T., & Boucher, K. L. (2010). The effect of negative performance stereotypes on learning. Journal of Personality and Social Psychology, 99, 883–896. Ryder, J. G., & Holtzheimer, P. E. (2016). Deep brain stimulation for depression: an update. Current Behavioral Neuroscience Reports, 3, 102–108. Saad, L. (2002). Most smokers wish they could quit. Gallup News Service, 2(1), 117. gallup.com. Saad, L. (2006). Anti-Muslim sentiments fairly commonplace. Gallup News Service. poll.gallup.com. Saad, L. (2015). Nearly half of smartphone users can’t imagine life without it. Gallup. gallup .com. Sabbagh, M. A., Xu, F., Carlson, S. M., Moses, L. J., & Lee, K. (2006). The development of executive functioning and theory of mind: a comparison of Chinese and U.S. preschoolers. Psychological Science, 17, 74–81. Sabesan, R., Schmidt, B. P., Tuten, W. S., & Roorda, A. (2016). The elementary representation of spatial and color vision in the human retina. Science Advances, 2, e1600797. Sabini, J. (1986). Stanley Milgram (1933–1984). American Psychologist, 41, 1378–1379. Sachdev, P., & Sachdev, J. (1997). Sixty years of psychosurgery: Its present status and its future. Australian and New Zealand Journal of Psychiatry, 31, 457–464. Sackett, P. R., Kuncel, N. R., Beatty, A. S., Rigdon, J. L., Shen, W., & Kiger, T. B. (2012). The role of socioeconomic status in SAT-grade relationships and in college admissions decisions. Psychological Science, 23, 1000–1007. Sackett, P. R., & Walmsley, P. T. (2014). Which personality attributes are most important in the workplace? Perspectives on Psychological Science, 9, 538–551. Sacks, O. (1985). The man who mistook his wife for a hat (S. 254, 316). New York: Summit Books. Sadato, N., Pascual-Leone, A., Grafman, J., Ibanez, V., Deiber, M.-P., Dold, G., & Hallett, M. (1996). Activation of the primary visual cortex by Braille reading in blind subjects. Nature, 380, 526–528. Sadler, M. S., Correll, J., Park, B., & Judd, C. M. (2012a). The world is not Black and White: racial bias in the decision to shoot in a multiethnic context. Journal of Social Issues, 68, 286–313. Sadler, M. S., Meagor, E. L., & Kaye, M. E. (2012b). Stereotypes of mental disorders differ in competence and warmth. Social Science and Medicine, 74, 915–922. Saffran, J. A. (2009). What can statistical learning tell us about infant learning? In A. Woodward & A. Needham (Hrsg.), Learning and the infant mind (S. 347). New York: Oxford University Press. Saffran, J. R., Aslin, R. N., & Newport, E. L. (1996). Statistical learning by 8-month-old infants. Science, 274, 1926–1928. Sagan, C. (1977). The dragons of eden: speculations on the evolution of human intelligence (S. 214). New York: Ballantine. Sagan, C. (1987). The fine art of baloney detection. Parade, http://www. parademediagroup.com/. Saks, E. (2007, August 27). A memoir of schizophrenia. Time (time. com). (p. 637) Salas-Wright, C. P., Vaughn, M. G., Hodge, D. R., & Perron, B. E. (2012). Religiosity profiles of American youth in relation to substance use, violence, and delinquency. Journal of Youth and Adolescence, 41, 1560–1575.
924
Literatur
Salchegger, S. (2016). Selective school systems and academic self-concept: how explicit and implicit school-level tracking relate to the big-fish-little-pond effect across cultures. Journal of Educational Psychology, 108, 405–423. Salehi, I., Hosseini, S. M., Haghighi, M., Jahangard, L., Bajoghli, H., Gerber, M., & Brand, S. (2016). Electroconvulsive therapy (ECT) and aerobic exercise training (AET) increased plasma BDNF and ameliorated depressive symptoms in patients suffering from major depressive disorder. Journal of Psychiatric Research, 76, 1–8. Salmela-Aro, K., Tolvanen, A., & Nurmi, J. (2009). Achievement strategies during university studies predict early career burnout and engagement. Journal of Vocational Behavior, 75, 162–172. Salmon, P. (2001). Effects of physical exercise on anxiety, depression, and sensitivity to stress: a unifying theory. Clinical Psychology Review, 21, 33–61. Salovey, P. (1990). Interview. American Scientist. Salthouse, T. A. (2009). When does age-related cognitive decline begin? Neurobiology of Aging, 30, 507–514. Salthouse, T. A. (2010). Selective review of cognitive aging. Journal of the International Neuropsychological Society, 16, 754–760. Salthouse, T. A. (2013). Within-cohort age-related differences in cognitive functioning. Psychological Science, 24, 123–130. Salthouse, T. A. (2014). Why are there different age relations in crosssectional and longitudinal comparisons of cognitive functioning? Current Directions in Psychological Science, 23, 252–256. Salthouse, T. A., & Mandell, A. R. (2013). Do age-related increases in tip-of-the-tongue experiences signify episodic memory impairments? Psychological Science, 24, 2489–2497. Samuels, J., & Nestadt, G. (1997). Epidemiology and genetics of obsessive-compulsive disorder. International Review of Psychiatry, 9, 61–71. Sánchez-Álvarez, N., Extremera, N., & Fernández-Berrocal, P. (2016). The relation between emotional intelligence and subjective wellbeing: a meta-analytic investigation. Journal of Positive Psychology, 11, 276–285. Sánchez-Villegas, A., Henríquez-Sánchez, P., Ruiz-Canela, M., Lahortiga, F., Molero, P., Toledo, E., & Martínez-González, M. A. (2015). A longitudinal analysis of diet quality scores and the risk of incident depression in the SUN Project. BMC Medicine, 13, 1. Sanders, A. R., Martin, E. R., Beecham, G. W., Guo, S., Dawood, K., Rieger, G., & Bailey, J. M. (2015). Genome-wide scan demonstrates significant linkage for male sexual orientation. Psychological Medicine, 45, 1379–1388. Sanders, G., Sjodin, M., & de Chastelaine, M. (2002). On the elusive nature of sex differences in cognition: hormonal influences contributing to within-sex variation. Archives of Sexual Behavior, 31, 145–152. Sanders, G., & Wright, M. (1997). Sexual orientation differences in cerebral asymmetry and in the performance of sexually dimorphic cognitive and motor tasks. Archives of Sexual Behavior, 26, 463–479. Sandler, W., Meir, I., Padden, C., & Aronoff, M. (2005). The emergence of grammar: systematic structure in a new language. Proceedings of the National Academy of Sciences, 102, 2261–2265. Sandstrom, A. (2015). Religious groups’ policies on transgender members vary widely (S. 161). Pew Research Center. pewresearch.org Santomauro, J., & French, C. C. (2009). Terror in the night. The Psychologist, 22, 672–675. Sanz, C., Blicher, A., Dalke, K., Gratton-Fabri, L., McClure-Richards, T., & Fouts, R. (1998). Enrichment object use: five chimpanzees’ use of temporary and semi-permanent enrichment objects. Friends of Washoe, 19, 9–14. Sanz, C., Morgan, D., & Gulick, S. (2004). New insights into chimpanzees, tools, and termites from the Congo Basin. American Naturalist, 164, 567–581.
Sapadin, L. A. (1988). Friendship and gender: perspectives of professional men and women. Journal of Social and Personal Relationships, 5, 387–403. Saphire-Bernstein, S., Way, B. M., Kim, H. S., Sherman, D. K., & Taylor, S. E. (2011). Oxytocin receptor gene (OXTR) is related to psychological resources. PNAS, 108, 15118–15122. Sapolsky, R. (2003). Taming stress. Scientific American, 289, 86–95. Sapolsky, R. (2005). The influence of social hierarchy on primate health. Science, 308, 648–652. Sapolsky, R. (2010, November 14). This is your brain on metaphors. The New York Times (nytimes.com). (p. 431) Sapolsky, R. (2015). Caitlyn Jenner and our cognitive dissonance. Nautilus. nautil.us/issue/28/2050/caitlyn-jenner-and-our-cognitivedissonance Sarro, E. C., Wilson, D. A., & Sullivan, R. M. (2014). Maternal regulation of infant brain state. Current Biology, 24, 1664–1669. Sarsam, M., Parkes, L. M., Roberts, N., Reid, G. S., & Kinderman, P. (2013). The queen and I: Neural correlates of altered self-related cognitions in major depressive episode. PLoS ONE, 8, e78844. Satel, S., & Lilienfeld, S. G. (2013). Brainwashed: the seductive appeal of mindless neuroscience (S. 66). New York: Basic Books. Sato, K. (1987). Distribution of the cost of maintaining common resources. Journal of Experimental Social Psychology, 23, 19–31. Saulny, S. (2006, June 21). A legacy of the storm: Depression and suicide. The New York Times (nytimes.com). (p. 452) Saurat, M., Agbakou, M., Attigui, P., Golmard, J., & Arnulf, I. (2011). Walking dreams in congenital and acquired paraplegia. Consciousness and Cognition, 20, 1425–1432. Savage-Rumbaugh, E. S., Murphy, J., Sevcik, R. A., Brakke, K. E., Williams, S. L., & Rumbaugh, D. M. (1993). Language comprehension in ape and child. Monographs of the Society for Research in Child Development, 58, 1–254. Savage-Rumbaugh, E. S., Rumbaugh, D., & Fields, W. M. (2009). Empirical Kanzi: the ape language controversy revisited. Skeptic, 15, 25–33. Savani, K., & Rattan, A. (2012). A choice mind-set increases the acceptance and maintenance of wealth inequality. Psychological Science, 23, 796–804. Savelieva, K., Pulkki-Råback, L., Jokela, M., Kubzansky, L. D., Elovainio, M., Mikkilä, V., & Keltikangas-Järvinen, L. (2016). Intergenerational transmission of socioeconomic position and ideal cardiovascular health: 32-year follow-up study. Health Psychology. https://doi.org/10.1037/hea0000441. Savic, I., Berglund, H., & Lindstrom, P. (2005). Brain response to putative pheromones in homosexual men. PNAS, 102, 7356–7361. Savic, I., & Lindström, P. (2008). PET and MRI show differences in cerebral asymmetry and functional connectivity between homoand heterosexual subjects. PNAS, 105, 9403–9408. Savin-Williams, R., Joyner, K., & Rieger, G. (2012). Prevalence and stability of self-reported sexual orientation identity during young adulthood. Archives of Sexual Behavior, 41, 103–110. Savitsky, K., Epley, N., & Gilovich, T. D. (2001). Do others judge us as harshly as we think? Overestimating the impact of our failures, shortcomings, and mishaps. Journal of Personality and Social Psychology, 81, 44–56. Savitsky, K., & Gilovich, T. D. (2003). The illusion of transparency and the alleviation of speech anxiety. Journal of Experimental Social Psychology, 39, 618–625. Savoy, C., & Beitel, P. (1996). Mental imagery for basketball. International Journal of Sport Psychology, 27, 454–462. Sawyer, A. C. P., Miller-Lewis, L. R., Searle, A. K., & Sawyer, M. G. (2015). Is greater improvement in early self-regulation associated with fewer behavioral problems later in childhood? Developmental Psychology, 51, 1740–1755. Sawyer, M. G., Arney, F. M., Baghurst, P. A., Clark, J. J., Graetz, B. W., Kosky, R. J., & Zubrick, S. R. (2000). The mental health of young people in Australia (S. 585). Canberra: Mental Health and Special
Literatur
Programs Branch, Commonwealth Department of Health and Aged Care. Sayer, L. C. (2016). Trends in women’s and men’s time use, 1965–2012: Back to the future? In S. M. McHale, V. King, J. Van Hook & A. Booth (Hrsg.), Gender and couple relationships. Cham: Springer. Sayette, M. A., Loewenstein, G., Griffin, K. M., & Black, J. J. (2008). Exploring the cold-to-hot empathy gap in smokers. Psychological Science, 19, 926–932. Sayette, M. A., Reichle, E. D., & Schooler, J. W. (2009). Lost in the sauce: the effects of alcohol on mind wandering. Psychological Science, 20, 747–752. Sayette, M. A., Schooler, J. W., & Reichle, E. D. (2010). Out for a smoke: the impact of cigarette craving on zoning out during reading. Psychological Science, 21, 26–30. Sayre, R. F. (1979). The parents’ last lessons. In D. D. Van Tassel (Hrsg.), Aging, death, and the completion of being (S. 206). Philadelphia: University of Pennsylvania Press. Sbarra, D. A., Hasselmo, K., & Bourassa, K. J. (2015). Divorce and health: beyond individual differences. Current Directions in Psychological Science, 24, 109–113. Sbarra, D. A., Law, R. W., & Portley, R. M. (2011). Divorce and death: a meta-analysis and research agenda for clinical, social, and health psychology. Perspectives on Psychological Science, 6, 454–474. Scaini, S., Belotti, R., Ogliari, A., & Battaglia, M. (2016). A comprehensive meta-analysis of cognitive-behavioral interventions for social anxiety disorder in children and adolescents. Journal of Anxiety Disorders, 42, 105–112. Scarborough, E., & Furumoto, L. (1987). Untold lives: the first generation of American women psychologists (S. 7). New York: Columbia University Press. Scarf, D., Boy, K., Reinert, A. U., Devine, J., Güntürkün, O., & Colombo, M. (2016). Orthographic processing in pigeons (Columba livia). PNAS, 113, 11272–11276. Scarr, S. (1984). What’s a parent to do? A conversation with E. Hall. Psychology Today. Scarr, S. (1989). Protecting general intelligence: constructs and consequences for interventions. In R. J. Linn (Hrsg.), Intelligence: measurement, theory, and public policy (S. 362). Champaign: University of Illinois Press. Scarr, S. (1990). Back cover comments on J. Dunn & R. Plomin (1990), Separate lives: Why siblings are so different (S. 144). New York: Basic Books. Scarr, S. (1993). Quoted by Psychology Today, Nature’s thumbprint: So long, superparents (S. 16). Schab, F. R. (1991). Odor memory: taking stock. Psychological Bulletin, 109, 242–251. Schachter, S., & Singer, J. E. (1962). Cognitive, social and physiological determinants of emotional state. Psychological Review, 69, 379–399. Schacter, D. L. (1992). Understanding implicit memory: a cognitive neuroscience approach. American Psychologist, 47, 559–569. Schacter, D. L. (1996). Searching for memory: the brain, the mind, and the past (S. 307, 316, 536). New York: Basic Books. Schafer, G. (2005). Infants can learn decontextualized words before their first birthday. Child Development, 76, 87–96. Schaffer, A., Isometsä, E. T., Tondo, L., Moreno, D., Turecki, G., Reis, C., & Ha, K. (2015). International society for bipolar disorders task force on suicide: Meta-analyses and meta-regression of correlates of suicide attempts and suicide deaths in bipolar disorder. Bipolar Disorders, 17, 1–16. Schaie, K. W. (1994). The life course of adult intellectual abilities. American Psychologist, 49, 304–313. Schaie, K. W., & Geiwitz, J. (1982). Adult development and aging (S. 372, 373). Boston: Little, Brown. Schalock, R. L., Borthwick-Duffy, S., Bradley, V. J., Buntinx, W. H. E., Coulter, D. L., & Craig, E. M. (2010). Intellectual disability: definition, classification, and systems of supports (11. Aufl.). (S. 375).
