Prozesse entwerfen: Eine Strategie für die Zukunft des Bauens 9783035615715, 9783035615821

Innovative Design of Building Processes How do we make building sustainable and fit for the future? The book presents

183 38 1MB

German Pages 208 [216] Year 2019

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Table of contents :
Inhalt
VORWORT
TEIL I
TEIL II
TEIL III
TEIL IV
ANHANG
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Prozesse entwerfen: Eine Strategie für die Zukunft des Bauens
 9783035615715, 9783035615821

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PROZESSE ENTWERFEN

EINE STRATEGIE FÜR DIE ZUKUNFT DES BAUENS

CHRISTIAN BERGMANN

BIRKHÄUSER BASEL

9 VORWORT

TEIL I

13 1 EINLEITUNG 14 1.1 Architektur als Abbild der Gesellschaft Nachhaltige Entwicklung als Leitkonzept Bedeutung des Bauens: Die Verwandlung der Welt Ein neues Zeitalter: Die Digitalisierung der Welt 17 1.2 Denken in Zusammenhängen Bauen als System – gebaute Umwelt als System Vom Designprozess zum Prozessdesign Der Beginn einer neuen Avantgarde Ziel und Aufbau des Buches

23 2 THEORETISCHE GRUNDLAGEN 24 2.1 Der Prozessbegriff: Eine Definition Prozesse im Management Reengineering Architecture: Ein neuer Ansatz Philosophiegeschichtliche Perspektive Der Prozessbegriff im Bauen Rahmenbedingungen: Werte, Stoffe, Güter Das Bauen als rückkopplungsfähiger Prozess 36 2.2 Der Strategiebegriff: Eine Definition Bedeutung, Art und Inhalt einer Strategie Strategieebenen: Vision, Mission und Ziele 38 2.3 Grundlagen der Organisation Umgang mit knappen Gütern: Die Spezialisierung Mängel an den Schnittstellen: Die Rolle des Koordinators Systematisierung und Standardisierung Bauen mit System – Bauen im System 43 2.4 Systemdenken, Kommunikation und Wissen Systemtheorie: Eine Einführung Kybernetik: Das Prinzip der Zirkularität Technische, soziale und soziotechnische Systeme Kommunikation von Information: Die Differenztheorie 50 2.5 Innovation und Nachhaltigkeit Innovation als Schlüssel zu nachhaltigem Bauen Heuristisches Konzept: Das Innovationssystem Der Innovationsbegriff: Eine Definition Innovationspotenzial im Bauen: Ein neuer Horizont



TEIL II

63 3 ANALYSE DES ISTZUSTANDS  64 3.1 Organisation des Bauens: Theorie und Praxis   Honorarordnung als Basis des Prozesses Leistungsphasen und Leistungsbilder der Objektplanung Leistungsbilder der Fachplanung Chronologie der Prozessinhalte 71 3.2 Die Akteure: Am Bauen fachlich Beteiligte Übersicht nach Lebenszyklusphasen Die »klassischen Akteure« Die »neuen Akteure« 80 3.3 Extraktion der Erkenntnisse Explizite und implizite Leistungsprobleme Systematische und systemische Kategorisierung 91 4 DEFINITION DES SOLLZUSTANDS 92 4.1 Anforderungen an das Bauen der Zukunft Fragmentarische Ansätze der Nachhaltigkeit Holistische Ansätze: Triple Zero und Cradle to Cradle 95 4.2 Vollrezyklierbares Bauen Ausgangssituation und Handlungsbedarf Demontage und Recycling Das Bauwerk als technisches System Materialwahl und Verbindungstechnik Demontageprozesse: Basisbauteil und Plattformprinzip Recyclinggerechtes Entwerfen



TEIL III

107 5 ANALYSE INTERNER ANSÄTZE 108 5.1 Die Quantifizierung der Qualität Der Qualitätsbegriff: Eine Definition Architektonische Qualität – Qualität der Nachhaltigkeit Die Zertifizierung der Qualität Kritische Betrachtung 115 5.2 Integrative Prozessmodelle Bauteam-Modelle Integrated Project Delivery (IPD) Kritische Betrachtung Insourcing: Architektur als Marke 123 5.3 Digitalisierung des Bauens Parametrismus vs. Performanz Digitale Prozesse Digitale Planungstechnologien 128 5.4 Informationsbasierte Modellierung Building Information Modeling (BIM) Auswirkungen auf den Prozess BIM als Werkzeug der Nachhaltigkeit Kritische Betrachtung 139 6 ANALYSE EXTERNER ANSÄTZE 140 6.1 Evolutionsschritte im Automobilbau Von der Massenproduktion zur Divisionalisierung Von der Taylorisierung zum Plattformprinzip Vom klassischen zum digitalen Prozess Von der Prozess- zur Strategieebene 146 6.2 Synergieeffekte artverwandter Disziplinen Mobiles und immobiles Bauen Einfluss des Schiffbaus 148 6.3 Extraktion der Erkenntnisse Gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen Systematisierung der Schlussfolgerungen 152 6.4 Rückschlüsse für den Prozess im Bauen Möglichkeiten der Übertragung Kritische Überprüfung



TEIL IV

161 7 STRATEGIEENTWICKLUNG 162 7.1 Das System-Umwelt-Modell im Bauen Materielle und immaterielle Ressourcen Rahmenbedingungen: Mechanismen zur Steuerung Ressourcenkreisläufe: Projekt als Schnittstelle Wissenskreisläufe entlang des Materialkreislaufs 169 7.2 Strategieebenen Vision und Mission Leitbilder und Ziele 172 7.3 Auswirkungen auf die Berufsbilder Die Verantwortung von Architekt und Ingenieur Die Situation der Architekten Entwurf einer adäquaten Ausbildung Die zukünftge Rolle des Architekten Gesamtgesellschaftliche Perspektive 181 8 AUSBLICK 182 8.1 Impermanentes Bauen: Ein Zukunftsszenario Flexibilität vs. Individualität Gezielte Lebenszyklusverkürzung 190 8.2 Zusammenfassung Fazit Zukünftige Forschung 195 ANHANG Literaturverzeichnis Abbildungsverzeichnis Über den Autor Impressum

EINE NEUGESTALTUNG DER PROZESSKETTEN IM BAUWESEN IST DRINGEND ERFORDERLICH Die Diskussion über eine Steigerung der Nachhaltigkeit in der gebauten Umwelt konzentrierte sich bisher nahezu ausschließlich auf eine Reduzierung des (fossil basierten) Energieverbrauchs und die damit verbundene Minderung von Emissionen während der Nutzungsphase. Nicht beachtet wird hierbei, dass mehr als die Hälfte der Energie, die ein Gebäude über seinen gesamten Lebenszyklus hinweg benötigt, für Gewinnung und Herstellung der verbauten Rohstoffe, Halbzeuge und Komponenten bzw. für den Bauvorgang selbst verwendet wird. Ebenso wenig berücksichtigt wird in der Regel, wie viel Energieverbrauch und Emissionen durch Abbau, Recycling und Deponierung entstehen. Ein weiteres wichtiges Desideratum: Wie können wir mit weniger Material mehr gebaute Umwelt für mehr Menschen schaffen – und wie können wir die seit Langem überfällige Einführung einer Recyclingwirtschaft im Bauwesen beschleunigen? Der Mangel an öffentlicher Auseinandersetzung mit diesen Fragestellungen erstaunt immer wieder, steht das Bauwesen doch für jeweils ca. 35 Prozent des Energieverbrauchs und der Emissionen sowie für jeweils ca. 60 Prozent des Ressourcenverbrauchs und des Massenmüllaufkommens. Betrachtet man die gesamte Prozesskette – ausgehend von der Planung über die Herstellung und den Betrieb bis zum Abbau eines Bauwerkes – wird schnell klar: Ein wirklich nachhaltiges Bauen erfordert zwingend einen Abschied von der heute im Bauwesen nahezu weltweit vorgefundenen strikten Trennung zwischen Planung, Produktion, Betrieb und Abbau. Wir benötigen eine Informationsstruktur, die allen Phasen zugrunde liegt, die umfassend und die konsistent ist. Nur auf diese Weise ist ein Bauen möglich, das material- und energiesparend ist, recyclinggerecht und gesund. Nur so können für zukünftige Planungen qualitätssteigernde Rückkopplungen aus der Produktions-, der Nutzungs- und der Abbauphase erzielt werden. Nur durch eine solche Neuordnung kann am Lebensende eines Bauwerkes eine optimale Rückführung der einzelnen Komponenten in biologische oder technische Kreisläufe erfolgen. Eine Informationsstruktur, die allen Lebenszyklusphasen zugrunde liegt, erfordert neue Formen der Kommunikation und der Zusammenarbeit am gemeinsamen Werk. Die Entwicklung von Strategien zur Neugestaltung der dabei ablaufenden Prozesse ist Gegenstand des vorliegenden Buches. Christian Bergmann definiert systemische Rahmenbedingungen für einen Wertschöpfungsprozess, der zu einer nachhaltigen Entwicklung des Bauens führt und der innovationsfördernd auf die Beteiligten einwirkt. Er untersucht hierzu ausführlich, welche Veränderungen in unseren Planungs- und Bauprozessen erforderlich sind. Sein Ziel ist es hierbei immer, die Rahmenbedingungen des Bauens im Sinne der Nachhaltigkeit zu verbessern. Er schafft damit eine der wesentlichen Grundlagen für eine Neuausrichtung des Bauschaffens. — Werner Sobek

VORWORT 9

TEIL I

1  |  EINLEITUNG

Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet die Welt sich an einem Wendepunkt. Zwei Faktoren sind hierfür entscheidend: die Herausforderungen im Kontext der Forderungen einer nachhaltigen Entwicklung einerseits und die rasante Digitalisierung sämtlicher Prozesse andererseits. Die hieraus entstehende Multikriterienproblematik wird im Folgenden skizziert und ihre Bedeutung für das Bauen – sowie dessen Verantwortung in diesem Kontext – aufgezeigt. Eine Differenzierung zwischen dem Bauen (als Prozess) und der gebauten Umwelt (als Produkt) liefert die Grundlage für das Verständnis der systemischen Zusammenhänge.

1.1 ARCHITEKTUR ALS ABBILD DER GESELLSCHAFT »What is our time and what is it all about« [211], fragte Anfang des 20. Jahrhunderts ­ udwig Mies van der Rohe, um mit seinem architektonischen Œuvre eine Antwort auf L die gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der Industrialisierung geben zu können. Ihm zufolge ist Architektur »die Widerspiegelung der treibenden und tragenden Kräfte einer Epoche« [57]. Die moderne Architektur, zu deren Gründervätern Mies van der Rohe gehört, entstand vor dem Hintergrund eines Weltbildes, welches die Dichotomie von Gesellschaft und Natur betonte [215], wobei Erstere Letztere dominiert. Zu Beginn des 21. Jahrhunderts befindet die Welt sich an einem Wendepunkt. Zwei Faktoren sind hierfür entscheidend: • Nachhaltige Entwicklung • Digitalisierung

Nachhaltige Entwicklung als Leitkonzept Der im Jahr 2007 veröffentlichte vierte Sachstandsbericht des IPCC der United Nations [159] führte den sog. Klimawandel direkt auf menschliches Handeln zurück. Die durch Malthus [199] bereits 1798 adressierten und durch Meadows et al. [205] 1972 wissenschaftlich prognostizierten »Grenzen des Wachstums« scheinen heute erreicht. Abfälle stören die Kreisläufe der Biosphäre ebenso empfindlich wie schädliche Emissionen die der Atmosphäre. Mit der Veränderung der planetarischen Systeme geht langfristig die Bedrohung der Lebensgrundlage des Menschen einher – diese »Realität […] erkennen und steuern« [53] zu können, ist somit die existenzielle Herausforderung der Gegenwart. Der Brundtland-Report der United Nations [53] proklamierte 1987 hierfür erstmals die Idee einer nachhaltigen Entwicklung. Er definiert diese als eine Entwicklung, »die den Bedürfnissen der heutigen Generation entspricht, ohne die Möglichkeiten künftiger Generationen zu gefährden, ihre eigenen Bedürfnisse zu befriedigen«. Die Konferenz der Vereinten Nationen über Umwelt und Entwicklung erhob den Begriff 1992 durch die Rio-Erklärung [252] und die Agenda 21 [5] zum Leitkonzept für ein »Jahrhundert der Umwelt« [321]. Zur Umsetzung müssen die bisher getrennten »Pole Natur und Technik« zukünftig als »Variationen desselben Systems« verstanden werden [263]. Eine einheitliche Theorie eines sozioökologischen Systems [215] , in welchem die Wechselwirkungen zwischen der Anthroposphäre und der Ökosphäre Berücksichtigung finden, entsteht. Folgende Tatsachen und Prognosen verdeutlichen die Beispiellosigkeit der Herausforderung: Die Weltbevölkerung umfasst heute über sieben Milliarden Menschen [322]. Eine Verdreifachung ihrer Anzahl ist dabei erstmals innerhalb der Zeitspanne eines Menschenlebens erfolgt [37]. Es wird erwartet, dass sie bis zum Jahr 2050 weiter auf etwa

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9 bis 10 Milliarden zunimmt und bis zum Ende des Jahrhunderts stagniert [337]. Neben der durch das Ansteigen des Wohlstands resultierenden geringeren Fertilitätsrate ist dies eine direkte Folge der Verknappung der Rohstoffe. Neue Märkte und neue Mächte, sog. Emerging Markets bzw. Emerging Powers, steigern nicht nur die Produktivität und somit das Wirtschaftswachstum [294], sondern erzeugen auch zusätzliche Nachfrage und somit Allokationsprobleme [102]. Der zunehmende Wohlstand ehemaliger Schwellenländer wie Indien oder China, deren Population zusammengenommen mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung ausmacht [322], evoziert das gesellschaftliche Streben nach einem westlichen Lebensstil. Hochentwickelte Staaten wie beispielsweise die USA besitzen heute allerdings einen ökologischen Fußabdruck, welcher ihre Biokapazität weit übersteigt – würde jeder wie ein durchschnittlicher US-Amerikaner leben, bedürfte es vier Planeten, um den jährlichen Verbrauch der Menschheit an natürlichen Ressourcen nachzubilden [193]. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass nicht nur der anthropogene Treibhauseffekt, sondern auch die bereits existierenden Versorgungsengpässe natürlicher Ressourcen, die unter anderem anhand des sog. Land Grabbing [226] zu beobachten sind, zukünftig an Dynamik gewinnen werden [111] . Auf der Basis nationaler Nachhaltigkeitsstrategien [235] sind daher in den letzten Jahren zunehmend politische Programme sowie konkrete Richtlinien und Gesetzgebungen ins Leben gerufen worden, die eine nachhaltige Entwicklung begünstigen sollen. Lag bisher der Fokus auf Maßnahmen der Energieeffizienz, so ist gegenwärtig eine Verschiebung zu beobachten, die ganzheitlich das Thema Ressourceneffizienz adressiert [78]. Die Thematische Strategie für eine nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen [302] und die Roadmap to a Resource Efficient Europe [254] auf europäischer Ebene zeigen dies. Zumindest in den entwickelten Teilen der Erde scheint die Schwelle zur gesamtgesellschaftlichen Diffusion des Wertes Nachhaltigkeit beinahe überwunden – das Erhalten und Schützen des Ökosystems Erde wird zukünftig zu einem gemeinsamen Wert der Menschheit. Die Tatsache, dass die United Nations [159] und Al Gore [122] für ihre Aufklärungsarbeit 2007 den Friedensnobelpreis erhalten haben, zeigt die humanitäre Relevanz der globalen Erderwärmung auf [17]. Doch mit der Verbrennung von Kohle, Gas und Öl sowie der Deponierung einst aufwendig gewonnener, nicht regenerativer Rohmaterialien am Ende ihrer Nutzungszeit geht die sichere Erkenntnis einher, dass diese früher oder später zur Neige gehen. Das Urban Mining tritt daher gegenwärtig verstärkt in das Blickfeld – die heutigen Städte sind dabei das anthropogene Rohstofflager der Zukunft. Wenngleich viele wissenschaftliche Untersuchungen zur Nachhaltigkeit des Bauens existieren, gibt es vonseiten der Architektur bislang keine Strategie, die ganzheitlich auf dieses Zukunftsszenario abzielt.

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Bedeutung des Bauens: Die Verwandlung der Welt Der archaische Grund des Bauens, dem Außen ein Innen entgegenzusetzen und dieses zum Schutze des Menschen vor der Natur abzugrenzen, impliziert per definitionem einen umweltzerstörerischen Ansatz. Die gebaute Umwelt hat heute nicht nur einen großen Einfluss auf das Individuum und sein soziales Verhalten, welches umfangreich erforscht ist [241], sondern wird als Gegensatz zur sog. natürlichen Umwelt bzw. zur Ökosphäre definiert [215]. Sie umfasst die vom Menschen gemachte und seinen Aktivitäten dienende Umgebung, von einzelnen Gebäuden über Infrastruktursysteme bis hin zu ganzen Städten. Der Begriff macht keinen qualitativen Unterschied zwischen sog. Architektur und sog. Zweck- oder Ingenieurbauten. Gemäß einem solchen inklusiven, heuristischen Verständnis soll er im Rahmen dieses Buches Verwendung finden. Unter dem Begriff Bauen wird im Folgenden die Gesamtheit aller mit der gebauten Umwelt in Zusammenhang stehenden Prozesse – ohne Unterschied zwischen Dienstleistung und Produktion – über den gesamten Lebenszyklus von Bauwerken hinweg (von der Materialbeschaffung über die Planung und die Errichtung, die Nutzungsphase und den Abriss von Objekten bis zur weiteren Verarbeitung der verwendeten Rohstoffe) ohne qualitativen Unterschied zwischen Architektur und Ingenieurbauwerken verstanden. In diesem Sinne ist das Bauen heute für ca. 50 Prozent des Energieverbrauchs [137], ca. 40 Prozent aller künstlich verursachten CO2-Emissionen [268], ca. 50 Prozent des Verbrauchs von natürlichen Ressourcen [138] und für ca. 60 Prozent des Massenmüllaufkommens [138] verantwortlich. Es hat den Planeten Erde über die Jahrhunderte hinweg nicht nur ­visuell geprägt, sondern ist auch Mitverursacher der Bedrohung der menschlichen Lebensgrundlage. Auf die drängenden Fragen im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung muss somit insbesondere im Bauen eine Antwort gefunden werden.

