Psychologie & Gesellschaftskritik Subjekt im Umbruch


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Table of contents :
Editorial 7
Heiner Keupp, Renate Höfer, Anil Jain, Wolfgang Kraus, Florian Straus
Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne -
Individualisierung und posttraditionale Ligaturen 11
Ariane BrensseU
Jenseits der Autonomie
Im Hinterland des Neoliberalismus
Sechs Anmerkungen zur Polarisierung von Handlungsmöglichkeiten als
strukturellem Moment einer neuen Geographie von Macht 35
Morus Markard
Gegen neoliberale Barbarei oder für postmoderne Landschaftspflege? 53
Paul Mecheril
„Das Individuum" und die Zugehörigkeitsoption -
Kommentar zum Text „Formelwandel" 69
Tamara Musfeld
Kennt Vergesellschaftung kein Geschlecht ?
Posttraditionalität im Spiegel von produktiven
und reproduktiven Prozessen 85
Thilo Naumann
Reflexive Kapitalisierung 99
Arnold Schmieder
Welche Moderne, wie reflexiv? 113
Thomas Teo
Epitaph kritischen Denkens 129
Klaus Weber
Produktions- und Lebensweisen
Zum Formenwandel von Subjektivität im Übergang von Fordismus
zum High-Tech-Kapitalismus 141
3 P&G 3-4/2000Anil Jain, Renate Höfer, Heiner Keupp und Wolfgang Kraus
Praktiken sozialer Verortung im globalisierten Kapitalismus 161
Anja Tervooren
„Wer ist denn der Vater?"
Verque(e)re Gedanken zum Thema Geschlecht und Erziehung 199
Aktualitäten 212
Autorinnen und Autoren 214
Summaries der Beiträge 217
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Psychologie & Gesellschaftskritik 
Subjekt im Umbruch

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Nr. 95/96

2000

24. Jahrgang

Heft 3/4

Psychologie & Gesellschaftskritik

Subjekt im Umbruch

Inhalt Editorial 7 Heiner Keupp,

Renate

Höfer, Anil Jain, Wolfgang

Kraus, Florian

Straus

Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne Individualisierung und posttraditionale Ligaturen 11 Ariane

BrensseU

Jenseits der Autonomie Im Hinterland des Neoliberalismus Sechs Anmerkungen zur Polarisierung von Handlungsmöglichkeiten als strukturellem Moment einer neuen Geographie von Macht 35 Morus

Markard

Gegen neoliberale Barbarei oder für postmoderne Landschaftspflege? 53 Paul

Mecheril

„Das Individuum" und die Zugehörigkeitsoption Kommentar zum Text „Formelwandel" 69 Tamara

Musfeld

Kennt Vergesellschaftung kein Geschlecht ? Posttraditionalität im Spiegel von produktiven und reproduktiven Prozessen 85 Thilo

Naumann

Reflexive Kapitalisierung 99 Arnold

Schmieder

Welche Moderne, wie reflexiv? 113 Thomas

Teo

Epitaph kritischen Denkens 129 Klaus

Weber

Produktions- und Lebensweisen Zum Formenwandel von Subjektivität im Übergang von Fordismus zum High-Tech-Kapitalismus 141

3 P&G 3-4/2000

Anil Jain, Renate

Höfer, Heiner Keupp

und Wolfgang

Kraus

Praktiken sozialer Verortung im globalisierten Kapitalismus 161 Anja

Tervooren

„Wer ist denn der Vater?" Verque(e)re Gedanken zum Thema Geschlecht und Erziehung 199 Aktualitäten 212 Autorinnen und Autoren 214 Summaries der Beiträge 217

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Mit diesem Heft stellt Psychologie und Gesellschaftskritik ihr Erscheinen ein.

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Alles besetzt

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Editorial STREIT prägt dieses Heft von »Psychologie & Gesellschaftskritik«. Liest man/frau im Herkunftswörterbuch nach, mit welchen Bedeutungen sich das Wort „Streit" in seiner historischen Veränderung verknüpfte, so steht es ebenso eng in Zusammenhang mit „Schmerz", „Kummer" und „Bedrängnis" wie mit „Bewegung" und „Aufruhr". Der Streit, den wir Herausgeberinnen von P&G mit diesem Heft „anzetteln" wollten, sollte ein doppelt produktiver werden: Da die aktuellen Umbruchsprozesse auf individueller und gesellschaftlicher Ebene unbestreitbar sind, baten wir die Münchner Forschungsgruppe um Heiner Keupp, uns ihren Forschungsantrag zum Thema »Reflexive Modernisierung« als überarbeiteten Text zur Verfügung zu stellen, damit dieser aus der Sicht unterschiedlicher Autorinnen „bestritten" werden konnte mit dem Ziel der Klärung und denkenden Weiterentwicklung der aktuellen Veränderungen, welche unter den Begriffen „Zweite Moderne", „Globalisierung" bzw. „Neoliberalismus" theoretisiert werden. Der Forscherinnengruppe wurde zudem die Möglichkeit eingeräumt, die kommentierenden Beiträge zu ihrem Antrag in einer Schlussreplik aufzugreifen und die sich daraus entwickelnden Gedanken und theoretischen Verschiebungen vorzustellen. Doch nicht nur der inhaltliche Streit um Gründe und Abgründe, um Argumente und Begriffe ist Ziel dieses Heftes; dass überhaupt gestritten wird um Themen, welche die Mainstreampsychologie allenfalls nach mehreren Jahren als periphere Forschungsbereiche wahrnehmen wird, war das Anliegen der Herausgeberinnen. „Subjekt im Umbruch" soll ein Beispiel sein für offene Auseinandersetzung und solidarische Kritik innerhalb einer heteronomen „Gemeinschaft" kritischer Psychologinnen, die täglich erfahren, mit welch rigiden Mitteln und Strategien lust- und sinnvoller Streit zugunsten der Postulierung von Wahrheit (ob in linken Gruppen oder in akademischen Zirkeln der Psychologie) abgewürgt wird. Der Einladung der Forscherinnengruppe, ihren Text - den sie als „Startvorlage" am Beginn eines längeren empirischen und theoretischen Forschungsprozesses versteht - unter die Lupe zu nehmen und Anre-

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Editorial

gungen sowie Kritik zu formulieren, sind acht Autorinnen gefolgt. Ihnen - besonders aber der Münchner Gruppe - sei dafür gedankt, dass sie termingerecht ihre Beiträge einsandten und sich auf diese Auseinandersetzung einließen. Wenn „Bewegung", „Schmerz" und „Bedrängnis" etymologisch mit STREIT zusammengedacht werden können, so drückt sich dies in Inhalt, Form und im Herstellungsprozess des vorliegenden letzten Heftes von P&G aus. Als Einzelbeitrag steht der Artikel von Anja Tervooren über lesbische Elternschaft. Er ist unabhängig von der Münchner Forschungsgruppe entstanden und steht daher zunächst außerhalb dieses Diskurses. Doch auch er handelt von Subjekten im Umbruch, deren Umbruchsprozesse sich auf die Paar-und Elternebene beziehen und die dort neue Wege der Vergemeinschaftung suchen. Die Autorin entkoppelt die in der Entwicklungspsychologie relevanten Begriffe der Differenz und Differenzierung von der Kategorie Geschlecht und zeigt auf, dass Kinder unabhängig vom Geschlecht der Eltern Differenz erleben können. Anhand lesbischer Elternschaft beschreibt sie beispielhaft, wie eingeschlechtliche Eltern das traditionelle zweigeschlechtliche Elternarrangement und das gängige Familienmodell Vater, Mutter, Kind erweitern können. Die in diesem Heft abgedruckten Bilder von Maria Sauheitl gehören zum Zyklus „Befremdliche Augenblicke - Gesichter einer Weltstadt", der 1996/97 im Rahmen einer Aktion des Münchner Interkulturellen Forums entstand. Der Zyklus umfasst ca. 70 Bilder, die u.a. im Kulturzentrum Gasteig, im Flughafen München und im Münchner Hauptbahnhof ausgestellt wurden. Einige davon wurden auch für eine Plakataktion der Stadt München mit dem Titel „Viele Kulturen machen die Weltstadt mit Herz" verwendet. Die Motive stammen hauptsächlich aus dem Münchner Stadtteil Neuperlach und zeigen alltägliche Situationen und Zusammentreffen im so genannten „multikulturellen" Alltag. Die Momentaufnahmen flüchtiger Begegnungen und Eindrücke hielt die Künstlerin skizzenhaft fest, um sie dann mit Tusche und Aquarellfarben auszuführen. Mit Fertigstellung dieser Nummer (95/96) verlassen fünf Herausgeberinnen »Psychologie & Gesellschaftskritik«, um im Jahr 2001 das Re-

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Editorial

zensionsprojekt »Psychologische Revue« auf den Markt zu bringen: Ruth Back, Markus Fellner, Sabine Pankofer, Ralf Quindel und Klaus Weber. Zwei weitere Kolleginnen, Jutta Metzger und Armin Zemann, haben sich aus beruflichen Gründen verabschiedet. Peter Mattes, Birgit Müller und Tamara Musfeld haben sich darüber hinaus bis zuletzt darum bemüht, das Weitererscheinen von P&G auf einer wirtschaftlich vertretbaren und kommunikativ sinnvollen Basis zu ermöglichen. Sie sind daran gescheitert. Die Herausgeberinnen dieses letzten, des 24. Jahrgangs von »Psychologie und Gesellschaftskritik«, bedanken sich bei den Autorinnen, Leserinnen und allen früheren Herausgeberinnen für ihr Engagement und Interesse. Ciao!

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Der Hut

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Heiner Keupp, Renate Höfer; Anil Jain, Wolfgang Kraus, Florian Straus

Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne Individualisierung und posttraditionale Ligaturen

Man kann sich Gesellschaft als einen »Topos«, einen - ebenso imaginären wie realen - Ort vorstellen, der durch das Geflecht der sozialen Beziehungen gebildet wird. Diese »sozialen Landschaften«1 können verschiedene Gestalten bzw. Figurationen2 annehmen, und jede Epoche und jede Kultur bringt spezifische Figurationen sozialer Landschaften hervor. Bei unseren theoretischen und empirischen Analysen geht es uns um die aktuelle Topographie der sozialen Landschaften und um die Frage der Verortung des Subjekts im Netzwerk der Gesellschaft: Wie haben sich die sozialen Landschaften gewandelt? Welche Auswirkungen hat der gesellschaftliche Wandel auf die soziale »Verwurzelung« der Individuen? Lassen sich neben Entbettungsprozessen auch neue Einbettungsmechanismen und -stragien erkennen? Das heißt: Kommt es mit der immer deutlicheren Auflösung und Umbildung der Basissicherheiten und Strukturen der »einfachen Moderne« (Beck) zur Herausbildung posttraditionaler Ligaturen? Auf der Suche nach Antworten auf diese Fragen orientieren wir uns systematisch an drei Forschungsperspektiven: Die erste Perspektive stellt die sozialen Figurationen und ihre Veränderungen in den Mittelpunkt. Insbesondere durch Individualisierungsund Globalisierungsprozesse kommt es zu Wandlungsimpulsen, die die Lebenswelt umgestalten und somit auch einen sehr direkten Einfluß auf die soziale Einbettung der Individuen und ihr »bürgergesellschaftliches Engagement« haben.

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Unter der zweiten Perspektive rückt folglich das Subjekt als Baumeister (s)einer sozialen Landschaften ins Blickfeld. Ziel ist die Rekonstruktion der subjektiven Herstellung sozialer Verortung in bzw. über Familie, Freizeit, Arbeit, Politik, Kultur und Religion. Das heißt wir untersuchen die netzwerkbezogenen Strategien der einzelnen zur Herstellung von Anerkennung, Vertrauen und Verläßlichkeit. Die verknüpfende Analyse der Ergebnisse der beiden ersten Punkte soll dazu beitragen, die Problemfelder unserer dritten Forschungsperspektive zu erhellen: spezifische Vergesellschaftungsformen und die Frage gesellschaftlicher Solidarität. Es geht hier also um die Auswirkungen der Veränderung der sozialen Landschaften auf das soziale Kapital der Gesellschaft. Insbesondere interessiert uns die Frage nach den Wertordnungen und Solidaritätsnormen, die sich unter den Zeichen der reflexiven Modernisierung entwickeln.

1. Soziale Figurationen und ihre Veränderungen Das konkrete Erscheinungsbild und die Struktur der sozialen Landschaften unterliegen einem historischen Wandel. Um den kulturellen Umbruch von der agrargesellschaftlichen zur hochkulturellen Phase zu kennzeichnen, verwendet Ernest Gellner (1995) ein Bild, das sich nahtlos in das oben herangezogene Bild der sozialen Landschaft integrieren läßt: Er unterscheidet zwischen »wilden« Kulturen und Garten-Kulturen. Erstere »wachsen und reproduzieren sich spontan, [...] ohne bewußten Entwurf, ohne Überwachung, Aufsicht oder besondere Nahrung. Kultivierte oder Garten-Kulturen sind anders [...] Sie besitzen eine Komplexität und einen Reichtum, der in den meisten Fällen durch Schriftkunde und spezialisiertes Personal aufrecht erhalten wird [...]« (S. 78f.) Der Garten, das Feld der Moderne, muß also (fachgerecht) bestellt werden. Und die »kultivierte« Gartenlandschaft der modernen Gesellschaft benötigt ebenso Schutz. Diese Schutzfunktion hat der moderne Nationalstaat mit seinen Institutionen übernommen (vgl. ebd., S. 80). Von einem ähnlichen Bild geleitet und gestützt auf eine Vielzahl von historischen Zitaten spricht Zygmunt Bauman (1992) vom »Staat als Gärtner« sowie den »gärtnerischen Ambitionen der Moderne«. Er weist

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auf, daß es den Sozialtechnologen der Moderne primär um die Herstellung und die Aufrechterhaltung von Ordnung ging. Alles, was diese Ordnung gefährdete, müßte bekämpft werden. Man unterschied zwischen nützlichen und schädlichen Elementen, und das geschah radikal und rücksichtslos - wie sich am Beispiel der stalinistischen Versuche zur Durchsetzung einer »vollkommenen« kommunistischen Gesellschaft ebenso wie am Beispiel der nationalsozialistischen Bemühungen zur Reinerhaltung der fiktiven »arischen Rasse« zeigen läßt (vgl. S. 40ff. sowie S. 55ff.). Differenzen und raumzeitliche Koordinaten für kollektive Identitäten und Lebensmuster wurden geschaffen, um die angestrebte Ordnung, die die Fiktion einer basalen Sicherheit erzeugte, zu zementieren und um die Folgen von Freisetzungs- und Individualisierungsschüben, die die Moderne begleiteten, immer wieder aufzufangen. Die sozialen Landschaften der Moderne waren also durch ein hohes Maß an Abgeschlossenheit gekennzeichnet, so daß sich in Anlehnung an Giddens (1989), Taylor (1994) und Beck (1998) von einem »Container-Modell« des Staates und der Gesellschaft sprechen läßt. Auf der Subjektebene und in den klassischen Person-Entwürfen der Psychologie hatte dieses Container-Modell eine Entsprechung in der Vorstellung von Personen und persönlichen Identitäten als in sich geschlossene »Gehäuse«. Was außerhalb der eher willkürlich gezogenen individuellen wie kollektiven Grenzen und Koordinatensysteme lag, erschien bedrohlich. Hinter den Bemühungen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Ordnung stand also, um nochmals auf Bauman (1992) zurückzukommen, die tief sitzende Angst vor der Uneindeutigkeit und der Ambivalenz (vgl. S. 13-32). Wenn man vor diesem theoretischen Hintergrund die sozialen Landschaften der »klassischen« Moderne anschaulich beschreiben will, so drängen sich spontan zwei Bilder auf: Der Renaissance-Garten mit seiner strengen Geometrie ist die Verkörperung der Verfeinerung wie der Gewalt der modernen Kultur, denn um den gärtnerischen Vorstellungen zu entsprechen, wurden die Pflanzen zurechtgestutzt und beschnitten - genauso wie in der modernen bürgerlichen

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Kultur von den Individuen ein hohes Maß an Anpassung an die Standards der Zivilisation erwartet wurde (vgl. auch Elias 1976). Treffender ist jedoch vielleicht ein anderes Bild: die landwirtschaftliche Monokultur. Denn im Gegensatz zum Renaissance-Garten steht hier der unmittelbare Nutzaspekt klar im Vordergrund. Und auch hier ist ein hohes Maß an strukturierender Gewalt auszumachen. Die Pflanzen werden in riesigen Arealen angebaut, und ihre Anordnung in »Reih und Glied« ist an die Bedürfnisse der maschinellen Bearbeitung angepaßt genauso wie sich die modernen Individuen an die Erfordernisse des industriellen Kapitalismus und die Logik der instrumentellen Vernunft anpassen müssen (vgl. z.B. Marx 1867, Kap. 13,3 sowie Horkheimer 1947). Doch trifft diese bildliche Beschreibung (die freilich zum Zweck der Verdeutlichung etwas überzeichnet wurde und die auch keinesfalls zu einem Selbstläufer geraten soll) noch auf die typische Figuration der sozialen Landschaften in der Gegenwart zu? Ist die aktuelle Gesellschaft ein »soziales Gehege« unter der Leitung der (instrumenteilen) Vernunft, bewacht und gerahmt durch funktionierende (sozial-)staatliche Institutionen? - Seit den späten sechziger Jahren häufen sich die Hinweise, daß ein Wandel der individuellen und kollektiven Lebensmuster eingesetzt hat, der einige zentrale Basisinstitutionen (wie den Nationalstaat) und einige zentrale Basisannahmen (wie die Idee des linearen Fortschritts) der einfachen Moderne unterminiert. Dafür stehen Formulierungen wie »Tod des Subjekts«, »ontologische Bodenlosigkeit«, »Ego-Gesellschaft«, »Erosion des Sozialen« etc. Derartige »Diagnosen« wecken, egal ob positiv oder negativ gedeutet, erhebliche Zweifel an der Vorstellung, die moderne »Ordnung der Dinge« könne dauerhafte Gültigkeit für sich reklamieren - auch wenn einige Beobachter immer noch an Kontinuität in der Evolution der Moderne glauben und die Anzeichen des Umbruchs übersehen (vgl. z.B. Zapf 1995). Die verschiedenen Erscheinungen dieses immer deutlicheren sozialen Wandels lassen sich unseres Erachtens primär unter zwei basale Transformationsprozesse subsumieren - Individualisierung und Globalisierung. Der Begriff der Individualisierung wurde von Georg Simmel

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(1890) geprägt und schließlich von Ulrich Beck (1986) wieder ins Zentrum der soziologischen Analyse gerückt. Letzterer versteht unter Individualisierung einen sozialen Prozeß, der die Menschen aus den Sozialformen der industriellen Gesellschaft (wie Klasse, Schicht und Familie) zunehmend freisetzt und sie damit einem Individualisierungsschub aussetzt, der sie - mit allen Risiken und Chancen - auf sich selbst verweist, sie ihrer traditionalen Sicherheiten beraubt, aber auch zu neuen Formen sozialer Einbindung führt (siehe auch Punkt 3). »Individualisierung wird dementsprechend als ein historisch widersprüchlicher Prozeß der Vergesellschaftung verstanden« (S. 119). An dieser Formulierung zeigt sich klar, daß Beck sich der Ambivalenz des Individualisierungsprozesses bewußt ist, der sich auf empirischer Ebene u.a. in einer Auffächerung der Lebensstile (vgl. Zabloki/Kanter-Moss 1976) und einem fortschreitenden globalen Wertewandel hin zu postraditionalen Selbstverwirklichungswerten zeigt (vgl. Inglehart 1971, 1989 und 1997). Diese ambivalente Sicht schließt ein, daß Beck (1993) auch eingehend die »Nachtseite« des Freisetzungsprozesses der Individualisierung thematisiert, die den Individuen häufig als Zumutung oder gar als Zwang erscheint und zu Reflexen der Gegenmodernisierung (wie Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit) führt. Beck steht jedoch nicht in der DürkheimTradition, die - wie etwa Wilhelm Heitmeier (1994) - in erster Linie die Seite der Anomie betont. Trotz des demonstrierten Problembewußtseins stellt er die positiven Aspekte der Individualisierung heraus, die der »organisierten Unverantwortlichkeit« des Systems die Eigenverantwortung und die (subpolitische) Selbstorganisation der Individuen gegenüberstellt (vgl. Beck 1988). Hierin zeigen sich durchaus Bezüge zu einigen Spielarten des französischen Postmodernismus/Poststrukturalismus. Denn wenn etwa JeanFran9ois Lyotard (1977) für eine »herrenlose Politik« plädiert und mit dem von ihm prophezeiten Ende der Massenbewegungen nicht etwa das »Ende der Demokratie« (Guehenno 1994) postuliert, sondern ein oppositionelles »Patchwork der Minderheiten« entstehen sieht, so erinnert das im Tenor durchaus an die oben skizzierten Thesen. Um allerdings das etwas aus dem Blickfeld verlorene Bild der sozialen Landschaften

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wieder aufzugreifen, bietet sich speziell ein Bezugspunkt an: Gilles Deleuze und Felix Guattari haben (1977) die Vorstellung des »Rhizoms« entwickelt. Es ist als horizontales »Wurzelwerk« durch die Prinzipen der Konnexion, der Heterogenität und der Vielheit geprägt. »Im Unterschied zu den Bäumen und ihren Wurzeln verbindet das Rhizom einen beliebigen Punkt mit einem anderen [...] Es ist weder das Viele, das vom Einen abgeleitet wird, noch jenes Viele, zu dem das Eine hinzugefügt wird [...] Es besteht nicht aus Einheiten, sondern aus Dimensionen.« (Ebd.; S. 34) Es stellt also im Gegensatz zur Wurzel eine unkontrollierbare Wucherung dar, die auch Brüche nicht scheuen muß, sondern von diesen unbeeindruckt weiter wuchert, sich eigene Wege sucht und transversale Verbindungen zwischen dem scheinbar Inkompatiblen herstellt (vgl. ebd.; S. 16ff.). Und in seinem Wildwuchs produziert es das Unbewußte, kehrt die verdrängten Wünsche und Begierden der Individuen hervor, statt sie zu verdecken und rational zu beherrschen. Es praktiziert damit eine unvereinnahmbare (»ästhetische«) Politik des Besonderen und des Differenten (vgl. ebd.; S. 29). Wenn man dieses von Deleuze und Guattari entwickelte Bild weiterspinnt, könnte man sich also die umbrechenden sozialen Landschaften der Gegenwart als ein agroindustrielles Feldersystem vorstellen, in dem sich langsam - teils unintendiert, teils bewußt angelegt - »Biotope« ausweiten, die untergründig (subpolitisch) wuchern. Im Augenblick sind sie noch verinselt, aber vielleicht haben sie unsichtbar schon weite Teile des sozialen Bodens mit ihrem horizontalen Netzwerk durchdrungen. Und vielleicht gelingt es auch vereinzelten Samen, sich inmitten der Monokulturen anzusiedeln und Vielfalt in sie zu tragen. Es wäre eine Vielfalt, die sich aus der Differenz ergibt und nicht »künstlich« geschaffen ist oder primär Nutzaspekten gehorcht, wie z.B. die Vielfalt des mittelalterlichen Bauern- und Apothekergartens (der damit der modernen Monokultur näher steht als dem Biotop). Doch ist das nicht letztendlich eine romantisierende Perspektive? Wird in diesem (vielleicht damit allzu sehr strapazierten) Bild nicht eine fragwürdige Idyllisierung von Natur betrieben? Einer Natur zudem, die es - als solche - kaum mehr gibt, sondern die nur noch in »künstlichen«

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Enklaven überdauert. Und ist Landschaft (im Gegensatz zu Natur) nicht immer schon von menschlicher Hand gestaltet? Die sozialen Landschaften wären folglich niemals »natürlich« und gegeben, sondern immer aktiv geformt von den Menschen, die sie bilden (siehe auch Punkt 2). Trotz dieser (Selbst-)Kritik ist das Bild der sich ausbreitenden Biotope als veranschaulichende Metapher hilfreich und der aktuellen Situation aus unserer Sicht angemessen - wenn man es ergänzt und berücksichtigt, daß sich gleichzeitig die (agro-)industriellen (Mono-)Kulturen immer weiter in die globale »Restnatur« ausbreiten. Dann nämlich umreißt es treffend den Prozeß jener doppelten Entgrenzung, der die sozialen Landschaften der Gegenwart für viele Beobachter kennzeichnet: nämlich die Dialektik von Globalisierung und Lokalisierung, die Roland Robertson (1995) mit dem »synthetischen« Begriff der »Glokalisierung« gefaßt hat. Denn Globalisierung stellt nicht etwa einen linearen Prozeß der globalen Ausbreitung von ökonomischen, kulturellen und sozialen Mustern vom Zentrum in die Peripherie dar. Globalisierungsprozesse setzen nämlich nicht nur lokale Differenzen voraus, die in einer globalen Hybridkultur potentiell aufgelöst werden, sie erzeugen im Gegenteil häufig eine parallele Aufwertung lokaler Bezugssysteme. Wie Aijun Appadurai (1990) aufweist, der übrigens den Begriff der sozialen Landschaften bzw. »socioscapes« prägte (siehe Anmerkung 1), erfolgt mit dieser Dialektik von Globalisierungs- und Lokalisierungsprozessen eine Aufsplittung der globalen Ströme von Waren, Kapital, Techologien, Personen, Bildern und Ideen, was selbstverständlich auch die kollektiven Identitäten und individuellen Lebenszusammenhänge verändert. An diese Gedanken Appadurais schließt wiederum Martin Albrow (1998) mit einer interessanten Feststellung an. Nach ihm lassen sich die Beziehungen von Menschen, die unter globalisierten Bedingungen an einem Ort leben, am ehesten als unzusammenhängendes Nebeneinander bezeichnen (vgl. S. 245). Wobei daraus jedoch nicht unbedingt gefolgert werden darf, daß dieses Zusammenleben desorganisiert und die sozialen Beziehungen lose seien. »Im Gegenteil: Sie sind Teil eines intensiven Sozialgefüges, das zusammenhängende Aktivitäten hervorbringt, die den gesamten Globus einbeziehen« (ebd.). So entstehen fort-

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gesetzt neue (entterritorialisierte) Zugehörigkeiten, Subkulturen und Lebensstile. Bezogen auf die beruflichen Anforderungen des globalisierten Wirtschaftssystems stellt Richard Sennett (1998) in seiner Analyse des »flexiblen Kapitalismus« ganz ähnlich den Abbau von Strukturen heraus, die auf Langfristigkeit und Dauer angelegt sind. An ihre Stelle treten »netzwerkartige Gliederungen«, die weniger schwerfällig seien als starre Hierarchien (vgl. S. 27). Einen noch zentraleren Stellenwert erhalten solche neuen hochflexiblen Netzwerkkonfigurationen in der großangelegten Analyse der gesellschaftlichen Transformationen der Weltgesellschaft von Manuel Castells (1996; 1997; 1998). Er rückt die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten ins Zentrum seiner Globalisierungstheorie. Sie hätten zum Entstehen einer »Network Society« geführt, die nicht nur weltweit gespannte Kapitalverflechtungen und Produktionsprozesse ermögliche, sondern auch kulturelle Kodes und Werte globalisiere. Wir fragen uns: Welche Auswirkungen haben derartige Veränderungen der sozialen Landschaften für die Konstitutionsbedingungen individueller Identitäten und Netzwerke? Wie gehten die Subjekte mit den stattfindenden Veränderungen um? Nutzen sie die geschaffenen Freiräume kreativ oder sehnen sie sich nach der tiefen Verwurzelung in einer Gemeinschaft? Um uns diesen Fragestellungen anzunähern, soll im folgenden ein Blick auf das Subjekt als Baumeister (s)einer sozialen Landschaft geworfen werden.

2. Das Subjekt als Baumeister (s)einer sozialen Landschaft Ähnlich wie die sozialen Landschaften lassen sich auch die sozialen Beziehungen von Subjekten über eine Metapher verdeutlichen. Die seit den Fünfziger Jahren eingeführte Netzwerkmetapher, von der oben bereits Gebrauch gemacht wurde, symbolisiert das Geflecht an sozialen Beziehungen, in denen ein Subjekt steht, in Analogie zu einem Fischernetz mit seinen Knoten und Schnüren. Obwohl schlicht, hat dieses Bild eine unglaubliche Erfolgsgeschichte hinter sich. Der Grund ist seine erst heute richtig zum tragen kommende Programmatik. Zum einen fehlt in

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solchen Netzwerken die klare hierarchische Zuordnung. Zum zweiten spielen die Subjekte als strukturierende Kräfte von Beginn an eine wichtige Rolle. Und zum dritten sind diese Netzwerke nicht mehr lokal gebunden. Dezentralität, Subjektorientierung und Globalität sind aber auch typische Kennzeichen sozialer Beziehungen in einer sich wandelnden Moderne, die ein Theoretiker der Vormoderne so weder betont, noch in eine ähnliche Metapher gekleidet hätte. Die Strukturen der Vormoderne waren durch die ständische Untergliederung hierarchisch aufgebaut. Das einzelne Subjekt wurde in vorgegebene kollektive Lebensmuster hineingeboren. Und für die einfachen Menschen und für weite Teile des Bürgertums waren lokale Strukturen und soziale Netzwerke (abgesehen von Vökerwanderungen und Vertreibungen) identisch. Erst mit dem Umbruch zur Neuzeit verändert sich das traditionale Gefüge. Zunächst aber nicht, um dem einzelnen Subjekt mehr Gestaltungsraum zu geben. An die Stelle gottgegebener, quasinatürlicher Formationen treten nun stark wertbezogene Solidargemeinschaften. Politische, gewerkschaftliche und kirchliche Figurationen definieren die sozialen Zugehörigkeiten und Gestaltungsräume. Erst allmählich, heute jedoch unübersehbar, erodieren auch diese Fundamente der einfachen Moderne und überantworten dem Subjekt zunehmend mehr Gestaltungsräume und -pflichten. Das Subjekt wird, wie C. Fischer (1982) des treffend formuliert, zum Baumeister (s)eines sozialen Netzwerks. Mit dem Begriff des sozialen Netzwerks ist ein Konzept verbunden, das zwischen den Ebenen der gesellschaftlichen Analyse und der subjektorientierten Betrachtung der Ausbildung posttraditionaler Figurationen besonders gut vermitteln kann. Der Begriff des »sozialen Netzwerks« wird zur Analyse gegenwärtiger Veränderungen der sozialen Einbettung deshalb häufig verwendet und basiert auf einer sozialwissenschaftlichen Netzwerkforschung, die ein empirisches Forschungsrevier eröffnet hat, das Aussagen zu Fraugen erlaubt, die erst in den letzten zehn Jahren ins Zentrum der Gesellschaftsanalyse gerückt sind. Die zentralen Thesen etwa von Giddens (1990) über Prozesse der Entbettung in der Spätmoderne sind Aussagen über veränderte soziale Integrations-

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muster - ein Fokus, der auch im Zentrum der Strukturanalysen der stadtsoziologischen Netzwerkforschung steht. Ebenso in diesem Forschungsrevier begegnen uns Auflösungs- und Restruktierungstheoretiker. In den düsteren Versionen wird der zunehmende Zerfall der Familie, die Gefahr der Atomisierung der Subjekte und der Verlust von Solidaritätspotentialen beklagt. Für die Netzwerkforschung und die Stadtsoziologie hat Wellman (1988) diese Position als »Verlust von Gemeinschaft« beschrieben. Dieser Verlust von Gemeinschaft bedeutet für das Subjekt den parallelen Verlust von Orientierung, Ligaturen und Sinnbezügen. Die Gegenposition sieht Wellman durch die Botschaft von der »befreiten Gemeinschaft« markiert. Sie schöpft ihre Deutungskraft aus der Überwindung traditionaler Lebensformen, die den Entscheidungsspielraum der Subjekte durch rigide Kontrollstrukturen einengten. Dadurch wurde die Optionsvielfalt für selbstbestimmte Lebensformen erhöht. Beziehungsmuster können unabhängig von vorgegebenen Ligaturen frei gewählt werden. Die Gefahr der Atomisierung und des Verlustes von solidarischen Alltagsbezügen wird mit dem Verweis auf neue Vergesellschaftungsmuster der Vernetzung (die wachsende Bedeutung von Freundschaften und vielfältiger Gruppenzugehörigkeiten) relativiert bzw. geleugnet. In der deutschen Forschung hat sich vor allem Diewald (1991) dieser Frage mit einer eigenen Untersuchung angenommen. Nach einer gründlichen Diskussion vorhandener Forschungsbestände kommt er zu der Einschätzung, daß es fragwürdig sei, »von einem umfassenden >Gemeinschaftsverlust< zu sprechen, soweit damit die soziale Einbindung an sich [...] gemeint ist« (S. 125). Er identifiziert sich vorsichtig mit der These, daß sich die Lebensformen in Richtung pluraler Vielfalt verändern und die alltägliche Vergemeinschaftung zunehmend zu einer »individuell zu erbringenden Leistung wird« (a.a.O.). Aber diese Pluralität enthält ein Spektrum unterschiedlicher Ressourcen- und Risikolagen, darunter solche dramatischen Gemeinschafts- und Unterstützungsverlustes. Statt der »eher freundlichen Diagnose« der Pluralisierung vertritt

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Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne

Diewald die These einer »Polarisierung« in Gewinner- und Verlierergruppen des gesellschaftlichen Umbruchs. Es ist also ein komplexes Bild, das die empirische Netzwerkforschung (zum Überblick: Keupp & Röhrle 1987; Diewald 1991; Röhrle 1994) von der sozialen »Bautätigkeit« zeitgenössischer Subjekte zeichnet: Eindeutig ist der Erosionsprozeß jener traditionellen Beziehungsmuster, die ein Individuum wie ein gut geschnürtes Paket mit dem Hineingeborenwerden in spezifische familiäre, verwandtschaftliche und nachbarschaftliche Konstellationen mit auf seinen Lebensweg genommen hat. Das heißt aber keineswegs, daß das moderne Individuum zum Einsiedlerkrebs geworden ist. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein. Die zeitgenössischen Großstadtbewohner haben im Durchschnitt vielfältigere Kontakte zu Freunden, Arbeitskollegen oder Angehörigen spezifischer Vereine und Subkulturen als ihre Vorläufer-Generationen. Die entscheidenden Merkmale dieser neuen Beziehungsmuster sind ihre »strukturelle Offenheit«, die lockere Verknüpfung und die »Wahlfreiheit«. Dieses Muster der »befreiten Gemeinschaft« bedeutet gegenüber traditionellen Gesellschaften einen Bruch. In bezug auf die gewählten Beziehungen hat sich die Entscheidungsfreiheit aber auch die Entscheidungsnotwendigkeit qualitativ verändert. Das ist eine durchaus ambivalente Situation. Sie eröffnet einerseits die Chance, den eigenen sozialen Lebenszusammenhang wesentlich mitzugestalten. Entsprechend sind zeitgenössische Netzwerke auch weniger von Statusmerkmalen, als vielmehr von gemeinsamen Interessen bestimmt. Auf der anderen Seite beinhaltet die aktuelle Situation aber auch die Notwendigkeit, Initiator und Manager des eigenen Beziehungsnetzes zu sein. Wir gehen von der These aus, daß - gerade in einer individualisierten Gesellschaft - die Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung eher flüchtig, mindestens aber nur eine Facette in der subjektiven Organisation sozialer Figurationen ist. Je weniger es soziale Organisationen schaffen, den einzelnen befriedigende Angebote in einem kohärenten ideologischen Sinn- und Beziehungsuniversum anzubieten, desto mehr ist der einzelne gezwungen, sich die Lösungen selbst zu erarbeiten,

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und zwar im Bewußtsein, immer nur partielle, nicht unbedingt komplementäre, möglicherweise konfliktreiche Mischungen zu erreichen. Das Individualisierungsprogramm der einfachen Moderne läßt zunächst nämlich einmal die Identitätsbildung halbiert: Kollektive Einbindungen und Identitäten sind unabdingbar für die Identitätsentwicklung. In dem Maße wie dieses Programm real wird, verschiebt sich die Wir-IchBalance. Die sozialen Zugehörigkeiten und Verpflichtungen als Basisausstattungen des Subjektes schmelzen ab, die eigene Person wird zum Träger der Identitätsbildung, ohne auf einem gesicherten - und gleichzeitig eng umgrenzten - Boden kollektiver Identität stehen zu können. Allerdings bleiben viele Fragen offen, die es zu beantworten gilt: Greift diese Entwicklung, abgesehen von der Programmatik, real? Welche Strategien stehen den einzelnen Subjekten dafür zur Verfügung? Lassen sich soziale Zugehörigkeiten für ein bestimmtes Subjekt identifizieren? Welche sozialen Zugehörigkeiten sind dies, in welchem Verhältnis stehen sie zueinander? Auf welche subjektiven und sozialen Bedürfnisse und Anforderungen der Subjekte antworten diese Zugehörigkeiten? Welche Management-Strategien setzen die einzelnen für die Gestaltung des Zueinander einzelner Figurationen und für die Realisierung von Optionen auf dieser Basis ein? Wie in der Identitätsforschung hinlänglich belegt, verhandelt der einzelne in seinen Beziehungsgeflechten primär die Frage, wie er für sich Zugehörigkeit und Anerkennung organisieren kann und wie er aus diesen Bezügen Vertrauen und Sicherheit gewinnt (Camilleri 1991; Kraus 1996; Mitzscherlich 1997; Keupp/Höfer 1997; Höfer 1999; Keupp et. al. 2000). Eine zentrale Frage ist, ob und wie sich diese Aufgabe der Konstruktion von Vertrauen verändert hat und welche Lösungen dafür heute gefunden werden. Die vielfach vertretene These ist, daß Vertrauen nicht mehr normativ geregelt ist. Vertrauen muß vielmehr aktiv intersubjektiv produziert werden (vgl. Giddens 1990). Wie Lash (1996) richtig anmerkt, steht es allerdings noch aus, dieses eher kognitivistisch und formal angelegte Konzept auch auf weniger formalisierte, privatere Beziehungen übertragbar zu machen.

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Schließlich ist weiter zu fragen, welche subjektiven Voraussetzungen dafür vorhanden sein müssen, daß die einzelnen die postulierte Zunahme von Optionen überhaupt nutzen können. Dies hängt sicher zentral von den sozialen Ressourcen im Sinne von Bourdieus (1983) ab. Wer viele Bezüge hat, kann viele nutzen. Je nach der Streubreite dieser Einbettungen ist es dem einzelnen überhaupt erst möglich, sich in sehr unterschiedlichen Zusammenhängen zu verorten. Andererseits kann diese große Streubreite auch durch die Flüchtigkeit des darin realisierten Engagements erzwungen sein (viele Bekannte, wenig Freunde). Weak ties, also schwach ausgebildete Beziehungen, sind nicht immer wählbar. Manchmal sind sie auch aus der Not geborene Hilfskonstruktionen, die ihren Zweck eher schlecht und als recht erfüllen. Umgekehrt kann auch eine auf wenige Bezüge konzentrierte, tiefe Verwurzelung in einzelnen Kontexten ganz unterschiedliche Qualitäten für den einzelnen haben. Sie kann etwa die Annahme eines traditionalen Angebotes mit einem (noch?) umfassenden Geltungsversprechen darstellen (z.B. Kirche), oder aber eine eng begrenzte Verortungsstrategie, die - im Sinne von Camilleris (1991) identite reductrice oder Castells' (1997) resistance identity - dem sozialen Angebot der Vielfalt die individuelle »Wahl der Einfalt« gegenüberstellt (z.B. national bezogene Verortungen). Schließlich gilt ein spezielles Augenmerk der unter der Globalisierungsperspektive besonders relevanten Frage veränderter Raum-Zeit-Strukturen (vgl. auch Harvey 1989), d.h. inwieweit Subjekte ihre soziale Verortung zunehmend von alten territorialen Bezügen (lokale Nachbarschaft, Staat) lösen und neue Beheimatungsstrategien entwickeln - und ob daraus auch neue Formen der Solidarität und des sozialen Engagements entstehen.

3. Spezifische Vergesellschaftungsformen und die Frage gesellschaftlicher Solidarität Entsteht mit dem Wandel der sozialen Landschaften jenes »Patchwork der Minderheiten«, das mit Lyotard (1977) eingangs bereits angesprochen wurde und das nach ihm zu einer neuen Form des politischen Engagements jenseits der Massenbewegungen führt? Kann das (post-) mo-

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derne Individuum, das in der Folge der sozialen Umbrüche nach aktuellen Situationsbeschreibungen nur mehr mit einer »Patchwork-Identität« (Keupp 1989) ausgestattet ist, die Flicken zu einem »neuen sozialen Band« (Schönherr-Mann 1997) verknüpfen? In den vorangegangenen beiden Abschnitten haben wir danach gefragt, ob und wie sich die sozialen Landschaften der Gegenwart gewandelt haben und welche Auswirkungen die Form dieses Wandels für das Subjekt zeigen könnte. Das heißt, wir haben uns darauf beschränkt zu betrachten, wie die durch Individualisierungs- und Globalisierungsprozesse erfolgenden Transformationen auf der Ebene des Individuums und seiner Netzwerke wirksam und genutzt werden. Unser Fokus richtet sich folglich nun auf die Frage, wie in der Beziehung zwischen sozialen Gruppen und den einzelnen das Problem gesellschaftlicher Solidarität verhandelt wird und ob Veränderungen der Wertordnungen in gegenwärtigen Formen der Vergemeinschaftung erkennbar sind. Die (Individual-)Psychologie der einfachen Moderne betrachtete die Identität primär als eine halbierte Identität, verengte den Blickwinkel auf ein isoliertes, vereinzeltes Subjekt. Aber das Subjekt ist nie rein selbstreferentiell bestimmbar, immer ist der Bezug auf soziale Zugehörigkeiten unabdingbarer Teil der Identität. Dies war und ist eine entscheidende Erkenntnis sozialpsychologischer Forschung. Identitätsbildung ist ein interaktiver, reflexiver Prozeß. Unter der Prämisse der Individualisierung stellt sich allerdings die Frage nach den Schnittstellen zwischen Individuum und Gesellschaft neu. In dem Maße, wie sich über Prozesse reflexiver Modernisierung traditionale kollektive Identitätsmuster als Bestimmungsfaktor des Subjektes in einen Fluxus von situativen Anbindungen auflösen, muß sich das Individuum auch in neuer Form sozial verorten. Die Option, sich über verschiedene intermediäre Ebenen der sozialen Einbettung auf diese Gesellschaft in toto zu beziehen (etwa indem man sich als »Deutscher« oder »Franzose« definiert), ist weitgehend entfallen. Doch wie wird unter solchen Bedingungen die gesellschaftlich notwendige Solidarität produziert, jener »soziale Kitt«, der die Gesellschaft zusammenhält? - Ein Problem, dem sich insbesondere die sogenannte

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»Kommunitarismus-Debatte« widmet. Der Kommunitarismus kann als Reaktion auf eine, gesellschaftliche Entwicklung gelesen werden, die in unterschiedlichsten Analysen als »Freisetzung«, »Enttraditionalisierung«, »Erosion», »Verlust der Mitte», »ontologische Bodenlosigkeit«, »Desintegration« etc. beschrieben wird. Das anfangs befreiende liberalistische Programm, so die These, hat inzwischen seine eigene Basis aufgebraucht. Für die in einer Zivilgesellschaft unverzichtbaren »Bürgertugenden« wie Zivilcourage und Gemeinsinn kann es keine überzeugenden Begründungen mehr liefern (vgl. Strasser 1994). Im nüchterneren soziologischen Jargon geht es also um Mobilitätsprozesse, die die verläßlichen örtlichen und sozialen Bezugspunkte der Subjekte verändern (vgl. Walzer 1994). Der aktuelle kommunitaristische Diskurs über Gemeinschaftsdefizite ist in seinen Konnotationen sicherlich nicht frei von fundamentalistischen Gemeinschaftsannahmen (vgl. die aktuelle Kritik von ReeseSchäfer 1996). Die kommunitaristische Fragestellung bedarf also eines konsequenten theoretischen Durcharbeitens unter den Prämissen einer reflexiven Modernisierung. Eine individualisierte Gesellschaft steht nämlich unseres Erachtens keineswegs im Widerspruch zu einer solidarischen Gesellschaft, allerdings stellt sich die Frage nach Solidarität oder Gemeinsinn neu (vgl. Hondrich & Koch-Arzberger 1992). Solidaritätspotentiale entstehen heute weniger auf der Basis traditioneller Bindungsund Identifikationsmuster (wie religiöser oder gewerkschaftlicher Traditionen und Zugehörigkeiten) oder Moralprinzipien, sondern sind Ausfluß von Selbstverwirklichungsansprüchen in kommunitärer Bezogenheit. Für unser Vorhaben ist die Kommunitarismus-Debatte insofern von Bedeutung, als sie eindringlich die Frage nach der gesellschaftlichen Verlustrechnung für die Prozesse der Individualisierung stellt. Sie fordert damit nicht nur Antworten auf die Frage nach der subjektiven Bewältigungsarbeit, sondern auch auf die Frsage nach den gesellschaftlichen Konsequenzen im Gefolge einer Fragilisierung des social trust (Earle & Cvetkovitch 1995). Ähnliche Fragen stellt auch Ralph Dahrendorf (1979 und 1992) mit seinem Konzept der Lebenschancen, der jedoch eher aus der von den

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Kommunitaristen angegriffenen liberalen Denktradition stammt (und diese mit formte). Lebenschancen sind nach Dahrendorf als Funktion von zwei grundlegenden Elementen zu begreifen: Optionen und Ligaturen. Diese können unabhängig voneinander variieren und bestimmen in ihrer je spezifischen Kombination die Entfaltungschancen der Subjekte. Unter Optionen versteht Dahrendorf dabei die Wahlmöglichkeiten und Handlungsalternativen, über die eine Person in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Position und Situation verfügt. Ligaturen bezeichnen im Gegensatz dazu gesicherte Bezüge und und Bindungen. Sie benennen die Sinn-, Sozial- und Ortsbezüge einer Person und stellen die fixen Handlungskoordinaten dar, während die Frage nach den Optionen offene Situationen thematisiert. Dahrendorf zeigt, daß Modernisierung unweigerlich eine Ausweitung von Wahlmöglichkeiten bedeutet hat. Aber die kapitalistische Modernisierung schuf Wahlmöglichkeiten durch das Aufbrechen von Ligaturen - und wirkte dadurch zerstörerisch. Denn nach dem Abschmelzen aller traditionalen Orts- und Sinnbezüge steht in der Regel kein befreites Individuum, das sich nur noch über den Reichtum seiner Optionen beschreiben läßt (vgl. auch Wagner 1995). Aus der Destruktion von traditionellen Ligaturen gewonnene Wahlmöglichkeiten verlieren ab einem bestimmten Punkt ihren Sinn, weil sie - so Dahrendorf (1979, S. 52) »in einem sozialen Vakuum stattfinden, oder vielmehr in einer sozialen Wüste, in der keine bekannten Koordinaten irgendeine Richtung einer anderen vorziehbar machen«. Die gewachsene Optionalität individueller Lebensplanung führt zur Notwendigkeit, sich für spezifische Optionen zu entscheiden und für die getroffenen Wahlen Kontexte sozialer Anerkennung zu schaffen. Solche Netzwerke lassen sich als »posttraditionale Ligaturen« bezeichnen, als soziale Bezüge, die von den Entscheidungen der Subjekte (mit)bestimmt sind. Die Frage posttraditionaler Ligaturen, also in welcher Form sich die soziale Einbettung der Individuen gewandelt hat, wird in der neueren Debatte um die Bedingungen und (Neben-)Folgen der reflexiven Modernisierung unter verschiedenen Blickwinkeln aufgegriffen. Von besonderer Relevanz ist hier die Debatte von Beck, Giddens und Lash

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(1996). So sieht Beck aus der Dynamik des Wandels einen institutionalisierten Individualismus entstehen, der keineswegs mit Egoismus gleichzusetzen sei. Die Erosion traditionaler Bindungsgeflechte ermögliche gerade erst das Entstehen andersartiger (auch kollektiver) Lebens- und Handlungszusammenhänge. Giddens wiederum verweist vor allem auf die Wandlungen in der Herstellung von Vertrauen (vgl. auch ders. 1990, S. 79-100). Eine seiner zentralen Kategorien ist die des aktiven Vertrauens, da Vertrauen heute nur mit erheblichen Aufwand hergestellt und wachgehalten werden kann (wir schlagen deshalb hier alternativ den Begriff der »Vertrauensarbeit« vor). Auf aktivem Vertrauen bzw. Vertrauensarbeit beruhen andererseits neue Formen des gesellschaftlichen Zusammenhalts. Sie haben zwar ihre örtliche Fixierung verloren, können sich aber durchaus als intensiv und beständig erweisen. Die intensivste Thematisierung des Vergemeinschaftungssthemas findet sich bei Lash (1996). Er analysiert die Verflechtung reflexiven Handelns mit den globalen und lokalen Netzen der Informations- und Kommunikationsgesellschaft, zu denen der einzelne je nach Ausbildung, sozialer Zugehörigkeit und Kompetenz unterschiedliche Zugangsmöglichkeiten hat. Er stellt damit nicht nur die klassische Frage sozialer Ungleichheit neu, sondern geht über eine rein abstrakte Analyse hinaus. So stellt er die Frage, was heute den Kern von Gefühlsbeziehungen in der spätkapitalistischen Moderne zerstört - ein notwendiger Kern, den Lash als geteilte Meinungen, Intimität, intensive Kommunikation, emotionale Gemeinsamkeit sowie gegenseitiges Verständnis definiert und der im Mittelpunkt der »gemeinsamen Welt geteilter Lebens- und Sinnzusammenhänge« steht, welche seiner Ansicht nach für eine Analyse reflexiver Modernisierung zentral ist. Offen bleibt bei diesen wie auch bei anderen Analysen allerdings, wie die Schaffung eines gemeinsamen Bedeutungsuniversums in einer Welt der Pluralität und Komplexität konkret vonstatten geht und welche Rolle soziale Gruppierungen hierbei spielen. Dieses Problem wird deshalb ein wichtiger Bezugspunkt für unsere empirische Beschäftigung mit dem Formenwandel der sozialen Landschaften sein.

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4. Die empirische Erkundung der sozialen Landschaften Bei unserer empirischen Arbeit wollen wir uns der Untersuchung jener Fragestellungen widmen, die sich infolge der theoretischen Ausleuchtung unserer drei Forschungsperspektiven als zentral abgezeichnet haben (siehe oben). Dazu wollen wir eine »Begehung« der sozialen Landschaften vornehmen, um uns vor Ort einen Eindruck von der Beschaffenheit der »typischen« Figurationsmuster in der reflexiven Moderne zu machen. Das bedeutet konkret: Wir wollen in einer ersten Phase unserer Untersuchung 40 qualitative Interviews führen. Weil das Problem der sozialen Einbettung der Individuen und des sozialen Zusammenhalts und Engagements eine zentrale Rolle in unserem Projektzusammenhang spielt, werden wir zunächst dort nachforschen, wo sich Menschen, egal in welcher Form, in die Gesellschaft einbringen: also in Vereinen, Initiativen oder auch eher losen Gruppen etc. Und da wir erfahren wollen, ob sich durch die unter Punkt 1 angesprochenen sozialen Wandlungsprozesse ebenso die Motivationen und Formen des sozialen Engagements gewandelt haben, werden wir versuchen, ein möglichst breites Spektrum zu untersuchen. Wir werden folglich für die Auswahl unserer Interwievpartnerlnnen Kontrastgruppen bilden. Die Bildung dieser Kontrastgruppen erfolgt theoriegeleitet. Wir haben bereits eine Reihe von vorläufigen (polaren) Dimensionen erarbeitet, von denen wir glauben, daß sich mit Ihnen basale Unterschiede in den Organisationstrukturen und bei den individuellen Motivationen (die die sozialen Umbruchsprozesse spiegeln) gut erfassen lassen müßten: Auswahldimensionen für die Interviewpartnerinnen entsprechend ihrer Zugehörigkeit zu Vereinigungen/Gruppen Dimension Orientierung: Zeithorizont: Raumbezug: Aufbau: Verbindlichkeit:

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Polarität innovativ traditional kontinuierlich projektförmig lokalspezifisch enträumlicht differenziert/hierarchisch flach/dezentral hoch gering

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Orientierung: Einige Vereinigungen/Verbände orientieren sich eindeutig an einem Traditionsdiskurs (z.B. Freiwillige Feuerwehr). Als Kontrastierung dienen auf dieser Dimension Gruppen, die einem Innovationsdiskurs zuzurechnen sind. Solche Gruppen sind historisch eher jüngeren Datums und ihr Habitus deutet an, daß sie sich von traditionalen Figurationen eher abheben. Dies könnten z.B. Lifestyle-Gruppen wie Surfer, Skater, Kletterer oder auch Vereinigungen wie »Robin Wood« oder »Greenpeace« sein, die versuchen, andere Varianten von Mitgliedschaften und Engagement zu pflegen. Zeithorizont: Nicht zuletzt im Bereich des freiwilligen sozialen Engagements entstehen zunehmend Handlungsformen, die zeitlich begrenzt auf die Durchführung spezifischer Projekte im ökologischen, sozialen oder politischen Raum ausgerichtet sind (z.B. Chance 2000). Sie stehen im Kontrast zu einem kontinuierlichen Engagement, das sich aus der Verpflichtung gegenüber spezifischen »MetaErzählungen« ergibt (z.B. die Gewerkschaftsbewegung). Raumbezug: Einige Vereine und Gruppen haben einen sehr engen Raumbezug: Sie befassen sich mit lokalen Fragestellungen und/oder sind ortsgebunden (z.B. Bürgerinitiativen). Andere Gruppen befassen sich mit »globaleren« Themen. Entweder als lokale Gruppe oder in entörtlichten Netzen wie z.B. Initiativen im Internet. Aufbau: Einige Vereinigungen/Organisationen (wie z.B. der Alpenverein) lassen sich als Großorganisationen bezeichen. Sie sind meist hoch differenziert und hierarchisch aufgebaut. Als Kontrastierung dienen uns Vereinigungen mit einer geringen Binnendifferenzierung und flachem Aufbau (z.B. Nachbarschafts vereine). Verbindlichkeit: Einige Gruppen (wie z.B. Kirchen) weisen einen hohen Verbindlichkeitsgrad auf. Andere Gruppen stellen eher lose, unverbindliche Zusammenschlüsse dar (z.B. Lesezirkel). Interessant ist dabei für uns die Frage, in welchem Maß »Unverbindlichkeit ein stützendes soziales Beziehungsmuster« sein kann (Sander 1998). Deshalb untersuchen wir auch Personen, die formal keinerlei Initiative, Vereinigungen o.ä. angehören.

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Diese Dimensionierung, die schließlich die Grundlage für die Auswahl unserer Interviewpartnerinnen bilden soll, ist keinesfalls endgültig und abgeschlossen, sondern stellt eine erste Annäherung dar. So wird beispielsweise zu prüfen sein, ob die von Habermas (1998) jüngst thematisierte Gegenüberstellung von lebensweltlicher und funktionaler Integration diese Typologie sinnvoll erweitert. Daneben könnte die Frage interessant sein, wie diskussionsoffen Gruppen sind (Diskurskultur), wie hoch ihr Politisierungsgrad ist und ob eine Innenzentrierung oder eine Außenzentrierung dominiert. Die Ergebnisse, die die Analyse unserer explorativen Interwievs liefert, sollen schließlich zum Anküpfungspunkt für weitere Erkundungen der sozialen Landschaften genommen werden. So könnte etwa in einem zweiten Schritt eine genauere Analyse der posttraditionalen Figurationen erfolgen. Anmerkungen (1) Mit dem Begriff der »sozialen Landschaft« (sozioscape), der von Appadurai (1990) geprägt und von Albrow (1996) aufgegriffen wurde, bezeichnen wir konkret die sozialen Netzwerke von Individuen und die spezifische Ausformung, in der sie kollektive Identitäten und Lebensmuster konstituieren. (2) Der Begriff der »Figuration« (Elias 1986) rückt in einer dynamischoffenen Form das Interaktionsgeflecht der Menschen untereinander ins Blickfeld. Er reduziert soziale Prozesse weder auf strukturelle Systemarrangements noch führt er sie auf personale Merkmale zurück. Zudem erlaubt er gerade in dynamischen Veränderungskonstellationen die Suche nach gestalthaften sozialen Formationen: »Das Zusammenleben von Menschen in Gesellschaften hat immer, selbst im Chaos, im Zerfall, in der allergrößten sozialen Unordnung eine ganz bestimmte Gestalt. Das ist es, was der Begriff Figuration zum Ausdruck bringt« (Elias 1986, S. 90). In diesen Figurationen werden spezifische »Wir-Ich-Balancen« (Elias 1987) hergestellt. Mit seiner These, daß sich im Zuge der fortschreitenden Individualisierung eine Verschiebung in der Balance von Wir- zu Ich-Identitäten vollzieht, lieferen Elias und sein Figurationsbegriff darüber hinaus eine modernisierungstheoretische Perspektive, die zu der Frage nach den sozialen Landschaften in der Zweiten Modernen anschlußfähig ist.

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Jenseits der Autonomie: Im Hinterland des Neoliberalismus Sechs Anmerkungen zur Polarisierung von Handlungsmöglichkeiten als strukturellem Moment einer neuen Geographie von Macht

1. Schweigen Wenn die Autorinnen an „Soziale Landschaften" denken, denke ich an eine „Neue Geographie der Macht" (Saskia Sassen 1995). Ich denke an neue globale hegemoniale Konstellationen, auch an globale Netzwerke, die die Positionen bestimmter Akteure verstärken und die anderer schwächen. Ich denke an den Zuwachs von Macht und Handlungsfreiheit bei bestimmten Akteuren, die zunehmende Ohnmacht bei anderen und daran, wie sich diese Entwicklungen auch strukturell in größer werdenden Spaltungen und Polarisierungen niederschlagen und institutionalisieren. Wenn im Antrag die Rede ist vom „Subjekt als Baumeister (s)einer sozialen Landschaft", fallen mir Studien über Frauen in den Freien Exportzonen oder Maquilladoras ein, ihre mühsamen und oft vergeblichen Kämpfe gegen miserable Arbeitsbedingungen, gegen einen Arbeitsalltag, in dem die systematische Zerstörung der Gesundheit, Repression, (sexuelle) Gewalt an der Tagesordnung sind. Mir fällt auch der Kampf der Zapatistas ein, die u.a. via Internet versucht haben, deutlich zu machen, dass das buchstäbliche Ausbluten ihres Landes ,Chiapas' nicht zufällige Begleiterscheinung, sondern systemischer Bestandteil eines globalen Neoliberalismus ist, der bestimmte Interessen fördert und die Unterdrückung anderer zur Voraussetzungen macht, zum strukturellen Moment seiner eigenen Bestehensweise.