925
Washington, DC: American Association on Intellectual and Developmental Disabilities. Schein, E. H. (1956). The Chinese indoctrination program for prisoners of war: A study of attempted brainwashing. Psychiatry, 19, 149–172. Schetter, C. D., Schafer, P., Lanzi, R. G., Clark-Kauffman, E., Raju, T. N. K., & Hillemeier, M. M. (2013). Shedding light on the mechanisms underlying health disparities through community participatory methods: the stress pathway. Perspectives on Psychological Science, 8, 613–633. Schiavi, R. C., & Schreiner-Engel, P. (1988). Nocturnal penile tumescence in healthy aging men. Journal of Gerontology: Medical Sciences, 43, M146–M150. Schick, V., Herbenick, D., Reece, M., Sanders, S. A., Dodge, B., Middlestadt, S. E., & Fortenberry, J. D. (2010). Sexual behaviors, condom use, and sexual health of Americans over 50: Implications for sexual health promotion for older adults. Journal of Sexual Medicine, 7(suppl 5), 315–329. Schiffenbauer, A., & Schiavo, R. S. (1976). Physical distance and attraction: an intensification effect. Journal of Experimental Social Psychology, 12, 274–282. Schiffman, J., Abrahamsom, A., Cannon, T., LaBrie, J., Parnas, J., Schulsinger, F., & Mednick, S. (2001). Early rearing factors in schizophrenia. International Journal of Mental Health, 30, 3–16. Schilt, T., de Win, M. M. L., Koeter, M., Jager, G., Korf, D. J., van den Brink, W., & Schmand, B. (2007). Cognition in novice Ecstasy users with minimal exposure to other drugs. Archives of General Psychiatry, 64, 728–736. Schimel, J., Arndt, J., Pyszczynski, T., & Greenberg, J. (2001). Being accepted for who we are: Evidence that social validation of the intrinsic self reduces general defensiveness. Journal of Personality and Social Psychology, 80, 35–52. Schink, T., Kreutz, G., Busch, V., Pigeot, I., & Ahrens, W. (2014). Incidence and relative risk of hearing disorders in professional musicians. Occupational and Environmental Medicine, 71, 472–476. Schizophrenia Working Group of the Psychiatric Genomics Consortium (2014). Biological insights from 108 schizophrenia-associated genetic loci. Nature, 511, 421–427. Schlaug, G., Jancke, L., Huang, Y., & Steinmetz, H. (1995). In vivo evidence of structural brain asymmetry in musicians. Science, 267, 699–701. Schlomer, G. L., Del Giudice, M., & Ellis, B. J. (2011). Parent-offspring conflict theory: an evolutionary framework for understanding conflict within human families. Psychological Review, 118, 496–521. Schloss, J. (2009). Does evolution explain human nature? Totally, for a Martian. In Celebrating the bicentenary of the birth of Charles Darwin (S. 139). Philadelphia: John Templeton Foundation. templeton.org. Schmidt, F. L. (2002). The role of general cognitive ability and job performance: Why there cannot be a debate. Human Performance, 15, 187–210. Schmidt, F. L., & Hunter, J. E. (1998). The validity and utility of selection methods in personnel psychology: practical and theoretical implications of 85 years of research findings. Psychological Bulletin, 124, 262–274. Schmidt, M. F. H., & Tomasello, M. (2012). Young children enforce social norms. Current Directions in Psychological Science, 21, 232–236. Schmitt, D. P. (2007). Sexual strategies across sexual orientations: How personality traits and culture relate to sociosexuality among gays, lesbians, bisexuals, and heterosexuals. Journal of Psychology and Human Sexuality, 18, 183–214. Schmitt, D. P., & Allik, J. (2005). Simultaneous administration of the Rosenberg self-esteem scale in 53 nations: exploring the universal and culture-specific features of global self-esteem. Journal of Personality and Social Psychology, 89, 623–642.
926
Literatur
Schmitt, D. P., Allik, J., McCrae, R. R., Benet-Martínez, V., & Reips, U.-D. (2007). The geographic distribution of big five personality traits: patterns and profiles of human self-description across 56 nations. Journal of Cross-Cultural Psychology, 38, 173–212. Schmitt, D. P., & Fuller, R. C. (2015). On the varieties of sexual experience: cross-cultural links between religiosity and human mating strategies. Psychology of Religion and Spirituality, 7, 314–326. Schmitt, D. P., Jonason, P. K., Byerley, G. J., Flores, S. D., Illbeck, B. E., O’Leary, K. N., & Qudrat, A. (2012). A reexamination of sex differences in sexuality: new studies reveal old truths. Current Directions in Psychological Science, 21, 135–139. Schmitt, D. P., & Pilcher, J. J. (2004). Evaluating evidence of psychological adaptation: How do we know one when we see one? Psychological Science, 15, 643–649. Schnall, E., Wassertheil-Smoller, S., Swencionis, C., Zemon, V., Tinker, L., O’Sullivan, M. J., & Goodwin, M. (2010). The relationship between religion and cardiovascular outcomes and all-cause mortality in the women’s health initiative observational study. Psychology and Health, 25, 249–263. Schnall, S., Haidt, J., Clore, G. L., & Jordan, A. (2008). Disgust as embodied moral judgment. Personality and Social Psychology Bulletin, 34, 1096–1109. Schnall, S., Roper, J., & Fessler, D. M. T. (2010). Elevation leads to altruistic behavior. Psychological Science, 21, 315–320. Schneider, M., & Preckel, F. (2017). Variables associated with achievement in higher education: a systematic review. Psychological Bulletin, 143, 565–600. Schneider, S. L. (2001). In search of realistic optimism: meaning, knowledge, and warm fuzziness. American Psychologist, 56, 250–263. Schneier, B. (2007). Virginia tech lesson: rare risks breed irrational responses. Wired, wired.com. Schoen, R., & Canudas-Romo, V. (2006). Timing effects on divorce: 20th century experience in the United States. Journal of Marriage and Family, 68, 749–758. Schoeneman, T. J. (1994). Individualism. In V. S. Ramachandran (Hrsg.), Encyclopedia of human behavior (S. 150). San Diego: Academic Press. Schofield, J. W. (1986). Black-White contact in desegregated schools. In M. Hewstone & R. Brown (Hrsg.), Contact and conflict in intergroup encounters (S. 523). Oxford: Basil Blackwell. Schonfield, D., & Robertson, B. A. (1966). Memory storage and aging. Canadian Journal of Psychology, 20, 228–236. Schooler, J. W., Gerhard, D., & Loftus, E. F. (1986). Qualities of the unreal. Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition, 12, 171–181. Schorr, E. A., Fox, N. A., van Wassenhove, V., & Knudsen, E. I. (2005). Auditory-visual fusion in speech perception in children with cochlear implants. PNAS, 102, 18748–18750. Schrauzer, G. N., & Shrestha, K. P. (1990). Lithium in drinking water and the incidences of crimes, suicides, and arrests related to drug addictions. Biological Trace Element Research, 25, 105–113. Schrauzer, G. N., & Shrestha, K. P. (2010). Lithium in drinking water. British Journal of Psychiatry, 196, 159. Schreiber, F. R. (1973). Sybil (S. 601). Chicago: Regnery. Schroeder, J., Caruso, E. M., & Epley, N. (2016). Many hands make overlooked work: over-claiming of responsibility increases with group size. Journal of Experimental Psychology: Applied, 22, 238– 246. Schroeder, J., & Epley, N. (2015). The sound of intellect: speech reveals a thoughtful mind, increasing a job candidate’s appeal. Psychological Science, 26, 877–891. Schroeder, J., & Epley, N. (2016). Mistaking minds and machines: how speech affects dehumanization and anthropomorphism. Journal of Experimental Psychology: General, 145, 1427–1437. Schuch, F. B., Vancampfort, D., Richards, J., Rosenbaum, S., Ward, P. B., & Stubbs, B. (2016a). Exercise as a treatment for depression: a
meta-analysis adjusting for publication bias. Journal of Psychiatric Research, 77, 42–51. Schuch, F. B., Vancampfort, D., Rosenbaum, S., Richards, J., Ward, P. B., & Stubbs, B. (2016b). Exercise improves physical and psychological quality of life in people with depression: a meta-analysis including the evaluation of control group response. Psychiatry Research, 241, 47–54. Schulte-Rüther, M., Otte, E., Adigüzel, K., Firk, C., Herpertz-Dahlmann, B., Koch, I., & Konrad, K. (2016). Intact mirror mechanisms for automatic facial emotions in children and adolescents with autism spectrum disorder. Autism Research, 10, 182. Schultheiss, O., Wiemers, U., & Wolf, O. (2014). Implicit need for achievement predicts attenuated cortisol responses to difficult tasks. Journal of Research in Personality, 48, 84–92. Schultheiss, O. C., & Pang, J. S. (2007). Measuring implicit motives. In R. W. Robins, R. C. Fraley & R. F. Krueger (Hrsg.), Handbook of research methods in personality psychology (S. 322–345). New York: Guilford. Schuman, H., & Scott, J. (1989). Generations and collective memories. American Sociological Review, 54, 359–381. Schumann, K., & Ross, M. (2010). Why women apologize more than men: gender differences in thresholds for perceiving offensive behavior. Psychological Science, 21, 1649–1655. Schurger, A., Pereira, F., Treisman, A., & Cohen, J. D. (2010). Reproducibility distinguishes conscious from nonconscious neural representations. Science, 327, 97–99. Schurger, A., Sitt, J. D., & Dehaene, S. (2012). An accumulator model for spontaneous neural activity prior to self-initiated movement. PNAS, 109, E2904–E2913. Schuster, B. (2017) Pädagogische Psychologie: Lernen, Motivation und Umgang mit Auffälligkeiten. Heidelberg: Springer. Schuster, B. (2020) Führung im Klassenzimmer: Disziplinschwierigkeiten und sozialen Störungen effektiv begegnen – der LMU-Leitfaden für Miteinander im Unterricht. Heidelberg: Springer. Schütte, N., Blickle, G., Frieder, R. E., Wihler, A., Schnitzler, F., Heupel, J., & Zettler, I. (2016). The role of interpersonal influence in counterbalancing psychopathic trait facets at work. Journal of Management. https://doi.org/10.1177/0149206315607967. Schutte, N. S., Malouff, J. M., Thorsteinsson, E. B., Bhullar, N., & Rooke, S. E. (2007). A meta-analytic investigation of the relationship between emotional intelligence and health. Personality and Individual Differences, 42, 921–933. Schutte, N. S., Palanisamy, S. K. A., & McFarlane, J. R. (2016). The relationship between positive characteristics and longer telomeres. Psychology & Health, 31, 1466–1480. Schwartz, B. (1984). Psychology of learning and behavior (2. Aufl.). (S. 269, 577). New York: Norton. Schwartz, B. (2000). Self-determination: the tyranny of freedom. American Psychologist, 55, 79–88. Schwartz, B. (2004). The paradox of choice: Why more is less (S. 464). New York: Ecco/HarperCollins. Schwartz, H. A., Eichstaedt, J. C., Kern, M. L., Dziurzynski, L., Ramones, S. M., Agrawal, M., & Ungar, L. H. (2013). Personality, gender, and age in the language of social media: The open-vocabulary approach. PLoS ONE, 8, e73791. Schwartz, J. M., Stoessel, P. W., Baxter Jr., L. R., Martin, K. M., & Phelps, M. E. (1996). Systematic changes in cerebral glucose metabolic rate after successful behavior modification treatment of obsessive-compulsive disorder. Archives of General Psychiatry, 53, 109–113. Schwartz, P. J. (2011). Season of birth in schizophrenia: a maternal-fetal chronobiological hypothesis. Medical Hypotheses, 76, 785–793. Schwartz, S. (2012). Dreams, emotions and brain plasticity. In Aquém e além do cérebro [Behind and beyond the brain] (S. 109). Bial: Fundação Bial Institution of Public Utility.