Ein neues Zeitalter: Die Digitalisierung der Welt War die »Verwandlung der Welt« im 18. und 19. Jahrhundert, wie Osterhammel [227] sie schildert, der Hintergrund, vor dem sich die moderne Architektur formieren konnte, um mit bestehenden Dogmen radikal zu brechen, so ist seit der Mitte des vergangenen Jahrhunderts an die Stelle der Industrialisierung eine neue Entwicklung getreten: die Digitalisierung. Hierunter wird der gesamtgesellschaftliche Übergang vom Industriezum Informationszeitalter, wie ihn Castells [59] schildert, verstanden. Dieser Übergang kennzeichnet – neben der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung – maßgeblich den gegenwärtigen gesellschaftlichen Transformationsprozess. Die Überlagerung der beiden Kräfte wird oftmals als »dritte industrielle Revolution« [80] bezeichnet und führt zu grundlegend neuen Denk- und Handlungsmustern, welche die Lösung multikriterieller Probleme ermöglichen. So lieferte die Digitalisierung etwa die technologischen Voraussetzungen zur Erforschung des Klimawandels: Erstmals konnten Infor-

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mationen nicht nur gesammelt, sondern auch verarbeitet und gedeutet werden, um Algorithmen zur Simulation und Modellierung der zukünftigen Entwicklung des Weltklimas erstellen zu können. Anders als bei analogen Vorgehensweisen konnten Daten unterschiedlichster Wissenschaften und deren wechselseitige Beziehungen in die Forschung integriert werden, um die komplexen Zusammenhänge zu ergründen. Die Anwendung digitaler Technologien führte hierbei zur Entwicklung digitaler Techniken, die den Fokus von den Einzelteilen weg auf deren Zusammenhänge hin neu justierten. Stellt man sich heute die Mies’sche Frage erneut, um eine adäquate architektonische Antwort auf unsere Epoche geben zu können, so bilden die Forderung und Umsetzung einer nachhaltigen Entwicklung und die fortschreitende Digitalisierung die zwei »treibenden und tragenden« [57] Kräfte zu Beginn des 21. Jahrhunderts.

1.2 DENKEN IN ZUSAMMENHÄNGEN Das hervorstechendste Merkmal des gegenwärtigen Transformationsprozesses ist die Erkenntnis, dass zunehmend alles mit allem zusammenhängt [214]. Die Dinge sind systemisch miteinander verknüpft – ihre Interdependenzen bestimmen, dass das Ganze mehr ist als nur die Summe seiner Teile [290]. Dies trifft gleichermaßen auf die umweltbezogenen, wirtschaftlichen und sozialen Zusammenhänge der Welt zu. Eine nachhaltige Entwicklung muss daher auch auf drei gleichberechtigten Säulen aufbauen: der ökologischen, der ökonomischen und der sozialen [2]. Um, wie im Brundtland-Report [53] gefordert, die »neue Realität« nicht nur »erkennen«, sondern zukünftig auch »steuern« zu können, muss ein systemischer Ansatz die Basis nachhaltigen Handelns sein. Denn: »Forschung für Nachhaltigkeit ist ein integrierter, systemorientierter Ansatz, der innovative Konzepte und Lösungen für die [ … ] skizzierten Herausforderungen entwickelt. Sie soll Entscheidungsgrundlagen für zukunftsorientiertes Handeln legen.« [39] Als System wird im weitesten Sinne eine Anzahl von Elementen verstanden, die in wechselseitigen Beziehungen zueinander stehen [33]. Diese formen in Summe ein Ganzes, welches sich von seiner Umwelt, der sog. Systemumwelt, abgrenzt und sich bisweilen mit ihr im Austausch befindet. Das Steuern von Systemen wird allgemein als Kybernetik bezeichnet [333]. Die Beschaffung, Verarbeitung und Kommunikation von Information ist dabei der maßgebliche Faktor. Aus der parallel zur Digitalisierung zur Mitte des 20. Jahrhunderts aufkommenden sog. Allgemeinen Systemtheorie entwickelte sich ein gezielt transdisziplinär konzipiertes Paradigma, dessen Inhalt es ist, »organisierte Komplexität« theoretisch zu erfassen [108]. Niklas Luhmann [195] zufolge kann das menschliche Handeln, welches zur Steuerung eines Systems dienen soll, ebenfalls als sog. soziales System bzw. Kommunikationssystem verstanden werden.

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Bauen als System – gebaute Umwelt als System Die Welt, in der gebaute Umwelt entsteht, ist die Ausgangsbasis allen Bauens. Hierzu zählen die Werte einer Gesellschaft ebenso wie ihre technischen und technologischen Möglichkeiten sowie ihre rechtlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen. Sowohl das Bauen als auch die gebaute Umwelt haben dabei einen systemischen Charakter. Das Bauen wird im Folgenden als Prozess verstanden, dessen Produkt die gebaute Umwelt ist. Das Produkt setzt also den Prozess voraus. Anders als bis heute in der Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) [314] niedergeschrieben, folgt dieser keinem linearen Ablaufmuster, sondern ist hochgradig vernetzt und iterativ [207]. Er ist maßgeblich geprägt durch die Organisation der Kommunikation zwischen den Beteiligten, welche eingebettet ist in die genannten technologischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und soziokulturellen Rahmenbedingungen. Im Sinne der Systemtheorie stellen diese gemeinsam mit den verwendeten Gütern die Systemumwelt des Kommunikationssystems Bauen dar. Ist das Produkt, also die Architektur des Systems gebaute Umwelt, das Abbild der jeweiligen Gesellschaft, so spielt der Prozess, also die Architektur des Kommunikationssystems Bauen, für die Performanz der gebauten Umwelt die entscheidende Rolle: »Wie etwas entsteht, ist konstitutiv dafür, was etwas ist.« [253] Ein Ende des Prozesses gibt es aus Gründen der Zirkularität hierbei nicht. Neben der Effizienz eines Wertschöpfungsprozesses zur Entwicklung eines Bauwerks muss somit auch die Effektivität der Entscheidungen über den gesamten Lebenszyklus eines Produkts hinweg Beachtung finden. Effizienz bedeutet nach Drucker [86] »die Dinge richtig [zu] tun«, Effektivität hingegen, »die richtigen Dinge [zu] tun«. Während Ersteres nach diesem Verständnis eine Optimierungsmaßnahme darstellt, hinterfragt Letzteres die Zielstellung in toto. Bestrebungen, die die Effizienz erhöhen, können hiernach der Effektivität der Handlungen entgegenwirken [47]. Die gebaute Umwelt kann als ein sog. offenes System verstanden werden, da sie sich heute durch den Verbrauch von Ressourcen und die Produktion von Emissionen und Abfall im ständigen Austausch mit ihrer Umwelt – insbesondere der natürlichen – befindet. Die Verbindungen innerhalb des Systems (z. B. zwischen einzelnen Bauelementen eines Gebäudes) sowie die Wechselwirkungen mit der äußeren künstlichen bzw. anthropogenen (z. B. Mobilität) und natürlichen Umwelt (z. B. Klima) entscheiden dabei über Entropieerzeugung oder -vermeidung [164]. Die Überlagerung der rapiden Ent-

wicklungen im Bereich der Digitalisierung mit der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung macht ein radikales Umdenken im Bauen erforderlich. Eine gebaute Umwelt, die der gegenwärtigen Herausforderung begegnen kann, muss daher aus einem Prozess hervorgehen, der die Zusammenhänge systemisch erkennt.

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Vom Designprozess zum Prozessdesign Während die Digitalisierung bis heute vor allem in den frühen Planungsphasen Einzug in das Bauen erhalten und bisweilen durch die neuen Techniken des Entwerfens neue Formen hervorgebracht hat, entspricht die Technologie, die zur Realisierung auf der Baustelle zum Einsatz kommt, zu großen Teilen noch jener vergangener Tage. Vorstöße, die Bauabläufe zu optimieren, gibt es viele. Bereits in den 1990er-Jahren wurden in Tokio die ersten Hochhäuser nahezu vollautomatisch mithilfe des Automated Building System realisiert [40]. Heute ist es vor allem die akademische Seite, die die Lücke zwischen digitalen Planungs- und handwerklichen Baumethoden zu schließen beginnt [123]. Mehr noch als auf die Gestalt des Produkts, welches durch das sog. generative, parametrische und computerbasierte Design entstanden ist, hat die Digitalisierung einen tiefgreifenden Einfluss auf den ihm zugrunde liegenden Prozess. Vor allem vonseiten der Projektsteuerung und der Bauindustrie werden seit Jahren Prozessoptimierungsbestrebungen unternommen. Ihr Anspruch an Optimierung adressiert jedoch nicht die ganzheitliche Sicht der Problematik. Sie dienen zum übermäßigen Anteil der Effizienzsteigerung im Hinblick auf Kosten und Zeit. Eine Prozessneugestaltung, die rückwirkend anhand eines zu definierenden Sollzustands die heutigen Realitäten anpasst, anstatt auf diesen aufzubauen, und somit auf die Effektivität des Prozesses abzielt, muss dies ändern. Die Strategie, die im vorliegenden Buch vorgestellt wird, richtet den Fokus im Bauen auf die Gestaltung eines solchen neuen Prozesses. An die Stelle des Designprozesses tritt das Prozessdesign. Der Sullivan’sche Ausspruch »form follows function« [298] wird zukünftig durch den Slogan »form influences function« [131] ersetzt – nicht die Funktion eines Produkts bestimmt dessen Gestalt, sondern die Gestalt des Prozesses beeinflusst seine Funktion, das gewünschte Produkt hervorzubringen: eine den Anforderungen unserer Epoche entsprechende gebaute Umwelt. Der Beginn einer neuen Avantgarde Anders als bei architekturtheoretisch motivierten Anstößen eines Umbruchs wird zukünftig nicht aus akademischer Sicht ein neuer Stil proklamiert, wie beispielsweise der Dekonstruktivismus, Postmodernismus oder Parametrismus, und im Folgenden der Gesellschaft oktroyiert. Vielmehr werden die Bauschaffenden in naher Zukunft zu Innovationen im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung der gebauten Umwelt vonseiten der Gesellschaft herausgefordert werden. Vergleichbar mit den Umwälzungen zu Beginn des 20. Jahrhunderts, gibt es eine reale, von formalen Fragen losgekoppelte gesellschaftliche Ursache für einen Wandel.

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Während allerdings auch die Väter der modernen Architektur Manifeste über eine die gesellschaftliche Entwicklung adäquat abbildende Gestalt von Architektur verfasst haben, wird zukünftig vielmehr die Gestalt des Prozesses, durch den diese entsteht, von Bedeutung sein. Die Gestalt der Gebäude selbst bleibt, ähnlich wie sich die Gestalt der ersten Automobile nach dem Ersetzen der Kutsche und ihrer Antriebskraft, dem Pferd, durch den Verbrennungsmotor erst noch formieren musste und sich die Industriedesigner gegenwärtig wieder auf der Suche nach einer adäquaten Formensprache für die entstehende Elektromobilität befinden, zunächst offen. Die Digitalisierung der Welt eröffnet neue, effizientere und effektivere Methoden des Bauens. Hierbei wird es nicht mehr primär um die Frage der Geometrie gehen, die noch die Baumeister der Gotik und des Barock faszinierte [315]. Die Beschaffung, Verarbeitung, Kommunikation und Deutung von Information wird ihre tiefgreifende Auswirkung vielmehr im Kontext der Gewinnung von Wissen entfalten und somit als Grundlage und Werkzeug nachhaltigen und innovativen Bauens dienen.

Ziel und Aufbau des Buches Ziel dieser Untersuchung ist es, eine Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen zu entwickeln. Diese soll systemische Rahmenbedingungen für einen Wertschöpfungsprozess definieren, der zu einer nachhaltigen Entwicklung des Bauens führt und innovationsfördernd auf die Beteiligten einwirkt, um die neuen Herausforderungen bewältigen zu können. Da gegenwärtig je nach konkreter Aufgabe und den jeweiligen Rahmenbedingungen unterschiedliche Prozessmodelle im Bauen Verwendung finden, wird der Fokus auf die sich darüber befindliche Ebene der Strategie gelegt. Diese soll aufzeigen, welche Faktoren zur Prozessneugestaltung relevant sind und deshalb neu definiert werden müssen. Die den Prozess bestimmenden Rahmenbedingungen finden hierbei ebenso Beachtung wie der Prozess selbst. Neben der Antwort auf die Frage, was getan werden muss, liefert die Strategie eine Anzahl von Lösungsansätzen für die Beantwortung der Frage, wie dies erreicht werden kann. Die zu behandelnden Themengebiete und die zur Anwendung kommenden Untersuchungsmethoden lassen sich in folgende vier Kategorien unterteilen: • Theoretische Grundlagen • Analyse des Istzustands / Definition des Sollzustands • Integrative Planungsprozesse / Einfluss der Digitalisierung • Untersuchung artverwandter Branchen

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Zunächst werden die Grundlagen der Organisation, der Prozessgestaltung und der Strategieentwicklung analysiert. Theoretische Kenntnisse über Kommunikation und Komplexität sowie über Innovationen dienen ebenfalls als Voraussetzung. Das systemische Denken stellt hierfür die Basis dar, welche die skizzierte Multikriterienproblematik im Kontext von Digitalisierung und Nachhaltigkeit strukturiert und den Fokus auf die Interdependenzen der einzelnen Faktoren legt. Zur Entwicklung von Lösungsansätzen wird darauf aufbauend der Istzustand im Bauen dargelegt. Hierfür wird die Honorarordnung für Architekten und Ingenieure (HOAI) [314] als prozessbestimmende Verordnung analysiert. Insbesondere wird untersucht, inwieweit das Wissen aus der Ausführungs-, Nutzungs-, Umnutzungsphase sowie aus den Phasen End-of-Life (EOL) und Begin-of-Life (BOL) heute in die Planung integriert wird. Parallel werden die Positionen, Aufgaben und Kompetenzen der wichtigsten an Planung und Bau Beteiligten dargelegt und ihre Beziehungen untereinander aufgeschlüsselt. Hieraus folgt die Identifikation von heutigen Schwachstellen.

Nach der Definition des anvisierten Sollzustands werden die bereits im Bauen existierenden Ansätze zur Prozessoptimierung vorgestellt und untersucht. Zu nennen sind hier insbesondere drei Aspekte: 1. die virtuelle Vorwegnahme der Realität durch digitale Planungsmethoden, die große Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Beteiligten haben; 2. sind in jüngster Zeit einige Ansätze zur Prozessoptimierung entstanden, deren Potenziale und Probleme dargestellt werden; und 3. die zunehmende Quantifizierung von Qualität. Simulationen und Zertifizierungsverfahren prägen zunehmend die Prozessstrukturen. Neben den positiven Aspekten bestehen auch hier Risiken, die ebenfalls aufgezeigt werden. Durch die Untersuchung von Prozessketten und Rahmenbedingungen artverwandter Disziplinen werden abschließend punktuell Handlungsempfehlungen für das Bauen von morgen ausgesprochen: Es wird hierbei auf zwei Punkte abgehoben: 1. auf die Treiber der Innovationen sowohl auf Produkt- als auch auf Prozessebene und 2. auf die Struktur der Zusammenarbeit der am Produktentstehungsprozess Beteiligten und der Beeinflussung des Prozesses durch die verwendeten Technologien. Eine kritische Diskussion im Hinblick auf die Übertragbarkeit der Erkenntnisse und eine dem Bauen entsprechende Adaption schließt die Untersuchung ab. Das Ergebnis des vorliegenden Buches basiert somit auf der Feststellung, dass der heute zur Anwendung kommende Prozess im Bauen grundlegende Mängel aufweist. Diese werden in einer ausführlichen Bestandsaufnahme des bestehenden Prozesses und der ihn definierenden Faktoren detailliert beschrieben und zu einer Mängelanalyse zusammengefasst. Hierauf aufbauend wird eine Strategie entwickelt, anhand derer versucht werden soll, die hieraus entstandenen Probleme auf Prozessebene zu lösen.

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2  |  THEORETISCHE GRUNDLAGEN

Im Folgenden werden die Grundlagen der Organisation, der Prozessgestaltung und der Strategieentwicklung analysiert. Theoretische Kenntnisse über Kommunikation und Komplexität sowie über Innovationen dienen als Voraussetzung. Das systemische Denken stellt hierfür die Basis dar, welche die Multikriterienproblematik im Kontext von Digitalisierung und Nachhaltigkeit strukturiert und den Fokus auf die Interdependenzen der einzelnen Faktoren legt.

2.1 DER PROZESSBEGRIFF: EINE DEFINITION Prozesse im Management Im Management wird ein Prozess heute verstanden als »ein Netzwerk individueller und organisationaler Aktivitäten und Ereignissequenzen, die zur Erzeugung eines vereinbarten Produkts […] durchgeführt werden« [180]. Eine vielfach zitierte Definition liefert auch Davenport [73]: »Ein Prozess ist eine zeitlich und räumlich spezifisch strukturierte Menge von Aktivitäten mit einem Anfang und einem Ende sowie klar definierten Inputs und Outputs.« Allerdings wird diese Definition häufig kritisiert. Osterloh et al. [228] weiten daher den Begriff aus und sprechen allgemeiner von der »Transformation [von] Material, Information, Operationen und Entscheidungen«. Die Organisationslehre versucht, Prozesse zu organisieren. Sie ist nach Gaitanides [112] geprägt durch die »Dualität von Aufbau- und Ablauforganisation«; Erstere hat die Verteilung der Aufgaben zum Inhalt, Letztere die der Arbeit. Die Aufbauorganisation hat somit strukturellen Charakter und beschreibt die Handlungsziele – die Ablauforganisation definiert die Regeln für den Handlungsvollzug und ist somit eine »raumzeitliche Strukturierung derjenigen Arbeitsprozesse […] , die zur Aufgabenerfüllung notwendig sind« [178]. Die Aufgabenerfüllung im Rahmen der Ablauforganisation ist hierfür auf die Aufgabenverteilung und die Definition der Sollzustände im Zuge der Aufbauorganisation angewiesen. Kosiol [178] nennt neben anderen folgende Inhalte einer »ablauforganisatorischen Strukturgestaltung«: • Bestimmung von Arbeitsgängen • Zusammenfassung zu Arbeitsgangfolgen • Leistungsabstimmung • Bestimmung der zeitlichen Belastung Bevor diese Prozesse in die Praxis umgesetzt werden können, muss eine Aufgabenanalyse erfolgen. Diese hat die Gesamtaufgabe, den sog. Unternehmenszweck [112] , zur Basis und untergliedert diesen in untergeordnete Teilaufgaben. Ihr steht die Arbeitsanalyse aufseiten der Ablauforganisation gegenüber. Sie definiert die Aspekte, die zur Erfüllung der gebildeten Teilaufgaben wichtig sind. Diese Differenzierung lässt sich zurückführen auf die zwei prinzipiell zu unterscheidenden Charaktere einer Aufgabe: • Handlungsziel (die Vorgabe bzw. der Sollzustand) • Handlungsinhalt (die zum Erreichen des Ziels verwendeten Handlungen) Ein Prozess ist demnach dreigeteilt in die Phasen Planung, Durchführung und Kontrolle [178]. Die Gliederung von Planungs- und Bauprozessen spiegelt diese Organisationsform in der Regel wider. Die sequenzielle Reihung der Arbeitsschritte ist in der HOAI [314] normiert. Der danach mittelbar definierte Prozess hat einen klaren Ausgangspunkt

TEIL I 24

(der Auftrag durch einen Bauherrn) und einen definierten Endpunkt (die mängelfreie Fertigstellung und Übergabe des Objekts an den Auftraggeber). Er wird zur Erreichung dieses Sollzustands in neun Phasen unterteilt, welche die Aufgaben in sog. Leistungsbildern beinhalten. Die Dreiteilung in Planung, Durchführung und Kontrolle lässt sich auch in der Struktur der HOAI erkennen: Der planende Prozessteil (LP 1–5) ist durch die Vergabe (LP 6–7) deutlich von der Ausführung (LP 8–9) getrennt. Die HOAI folgt somit dem Vorbild der Ablauforganisation. Die Aufbauorganisation hingegen ist deutlich weniger ausgeprägt. Dies liegt in erster Linie daran, dass die HOAI ihre allgemeine Anwendbarkeit aus der Exklusion der Aufbauorganisation schöpft, denn der Prozess im Bauen dient in der Regel der Unikatfertigung. Es handelt sich somit um einen Prozess innerhalb eines Projekts, das wiederum durch seine Einmaligkeit definiert ist [83]. Die Ablauforganisation betrachtet nach Gaitanides [112] Prozesse jedoch als »Wiederholungen eines gleichartigen Vorgangs«, welche in der Regel »routinisierbar« und »generell regelbar« hinsichtlich der Arbeitsteilung und der Arbeitsinhalte sind. Im Bauen handelt es sich allgemein um Projekte, die zwar arbeitsteilig angelegt sind, sich in ihrem Zeitbedarf und in ihrer inhaltlichen Komplexität aber deutlich voneinander unterscheiden. Die Struktur der HOAI zielt folglich darauf ab, einen äußerst komplexen Vorgang einerseits einer Routine zuzuführen, andererseits seine Aufbauorganisation möglichst generisch zu halten. Dabei hat diese aufgrund ihrer zieldefinierenden Eigenschaft jeweils maßgeblichen Einfluss sowohl auf die Prozessgestaltung und auf die Zusammensetzung der Prozessbeteiligten – also insgesamt auf die Ablauforganisation – als auch auf die Qualität des Bauwerks. Übertragen auf die Aufgaben des Architekten lässt sich folgern, dass die erste Leistungsphase, in welcher die Aufgabe und das Ziel geklärt werden, der Ablauforganisation im Management entspricht. Die vorgesehene Vergütung von 2 Prozent des Gesamthonorars [314] (vormals 3 Prozent [145]) sowie der meist stark begrenzte zeitliche Rahmen widersprechen dabei der Wichtigkeit der hier beinhalteten Aufgaben. Paulson [233] veranschaulichten dies anhand von zwei gegenläufigen Kurven bereits 1976: einer exponentiell aufsteigenden Kostenkurve und einer diametral abfallenden Kurve ihrer Beeinflussbarkeit. Die im Zuge der Entwicklung des Integrated Project Delivery (IPD) des Building Information Modeling (BIM) im Jahr 2004 wiederveröffentlichte Grafik [64] wird heute als MacLeamy-Kurve [198] bezeichnet  → s. Abb. 1.