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Wenn die Autorinnen über „Freiräume" schreiben, dann fallen mir Verarmungsrisiken und neue Unsicherheiten ein, neue Vergesellschaftungszumutungen und vielfältige Bedrohungen der Existenz, Brüche und die Verunsicherung von Lebensperspektiven. Zudem sehe ich hier Ängste vor ,Auschluss' und Desintegration' und daraus resultierende Anpassungen, die deutlich machen, dass es auch für die ,Gewinner' Verluste gibt: Das ,Leben für den Lebenslauf', um die Arbeitsmarktchancen zu vergrößern, der Eintritt in die Branchen, die noch individuelle Zukunftschancen zu versprechen scheinen und damit - oft verbunden auch die Aufgabe der-Hoffnung auf inhaltlich sinnvolle Arbeit. Oder aber auch die Frage danach, wieviel Freiheiten ,man' sich eigentlich angesichts der Verhältnisse überhaupt ,herausnehmen' kann („... in dem Alter..."). Müssen nicht die im vorliegenden Text gestellten Fragen nach den Veränderungen in den sozialen Verortungen, den veränderten Vorstellungen von „Gemeinschaft", nach Veränderungen in den Perspektiven auf Zusammenleben, gemeinsames Engagement und Zusammenhalt, müssen diese nicht im Zusammenhang mit der Frage bearbeitet werden, wie (auch) hierzulande Sozialstaatsabbau und die Privatisierung der Risiken, strukturelle Erwerbslosigkeit und die Schwierigkeiten individueller Existenzsicherung die Handlungsmöglichkeiten grundlegend auch beschneiden? Würde eine Einbeziehung dieser Seiten nicht ein sehr viel widersprüchlicheres Bild ergeben als im Antrag skizziert und daher auch eine ganz andere Ausgangsbasis? Ich denke, dass die im vorliegenden Text gestellten Fragen auch diese Seite berücksichtigen müssten, denn sie lassen individuelle Verortungen und Vorstellungen von Zusammenleben, Engagement, Zusammenhalt usw. nicht unberührt. Auch diejenigen die von ,Desintegration', ,Ausschluss' oder ,Absturz' nicht unmittelbar bedroht sind, handeln nicht ohne ein Wissen darum, sondern tun auch etwas dafür, um ihren status quo zu bewahren. Wenn ich mir so die Forschungsfragen des vorliegenden Textes als Frage danach übersetze, wie sich Veränderungen in sozialer Verortung und Orientierungen, Bedeutung, Motive, Formen und Inhalte von Zusammenhalt und gemeinsamen Engagement in den veränderten Mög-

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lichkeiten und Vorstellungen davon begründen, wie individuelle (und politische) Handlungsfähigkeit erreicht werden kann; und wenn ich mir „soziale Landschaften" als eine „neue Geographie von Macht übersetze, dann wäre sie unterlegt mit einer etwas anderen Forschungsagenda.

2. Erzählungen der Wirklichkeit: Marktgängigkeit als Freiheit oder Freiheit zu Marktgängigkeit? „Früher Vogel fängt den Wurm. - doch was, wenn Du der Wurm bist?" (Sprichwort)

In der Durchsicht von Zeitschriften und (Lifestyle-)Magazinen lässt sich ganz gut erkennen, was als innovatives Leitbild gilt, welche Menschen hier als leuchtende Vorbilder präsentiert werden, wie sie leben und was sie tun. Das Leitbild hat in der Regel eindeutige Merkmale: „Der Mensch der Stunde" ist der erfolgreiche Unternehmer seiner Arbeitskraft und Daseinsvorsorge, ein Existenzgründer: männlich, jung und tätig in den Bereichen: Risikokapital, Informationstechnologie, PR, Werbung, Multimedia und ähnlichen Branchen. Das verwundert nicht, denn da es vor allem um die Darstellung der Erfolge geht und das als erfolgreich gilt, was Profit bringt, können diese kaum im vom Abbau betroffenen Sozialbereich gemacht werden. (Zumindest hätten Profite, die beispielsweise mit Menschen am gesellschaftlichen Rand gemacht werden, keine besonders positive Ausstrahlung.) Die Erfolge setzen somit ganz bestimmte Geschäfte voraus, die ,marktgängig' und profitabel sind und die eben nur mit bestimmten Inhalten und in bestimmten Bereichen verwirklicht werden können, die die Entwicklung spezifischer Qualifikationen und Sinngebungen und entsprechend die Vernachlässigung anderer erfordern. Ich wollte aus diesen Magazinen auch wissen, wie eigentlich dieses prototypische Leitbild des erfolgreichen Existenzgründers, was schlichtweg ja nicht für alle gelingen kann, weil es bestimmte Voraussetzungen hat, als allgemein erreichbar vorgestellt wird. Ein , Dreh4 dabei ist: Die Voraussetzungen, die es braucht, um ein Unternehmen zu gründen werden zu Haltungsfragen: Zu den wichtigsten Voraussetzungen eines Un-

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ternehmensgründers gehören nicht vor allem spezifische Qualifikationen und zum Beispiel das entsprechende Geld, sondern vor allem Zuversicht, Mut und die Lust etwas zu bewegen. Diese Haltungen werden durch die entsprechenden Oppositionen aufgeweitet. Wer möchte schon mit Ängstlichkeit, Starre, dem „Leitbild des ewig irritierten, ewig verzweifelten Versorgungsbürgers" (Herzog 1997, 19) identifiziert werden? So werden zugleich auch schon bei der Lektüre die Kritiken an der Einseitigkeit des Unternehmer-Leitbildes diskreditiert: Kritische Anmerkungen, spezifische Bedenken (z.B. die ökologische Verträglichkeit betreffend) werden so beispielsweise zu „Schwarzmalerei", die beliebig und grundlos „Angstszenarien" heraufbeschwört (Herzog 1997). In der Loslösung der Haltungen von den ,materiellen' Voraussetzungen liegt eine erste Bedingung, bestimmte Unmöglichkeiten als Möglichkeiten denken zu können und diese sozusagen als Haltungen, die die einzelnen aus ihrer Alltagserfahrung nachvollziehen und gutheißen können zustimmungsfähig zu machen (vgl. Hall 1984). So entsteht auch in den diversen Artikeln und Zeitschriften ein Netz von Bedeutungen und Konnotationen, das Auf- und Abwertungen produziert und in der bestimmte Modelle individueller Existenz - etwa das Modell der lebenslangen Berufsausübung an einem Ort - widerspruchslos diskreditiert werden, während andere, wie „immer unterwegs", „immer was neues", und „immer flexibel" ebenso widerspruchslos gefeiert werden. Erst ein Blick auf die Leerstellen in diesem Diskurs eröffnet ein widersprüchlicheres Bild: In der diskursiven Konstruktion , erfolgreicher Subjekte', in dem also, was heute alltagsverständig als innovativ, modern, chic gilt, in dem, was die fortschrittlichen Menschen von den rückwärts-gerichteten unterscheidet, kurz in all den Eigenschaften, die als zeitgemäß gefeiert werden, wird über die Einseitigkeit, über die Bedingungen und über die unsichtbare Kehrseite dieser vermeintlich innovativen Subjektmerkmale geschwiegen. So sind etwa die mit der Subjektposition , Unternehmer' verbundenen Möglichkeiten allesamt an das Kriterium der ,Marktgängigkeit' geknüpft: Ideen, Biographien usw. müssen marktgängig sein bzw. entsprechende Potentiale enthalten. Die Idee muss eine Geschäftsidee sein, die sich unter den Bedingungen so

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wie sie sind verkaufen lässt, die eigenen Qualifikationen müssen zu dem passen, was derzeit nachgefragt wird und die Lebenführung muss dieser Idee unterwerfbar sein. Kurz: ,Man' muss Geld damit machen können und auch bereit sein, eben dies zu tun. Die damit zugleich verbundenen Verluste - an Sinn für NichtMarktgängiges, für Gesellschaftspolitik, für Selbstvergesellschaftung, für Solidarität und für all die Tätigkeiten und Praxen und Interessen, die sich dieser Verkaufs- und Profitlogik nicht unterwerfen lassen - bleiben Leerstellen in dem Diskurs. Die allgemeine Rede von den Optionen und Freiheiten muss daher zumindest spezifiziert werden, als - beispielsweise - die Freiheit zur Marktgängigkeit. Alles andere heißt, den „Teil zum Ganzen zu machen" (vgl. Hall 1984). Dass Erzählungen der Wirklichkeit den Teil zum Ganzen machen, wenn man die Standpunkte in ihnen nicht relativ, als spezifische denkt, heißt auch die Möglichkeit anderer Standpunkte und Fragen, auszublenden. Sinnbildlich wird dies an der Erzählung der Selbstbenennung einer der neuen, erfolgreichen Firmen - Geschäftsidee: Riskokapital -, die für sich den Namen „earlybird" wählte und sich damit ganz explizit auf das Bild vom frühen Vogel bezog, der den Wurm fängt: Denn der frühe Vogel - so sagte einer der Firmengründer im Interview in Econy - ist jemand, der 365 Tage im Jahr mit vorurteilsfreier Vitalität am frühen Morgen nach Neuem und nach Bewegung verlangt. In dieser positiven Besetzung von Aktivismus, Zuversicht, Findigkeit, Unerschrockenheit bleibt das außen vor, was dieses Sprichwort erst in seinem zweiten Teil offenbart: „... doch was, wenn Du der Wurm bist".

3. Eine Erzählung ist keine Erzählung ist eine Praxis Individuelle Orientierungen und gesellschaftliche Hegemonie Dass Erzählungen nicht einfach Erzählungen sind, die ganz beliebige Sichtweisen auf die Wirklichkeit produzieren, sondern dass sie verankert sind in der gesellschaftlich hegemonialen Anordnung oder Hierarchisierung von Praxen, deren Logik das Bewusstein der (betreffenden) Akteu-

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re organisiert und fokussiert, hat zum Beispiel die nordamerikanischen Soziologin, Dorothy Smith, theoretisch ausgearbeitet. Dieser sehr komplexe Zusammenhang kann hier nur sehr kurz ausgeführt werden. Ich möchte versuchen, dies an einem Beispiel zu tun, in dem die Frage der individuellen Orientierung als Moment der gesellschaftlichen Formen und Handlungsmöglichkeiten vorgeführt wird, an dem sich zeigen lässt, dass die »subjektiven4 Bedeutungen, Momente gesellschaftlicher Hegemonie sind und dass eine Analyse von Bedeutungen, diese zurückbinden muss an die Praxen, da sie ohne diese nicht adäquat verstehbar sind. Das Beispiel handelt von dem Versuch einer Ökonomin, die in den USA für den wirtschaftspolitischen Sachverständigenrat gearbeitet hat (economic Policy Council) hier ein Komitee zu einzurichten, das sich mit Fragen der Frauenarbeit, Familie und Kinderbetreuung befasste. Ihr Versuch, Teilnehmerinnen des Gremiums für ein solches Komitee zu finden, schlug fehl. Warum? Die Autorin schildert die Reaktionen folgendermaßen: Während Männer ihre Ablehnung damit begründeten, dass sie sich hier nicht zuständig fühlten, sagte eine angefragte Frau, Vizepräsidentin eines großen Industrieunternehmens, ganz offen: „Ich habe 15 Jahre gebraucht, um als kompromisslos zu gelten, und ich denke nicht daran, das aufs Spiel zu setzen. Sollte ich mich mit diesen blöden Frauenthemen befassen, könnte mir das in der Firma eine Menge Probleme machen" (Smith 1998, 31). Dorothy Smith zeigt an diesem Beispiel, dass und wie die individuellen Interessen, Bewertungen und Besetzungen von Themen mit der gesellschaftlichen Organisation und Regelung von Praxen und Tätigkeitsfeldern verflochten sind, weil in ihnen auch die individuellen Handlungsmöglichkeiten begründet oder fundiert sind. Ich habe diese Beispiel herausgegriffen, um deutlich zu machen, dass eine Frage nach den Orientierungen oder Handlungsmöglichkeiten der Subjekte zu kurz greift, wenn sie nicht die gesellschaftliche Anordnung von Praxen und Tätigkeitsfelder mit in den Blick nimmt. Und dass es daher wichtig ist, die Frage danach, was sich für die einzelnen auf Ebene der Bedeutungen und Vergesellschaftung verändert, in Bezug zu setzen zu der Frage nach den Interessen, Praxen, Tätigkeiten und da-

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nach, ob und wie sich ihre Privilegierung und Einordnung im gesamtgesellschaftlichen Gefüge gegenwärtig verändert. Das hieße auch nicht einerseits nach den Verhältnissen an sich und andererseits nach den Subjekten an sich zu fragen, sondern nach ihrer spezifischen Verflechtung: Welche gesellschaftlichen Interessen und Tätigkeiten werden privilegiert und institutionalisiert, welche werden entsprechend marginalisiert und abgewertet und wie organisiert dies Möglichkeiten, Orientierungen, Perspektiven und Sinngebungen der einzelnen neu?

4. .Basale" Erzählungen als hegemoniale Praxen: Zur Realpolitik des Begriffes «Globalisierung" Während Globalisierung im vorliegenden Text als „basaler Prozess" gefasst wird, mehren sich die Stimmen, die daran kritisieren, dass hier eine ökonomische Zwangsläufigkeit oder Naturwüchsigkeit suggeriert wird, die die politischen Dimensionen der gegenwärtigen Veränderungen ausblendet. Sie plädieren zum Beispiel dafür, Globalisierung als globale Durchsetzung neoliberaler Politik zu analysieren. Hier soll noch einmal auf die Zapatistas eingegangen werden, deren Kampf gegen die , Ortseffekte4 des Neoliberalismus überhaupt als solcher bekannt geworden ist, was nicht zuletzt an ihrer fantasievoll- globalen Vorgehensweise und ihrem Sprecher „Subcomandante Marcos" gelegen hat. Sie zeigen globale Widersprüche auf, die von ihrem Standpunkt aus existentiell sind. Denn aufgrund der Ressourcen könnte Chiapas reich sein, würden nicht andere über Land, Ressourcen usw. verfügen, so dass die Bewohnerinnen hiervon nicht profitieren. Im Gegenteil, „der Reichtum verlässt das Land" und hinterlässt unendlich viel Elend (vgl. Marcos 1996, 19). Dieser Versuch, die GlobalisierungsDebatte zu politisieren, besteht darin, den Blick über die vermeintlich abstrakten, akteurlosen Dynamiken hinaus auf die konkreten Akteure zu lenken: die Investoren, das transnationale Kapital und seine Interessen der Profitmaximierung. Sie machen die Situation in Chiapas als lokalen Effekt des globalen Neoliberalismus sichtbar und binden ihre Lage so wieder strukturell in die Zusammenhänge ein, aus denen sie üblicher-

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weise herausgelöst werden. Die Spezifik der , Globalisierung4 besteht für sie realiter und erfahrbar in der globalen Durchsetzung des Neoliberalismus, einem System, das auf der weltweiten Ausbreitung von Armut und Ausbeutung basiert und dieses mit Gewalt durchsetzt: „Globalisierung bedeutet den Zapatistas zufolge den ,modernen Krieg' des Kapitals, der ,mordet und vergißt4 (Harvey 1997). Marcos nennt den globalen Siegeszug des Neoliberalismus auch den „vierten Weltkrieg" (vgl. Marcos 1997). In dieser Analyse vom „Standort Chiapas" wird etwas sichtbar, dass von anderen Standpunkten aus leicht unbemerkt bleiben kann: „Anstelle von Humanität bietet dieser Neoliberalismus Aktienkurse an der Börse, anstelle von Würde bietet er uns Globalisierung des Elends, anstelle von Hoffnung Leere, anstelle von Leben die Internationale des Terrors" (Harvey 1997, 48). In dieser Sichtweise werden Armut, Elend und Ausbeutung als Ortseffekte und strukturelle Auswirkungen einer Weltordnung sichtbar, in der transnationale Konzerne und das Finanzkapital zunehmend an Macht über das Lokale gewonnen haben. In dieser Sichtweise werden auch die verheerenden Folgen sichtbar, denn das hieraus resultierende Wachstum schafft keine Arbeit, es schafft sie ab (arbeitskraftunabhängiges Wachstum), es zerstört zudem vielerorts die (ökologischen) Lebensgrundlagen und die Möglichkeiten der Reproduktion. Die Kritik an einem technokratisch-ökonomistischen Globalisierungsbegriff, der treibende Kräfte und Interessen systematisch entnennt, ist in dem Satz Neoliberalismus als Globalisierung' auf den Punkt gebracht (vgl. Das Argument 1997). Im Zentrum steht hier die Kritik an einer Sichtweise von Globalisierung, die die Akteure und ihre spezifischen Interessen und damit Spielräume und Alternativen aus den Vorstellungen streicht. Dabei soll deutlich werden, dass die allgemeine Rede von der Globalisierung Teil einer euphemistischen Rhetorik ist, die die neoliberale Hegemonie entscheidend mitbegründet: „Die wichtigste Vorstellung, die durch den Gedanken der Globalisierung vermittelt wird, ist die des unbestimmten, widerspenstigen, selbstgesteuerten Charakters der Weltangelegenheiten, der Abwesenheit eines Zentrums, einer Kontrollanlage, einer Leitungsgruppe, einer Führungsgruppe (Bauman 1996,

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654). Hier wird gezeigt, dass der Begriff der Globalisierung in seiner herkömmlich unproblematischen Verwendungsweise für die Naturalisierung, Legitimierung und Durchsetzung einer neuen Herrschaftsformation steht. Deren Hegemonie gründet unter anderem darauf, dass sie entnannt wird, indem sie zum (unausweichlichen) Sachzwang gemacht wird. In dieser Sichtweise ist die herkömmliche Denkweise über Globalisierung Teil des Problems.

5. Glokalisierung statt Globalisierung: Zur Neuordnung und Polarisierung der Handlungsmöglichkeiten Um Globalisierung als Etablierung neuer weltweiter Ungleichheiten auf den Punkt zu bringen, hat Zygmunt Bauman den Begriff glokalisierung' aufgegriffen und folgendermassen zugespitzt: „Man könnte sagen, Glokalisierung ist ein Prozeß weltweiter Neustratifizierung, in dessen Verlauf eine neue, weltweite, soziokulturelle, sich selbst reproduzierende Hierarchie aufgebaut wird.... Was für die einen freie Wahl, ist für die anderen erbarmungsloses Schicksal. Und da die anderen zahlenmäßig unaufhaltsam zunehmen und immer tiefer in einer Verzweiflung versinken, die aus einer perspektivlosen Existenz herrührt, hat man recht, wenn man Glokalisierung für eine Konzentration von Kapital, Finanzen und allen möglichen Ressourcen hält, die freie Wahl und wirksames Handeln ermöglichen - aber auch, und dies an erster Stelle für eine Konzentration der Handlungsfreiheit" (Bauman 1996, 659). Glokalisierung stellt neue Spaltungen her und polarisiert die Voraussetzungen für Handlungsfähigkeit, d.h. die Voraussetzungen, um Handlungsmöglichkeiten nutzen zu können. Bauman nennt als ein Beispiel das der Mobilität, da diese unter den Bedingungen der Globalisierung zu einer der wichtigsten Voraussetzungen für Handlungsfähigkeit wird und somit zur Voraussetzung dafür, vorhandene Handlungsmöglichkeiten nutzen zu können. Bauman zeigt auch, wie sich Spaltungen und Ungleichheiten in Zahlen manifestieren: Aus dem Bericht über menschliche Entwicklung der UNO geht beispielsweise hervor, dass der gesamte Reichtum der 358 ,globalen Milliardäre' dem Gesamteinkommen der 2,3 Milliarden ärmsten Menschen (ca. 45% der Weltbevölkerung) entspricht. Ein Kritiker

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hat folgende Rechnung angestellt: Wenn die 358 sich entscheiden würden, etwa 5 Millionen Dollar jeweils für sich zu behalten, um über die Runden zu kommen und den Rest wegzugeben, würde sich das Jahreseinkommen der Hälfte der Weltbevölkerung verdoppeln (vgl. Bauman 1996). Hier wird erneut deutlich: Der fortschreitende Erfolg der großen transnationalen Unternehmen ist nicht gleichbedeutend mit gesamtgesellschaftlichem Fortschritt. Im Gegenteil. Die Schere zwischen Arm und Reich geht weiter auseinander und manifestiert sich strukturell auch in einer Aufspaltung der Möglichkeitsräume. Politisch gesehen werden die , alten4 politischen Handlungs- und Steuerungsmöglichkeiten eingeschränkt. In der politiktheoretischen, vor allem in der Tradition der Kritik der politischen Ökonomie stehenden Debatte, wird dieses Problem u.a. als Entfesselung oder Entgrenzung ökonomischer Dynamiken diskutiert. Eine Metapher zur Beschreibung dieser strukturellen Veränderungsprozesse ist der Begriff der ,Entbettung' (Polanyi). Die Entbettungs-Dynamik wird als eine Entwicklung der Verselbständigung ,der Wirtschaft4 gegenüber ,der Gesellschaft4 gesehen: „Sie drängt nun ihre Logik und ihre Gesetzmäßigkeiten den Individuen und der Gesellschaft auf... Diese Kehrseite des Prozesses der Entbettung besteht in der sachzwanghaften Rückwirkung dessen, was da entbettet worden ist, auf die Gesellschaft und auf die Individuen. ... Was von Menschen gemacht worden ist, löst sich aus dem Zugriff und ihrer Steuerungsfähigkeit heraus und gewinnt nun sowohl in Bewußtseinsformen als auch in ihren Handlungsmöglichkeiten Macht über sie44 (Altvater 1998, 65). Wenn man diese Metapher füllt und die aktuellen Veränderungen als Kampf um Kräfteverhältnisse und ihre Institutionalisierung fasst, dann wird sichtbar, dass es bei diesem Kampf auch um eine Veränderung der Kräfteverhältnisse geht, wie sie im fordistischen Sozialstaat institutionalisiert bzw. verdichtet waren. Und, dass es dabei auch um die Durchsetzung neuer Inhalte und Formen von Politik geht, dass diese sich zum Beispiel in neuartigen globalen ,policy-Netzwerken4 und somit in neuen politischen Formen materialisieren (vgl. Demirovic/Pühl 1996, 237).

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Eine strategische Veränderung der Umbruchsprozesse lässt sich so politisch in der zunehmenden Bedeutung einer Vielzahl von global agierenden Institutionen und Akteuren sehen. Sie bringen ein weltweites Netz von Institutionen und Regulierungsmechanismen hervor, neue territoriale Konfigurationen und neue globale Arbeitsteilungen und mit ihnen auch neue globale Formen und Mechanismen von Macht. Dies hat Saskia Sassen als ,neue Geographie der Macht' analysiert (1995). Im Hinblick auf die Handlungsmöglichkeiten werden die Veränderungen auch als Aufspaltung der (Welt-)Gesellschaft in unterschiedliche Möglichkeitsräume sichtbar, die die (lokalen) Handlungsmöglichkeiten der Menschen konkret mitbestimmen. Die raum-zeitlichen Verflechtungen oder ,räumlichen Verdichtungen', auf die in der Globalisierungsdebatte immer wieder verwiesen wird (vgl. Giddens 1996, Harvey 1996), lassen sich infolge der neuen globalen Arbeitsteilungen als Etablierung neuer ,Trennungszusammenhänge4, sehen, die nicht nur über die unterschiedliche Reichweite' oder Tragweite der Handlungen in den jeweiligen Möglichkeitsräumen und die unterschiedlichen Konsequenzen, die damit verbunden sind entscheiden, sondern auch über die Einsichts- und Eingriffsmöglichkeiten. Sie sind Resultat einer Welt, in der die Gesamtarbeit global neu verteilt ist und d.h. auch, dass sich die Arbeitsteilungen weltumspannend neu zusammensetzen. Dies lässt sich etwa als „Neuzusammensetzung des Weltgesamtarbeiters" fassen (vgl. F. Haug 1999). Welche Konsequenzen dies für Wahrnehmungs-, Erkenntnis- und Erfahrungsmöglichkeiten hat, zeigt sich an einem Beispiel, das Elmar Altvater auf einer Globalisierungskonferenz aus der New York Times zitierte. Es macht die angeführten Dimensionen am Beispiel der Finanzkrise in Asien deutlich: „Sie handelt von Mary Joe Paoni und ihrem Ehemann George, die seit Jahren in einen Pensionsfond eingezahlt haben, um ihre Altersrente zu sichern: ,1 wouldn't invest in Asia, she said. Investing in Asia frightens me4. Ihr Mann fügt hinzu: ,if I'm going to gamble, I want to sit down with my friends." Doch, so fügt die New York Times hinzu, Mrs. Paoni, die niemals außerhalb der USA gewesen ist, hat tatsächlich in Asien und in vielen anderen Ländern der Welt investiert, obwohl sie davon nichts weiß': Millions of Americans have become like the Paonis the unknowing financiers of developing countries as money switches around the world today

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Ariane Brenssell from Cantrall (dem Wohnort der Paonis im Mittelwesten) to Russia, to Brazil, to China connecting the most unlikely people'. Eine dieser unwahrscheinlichen Gestalten', mit denen die Paonis verbunden sind, ist Salamet, ein Rikscha-Fahrer in einer Kleinstadt in Indonesien. Er leidet schwer unter der Finanzkrise, die durch den plötzlichen Abzug der USamerikanischen Pensionsfons aus Südostasien 1997 ausgelöst worden ist. Er kann ein schmerzmilderndes Medikament für seine krebskranke Mutter nicht mehr kaufen und auch die Schulgebühren für seinen Sohn Dwi kann er nicht mehr bezahlen. Es geht vielen so wie ihm, die asiatische Entwicklungsbank schätzt, dass 6,1 Millionen kinder als Folge der Finanzkrise Indonesiens den Schulbesuch haben aufgeben müssen" (Altvater 1999, 2).

Dieses Beispiel zeigt zum einen, wie die Etablierung von weltumspannenden machtvollen „Institutionen" und Machtstrukturen auch Handlungsmöglichkeiten vor Ort - und diese je nach der spezifischen Bedeutung des jeweiligen Ortes - nachhaltig verändern und polarisieren. Es verweist zum anderen aber auch darauf, dass Wahrnehmen und Handeln der einzelnen als Momente einer Machtgeographie analysiert werden müssen, die u.a. dadurch gekennzeichnet ist, dass transnationale Regime und Institutionen, Systeme hervorbringen, die die Ansprüche bestimmter Akteure verstärken und legitimieren (Unternehmen, multinationale Rechts- und Beraterfirmen) und die anderer Akteure beschränken. Damit werden auch die Positionen der lokalen Akteure neu verteilt und ihre Handlungsmöglichkeiten, je nach Verortung und den Voraussetzungen die sie haben, neu »zugeschnitten'.

6. .Zum Schweigen gebracht" - Anordnungen der Marginaiisierung bestimmter Subjektpositionen Dass und wie die Durchsetzung neoliberaler Interessen in Alltags- und Lebensweise faktisch und praktisch handlungsrelevant wird, indem bestimmte Praxen nachhaltig aufgeweitet, andere marginalisiert werden, zeigt sich, wenn Veränderungen nicht allein in ihrer »geronnenen' Form, sondern von einem Standpunkt aus betrachtet werden, der auch ihre Herstellung sichtbar macht. Die kanadische Journalistin, Heather Menzies, schildert den Prozess der Umstrukturierung einer lokalen Telefonvermittlungsstelle in einer Kleinstadt in Kanada durch eine transnationale

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Telefongesellschaft (vgl. Menzies 1996, 133ff.). Sie greift dieses Beispiel auf, um entgegen dem herkömmlichen Diskurs über technologische Veränderungen zu zeigen, wie diese auch in ihrer Bedeutung für Veränderungen in der alltäglichen Arbeits- und Lebensweise sichtbar gemacht werden können: „The official Discourse on technological restructuring won't help us come to terms with what is happening, or help us to deal with it as the urgent social issue it is. It won't help us because it's centred not on needs and priorities of most people, but on the priorities of the global corporate economy. It is framed around that economy's need to globalize and downsize, to create a global labour pool with minimal social safety nets, and to do whatever else is required to operate efficiently and expand ist marketing space" (Menzies 1996, 133).

In der Telefon Vermittlung vor Ort arbeiten hauptsächlich und langjährig Frauen, die ihre Arbeit in einer Weise organisiert haben, dass auch der „lokale Gebrauchswertstandpunkt" in ihr Berücksichtigung findet. D.h. sie orientieren sich in ihrer Arbeit auch an für sie wesentlichen Fragen: Was ist nützlich fürs Gemeinwesen, welche Informationen und Hilfe brauchen die Menschen vor Ort. Sie haben eine anerkannte Stellung im Ort und übernehmen auch wichtige Gemeinswesenaufgaben. So geben sie zum Beispiel Auskunft über lokale Gegebenheiten, benachrichtigen zum Beispiel Angehörige in Notfällen, helfen auch mal älteren verwirrten Menschen u.v.m. Die Veränderungen, die der transnationale Telefonkonzern vornehmen will, betreffen die Einführung eines automatisierten System der Anrufweiterleitung. Es zeigt sich, dass sich durch die technischen Neuerungen die Handlungsmöglichkeiten für die Telefonvermittlerinnen entscheidend verändern. Der Vorgang lässt sich als eine Standpunktverschiebung begreifen, durch die alles aus der Arbeit ausgeschlossen wird, was nicht der unmittelbaren Tätigkeit der Telefonvermittlung zuzuordnen ist und somit vom Standpunkt des Konzerns unwesentlich ist. Mit den geplanten technischen Neuerungen verändert sich in diesem Fall die Arbeitsorganisation in einer Weise, dass die gewohnten und vom lokalen Standpunkt aus verrichteten Handlungen der Frauen verunmöglicht werden. Alles das, was die Frauen als zentralen und sinn-

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vollen Aspekt ihrer Arbeit betrachteten wurde kurzerhand unmöglich. Die Eingriffs- und Gestaltungsmöglichkeiten nach dem Gebrauchswertaspekt fielen durch die Einführung der automatischen Telefonvermittlung weg: „The system would cut them off from the local telephone users, and the local community would be cut off from them" (Menzies 1996, 135). Dieser ,cut off' von den lokalen Telefonbenutzern erschien vom Standpunkt der lokalen Anforderungen kaum sinnvoll. Sinnvoll wird er hingegen vom Standpunkt der Effizienz, der Einsparung und Beschleunigung und der zentralen Steuer- und Kontrollmöglichkeiten des transnationalen Telefonkonzerns. In diesem Beispiel steht der Standpunkt des Lokalen gegen den Standpunkt eines transnationalen Konzerns. Der Standpunkt des Lokalen fällt hier zudem - nicht ganz zufällig - zusammen mit dem Frauenstandpunkt. Vom Standpunkt der Frauen, die die unterschiedlichen Anforderungen in ,ihrem Gemeinwesen' kannten, weil sie als Frauen in den real vorhandenen Geschlechterverhältnissen faktisch auch dafür zuständig waren, war die Möglichkeit entlang der lokalen Anforderungen handeln zu können, Teil der Sinnhaftigkeit ihrer Arbeit. Nicht weil sie das transnationale Kapital bekämpfen wollten, sondern weil sie für diese Seite ihrer Arbeit kämpften, versuchten die Frauen die geplanten Umstrukturierungen zu verhindern. Doch trotz heftigem Widerstand und auch rechtlichem Kampf der Frauen, setzte sich der Konzern mit seinen Umstrukturierungen durch. Damit setzte sich zum einen eine Anordnung, zum anderen eine Logik durch, die die gebrauchswertseitige Logik der Arbeit und die Möglichkeit der Verbindung zu den lokalen Anforderungen nachhaltig ausschloß. Es institutionalieren und materialisieren sich Kräfte/Verhältnisse in denen bestimmte Anforderungen schwerer, teils kaum mehr artikulierbar werden. Die Durchsetzung technischer Neuerungen vom Standpunkt des transnationalen Konzerns, lässt sich daher auch als Durchsetzung von neuen Relevanzverhältnissen betrachten, in denen sich zum Beispiel das Kräfteverhältnis zwischen Gebrauchswertund Tauschwertinteressen nachhaltig verschiebt. Damit sind jedoch die Anforderungen, die vorher vorhanden waren nicht einfach weg, sie sind sozusagen ins ,Hinterland abgedrängt'. Der Gedanke, dass der Kapita-

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lismus für seine Reproduktion ein Hinterland braucht, das nicht nach Kapitalgesetzen geregelt ist, ist ein zentraler Gedanke von Rosa Luxemburg (1985). In diesem Hinterland versammelt sich das, was zwar vom Standpunkt der Verwertungslogik nicht unmittelbar nützlich ist, was aber gleichwohl auch seine Voraussetzung bildet (ebd., 313ff., 397f.). In hegemonialer Perspektive wird dieses Hinterland nicht nur unsichtbar, es wird auch zum Schweigen gebracht. Anmerkungen (1) Hierzu sind zahlreiche Studien erschienen: Vgl. zum Beispiel Hennessy 1999/2000, Wiek 1998, Wichterich 1998. (2) Vgl. hierzu auch den UNDP Report: „Bericht über die menschliche Entwicklung 2000". Dass diese »Kehrseiten' nicht nur in den „Entwicklungsländern" präsent, sondern auch hierzulande facettenreich vorhanden sind, zeigen vielfältige Analysen, wie die von Daniela Dahn (2000), die den deutsch-deutschen Vereinigungsprozess als Spaltungsprozess von Vermögen und Lebenschancen analysiert oder das von Bourdieu u.a. herausgegebene Dokument „Das Elend der Welt", in dem Berichte über das alltägliche Leiden an der Gesellschaft aus Frankreich zusammengetragen wurden (1998). (3) Zum Beispiel in kurzlebigen Lifestyle-Magazinen, wie der Zeitschrift „Econy", die sich selbst als „ein Magazin für die Mutigen" präsentierte: „für Leute, die aufbrechen; die etwas unternehmen; die Wirtschaft noch als Abenteuer begreifen ..."(Econy 1/1998) oder auch in langlebigeren, wie den „Zeit-Punkten" oder dem „Spiegel". (4) Natürlich wird auch einmal eine Frau als leuchtendes Vorbild an Durchsetzung präsentiert oder auch mal ein findiger Würstchenverkäufer, der sich in New York nicht unterkriegen ließ, aber dies ist nicht die Regel. (5) Smith hat die sehr unterschiedlichen Dimensionen ihres wissenschaftstheoretischen Konzepts der „Diskurse als Praxen" in verschiedenen Studien und Texten dargelegt (aktuell vgl. Smith 1999). (6) Die Zapatistas beriefen zum Beispiel 1996 ein weltweites, „Interkontinentales Treffen für die Menschheit und gegen den Neoliberalismus" ein, sie beziehen sich u.a. auf Brecht bei der Verfassung ihrer Schriften usw.; insgesamt ungewöhnliche Vorgehensweisen im Kampf gegen den Neoliberalismus (vgl. Haug, W.F. 1999, 149 ff.). (7) Marcos macht sehr faktenreich deutlich, dass dies zwei Seiten einer Medaille sind: „In Chiapas werden 92.000 Barrel Öl gefördert und 19 Milliarden Kubikmeter Gas. „Im Tausch hinterlassen sie den kapitalistischen Stempel: ökologische Zerstörung, Landvertreibung, Hyperinflation, Alkoholismus, Prostitution, Armut. ... Auch der Kaffee ist ein Reichtum,

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an dem Chiapas verblutet. 35 Prozent der nationalen Kaffeeproduktion stammen aus dieser Region. 47 Prozent der Produktion gelangen auf den nationalen Markt und 53 Prozent ins Ausland, vor allem in die USA und nach Europa: Mehr als 100.000 Tonnen verlassen den Bundesstaat, um die Bankkonten der Bestie zu mästen: 1988 verkaufte sich das Kilo Rohkaffee im Ausland für durchschnittlich 8000 Pesos, dem chiapanekischen Produzenten blieben ganze 2500 Pesos, oft auch weniger. 87 000 Personen sind in der Kaffeeproduktion beschäftigt. (....) Der Tribut, den der Kapitalismus von Chiapas fordert, findet in der Geschichte keinen Vergleich. 55 Prozent der in Mexiko verbrauchten hydroelektrischen Energie stammen aus diesem Bundesstaat, hier werden 20 Prozent der gesamten Elektrizität produziert. Doch nur ein Drittel der chiapanekischen Haushalte verfügt über elektrisches Licht.. Wohin gehen die jährlich in Chiapas produzierten 12.907 Gigawatt? Trotz der ökologischen Mode wird die Plünderung der chiapanekischen Wälder fortgesetzt. Zwischen 1981 und 1989 verließen 2.444.700 Kubikmeter Edel-, Nadel- und Tropenhölzer den Bundesstaat. (...) Der Honig, der in 79000 Bienenstöcken des Bundesstaates produziert wird, gelangt vollständig auf die US-amerikanischen und europäischen Märkte. Die jährlich 2756 Tonnen Honig und Wachs verwandeln sich in Dollars, die die Chiapaneken nie sehen werden" (Marcos 1996, 20f.). (8) „Zum Schweigen bringen" oder „Unsichtbarmachung" ist dabei ein wichtiger Akt zur Aufrechterhaltung oder Herstellung von Hegemonie, der auf vielen Ebenen analysiert werden kann: So lassen sich z.B. politisch-ökonomische Grossprojekte wie die EXPO 2000 in Hannover ebenso unter diesem Aspekt analysieren (vgl. Brenssell 2000), wie die Prozesse individueller und kultureller Vergesellschaftung (vgl. z.B. Brown/Gilligan 1994 oder Hall 1994) und erkenntnistheoretische Fragen. Die Frage nach dem Schweigen über die Geschlechterverhältnisse war immer ein zentrales Moment feministischer Wissenschaftskritik. Sassen etwa analysierte die Globalisierungsdebatte, weil sie die geschlechtspezifischen Dimensionen zum „Verschwinden brachte" als „Narrative of Eviction" (1998). Dabei ging es in erkenntnistheoretischer Perspektive vor allem auch darum, zu rekonstruieren, wie bestimmte Texte, Gedanken usw. zu Objektivierungspraxen werden, die bestimmte Erfahrungen und Standpunkte verallgemeinern und andere delegitimieren (vgl. exemplarisch Smith 1999, 146ff.). Literatur Altvater, Elmar 1999: Raum und Zeit der Globalisierung. Diskussionspapier zur Conference »Feminist Perspectives on the Pardoxes of Globalization', Berlin 5.&6. November 1999

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Altvater Elmar 1997: Entbettung. In: Haug, W.F. (Hg.): HistorischKritisches Wörterbuch des Marximus Bd. 3, Ebene bis Extremismus, 438-444, Berlin-Hamburg Altvater, Elmar; Mahnkopf, Birgit 1996: Grenzen der Globalisierung. Ökonomie, Ökologie und Politik in der Weltgesellschaft. Münster Baumann, Zygmunt 1996: Glokalisierung oder: Was für die einen Globalisierung, ist für die anderen Lokalisierung. In: ,Das Argument' 217 Heft 5/6, 653-664. Beck, Ulrich 1998: Was ist Globalisierung? Frankfurt/M. Brenssell, Ariane 2000: Horizonte feministischer EXPO-Kritik. In: Freitag Nr. 21 vom 19.5.2000. Bourdieu, Pierre u.a. 1998: Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen alltäglichen Leidens an der Gesellschaft. Konstanz. Brown, Lyn M./Carol Gilligan 1994: Die verlorene Stimme. Wendepunkte in der Entwicklung von Mädchen und Frauen. Frankfurt a. M. Dahn, Daniela 2000: Einheit wie geschmiert. In: Fritz Vilmar (Hg.): Zehn Jahre Vereinigungspolitik. Berlin. Das Argument 217/199:6 Neoliberalismus als Globalisierung. Heft 5/6 1996. Giddens, Anthony 1996: Konsequenzen der Moderne. Frankfurt/Main. Hall, Stuart 1994: Rassismus und kulturelle Identität. Berlin/Hamburg. Hall, Stuart 1984: Ideologie und Ökonomie. Marxismus ohne Gewähr. In: ,Projekt Ideologie-Theorie4: Die Camera Obscura der Ideologie, 97-122, Berlin. Harvey, David 1996: Justice, Nature and the Geography of Difference. Cambridge/Mass. Harvey, David 1997: Betreff Globalisierung. In: Becker, Steffen/Thomas Sablowski/Wilhelm Schümm (Hg.): Jenseits der Nationalökonomie? Weltwirtschaft und Nationalstaat zwischen Globalisierung und Regionalisierung, 28-49. Berlin-Hamburg. Haug, Frigga 1999: Feminisierung der Arbeit: In: Wolfgang Fritz Haug (Hg.): Historisch-Kritisches Wörterbuch des Marxismus, Band 4, Farbe bis Gegenmacht, 270-280, Hamburg. Haug, Wolf Fritz 1999: Politisch richtig oder Richtig politisch. Linke Politik im transnationalen High-Tech-Kapitalismus. Berlin-Hamburg. Hennessy, Rosemary 1999/2000: Frauen an der Grenze (Teil I) und Frauengrenzen und Frauenwiderstand im Neoliberalismus (Teil II). In: Das Argument 230 (Heft 1/2 1999, 279-087) und 234 (Heft 1/2000,49-56). Herzog, Roman 1997: Aufbruch ins 21. Jahrhundert. Ansprache im Hotel Adlon am 26. April 1997 (nach Pressemitteilung der Bundesregierung vom 25. April 1997, Nr. 140/97). Luxemburg, Rosa 1985: Die Akkumulation des Kapitals. Ein Beitrag zur ökonomischen Erklärung des Imperialismus. Berlin/Ost.

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Gegen neoliberale Barbarei oder für postmoderne Landschaftspflege? „So, also hierher kommen die Leute, um zu leben, ich würde eher meinen, es stürbe sich hier." Rainer Maria Rilke, Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge

Das 1970 erstmals auf Plätzen und in Zelten gespielte Theaterstück von Ariane Mnouchkine über die Große Französische Revolution („1789") beginnt mit einer Szene, in der der von Revolutionären gebeutelte, geschundene und gejagte König mit Marie-Antoinette bei schlichten, gemütvollen und mitleidigen Bauersleuten Unterschlupf findet. Die Szene endet mit der Ansage: So kann man die Geschichte der Französischen Revolution erzählen - man kann sie aber auch anders erzählen, und wir lernen König und Bauern von einer anderen Seite kennen - und wir lernen, dass es, da Geschichten nicht gleich gültig sind,1 auch nicht gleichgültig ist, wie man sie erzählt. „Man kann", beginnt auch der zu diskutierende Text von Heiner Keupp et al., „sich Gesellschaft(en) als einen ,Topos4" vorstellen, man kann sie als „soziale Landschaften" (S.l) oder als ,,Garten-Kulturen'' bezeichnen, in denen der „Nationalstaat" „Schutzfunktion" übernimmt bzw. der „Staat als Gärtner" (S.2) auftritt, man kann diesen „Gärtner" dann auch als „Container-Modell" bezeichnen (S.3) und die „nationalsozialistischen Bemühungen (sie!)2 zur Reinerhaltung der fiktiven »arischen Rasse' mit den „stalinistische(n) Versuche(n) zur Durchsetzung einer »vollkommenen4 kommunistischen Gesellschaft44 gleichsetzen. In der Tat: „Man kann44 das alles - man kann es aber auch sein lassen. Anders formuliert: man kann, muss aber nicht - noch anders gefragt: Wenn man es nicht muss, sondern nur kann - warum sollte (oder will) man?3 Warum sollte/will man, weiter gefragt, hinter staatlicher Ordnung als de-

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ren Urgrund eine „tief sitzende Angst vor der Uneindeutigkeit und der Ambivalenz" (S.3) ausmachen? Dagegen etwa spräche, dass der Garten aus Pflanzen besteht, die leben wie die sprichwörtliche Lilie auf dem Felde: Sie säen und sie ernten nicht, und doch werden sie ernährt von ihrem himmlischen Vater; sofern dieser von einem irdischen (Container-Modell-)Gärtner unterstützt wird, sind jene allerdings immer in Gefahr, selber geerntet zu werden. Was also die Menschen von den Pflanzen unterscheidet, ist dass sie säen und ernten, dass sie produzieren. (Die beiden Alten drängeln schon - na gut, sollen sie zu Wort kommen): „Man kann die Menschen ... durch was man sonst will, von den Tieren (und Pflanzen, M.M.) unterscheiden. Sie selbst fangen an, sich von den Tieren zu unterscheiden, sobald sie anfangen, ihre Lebensmittel zu produzieren..." (Marx & Engels, 1969, S.21) und, möchte ich (wohl in ihrem Sinne) ergänzen, und derweil allerlei Produktions-, Klassen- und Eigentumsverhältnisse eingehen. In diesem Zusammenhang stoßen wir dann auf das „illusorische , Allgemein'-Interesse als Staat" - gegenüber den mit den genannten Verhältnissen vermittelten systematischen Interessengegensätzen und Auseinandersetzungen und zur Organisierung der Durchsetzung von MachtSonderinteressen (ebd., S.34). Sicher: diese Überlegungen sind nicht neu, wurden aber über zig Bände hin entwickelt und Grundlage eines wissenschaftlichen Ansatzes, der von Autorinnen nicht einfach übersehen werden dürfte, die ihre Konzeption in einer Zeitschrift zur Diskussion stellen, die „Gesellschaftskritik" im Namen führt. Denn Marx (und Horkheimer) nur so nebenher zu Zeugen dafür zu machen (und sie darauf zu reduzieren), dass Menschen an die „Erfordernisse des industriellen Kapitalismus und die Logik der instrumentellen Vernunft" angepasst worden seien wie eben die Pflanzen, diese angebaut in „'Reih und Glied' ... an die Bedürfnisse der maschinellen Bearbeitung" (S.4), ist m.E. dafür zu wenig - und für die Argumentation nicht konstitutiv, bloß eine Girlande. Ein Modell, wie man sich die bei Marx & Engels angefühlten Beziehungen zwischen Staat und Gesellschaft heutzutage vorstellen kann, bietet etwa Joachim Hirsch (1998) in seinem Buch „Vom Sicherheitsstaat zum nationalen Wettbewerbsstaat". Außer-

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dem haben Marx wie Horkheimer die Menschen ja nicht nur als Angepasste beschrieben. „Ist die aktuelle Gesellschaft ein »soziales Gehege' unter der Leitung der (instrumenteilen) Vernunft, bewacht und gerahmt durch funktionierende (sozial-) staatliche Institutionen?" (S.4) „Nein", entschlüpft es nach dem bisher Gesagten dem Gehege meiner Zähne, „nicht wirklich". Nicht deswegen nicht, weil, wie Keupp et al. meinen, ein „Wandel" von „Lebensmuster(n)" „zentrale Basisinstitutionen (wie den Nationalstaat) und einige zentrale Basisannahmen (wie die Idee des linearen Fortschritts) der einfachen Moderne unterminiert" habe, sondern weil ich nicht meine, dass der Charakterisierung des Kapitalismus als Kapitalismus ständig metaphorisch ausgewichen werden solle oder müsse; ich gehe auch nicht davon aus, dass Lebensmuster als Movens gesellschaftlicher Veränderungen gesellschaftstheoretisch zu privilegieren sind; und ich weiß nicht so recht, ob erst in den später 60er Jahren die von der II. Internationale gepflegte (und von Bloch als sozialdemokratischer Aberglaube blamierte) Annahme linearen Fortschritts erschüttert wurde. Wesentlicher schiene mir hier eine Auseinandersetzung mit der neoliberalen Verdrehung des „Reform"-Begriffs zu sein, die darin besteht, statt eines - wie auch immer gearteten - Zusammenhangs von Reform und sozialer Sicherheit die Entkoppelung beider zu markieren. Für eine Auseinandersetzung mit Becks Individualisierungstheorie, auf die bei Keupp et al. rekurriert wird, verweise ich auf Seppmann (1998), und mit ihm darauf, dass es zumindest offen ist, ob „Individualisierung" nur als „Zumutung" und „Zwang" „erscheint" (S.5, Herv. M.M.). Keupp et al. meinen ja, Nationalismus und Fremdenfeindlichkeit seien die „Nachtseite" der ansonsten eben offenbar ,hellen' Individualisierung. Als Gegenpositionen wäre anzuführen: „Die Lebensstilmuster sind weniger Ausdruck autonomer Lebensgestaltung, sondern des Zwangscharakters des sozialen Reproduktionsrahmens" (Seppmann, ebd., S.97). Oder: „Die Strukturveränderungen in den modernen kapitalistischen Gesellschaften, die unter den Stichworten der funktionalen Differenzierung, der Erosion traditionaler sozial-moralischer Milieus, der Individualisierung und der Pluralisierung von Lebensstilen diskutiert

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werden, sprechen nicht gegen den Klassencharakter - sie sind im wesentlichen aus der Dynamik des Kapitalverhältnisses als Klassenantagonismus selbst zu erklären. Das gilt für die Veränderungen der Klassenstruktur insgesamt wie auch für die innere Gliederung der Klassen" (Herkommer 1998, S.45). An ihre weiteren deskriptiven Ausführungen (unter Bezug auf Lyotard und Deleuze & Guatarri) über die gegenwärtige gesellschaftliche Entwicklung und die darin enthalten individuellen Entwicklungsmöglichkeiten schließen Keupp et al. die bange (oder rhetorische Frage) an: „Doch ist das nicht letztlich eine romantisierende Perspektive?" Wenn Ihr/Sie mich als Leser wirklich fragt/fragen, antworte ich: Ja, das ist eine ziemlich „romantisierende" Perspektive, die die Utopie der Verhältnisse, „ worin die freie Entwicklung eines jeden die Bedingung für die freie Entwicklung aller ist" (Marx & Engels 1969b, S.482), von der revolutionären Änderungen kapitalistischer Verhältnis entbindet, anders: die den Status quo ziemlich positiv ontologisiert. „Man kann", darauf wollte ich hinaus, erwarten, dass der gesellschaftstheoretische Bezug einer Untersuchung, die das konkrete Mensch-Welt-Verhältnis explizit zum Gegenstand hat, über die Beliebigkeit einer „Man-kann"-Begründung hinausgeht. Und dass man von den Autorinnen des diskutierten Textes eigentlich auch erwarten können müsste, dass die metaphorisierende Absage an fundamentale Gesellschaftskritik zumindest begründet wird (zur Kritik an der „Death-ofClass"-Debatte vgl. auch Koch [1999]). Denn in diesem Teil des Textes von Keupp et al. geht es um nichts weniger als die gesellschaftstheoretische kategoriale Fundierung der Untersuchung, also die Explikation der Grund-Begriffe, in denen theoretische Annahmen und empirische Befunde formuliert werden. Kategorien sind durch die empirischen Befunde, die durch sie fundiert sind, nicht zu überprüfen, stehen also empirisch nicht zur Disposition der Empirie, die sie strukturieren. Das sei an einem einfachen Beispiel aus der Psychologie veranschaulicht: Einerlei, ob die theoretische Aussage, dass intermittierende Verstärkung die Löschungsresistenz der Reaktionen erhöht, sich bewährt oder falsifiziert wird - die Problematik der An-

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gemessenheit der Grundbegriffe „Reiz", „Reaktion" und „Verstärkung", in denen diese Aussage und die empirischen Befunde formuliert sind, ist durch diese Resultate nicht tangiert. Entsprechend werden auf der kategorialen Ebene die Weichen für die empirisch möglichen Aussagen gestellt - auch wenn Hypothesen nicht nur ,geprüft4, sondern auch entwikkelt bzw. modifiziert werden sollen. Diese können sich nur in den vorgegebenen kategorialen Dimensionen bewegen. Diese sind die Interpretationsraster, in deren Lichte Theorien und empirische Befunde erscheinen. Hier entscheidet sich - eben vor der empirischen Untersuchung die gesellschaftstheoretische Relevanz einer - psychologischen - Untersuchung. Dies wird erstens deutlicher, wenn Keupp et al. sich zum Abschluss dieses Teils fragen: „Welche Auswirkungen haben derartige Veränderungen der sozialen Landschaften für die Konstitutionsbedingungen individueller Identitäten und Netzwerke? Wie gehen die Subjekte mit den stattfindenden Veränderungen um? Nutzen sie die geschaffenen Freiräume ^kreativ oder sehnen sie sich nach der tiefen Verwurzelung in einer Gemeinschaft?" (S.8)

(Damit keine Missverständnisse entstehen: Diese Fragestellung ist, formal gesehen, vernünftig und folgerichtig, ich problematisiere allein ihre inhaltlichen Prämissen). Zweitens zeigt sich das gesellschaftstheoretische Relevanzproblem m.E. an den „Dimensionen47„Polaritäten" (S.18) für die Gruppierungen, denen die „Interviewpartnerinnen44 entstammen sollen: In ihrem Formbezug sind sie den hier problematisierten kategorialen Bestimmungen ,angepasst4. Die empirisch ermittelten Daten sind dann in eben diesen vor-gegebenen Begriffen zu interpretieren. Diese Problematik sei unter einem letzten Gesichtspunkt an drei Beispielen konkretisiert: Die Dimensionen der von Keupp et al. vorgetragenen Veränderungen der Gesellschaft bleiben, sicher auch durch die metaphorisch aufgeladene Sprache begünstigt, jenseits gesellschaftlichpolitischer Formierungsprozesse: 1. Sehnsucht „nach der tiefen Verwurzelung in einer Gemeinschaft44 oder „tiefsitzende Angst vor der Uneindeutigkeit und der Ambivalenz44 als Urgrund für staatliche Ordnung und Rassismus / Nationa-

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lismus sind letzten Endes psychologisierende Fassungen der Entstehung des Nationalstaates bzw. des Rassismus. Gegen derartige Erklärungen wendet - bezüglich des Rassismus - Stellmach (2000, S.l 11) in einem kürzlich erschienenen Aufsatz ein: „Es sind die materiellen, institutionellen, rechtlichen und politischen gesellschaftlichen Ausgrenzungen von „Ausländerinnen", die sowohl als Quelle wie als Legitimation von Ausländerfeindlichkeit/ Fremdenfeindlichkeit/Rassismus wirken und diese ständig produzieren und reproduzieren. Diese materiellen gesellschaftlichen Ausgrenzungen existierten in bestimmten Formen lange vor der aktuellen „ideologischen" Ausländerfeindlichkeit. Es sind die machtgefügten und alltäglichen Formen der gesellschaftlichen Praxis, in denen sich Individuen, Gruppen und Institutionen bewegen, die ausländerfeindliches/ fremdenfeindliches/ rassistisches Denken und Verhalten bei Individuen und Gruppen begründen und legitimieren. Diese Bedingungen lassen sich freilich - sowohl in unser aller Alltag wie in wissenschaftlichen Erklärungsversuchen - deshalb leicht ausblenden, weil sie uns alle so selbstverständlich umgeben."

Insofern sind weniger die Einzelnen sozusagen therapiebedürftig, sondern staatlicher „Barbarei" (immerhin: Grass) ist der Garaus zu machen. Aber bitte schön, wie denn? Jedenfalls mit Sicherheit nicht so, dass man sie von vorneherein entnennt. Im übrigen ist die - theoretische wie ggf. praktische - Alternative zu ,Vereinzelung' nicht Verwurzelung in einer Gemeinschaft, sondern potenziell kollektives widerständiges Handeln, das weder mit Verwurzelungs- noch Kiezmief zu tun haben muss. Das Problem ist also weniger, wenn an alle möglichen aktuellen Debatten und damit verbundene Dimensionen / Polarisierungen angedockt wird, sondern wenn diese quasi kumulativ übernommen werden; dann besteht m.E. in der Tat die Gefahr der Metamorphose fundamentaler Gesellschaftskritik in metastasierende Metaphern vom „Markt der Narrationen" (Keupp, 1996). 2. Wir finden in dem Text von Keupp et al. bspw. nichts über die Militarisierung der deutschen Gesellschaft und die damit einhergehenden politischen Veränderungen im „vereinigten" Deutschland. Es war immerhin der im Text von Keupp et al. als Gesellschaftstheoretiker bemühte Beck, der kurz nach Beginn des völkerrechtswidrigen NATO-Angriffs auf Jugoslawien in der „Süddeutschen Zeitung" die

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unfassliche Formulierung von „Vernunftbomben" fand, die über Jugoslawien abgeworfen würden (1999, S.17).4 3. Ich fürchte, dass die Rede von „kollektiven Identitäten", die „selbstverständlich" im Zuge der beschriebenen Veränderungen mit verändert würden (Keupp et al., S.7), insofern im Banne der skizzierten Psychologisierung bleibt, als der Terminus „kollektiven Identitäten" die theoretisch unaufgeklärte Vermischung der analytisch zu trennenden Ebenen des Gesellschaftlichen und des Subjektiven fördert. Es wird dort gesetzt, was erst zu klären wäre: Wieso soll ich als „Deutscher", „Linker", „Psychologe" mein Verhältnis zu Deutschen, Linken und Psychologen oder zu Deutschland, der Linken, der Psychologie über den Begriff „kollektive Identität" bestimmen? Ist „Identität nicht ein defensives Konstrukt, dessen ich mich im Zustand der Bedrohtheit versichern zu müssen meine? Wie dem auch sei: Wenn „kollektive Identität" ein - zumindest möglicherweise problematisches Verhältnis einzelner zu einer Gruppierung bezeichnet, kann dieser Begriff nicht umstandslos analytisch verwendet werden (vgl. auch S.llf). Anders: Der Begriff „Kollektive Identitäten" markiert eher einen problematischen Sachverhalt als dass er zu dessen Analyse taugte. (Dass, wie es bei Keupp et al. [S.14] heißt, die Option, sich auf die Gesellschaft in toto zu beziehen, weitgehend entfallen sei, kann ich nicht nachvollziehen, wenn dieser Bezug in der Weise operationalisiert wird, dass sich ein Individuum (nicht mehr) als „'Deutscher'" definiere. Zeigt der erstarkende Nationalismus nicht das Gegenteil? Ist die ekelerregende Parole „Wir sind ein Volk" nicht die bleibende geblieben, hat nicht das ius sanguinis in der rassistischen Blutspur, die seine terroristischen Vertreter in den letzten Jahren gezogen haben, seinem Namen alle Ehre gemacht?). Die im zweiten Kapitel des Textes aufgeworfenen Fragen zum „Subjekt als Baumeister (s)einer sozialen Landschaft" (S.8) belegen m.E. die enge inhaltliche Konkordanz zwischen den im ersten Kapitel zu Grunde gelegten gesellschaftstheoretischen Bestimmungen und den subjektiven Bewältigungsvorstellungen im Hinblick auf gesellschaftliche Veränderungen. Ich will deswegen daran nur einen Aspekt thematisieren: den

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des Verhältnisses von individuellem und kollektivem Handeln, welches eher als prä- oder frühmodernes Relikt behandelt wird. Nun hat Horkheimer schon relativ früh, nämlich 1936 (S.168), folgende Feststellung getroffen: „Die gegenwärtige Gesellschafts/orra beruht, ebenso wie die früheren, auf dem für sie selbst kennzeichnenden Abhängigkeitsverhältnis. Auch die scheinbar eigengesetzlichen beruflichen und privaten Beziehungen der Menschen sind von der Abhängigkeit bestimmt, die in der Produktionsweise begründet ist und sich unmittelbar im Sein der sozialen Klassen ausdrückt. Das sich frei fühlende, aber gesellschaftlich bedingte Tatsachen als unabänderlich anerkennende, die eigenen Interessen auf dem Boden der gegebenen Wirklichkeit verfolgende Individuum ist ihr Produkt" (Herv. von mir, M.M.).