Literatur
Schwartz, S. H., & Rubel-Lifschitz, T. (2009). Cross-national variation in the size of sex differences in values: effects of gender equality. Journal of Personality and Social Psychology, 97, 171–185. Schwartz, S. J., Lilienfeld, S. O., Meca, A., & Sauvigné, K. C. (2016). The role of neuroscience within psychology: a call for inclusiveness over exclusiveness. American Psychologist, 71, 52–70. Schwartz, S. J., Unger, J. B., Zamboanga, B. L., & Szapocznik, J. (2010). Rethinking the concept of acculturation: implications for theory and research. American Psychologist, 65, 237–251. Schwartzman-Morris, J., & Putterman, C. (2012). Gender differences in the pathogenesis and outcome of lupus and of lupus nephritis. Clinical and Developmental Immunology, 2012, 604892. Schwarz, A. (2012, June 9). Risky rise of the good-grade pill. The New York Times (nytimes.com). (p. 567) Schwarz, A., & Cohen, S. (2013, March 31). A.D.H.D. seen in 11 % of U.S. children as diagnoses rise. The New York Times (nytimes. com). (p. 567) Schwarz, N., Strack, F., Kommer, D., & Wagner, D. (1987). Soccer, rooms, and the quality of your life: mood effects on judgments of satisfaction with life in general and with specific domains. European Journal of Social Psychology, 17, 69–79. Sclafani, A. (1995). How food preferences are learned: Laboratory animal models. PNAS, 54, 419–427. Scopelliti, I., Loewenstein, G., & Vosgerau, J. (2015). You call it “selfexuberance”; I call it “bragging”: miscalibrated predictions of emotional responses to self-promotion. Psychological Science, 26, 903–914. Scott, D. J., Stohler, C. S., Egnatuk, C. M., Wang, H., Koeppe, R. A., & Zubieta, J.-K. (2007). Individual differences in reward responding explain placebo-induced expectations and effects. Neuron, 55, 325–336. Scott, K. M., Wells, J. E., Angermeyer, M., Brugha, T. S., Bromet, E., Demyttenaere, K., & Kessler, R. C. (2010). Gender and the relationship between marital status and first onset of mood, anxiety and substance use disorders. Psychological Medicine, 40, 1495–1505. Scott-Sheldon, L., Carey, K. B., Elliott, J. C., Garey, L., & Carey, M. P. (2014). Efficacy of alcohol interventions for first-year college students: a meta-analytic review of randomized controlled trials. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 82, 177–188. Scullin, M. K., & Bliwise, D. L. (2015). Sleep, cognition, and normal aging: Integrating a half century of multidisciplinary research. Perspectives on Psychological Science, 10, 97–137. Scullin, M. K., & McDaniel, M. A. (2010). Remembering to execute a goal: Sleep on it! Psychological Science, 21, 1028–1035. Sdorow, L. M. (2005). The people behind psychology. In B. Perlman, L. McCann & W. Buskist (Hrsg.), Voices of experience: memorable talks from the national institute on the teaching of psychologym (S. 534). Washington, DC: American Psychological Society. Seal, K. H., Bertenthal, D., Miner, C. R., Sen, S., & Marmar, C. (2007). Bringing the war back home: mental health disorders among 103,788 U.S. veterans returning from Iraq and Afghanistan seen at department of veterans affairs facilities. Archives of Internal Medicine, 167, 467–482. Seamon, J., Punjabi, P., & Busch, E. (2010). Memorizing milton’s paradise lost: a study of a septuagenarian exceptional memoriser. Memory, 18, 498–503. Sedley, W., Gander, P. E., Kumar, S., Oya, H., Kovach, C. K., Nourski, K. V., & Griffiths, T. D. (2015). Intracranial mapping of a cortical tinnitus system using residual inhibition. Current Biology, 25, 1208–1214. Sedlmeier, P., Eberth, J., Schwarz, M., Zimmermann, D., Haarig, F., Jaeger, S., & Kunze, S. (2012). The psychological effects of meditation: A meta-analysis. Psychological Bulletin, 138, 1139–1171. Seehagen, S., Konrad, C., Herbert, J. S., & Schneider, S. (2015). Timely sleep facilitates declarative memory consolidation in infants. PNAS, 112, 1625–1629.
927
Seeman, P., Guan, H.-C., & Van Tol, H. H. M. (1993). Dopamine D4 receptors elevated in schizophrenia. Nature, 365, 441–445. Seery, M. D. (2011). Resilience: a silver lining to experiencing adverse life events. Current Directions in Psychological Science, 20, 390–394. Segal, N. L. (2005). Indivisible by two: lives of extraordinary twins (S. 132). Cambridge: Harvard University Press. Segal, N. L. (2013). Personality similarity in unrelated look-alike pairs: addressing a twin study challenge. Personality and Individual Differences, 54, 23–28. Segal, N. L., Graham, J. L., & Ettinger, U. (2013). Unrelated lookalikes: replicated study of personality similarity and qualitative findings on social relatedness. Personality and Individual Differences, 55, 169–174. Segal, N. L., McGuire, S. A., & Stohs, J. H. (2012). What virtual twins reveal about general intelligence and other behaviors. Personality and Individual Differences, 53, 405–410. Segall, M. H., Dasen, P. R., Berry, J. W., & Poortinga, Y. H. (1990). Human behavior in global perspective: An introduction to cross-cultural psychology (S. 140, 159, 180). New York: Pergamon. Segerstrom, S. C. (2007). Stress, energy, and immunity. Current Directions in Psychological Science, 16, 326–330. Segerstrom, S. C., Taylor, S. E., Kemeny, M. E., & Fahey, J. L. (1998). Optimism is associated with mood, coping, and immune change in response to stress. Journal of Personality and Social Psychology, 74, 1646–1655. Seibert, S. E., Wang, G., & Courtright, S. H. (2011). Antecedents and consequences of psychological and team empowerment in organizations: a meta-analytic review. Journal of Applied Psychology, 96, 981–1003. Seiz, J., Decristan, J., Kunter, M., & Baumert, J. (2016). Differenzielle Effekte von Klassenführung und Unterstützung für Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund. Zeitschrift Pädagogische Psychologie, 30, 237–249. Sejnowski, T. Quoted in “Memory capacity of brain is 10 times more than previously thought.” KurzweilAI Accelerating Intelligence News. kurzweilai.net (Erstellt: 20. Jan. 2016). Self, C. E. (1994). Moral culture and victimization in residence halls. Unpublished master’s thesis. Bowling Green University. (p. 124) Seli, P., Risko, E. F., Smilek, D., & Schacter, D. L. (2016). Mind-wandering with and without intention. Trends in Cognitive Sciences, 20, 605–617. Seligman, M. (2016). How positive psychology happened and where it is going. In R. J. Sternberg, S. T. Fiske & D. J. Foss (Hrsg.), Scientists making a difference: One hundred eminent behavioral and brain scientists talk about their most important contributions (S. 478–480). New York: Cambridge University Press. Seligman, M. E. P. (1975). Helplessness: on depression, development and death (S. 463). San Francisco: Freeman. Seligman, M. E. P. (1991). Learned optimism (S. 88, 588). New York: Knopf. Seligman, M. E. P. (1994). What you can change and what you can’t (S. 469, 555). New York: Knopf. Seligman, M. E. P. (1995). The efffectiveness of psychotherapy: the Consumer Reports study. American Psychologist, 50, 965–974. Seligman, M. E. P. (2002). Authentic happiness: using the new positive psychology to realize your potential for lasting fulfillment (S. 12, 444). New York: Free Press. Seligman, M. E. P. (2012, May 8). Quoted in A. C. Brooks, America and the value of “earned success.” The Wall Street Journal (wsj. com). (p. 556) Seligman, M. E. P., Ernst, R. M., Gillham, J., Reivich, K., & Linkins, M. (2009). Positive education: positive psychology and classroom interventions. Oxford Review of Education, 35, 293–311. Seligman, M. E. P., & Maier, S. F. (1967). Failure to escape traumatic shock. Journal of Experimental Psychology, 74, 1–9. Seligman, M. E. P., Peterson, C., Barsky, A. J., Boehm, J. K., Kubzansky, L. D., Park, N., & Labarthe, D. (2011). Positive health and
928
Literatur
health assets: Re-analysis of longitudinal datasets. Unpublished manuscript, University of Pennsylvania. (p. 12) Seligman, M. E. P., Steen, T. A., Park, N., & Peterson, C. (2005). Positive psychology progress: empirical validation of interventions. American Psychologist, 60, 410–421. Seligman, M. E. P., & Yellen, A. (1987). What is a dream? Behavior Research and Therapy, 25, 1–24. Selimbeyoglu, A., & Parvizi, J. (2010). Electrical stimulation of the human brain: perceptual and behavioral phenomena reported in the old and new literature. Frontiers in Human Neuroscience, 4, 1–11. Sellers, H. (2010). You don’t look like anyone I know (S. 213). New York: Riverhead Books. Selye, H. (1936). A syndrome produced by diverse nocuous agents. Nature, 138, 32. Selye, H. (1976). The stress of life (S. 454). New York: McGraw-Hill. Selzam, S., Krapohl, E., von Stumm, S., O’Reilly, P. F., Rimfeld, K., Kovas, Y., & Plomin, R. (2016). Predicting educational achievement from DNA. Molecular Psychiatry, 22, 267–272. Senghas, A., & Coppola, M. (2001). Children creating language: how Nicaraguan Sign Language acquired a spatial grammar. Psychological Science, 12, 323–328. Sengupta, S. (2001, October 10). Sept. 11 attack narrows the racial divide. The New York Times (nytimes.com). (p. 524) Senju, A., Southgate, V., White, S., & Frith, U. (2009). Mindblind eyes: an absence of spontaneous theory of mind in Asperger syndrome. Science, 325, 883–885. Sergeant, S., & Mongrain, M. (2014). An online optimism intervention reduces depression in pessimistic individuals. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 82, 263–274. Serruya, M. D., Hatsopoulos, N. G., Paninski, L., Fellow, M. R., & Donoghue, J. P. (2002). Instant neural control of a movement signal. Nature, 416, 141–142. Service, R. F. (1994). Will a new type of drug make memory-making easier? Science, 266, 218–219. Sexton, C. E., Betts, J. F., Demnitz, N., Dawes, H., Ebmeier, K. P., & Johansen-Berg, H. (2016). A systematic review of MRI studies examining the relationship between physical fitness and activity and the white matter of the ageing brain. NeuroImage, 131, 81–90. Shackman, A. J., Tromp, D. P., Stockbridge, M. D., Kaplan, C. M., Tillman, R. M., & Fox, A. S. (2016). Dispositional negativity: an integrative psychological and neurobiological perspective. Psychological Bulletin, 142, 1275–1314. Shadish, W. R., & Baldwin, S. A. (2005). Effects of behavioral marital therapy: a meta-analysis of randomized controlled trials. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 73, 6–14. Shadish, W. R., Montgomery, L. M., Wilson, P., Wilson, M. R., Bright, I., & Okwumabua, T. (1993). Effects of family and marital psychotherapies: A meta-analysis. Journal of Consulting and Clinical Psychology, 61, 992–1002. Shaffer, R. (2013). The psychic: Years later, Sylvia Browne’s accuracy remains dismal. Skeptical Inquirer, 5, 30–35. Shafir, E. (Hrsg.). (2013). The behavioral foundations of public policy (S. 5). Princeton: Princeton University Press. Shafir, E., & LeBoeuf, R. A. (2002). Rationality. Annual Review of Psychology, 53, 491–517. Shakeshaft, N. G., Trzaskowski, M., McMillan, A., Rimfeld, K., Krapohl, E., Haworth, C. M. A., & Plomin, R. (2013). Strong genetic influence on a UK nationwide test of educational achievement at the end of compulsory education at age 16. PLoS ONE, 8, e80341. Shaki, S. (2013). What’s in a kiss? Spatial experience shapes directional bias during kissing. Journal of Nonverbal Behavior, 37, 43–50. Shalev, I., Moffitt, T. E., Sugden, K., Williams, B., Houts, R. M., Danese, A., & Caspi, A. (2013). Exposure to violence during childhood is associated with telomere erosion from 5 to 10 years of age: A longitudinal study. Molecular Psychiatry, 18, 576–581. Shallcross, A. J., Ford, B. Q., Floerke, V. A., & Mauss, I. B. (2013). Getting better with age: the relationship between age, acceptance,