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KOSTEN

Kostenfestlegung Kostenentstehung

Beeinflussbarkeit der Kosten ZEIT Initiierung

Planung

Realisierung

Nutzung

End-Of-Life

Abb. 1: Kostenentstehung und -beeinflussbarkeit (nach [103])

Aus dieser Problematik und aus der Tatsache, dass der Architekt im Regelfall qua seiner Ausbildung und seines Berufsprofils heute nicht mit den hier beschriebenen organisatorischen Kompetenzen ausgestattet ist, ergibt sich, dass bei großen Bauvorhaben Projektsteuerer als Vertreter des Bauherrn diese Aufgaben übernehmen. Die Ablauforganisation ist somit weitestgehend aus dem in der HOAI beschriebenen Projektprozess ausgegliedert und findet oft vor dem eigentlichen Prozess statt. Die Projektsteuerung übt durch diese Stellung – zeitlich, hierarchisch und inhaltlich – großen Einfluss auf die Qualität der gebauten Umwelt aus. Da auch Vertragsstrukturen mittelbar den Prozess beeinflussen, ist festzustellen, dass die Ablauforganisation bereits vor dem eigentlichen Projektbeginn einsetzt und den Prozess maßgeblich steuert.

Reengineering Architecture: Ein neuer Ansatz Die Literatur der Betriebswirtschaftslehre definiert den Prozessbegriff aus ihrem disziplinspezifischen Blickwinkel. Dieser ist für die Analyse der bestehenden Prozesse im Bauen und zur Gewinnung von Erkenntnissen für die Zusammenhänge, die im Rahmen einer Prozessneugestaltung zu berücksichtigen sind, essenziell. Allerdings sind folgende drei Einschränkungen zu berücksichtigen:

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Zum einen bezieht sich die Literatur auf den Wettbewerb am Markt. Erfolge werden an der Einsparung von Kosten und Zeit gemessen. Eine ganzheitliche Sicht im Sinne der Nachhaltigkeit wird bis dato nicht vertreten. Weiter sind ihre Handlungsempfehlungen zu spezifisch, um sie auf das Bauen übertragen zu können; sie folgen dem mechanistischen Denken, nach welchem die Abläufe sequenziell organisiert und standardisiert werden. Und letztlich verfolgen die Publikationen das Ziel, bestehende Prozesse mithilfe von vordefinierten Modellen oder Werkzeugen zu optimieren. Effizienzsteigerungen sind dabei das Ziel. Wird ein in sich ineffektiver – also ein unter holistischen Gesichtspunkten nach Braungart [47] zum falschen Ziel führender – Prozess effizienter gestaltet, so kann sich das Ergebnis durch die Perfektionierung des Falschen jedoch sogar verschlechtern. Vorliegender Untersuchung geht es daher um eine grundsätzliche Neugestaltung. Denn, »unser Denken hält nicht Schritt mit den beschleunigten, immer komplexer werdenden Prozessen, die wir selbst angestoßen haben« [218]. Vor der Frage »Was können wir tun?« muss somit der Frage nachgegangen werden »Wie müssen wir denken?« [36]. Einen Ansatz, der zur Beantwortung dieser Frage beiträgt, liefert das Konzept des sog. Business Process Reengineering (BPR) nach Hammer und Champy [131]: Es bezeichnet ein »fundamentales Überdenken und radikales Redesign von Unternehmen oder wesentlichen Unternehmensprozessen«; es geht darum, »ganz von vorne an(zu)fangen« – »Leistungsprobleme«, wie man sie auch im Bauen heute vorfindet, sind demnach »die […] Folge fragmentierter Prozesse«. Ähnlich wie zu Ende des vergangenen Jahrhunderts in Unternehmen das Management von den operativen Abläufen getrennt war [131], so entwickelt sich das Bauen zunehmend in eine Richtung, in welcher der sog. Entwurf losgekoppelt von der Ausführung vonstatten geht. Die Zunahme der im Bauen beteiligten Experten führt zudem zu einer »Fragmentierung der Abläufe in spezialisierten Fachabteilungen«, wodurch es zunehmend unmöglich wird, »bedeutende Veränderungen zu erkennen, oder […] entsprechend darauf zu reagieren« [131]. Bei einem fundamentalen Überdenken von bestehenden Prozessen sind die Rahmenbedingungen, die den Prozess maßgeblich bestimmen, miteinzubeziehen; das heißt, es geht prinzipiell um das Entwerfen von Prozessen: Das Prozessdesign geht dem Designprozess voraus. Philosophiegeschichtliche Perspektive Ein Exkurs in die Philosophie ist notwendig, um zu einem allgemeineren Verständnis des Prozessbegriffs zu führen, das losgelöst ist von den durch die Wirtschaftswissenschaften präokkupierten Deutungen. Denn um die »Sterilität«, zu der eine Gesellschaft durch eine »kristallisierte Gültigkeit« [214] ihrer Begriffe nach einer »begrenzten Periode des Fortschritts«

[330]

verurteilt ist, zu durchbrechen, bedarf es einer erneuten

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Auseinandersetzung mit der Bedeutung von »fundamentalen Begriffen, die für die Zukunftsgestaltung […] von großer Bedeutung sind« [214]. Nach Schelling [265] bedingen sich die Begriffe Prozess und Organisation wechselseitig. Es kann unterschieden werden in Prozesse, die von einem Akteur organisiert werden (z. B. Prozesse im Bauen), und solche, die selbsterhaltend und selbstorganisierend, also autopoietisch [203] sind (z. B. Prozesse der Natur). Doch »bei ›Kunst und Natur selbst‹ handelt es sich um eine Formel, die die Gleichartigkeit von Prozessen in der Hinsicht benennt, dass in beiden Sphären Prozesse nur ›Abänderungen und Modifikationen‹ der Materie sind« [253]. Schelling bezieht ebenso erstmals die Begriffe Prozess und Produkt aufeinander [266]. Demnach ist das Produkt das Ergebnis eines Prozesses. Zudem kann jedes Produkt als »Bedingung weiterer Prozesse, in die es entweder als Gegenstand oder aber als Mittel eingeht« [253], verstanden werden. Die Reihung der Prozesse findet somit nirgendwo ihr Ende [58]. Das zukünftig geforderte Denken in Kreisläufen muss seinen Ursprung in dieser Logik der Zirkularität haben. Im Bauen führt der heute betrachtete Prozess nach HOAI beispielsweise zu dem Produkt Gebäude, welches unter anderem dem Prozess der Nutzung dient. Mit ihr gehen unter anderem Abnutzungserscheinungen einher, die für sich Teil des übergeordneten Prozesses der Entropiezunahme sind. Ist der Zweck des Gebäudes erfüllt bzw. erreicht es das Ende seiner Lebensphase, setzen weitere Prozesse ein, so beispielsweise Rückbau und Recycling. Ein Gebäude ist demnach zwar ein Produkt (als Ergebnis eines Teilprozesses), sollte aber vielmehr als modifizierte Materie [267] wahrgenommen werden, die über eine gewisse Zeitspanne einer Nutzung dient. Bauer [24] differenziert in Bezug auf die Steuerung von Prozessen zwischen sog. Prozess-handlungen und einem sog. Prozessgang. Er verdeutlicht, dass »der Gang etwas anderes sein könnte als die Folge der Summe der Handlungen«. Die Erkenntnis der Betriebswirtschaftslehre, dass das Planen von Prozessen immer weniger möglich ist, findet sich somit bereits in der Philosophie des 19. Jahrhunderts wieder (und geht letztlich zurück auf Heraklit) [253]. Nach Hartmann [133] besteht ebenso eine direkte Verbindung zwischen den Begriffen Prozess und Form: »Die Form hat ihre Bedingungen, aus denen sie sich erbaut, im Prozess.« Weil der Prozess, anders als die Form, im Regelfall nicht direkt erkennbar oder begreifbar ist, sei »die Erforschung des Prozesses Sache des rückschließenden Denkens«. Prozesse sind bzw. werden in sich und untereinander organisiert und Formen ihm zufolge im Ganzen ein »System der Prozesse«. Whitehead [329] verdeutlicht die Unendlichkeit der Aneinanderreihung und gegenseitigen Beeinflussung von Prozessen, indem er das Sein vollständig durch das Werden ersetzt: »Wie etwas entsteht, ist kon-

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stitutiv dafür, was etwas ist« [253]. Anhand dieser Überlegungen wird der systemische Charakter des Prozessbegriffs im Kontext der Prozessorganisation deutlich. Zusammenfassend werden für das Bauen die folgenden zwei Erkenntnisse formuliert: Erstens sind Prozesse, wie sie in der HOAI definiert werden, Abläufe innerhalb eines größeren Zusammenhangs. Ihr vermeintliches Ergebnis, die gebaute Umwelt, ist somit modifizierte Materie. Sie wird zu einem großen Teil der Natur entnommen, abgeändert (im Zuge der Verarbeitung zu Baumaterialien) und für die Nutzung (im Zuge der Fertigstellung eines Gebäudes) herangezogen. Auch nach dem vermeintlichen Ende des eigentlichen Wertschöpfungsprozesses bleibt sie Bestandteil des übergeordneten fortlaufenden Prozesses der Natur, denn »Natur ist Prozess« [271]. Der Zerfall der Materie bzw. die Zunahme der Entropie im Neirynck’schen Sinne [219] ist somit ein Naturgesetz, welches auch für künstliche Produkte gilt. Die Materie durchläuft auch nach der Nutzungsphase eines Gebäudes am End-of-Life-Punkt (EOL) weitere Prozessphasen, sei es auf künstliche oder natürliche Weise. Sie muss somit in die künstlichen oder natürlichen Kreisläufe, wie sie Braungart und McDonough [47] darstellen, zurückgeführt werden. Dieser Prozess wird als materieller Prozess bezeichnet. Zweitens sind bzw. werden Prozesse einer Organisation unterworfen. Im Falle des Prozesses im Bauen wird diese maßgeblich durch die Handlungen der Beteiligten und die Rahmenbedingungen, unter denen diese stattfinden, definiert. Der Prozess im Bauen bestimmt demnach die Form der gebauten Umwelt ebenso wie ihre Qualität. Dieser Prozess wird als immaterieller Prozess benannt.

Der Prozessbegriff im Bauen In Literatur und Praxis des Bauens gibt es keine einheitliche Definition des Prozessbegriffs. Die oben referierte heuristische Sicht stellt nicht die Basis des heutigen Handelns dar. Es existiert vielmehr eine Vielzahl von Prozessverständnissen, zwischen welchen keine klare Abgrenzung zu erkennen ist. Die Unterteilung findet hierbei zumeist entsprechend der Gliederung des Prozesses in Phasen statt. So kann er grob unterteilt werden in den Planungsprozess und den Ausführungsprozess – also in einen theoretischen und einen praktischen Teil → s. Abb. 2. Innerhalb dieser Prozesse kann weiter differenziert werden: Der Planungsprozess wird oftmals entkoppelt vom Entwurfsprozess bzw. Designprozess, wobei das individuell divergierende Verständnis dieser Termini auf unterschiedliche Inhalte schließen lässt. Der Ausführungsprozess hingegen wird oft mit dem Bauprozess gleichgesetzt, wobei sprachlich unberücksichtigt bleibt, dass die Ausführungsplanung meist noch parallel zur praktischen Erstellung des Bauwerks stattfindet.

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Vorentwurf Entwurf Genehmigungsplanung GENEHMIGUNG Ausführungsplanung Ausschreibung & Vergabe

PLANUNG

Bauleitung Gewährleistungsüberwachung

Dienstleistung Produktion

AUSFÜHRUNG

BAUBEGINN Vorbereitung Rohbaugewerbe Fassade Ausbau TGA

TGA Abschließende Maßnahmen FERTIGSTELLUNG

Abb. 2: Projektbezogener Planungs- und Ausführungsprozess (nach [171] )

Die HOAI [314] stellt (als Preisrecht) einen Leitfaden dar, der seit seinem Inkrafttreten 1977 maßgeblich zu einem einheitlichen Prozessverständnis in Deutschland geführt hat. Aus ihren Leistungsphasen lässt sich extrahieren, dass der theoretische Teil des Prozesses aus Sicht des Planers mit der sog. Grundlagenermittlung beginnt und über eine viergeteilte Planung – Vorplanung, Entwurfsplanung, Genehmigungsplanung und Ausführungsplanung – in eine ausführungsreife Lösung mündet. Nach der sog. Ausschreibung und Vergabe geht die Planung in die Ausführung über. Die sog. Objektbetreuung und Dokumentation schließt den Prozess ab. Obwohl jedes Bauvorhaben aufgrund der Einzigartigkeit der beeinflussenden Faktoren seinen eigenen Regeln folgt, richten die Prozessbeteiligten die Aufgliederung ihrer Arbeiten an der Struktur der HOAI aus. Sie dient im Rahmen dieser Untersuchung daher als Grundlage zur Feststellung des Istzustands in der Prozessgestaltung des Bauens. Die HOAI begrenzt den Prozess entsprechend der Betriebswirtschaftslehre: In der Regel beginnt er mit der Beauftragung eines Architekten und endet mit der Objektübergabe. Im Kontext des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes bezieht er sich damit nur auf einen sehr limitierten Zeitabschnitt. Die vorangegangenen sowie die nachfolgenden Phasen finden dabei keine Berücksichtigung.

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Im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung des Bauens sind diese Phasen allerdings von besonderer Bedeutung. Ganzheitliche Bilanzierungsverfahren wie beispielsweise die Ökobilanzierung bzw. das Life Cycle Assessment (LCA) haben dies in den letzten Jahren gezeigt. Noch bevor die eigentliche Planung beginnt, werden darüber hinaus von Bauherrenseite oft wichtige Entscheidungen getroffen, die den weiteren Prozessverlauf und damit die Qualität des Bauwerks bestimmen. Das Konzipieren und Initialisieren eines Vorhabens, das Installieren eines Projektmanagements und die hierdurch definierten Rahmenbedingungen in Bezug auf Kosten, Zeit und Qualität sowie die Frage nach dem Standort und dem Raumprogramm eines zu entwickelnden Objekts sind nur einige Beispiele, die die Wichtigkeit der Entscheidungen vor Beginn der Planung skizzieren. Zu den Prozessen im Vorfeld der Planung werden auch solche gezählt, die bisweilen zeitlich parallel stattfinden. Hierunter fällt beispielsweise die Begin-of-Life-Phase (BOL). Welche Art und welche Mengen von Ressourcen zur Errichtung eines Bauwerks benötigt werden, hängt dabei maßgeblich vom Entwurf ab und besitzt im Kontext einer Lebenszyklusbetrachtung eine wichtige Bedeutung. Unter anderem von dieser Materialwahl hängt maßgeblich der kumulierte Energieaufwand für die Herstellung eines Gebäudes ab. Dies ist der Anteil des kumulierten Energieaufwands (KEA), der zum Abbau der Rohmaterialien, zu deren Umformung in Baustoffe, Transport zur Baustelle und tatsächlichen Verbau benötigt wird [313]. Vereinzelt, aber nicht durchgängig identisch definiert, finden hierfür auch die Begriffe Graue Energie, Embodied Energy [16] und Indirect Energy Flow [132] Verwendung. Der bisher gesondert betrachtete Prozess des Begin-of-Life (BOL) muss somit zukünftig Berücksichtigung in der Prozessgestaltung im Bauen finden, um die Interdependenzen der Faktoren ganzheitlich erkennen zu können. Ebenso verhält es sich mit den auf die Fertigstellung des Gebäudes folgenden Nutzungs-, Umnutzungs- und EOL-Phasen. Besonders die Nutzungsphase ist aufgrund der Tatsache, dass bei herkömmlichen Gebäuden ihr Energieverbrauch den der anderen Phasen um ein Vielfaches übersteigt [124], in der öffentlichen Wahrnehmung verankert. Ihr Anteil am KEA wird als kumulierter Energieaufwand für die Nutzung bezeichnet [313]. Die Minimierung dieses Anteils kann einen entscheidenden Einfluss auf den Entwurf eines Gebäudes bis hin zur Entwicklung von Plusenergiehäusern haben. Dass das Verhältnis von der Gebäudeaußenfläche zu ihrem Volumen (A/V-Verhältnis) in diesem Kontext ebenso wichtig ist wie die Wahl eines geeigneten Wärmedämmstoffs, kann bei konsequentem Streben nach Energieeffizienz bedeutende Effekte auf die Form eines Bauwerks haben. Letzteres hat wiederum direkte Auswirkungen auf die Demontageund Recyclingeigenschaften und somit auf den kumulierten Energieaufwand zur Entsorgung [313].