Es geht mir nicht darum, die von Keupp et al. intendierten Veränderungen zu leugnen oder zu nivellieren, sondern darum, in den Veränderungen die Kontinuität des Verhältnisses gesellschaftlicher und individueller Reproduktion im Kapitalismus nicht zu übersehen.5 „Das sich frei fühlende, aber gesellschaftlich bedingte Tatsachen als unabänderlich anerkennende, die eigenen Interessen auf dem Boden der gegebenen Wirklichkeit verfolgende Individuum" ist wahrlich keine Neuerscheinung, das Individuum der Postmoderne scheint mir eher seine Entfaltung zu sein. Die - wenn sie denn wirklich so groß ist - Variabilität der Stile, die erhöhte Notwendigkeit von Entscheidungen, die Flexibilität sozialer Beziehung, die Erosion überkommener Einbettungen etc., sind mit Horkheimers Analyse ohne weiteres kompatibel. Die „gesellschaftlichen Tatsachen", die als „unabänderlich" anerkannt werden, beziehen sich ja nicht auf das Variable am Kapitalismus, der sich in „diskontinuierliche^), kapitalistische(n) Produktionsweisen" (Haug 1998) realisiert, sondern das ihnen Gemeinsame. Dass für kapitalistische Marktwirtschaft (national-) staatliche Regulation heute eher als Hemmnis gilt, „Deregulierung", „Privatisierung" und Destruktion („Reform", s.o.) des Sozialstaates betrieben werden, begünstigt eher die Vorstellung vom „Sachzwang" im Marktgeschehen (als Gegensatz zu politischer Prioritätensetzung oder intentionalem Handeln) und damit die Vorstellung vom gesellschaftlichen Status quo als unabänderlicher Tatsache (vor deren Hintergrund man dann seine Wahlen und Interessen realisiert).

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Die vor diesem Hintergrund (mich) interessierende Frage wäre also die, ob bzw. wie die Individuen in und mit ihren sozialen „Netzwerken" diese Verhältnisse re-produzieren, inwieweit diese Netzwerke für die Reproduktion dieser Verhältnisse funktional sind oder nicht (oder inwieweit sie Probleme „spezifische(r) , Meta-Erzählungen' durch unspezifisches Geplapper gerade nicht lösen). Wenn ich mich auch einmal in die zahlreichen Metaphern des Textes einklinken darf: Keupp et al. schreiben (S.8): „Die seit den Fünfziger Jahren eingeführte Netzwerkmetapher (...) symbolisiert das Geflecht an sozialen Beziehungen, in denen ein Subjekt steht, in Analogie zu einem Fischernetz mit seinen Knoten und Schnüren". Wer knüpft die Fäden, wer wirft die Netz aus, wer zappelt drin rum? Ist das wirklich so klar? In Keupps Aufsatz „Wer erzählt mir, wer ich bin..." (1996) bleibt in dessen Bezug auf Adornos Diktum, es gebe kein richtiges Leben im falschen, diese Frage eher offen als im vorliegenden Text von Keupp et al. (Ich komme darauf zurück.) Wenn mit den von Keupp et al. beschriebenen gesellschaftlichen Veränderungen nicht gesagt sein soll, dass sich die kapitalistische Struktur der (deutschen) Gesellschaft aufgelöst habe, müsste (systematischer als am Schluss des Textes von Keupp et al. angedeutet, s.u.) der Frage nachgegangen werden, ob und wie das Handeln der Subjekte gesellschaftliche Größenordnung erreichen kann, ob Netzwerke etwa Gewerkschaften ersetzen oder ergänzen oder gar nichts damit zu tun haben. Es könnte auch gefragt werden, in welchem Verhältnis diese (neuen) sozialen Beziehungen zum dem stehen, was Gramsci (den Kampf um) „Hegemonie" nannte. Dazu stellt Hirschfeld (1999, S.71f.) in seiner Analyse widerstreitender Tendenzen in der Sozialarbeit fest: „Für die hegemoniale Herrschaft gibt es keinen exklusiven Ort. Hegemonie zieht sich netzartig und umfassend durch die Gesellschaft: Massenmedien produzieren sie wie Schulen, Kirchen und Kleingartenvereine, Straßennamen und Arcliitektur gehören ebenso dazu, wie philosophische Diskussionen, Reiseveranstalter, Nobelpreise, parlamentarische Debatten, Stammtische, Bundeswehreinsätze, wissenschaftliche Publikationen und Investitionsentscheidungen von Unternehmen, Castortransporte und Bratwurst-Buden, Werbung, die Organisation der medizinischen Versorgung und die Pläne der Weltraumfahrt, Aktienkurse, Fußball, Arbeitslosigkeit und das Internet. All dies, und die Liste könnte nahezu endlos verlängert werden, macht bei Gramsci die Zivilgesellschaft aus, die kein gesell-

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Morus Markard schaftlicher Bereich, der substantiell von anderen, etwa „Politik" und „Ökonomie" geschieden werden kann. Im Gegenteil: im gramscianischen Verständnis dient das Konzept der Zivilgesellschaft nur als analytisch trennender Zugriff, um die Spezifika hegemonialer Herrschaft in der realen Einheit von „Ökonomie" und „Politik" zu erfassen. Es geht also um die Ermittlung des FunktionsZusammenhanges von Hegemonie, nicht um die Isolierung eines (vermeintlich) „herrschaftsfreien" Raumes. Gerade die Bereiche, in denen Herrschaft nicht gewaltförmig erkennbar ist, sollen ja kritisch danach befragt werden, wie sie die Reproduktion von Klassenverhältnissen in der bürgerlichen Gesellschaft stützen."

Hirschfeld beschreibt auch, wie mit sozio-ökonomischen Veränderungen der letzten 20 Jahre eine Sozialarbeit fragwürdig wurde, die sich am erodierten Normalarbeitsverhältnis orientierte und durch „Subjekt- und lebensweltorientierte Zielsetzungen" erweitert wurde. Nur: Zu diesen Ansätzen gehört, so Hirschfeld, auch „die Aufgabe, bei den Betroffenen Akzeptanz für ihre Ausgliederung aus dem über Lohnarbeit vermittelten Reproduktionszusammenhang herzustellen - und zwar für die endgültige, nicht die vorübergehende Ausgliederung. Und davon betroffen sind nicht allein einzelne Individuen (auch das gab es früher schon), sondern ganze Gruppen, beispielsweise im Jugendbereich. Mit ihnen wird (pädagogisch gestützt), das Leben in dauernder „Armut" trainiert" (ebd., S.74f.).

Subjekte sind offenkundig nicht nur „Baumeister", sondern zu viele von ihnen werden - geradezu wahl-los - in die Kellerwohnungen vorgefertigter Behausungen einquartiert. M.a.W.: Soweit in dem hier zu diskutierenden Text von Keupp et al. gesamt-gesellschaftliche Verhältnisse reflektiert werden, bleiben (mir) nicht nur die „Schattenseiten" zu hell, vor allem bleibt das Verhältnis von objektiver Bestimmtheit und subjektiver Bestimmung zwischen Anpassung und Emanzipation unterbestimmt (also die Reflexion jener „doppelten Möglichkeit" (Holzkamp), sich mit fremdgesetzten Bedingungen zu arrangieren oder sie fundamental zu verändern oder umzustürzen), m.E. auch im 3. Kapitel dieses Textes, das frühere Bestimmungen gesellschaftlichen Wandels aus dem Text wieder aufgreift und Orientierung an einer Art von kritisch-selbstreflexivem Kommunitarismus gewinnen will: „Für unser Vorhaben ist die Kommunitarismus-Debatte insofern von Bedeutung, als sie eindringlich die Frage nach der gesell-

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schaftlichen Verlustrechnung für die Prozesse der Individualisierung stellt" (S.15). Manchmal interessieren nicht nur Fragen, sondern auch Antworten, hier zum Beispiel. Es scheint mir nämlich wesentlicher zu sein, dass der Kommunitarismus diese Fragen reaktionär, mindestens system-affirmativ beantwortet, die Kommunitarismus-Debatte also in erster Linie in ihren kommunitarismus-kritischen Zügen (etwa Priester [1997]) bedeutsam ist (zur - diesbezüglichen - Auseinandersetzung mit Giddens, auf den sich Keupp et al. mehrfach beziehen, vgl. Haug [1999]). Wie gesagt, stellen die kategorial fundierten Dimensionen einer empirischen Untersuchung die Weichen für die damit möglichen Aussagen. Da diese Untersuchung ja noch nicht gelaufen ist, wenn ich richtig informiert bin, würde ich mir nun statt einer Relativierung eine Revitalisierung einer kapitalismus-kritischen Dimension wünschen (und damit eine Stärkung des zu „kleine[n] Block[s] linker Intellektueller, die kritisch analysieren, was geschieht, und davon öffentlich berichten" [Haug, a.a.O., S.69f.]). Insofern sind Subjektivitätskonzeptionen innerhalb und außerhalb der Psychologie interessant unter dem Gesichtspunkt, ob oder wie sie diesen Kritik-Standpunkt repräsentieren, sich ihm nähern, ihn ausblenden, mystifizieren. Der vom Gedanken Adornos, es gebe kein richtiges Leben im falschen (der übrigens nicht heißt, es gebe überhaupt nichts Richtiges, M.M.) „getragene Diskurs ist höchst ,unpraktisch' und unbequem dazu, deshalb wird er auch in der Psychoszene immer mehr ausgeblendet", schrieb Heiner Keupp 1996 (S.61). Nachdem Keupp nun diesen „Diskurs" als einen vom „beschädigten Leben" expliziert' hat (ebd.), beschließt er seinen Aufsatz von 1996 mit der Überlegung, es gehe (ihm) um die „Erarbeitung einer Subjektposition, die ein veränderndes Eingreifen in die Lebenspraxis selbst thematisiert. Allerdings gehört dazu die so ungeliebte Erzählung vom geschädigten Leben'" (ebd., S.62). Wenn diese „Erzählung" die Menschen dann nicht doch (nur) zu Opfern machen soll derart, dass sie entweder nur ihre Wunden lecken oder zu Subjekten eben nur jenseits dieses von Adornos Diktum bestimmten Diskurses werden können, dann muss „veränderndes Eingreifen in die

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Lebenspraxis" von der Thematisierung der (Überwindung der) Grenzen kapitalistischer Struktur mitbestimmt sein, einer Struktur, die sich in den lebensweltlichen Kontexten realisiert, und in kritischer Psychologie von zentraler Bedeutung ist. „Nicht dass Menschen in Kontexten handeln, ist eine spezifisch kritisch-psychologische Aussage. Für uns spezifisch ist vielmehr die Frage, welche Handlungswidersprüche sich daraus ergeben, dass in unmittelbar kontextfixiertem Handeln dessen gesellschaftliche Vermitteltheit ausgeblendet wird. Nur so gewinnt die Dialektik von objektiver Bestimmtheit und subjektiver Bestimmung historisch und subjektiv Sinn" (Markard 1998, S.38).« Dann wäre die Art, wie sich Menschen „in die Gesellschaft einbringen" (Keupp et al., S.18) von diesem Widerspruch geprägt; dieser ist aber nur erkennbar, wenn er theoretisiert wird und in die empirische Fragestellung mit eingeht. Inwieweit dies auch eine Modifikation der Dimensionen und Polaritäten etwa insofern beträfe, dass „traditional" und „innovativ" weniger formal(istisch) bestimmt werden, oder der Gewerkschafter/die Gewerkschafterin nicht nur mit einer „Verpflichtung gegenüber spezifischen ,Meta-Erzählungen'" (s.o.) charakterisiert werden, und das Verhältnis von „fun" und Möllemannisierung/Verblödung geklärt wird, wäre zu überdenken - mit der Hoffnung und der Perspektive, dass es der Möllemannisierung so geht wie dem verallgemeinerten Fallschirmspringer: Erst will er ganz hoch hinaus, und dann geht es nur noch abwärts. Wie dem auch sei: Je mehr sich die Frage des Projekts von Keupp et al. auf die „höchst ,unpraktisch(e)' und unbequem(e)" Frage nach der individuellen Reproduktion im bzw. nach Widerstandsmöglichkeiten gegen den sich globalisierenden und barbarisierenden Kapitalismus zuund damit von der „Psychoszene" in Alltag und Wissenschaft fortbewegt, desto gespannter bin ich auf die Ergebnisse.

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Anmerkungen (1) Nebenbei: Das Stück soll übrigens nicht den Eindruck erwecken, als seien die kleine Erzählung vom armen König und die dann folgende große Erzählung von der Revolution irgendwie gleichwertig, oder als sei die große falsch. Es ist/war präpostmodern und wollte zum Eingreifen animieren. (2) Sprachliche Glättung/Stilisierung gehört auch zu den Aspekten (der Diskussion) des Entwurfs eines Stiftungsgesetzes zur „Entschädigung" von Zwangsarbeiterinnen und -arbeitern, die Bredthauer (2000) untersuchte: Ein Bernd Reuter (SPD) sprach in der ersten Lesung des Gesetzentwurfes im Bundestag z.B. von den Nazi-Verbrechen als von „solche(n) Vorkommnissen, wie wir sie alle nicht mehr erleben wollen" ebd., 680). „Vorkommnisse" und „wir alle", wir Juden, Kommunisten, SS-Leute, Kapitalisten, Zwangsarbeiter. (3) Mit allerlei - biologistischen - Metaphern, „die den abstrakten Zusammenhang sozialer Beziehungen innerhalb von Produktionsverhältnissen in ein einfaches greifbares Konzept bringen wollen, indem sie mit Hilfe von Äquivokationen eine Beziehung zu dem uns Bekannten, unserem sinnlichen Erleben unmittelbar Zugänglichen herstellen", hat sich Kardorff befasst (1991, hier: 56f). (4) Ich konnte übrigens nicht feststellen, dass diese, als sie explodierten, Geistesblitze hervorgerufen hätten. Den Blitz eines Gedankens sehe ich als das schiere Gegenteil dieser Art von Bombenstimmung, und ich fürchte mit Marx (1972, S.391), dass, erst wenn „der Blitz des Gedankens gründlich in diesen naiven Volksboden eingeschlagen ist, sich die Emanzipation der Deutschen zu Menschen vollziehen (wird)". (5) Für Kadritzke (1999) geht es z.B. um die Aufgabe, „die polemisch bürgerliche Unvereinbarkeitserklärung zwischen Freiheit und Gleichheit selbst in Zweifel zu ziehen, eine verkürzte Kritik an modernen Individualisierungs-Prozessen zu vermeiden und gewerkschaftliche Ziele, Interessen, Aktionsformen genauer zu begründen" - sicher eine andere Perspektive, als die „Gewerkschaftsbewegung" theoretisch als Ausdruck einer „Verpflichtung gegenüber spezifischen , Meta-Erzählungen' zu mumifizieren" (Keupp et al., 19). (6) Charmanter hat das Koch (1999, 56) formuliert: „Von den Individualisierungstheoretikern sicherlich unbeabsichtigt, erleichtert die Betonung des Partikularen, der individuellen Verschiedenheit, der Erlebnisgesellschaft usw. die Verschleierung eines gesellschaftlichen Umbaus, der die Zurückdrängung des Sozialstaates und die Verschärfung der sozialen Unterschiede zum Inhalt hat."

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_ Gegen neoliberale Barbarei oder für postmoderne Landschaftspflege?

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Die Bank

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„Das Individuum" und die Zugehörigkeitsoption - Kommentar zum Text „Formelwandel" Der Text der Forscherinnengruppe ist nicht nur anspruchsvoll, sondern auch knapp. Etliche Begriffe, Thesen und Zusammenhänge bleiben trotz und wegen ihrer ersten Eingängigkeit unklar und können es in einem gewissen Ausmaß vielleicht im Rahmen eines Textes auch, der sich als „Startvorlage" eines mehrjährigen Forschungsprozesses versteht. Ich will den Text als eine Markierung verstehen, mit der die Autoren und Autorinnen ihre sozialwissenschaftlichen Vorlieben in einer Weise anzeigen, die die Umrisse eines Untersuchungsinteresses deutlich machen. Für diesen Akt des „selfdisclosures" bedanke ich mich. Sollten wir uns in nächster Zeit in drogeninduzierter Entspannung, ich meine: bei einem Glas Wein ausführlicher über Eure/Ihre Vorlieben unterhalten, würde mich dann schon genauer interessieren, was in dem Text mit „Individualisierung", „Gesellschaft" und auch „Solidarität" gemeint ist. Bei einem solchen Gespräch würden mich also die Begriffe interessieren, die Ihr/Sie verwendet. Ich habe drei angesprochen, die der Text unexpliziert verwendet, die eingängig sind und die mir (in ihrer Eingängigkeit) problematisch zu sein scheinen. Diese Probleme will ich hier aber - auch in der Zuversicht, dass dies andere Kommentator(inn)en tun werden - nicht diskutieren, sondern die Beschäftigung mit einem anderen im Text verwandten Begriff sowie einer mit Hilfe dieses Begriffs formulierten These in den Vordergrund stellen. Die These besteht darin, „dass - gerade in einer individualisierten Gesellschaft - Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppierung eher flüchtig, mindestens aber nur eine Facette in der subjektiven Organisation sozialer Figurationen ist" (S.l 1).

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Zunächst fallen mir an dieser Grundthese des Textes „Formenwandel" zwei Dinge auf, die ich in Form zweier Fragen wiedergeben möchte: 1. Beansprucht die These Gültigkeit für alle gesellschaftlichen Individuen oder müssen hier Unterschiede gemacht werden? 2. Beansprucht die These Gültigkeit für alle gesellschaftlichen Zugehörigkeiten oder müssen hier Unterschiede gemacht werden? Anders formuliert: Ein Grundzug des Textes ist sein Mut zur Generalisierung und Pauschalierung. Über die Zugehörigkeitsrealität aller Individuen, gleich welcher Couleur oder Kapitalausstattung, gleich welchen Milieus oder Geschlechts, wird hier Auskunft gegeben. Ich glaube, dass es sinnvoll wäre, die These der Flüchtigkeit von Zugehörigkeit in die empirische Frage zu konvertieren, unter welchen gleichsam individuumsbezogenen, sozialen Kennzeichen auf der Ebene nicht nur der subjektiven Einschätzung, sondern auch des beobachtbaren Handelns Zugehörigkeiten sich als flüchtige oder dauerhafte Phänomene darstellen. Bei dem Merkmal der facettenhaften Geltung von Zugehörigkeiten „in der subjektiven Organisation sozialer Figurationen" handelt es sich meines Erachtens um eine von der der Flüchtigkeit unabhängige analytische und phänomenale Dimension. Auch mit Bezug auf diese Dimension wären empirische Auslotungen interessant: Lassen sich in Selbstbeschreibungen und Handlungs- oder Lebensführungsbeobachtungen bedeutsamere von weniger bedeutsamen Zugehörigkeits-Facetten unterscheiden? Gibt es etwa milieu- oder geschlechtsspezifische Muster sozialer Zugehörigkeitsarchitekturen? Welche Merkmale zeichnen eher eingeschränkte und welche eher erweiterte Zugehörigkeitswirklichkeiten aus? Auch scheint es mir wichtig, hier Sorten sozialer Zughörigkeit zu unterscheiden. „Klasse", „natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit", „Geschlecht" verweisen auf Dimensionen, in denen sich qualitativ andere Zugehörigkeitsfacetten konstituieren, als in den Dimensionen „Freiwillige Feuerwehr", „Greenpeace" oder „Alpenverein". Viel spricht meines Erachtens dafür, erstere Dimensionen als allgemeinere Zugehörigkeitsdimensionen zu verstehen, die in die konkreteren Dimensionen aus-

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strahlen, hier thematisiert, bestärkt und gebrochen werden. Aber ist Geschlecht überhaupt eine Variante sozialer Zugehörigkeit? Oder: Unter welchen Bedingungen ist Geschlecht ein Zugehörigkeitsphänomen und unter welchen Bedingungen „nur" ein Phänomen sozialer Klassifikation? Gibt es einen Unterschied zwischen „sozialer Zugehörigkeit" und „sozialer Klassifikation"? Welchen? Um diese Fragen zu beantworten ist es aber erforderlich, über den Begriff der sozialen Zugehörigkeit nachzudenken. Dies will ich im folgenden tun, indem ich jene analytisch unterscheidbaren Zugehörigkeitsaspekte anspreche, die der implizite Zugehörigkeitsbegriff des Textes „Formenwandel" ausspart. Zugehörigkeit ist ein Ausdruck, der das Verhältnis eines Individuums zu einer sozialen Gruppe kennzeichnet. „Zugehörigkeit" bezeichnet eine bestimmte Weise der Relation zwischen einem oder einer einzelnen und einem sozialen Zusammenhang. Zwei Qualitäten dieser Relationsweise will ich ansprechen, um deutlich zu machen, inwiefern es sich bei dem impliziten Zugehörigkeitsbegriff des „Formenwandel"-Textes um einen verengten Begriff handelt. Die Zugehörigkeitsrelation zwischen einzelner Person und sozialem Kontext ist nur unzureichend als Frage des Wahlverhaltens der Einzelnen erfasst. Genau aber dieses Wahlverhalten rückt die Forschungsgruppe meines Erachtens in vorschneller Weise in das Zentrum ihres Untersuchungsinteresses. Soziale Zugehörigkeit kann nicht als alleiniges Resultat „individueller Entscheidung" verstanden werden. Vielmehr ist das auf Zugehörigkeit gerichtete, Zugehörigkeit lösende und suchende Handeln Einzelner, „netzwerkbezogene Strategien" sozialer Verortung wie es im Text heißt, durch soziale und gesellschaftliche Verhältnisse der Ermöglichung/Verhinderung profiliert. Anders formuliert: Das auf Zugehörigkeit bezogene Handeln Einzelner wird durch Verhältnisse der Macht kontextualisiert und konstituiert. Die zwei analytisch unterscheidbaren Gesichter der Macht, die für Zugehörigkeitsverhältnisse bedeutsam sind, betreffen zum einen die Frage des Zugangs zu Zugehörigkeitsräumen (1) und zum anderen die Konstituierung von Handlungs(un)mächtigkeit durch Zugehörigkeit (2).

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zu 1: Wenn ich recht sehe, unterscheidet der Text „Formenwandel" implizit zwei Aspekte von sozialer Zugehörigkeit. Er stellt Zugehörigkeit erstens als normative, epistemische, ästethische etc. Ermöglichung und Rahmung individueller Handlungsfähigkeit vor. Zweitens versteht er Zugehörigkeit als eine Form sozialer Verortung, also als materielle, soziale, identifikative etc. Einbindung der und des Einzelnen in den praktischen, symbolischen und sozial-räumlichen Zusammenhang von Vereinen, Gruppen, Verbänden, Vereinigungen/Organisationen, Zusammenschlüssen. In der Tat handelt es sich bei „Handlungsfähigkeit" und „Verortung" um zwei konstitutive Kennzeichen von sozialer Zugehörigkeit. Neben diesen beiden Aspekten muß aber ein drittes analytisch unterscheidbares Moment beachtet werden. Dieses Moment betrifft die Frage des Zugangs zu der Gruppe oder allgemeiner: dem Zugehörigkeitskontext. Eine Voraussetzung dessen, dass Menschen sich sozialen Kontexten zugehörig verstehen, besteht darin, dass sie ihrem je eigenen Verständnis und dem Verständnis bedeutsamer Anderer nach Mitglied dieses Zusammenhanges sind. Zugehörigkeit setzt den symbolischen Einbezug in die Gruppe voraus. Der symbolische Einbezug als Mitglied, sowie die durch diesen Einbezug ermöglichte Handlungsfähigkeit und Verortung in dem sozialen Raum sind die analytischen Konstitute sozialer Zugehörigkeit. An einer anderen Stelle habe ich diese drei Zugehörigkeitskonstitute mit Blick auf natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit dort unter den Bezeichnungen „Symbolische Mitgliedschaft", „Habituelle Wirksamkeit" „Biographisierende Verbundenheit" - expliziert (Mecheril, 2000). In dem Zusammenhang dieses Kommentars will ich in einer eher impressionistischen und möglicherweise Ideen anregenden Weise auf jenes Zugehörigkeitsmoment eingehen, das den Zugangsaspekt beleuchtet. „Mitgliedschaft" bezeichnet den analytisch unterscheidbaren Zugehörigkeitsaspekt, in dem zunächst der gleichsam mengentheoretische Charakter von Zugehörigkeit zum Ausdruck kommt. Sich als Mitglied zu verstehen, heißt in allgemeiner Hinsicht erst einmal: sich als Teil einer Menge von Elementen verstehen. Und als Mitglied anerkannt zu

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sein, heißt: als Teil einer Menge von Elementen verstanden werden. Symbolische Mitgliedschaft bezeichnet die Perspektive, unter der jene (Fremd-, und Selbst-)Klassifikationprozesse in den Blick kommen, die den Einzelnen einen vollständigen Zugang zum Kontext der Zugehörigkeit verschaffen und zugestehen. Im Sich-als-Mitglied-Verstehen werden dabei jene faktischen und imaginierten Merkmale fokussiert, die das interessierende „Element" mit anderen Elementen gemein hat. Ungeachtet jenes bedeutsamen Charakteristikums sozialer Zugehörigkeit, dass über den Ausdruck „mit anderen Elementen gemein haben" gestritten wird, ist in Mitgliedschafts-Konzepten dem formalen Gehalt des Begriffs Mitgliedschaft nach Gleichartigkeit angezeigt. Ich bin Mitglied eines Zusammenhangs, weil ich in bestimmter Hinsicht wie jeder und jede andere bin, und das heißt: im Rahmen einer Praxis der Repräsentation (etwa durch ein Zertifikat, ein kulturelles Symbol oder aufgrund meiner habituellen Erscheinung) nachweisen kann, wie jede und jeder andere zu sein. Mitgliedschaft ist eine abstrahierende Art der Erfüllung genereller Merkmale. Sie ist dann gegeben, wenn der und die Einzelne unter der interessierenden Mitgliedschaftsperspektive wie alle anderen Mitglieder des Kontextes ist. Aus der Ich-Perspektive wird die durch symbolische Mitgliedschaft angezeigte Gleichartigkeit von einigen Gewißheiten getragen. Wenn ich als Mitglied erkannt werde, weiß ich, dass ich - unter der interessierenden Perspektive - wie alle anderen bin oder erscheine. Zugleich weiß ich, dass die anderen Mitglieder - ebenfalls unter der Einschränkung der interessierenden Perspektive - so sind wie ich, und ich weiß, dass die anderen all dies ebenfalls wissen. Symbolische Mitgliedschaft ermöglicht ein wechselseitiges Erkennen auf der Ebene von Gleichartigkeit. Diese Gleichartigkeit ist nun aber in sozialen Kontexten nicht an sich vorhanden, sondern muß in einem Prozeß hergestellt werden, der zwischen denen, die einander ähnlich sind und denen, die die jeweils bedeutsamen Merkmale der Ähnlichkeit nicht erfüllen, unterscheidet. Mitgliedschaft umfaßt jene Konstruktion von Gemeinsamkeit, in der von Differenzen zwischen den Elementen, ihren jeweiligen Eigenarten abgesehen wird. Zugleich werden bestimmte Merkmale in den Vordergrund

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gerückt, die das Gleich-Sein der Elemente und Nicht-gleich-Sein der Nicht-Elemente anzeigen. Im Rahmen von Mitgliedschaft ist nun das Individuum mit dem Anspruch konfrontiert, dass es sich auf jene im Rahmen der Vorgaben dominanter Mitgliedschaftskonzepte vorhandenen Vorstellungen einlässt, die nahelegen, was es in diesem konkreten (Mitgliedschafts-)Fall heißt, „wie jeder und jede andere zu sein". Mitgliedschaft verlangt von Individuen ein Selbstverständnis, das sie in abstrahierender Erfüllung allgemeiner Merkmale in bestimmter Hinsicht eingeschränkt und akzentuiert darstellt. Komplementär verhält es sich mit dem Bezug des sozialen Mitgliedschaftskontextes auf das Individuum. Das Individuum interessiert lediglich auf der Ebene der in Frage stehenden Mitgliedschaftshinsicht, also beispielsweise allein in Bezug darauf, ob es seine monatlichen Beiträge entrichtet hat, ob „deutsches Blut" in seinen Adern fließt oder ob es mit den Insignien eines bestimmten Lebensstils aufwarten kann. Aspekte der Einzigartigkeit sind nicht von Belang; im Extrem (etwa der Mobilisierung von politischem oder militärischem Engagement der Einzelnen) findet eine zwanghafte Konzentration auf Gleichartigkeit statt. Die (Selbst- und Fremd-)Identifikation von Personen auf der Ebene von Mitgliedschaft ereignet sich als Prozess, in dem das Vorhandensein oder Fehlen allgemeiner Merkmale der Gleichartigkeit festgestellt wird. Das Erkennen von Mitgliedschaft - idealisierter Weise ergänzen sich die rezeptiven Konstruktionsleistungen von Individuum und sozialem Kontext - trägt zu einer sozialen Verortung der Einzelnen bei. Durch Mitgliedschaft, die den Einzelnen zugeschrieben wird, wird sie positioniert, und durch Mitgliedschaft, die Individuen in Anspruch nehmen, positionieren sie sich. Gleiches gilt auch für Nicht-Mitgliedschaften. Mitgliedschaft ist jene Perspektive auf Zugehörigkeit, in der grundlegende positive und negative Zugehörigkeitszuordnungen stattfinden. Gleichartigkeit, das Vorhandensein allgemeiner Merkmale der Gleichartigkeit ist in Mitgliedschaftskonzepten kodiert. Mitgliedschaftskonzepte verstehe ich als Teil von Zugehörigkeitskonzepten. Sie sind überindividuelle Vorstellungen darüber, was je diese Mitgliedschaft bedeutet. Diese Konzepte machen Aussagen über sehr unterschiedliche

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Dinge, etwa über den zeitlichen Status der Mitgliedschaft; die Frage ob andere Mitgliedschaften gleichsam parallel möglich sind oder aufgegeben werden müssen; die Konsequenzen der Mitgliedschaft, etwa Rechte und Pflichten, die mit dieser Mitgliedschaft verknüpft sind; die Legitimität individueller Mitgliedschaftsansprüche; die durch die Mitgliedschaft angesprochenen personalen Dimensionen; die Anforderungen an Noch-Nicht-Mitglieder zum Erwerb der Mitgliedschaft; das Erlöschen der Mitgliedschaft; (Übergangs-)Riten, die aus inkludierten Novizinnen Voll-Mitglieder machen und mithin zwischen diesen beiden Typen unterscheiden etc. Zunächst und im Kern aber geben Mitgliedschaftskonzepte Auskunft darüber, welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, um einen Zugang zu dem jeweiligen Kontext der Zugehörigkeit zu erhalten. Mitgliedschaften fungieren als Eingangsberechtigungen in soziale Räume. Mitgliedschaftskonzepte geben an, wer unter welchen Bedingungen diese Eintrittskarten erhält. Damit stehen Mitgliedschaften in einem doppelten Bezug zu Gleichartigkeit. Denn einerseits setzt Mitgliedschaft, sofern sie Auskunft über jene Bedingungen gibt, die erfüllt sein müssen, um den Zugang zum Kontext zu erhalten, Gleichartigkeit voraus. Andererseits arrangiert Mitgliedschaft Gleichartigkeit, weil sie den Zugang zu einer gemeinsamen sozialen Realität verschafft und in den Einzugsbereich sozialer Vorgaben und Erwartungen einführt, welche Muster individuellen Handelns und Selbstverständnisses nahelegen. Mitgliedschaftskonzepte zeigen mithin die Art der Gleichartigkeit an, die in dem je konkreten Kontext zum einen als Voraussetzung und zum anderen als (legitim zu erwartende) Folge von Mitgliedschaft betrachtet wird. Anders ausgedrückt, formulieren Mitgliedschaftskonzepte normative Vorstellungen darüber, was es je hier heißt, „wie alle anderen" zu sein. Sie konstituieren den sozialen Raum, in dem Individuen als Mitglieder oder Nicht-Mitglieder zugeordnet werden und sich selbst zuordnen. Bei Mitgliedschaftskonzepten ist es sinnvoll, zwischen formellen und informellen Konzepten zu unterscheiden. Dies will ich an dem Beispiel natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit verdeutlichen. Formelle Mitgliedskonzepte kodifizieren Zugehörigkeit in Gesetzestexten, Verord-

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nungen, Erlassen, Satzungen u.ä. Für natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeit sind insbesondere Staatsangehörigkeitsregelungen bedeutsam. Allerdings formieren die gesetzlichen Bestimmungen, in denen festgelegt ist, wer legitime Ansprüche darauf geltend machen kann, Mitglied des Staates zu sein, signifikante, aber gewiß nicht die allein bedeutsamen Mitgliedschaftskonzepte auf der Ebene natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit. Der natio-ethno-kulturelle Mitgliedschaftsstatus einer Person ergibt sich nicht schlicht aus dem Besitz der Staatsangehörigkeit oder deren Fehlen. Gleichsam unterhalb der formellen Realität nationalstaatlicher Zugehörigkeit gelten weitere Ebenen, auf denen relevante Mitgliedschaftskonzepte praktiziert werden: Die zu der formellen Kodifizierung in einem mehrwertigen Verhältnis stehenden informellen Kodierungen alltäglicher Aufenthaltsräume. Natio-ethno-kulturelle Mitgliedschaft ist nicht allein eine Frage des Passes, der zertifizierten Mitgliedschaft, sondern wird in gleichsam unausgesprochener Weise festgestellt und geregelt. Bei der formellen und der informellen Weise der Regelung handelt es sich um analytisch unterscheidbare Prozedere, die bei jeder natio-ethno-kulturellen Mitgliedschaftspraxis zugleich wirksam sind. Informelle und formelle Mitgliedschaftsregelung sind in allen alltagsweltlichen Handlungsräumen, auch dem Raum politisch-juridischen Handelns wirksam. So wird der politische Diskurs von implizit bleibenden kulturspezifischen Vorstellungen über nationale Mitgliedschaft getragen, die zur Festlegung von Kriterien führen. Zudem greifen politische Regelungen alltagsweltliche Erfahrungen, Bedarfe und Dispositionen strategisch („diese Staatsbürgerschaftsregelung wird die Ängste unser Wähler und Wählerinnen vor dem Fremden schüren") auf. Gleichfalls ist zu beachten, dass der politische Diskurs auf außer-juridische Konzepte und Praxen natio-ethno-kultureller Mitgliedschaft direkt Einfluß nimmt. Auch die indirekten Wirkungen der politisch-juridischen Praxis sind hier erwähnenswert. Denn die Staatsangehörigkeitsregelung beispielsweise in Deutschland erlangt ihre tatsächliche Bedeutung im juridischen Kontext der politischen Erzeugung des und der anderen. Formelle Zugeständnisse werden durch benachbarte formelle Regelungen, die auch symbolisch

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wirksam sind, informell behindert, zurückgenommen und außer Kraft gesetzt. So können wir beispielsweise davon ausgehen, dass die formelle deutsche Staatsangehörigkeit eines formell nunmehr ehemaligen Kameruners und tatsächlich immer noch Schwarzen auch dadurch nicht zur tatsächlichen Geltung kommen kann, weil andere gesetzliche Regelungen und deren Fehlen im Kontext von Migrationspolitik und Antidiskriminierungspolitik deutlich machen, dass „Nicht-EU-Stämmige" als Inländerinnen letztlich nur bedingt erwünscht sind. Individuen kommt der Status der Mitgliedschaft dann zu, wenn sie bestimmte in dominanten Mitgliedschaftskonzepten formulierte Merkmale erfüllen. Die Hinsicht, unter der in Mitgliedschaftskonzepten über Gleichartigkeit befunden wird, konkretisiert sich in den Kriterien, aufgrund deren Mitgliedschaft festgestellt wird und die als Legitimation für (Nicht-) Mitgliedschaft fungieren. Formelle natio-ethno-kulturelle Mitgliedschaftskriterien werden prominenterweise in Staatsangehörigkeitsregelungen festgelegt. Informelle Regelungen sind an diese formellen Regelungen aber nicht einfach gebunden. Zum Teil existieren formelle und informelle Regelungen, sich inhaltlich widersprechend, nebeneinander. Für moderne demokratische Gesellschaften ist der Widerspruch zwischen behaupteter Gleichheit der Staatsbürger und faktischer Ungleichheit der unterschiedenen Staatsbürger kennzeichnend (etwa Yuval-Davis, 1997). Hierbei ist jene Unterscheidungspraxis bedeutsam, die auf solche natioethno-kulturelle Zeichen rekurriert, an denen die anderen trotz aller egalisierenden Zertifizierung erkannt werden. Die Wirksamkeit der Erkennungszeichen bleibt hierbei nicht auf solche gesellschaftlichen Wirklichkeiten beschränkt, die - wie etwa die Bundesrepublik Deutschland vor der Reformierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes - von einem ethnisch-kulturellen Selbstverständnis geprägt sind. Auch in formell von einem Nationenkonzept, das mit Prinzipien politischer Kultur und Zugehörigkeit und einer auf das ius soli-Prinzip fußenden Angehörigkeitsregelung operiert, geprägten Kontexten (das klassiche Beispiel im europäischen Raum ist Frankreich; hierzu beispielsweise Brubaker, 1994) sind informelle Konzepte wirksam, die andere Mitgliedschaftsverhält-

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nisse reklamieren. Gleichsam im unausgesprochenen Bereich des allseitig Gewußten gelten informelle Konzepte eigentlicher Mitgliedschaft, die die Wirkung offizieller Regelungen sabotieren. Die Fußball Weltmeisterschaft 1998 hat deutlich gemacht, dass die ethnische Vielfalt europäischer Nationalstaaten sich in dem Gesicht, oder sollte es heißen: in den Gesichtern ihrer Afatf/önß/mannschaften widerspiegelt. In einem mit „Traum und Wirklichkeit" überschriebenen Beitrag im SPIEGEL von Walter Mayr über die Fußball-WM heißt es (1998, S.183): „Wird die Nation sich noch sammeln, fragte sich Aime Jacquet [zur Erinnerung: Jacquet war Trainer der französischen Mannschaft, die im Juli 1998 den Weltmeistertitel gewann] nach der souverän gespielten Vorrunde, hinter der eigenen Mannschaft vielleicht? Der Nationaltrainer hat sich beklagt über ,viele Briefe von unglaublicher Boshaftigkeit, die mir meine Negertruppe vorwerfen, voll von Ausländern, die nicht einmal die Marseillaise singen können'. Er hat aber auch gesagt, dass er sich zutraut, seine Jungs ins Finale zu führen." Eine französische Nationalmannschaft „voll von Ausländern", voller „Neger", kaum Platz für einen Inländer, für einen Franzosen? Aber: „Wer ist Franzose?" Ganz offensichtlich ist diese Frage nicht in jedem Fall einfach dadurch zu beantworten, dass ein französischer Paß vorgezeigt wird, dass man auf seine individuelle Biographie, die sich in Frankreich ereignete und ereignet, verweist, dass man nachweist, französisch zu sprechen ...: „Ta carte d'idendite, c'est ta gueule! (Dein Personalausweis - das ist Deine Fresse!)", ist ein bei Brubaker (1994, S. 253) zitierter Kommentar eines französischen Jugendlichen, dessen Vorfahren aus Algerien stammen. Die Frage, wer Mitglied eines natio-ethno-kulturellen Kontextes, etwa Franzose, Deutsche oder Deutscher ist, wird in Mitgliedschaftskonzepten beantwortet. Und neben den entsprechenden formell ratifizierten, juridischen Konzepten sind solche Konzepte bedeutsam, die in den alltäglichen Handlungs- und Aufenthaltsräumen, in den Alltagswelten der Subjekte anzutreffen sind. Die Frage, wer Deutsche und Deutscher ist, wird in den Alltagswelten beantwortet. Und hier spielt der Paß

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im Zweifelsfall eine untergeordnete und „die Fresse" eine dominante Rolle. Bedingungen informeller Art, die erfüllt sein müssen, um einen Zugang zum jeweiligen Kontext der Zugehörigkeit qua Mitgliedschaft zu erhalten, können MitgliedschaftsSignale genannt werden. Mit dieser Bezeichnung möchte ich zum Ausdruck bringen, dass natio-ethnokulturelle Mitgliedschaft in alltagsweltlichen Zusammenhängen - auch dem Alltag der Wissenschaften oder dem Alltag der Politik - in einem selbstverständlichen Akt des Als-Mitglied-Erkennens festgestellt wird. Dass diesem Vorgang Wahrnehmungsprozeduren des Auslegens von Mitgliedschaftssignalen zugrundeliegen, ist der Symbolizität von Mitgliedschaft geschuldet und wird am komplementären Fall offensichtlich: der Feststellung von Nicht-Mitgliedschaft. Symbolische NichtMitglieder werden als solche registriert, weil sie erkennbar mit Signalen aufwarten, die eine Abweichung von der, „unserer", Normalität anzeigen. Solche natio-ethno-kuturellen Mitgliedschaftssignale, die unabhängig von der formellen Mitgliedschaftsordnung wirksam sind, finden sich unter anderem als Anzeichen des Phänotyps. Andere, para-phänotypische Mitgliedschaftssignale werden erst deutlich, wenn jemand zu sprechen beginnt, wenn jemand sich verhält, sie werden in Gebärden offenkundig, im Lachen, in der Art des Sich-Streitens, den Mustern des Echauffierens. Menschen geben sich in intellektueller, ästhetischer und moralischer Hinsicht zu verstehen, ihre spezifische und verräterische „Seinsweise", ihr „habitueller Zustand", um Formulierungen von Pierre Bourdieu (1976, S.446) aufzugreifen, macht sie erkenntlich. Die dem Erkennen zugrundeliegende symbolische Ordnung kann als physiognomischer Code bezeichnet werden. Dieser Code natio-ethno-kultureller Erscheinungsformen ermöglicht die selbstverständliche Auslegung etwa geschmacklicher Anzeichen, präferierter Werte oder körperlicher Merkmale als Mitgliedschaftssignale. Diese informellen Grenzen der Mitgliedschaft sind umso bedeutsamer, je schwerwiegender die identitären und praktischen Konsequenzen der Mißachtung und des Ausschlusses durch informelle Nicht-Mitgliedschaft für die einzelne Person sind.

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Hier zeigt sich, dass die sich mit der formellen Mitgliedschaft verbindende universalistische Idee der symbolischen Gleichheit, die durch Mitgliedschaft zur Geltung gebracht und hergestellt werde, sich in der Realität des Sozialen nur bedingt bewährt. Ich bin relativ ausführlich auf den Zugehörigkeitsaspekt der symbolischen Mitgliedschaft eingegangen, weil ich zweierlei deutlich machen wollte. Erstens, dass anders als der Text „Formenwandel" es nahelegt, Zugehörigkeit unangemessen eingeschränkt als Frage der individuellen Wahl und des individuellen Einsatzes von „Strategien" der Verortung verstanden ist. Dass Zugehörigkeit auch ein Phänomen des ermöglichten, zugestandenen Zugangs zum Zugehörigkeitskontext ist, zeigt sich auf der Ebene natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit sehr augenfällig. Diese Sorte von Zugehörigkeit macht zweitens deutlich, dass der Zugang zu Gruppierungen (etwa der „Freiwilligen Feuerwehr") sich für Personengruppen sehr unterschiedlich gestaltet. Diese Zugangsbedingungen werden auch entlang natio-ethno-kultureller Merkmale formuliert und konstituieren damit natio-ethno-kulturelle Differenzen. Symbolische Mitgliedschaft ist eine soziale Praxis, die Differenzen etwa zwischen natio-ethno-kulturellen Wirs und Nicht-Wirs erzeugt. Auf Seite 11 des Textes findet sich die Aussage, dass „zeitgenössische Netzwerke auch weniger von Statusmerkmalen als vielmehr von gemeinsamen Interessen bestimmt" seien. Wenn „zeitgenössisch" nicht allein normativ gemeint ist, sondern auch einen deskriptiven Gehalt zu haben beansprucht, dann finde ich diese Aussage etwa vor dem Hintergrund der Zugehörigkeitserfahrungen von Menschen mit Migrationshintergrund in ihrer Einseitigkeit irritierend. Ich denke, dass das Forschungsvorhaben gewänne, wenn es diese Einseitigkeit überwinden und sein Interesse so differenzieren würde, dass „soziale Landschaften" als machtdurchsetzte Zugehörigkeitsrealitäten zum Thema werden, in denen Verhinderung/Askription und Wahl/Zurückweisung ineinander verwoben sind. Eine differentielle Analyse dieser Verwobenheit scheint mir eine fruchtbare empirisch-theoretische Perspektive zu sein. zu 2: An dem Zusammenhang von „Statusmerkmalen" und „Interesse" wird eine weitere mich irritierende Tendenz des Textes deutlich. Die

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Aussage, dass soziale Netzwerke eher von gemeinsamen Interessen als von Statusmerkmalen bestimmt werden, suggeriert eine Geschiedenheit von Statusmerkmalen und Interessen. Hier jedoch wären alternative sozialwissenschaftliche Ansätze zumindest zu diskutieren. So weisen die Arbeiten von Pierre Bourdieu auf die Verwobenheit von individuellem Interesse und sozialem Status hin. Um es allgemeiner zu formulieren: Individuelle Interessen - die dem und der Einzelnen als „private Besitztümer" erscheinen - werden in Zusammenhängen sozialer Zugehörigkeit geformt. Das Verhältnis von einzelner Person und Zugehörigkeitskontext ist unangemessen in einer dualistischen Figur begriffen, die das „Individuum" den „Zugehörigkeitsräumen" gegenüberstellt. Die auf Zugehörigkeitsräume, spezifische soziale Figurationen bezogenen Handlungsweisen der Einzelnen - vielleicht könnten wir dazu „Zugehörigkeitshandeln" sagen - sind in dem Sinne keine „freien" Handlungsweisen als sie in Zugehörigkeitsräumen nahegelegt, angeboten und geformt werden. Vielleicht könnte es sinnvoll sein, diese Präformation oder Disponierung von Interesse und Wahl mit Hilfe des Habitusbegriffs zugehörigkeitstheoretisch zu explizieren. Im Habituskonzept wird die Selbstverständlichkeit und Bekanntheit, in der Menschen sich alltäglich in der Welt bewegen, zum Thema. Wiederholte Erfahrungen lagern sich zu Dispositionen auf; aus diesen formiert sich der Habitus. Der Habitus ist eine strukturierende Struktur, die als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlage für Praktiken und Vorstellungen fungiert (Bourdieu, 1997, S.98). Er bezeichnet jenes, in den Worten von Norbert Elias (1996, S.244), „spezifische Gepräge", das die und der einzelne mit anderen einer sozialen Gruppe teilt. Aufgrund dieses Gepräges wird ein wechselseitiges Sich-Erkennen möglich. Der Habitus ist ein sozial vermitteltes Schema zur Erzeugung immer neuer Handlungen. Er ist eine zunehmende Verfeinerung des Könnens, ein praktischer Sinn und ein Sinn für Sinn, eine automatisierte Sicherheit, er ist eine Form des „knowing how", eine Erfahrenheit, eine beharrliche Tendenz, eine generelle Kompetenz oder ein sozialer Instinkt (Willems, 1997, S.187f), aufgrund dessen das Individuum die Komplexität und Mehrdeutigkeit sozialer Anforderungen in einer Art

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und Weise meistert, die es vor sich selbst und vor anderen als zugehörig erscheinen läßt. Mithin symbolisiert der Habitus Gruppenzugehörigkeit. Der Habitus, das Ensemble der Dispositionen, leistet einerseits eine relative Orientierung des Individuums in einem sozialen Kontext. Andererseits ist dieses relative Orientiert-Sein für das Individuum und die stilistischen Manifestionen dieser Seinsweise für andere ein Hinweis auf individuelle Zugehörigkeit. Der Habitus stellt eine Verfeinerung des Stils sozialer Routine dar. Dieser Stil ist ein Darstellungsmedium, „in dem Form und Inhalt des personalen Lebens eine unzertrennliche Verbindung eingehen" (Fellmann, 1993, S.223). Der habituelle Stil der Wirksamkeit resultiert aus und ermöglicht Handlungen in einem bestimmten Handlungsraum. Zugleich fungiert er als Medium des wechselseitigen Erkennens. Der Habitus ist mithin sichtbar und unsichtbar: er ist die gleichsam verborgene, Handlungen, Verlautbarungen und Positionierungen erzeugende Grammatik, er ist aber auch eine stilistische Symbolisierung von Zugehörigkeit, gleichsam visualisert er Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit. Damit ist der Habitus auch ein Instrument sozialer Normalisierung. Er entwickelt sich immer im Rahmen der Möglichkeit, ausgeschlossen werden zu können. Die disziplinierende Androhung des Ausschlusses verleiht dem Habitus jene besondere Energie, die unentbehrlich ist, will ich mich sozial verfeinern und Instinkte herausbilden, die soziale Meisterschaft erhöhen und das Gefühl solcher Deplaciertheit mindern, die weniger ein privates Phantasma als ein reales Aufblitzen in den Augen der anderen ist. Das Herausbilden disponierender Gewohnheiten ist als Ergebnis sozialer Prozesse subtiler und umfassender Kontrolle zu verstehen. Hier ist nicht der Ort, den Habitusbegriff Bourdieuscher Prägung kritisch zu diskutieren. Was aber mit anderen Kommentatoren (etwa Müller, 1997; Hörning, 1997; Fuchs, 1999) herausgestellt werden kann, ist der quasi deterministische Zug des Bourdieuschen Habitusbegriffs, der reflexive Stellungnahmen und Absetzungen des Habitus vom sozialen Feld, in dem er sich konstituierte, im Grunde nicht vorsieht. Ich denke, dass es mit Bourdieu angemessen ist, den Sinn von (etwa auf Zuge-

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hörigkeitsverhältnisse bezogenem) sozialem Handeln als von disponierenden sozialen Zugehörigkeiten nahegelegte Phänomene zu beschreiben, gegen Bourdieu aber von dieser sozialen Praxis anzunehmen, dass sie auch eine reflexive Praxis ist, die Zugehörigkeiten zwar nicht transzendiert, aber auf diese gestaltend Einfluß nimmt. Die Anlage des von der Forschungsgruppe vorgelegten Untersuchungsvorhaben gewänne an Differenziertheit, wenn es seinen (noch impliziten) Zugehörigkeitsbegriff so zuschnitte, dass - neben dem oben angesprochenen Aspekt des (vorhandenen, erschwerten, verhinderten) Zugangs zum Zugehörigkeitskontext - Zugehörigkeit als eine Art von zwar nicht determinierende, aber spür- und sichtbare Spur gedacht wird, die auf das weitere Zugehörigkeitshandeln Einfluß nimmt. In welchen Varianten diese Zugehörigkeitsspuren im Verhältnis von Individuum und sozialen Figurationen unter Bedingungen „reflexiver Moderne" zum Ausdruck kommen, ist eine vielversprechende empirische Frage. Bei der Beschäftigung mit ihr, aber auch mit jeder anderen Frage wünsche ich der Forschungsgruppe viel Vergnügen. Literatur Brubaker, R. (1994). Staats-Bürger. Deutschland und Frankreich im historischen Vergleich. Hamburg. Bourdieu, P. (1997). Sozialer Sinn. Kritik der theoretischen Vernunft. Frankfurt a. M. Elias, N. (1996). Die Gesellschaft der Individuen. Frankfurt a. M. Fellmann, F. (1993). Lebensphilosophie. Elemente einer Theorie der Selbsterfahrung. Reinbek. Fuchs, M. (1999). Kampf um Differenz. Repräsentation, Subjektivität und soziale Bewegungen; das Beispiel Indien. Frankfurt a. M. Hörning, K. (1997). Kultur und soziale Praxis. Wege zu einer „realistischen" Kulturanalyse. In: A. Hepp R. Winter (Hrsg.): Kultur - Medien - Macht. Cultural studies und Medienanalyse (S.31-45). Opladen. Mayr, W. (1998). Traum und Wirklichkeit. SPIEGEL, 27, 180-183. Mecheril, P. (2000). Prekäre Verhältnisse. Über natio-ethno-kulturelle (Mehrfach-) Zugehörigkeit. Unveröffentlichte Habilitationsschrift. Fakultät für Pädagogik. Universität Bielefeld. Müller, H.-P. (1997). Sozialstruktur und Lebensstile. Der neuere theoretische Diskurs über soziale Ungleichheit. Frankfurt a. M.

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Willems, H. (1997). Rahmen und Habitus. Zum theoretischen und methodischen Ansatz Erving Goffmans. Frankfurt a. M. Yuval-Davis, N. (1997). Mitglied einer Gemeinschaft oder vereinzeltes Individuum? Das Argument, 39. Jg., 218, S.59-70.

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Kennt Vergesellschaftung kein Geschlecht? Posttraditionalität im Spiegel von produktiven und reproduktiven Prozessen

1. Einleitung Die Welt verändert sich, Selbstverständlichkeiten verschwinden, Bekanntes entwickelt ein fremdes Gesicht, und das nicht nur im Bereich von Architektur, Technik und Produktion. Es sind die Menschen, die die Welt formen und mit der Welt verändern sie sich und die sozialen Figurationen, in denen sie sich bewegen ebenso, wie die Vorstellungen ihres Selbst und ihrer Identität. In dieser, von ihnen auf immer sich ändernde Weise geformten Welt, erschaffen sie Strukturen, in denen sie sich vergesellschaften, d.h. in denen sie ihr Leben sozial und gesellschaftlich leben. Bewegungen von Auflösung und Neustrukturierung des Sozialen sind historisch bekannt, sie lösen immer wieder, so auch heute, einerseits Beunruhigung, andererseits Gefühle von Euphorie aus. So finden sich auch in den heutigen Diskussionen zu den stattfindenden Veränderungen beide Positionen wieder: Es existieren kulturpessimistische Vorstellungen von der Auflösung des Sozialen, vom Verlust von Verbindlichkeit und Gemeinschaft. Das Reden vom „Tod des Subjekts" wenn es essenzialistisch verstanden wird, schürt die Ängste, dass vom „Menschen" und vom „Menschlichen" nichts mehr bleibt, dass alles untergeht in anonymen Strukturen oder in scheinbar beliebig und künstlich1 erschaffenen Räumen, Welten, Lebewesen (vgl. Antrag Keupp et al. S. 4). Andererseits existiert durch die Freisetzung von traditionalen Bezügen eine Euphorie der Freiheit, die scheinbar grenzenlose Möglichkeiten beinhaltet: im Zentrum steht das eigene Ich als Teil einer umfassenden Ego Gesellschaft, in der jeder Mensch eine eigene „Ich-AG" betreibt

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(vgl. Zeit v. 25. 5. 2000), welche jenseits von Zeit und Raum je nach Wunsch gestaltet werden kann. Dies bildet sich im Bereich der Medizin z.B. in immer mehr in Mode kommenden schönheitschirurgischen Manipulationen am eigenen Körper ab. Neben sozialen Praxen und Gestaltungsstrategien ist es darüber hinaus besonders die Technik des Virtuellen, das Internet und die Möglichkeiten elektronischen Kommunizierens und Produzierens, die die Bindung an Zeit und Raum auflöst: sie liefert für die grenzenlose Ausdehnung der eigenen Person jenseits materieller Ein- und Übergriffe das technische Equipment, so dass es bei aller Vernetzung keine Endlichkeit der Subjekte mehr zu geben scheint.

2. Der Forschungsbericht Das hier von der Forschungsgruppe Keupp et al. vorliegende Forschungsprojekt hat sich erfolgreich zum Programm gemacht, zwischen diesen Klippen von Abwehr und Idealisierung nach den realistischen Veränderungen, Prozessen und Bewegungsformen der Menschen in der heutigen Zeit zu fragen: Menschen leben notwendigerweise in Gesellschaft und Gesellschaften und müssen und werden sich diese daher immer auf irgendeine Art organisieren. In den unterschiedlichen Organisationsformen existiert eine kulturell und historisch einzigartige Mischung von Freiheit und Begrenzung, von Individualität und Bezogenheit, welche einige Vergesellschaftungsmuster benötigt, manche ermöglicht und andere verhindert. Jenseits der gängigen Impulse, das Bestehende und Bekannte zu naturalisieren und zu verklären, ist immer die Frage, wie die je konkreten Formen aussehen, mit welchen Mitteln technischer und sozialer Art sie hergestellt werden, wem sie dienen und welche Möglichkeiten sie in sich bergen. Diese Muster von Freiheiten und Begrenzungen sind Konstruktionen, auf denen auch die Selbsttätigkeit der Menschen, ihre Selbstwahrnehmung und die Wahrnehmung ihrer sozialen Gefüge basiert. Die Veränderung der sozialen Lebensweisen und Vergesellschaftungsformen zu erkennen ist ein wichtiges Anliegen, um die Entstehungsbedingungen der eigenen Welt- und Selbstvorstellungen zur Verfügung zu haben und Handlungsspielräume zu erkennen.

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Eine zentrale Frage muss darüberhinaus sein, wer über welche der vorhandenen Mittel der Vergesellschaftung verfügt, in welchen Prozessen und mit welchen Ressourcen sie erworben, und wie sie eingesetzt werden2. Dieser Frage nachzugehen ist erklärtes Programm des Projektes, und wir dürfen mit Spannung auf die Ergebnisse warten. Da jeder Forschungshintergrund eine besondere Fokussierung bedeutet, möchte ich einige Fragen, die sich mir bei der Durchsicht des Antrags aus meiner Art des Nachdenkens gestellt haben, formulieren, in der Hoffnung, dass sie bei der Bearbeitung des Feldes nützlich sind. Sie setzen zentral bei der Frage nach dem „Subjekt als Baumeister (s)einer sozialen Landschaft" (Forschungsantrag S. 8; Keupp et al. 1999, S.17) an, haben aber indirekt auch Auswirkungen auf die Frage nach den sozialen Figurationen und den spezifischen Vergesellschaftungsformen.