and negative affect. Journal of Personality and Social Psychology, 104, 734–749. Shamir, B., House, R. J., & Arthur, M. B. (1993). The motivational effects of charismatic leadership: a self-concept based theory. Organizational Science, 4, 577–594. Shanahan, L., McHale, S. M., Osgood, D. W., & Crouter, A. C. (2007). Conflict frequency with mothers and fathers from middle childhood to late adolescence: within- and between-families comparisons. Developmental Psychology, 43, 539–550. Shane, S. (2015, June 24). Homegrown extremists tied to deadlier toll than jihadis in U.S. since 9/11. The New York Times (nytimes.com). (p. 497) Shankar, S. Is the spelling bee success of Indian-Americans a legacy of British colonialism? The Conversation. theconversation.com (Erstellt: 1. Juni 2016). Shanks, D. R. (2010). Learning: from association to cognition. Annual Review of Psychology, 61, 273–301. Shannon, B. J., Raichle, M. E., Snyder, A. Z., Fair, D. A., Mills, K. L., Zhang, D., & Kiehl, K. A. (2011). Premotor functional connectivity predicts impulsivity in juvenile offenders. PNAS, 108, 11241– 11245. Shapin, S. (2013, October 15). The man who forgot everything. The New Yorker (newyorker.com). (p. 316) Shapiro, D. (1999). Psychotherapy of neurotic character (S. 612). New York: Basic Books. Shapiro, F. (1989). Efficacy of the eye movement desensitization procedure in the treatment of traumatic memories. Journal of Traumatic Stress, 2, 199–223. Shapiro, F. (1999). Eye movement desensitization and reprocessing (EMDR) and the anxiety disorders: clinical and research implications of an integrated psychotherapy treatment. Journal of Anxiety Disorders, 13, 35–67. Shapiro, F. (Hrsg.). (2002). EMDR as an integrative psychotherapy approach: experts of diverse orientations explore the paradigm prism (S. 630). APA Books: Washington, DC. Shapiro, F. (2007). EMDR and case conceptualization from an adaptive information processing perspective. In F. Shapiro, F. W. Kaslow & L. Maxfield (Hrsg.), Handbook of EMDR and family therapy processes (S. 630). Hoboken: Wiley. Shapiro, F. (2012, March 2). The evidence on E.M.D.R. The New York Times (nytimes.com). (p. 630) Shapiro, K. A., Moo, L. R., & Caramazza, A. (2006). Cortical signatures of noun and verb production. Proceedings of the National Academic of Sciences, 103, 1644–1649. Shappell, S., Detweiler, C., Holcomb, K., Hackworth, C., Boquet, A., & Wiegmann, D. A. (2007). Human error and commercial aviation accidents: An analysis using the human factors analysis and classification system. Human Factors, 49, 227–242. Shargorodsky, J., Curhan, S. G., Curhan, G. C., & Eavey, R. (2010). Changes of prevalence of hearing loss in US adolescents. JAMA, 304, 772–778. Shariff, A. F., Greene, J. D., Karremans, J. C., Luguri, J. B., Clark, C. J., Schooler, J. W., & Vohs, K. D. (2014). Free will and punishment: A mechanistic view of human nature reduces retribution. Psychological Science, 25, 1563–1570. Sharma, A. R., McGue, M. K., & Benson, P. L. (1998). The psychological adjustment of United States adopted adolescents and their nonadopted siblings. Child Development, 69, 791–802. Shattuck, P. T. (2006). The contribution of diagnostic substitution to the growing administrative prevalence of autism in US special education. Pediatrics, 117, 1028–1037. Shaver, P. R., Morgan, H. J., & Wu, S. (1996). Is love a basic emotion? Personal Relationships, 3, 81–96. Shaw, B. A., Liang, J., & Krause, N. (2010). Age and race differences in the trajectories of self-esteem. Psychology and Aging, 25, 84–94. Shaw, J., & Porter, S. (2015). Constructing rich false memories of committing crime. Psychological Science, 26, 291–301.
Literatur
Shedler, J. (2009, March 23). That was then, this is now: Psychoanalytic psychotherapy for the rest of us. Unpublished manuscript, Department of Psychiatry, University of Colorado Health Sciences Center, Aurora, CO. (p. 612) Shedler, J. (2010a). Getting to know me. Scientific American Mind. Shedler, J. (2010b). The efficacy of psychodynamic psychotherapy. American Psychologist, 65, 98–109. Sheehan, S. (1982). Is there no place on earth for me? (S. 593). Boston: Houghton Mifflin. Sheikh, S., & Janoff-Bulman, R. (2013). Paradoxical consequences of prohibitions. Journal of Personality and Social Psychology, 105, 301–315. Sheldon, K. M., & Lyubomirsky, S. (2012). The challenge of staying happier: testing the hedonic adaptation prevention model. Personality and Social Psychology Bulletin, 38, 670–680. Sheldon, K. M., Elliot, A. J., Kim, Y., & Kasser, T. (2001). What is satisfying about satisfying events? Testing 10 candidate psychological needs. Journal of Personality and Social Psychology, 80, 325–339. Shelton, L. T., Elliott, E. M., Matthews, R. A., Hill, B. H., & Gouvier, W. D. (2010). The relationships of working memory, secondary memory, and general fluid intelligence: working memory is special. Journal of Experimental Psychology, 36, 813–820. Sheltzer, J. M., & Smith, J. C. (2014). Elite male faculty in the life sciences employ fewer females. PNAS, 111, 10107–10112. Shen, L., Fishbach, A., & Hsee, C. K. (2015). The motivating-uncertainty effect: uncertainty increases resource investment in the process of reward pursuit. Journal of Consumer Research, 41, 1301–1315. Shenton, M. E. (1992). Abnormalities of the left temporal lobe and thought disorder in schizophrenia: a quantitative magnetic resonance imaging study. New England Journal of Medicine, 327, 604–612. Shepard, R. N. (1990). Mind sights (S. 40). New York: Freeman. Shepherd, C. (1997). News of the weird. Funny Times, www.funnytimes. com. Shepherd, C., Kohut, J. J., & Sweet, R. (1990). More news of the weird (S. 604). New York: Penguin/Plume Books. Shepperd, J. A., Waters, E., Weinstein, N. D., & Klein, W. M. P. (2015). A primer on unrealistic optimism. Current Directions in Psychological Science, 24, 232–237. Sher, L. (2006). Alcohol consumption and suicide. QJM: An International Journal of Medicine, 99, 57–61. Shergill, S. S., Bays, P. M., Frith, C. D., & Wolpert, D. M. (2003). Two eyes for an eye: the neuroscience of force escalation. Science, 301, 187. Sherif, M. (1966). In common predicament: social psychology of intergroup conflict and cooperation (S. 523). Boston: Houghton Mifflin. Sherif, M., Radhakrishnan, R., D’Souza, D. C., & Ranganathan, M. (2016). Human laboratory studies on cannabinoids and psychosis. Biological Psychiatry, 79, 526–538. Sherman, A. Loretta Lynch says gays and lesbians are most frequently targeted for hate crimes. Politifact. politifact.com (Erstellt: 23. Juni 2016). Sherman, G. D., Lee, J. J., Cuddy, A. J. C., Renshon, J., Oveis, C., Gross, J. J., & Lerner, J. S. (2012). Leadership is associated with lower levels of stress. PNAS, 109, 17903–17907. Sherman, L. E., Payton, A. A., Hernandez, L. M., Greenfield, P. M., & Dapretto, M. (2016). The power of the like in adolescence: effects of peer influence on neural and behavioral responses to social media. Psychological Science, 27, 1027–1035. Sherman, P. W., & Flaxman, S. M. (2001). Protecting ourselves from food. American Scientist, 89, 142–151. Sherman, R. A., Rauthmann, J. F., Brown, N. A., Serfass, D. S., & Jones, A. B. (2015). The independent effects of personality and situations on real-time expressions of behavior and emotion. Journal of Personality and Social Psychology, 109, 872–888.
929
Sherry, D., & Vaccarino, A. L. (1989). Hippocampus and memory for food caches in black-capped chickadees. Behavioral Neuroscience, 103, 308–318. Shettleworth, S. J. (1973). Food reinforcement and the organization of behavior in golden hamsters. In R. A. Hinde & J. Stevenson-Hinde (Hrsg.), Constraints on learning (S. 285). London: Academic Press. Shettleworth, S. J. (1993). Where is the comparison in comparative cognition? Alternative research programs. Psychological Science, 4, 179–184. Shiell, M. M., Champoux, F., & Zatorre, R. (2014). Enhancement of visual motion detection thresholds in early deaf people. PLoS ONE, 9, e90498. Shifren, J. L., Monz, B. U., Russo, P. A., Segreti, A., & Johannes, C. B. (2008). Sexual problems and distress in United States women: prevalence and correlates. Obstetrics & Gynecology, 112, 970–978. Shilsky, J. D., Hartman, T. J., Kris-Etherton, P. M., Rogers, C. J., Sharkey, N. A., & Nickols-Richardson, S. M. (2012). Partial sleep deprivation and energy balance in adults: An emerging issue for consideration by dietetics practitioners. Journal of the Academy of Nutrition and Dietetics, 112, 1785–1797. Shimamura, A. P. (2010). Bridging psychological and biological science: The good, bad, and ugly. Perspectives on Psychological Science, 5, 772–775. Shimizu, M., & Pelham, B. W. (2008). Postponing a date with the grim reaper. Basic and Applied Social Psychology, 30, 36–45. Shinkareva, S. V., Mason, R. A., Malave, V. L., Wang, W., Mitchell, T. M., & Just, M. A. (2008). Using fMRI brain activation to identify cognitive states associated with perceptions of tools and dwellings. PLoS ONE, 3, 31394. Shiromani, P. J., Horvath, T., Redline, S., & Van Cauter, E. (Hrsg.). (2012). Sleep loss and obesity: intersecting epidemics (S. 104). New York: Springer. Shockley, K. M., Ispas, D., Rossi, M. E., & Levine, E. L. (2012). A meta-analytic investigation of the relationship between state affect, discrete emotions, and job performance. Human Performance, 25, 377–411. Shor, E., Roelfs, D. J., & Yogev, T. (2013). The strength of family ties: a meta-analysis and meta-regression of self-reported social support and mortality. Social Networks, 35, 626–638. Shors, T. J. (2014). The adult brain makes new neurons, and effortful learning keeps them alive. Current Directions in Psychological Science, 23, 311–318. Short, M., Gradisar, M., Wright, H., Dewald, J., Wolfson, A., & Carskadon, M. (2013). A cross-cultural comparison of sleep duration between U.S. and Australian adolescents: the effect of school start time, parent-set bedtimes, and extra-curricular load. Health Education Behavior, 40, 323–330. Short, S. J., Lubach, G. R., Karasin, A. I., Olsen, C. W., Styner, M., Knickmeyer, R. C., & Coe, C. L. (2010). Maternal influenza infection during pregnancy impacts postnatal brain development in the rhesus monkey. Biological Psychiatry, 67, 965–973. Shotland, R. L. (1984, March 12). Quoted in Maureen Dowd, 20 years after the murder of Kitty Genovese, the question remains: Why? The New York Times, p. B1. Showers, C. (1992). The motivational and emotional consequences of considering positive or negative possibilities for an upcoming event. Journal of Personality and Social Psychology, 63, 474–484. Shrestha, A., Nohr, E. A., Bech, B. H., Ramlau-Hansen, C. H., & Olsen, J. (2011). Smoking and alcohol during pregnancy and age of menarche in daughters. Human Reproduction, 26, 259–265. Shuffler, M. L., Burke, C. S., Kramer, W. S., & Salas, E. (2013). Leading teams: Past, present, and future perspectives. In M. G. Rumsey (Hrsg.), The Oxford handbook of leadership (S. A-10). New York: Oxford University Press. Shuffler, M. L., DiazGranados, D., & Salas, E. (2011). There’s a science for that: team development interventions in organizations. Current Directions in Psychological Science, 20, 365–372.