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Des Weiteren muss dafür Sorge getragen werden, dass die komplexen Zusammenhänge zwischen den Phasen BOL, Planung, Ausführung, Nutzung und EOL zukünftig besser verstanden, deutlicher vermittelt und einheitlicher definiert werden. Neu entwickelte Recyclingverfahren sollten sich beispielsweise positiv auf die Ökobilanzierung auswirken. Vergleichbares gilt für die Ausweitung der Betrachtung auf alle materiellen Ressourcen inklusive den verwendeten Rohstoffmassen sowie des zur Herstellung von Baumaterialien verbrauchten Wassers. Bei Letzterem sollte auf den Begriff des sog. virtuellen Wassers [208] aufgebaut werden. Das Statistische Bundesamt [275] unterscheidet im Allgemeinen den direkten und den indirekten Umweltressourcenverbrauch, in den z. B. auch die Aufnahme von künstlich erzeugten Emissionen durch die Umwelt eingerechnet wird. Um die ganzheitliche Betrachtung aller Teilprozesse sicherzustellen, den komplexen Zusammenhängen zwischen den beteiligten Akteuren über alle genannten Phasen hinweg Rechnung zu tragen und einem Kreislaufdenken den Weg zu bereiten, muss der Prozess im Bauen auf den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks erweitert werden. Zusammenfassend wird festgehalten, dass daraus folgend nicht die Fertigstellung eines Objektes Ziel des Bauens sein sollte, sondern der Wert, der sich für die Gesellschaft auf allen Ebenen hieraus ergibt.

Rahmenbedingungen: Werte, Stoffe, Güter Menz et al. [94] verwenden zur Abstraktion des Prozesses im Bauen das »theoretische Modell der Arbeit«. Hiernach kann jede Handlung in drei Phasen unterteilt werden: Intendieren, Konzipieren und Produzieren. Diesen drei Phasen können jeweils ein entsprechender Stoff, ein benötigtes Mittel, eine verwendete Kraft, eine ihr zugrunde liegende Idee und ein aus jeder Phase hervorgehendes Resultat zugeordnet werden. »Die Resultate der vorherigen Phasen, das Konzept und die Intention, sind zusammen mit dem Wert Aspekte einer Idee, die die Gestaltung des Produkts bestimmt« [94]. Solange die Ergebnisse der ersten beiden Phasen noch nicht vorliegen, besteht die Idee nur aus dem Wert. Da das Produkt also durch eine Idee gestaltet und aus einem Stoff gefertigt wird, werden die Begriffe Wert und Stoff im Folgenden näher betrachtet: Soziologische »Werte haben ihren Ursprung im Individuum. […] Indem es seine Gefühle mit Handlungsmustern verknüpft, bindet es sich an Werte« [94]. Diese bestimmen sein Verhalten und legen fest, was intendiert, konzipiert und produziert wird. Da die Architektur ein Abbild der Gesellschaft ist, verkörpert die gebaute Umwelt die sog. geteilten Werte, also die Wertvorstellungen, welche die Individuen dieser Gesellschaft teilen und

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sie erst zu einer solchen formieren. Je nachdem, wie wichtig einer Gesellschaft welcher Wert ist, tritt dieser auch in der Gestalt und Qualität der gebauten Umwelt zutage. Im Zuge der Diffusion der Erkenntnis, dass der Klimawandel zu großen Teilen von der Menschheit selbst verschuldet ist, kann gegenwärtig eine Verschiebung der soziologischen Werte in der westlichen Welt beobachtet werden. Dadurch dass das Sicherheitsgefühl des Menschen derzeit bedroht ist, erfährt die natürliche Umwelt gegenwärtig eine erhöhte Wertschätzung, welche die Dominanz materieller Werte langfristig infrage stellt. Der Paradigmenwechsel im Bauen – weg vom Fokus auf Kosten, Zeit und Qualität, hin zur Trias Rohstoffe, Recycling, Emissionen [70] – ist eine Folge daraus [120]. Materielle Werte haben einen direkten Bezug zu dem Begriff des Gutes. Picot et al. [237] legen dar: »Die Knappheit bildet den Ausgangspunkt des sog. Wirtschaftens.« Unter sog. knappe Güter fallen immaterielle Ressourcen wie beispielsweise Zeit, Arbeitskraft und Geld sowie insbesondere materielle Ressourcen. Da die Rohstoffe der Erde per definitionem endlich sind, werden sie somit nicht knapp, sie sind knapp.

RESSO

URCEN

LEBENSZYKLUS Kosten

ALTES PARADIGMA

IO SS

CY C

NE

RE

N

NEUES PARADIGMA

Zeit

G

EM

I

LIN

Qualität

Abb. 3: Altes und neues Paradigma im Bauen (nach [70])

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Ein materieller Wert bezeichnet nicht das Produkt selbst, sondern dessen monetäres Aufwiegen im Vergleich zu anderen Gütern. Ein soziologischer Wert hingegen ist das, was das Produkt bzw. Gut dem Nutzer oder einer Gesellschaft bietet. So kann sich der materielle Wert eines Produkts beispielsweise erhöhen, wenn es nachhaltig produziert wurde und somit zum Schutz des geteilten, soziologischen Wertes der natürlichen Umwelt beiträgt: »A key difference between the industrial economy and the service economy is that the first gives value to products that exist materially […], whereas value in the service economy is more closely attributed to the performance […] of products integrated into a system.« [292] Die Relevanz des Begriffs »Stoff« liegt somit auf der Hand: Während die Idee zu einem Bauwerk aus den Werten entspringt bzw. durch sie geprägt ist, hat der Stoff seinen Ursprung in der natürlichen Umwelt [94]. In der Phase des Produzierens wird ihr Material entnommen und hieraus ein Gebäude errichtet. Die hierzu benötigte Energie basiert – solange sie auf nichtregenerativen Quellen beruht – ebenfalls auf einem Stoff. Da die Arbeit ihre »stofflichen Elemente, ihren Gegenstand und ihre Mittel« verbraucht, »ist [sie] also Konsumptionsprozess.« [201] Das Schöpfen von Werten bedingt somit – dem bisherigen Denken folgend – das Vernichten von Werten. So wird im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung allgemein von einem Zielkonflikt zwischen Ökologie und Ökonomie ausgegangen. Etymologisch betrachtet gehen die Termini in ihrem gemeinsamen Wortstamm allerdings auf das griechische Wort oikos (Haus) zurück [173], das in einem umfassenden Verständnis den Lebensraum des Menschen bezeichnet [200]. Ökologie ist demnach die Lehre (griech.: logos), Ökonomie hingegen die Ordnung bzw. das Gesetz (griech.: nomos) des Planeten Erde [320]. Ökologie kann somit als das Verständnis der Zusammenhänge zwischen den Lebewesen und ihrer natürlichen Umwelt (als Naturwissenschaft), Ökonomie hingegen als die Organisation bzw. Gestaltung dieses Verhältnisses (als Geisteswissenschaft) verstanden werden [129]. Während alle anderen Lebewesen im Einklang mit ihrer natürlichen Umwelt leben – beispielsweise ihre Abfälle wieder als Nährstoff für andere dienen [47] –, existiert heute allgemein die Annahme, ökonomisch vorteilhaftes Handeln stehe im Kontrast zu ökologisch verträglichem Handeln. Diese beruht auf einer historisch gewachsenen Diskrepanz zwischen der Deutung des Terminus Ökonomie als Haushalten einerseits und Wirtschaften andererseits [320]. Die dargelegte wechselseitige Abhängigkeit entspringt der Interpretation als Haushalten. Das eigene Handeln hat hiernach der Ordnung der Naturgesetze zu folgen [54]. Bei der Deutung von Ökonomie als Wirtschaften befolgt der Mensch hingegen die Regeln einer Ordnung, die er selbst gestaltet. Wachstum und Wohlstand sind demnach die Werte, welche die westlichen Wirtschaftssysteme bestimmen. Der Fortschritt wird

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dabei im Wesentlichen definiert durch »technische und ökonomische Aspekte« [214]. Das naturwissenschaftliche Verständnis über die Ökologie ist dabei nicht mehr Grundlage für die geisteswissenschaftliche Gestaltung der Ökonomie. Der gegenwärtige Klimawandel ist somit das Resultat aus dem Eingreifen in ein komplexes System mit fehlerhaften Regeln. Ökologie und Ökonomie bilden also kein Gegensatzpaar, sofern zu den etymologischen Bedeutungen zurückgefunden wird. Die Definition einer nachhaltigen Entwicklung wurde jedoch bewusst durch den Bezug auf die Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen [53] anthropozentrisch angelegt. Die Verbindung der Termini Nachhaltigkeit und Entwicklung wurde explizit gewählt, um die Gleichwertigkeit zu betonen, da Wachstum die Grundlage des heutigen westlichen Wirtschaftssystems ist.

Das Bauen als rückkopplungsfähiger Prozess »Wer nur eine einzige Größe oder einige isolierte Größen« innerhalb eines komplexen Systems »gezielt verändern will, wird […] in der Regel in komplexen Wirkzusammenhängen scheitern« [218]. Für eine Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen ist daher zu klären, welche Auswirkungen eine zu 100 Prozent ökologisch nachhaltige Architektur auf die ökonomische und soziokulturelle Säule der Nachhaltigkeit hätte. Braungart und McDonough [47] haben mit dem Konzept des Cradle to Cradle die Vision einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft entwickelt. Sobek [288] definiert dies für die gebaute Umwelt mit dem Prinzip Triple Zero. Gebäude müssen demzufolge so konzipiert, geplant, gebaut und genutzt werden, dass sie jederzeit wieder mit Anstand von dieser Welt verschwinden können [287]. Diese Ansätze machen deutlich, dass menschliche Konstrukte unabhängig von ihrer Nutzungsdauer letztlich ephemerer Natur sind. Gelänge es, eine vollständig geschlossene Kreislaufwirtschaft bei kontinuierlichem Qualitätsniveau der Stoffe zu etablieren, so hieße dies, dass in letzter Konsequenz Effizienzbestrebungen irrelevant würden. Auf der Ebene der Energiegewinnung bestehen bereits vergleichbare Visionen [188]: Würde diese zukünftig zu 100 Prozent aus regenerativen Quellen geschöpft werden – bei gleichzeitiger Überwindung der technologischen Schwierigkeiten der Speicherung –, so hätte dies direkte Auswirkungen auf die gebaute Umwelt. In Anbetracht der Tatsache, dass die Sonne etwa das 15.000-Fache der Energie liefert, welche die Menschheit zum Leben benötigt [10], und beispielsweise die Automobilindustrie in Deutschland bereits Recyclingquoten von über 90 Prozent erzielt [11], erscheint eine Strategie, die auf ein solches Szenario ausgerichtet ist, sinnvoll. Die Knappheit der Güter würde somit aufgehoben, da sie nicht mehr verbraucht, sondern lediglich genutzt würden.

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2.2 DER STRATEGIEBEGRIFF: EINE DEFINITION Bedeutung, Art und Inhalt einer Strategie Seit der Einführung des Begriffs ins Deutsche 1777

[44] und den Ausführungen von Clausewitz [63] wird der Terminus Strategie transdisziplinär verwendet. Man versteht hierunter heute vereinfacht das langfristige Anstreben eines Ziels, zu dessen Erreichung unter Berücksichtigung der Rahmenbedingungen, wie z. B. der verfügbaren Ressourcen, ein Plan erstellt wird. Mintzberg et al. [213] definieren eine Strategie als ein »Muster in einem Strom von Entscheidungen«. Insbesondere in der Wirtschaft kommen heute Strategien zur Anwendung; Kranz [180] gibt hierüber einen Überblick.

Mit der Globalisierung hat eine Kritik am Aspekt der Planbarkeit einer Strategie eingesetzt, welche eine homogene Auffassung dessen, was eine Strategie ist, in der Wissenschaft nicht mehr erkennen lässt. Allerdings kann festgestellt werden, dass sie zunehmend nicht als ein feststehendes Ergebnis, sondern als ein Prozess verstanden wird, der kontinuierlich auf sich ändernde Rahmenbedingungen und Zielsetzungen anpassbar sein muss. Denn »die Vorteilhaftigkeit einer gewählten Strategie erodiert […] mit der Zeit durch die fortlaufende Veränderung der internen und externen […] Rahmen­ bedingungen« [180]. Eine strategische Ausrichtung muss daher adaptiv sein, um ihre Wirksamkeit zu gewährleisten. Eine sog. Prozessstrategie stellt aus diesem Grund keine festen Regelwerke auf, sondern beeinflusst den Prozess der Strategieentwicklung auf eine Weise, welche eine hiervon unabhängige Erarbeitung der Inhalte ermöglicht. Eine Strategie setzt sich somit aus einem geplanten und einem emergenten Anteil zusammen [180]. Für die erfolgreiche Umsetzung im Bauen ist es zweckmäßig, Handlungsempfehlungen für die einzelnen Bereiche zu formulieren, deren Inhalte von den entsprechenden Akteuren selbstständig erarbeitet werden können. Vorliegend wird daher eine Prozessstrategie entwickelt, welche definiert genug ist, um als langfristige strategische Planung im Bauen zu fungieren. Gleichzeitig muss sie flexibel genug sein, um auf die Vielfalt der im Kontext der Unikatfertigung existierenden Aufgaben Anwendung finden und fallbezogenen Strategieentwicklungen als Rahmen dienen zu können. Da angestrebt wird, »die Zukunft willentlich […] in einer festgelegten Weise zu beeinflussen« [180], kann sie der Kategorie der sog. intendierten Strategien zugeordnet werden. Diese beinhalten einen Plan, der darauf ausgerichtet ist, eine Vision zu realisieren. Dabei werden langfristige Ziele festgelegt.

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Strategieebenen: Vision, Mission und Ziele Die in den Wirtschaftswissenschaften vorgenommenen Untergliederungen von Strategien in verschiedene Ebenen bilden die jeweiligen Unternehmenshierarchien ab. Eine direkte Übertragung auf das Bauen erscheint nicht sinnvoll, da dieses grundlegend andersartigen und insbesondere interorganisationalen und zeitlich begrenzten Organisationsstrukturen folgt – auch länder- und kulturübergreifend. Daher wird ein Strategieprozess verfolgt, der keiner der von Mintzberg [213] identifizierten zehn sog. Schulen entspricht, sondern in seiner Form spezifisch auf die Herausforderung im Bauen reagiert. Die Hierarchieebenen der Strategie werden nach Kranz [180] unterteilt in: • Vision (langfristiges Ziel, Idealzustand, einprägsam formuliert) • Mission (fokussiert auf die Aufgabe zum Erreichen der Vision) • Ziel (quantifizierbar, an zeitlichen Referenzrahmen gebunden) • Strategisches Prinzip (Handlungsimperativ, Entscheidungsgrundsätze) Heute existiert im Bauen keine Strategie im Sinne der vorangegangenen Ausführungen. Ein Ansatz ist jedoch das Leitbild Bau [189], das folgende aufeinander aufbauende Schwerpunkte definiert: • Die Akteure der Wertschöpfungskette Bau sind Gestalter und Problemlöser. • Kundenorientierung, Partnerschaft und Fairness sind die Grundlage für die Zusammenarbeit in der Wertschöpfungskette Bau. • Die Qualität von Bauwerken ist über den Lebenszyklus zu bewerten und soll nach wirtschaftlichen, ökologischen und sozialen Nachhaltigkeitszielen verbessert werden. • Bildung ist der Schlüssel für Qualität, Innovation, Beschäftigungssicherheit und Wettbewerbsfähigkeit. • Die Innovationskraft der Wertschöpfungskette Bau soll gestärkt und Deutschland ein Leitmarkt für innovatives Bauen werden. • Legalität und Wertemanagement sind Voraussetzungen für fairen Wettbewerb, Arbeitsplatzsicherheit und nachhaltigen Geschäftserfolg. Das Leitbild Bau soll den »strategischen Rahmen der Branche« [296] darstellen. 2009 erstmalig vonseiten der Berufsverbände gemeinschaftlich initiiert, sind daraus insbesondere die Forderung nach Partnerschaftlichkeit und Fairness, die beabsichtigte Bewertung der Qualität von Bauwerken über den Lebenszyklus hinweg sowie die Stärkung der Innovationskraft hervorzuheben. Allerdings ließen sich hierdurch bisher nicht die benötigten Impulse setzen. Ein Hauptgrund dafür mag die gemeinschaftliche Erarbeitung des Leitbildes sein, welche alle Interessen zu vereinen versuchte. Das Leitbild Bau dient somit nur bedingt zur Orientierung – eine Strategie, mit der die Herausforderungen bewältigt werden können, stellt es nicht dar. Hierzu fehlt es an Zielformulierungen und Handlungsempfehlungen bezüglich der Umsetzung. Zudem lässt das Leitbild eine konkrete Problemdefinition sowie eine eindringlich formulierte Vision vermissen.

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2.3 GRUNDLAGEN DER ORGANISATION Umgang mit knappen Gütern: Die Spezialisierung Adam Smith [283] schrieb 1776: »Die Arbeitsteilung dürfte die produktiven Kräfte der Arbeit mehr als alles andere fördern und verbessern. Das Gleiche gilt wohl für die Geschicklichkeit, Sachkenntnis und Erfahrung.« Heute ist die Arbeitsteilung bzw. Spezialisierung der größte Beitrag im Umgang mit der beschriebenen Knappheit von Gütern [237]. Als Folge konnten Produktionssteigerungen in der Industrie erzielt werden, die den Wohlstand in der westlichen Welt begründen. Mit der zunehmenden Spezialisierung geht allerdings eine Zunahme der Abhängigkeiten einher. So ist innerhalb eines Wertschöpfungsprozesses, der linear aufgebaut ist, jeder Akteur vom Resultat der vorgelagerten Phase abhängig. Umgekehrt muss er dafür Sorge tragen, dass die jeweils nachgelagerte Phase auf seine eigene Arbeit aufbauen kann. Maßgeblich für einen reibungslosen Ablauf sind somit die Schnittstellen. An diesen kann es zu Problemen im Bereich des Tauschs und der Abstimmung kommen [237]. Wie die Arbeit aufgeteilt wird, wer dabei über welche spezialisierten Kenntnisse zur optimalen Verrichtung seines Arbeitsteils verfügen muss, wie deren Inhalte abgestimmt und die Ergebnisse der jeweiligen Teile in andere Arbeitsschritte oder Phasen übertragen werden können, ist dabei eine Frage der Organisation. Arbeitsteilung und Spezialisierung trennen heterogene Aufgaben und steigern die Effizienz. Innerhalb einer spezialisierten Einheit nimmt das disziplinspezifische Wissen sowohl quantitativ als auch qualitativ zu. Diese zwei Effekte lassen arbeitsteilige Prozessstrukturen gegenüber weniger spezialisierten als überlegen erscheinen. Denn je umfangreicher und heterogener die Aufgabengebiete eines Handelnden sind, desto weniger ist zu erwarten, dass Lerneffekte über den erreichten Wissensstand hinaus entstehen oder neue Spezialtechniken entwickelt werden. Daneben werden die Fähigkeiten der Steuerung und Kontrolle eingeschränkt, was zu einer negativen Beeinträchtigung des Ergebnisses führt. Die entstehenden Mängel können nach Picot et al. [237] in zwei Kategorien eingeteilt werden: • Mängel im Bereich der Arbeitsteilung und Spezialisierung • Mängel im Bereich des Tauschs und der Abstimmung Sie sind somit das Ergebnis von »ungünstigen Gestaltungen« [237] der Struktur von Arbeitsteilung, Spezialisierung, Tausch und Abstimmung und können mithilfe der Organisation minimiert bzw. eliminiert werden. Wird heute im Bauen also ein erneuter Spezialisierungsschub beobachtet, in dem die Arbeitsteilung rapide zunimmt, so ist dies eine direkte Folge des in den bereits spe-

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zialisierten Bereichen erarbeiteten Fortschritts. Die Fragmentierung im Bauen sowie die Entwicklung vom einstigen Baumeister der Renaissance zum heutigen Architekten, dessen Berufsbild sich ebenfalls weiter spaltet in den Entwerfer, den Planer und den Bauleiter, ist vor diesem Hintergrund eine logische Konsequenz.