3. Das Subjekt als geschlechtsneutrale Figur Selbstverständlich fällt es mir als Forscherin im Bereich der genderProblematik sofort auf, dass eine geschlechtsspezifische Differenzierung der Beforschten in Männer und Frauen und der Forschungsfelder und -praxen in überwiegend männlich und weiblich besetzte im Antrag weitestgehend fehlt. Dies, obwohl kritisiert wird, dass in der Moderne das Modell der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung mit all seinen Konsequenzen eine ganz zentrale Ligatur war (Keupp et al. 1999, S. 7). Die geschlechtsspezifische Differenzierung taucht erst bei der Diskussion der Methoden zur Auswertung auf (ebda. 25), wenn die Interviews nach den vorhandenen Kategorien kontrastiert werden sollen und sie als eine neben anderen verhandelt wird. Bereits der Bezug auf „die Gesellschaft" und auf geschlechtsneutrale Vergesellschaftungsprozesse unterschlägt, dass heute immer noch die Sphären von Produktion/gesellschaftlich bezahlter Arbeit und Reproduktion voneinander getrennt existieren und nach wie vor geschlechtsbezogen konnotiert werden. Dies einerseits in der realen Lebensführung: Während die mobilen Männer die Woche in der öffentlichen Sphäre verbringen, leben immer noch die meisten Kinder und viele Frauen - wenn auch nicht ausschließlich - ein eher traditionelles

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Leben. Andererseits existiert diese Trennung massiv in der gedanklichen oder symbolischen Organisation des gesellschaftlichen Lebens: während lange Zeit wenigstens im Bewußtsein ein Zusammenhang zwischen den Sphären Produktion/Reproduktion hergestellt wurde, scheint es gerade mit den neuen Bewegungs-Freiheiten in Zeit, Raum und Identitätsentwurf so, als handele es sich um einen beliebigen, rein individuell konstruierten Zusammenhang. Tatsächlich sind es in erster Linie die Frauen, die den Widerspruch dieser unterschiedlichen Sphären in sich synthetisieren müssen, die einen Zusammenhang quasi „im eigenen Inneren" und in ihren Handlungspraxen herstellen müssen. Es geht mir an dieser Stelle nicht darum, die geschlechtsspezifische Differenzierung als ein „an sich" einzufordern. Es taucht vielmehr die Frage auf, in wie fern die konkrete Ausgestaltung und Widersprüchlichkeit der heutigen Gesellschaft und der in ihr entstehenden sozialen Figurationen ohne diese Differenzierung in ihrer Bedeutung für das vorliegende Thema erfaßt werden kann. Ich denke z.B. an die eigentümliche Mischung von traditionalen und nicht traditionalen Elementen, die auch da, wo sie getrennt existieren, dennoch untrennbar aufeinander bezogen sind. Obwohl wir nämlich in einer Zeit leben, wo nicht nur der Tod des Subjekts verkündet wird, sondern auch die Vorstellungen, dass jeder Mensch über ein „natürliches" Geschlecht verfügt, als Illusion erscheint (Butler), existiert nach wie vor die klassische Unterteilung der Gesellschaft in eine männlich konnotierte Sphäre der Öffentlichkeit und eine weiblich konnotierte des Privaten. Wir eignen uns auch in diesen Zeiten die Welt als Männer und Frauen an, wenn auch nicht mehr so kohärent wie noch vor einigen Jahrzehnten, und konstruieren unsere Identitäten immer mit, gegen oder vor der Folie dieser zentralen Kategorie. Zu dieser Sozialisation gehört eine unterschiedliche Zuordnung zu den Bereichen des Öffentlichen und des Privaten mitsamt den dazugehörenden sozialen Praxen. Bei den Fragen nach der „Rekonstruktion der subjektiven Herstellung sozialer Verortung in bzw. über Familie, Freizeit, Arbeit, Politik, Kultur und Religion" (Forschungsantrag, S. 2) scheint es mir daher wichtig, die unterschiedlichen Positionierungen innerhalb der Gesell-

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schaft, die der subjektiven Verortung vorgängig sind, zu berücksichtigen. Dies auch, um ein umfassendes Bild der untersuchten sozialen Figurationen und netzwerkbezogenen Strategien zu erhalten. Bei der geläufigen Definition von „Gesellschaft", insbesondere unter dem Stichwort Globalisierung und Mobilität, drohen nämlich vielfältige Orte und Praxen der Vergesellschaftung der gesellschaftlichen Arbeit von Reproduziererinnen, wie (Teilzeit-) Müttern und (Teilzeit-) Hausfrauen, aus dem Blickfeld zu geraten, ganz zu schweigen von Lebensfeldern und Erfahrungsformen der Kinder. Da gilt es neben Verbänden und Vereinen besonders formelle und informelle Zusammenschlüsse und Kooperationen von Müttern (Vätern) und Mutter(Vater)-KindEinheiten zu untersuchen. Um die Struktur und die Bedeutung der jeweiligen sozialen Gruppierungen sowohl für den gesellschaftlichen Zusammenhalt wie auch für die Konstruktion individueller Identitäten erfassen zu können scheint es mir sinnvoll, sie einerseits in ihrem Bezug zum Gesamtgefüge zu betrachten, andererseits aber auch die unterschiedlichen Lebenswelten von Männern und Frauen zu berücksichtigen3.

4. traditional - posttraditional = weiblich - männlich ? Hinter diesem Vorschlag steckt selbstverständlich eine Hypothese: ich gehe davon aus, dass der Einfluss von Globalisierung und Enträumlichung sowie die Auflösung von traditionellen Strukturen in beiden gesellschaftlichen Sphären sehr unterschiedlich zur Geltung kommt, in der allgemeinen Diskussion aber derzeit der Bereich der alltäglichen und familialen Reproduktion außerhalb der Aufmerksamkeit bleibt, abgesehen von eher reißerisch formulierten Zukunftsprognosen, dass es zu einer Auflösung von Familienstrukturen kommt. Richtiger ist sicher, wie es auch im Antrag anklingt, dass wir uns mit neuen und differenzierten Familienformen auseinandersetzen müssen.4 Die im vorliegenden Antrag beschriebenen Vergesellschaftungsformen beinhalten m. E. einen männlich konnotierten Subjektentwurf, der traditionellerweise Ein-Bindungen, Abhängigkeiten und Festlegungen leugnet und von der Möglichkeit der freien Wahl auch im Bereich

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von Beziehungen ausgeht. Negiert werden einerseits materielle wie emotionale Zwänge, sei es von anderen, sei es von der eigenen psychischen Verfasstheit, sowie der Zustand von Zufälligkeit - etwas geschieht aus anderen Kontexten heraus mit mir. Was dies für das Verständnis von Subjektivität bedeutet, werde ich später erläutern. Hier geht es darum zu fragen, in wieweit die Enttraditonalisierung von klassisch männlich orientierten Feldern in der Arbeitswelt, aber auch in Freizeitgruppierungen oder Vereinen verbirgt, dass es weite Bereiche im gesellschaftlichen Leben gibt, die im Innern, in ihren Qualitäten weiterhin sehr traditionell organisiert sind.5 Diese Bereiche fallen häufig in die Zuständigkeit von Frauen, da sie zentral um das Thema Familie, Ehe, Kinder und Reproduktion angesiedelt sind. Interessant ist dieser Zusammenhang, weil ich glaube, dass die neu entstehenden Muster nur in dieser Kombination zu verstehen sind: Es werden Sphären der Freiheit und Offenheit, der Optionalität kreiert, die nur im Zusammenhang mit Sphären existieren können, die viel festgelegter sind und die die alte Sicherheit, aber auch die damit verbundene Unfreiheit vermitteln. Im Forschungsantrag bleibt also der Teil des weiblichen Lebenszusammenhangs und -entwurfs verborgen, der selbst wenn er jenseits aller Klischees stattfindet, immer noch seine Brechung an der Frage nach Kindern und Elternschaft findet. Im Antrag wird von einem Aufweichen traditioneller Lebensmuster und von der Entstehung posttraditonaler Ligaturen ausgegangen. Es ist die Rede vom Ineinandergreifen von Individualisierungsprozessen und Globalisierungstendenzen, die anscheinend jeden Bereich des Lebens erfassen. Trotz aller vordergründiger Veränderungen kann in meinen Augen die Familie oder die Idee der Familie in ihren vielfältigen Varianten, und als ihr Kern die Mutter-Kind-Einheit noch immer als die traditionale Ligatur „an sich" angesehen werden. Es geht mir nun keineswegs darum, dieses Konstrukt als ein ahistorisches, natürliches Gebilde zu betrachten. Auch die Mutter-Kind-Beziehung, wie wir sie kennen, ist eine gesellschaftliche Figur, die bestimmte Aufgaben erfüllt und es ist kritischen Frauen und der Frauenbewegung seit vielen Jahren ein Anliegen, die Reproduktionsaufgaben in eine zwischen Männern und Frauen ge-

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teilte Verantwortung zu überführen. Die gesellschaftliche Realität folgt jedoch derzeit noch in weiten Teilen traditionalen Arbeitsaufteilungen. Die Variationen und Enttraditionalisierungen haben wenig Auswirkung auf die zentrale Aufgabe und den Ort innerhalb gesellschaftlicher Strukturen: Es sind im wesentlichen immer noch Frauen, die zu Müttern werden und sich zentral um die Reproduktion kümmern. Dieses Feld bleibt aufgrund seiner Aufgaben ein konservatives, denn es geht um Entwicklung in einem System sich immer wiederholender Handlungen.

5. Vergesellschaftungsmittel und ihre Basis in kindlichen Erfahrungen Hier taucht die Frage nach „spezifischen Vergesellschaftungsformen und gesellschaftlicher Solidarität" (Forschungsantrag S. 2) auf. Die Frage nach Vergesellschaftungsformen muss notwendigerweise auch die Frage nach den zur Verfügung stehenden und eingesetzten Mitteln beinhalten: damit sind sowohl allgemeine materielle und soziale Strukturen gemeint, aber es ist auch die Frage nach dem individuell zugänglichen Mittelgebrauch. Wenn ich danach frage, wie Netzwerke konstruiert werden, ist ein Aspekt auch, wie einzelne Subjekte in der Lage sind, diese Netzwerke und Bindungssysteme innerlich abzubilden, herzustellen, zu konstruieren, und welche inneren Bilder und Fähigkeiten dazu ausgebildet worden sein müssen. Das bedeutet: bin ich überhaupt in der Lage existierende Netzwerke und Verbindlichkeiten als solche wahrzunehmen. Es ist dies auch die Frage nach den Schlüsselqualifikationen, über die man heute verfügen muss, um überhaupt in der Lage zu sein, um derartige Netzwerke auszubauen und herzustellen. Wenn im Originalantrag (Keupp et al. 1999, S.19) gefragt wird „Welche subjektiven Kompetenzen und Ressourcen müssen für die Nutzung posttraditionaler Figurationen vorhanden sei?", so würde ich weiter fragen: und in welchem gesellschaftlichen Zusammenhang werden diese wie hergestellt? Gerade die individuelle Fähigkeit zur Freiheit, die die Menschen in unserer derzeitigen Gesellschaft in weiten Bereichen ihres Lebens benötigen, muss, so meine These, lebensgeschichtlich an einem Ort erzeugt worden sein, der in sich durch Sicherheit und Verlässlichkeit charakteri-

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siert ist. Während die Mobilität in beruflichen Feldern wächst, eventuell auch die Mobilität im rein räumlichen Sinn innerhalb der Familienstrukturen, steigen die Anforderungen an verlässliche, emotional geborgene, authentische und Sicherheit-gebende Bindungsfiguren innerhalb der Mutter(Vater)-Kind-Beziehung. Während Bindungen und Sicherheit in traditionalen Gesellschaften durch die selbstverständlich existierenden sozialen Figurationen als ein Druck von Außen hergestellt wurde, müssen sie nun als eigene Fähigkeit, als innere Figur, als gute Objektbeziehung über die ich frei verfügen kann, hergestellt werden (Jacobson, Winnicott, König). Es ist nicht nur das Über-Ich, das in einem langen gesellschaftlichen Prozess als verinnerlichte Struktur, und damit quasi mobil, erworben werden muss (Elias), sondern es muss auch das positive innere Bild des sozialen Gefüges und der eigenen Fähigkeit, Sicherheit darin zu finden, hergestellt werden. Dieser Prozess die „Fähigkeit, allein zu sein" (Winnicott) zu erlernen, findet in einer exklusiven Zweierbeziehung statt. Diese Fähigkeit wird um so wichtiger, je mobiler das Leben wird und je mehr man darauf angewiesen ist, in immer unsichereren Situationen den eigenen Ort zu schaffen. Wir haben also zwei ineinandergreifende Phänomene: die posttraditionalen Ligaturen und die postmodernen Existenzweisen müssen auf einen Kern von verinnerlichten Objektbeziehungsbildern zurückgreifen können, die ein hohes Maß an Bindung und Freiheit integrieren, um später überhaupt in der Lage zu sein mobil, autonom, frei und dennoch gebunden zu sein. In einer globalisierten Welt zu leben bedarf dementsprechend ein hohes Maß an persönlicher Sicherheit, mit fremden Situationen umgehen zu können und es erfordert eine ausgeprägte kommunikative Kompetenz. All dies sind Fähigkeiten, die sich derzeit noch in hochtraditionellen Gemeinschaften, seien es Familien, seien es Ersatzfamilien und dort innerhalb einer wenig variablen Zweierbeziehung entwickeln: der Mutter(Vater)-Kind Einheit. Dies zu vermitteln geht nur in actu, und es sind heute noch immer die Frauen, die in den ersten Lebensjahren dieses Bild mit dem Kind zusammen entwerfen, in dem gemeinsamen Tanz, von dem Stern spricht,

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welcher zu der inneren Figur von einem Ich-in-Beziehung werden soll (Stern, 1992, Benjamin, 1990). Und hier wirft das Forschungsvorhaben von Keupp et al. auch ein Licht auf die Erkenntnisse der neuen Säuglings- und Kinderforschung: diese innige Verbundenheit zwischen Mutter und Kind ist in der westlichen Kultur ja keine Selbstverständlichkeit. Die Mutterliebe oder auch Elternliebe in ihrer derzeitigen Ausprägung ist Ergebnis gesellschaftlicher Umwälzungen (Badinter). Erst mit der Notwendigkeit, die heranwachsende Generation flexibel, offen, bildungsfähig aber auch lenkbar zu machen, hat sich diese innige Beziehung quasi als Brennglas für die Durchsetzung schwierigster Anforderungen herausgebildet. Das bedeutet aber, dass gerade diese Unterteilung des Lebens in verschiedene Einflussbereiche, sowie ihre ideologische und konkrete Zuordnung zu „männlichem" und „weiblichem" außerordentlich wichtig ist für die Struktur posttraditionaler Gesellschaften: Die Tatsache, dass ein Teil des Lebens fast völlig ins Private abgedrängt wird und in traditionalen Formen konserviert wird, ist konstitutiv und zugleich im Widerspruch zu den untersuchten „posttraditionalen Lebensweisen" . Dieser notwendige Widerspruch muss daher m.E. ein bewußter Bezugspunkt des Forschungsvorhabens sein. Für die Forschungsfragen des Projektes bedeutet dies, dass es innerhalb der Gesellschaft Räume und Praxen gibt, die sich anachron zu den gesellschaftlichen Veränderungen des beruflichen, öffentlichen und kulturellen Lebens verhalten. Diese Orte liefern z.T. die Grundlage für die Fähigkeit zur Vernetzung, sie bilden innere Kerne von Zusammenhangs- und Bezogenheitskonstrukten und sie stehen dennoch in einem Spannungsverhältnis zu den Anforderungen von Mobilität, Flexibilität und Globalisierung. Während es für Männer selbstverständlich ist, als Erwachsene sich primär auf den produktiven Bereich der Gesellschaft zu beziehen, ist es auch für selbständige, berufstätige und autonome Frauen selbstverständlich, eine Laufbahn innerhalb des reproduktiven Bereichs mitzubedienen. Sie bewegen sich also auf einem Grat zwischen Feldern mit höchster Mobilitätsanforderung und dem Zwang zum Patchworken, sind dar-

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über hinaus aber ebenso dafür zuständig, innerhalb dieser Struktur einen äußeren und inneren Ort von Beständigkeit und Sicherheit zu gestalten. Der Widerspruch verschiedener gesellschaftlicher Sphären und Aufgaben existiert als nicht nur sozialer Ort, er durchzieht auch die Subjektivität von Frauen, insbesondere wenn sie Mütter und Hausfrauen sind. Deren Situation kann als Paradigma genommen werden für die Synthetisierungsleistungen und Konstruktionanforderungen, denen auch alle anderen Menschen ausgesetzt sind, wenn auch häufig nicht in dieser Schärfe. Um diesen Widerspruch einzufangen, um auch festzustellen, ob und wie weit die Mobilität und das Basteln nur auf Basis dieser Grundsicherheiten gelingen kann, und auf welche Art Männer und Frauen daran teilhaben, sollte von Anfang an eine geschlechtsspezifische Sichtweise bereits bei der Auswahl und Zuordnung der zu untersuchenden Gruppierungen stattfinden. Im Anschluss an diese Anregungen stellt sich mir natürlich die Frage, mit welchem Begriff und welchem Konstrukt von Subjekt und Subjektivität die Antragstellerinnen an ihre Untersuchung herantreten.

6. Das Subjekt als aktiver Gestalter des eigenen Lebens Der Subjektentwurf, wie er in dem Projektantrag auftaucht, will sich einerseits lösen von essenzialistischen Vorstellungen der Identität als eines Containers, in dem die Eigenschaften und Fähigkeiten des/der Einzelnen abrufbereit aufgehäuft sind ( Forschungsantrag S. 3). Differenz und Differenzierung stehen nicht nur im Zentrum gesellschaftlicher Prozesse, sondern gehören auch zur Ausgestaltung der eigenen Person. Netzwerkarbeit, Rhizomstrukturen bedeuten eine Verknüpfung unterschiedlichster Elemente auf der sozialen wie auf der individuellen Ebene. Dennoch taucht für mich, anknüpfend an die Kritik an der geschlechtsspezifischen Undifferenziertheit auch hier die Frage auf, ob sich nicht unter der Hand das Paradigma des autonomen Mannes/Subjektes wieder einschleicht. Dem Entwurf liegt die Vorstellung von einem Höchstmaß an optionalen Möglichkeiten, und der Notwendigkeit aber auch der Fähigkeit, die sozialen Beziehungen selbsttätig frei zu gestalten

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zugrunde. Bei diesem Prozess der Wahl und des individuellen Patchworking soll das Subjekt lediglich bezogen auf Authentizität und Selbstverwirklichung sein. Unter der Hand wird so eine Vorstellung von Autonomie und essenzieller Substanz wiedereingeführt, die in der Konzeption des bürgerlichen männlichen Subjekts immer enthalten war, aber durch die Restriktionen der traditionalen Gesellschaften nie eingelöst werden konnten. Es besteht die Gefahr, dass fasziniert von den neuen Freiheiten dies alte Subjekt in einem bunteren Gewand seine Auferstehung feiert (vgl. Musfeld, 1992). Verloren gehen für die Analyse dabei mehrere Ebenen. Die Gefahr, den weiblich konnotierten Lebenszusammenhang aus den Augen zu verlieren, habe ich bereits dargestellt. Es ist dies hier nur von Relevanz, weil ich vermute, dass eine derartige Konzeptualisierung Auswirkungen auf die Analyse der zu untersuchenden sozialen Strukturen haben würde: mit diesem Subjektkonzept im Hintergrund ist es unmöglich, die Zwänge aber auch die Zufälle zu erkennen, die in den optionalen Möglichkeiten liegen und die in vielen Fällen die sogenannte „freie" Wahl steuern. Eine Verklärung des Subjekts als Baumeister seines Selbst liegt darin, die Verknüpfungen, die Herstellung von Netzwerken und Rhizomstrukturen zu eindeutig dem bewußten Handeln zuzuordnen. Das bedeutet, den Faktoren Freiheit, Mobilität, Optionalität und Globalisierung zu viel Bedeutung einzuräumen, ohne die tatsächlichen Verwebungen, Verkettungen und Abhängigkeiten von ganz realen materiellen und sozialen Bedingungen zu erkennen. Wenn Lyotard von „einem Gefüge von Relationen" spricht (1986, S. 55) oder von „Knoten des Kommunikationskreislaufs" (ebd.), dann sind damit auch viele zufällige Verknüpfungen gemeint, die teils unter Zwang entstehen, weil es die Anforderungen des Berufs oder soziale Situation erfordern, es sind aber auch Begegnungen, Kommunikationen, Vernetzungen gemeint, die sich eher wie von selbst ergeben, die in ihrer Struktur ein Netzwerk erzeugen, ohne dass noch ein wirklicher Baumeister erkennbar wäre. Ähnlich wie zu Beginn des Lebens, wo es ein unbewusstes Eingehen aufeinander gibt, einfach weil das Leben nur als ein soziales möglich ist. Es sind Verbindungen, die Menschen einfach zum

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Leben brauchen, so dass die Freisetzung aus selbstverständlichen und einengenden Bindungen auch bedeutet, neben der gewonnenen Freiheit lediglich auf eine andere Art und Weise erneut ins gesellschaftliche Netz eingeklinkt zu werden. Diese notwendigen Abhängigkeiten, die lediglich ihre Gestalt wechseln, scheinen mir in diesem Projektantrag zu wenig integriert, da immer noch sehr stark in ein Subjekt und dessen möglichen Optionen unterschieden wird, so als wäre das Subjekt losgelöst von seinem Weltbezug, von seinen Beziehungen und Ein-Bindungen zu denken, oder zu leben. Für das Forschungsvorhaben würde das bedeuten, die selbstverständliche Eingebundenheit in soziale Beziehungen ebenso wie die normativen Forderungen der sozialen Netzwerke, in denen Menschen leben, auch dort wo sie den Anschein von Freiheit vermitteln, in ihrer heutigen Form deutlich zur Kenntnis zu nehmen, und zwar auf Basis der Tatsache, dass wir ohne diese sozialen Formationen und Netze nicht lebensfähig sind. Anmerkungen (1) Es ist problematisch, diese Furcht vor dem Verlust der Selbstbestimmung oder der Anbindung an Gewohntes zu fassen, denn der Begriff des Künstlichen evoziert die Vorstellung, dass es etwas rein Natürliches gibt. Und es ist immer wieder diese Polarisierung, in die auch fortschrittlichste Forscherinnen heute z.B. bei der Diskussion um den radikalen Konstruktionismus oder der Dekonstruktion geraten. (2) Damit sind einerseits materielle und technische Ressourcen gemeint wie der Zugang zum Internet oder die nötigen materiellen Mittel, um am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen, da eigentlich jede Aktivität in gesellschaftlichen Gruppen Geld erfordert: als Mitgliedsbeitrag, um an gemeinsamen Veranstaltungen teilzunehmen, um über Beförderungsmittel zu verfügen. Andererseits benötigt man Wissen und die Fähigkeit damit zu arbeiten, es zu kommunizieren, um sich einzumischen. Auch dies sind Ressourcen, die als Bildungskapital sehr unterschiedlich gefördert und damit verfügbar werden. (3) Im Folgenden soll mitgedacht werden, dass natürlich auch Frauen heute vielfach den männlich konnotierten Bereich der Öffentlichkeit und Berufsarbeit für sich wählen; manche, indem sie sich ganz gegen Kinder entscheiden, andere, indem sie beide Sphären miteinander zu verbinden versuchen (bekannt als die Frage von Vereinbarkeit von Kindern und

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Beruf). In der Regel jedoch bewegen Frauen sich auch in der öffentlichen Sphäre auf eine weiblich sozialisierte Weise, die andere innere Paradigmen von Sozialität, Macht, Durchsetzung und Bindung beinhalten. (4) Es handelt sich in der Regel um qualitative Veränderungen, die mehr Variationen ermöglichen. Dass diese differenzierten Lebensweisen jenseits der Kleinfamilie eine so neue Erfindung nicht sind, sondern dass eher die Vorstellung einer geschlossenen Kleinfamilie das Besondere darstellt, lässt sich leicht anhand der historischen Rekonstruktion des „Mythos Familie" (Gillis) nachvollziehen. (5) Einerseits fällt mir eine Begegnung im ländlichen Raum ein, wo die Jugendmannschaft der freiwilligen Feuerwehr aus einer großen Anzahl lärmender Jungmänner bestand, während die zwei beteiligten Mädchen/jungen Frauen deplaziert wirkten und schweigend dazwischen saßen. Aber auch ein zukunftsorienterter Raum wie das Internet ist natürlich zunächst einmal männlich besetzt. Literatur Badinter, Elisabeth (1991). Die Mutterliebe. Geschichte eines Gefühls vom 17. Jahrhundert bis heute. München. Benjamin, Jessica (1990). Die Fesseln der Liebe. Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Frankfurt/Main. Benjamin, Jessica (1993). Phantasie und Geschlecht. Studien über Idealisierung, Anerkennung und Differenz. Basel. Elias, Norbert (1976). der Prozeß der Zivilisation. Soziogenetische und psychogenetische Untersuchungen. Bd. 1 & Bd. 2, Frankfurt/Main. Gillis, John R. (1997). Mythos Familie. Auf der Suche nach der eigenen Lebensform. Weinheim/Berlin. Keupp, Heiner, Kraus, Wolfgang & Straus, Florian (1999). Individualisierung und posttraditionale Ligaturen - die sozialen Figurationen der reflexiven Moderne. In: Gemeindepsychologie, Band 5, Rundbrief Nr. 1. Jacobson, Edith (1973). Das Selbst und die Welt der Objekte. Frankfurt/Main. König, Karl (1986). Angst und Persönlichkeit. Das Konzept vom steuernden Objekt und seine Anwendungen. Göttingen. Lyotard, J.-F. (1986). Das postmoderne Wissen. Graz/Wien. Musfeld, Tamara (1992). „...ich lebe, also bin ich...". Postmoderne und weibliche Identität. In: Psychologie & Gesellschaftskritik 3/4, S. 125144. Stern, Daniel (1992). Die Lebenserfahrung des Säuglings. Stuttgart. Winnicott, D.W. (1958). Die Fähigkeit zum Alleinsein. In: derselbe (1965) Reifungsprozesse und fördernde Umwelt.

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Reflexive Kapitalisierung 1. Perspektive: Kritische Subjekttheorie Das Forschungsprojekt „Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne - Individualisierung und posttraditionale Ligaturen" soll hier aus der Perspektive kritischer Subjekttheorie diskutiert werden. Die kritische Subjekttheorie versteht Subjektivität als „Moment eines Wirkungszusammenhangs und zugleich als die interpunktierende Metaposition" (Horn 1990, S.147). Subjektivität ist also einerseits Resultat der widersprüchlichen kapitalistischen Vergesellschaftungsbedingungen und andererseits erzeugt diese Widersprüchlichkeit eine spezifische subjektive Eigenlogik, die die kritische Subjekttheorie psychoanalytisch zu interpretieren trachtet. Die Schnittmenge von Gesellschaft und Subjektivität bildet gleichsam die institutionell-diskursive Praxis der Subjekte. In dieser alltäglichen Praxis subjektivieren sich bestimmte Handlungs- und Reflexionspotentiale, hier wird entschieden, welche Lebensentwürfe in welcher Sprache bewußt werden oder unbewußt bleiben, und insgesamt wird in dieser Praxis das gesellschaftlich funktionale, prekäre Verhältnis von heteronomen und emanzipatorischen Tendenzen eingespielt. Kurzum: in ihrer alltäglichen institutionell-diskursiven Praxis reproduzieren und rekreieren die Subjekte die ihnen vorausgesetzten gesellschaftlichen Verhältnisse. Dieses Verständnis von Subjektivität und Gesellschaft markiert nun einerseits die Übereinstimmung der kritischen Subjekttheorie mit dem hier zu diskutierenden Forschungsprojekt, andererseits aber auch unübersehbare Differenzen. Die Übereinstimmung zunächst resultiert aus einem weitgehend ähnlichen Erkenntnisinteresse. Denn der Versuch, „die aktuelle Topographie der sozialen Landschaften" zu zeichnen, zielt auf die Erkenntnis der transformierten kapitalistischen Vergesellschaftungsbedingungen; die „Frage der Verortung des Subjekts im Netzwerk der Gesellschaft" evoziert zwangsläufig die Frage nach der Verfaßtheit

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aktueller Subjektivitätsformen; der Wille „neben Entbettungsprozessen auch neue Einbettungsmechanismen und -Strategien" zu identifizieren, zeugt vom emanzipatorisehen Impetus, Glück und Leid der Subjekte in ihrer konkreten sozialen Situierung ernst zu nehmen; und schließlich eröffnet das Forschungsvorhaben die Verschränkung der gesellschaftsund der subjekttheoretischen Perspektive am politisch bedeutsamen Exempel aktueller sozialer Assoziationen. Die Differenz läßt sich mit der kritischen Akzentverschiebung von „reflexiver Modernisierung", dem Titel jenes DFG-Sonderforschungsbereichs, innerhalb dessen die Untersuchung angesiedelt ist, hin zu „reflexiver Kapitalisierung", Titel dieses Beitrags, ein wenig überspitzt formulieren. Zentrale These dabei ist, daß in dem anvisierten Forschungsprojekt die ökonomischen, politischen und ideologischen Spaltungen samt ihrer psychischen Subjektivierung als funktionale Faktoren der aktuellen Transformationen kapitalistischer Gesellschaften stärker berücksichtigt werden müssen, damit die Rede von Differenz und Pluralisierung nicht schlicht der Legitimation wachsender sozialer Ausschließung dient, sondern ihre produktiven emanzipatorischen Potentiale entfalten kann. In diesem Sinne sollen im folgenden aktuelle Veränderungen kapitalistischer Gesellschaften, gegenwärtige Subjektivitätsformen, die daraus resultierenden Bedeutungen von Partikularismus und Universalismus sowie forschungspraktische Konsequenzen untersucht werden.

2. Gesellschaftliche Verhältnisse Die gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse werden in der Projektskizze vor allem unter den Begriffen der Individualisierung und der Globalisierung verhandelt. In diesem Kontext wird vom fortschreitenden Prozeß einer Pluralisierung ausgegangen, die den bis in die 60er hinein vorherrschenden Konformismus überwindet, die Legitimation massenintegrativer Institutionen wie etwa der nationalstaatlichen Apparate in Frage stellt und zu neuen sozialen Netzwerken führt, die nunmehr durch posttraditionale Selbstverwirklichungswerte gekennzeichnet sind. Diese Entwicklung kumuliere in der „Glokalisierung" (Robertson), die mit der

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potentiellen Globalisierung lokaler Bezugssysteme eben auch die Bedeutung lokaler Differenzen voraussetze und unterstreiche. Allerdings sollte, so meine Einschätzung, die positive Codierung dieser Beschreibung aktueller gesellschaftlicher Entwicklung um deren Kritik ergänzt werden. Diese Kritik läßt sich am eindrucksvollsten an den zunehmenden sozialen Spaltungen verdeutlichen. Schon ökonomisch kommt es, nicht zuletzt durch neue Produktionsformen, die im Zeichen von Informations- und Telekommunikationstechnologien eine zeit-räumliche Zerlegung der Produktion ermöglichen, zu einer Spaltung der Arbeiterinnen in gutverdienende Angehörige von Kernbelegschaften, in prekär Beschäftigte, die als Zeit- oder Leiharbeiter gleichsam just-in-time arbeiten, in „Selbständige", die ihre Arbeitskraft den Unternehmen nach Bedarf anbieten oder die die Nischen der informatisierten Produktion durch Alternativläden oder kleingastronomische Angebote ausfüllen, in die zunehmende Zahl jener, die sich in illegalisierten „Bad jobs" verdingen, und schließlich in die große Gruppe der von struktureller Massenarbeitslosigkeit betroffenen Menschen (vgl. Schmiede 1996, S.116f; Hirsch 1995, S.124). Der Staat reagiert auf diese Spaltungen einerseits mit einer Ausweitung der selektiven Diskriminierungen im Sozialstaat, mit einem Abbau sozialer Sicherheit, um schlicht die gestiegenen Kosten der Wohlfahrt zu reduzieren (vgl. Hirsch 1995, S.156), und andererseits mit einer Ausweitung sicherheitsstaatlicher Maßnahmen, um durch Überwachung und Ausschließung die desintegrativen Potentiale sozialer Fragmentierung einzudämmen. Ideologisch schließlich kommt es zu einer forcierten Mobilisierung von Individualismus und Nationalismus. Der Individualismus erlaubt es, sowohl die relative Privilegierung als auch das Scheitern innerhalb der herrschenden Leistungsanforderungen zu individualisieren, ohne die gesellschaftlich ungleiche Verteilung ökonomischer, sozialer, kultureller und psychischer Kapitalien zu thematisieren. Und der Nationalismus eröffnet die Anrufung der Individuen als Subjekte eines „Volks-als-Nation" (Poulantzas 1974, S.138), die den Integrierten besonders in Krisenzeiten verspricht, weniger verlieren zu müssen als die Angehörigen anderer Kollektivitätskonstruktionen (vgl. Hirsch 1995, S.155).

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Vor diesem Hintergrund zeigen sich somit auch die problematischen Aspekte der Glokalisierung (vgl. Baumann 1996, S.660f): Während dem Kapital und den Angehörigen der „Global-business-class" die globalen Räume offen stehen, werden die prekär Beschäftigten und jene, die weder als Arbeitskräfte noch als Konsumentinnen gebraucht werden, nach Bedarf in lokalen Räumen fixiert. Der Staat wiederum betreibt eine Wettbewerbspolitik, die einerseits die Attraktivität regionaler und lokaler Standorte durch Infrastruktur- und Technologie- und auch Kulturförderung zu verbessern trachtet - wobei gleichsam rückseitig die materiellen und kulturellen Spielräume der Integration oder wenigstens Duldung subalterner oder unbotmäßiger Gruppen eingeschränkt werden. Andererseits organisiert der Staat eine zunehmend restriktive Migrationspolitik, die sich immer unverblümter an der instrumentalistischen Regulierung der Arbeitsmärkte orientiert. Schließlich formiert sich in diesem Kontext noch ein weltoffenes und tolerantes Selbstverständnis der relativen Profiteure der veränderten Verhältnisse, das jedoch konstitutiv auf der Konstruktion von „fremden" oder „gefährlichen Gruppen" beruht. Diesen wird dann die Bedrohung der Toleranz, der „Inneren Sicherheit" oder gar der „nationalen Identität" unterstellt, und, oftmals in Koalition mit neorassistischen Interessen, mit der Forderung begegnet, sie schon an der nationalstaatlichen Grenze oder auch von bestimmten großstädtischen Räumen westlicher Nationalstaaten fernzuhalten (vgl. Grimm/Ronneberger 1994).

3. Subjektive Verhältnisse Die gesellschaftlichen Verhältnisse, mit ihren emanzipatorischen Potentialen und mit ihren heteronomen Implikationen, bilden die Vorraussetzung und das Resultat von subjektiven Praktiken. Wenn nun also von der Bedeutung subjektiver Verhältnisse unter den gegenwärtigen Vergesellschaftungsbedingungen die Rede ist, muß die, auch in der Projektskizze erhobene Forderung erfüllt werden, die Chancen und die Risiken für die Subjekte abzuschätzen. Doch obgleich in der Skizze zurecht die Gefahr der Atomisierung der Subjekte und die ungleiche Verfügbarkeit von sozialen Ressourcen erwähnt wird, die nur bestimmten Subjekten

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neue Gemeinschaften eröffnen, fokussiert sie vordergründig das Aufbrechen überkommener Zugehörigkeiten, eine daraus erwachsende neue Optionsvielfalt und Vernetzungstendenz, die auf der intersubjektiven Konstituierung von Vertrauen und Sicherheit beruhe. Auch an dieser Stelle scheint es mit angebracht, eine kritische Ergänzung vorzunehmen. Diese sollte zunächst subjekttheoretisch danach fragen, wie sich die gesellschaftlichen Verhältnisse in die Subjekte einschreiben, also wie etwa die aktuellen Chancen intersubjektiver Beziehungen einzuschätzen sind. Und sie sollte danach fragen, welche gesellschaftliche Funktionalität oder Widerspenstigkeit die aktuellen Subjektivitätsformen besitzen, also ob sie etwa die konstatierten sozialen Spaltungen gleichsam psychisch verdoppeln oder ob sie sich widersetzen. Eine solche kritische Ergänzung soll nun am Beispiel der auch in der Projektskizze vorgeschlagenen Bereiche der Familie, der Arbeit, der Politik und der Freizeit umrissen werden. -

Ohne Zweifel eröffnet die Enttraditionalisierung und Vervielfältigung von Familienformen partiell kommunikative, interaktive, sinnliche und sogar intersubjektive Beziehungen. Doch im Zeichen von zunehmender Vereinzelung und sozialer Fragmentierung gerät die Familie auch häufig zu einem letzten intimisierten Refugium sozialer Gestaltungsfähigkeit, in dem die Eltern ihre narzißtische Bedürftigkeit privatistisch ausagieren. Die Kinder geraten dadurch zu Stressoren der Regeneration der elterlichen Arbeitskraft und gleichzeitig fungieren sie geradezu als Sinnstifter innerhalb eines ansonsten sinnentleerten Alltags. Es entstehen dann einerseits zu intensive Beziehungen, in denen die Eltern zur Restitution ihrer Omnipotenzphantasien die Spielräume des Kindes überfürsorglich einschränken oder in denen sie sich den Wünschen als Erfüllungsgehilfen in der Imagination kindlicher Grandiosität unterwerfen. Andererseits entstehen restriktive Beziehungen, in denen die Wünsche des Kindes, wiederum zur Bestätigung elterlicher Größe, systematisch gebrochen werden, oder die die Kinder bloß noch verwalten. Auf diese Weise entsteht insgesamt eine narzißtisch strukturierende familiale Sozialisation, in der die Kinder andere Subjekte tendenziell nur mehr als Emanatio-

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nen narzißtischer Bedürfnisse wahrnehmen - sie werden instrumentalisiert, um entweder in ihrer Unterwerfung die eigenen Omnipotenzphantasien zu bestätigen oder um sie als idealisierte Objekte zur Restitution des fragilen Selbst zu nutzen. Im Falle solcher, hier freilich idealtypisch konstruierten Sozialisationen muß Intersubjektivität, im Sinne der wechselseitigen Anerkennung begehrter und begehrender Subjekte, letztlich scheitern, weil die Subjekte im Besonderen interpersonaler Beziehungen nur mehr auf das Allgemeine narzißtischer Unlustvermeidung zielen. -

Diese Ausbreitung narzißtischer Strukturierung hat bedeutsame Konsequenzen für die nachinfantile Sozialisation. Für den Bereich betrieblicher Arbeit läßt sich zwar konstatieren, daß die informationstechnologische Vernetzung der Produktion nicht nur einen größeren Bedarf an kommunikativen und kooperativen Fähigkeiten, also einen größeren Subjektbedarf hat, sondern damit potentiell auch die außerbetrieblichen Bedingungen der Subjektivitätsproduktion in den Blick rückt. Doch ganz abgesehen vom Fortbestand dequalifizierter Arbeiten, von Massenarbeitslosigkeit und geschlechtshierarchischer Arbeitsteilung, bleibt auch der Subjektbedarf an die betrieblichen Verwertungsimperative gekoppelt. So entstehen in den kommunikativen „Unternehmenskulturen", mit Lorenzer gesprochen, „ästhetische Symptome", die in den Symbolen einer gleichsam dionysischen Subjektivität Interaktivität und sinnlichen Reichtum suggerieren, ohne die in intersubjektiven Beziehungen zwangsläufige Angst vor narzißtischen Kränkungen zu evozieren. Und auf der Rückseite dieser „Sprachschablonen" breiten sich instrumentalistische „Verhaltensklischees" aus (vgl. Lorenzer 1988, S.171): die Kapitalisierung von Subjektivität führt zu einer zweckrationalen Fixierung kommunikativer und interaktiver Fähigkeiten und Bedürfnisse.

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Auch in Bezug auf den Staat kann zwar zunächst begrüßt werden, daß die Individualisierung, Pluralisierung und selbst die sozialen Spaltungen das konformistische psychosoziale Arrangement zwischen Staat und Subjekten auflockern und die Selbstverständigung von Subjekten sowie die Selbstkonstitution von sozialen Assoziatio-

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nen geradezu herausfordern. Doch demgegenüber spielt der Staat zunehmend die Freiheit, und das heißt dann die Freiheit der nationalstaatlich integrierten und vereinzelten Subjekte, gegen die menschenrechtliche Gleichheit aus. Er weitet die sozialstaatlichen, rassistischen und sexistischen Selektionen aus, rüstet die überwachungsstaatlichen Apparate und Prozeduren auf und präsentiert sich mithin als „starker Staat", der sich bei Bedarf der vereinzelten Subjekte für eine „Real-Externalisierung" und „Pseudo-Wir-Bildung" anbietet (vgl. Mentzos 1993, S.116). Dabei werden die narzißtische und gesellschaftliche Ohnmacht, die Ängste und Wünsche der integrierten Subjekte in den Objekten der Real-Externalisierung untergebracht: sie sind Schuld an der individuellen oder gesellschaftlichen Misere, ihre staatliche Verfolgung dient dabei als sichtbare Legitimation ihrer Entrechtung und ihre Entrechtung unterstreicht ihre „Fremdheit" (vgl. Osterkamp 1996, S.114). Erst dieser soziale und psychisch vollzogene Ausschluß bestimmter „gefährlicher Gruppen" erlaubt dann die Konstruktion eines indifferenten nationalen Binnenraums, die Formulierung eines imaginären und ideologisch-materiellen „Wir" über soziale Konfliktlinien und Spaltungen hinweg. Kurzum, die gegenwärtigen staatlichen Politiken tendieren zu einer Forcierung individualistischer und nationalistisch-rassistischer Diskurse. Schließlich bietet auch die Freizeit einerseits zwar eine neue Vielfalt an mehr oder minder kulturindustriell durchwirkten Praktiken und Symbolen, die in ihrer Warenförmigkeit nicht vollständig aufgehen, sondern durchaus „fruchtbare Irritationen" (Lorenzer) auslösen, die Signifikation unbewußter Lebensentwürfe begünstigen, den Blick für gesellschaftliche Konflikte öffnen oder gar zur Selbstkonstitution sozialer Gemeinschaften beitragen können. Andererseits aber werden die Subjekte auch in ihrer Freizeit zunehmend als Marktteilnehmerinnen vereinzelt, die, wenn sie nicht in soziale Isolation geraten, sich als distinktive Konsumgemeinschaft konstituieren, und die sich im Sinne „ästhetischer Symptome" eine Erregung in narzißtischer Sicherheit verschaffen, indem sie sich nicht selten auch sexistische und

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rassistische Symbole als Symbole für Sexualität und Exotik einverleiben. Insgesamt besteht also die Gefahr, daß die narzißtische Bedürftigkeit der Subjekte mit hegemonialen individualistischen, sexistischen und rassistischen Diskursen kurzgeschlossen wird. Es entstehen dann „narzißtische Konformisten" (Heller, zit nach Keupp 1996, S.55), die in distinktiven individualistischen Praktiken ihr unangemessenes Größenselbst soziofunktional bestätigen. Und es entstehen „Pseudo-Wir-Bildungen" (Mentzos), die die Subjekte als Angehörige etwa eines Geschlechts, einer Kultur oder einer Nation zusammenfassen und die konstitutiv auf dem Ausschluß „fremder" oder „gefährlicher Gruppen" beruhen. Kurzum, die Potentialität inter subjektiver Beziehungen wird durch gesellschaftliche und subjektive Prozesse systematisch eingeschränkt.

4. Partikularismus und Universalismus Aus diesen kritischen gesellschafts- und subjekttheoretischen Anmerkungen ergeben sich bedeutsame Konsequenzen für das Verhältnis von Individualität und Solidarität. Auch an diesem Punkt werden in der Projektskizze überwiegend die positiven Potentiale neuer solidarischer Gemeinschaften im Zeichen der Individualisierung betont. Es stehen demnach weniger die Gefahren der „Desintegration" und „Freisetzung" der Subjekte im Blickpunkt, sondern die Verquickung von Solidarität, Selbstverwirklichungswerten und Mitbestimmung, die im besten Falle auf „die Schaffung eines gemeinsamen Bedeutungsuniversums in einer Welt der Pluralität und Komplexität" hoffen ließe. Demgegenüber sollen hier nun am Beispiel des aktuellen Verhältnisses von Partikularismus und Universalismus die heteronomen Hindernisse intersubjektiver gesellschaftlicher Solidarität verdeutlicht werden, um somit schließlich die Bedingungen eines emanzipatorischen Verhältnisses von Individualität und Solidarität, von Differenz und Egalität formulieren zu können. Das Verhältnis von Partikularismus und Universalismus ist in den gegenwärtigen westlichen Nationalstaaten einer grundlegenden Transformation unterworfen. Es wird nicht länger die gleichsam kolonialistische Universalisierung des westeuropäischen Partikularismus betrieben,

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sondern zunehmend die Partikularisierung des westlichen Universalismus, die Abschottung gegen dysfunktionale Migrationsbewegungen aus jenen Gegenden dieser Welt anvisiert, die in ihrer Marginalisierung bloß die destruktiven Folgen der Globalisierung zu spüren bekommen (Terkessidis 1998, S.228). Dabei inszenieren sich die kapitalistischen Zentren, in einer eigentümlichen Verkehrung der Machtverhältnisse, als eine differentielle Kultur unter anderen, die von jenen Kulturen, die freilich weiterhin die eigentliche kapitalistische Peripherie bilden, bedroht wird. Auf diese Weise breitet sich ein „kultureller Rassismus" aus, der nicht mehr die Superiorität einer weißen Rasse betont, sondern vielmehr Kulturen essentialisiert. Im Wort „Kultur" können nämlich wesentlich unverfänglicher und flexibler als im Wort „Rasse" soziologische, symbolische, somatische und phantasmatische Merkmale im Dienste der sozialen Exklusion oder der Vernutzung der rassifizierten Objekte zusammengefaßt werden (vgl. Müller 1995, S.102). Entscheidend ist nun, daß dieser kulturelle Rassismus zwar bevorzugt von der neuen Rechten formuliert wird, doch gleichzeitig auch andere Gemeinschaftsbildungen durchdringt. Zu nennen ist hier vor allem die Konsumgemeinschaft derjenigen, die sich in der wachsenden Konkurrenz um gutbezahlte Jobs durchsetzen. Auf der einen Seite erscheint schon der Kaufakt in der von vielfältigen, distinktiven Dingen gefüllten Warenwelt als Akt individueller Macht und Selbstbestimmung, und überdies ermöglichen die zunehmend mit sinnlichen und kommunikativen Symbolen aufgeladenen Waren die Imagination eines sinnlich-reichen Lebens, ohne die in intersubjektiven Beziehungen aufkommende Angst zu aktualisieren. Auf der anderen Seite wird das Einkaufen, besonders in den aufgerüsteten Innenstädten und Shopping mails als Ausdruck der Teilhabe an einer Gemeinschaft erlebt, die zumindest ihre Konsum-, Ordnungs- und Leistungsvorstellungen teilt (vgl. Haubl 1996, S.202ff). All jene, die diese Gemeinschaft, ihre Selbstbilder von Toleranz und Kommunikativität oder auch bloß die Entspanntheit angstfreien und lustvollen Konsums bedrohen, also insbesondere Angehöriger „fremder Kulturen", müssen freilich ausgeschlossen werden. D.h. es kommt zu einer situativen Mobilisierung individualistischer und neorassistischer Diskurse, die erst „gefährliche

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Gruppen" konstruieren, die imaginär die eigene „Toleranz" und „Freizügigkeit" sowie die „Innere Sicherheit" oder die „nationale Identität" bedrohen, um diese dann auszuschließen und so das eigene individualistische und/oder rassistische Kollektiv erst zu erschaffen. Diese Zusammenhänge gilt es zu beachten, wenn nun, diesen Abschnitt abschließend, noch die kritische emanzipatorische Reformulierung des Verhältnisses von Individualität und Solidarität, von Differenz und Gleichheit, von Partikularismus und Universalismus erfolgt. Eine solche Reformulierung muß vor allem darauf zielen, gegen die zunehmenden individualistischen, differentialistischen und nationalistischen Bornierungen, die letztlich der Naturalisierung sozialer Spaltungen zuarbeiten, Solidarität und Gleichheit in die Vorstellungswelt zurückzuholen, ohne den zweifellos gegebenen Gewinn an produktiven Differenzen zu verspielen (vgl. Mouffe 1988, S.39). Daraus ergibt sich zunächst die Forderung, daß allen Subjekten und unterschiedlichen Gemeinschaften der gleiche Zugang zu materiellen und kommunikativen Ressourcen eingeräumt werden muß und daß alle Bedürfnisse von Subjekten und Gruppen gesellschaftlich in gleicher Weise berücksichtigt werden müssen (vgl. Eagleton 1997, S.155f). Um dabei einen bloßen Relativismus zu verhindern, gilt es freilich, auf die Reziprozität von Prozeß und Folgen der verschiedenen „Bedürfnisinterpretationen" zu achten (vgl. Fräser 1994, S.281). Für die Subjekte wiederum folgt daraus die Forderung, ihr partikulares Begehren nach innen und außen zu öffnen. Die Nicht-Identität der Subjekte sowohl mit ihrem bewußten Selbstverständnis als auch mit different lokalisierten Subjekten darf mithin weder verleugnet noch essentialisiert werden - vielmehr muß die je besondere Subjektivität als partikulares Moment widersprüchlicher und gleichwohl allgemeiner gesellschaftlicher Verhältnisse begriffen werden. Auf diese Weise können die besagten „fruchtbaren Irritationen" befördert werden, die die Signifikation bislang unbewußter, etwa solidarischer Lebensentwürfe auslösen und die den sich ausbreitenden Verhältnissen sozialer Ausschließung kritisch-emanzipatorische Namen verleihen. Subjekttheoretisch entscheidend ist dabei der Rekurs auf die narzißtische Bedürftigkeit, auf die intersubjektive Öffnung des Narzissmus, auf die wechsel-

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seitig befriedigende Möglichkeit einer „libidinösen Moral", die jedem Subjekt die Verwirklichung ihrer/seiner partikularen Bedürfnisse zugesteht (vgl. Marcuse 1987, S.225). Nur wenn dieses Zusammenspiel von Narzissmus und Begehren ernstgenommen wird, können „Subjektbeziehungen" hergestellt werden, die sich gegenüber den verbreiteten narzißtischen Instrumentalbeziehungen durch Angstlosigkeit, Freiheit, Offenheit und Eindeutigkeit der wechselseitigen Zuwendung auszeichnen (Holzkamp 1979, S.14). Im besten Falle entsteht somit eine Subjektivität, die, über die berechtigte Verbesserung je eigener Lebensumstände hinaus, auf die Verbesserung der Lebensumstände aller zielt (Zepf 1995, S.9) - auf die Realisierung einer „stärker wechselseitigen und egalitären Form der Liebe" (Eagleton 1994, S.297).

5. Forschungspraktische Vorschläge Die bisherigen Bemerkungen zusammengefaßt, sollte das anvisierte Forschungsprojekt, neben den ohne Zweifel gegebenen positiven Aspekten eines neuen Verhältnisses von Individualität und Solidarität, stärker die Kosten von Individualisierung und Globalisierung, also insbesondere subjektive Beschädigungen und gesellschaftliche Exklusionsprozeduren, thematisieren. Dazu möchte ich hier abschließend drei Vorschläge machen: 1. Zunächst sollte der Subjekt- und gesellschaftstheoretische Bezugsrahmen, innerhalb dessen aktuelle Gemeinschaftsbildungen untersucht werden, weiter präzisiert werden. Einen möglichen Zugang könnte dabei die hier vorgeschlagene wechselseitige Kooperation von kritischer Subjekt- und kritischer Gesellschaftstheorie eröffnen. 2. Dementsprechend könnten dann die zu untersuchenden Gemeinschaften einerseits gesellschaftstheoretisch auf ihre gesellschaftliche Situierung und Funktion hin und andererseits sozialwissenschaftlichpsychoanalytisch auf ihre subjektiven Bedeutungen hin gelesen werden. 3. In Bezug auf die Auswahl der Interviewpartnerinnen ergibt sich daraus schließlich der Vorschlag zweier weiterer Kontrastgruppen: zu-

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nächst die Dimension der Interpersonalität im Spannungsfeld instrumenteller oder intersubjektiver Beziehungen; und des weiteren die Dimension des Gesellschaftsbezugs mit ihren funktionalen/hegemonialen oder widerspenstigen/gegenhegemonialen Bedeutungen. Vielleicht können diese Bemerkungen einen kleinen Beitrag zum Gelingen dieses wissenschaftlich und politisch spannenden Projekts am Schnittpunkt von Subjekt und Gesellschaft leisten. Literatur Baumann, Zygmunt 1996: Glokalisierung oder: Was für eine Globalisierung, ist für die anderen Lokalisierung. In: Das Argument 217/1996. Eagleton, Terry 1994: Ästhetik. Die Geschichte ihrer Ideologie. Stuttgart; Weimar. Eagleton, Terry 1997: Die Illusionen der Postmoderne. Stuttgart; Weimar. Fräser, Nancy 1994: Widerspenstige Praktiken. Macht, Diskurs, Geschlecht. Frankfurt/Main. Grimm, Sabine / Ronneberger, Klaus 1994: Weltstadt und Nationalstaat. Frankfurter Dienstleistungsangestellte äußern sich zur multikulturellen Gesellschaft. In: Institut für Sozialforschung (Hg.) 1994: Rechtsextremismus und Fremdenfeindlichkeit. Studien zur aktuellen Entwicklung. Frankfurt/Main. Haubl, Rolf 1996: „Welcome to the pleasure dome". Einkaufen als Zeitvertreib. In: Hartmann, Hans A./Haubl, Rolf (Hg.) 1996: Freizeit in der Erlebnisgesellschaft. Amüsement zwischen Selbstverwirklichung und Kommerz. Opladen. Hirsch, Joachim 1995: Der nationale Wettbewerbsstaat. Staat, Demokratie und Politik im globalen Kapitalismus. Berlin; Amsterdam. Holzkamp, Klaus 1979: Zur kritischen Theorie der Subjektivität II. In: das Argument (Sonderband) 41/1979. Horn, Klaus 1990: Emanzipation aus der Perspektive einer zu entwickelnden kritischen Theorie des Subjekts. In: Ders. 1990: Schriften zur kritischen Theorie des Subjekts (Hg. Hans-Joachim Busch). Bd. 2. Subjektivität, Demokratie und Gesellschaft. Frankfurt/Main. Keupp, Heiner 1996: Wer erzählt mir, wer ich bin. Identitätsofferten auf dem Markt der Narrationen. In: Psychologie und Gesellschaftskritik Nr.80 4/96. Lorenzer, Alfred 1988: Das Konzil der Buchhalter. Die Zerstörung der Sinnlichkeit. Eine Religionskritik. Frankfurt/Main. Marcuse, Herbert 1987: Triebstruktur und Gesellschaft. Frankfurt/Main.

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Mentzos, Stavros 1993: Der Krieg und seine psychosozialen Funktionen. Frankfurt/Main. Mouffe, Chantal 1988: Hegemonie und neue politische Subjekte. Eine neue Konzeption von Demokratie. In: kultuRRevolution nr. 17/18 mai 1988. Müller, Jost 1995: Nation, Ethnie, Kultur. Mythen der Rechten. Berlin; Amsterdam. Osterkamp, Ute 1996: Rassismus als Selbstentmächtigung. Berlin; Hamburg. Poulantzas, Nicos 1974: Politische Macht und gesellschaftliche Klassen. Frankfurt/Main. Schmiede, Rudi 1996: Informatisierung und gesellschaftliche Arbeit. Strukturveränderungen von Arbeit und Gesellschaft. In: Ders. (Hg.) 1996: Virtuelle Arbeits weiten: Arbeit, Produktion und Subjekt in der Informationsgesellschaft. Berlin. Terkessidis, Mark 1998: Psychologie des Rassismus. Opladen; Wiesbaden. Zepf, Siegfried 1995: Einige allgemeine Anmerkungen zu den Begriffen des „Rationalen" und des „gesellschaftlich Unbewußten". In: Ders. (Hg.) 1995: Diskrete Botschaften des Rationalen. Göttingen.

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Welche Moderne, wie reflexiv? „Wenn wir uns recht besinnen, so lebt doch die Menschenkreatur, jede für sich in fürchterlicher Einsamkeit; ein verlorener Punkt in dem unvermessenen und unverstandenen Raum." Theodor Storm „Es ist falsch zu sagen: Ich denke. Man sollte sagen: Es denkt mich. Verzeihen Sie das Wortspiel. Ich ist ein Anderer..." Arthur Rimbaud „i bin den bin in mai mogn is nix drin waun in mai mogn wos drinwaa wari laichd a r aundara" Ernst Jandl

Diese vorangestellten Zitate - nicht in Absicht schulmeisternder Analekten - in der Spannbreite von gleichsam lyrischer Schwermut, jugendlich delirierender Explosion, vergleichsweise brechtscher Perspektive von unten, können vielleicht ein erster (literaturhistorischer) Fingerzeig auf eine für die bürgerliche Gesellschaft kennzeichnende Problematik sein, der auch wissenschaftshistorisch nachzuspüren ist, insbesondere in der Soziologie und Sozialpsychologie, nicht zuletzt in der Sozialphilosophie (und bis in modische Verzweigungen wie etwa der Evolutionspsychologie - da allerdings bis zur Unkenntlichkeit apodiktisch): dem epochal spezifische Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft. Zwischen Hegels geschichtsoptimistischer (und menschenverachtender?) Geschichtsphilosophie und der eher pessimistischen Aufklärungskritik von Horkheimer und Adorno ist dabei die inzwischen ebenso geläufige wie daher banale Feststellung angesiedelt: „Die Menschen machen ihre eigene Geschichte, aber sie machen sie nicht aus freien Stücken, nicht unter selbstgewählten, sondern unter unmittelbar

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vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen. Die Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden" (Marx 1972; 115). Und an anderer Stelle heißt es, daß die Individuen „in ein Verhältnis treten (mußten)", da sie „nicht als reine Ichs, sondern als Individuen auf einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer Produktivkräfte und Bedürfnisse in Verkehr traten, in einen Verkehr, der seinerseits wieder die Produktion und die Bedürfnisse bestimmte, so war es eben das persönliche, individuelle Verhalten der Individuen, ihr Verhalten als Individuen zueinander, das die bestehenden Verhältnisse schuf und täglich neu schafft" (Marx 1969; 423). Darum kreisen die folgenden kursorischen Anmerkungen über das Forschungsvorhaben „Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne - Individualisierung und posttraditionale Ligaturen" der Forscherinnengruppe um Heiner Keupp - und um die dem Projekt implizite Frage, ob aus beobachtbaren strukturellen Verwerfungen oder Verschiebungen qualitative gesellschaftliche Veränderungsschübe zu erwarten sind. Die Veränderungsprozesse infolge insbesondere der „Individualisierungs- und Globalisierungsprozesse" in den Geflechten sozialer Beziehungen, „sozialen Landschaften" (Appadurai), die Gesellschaft ausmachen, sollen, so eine zentrale Arbeitshypothese, „zur Herausbildung posttraditionaler Ligaturen" führen; womit es zu „Wandlungsimpulsen" komme, „die die Lebenswelt umgestalten und somit auch einen sehr direkten Einfluß auf die soziale Einbettung der Individuen und ihr ,bürgergesellschaftliches Engagement' haben." Mit dieser Fragestellung seien zwei weitere Forschungsperspektiven eröffnet, nämlich „das Subjekt als Baumeister (s)einer sozialen Landschaftwomit die (neuen) „netzwerkbezogenen Strategien der einzelnen zur Herstellung von Anerkennung, Vertrauen und Verläßlichkeit" auszuloten sind, wobei eine „verknüpfende Analyse" der genannten Forschungsgegenstände dazu beitragen soll, theoretisch wie schließlich empirisch eine dritte Problemperspektive zu verfolgen: „spezifische Vergesellschaftungsformen und die Frage gesellschaftlicher Solidarität." Die Frage „nach den Weitordnungen und Solidaritätsnormen, die sich unter den Zeichen der reflexiven Modernisierung entwickeln", steht an (Zitate aus dem Beitrag der Forschungsgruppe um Heiner Keupp; im Folgenden zitiert als FG).