930
Literatur
Shusterman, R., Smear, M. C., Koulakov, A. A., & Rinberg, D. (2011). Precise olfactory responses tile the sniff cycle. Nature Neuroscience, 14, 1039–1044. Shuwairi, S. M., & Johnson, S. P. (2013). Oculomotor exploration of impossible figures in early infancy. Infancy, 18, 221–232. Siegel, J. M. (1990). Stressful life events and use of physician services among the elderly: the moderating role of pet ownership. Journal of Personality and Social Psychology, 58, 1081–1086. Siegel, J. M. (2009). Sleep viewed as a state of adaptive inactivity. Nature Reviews Neuroscience, 10, 747–753. Siegel, J. M. (2012). Suppression of sleep for mating. Science, 337, 1610–1611. Siegel, R. K. (1977). Hallucinations. Scientific American. Siegel, R. K. (1980). The psychology of life after death. American Psychologist, 35, 911–931. Siegel, R. K. (1982). Quoted by J. Hooper, Mind tripping. Omni, 72–82, 159–160. Siegel, R. K. (1984, March 15). Personal communication. (p. 120) Siegel, R. K. (1990). Intoxication (S. 120). New York: Pocket Books. Siegel, S. (2005). Drug tolerance, drug addiction, and drug anticipation. Current Directions in Psychological Science, 14, 296–300. Silber, M. H., Ancoli-Israel, S., Bonnet, M. H., Chokroverty, S., GriggDamberger, M. M., Hirshkowitz, M., & Pressman, M. R. (2007). The visual scoring of sleep in adults. Journal of Clinical Sleep Medicine, 3, 121–131. Silbersweig, D. A., Stern, E., Frith, C., Cahill, C., Holmes, A., Grootoonk, S., Seaward, J., & Frackowiak, R. S. J. (1995). A functional neuroanatomy of hallucinations in schizophrenia. Nature, 378, 176–179. Silva, C. E., & Kirsch, I. (1992). Interpretive sets, expectancy, fantasy proneness, and dissociation as predictors of hypnotic response. Journal of Personality and Social Psychology, 63, 847–856. Silva, K., Bessa, J., & de Sousa, L. (2012). Auditory contagious yawning in domestic dogs (Canis familiaris): first evidence for social modulation. Animal Cognition, 15, 721–724. Silver, M., & Geller, D. (1978). On the irrelevance of evil: the organization and individual action. Journal of Social Issues, 34, 125–136. Silver, N. (2012). The signal and the noise. Why so many predictions fail—but some don’t (S. 202). New York: Penguin. Silver, R. C., Holman, E. A., Anderson, J. P., Poulin, M., McIntosh, D. N., & Gil-Rivas, V. (2013). Mental- and physical-health effects of acute exposure to media images of the September 11, 2001 attacks and Iraq War. Psychological Science, 24, 1623–1634. Silver, R. C., Holman, E. A., McIntosh, D. N., Poulin, M., & Gil-Rivas, V. (2002). Nationwide longitudinal study of psychological responses to September 11. Journal of the American Medical Association, 288, 1235–1244. Silverman, K., Evans, S. M., Strain, E. C., & Griffiths, R. R. (1992). Withdrawal syndrome after the double-blind cessation of caffeine consumption. New England Journal of Medicine, 327, 1109–1114. Silverstein, B. H., Snodgrass, M., Shevrin, H., & Kushwaha, R. (2015). P3b, consciousness, and complex unconscious processing. Cortex, 73, 216–227. Simek, T. C., & O’Brien, R. M. (1981). Total golf: A behavioral approach to lowering your score and getting more out of your game (S. 280). Huntington: NY: B-MOD. Simek, T. C., & O’Brien, R. M. (1988). A chaining-mastery, discrimination training program to teach Little Leaguers to hit a baseball. Human Performance, 1, 73–84. Simon, H. (2001). Quoted by A. M. Hayashi, When to trust your gut. Harvard Business Review, https://hbr.org/ Simon, H. A., & Chase, W. G. (1973). Skill in chess. American Scientist, 61, 394–403. Simon, V., Czobor, P., Bálint, S., Mésáros, A., & Bitter, I. (2009). Prevalence and correlates of adult attention-deficit hyperactivity disorder: meta-analysis. British Journal of Psychiatry, 194, 204–211.
Simons, D. J., Boot, W. R., Charness, N., Gathercole, S. E., Chabris, C. F., Hambrick, D. Z., & Stine-Morrow, E. A. L. (2016). Do “brain-training” programs work? Psychological Science in the Public Interest, 17, 103–186. Simons, D. J., & Chabris, C. F. (1999). Gorillas in our midst: Sustained inattentional blindness for dynamic events. Perception, 28, 1059– 1074. Simons, D. J., & Chabris, C. F. (2011). What people believe about how memory works: a representative survey of the U.S. population. PLoS ONE, 6, e22757. Simons, D. J., & Levin, D. T. (1998). Failure to detect changes to people during a real-world interaction. Psychonomic Bulletin & Review, 5, 644–649. Simonsohn, U., & Gino, F. (2013). Daily horizons: evidence of narrow bracketing in judgment from 10 years of M.B.A. admissions interviews. Psychological Science, 24, 219–224. Simonton, D. K. (1988). Age and outstanding achievement: what do we know after a century of research? Psychological Bulletin, 104, 251–267. Simonton, D. K. (1990). Creativity in the later years: optimistic prospects for achievement. The Gerontologist, 30, 626–631. Simonton, D. K. (1992). The social context of career success and course for 2,026 scientists and inventors. Personality and Social Psychology Bulletin, 18, 452–463. Simonton, D. K. (2000). Methodological and theoretical orientation and the long-term disciplinary impact of 54 eminent psychologists. Review of General Psychology, 4, 13–24. Simonton, D. K. (2012a). Teaching creativity: Current findings, trends, and controversies in the psychology of creativity. Teaching of Psychology, 39, 217–222. Simonton, D. K. (2012b). The science of genius. Scientific American Mind. Simpson, A., & Rios, K. (2016). How do U.S. Christians and atheists stereotype one another’s moral values? International Journal for the Psychology of Religion, 26, 320–336. Sin, N. L., Graham-Engeland, J. E., Ong, A. D., & Almeida, D. M. (2015). Affective reactivity to daily stressors is associated with elevated inflammation. Health Psychology, 34, 154–1165. Sinclair, R. C., Hoffman, C., Mark, M. M., Martin, L. L., & Pickering, T. L. (1994). Construct accessibility and the misattribution of arousal: Schachter and Singer revisited. Psychological Science, 5, 15–18. Singer, J. L. (1981). Clinical intervention: new developments in methods and evaluation. In L. T. Benjamin Jr. (Hrsg.), The G. Stanley Hall lecture series (Bd. 1, S. 628). Washington, DC: American Psychological Association. Singer, T., Seymour, B., O’Doherty, J., Kaube, H., Dolan, R. J., & Frith, C. (2004). Empathy for pain involves the affective but not sensory components of pain. Science, 303, 1157–1162. Singh, D. (1993). Adaptive significance of female physical attractiveness: role of waist-to-hip ratio. Journal of Personality and Social Psychology, 65, 293–307. Singh, D. (1995). Female health, attractiveness, and desirability for relationships: role of breast asymmetry and waist-to-hip ratio. Ethology and Sociobiology, 16, 465–481. Singh, D., & Randall, P. K. (2007). Beauty is in the eye of the plastic surgeon: waist-hip ration (WHR) and women’s attractiveness. Personality and Individual Differences, 43, 329–340. Singh, S. (1997). Fermat’s enigma: the epic quest to solve the world’s greatest mathematical problem (S. 339). New York: Bantam Books. Singh, S., & Riber, K. A. (1997). Fermat’s last stand. Scientific American. Sio, U. N., Monahan, P., & Ormerod, T. (2013). Sleep on it, but only if it is difficult: effects of sleep on problem solving. Memory and Cognition, 41, 159–166. Sipski, M. L., Alexander, C. J., & Rosen, R. C. (1999). Sexual response in women with spinal cord injuries: Implications for our under-
Literatur
standing of the able bodied. Journal of Sexual & Marital Therapy, 25, 11–22. Sireteanu, R. (1999). Switching on the infant brain. Science, 286, 59, 61. Skeem, J., Kennealy, P., Monahan, J., Peterson, J., & Appelbaum, P. (2016). Psychosis uncommonly and inconsistently precedes violence among high-risk individuals. Clinical Psychological Science, 4, 40–49. Skeem, J. L., & Cooke, D. J. (2010). Is criminal behavior a central component of psychopathy? Conceptual directions for resolving the debate. Psychological Assessment, 22, 433–445. Skinner, B. F. (1953). Science and human behavior (S. 276). New York: Macmillan. Skinner, B. F. (1956). A case history in scientific method. American Psychologist, 11, 221–233. Skinner, B. F. (1961). Teaching machines. Scientific American, 205, 90–112. Skinner, B. F. (1966). The behavior of organisms: an experimental analysis (S. 280). New York: Appleton-Century-Crofs. Original work published 1938. Skinner, B. F. (1971). Beyond freedom and dignity. New York: A. Knopf, Bd. 1973. A, New York: Bantam, Vintage Book. Skinner, B. F. (1983). Origins of a behaviorist. Psychology Today. Skinner, B. F. (1989). Teaching machines. Science, 243, 1535. Skinner, M. K. (2014). A new kind of inheritance. Scientific American. Skitka, L. J., Bauman, C. W., & Mullen, E. (2004). Political tolerance and coming to psychological closure following the September 11, 2001, terrorist attacks: an integrative approach. Personality and Social Psychology Bulletin, 30, 743–756. Sklar, L. S., & Anisman, H. (1981). Stress and cancer. Psychological Bulletin, 89, 369–406. Skoog, G., & Skoog, I. (1999). A 40-year follow-up of patients with obsessive-compulsive disorder. Archives of General Psychiatry, 56, 121–127. Skorska, M. N., Geniole, S. N., Vrysen, B. M., McCormick, C. M., & Bogaert, A. F. (2015). Facial structure predicts sexual orientation in both men and women. Archives of Sexual Behavior, 44, 1377–1394. Skov, R. B., & Sherman, S. J. (1986). Information-gathering processes: Diagnosticity, hypothesis-confirmatory strategies, and perceived hypothesis confirmation. Journal of Experimental Social Psychology, 22, 93–121. Slatcher, R. B., Selcuk, E., & Ong, A. (2015). Perceived partner responsiveness predicts diurnal cortisol profiles 10 years later. Psychological Science, 26, 972–982. Slater, E., & Meyer, A. (1959). Confinia psychiatra (S. 582). Basel: S. Karger AG. Slaughter, V., Imuta, K., Peterson, C. C., & Henry, J. D. (2015). Metaanalysis of theory of mind and peer popularity in the preschool and early school years. Child Development, 86, 1159–1174. Sloan, R. P. (2005). Field analysis of the literature on religion, spirituality, and health (S. 473). Columbia University. metanexus.net/tarp Sloan, R. P., & Bagiella, E. (2002). Claims about religious involvement and health outcomes. Annals of Behavioral Medicine, 24, 14–21. Sloan, R. P., Bagiella, E., & Powell, T. (1999). Religion, spirituality, and medicine. The Lancet, 353, 664–667. Sloan, R. P., Bagiella, E., VandeCreek, L., & Poulos, P. (2000). Should physicians prescribe religious activities? New England Journal of Medicine, 342, 1913–1917. Slopen, N., Glynn, R. J., Buring, J., & Albert, M. A. (2010). Job strain, job insecurity, and incident cardiovascular disease in the Women’s Health Study. Circulation, 122(21, Suppl), Abstract A18520. Slovic, P. (2007). “if I look at the mass I will never act”: psychic numbing and genocide. Judgment and Decision Making, 2, 79–95. Slovic, P., Västfjälla, D., Erlandsson, A., & Gregory, R. (2017). Iconic photographs and the ebb and flow of empathic response to humanitarian disasters. Proceedings of the National Academy of Sciences, 114, 640–644.