Mängel an den Schnittstellen: Die Rolle des Koordinators Mit der Zunahme der Akteure stellt das Anwachsen der Schnittstellen nicht nur eine Fehlerquelle dar, welche zu Effizienzproblemen auf der Ebene von Zeit und Kosten führt. An ihnen kann Information auch verloren gehen, fehlinterpretiert oder ihre Weitergabe verzögert werden. Die Betrachtung der Effektivität eines Prozesses hingegen macht deutlich, dass die Qualität des Produkts maßgeblich davon abhängt, dass nicht nur eine Addition der aus der Spezialisierung hervorgegangenen Informationen bzw. Handlungen stattfindet, sondern die Gesamtheit ihrer Zusammenhänge Berücksichtigung findet. Je spezialisierter also jeder einzelne Akteur ist, desto weniger kann er die Folgen seines Handelns für das Gesamtprodukt absehen. Negative Auswirkungen eines nicht oder nur wenig spezialisierten Vorgehens können in gleichem Maße bei einem zu stark arbeitsteiligen Prozess entstehen: Hochgradig spezialisierte Strukturen können innerhalb jedes Arbeitsteils optimierte Lösungen hervorbringen. Sind übergeordnete Organisation und Schnittstellengestaltung jedoch mangelhaft, so kann sowohl die Effizienz als auch die Effektivität eines weniger arbeitsteiligen und dafür integrierteren Prozesses Ersterem überlegen sein. Um eine nachhaltige und innovative gebaute Umwelt hervorzubringen, muss der Prozess gleichwertig im Hinblick auf seine Effizienz und auf seine Effektivität betrachtet werden. Kompetenzen hinsichtlich der Organisation und Koordination stehen hierbei im Vordergrund. Die Funktion des Koordinators kann sich analog zu der inhaltlichen Aufgabenverteilung im Bauen als spezialisierter Bereich herausbilden. Dies hat zur Folge, dass die Fähigkeit der qualifizierten Entscheidung über die inhaltliche Entwicklung abnimmt, was Auswirkungen auf die Effektivität des Endprodukts hat. Darüber hinaus werden die Entscheidungen aus subjektiver Sicht des Koordinators getroffen. Seine Ausbildung prägt – gewollt oder ungewollt – seine Sicht auf die Organisation. Eine Tatsache, die heute im Prozess im Bauen deutlich wird: Ist diese Position vonseiten der Disziplin Architektur besetzt, so richtet sich der Prozess meist verstärkt nach den Gestaltungskriterien und den Qualitätsansprüchen des Architekten. Ist sie andererseits vonseiten der Disziplin Projektsteuerung besetzt, so liegt der Fokus im Regelfall eher auf kostenund zeiteffizienten Abläufen.

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Die mit der Besetzung der Position des Koordinators einhergehende Beeinflussung des Prozesses muss daher Berücksichtigung finden. Die Perspektive des Akteurs und seine eigenen Zielvorstellungen werden maßgeblich geprägt durch die Inhalte seiner Ausbildung sowie durch sein Verhältnis zum Bauherrn und den übrigen Prozessbeteiligten. So können beispielsweise Vertragsstrukturen zu Abhängigkeiten führen, die einzelne Akteure daran hindern, ihre volle Leistungsfähigkeit zu entfalten. Die oft geforderte Abschaffung des Generalisten ist daher nicht nur aus gestalterischer, sondern auch aus organisatorischer Sicht nicht von Vorteil, denn neben organisatorischen Fähigkeiten muss der Koordinator auch über hinreichendes Wissen der Einzeldisziplinen verfügen, um ganzheitlich effektive Entscheidungen herbeiführen zu können. Den mit der zunehmenden Spezialisierung einhergehenden Problemen könnte durch den Koordinator entgegengewirkt werden – allerdings können sie nicht losgelöst von Fragen der Schnittstellengestaltung betrachtet werden. Durch eine Neugestaltung der Teamorganisation dahingehend, dass zukünftig partnerschaftlich kommuniziert und Entscheidungen gemeinschaftlich innerhalb des Projektteams gefällt werden, entfiele theoretisch die Rolle des Koordinators gänzlich. Revolutionierte man die heutige Schnittstellengestaltung dahingehend, dass zukünftig alle Akteure an einem einzigen Datensatz arbeiteten, der gleichermaßen als Kommunikationsmedium diente, so würden die Aufgaben eines Koordinators zumindest theoretisch ebenfalls hinfällig. Anstatt jedoch die Ursachen der Mängel an den Schnittstellen zu beheben, wird heute vorwiegend unter Einsatz von Technologie versucht, deren Wirkung zu bekämpfen. Die Digitalisierung wird weitestgehend als Hilfsmittel verstanden, um Information austauschen zu können. Die einzelnen hierbei zur Anwendung kommenden Technologien, Methoden und Werkzeuge stellen allerdings nicht sicher, dass die gewählte Information an sich die richtige ist, ob sie einen angemessenen Umfang hat und korrekt interpretiert wird. Dies sind Fragen, die außerhalb des Einflussfeldes der Technologie liegen.

Systematisierung und Standardisierung Die Spezialisierung ist einer der Hauptgründe für die Systematisierung des Bauens. Je mehr Wissen durch immer spezialisiertere Bereiche generiert wird, desto spezifischer sind auch die aus ihnen hervorgehenden Lösungen und Produkte. Um diese im Rahmen des Gesamtprozesses zusammenführen zu können, hat die Standardisierung über die Jahrzehnte hinweg zugenommen. Heute ist das Bauen als Ergebnis von Industrialisierungsprozessen im Wesentlichen ein »Bauen mit Systemen« [293]. Die Anbieter der einzelnen Systeme, beispielsweise

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im Fassadenbau, bestimmen damit zunehmend die Gestalt der gebauten Umwelt, denn Architekten müssen stets die technische Umsetzung im Blick behalten, um eine wirtschaftliche Lösung anbieten zu können. Die Bauwerkskomponenten entspringen wiederum den Organisations- und Prozessstrukturen der Hersteller und deren für die Produktion verwendeten Technologien. Kieran und Timberlake [169] beschreiben diesen Umstand. Umgekehrt richten sich einige Unternehmen auch auf das Erarbeiten von Lösungen zur Umsetzung von individualisierten Entwürfen aus. Durch die Herstellung nichtstandardisierter Fassadenelemente werden so beispielsweise technische Innovationen geschaffen. Die in den letzten Jahren entstandenen neuen Fertigungsverfahren zur Herstellung komplexer Bauteile mit z. B. doppelt gekrümmten Flächen sind weitestgehend auf die kreativen – und einen vermeintlich ineffizienten Weg des Bauens hervorrufenden – Entwürfe der Architekten zurückzuführen (s. z. B. [324] ). Durch die computerbasierten Entwurfsmethoden sind so zunächst Probleme im weiteren Verlauf der Wertschöpfungskette entstanden. Zunehmend haben sich hieraus Ineffizienzen entwickelt. Deren Beseitigung allerdings stellt ein großes Potenzial für die Entwicklung von Innovationen dar. Hätten die Architekten sich aufgrund der zu erwartenden Probleme bewusst gegen die Verwendung neuer Software und gegen die Entwicklung neuer Formensprachen entschieden, wären diese Innovationen ausgeblieben. Heute schließt sich die digitale Kette der Wertschöpfung [65]: Mithilfe von CAM-Technologien lassen sich Tausende unterschiedlicher Einzelteile computergesteuert fertigen. Die Robotik ist zunehmend in der Lage, diese Einzelteile zu erkennen und gemäß einer festgelegten Abfolge vollautomatisch zu verbauen. Die mit dieser sog. Mass Customization in Verbindung stehenden Entwicklungen sind Innovationen, die es ohne die neue Formensprache nicht gäbe. Nicht nur die gebaute Umwelt entwickelt sich in diesem Zuge weiter, sondern auch die in ihre Wertschöpfung involvierten Akteure und deren Wissen; parallel evolvieren die zur Anwendung kommenden Technologien sowie die hierbei entwickelten Techniken. Das durch das Nichtbefolgen des Effizienzcredos entstandene Innovationspotenzial ist sowohl für die ökonomische als auch für die soziokulturelle Säule einer nachhaltigen Entwicklung von großer Bedeutung und darüber hinaus ein wichtiger Baustein des gesellschaftlichen Fortschritts. Nicht nur das Streben nach Effizienzsteigerungen ist ein Anstoß für Innovationen, sondern in gleichem Maße die Kreativität der Entwerfenden.

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Bauen mit System – Bauen im System Effizienzbestrebungen haben in den 1960er-Jahren zu einer Standardisierung und Rationalisierung im Bauen geführt. Diese fanden vor dem Hintergrund der Industrialisierung des Bauens statt, wurden aber bereits – wie im Zuge des sog. Metabolismus in Japan – im Hinblick auf die wachsende Weltbevölkerung und die zu erwartenden Ressourcenengpässe entwickelt [177]. Letztlich konnte sich diese Architekturrichtung nicht durchsetzen. Heute wird modulares Bauen hauptsächlich für industrielle und kurzzeitige Nutzungen verwendet. Für einen breiteren Markt haben sich diese geschlossenen Systeme als technologisch zu schnittstellenarm und architektonisch zu unattraktiv erwiesen. Ebenso verhält es sich mit dem sog. Bauen mit Systemen. Die Geschichte des Bauens ist gleichzeitig die Geschichte eines langen Differenzierungsprozesses [293], bei dem das System Bauwerk aus immer kleiner werdenden Subsystemen zusammengesetzt wurde. Veränderte Ansprüche und die immer komplexer werdenden energetischen, materialbezogenen, technischen sowie funktionalen Bedingungen führten zu einer den speziellen Funktionen der Einzelteile entsprechenden Entwicklung, Produktion und Montage [293]. Das industrielle Denken in Abschnitten und Abteilungen hat dazu geführt, dass man heute einen Raum in der Regel in die zweidimensionalen Elemente Boden, Wand und Decke unterteilt. Eine Hierarchiestufe darunter haben sich die Begriffe Tragwerk, Fassade und Trennwand herauskristallisiert, nach denen heute ein Bauwerk systematisch weiter in seine Einzelteile unterteilt wird. Für jedes Element existieren Typen, die eine Grundlage für die Entwicklung weiterer Subsystemkomponenten sind. Die Digitalisierung hingegen eröffnet Möglichkeiten jenseits der gestalterischen Limitierung. An die Stelle des Bauens mit System tritt das Bauen im System. Nicht mehr nur das Bauwerk wird als System angesehen, das sich systematisch in seine Einzelteile zerlegen lässt, sondern vielmehr wird der Prozess des Bauens als System verstanden, das sich in wechselseitigen Beziehungen zu seiner Umwelt einerseits und dem Bauwerk andererseits befindet. Der Fokus wird von den Elementen weg, hin auf die Zusammenhänge des Gesamtsystems gerichtet. Das analytische Untergliedern der Einzelteile anhand einer Systematik wird dank der Fähigkeit von Computern, die Zusammenhänge zu verarbeiten, durch eine Systemik ersetzt.

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2.4 SYSTEMDENKEN, KOMMUNIKATION UND WISSEN Systemtheorie: Eine Einführung Das sog. Systemdenken steht dem mechanistischen Denken gegenüber. Während Letzteres davon ausgeht, dass etwas durch die reine Analyse seiner Einzelteile verstanden werden kann, zeichnete sich in den 1960er-Jahren ab, dass mit dem Übergang von der funktions- zur prozessorientierten Produktion ein entsprechender Wandel in der Denkweise einhergehen müsse. Das bestehende Kausalprinzip von Ursache und Wirkung wurde gänzlich infrage gestellt, was zu einer Fokussierung auf die Untersuchung der Zusammenhänge zwischen den Einzelteilen führte. Das heißt, nicht die Eigenschaften der Einzelteile, sondern deren Beziehungen und Wechselwirkungen – also die bestehenden Prozesse – definieren das systemische Denken. Dieses geht auf die sog. Systemtheorie zurück, die vor allem durch van Bertalanffy [33], von Förster [108], Wiener [332], von Neumann [221], Bateson [22], Maturana [203] und Luhmann [196] geprägt wurde. Mit ihrer Hilfe können komplexe Beziehungen – wie sie auch im Bauen vorkommen – beschrieben, verstanden und gesteuert werden. Dies bedeutet, dass sämtliche projektrelevanten Parameter zu erfassen und ihre Auswirkungen auch auf die Systemumwelt in die Entscheidungsfindung zu integrieren sind. In Anbetracht der in den letzten Jahren rapide angestiegenen Komplexität dieser Parameter, der zunehmend durch eine Vielzahl von Spezialisten erbrachten Teilleistungen, dem höheren zeitlichen und ökonomischen Druck sowie der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung kann das systemische Denken als theoretische Basis einer Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen dienen. Ein Bauwerk ist demnach weniger die materialisierte Summe der durch die einzelnen Akteure erbrachten Teilleistungen als vielmehr die Summe der sich während des Prozesses abspielenden Zusammenhänge ihrer wechselseitigen Beziehungen. Da diese Abläufe in erster Linie Vorgänge des Geistes sind, ist die Denkweise der Akteure maßgebend. Je mehr unterschiedliche Denkweisen zusammenkommen, desto größer wird der Suchraum, in welchem eine architektonische Lösung gefunden werden kann. Die Einzelteile eines Systems können z. B. die an der Planung oder am Bau fachlich Beteiligten sein, die von ihnen jeweils verwendeten Geschäftsprozesse, die durch sie kommunizierten Informationen oder aber die zur Errichtung des Bauwerks produzierten Einzelkomponenten. Diese und weitere Elemente bilden durch ihre Zusammenhänge ein System, welches sich von seiner Systemumwelt abhebt. Auf technischer Ebene sind somit nicht nur baukonstruktive Eigenschaften eines Bauteils maßgeblich für dessen Form, sondern ebenso Fragen der Produktion oder der Lo-

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gistik. Vergleichbares lässt sich zu Überlegungen in Bezug auf die Nachhaltigkeit eines Bauteils sagen: Setzt man z. B. Parameter der Demontage im Vorfeld der Konstruktion an, so wird sich diese aufgrund eines veränderten Ziels adaptieren müssen. Entspricht z. B. die zur Produktion eines Wärmedämmverbundsystems verbrauchte Energie derjenigen, die für die Produktion eines Monostoffbauteils mit einem vergleichbaren U-Wert benötigt wird, so ist abzuwägen, unter welchen weiteren Faktoren sich Vor- oder Nachteile für eine der beiden Varianten ergeben. Die Abhängigkeit von Demontageund Recyclingeigenschaften fällt hierbei ebenso ins Gewicht wie die unterschiedliche Nettofläche des Nutzraums oder die Koordination eines eventuell zusätzlichen Arbeitsschritts. Eine weitere Folge könnte sein, dass anstatt einer Fertigung in situ eine Vorfabrikation gewählt wird, welche den Baufortschritt beschleunigen und darauf hinwirken könnte, dass weitere Gewerke ex situ fertigen würden. Verallgemeinert kann von sog. Multikriterienproblemen gesprochen werden, deren Lösung im Bauen bisher nicht systemisch abschließend erfolgt.

Kybernetik: Das Prinzip der Zirkularität Aus dem Systemdenken entstand die sog. Kybernetik, welche das Prinzip der Zirkularität – also der Rückkopplung – zur Basis hat, um ein Ziel zu erreichen: Man »spricht […] von Kybernetik, wenn Effektoren […] mit einem sensorischen Organ verbunden sind, das mit seinen Signalen auf die Effektoren zurückwirkt« [108]. Das Erfassen der Effekte einer Handlung, z. B. einer Entscheidung innerhalb einer frühen Prozessphase, ermöglicht also, diese bereits im Vorfeld zu überdenken. Im Zuge der Digitalisierung des Bauens ist dies beispielsweise in Form von Simulationen heute bereits Stand der Technik. Kybernetik bezeichnet allgemein die Steuerung eines Systems. Sie ist zudem »eine Form interdisziplinären Denkens, die es den Mitgliedern vieler Disziplinen ermöglicht […], miteinander in einer Sprache zu kommunizieren, die alle verstehen können« [108], so die anthropologische Sichtweise. Das heißt, komplexe Zusammenhänge können mit ihrer Hilfe nicht nur erfasst, sondern auch kommuniziert werden – einer der wichtigsten Aspekte vernetzter Prozessstrukturen. Luhmann [195] beschäftigt sich eingehend mit der Rolle der Kommunikation in sog. sozialen Systemen. Veröffentlichungen, die sich aus Sicht der Architekten mit der Systemtheorie und Kybernetik beschäftigen, beschränken sich jedoch zum Großteil auf die Entwicklung computergenerierter oder evolutionärer Entwurfsprozesse. Hierbei werden der Aspekt der Kommunikation zwischen dem Entwerfer und den übrigen am Prozess fachlich Beteiligten sowie eventuelle Anforderungen des Marktes oder der Behörden vernachlässigt. Obschon externe Parameter den Entwurf stärker beeinflussen als bei traditionel-

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len Entwurfsmethoden, gehen sie dennoch von einem weitestgehend von den realen Rahmenbedingungen losgelösten initialen Akt des Entwerfers aus. Eine produktfokussierte Arbeitsweise, bei der das technische System des Bauwerks mithilfe eines weiteren technischen Systems in seiner virtuellen Entstehung gesteuert wird, ist die Folge. Darüber hinaus müssen auch die Potenziale untersucht werden, die das Systemdenken im Kontext ganzheitlich betrachteter Prozesse im Bauen aufweist. Die Kommunikation ist hier das Mittel, die Digitalisierung eines der zur Anwendung kommenden Werkzeuge.