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Wenn, so eine wichtige These, „Solidaritätspotentiale (...) heute weniger auf der Basis traditioneller Bindungs- und Identifikationsmuster (...) oder Moralprinzipien (entstehen), sondern (...) Ausfluß von Selbstverwirklichungsansprüchen in kommunitärer Bezogenheit (sind)", dabei die Frage offen bleibt, „wie die Schaffung eines gemeinsamen Bedeutungsuniversums in einer Welt der Pluralität und Komplexität konkret vonstatten geht und welche Rolle soziale Gruppierungen hierbei spielen" (FG), wird die Erinnerung an Vehlens (1997; vgl. Vorwort 15f) schon 1899 formulierten, also nicht neuen Gedanken geweckt, daß der Einzelne Schwächen und Einbrüche seines Selbstwertgefühls durch Erlangung äußeren Prestiges zu kompensieren versucht, dazu neigt, außerhalb der unbefriedigenden eigenen individualisierten Sphäre eine Kompensation für die geringe Selbsteinschätzung zu suchen. Angesichts des auch gegenwärtig zu beobachtenden ,sozialpsychologischen Klimas4 drängt sich die Vermutung auf, daß hier ein für die bürgerliche Gesellschaft durchgehender Zusammenhang von Lebenswelt und subjektiven Strukturen skizziert ist, der sich allerdings in seinen Auswirkungen auf das Sozialverhalten zuzuspitzen scheint (s.u.). Wie neu also ist der/die ,neue4 Identitätsarbeiterin, die/der aus welchen präzis zu benennenden Gründen einen „Formwandel der sozialen Landschaften" (FG) betreibt? Der Begriff ,Moderne4 (oder Modernisierung4) wird arg strapaziert: ,einfache Moderne4 meint ökonomische und sozioökonomische Strukturen, die solides Fundament für Basissicherheiten interagierenden Menschen und somit auch für den Prozeß ihrer Identitätsgewinnung gewesen sind. ,Erste Moderne4 steht als Kürzel für die Verbindung zwischen ökonomischem Liberalismus und liberalem Rechtsstatt, einer Allianz, mit welcher eine soziale Revolution gegen wachsende Diskrepanz in der Verteilung gesellschaftlich geschaffenen Reichtums nach Marxscher Einschätzung abgewinkelt worden sei. Die ,zweite Moderne4, hier ist der englische Nationalökonom Keynes einer der geistigen Ziehväter, soll Verbindung von Wohlfahrtsökonomie und demokratischem Rechtsstaat gewesen sein, antizyklische Wachstums- und Beschäftigungspolitik, wohlweisliche Moderation gegen die Auswüchse eines kapitalistischen

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Wirtschaftssystems. Nunmehr aber befänden wir uns auf dem Weg in die „Dritte Moderne. Die alles beherrschende Frage ist heute, ob jenseits der Nationalstaaten auf supranationaler und globaler Ebene sowohl die ökologische als auch die soziale und kulturelle Sprengkraft des globalen Kapitalismus neu unter Kontrolle gebracht werden kann" (Münch 1998; 11). Gegenüber Lyotards (1999) seriöser Gelegenheitsarbeit zum ,postmodernen Wissen4, Abgesang des Gedankens stetigen Fortschreitens der Moderne, vielmehr Hinweis, neuere Phänomene auch im Alltagsleben als Bruch mit diesem Projekt zu begreifen (was sich auch in den Sozialwissenschaften nach den inzwischen ausgedünnten systemtheoretischen Glasperlenspielen und folgendem postmodernen Beliebigkeitsgeraune verlor), will der Begriff der „reflexiven" (Beck) Moderne (oder Modernisierung') präziser die Unsicherheiten einfangen, die im Strukturwandel gesellschaftlicher Übergangsprozesse erzeugt werden. Letzten Endes dringt, was mit dem analytischen Seziermesser „reflexive Moderne" freigelegt werden soll, nicht tiefer als die Rede von der Postmoderne: „Sie drückt die für die Übergangsphasen typischen Stimmungen der Unsicherheit aus. Es wächst das Bewußtsein für die nicht-intendierten Folgen und Nebenfolgen der Modernisierung, die zu Korrekturmaßnahmen von mehr oder weniger großer Tragweite bis hin zum Zweifel am Sinn der Modernisierung selbst veranlassen. Diese Reflexivität ist jedoch ein unabtrennbarer Bestandteil der Moderne von Anfang an. Alle Modernisierung vollzieht sich immer schon reflexiv (...)" (Münch 1998; 20). Verbleibt also auf der Ebene der theoretischen Auseinandersetzung mit dem Forschungsvorhaben der FG, um die es hier gehen soll (und nicht um Probleme der empirischen Umsetzung), die Frage, welche Moderne mit welchen qualitativ neuen Dimensionen ist gemeint und wie ist der Begriff „reflexiv" inhaltlich zu füllen. Oder aber ist es nur eine Paraphrase zum Thema, wie viel „Gemeinschaft" hat „Gesellschaft" für den eigenen Stabilitätserhalt nötig (doch von Tönnies später). Antworten der FG finden sich in zwei Bildern, die allerdings nach Bekunden der Autorinnen nicht überstrapaziert werden sollten. Gleichwohl möchte der Verfasser sich zur Verdeutlichung seiner Argumentation darauf einlassen:

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Bildhaft kennzeichnen soll den kulturellen Umbruch von der agrargesellschaftlichen zur hochkulturellen Phase der Unterschied zwischen „wilden Kulturen" und schutzbedürftigen „Garten-Kulturen". Den Schutz der „kultivierten Gartenlandschaft der modernen Gesellschaft" habe der „moderne Nationalstaat mit seinen Institutionen übernommen." (FG in Anlehnung an Gellner) Dies wird (hier greift die FG Bauman auf) über Herstellung und Aufrechterhaltung von Ordnung besorgt, was sich daraus speiste, „die tief sitzende Angst vor der Uneindeutigkeit und der Ambivalenz" (FG) abzufedern. Wolle man die „sozialen Landschaften der ,klassischen' Moderne" (FG) anschaulicher beschreiben, könne man zum einen das Bild des streng geometrischen, gestutzten Renaissance-Gartens bemühen, Spiegel der in der modernen bürgerlichen Kultur den Individuen streng abverlangten Anpassungsleistungen an Zivilisationsstandards. Treffender noch sei zum anderen das Bild der (von Jägern und anderen Naturschützern so beklagten) landwirtschaftlichen Monokultur, wo der unmittelbare Nutzaspekt klar dominiere - blankgeputzter Spiegel, „wie sich die Individuen an die Erfordernisse des industriellen Kapitalismus und die Logik der instrumenteilen Vernunft anpassen müssen" (FG). Da die Frage ansteht, ob diese bildliche Beschreibung „noch auf die typische Figuration der sozialen Landschaft in der Gegenwart" zutrifft (FG), sei ein weiteres ,Bild' hinzugefügt: Fast ein Jahrtausend, in Mitteleuropa zum ersten Mal im 8. Jahrhundert urkundlich erwähnt, prägte die Dreifelderwirtschaft unser Landschaftsbild. Produktion und Reproduktion setzten unter den Zugzwang kollektiver Rodungsarbeiten, die von genossenschaftlich oder herrschaftlich organisierten Gemeinschaften mit ,Mann- und Spannkraft' durchgeführt wurden. Dabei wurde die Brache zu einer fest verbindlichen Institution, versprach sie doch zusätzliche Weide für alle. Allerdings war damit auch ein Drittel der knapper werdenden Feldflur dem landwirtschaftlichen Anbau entzogen. Gegen saftige Pachtabgaben an den Grundherrn oder die bäuerlichen Genossenschaften konnte man kurzfristig auf der Brache Hülsenfrüchte, Kohl, Rüben oder Hopfen anbauen, (vgl. Makowski & Buderath 1983; 14 u. 48) Vergleichbar ist das Schicksal des Waldes, in dem durch forstwirtschaftliche (und landwirtschaftliche wie andere)

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Nutzung der Artentod beschleunigt wurde, seine störempfindlichen Biotope zunehmend ausgelöscht wurden (vgl. Bode & Hohnhorst 1995). Fragt sich also, um im Bild der FG zu bleiben, wie viel Brachland ist in der „reflexiven Moderne" noch für „soziale Landschaften" zu finden - und um welchen Preis -, denen verallgemeinerungsfähige emanzipatorische Individualitätsformen und Identitätsmuster entwachsen könnten, Menschen, die „unter unmittelbar vorgefundenen, gegebenen und überlieferten Umständen" dann doch „ihre eigene Geschichte" (Marx; s.o.) machen. Kurzum: keimt im ,Formwander sozialer Landschaften auch ein inhaltlicher, oder bewegen wir uns nur auf alter Straße mit neuen Wegweisern weiter als „Gesellschaft der Ichlinge", noch über die Geste des bürgerschaftlichen Engagements und Miteinander letzten Endes an ihren Eigeninteressen orientierte bürgerliche Individuen - was Heiner Keupp (2000; 27f) mit vielen Fakten und ausholender Argumentation bestreitet. „Jeder von uns", so Keupps Zeitdiagnose, „wird Baumeister seines eigenen Beziehungsnetzwerkes." Dies meine nicht nur Freiheit, sondern sei eine „unabdingbare Notwendigkeit. Wir müssen uns unsere eigenen Ligaturen bauen, und wenn wir das nicht tun oder nicht können, dann erfahren wir die Lebensfeindlichkeit sozialer Wüsten." Und er macht „neue Beziehungsmuster" aus, die durch „strukturelle Offenheit" und „lockere Verknüpfung" gekennzeichnet seien. Auch dies lasse sich als Anzeichen eines deutlichen sozialen Wandels, so die FG, unter den beiden basalen Transformationsprozessen „Individualisierung und Globalisierung" subsumieren. Entgegen anomietheoretischen Unkenrufen sollen gegenüber „traditionalen Sicherheiten" auch neue „Formen sozialer Einbindung" auszumachen sein, eine „Eigen Verantwortung und (...) (subpolitische) Selbstorganisation der Individuen", ein dem Auslaufmodell der Massenbewegungen folgendes „oppositionelles ,Patchwork der Minderheiten4" (FG). Bleibt der Verdacht, daß es sich doch bloß um einen Ausbruchsversuch handelt, für den in Gestalt fortwährender gesellschaftlicher Kernstrukturen der Einfangmechanismus bereitsteht. Nur eine Spielform der Bestimmung von Subjektivität, wie sie Marx entlang seiner Analyse der Anatomie der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft skizzierte? Als

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Warenbesitzer (gleichviel wie) ist es im Interaktionsgeschehen „jedem von den beiden (...) nur um sich zu tun. Die einzige Macht, die sie zusammen und in ein Verhältnis bringt, ist die ihres Eigennutzes, ihres Sondervorteils, ihrer Privatinteressen" (Marx 1971; 190). Und an anderer Stelle: „D.h. das gemeinschaftliche Interesse (...) ist zwar als Tatsache im Bewußtsein beider Seiten, aber als solches ist es nicht Motiv, sondern existiert sozusagen nur hinter dem Rücken der in sich reflektierten Einzelinteressen. Das Subjekt kann (...) auch noch das erhebende Bewußtsein haben, daß die Befriedigung seines rücksichtslosen Einzelinteresses grade die Verwirklichung des aufgehobnen Einzelinteresses, des allgemeinen Interesses ist" (Marx 1974; 912).

Und so seien die Subjekte schließlich „als Gleichgeltende zugleich Gleichgültige gegeneinander; ihr sonstiger individueller Unterschied geht sie nichts an; sie sind gleichgültig gegen alle ihre sonstigen individuellen Eigenheiten" (ebd.; 154). Ob die beobachtbaren (sicher auch produktiv-)krisenhaften Unsicherheiten einer (immerhin fraglichen; s.u.) Moderne, ein (prognostizierter und vielleicht) über den Tellerrand der bürgerlichen Gesellschaft reichender Wandel von Wertordnungen und Solidaritätsnormen die Vision einer Zivilgesellschaft bis in den Bereich der „Identitätsrelevanz erwerbsunabhängiger sozialer Tätigkeiten" (Keupp 2000; 69) erwarten läßt, bleibt auch im Rückgriff auf den Marxschen Begriff des „enormen Bewußtseins" und seine möglichen Initiationsmomente diskussionswürdig. Ihr zweites Bild bezieht die FG von Deleuze und Guattari: Es bemüht beispielhaft das Rhizom, das anders als die Wurzeln von Bäumen einen beliebigen Punkt mit einem anderen verbinde. Sie zitieren: ,„Es ist weder das Viele, das vom Einen abgeleitet wird, noch jenes Viele, zu dem das Eine hinzugefügt wird [...] Es besteht nicht aus Einheiten, sondern aus Dimensionen. Eine ,„unkontrollierbare Wucherung'", die auch Brüche nicht scheue und sich ihre eigenen Wege suche, ^transversale Verbindungen zwischen dem scheinbar Inkompatiblen'" herstelle. Und da kommt - bildhaft und in soziologische Phantasie übersetzt - Hoffnung auf: Es könnte sich um Biotope handeln, die sich ausweiten, „die untergründig (subpolitisch) wuchern. Im Augenblick sind sie noch verinselt,

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Arnold Schmieder aber vielleicht haben sie unsichtbar schon weite Teile des sozialen Bodens mit ihrem horizontalen Netzwerk durchdrungen. (...) Es wäre eine Vielfalt, die sich aus der Differenz ergibt und nicht »künstlich' geschaffen ist oder primär Nutzaspekten gehorcht" (FG).

Dabei fragt sich die FG, ob es sich in diesem Bild nicht letztendlich doch um eine „romantisierende Perspektive" handelt. Sie ist es, zunächst, bildhaft. Die obige Frage nach den Brachen wird müßig, haben wir uns doch jetzt ins Parterre begeben. Diese allerdings sehr ausdauernden Erdsprossen von Stauden leben unterirdisch und treiben nur bei günstigen Witterungsbedingungen aus. In kalten und unwirtlichen Zeiten zeigen sie sich nicht. Sie machen kein Frühjahr, sie brauchen es. Da sich aber die Zeiten unter den neueren Phänomenen wie Globalisierung und Lokalisierung, auch „Glokalisierung" (Robertson) ändern und „fortgesetzt neue (entterritorialisierte) Zugehörigkeiten, Subkulturen und Lebensstile" entstehen, auch kulturelle Kodes und Werte globalisiert werden, bewegt im Anschluß an dieses Bild immerhin doch die Frage, welche Auswirkungen „derartige Veränderungen der sozialen Landschaften für die Konstitutionsbedingungen individueller Identitäten und Netzwerke" haben. Wie also gehen die Subjekte „mit den stattfindenden Veränderungen um? Nutzen sie die geschaffenen Freiräume kreativ oder sehnen sie sich nach der tiefen Verwurzelung in einer Gemeinschaft?" (FG) - was in der folgenden Aufnahme des wissenschaftlichen Für und Wider ausführlich diskutiert wird. Hier aber gebiert es eine schon eingangs erwähnte wissenschaftliche Reminiszenz: Handelt es sich nicht schlicht um eine präzisierende Illustration der alten Frage, wie viel „Gesellschaft" an „Gemeinschaft" für den eigenen Stabilitätserhalt braucht... Dazu äußerte sich bereits Tönnies. „Alles vertraute, heimliche, ausschließliche Zusammenleben (so finden wir) wird als Leben in Gemeinschaft verstanden. Gesellschaft ist die Öffentlichkeit, ist die Welt." Dabei sei Gemeinschaft „das dauernde und echte Zusammenleben, Gesellschaft nur ein vorübergehendes und scheinbares", die insoweit nur „als ein mechanisches Aggregat und Artefakt verstanden werden soll" (Tönnies 1991; 3f).

So ließe sich Gesellschaft denken, „als ob sie in Wahrheit aus solchen getrennten Individuen bestehe, die insgesamt flir die allgemeine Gesell-

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schaft tätig sind, indem sie für sich tätig zu sein scheinen, und die für sich tätig sind, indem sie es für die Gesellschaft zu sein scheinen." (ebd.; 38) Hier scheint die Marxsche Analyse wieder auf, eine Anleihe, die Tönnies auch hervorhebt (vgl. ebd.; XXIII). Weiter ist zu entnehmen: „Die Theorie der Gesellschaft konstruiert einen Kreis von Menschen, welche, wie in Gemeinschaft, auf friedliche Art nebeneinander leben und wohnen, aber nicht wesentlich verbunden, sondern wesentlich getrennt sind" (ebd.; 34).

Dabei hebt er hervor, daß es „keinen Individualismus in Geschichte und Cultur (gibt), außer wie er ausfließt aus Gemeinschaft und dadurch bedingt bleibt, oder wie er Gesellschaft hervorbringt und trägt (ebd.; XXIII, letzte Hervorh. d. Verf.). Darin ist das Desiderat einer gesellschaftsimmanenten und sich in subjektiven Strukturen niederschlagenden Beschränkung von „Konkurrenz durch Koalition" gestiftet, eine „ikonventionelle Geselligkeit", ein „Austausch von Worten und Gefälligkeiten, in welchem jeder für alle da zu sein, alle jeden als ihresgleichen zu schätzen scheinen, in Wahrheit jeder an sich selber denkt und im Gegensatze zu allen übrigen seine Bedeutung und seine Vorteile durchzusetzen bemüht ist" (ebd.; 45f). Die erste Auflage von Tönnies „Gemeinschaft und Gesellschaft" datiert 1887. Die Problematik, der sich die FG elaboriert und unter Bezugnahme auf eine gegenüber älteren Analysen z.T. wie Galimathias anmutende Literatur zuwendet, scheint also nicht neueren Datums zu sein, scheint vielleicht nur in neuem Gewand daherzukommen. Wie aber sieht dieses neue Gewand aus, wenn es denn wirklich neu ist - sozioökonomisch betrachtet. Nach Marx produziert der Kapitalismus seine eigenen Krisen bis an die Schwelle der Selbstzerstörung. Diese Prognose ist inzwischen nach dem Zusammenbruch real-sozialistischer Systeme in der Wissenschaft wieder hoffähig und zitationswürdig geworden. Skepsis gegenüber den Selbstheilungskräften des Systems herrscht auf den unterschiedlichsten Seiten. Im Abgesang auf die Marktwirtschaft wird der Marx des Wertgesetzes neu bemüht, der Marx der Arbeiterbewegung für weniger relevant gehalten (vgl. insg. Kurz 1999). Ein wertkonservativer Ordoliberaler wie

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Gray (vgl. 1999), vormals Chefberater von Frau Thatcher und vehementer Verfechter des Neoliberalismus, verheißt unter den gegenwärtigen sozioökonomischen Rahmenbedingungen weltweite Desaster zur Seite der sozialen Kosten. Massenarbeitslosigkeit, ein nicht mehr kontrollierbarer Anstieg der Kriminalitätsraten, Proletarisierung der Mittelund weitere Verelendung der Unterschichten, eine sich beschleunigende Erosion zentraler Institutionen und Werte des bürgerlichen Lebens werden auch aus dieser wahrlich nicht marxistischen Perspektive in Aussicht gestellt. Desaströse Entwicklungen auf den Finanzmärkten, zumal die Zinsproblematik, lassen diese Entwicklungen eskalieren (vgl. Senf 1998). Zweifel an den Möglichkeiten, den Kapitalismus zu zähmen und weltweit sozialverträglich zu machen, tauchen gerade auch im Rahmen der Globalisierungsdebatte auf, wobei sich in der ,Dritten Moderne4 zur ökologischen Krise „eine völlig neue soziale Krise" (Münch 1998; 10) geselle. Überkommene Formen sozialer Integration in Gesellschaft werden zunehmend ausgedünnt, neue müssen erst noch entwickelt werden. Offen bleibt, ob der Kapitalismus als weltumspannendes System in einer neu heraufdämmernden Epoche in demokratische und wohlfahrtsstaatliche Strukturen eingebunden bleibt. Durch den Prozeß der Globalisierung wird die integrative Kraft der Nationalstaaten geschwächt, infolge auch der Liberalisierung auf den Finanzmärkten haben sie um den Preis (u.a.) eigentlich notwendiger Umweltschutzauflagen und Einschnitte in das Netz sozialer Sicherungen, die Senkung von Arbeitskosten und die Bereitstellung qualifizierter Arbeitskräfte möglichst günstige Standortbedingungen für das Kapital zu schaffen. Gleichzeitig wird mit dieser Entwicklung das westliche Kulturmodell hegemonial, verändert die Existenzbedingungen nationaler, lokaler und regionaler Kulturen. Globales und Lokales verschmelzen zur „Glokalisierung" (Robertson, s.o.) der Welt. Damit wird das Lokale aber auch von globalen Vergemeinschaftungsprozessen und Kommunikationsströmungen, schließlich Machtverhältnissen überschattet. Allerdings scheinen uns in dieser globalisierten Welt mehr Möglichkeiten denn je offenzustehen, jedoch scheint es auch, daß wir „die Fähigkeit zur autonomen Bestimmung über unser eigenes

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Leben und zur gemeinsamen Verständigung darüber, wie wir es leben wollen", verlieren (Münch 1998; 18). Hier ist auch ein Problemfocus der FG angesiedelt, da sich unter der Prämisse der Individualisierung im Hinblick auf Identitätsbildungsprozesse die Frage „nach den Schnittstellen zwischen Individuum und Gesellschaft neu" stelle und zusätzlich: „wie wird unter solchen Bedingungen die gesellschaftlich notwendige Solidarität produziert, jener ,soziale Kitt4, der die Gesellschaft zusammenhält?" Die vorläufige Antwort lautet, Solidaritätspotentiale seien heute gegenüber traditionellen Begründungsfundamenten eher „Ausfluß von Selbstverwirklichungsansprüchen in kommunitärer Bezogenheit" (FG). Mit Münch (1998; 18) sei gegenüber solchem neuen gesellschaftlichem ,sozialen Kitt' und daraus neuer Identitätsversicherung die kritische Frage erlaubt, „ob und wie wir (...) diese Fähigkeit als einzelne und als Gemeinschaften auf lokaler, regionaler, nationaler, supranationaler und globaler Ebene wiedergewinnen können, wie die Dialektik von Individualisierung und Vergesellschaftung in ein ausbalanciertes Verhältnis von individueller Freiheit und sozialer Bindung gebracht, soziale Integration in der Verflechtung von globaler Dynamik und lokalen Lebenswelten erneuert werden kann."

Von ,Erneuerung4 und dem „Aufbau einer globalen Mehrebenendemokratie im Rahmen der sich herausbildenden Weltgesellschaft44 (ebd.; 23) ist die Rede, damit letzten Endes nicht von gesamtgesellschaftlichen Veränderungen qualitativer Art. Das alte Problem um das Spannungsverhältnis von Individuum und Gesellschaft, schon in den angeblich ausgebrannten ,großen Erzählungen4 etwa von Marx und Tönnies für die Epoche der bürgerlichen Gesellschaft konturiert, auch immer wieder Thema der schöngeistigen Literatur, kommt unter den neuerlichen Turbulenzen eben dieser bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft nicht neu, aber wieder und offensichtlich mit Schärfe auf die (nicht nur wissenschaftliche) Tagesordnung. Implizites Problem ist auch die sog. Arbeitsgesellschaft und ihre Aufweichung. Bereits Gorz (1983) ließ sich über das Ende dieser bürgerlichen Arbeitsgesellschaft aus und sah in der faktischen Verringerung der

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gesellschaftlich notwendigen Arbeitszeit nicht nur als mögliche Folge ein Anwachsen von Arbeitslosigkeit und Armut, sondern die Chancen einer „Nicht-Klasse" von „nachindustriellen Proletariern", die sich der gesellschaftlichen Logik widersetzen. Schon jetzt sei dieser kulturelle Wandel vorhanden, „aber die Gesellschaft verhindert noch, daß er gesellschaftlich und politisch zum Tragen kommt" (ebd.; 109). Auch Haug (1999) thematisiert, daß die Arbeit neu zu erfinden ist und plädiert für eine neue Sozialpolitik auf der Basis einer neuen Produktionsweise. Der Rentabilitätslogik soll die Logik sozialer Effektivität entgegengesetzt werden, gesellschaftliche Bürgerschaft ist von bloß distributiven oder redistributiven Mustern zu emanzipieren (vgl. ebd.; 202f), und anzustreben ist eine „andere ,mikrokosmische' Arbeitsteilung im Zeitbudget jedes Individuums, das seinen gleichen Anteil in den drei vom Standpunkt menschlicher Lebenserhaltung und -entwicklung notwendigen Sektoren auf sich zu nehmen hätte, im Sektor der produktiven Arbeit, dem der reproduktiven Arbeit und schließlich dem des Vergesellschaftungs- oder (in einem neuen Sinn) politischen Handelns" (ebd.; 206). Reale, so sei unterstellt, Utopien klingen hier an, die nur noch (auch ein schon älteres Problem, klassen-, krisen-, Zusammenbruchs- und verelendungstheoretisch vormals diskutiert) ihre Geburtshelfer brauchen. Ob sie sich im Formwandel der sozialen Landschaften einer „reflexiven Moderne" formieren, darüber werden die Ergebnisse des empirischen Forschungsvorhabens der FG hoffentlich Auskunft geben, wenn auf dem Hintergrund genauerer „Analyse der posttraditionalen Figurationen" die »Diskurskultur" von Gruppen und ihr »Politisierungsgrad" (FG) untersucht sind. Schließlich geht es um mehr als um Fragen zum Dritten System, ein Begriff, der etwa zeitgleich und nicht zufällig mit dem Begriff der Globalisierung das Diskussionsterrain eroberte: gemeint ist ein dritter Wirtschaftsektor, der sich nicht in traditionelle marktwirtschaftliche Wirtschaftsweise einpaßt, gemeint sind lokale Strategien ökonomischer Selbsthilfe, die mehr sind als Nachbarschaftshilfe oder die gute alte Schwarzarbeit, in denen als Selbstorganisation von Bürgern „auch ein anderes Politik- und Demokratieverständnis in Richtung auf mehr aktive Beteiligung, aber auch Eigenverantwortung zum Ausdruck" kommen

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kann (Birkhölzer 2000; 84). Es geht eben auch um eine „gewachsene Optionalität individueller Lebensplanung", was zur Notwendigkeit führe, „sich für spezifische Optionen zu entscheiden und für die getroffenen Wahlen Kontexte sozialer Anerkennung zu schaffen. Solche Netzwerke lassen sich als ,posttraditionale Ligaturen' bezeichnen, als soziale Bezüge, die von den Entscheidungen der Subjekte (mit)bestimmt sind" (FG). Wie weit die Individuen bestimmen oder mitbestimmen können, dazu zum Abschluß zwei relativierende und eher deprimierende Beispiele aus neuerer Forschung: -

In einer postmodernen Auseinandersetzung um „Nomadentum und Arbeitslosikeit" wird betont, daß „Flexibilität und Kompromißbereitschaft in der Arbeitswelt allmählich zu mehr Freiheit und Selbstbewußtsein führen können", dies bezogen auf die Arbeitsmigranten, deren soziale Probleme allerdings nicht unterschätzt werden sollten (Lützeler 1998; 913). Hier könnten wir, denen uns berufliche Mobilität aufgeherrscht ist, „von den Arbeitsemigranten aus den ärmeren Ländern" lernen (ebd.; 916). Das in der Postmoderne favorisierte „multiple-proteushafte Selbst" (sprich: postmoderne Identität) soll „die Bewegung hin zum Fremden als Teil seiner Lebensweise" zu empfinden lernen (ebd.; 961). Ohne den kritischen Tenor des Beitrags verkennen zu wollen, bleibt doch die - postmoderne - Botschaft, berufliche Mobilität (als Alternative zu möglicher Arbeitslosigkeit) sei trotz ihrer Folgen auf zwischenmenschliche Beziehungen auch der intimen Art etwa (man kann ja neue aufbauen) eine Zugewinnchance, ein Stück Freiheit. Da aber haben wir es mit einem - so Rotermundt (1994; 99) in seiner Auseinandersetzung mit Nietzsche und dem Begriff des Fortschritts im Bewußtsein der Freiheit: »„postmodernen4 Freiheitspathos" zu tun, mit einem „Geltenlassen aller Positionen", mit „einem ,Fortschritt im Bewußtsein der Freiheit' (...) - nur eben mit einem für sich begriffslosen." Damit gerät auch aus dem Blick, daß es sich um „riskante Chancen" (Keupp) handelt.

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Offensichtlich, so Behringer (1998) ihre Untersuchungsergebnisse über „Lebensführung als Identitätsarbeit" resümierend, bleibe es auf

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Grund von Dissoziationserfahrungen fraglich, „ob und inwieweit die Subjekte (...) überhaupt noch eine Identität im Sinne von Kohärenz und Kontinuität ausbilden" können - ob die „vielfältigen Erfahrungen und Beziehungen nicht unverbunden nebeneinander bestehen bleiben, zu einer Fragmentierung des Selbst und letztlich Auflösung der Identität führen" (ebd.; 195f). Ihre Befunde jedoch lassen die These zu, daß die Subjekte, denen solchermaßen situative TeilIdentitäten abgenötigt werden, sich eine „übergeordnete Identität erarbeiten" (ebd.; 217), wobei auch Kleidung, so in einer Anmerkung, „zu einem zentralen Mittel der Schaffung des Selbst" werden könne (ebd.; 216). Diese neue Offenheit würde jedoch „für viele Menschen unter weniger privilegierten Bedingungen eine Überforderung darstellen, die nicht mehr in Selbstbestimmung mündet", sondern sich in Anpassung und Fluchten in „eindeutige Identitätsangebote" (Sekten, rechte Gruppierungen z.B.) zu vergewissern versucht (ebd.; 228). Die Fähigkeit, die Chancen der neuen Offenheit zu nutzen, so dem abschließenden Zitat zu entnehmen, hänge wahrscheinlich nicht nur von Persönlichkeitszügen ab, sondern auch ,„von materiellen Möglichkeiten in einer Gesellschaft, in der Identität oft durch erwerbbare Objekte geschaffen und dargestellt wird4" (Wagner, zit. in ebd.; 228). An Veblen (s.o.) sei erinnert. Entlang dieser beiden letzten Marginalien bleibt zu hoffen, daß zumindest der moderne Arbeitsnomade in einer brüchiger werdenden Arbeitsgesellschaft noch bezahlbare Brache4 zur Gestaltung sozialer Landschaften als Nährboden seiner Identitätsarbeit findet. Insofern sieht der Verfasser dieser Anmerkungen den Ergebnissen der FG gespannt entgegen und verbleibt mit dem ganz und gar nicht postmodernen Wunsch im Schulterschluß zum Erkenntnisinteresse der FG, daß ein doch bedenkenswertes Dichterwort von Botho Strauss (2000; 8) fehlgehen möge: „Nichts wird dich Erlösen außer Auflösung.44

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Literatur Behringer, Luise (1998). Lebensführung als Identitätsarbeit. Der Mensch im Chaos des modernen Alltags. Frankfurt/New York.. Birkhölzer, Karl (2000). Das Dritte System als innovative Kraft: Versuch einer Funktionsbestimmung. In: Widersprüche. Heft 75, S. 71 - 88. Bode, Wilhelm & Hohnhorst, Martin v. (1995). Waldwende. Vom Fösterwald zum Naturwald. München. Gray, John (1999). Die falsche Verheißung. Der globale Kapitalismus und seine Folgen. Berlin. Gorz, Andre (1983). Wege ins Paradies. Berlin. Haug, Wolfgang Fritz (1999). Politisch richtig oder richtig politisch. Berlin, Hamburg. Keupp, Heiner (2000). Eine Gesellschaft der Ichlinge? München. Kurz, Robert (1999). Schwarzbuch Kapitalismus. Ein Abgesang auf die Marktwirtschaft. Frankfurt am Main. Lützeler, Paul Michael (1998). Nomadentum und Arbeitslosigkeit. Identität in der Postmoderne. In: Merkur. Heft 9/10, S. 908 - 918. Lyotard, Jean-Francois (1999). Das postmoderne Wissen. Ein Bericht. Wien. Makowski, Henry & Buderath, Bernhard (1983). Die Natur dem Menschen Untertan. Ökologie im Spiegel der Landschaftsmalerei. München. Marx, Karl & Engels, Friedrich (1969). Die deutsche Ideologie. Marx Engels Werke Bd. 3. Berlin. Ders. (1971). Das Kapital. Erster Band. Marx Engels Werke Bd. 23. Berlin. Ders. (1972). Der achtzehnte Brumaire des Louis Bonaparte. Marx Engels Werke Bd. 8. Berlin. Ders. (1974). Grundrisse der Kritik der politischen Ökonomie. Berlin. Münch, Richard (1998). Globale Dynamik, lokale Lebenswelten. Der schwierige Weg in die Weltgesellschaft. Frankfurt am Main. Rothermundt, Rainer (1994). Jedes Ende ist ein Anfang. Auffassungen vom Ende der Geschichte. Darmstadt. Senf, Bernd (1998). Der Nebel um das Geld. Zinsproblematik - Währungssysteme - Wirtschaftskrisen. Lütjenburg. Strauss, Botho (2000). Das Partikular. München, Wien. Tönnies, Ferdinand (1991). Gemeinschaft und Gesellschaft. Darmstadt. Veblen, Thorstein (1997). Theorie der feinen Leute. Eine ökonomische Untersuchung der Institutionen. Frankfurt am Main.

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Epitaph kritischen Denkens Ich habe an anderer Stelle drei grundlegende Methodologien für kritische Psychologie vorgeschlagen (Teo, 1999a; 1999b): Dekonstruktion, Rekonstruktion, Konstruktion. Ich werde diese Methodologien für eine Analyse des Beitrags von Keupp et al. (im weiteren: Keupp) anwenden. Unter Dekonstruktion verstehe ich eine kritische Analyse, die allerdings nicht mit Derrida's Programm zu verwechseln ist. Unter Rekonstruktion verstehe ich das historische und theoretische Nachzeichnen von Bewußtseinsformen. Dabei versuche ich, den Wandel kritisch-gesellschaftstheoretischer Konzeptualisierungen kurz nachzuzeichnen. Unter Konstruktion verstehe ich Hinweise, die zu einer besseren Terminologie, Konzeptualisierung, oder Forschung führen können. Ich versuche - aus meiner Perspektive - Vorschläge für konkrete Forschung zu machen. Diese drei Methodologien treten nicht rein auf und Überlappungen sind selbstverständlich. Das heißt zum Beispiel, daß auch in diesem Beitrag Dekonstruktionen konstruktiv aufgefaßt werden sollen.

Dekonstruktion Ich bin mir bewußt, daß Forschungsanträge für ein spezifisches Gremium geschrieben sind, und daß ein Zeitschriftenartikel Keupps zu diesem Problem anders aussehen würde. Offensichtlich kann ich jedoch nur auf den Text bezug nehmen, wie er niedergeschrieben und mir zugeschickt wurde. Da ich auf meiner Kopie keine Seitenangabe finde, kann ich für einzelne Zitate keine präzisen Verweise machen. Ich möchte auch unterstreichen, daß meine kritischen Kommentare keineswegs als persönliche Attacke beabsichtigt sind. Im Gegenteil: Keupp ist persönlich sehr umgänglich und sympathisch. In diesem Sinne ist dieser Kommentar als solidarische Kritik intendiert, und ich hoffe, daß ihre konstruktiven Impulse gesehen werden können.

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Der Zusammenhang von Gesellschaft und Individuum war und ist eine Kernfrage gesellschaftstheoretischer Reflexion. In der gesellschaftskritischen Tradition vom Sozialphilosophen Marx zur kritischen Theorie, und von der kulturhistorischen Schule zur kritischen Psychologie wurden Ideen entwickelt, wie dieser Zusammenhang gedacht werden kann. Das Ensemble gesellschaftlicher Verhältnisse (Marx), die Zone der nächsten Entwicklung, das Konzept der Internalisierung (Wygotsky), oder die Handlungsfähigkeit (Holzkamp) stellen Begriffe dar, die es ermöglichen sollten, den Prozeß der Sozialisation zu fassen. Sie können m.E. auch den Prozeß der reflexiven Modernisierung auf der Subjektseite erhellen. Diese Begriffe, wie auch der Begriff der Individualisierung, benötigen allerdings ein Verständnis der Begriffe von Gesellschaft und Subjekt. Keupps Beitrag klärt uns über dies Begriffe nicht mehr auf: Ihre Konzeptualisierung wird der zeitgenössischer Soziologie entlehnt. Herkömmliche kritische Konzepte zum Begreifen von Gesellschaft und Subjekt referieren auf Kapitalismus (Marxismus), Patriarchat (Feminismus) oder Imperialismus (Befreiungsbewegungen). Diese Begriffe, die zugleich eine bestimmte Utopie ausdrückten, sind zunehmend in den Hintergrund getreten, da alle Befreiungsbewegungen ideologisch und praktisch ausgehöhlt worden sind. Die mannigfaltigen Gründe dafür können hier nicht diskutiert werden. Beliebter sind in der Zwischenzeit Konzepte wie Industriegesellschaft, Freizeitgesellschaft, Mediengesellschaft, Informationsgesellschaft, Moderne oder Postmoderne, Postindustriegesellschaft, Globalgesellschaft, usw. Begriffe sind ein wichtiges Instrument zur Erfassung (oder Konstruktion) von sozialer Wirklichkeit. Begriffe machen, mit Kant gesprochen, bestimmte Erfahrungen erst möglich. So macht der Begriff des Patriarchats bestimmte sexistische Beobachtungen verständlich. Holzkamp (1973) hat vor beinahe 30 Jahren anschauliches und begreifendes Denken unterschieden. Wir müssen hier nicht seiner Grundlegung dieser Unterscheidung zustimmen, aber es reicht, den Geist dieses Begriffspaares zu verstehen. Ich denke, daß Begriffe wie Kapitalismus, rekonstruiert für die Gegenwart, ein Begreifen von gesellschaftlicher Wirklichkeit ermöglichen. Das heißt nicht, daß wir uns mit Marxschen Analysen zu-

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friedengeben sollen oder müssen. Habermas (1995) spricht das klar aus: „Gewiß sind die theoretischen Grundlagen der Marxschen Kapitalismuskritik überholt. Aber eine kalte Analyse der zugleich befreienden und entwurzelnden, der produktiven und destruktiven Auswirkungen unserer ökonomischen Organisation auf die Lebenswelt haben wir doch heute nötiger denn je" (S. 92). Niemand kann bestreiten, daß Metaphern eine bedeutende Rolle im wissenschaftlichen Prozeß spielen. Sie behindern ihn aber auch. Metaphern erlauben kein Begreifen, sondern nur anschauliches Denken. In Keupps Beitrag wird ein Weg bestritten, nach dem Begriffe und Begreifen aufgegeben werden. Der Mangel an Abstraktion wird durch eine Inflation von Metaphern abgedeckt. Die begriffliche Abstraktion, einst als Ergebnis des Forschungsprozesses gedacht, wird entsorgt und spielt keine Rolle mehr. Die notwendige Explikation von Begriffen wird durch die Einführung neuer Begriffskomplexe ersetzt, und so sind wir plötzlich mit posttraditionale Ligaturen konfrontiert. Ehrlich gesagt verstehe ich bis heute nicht genau, was mit diese Terminologie gemeint ist (einige Leser und Leserinnen werden nun den Titel meines Beitrags kritisieren). Das spricht allerdings noch nicht gegen Keupp, der sich teilweise des Metaphernproblems bewußt ist, aber nicht mehr gewillt scheint, Gesellschaft in abstrakten Kategorien zu beschreiben und erklären. Keupp schwimmt in Metaphern. Gesellschaft wird zum Topos, Ort, einer sozialen Landschaft. Kultur wird zum Garten, der Staat zum Gärtner, Container, sozialen Gehege, zum Rhizom. Gesellschaft metamorphisiert zum agroindustriellen Feldersystem mit Biotopen. Keupps Subjekt wird zum Baumeister und als Fischernetz mit Knoten und Schnüren operationalisiert. Er artikuliert nur marginal Probleme mit der Biologisierung und Geographisierung des sozialpsychologischen Diskurses, wenn er Hinweise auf die menschliche Gestaltung von Natur macht. Daß Psychologie sich nicht mehr an der Physik, sondern an der Biologie orientiert, sollte inzwischen klar geworden sein, und daß eine kritische Perspektive der zunehmende Biologisierung des psychologischen Diskurses etwas entgegensetzen und ihn nicht reproduzieren sollte, wird nicht mehr gedacht. Freilich erfindet Keupp diese Begriffe nicht. Er greift auf

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respektable Soziologen und postmoderne Gedankengüter zurück und so ist es verständlich, daß seine Konzeptualisierung von Subjektivität und Identität der neuesten soziologischen Mode folgt. Keupp erwähnt in seinem Antrag Deleuze und Guattari (1987) als positive Theoretiker. Nun ist es nicht schwierig, die beiden Franzosen gegen Keupp zu wenden. Beide kritisieren nämlich die Moderne im Sinne, daß sie Vielheit beansprucht und denkt, sie aber nicht realisiert. Es ist eine Ironie, daß die Mandarine des postmodernen, und in der Zwischenzeit des post-postmodernen Diskurses, die Vielheit der geisteswissenschaftlichen Diskurses beanspruchen, um die Unmöglichkeit einer Grundlegung von Descartes bis Habermas zu rechtfertigen, auf der anderen Seite, die Multiplizität in ihren eigenen Arbeiten aber ignorieren. Anstelle von phantasierten Unterschieden und Prämissen, empfehle ich detaillierte Studien, die z.B. den tatsächlichen Unterschied zwischen westlichem und östlichem Denken nachzeichnen: Paranjpe (1998) hat eine ausgezeichnete Studie zum Vergleich der Konzeptualiseirung von Identität und Subjektivität im westlichen und indischen Diskurs vorgelegt, und konnte in der Vielfalt des Diskurses innerhalb der Kulturen, sowohl Unterschiede als auch signifikante Ähnlichkeiten zwischen den Kulturen nachweisen. Keupp, der Differenz und das Patchwork der Minderheiten in Anspruch nimmt, denkt Gesellschaft und Subjektivität nur westlich und ahistorisch. Keupp, in westlicher Terminologie gefangen, verwendet lokale Metaphern, die sich auf den Kontext Deutschland und dort nur auf bestimmte Gruppen irgendwie anwenden lassen. Eine Berücksichtigung von „postcolonial studies" könnte seine Studie in eine Richtung bringen, die den kritischen Geist besser aufgehoben hätte. Keupp repräsentiert einen Paradigmenwechsel in kritischer Psychologie: Traditionell kritische Begriffe werden aufgegeben und neue, meines Erachtens weniger relevante, eingeführt. Dabei verliert Keupp einen zentralen Gegenstand kritischen Denkens. Wenn kritische Geister über Gesellschaft, Individuum, Subjektivität und Individualisierung nachdenken, dann spielte Hierarchie eine zentrale Rolle. Es fällt mir schwer, Individualisierung oder posttraditionale Ligaturen (so weit ich sie verstehe) außerhalb des Zusammenhangs von Macht, Herrschaft,

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Dominanz zu denken. Auch der Baumeister der Gesellschaft findet sich in solchen hierarchischen Strukturen (s. Moane, 1999). Ich schlage nun nicht vor, das Subjekt als permanentes Opfer zu formalisieren, sondern, daß ein solcher Reflexionsprozeß durchaus die Dialektik zwischen Herr und Knecht zulassen kann, wie es im Konzept der Kollaboration ausgedrückt wird, und wie Foucault den konstitutiven Anteil von Macht an Subjektivität nachgewiesen hat. Es ist eine simple Prämisse kritischen Denkens, daß nicht jeder und jede den gleichen Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen hat. Mit diesem Paradigmenwechsel kritischer Psychologie gehen nicht nur die Begriffe verloren, sondern auch deren praktische Intention. Die meisten kritischen akademischen Analysen sind nicht praktisch, sie haben aber immer eine praktische Intention ausgedrückt. Das trifft auch auf meine eigenen Studien zu, die keineswegs praktisch sind. In Keupps Analyse finde ich allerdings kein emanzipatorisches Momentum mehr.

Rekonstruktion Der Paradigmenwechsel in kritischer Psychologie ist keineswegs rational und notwendig, um mit Kuhn (1962) zu sprechen. Natürlich kann man meiner Kritik vorwerfen, daß das Festhalten an alten Paradigmen und Begriffen ebenfalls keineswegs rational und notwendig sei. Ich finde aber gute Gründe, warum ein Paradigmenwechsel verständlicher ist als das Beibehalten am alten - gerade für eine neue Generation. Um Zusammenhänge für diesen Paradigmenwechsel anschaulich zu machen, möchte ich nun selber einige Metaphern beanspruchen. Ich habe die Entwicklung kritischer Psychologie mit den vier Jahreszeiten verglichen (Teo, 1998). Als Frühling verstand ich das Auftauchen kritischer Psychologien im Zusammenhang mit der Entwicklung der deutschen Studentenbewegung in den späten 60er Jahren. Als Sommer dachte ich die Entwicklung theoretischer Alternativen in den 70er Jahren. Anzeichen der Krise wurden in den 80er Jahren offensichtlich, dem Herbst kritischer Psychologien, außerdem eine Dekade, in der viele westliche Industrienationen in Richtung Neokonservativismus schritten, der kritische Diskurs sich vermehrt auf postmoderne Ideen stützte, und

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der Untergang realsozialistischer Länder, linke Projekte als überholt erscheinen ließ. Die 90er Jahre sind dann als langer Winter zu bezeichnen. Keupps Beitrag in „Psychologie und Gesellschaftskritik" markiert für mich den endgültigen „Dominanzwechsel", nach dem kritische Psychologie in Deutschland eine andere Richtung nimmt. In diesem Sinne lese ich Keupps Antrag als Epitaph für kritische Psychologie. Das allgemeingeschichtliche Problem für kritische Psychologie ist, daß die Menschheit sich keineswegs in einer Weise verhielt, wie es vom traditionell kritischen Diskurs vorausgesagt wurde. Prognostiziert wurde das Ende des Kapitalismus, weil der Besitz von Produktionsmittel in den Händen von einigen der allgemeinen Entwicklung der gesellschaftlichen Natur der Produktion widerspricht (Marx). Wenn man sich die Situation am Beginn des 21. Jahrhunderts nüchtern anschaut, muß man wohl zugeben, daß der Kapitalismus in den Industrienationen mehr oder weniger blüht und von der Mehrzahl der Bevölkerung Unterstützung erhält. Der Zusammenbruch der Länder, die sich zu Marxismus, Sozialismus, und Kommunismus bekannten, war der endgültige Todesstoß für sozialistische Hoffnungen. Auch in diesem Kontext ist Keupps Antrag zu verstehen. Die Sozialgeschichte kritischer Psychologien im deutschsprachigen Kontext ist der obigen Geschichte nicht unähnlich. So mancher kritische Psychologe hatte angenommen, daß traditionelle Psychologie verschwinden würde, sobald der Kapitalismus vernichtet sei, oder sobald Psychologinnen begriffen, daß es Alternativen zum Mainstream gibt, und sobald Betroffene realisierten, daß traditionelle Psychologie, trivial, kurzsichtig und beliebig ist, und keine Bedeutung für die Mehrheit der Menschen hat. Tatsache ist, daß Mainstream-Psychologie blüht und deutschsprachige kritische akademische Psychologie institutionell dahinsiecht. Die Nachfrage nach kritischen Inhalten hat sich verändert: Viele Studentinnen wollen kein kritisches Wissen mehr erwerben, sondern sich Know-how aneignen, das vermarktet werden kann. Auch in diesem Kontext ist Keupps Antrag zu verstehen. Die intellektuelle Geschichte zeigt einen Päradigmenwechsel der kritischen Reflexionen vom Marxismus zum Poststrukturalismus und

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Postmoderne (s. Rosenau, 1992) - nicht nur bei Keupp. Prinzipien wie Emanzipation, Ausbeutung, Klasse, Herrschaft, Kapital und Klassenkampf sind verschwunden. An ihre Stelle treten Differenz, Ästhetik, Vielheit, Pluralität, Affirmation und posttraditionelle Ligaturen. Ist aber das Problem der Ausbeutung und Entfremdung verschwunden? Nein, sie sind nicht verschwunden. Es ist aber nicht mehr sexy, sich mit diesen Dingen auseinanderzusetzen. Auch in diesem Kontext ist Keupps Antrag zu verstehen. Ich behaupte nun nicht, daß Keupp ein falsches Bewußtsein hat oder eine ideologische Funktion erfüllt. Niemand kann Keupp vorschreiben, was er untersuchen soll! Dieser Satz muß natürlich präziser gefaßt werden: Seine kritische Kollegen und Kolleginnen können Keupp nicht vorschreiben, was er erforschen soll. Andere externe Einflüsse wirken nicht als Zwang und werden als freie Wahl empfunden. Dieser Sachverhalt selbst wäre eine interessantes Forschungsprojekt. Keupp betreibt keine Gesellschaftskritik oder kritische Psychologie mehr - nach meinen Kriterien. Auf der anderen Seite erforscht er Phänomene, die auch außerhalb des psychologischen Mainstreams liegen. In diesem Sinne gehört er zur Avantgarde des sozialpsychologischen Diskurses und gehört ihm mein marginales Interesse.

Konstruktion Zunächst einige triviale Gedanken zur empirischen Analyse: Individualisierung und Vergesellschaftung stellt sich für Menschen aus unterschiedlichen Klassen, Geschlechtern, Ethnizitäten, etc. anders dar. Nicht weil diese Kategorien essentielle oder ontologische Verbindungen aus. drückten, sondern weil sie in der westlichen Gesellschaft eine bedeutende Rolle spielen. Klasse determiniert nicht Erfahrungshorizonte von Subjekten, sondern legt einen ursprünglichen Rahmen vor, der natürlich überwunden werden kann, dennoch eine Tendenz ausdrückt. Man kann die Spezifität je meiner Begehung von sozialen Landschaften als weiblicher Immigrant in der Freiwilligen Feuerwehr oder in Greenpeace in einer empirischen Forschung unterschlagen. Dies bedeutet aber die Ausblendung von wichtigen Dimensionen. Keupp sollte sich auch Gedanken

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machen, was das methodologische Ziel seiner Forschung ist: Kausalität, Generalisierung, Typologie, Einzelfallbeschreibung, Phänomenologie? Was mich am Formenwandel sozialer Gesellschaften, der Individualisierung und Vergesellschaftung interessiert, paßt wahrscheinlich nicht in das Forschungsprogramm von Keupp. Ich erwähne hier Phänomene, die ich im nordamerikanischen Kontext beobachtet, aber keineswegs irgendwie systematisch oder theoretisch entwickelt habe. Diese Beobachtungen, vielleicht vorgeformt durch eine traditionell kritische Brille, sind wahrscheinlich mit Keupps Untersuchung inkompatibel. Dennoch möchte ich sie hier nennen. Zunächst fällt mir die Dialektik von Individualisierung und Uniformität ein. Ich war überrascht, daß im hypostasierten Schlaraffenland des Individuums (i.e. USA) so viele Menschen so viele gleiche Interessen und Bedürfnisse haben. Die Unterschiede scheinen vielfach nur quantitativ und nicht qualitativ zu sein. So sind in der Jugendkultur Musikund Modewünsche sehr ähnlich und in der Erwachsenenkultur werden Ziele und Träume vorgegeben, denen sich nur wenige zu entziehen scheinen: A well-paid job, a house in suburbia, a car, preferably a SUV (sport utility vehicle - such as a Jeep), and children who attend private school to ensure a marketable education. Diese Bedürfnisse fallen natürlich nicht vom Himmel und sind im Zusammenhang mit der politischen Ökonomie zu sehen. Individuelle Schuldenberge erzeugen Motivationen und Loyalitäten. Mich würde eine Studie zu diesen Subjektivitätsformen interessieren. Der soziale Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält, kann in der Gemeinschaft, nationalen Symbolen, Verfassung, Religion, etc. gefunden werden, aber es kann m.E. nicht bestritten werden, daß Kapital und Geld eine enorme Rolle spielen. Die Organisation von Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft in Nordamerika führt zu einer totalen Unterstützung des Kapitalismus, nicht nur auf ideologische, sondern auf praktische Weise. In Kanada, in Bezug auf das gesellschaftliche System eine Mischung aus Westeuropa und USA, gibt es minimale staatlich unterstützte Pensionen. Individuen müssen daher in eine zusätzliche Pension,

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firmenfinanziert oder/und privat, in einen RSP (retirement savings plan) einzahlen, für den man Steuererleichterungen erhält. Die meisten RSPs von Unternehmen und Individuen sind an der Börse investiert. Da Individuen offensichtlich um ihre Pension besorgt sind, haben die meisten Investorinnen ein genuines Interesse, daß die Unternehmen, in die sie investieren, große Profite einfahren, oder zumindest daß es keine nennenswerten Krisen gibt, und der Markt funktioniert. Schlaue Investorfirmen haben „Ethical Funds" entwickelt, nach denen nur in Unternehmen investiert wird, die ihr Geld nicht mit Tabak, Pornographie, Militär, Umweltzerstörung und Ausbeutung von Dritteweltländer machen. Abgesehen davon, daß die ethischen Kriterien relativ vage sind, besteht die Funktion dieser „ethical funds" darin, daß man sein Gewissen beruhigen kann, daß man ein guter Kapitalist ist. Mich würde eine Studie zu diesen Subjektivitätsformen interessieren. Eine ähnliche Konstellation ergibt sich im Zusammenhang mit der Aushöhlung des Wohlfahrtsstaates durch karitatives Spenden. In Nordamerika gibt es fast einen gesellschaftlichen Zwang zum Spenden. Spenden wird als eine Möglichkeit gesehen, in der das gelobte Individuum über sein Geld entscheidet. Wenn religiöse Fundamentalisten fürchten, daß ihre Steuern für Abtreibungen verwendet werden, dann erlaubt ihnen das private Spenden, einen Zweck nach ihrem Interesse auszusuchen: eine „pro-life" Organisation, zum Beispiel. In Kanada zieht sich der Staat immer mehr aus sozialen Ausgaben zurück und es werden Individuen und Unternehmen gebeten, mit ihren Spenden Obdachlose, Alleinerziehende, hungernde Kinder, Spitäler, Universitäten usw. zu unterstützen. Konzerne und Banken haben auf der einen Seite ein geringere Steuerlast, auf der anderen Seite, können sie durch ihr Spendenbudget ihr Image aufpolieren, wenn sie Geld für Krebsforschung u.a. zur Verfügung stellen, und ihr Name auf einer Plakette in dem entsprechenden Gebäude verewigt ist. Public relations und Werbung erreichen ungeahnte Höhen. Die Regierung in Ontario doppelt den Zuschuss für ihre Universitäten in Abhängigkeit davon, wie viel „fund raising" erzielt wurde. Erlangt eine Universität Spenden von fünfzig Millionen Dollar, so stellt

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die Regierung zusätzlich fünfzig Millionen Dollar zur Verfügung. Es ist dann nicht unverständlich, daß Administratoren, die übrigens über enorme Geldflüsse verfügen und deswegen die höchsten Gehälter an den Universitäten erzielen, ihre Professorinnen dazu auffordern, für ihre jeweilige Universität zu spenden - je mehr desto besser. Andere Großorganisationen wie Spitäler haben ihre eigene Lotterie, um ihr Budget zu garantieren. Mich würde eine Studie zu diesen Subjektivitätsformen interessieren. Außerdem finde ich die Relevanz von Massenmedien, speziell des Fernsehens, für die Solidarität und Gemeinschaftsgefühle in einem Staat faszinierend. So behaupte ich, daß die TV Shows „Friends", „ER", „Felicity" und soap operas wie „The Young and the Restless" oder Quiz Shows wie „Who wants to be a millionaire" - und selbstverständlich Sportübertragungen - ein enorm wichtiges Bindeglied in einer multikulturellen Gesellschaft mit riesigen Unterschieden darstellt. Ich kann mich mit jemanden aus New York, Seattle, Tucson, Montreal oder Anchorage, wenn ich auch sonst nichts teile, über die Hochzeit von zwei Charakteren in einer dieser Shows verständigen. In der nordamerikanischen Gesellschaft, in der Mobilität und riesigen Distanzen zum Alltag gehören, können Verbindungen über diese unifizierenden Medien hergestellt werden. Mich würde eine Studie zu diesen Subjektivitätsformen interessieren. Keupp kann wahrscheinlich mit dieser simplen Phänomenologie nichts anfangen, da sie in einem anderen Kontext entstanden ist. Sie hat, so weit ich sehe, nichts mit seinem Forschungsprogramm zu tun. Was mir bleibt, ist einem Kollegen viel Glück mit seinem Forschungsprojekt zu wünschen. Glückwünsche zu seiner erfolgreichen Forschungsförderung sind angebracht.

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Literatur Deleuze, G., & Guattari, F. (1987). A Thousand Plateaus: Capitalism and schizophrenia (B. Massumi, Trans.). Minneapolis: University of Minnesota Press. Habermas, J. (1995). Die Normalität einer Berliner Republik: Kleine Politische Schriften VIII. Frankfurt am Main: Suhrkamp. Holzkamp, K. (1973). Sinnliche Erkenntnis: Historischer Ursprung und gesellschaftliche Funktion der Wahrnehmung. Frankfurt/Main: Athenäum. Kuhn, T. S. (1962). The structure of scientific revolutions. Chicago: University of Chicago Press. Moane, G. (1999). Gender and colonialism: A psychological analysis of oppression and liberation. London: MacMillan. Paranjpe, A. C. (1998). Self and identity in modern psychology and Indian thought. New York: Plenum. Rosenau, P. M. (1992). Post-modernism and the social sciences: Insights, inroads, and intrusions. Princeton, NJ: Princeton University Press. Teo, T. (1998). Die vier Jahreszeiten kritischer Psychologie. Psychologie und Gesellschaftskritik, 22 (2/3), 7-26. Teo, T. (1999a). Functions of knowledge in psychology. New Ideas in Psychology, 17 (1), 1-15. Teo, T. (1999b). Methodologies of critical psychology: Illustrations from the field of racism. Annual Review of Critical Psychology, 1, 119-134.