931
Slutske, W. S., Moffitt, T. E., Poulton, R., & Caspi, A. (2012). Undercontrolled temperament at age 3 predicts disordered gambling at age 32: a longitudinal study of a complete birth cohort. Psychological Science, 23, 510–516. Smalarz, L., & Wells, G. L. (2015). Contamination of eyewitness selfreports and the mistaken identification problem. Current Directions in Psychological Science, 24, 120–124. Small, M. F. (1997). Making connections. American Scientist, 85, 502–504. Smallwood, J., & Schooler, J. W. (2015). The science of mind wandering: empirically navigating the stream of consciousness. Annual Review of Psychology, 66, 487–518. Smart Richman, L., & Leary, M. (2009). Reactions to discrimination, stigmatization, ostracism, and other forms of interpersonal rejection: a dynamic, multi-motive model. Psychological Review, 116, 365–383. Smedley, A., & Smedley, B. D. (2005). Race as biology is fiction, racism as a social problem is real: anthropological and historical perspectives on the social construction of race. American Psychologist, 60, 16–26. Smelser, N. J., & Mitchell, F. (Hrsg.). (2002). Terrorism: perspectives from the behavioral and social sciences (S. 503). Washington, DC: National Research Council, National Academies Press. Smith, A. (1776). An inquiry into the nature and causes of the wealth of nations (S. 521). London: W. Strahan and T. Cadell. Smith, A. (1983). Personal correspondence. (p. 595) Smith, A. (2016). 15 % of American adults have used online dating sites or mobile dating apps (S. 512). Pew Research Center. pewresearch. org Smith, A. M., Floerke, V. A., & Thomas, A. K. (2016). Retrieval practice protects memory against acute stress. Science, 354, 1046–1048. Smith, A. R., Dodd, D. R., Forrest, L. N., Witte, T. K., Bodell, L., Ribeiro, J. D., & Bartlett, M. (2016). Does the interpersonalpsychological theory of suicide provide a useful framework for understanding suicide risk among eating disorder patients? A test of the validity of the IPTS. International Journal of Eating Disorders, 49, 1082–1086. Smith, B. C. (2011). The senses and the multi-sensory (S. 255). World Question Center. edge.org Smith, C. (2006, January 7). Nearly 100, LSD’s father ponders his “problem child.” The New York Times (nytimes.com). (p. 120) Smith, E., & Delargy, M. (2005). Locked-in syndrome. British Medical Journal, 330, 406–409. Smith, G. E. (2016). Healthy cognitive aging and dementia prevention. American Psychologist, 71, 268–275. Smith, J. A., & Rhodes, J. E. (2014). Being depleted and being shaken: an interpretative phenomenological analysis of the experiential features of a first episode of depression. Psychology and Psychotherapy: Theory, Research and Practice, 88, 197–209. Smith, J. C., Nielson, K. A., Woodard, J. L., Seidenberg, M., Durgerian, S., Hazlett, K. E., & Rao, S. M. (2014). Physical activity reduces hippocampal atrophy in elders at genetic risk for Alzheimer’s disease. Frontiers in Aging Neuroscience, 6, 61. Smith, M. B. (1978). Psychology and values. Journal of Social Issues, 34, 181–199. Smith, M. L., & Glass, G. V. (1977). Meta-analysis of psychotherapy outcome studies. American Psychologist, 32, 752–760. Smith, M. L., Glass, G. V., & Miller, R. L. (1980). The benefits of psychotherapy (S. 627, 628). Baltimore: Johns Hopkins Press. Smith, P. B., & Tayeb, M. (1989). Organizational structure and processes. In M. Bond (Hrsg.), The cross-cultural challenge to social psychology (S. A-10). Newbury Park: SAGE. Smith, S. F., Lilienfeld, S. O., Coffey, K., & Dabbs, J. M. (2013). Are psychopaths and heroes twigs off the same branch? Evidence from college, community, and presidential samples. Journal of Research in Personality, 47, 634–646.
932
Literatur
Smith, S. J., Axelton, A. M., & Saucier, D. A. (2009). The effects of contact on sexual prejudice: a meta-analysis. Sex Roles, 61, 178– 191. Smith, S. M., Nichols, T. E., Vidaurre, D., Winkler, A. M., Behrens, T. E., Glasser, M. F., & Miller, K. L. (2015). A positive-negative mode of population covariation links brain connectivity, demographics, and behavior. Nature Neuroscience, 18, 1565–1567. Smits, I. A. M., Dolan, C. V., Vorst, H. C. M., Wicherts, J. M., & Timmerman, M. E. (2011). Cohort differences in big five personality traits over a period of 25 years. Journal of Personality and Social Psychology, 100, 1124–1138. Smolak, L., & Murnen, S. K. (2002). A meta-analytic examination of the relationship between child sexual abuse and eating disorders. International Journal of Eating Disorders, 31, 136–150. Smoreda, Z., & Licoppe, C. (2000). Gender-specific use of the domestic telephone. Social Psychology Quarterly, 63, 238–252. Snedeker, J., Geren, J., & Shafto, C. L. (2007). Starting over: International adoption as a natural experiment in language development. Psychological Science, 18, 79–86. Snippe, E., Simons, C. J., Hartmann, J. A., Menne-Lothmann, C., Kramer, I., Booij, S. H., & Wichers, M. (2016). Change in daily life behaviors and depression: Within-person and between-person associations. Health Psychology, 35, 433–441. Snodgrass, S. E., Higgins, J. G., & Todisco, L. (1986). The effects of walking behavior on mood. Paper presented at the American Psychological Association convention. (S. 442). Snyder, F., & Scott, J. (1972). The psychophysiology of sleep. In N. S. Greenfield & R. A. Sterbach (Hrsg.), Handbook of psychophysiology (S. 109). New York: Holt, Rinehart & Winston. Snyder, S. H. (1984). Neurosciences: an integrative discipline. Science, 225, 1255–1257. Snyder, S. H. (1986). Drugs and the brain (S. 638). New York: Scientific American Library. Snyder-Mackler, N., Sanz, J., Kohn, J. N., Brinkworth, J. F., Morrow, S., Shaver, A. O., & Tung, J. (2016). Social status alters immune regulation and response to infection in macaques. Science, 354, 1041–1045. Society for Personality Assessment (2005). The status of the rorschach in clinical and forensic practice: an official statement by the board of trustees of the society for personality assessment. Journal of Personality Assessment, 85, 219–237. Soderstrom, N. C., Kerr, T. K., & Bjork, R. A. (2016). The critical importance of retrieval—and spacing—for learning. Psychological Science, 27, 223–230. Sofer, C., Dotsch, R., Wigboldus, D. H. J., & Todorov, A. (2015). What is typical is good: The influence of face typicality on perceived trustworthiness. Psychological Science, 26, 39–47. Solnick, S. J., & Hemenway, D. (1998). Is more always better?: a survey on positional concerns. Journal of Economic Behavior & Organization, 37, 373–383. Solnick, S. J., & Hemenway, D. (2009). Do spending comparisons affect spending and satisfaction? Journal of Socio-Economics, 38, 568–573. Solomon, B. C., & Jackson, J. J. (2014). The long reach of one’s spouse: spouses’ personality influences occupational success. Psychological Science, 25, 2189–2198. Solomon, D. A., Keitner, G. I., Miller, I. W., Shea, M. T., & Keller, M. B. (1995). Course of illness and maintenance treatments for patients with bipolar disorder. Journal of Clinical Psychiatry, 56, 5–13. Solomon, Z., Greene, T., Ein-Dor, T., Zerach, G., Benyamini, Y., & Ohry, A. (2014). The long-term implications of war captivity for mortality and health. Journal of Behavioral Medicine, 37, 849–859. Somerville, L. H., Jones, R. M., Ruberry, E. J., Dyke, J. P., Glover, G., & Casey, B. J. (2013). The medial prefrontal cortex and the emergence of self-conscious emotion in adolescence. Psychological Science, 24, 1554–1562.
Song, S. (2006, March 27). Mind over medicine. Time, p. 47. Sontag, S. (1978). Illness as metaphor (S. 459). New York: Farrar, Straus, & Giroux. Sood, A. K., Armaiz-Pena, G. N., Halder, J., Nick, A. M., Stone, R. L., Hu, W., & Lutgendorf, S. K. (2010). Adrenergic modulation of focal adhesion kinase protects human ovarian cancer cells from anoikis. Journal of Clinical Investigation, 120, 1515–1523. Soon, C. S., Brass, M., Heinze, H., & Haynes, J. (2008). Unconscious determinants of free decisions in the human brain. Nature Neuroscience, 11, 543–545. Sorkhabi, N., & Larzelere, R. E. (2019). Diana Blumberg Baumrind (1927–2018). American Psychologist, 74, 850. Soussignan, R. (2001). Duchenne smile, emotional experience, and autonomic reactivity: a test of the facial feedback hypothesis. Emotion, 2, 52–74. South, S. C., Krueger, R. F., Johnson, W., & Iacono, W. G. (2008). Adolescent personality moderates genetic and environmental influences on relationships with parents. Journal of Personality and Social Psychology, 94, 899–912. Sowell, T. (1991). Cultural diversity: A world view. American Enterprise, 29, 44–55. Spalding, K. L., Bergmann, O., Alkass, K., Bernard, S., Salehpour, M., Huttner, H. B., & Frisén, J. (2013). Dynamics of hippocampal neurogenesis in adult humans. Cell, 153, 1219–1227. Spanos, N. P. (1986). Hypnosis, nonvolitional responding, and multiple personality: a social psychological perspective. Progress in Experimental Personality Research, 14, 1–62. Spanos, N. P. (1994). Multiple identity enactments and multiple personality disorder: a sociocognitive perspective. Psychological Bulletin, 116, 143–165. Spanos, N. P. (1996). Multiple identities and false memories: a sociocognitive perspective (S. 600). American Psychological Association Books: Washington, DC. Spanos, N. P., & Coe, W. C. (1992). A social-psychological approach to hypnosis. In E. Fromm & M. R. Nash (Hrsg.), Contemporary hypnosis research (S. 250). New York: Guilford. Sparks, S., Cunningham, S. J., & Kritikos, A. (2016). Culture modulates implicit ownership-induced self-bias in memory. Cognition, 153, 89–98. Sparrow, B., Liu, J., & Wegner, D. M. (2011). Google effects on memory: cognitive consequences of having information at our fingertips. Science, 333, 776–778. Spaulding, S. (2013). Mirror neurons and social cognition. Mind and Language, 28, 233–257. Specht, J., Luhmann, M., & Geiser, C. (2014). On the consistency of personality types across adulthood: latent profile analyses in two large-scale panel studies. Journal of Personality and Social Psychology, 107, 540–556. Spector, T. (2012). Identically different: Why you can change your genes (S. 136). London: Weidenfeld & Nicolson. Speer, N. K., Reynolds, J. R., Swallow, K. M., & Zacks, J. M. (2009). Reading stories activates neural representations of visual and motor experiences. Psychological Science, 20, 989–999. Spelke, E. S., Bernier, E. P., & Skerry, A. E. (2013). Core social cognition. In M. R. Banaji & S. A. Gelman (Hrsg.), Navigating the social world: what infants, children, and other species can teach us (S. 177). Oxford: Oxford University Press. Spencer, K. M., Nestor, P. G., Perlmutter, R., Niznikiewicz, M. A., Klump, M. C., Frumin, M., & McCarley, R. W. (2004). Neural synchrony indexes disordered perception and cognition in schizophrenia. PNAS, 101, 17288–17293. Spencer, S. J., Logel, C., & Davies, P. G. (2016). Stereotype threat. Annual Review of Psychology, 67, 415–437. Spencer, S. J., Steele, C. M., & Quinn, D. M. (1997). Stereotype threat and women’s math performance. Unpublished manuscript, Hope College. (p. 386)
Literatur
Spengler, M., Brunner, M., Damian, R. I., Lüdtke, O., Martin, R., & Roberts, B. W. (2015). Student characteristics and behaviors at age 12 predict occupational success 40 years later over and above childhood IQ and parental socioeconomic status. Developmental Psychology, 51, 1329–1340. Spengler, M., Roberts, B. W., Lüdtke, O., Martin, R., & Brunner, M. (2016). The kind of student you were in elementary school predicts mortality. Journal of Personality, 84, 547–553. Sperling, G. (1960). The information available in brief visual presentations. Psychological Monographs, 74(Whole No. 498), 301. Sperry, R. W. (1964). Problems outstanding in the evolution of brain function. New York: James Arthur Lecture, American Museum of Natural History. Cited by R. Ornstein (1977), The psychology of consciousness (2nd ed.). New York: Harcourt Brace Jovanovich. (p. 83) Sperry, R. W. (1985). Changed concepts of brain and consciousness: some value implications. Zygon, 20, 41–57. Sperry, R. W. (1992). Turnabout on consciousness: A mentalist view. Journal of Mind & Behavior, 13, 259–280. Spiegel, A. “Voice blind” man befuddled by mysterious callers. National Public Radio (Erstellt: 12. Juli 2010). Spiegel, A. Dark thoughts. From “Invisibilia,” National Public Radio. npr.org (Erstellt: 8. Jan. 2015). Spiegel, D. (2007). The mind prepared: Hypnosis in surgery. Journal of the National Cancer Institute, 99, 1280–1281. Spiegel, D. (2008). Coming apart: trauma and the fragmentation of the self (S. 601). Dana Foundation. dana.org Spielberger, C., & London, P. (1982). Rage boomerangs. American Health, 1, 52–56. Sprecher, S., Treger, S., & Sakaluk, J. K. (2013). Premarital sexual standards and sociosexuality: gender, ethnicity, and cohort differences. Archives of Sexual Behavior, 42, 1395–1405. Spring, B., Pingitore, R., Bourgeois, M., Kessler, K. H., & Bruckner, E. (1992). The effects and non-effects of skipping breakfast: results of three studies. Paper presented at the American Psychological Association convention. (S. 400). Sproesser, G., Schupp, H. T., & Renner, B. (2014). The bright side of stress-induced eating: eating more when stressed but less when pleased. Psychological Science, 25, 58–65. Squire, L. R., & Wixted, J. T. (2011). The cognitive neuroscience of human memory since H. M. Annual Review of Neuroscience, 34, 259–288. Squire, L. R., & Zola-Morgan, S. (1991). The medial temporal lobe memory system. Science, 253, 1380–1386. Srivastava, A., Locke, E. A., & Bartol, K. M. (2001). Money and subject wellbeing: It’s not the money, it’s the motives. Journal of Personality and Social Psychology, 80, 959–971. Srivastava, S., McGonigal, K. M., Richards, J. M., Butler, E. A., & Gross, J. J. (2006). Optimism in close relationships: how seeing things in a positive light makes them so. Journal of Personality and Social Psychology, 91, 143–153. Stacey, D., Bilbao, A., Maroteaux, M., Jia, T., Easton, A. C., Longueville, S., & IMAGEN Consortium (2012). RASGRF2 regulates alcohol-induced reinforcement by influencing mesolimbic dopamine neuron activity and dopamine release. PNAS, 109, 21128–21133. Stafford, T., & Dewar, M. (2014). Tracing the trajectory of skill learning with a very large sample of online game players. Psychological Science, 25, 511–518. Stager, C. L., & Werker, J. F. (1997). Infants listen for more phonetic detail in speech perception than in word-learning tasks. Nature, 388, 381–382. Stahl, A. E., & Feigenson, L. (2015). Observing the unexpected enhances infants’ learning and exploration. Science, 348, 91–94. Stanley, D., Phelps, E., & Banaji, M. (2008). The neural basis of implicit attitudes. Current Directions in Psychological Science, 17, 164–170. Stanley, S. M., Rhoades, G. K., Amato, P. R., Markman, H. J., & Johnson, C. A. (2010). The timing of cohabitation and engagement:
933
Impact on first and second marriages. Journal of Marriage and Family, 72, 906–918. Stanley, S., & Rhoades, G. (2016a). Testing a relationship is probably the worst reason to cohabit. Family Studies, family-studies.org. Stanley, S., & Rhoades, G. (2016b). The perils of sowing your wild oats. Psychology Today. Stanovich, K. (1996). How to think straight about psychology (S. 528). New York: HarperCollins. Stanovich, K. E., & West, R. F. (2014a). What intelligence tests miss. Psychologist, 27, 80–83. Stanovich, K. E., & West, R. F. (2014b). The assessment of rational thinking: IQ ≠ RQ. Teaching of Psychology, 41, 265–271. Stanovich, K. E., West, R. F., & Toplak, M. E. (2013). My side bias, rational thinking, and intelligence. Current Directions in Psychological Science, 22, 259–264. Starcke, K., & Brand, M. (2016). Effects of stress on decisions under uncertainty: a meta-analysis. Psychological Bulletin, 142, 909–933. Stark, R. (2002). Physiology and faith: Addressing the “universal” gender difference in religious commitment. Journal for the Scientific Study of Religion, 41, 495–507. Stark, R. (2003a). For the glory of god: how monotheism led to reformations, science, witch-hunts, and the end of slavery (S. 5). Princeton: Princeton University Press. Stark, R. (2003b). False conflict: christianity is not only compatible with science—it created it. American Enterprise, https://www.aei. org/. Statistics Canada (1999). Statistical report on the health of Canadians. Prepared by the Federal, Provincial and Territorial Advisory Committee on Population Health for the Meeting of Ministers of Health, Charlottetown. (S. 452). Statistics Canada (2011). Marital status: Overview, 2011. Table 2: Divorces and crude divorce rates, Canada, provinces and territories, 1981 to 2008. statcan.gc.ca/pub/91-209-x/2013001/article/11788/ tbl/tbl2-eng.htm Statistics Canada (2013). Table A.5.1. Second language immersion program enrolments in public elementary and secondary schools, Canada, provinces and territories, 2005/2006 to 2009/2010. statcan. gc.ca/pub/81-595-m/2011095/tbl/tbla.5.1-eng.htm Staub, E. (1989). The roots of evil: The psychological and cultural sources of genocide (S. 482). New York: Cambridge University Press. St. Clair, D., Xu, M., Wang, P., Yu, Y., Fang, Y., Zhang, F., Zheng, X., & He, L. (2005). Rates of adult schizophrenia following prenatal exposure to the Chinese famine of 1959–1961. Journal of the American Medical Association, 294, 557–562. Steel, P., Schmidt, J., & Schultz, J. (2008). Refining the relationship between personality and subject well-being. Psychological Bulletin, 134, 138–161. Steele, C. M. (1990). A conversation with Claude Steele. APS Observer. Steele, C. M. (1995, August 31). Black students live down to expectations. The New York Times (nytimes.com). (p. 386) Steele, C. M. (2010). Whistling Vivaldi: and other clues to how stereotypes affect us (S. 386). New York: Norton. Steele, C. M., & Josephs, R. A. (1990). Alcohol myopia: Its prized and dangerous effects. American Psychologist, 45, 921–933. Steele, C. M., Spencer, S. J., & Aronson, J. (2002). Contending with group image: the psychology of stereotype and social identity threat. Advances in Experimental Social Psychology, 34, 379–440. Steinberg, L. (1987). Bound to bicker. Psychology Today. Steinberg, L. (2001). We know some things: parent-adolescent relationships in retrospect and prospect. Journal of Research on Adolescence, 11, 1–19. Steinberg, L. (2007). Risk taking in adolescence: new perspectives from brain and behavioral science. Current Directions in Psychological Science, 16, 55–59. Steinberg, L. (2010). Analyzing adolescence. Interview with Sara Martin. Monitor on Psychology, www.apa.org.
934
Literatur
Steinberg, L. (2012). Should the science of adolescent brain development inform public policy? Issues in Science and Technology, 64, 67–78. Steinberg, L. (2013). The influence of neuroscience on U.S. Supreme Court decisions involving adolescents’ criminal culpability. Nature Reviews Neuroscience, 14, 513–518. Steinberg, L. (2015). How to improve the health of American adolescents. Perspectives on Psychological Science, 10, 711–715. Steinberg, L., Cauffman, E., Woolard, J., Graham, S., & Banich, M. (2009). Are adolescents less mature than adults? Minors’ access to abortion, the juvenile death penalty, and the alleged APA “flipflop.”. American Psychologist, 64, 583–594. Steinberg, L., Lamborn, S. D., Darling, N., Mounts, N. S., & Dornbusch, S. M. (1994). Overtime changes in adjustment and competence among adolescents from authoritative, authoritarian, indulgent, and neglectful families. Child Development, 65, 754–770. Steinberg, L., & Morris, A. S. (2001). Adolescent development. Annual Review of Psychology, 52, 83–110. Steinberg, L., & Scott, E. S. (2003). Less guilty by reason of adolescence: developmental immaturity, diminished responsibility, and the juvenile death penalty. American Psychologist, 58, 1009–1018. Steinberg, N. (1993). Astonishing love stories (from an earlier United Press International report). Games. Steiner, J. L., Murphy, E. A., McClellan, J. L., Carmichael, M. D., & Davis, J. M. (2011). Exercise training increases mitochondrial biogenesis in the brain. Journal of Applied Physiology, 111, 1066–1071. Steinhausen, H.-C., Mohr Jensen, C., & Lauritsen, M. B. (2016). A systematic review and meta-analysis of the long-term overall outcome of autism spectrum disorders in adolescence and adulthood. Acta Psychiatrica Scandinavica, 133, 445–452. Stellar, J. E., John-Henderson, N., Anderson, C. L., Gordon, A. M., McNeil, G. D., & Keltner, D. (2015). Positive affect and markers of inflammation: Discrete positive emotions predict lower levels of inflammatory cytokines. Emotion, 15, 129–133. Stender, J., Gosseries, O., Bruno, M.-A., Charland-Verville, V., Vanhaudenhuyse, A., Demertzi, A., & Laurey, S. (2014). Diagnostic precision of PET imaging and functional MRI in disorders of consciousness: a clinical validation study. The Lancet, 384, 514–522. Stephens-Davidowitz, S. (2013, December 7). How many American men are gay? The New York Times (nytimes.com). (p. 409) Stephens-Davidowitz, S. (2014). The effects of racial animus on a black candidate: evidence using Google search data. Journal of Public Economics, 118, 26–40. Steptoe, A., Chida, Y., Hamer, M., & Wardle, J. (2010). Author reply: meta-analysis of stress-related factors in cancer. Nature Reviews: Clinical Oncology, 7, 458. https://doi.org/10.1038/ncponc1134-c2. Steptoe, A., & Wardle, J. (2011). Positive affect measured using ecological momentary assessment and survival in older men and woman. PNAS, 108, 18244–18248. Stern, M., & Karraker, K. H. (1989). Sex stereotyping of infants: a review of gender labeling studies. Sex Roles, 20, 501–522. Sternberg, E. M. (2009). Healing spaces: the science of place and wellbeing (S. 456). Cambridge: Harvard University Press. Sternberg, R. J. (1985). Beyond IQ: A triarchic theory of human intelligence (S. 361). New York: Cambridge University Press. Sternberg, R. J. (1988). Applying cognitive theory to the testing and teaching of intelligence. Applied Cognitive Psychology, 2, 231–255. Sternberg, R. J. (2003). Our research program validating the triarchic theory of successful intelligence: reply to Gottfredson. Intelligence, 31, 399–413. Sternberg, R. J. (2006). The Rainbow Project: enhance the SAT through assessments of analytical, practical, and creative skills. Intelligence, 34, 321–350. Sternberg, R. J. (2011). The theory of successful intelligence. In R. J. Sternberg & S. B. Kaufman (Hrsg.), The Cambridge handbook of intelligence (S. 361). New York: Cambridge University Press.
Sternberg, R. J. (2015). Successful intelligence: a model for testing intelligence beyond IQ tests. European Journal of Education and Psychology, 8, 76–84. Sternberg, R. J., & Grajek, S. (1984). The nature of love. Journal of Personality and Social Psychology, 47, 312–329. Sternberg, R. J., & Kaufman, J. C. (1998). Human abilities. Annual Review of Psychology, 49, 479–502. Sternberg, R. J., & Lubart, T. I. (1991). An investment theory of creativity and its development. Human Development, 34, 1–31. Sternberg, R. J., & Lubart, T. I. (1992). Buy low and sell high: an investment approach to creativity. Psychological Science, 1, 1–5. Sterzing, P. R., Shattuck, P. T., Narendorf, S. C., Wagner, M., & Cooper, B. P. (2012). Bullying involvement and autism spectrum disorders: prevalence and correlates of bullying involvement among adolescents with an autism spectrum disorder. Archives of Pediatric and Adolescent Medicine, 166, 1058–1064. Stetter, F., & Kupper, S. (2002). Autogenic training: a meta-analysis of clinical outcome studies. Applied Psychophysiology and Biofeedback, 27, 45–98. Stevenson, H. W. (1992). Learning from Asian schools. Scientific American, 267, 70–76. Stevenson, H. W., & Lee, S.-Y. (1990). Contexts of achievement: a study of American, Chinese, and Japanese children. Monographs of the Society for Research in Child Development, 55(Serial No. 221), 1–2. Stevenson, R. J. (2014). Flavor binding: Its nature and cause. Psychological Bulletin, 140, 487–510. Stice, E. (2002). Risk and maintenance factors for eating pathology: a meta-analytic review. Psychological Bulletin, 128, 825–848. Stice, E., Ng, J., & Shaw, H. (2010). Risk factors and prodromal eating pathology. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 51, 518–525. Stice, E., Spangler, D., & Agras, W. S. (2001). Exposure to media-portrayed thin-ideal images adversely affects vulnerable girls: a longitudinal experiment. Journal of Social and Clinical Psychology, 20, 270–288. Stickgold, R. (2000, March 7). Quoted by S. Blakeslee, For better learning, researchers endorse “sleep on it” adage. The New York Times, p. F2. Stickgold, R. (2012). Sleep, memory and dreams: Putting it all together. In Aquém e além do Cérebro (Behind and beyond the brain) (S. 108). Bial: Fundação Bial Institution of Public Utility. Stillman, T. F., Baumeister, R. F., Vohs, K. D., Lambert, N. M., Fincham, F. D., & Brewer, L. E. (2010). Personal philosophy and personnel achievement: Belief in free will predicts better job performance. Social Psychological and Personality Science, 1, 43–50. Stillman, T. F., Lambet, N. M., Fincham, F. D., & Baumeister, R. F. (2011). Meaning as magnetic force: evidence that meaning in life promotes interpersonal appeal. Social Psychological and Personality Science, 2, 13–20. Stinson, D. A., Logel, C., Zanna, M. P., Holmes, J. G., Camerson, J. J., Wood, J. V., & Spencer, S. J. (2008). The cost of lower self-esteem: testing a self- and social-bonds model of health. Journal of Personality and Social Psychology, 94, 412–428. Stipek, D. (1992). The child at school. In M. H. Bornstein & M. E. Lamb (Hrsg.), Developmental psychology: an advanced textbook (S. 189). Hillsdale: Erlbaum. Stirrat, M., & Perrett, D. I. (2010). Valid facial cues to cooperation and trust: Male facial width and trustworthiness. Psychological Science, 21, 349–354. Stith, S. M., Rosen, K. H., Middleton, K. A., Busch, A. L., Lunderberg, K., & Carlton, R. P. (2000). The intergenerational transmission of spouse abuse: a meta-analysis. Journal of Marriage and the Family, 62, 640–654. Stockton, M. C., & Murnen, S. K. (1992). Gender and sexual arousal in response to sexual stimuli: a meta-analytic review. Paper presented at the American Psychological Society convention. (S. 406).