Technische, soziale und soziotechnische Systeme Im Folgenden wird das Systemdenken auf das Bauen angewendet. Das System Bauen kann im Wesentlichen in zwei subsidiäre Systeme unterteilt werden: • Gebaute Umwelt als System (Produkt) – technisches System • Bauen als System (Prozess) – soziales System Einerseits ist die gebaute Umwelt bzw. jedes Bauwerk ein System, das dem Konzept des Input-Output-Modells folgt, also als offenes System sich mit seiner Systemumwelt respektive der natürlichen Umwelt im Austausch befindet [51]; dieses kann vereinfacht als sog. technisches System definiert werden. Andererseits formen die am Prozess im Bauen Beteiligten ein System, das nach Luhmann [196] als sog. Sinnsystem bzw. soziales System verstanden werden kann. Es befindet sich ebenfalls im Austausch mit seiner Systemumwelt bzw. der Gesellschaft. Die Summe beider Systeme wird als sog. soziotechnisches System bezeichnet [43]. Während das technische System Bauwerk bereits erläutert wurde, findet im Folgenden eine Spezifizierung des sozialen Systems Bauen statt. Bei solchen »Sinnsystemen denkt man in erster Linie an Austausch von Information. Ein Sinnsystem bezieht aus seiner Umwelt Information, interpretiert [diese] […] und ist in ein Netzwerk von anderen Systemen eingebaut, das auf diese informationsverarbeitenden Systeme reagiert« [195]. Andere Systeme können hierbei beispielsweise gesetzliche oder ökonomische Rahmenbedingungen sein. Je nach Funktion der einzelnen Systeme üben diese unterschiedlichen Einfluss auf die anderen Systeme aus. Der Prozess im Bauen, der vorrangig durch den Austausch von Information zwischen den Akteuren definiert wird, kann somit auch als sog. Kommunikationssystem definiert werden. Eine Neugestaltung dieses Systems Bauen (Prozess) bietet ein weitaus höheres Potenzial als die reine Betrachtung des Systems gebaute Umwelt (Produkt): »The greatest environmental gains lie in changing the overall systems in which products are manufactured, used and disposed of rather than in changing the composition of the products themselves.« [319]

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Ziel eines Systems ist prinzipiell die Selbsterhaltung. Hierfür muss es nach Neirynck [219] dem physikalisch zwingenden Zuwachs der Entropie kontinuierlich entgegenwirken. Dabei wird deutlich, dass dies nur durch die Offenheit des Systems möglich ist. Zwangsläufig nimmt letztlich durch die Absicht des Bauens, entropieverzögernden Einfluss auf die gebaute Umwelt auszuüben, außerhalb der Systemgrenzen des eigenen Handelns, also in der sog. Systemumwelt, die Entropie zu.

Das Input-Output-System »setzt voraus, dass sich ein System hohe Indifferenz in Bezug auf seine Umwelt leisten kann, dass die Umwelt im Großen und Ganzen für ein System keine Bedeutung hat, dass dann aber spezifische Faktoren in der Umwelt umso größere Bedeutung haben. […] Ein System hat in diesem Sinne relative Autonomie, insofern es selbst entscheiden kann, […] worauf es angewiesen ist einerseits und was es als Output, als Abfall oder auch als Leistung, als Bereitschaft, anderes zu fördern, an die Umwelt abgibt.« [195] Ein solches Input-Output-System stellt die gebaute Umwelt dar. Es verbraucht Energie, um während seiner Nutzungsphase ein behagliches Innenraumklima zu garantieren, und erzeugt Abfall, wenn es am Ende seiner Nutzungsphase abgerissen wird. Gleichsam kann qualitätvoll gebaute Umwelt eine »Leistung« darstellen, die z. B. die Gesellschaft »fördert«. Das Sinnsystem Bauen kann aufgrund seiner Komplexität nicht durch dieses Maschinenmodell abgebildet werden, sondern entspricht vielmehr dem Black-Box-Modell Luhmanns [195]: Allein aus den Regelmäßigkeiten der Außenbeziehungen des Systems lässt sich ableiten, »dass es irgendeinen Mechanismus geben müsse, der die Zuverlässigkeit des Systems, die Berechenbarkeit, die Vorhersehbarkeit seiner Outputs bei bestimmten gegebenen Inputs zu erklären vermag«. Die interne Komplexität ist dabei so groß, dass man nur durch diese Beobachtung darauf schließt, »dass es intern ordentlich zugeht«. Doch auch diese Berechenbarkeit ist nicht immer gegeben, denn die »bestimmten gegebenen Inputs« verändern sich über den Prozessverlauf nicht selten signifikant. Dies hängt damit zusammen, dass kybernetisch betrachtet über die Zeit hinweg immer versucht wird, ein »negatives Feedback« [195] zu etablieren, d. h. die sich aus dem Entropiegesetz ergebende Differenz zu mindern. Systeme wie das Bauen sind auf der anderen Seite in der Lage, die Abweichung vom eigentlichen Sollwert zu verstärken. Dies nennt man ein »positives Feedback« [195]. Ein solches kann dazu führen, dass die Entropie an einer von den Rezeptoren bzw. Sensoren nicht erfassten Stelle – also außerhalb des Systems – über die Maßen zunimmt. Die Steuerung der Effektoren bzw. Aktuatoren bleibt somit aus. Die Passivhaustechnologie und das Wärmedämmverbundsystem (WDVS) sind Beispiele hierfür. Während auf der einen Seite versucht wird, die Energieeffizienz zu stei-

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gern, um Ressourcen zu schonen und CO₂-Emissionen zu vermindern, entstehen zwei Effekte in der Systemumwelt des Gebäudes, die zum Fertigstellungszeitpunkt bisher nicht ausreichend in Betracht gezogen werden: Zum einen entsteht durch die Verbreitung des WDVS ein Sondermüllproblem für zukünftige Generationen, da die oft untrennbar miteinander verklebten Schichten des Fassadenaufbaus am EOL-Punkt nicht mehr sortenrein getrennt und stoffspezifisch rezykliert werden können. Zum anderen wird teilweise befürchtet, die heute oft im Zuge der Energieeffizienz angestrebte Luftdichtheit von Häusern führe zu einer erhöhten Konzentration von Schadstoffen im Gebäudeinneren, welche die verbauten Materialien emittieren. Eine im Vergleich zur Außenluft bis zu vierfach schlechtere Innenluftqualität führe nach Braungart [48] zu einer erhöhten Anzahl von Allergikern und Asthmapatienten – eine Entwicklung, die weitere Auswirkungen auf das Gesundheits- und Arbeitswesen einer Gesellschaft hat. Abgesehen davon geht es bei der Schaffung von architektonischen Räumen nicht nur darum, atmen zu können, im Sinne von Luft holen, sondern vielmehr im Sinne von aufatmen – »einer Weitung und Belebung von menschlicher Existenz […] als Basis für Persönlichkeit« [300]. Die Effekte diffundieren somit nicht nur in die natürliche Umwelt, sondern auch in weitere Systeme der Gesellschaft, also in die Systemumwelt des Bauens. Ähnliche Beispiele sind gegenwärtig in vielen Lebens- und Wirtschaftsbereichen zu beobachten: Die Substitution von Erdöl durch Palmöl hat beispielsweise weitreichende Folgen für die Rodung des Regenwalds [194] und die Preisentwicklung von Lebensmitteln [50]; ­sollte der gegenwärtige Trend zum Holzbau unvermindert anhalten, so wird der aus der Forstwirtschaft stammende Begriff der Nachhaltigkeit wohl ausgerechnet hier ad absurdum geführt werden. Denn alleine in Deutschland wird jährlich beinahe genauso viel Holz verbrannt wie geerntet, sodass bereits heute zur Deckung des Gesamtbedarfs inklusive der Möbel- und Bauindustrie große Mengen importiert werden [15]. Der global anhaltende Waldverlust ist mit 12 Prozent jedoch der zweitgrößte Verursacher des Klimawandels und einer der Hauptverursacher des Artensterbens [19]. Positives Feedback kann somit durch das Nichterfassen der negativen Auswirkungen in der Systemumwelt entstehen. Bedenkenswert ist insbesondere, dass dies wissentlich vollzogen werden kann. Die Hauptursache hierfür wird in einem fehlerhaften Anreizsystem gesehen, bei dem die monetären Gewinne größer werden, je stärker sie dem positiven Feedback folgen. Die hieraus sich ergebenden Verluste sind bisher kaum monetär aufzuwiegen. Zudem lassen sie sich nicht auf den Verursacher zurückführen, woraus sich ergibt, dass die negativen Auswirkungen von der Allgemeinheit getragen werden müssen, während die positiven Effekte sich nur für den Verursacher rentieren. »Man stößt hierbei sehr rasch auf die Frage, wie weit bestimmte Steigerungen geführt werden können, ohne dass das System sich selber gefährdet.« [195] Nach von Förster

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ist »das bedrückendste Charakteristikum des globalen Systems ›Menschheit‹ […] seine nachweisliche Instabilität und der daraus folgende, unerwartet schnell herannahende Kollaps. Solange die Menschheit sich selbst als ein offenes System behandelt und die Signale der Sensoren ignoriert, die seinen eigenen Zustand vermitteln, bewegen wir uns unaufhaltsam diesem Ende zu.« [108]

Kommunikation von Information: Die Differenztheorie Im Prozess im Bauen, an dem eine Vielzahl Beteiligter mitwirkt, nimmt die Kommunikation eine zentrale Rolle ein. Durch sie wird Information zwischen den Akteuren übertragen. Die jeweilige Differenz zwischen dem Zustand des Nichtwissens und dem des Wissens, also der korrekten Deutung der überlieferten Information und deren Abgleich mit der vorherigen, veranlasst die jeweiligen Beteiligten zur Anpassung ihrer Handlungen. Hierbei kann es sich sowohl um die Kommunikation von Information zwischen den Beteiligten – also innerhalb des Systems – handeln als auch um Informationen, die sich das System aus seiner Umwelt mittels Sponsoren einholt. Bateson [22] vertritt im Zuge der sog. Differenztheorie die Ansicht, dass Information ein Unterschied sei, der einen Unterschied auslöst. Vereinfacht bedeutet dies, dass eine Information nur dann eine Information ist, wenn sie »nicht nur ein […] Unterschied ist, sondern wenn ein System daraufhin den eigenen Zustand ändert, wenn also die Wahrnehmung […] eines Unterschiedes einen Unterschied erzeugt« [195]. Um dies im Prozess des Bauens zu ermöglichen, müssen die Kommunikation sowie die Generierung der Inhalte, die mit ihrer Hilfe übertragen werden sollen – also die Informationsbeschaffung –, eine zentrale Rolle einnehmen. Hierfür ist eine Reihe von Rahmenbedingungen zu schaffen. Einerseits muss ein Medium bereitgestellt bzw. verwendet werden, das von jedem an der Kommunikation beteiligten Produzenten beherrscht und von jedem Rezipienten entschlüsselt und somit verstanden werden kann. Da Kommunikation beim Prozess im Bauen auf mehreren, insbesondere auch nonverbalen Ebenen stattfindet, müssen entsprechende – den Techniken und Informationen zuträgliche – Medien installiert werden. Die Kommunikation im Bauen erfüllt vordergründig den Zweck, das Fertigstellen des Gebäudes zu gewährleisten, ist im Allgemeinen jedoch ein Mittel, um Entscheidungen zu treffen. Dies sollte auf der Grundlage ausreichender und belastungsfähiger Information geschehen. Im Bauen ist dies allerdings aus Kosten- und Zeitgründen meist nicht der Fall. Zudem besteht die Gefahr, dass die für eine Entscheidungsfindung relevante Information zum jeweiligen Zeitpunkt zwar vorliegt, diese vom Entscheidungsträger – z. B. dem Bauherrn – allerdings nicht verwendet bzw. berücksichtigt wird. In Wirtschaft und Politik ist dieses Phänomen verbreitet und mit empirischen Studien belegt [238].

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Eine theoretisch mögliche, analytische Vorgehensweise wird in der Praxis demnach nur selten eingehalten. Oft wird die vorhandene Information jedoch im Nachhinein zur Rechtfertigung der Entscheidung verwendet. Ein zusätzliches Hindernis stellt die Tatsache dar, dass es keine objektiv richtige oder falsche Informationsmenge oder Informationsart gibt. Das Treffen einer richtigen Entscheidung hängt oft weniger von dem zu lösenden Problem als vielmehr von den Eigenschaften des Entscheidungsträgers ab. Eine Information wird nach Picot et al. [238] entsprechend »bestimmt durch Typ, Menge und Qualität der Information, die jemand benötigt, um seine Aufgabe innerhalb einer bestimmten Zeitspanne zu erfüllen«. Es soll festgehalten werden, dass die Qualität einer Entscheidung prinzipiell mit der Menge an relevanter Information wächst [105]. Ebenso verantwortlich hierfür sind die Qualität der Information und die Richtigkeit des Wissens, d. h. die Stringenz der Folgerung aus der Wahrnehmung einer Information. Ist diese beispielsweise falsch entschlüsselt worden oder fehlen dem Rezipienten weitere zur Deutung der Information notwendige Informationen, so stellt dies eine mögliche Fehlerquelle dar; insbesondere auch deshalb, weil die Qualität von Entscheidungen und der Informationen, welche diesen zugrunde liegt, sehr schwer messbar ist [105] – eine der Ursachen dafür, weshalb die Geisteswissenschaften im englischen Sprachraum oft mit dem Terminus Soft Sciences von den Naturwissenschaften, den Hard Sciences, abgegrenzt werden. Das Bauen befindet sich aufgrund seines systemischen Charakters an der Schnittstelle dieser Disziplinen. Einerseits handelt es sich um eine gestalterische Tätigkeit, bei der willentlich ein Ort von einem Zustand in einen anderen überführt wird. Eine einzige, richtige Lösung kann es hierfür nicht geben. Die Akteure haben somit die Wahl und können einen Ort erfinden. Andererseits ist das Produkt dieses Prozesses ein offenes System, das sich im Austausch mit der natürlichen Umwelt befindet. Deshalb sollten mithilfe eines analytischen Vorgehens im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung die Gesetze der Physik wieder vermehrt Berücksichtigung finden. Insofern kann innerhalb der Grenzen anderer Parameter theoretisch eine einzige richtige Lösung existieren, welche die Akteure finden können. Im Bauen kommen beispielsweise sog. Formfindungs- bzw. Formentwicklungsmethoden im Kontext von Leichtbau zur A ­ nwendung [289],

um Material und damit natürliche Ressourcen einzusparen.

Sowohl zwischen den sog. weichen und den sog. harten Argumenten (z. B. zwischen dem Gestaltungswillen des Architekten und den Berechnungen des Ingenieurs) als auch zwischen unterschiedlichen Parametern innerhalb einer Fraktion (z. B. zwischen dem Verbrauch natürlicher Ressourcen und dem sog. kumulierten Energieaufwand) kann es zu Zielkonflikten kommen. Zudem verfolgen die am Bauen fachlich beteiligten

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Akteure neben dem gemeinsamen Ziel des Erstellens eines Gebäudes oft sehr divergierende Einzelziele, die unter Umständen losgelöst vom eigentlichen Projekt – also beispielsweise auf unternehmerischer Ebene – existieren. Neben der Kommunikation stellt die Informationsbeschaffung eine wichtige Basis für Entscheidungsfindungsprozesse dar. Hierfür werden im Bauen heute Richtlinien und Normen zurate gezogen, Gutachter und Berater eingesetzt sowie anhand von Referenzgebäuden und Erfahrungen entsprechende Rückschlüsse gezogen. Eine Bewertung und Gewichtung einzelner Faktoren findet im Alltag des Bauens bisher allerdings kaum nach wissenschaftlichen Kriterien statt. Vielmehr ist es den am Prozess Beteiligten überlassen, diese subjektiv vorzunehmen. Dieses Vorgehen ist im Rahmen einer nachhaltigen Entwicklung nicht zielführend. In anderen Bereichen des Produzierens, in denen der Aspekt des Kulturschaffens mit Verweis auf die kürzere Halbwertszeit der Güter weniger Beachtung findet, bestehen wissenschaftliche Methoden in Form von beispielsweise Bewertungsmatrizes. Das Zertifizierungssystem der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) [77] kann als eine solche Bewertungsmatrix verstanden werden. Vergleichbare Systeme bestehen international: Das US-amerikanische LEED [187] und das britische BREEAM [49] sind die bedeutendsten. Sie übertragen die in anderen Branchen üblichen wissenschaftlichen Verfahren auf das Bauen und bewerten die Qualität der Nachhaltigkeit. Mit der Funktionsweise dieser Systeme befasst sich unter anderem Mösle [216].

2.5 INNOVATION UND NACHHALTIGKEIT Innovation als Schlüssel zu nachhaltigem Bauen Die Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung wird allgemein als treibende Kraft zur Schaffung von Innovationen anerkannt und proklamiert [55]. Umgekehrt sind Innovationen auch der Schlüssel zu einer nachhaltigen Entwicklung. Das BMBF-Rahmenprogramm Forschung für Nachhaltige Entwicklungen (FONA) [39] vereint die Ziele der High-Tech-Strategie 2020 für Deutschland [153] und setzt die Begriffe Nachhaltigkeit und Innovation in direkte Korrelation. Die Planungs- und Bauprozesse, wie sie typischerweise heute beschaffen sind, bieten hingegen nur wenig Nährboden für Innovationen. Solche Neuerungen scheinen in der Bauwirtschaft, welche »traditionell […] als ›Low-Tech‹-Branche wahrgenommen« [209] wird, besonders schwierig umsetzbar zu sein, wird ihre Innovationskraft doch kontinuierlich bemängelt. Die Hauptgründe hierfür liegen nach Butzin und Rehfeld [56] in den meist engen Zeit- und Kostenrahmen sowie der räumlichen und sektoralen Fragmentierung der Branche.