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Produktions- und Lebensweisen Zum Formenwandel von Subjektivität im Übergang von Fordismus zum High-Tech-Kapitalismus

Die Befreiung kann uns nicht gegeben werden, wir müssen sie selbst erobern. Erobern wir sie nicht selbst, so bleibt sie für uns ohne Folgen. Wir können uns nicht befreien, wenn wir nicht das System, das uns unterdrückt, und die Bedingungen, aus denen das System erwächst, beseitigen. Wie aber soll die Befreiung nun von uns ausgehen, wie sollen die Umwälzungen vollzogen werden, wenn wir immer nur gelernt haben, uns zu fügen, uns unterzuordnen und auf Anweisungen zu warten. Peter Weiss, Ästhetik des Widerstands I, S. 226

Eingreifendes Denken Der vorliegende Beitrag der Münchener Forscherinnengruppe stellt die Frage danach, wie die gesellschaftlichen Veränderungen die Art und Weise verändern, in der sich Individuen vergesellschaften. Damit greift sie - ganz im Gegensatz zur Mainstreampsychologie, die solche Zusammenhänge höchstens reaktiv wahrnehmen kann - eine entscheidende Fragestellung auf. Es geht um die in enormem Tempo stattfindenden wirtschaftlichen, sozialen und damit gesamtgesellschaftlichen Veränderungen und ihre Auswirkungen auf das Alltagsdenken, -fühlen und -handeln der Subjekte, die noch kaum verstanden sind. Die Chancen eines solchen Forschungsprojekts liegen darin, diejenigen Vergesellschaftungsformen und -muster analytisch aufzuschlüsseln, die im Rahmen der sozio-ökonomischen Veränderungen der letzten Jahrzehnte den Subjekten nahegelegt werden. Allerdings sind Wissenschaftlerinnen, die diesen komplexen Zusammenhang untersuchen und beforschen wollen, sofort mit der Frage konfrontiert, welche Begrifflichkeiten sie verwenden sollen,

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um den für alle wahrnehmbaren gesellschaftlichen „Umbruch" zu beschreiben. Die Wahl der Begriffe und ihre Verwendung zeigen an, welchen Standpunkt die Forscherinnen zu ihrem Forschungsgegenstand einnehmen. Die Auswahl der Begriffe birgt aber noch mehr in sich: Begriffe und ihre Bedeutungen können zu eingreifendem Handeln befähigen, sie können „Träger von Hoffnung wie von Verzweiflung" (Haug 1997, S.720) sein. Träger von Hoffnung werden Begriffe dann, wenn die Subjekte mit ihnen die Verhältnisse als veränderbare begreifen und denken können: als historisch gewordene und damit auch durch individuelle, kollektive und institutionell eingebundene politische Kämpfe zu überwindende Verhältnisse. In Zeiten von durch Exil bedingter Ohnmacht was sein Eingreifen in politische Verhältnisse seiner Heimat betrifft schreibt Bertolt Brecht der Verwendung richtiger Begriffe eine entscheidende Bedeutung zu: „Die Begriffe, die man sich von was macht, sind sehr wichtig. Sie sind die Griffe, mit denen man die Dinge bewegen kann" (Brecht, 1967b, S.1461). Und von ihm stammt auch der Begriff des „eingreifenden Denkens", der sich vor allem an Intellektuelle wendet. Der durch die gesellschaftliche Arbeitsteilung entstandene „Kopfarbeiter" kann sich ohne weiteres in einem Elfenbeinturm verkriechen; er kann aber auch theoretisch-praktisch arbeitend, „sich im Blick aufs antagonistische Feld der Klassenverhältnisse, worin »Kopfarbeit« situiert ist, und in der Perspektive ihrer Überwindung in die gesellschaftlichen Auseinandersetzungen" (Ruoff Kramer, 1997, S.156) einmischen. Ausgangspunkt meiner folgenden Überlegungen ist die - momentan auch in kritisch-psychologischen Kreisen immer seltener formulierte Behauptung, dass die kapitalistischen Verhältnisse Grundlage und Ursache für Ungerechtigkeit und Leiden in vielfältigen Formen sind. Ob Ausprägung und Umgang mit psychischer Krankheit, ob Entstehung und Auswirkung von Mobbing in Betrieben und Verwaltungen, ob Suchtverhalten, ob Gewalt bei Jugendlichen, ob wissenschaftlicher Glaube an Objektivität; alle diese Alltagsphänomene sind nur zu verstehen, wenn sie zusammengedacht werden mit ihrer Formierung durch die zugrundeliegende Weise der Produktion und Reproduktion des Lebens einer bür-

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gerlichen Gesellschaft, deren wichtigste Grundlage nach wie vor die gesellschaftliche Spaltungslinie zwischen Lohnarbeit und Kapital darstellt.1 Im Folgenden soll überprüft werden, ob und inwieweit die theoretischen Vorarbeiten der Münchener Forscherinnengruppe im Sinne einer eingreifenden und die Subjekte zu Veränderung befähigenden Theorie dazu beitragen können, ein Projekt der Befreiung und Überwindung dieser Verhältnisse zu unterstützen. Dabei soll nicht verschwiegen werden, dass die Verortung der Forscherinnengruppe an einem Sonderforschungsbereich zum Thema „Reflexive Modernisierung" und damit um Theoreme von Ulrich Beck und Anthony Giddens eine produktive Kritik schwierig macht. Ulrich Beck und Anthony Giddens haben sich - was aktuelle politische Auseinandersetzungen betrifft - in einem Maße der Politik von Tony Blair und Gerhard Schröder selbstverpflichtet,2 dass eine „kritisch-theoretische und empirische Evaluierung" von deren Konzepten, wie sie sich die Forscherinnengruppe zum Ziel gemacht hat, sich auch als falscher Weg erweisen könnte. Denn wieso sollte man etwas kritisch-theoretisch weiterentwickeln oder gar bestätigen wollen, was sich inzwischen als ideologischer Unterbau einer modernisierten neoliberalen Variante von Sozialdemokratie herausgestellt hat?3 Die Chancen der Forscherinnengruppe und ihrer zukünftigen Arbeit liegen genau darin, solche Vorannahmen, die alle Forscherinnen in Rahmen von Forschungssettings treffen müssen, in Frage stellen zu können. Insofern ist dieser Beitrag als* wohlwollend zu sehen: er versteht sich als Kritik, die zur produktiven Auseinandersetzung innerhalb und außerhalb des Forschungssettings beitragen will. Die Widersprüche und Unklarheiten, die sich in dem Text „Formenwandel" finden lassen, sollen nicht personalisiert werden und als „Fehler" oder „falsche Grundannahmen" der Forscherinnen disqualifiziert werden. Vielmehr soll es darum gehen, diese Widersprüche und Ungereimtheiten als noch nicht bearbeiteten Ausdruck der gesellschaftlichen Umbruchssituation zu sehen. Ein Streit um Begriffe ist deshalb der Versuch, einerseits die gesellschaftlichen Verhältnisse zu verstehen und andrerseits den ideologischen Vernebelungen und den verantwortlichen Nebelwerfern ä la Beck und Giddens etwas entgegenzusetzen mit dem Ziel, dass der Mensch in gesellschaftlichen

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Verhältnissen leben kann, in denen er nicht mehr „ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist" (Marx 1983a, S.385).

Reflexive Modernisierung oder neue Produktionsweisen Das Anliegen, gesellschaftliche Veränderungen und Vergesellschaftungsformen von Subjekten zu untersuchen, benötigt an erster Stelle eine Vorstellung und einen Begriff von Gesellschaft. Im Vorwort und im ersten Kapitel des Textes „Formenwandel" suchen die Autorinnen nach einem Bild, mit dem man/frau sich Gesellschaft auf eine vernünftige Art und Weise erklären kann. So „kann (man) sich Gesellschaft als einen ,Topos4, einen - ebenso imaginären wie realen - Ort vorstellen, der durch das Geflecht der sozialen Beziehungen gebildet wird".4 Dieser Ort und seine sozialen und die darin enthaltenen individuellen Landschaften seien momentan einem „gesellschaftlichen Wandel" ausgesetzt: Es komme - auf der Seite der Subjekte - zur „immer deutlicheren Auflösung der Basissicherheiten und Strukturen der ,einfachen Moderne4". Die Forschungsfrage, die sich daraus ergibt, heißt: Welche „posttraditionalen Ligaturen" bilden sich in Folge dieses Wandels aus. Der Versuch, den nicht näher spezifizierten Wandel mit Begriffen wie „gesellschaftliche Veränderung", „Moderne" oder gar „einfache Moderne" zu fassen, greift meines Erachtens zu kurz. Dass sich jede Gesellschaft in einem permanenten Veränderungsprozess befindet, ist eine Selbstverständlichkeit. Was sind aber die Ursachen, Gründe und Hintergründe für den aktuell stattfindenden (d.h. die letzten 20 Jahre betreffenden) Wandel bzw. Umbruch? Auf diese Fragen gibt das „Formenwandel"-Papier keine Antwort, weil sich die Autorinnen zu schnell auf die „Veränderung der sozialen Landschaften4' und die Überlegungen zum aktiven Potenzial der Subjekte in diesem Veränderungsprozess begeben. Keine Frage: All4 die Überlegungen zu diesen für eine reflexive und kritische Sozialpsychologie entscheidenden Forschungsfragen, deren Praxisrelevanz offensichtlich ist (was die Forscherinnengruppe jedem psychologischen Mainstreamdenken voraus hat), sind bedeutsam. Doch wie sollen Solidaritäts-, Aktivitäts- und Vergemeinschaftungspotenziale von

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Subjekten und sozialen Gruppen untersucht werden, wenn der Rahmen, in dem sich diese ausbilden könnten bzw. unterdrückt werden, begrifflich nicht klar gefasst wird?

Moderne und Modernisierung Besonders auffällig ist der Bezug der Forscherinnen auf den „ModernenBegriff, der trotz - oder gerade wegen - seiner Beliebtheit und Beliebigkeit in Frage gestellt werden soll. Zygmunt Bauman, auf den Bezug genommen wird, sieht mit dem Begriff der „Moderne" eine historische Periode bezeichnet, die „in Westeuropa mit einer Reihe von grundlegenden sozio-strukturellen und intellektuellen Transformationen des 17. Jahrhunderts begann und ihre Reife erreichte (1) als ein kulturelles Projekt mit dem Entstehen der Aufklärung; (2) als eine sozial vollendete Lebensform - mit dem Entstehen der industriellen (kapitalistischen und später auch kommunistischen) Gesellschaft" (Bauman 1992, S.348). Dass Bauman nicht in der Lage ist, die historischen Besonderheiten der kapitalistischen Entwicklung und ihrer (auch in Westeuropa in den einzelnen Nationen differierenden) Sozialtechnologien von denen der spezifisch stalinistischen Disziplinar-, Ordnungs- und Tötungstechniken zu unterscheiden, hängt mit seiner idealistischen Vorstellung der Moderne zusammen, die durch einen „modernen Geist" und einen „Drang zur Vollkommenheit" (ebd., S.45) gekennzeichnet sei. Weil dieser Geist das „hervorstechendste Merkmal der Moderne" (ebd.) gewesen sei, deshalb werden die deutschen Faschisten und Hitler gemeinsam mit Stalin und der kommunistischen Partei der Sowjetunion in einen Topf geworden. Wenn eine deutsche Forscherinnengruppe diesen Zusammenhang thematisiert, dann hat sie die Möglichkeit, die Theorieentwürfe Baumans zu hinterfragen. Die Autorinnen des „Formenwandel"-Papiers schreiben aber Baumans Überlegungen fort (wobei sie die stalinistischen Verbrechen vor die faschistischen setzen) und übernehmen auch Baumans Begründungsmuster: „Hinter den Bemühungen zur Herstellung und Aufrechterhaltung von Ordnung stand also (...) die tief sitzende Angst vor der Uneindeutigkeit und der Ambivalenz". Am Schluss einer Überlegung zur

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Entstehung der Moderne, die sich wenigstens noch ansatzweise auf den Zusammenhang von Produktivkraftentwicklung und Produktions- wie Lebensweisen beruft (Baumans „sozial vollendete Lebensform"), bleibt als Ursachenerklärung für „die sozialen Landschaften der Moderne" ein psychologisches Konstrukt übrig: die Angst vor Uneindeutigkeit. Entnannt werden in dieser Verschiebung von ökonomisch-strukturellen zu subjektiv-sozialen Ursachenerklärungen sowohl die je spezifischen gesellschaftlichen Formationen als auch die Tatsache, dass diese Gesellschaften in sich gespalten waren und (was die kapitalistische Formation betrifft) mehr denn je sind. Nicht beim Namen genannt sind damit auch die Machtverhältnisse, die die genannten gesellschaftlichen Systeme ausbilden und sie stützen: das Klassenverhältnis (die Angst vor Uneindeutigkeit hatte bei Thyssen & Krupp andere Handlungen zur Folge als bei den verelendenden Arbeiterinnen) und das Geschlechterverhältnis (Männer konnten beispielsweise in der „Moderne" problemloser promisk sein als Frauen, bei denen eine solche Lebensform zu sozialer Ausgrenzung und regionaler Vertreibung führte). Und ebenfalls nicht genannt sind diejenigen Institutionen oder - mit Althusser gesprochen ideologischen Staatsapparate (1977), die dadurch gekennzeichnet sind, dass sie einerseits von Subjekten gemacht sind und dass sie andrerseits an der „Herstellung" (Subjektion) der Individuen beteiligt sind. Diese Machtverhältnisse sind es aber, die den „sozialen Landschaften" eine Struktur geben, die unzweifelhaft von großer Bedeutung für die Vergesellschaftung der Subjekte ist. Auch Begriffe wie der einer „reflexiven Moderne" bzw. einer „zweiten Moderne" tragen nicht unbedingt dazu bei, die sozialen Ausgrenzungsprozesse bzw. widerständige Formen individueller Vergesellschaftung adäquat abzubilden. Vielmehr individualisieren deren Erfinder (Beck, Giddens und Lash) damit die Risiken und Chancen dessen, was sie „Moderne" nennen und versuchen, reale Macht- und Ohnmachtstrukturen in Ökonomie und Gesellschaft als relativ belanglos für subjektive Handlungspotenziale auszuweisen (vgl. vor allem Giddens 1997). Individuelle Ressourcen und Kompetenzen werden somit als

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maßgebend für die subjektive Verortung und die gesellschaftliche Integration aber auch für die Ausgrenzung von Individuen behauptet.

Epoche .High-Tech-Kapitalismus" Vielleicht lässt sich eine Alternative zu den oben kritisierten Begriffen finden, wenn wir beim Einfachsten, das das Schwierigste ist, anfangen: bei der „Gesellschaft". Was Gesellschaft ist, lässt sich immer noch am Besten bei Marx und Engels nachlesen: „Die materialistische Anschauung der Geschichte geht von dem Satz aus, dass die Produktion, und nächst der Produktion der Austausch ihrer Produkte, die Grundlage aller Gesellschaftsordnung ist; dass in jeder geschichtlich auftretenden Gesellschaft die Verteilung der Produkte, und mit ihr die soziale Gliederung in Klassen oder Stände, sich danach richtet, was und wie produziert und wie das Produzierte ausgetauscht wird (Hervorhebung -kw-)" (Engels 1978, S. 248). Produktionsweise und Austausch des Produzierten kennzeichnen also nach Engels die geschichtlich spezifischen Gesellschaften. Und diese „gesellschaftlichen Produktionsverhältnisse (...) verwandeln sich mit der Veränderung und Entwicklung der materiellen Produktionsmittel, der Produktivkräfte" (Marx, 1982, S.408). Die Gesellschaft ist aber in der marxschen Theorie- aus der Sicht der Subjekte - nicht nur ein bei Geburt vorgefundener Ort, an dem die Individuen „geprägt" werden, sondern gleichzeitig der Ort - um bei diesem Begriff der Forscherinnengruppe zu bleiben - an dem der Mensch seine Geschichte macht. Die Veränderungsperspektive einer emanzipatorischen Theorie wie der Marx'sehen liegt jedoch mitnichten darin, dass die Einzelnen sich verändern, damit sich dadurch die Gesellschaft verändere. Vielmehr geht es Marx bereits seit seinen 1844 geschriebenen Feuerbachthesen darum, dass die Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse und die Selbstveränderung der Subjekte als dialektische Einheit gedacht werden müssen: „Die materialistische Lehre von der Veränderung der Umstände und der Erziehung vergisst, dass die Umstände von den Menschen verändert und der Erzieher selbst erzogen werden muss. Das Zusammenfallen des Änderns der Umstände und der menschlichen

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Tätigkeit oder Selbstveränderung kann nur als revolutionäre Praxis gefasst (...) werden" (Marx 1983b, S.5/6). Ist nun dieses begrifflich-theoretische Handwerkszeug aus dem 19. Jahrhundert für eine Analyse aktueller Vergesellschaftungsmodi von Subjekten noch brauchbar? Die Frage wird nicht eindeutig beantwortbar sein. Ihre Beantwortung hängt davon ab, ob die Marx'sehen Termini auf die aktuellen Veränderungen und Umbrüche anwendbar sind. Die Autorinnen der Forschungsgruppe schlagen in ihrem Papier vor, die spezifischen Ausprägungen „sozialer Landschaften" als epochen- und kulturbedingt zu betrachten. Fredric Jameson weist darauf hin, dass der Epochenbegriff zwar die vielfältigen kulturellen und infrastrukturellen Ausprägungen einer Gesellschaft in einem zeitlich Rahmen nennen muss, dass dieser zeitliche Rahmen jedoch in Korrelation „mit (der) Produktionsweise" (Jameson 1997, S.674) gedacht werden soll. Wenn wir uns betrachten, seit wann die Fragen nach der richtigen Bezeichnung des derzeitigen Zeitalters (der aktuellen Epoche) auf der Tagesordnung stehen, so können wir feststellen, dass dies mit geringer Verzögerung auf den - in seinen Ausmaßen von uns immer noch nicht verstandenen - Umbruch der Produktionsweise der Fall ist. Dieser Umbruch hat seine Ursachen darin, dass „auf einer gewissen Stufe ihrer Entwicklung (...) die materiellen Produktivkräfte der Gesellschaft in Widerspruch mit den vorhandenen Produktionsverhältnissen" (Marx, 1961, S.9) geraten. Der „Fordismus", die seit Beginn des 20. Jahrhunderts so genannte „Epoche des Fließbands und der monoton wiederholten Handgriffe, der extremen Trennung und Hierarchisierung von intellektuell qualifizierter und angelernter Massenarbeit" (Haug 1999, S.10), wird derzeit durch die mikroelektronische Produktionsweise abgelöst. Die Schlüsselfunktion ist dabei nach W.F. Haug die elektronische Datenverarbeitung mit den Möglichkeiten einer betrieblichen und überbetrieblichen Prozessrationalisierung „durch die elektronisch integrierte Buchund Lagerhaltung. Automation als Kombination eines ganzen Ensembles von Rechen-, Sensor-, Mess- und Regeltechniken, die ihren Ausgang in der Kriegstechnik genommen hatten, drang sukzessive in alle Bereiche der industriellen Herstellung, des Handels und der Verwaltung vor, bis

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sie sich auch einen wachsenden Teil der Freizeit eroberte" (ebd., S. 10/11). Wenn man akzeptiert, das dieses neue Ensemble von Produktivkräften (auf der Basis mikroelektronischer Kommunikation) die alten, fordistischen Produktionsweisen über den Haufen werfen wird und es tagtäglich tut, dann entspricht das exakt dem Marx4 sehen Satz, der die neuen Produktivkräfte als sprengende Kraft für die alten Produktionsund Lebensformen begreift. Die von der Forscherinnengruppe behauptete Umbruchssituation ist also tatsächlich vorhanden. Sowohl gegen den Einspruch schicksalsergebener Konservativer („das war früher auch nicht anders") als auch gegen den Widerspruch postmoderner Gleichmacher („jede Theoretisierung übersieht das Partikulare und Vielfältige des Einzelnen und arbeitet an dem Märchen der einen großen Erzählung") ist das Projekt einer sozialpsychologischen Forschung zu diesem Epochenwandel zu verteidigen. Kritisch nachgefragt werden soll aber, ob die topographischen und naturalistischen - und damit statischen - Begriffe (Landschaft, Orte, Gärten) nützlich sind, die radikalen Veränderungen und Brüche sowohl innerhalb der Gesellschaft als auch in und zwischen den Subjekten treffend zu kennzeichnen. Wenn die sich entwickelnden Lebensweisen der Subjekte von der Produktionsweise, die sich gerade durchsetzt, begrifflich abgekoppelt werden, geht ein entscheidender, wenn nicht der entscheidende Punkt einer kritischen Sozialpsychologie verloren. Wieso von postmodernen oder „posttraditionalen Ligaturen" sprechen, wenn es darum geht, die Auswirkungen des „High-Tech-Kapitalismus" in Produktion und vor allem Konsumtion zu benennen. Wieso von einem „Rhizom" sprechen, wenn ein entscheidendes und inzwischen längst für alle sichtbares Strukturmerkmal der neuen neoliberalen Gesellschaften die Re-Etablierung von Klassenunterschieden ist und eine immer größer werdende Schere zwischen Reichen und Armen (national und international) und andere neue Formen von Macht und Hierarchisierung produziert und etabliert werden? Die Frage der Forscherinnengruppe an sich selbst, ob mit den Naturmetaphern nicht lediglich romantisierende Vorstellungen von Natur verbunden seien, ist sicher reflexionsbe-

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dürftig. Eine andere Frage wäre, ob in diesen Metaphern nicht auch der Wunsch nach einer Gesellschaft zum Ausdruck kommt, die den Menschen erlaubt, sich in „sozialen Landschaften" „natürlich" und verortet zu fühlen. Dann wäre die Wahl der Begriffe ein Reflex auf die Unmenschlichkeit der Verhältnisse - die reflektierte Suche nach neuen Begriffen für diese Zustände könnte dann der erste Schritt zur Überwindung der überall anzutreffenden Ohnmacht sein.

.Passive Vergesellschaftung" oder widerständige Solidarität DAS KAPITAL GEWINNT SELBSTBEWUSSTSEIN lese ich beim Frühstück In südlicher Sonne KRUPP SCHLUCKT THYSSEN Man beabsichtige eine UNFREUNDLICHE ÜBERNAHME Es ist wieder erlaubt, sagt Lord Dahrendorf Ohne Scham von Kapitalismus zu sprechen Für den Rest des Lebens der Urschleim der Ausbeutung... Volker Braun, Material XVI: Strafkolonie

Die Forscherinnengruppe greift bei ihrer Beschreibung von aktuellen Vergesellschaftungsmustern der Subjekte historisch auf die Darstellung von und die Kontrastierung mit dem Modus von Vergesellschaftung zurück, den sie in der Epoche der „Moderne" ansiedelt: „Das einzelne Subjekt wurde in vorgegebene kollektive Lebensmuster hineingeboren. Und für die einfachen Menschen und für weite Teile des Bürgertums waren lokale Strukturen und soziale Netzwerke (abgesehen von Völkerwanderungen und Vertreibungen) identisch. Erst mit dem Umbruch zur Neuzeit veränderte sich das traditionale Gefüge. Zunächst aber nicht, um dem einzelnen Subjekt mehr Gestaltungsraum zu geben. An die Stelle gottgegebener, quasinatürlicher Formationen treten nun stark wertbezogene Solidargemeinschaften. Politische, gewerkschaftliche und kirchliche Figurationen definieren die sozialen Zugehörigkeiten und Gestaltungsräume". Auf Dahrendorf verweisend heißt es später im Text zur Wahlmöglichkeit der Individuen in der Moderne: „Aber die kapitalistische Modernisierung schuf Wahlmöglichkeiten durch das Aufbrechen von Ligaturen - und wirkte dadurch zerstörerisch.

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Denn nach dem Abschmelzen aller traditionalen Orts- und Sinnbezüge steht in der Regel kein befreites Individuum, das sich nur noch über den Reichtum seiner Optionen beschreiben lässt". Beide Zitate zeigen deutlich, dass Veränderungen in der „Neuzeit" zwar konstatiert werden, weder wird jedoch klar, was die treibenden Kräfte und Ursachen dieser Veränderungen sind, noch wird die Widersprüchlichkeit dieser historischen Prozesse thematisiert. Völlig unverständlich ist die Annahme der Autorinnen des „Formenwandel"-Texts, wenn sie davon ausgehen, dass das Erkämpfen von politischen und gewerkschaftlichen Organisationen und Interessenverbänden den Subjekten nicht mehr „Gestaltungsraum" gegeben habe. Davon abgesehen, dass unter kapitalistischen Verhältnissen der Gestaltungraum von Lohnabhängigen und auch anderen - nicht auf der Sonnenseite des Systems lebenden - Menschen immer aktiv und handelnd erfochten werden muss und nicht einfach „gegeben" wird; deutlich wird, dass die Autorinnen das Verhältnis von Gesellschaft und Subjektivität nicht als dialektischen Zusammenhang denken, sondern als BasisÜberbau-Phänomen: erst durch die Änderung gesellschaftlicher Basisprozesse ändern sich in ihrer Theoretisierung auch Handlungsmöglichkeiten auf Seiten der Subjekte. Deutlich zu sehen ist diese theoretische Grundannahme an folgender Sequenz: „Erst allmählich (...) erodieren auch diese Fundamente der einfachen Moderne und überantworten dem Subjekt (...) mehr Gestaltungsräume und -pflichten". Entnannt werden wiederum die aktiv an diesem Prozess teilhabenden Mächte, Kräfte, Institutionen und Subjekte; die Metapher der „Erosion" naturalisiert zudem einen gesellschaftliche Prozess, dessen Zusammenhang mit ökonomischen Akteuren und Verhältnissen in weite Ferne gerückt ist. Doch neben der Kritik an der theoretischen Konzeption soll auch noch die empirische Grundlage der beiden Zitate überprüft bzw. kontrastiert werden. Peter Brückner untersuchte aus einer sozialpsychologischen Perspektive am Ende seines Lebens die Frage, wie durch die Industrialisierung „Bevölkerungen" entstanden und welche Rolle Migrationsbewegungen (Emigrationen und Binnenwanderungen) dabei spielten (1982). Ähnlich wie den Autorinnen von „Formenwandel" geht es ihm

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unter anderen darum, Solidaritäts- und Widerstandspotenziale gegen eine entfremdende Vergesellschaftung zu erforschen.5 Er stellt für die Mitte des 19. Jahrhunderts fest, dass zu dieser Zeit aus Deutschland ca. 2 Millionen Menschen in die USA emigrierten und zur Binnenwanderung merkt er an, dass in Bochum im Jahre 1871 nur noch 23% der Arbeitskräfte auch dort geboren waren, während in Berlin beispielsweise im Jahre 1885 über 83% der Bauarbeiter und über 85% der Transportarbeiter keine geborenen Berliner waren. Die Fluktuationsraten in Großstädten betrugen innerhalb von zehn Jahren oft mehr als 50 Prozent: so wohnten im Jahr 1900 nur noch 44% derjenigen in Bochum, die 1890 dort lebten. „Die Beständigkeitsrate lag in allen Industriezentren ähnlich tief' (ebd., S.179). Diese wenigen Zahlen mögen zeigen, dass die empirischen Vorannahmen und die daraus abgeleiteten Thesen der Forscherinnengruppe überprüft werden sollten: Stimmt es, dass für die „einfachen Menschen lokale Strukturen und soziale Netzwerke" identisch waren? Ist die These von den erodierenden Fundamenten der Moderne nicht auch umkehrbar? Gerade die nicht sesshaften (und damit auch nicht in lokale Solidargemeinschaften eingebundenen) Arbeiter und Arbeiterinnen Ende des 19. Jahrhunderts waren es, die an „Radikalität, Militanz - samt einer aufrührerischen Spontaneität" (ebd., S.182) nicht zu überbieten waren. Kann man sich ein Mehr an Gestaltungsräumen und -pflichten vorstellen als bei Menschen, die tatsächlich noch ihr tägliches Brot verdienen mussten? Es kann sein, dass der Übergang zum fordistischen Produktionsregime Anfang des 20. Jahrhunderts mit denjenigen institutionellen und subjektiven Veränderungen einherging, die die Forscherinnengruppe beschreibt. Allerdings wäre es überlegenswert, den Übergang zum Fordismus nicht vereinheitlichend (als „Moderne"), sondern in seiner Umkämpftheit zwischen Bürgertum, Arbeiterklasse, (Agrar-)Aristokratie und modernen Kapitalisten darzustellen. Eine Möglichkeit, solche Übergänge begrifflich zu fassen, bietet Jan Rehmann in seiner Studie über Max Weber6 an. Er fasst - mit Rückgriff auf Überlegungen Antonio Gramscis - die gesellschaftlichen Prozesse dieses Übergangs als „passi-

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ve Revolution, (die) das Konzept einer gesellschaftlichen Modernisierung bei gleichzeitigem , Fehlen4 einer Volksinitiative" (Rehmann 1998, S.15) beschreiben. Der Vorteil dieses Begriffs liegt darin, die gewaltigen gesellschaftlichen Umbruchsprozesse als revolutionär (im Sinne von umwälzend) zu verstehen, bei denen - symbolisch gesprochen - kein Stein auf dem anderen bleibt, ohne zu vergessen, dass die widerständigen Kräfte gegen die Nutznießer dieser „Revolution" in das neue Produktionsregime integriert werden müssen. Wie die Passivierung der Arbeiterklasse „über ein ganzes System aus Parlamentarismus, Industrieorganisation, Liberalismus, Gewerkschafts- und Parteiorganisationen" (ebd., S. 15/16) betrieben wurde, welchen Anteil dabei Teile der Gewerkschafts- und Arbeiterbewegung selbst hatten, welche Strategien der herrschende Block verfolgte: all das sind Fragen, die übertragen auf den aktuellen Übergang zum High-Tech-Kapitalismus (mit anderen Akteuren und Institutionen) gestellt werden könnten. Voraussetzung dafür ist aber ein begriffliches Instrumentarium, das die Veränderungen nicht ohne die Nennung von Akteuren und mächtigen Interessen beschreibt, sondern diese in die Theoriesprache einbettet, um sie an die gesellschaftliche Praxis anzubinden. Auf der Seite der subjektiven Handlungsmöglichkeiten arbeitet der Text (wie in der Überschrift ausgesprochen) mit Dahrendorfs Konzept von Optionen und Ligaturen. Erstere stellten „die Wahlmöglichkeiten und Handlungsalternativen, über die eine Person in ihrer jeweiligen gesellschaftlichen Position und Situation verfügt (dar). Ligaturen bezeichnen im Gegensatz dazu gesicherte Bezüge und Bindungen. Sie benennen die Sinn-, Sozial- und Ortsbezüge einer Person und stellen die fixen Handlungskoordinaten dar, während die Frage nach den Optionen offene Situationen thematisiert". Je nachdem, wie Optionen und Ligaturen im Leben einer Person zusammenwirken, „bestimmen (sie) in ihrer je spezifischen Kombination die Entfaltungschancen der Subjekte". Sehen wir uns diese beiden Begriffe genauer an, um zu prüfen, ob sie zur Beschreibung für das, was der Text „Lebenschancen" nennt, brauchbar sind. Sie scheinen den zentralen Widerspruch jeder Vergesellschaftung von Subjekten zu benennen, nämlich das, was die Kritische

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Psychologie als „Doppelbestimmung menschlicher Existenz" (Markard 2000b, S.12) bezeichnet: wir sind einerseits als Menschen objektiv durch die gesellschaftlichen Verhältnisse, in denen wir leben, bestimmt und gleichzeitig sind wir als Menschen in der Lage, unser Leben und damit die Verhältnisse aktiv zu verändern. Während aber die dialektische Einheit von Bestimmung und Bestimmtheit darauf verweist, dass menschliches Handeln immer ein widersprüchliches Handeln ist, scheinen die Begriffe des „Formenwandel"-Texts ein Nebeneinander von Optionen und Ligaturen nahezulegen. Gleichzeitig wird die strukturbildende Grundlage für jede Wahlmöglichkeit und Handlungsalternative als unhinterfragbarer Rahmen aus den weiteren theoretischen Überlegungen ausgegliedert: die „jeweilige gesellschaftliche Position und Situation". Genau diese Positionen und Situationen aber sind doch entscheidende und für die Subjekte bedeutende Grundlagen jedes Wählens und Handelns. Und gerade durch sie kommt zum Ausdruck, welche Basis die Optionen der Einzelnen haben oder - mit Bourdieu gesprochen - welche ökonomischen, sozialen und kulturellen Kapitale Grundlage individueller Entscheidungen sind. Es mag an Dahrendorfs Vorstellung vom freien Menschen in einer offenen Gesellschaft (vgl. Haug 1993) und seinem Glauben daran, dass eine „Zunahme von Freizeit" und weniger Lohnarbeit auch schon mehr Freiheit bedeute (vgl. Haug 1994, S.417), liegen also an seiner Ignoranz gegenüber ökonomischen und materiellen Tätigkeiten und Verhältnissen -, dass die Übertragung seiner Begrifflichkeiten auf das, was das Leben der meisten Menschen bestimmt, deren Lohnarbeit, nicht gelingen mag. Auch hier wäre die Forscherinnengruppe gut beraten, die vorhandenen Begrifflichkeiten kritischer Psychologien daraufhin zu überprüfen, ob diese nicht viel zukunftsweisender und den Konnex von Gesellschaft und Subjekt adäquat abbildender benennen als die liberalen Konstrukte von Dahrendorf, dessen Bild von Gesellschaft das „Elend der Welt" (Bourdieu et al. 1997) nicht kennen will. Es mag sein, dass Dahrendorfs Begriffe sich gut an Giddens Postulat von der „Herstellung von Vertrauen" und Lashs „Vergemeinschaftungsthema" anschließen lassen. Mit de-

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ren Begrifflichkeiten entscheidet man sich aber auch für deren Vorstellungen von Subjektivität und Gesellschaft. Allerdings bietet der Text „Formenwandel" selbst Alternativen an, die den Zusammenhang von Vergesellschaftung und Politik in den Mittelpunkt stellen. So sprechen die Autorinnen von „Zivilgesellschaft" und „Solidarität", wobei die Gleichsetzung von Solidarität mit dem „sozialen Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält" zeigt, dass auch dieser Begriff von den Forscherinnen lediglich aus der Perspektive einer passiven Vergesellschaftung der Subjekte (Haug 2000b) gedacht wird. Solidarität war und ist jedoch mehr als nur die individuell-gemeinschaftliche Integrationsleistung der Subjekte in eine kapitalistische Gesellschaft. Stellt sich bei der Erwähnung der Begriffs doch sofort die Frage, wer mit wem solidarisch sein will. Und in dieser Frage aufgehoben sind diejenigen Widersprüche und Themen, um die auch in einer neoliberalen Gesellschaft gekämpft wird. Diese Kämpfe sind eingebettet in die Veränderungen der Lebensweisen, d.h. in die Formen, in denen wir arbeiten, untätig sind, uns lieben und lernen. Solidaritätspotenziale sind - dem ist sicher zuzustimmen - auf keinen Fall mehr hauptsächlich über die imaginäre Anrufung von Werten abrufbar, wie dies alten Gewerkschaftsfunktionären noch geläufig sein mag („Seid solidarisch mit den französischen Kollegen!"). So wie die Produktionsweise sich verändert und damit die Lebensweisen umbrechen, so werden die Solidaritätspotenziale durch die neuen gesellschaftlich nahegelegten und (vor allem medial) forcierten Subjektformen bestimmt. Diese siedeln „zwischen Computerspielen, Erkundungsreisen durchs Internet, Science Fiction und Börsenspekulation" (Haug 1999, S.189), sind also durch die neuen Formen gesellschaftlicher Produktion und Reproduktion möglich. In arbeitssoziologischen Forschungen wird schon länger vom „neuen Arbeitskrafttyp" (Baukrowitz & Boes, 2000, S.52) gesprochen. Eine sozialpsychologische Forschung hätte diesen Typus (und die damit verbundenen Solidaritäts-, Vergemeinschaftungs- und Widerstandspotenziale) und andere aus den aktuellen Veränderungen herauszudestillieren, um „nach den Perspektiven und Subjekten sozialer Eman-

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zipation an der Schwelle des 21. Jahrhunderts" (Haug 2000a, S.183) zu fragen. Um einen Begriff wie „Solidarität" könnten beispielsweise Praxen von freiwilliger Unterwerfung unter die modernen Formen von Herrschaft sowie Praxen widerständigen Handelns gegen normierende und ungerechte gesellschaftliche Verhältnisse hinterfragt werden. Entfremdete Vergemeinschaftungsmuster wie die der allzeit bereiten Börsenspekulanten auf der einen Seite könnten ebenso untersucht werden wie Formen vergemeinschaftender Solidarität um Gruppen von Informationsterroristen, Softwarepiraten und Hackern auf der anderen Seite (vgl Ohm 2001). Und keinesfalls - wie bisher im „Formenwandel"-Text sollte darauf verzichtet werden, die Orte hochtechnologischer Produktion (z.B. vollautomatisierte Abteilungen der Autoindustrie) wie Kommunikation (z.B. Call-Center) und die darin Arbeitenden als Subjekte in den Blick zu nehmen. Sie haben den Typus des männlichen Facharbeiters, der die fordistische Produktionsweise kennzeichnete, abgelöst und sind deshalb Bezugspunkte für eine Forschung, die sowohl die Möglichkeit einer Fortsetzung der demokratischen Barbarei als auch Potenziale für eine Zivilgesellschaft ausloten will. Einer Zivilgesellschaft allerdings, die nur als von den Menschen zu erkämpfende Utopie und „Gemeinschaft, in der wir ganz über uns selbst verfügen" (Volker Braun) denkbar ist und nicht als schon vorhandene „zivile Bürgergesellschaft" ä la Gerhard Schröder, in der ohne Blick auf die ungerechten Strukturen den Einzelnen Tugenden wie „Eigenverantwortung" und „Hilfsbereitschaft" abverlangt werden (vgl. Meier 2000, S. 11).

Freiheit Christoph Hein berichtet in seiner Rede zur Verleihung des Solothurner Literaturpreises davon, dass ein Bekannter von ihm zwei Landkarten erstellt habe: „Die eine Karte verzeichnet die Städte und Regionen, in denen der Rotstift Kultureinrichtungen zerstörte oder überhaupt nicht entstehen ließ, die andere Karte verzeichnet die gemeldeten Gewalttaten und fremdenfeindlichen Übergriffe (...). Die beiden Karten weisen eine merkwürdige Kongruenz auf, eine Übereinstimmung, die zu denken

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gibt, auch wenn ein einander begründender Zusammenhang nicht zu belegen ist" (Hein 2000, S.13). Nicht die westdeutschen Wissenschaftler, die nachzuweisen glauben, dass die strenge Krippenerziehung in der DDR die Grundlage späterer neofaschistischer und rassistischer Einstellung ist und auch nicht diejenigen, die behaupten, der „Rechtsextremismus" sei eine Sache von gewalttätigen Jugendlichen, sehen den Zusammenhang, den Hein auf poetische Weise darstellt: die Folgen neoliberaler Deregulierung und ihre Auswirkungen auf die „sozialen Landschaften" und die darin lebenden Menschen. Ohne diesen für viele lästigen Hinweis auf die ökonomischen Grundlagen bleiben Erklärungen und Forschungen zu Gesellschaft und Subjektivität verwirrend und nicht aufklärend. Der Grund dieser Verwirrung liegt ebenfalls im Ökonomischen - mit Brecht gesprochen: „Politische Freiheit bei ökonomischer Unfreiheit. Das ist der Grund der Verwirrung" (Brecht 1967b, S. 590) Anmerkungen (1) Die Verabschiedung von allen „großen Erzählungen" - zu denen auch die Erzählung von „Gesellschaft" gehört - durch postmoderne Psychologen kontrastiert Markard mit der Übermacht der von diesen nicht mehr wahrgenommenen Realität: „Während die Realverallgemeinerung des Kapitalismus weltumspannend zu werden droht, empfiehlt die Kritik der Kritischen Psychologie, den Verzicht auf »Konzepte des Allgemeinen« zugunsten einer »reflexiven Verständigung über das Lokale, Temporäre und Disjunktive« - als ob das überhaupt ein Gegensatz und das Lokale ohne das Allgemeine zu denken wäre. Dass sich seit »Mitte der 80er Jahre« »postmoderne Sichtweisen aufdrängen)«, ist wohl wahr; nur: Kann man nicht auch zurückschubsen?" (Markard, 2000a, S.4). (2) So hat Ulrich Beck den völkerrechtswidrigen Krieg der USA und europäischer Nationen (darunter die BRD) nicht kritisiert, sondern die Bomben der NATO als „Bomben der Vernunft" bezeichnet. Anthony Giddens hat sich in einem Interview mit der Zeitschrift „Mitbestimmung" (8/1999) hinter die Politik Gerhard Schröders gestellt und - so sein Verständnis von gesellschaftlicher Teilhabe - nach „guten Regierungen" gerufen: „Es geht nicht mehr um weniger Staat, sondern darum, das Regieren an die neuen Umstände des globalen Zeitalters anzupassen" (ebd. S.56).

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(3) Giddens Empfehlung für eine Strategie der Subjekte im Umgang mit den neuen gesellschaftlichen Ungerechtigkeiten würde jede Forschungsfrage von vorneherein negieren, weil er schon weiß, dass das Beste für die Menschheit der Fatalismus ist: „Zur Natur oder Tradition können wir zwar nicht mehr zurückkehren, doch als einzelne wie als Menschheit können wir eine neue Moral anstreben für unser Leben im Kontext der positiven Hinnahme hergestellter Unsicherheit" (Giddens 1997, S.305). Wie zynisch diese Sätze sind, kann man sich vergegenwärtigen, wenn man überlegt, wie sie auf Menschen wirken würden, die auf Müllhalden hausen und dort vom Abfall derer leben, für die Armut eher ein soziologisches Problem denn soziale Wirklichkeit ist. Doch auch für die Armen hat Giddens einen Tipp: „Was zählt, sind nicht Reichtum oder Einkommen, sondern Sicherheit und Selbstachtung. Um nach Glück zu streben, ist kein hohes Maß an materiellen Gütern nötig" (ebd., S. 225). Wichtig ist also nur, dass die „Menschen ihre seelische Einstellung ändern, wenn sie materielle Entbehrungen ertragen müssen und dies nicht aus eigener Kraft verändern können" (ebd., S.253). (4) Alle nicht gekennzeichneten Zitate sind dem Text „Formenwandel" entnommen. (5) Brückner versucht in seinem letzten nachgelassenen Text, die Funktionalität von „Vereinen" als Restrukturierungsmaßnahme der immer wieder bedrohten Kapitalherrschaft sozialpsychologisch zu analysieren. Dabei zeichnet er nach, wie Vereine „sozialer Kitt" gesellschaftlichen Zusammenhangs werden konnten, die er wegen ihrer ungesellschaftlichen Vergemeinschaftungsfunktion „Pseudogemeinwesen" nennt. (6) Max Webers politisch-soziologische Eingriffe in die damaligen Diskurse werden von Rehmann als das analysiert, was man heute ebenso in Bezug auf Beck und Giddens formulieren könnte: Er war ein „konzeptiver Ideologe" der fordistischen Modernisierung und nicht einfach nur objektiver Wissenschaftler, der die gesellschaftlichen Entwicklungen wertfrei abbildete. Das ist gut zu sehen an Webers rassistisch artikulierter Kritik der ostelbischen Junker, die die deutschen Bauern nicht mehr „an den heimischen Boden fesseln" und so eine „Polonisierung des deutschen Ostens" fördern. Weber „spricht von einer ,slavischen Überfluthung, die einen Kulturrückstand von mehreren Menschenaltern bedeuten würde4, vom fortgesetzten Einbruch östlicher Nomadensch wärme4, die durch ,ihre verschiedenen Körperkonstitutionen4 und vor allem ihre ,verschiedenen Mägen' unsere Kultur auf das Niveau einer ,tieferen, östlicheren Kulturstufe4 herabdrücken44 (Rehmann 1998, S.59).

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Praktiken sozialer Verortung im globalisierten Kapitalismus Was wir wirklich wissen wollen und zur wissenden Voreiligkeit der kritischen Kritik Ihre Kritik habe ich, im kleinsten Orte meiner Wohnung sitzend, noch vor mir. Bald werde ich sie hinter mir haben. Max Reger

1. Einleitung: Ein vielstimmiger Chor mit zu vielen Tenören Auf der Grundlage eines kurzen Artikels Stellung zu einem Projekt zu nehmen, das sich ein Programm für fast ein Jahrzehnt vorgenommen hat - keine leichte Aufgabe. Wir danken allen Kommentatorinnen, die sich darauf eingelassen haben. Der Chor hat viele Stimmen - so soll es sein. Die Tenöre scheinen uns allerdings überbesetzt. Notwendigerweise sind viele Facetten angesprochen, viele Diskussionen angerissen worden. Nicht auf alle werden wir hier eingehen (können und wollen). Manche der Aussagen können auch gut für sich alleine stehen, ohne unseren Kommentar zu ihrem Kommentar. Um aber im Bild zu bleiben: Nicht immer stimmen die Einsätze und mancher Tenor singt sein Solo, das er schon immer singt, obwohl für die Choraufführung etwas anderes verabredet war. Allgemein gesprochen scheinen uns in den Kommentaren vier Tenöre deutlich hör- bzw. lesbar zu werden - natürlich ganz unterschiedlich deutlich in den einzelnen Artikeln: 1. Tenor: „Da müsst ihr genauer werden!" Unter diesem Fokus werden notwendige Differenzierungen in unserem Ansatz im Einklang mit dem aktuellen Forschungsstand angemahnt. 2. Tenor: „Verachtet uns die alten Meister nicht." Diese Argumentationslinie beschäftigt sich stark mit der Frage, was kritische Psycholo-

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gie heute heißt. Geht es um „die" kritische Psychologie, um „eine" kritische Psychologie, „mit" Marx, „nach" Marx, „jenseits" von bzw. „ohne" Marx. Je nach Position der Autorinnen fällt ihr Urteil über uns - in der Regel - mehr oder - seltener - weniger harsch aus. Manche lassen sich erfreulicherweise auch dann auf eine differenzierte Kritik ein, wenn wir ihnen aus der Sicht einer „kritischen Psychologie®" nicht eigentlich satisfaktionsfähig erscheinen. 3. Tenor: „Ihr macht das falsche Projekt." Hier handelt es sich in der Regel um Vorschläge für andere Projekte, andere Fragestellungen als das unsere. 4. Tenor: „Ihr singt die Lieder des Klassenfeindes." Hier geht es im wesentlichen um Etikettierungen als „neoliberal" und „affirmativ". Diese Etikettierungen erfolgen wie konditionierte Reflexe. Der Bezug auf Autoren wie Giddens oder Beck reicht schon als Schlüsselreiz. Es ist wohl leicht nachzuvollziehen, dass uns der erste Fokus der nächste ist, knüpft er doch unmittelbar unsere eigenen Überlegungen an. Der zweite Fokus ist uns der lästigste, weil er uns in Zwangssituation bringt, belegen zu müssen, dass wir keine un-kritischen sondern kritische Psychologen sind und dass es uns nicht um eine bloße Affirmation der herrschenden Verhältnisse zu tun ist. Und zudem nötigt er uns zu einer ausführlichen Formulierung des Arguments, dass sich die Sozialwissenschaften seit Marx durchaus entwickelt haben, es also von Nutzen ist, die aktuelle Diskussion mehr als nur kursorisch zur Kenntnis zu nehmen, und sie nicht, auf Marxens Schultern sitzend, vorschnell als Zwergendiskurs abzutun. Das ist zwar einerseits wichtig, andererseits birgt ein solches Scharmützel die Gefahr, uns relativ weit von unserem eigentlichen Anliegen, unserem Projekt, zu entfernen. Der dritte Fokus schließlich, die Überlegung, dass die relevanten Fragen und Forschungsprojekte eigentlich andere wären, droht uns, beinahe eineinhalb Jahre nach Projektbeginn, in eine tiefe Depression zu stürzen, eine Gefahr, der wir nur dadurch entgehen können, dass wir uns solchen anderen Projektideen verschließen und denen, die sie realisieren werden, alles Gute wünschen. Der vierte Fokus könnte jenen Schmerzen zufügen, die sich einbilden, dass ihr Herz links schlüge und denen auf einmal atte-

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stiert wird, mit dem Klassenfeind zu fraternisieren. Gegenüber diesem Relikt linkssektierischer Exklusionspraxis haben wir uns einfach entschieden, den einschlägig verfahrenden Kommentaren die Definitionsmacht über unser politisches Selbstverständnis nicht abzutreten. Eine gewisse Enttäuschung, die sich nach der Lektüre der unterschiedlichen Kommentare eingestellt hat, soll nicht verhehlt werden. Kritik haben wir uns gewünscht und darüber wollen wir uns auch nicht beklagen. Die Enttäuschung rührt daher, dass nach unserem Gefühl die Kommentare zu wenig den Status unseres Papiers berücksichtigt haben. Es ist die inhaltliche Begründung zu einem Forschungsprojekt, das im Rahmen eines Sonderforschungsbereichs der Deutschen Forschungsgemeinschaft die Chance hat, fast eine Dekade an ihrem Projekt empirisch und theoretisch zu arbeiten. Wir hatten auf Vorschläge und Ideen gehofft, die wir gut mit hätten aufnehmen können. Einige haben wir auch bekommen und sind dafür sehr dankbar. Einige der kritischen Kommentare gehen aber auf uns so ein, als hätten wir nicht gerade erst angefangen, uns in unserem thematischen Feld zu bewegen, sondern würde abschließende Gedanken formulieren. Thema verfehlt würde hier ein gestrenger Deutschlehrer sagen. Aus dem Gesagten folgt schon in etwa der Aufbau dieses Artikels. Wir werden uns lange aufhalten bei angemahnten Differenzierungen unseres Ansatzes, weniger lange bei Überlegungen zum allgemeinen Zustand einer kritischen Psychologie und unserer Position darin und nur kurz bei der Diskussion möglicher anderer wichtiger Forschungsprojekte. Wir werden uns zunächst (Abschnitt 2) der kritischen Anfrage stellen, ob wir es mit der vielfältigen Verwendung metaphorischer Begrifflichkeiten auch wirklich bis zum Betreiben echter Wissenschaft bringen können. Es geht also um den wissenschafts-theoretischen Status von Metaphern als erkenntnisförderliche oder -hemmende Instrumente. Wir werden uns weiterhin (Abschnitt 3) der für uns zentralen Frage nach Macht, Ressourcen und Zugehörigkeit stellen und das führt mit einer gewissen Notwendigkeit (Abschnitt 4) zur Geschlechterfrage. Schließlich wollen wir noch einen Einblick geben in den aktuellen Stand des Projektes, das jetzt seit eineinhalb Jahren läuft.

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2. Der erkenntnisgenerierende Wert von Metaphern Die Kritik am metaphorischen Schreiben zieht sich - auch das eine Metapher! - wie ein roter Faden durch die Stellungnahmen zu unserem vorgelegten Papier. Sehr selten sind dabei Einwürfe, die sich konkret und produktiv weiter denkend mit den von uns verwendeten metaphorischen Bildern - der Staat als Gärtner, soziale Landschaften etc. - auseinandersetzen. Eine der wenigen Ausnahmen bildet hier Arnold Schmieder, der die von uns thematisierte Problematik der agro-industriellen Monokultur (d.h. einer kommodifizierten Gesellschaft auf der Basis instrumenteller Vernunft) aufgreift, und in diesem Zusammenhang auf das traditionelle Drei-Felder-System zu sprechen kommt, das mit seiner wechselnden „Brache" als mögliches Alternativ-Modell dienen könnte. Die meisten Kommentare zielten indes in eine eher grundsätzliche Richtung: Mit der Metapher würde gleichsam die an den - nichtideologischen - Begriff geknüpfte Möglichkeit der Gesellschaftskritik insgesamt verabschiedet. Nur die kritischen Begriffe der marxistischen Theorie wie beispielsweise der Klassenbegriff könnten die Realität des (globalisierten) Kapitalismus - auch heute noch, unter den Bedingungen „flexibilisierter Akkumulation" (Harvey 1989) - adäquat einfangen (so etwa Morus Markard, Klaus Weber oder Thomas Theo). Diese Sichtweise passt sich paradoxerweise sehr gut gerade in den traditionellen philosophischen Diskurs ein, der jedoch leider weniger materialistisch dominiert, als vielmehr idealistisch verengt ist. Zwar dachte noch Piaton, dass die Welt nach den Ideen geschaffen wäre, und die platonische „Idee" (eidos) ist „wesentlich" ein Bild: jenes „Urbild", das der konkreten Gestalt der Dinge zugrunde liegt (vgl. z.B. Politeia; Buch VI). Doch spätestens seit Aristoteles, der die klassische Definition der Metapher prägte (vgl. Poetik; 1457b), wird die bildlich-metaphorische Ausdrucksweise einem eher peripheren Diskurs zugeordnet, nämlich der Poetik und Rhetorik. Auch in der Folge wagte es deshalb kaum ein Denken, der ernst genommen werden wollte, sich - offen - zur Metapher zu bekennen. Denn wie bemerkt Max Black (1983) so treffend: „Auf die Metaphern eines Philosophen aufmerksam machen, heißt ihn herabsetzen - als rühmte man einen Logiker wegen seiner schönen

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Handschrift. Der Hang zur Metapher gilt als verderblich nach der Maxime, worüber sich nur metaphorisch reden lasse, solle man am besten überhaupt nicht reden" (S. 55). Zumindest in dieser Hinsicht steht die neuzeitliche Philosophie in völliger Kontinuität zur philosophischen Tradition der Antike und des Mittelalters. Sie ist - darauf zielend in einer Zeit der Unsicherheit neue Sicherheiten herzustellen - dominiert vom Streben nach Rationalität und dem „reinen" Begriff. Das zeigt sich nicht nur an der ablehnenden Haltung, die Bacon in seinem »Novum Organum« (1990) und Descartes in seinem »Discours de la methode« (1960) gegenüber der bildlicher Sprache und bildlichem Denken einnehmen. Eine explizite Ablehnung des Bildlichen und speziell des Metaphorischen läßt sich sehr klar auch bei anderen zentralen Philosophen der Neuzeit aufweisen. Thomas Hobbes etwa - obwohl selbst tragend auf einer Metapher: dem Bild des staatlichen „Leviathan" aufbauend - läßt sich vom Ideal der geometrischen Methode leiten und fordert ein mathematisch genaues Operieren mit den sprachlichen Begriffen. Deshalb bemerkt er (1992, S. 45f.): „Eine deutliche, durch richtige Erklärungen gehörig bestimmte und von allen Zweideutigkeiten gesäuberte Art des Vortrags ist gleichsam das Licht des menschlichen Geistes; die Vernunft macht die Fortschritte, Regeln machen den Weg zur Wissenschaft aus, und Wissenschaft hat das Wohl des Menschen zum Ziel Metaphern aber und nichtssagende oder zweideutige Worte sind Irrlichter, bei deren Schimmer man von einem Unsinn zum anderen übergeht und endlich, zu Streitsucht und Aufruhr verleitet, in Verachtung gerät."

Die Spitze und den Höhepunkt in der erstaunlich uniformen philosophischen Bewegung weg von der Metapher und vom Bildlichen (eine Ausnahme bildet einzig Vico) kann man freilich bei Hegel ausmachen. Zwar gehört er dem (deutschen) Idealismus an und baut also wesentlich auf Piatons Gedanken auf. Doch Hegel fasst die Idee im Gegensatz zu Piaton rein abstrakt (und nicht bildlich). Das Abstrakte der Idee kann wiederum nur über den reinen (eindeutigen) Begriff erfasst werden, in dem alle Widersprüche (synthetisch) „aufgehoben" sind. Auch die Metapher beinhaltet, wie er in seinen »Vorlesungen über die Ästhetik« bemerkt, zwar eine Synthese, indem sie Gegensätze verbindet, zweifaches in eins

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setzt. Trotzdem betrachtet Hegel die Metapher - wegen ihrer potentiell bedrohlichen Uneindeutigkeit - kritisch. Denn: „Die Metapher [...] ist immer eine Unterbrechung des Vorstellungsganges und eine stete Zerstreuung, da sie Bilder erweckt und zueinander stellt, welche nicht unmittelbar zur Sache und Bedeutung gehören" (1965, S. 395).

Die Metapher bringt also gemäss Hegel von der Spur der (metaphysischen) Bedeutung ab, und die Philosophie muss darum eine ähnliche Bewegung wie die - lebendige - Sprache vollziehen, in der nach und nach der ursprüngliche metaphorisch-bildliche Gehalt des Ausdrucks schwindet und sich durch „Abnutzung" (bzw. in dialektischer Aufhebung) zum eigentlichen Begriff wandelt (vgl. ebd., S. 391f.). Es war das erklärte Ziel von Karl Marx die Hegeische Philosophie vom Kopf auf die Füße zu stellen, von der idealistischen (Geschichts-) Philosophie/Ideologie zu einer materialistischen, auf die „Realität" der ökonomischen Verhältnisse gegründeten Sichtweise zu gelangen, die auf eine Umwälzung der sozialen Praktiken zielt. Stellt seine Einstellung zur Metapher also die Hegeische Ablehnung von Metaphorik ebenfalls auf den Kopf? - Marx nimmt zwar keine explizite (Gegen-)Position zur Metapher ein, macht sich aber, wie gesagt, für eine nicht-ideologische Begrifflichkeit stark, die auf die Erfassung der ökonomischen Verhältnisse abhebt und damit die metaphysische „Körperlosigkeit" des idealistischen Begriffs überwindet, welcher die gegebene Realität gerade deshalb nicht transzendieren kann, sondern überhöht (vgl. z.B. seine »Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie«). Und doch ist die Metapher an vielen Stellen seines Werks präsent: Das »Manifest der Kommunistischen Partei« von 1848 etwa erlangt seine auffordernde Eindringlichkeit unseres Erachtens wesentlich durch die darin verwendeten Metaphern. Man denke nur an Formulierungen wie: „Gespenst des Kommunismus", „heilige Hetzjagd", „buntscheckige Feudalbande", „eiskaltes Wasser egoistischer Berechnung", „Alles Ständische und Stehende verdampft" etc. Marx thematisiert Gesellschaft sogar an einigen Stellen seines Werks in einer durchaus fragwürdigen Körpermetaphorik, etwa wenn er in seiner Schrift vom »Elend der Philosophie« aus dem Jahr 1846/47,

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analog zu antiken und mittelalterlichen politischen Denkern (vgl. auch Struwe 1978), vom „Gesellschaftskörper" spricht (MEW, Bd. 4, S. 131). Es ist sehr „bezeichnend", daß sich also auch die größten Verfechter des begrifflichen Denkens der (subtilen) „Macht der Metapher" (Gamm 1992) offenbar nicht entziehen können. Das gilt übrigens ebenso für einige unserer Kritiker. So beschreibt etwa Theo, der unseren Metapherngebrauch dezidiert ablehnt, die Entwicklung der Gesellschaftstheorie als degressive Jahreszeitenabfolge - wobei man nunmehr, wie auch unser Text angeblich zeigen soll, im eisigen Winter kritischer Gesellschaftstheorie angelangt sei und die Pflanzen der Kritik nur mehr als tote Gerippe dastehen (um diese Metapher weiter zu spinnen). Gleichwohl möchten wir Theo und mit ihm allen anderen Metaphern-Skeptikern unseren - metaphorischen - Trost spenden: Auf jeden Winter folgt ein neuer Frühling. Und wie wir meinen, könnte dieses „Frühlingserwachen" kritischer Gesellschaftstheorie vielleicht gerade mit dem Medium der Metapher erreicht werden. Die Antwort auf die Frage, warum auch ihre schärfsten Kritiker anscheinend nicht auf die Metapher verzichten können, kann zugleich zeigen, wieso wir in der Metapher ein kritisches Potential vermuten: Die Metapher ist ein mächtiger (nicht nur stilistischer) „Topos" im Diskurs. Sie schafft zum einen durch ihre bildliche Übertragung eine Verbindung der abstrakten Idee mit der »materiellen«, körperlichen Ebene. Denn als bildliche Vorstellung spricht sie unsere »Sinnlichkeit« an - und verleiht dem abstrakten Gedanken dadurch zugleich Sinn und erklärendes Gewicht (vgl. dazu auch Gamm 1992, S. 66ff.). Zum anderen verweist die Metapher auf Differenz und öffnet sich ihr, indem ihre Bildlichkeit von der Kontextlogik abweicht. Sie zwingt so zu einer (kreativen) Deutung und macht es zugleich möglich, das auszudrücken, was in abstrakte Begriffe gefasst aus dem (wissenschaftlichen) Diskursrahmen fallen würde. Sie ermöglicht also den Ausdruck des (begrifflich) Unsagbaren, ist ein Medium jenes (Gegen-)Sinns, der in der binären, von aller Ambivalenz gereinigten Begrifflichkeit des standardisierten wissenschaftlichen Diskurses nicht figurieren könnte (vgl. auch Blumenberg 1983).