Literatur
Stoeber, J., Kempe, T., & Keogh, E. J. (2008). Facets of self-oriented and socially prescribed perfectionism and feelings of pride, shame, and guilt following success and failure. Pers Individ Dif, 44, 1506–1516. Stokoe, W. C. (1960). Sign language structure: An outline of the visual communication systems of the American Deaf. Studies in Linguistics: Occasional papers (No. 8). (S. 349). Buffalo: Dept. of Anthropology and Linguistics, University of Buffalo. Stone, A. A., & Neale, J. M. (1984). Effects of severe daily events on mood. Journal of Personality and Social Psychology, 46, 137–144. Stone, A. A., Schwartz, J. E., Broderick, J. E., & Deaton, A. (2010). A snapshot of the age distribution of psychological well-being in the United States. PNAS, 107, 9985–9990. Stone, A. A., Schwartz, J. E., Broderick, J. E., & Shiffman, S. S. (2005). Variability of momentary pain predicts recall of weekly pain: a consequences of the peak (or salience) memory heuristic. Personality and Social Psychology Bulletin, 31, 1340–1346. Stone, G. (2006, February 17). Homeless man discovered to be lawyer with amnesia. ABC News (abcnews.go.com). (p. 599) St-Onge, M.-P., McReynolds, A., Trivedi, Z. B., Roberts, A. L., Sy, M., & Hirsch, J. (2012). Sleep restriction leads to increased activation of brain regions sensitive to food stimuli. American Journal of Clinical Nutrition, 95, 818–824. Storbeck, J., Robinson, M. D., & McCourt, M. E. (2006). Semantic processing precedes affect retrieval: the neurological case for cognitive primary in visual processing. Review of General Psychology, 10, 41–55. Storm, B. C., & Jobe, T. A. (2012). Retrieval-induced forgetting predicts failure to recall negative autobiographical memories. Psychological Science, 23, 1356–1363. Storm, L., Tressoldi, P. E., & Di Risio, L. (2010a). A meta-analysis with nothing to hide: Reply to Hyman (2010). Psychological Bulletin, 136, 491–494. Storm, L., Tressoldi, P. E., & Di Risio, L. (2010b). meta-analysis of free-response studies, 1992–2008: assessing the noise reduction model in parapsychology. Psychological Bulletin, 136, 471–485. Storms, M. D. (1973). Videotape and the attribution process: reversing actors’ and observers’ points of view. Journal of Personality and Social Psychology, 27, 165–175. Storms, M. D. (1981). A theory of erotic orientation development. Psychological Review, 88, 340–353. Storms, M. D. (1983). Development of sexual orientation (S. 411). Washington, DC: Office of Social and Ethical Responsibility, American Psychological Association. Storms, M. D., & Thomas, G. C. (1977). Reactions to physical closeness. Journal of Personality and Social Psychology, 35, 412–418. Stothart, C., Mitchum, A., & Yehnert, C. (2015). The attentional cost of receiving a cell phone notification. Journal of Experimental Psychology: Human Perception and Performance, 41, 893–897. Stowell, J. R., Oldham, T., & Bennett, D. (2010). Using student response systems (“clickers”) to combat conformity and shyness. Teaching of Psychology, 37, 135–140. Strack, F. (2016). Reflection on the smiling preregistered replication report. Perspectives on Psychological Science, 11, 929–930. Strain, J. F., Womack, K. B., Didenbani, N., Spence, J. S., Conover, H., Hart Jr., J., & Cullum, C. M. (2015). Imaging correlates of memory and concussion history in retired National Football League athletes. JAMA Neurology, 72, 773–780. Stranahan, A. M., Khalil, D., & Gould, E. (2006). Social isolation delays the positive effects of running on adult neurogenesis. Nature Neuroscience, 9, 526–533. Strand, L. B., Mukamal, K. J., Halasz, J., Vatten, L. J., & Janszky, I. (2016). Short-term public health impact of the July 22, 2011, terrorist attacks in Norway: A nationwide register-based study. Psychosomatic Medicine, 78, 525–531. Strang, S., Utikal, V., Fischbacher, U., Weber, B., & Falk, A. (2014). Neural correlates of receiving an apology and active forgiveness: an fMRI study. PLoS ONE, 9, e87654.
935
Strange, D., Hayne, H., & Garry, M. (2008). A photo, a suggestion, a false memory. Applied Cognitive Psychology, 22, 587–603. Strasburger, V. C., Jordan, A. B., & Donnerstein, E. (2010). Health effects of media on children and adolescents. Pediatrics, 125, 756–767. Stratton, G. M. (1896). Some preliminary experiments on vision without inversion of the retinal image. Psychological Review, 3, 611–617. Straub, R. O., Seidenberg, M. S., Bever, T. G., & Terrace, H. S. (1979). Serial learning in the pigeon. Journal of the Experimental Analysis of Behavior, 32, 137–148. Straus, M. A., & Gelles, R. J. (1980). Behind closed doors: violence in the American family (S. 279). New York: Anchor/Doubleday. Straus, M. A., Sugarman, D. B., & Giles-Sims, J. (1997). Spanking by parents and subsequent antisocial behavior of children. Archives of Pediatric Adolescent Medicine, 151, 761–767. Strawbridge, W. J. (1999). Mortality and religious involvement: a review and critique of the results, the methods, and the measures. Paper presented at a Harvard University conference on religion and health, sponsored by the National Institute for Health Research and the John Templeton Foundation. (S. 474). Strawbridge, W. J., Cohen, R. D., & Shema, S. J. (1997). Frequent attendance at religious services and mortality over 28 years. American Journal of Public Health, 87, 957–961. Strick, M., Dijksterhuis, A., Bos, M. W., Sjoerdsma, A., & van Baaren, R. B. (2011). A meta-analysis on unconscious thought effects. Social Cognition, 29, 738–762. Strick, M., Dijksterhuis, A., & van Baaren, R. B. (2010). Unconscious-thought effects take place off-line, not on-line. Psychological Science, 21, 484–488. Strickland, B. (1992). Gender differences in health and illness. Sigma Xi national lecture delivered at Hope College. (S. 202). Stringaris, A., Vidal-Ribas Belil, P., Artiges, E., Lemaitre, H., GollierBriant, F., Wolke, S., & Fadai, T. (2015). The brain’s response to reward anticipation and depression in adolescence: dimensionality, specificity, and longitudinal predictions in a community-based sample. American Journal of Psychiatry, 172, 1215–1223. Stroebe, M., Finenauer, C., Wijngaards-de Meij, L., Schut, H., van den Bout, J., & Stroebe, W. (2013). Partner-oriented self-regulation among bereaved parents: The costs of holding in grief for the partner’s sake. Psychological Science, 24, 395–402. Stroebe, W. (2012). The truth about Triplett (1898), but nobody seems to care. Perspectives on Psychological Science, 7, 54–57. Stroebe, W. (2013). Firearm possession and violent death: a critical review. Aggression and Violent Behavior, 18, 709–721. Stroebe, W., Schut, H., & Stroebe, M. S. (2005). Grief work, disclosure and counseling: do they help the bereaved? Clinical Psychology Review, 25, 395–414. Stroud, L. R., Panadonatos, G. D., Rodriguez, D., McCallum, M., Salisbury, A. L., Phipps, M. G., & Marsit, C. J. (2014). Maternal smoking during pregnancy and infant stress response: test of a prenatal programming hypothesis. Psychoneuroendocrinology, 48, 29–40. Strully, K. W. (2009). Job loss and health in the U.S. labor market. Demography, 46, 221–246. Stuart, G. J., & Spruston, N. (2015). Dendritic integration: 60 years of progress. Nature Neuroscience, 18, 1713–1721. Štulhofer, A., Šoh, D., Jelaska, N., Baćak, V., & Landripet, I. (2011). Religiosity and sexual risk behavior among Croatian college students, 1998–2008. Journal of Sex Research, 48, 360–371. Stutzer, A., & Frey, B. S. (2006). Does marriage make people happy, or do happy people get married? Journal of Socio-Economics, 35, 326–347. Su, R., Rounds, J., & Armstrong, P. I. (2009). Men and things, women and people: a meta-analysis of sex differences in interests. Psychological Bulletin, 135, 859–884.
936
Literatur
Subotnik, R. F., Olszewski-Kubilius, P., & Worrell, F. C. (2011). Rethinking giftedness and gifted education: a proposed direction forward based on psychological science. Psychological Science in the Public Interest, 12, 3–54. Subrahmanyam, K., & Greenfield, P. (2008). Online communication and adolescent relationships. The Future of Children, 18, 119–146. Suddath, R. L., Christison, G. W., Torrey, E. F., Casanova, M. F., & Weinberger, D. R. (1990). Anatomical abnormalities in the brains of monozygotic twins discordant for schizophrenia. New England Journal of Medicine, 322, 789–794. Sue, S., Zane, N., Hall, G. C. N., & Berger, L. K. (2009). The case for cultural competency in psychotherapeutic interventions. Annual Review of Psychology, 60, 525–548. Suedfeld, P., & Mocellin, J. S. P. (1987). The “sensed presence” in unusual environments. Environment and Behavior, 19, 33–52. Sugaya, L., Hasin, D. S., Olfson, M., Lin, K.-H., Grant, B. F., & Blanco, C. (2012). Child physical abuse and adult mental health: a national study. Journal of Traumatic Stress, 25, 384–392. Suglia, S. F., Kara, S., & Robinson, W. R. (2014). Sleep duration and obesity among adolescents transitioning to adulthood: do results differ by sex? The Journal of Pediatrics, 165, 750–754. Sulik, M. J., Blair, C., Mills-Koonce, R., Berry, D., Greenberg, M., & Life Project Investigators, F. (2015). Early parenting and the development of externalizing behavior problems: longitudinal mediation through children’s executive function. Child Development, 86, 1588–1603. Sullivan, K. T., Pasch, L. A., Johnson, M. D., & Bradbury, T. N. (2010). Social support, problem solving, and the longitudinal course of newlywed marriage. Journal of Personality and Social Psychology, 98, 631–644. Sullivan, P. F., Neale, M. C., & Kendler, K. S. (2000). Genetic epidemiology of major depression: review and meta-analysis. American Journal of Psychiatry, 157, 1552–1562. Suls, J. M., & Tesch, F. (1978). Students’ preferences for information about their test performance: a social comparison study. Journal of Experimental Social Psychology, 8, 189–197. Summers, M. (1996, December 9). Mister Clean. People Weekly, pp. 139–142. Sun, G. J., Zhou, Y., Ito, S., Bonaguidi, M. A., Stein-O’Brien, G., Kawasaki, N. K., & Song, H. (2015). Latent tri-lineage potential of adult hippocampal neural stem cells revealed by Nf1 inactivation. Nature Neuroscience, 18, 1722–1724. Sundstrom, E., De Meuse, K. P., & Futrell, D. (1990). Work teams: applications and effectiveness. American Psychologist, 45, 120–133. Sung, S., Simpson, J. A., Griskevicius, V., Sally, I., Kuo, C., Schlomer, G. L., & Belsky, J. (2016). Secure infant-mother attachment buffers the effect of early-life stress on age of menarche. Psychological Science, 27, 667–674. Sunstein, C. R., Bobadilla-Suarez, S., Lazzaro, S. C., & Sharot, T. (2016). How people update beliefs about climate change: good news and bad news (S. 337). Social Science Research Network. ssrn.com Suomi, S. J. (1986). Anxiety-like disorders in young nonhuman primates. In R. Gettleman (Hrsg.), Anxiety disorders of childhood (S. 578). New York: Guilford. Suomi, S. J., Collins, M. L., Harlow, H. F., & Ruppenthal, G. C. (1976). Effects of maternal and peer separations on young monkeys. Journal of Child Psychology and Psychiatry, 17, 101–112. Suppes, P. (1982). Quoted by R. H. Ennis, children’s ability to handle Piaget’s propositional logic: a conceptual critique. In S. Modgil & C. Modgil (Hrsg.), Jean Piaget: Consensus and controversy (S. 179). New York: Praeger. Surgeon General (1986). The Surgeon General’s workshop on pornography and public health, June 22–24 (S. 508). Report prepared by E. P. Mulvey & J. L. Haugaard and released by Office of the Surgeon General on August 4.
Surgeon General (1999). Mental health: a report of the surgeon general (S. 569). Rockville: U.S. Department of Health and Human Services. Surgeon General (2012). Preventing tobacco use among youth and young adults: a report of the surgeon general (S. 124). Rockville: Department of Health and Human Services, Office of the Surgeon General. Susser, E. S. (1999). Life course cohort studies of schizophrenia. Psychiatric Annals, 29, 161–165. Susser, E. S., Neugenbauer, R., Hoek, H. W., Brown, A. S., Lin, S., Labovitz, D., & Gorman, J. M. (1996). Schizophrenia after prenatal famine. Archives of General Psychiatry, 53, 25–31. Sutcliffe