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Zusammen mit der Tatsache, dass Innovationen zumeist nicht im Hauptgewerbe ihren Ursprung haben, sondern eher vonseiten der Lieferanten von Baustoffen, Ausrüstung und Maschinen sowie insbesondere der Ingenieure und Architekten generiert werden, ergibt sich ein sog. Innovation Gap, der eine systematische Bündelung von Innovationen verhindert [57]. Sogenannte Innovationsbiografien der Bauwirtschaft zeigen auf, dass der gesamte Wertschöpfungsprozess im Bauen zu berücksichtigen ist, und daher Innovationen nicht durch die in der Innovationsforschung verwendeten Indikatoren (z. B. Patentanmeldungen, Anzahl der Beschäftigten in F&E-Bereichen etc.) zum Ausdruck gebracht werden können [56]. »Sie sind weniger sichtbar, da sie stark prozessorientiert und auf ein spezifisches, kurzfristig zu lösendes Problem bezogen sind. […] Die Frage nach der Prozessoptimierung und den damit verbundenen neuen Geschäftsmodellen« bleibt nach Nordhause-Janz et al. [223] »die Schlüsselfrage für die weitere Entwicklung der Wertschöpfungskette Bau«. Von zentraler Bedeutung sind hiernach folgende Faktoren: • Qualifizierung der Akteure • Kompetenz zur interdisziplinären Zusammenarbeit • Nutzung neuer informationstechnischer Möglichkeiten • Koordination und Dokumentation von Prozessen Forschungsnetzwerke wie die sog. Fraunhofer-Allianz Bau formieren sich, da »die Antworten« auf die gegenwärtigen Problemstellungen im Bauen »nur durch die Verbindung unterschiedlicher Fachbereiche gefunden werden können« [23]. Zahlreiche Berufsverbände haben in den vergangenen Jahren gemeinsame Initiativen gegründet. Anwendungsorientierte Forschung wird von der Politik öffentlichkeitswirksam gefördert – auf supranationaler Ebene sind Netzwerke wie die European Construction Technology Platform (ECTP) [100] für den interdisziplinären Austausch im Hinblick auf die drängenden Innovationsfelder der Branche entstanden. Ihre Innovationsfähigkeit wird letztlich darüber entscheiden, ob die politischen Ziele einer nachhaltigen Entwicklung erreicht werden können und gleichzeitig eine gebaute Umwelt entsteht, die den sich im kontinuierlichen Wandel befindlichen Anforderungen der Gesellschaft entspricht [23]. »Gesellschaftlich und wirtschaftlich relevante Innovationssprünge entstehen immer stärker an den Schnittstellen von Technologien und Disziplinen.« [55] Obwohl die Wohnungs-, Immobilien- und Bauwirtschaft nicht zuletzt durch die heute so relevanten Themen wie Umwelt und Mobilität sowie Energie- und Ressourceneffizienz eng mit zahlreichen anderen Wirtschaftsbereichen verflochten ist, widmet ihr der Bundes­bericht Forschung und Innovation 2012 [55] nur drei von insgesamt 654 Seiten. Wie die Tätigkeiten des Bauhauptgewerbes mit denen anderer produzierender Gewerbe (z. B. Technologie- oder Baumaschinenhersteller) oder mit denen der Architekten zusammenhängen,

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findet sich hier ebenso wenig wie Prozessinnovationen berücksichtigt werden. Dies liegt an der Sichtweise des Terminus Innovation als Neuerung auf Technologieebene mit direkter Messbarkeit vonseiten der Wirtschaft. Die Termini Forschung, Innovation und Technologie werden im Rahmen des Berichts offenkundig als sinngleich behandelt, obwohl Innovationen durchaus ohne Forschung stattfinden können, Letztere nicht immer Erstere zur Folge hat und Innovationen in der überwiegenden Zahl der Fälle nicht auf Technologie-, sondern vielmehr auf Prozessebene entstehen. Wenngleich von den Autoren keine eindeutige Definition des Begriffs Innovation geliefert wird, so lässt sich dies im Abgleich mit dem Innovationsindikator 2011 [155], der die Innovationsfähigkeit – ebenfalls ausschließlich auf ökonomischer Ebene – einzelner Länder misst und vergleicht, doch klar erkennen. Innovationen, die einer nachhaltigen Entwicklung dienen, aber keinen direkt messbaren ökonomischen Effekt erzielen, sind somit schwer zu identifizieren. Die undifferenzierte Verwendung der Termini Innovation und Prozess (die Optimierung eines Bauprozesses z. B. hat andere Auswirkungen als die Optimierung des Entwurfsprozesses) erschwert dies zusätzlich. Um ein differenziertes Verständnis der Begrifflichkeiten zu erlangen und nachvollziehen zu können, wie Innovationen im Bauen entstehen, wird im Folgenden der heuristische Ansatz des Innovationssystems im Bauen erläutert.

Heuristisches Konzept: Das Innovationssystem Innovationen gehen aus dem Zusammenspiel von Akteuren hervor. Diese bilden ein sog. Innovationssystem, welches von den Rahmenbedingungen seiner Umwelt maßgeblich beeinflusst wird. Diese – sowohl harten als auch weichen – Faktoren sind somit in eine ganzheitliche Betrachtung und Bewertung von Innovationssystemen einzubeziehen; man spricht von einem heuristischen Konzept [155]. Ob ein Innovationssystem erfolgreich ist oder nicht, kann anhand seiner Inputs und Outputs beobachtet werden. Das Innovationssystem im Bauen ist dabei nicht pauschal gleichzusetzen mit dem Kommunikationssystem im Bauen. Hierunter ist im Allgemeinen ein System zu verstehen, das unabhängig von einzelnen Projektteams über einen unbegrenzten Zeitraum existiert. Formale Ähnlichkeiten zu dem Kommunikationssystem im Bauen bestehen durch die Einbettung in einen gesellschaftlichen, politischen und juristischen Rahmen (im Allgemeinen in die Systemumwelt) sowie durch die Relevanz des Prozesses, der durch die Interaktion der Akteure Innovationen hervorbringt. Dabei ist zu beachten, dass je nach Innovation nur eine Auswahl der im Kommunikationssystem im Bauen vernetzten Akteure am jeweiligen Innovationssystem beteiligt sein kann. Denn als Innovation gilt nicht nur das Bauwerk – auch einzelne technologische Komponenten, Materialien, Herstellungsverfahren oder Prozessoptimierungen fernab des Prozesses

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im Bauen zählen hierzu. Durch die nur punktuelle Verknüpfung von Akteuren unterschiedlichster Innovationssysteme im Rahmen von vergleichsweise kurzen Projektlaufzeiten und die jeweils hochgradig differenzierten Aufgaben ergibt sich eine Fragmentierung in zahlreiche Kommunikationssysteme im Bauen. Dies unterbindet den gängigen Innovationsprozess, der durch Innovationsindizes gemessen wird [87]. Andererseits können diese Systemüberschneidungen auch als Netzwerk verstanden werden, das durch immer neue Verbindungen zukünftig vermehrt Innovationen hervorbringen könnte. Je öfter sich Projektteams neu zusammensetzen, desto öfter kommt es zu einem neuen Pool an heterogenem Wissen und Prozessen. Die Diskontinuität der Zusammenarbeit ist also einerseits ein Hemmnis, kann bei einem Kommunikationssystem, das über Projektgrenzen hinweg besteht, aber ebenso als Chance verstanden werden. In anderen Branchen wird hier oft von sog. Open Innovation gesprochen. Dies bedeutet, dass Wissen gegen monetär vergleichbares Wissen eingetauscht wird. Teamarbeit wird hierbei nicht nur innerhalb der eigenen Organisation vollzogen, um Grenzen zwischen Abteilungen zu überschreiten, sondern vielmehr, um Kooperationen anzustreben, die über die eigenen Unternehmensgrenzen hinaus Kompetenzen zusammenbringen. Die Verstrickung von spezialisierten Einheiten zu unternehmensübergreifenden Netzwerken in sog. Open-Innovation-Systemen generiert durch einen systemischen Ansatz einen interdisziplinären Wissenszuwachs. Hierbei sind nach Gassmann und Enkel [114] drei Kernprozesse zu unterscheiden: Während beim Outside-in-Prozess externes Wissen in den Innovationsprozess integriert wird, führen Inside-out-Prozesse zur Externalisierung von internem Wissen. Ein als Coupled-Prozess bezeichnetes Verfahren stellt eine Mischform dar, die einerseits die Umwelt, z. B. den Kundenwunsch, aktiv in den Entwicklungsprozess integriert, andererseits aber auch durch die Externalisierung von Teilbereichen einer bevorstehenden Innovation in die Gesellschaft einen entsprechenden Markt generiert. Diese in der Praxis weitverbreitete letztgenannte Innovationsprozessform führt zu einer sehr raschen Diffusion der Invention auf dem Markt. Betriebswirtschaftliche Handlungen oder soziologische Studien können, der sog. Diffusionstheorie [256] folgend, stärker den Erfolg eines Produkts beeinflussen als dessen eigentlich zugrunde liegende technische Innovation. Eine Übertragung dieser Prinzipien auf das Bauen kann ein adäquates Mittel sein, um die spezialisierten, über verschiedene Disziplinen und Organisationen verteilten Akteure zu vernetzen und ihr jeweiliges Wissen systemisch zu vermehren.

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Der Innovationsbegriff: Eine Definition Da in der für das Bauen relevanten Literatur die Termini Innovationspotenzial, Innovationsfähigkeit, Innovationstätigkeit, Innovationsleistung und Innovationskapazität sowie deren Bezüge z. B. auf Prozesse (Planungs- und / oder Bauprozesse), Produkte (Technologien und / oder Gebäude) oder den Output (Ökonomie und / oder Ökologie) sehr unpräzise Verwendung finden, muss den folgenden Untersuchungen zunächst ein klares Verständnis des Terminus Innovation zugrunde gelegt werden. Schumpeter [277] definiert den Begriff der Innovation als die Durchsetzung einer technischen oder organisatorischen Neuerung; werden Produktionsfaktoren auf eine neuartige Art und Weise kombiniert, so wandeln sich Wirtschaft und Gesellschaft. Während demnach eine Invention einer Erfindung entspricht, beinhaltet eine Innovation auch deren Diffusion auf dem Markt bzw. in der Gesellschaft [217]. Eine Innovation steht nach Rogers [256] unter dem Einfluss von fünf Faktoren: Neben dem subjektiven Vorteil, beispielsweise dem Prestigegewinn für den Innovator, spielt die Kompatibilität der Innovation mit den vorhandenen gesellschaftlichen Werten eine wichtige Rolle. Des Weiteren beobachtet er insbesondere bei Produkten, dass die Diffusion bei gefühlter Einfachheit der Innovation besser gelingt. Ebenso wichtig für den erfolgreichen Markteintritt ist die Sichtbarkeit der Innovation – diese kann durch entsprechendes Marketing verbessert werden. Innovationen können also nicht nur auf Produktebene oder in der Organisation stattfinden, laut Hauschildt [136] geht es vielmehr insgesamt um etwas Neues, seien es neue Produkte oder Prozesse. Der in der Architektur verwendete Begriff der Avantgarde kann als geisteswissenschaftliches bzw. kulturelles Pendant zum marktbezogenen Innovationsbegriff verstanden werden. Auch vonseiten der Architekten kann somit auf Produkt- oder Prozessebene im Zuge des Entwerfens innoviert bzw. eine Innovation innerhalb der Abläufe anderer Akteure im weiteren Prozessverlauf evoziert werden. Da im Bauen bisher zumeist die umgangssprachliche Bedeutung des Wortes Innovation Verwendung findet, werden im Folgenden die wichtigsten Arten der Innovation, wie sie wissenschaftlich untergliedert werden, zusammengefasst: • Technische Innovation: Produkt- oder Verfahrensinnovation • Organisatorische Innovation: Management- oder Prozessinnovation • Soziale Innovation: Innovationsforderung oder Innovationsfolge Prozessinnovationen im produzierenden Gewerbe lassen sich im Allgemeinen in zwei Arten unterteilen: Handelt es sich um Innovationen in Produktionsprozessen innerhalb der Herstellungsverfahren, werden sie der Gruppe der technischen Innovationen

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zugeschrieben. Bilden sie hingegen Neuerungen innerhalb der Abläufe des Managements, werden sie als organisatorische Innovation bezeichnet. Ebenso lassen sich soziale Innovationen in zwei Kategorien einteilen: erstens in Neuerungen der Verhaltensweisen einer Gesellschaft, die neue Produkte oder Prozesse fordern (z. B. Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung), und zweitens in neue Verhaltensweisen der Gesellschaft, die aus Produkt- oder Prozessinnovationen hervorgehen (z. B. verändertes Kommunikationsverhalten durch Smartphones). Innovationen werden innerhalb von Unternehmen mithilfe des Innovationsmanagements typischerweise in eine Anzahl von Impuls-, Entwicklungs- und Verwertungsphasen untergliedert [136]. Zunächst bedarf es der Impulsphase, in der Trends beobachtet und zukunftsweisende Technologien identifiziert werden. Aufbauend durchläuft die Innovation die Entwicklungsphase. Wird bei der parallel stattfindenden Bewertung die Diffusion als sehr wahrscheinlich eingeschätzt, beginnt die Verwertungsphase. Diesen Schritten liegen logischerweise Entscheidungen zugrunde, welche das Management zu treffen hat. Das Management entscheidet so letztlich auch über Produkt- und Verfahrensinnovationen, sodass sie in diesem Sinne Ergebnisse von Managementinnovationen sind [262]. Für das Bauen bedeutet dies, dass die Innovationsfähigkeit letztlich entscheidend vom Auftraggeber bzw. den Entscheidungsträgern abhängt.

Innovationspotenzial im Bauen: Ein neuer Horizont Neben dem preislichen Wettbewerb im Ringen um Aufträge, welcher Innovationen im Hinblick auf eine erhöhte Qualität des Endproduktes per se hemmt, existieren kaum Anreize für die einzelnen Beteiligten, Innovation voranzutreiben. Bauherren scheuen meist die zusätzlichen Risiken und Investitionen; ein monetärer Gewinn lässt sich zwar im Bereich der Energieeffizienz heute über Amortisationszeiten rechnerisch ermitteln, doch sind die Rechenmodelle der Investoren und Nutzer in der Regel auf kürzere Zeitspannen ausgelegt. Bei privaten Bauherren wiederum übersteigt die finanzielle Mehrbelastung zu Beginn des Bauens meist die Möglichkeiten. Kreditinstitute haben noch keine neuen Modelle entwickelt, die hier greifen können – im Gegenteil: Ihrerseits unterbinden sie aufgrund ihres Portfoliomanagements mittelbar Innovationen beispielsweise hinsichtlich neuer Gebäudetypologien. Die Bauindustrie ist aufgrund ihrer späten Beteiligung erst zum Zeitpunkt der Ausschreibung und Vergabe innerhalb des Prozesses kaum in der Lage, noch entscheidend auf das Projekt einzuwirken. Ihr bleibt nur, ein möglichst preisgünstiges Angebot für die jeweilige Leistung abzugeben. Einfluss auf die Grundkonzeption des Bauwerks, welches seinerseits so konzipiert sein sollte, dass für jedes Gewerk mindestens drei Bieter im Zuge einer Ausschreibung gefunden werden und sämtliche Planungsinhalte den allgemein anerkannten Regeln der Technik sowie Zulassungen entsprechen müssen, hat sie nicht. Die beteiligten Fach-

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planer handeln auf Anweisung des Architekten, der in seiner Ausbildung und entwerferischen Praxis zunehmend von den zur Verfügung stehenden Technologien entkoppelt wird. Das in seiner Größe und Komplexität anwachsende Wissen im System Bauen sprengt jedoch die Kompetenz des herkömmlich ausgebildeten Architekten, zumal immer straffer angelegte Terminpläne hierfür kaum Zeit lassen. Um Innovationen im Bauwesen mehr Potenzial zu verleihen, müssen entsprechende Anreize geschaffen werden. Neben verbesserten gesetzlichen Rahmenbedingungen (Gewährleistungen, Haftung, Recycling etc.) und öffentlichkeitswirksamen Zertifizierungssystemen sind monetäre Anreize hervorzuheben und weiter zu untersuchen. Denn letztlich ist der Wettbewerb auf dem freien Markt für die Adaption der Handlungen maßgeblich. Innovationen werden innerhalb von Unternehmen gängigerweise mithilfe von Investitionen in Forschung und Entwicklung hervorgebracht, fernab vom Entwurf des Architekten. Eine Ausnahme bilden einige größere Architektur- und Ingenieurbüros, die in den letzten Jahren eigene Abteilungen ins Leben gerufen haben, die sich spezifischen zukunftsrelevanten Themen widmen. In Büros wie Foster + Partners sind so spezialisierte Abteilungen entstanden [331], aus anderen wie Gehry Partners sind neue Firmen hervorgegangen [115], die parallel zu neuartigen Entwürfen neue Software bzw. Tools anwenden und entwickeln, welche die architektonischen Ideen in gebaute Umwelt umsetzbar machen. Blickt man in branchenfremde Entwurfs- und Produktionsprozesse, wie sie z. B. in der Automobilindustrie existieren, so ist diese Vorgehensweise bereits seit vielen Jahren die tägliche Basis der Designer und Konstrukteure. Neue Produkte entstehen hier im interdisziplinären Zusammenspiel einer Großzahl höchst spezifisch ausgebildeter Fachkräfte unterschiedlicher Abteilungen. Insbesondere der Zusammenhang zwischen Entwurf und Produktion ist maßgebend: Der Entwurf kann sich z. B. zur Senkung von Fertigungszeiten und -kosten jederzeit auf das Wissen der Produktion beziehen, umgekehrt aber auch die Produktion darüber informieren, dass parallel neuartige Verfahren zur Fertigung und Montage entwickelt werden müssen, die die Herstellung eines durch Marktanforderungen veränderten, neuartigen Entwurfs ermöglichen. Im Regelfall wird hierdurch sowohl das Produkt verbessert als auch der Kundenwunsch bedient. Gleichzeitig werden die Fertigungszeiten verkürzt und die Arbeitsschritte automatisiert. Letztlich wird ein monetärer Gewinn erwirtschaftet. Eine adäquate Antwort auf die Frage, weshalb es einen solchen Innovationsprozess im Bauen nicht gibt, liefern die folgenden Grundvoraussetzungen, die das Bauen vom Automobilbau unterscheiden:

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• Kapital Ohne zuvor erwirtschaftetes Kapital, das in einen solchen Innovationsprozess reinvestiert werden kann, ist er nicht möglich. • Erfahrung In der Automobilindustrie setzt eine Produktpalette im Regelfall auf eine vorangegangene, artverwandte auf. Die notwendigen Prozessketten sowie die Schritte der Ressourcenplanung wurden in der Regel bereits zuvor durchlaufen – entsprechende Kenntnisse liegen vor. Zusätzlich entsteht zwischen der Auslieferung des ersten Loses der Vorgängerbaureihe und derjenigen der Folgebaureihe eine Nutzungsphase, in der über ständige Wartungsintervalle eine direkte Rückkopplung erfolgt. • Einheit Die Einheit von Entwurf, Planung, Konstruktion und Fertigung führt im Automobilbau zu einem Industriekonzern, wie er im Bauwesen seinesgleichen sucht. Hierdurch entsteht nicht nur eine reibungsfreie, langfristige Zusammenarbeit der fachlich am Wertschöpfungsprozess Beteiligten und eine entsprechende finanzielle Ausgleichsmöglichkeit, sondern vielmehr ein nach außen in Erscheinung tretendes Image: die Marke. Mit ihr lässt sich im Zuge von Inside-out-Prozessen des Marketings Nachfrage spezifisch erzeugen. • Zeit Die durchschnittliche Lebensdauer von Automobilen ist im Gegensatz zur gebauten Umwelt kürzer. Entscheidend ist allerdings weniger die technische Lebensdauer als die wirtschaftliche Lebensdauer [166]. Die Nutzungsdauer von Automobilen durch eine Person beträgt z. B. in den USA heute nur noch knapp sieben Jahre [92]. Diese Zeiten hängen mit den Zyklen zusammen, in denen das jeweilige Folgemodell auf den Markt kommt. Entsprechend sind in den 1990er-Jahren bereits Verordnungen bezüglich des EOL-Szenarios von Automobilen erlassen worden. Die Konstruktion und Fügung sämtlicher Teile eines Automobils erfolgen – anders als im Bauwesen – von vornherein weitestgehend demontagegerecht. •  Flexibilität Der Aspekt der Flexibilität in der Automobilfertigung steht in direktem Zusammenhang mit den Punkten Einheit und Zeit. Während im Bauwesen gegenwärtig eines der größten Probleme – die energetische Sanierung des Gebäudebestands – zutage tritt, ergibt sich im Automobilbau mit jeder neuen Baureihe die Möglichkeit, Innovationen zu integrieren. Die Reaktionszeit ist aufgrund des kürzeren Produktzyklus entsprechend schneller; zugleich ist die Flexibilität, sich an diese anzupassen, größer. Auch im Bauwesen besteht mittlerweile eine große Diskrepanz zwischen der sog. technischen Lebensdauer und der wirtschaftlichen Lebensdauer von