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Sie überschreitet damit die begrenzte, abschließende Rationalität der neuzeitlichen Aufklärung (vgl. auch Lash 1999) und erschließt - reflexiv-kritisch gedeutet - die Möglichkeit zu einem auf Differenzbewusstsein gegründeten Verstehen einer „negativen Hermeneutik" (SchönherrMann 2001). Oder anders, in Anlehnung an Adorno (1966 und 1973) formuliert: Das ästhetisch-sinnliche Potential der Metapher bildet die mögliche Basis für den Ausdrucks des Nicht-Identischen. Darum ist die in den Wissenschaften praktizierte ausschließende Gegenüberstellung von poetischen und philosophisch-theoretischem Diskurs auch überaus unproduktiv, nutzt nicht das kreative Potential der „lebendigen Metapher" (vgl. Ricoeur 1986). Wie könnte man dieses kreative, sich aus dem Zwang zur Deutung ergebende Potential am fruchtbarsten theoretisch nutzen? Jain (2001a) hat hierzu folgende Schritte vorgeschlagen: Eine initiale Metapher, d.h. ein veranschaulichendes Ausgangsbild, wird durch detaillierende Ausmalungen und weiterführende Assoziationen angereichert. Es erfolgt also eine VerDichtung. Dieses verdichtete Bild wird dann auf die übergreifende Ausgangsvorstellung rückübertragen (Mikro-Makro-Re-transfer), was gerade dort, wo die Analogie zwischen ursprünglichem Bild und Ausgangsvorstellung gesprengt wird, zu neuen Denkwegen führen kann. Es soll mit dem Hinweis auf das kreative Potential der Metapher allerdings keineswegs ihre Dialektik negiert werden. Die Bildlichkeit der Metapher kann, insbesondere, wenn sie »konventionell« gelesen wird, auch ein fixierendes Element beinhalten. Nicht nur deshalb gilt es, fremde wie eigene Metaphern stets gründlich und vor allem kritisch zu reflektieren, sich ihrer möglichen, auch abweichenden Be-Deutungshorizonte bewusst zu werden. Allerdings sollte man sich nicht der Illusion hingeben, daß der angeblich so »reine« Begriff nicht in dieser Dialektik verfangen wäre, da jeder Begriff einen latenten, nur verdeckten metaphorischen Gehalt hat (der gleichsam den begrifflichen »Mehrwert« darstellt), so daß man geradezu zwangsläufig in metaphysisches Denken verfällt, wenn man sich diese Latenz der Begriffe nicht bewusst macht (vgl. auch Derrida 1988). Und so bemerkt Richards (1983) treffend:

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Praktiken sozialer Verortung im globalisierten Kapitalismus. »Dass die Metapher das allgegenwärtige Prinzip der Sprache ist, kann anhand bloßer Beobachtung nachgewiesen werden [...] Selbst in der strengen Sprache der Wissenschaften kann man sie nur mit großen Schwierigkeiten ausschalten oder umgehen [...] Vor allem in der Philosophie ist jeder Schritt riskant, wenn wir uns nicht ständig der von uns [...] verwendeten Metaphern bewusst sind; wir können zwar behaupten, Metaphern zu meiden, doch wird uns das nur gelingen, wenn wir sie zuvor entdeckt haben [...] Die Metaphern, die wir meiden, steuern unser Denken ebenso sehr wie jene, die wir akzeptieren.« (S. 33)

Die Vermeidung von Metaphern führt also nicht aus der Dialektik der Metapher hinaus und entlastet auch keineswegs von der Notwendigkeit (kritischer) Deutung. Im Gegenteil: Die anhand der Metapher vorgestellte Bedeutung verweist, anders als der (angeblich) abstrakte Begriff, immer zugleich auf Ihren (kreativen) Deutungscharakter und verheimlicht ihn nicht. Es wäre aber dabei ein Fehler anzunehmen, die Bedeutung liege in der Metapher selbst. Sie wird vielmehr vom Deutenden erst konstruiert: „Metaphern sind die Traumarbeit der Sprache, und ihre Deutung sagt - wie bei der Traumarbeit - durch Spiegelung über den Deutenden genauso viel wie über den Urheber" (Davidson 1998, S. 49). Davidson verweist in dem oben zitierten Satz (metaphorisch) zugleich auf die engen, aktuell immer stärker bewusst werdenden Bezüge zwischen Metaphorik und Psychologie/Psychoanalyse (vgl. z.B. - theoriebezogen - Soyland 1994 oder - empirisch-anwendend - Schmitt: 1995). Als Pionier kann diesbezüglich Lacan (1986b) gelten, der der Psychoanalyse das Feld der Sprache und des Sprechens neu erschlossen hat - und u.a. darauf hinwies, wie zentral metaphorisch-sprachliche Strukturen für die Formierung des Subjekts sind (vgl. auch ders.: 1986a und 1986c sowie aktuell Konersmann: 1991 und Schafer 1995). Deshalb ist die Psychoanalyse, richtig gedeutet, auch „alles andere als ein Versuch zur Eliminierung des metaphorischen Denkens (oder der Übertragung), vielmehr ermöglicht sie, als >Metaphernanalyse< verstanden, sich der Anwendung von Metaphern bewusst zu werden und zu einem selbstkritischen Verhältnis zu den Metaphern (und Gegensätzen) zu gelangen, von denen wir gelebt werden und die wir leben" (Carveth 1993, S. 32f.).

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Dieses »metaphorische« Bewusstsein führt dazu, daß nunmehr auch die psychoanalytische Metaphorik einer kritischen Analyse unterzogen wird (vgl. ebd. sowie Spence 1987). Und selbst in der traditionell eher am naturwissenschaftlichen Modell ausgerichteten Kognitionspsychologie keimt seit längerem die Erkenntnis, daß metaphorische Ausdrücke Verstehen sehr wirkungsvoll organisieren können, weil in der Metapher eine Verbindung zwischen Bild und Wort geschaffen wird, so daß beide Ebenen sich gegenseitig ergänzen und verstärken (vgl. z.B. Paivio 1979). Lakoff und Johnson behaupten gar, daß „unser alltägliches Konzeptsystem, nach dem wir sowohl denken als auch handeln, [...] im Kern und grundsätzlich metaphorisch [ist]" (1998, S. 11). Unser gesamtes (praktisches) Leben, nicht nur die Sprache, beruht also auf metaphorischen Konzepten. Dieser bedeutenden „Realität" des Metaphorischen sollte sich gerade eine kritische Psychologie und Gesellschaftstheorie also nicht entziehen - wenn sie sich nicht in der Dialektik der Metapher versticken will. Um uns aber selbst nicht in der nun ausgiebig beschworenen Dialektik der Metapher zu verstricken, sondern unserer eigenen, hier aufgestellten Anforderung der kritischen Reflexion gerecht zu werden, wollen wir an dieser Stelle nachholen, was wir (aufgrund des Zwangs zur Kürze) in unserem ursprünglichen Beitrag vernachlässigt wurde: nämlich eine kritische Auseinandersetzung mit unserer eigenen Metaphorik. Dabei möchten wir zuerst, in kurzen Stichpunkten, auf einige - von uns durchaus wahrgenommene - Probleme der Metapher der sozialen Landschaft eingehen, aber auch, hierauf aufbauend, ihre heuristischen Potentiale für eine kritische Gesellschaftstheorie reflektieren (detaillierter und vergleichend zu anderen Metaphern verfährt Jain 2001b). Wie wir schon fragend in unserem Ausgangstext bemerkten: Das metaphorische Bild der sozialen Landschaft impliziert unter Umständen eine romantisierende, idyllisierende Perspektive. Nicht zufällig wurde das Genre der Landschaftsmalerei in der Epoche der Romantik entdeckt (vgl. Praz 1988, S. 223ff.). Zudem versteht man unter Landschaft in der Regel eine organisch gewachsene Umwelt. Die Landschaftsmetapher steht damit in deutlicher Nähe zu (politischen) Körper- und Pflanzen-

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metaphern - und kann folglich, obwohl wir unsere Metapher explizit nicht derart verstanden wissen wollen, im Sinn einer Naturalisierung von Herrschaftsverhältnissen gelesen werden. Andererseits können konkrete Ungleichheitsverhältnisse im Bild der Landschaft nur schwer gefasst werden. (Soziale) Ungleichheit kann bestenfalls als niedrigere oder höhere Raumposition, mit einem entsprechend privilegierten Blick, oder in kleineren oder größeren Raumanteilen gedacht werden. Allerdings gilt einschränkend zu dieser (Selbst-)Kritik: Raum ist - vor allem unter den Bedingungen des aktuellen globalisierten Kapitalismus - eine immer zentralere Kategorie für die kapitalistische Produktion wie auch für die Konstitution von Klassenverhältnissen (vgl. z.B. Lefebvre 1974 sowie Soja 1989 und Jain 1999/2000a). Ein anderer kritischer »Punkt« der Landschaftsmetaphorik ist, daß mit Landschaft eher Starrheit und Unveränderlichkeit assoziiert wird beziehungsweise landschaftliche Veränderungen nur über vergleichsweise lange historische Zeitläufe erfolgen (können). Aber gerade dies verweist eben auf die Historizität von Gesellschaft, die sich unserer Meinung nach noch nicht in einem ahistorischen Cyberspace aufgelöst hat - obwohl es zweifellos Diffusionsprozesse gibt (vgl. auch Jain 2000b). Gesellschaft, als historische Figuration, ist also wohl doch (noch) nicht so netzwerkartig und fluide strukturiert wie selbst einige kritische Denker sie beschreiben (vgl. z.B. Castells 1996 oder Bauman 2000). Dieses, durch die Landschaftsmetapher geförderte historische Bewusstsein, macht andererseits potentiell klar, daß wir alle Teil dieser Geschichte, Teil der Landschaft sind: Man ist schließlich immer in einer Landschaft und nie reiner Außenbeobachter, und man ist (alleine dadurch) immer in ihre industrielle wie kulturelle Produktion aktiv eingebunden - auch wenn es einem nicht bewusst sein mag. Zudem verweist die Landschaftsmetapher auch auf die (zunehmende) Hybridisierung von Natur und Gesellschaft (vgl. auch Latour 1995). Denn Landschaft ist immer die menschlich gestaltete Natur - wie immer diese Gestaltung konkret aussehen mag. Folglich können (soziale) Landschaften sehr verschiedene Formen/Figurationen annehmen. Sie können etwa (vgl. unser Ausgangstext) nach dem Muster des Renaissance-Gartens gestaltet sein,

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der, wie die feudalistische Gesellschaft der frühen Neuzeit, auf einer extrem beschneidenden, Anpassung und Unterordnung erfordernden (staatlichen) Gewalt beruht. Oder sie entsprechen dem Bild der agroindustriellen Monokultur, die Natur (und Mensch) ausbeutet, sie der instrumentellen Vernunft des kapitalistischen Systems überantwortet. Weiterhin können wir, um ein abschließendes Beispiel für die heuristischen Potentiale der Landschaftsmetapher zu nennen, den fiktiven aktuellen (Markt-)Wildwuchs nach dem Muster des Englischen Gartens lesen, in den die (unsichtbare) Hand des Gärtners kaum weniger gestaltend und gewaltvoll eingreift als beim Renaissance-Garten. Erst wenn diese subtile Gewalt wahrgenommen wird, könnte ein utopischer (sozialer) Landschaftsraum erschlossen werden: das horizontale Netz des Rhizoms.

3. (Selbst-)Verortungen als eine Frage von Ressourcen und Macht Die Individualisierungsprozesse im sich globalisierenden Kapitalismus nicht a priori unter einer Verlustperspektive zu betrachten, heißt nicht, ihre Kostenseite zu leugnen. Im Gegenteil, wir gehen davon aus, dass die Analyse der komplexen Veränderungen in der Funktionalität sozialer Ressourcen wie auch im Zugang zu ihnen eben dadurch genauer wird, wenn man moderne Individualisierungsprozesse nicht als den Verlust, sondern als die Veränderung sozialer Beziehungen begreift. Unser Veränderungsbegriff, das allerdings nehmen wir für uns in Anspruch, schließt selbstverständlich die Frage nach der Kostenseite mit ein. Unter einer Veränderungsperspektive betrachtet wird die Identitätsrelevanz sozialer Netzwerke unmittelbar deutlich. Die Auflösung traditioneller Ligaturen führt nicht nur zu einem Verlust von sozialer Einbindung und Verhaltenssicherheit, sondern reduziert auch Zwänge durch soziale Kontrolle und Normierung. Damit einher gehen ein individueller Freiheitsgewinn und eine Zunahme von Optionen, die es dem Individuum erleichtern, „Wahlverwandtschaften" anstelle von „Zwangsgemeinschaften" einzugehen. Für die Subjekte bedeutet das allerdings auch mehr Verantwortung für die eigene soziale Integration. Das kann ohne

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Zweifel als Belastung und manchmal auch als Überforderung erlebt werden. Die Möglichkeit zur Realisierung dieser Optionenvielfalt wird sicher graduell von der sozialen Position und Ressourcenlage der Subjekte abhängen. Auf diesen Punkt machen einige Kommentare (z.B. Paul Mecheril) zurecht aufmerksam und wir werden ihm - wie auch schon in vorausgehenden Projekten - die gebührende Aufmerksamkeit schenken. Die Verfügung über ökonomisches, kulturelles und soziales Kapital spielen hier eine zentrale Rolle. Und die Teilhabe an Erwerbsarbeit - das zeigen auch unsere eigenen Forschungen (zusammenfassend Keupp, Ahbe, Gmür at al. 1999) - ist ganz ohne Frage nach wie vor eine Grundvoraussetzung soziale Integration in unserer Gesellschaft. Ja man kann sogar sagen, dass im Zuge der Individualisierung die Rolle von Erwerbsarbeit für die Selbstdefinition der Subjekte noch gewachsen ist. Dies bedeutet andererseits, dass Arbeitslosigkeit und diskontinuierliche Erwerbskarrieren die Beteiligungen und Verfügbarkeiten von Ressourcen sehr begrenzen, die Vielfalt an erreichbaren Optionen massiv beschneiden. Hier geht Modernisierung häufig mit einer beträchtlichen Reduzierung an sozialen Beziehungen einher, und die wenigen verbleibenden bekommen einen eher noch stärkeren Zwangscharakter. Unter der psychologischen Perspektive eines Belastungs-Bewältigungs-Paradigmas stellen soziale Netzwerke also vor allem einen Ressourcenfundus dar. Hier geht es um die Frage, welche Mittel in bestimmten Belastungssituationen im Netzwerk verfügbar sind oder von den Subjekten aktiviert werden können, um diese zu bewältigen. Die klassischen Untersuchungen haben sich dabei vor allem auf Arbeitslosigkeit, schwere Krankheiten und Todesfälle konzentriert. Eines der wesentlichen Ergebnisse war, dass Frauen, obwohl sie die größeren Netzwerke haben und im Normalfall den Großteil der Beziehungsarbeit in solchen Netzwerken leisten, sie in eigenen Belastungssituationen weniger gut nutzen können. Dies ist eine Auswirkung der weiter unten diskutierten geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung, der darauf basierenden, also sozial konstruierten Geschlechtsrollen und deren Verankerung in der weiblichen Subjektivität. Ein weiteres Ergebnis ist, dass die als pro-

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totypisch „solidarisch" idealisierte Arbeiterkultur im Zuge der Modernisierung in Auflösung begriffen ist und die sozialen Netzwerke von Arbeitern immer mehr geschrumpft sind bis hin zu Formen sozialer Isolation. Beide Aspekte: die Konstruktion weiblicher Subjektivität und die Auflösung von in die Arbeiterkultur eingebetteten Unterstützungsstrukturen verweisen neben der Kostenseite insbesondere auch auf die Frage nach den Machtstrukturen in unserer Gesellschaft. Eine geschlechtsund/oder klassenspezifische Betrachtung der Individualisierungskosten schützt hier sicher vor einer unkritischen Aporie der gesellschaftlichen Verhältnisse; allerdings gilt auch hier, dass die Frage nach den Veränderungen und ihrer Dynamik und Interdependenz uns weiter bringt als die bloße Kostenfrage. Aus der Sicht der sozialen Verortung der Subjekte ist die Perspektive eines Belastungs-Bewältigungs-Paradigmas nur einer der möglichen Blickwinkel auf die Ressourcenfrage. Insofern als das Soziale nicht eine dem Individuum äußere Sphäre darstellt, derer es sich bedient oder nicht, sondern das Subjekt nur als Soziales zu denken ist, stellt sich die Frage, welche Rolle den je verfügbaren Ressourcen bei der Identitätsarbeit der einzelnen zukommt. Dafür ist weniger der bloße Besitz dieser Ressourcen relevant, als vielmehr die Art, wie diese im Rahmen einer Identitätsentwicklung für die jeweiligen Prozesse in identitätsrelevante Prozesse übersetzt werden (Ahbe 1997). Hier sehen wir zwei wichtige Transformationsleistungen. Zum einen werden unter der Perspektive der Identitätskonstruktion bestimmte Kapitalien in andere Kapitalsorten verwandelt. Zum anderen werden „äußere Kapitalien" in identitätsrelevante innere Kapitalien/Ressourcen übersetzt (Keupp u. a. 1999). Betrachtet man die erste Transformation, so transferiert ein Subjekt verschiedene Kapitalien in andere, indem es beispielsweise soziales Kapital (Kontakte) in kulturelle oder materielle Ressourcen verwandelt (z. B. Freizeitkontakte zur Arbeitsbeschaffung nutzt). Mit der zweiten Transformationsleistung werden Kapitalien in identitätsrelevante Ressourcen übersetzt. Hier sehen wir vor allem die drei zentralen Übersetzungskategorien des Optionsraumes, der sozialen Relevanzstruktur und der Bewältigungsressource. Am Beispiel des sozialen Kapitals verdeut-

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licht, kann dieses für die Identitätsentwicklung des Subjekts in dreifacher Form eine Rolle spielen, d.h.: 1. als Optionsraum. Die in einem individuellen Netzwerk versammelten Personen bilden zugleich ein Netzwerk an möglichen Identitätsentwürfen und -projekten. Sie enthalten Vorbilder bzw. Spiel Varianten biographischer Abläufe, die unter verschiedenen Aspekten eingeordnet werden können. Die Netzwerke eröffnen so dem Subjekt Möglichkeitsräume für Identitätsentwürfe. Viele Träume gewinnen erst in der konkreten Auseinandersetzung mit signifikanten Anderen ihre identitätsrelevante Kraft. Und zudem ist das soziale Netzwerk jener Ort, in dem die Aushandlungsprozesse stattfinden, die das Subjekt zur Realisierung eines Identitätsprojektes braucht. Am Beispiel sozialen Engagements bedeutet dies etwa, dass bestimmte Optionen (eines angestrebten Engagements) ohne eine soziales Umfeld, das dies akzeptiert, ohne Chance auf Verwirklichung bleiben. 2. als soziale Relevanzstruktur. Die Entscheidung, welche identitätsrelevanten Perspektiven jemand für seine Person zulässt, erfolgt stets in einem - oft impliziten - Aushandlungsprozess im sozialen Netzwerk. Letzteres fungiert hierbei nicht zuletzt auch als Filter für „Lebensstilpakete", wie sie in unserer Gesellschaft über Medien ständig kommuniziert und propagiert werden. Ob jemand sich beispielsweise dafür entscheidet, eine bestimmte Form sozialen Engagements zu einem Identitätsentwurf oder -projekt zu machen, hängt stark von der Bewertung durch signifikante Andere des individuellen Netzwerks. In sozialen Netzwerken entsteht ein (in seinen Grenzen heute oft unscharfes) Geflecht von Normalität, von „In" und „Out", von als „cool" bewerteter Abweichung bis hin zur mit negativer Sanktionierung verbundenen Ausgrenzung. Vor allem aber wird im sozialen Netzwerk etwas verhandelt, was für den gesamten Identitätsprozess konstitutiv ist: soziale Anerkennung. 3. als identitätsbezogene Bewältigungsressource. Soziale Netzwerke wirken in Orientierungskrisen als Rückhalt und emotionale Stütze. Gerade wenn der Prozess der Identitätsbildung durch innere Spannungen oder äußere Umbrüche kritisch wird, ist es eine Frage - hier

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- des sozialen Kapitals, über welche Möglichkeiten des „Krisenmanagements" ein Subjekt verfügt, weil ihm in seinem Netzwerk entsprechende Unterstützung zuteil wird oder umgekehrt entsprechende Ressourcen (Liebe, Anerkennung, Zugehörigkeit) entzogen werden. Diese dreifache Qualität der Kapitalien gilt keineswegs nur für den identitätsbezogenen Ressourcentransfer des sozialen Kapitals, sondern natürlich auch für die anderen Kapitalsorten. Materielles Kapital etwa eröffnet eine Vielzahl an Optionen, denen wiederum eine spezifische Relevanzstruktur eigen ist und die eine deutlich andere Qualität als Bewältigungsressource haben. Ähnliche Transferprozesse gelten auch für kulturelles Kapitel. Auch hier übersetzen Subjekte das vorhandene Kapital unter anderem in Optionsräume, Relevanzstrukturen und Bewältigungsressourcen. Nach unserer Auffassung wäre es also verkürzt, die Ressourcenfrage nur unter dem Gesichtspunkt der materiellen Ressourcen zu betrachten. Es wäre weiter zu kurz gegriffen, die Frage sozialer Verortung mit einem bloß austauschtheoretischen Blick zu analysieren. Wenn man von einem Identitätsbegriff ausgeht, der die Alterität als Konstituens mit einschließt, dann ist die Frage nach der sozialen Verortung die nach der Konstitution von Subjektivität. Die Analyse von Praktiken der sozialen Verortung ist dann der Versuch, dieses komplexe Spiel von Identität/Alterität in einem empirischen Teilbereich näher zu beleuchten. Die Frage der Handlungsfähigkeit eröffnet einen dritten Blickwinkel auf die je vorhandenen Ressourcen. Subjektkonstruktionen umfassen nicht nur Werte, Ziele und Vorstellungen von sich selbst, sondern auch Vorstellungen (Selbst-Theorien) über das eigene Funktionieren und über die Fähigkeit/Möglichkeit zur Gestaltung des eigenen Lebens. Dabei entsteht ein Gefühl und Wissen subjektiver Handlungsfähigkeit. Handlungsfähigkeit kann mit Klaus Holzkamp (1983) charakterisiert werden als die Fähigkeit eines Individuums, über seine eigenen Lebensbedingungen zu verfügen, indem diese Lebensbedingungen aktuell und potentiell reproduziert und produziert werden. Holzkamp stellt in seinem Verständnis der Handlungsfähigkeit vor allem den gesellschaftlichen Aspekt in den Vordergrund. Vorwerg (1990, S.16) betont demge-

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genüber den „Doppelcharakter" von Handlungsfähigkeit. Danach begründet sich Handlungsfähigkeit nicht nur in den Bedeutungs- und Handlungszusammenhängen, wie sie objektiv in gesellschaftlichen Strukturen vermittelt sind. Vielmehr ist sie auch als individuelle Befähigung zu verstehen, sich unter bestimmten Bedeutungs- und Handlungszusammenhängen kompetent verhalten zu können. Er unterscheidet drei Aspekte von Handlungsfähigkeit: 1. als potentielle Verfügung über die eigenen Lebensbedingungen, verstanden im Sinne der Fähigkeit, gesellschaftlich begründete Verhaltenserfordernisse zu erkennen und zu handhaben, indem das Subjekt sie mit seinem individuellen Beitrag kollektiv beherrschbar hält/macht und diese Bedingungen so entwickelt, dass sich prospektiv die Handlungsbedingungen verbessern und (potentiell) eine Erweiterung seiner Handlungsfähigkeit entsteht. 2. als Funktionalität in konkreten Handlungszusammenhängen im Sinne der Fähigkeit, die eigenen Ziele und die anderer Menschen sowie der objektiven Strukturen funktionsfähig im aktuellen Handeln sowie prospektiv zu vermitteln. 3. als Kompetenz in der aktuellen Handlungsregulierung im Sinne der Fähigkeit, sich mit seinen psychischen Voraussetzungen auf Anforderungen einzustellen und diese auch zu realisieren. Handlungsfähigkeit stellt eine Rahmenqualität menschlichen und menschenwürdigen Daseins dar. Sich als jemand zu erleben, der über die eigenen Lebensbedingungen verfügen und sie gestalten kann, bildet den Gegensatz zu Gefühlen des Ausgeliefertsein an die Verhältnisse, der Angst und der Unfreiheit. Notwendige Voraussetzung für ein solches Selbsterleben als handlungsfähig ist ein hohes Kohärenzgefühl Nach Höfer (1999) umfasst das Konstrukt des Kohärenzgefühls drei Aspekte: den verstehensorientierten Aspekt (comprehensibility), der nach Vorwerg notwendig ist, um gesellschaftlich begründete Verhaltenserfordernisse zu erkennen, den sinnorientierten Aspekt (meaningfulness), über den die eigenen Ziele in bezug auf andere und die gesellschaftlichen Strukturen vermittelt wird, und den umsetzungsorientierten Aspekt (ma-

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nageability). Bei letzterem geht es um die Frage, wie Subjekte die Gestaltungsmöglichkeiten ihres eigenbestimmten Handelns bewerten. Dem Kohärenzgefühl kann der Status einer generalisierten Bewältigungsressource zugeschrieben werden. Insofern kann es im Vorwergschen Sinne auch als wichtiger Teil der geforderten Kompetenz der Handlungsregulierung gelten. Besteht hier nicht die Gefahr einer Entsorgung der Frage nach der gesellschaftlichen Bedingtheit von Handlungsfähigkeit im Holzkampschen Sinne, der Ausblendung und Individualisierung gesellschaftlicher Verwerfungen mittels eines Konzeptes individueller Kohärenz? Wir meinen: Ja. Aber es besteht auch - wie wir meinen: zurecht die Chance, gerade in der Analyse subjektiver Handlungsfähigkeit und ihrer Bedingungen vorhandene Widerstandspotentiale zu erkennen. Insofern öffnet der Blick auf das Subjekt in einer individualisierten Gesellschaft auch den Blick auf die Ressourcen seiner Lebenskraft und Sperrigkeit. Die Konstruktion sozialer Bindungen und ihre Veränderung kann also unter verschiedenen theoretischen Perspektiven analysiert werden. Für uns ist die enge Bindung an Theorien der Subjektkonstruktion wichtig. Unter dem Fokus einer Identität als Selbstkonstituierung, die in Verhältnissen der Alterität stattfindet und Anerkennung als zentrales Element beinhaltet, ist der Blick auf gesellschaftliche Ligaturen und ihre Veränderungen immer auch einer auf die subjektiven Möglichkeiten und Strategien zur Sicherung von Handlungsfähigkeit, verstanden nicht als einem abstraktes Vermögen, sondern als einem konkreten gesellschaftliches Tun.

4. Kennt Vergesellschaftung kein Geschlecht? Tamara Musfeld verweist in ihrem Beitrag auf die Notwendigkeit geschlechtspezifischer Analysen und argumentiert damit im Sinne unserer Forschungsperspektive. Auch wir gehen davon aus, dass die Kernfrage der sozialen Verortung nicht geschlechtsneutral zu bearbeiten ist. Auch wenn in der jüngsten Zeit in der deutschsprachigen Geschlechterforschung von der Auflösung überkommener Strukturen des Geschlechter-

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Verhältnisses im Zusammenhang mit einer zunehmenden Erosion kollektiver Soziallagen die Rede ist (vgl. Becker-Schmid 2000, S.143) die, wie vermutet wird, zu einem Bedeutungsverlust der Kategorie „Geschlecht" führt, stellt sich die Frage worin ein solcher denn liegen könnte? Spielt bei der gesellschaftlichen Verortung und der Zugehörigkeit zu sozialen Gruppen die Frage der Geschlechtszugehörigkeit tätsächlich keine Rolle mehr oder gibt es lediglich andere gesellschaftliche Strukturvorgaben, in denen sich aber nach wie vor ungleiche Positionierungen reproduzieren? Wir nehmen Tamara Musfelds Anregungen als Möglichkeit, um die im Antrag nicht ausreichend ausgewiesenen geschlechtsspezifischen Überlegungen unseres Projekts deutlicher zu formulieren. Das Modell der geschlechtspezifischen Arbeitsteilung, ebenso wie die geschlechtsbezogene Trennung von öffentlicher und privater Sphären stellt in der Moderne eine zentrale Ligatur dar, die sich erst langsam zu verändern beginnt. So war die Organisation der Arbeit in der ersten Moderne hochgradig ungleich verteilt und implizierte zumindest auf der ideologischen Ebene einen weitgehenden Ausschluss der Frauen aus dem Arbeitsmarkt. Diese wurden verwiesen auf die private Sphäre in Form der Kleinfamilie, die als Garant für die Reproduktion der (vorwiegend) männlichen Arbeitskraft gesehen wurde. Auf der faktischen Ebene haben Frauen allerdings zu allen Zeiten auch Erwerbsarbeit geleistet, wenngleich in schlechteren Positionen, niedriger bezahlt und oft in prekären Arbeitsverhältnissen. Allerdings veränderte der in den sechziger Jahren entstandene neuerliche Individualisierungsschub nicht nur kollektive Lebensmuster sondern auch die auf die Produktions-Reproduktionsteilung bezogenen Geschlechterbeziehungen. Frauen drängten zunehmend auf den Arbeitsmarkt, die eingeschliffene geschlechtsspezifische Arbeitsteilung wurde schrittweise aufgebrochen und es gibt heute eine Vielfalt und ein Nebeneinander unterschiedlichster Paar-, Familien- und Erwerbsformen. Das Verhältnis von ideologischen und faktischen Bezügen hat sich verändert. Haben Frauen früher gearbeitet, obwohl sie ideologisch nur als Mutter und Haufrau legitimiert waren, ist heute die Erwerbstätigkeit der

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Frauen ideologisch kein umstrittenes Thema mehr, ohne dass dies jedoch faktisch durch Gleichberechtigung im Arbeitsleben und Gleichverteilung der häuslichen Arbeit gekennzeichnet wäre. Bei allen Veränderungen, darf man nicht übersehen, dass (alte) Ungleichgewichte bestehen blieben. Born et al. (1996) zeigen, dass die Gesellschaft in ihrer Organisationsstruktur nach wie vor nicht auf die Vereinbarkeit von Familie und Beruf eingerichtet ist, da die Privatsphäre gegen das Erwerbssystem abgeschottet ist. Hausarbeit und Erwerbsarbeit im Ensemble „Frauenarbeit" koordiniert, sind Bedingungen gesellschaftlicher Reproduktion, die aber als solche gesellschaftlich nach wie vor nicht als gleichwertig und zusammengehörig behandelt werden. Im Ausbildungssystem und auf dem Arbeitsmarkt zeigen sich unterschiedliche Tendenzen. Gottschall (1995) verweist auf Entwicklungen, die die Begründung und Funktionalität geschlechtlicher Ungleichbehandlung fragwürdig erscheinen lassen. Nach Aulenbacher et al. (1995) ist die geschlechtsspezifische Differenzierung in den Betrieben in Bewegung gekommen und ist je nach Branche für die Frauen mit Gewinnen oder Verlusten verbunden. Die derzeitige Situation im Geschlechterverhältnis ist offensichtlich sowohl geprägt durch das Aufbrechen alter Strukturen bei gleichzeitiger Konservierung und Festschreibung eingespielter Verhaltensweisen und Verteilungen. Bei der Analyse zur sozialen Positionierung gilt es, die Statik und Dynamik gleichermaßen im Blick zu behalten. Der Individualisierungsschub führte zwar zu einer Erosion sozialer (klassenmäßiger) Zuordnung und Einbindung. Fraglich erscheint jedoch, ob daraus zwangsläufig geschlossen werden kann, dass die Wahrnehmung und Bewertung der Ordnung der Welt nicht mehr binär, nach den Kriterien von Geschlecht erfolgt. Das Argument von Tamara Musfeld die verschiedenen sozialen Positionierungen in der Gesellschaft zu berücksichtigen, da sie der sozialen Verortung vorausgehen, ist sicherlich richtig, allerdings sollte unseres Erachtens ein wesentlicher Erkenntnisfokus weniger auf der reinen Gegenüberstellung von männlichen und weiblichen Mustern liegen. Es gibt Differenzierungen innerhalb der Geschlechter, die nicht zuletzt neben sozialstrukturellen Faktoren auch aufgrund zunehmend individualisierter Lebensentwürfe, wie wir vermuten

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zu unterschiedlichen Positionierungen führen können. Der feministische und der postkoloniale Diskurs machen darauf aufmerksam, dass die bloße Zugehörigkeit zur Genus-Gruppe „Frauen" weder mit gleichen Erfahrungen noch mit identischen Problemlagen verbunden sein muss (vgl. Axeli-Knapp 2000, S. 63). Internationale Studien verweisen darüber hinaus auf die Notwendigkeit die weiblichen Erfahrungszusammenhänge und Kontexte sowohl aus einer lokalen als auch einer globalen Perspektive zu erforschen (vgl. Flew et al. 1999, S. 393). Daran schließt sich die Frage an, ob nicht auch die Zuschreibungsmodi von Männlichkeit und Weiblichkeit uneindeutiger geworden sind? Individuen sind bzw. werden nicht nur in bestimmte Lebenswelten eingebunden, sondern sie binden sich auch selbst ein, je nach dem welche Wertvorstellungen und Ziele sie im Rahmen ihres jeweiligen Lebensentwurfs verfolgen. Die Positionierung in Gesellschaft erfolgt zunehmend mehr durch (notwendige und mögliche) Entscheidungsprozesse, die zwar sicherlich geschlechtsspezifisch geprägt sind, aber durch die die Geschlechtszugehörigkeit weniger als früher allein prädeterminiert ist. Die Pluralisierung von Perspektiven (etwa als Single, Ehefrau, Ehefrau und Mutter, berufstätige Mutter, unverheiratete Mutter) verändert nicht nur die sozialen Praktiken, sondern auch den Blick von Frauen und Männern auf die sie umgebende Welt. Dieser Wandel lässt sich m.E. an veränderten Deutungsmustern nachvollziehen. In Interviews mit jungen Frauen und Müttern fällt auf, dass die Entscheidung, die Erziehungsarbeit zu übernehmen, als Ergebnis von Aushandlungsprozessen sowie als Ergebnis eigener und selbstgewählter Entscheidungen wahrgenommen und vertreten wird. Unter diesem Blickwinkel muss nicht jede „geschlechtsspezifische Arbeitsteilung" und die damit verknüpfte MutterKind-Einheit als traditionale Ligatur verstanden werden. Auch wenn die Formen durchaus dem traditionalen Muster zu gleichen scheinen, entscheidet sich an der Frage der Aushandlung und Reflexivität die Frage der Einordnung in „alte oder neue" Muster. Bei Bewertung der Muster stellt sich natürlich die Frage (wie reflexiv Entscheidung auch getroffen sein mögen), ob die mit der Entscheidung zu Kind und Familie verbundenen „Kosten" nicht vor allem die

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Bewegungs- und Möglichkeitsräume von Frauen einschränkt? Denn wie auch Tamara Musfeld ausführt, sind es immer noch die Frauen die vorwiegend versuchen, die Sphären von Reproduktion und Produktion zu synthetisieren. Insofern sind die Freiheitsgrade für Männer und Frauen andere. Mit dieser Realisierung von Identitätsprojekten legt sich das Subjekt fest und nimmt damit gleichzeitig eine bestimmte Position im sozialen Raum ein (z.B. bei der Berufsentscheidung auf einen bestimmten Beruf, als Mutter auf die lokale Szene an Kinderbetreuungsmöglichkeiten). Damit gekoppelt ist immer eine Auseinandersetzung mit den in den jeweiligen sozialen Bezügen geltenden Weiten, Einstellungen und Normen. Wenn auch diese Festlegungen raum-zeitlich fluider werden und wir uns - wie Urry (2000) ausführt - zu netzwerkartig strukturierten, dynamischen und beweglichen materiell-sozialen Gebilden, zu Netzwerkknoten bewegen, so ist unter einer Geschlechterperspektive dennoch zu fragen, ob diese eben keinen homogenen Raum darstellen, sondern Gruppen exkludieren (vgl. Sassen 1991)? Historisch gesehen war der öffentliche Raum lange Zeit geschlechtsspezifisch wie auch sozial segregiert. Die unteren Klassen einer Gesellschaft waren ebenso wie die Frauen meist ausgeschlossen. Während beispielsweise die Arbeiterklasse sich dann eingegrenzte eigene öffentliche Räume schuf, blieb der öffentlicher Raum letztlich auch hier den Männern vorbehalten. Vor allem durch den - auch ideologisch stärker akzeptierten - Einzug von Frauen auf den Arbeitsmarkt, erodierte auch die Ausgrenzung aus sozialen und räumlichen Zusammenhängen zunehmend. Eine historische Rekonstruktion zeigt die Öffnung von Vereinen für weibliche Mitglieder. Beispielsweise kam es bei der Gruppe der Wandervögel bzw. -schwestern, in der (bürgerliche) Mädchen 1905 erstmals als Kollektiv auf Wanderschaft gingen, zu grundsätzlichen Auseinandersetzungen mit der gesellschaftlichen Rolle und der sozialen Position sowie mit dem genehmigten Raum' für Mädchen und für das weibliche Geschlecht führen (vgl. M. de Ras 1988). Auch wenn die Debatte um den „weiblichen Raum" von den jungen männlichen Führern des Wandervogels getragen und als Mädchenfrage (unter anderen Fragen) diskutiert wurde, ist damit die Entdeckung der Mädchen als Mäd-

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chen an sich und der Konstruktionsprozess von Eigenständigkeit verknüpft. Ausdrucksformen dieser Mädchengestalt kamen im Prozess des Bewegens, in sich ständig verändernden Konstellationen zustande (vgl. ebd. S. 4). Solche Suchbewegungen und Handlungspraktiken verändern Strukturen institutioneller Einbindung. Mädchen, Frauen so könnte man verkürzt feststellen wurden und werden nicht mehr nur in ihren „klassischen" Rollen mit einbezogen. Nicht zuletzt ist es den veränderten Interessen und Handlungspraxen der Frauen zu verdanken, dass das klassische Ehrenamt in die Krise geraten ist. Zudem entstanden neben eher „traditionalen" Gruppierungen im Rahmen der Bürgerrechts-, Frauen- und ökologischen Bewegung neue Formen des sozialen Engagements. Es bildeten sich in den sechziger Jahren eine Reihe von Organisationen und Gruppierungen, die sich der klassischen Organisationsform entzogen haben. So zeigt beispielsweise Wuthnow (1998), wie sich diese Formen seit den 50er Jahren verändert haben zu den jetzigen relevanten Formen, wie dem Engagement in gemeinnützigen Vereinen, dem Engagement von Ehrenamtlichen und Professionellen, sowie in einer Reihe von Selbsthilfe- und Interessengruppen. Ebenso wurde das Modell des guten Nachbarn durch das der guten Freunde abgelöst. Wuthnow verweist aber auch darauf, dass die „traditionalen" Organisationen weiterhin ihre Bedeutung als Anker für Freiwilligen- und Projektarbeit haben. Auch auf der Ebene der Zugehörigkeit zu Vereinen und Organisationen gilt beides, die Statik und Dynamik zu analysieren. Offen ist, ob und wie sich die teilweise deutlich geschlechtsspezifisch differenzierten Beteiligungsformen verändert haben: Haben wir nach wie vor als dominantes Erscheinungsbild ein der traditionellen Rolle der Frau entsprechendes „dienendes Ehrenamt" gegenüber dem Vereinsfunktionär als klassisch männlicher Variante? Oder haben sich von weiblichen und männlichen Lebensentwürfen geprägte Mischformen (weiter-)entwickelt haben? Wie wir vermuten, werden diese sowohl Merkmale traditionaler wie auch reflexiv moderner Organisationen tragen. Die für uns wichtige Frage ist, inwieweit hier unsere These zutrifft, ob sich die sozialen Verortungsstrategien je nach organisationeller Zugehörigkeit unterscheiden.

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Es ist für uns eine offene Frage inwieweit „neue" soziale Gruppierungen hier nicht auch andere Muster und zwar für beide Geschlechter anbieten. Wir erwarten, dass Frauen und Männer zwar keineswegs gleich, aber zumindest in veränderten Verortungsstrategien agieren. Um für geschlechterdifferenzierende Aussagen eine Basis zu schaffen, haben wir in unserem Forschungsdesign gesichert, dass gleich viel Männer und Frauen befragt werden. Und an diese Informationen schließen wir auch gleich Informationen zum aktuellen Stand unseres Forschungsprojektes an:

5. Stand der Dinge: Eine Halbzeitbilanz der ersten Forschungsphase Heute, beinahe zwei Jahre nach der Formulierung unseres Forschungsantrages, kann es nicht nur um den Stand von damals gehen; vielmehr ist auch vom Fortgang unserer Arbeit in den letzten 18 Monaten zu berichten. Wie leicht nachzuvollziehen ist, leitete sich aus unserem Anspruch, soziale Verortung unter den Bedingungen reflexiver Modernisierung zu untersuchen, ein Interesse an Modernisierungstheorien ab. Die von manchen unterstellte Beliebigkeit des Begriffes gesellschaftlicher Moderne können wir nicht nachvollziehen, es sei denn man wollte eine fehlende Kanonisierung der Diskussion als Mangel empfinden. Insbesondere auf Manuel Castells' monumentales dreibändiges Werk „The information age: Economy, society and culture" (1996/1997/1998) möchten wir in dem Zusammenhang verweisen, in dem der Versuch unternommen wird, Merkmale des globalisierten Kapitalismus herauszuarbeiten. Castells kommt aus der Linken und das leitet auch sein Erkenntnisinteresse in diesem Werk. Er sucht nach Ansatzpunkten eingreifender „Identitätspolitik" in einer Weltgesellschaft, in der Gegenmacht nicht mehr über klassische Traditionen nationalstaatlich orientierter Gewerkschaftspolitik möglich ist. Richard Sennetts Bestseller „Der flexible Mensch" (1998) hat uns ausführlich beschäftigt. Wir haben uns mit den Analysen von Robert Wuthnow (1998) und Robert Putnam (2000) beschäftigt, die die Entwicklung des sozialen Kapitals in den USA sehr unterschiedlich analysieren. Wir haben uns auch intensiv mit Kritikern der Individuali-

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sierungstheorie auseinandergesetzt (z.B. mit Pierre Bourdieu und Oskar Negt). Neben dieser Rezeptionsarbeit ging und geht es um eine Auseinandersetzung mit der Theorie reflexiver Modernisierung selbst, die im Münchner SFB 536 im Fluss ist und mit ihrer Veränderungsdynamik eine ambivalente Herausforderung für ein empirisch gerichtetes Projekt darstellt. Sonderforschungsbereiche habe auch das finanzielle Polster, um Gastforscherinnen für einige Tage als Gesprächspartnerinnen einzuladen. So waren Bruno Latour, der Begründer der „Actor-Network"Theorie und Autor des Buches „Wir sind nie modern gewesen" (1995), John Urry, der innerhalb der Soziologie mit seinem Buch „Sociology without societies" (2000) Furore gemacht hat, und nicht zuletzt auch Zygmunt Bauman (2000; 2001), der in unermüdlicher Produktivität an seinem eigenen Ansatz einer Diagnose der Postmoderne arbeitet, beim Münchner SFB zu Gast. Im Diskurs mit Gastforschern, im SFB-Gesamtkontext und in projektinternen Diskussionen versuchen wir unser Ziel - wie im Antrag formuliert - zu verfolgen, die Theorie der reflexiven Modernisierung soweit zu differenzieren und empirienah zu formulieren, dass daraus überprüfbare Hypothesen für die empirische Forschung abgeleitet werden können. Denn das musste unser erster Schritt sein: den Blick auf die soziale Verortung in ein empirisches Programm zu übersetzen. 5.7

Die Analyse

sozialer

Organisationen

Allgemeines Ziel unseres Projektes ist, herauszufinden und theoretisch zu rekonstruieren, wie sich Individuen unter den Bedingungen reflexiver Modernisierung sozial verorten und in welchen Formen bzw. Kontexten sie umgekehrt aktiv in die Gesellschaft eingebunden sind, sich einbringen. Wir blicken also zum einen auf unterschiedliche organisatorische Figurationen und erwarten zum anderen, dort je unterschiedliche Einbettungstypen anzutreffen. Um zunächst die Auswahl möglichst unterschiedlicher Organisationen sicherzustellen, haben wir eine Reihe von Kontrastdimensionen gebildet. Sie sollen es ermöglichen, Organisationen umfassend zu charakterisieren und insbesondere Unterschiede in der Spiegelung von (reflexiven) Modernisierungsprozessen zu verdeutlichen. Somit, so unsere These, haben die Kontrastdimensionen übergrei-

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fende Relevanz im Hinblick auf die Ausdeutung und Konkretisierung der Theorie reflexiver Modernisierung. Tabelle 1: Kontrastdimensionen von Organisationen Dimension Formale Struktur: Dimensionen Raumbezug: Zeithorizont: Inhaltliche Dimensionen Fokus: Orientierung: Charakter: Modale IntegrationsDimensionen modus: Diskursmodus: Aktionsmodus:

Polarität hierarchischdifferenziert lokal kontinuierlich weit/allgemein innen konservativstatisch funktionalausschließend monologisch formalistischroutinehaft

dezentralentdifferenziert enträumlicht-global diskontinuierlich eng/konkret außen innovativdynamisch lebensweltlicheinschließend dialogisch flexibel-expressiv

Die theoriegeleitet gebildeten Dimensionen sind analytische Konstrukte und dürfen nicht als „real" gegeben gesetzt werden. Wir ordnen sie in drei Bereiche, in eine formale, eine inhaltliche und schließlich eine modale Ebene. Auf der formalen Ebene interessieren uns Struktur (hierarchisch-differenziert oder dezentral-entdifferenziert), Raumbezug (lokal oder enträumlicht-global) und Zeithorizont (kontinuierlich oder diskontinuierlich) einer Organisation. Inhaltlich unterscheiden wir nach ihrem Fokus (eng oder weit bzw. konkret oder allgemein), ihrer Orientierung (innen oder außen) und ihrem Charakter (konservativ-statisch oder innovativ-dynamisch). Hinzu kommen drei modale Dimensionen, die sich auf die organisatorischen Prozesse und Ausdrucksformen beziehen: der Integrationsmodus (lebensweltlich oder funktional), der Diskursmodus (dialogisch oder monologisch) und der Aktionsmodus (formalistischroutinehaft oder performativ-expressiv).

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Die Gruppen/V ereine/Initiativen haben wir so ausgewählt, dass möglichst das ganze Spektrum von Dimensionen bzw. Polaritäten abgedeckt ist. Dabei zeigte sich naturgemäß die Notwendigkeit weiterer Differenzierungen und das Vorhandensein - mindestens zunächst - hinzunehmender Unschärfen. Letztere ergeben sich z.B. aus den Beschränkungen unseres je vorläufigen Erkenntnisstandes und den Spannungsfeldern innerhalb einer Organisation. Nachbarschaftshilfen etwa können im Hinblick auf ihre Hierarchisierung sehr unterschiedlich organisiert sein, der Raumbezug indes wird generell lokal sein. Die Freiwillige Feuerwehr wiederum, eine weitere von uns untersuchte Gruppierung, agiert in einem zunehmend komplexeren Aufgabenfeld. In weiten Teilen ist sie zu einer „Mobilitätswehr" geworden, mit zuständig für die Aufrechterhaltung der Fiktion einer Beherrschung von Mobilitäts-Nebenfolgen: Sie wird zum Mobilitätsgaranten, der bei Verkehrsunfällen Bergungs- und Aufräumarbeiten übernimmt. Nicht „Haus und Hof 4 schützt sie heute primär, sondern „Auto und Straße". Das verändert naturgemäß die Art der Aufgabe. Dies gilt aber eben nicht für alle Feuerwehren im gleichen Maße. Die neun Dimensionen waren zum einen Referenzpunkte für die Gruppenauswahl, zum anderen Ordnungselemente unserer theoretischen Diskussion. So kann z. B. die Kontrastdimension des Raumbezuges und seiner Veränderungen (in der Zeit und in Bezug auf Zeit) als ein relevantes Merkmal für die Beurteilung des Modernisierungsgrads von Gesellschaften gelten. Darauf verweist etwa Anthony Giddens (1990, S. 64), der in Globalisierungsprozessen (die nach ihm gerade auf der Trennung von Raum und Zeit beruhen) eine der zentralen „Konsequenzen der Moderne" sieht: Die Dynamik der Moderne läuft auf eine Gesellschaft hinaus, in der selbst „ferne" Ereignisse lokale Gegebenheiten beeinflussen. In ähnlicher Weise macht David Harvey (1989) - in Anlehnung an Marx - auf die durchaus problematische Raum-Zeit-Kompression in der (Welt-)Gesellschaft des globalen Kapitalismus aufmerksam. Der lokale Bezug wird allerdings nicht notwendig völlig bedeutungslos. Vielmehr kommt es zu weltweiten Transformationsprozessen, die, wie Appadurai (1990) zeigt, auch zu einer Stärkung des Lokalen

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(Bewusstseins) führen können. Roland Robinson (1997) führt für diese Dialektik der Globalisierung den Begriff der „Glokalisierung" ein. Solche Analysen müssen zwangsläufig die Entwicklung der elektronischen Medien mit einbeziehen, womit ein weiterer Diskussionsstrang der Dimension Raumbezug benannt wäre. Hier wird von einer Reihe Autorinnen darauf verwiesen, dass wir es mit einer zunehmenden Virtualisierung der sozialen Beziehungen, mit einer Abkopplung vom konkreten (Interaktions-)Raum zu tun haben werden (vgl. Castells 1996). Damit ist gleichzeitig gesagt, dass aktuell sowohl eine „globale" Zunahme der sozialen Bedeutung der Raumdimension wie eine Eliminierung des konkreten Räumlichen auszumachen ist (vgl. Jain 2000). Auf der Basis dieser allgemeinen Analysen zeigt ein Blick auf den Raumbezug konkreter Organisationen ein vielfältiges und widersprüchliches Bild. Sie können einen sehr engen Raumbezug aufweisen, wie er für die traditionale Gesellschaft typisch war. Der Raumbezug kann aber auch erweitert sein, wobei die Erweiterung in einem ersten Schritt meist auf den nationalen Kontext, in einem zweiten Schritt dann international bezogen ist. Beide Orientierungen entsprechen im übrigen der (einfachen) Moderne und ihrer Fixierung auf den Nationalstaat (vgl. Gellner 1991). Den Verhältnissen einer globalisierten und vernetzten (Welt-) Gesellschaft am ehesten zu entsprechen scheint ein globaler und zugleich enträumlichter Bezug, der auch Vermischungen lokaler und globaler Referenzen zulässt sowie virtuelle Handlungs- und Beziehungsräume eröffnet. Es ergibt sich also, was die Dimension des Raumbezugs von Organisationen anbelangt, die Polarität zwischen einem eng umgrenzten lokalen Raumbezug und einem enträumlicht-globalen Bezug. Die beispielhaft erläuterte Dimension des Raumbezuges dient uns zusammen mit den anderen acht vorgestellten Kontrastdimensionen als rein analytisch-theoretische Differenzkonstruktion mit bipolarer Ausprägung dazu, empirisch rekonstruierbare Unterschiede der sozialen Gegebenheiten zu verdeutlichen. Die Dimensionen sind (relativ freizügig) abgeleitet aus der Diskussion einer Theorie reflexiver Modernisierung (vgl. Beck, Giddens & Lash 1995) und beinhalten notwendig eine Fülle von impliziten Annahmen über den Charakter von vormodernen, klassisch

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modernen und reflexiv-modernen Gesellschaften und Organisationen. Beim Versuch einer idealtypischen Unterscheidung dieser drei Organisationstypen fällt im übrigen auf, dass der theoriegeleitet konstruierte Organisationstyp, wie er der „klassischen" bzw. einfachen Moderne entspricht - die ja nach Ulrich Beck eine unvollendete und damit halbierte Moderne darstellt - auf vielen Ebenen tatsächlich gebrochen, noch in traditionalen Mustern verhaftet ist. Andererseits stellt dieser Organisationstyp gerade durch die spezifische Mischung von hierarchischer Struktur, innovativer Dynamik und expansivem Universalismus, eine weit „radikalere" Form dar als der reflexiv-moderne Organisationstypus. Das könnte möglicherweise bedeuten, dass die reflexive Moderne sich nicht, wie Beck dargelegt hat, als (einfache) Radikalisierung der einfachen Moderne darstellt, die deren Bewegung fortführt und damit zugleich ihre Widersprüchlichkeit hervorkehrt (1986, S. 12ff.), sondern vielmehr als eine „redigierende" Korrekturbewegung. Dafür spricht auch, dass Beck selbst an anderer Stelle primär den Aufbruch der modernen „entweder-oder-Logik" durch reflexive Prozesse herausstellt und von einem „Zeitalters des und" spricht (1993, S. 9ff.). Vielleicht entfaltet die Moderne ihre Reflexivität also gerade darin, dass sie die „ursprüngliche" Bewegung der Moderne von ihren „totalitären", einengenden, vereinheitlichenden Aspekten befreit. Und darin ist sie selbst „halbiert" bzw. vermittelnd: Sie stellt eine eigentümliche Mischung von (reflektierter, bewusster) Kontinuität und konsequentem Bruch zur traditionalen und der klassisch modernen Ordnung dar, vermengt bewahrende und modernisierende Elemente. Sie reflektiert (soll heißen: hinterfragt) die Tradition ebenso wie die Muster der „einfachen" Moderne und gewinnt so eine neue Qualität. So macht möglicherweise - neben der Ermöglichung von Vielfalt durch das Kontingenzräume schaffende Aufbrechen der starren Formen der „einfachen" Moderne - gerade das Hybride und Uneindeutige, die Diffusion der (System-)Grenzen, den spezifischen Charakter der reflexiven Moderne aus. Und das spiegelt sich im Kleinen betrachtet oft deutlicher als im Großen - auch in „ihren" Organisationen (und kann zurückgespiegelt werden).

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Ausgehend von einer solchen theoretischen Rückbindung unserer neun Kontrastdimensionen kamen wir über ein theoretical sampling zur Bestimmung der Gruppen/ Vereine, aus denen wir 40 Interviewpartnerinnen (20 Frauen und 20 Männer) ausgewählt haben, mit denen wir inzwischen Interviews durchgeführt haben. Für die erste Projektphase ging es uns darum, auf eine breite Streuung unseres Samples zu achten, um ein möglichst facettenreiches Bild zu bekommen. Neben den erwähnten Gruppierungen Nachbarschaftshilfe und Freiwillige Feuerwehr gehören auch lokale Gruppen von Amnesty International und dem (katholischen) Kolpingverein zu unserer Auswahl. Hinzu kommen die „Naturfreunde", ein „Tauschring" und eine türkische Eltern-Kind-Gruppe. Weitere Interviewpartnerinnen entstammen der „Raver-Szene". Ebenfalls interviewt werden Mitglieder der „Karawane", einer „glokal" agierenden politisch/sozial engagierten Gruppierung. Aktuell bemühen wir uns noch um eine „virtuelle" Gruppierung, deren Mitglieder sich überwiegend/ausschließlich im Internet organisieren. 5.2

Der Blick aufs

Subjekt

Während der erste Schritt der Erarbeitung einer Dimensionierung sozialer Organisationen gegolten hatte, ging es in einem zweiten Schritt um die subjektive Dimensionen der sozialen Verortung. Damit wurde das Instrumentarium für die Interviewphase konzeptuell vorbereitet und präzisiert und zudem erste Schritte zu Überlegungen zur Auswertung begründet. Dieses subjektbezogene weitere Dimensionenmodell soll uns im Kontext unserer qualitativen Befragungen eine gezielte Erfassung der vielfältigen sozialen Bezüge der Subjekte erlauben mit dem Ziel, eine Typologie individueller Strategien sozialer Verortung zu erstellen. Zudem hoffen wir, Aufschlüsse darüber zu gewinnen, ob neben konventionellen Einbettungsmustern auch „posttraditionale Ligaturen" im Entstehen begriffen sind oder eher Prozesse eines „Disembedding" dominieren. Der in diesem Kontext zentrale Begriff der „Verortung" umfasst sowohl die materielle Ebene (ökonomisches und soziales Kapital, aber auch dingliche Netzwerkelemente etc.) wie die emotionale und symbolische Ebene der sozialen Bezüge (Ideen, Gefühle, soziale Konstruktionen etc.).

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Zu letzterer zählen also neben - eher latenten - narrativ-diskursiven auch - eher bewusste - reflexiv-kognitive Verortungen. Das bedeutet, dass wir unseren Blick zugleich in drei Richtungen wenden müssen: -

auf die strukturellen Dimensionen der sozialen Bezüge des Subjektes,

-

auf die emotional-subjektiven Dimensionen der Verortung sowie

-

auf die Valenzdimension(en) - also auf die Frage, welche aktuelle oder potentielle „Wertigkeit" die sozialen Bezüge für das Subjekt haben bzw. bereitstellen.

Auf der Strukturebene richten wir unser Augenmerk einerseits zunächst ganz allgemein auf den (horizontalen wie vertikalen) Differenzierungsgrad sowie den Konzentrationsgrad und die Dichte/Intensität der sozialen Bezüge des Subjekts. Was die räumliche Struktur der individuellen Beziehungsnetze anbelangt, so wird deren Weite und Streuungsgrad, aber auch die zunehmend bedeutende Dimension der Virtualisierung/Mediatisierung untersucht. Die Zeitdimension der sozialen Bezüge rückt sowohl unter der Perspektive der Kontinuität/Diskontinuität wie unter der Perspektive der Aktualität/Latenz in den Blickpunkt. Neben strukturellen Dimensionen - sozusagen von der anderen Seite her betrachtet - sind auch emotional-subjektive Dimensionen für eine „relationale Figurationsanalyse" und die Typisierung von individuellen Verortungsstrategien potentiell relevant. Dies gilt natürlich besonders ausgeprägt, wenn man einen sozialpsychologischen Blick auf Prozesse reflexiver Modernisierung werfen will. Denn es geht hier speziell um die ambivalenten Wechselbeziehungen zwischen (sozial-) strukturellen und institutionellen Transformationsprozessen und ihren individuell-psychologischen Widerspiegelungen. Wir untersuchen also, wie sich eine spezifische Figuration sozialer Bezüge auf der Subjektseite emotional - eventuell auch widersprüchlich - manifestiert. In diesem Kontext interessieren uns folglich insbesondere die Fragekomplexe bzw. Dimensionen „Vertrauen/Sicherheit vs. Angst/Unsicherheit", „Anerkennung/ Ermutigung vs. Demoralisierung", „Beheimatung vs. Orientierungslosigkeit/Entbettung", „Sinn/Identitätsstiftung vs. Leere/Mangel", „Identi-

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fizierungsgrad/Commitment/Ich-Nähe" Selbstbezüglichkeit/Narzissmus".

sowie

„Idealisierungsgrad/

Tab. 2: Dimensionen einer relationalen Figurationsanalyse Strukturelle Dimensionen

Emotional-subjektive Dimensionen

Valenz der Bezüge (Valenzdimensionen)

Allgemein

Differenzierungsgrad

Konzentrationsgrad und Dichte/Intensität Raumstruktur Weite und Streuungsgrad Virtualisierungsgrad/Mediatisierung Zeitstruktur Dauer/Kontinuität versus Diskontinuität Aktualität vs. Latenz/Absterben Vertrauen/Sicherheit vs. Angst/Unsicherheit Anerkennung/Ermutigung vs. Demoralisierung Beheimatung vs. Orientierungs losigkeit/Entbettung Sinn/Identitätsstiftung vs. Leere/Mangel Identifizierungsgrad/Commitment/Ich-Nähe /-Ferne Idealisierungsgrad/Selbstbezüglichkeit/ Narzissmus Funktionalität/Ressourcenbereitstellung Aufladungsgrad Eindeutigkeit vs. Mehrdeutigkeit Abgrenzung vs. Integration/Vernetzung Starrheit vs. Offenheit Autonomieförderung vs. Bindung

Der dritte Dimensionskomplex schließlich umfasst die Valenzdimensionen und soll die Wertigkeit der sozialen Bezüge erfassen. Er fragt nach Ein- oder Mehrdeutigkeit von sozialen Bezügen, nach dem Grad ihrer

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Abgrenzung voneinander und nach der Starrheit oder Offenheit in den jeweiligen Rollenvorgaben. Das komplexe Verhältnis von Autonomie und Bindung ist ebenfalls den Valenzdimensionen zugeordnet. Weiter fragen wir, inwiefern die (strategische) Funktionalität sozialer Bezüge konkret eine Rolle spielt. Und schließlich geht es uns um den Grad der Aufladung der sozialen Bezüge durch z. B. lange und vielfältige biographische Einbindungen in einen sozialen Kontext. Nach, der zur Zeit stattfindenden Auswertungsphase wird über die Ergiebigkeit unserer theoretischen Überlegungen und unserer empirischen Wahl zu befinden sein. Das werden unsere 12 Gutachterinnen tun, aber wir laden auch unsere Kommentatorinnen ein, zu überprüfen, ob alle ihre Befürchtungen eingetreten sind bzw. ob wir ihre Anregungen haben produktiv aufnehmen können. Literatur Adam, B., Beck, U. & Loon, J.van (Eds.) (2000). The risk society and beyond. Critical issues for social theory. London: Sage. Ahbe, T. (1997). Ressourcen - Transformation - Identität. In H. Keupp & R. Höfer (Hg.), Identitätsarbeit heute: Klassische und aktuelle Perspektiven der Identitätsforschung (S. 207-226). Frankfurt/M.: Suhrkamp. Adorno, T.W. (1966). Negative Dialektik. Frankfurt: Suhrkamp. Adorno, T.W. (1973). Ästhetische Theorie. Frankfurt: Suhrkamp. Angermüller, J., Bunzmann, K. & Rauch, C. (Hg.) (2000). Reale Fiktionen, fiktive Realitäten. Hamburg: Lit Verlag. Appadurai, A. (1990). Disjuncture and difference in the global cultural economy. In M. Featherstone (Hg.), Global culture (S. 295-310). London: Sage. Aristoteles (1994 [1481]). Poetik. Stuttgart: Reclam [Entstehung zwischen 367 und 347 v. Chr., Erstdruck: Venedig 1481] Aulenbach, B., Siegel, T. (1995). Diese Welt wird völlig anders sein. Denkmuster der Rationalisierung. Pfaffenweiler: Centaurus. Axeli-Knapp, G. (2000). Konstruktion und Dekonstruktion von Geschlecht. In. R. Becker-Schmid & G. Axeli-Knapp (Hg.). Feministische Theorien. Hamburg: Junius. S.63-123. Bacon, F. (1990 [1620]). Neues Organon [Novum Organum]. Hamburg: Felix Meiner Verlag [Originalausgabe: London]. Bauman, Z. (2000). Liquid Modernity. Cambridge: Polity Press. Bauman, Z. (2001). The individualized society. Cambridge: Polity Press. Beck, U. (1986). Die Risikogesellschaft. Frankfurt/M.: Suhrkamp.

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Stadtteilfest Neuperlach

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„Wer ist denn der Vater?" Verque(e)re Gedanken zum Thema Geschlecht und Erziehung In dem Zeitraum von 1993 bis 1995 avancierte ein Thema, welches zuvor nur im Rahmen der unmittelbar interessierten Gruppe Anlaß zu Auseinandersetzungen gegeben hatte, zu einem der beliebtesten Themen der deutschsprachigen Medienlandschaft: die Elternschaft von lesbisch lebenden Frauen. So rückte beispielsweise Martina Navratilova in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses, als die Bildzeitung berichtete, der ehemalige Tennisstar wolle mit Hilfe von Reproduktionsmedizin schwanger werden. Darüber hinaus schien jedes Nachrichtenmagazin über Frauen berichten zu wollen, die in einer lesbischen Beziehung ein oder mehrere Kinder erziehen, und zahlreiche Redaktionen von Fernsehsendungen suchten lesbische Mütter als Gesprächspartnerinnen für Talkshows und Reportagen. Das Thema der lesbischen Elternschaft wurde im öffentlichen Diskurs auf diese Weise verstärkt etabliert, was ich im Sinne des Machtbegriffs von Michel Foucault als „Ausstreuung und Einpflanzung polymorpher Sexualitäten" (Foucault, 1991, S.23) interpretieren möchte, denn die neue Form der Reproduktion wurde keineswegs unterdrückt, sondern im Gegenteil geradewegs mitproduziert. Ohne Zweifel ist der „Babyboom" in homosexuellen Partnerschaften auch auf die Kampagne der Medien zurückzuführen. Dabei handelten die Medien nur bedingt im Interesse ihrer Rezipientinnen und Rezipienten, wie eine Umfrage aus dem Jahre 1994 ergab: dort beantworteten nur 37 Prozent der angesprochenen Personen die Frage „Sollten homosexuelle Paare Kinder haben dürfen?" positiv (vgl. Die Woche, 1994, S.19). Die nun schon ein Vierteljahrhundert andauernde Debatte um die Konstruiertheit von Geschlecht griff somit erstmals in einen Bereich hinein, der zuvor von grundlegenden Infragestellungen verschont geblieben war: in den Bereich der Reproduktion. Obwohl in den 90er Jahren das Gebären und Zeugen von Kindern in einer Kernfamilie, die aus

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Mutter, Vater und Kindern besteht, immer häufiger vom Erziehungsprozeß entkoppelt wird und Begriffe wie „Einelternfamilie" oder „soziale Elternschaft" längst eingeführt sind, bleiben die symbolischen Positionen in der Erziehung weiterhin an dem Vater-Mutter-Kind-Modell orientiert. Interessant scheint mir in diesem Zusammenhang die Frage, welche neuen Perspektiven die Koppelung von lesbischer Sexualität mit dem Bereich der Reproduktion hinsichtlich des Verhältnisses von Geschlecht und Erziehung eröffnet? Können anhand dieses Beispiels Schlüsse darüber gezogen werden, wie Geschlechter bezogen auf den Erziehungsprozeß hervorgebracht, wahrgenommen und interpretiert werden? Und was würde das für den erziehungswissenschaftlichen Diskurs bedeuten, der sich traditionell mit der Hervorbringung von Geschlecht in Sozialisation und Erziehung befaßt und in den meisten Fällen auf den Prozeß der Identifikation und Annahme einer kohärenten Geschlechtsidentität fokussiert? Womit, so ließe sich fragen, identifiziert sich das Kind? Was ist eine Mutter und was ein Vater und welche Konsequenzen hat es, wenn die Elternschaft nicht mehr ausschließlich vom Zwei-Geschlechter-Modell repräsentiert wird? Inwieweit wird das Thema der Herstellung von Geschlecht durch das alleinige Fokussieren auf die Sozialisation von Kindern und Jugendlichen reduziert und vereinfacht? Muß nicht vielmehr auch von der Hervorbringung des Geschlechts der Eltern gesprochen und in diesem Sinne die Auseinandersetzung mit den Bereichen Geschlecht und Generation eröffnet werden? Ich gehe von der Vorausetzung aus, daß die Entwicklung einer Geschlechtsidentität nicht zu einem bestimmten Zeitpunkt abgeschlossen ist, sondern während einer Lebensspanne stets erneut verhandelt wird. So ergibt die Befragung heterosexueller Eltern, die vor kürzerer Zeit ihr erstes Kind bekommen haben, daß sich die Herstellung polarisierter Geschlechterpositionen in dieser Situation in vielen Fällen verschärft oder erst einstellt (vgl. Reichle 1996). Die sich neu ergebende Aufgabenstellung der Erziehung eines Kindes provoziert demnach ein verstärktes Thematisieren von Geschlecht. Diesen Vorgängen gilt es, in Zukunft in erziehungswissenschaftlicher Theoriebildung Rechnung zu tragen.

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Prozesse der Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung von Geschlechterdifferenzen treten dort am deutlichsten hervor, wo ihre übliche Funktionsweise durchkreuzt wird. Bezogen auf das Thema Geschlecht und Erziehung erscheint es mir deshalb sinnvoll, lesbische Elternschaft zum Ausgangspunkt meiner Überlegungen zu machen. Die Prozesse der Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung von Geschlechterdifferenzen möchte ich in einem ersten Schritt anhand der Repräsentationen lesbischer Elternschaft im öffentlichen und fachspezifischen Diskurs analysieren. Wie wird Erziehung von Kindern innerhalb einer Familie thematisiert, wenn zwei Personen, aber nur ein Geschlecht an der Elternschaft beteiligt sind? In einem zweiten Teil soll das traditionelle Elternarrangement zwischen Mutter und Vater näher betrachtet werden. Ich möchte fragen, welche Eigenschaften Mutter und Vater repräsentieren, die an ihr Geschlecht rückgekoppelt werden und welche Rolle die Komplementarität der Geschlechter in der Erziehung eines Kindes spielt. Auf diese Weise wird umrissen, was als notwendige Bestandteile von Erziehung aufgefaßt und in welcher Weise diese den Geschlechtern zugeordnet werden. Der dritte Teil fragt nach Möglichkeiten der Beschreibung einer Elternschaft, in dem die Kategorie Geschlecht nicht den Platzhalter für verschiedene Positionen unter Eltern darstellt.

1. „Wo ist denn der Vater?u In der Frauenzeitschrift Brigitte erschien 1993 der Artikel „Wieso hat Gary zwei Mamas gekriegt?", der verschiedene Beispiele lesbischer und schwuler Elternschaft in den Vereinigten Staaten vorstellt und bereits in einem kurzen Abschnitt die wichtigsten Facetten des Themas Geschlecht und Erziehung in Hinblick auf lesbische Elternschaft berührt. „Inzwischen ist Gary zweieinhalb Jahre alt, ein putzmunteres Kind, das von seinen beiden Müttern - er nennt sie Mum und Mommy - um die Wette verwöhnt wird. „Er ist ein Genie!" sagt Lisa strahlend. „Kann sogar schon Basketball spielen. Er wird bestimmt mal ein richtiger Junge." Jeden Nachmittag übt sie mit ihm Werfen und Fangen, und wenn sie müde ist, kommt Karen an die Reihe. Tagsüber geht er in den Kindergarten, hat eine kleine Freundin, Angela, die sich schon mal neidisch erkundigt hat: „Wieso hat Gary zwei Mamas gekriegt und ich nur eine?" Trotzdem

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Anja Tervooren macht Lisa sich Sorgen, ob er wohl später mal verspottet wird, weil er keinen Vater hat" (Brigitte, 1993, S.90).

Der beschriebene kleine Gary hat also zwei Mütter und obwohl er zwei Mütter hat, wird er ein richtiger Junge, der sogar jetzt schon eine gegengeschlechtliche Freundschaft eingeht, was eine korrekte Entwicklung der sexuellen Orientierung erwarten läßt. Die Entwicklung des Jungen hinsichtlich Geschlecht und Sexualität wird von den Eltern unterstützt und gefördert. Die beiden Mütter sind dadurch charakterisiert, daß sie sich intensiv um das Kind kümmern und von diesem als zwei Personen identifiziert werden können, ein Punkt, der besondere Erwähnung findet, ebenso wie die Sorge von Mutter Lisa, ob sich Nachteile für das Kind aufgrund des fehlenden Vaters ergeben könnten. Ausgehend von diesem kleinen Beispiel läßt sich allgemeiner feststellen, daß diese spezifischen Punkte die Knotenpunkte in der Berichterstattung sowohl der Regenbogenpresse als auch von den seriöser arbeitenden Magazinen darstellen. Die Aufmerksamkeit richtet sich zum einen auf die geschlechtliche und sexuelle Entwicklung des Kindes und zum anderen auf Aussagen zur Repräsentation von Weiblichkeit, die, aber das wird erst noch zu zeigen sein, häufig mit einer fehlenden Differenzierung innerhalb der Beziehung zwischen Mutter und Kind verknüpft wird. Einen dritten Punkt stellt die Thematisierung des „Mangels Vater" dar, die in sehr unterschiedlicher Weise verläuft. So fällt bei Medien jenseits der Regenbogenpresse auf, daß diese stets vermeiden, einen Mangel zu konstatieren (vgl. z.B. Spiegel, 1994). Sie weisen auf die geglückte Erziehungssituation hin und treten damit der Interpretation, daß es am Vater mangele, entgegen. Aber gerade aus diesem Grunde orientiert sich die Berichterstattung an dem Modell der Zweigeschlechtlichkeit innerhalb von Elternschaft. Die Zweigeschlechtlichkeit bildet so die Folie, auf der das Neue interpretiert wird, so daß es auf diese Weise entgegen der eigentlichen Intention eine normative Bedeutung erhält. Diesem Interpretationsmuster folgt sehr viel expliziter die psychologische Fachliteratur aus dem hauptsächlich angloamerikanischen und niederländischen Raum, wenn sie darum bemüht ist, auf der Ebene der Psychologie der Entwicklung einen Mangel zu widerlegen, den der feh-

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lende Vater hervorzurufen scheint. Die empirisch angelegten Untersuchungen fokussieren auf die Bereiche von Geschlechtsidentität, sexueller Identität und psychischer Stabilität, in denen eine problematische Entwicklung erwartet wird, um dann festzuhalten, daß die Entwicklung bei den untersuchten Kindern ebenso normal verlaufe, wie bei Kindern, die in heterosexuellen Partnerschaften aufwachsen. Da die ersten Untersuchungen über Kinder, die in heterosexuellen Partnerschaften geboren und nach einer Trennung der Eltern in homosexuellen Partnerschaften aufwuchsen, bereits Anfang der 80er Jahre angestellt wurden, kann bereits auf Ergebnisse von Langzeituntersuchungen bezüglich der normalen Entwicklung dieser Kinder zurückgegriffen werden (Golombok et al., 1983; Tasker & Golombok, 1997). In den letzten Jahren kommen Untersuchungen der Entwicklung von Kindern hinzu, die von Lebensbeginn an mit zwei Müttern aufgewachsen sind (Breways & van Hall, 1997; Breways et al., 1997). Diese Art von Vorgehen, so wichtig die Forschungsergebnisse im rechtlichen Bereich etwa bei Sorgerechtsentscheidungen auch sein mögen, widerlegt den Mangel nicht. Der Mangel wird nur wiederholt, wenn auch unter positiven Vorzeichen. Somit geraten auch derartige Interpretationen, obwohl sie unter dem Anspruch von Emanzipation und Gleichstellung antreten, zu einem Werkzeug der Normalisierung und können die Wahrnehmung, Interpretation und Bewertung von Geschlechterdifferenzen nicht grundlegend verschieben. Die Schwierigkeit, Modelle von Elternschaft ohne einen Rückgriff auf traditionelle Familienmodelle zu denken, wirft die Frage auf, was einen Vater im Gegensatz zur Mutter repräsentiert. Ich möchte im Folgenden auf die Hervorbringung von Weiblichkeit und Männlichkeit Bezug nehmen, um mich im letzten Teil eingehender mit den Aspekt des gegenund gleichgeschlechtlichen Begehrens in der Entwicklung des Kindes zu beschäftigen.

2. Die Dynamik der Spaltung Der Ödipuskomplex, so wie Sigmund Freud ihn ausarbeitete, stellt nach wie vor eines der wichtigsten Interpretationsmuster für das Verhältnis von Geschlecht und Erziehung im öffentlichen Bewußtsein dar, obwohl

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seine Bedeutung in der neueren Geschichte der Psychoanalyse zugunsten der Bedeutung präödipaler Vorgänge mehr und mehr zurückgedrängt wurde. Laut klassischer Interpretation lernt das Kind in der Zeit vom 3. bis 5. Lebensjahr den Unterschied zwischen den Geschlechtern und Generationen kennen. Nach Entdeckung des anatomischen Geschlechtsunterschieds beginnt der Junge, die Mutter zu begehren und mit dem Vater um ihre Gunst zu kämpfen. Er entwickelt gegenüber dem Vater unbewußte Tötungswünsche und imaginiert, dieser bedrohe ihn mit Kastration. Der Autorität des Vaters letztlich Folge leistend, verzichtet er auf einen Teil seiner sexuellen Wünsche an die Mutter und identifiziert sich mit dem Vater. Das Mädchen begehrt in dieser Phase analog den Vater und rivalisiert zunächst mit der Mutter, identifiziert sich aber später mit ihr und verzichtet auf einen Teil ihrer sexuellen Wünsche an den Vater. In der ödipalen Situation bricht der Vater die Dyade zwischen Mutter und Kind auf und bringt das Kind zu der Erkenntnis, daß es nicht das einzige Liebesobjekt der Mutter darstellt. Damit symbolisiert der Vater für das Kind einerseits die schmerzlich erlebte Trennung von der Mutter und den Verlust der engen Beziehung zu ihr, andererseits repräsentiert er jedoch auch das begehrte Außen, das die Loslösung von der Mutter erst möglich macht. In dieser Phase bildet sich nach Freud das Über-Ich aus, welches an die Unterwerfung unter die väterliche Autorität gekoppelt ist (Freud, 1975). Die Psychoanalytikerin Jessica Benjamin kritisiert an diesem Modell zu Recht, daß der Vater als Schutz vor einer verschlingenden Mutter gesehen wird, die im Gegensatz zum Vater nicht Differenz, sondern Vereinigung und Entdifferenzierung repräsentiert (vgl. Benjamin, 1990). Laut Benjamin ist das Kind bei Freud darauf angewiesen, daß es durch den Vater zur Kulturfähigkeit geführt und in die Auseinandersetzung mit der Realität eingewiesen wird, so daß der Vater für die Prinzipien von Individuation und Differenzierung steht.1 Das Kind muß laut Benjamin seine Eltern in eine „Mutter der Abhängigkeit" und einen „Vater der Befreiung" aufspalten und die Rolle der Mutter bzw. allgemeiner Weiblichkeit als Subjektposition zurückweisen. Für den Jungen ist dies zwar auch mit Verletzungen verbunden, gravierendere Spuren hinterläßt die-

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ser Vorgang jedoch beim Mädchen, das in Konflikt mit seiner eigenen Identität gerät. Die frühe Spaltung läßt Weiblichkeit als verführerische Bedrohung der Individuation erscheinen.2 Der Modus der Hervorbringung von Geschlecht in der Elternschaft ist demnach der von Komplementarität. Je mehr der Vater Abwesenheit repräsentiert, desto stärker wird er begehrt und idealisiert, während sich dieser Umstand bei der Mutter umgekehrt verhält. Im Zusammenspiel mit dem Vater repräsentiert sie bereits negative Attribute wie Entdifferenzierung und Symbiose, die sich jedoch noch verstärken, wenn der Vater abwesend ist. Die symbolischen Positionen des Vaters und der Mutter bleiben damit konstant und letztlich ahistorisch organisiert. Benjamin entwickelt anhand dieser Kritik am Freudschen Paradigma eine Theorie der Intersubjektivität, in der die Differenzierung zwischen Selbst und anderen bereits von den ersten Lebenstagen an in der Dyade zwischen Mutter und Kind erlernt wird. Für das Erlernen von Differenzen und Differenzierungen sind so keineswegs zwei Elternteile notwendig, da Differenzierung innerhalb von Beziehungen und damit in Beziehungen zu einem, zwei oder mehreren Elternteilen erlernt werden kann. Selbst namhafte feministische Psychoanalytikerinnen entkamen in der Vergangenheit der Logik der Komplementarität innerhalb des Geschlechterarrangements nicht. Die Philosophin Judith Butler zeigt, daß in dieser Weise die Konzeption des mütterlichen Körpers der Literaturwissenschaftlerin und Psychoanalytikerin Julia Kristeva gedeutet werden muß (vgl. Butler, 1991, S.124ff). Kristeva beschreibt den Körper der Mutter als nährend, bindend und mit der Erinnerung an das Gefühl des Einsseins verknüpft. Kristeva kultiviert auf diese Weise den Mythos des mütterlichen Körpers als Ursprung und beschreibt diesen als der Kultur vorausgehend. Somit behält sie die Vorstellung von Kultur als väterlicher Struktur bei und grenzt Mütterlichkeit als vorkulturell ab. Da die Mutter als Ursprung immer schon da ist, also den Pol der Anwesenheit repräsentiert, muß folglich der Vater, sozusagen um die Anwesenheit zu relativieren, als abwesender Vater repräsentiert werden. Auf diese Weise wird eine Dynamik zwischen der Mutter als Ursprung und dem Vater als Mangel errichtet. Der Preis, den eine solche Argumentation zu zahlen

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hat, ist nicht nur, daß Weiblichkeit innerhalb dieser kulturellen Anordnung Männlichkeit stets untergeordnet bleibt, sondern darüber hinaus die enge Verbindung zweier Frauen mit einem psychotischen Zustand gleichgesetzt wird, in welchem die Auseinandersetzung mit Kultur, Individuation und Realitätsprinzip keinen Raum zu haben scheint. Die französische Psychoanalytikerin Janine Chasseguet-Smirgel äußert sogar explizit, daß Erziehung, in der die Geschlechterdifferenz auf der Seite der Eltern keine Bedeutung hat, gefährlich für die geistige Gesundheit des Kindes sei. „Reality is made up of differences. If all is equal, there is no reality, there is chaos. To leave this chaos, which is the same as psychosis, it is necessary to have differences...(But) it is necessary to help the child classify, to make categories, and the first category is the category mother/father" (Chasseguet-Smirgel, 1988, S. 125).

Die Autorin stellt - ähnlich wie Kristeva - dem Realitätsprinzip die Unfähigkeit zu differenzieren, d.h. einen psychotischen Zustand gegenüber und setzt voraus, daß die allererste Kategorie der Differenzierung die Unterscheidung zwischen den Geschlechtern sein muß. Somit verweist sie auf die implizite zweigeschlechtliche Voraussetzung der Psychoanalyse, die ich nicht nur deshalb für äußerst problematisch halte, weil sie Weiblichkeit mit Entdifferenzierung gleichsetzt, sondern darüber hinaus von der Überzeugung ausgeht, die Differenz zwischen Selbst und anderem könne nicht anders als in Geschlechterdifferenzen codiert werden. Diese Vorannahme soll im Folgenden kritisiert werden.

3. Symbolische Positionen und Übergangsraum In vielen Fällen definieren symbolische Positionen heterosexueller Elternschaft nicht nur in privater, sondern ebenso in öffentlicher Erziehung die Bedeutungen von Geschlecht. So arbeiten z.B. Frauen in großer Anzahl in Bereichen, in denen Bildung und Erziehung mit nahen Beziehungen gekoppelt ist: im pädagogischen Feld der ersten zehn Lebensjahre oder in jenen Bereichen, in denen Erziehung unter erschwerten gesellschaftlichen Bedingungen stattfindet wie den sozial- oder sonderpädagogischen Arbeitsfeldern. Männer hingegen besetzen stärker jene

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pädagogischen Felder, in denen Distanz und Wissensvermittlung im Vordergrund stehen. Auch orientieren sich die Aufgabenverteilungen in pädagogischer Zusammenarbeit häufig an Repräsentationen von Zweigeschlechtlichkeit. Ich möchte mit meinem Beitrag keineswegs die Forderung nach einer größeren Beteiligung von Männern an privater und öffentlicher Erziehung und Bildung unterlaufen. Im Gegenteil gilt es, diese stets zu unterstützen. Auch gerade aus diesem Grunde richtet sich mein Interesse darauf, eine Dynamik zu kritisieren, die den Vater um so mehr mit positiver Bedeutung versieht, je weniger er anwesend ist. Ursprünglich stellt die Psychoanalyse eine Theorie dar, die symbolische Positionen z.B. im Geschlechterarrangement beschreibt und diese mit Geschlechtskörpern verknüpft. Diese symbolischen Positionen sind jedoch, wie neuere feministische psychoanalytische Ansätze herausarbeiten, keineswegs auf eine biologische Grundlage angewiesen und können von Personen jeglichen Geschlechts eingenommen werden. Ich möchte diese Neubewertung der Psychoanalyse an meinem Beispiel deutlich machen. Im Ödipuskomplex kann die Position der Mutter von Personen beliebigen Körpergeschlechts eingenommen werden, da die Dyade mit dem Kind als soziale Beziehung definiert ist. Die mütterliche Position wird von der Person eingenommen, die sich als erste Bezugsperson auf die Bedürfnisse des Kindes einstellt und zwischen Kind und Umwelt vermittelt. Die Position jener zweiten Person, die das Begehren der „Mutter" auf sich zieht, wäre ebenfalls schon durch ihre Funktion der Trennung und Auseinandersetzung mit der Realität bestimmt und nicht durch ihr biologisches Geschlecht. Auf diese Weise könnte eine Grundkonstellation im Ödipuskomplex beschrieben werden, bei der die Dichotomie An- und Abwesenheit nicht mit der Dichotomie Weiblichkeit und Männlichkeit parallel gesetzt wird. Doch auch wenn der Ödipuskomplex an dieser Stelle mit seinen eigenen Mitteln neu interpretiert werden kann, bleibt er in seiner Grundkonstellation in einer Dichotomie von An- und Abwesenheit gefangen. Meines Erachtens muß an dieser Stelle die Festsetzung der Dynamik zwischen An- und Abwesenheit, die auf zwei Personen verteilt wird, kritisiert und erweitert werden. Wird nach Freud davon ausgegangen, daß sich Jungen und Mädchen mit dem

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gleichgeschlechtlichen Elternteil identifizieren und den gegengeschlechtlichen begehren, so werden die Vorgänge der Identifizierung und des Begehrens eindimensional und einander ausschließend konzipiert. Diese Dynamik möchte ich im Lichte neuerer psychoanalytischer Theorie, in der das biologische Geschlecht nicht als Platzhalter für symbolische Positionen anerkannt wird, überarbeiten. Hierfür möchte ich erneut auf die Theorie Judith Butlers zurückgreifen. Butler zeigt auf, daß Identifizierungen in sich immer vielfältig und anfechtbar sind und eine theoretische Auseinandersetzung mit der Dynamik von Identifizierung und Begehren von der Voraussetzung einer „mehrfachen Identifizierung" (Butler, 1995, S.139) ausgehen muß. Auf diese Weise können weder Identifizierung noch Begehren als lineare Prozesse begriffen werden. Demnach identifiziert sich das Mädchen nicht nur mit der Mutter, sondern begehrt sie gleichzeitig, ebenso wie der Junge seinen Vater begehrt. Nach Butler sind wir unfähig, „uns entweder mit einem Geschlecht zu identifizieren oder irgend jemand dieses Geschlechts zu begehren; tatsächlich sind wir, allgemeiner ausgedrückt, nicht in der Lage, Identifikation und Begehren als sich gegenseitig ausschließende Phänomene anzusehen." (Butler, 1995, S.138; Herv. im Original)

Die tatsächlichen Widersprüche in der Dynamik von Begehren und Identifizierung werden in psychoanalytischer Theorie und noch häufiger in ihren erziehungswissenschaftlichen Rezeptionen eingeebnet, was zur Folge hat, daß die Inkohärenzen innerhalb der Kategorie Geschlecht wenig Aufmerksamkeit erlangen. Esther Fischer-Homberger stellt fest, daß unsere Gesellschaft dem Geschlechtsunterschied vor allen anderen anthropologischen Unterschieden eine starke Vorrangstellung einräumt. Der Dualismus männlich/weiblich überlagere die womöglich größeren und in vielen Situationen relevanteren Unterschiede, etwa zwischen Kindern und Erwachsenen, Lebenden und Toten, Tieren und Menschen (vgl. Fischer-Homberger, 1996). Auf diese Weise, so möchte ich mit Fischer-Homberger interpretieren, werden nicht nur die Widersprüchlichkeiten zwischen den Kategorien, sondern ebenso die Widersprüchlichkeiten innerhalb der Kategorie „Geschlecht" vereinheitlicht, so daß

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letztendlich diese Kategorie die wichtigste zu sein scheint und die Differenz Selbst/andere zwingend verschlüsseln muß. Muriel Dirnen, eine US-amerikanische Psychoanalytikerin, schlägt dagegen ein Modell von Geschlecht vor, welches neben der Geschlechterdifferenz die anderen Differenzen stärker hervortreten läßt. Dirnen faßt Geschlecht nicht als Entität, sondern als ein stets in Veränderung begriffenes Set von Beziehungen auf, das mit einer Anzahl von Gegensätzen korreliert. Sie nennt die Dichotomien Überlegenheit/Unterlegenheit, Autonomie/Abhängigkeit, präödipal/ödipal, Kindheit/Erwachsenenalter, Anwesenheit/Abwesenheit, Aktivität/Passivität, Selbst/Anderes, Heterosexualität/Homosexualität, die sich in Beziehung zueinander setzen.3 Geschlecht wird laut Dirnen in Beziehungen zwischen symbolischen Positionen hergestellt, die umeinander kreisen und Geschlecht einmal als bedeutsam und in vielen anderen Konstellationen als unbedeutend erscheinen läßt. Darüber hinaus können die Positionen in solch einem Geflecht nicht festgeschrieben werden. Die Kategorie Geschlecht verschlüsselt in diesem Gefüge viel zu häufig Bedeutungen, die im eigentlichen Sinne keine Beziehung zur Geschlechtsidentität haben. Es wird deutlich, daß der Gegensatz Selbst/Anderes keineswegs durch Geschlechtsidentität angeordnet wird. Allerdings stellt sich, auch wenn andere Dualismen die Reichweite des Geschlechterdualismus überlagern, weiterhin die Frage, wie der Umgang mit Dichotomien beschaffen sein soll. Ich habe gezeigt, daß die Hervorbringung von Geschlecht bezogen auf das Elternarrangement vom Modus der Spaltung regiert wird und dieser die Komplementarität verstärkt. Dirnen verneint jedoch, daß ein Dualismus mit Spaltung bzw. Abspaltung des unliebsamen Pols beantwortet werden muß. Sie schlägt vor, das Konzept der Spaltung durch das des Übergangsraums zu ersetzen. Den Übergangsraum lehnt sie an die Winnicottschen Gedanken zum Übergangsobjekt an. Das Subjekt kann im Übergangsraum mit den beiden Polen der Spaltungen spielen, um „den Raum zwischen ihnen zu bewohnen"- ein Vorgang, der potentiell mit Lust besetzt ist, gerade weil die Bandbreite von Differenz und Differenzierung in diesem Spiel zum Ausdruck kommt (vgl. Dirnen, 1994). Das Modell des Übergangsraums

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betont nicht die beiden Seiten einer Differenz, sondern die Übergänge zwischen ihnen. Das wiederum hat zur Folge, daß das Modell der starren Dichotomien von einem Geflecht von Beziehungen abgelöst werden kann. Meines Erachtens läßt dieses Konzept eine neue Sicht auf lesbische Elternschaft zu, da die Elternschaft von zwei Frauen nicht mehr an dem Modell der Zweigeschlechtlichkeit gemessen wird. Und so könnte die Relativierung von Geschlecht als lediglich eine Kategorie unter anderen nicht nur eine veränderte Perspektive auf neue Formen gesellschaftlicher Reproduktion eröffnen, sondern darüber hinaus auch durch ein überarbeitetes psychoanalytisches Subjektmodell, das der Dynamik von Ursprung und Mangel entgegensteht, eine neue Sicht auf die Bedeutung von Differenzen innerhalb von Erziehungsprozessen ermöglichen.4 Anmerkungen (1) Benjamin kann dagegen überzeugend zeigen, daß bereits in den allerersten Interaktionen innerhalb der Beziehung von Mutter und Kind das Realitätsprinzip etabliert wird, und es gerade umgekehrt der Verdienst der Mutter ist, das Kind in ihm gemäßer Weise an die Realität heranzuführen (Benjamin, 1990, S.45-52). (2) Der schon seit langer Zeit bekannte Begriff der „Vaterlosen Gesellschaft", der von Autoren der Frankfurter Schule eingeführt wurde, hat seine Wurzeln in Freuds Konzeption der Bildung eines Über-Ichs. Nach Freuds Auffassung führt allein die Auseinandersetzung mit dem Vater zur Bildung von Über-Ich und Gesellschaftsfähigkeit. Aktuell griff der Spiegelautor Matussek den Topos als Titel seines sehr populären antifeministischen Buches auf, in dem er die Väterfeindlichkeit der Gesellschaft beklagt. (3) Dieser Aufzählung ließen sich noch eine große Anzahl gesellschaftlich relevanter Kategorien, die Dirnen aus ihrem psychoanalytischen Blickwinkel heraus nicht berücksichtigt, wie Klasse, Ethnie, körperliche Verfaßtheit etc. hinzufügen. (4) Der Artikel ist die überarbeitete Fassung eines Vortrages, den ich am 14.11.1998 im Rahmen des Symposiums „Perceiving and Performing Gender" an der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel gehalten habe.

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.„Wer ist denn der Vater?"

Literatur Benjamin, Jessica (1990). Die Fesseln der Liebe: Psychoanalyse, Feminismus und das Problem der Macht. Basel/Frankfurt am Main. Breways, Anne & Hall, E.V. van (1997). Lesbian Motherhood: The Impact of Child Development and Family Functioning. In: Journal of Psychosomatic Obstetrics and Gynaecology. Vol. 18, 1997, S.l-16. Breways, Anne et al. (1997). Donor Insemination: Child Development and Family Functioning in Lesbian Mother Families. In: Human Reproduction 12 (6), S. 1349-1359. Brigitte (1993). Nr.23. Butler, Judith (1991). Das Unbehagen der Geschlechter, Frankfurt am Main. Dies. (1995). Körper von Gewicht. Die diskursiven Grenzen von Geschlecht. Berlin. Chasseguet-Smirgel, Elaine (1988). Interview. In; Baruch, Elaine Hoffmann & Serrano, Lucienne (Eds.), Women analyze Women. In France, England, and the United States (S.107-126). New York. Der Spiegel (1994). Nr.24. „Kennwort: Sämann", S.108-111. Die Woche (1994). 28.7.1998. Dirnen, Muriel (1994). Dekonstruktion von Differenz. Geschlechtsidentität, Spaltung und Übergangsraum. In: Jessica Benjamin (Hg.), Unbestimmte Grenzen. Beiträge zur Psychoanalyse der Geschlechter (S.244-268). Frankfurt am Main. Fischer-Homberger, Esther (1996). Schattenwürfe des Geschlechtsunterschieds. Zur Abwehrfunktion des Konzepts vom „anderen Geschlecht". In: Elisabeth Mixa et al. (Hrsg.), Körper - Geschlecht - Geschichte: Historische Debatten in der Medizin. (S. 13-32). Innsbruck, Wien. Foucault, Michel (1991). Der Wille zum Wissen. Sexualität und Wahrheit I. Frankfurt am Main. Freud, Sigmund (1975). Das Ich und das Es. In: Studienausgabe, Bd.3, (S.273-330). Frankfurt am Main. Golombok, Susan & Spencer, Ann & Rutter, Michael (1983). Children of Lesbian and Single Parent Households. Journal of Child Psychology and Psychiatry 24, S.551-572. Matussek, Matthias (1998). Die vaterlose Gesellschaft. Überfällige Anmerkungen zum Geschlechterkampf. Reinbeck bei Hamburg. Reichle, Barbara (1996). Der Traditionalisierungseffekt beim Übergang zur Elternschaft. Zeitschrift für Frauenforschung, Nr. 4, S.70-89. Senatsverwaltung von Berlin für Schule, Jugend und Sport (Hrsg.) (1997). Lesben und Schwule mit Kindern - Kinder homosexueller Eltern. Berlin. Tasker, Fiona L. & Golombok, Susan (1997). Growing Up in a Lesbian Family. Effects on Child Development. New York, London.

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Aktualitäten Psychologie in Cuba: wissenschaftlicher Austausch geht weiter Nach dem Erfolg der Studienreise zu den psychosozialen Aspekten des Gesundheitswesens in Cuba Anfang 2000 geht der Austausch mit Cuba auch im nächsten Jahr weiter.

Studienreise Psychologie in Cuba Vom 3.3.-10.3.2001 findet erneut eine Studienreise zur Psychologie in Kuba statt. Diese Studienreise ist das Herz- und Schmuckstück des deutsch-kubanischen Psychologieaustausches. In einer relativ kleinen Gruppe mit qualifizierter deutschsprachiger Reisleitung haben Sie die einmalige Gelegenheit verschiedene Institutionen des kubanischen Gesundheitswesens kennenzulernen und dort direkt mit den praktisch tätigen Psychotherapeuten zu sprechen.

Internationaler Kongreß zur Psychologie in Lateinamerika und der Karibik Das Psychologische Institut der Universität von Santiago de Cuba veranstaltet im November 2001 in Santiago erneut einen internationalen Kongreß. Er steht diesmal unter dem Motto „Psychologie und Globalisierung".

Psychoanalyse und Psychosomatik Psychoanalytiker des Heidelberger Instituts für Psychoanalyse planen für November 2001 in Zusammenarbeit mit dem Krankenhaus „Hermanos Ameijeiras" und dem Psychologischen Institut in Santiago de Cuba ein Symposium zur psychoanalytischen Psychosomatik. Weitere Referenten (und Supervisoren!) sind willkommen. Nähere Informationen bei Dipl. Psych. R. Kurschildgen, Tel&Fax: 0761 - 40 6111, e-mail: [email protected].

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Aktualitäten

Für den Terminkalender: 3. - 10. März 2001 in Cuba:

Studienreise zur Psychologie in Cuba. Einführungen und Gespräche mit Praktikern. Information und Anmeldung: R. Kurschildgen, Tel. & Fax: 0761 - 4 0 61 11, e-mail: [email protected] November 2001 in Santiago de Cuba:

Internationaler Kongreß zur Psychologie in Lateinamerika und der Karibik unter dem Thema: Psychologie und Globalisierung. Information und Anmeldung: R. Kurschildgen, Tel. & Fax: 0761 - 40 61 11, e-mail: [email protected] November 2001 in La Habana und Santiago de Cuba in Cuba:

Symposium zur psychoanalytischen Psychosomatik. Information und Anmeldung: R. Kurschildgen, Tel. & Fax: 0761 - 40 61 11, e-mail: kurschild@ gmx.de

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Autorinnen und Autoren Ariane Brenssell, Diplom-Psychologin und Sozialwissenschaftlerin; seit 1996 Lehrbeauftragte an der FU Berlin; Promotion zum Thema „Subjektdimensionen neoliberaler Globalisierung". Aktuelle Arbeitsschwerpunkte: Neoliberale Globalisierung als Durchsetzung neuer Subjektpositionen, Geschlechterverhältnisse in Theorien und Praxis, Zusammenhänge zwischen subjektiven Erfahrungen/Bedeutungen und gesellschaftlicher Hegemonie. Renate Höf er, geboren 1946, Studium der Architektur und Psychologie in München. Promotion an der Universität München. Mitarbeit in den Sonderforschungsbereichen „Zukunftsperspektiven der Arbeit" (von 1989 1998) und „Reflexive Modernisierung" (seit 1999) an der Universität München. Langjährige Mitarbeiterin im Institut für Praxisforschung und Projektberatung München. Anil Jain, geboren 1969. Studium der Politikwissenschaft, Soziologie und Psychologie in München. 1999 Promotion im Fach Soziologie (bei Ulrich Beck) über das Thema „Politik in der (Post-)Moderne". Seit Juli 1999 Mitarbeiter im Forschungsprojekt „Individualisierung und posttraditionale Ligaturen" des SFB „Reflexive Modernisierung" sowie am Institut für Praxisforschung und Projektberatung in München. Heiner Keupp, Jahrgang 1943, Diplom, Promotion und Habilitation in Psychologie, ist seit 1978 Hochschullehrer für Sozial- und Gemeindepsychologie an der Universität München. Seine Arbeitsinteressen beziehen sich auf soziale Netzwerke, gemeindenahe Versorgung, Gesundheitsförderung, Jugendforschung, Identität in der Postmoderne und Bürgerschaftliches Engagement. Wolf gang Kraus, Jahrgang 1950, Studium der Psychologie an der Universitäten Regensburg und der FU Berlin, Promotion an der FU Berlin. Mitarbeit in den Sonderforschungsbereichen „Zukunftsperspektiven der Arbeit" (von 1989 - 1998) und „Reflexive Modernisierung" (seit 1999) an der Universität München. Langjähriger Mitarbeiter im Institut für Praxisforschung und Projektberatung München.

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Autorinnen und Autoren

Morus Markard, Dr. phil. habil., Dipl.-Psych., Privat-Dozent an der Freien Universität Berlin (im Studiengang Psychologie). Lehrbeauftragter an der Universität Wien. Mitbegründer und Redakteur des „Forum Kritische Psychologie", korrespondierendes Redaktionsmitglied der Zeitschrift „Argument", Mitglied der Redaktion des Historisch-kritischen Wörterbuchs des Marxismus. Paul Mecheril, Dipl-Psych., Dr. phil, , wissenschaftlicher Assistent an der Fakultät für Pädagogik der Universität Bielefeld. Forschungsschwerpunkte: Natio-ethno-kulturelle Mehrfach-Zugehörigkeit, Migration, Rassismus und Rassismuserfahrungen, Interkulturelle Beratung, Interpretative Forschungsmethoden. Tamara Musfeld, geb. 1957, Dr. phil., Diplom-Psychologin, ist Wissenschaftliche Assistentin an der TU Berlin am Fachbereich 2 im Institut für Sozialwissenschaften in Erziehung und Ausbildung. Arbeitsschwerpunkte sind: Gender-Studies, psychoanalytische Entwicklungsprozesse, Aggression bei Frauen, Identitätskonstrukte in Realität und Virtualität, Rassismus und Antisemitismus. Kontaktadresse: TU Berlin, FB2, Sekretariat FR 4-5, Franklinstraße 28/29, 10623 Berlin. E-mail: [email protected]. Thilo Maria Naumann, Diplom-Politologe, Dr. phil., arbeitet zur Zeit als Sozialpädagoge und als Lehrbeauftragter an der Fachhochschule und der Universität Frankfurt/Main. Arbeitsschweipunkte: Subjektivität und Gesellschaft, Kritische Theorie und Postmoderne, Ästhetik und Geschlechterverhältnisse. Kontaktadresse: Martin-Luther-Straße 4, 60316 Frankfurt/Main; Tel. 069/4970129; E-Mail: [email protected]. Maria Sauheitl, geb. 1963, ist gelernte Holzbildhauerin und Zeichnerin, Lektorin und allein erziehende Mutter von zwei Kindern. Bei ihrer bildhauerischen Arbeit hat sie sich vor allem auf Portrait-Puppen aus Holz spezialisiert, was ihrem Interesse am genauen Beobachten und Ergründen der Menschen entspricht. Sie findet aber auch zunehmend Spaß daran, ihre Umgebung zeichnerisch und karikaturistisch abzubilden. E-Mail: [email protected]

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Autorinnen und Autoren

Arnold Schmieder, Jg. 1947, Prof. Dr. phil. Dr. phil. habil., Soziologe und Sozialpsychologe am Fachbereich Sozialwissenschaften der Universität Osnabrück; veröffentlichte Monographien, Beiträge in Zeitschriften, Sammelwerken, Handbüchern zu Fragen der allgemeinen Soziologie, der Konstitutionsprozesse von Subjektivität und Identität, dabei auch um das Suchtgeschehen; ist z.Z. u.a. in ein Projekt „Bürger aktiv" eingebunden, in dem es um aktive Veränderungen »sozialer Landschaften' und betroffeneninitiative Veränderungen von Interaktionsmustern und Beziehungsformen im ländlichen Raum geht. Adresse: Wiesenbach 7, 49152 Bad Essen. Florian Straus, geb. 1950, Studium der Soziologie, Philosophie in München. Mitarbeit in den Sonderforschungsbereichen „Zukunftsperspektiven der Arbeit" (von 1989 - 1998) und „Reflexive Modernisierung" (seit 1999) an der Universität München. Mitbegründer und Geschäftsführer des Instituts für Praxisforschung und Projektberatung München. Thomas Teo, Department of Psychology, History and Theory of Psychology, York University, 4700 Keele Street, Toronto, Ontario, M3J 1P3, Canada. E-Mail: [email protected]. Anja Tervooren, geb. 1968: Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Allgemeine Pädagogik an der Freien Universität Berlin: Sonderforschungsbereich „Kulturen des Performativen". Arbeitsgebiete: Genderund Queer-Theorie; Körper- und Subjektauffassungen; Studien zu Behinderung; Performativität und Handlung; Ethnographie in der Kinderkultur. Kontaktadresse: Anja Tervooren, Freie Universität Berlin, Institut für Allgemeine Pädagogik, Arnimallee 11, 14195 Berlin Klaus Weber, geb. 1960, Prof. Dr. phil., Hochschullehrer für Klinische Psychologie an der FH Frankfurt/Main; Gastprofessur am Psychologischen Institut Innsbruck seit 1998. Arbeitsschwerpunkte: Subjektivitätstheorien, Rassismus und Neofaschismus, Psychologiegeschichte. Anschrift: Brudermühlstr. 3, 81371 München; E-mail: [email protected]

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Summaries Ariane Brenssell (2000). Jenseits der Autonomie: Im Hinterland des Neoliberalismus. P&G, 24 (3/4), S. 35-52 Der Artikel kritisiert die Anlage des Forschungsprojekts skizzenhaft in sechs Punkten. Hauptkritikpunkt ist, dass Zusammenhänge zwischen veränderten Vergesellschaftungsmöglichkeiten und den Macht- und Interessenskonstellationen zum Schweigen gebracht werden, weil sie in der begrifflichen Anordnung nicht sichtbar werden. Da die begriffliche Anordnung selbst nicht reflektiert wird, wird ein Standpunkt universalisiert, der wesentliche Momente der aktuellen gesellschaftlichen Veränderungen verschweigt. In der Folge wird zum Beispiel die Rede von den neuen Freiheiten nicht näher spezifiziert; Globalisierung wird als basaler Prozess gefasst und so - losgelöst von Kämpfen um Hegemonie - naturalisiert; Erzählungen/Bedeutungen werden von Praxen abgelöst. Gegen die Redeweise von den „sozialen Landschaften" wird ein Grundkonzept einer neuen „Geographie von Macht" (Sassen) vorgeschlagen und gezeigt, wie sich ausgehend hiervon eine andere Forschungsagenda auftut. Heiner Keupp, Renate Höfer, Anil Jain, Wolfgang Kraus & Florian Straus (2000). Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne - Individualisierung und posttraditionale Ligaturen P&G, 24 (3/4), S. 11 -33 Dieser Text begründet ein empirisches Forschungsvorhaben, das Veränderungen in der subjektiven Konstruktion sozialer Verortung im globalisierten Kapitalismus untersuchen soll. Ausgangspunkt dafür ist die kontroverse Diskussion der sozialen Folgen von Individualisierungsprozessen. Sie werden häufig unter der Perspektive der Auflösung von traditionalen Vergemeinschaftungs- und Solidarisierungszusammenhängen beschrieben. Allerdings entwickeln sich gegenüber solchen sorgenvollen Gesellschaftsdiagnosen des Zerfalls und der Auflösung des Sozialen auch andere theoretische Perspektiven, die Individualisierungsprozesse keineswegs mit sozialer Desintegration und Entsolidarisierung gleichsetzen. Sie betonen das Entstehen neuer Gestalten des »eigenen Lebens', zu einem Neustrukturierungsprozess sozialer Figurationen, die sich als „posttraditionale Ligaturen" kennzeichnen lassen. In ihnen entwickeln sich neue Abstimmungen des sozialen Lebens

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gegenüber den Unbestimmtheiten von Raum und Zeit, die auf einer charakteristisch veränderten Relation von Subjekt und gesellschaftlichen Einbettungen gründen: Das Subjekt wird zunehmend zum Baumeister seiner eigenen sozialen Architektur, und die dabei entstehenden Muster kollektiver Identität würden durchaus eine reflexiv verstandene Form sozialer Verortung ermöglichen. Morus Markard (2000). Gegen neoliberale Barbarei oder für postmoderne Landschaftspflege? P&G, 24 (3/4), S. 53-67 Im von Keupp et al. ausgeworfenen Netz von Metaphern zur Beschreibung der derzeitigen gesellschaftlichen Zustände droht sich grundsätzliche Kritik an kapitalistischer Barbarei zu verfangen. Die eher rhetorische Frage von Keupp et al., ob sie nicht eine „romantisierende Perspektive" verfolgen, wird deswegen mit „Ja" beantwortet. Die theoretische Verfänglichkeit dieser gesellschaftlichen Perspektive wird darin gesehen, dass so auch die psychologischen Fragestellungen des Projekts entschärft werden. Unter Bezug auf frühere Publikationen Keupps wird die Hoffnung allerdings nicht aufgegeben, dass die kritisch-theoretische Einsicht, dass es kein richtiges Leben im falschen gibt, in stärkerem Maße die Fragestellung des Projekts kategorial strukturieren möge, was ohne eine Einheit von Psychologie- und Gesellschaftskritik indes nicht möglich ist. Paul Mecheril (2000). „Das Individuum" und die Zugehörigkeitsoption. P&G, 24 (3/4), S. 69-84 Der Kommentar zum Projekt „Gemeinschaft" rückt die Klärung des Begriffs der Zugehörigkeit in den Vordergrund. Die Zugehörigkeitsrelation einer einzelnen Person zu einem sozialen Kontext ist nur unzureichend als Frage des Wahlverhaltens der einzelnen erfasst. Vielmehr ist das auf Zugehörigkeit gerichtete, Zugehörigkeit lösende und suchende Handeln Einzelner durch soziale und gesellschaftliche Verhältnisse der Ermöglichung/Verhinderung profiliert. Phänomene der Ermöglichung/Verhinderung von Zugehörigkeit betrachtet der vorgelegte Kommentar zum einen mit Blick auf die Frage des Zugangs zu Zugehörigkeitsräumen und zum anderen mit Bezug auf die die Konstituierung von Handungs(un)mächtigkeit durch Zugehörigkeit. Beide Aspekte erläutert der Text am Beispiel natio-ethno-kultureller Zugehörigkeit. Hier zeigt sich, dass erst die Beachtung von Zuschreibungsprozessen auf der Ebene von Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit und die sich in

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dieser Zuschreibungsrealität bildenden generativen Strukturen der Handlungsfähigkeit (Habitus) einen angemessenen Begriff von Zugehörigkeit ermöglichen. Tamara Musfeld (2000). Kennt Vergesellschaftung kein Geschlecht? Posttraditionalität im Spiegel von produktiven und reproduktiven Prozessen. P&G, 24 (3/4), S. 85-97 In dem Artikel wird auf die fehlende Differenzierung in männliche und weibliche Lebenszusammenhänge eingegangen, und die Bedeutung dieser unterschiedlichen Lebens- und Handlungspraxen für die Frage nach Identitätskonstruktionen herausgearbeitet. Es wird problematisert, dass sich die postmodernen Vorstellungen von Enträumlichung und Optionalität in erster Linie an einen männlichen Subjektentwurf richten, während weibliche Lebensentwürfe eher von bestehenden Notwendigkeiten, Formen von Bezogenheit und Bindungen geprägt sind. Es wird die Hypothese aufgestellt, dass die Fähigkeit zur freien Wahl nur durch eine verlässliche Beziehungserfahrung in der Kindheit gewährleistet wird, die in erster Linie von Müttern vermittelt wird. Postmoderne und traditionale Lebensmuster werden in ihrer Abhängigkeit voneinander dargestellt. Thilo Maria Naumann (2000). Reflexive Kapitalisierung. P&G, 24 (3/4), S. 99-111 Das Forschungsprojekt „Zum Formenwandel sozialer Landschaften in der reflexiven Moderne - Individualisierung und posttraditionale Ligaturen" wird aus der Perspektive kritischer Subjekttheorie untersucht. Im Titel „Reflexive Kapitalisierung" kommt die Forderung zum Ausdruck, die aktuellen Pluralisierungstendenzen auch im Kontext von individualistischen, sexistischen und rassistischen Exklusionsprozeduren zu lesen, die nicht zuletzt aus den gegenwärtigen Restrukturierungsprozessen kapitalistischer Vergesellschaftung resultieren. Es wird dafür plädiert, neben den positiven Aspekten neuer Gemeinschaften auch die subjektiven und sozialen Kosten von Individualisierung und Globalisierung zu beachten. Demgemäß werden Vorschläge formuliert, die im Projekt zu untersuchenden Gemeinschaften auch auf psychische Beschädigungen und intersubjektive Potentiale sowie auf ihre hegemoniale oder gegenhegemoniale Bedeutung hin zu befragen.

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Arnold Schmieder (2000). Welche Moderne, wie reflexiv? P&G, 24 (3/4), S. 113-127 Skeptisch wird in diesem Beitrag gegen postmoderne Deutungen und Beliebigkeit gehalten. Auf diesem Hintergrund wird der Begriff der,Moderne' bis in den Bereich einer brüchiger werdenden Arbeitsgesellschaft einer kritischen Revision unterzogen. Unbestreitbaren gesellschaftlichen Veränderungsschüben, die nahezu alle Lebensbereiche verunsichern, ist auch theoretisch Rechnung zu tragen. Dabei gewinnt das überkommene und gleichbleibend zentrale Spannungsverhältnis zwischen Individuum und Gesellschaft zwar nicht qualitativ neue, aber andere Konturen. Bezweifelt wird somit, ob jener Formwandel sozialer Landschaften, wie er veränderten sozioökonomischen Prozessen folgt, mehr als nur vage auf neue Formen gesellschaftlicher Solidarität und Identitätsgewinnung hoffen lässt, was durch postmoderne Kolorierung suggeriert wird. Tomas Teo (2000). Epitaph kritischen Denkens. P&G, 24 (3/4), S. 129-139 In diesem Beitrag werden die drei kritischen Methodologien Dekonstruktion, Rekonstruktion, Konstruktion für eine Analyse des Beitrags von Keupp et al. angewendet. Es wird kritisiert, dass der Zusammenhang von Gesellschaft und Individuum als Kernfrage gesellschaftstheoretischer Reflexion nicht mehr begriffen und der Mangel an Abstraktion durch eine Inflation von Metaphern abgedeckt wird. In diesem Sinne wird der kritisierte Beitrag auch als ein Beispiel für den Paradigmawechsel kritischer Psychologie gesehen. Dieser Wandel wird sozialhistorisch und auf dem Hintergrund von Entwicklungen deutschsprachiger Gesellschaft, Kultur und Psychologie gedeutet. Anja Tervooren (2000). „Wer ist denn der Vater"? Verque(e)re Gedanken zum Thema Geschlecht und Erziehung. P&G, 24 (3/4), S. 199-211 Mit Hilfe von Analysen der auffallend starken Medienrezeption des Themas der lesbischen Elternschaft wird die Wahrnehmung von Männlichkeit im Kontext von Erziehung anhand eines konstatierten Mangels erarbeitet. Neuere feministische psychoanalytische Ansätze ermöglichen es, Geschlecht als Teil eines symbolischen Systems zu begreifen, in dem Bedeutung über Differenzen zwischen unterschiedlichen symbolischen Positionen zustande kommt. Die Freudsche Triade Vater-Mutter-Kind wird unter diesen Vorzei-

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chen umgearbeitet und die These aufgestellt, daß der Geschlechterunterschied andere relevante Differenzen in einem Elternarrangement überdeckt. In einem letzten Schritt wird das Modell des Übergangsraum in seiner Bearbeitung durch Muriel Dirnen vorgeschlagen, welches die Spaltung zwischen den Dichotomien An- und Abwesenheit bzw. Weiblichkeit und Männlichkeit ersetzen kann. Klaus Weber (2000). Produktions- und Lebensweisen. Zum Formenwandel von Subjektivität im Übergang von Fordismus zum High-Tech-Kapitalismus. P&G, 24 (3/4), S. 141-160 Aus der Perspektive der dem momentanen gesellschaftlichen Umbruch zugrundliegenden ökonomisch-sozialen Prozesse versucht der Autor, die damit einhergehenden Änderungen der subjektiven Lebensweise zu erklären. Dabei wird versucht, die aktuellen sozialwissenschaftlichen und -psychologischen Begriffe zur Bezeichnung dieses Umbruchs kritisch zu hinterfragen. Der Kritik an Beschreibungen wie „Zweite Moderne", „Postmoderne", „soziale Landschaft" etc. wird eine an Bertolt Brecht und moderne marxistischen Theorien angelehnte Begrifflichkeit hinzugefügt, welche die Veränderungen der Subjekte ineins mit den gesellschaftlichen Umbruchsprozessen abbilden kann.

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