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Bauwerkskomponenten und ganzen Gebäuden. Insbesondere aufgrund von wirtschaftlichen Abschreibungsmodellen unterschreitet die wirtschaftliche Lebensdauer von Gebäuden mit teilweise nur noch ca. 25 Jahren die technische Lebensdauer von nach wie vor bis zu 100 Jahren um das Vierfache [166]. Letztere verliert somit zunehmend an Relevanz. Um abschätzen zu können, inwiefern es sinnvoll ist, Innovationsansätze aus anderen Industriezweigen auf das Bauwesen zu übertragen, werden im Folgenden einige wichtige Faktoren identifiziert: • Outsourcing Mit dem Ziel der Kosteneinsparung wurden im produzierenden Gewerbe bereits Mitte der 1990er-Jahre weitreichende Tätigkeiten einem Outsourcing unterzogen; d. h., einzelne Unternehmensaufgaben wurden zunehmend an Dritte abgegeben. Im Bauwesen hingegen findet man eine überraschend schlanke Organisationsform vor. Dies liegt allerdings weniger an bereits durchgeführten Prozessoptimierungen als vielmehr an der Tatsache, dass allgemein die Industrialisierungsprozesse sich im Bauwesen auf den Bereich der Fertigung beschränkten, den Dienstleistungsbereich des Planens hingegen weitgehend unberührt ließen. Hier überspringt der Bausektor (quasi durch Versäumnis) einen Entwicklungsschritt und bietet eine aufgrund ihrer Flexibilität für die Anforderungen des digitalen Zeitalters theoretisch sehr zeitgemäße Organisationsform. • L  eadership Obwohl er steuernde Funktionen abgegeben hat, verfügt der Architekt nach wie vor über eine leitende Funktion innerhalb des Projektteams. Diese verdankt er in erster Linie den analytisch geprägten Berufsbildern der übrigen Akteure. Seine Aufgabe und Fähigkeit, zu gestalten, zu koordinieren und zu integrieren, verleihen ihm eine ideelle Leitungsposition. Durch Skizzen, Modelle und computergenerierte Visualisierungen zu Beginn der Planung kann eine wirkungsvolle Vision innerhalb des Projektteams entstehen und die Zusammenarbeit zielgerichtet geleitet werden. • Digital Design Aufgrund der heute gängigen Anwendung von CAD-Programmen setzen sich auch CAM-Fertigungstechnologien vermehrt durch. Die Industrie ist durch die Entwerfer aufgefordert, technische Lösungen für deren Vision zu entwickeln. Wenn die heutigen Studierenden ins Berufsleben eintreten, werden sie im Bereich des generativen Entwerfens einen Wissensstand aufweisen, der die Kompetenz der vorangegangenen Generationen weit übersteigen wird. Dies stellt eine gute Ausgangsbasis für Innovationen dar.

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• Globalisierung Der Prozess der Globalisierung ist – anders als in den meisten anderen Wirtschaftszweigen – im Bauen nicht neu. Architekten waren oft – und sind es heute in zunehmendem Maße – weltweit tätig; seit dem sog. International Style hat die Debatte über kulturell oder klimatisch bedingte regionale Unterschiede an Brisanz verloren. Maßgeblich hierfür ist der globale Wettbewerb. Seitdem auch die Bauindustrie ins Zeitalter der Globalisierung eingetreten ist, hat sich dieser zunehmend verschärft. So ist es heute nichts Besonderes, wenn etwa Fertigteile einer Hochhausfassade in Europa aufgrund der geringeren Lohnkosten in Asien gefertigt werden. • Stararchitektur Sogenannte Stararchitekten stehen im Kontext der allgemeinen Nachhaltigkeitsdebatte zunehmend in der Kritik. Ein einmal gefundener Stil bzw. eine Haltung zur Architektur kann hingegen einige bisher nicht hinreichend beachtete Vorteile aufweisen: Nicht nur der Wert der Wiedererkennbarkeit, sondern vielmehr der Prozess der kontinuierlichen Verbesserung ist hierbei hervorzuheben. Beide Aspekte sind Grundlagen, auf denen der Erfolg von Unternehmen außerhalb des Bauens in der Regel basiert. Beides allerdings wird von Architekturbüros nicht immer verfolgt. Die Reorganisation der Kooperation einzelner Spezialisten stellt einen vielversprechenden Ansatz dar. Ein solcher ist zu erkennen, wenn man heutige Stararchitekten und deren Unternehmensstrukturen betrachtet, z. B.: Zaha Hadid Architects verfügen über die sich ausschließlich mit Geometrien befassende Computation and Design Group (CODE) [339], das Office for Metropolitan Architecture (OMA) betreibt das Think Tank AMO [225], und Werner Sobek gründete WSGreenTechnologies [338]. Während diese Beispiele auf dem Ausbau bereits vorhandener Spezialkompetenzen basieren, verfolgen Ben van Berkel und Caroline Bos (UNStudio) die Strategie, sich projektbezogen mit externen Akteuren kontinuierlich neu zu vernetzen und beziehen hieraus ihre Identität [309]. Der Ansatz der Open Innovation hat somit auch in die Welt der Architektur Einzug gehalten und wird als strategischer Wettbewerbsvorteil gewertet [232]. Mit der kontinuierlichen Weiterentwicklung der Werke sog. Stararchitekten ergibt sich eine langfristige Innovationssteigerung der damit parallel verlaufenden Technologiezweige. Durch eine solche Zusammenarbeit können die Prozessorganisation und das Innovationsmanagement ebenfalls stetig weiterentwickelt werden. Die Qualität der gebauten Umwelt steigt bei gleichzeitigem monetären Gewinn. Letzterer wiederum ist die Grundvoraussetzung, weiteren Fortschritt durch Investitionen in Innovationen zu generieren.

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TEIL II

3  |  ANALYSE DES ISTZUSTANDS

Zur Entwicklung von Lösungsansätzen wird im Folgenden der Istzustand im Bauen dargelegt. Hierfür wird die HOAI als mittelbar prozessbestimmende Verordnung analysiert. Insbesondere wird untersucht, inwieweit das Wissen aus der Ausführungs-, Nutzungs-, Umnutzungsund End-Of-Life-Phase (EOL) sowie aus der Phase des Begin-Of-Life (BOL) heute bereits in die Planung integriert wird. Parallel werden die Positionen, Aufgaben und Kompetenzen der wichtigsten an Planung und Bau fachlich Beteiligten dargelegt und ihre Beziehungen untereinander aufgeschlüsselt. Hieraus folgt die Identifikation von heutigen Schwachstellen.

3.1 ORGANISATION DES BAUENS: THEORIE UND PRAXIS Honorarordnung als Basis des Prozesses Der Planungs- und Bauprozess ist ein »komplexes Gefüge von ineinander integrierten Rückkopplungsprozessen« [207]. Jedes Projekt erfordert aufgrund seiner spezifischen Anforderungen individuelle Organisationsstrukturen. Die Zusammensetzung der Akteure und deren Kommunikationsform differieren ebenfalls von Projekt zu Projekt. Eine verbindliche Regelung, nach welcher der Prozess im Bauen zu gestalten ist, gibt es daher nicht. Mit der HOAI existiert in Deutschland allerdings seit 1977 eine allgemeingültige Einteilung des maßgeblichen Prozesses. Ihr Inhalt ist heute leistungs- und nicht berufsbezogen. Das heißt, der Prozess ist für alle »an Planung und Bau fachlich Beteiligten« [145] maßgebend. Ihre allgemeine Anwendung hat über die Zeit einen sequenziellen Prozess entstehen lassen, der typischerweise die Planungs- und Bauabläufe in Deutschland bestimmt. Sie dient im Folgenden als Grundlage, um den Istzustand des Planens und Bauens zu analysieren. Begleitend wird ihre Fähigkeit untersucht, die Ziele einer nachhaltigen Entwicklung zu erreichen bzw. die hierfür notwendigen Innovationen hervorzubringen. Da auf die Qualität der gebauten Umwelt vornehmlich Entscheidungsfindungsprozesse Einfluss haben, wird analysiert, welches Wissen den jeweils Beteiligten zu welchen Zeitpunkten im Prozess zugänglich ist.

Leistungsphasen und Leistungsbilder der Objektplanung Der Umfang des durch die HOAI definierten Prozesses erstreckt sich von der Auftragserteilung bis zur Objektübergabe und ist in neun Phasen untergliedert. Die Regelungen der HOAI zielen dabei nicht auf ein organisatorisches Optimum, sondern vielmehr auf die Grundlage der Abrechnung ab. Hierfür werden in den verschiedenen Phasen die Leistungen, welche »zur ordnungsgemäßen Erfüllung eines Auftrages im Allgemeinen« [145] führen sollen, in sog. Leistungsbilder unterteilt. Der Umfang der Leistungen, die in den einzelnen Phasen zu erbringen sind, wird hingegen individuell im Werkvertrag geregelt. Jeder Leistungsphase (LP) wird ein entsprechendes Leistungsbild zugeorndet. Die typische Planung und Erstellung eines Gebäudes werden hierdurch mittelbar grob geregelt und die Honoraranteile entsprechend auf die Leistungsphasen verteilt. Die Höhe des Honorars richtet sich je nach Schwierigkeitsgrad der Planungsanforderungen nach sog. Honorarzonen. Bei der Objektplanung, die im Weiteren ausschließlich betrachtet werden soll, sind dies fünf. Die Zuordnung erfolgt nach Objektlisten.

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Die Leistungsbilder reihen sich in Phasen linear aneinander. In ihrer Gesamtheit haben sie einen sequenziellen Prozess entstehen lassen, in dem auf den Abschluss einer jeden Phase eine weitere folgt. Dies geht parallel zum ansteigenden Detaillierungsgrad einher mit einer Zunahme der Komplexität, die über den Projektverlauf die Inanspruchnahme spezialisierter Akteure hervorruft. Über die Leistungen im Leistungsbild Gebäude hinaus können weitere Aufgaben beauftragt werden, deren Vergütung nicht dem verbindlichen Preisrecht der HOAI verpflichtet ist. Diese gliedern sich in sog. andere Leistungen, Beratungsleistungen und besondere Leistungen. Unter andere Leistungen werden Leistungen summiert, die infolge einer Änderung des Ziels, des Umfangs oder des Ablaufs der zuvor vereinbarten Leistung durch den Auftraggeber entstehen. Beratungsleistungen werden in der Regel von spezialisierten Fachplanern übernommen. Ihr jeweiliger Umfang ist ebenfalls in Leistungsbildern definiert, ihre Honorare werden allerdings nicht verbindlich geregelt. Sogenannte besondere Leistungen hingegen werden entsprechend ihren Leistungsbildern den neun Leistungsphasen zugeordnet, sofern sie Bestandteil des Werkvertrags der Parteien sind. Die Honorarhöhe kann frei vereinbart werden. Hier sind unter anderem Maßnahmen zu verorten, die zu einem über das gesetzliche Maß hinausführenden Streben nach nachhaltigem Bauen führen. Aufgrund der Mannigfaltigkeit der möglichen besonderen Leistungen und der in der HOAI nicht abschließenden Aufzählung wird im Folgenden nur auf die wichtigsten Aspekte hingewiesen: Zu Beginn der Planung stehen in der Regel noch nicht alle Planungsgrundlagen fest. Oft besteht vonseiten des Bauherrn sogar lediglich eine grobe Projektabsicht, von der er sich ein gewisses Ziel erhofft. Für den Auftragnehmer bedeutet dies, dass er nicht nur die für seine Arbeiten üblicherweise benötigten Grundlagen ermitteln muss, sondern ebenso solche, die aus Sicht des Auftraggebers zum Erfolg des Vorhabens führen sollen. Die Analyse mehrerer infrage kommender Standorte sowie das Aufstellen eines Raumprogramms oder auch eines Funktionsprogramms sind Beispiele für besondere Leistungen. Die »besonderen Maßnahmen zur Gebäude- und Bauteiloptimierung, die über das übliche Maß der Planungsleistungen hinausgehen« [145], sind insbesondere im Kontext der Vorplanung hervorzuheben. Sie bestimmen maßgeblich, was Auftraggeber und Auftragnehmer gewillt sind, für eine Verringerung des Energieverbrauchs sowie für eine Minimierung von CO2-Emissionen zu leisten. Dies beinhaltet ebenso die Abwägung der Nutzung erneuerbarer Energien. Das »übliche Maß« zur Energieeinsparung ist lediglich definiert durch die Erfüllung der Anforderungen, die sich aus Rechtsvorschriften ergeben.

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Darüber hinaus fällt unter besondere Leistungen in LP 2 die Untersuchung von Lösungsmöglichkeiten nach grundsätzlich verschiedenen Anforderungen. Dies stellt im Gegensatz zu den Untersuchungen der alternativen Lösungsmöglichkeiten nach gleichen Anforderungen, die unter die gewöhnlichen Leistungen fallen, eine echte Variantenerzeugung dar. Zu bedenken ist hierbei, dass der Entwurf des Architekten – über die ursprünglichen Anforderungen des Bauherrn hinaus – neue Anforderungen hervorruft, die Letzterer vor Beginn der Planung noch nicht kennen konnte. Die im Werkvertrag formulierten Anforderungen stellen somit nur eine unzulängliche Definition dar. Die beispielsweise bei einem Wettbewerbsverfahren entstehende Variantenvielfalt durch die von verschiedenen Verfassern eingereichten Entwürfe veranschaulicht dies. Das Anfertigen von Darstellungen durch besondere Techniken stellt innerhalb der LP 2 einen weiteren wichtigen Punkt dar, da dies heute oftmals an Dritte vergeben wird. Visualisierungsspezialisten haben im Zeitalter der Medien einen bisher unterschätzten Einfluss auf das Gesamtprojekt. Sie beeinflussen durch die emotionale Kraft, die Bildern innewohnt, maßgeblich die internen und externen Entscheidungsprozesse. Die Beauftragung, die Finanzierung und – insbesondere bei öffentlichen Bauten – die Akzeptanz in der Bevölkerung steht und fällt mit der bildlich verkörperten Vision. In der Entwurfsplanung in LP 3 werden unter besonderen Leistungen die in der Vorplanung entwickelten Alternativen und Varianten analysiert und anhand einer Kostenuntersuchung bewertet. Außerdem werden die über das übliche Maß der Planungsleistungen hinausgehenden Maßnahmen zur Gebäude- und Bauteiloptimierung ausgearbeitet und anschließend hinsichtlich ihres Potenzials zur Verringerung des Endenergieverbrauchs und der CO2-Emissionen betrachtet. Die Nutzung erneuerbarer Energien stellt hierbei ebenso eine Möglichkeit der Zielformulierung dar. Bei der Genehmigungsplanung in LP 4 kann der Auftraggeber vom Auftragnehmer besondere Leistungen in der Planung abrufen, die er wie alle unter diese Rubrik fallenden Leistungen gesondert vergüten muss. Müssen die Genehmigungsunterlagen infolge von Umständen, die der Auftragnehmer nicht zu verantworten hat, geändert werden, ist dies ebenfalls der Fall, was prinzipiell ein Konfliktpotenzial birgt. Die Ausführungsplanung in LP 5 ist stärker auf das Objekt gerichtet. Der Architekt kann in dieser Phase veranlasst werden, Pläne Dritter – nicht an der Planung fachlich Beteiligter – auf Übereinstimmung mit den Ausführungsplänen (z. B. Werk- und Montageplanung) zu überprüfen. LP 6 und 7 sind geprägt durch die Vergabe. Hier bestehen einige besondere Leistungen, die insbesondere den Charakter der Verfahrenstransparenz und der Vergleichbarkeit der Angebote stärken sollen.

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Während der Objektüberwachung in LP 8 übernimmt der Architekt eine Kontrollfunktion. Dies wird als besondere Leistung gesondert vergütet, wenn er differenzierte Zeit-, Kosten- und Kapazitätspläne aufstellt, überwacht und fortschreibt. Seine Tätigkeit als verantwortlicher Bauleiter ist in der HOAI umrissen; diese stellt letztlich jedoch keine normativen Leitbilder für den Inhalt von Architekten- und Ingenieurverträgen auf. Während der Objektfertigstellung und -übergabe in LP 9 haben besondere Leistungen den Zweck, den abgeschlossenen Prozess sowie die für die Nutzungsphase erforderlichen Informationen zu dokumentieren. Insbesondere im Hinblick auf die Wartung komplexer technischer Anlagen ist dies wichtig. Das Überprüfen der Bauwerks- und Betriebskosten-Nutzen-Analyse fällt ebenfalls unter diese besonderen Leistungen. In Anbetracht der zunehmenden Anforderungen an einen energieeffizienten Betrieb der Gebäude während ihrer Nutzungsdauer und eines darauffolgenden umweltverträglichen Um- bzw. Rückbaus wird dieser Phase zukünftig eine größere Bedeutung zukommen müssen.

Leistungsbilder der Fachplanung Der Architekt ist aufgrund der heute herrschenden Komplexität in Planung und Bau von Gebäuden auf das Wissen spezialisierter Fachplaner angewiesen. Diese sollen beauftragte Teilleistungen erbringen, die in engem Zusammenhang mit dem erfolgreichen und fristgerechten Erfüllen der einzelnen Leistungsphasen stehen. Die HOAI regelt somit auch die Entgelte für Leistungen der Ingenieure (für eine tiefergehende Analyse s. [31]). In der Mehrzahl der Leistungsphasen definiert die HOAI die Leistungen der Leistungsbilder Gebäudeplanung, Tragwerksplanung und technische Ausrüstung durch einen Bezug auf die Leistungen der jeweils anderen in Form von »Mitwirkung«, »Rückgriff« oder »Unterstützung«. Die Rahmenbedingungen sowie die entsprechende Organisation sind allerdings nicht definiert. Aus der Konfrontation zu Teilen unternehmensspezifisch divergierender Teilziele entsteht oft großes Konfliktpotenzial. Da es sich bei jedem Bauprojekt um eine zeitlich begrenzte Zusammenarbeit verschiedener Organisationen handelt, sind die jeweiligen Geschäftsprozesse nicht auf die der anderen abgestimmt. Die ebenso zeitlich begrenzte Zusammensetzung des Projektteams aus individuell unterschiedlichen Charakteren erhöht den Einarbeitungs- und Abstimmungsaufwand sowie die Gefahr von Fehlern.

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Chronologie der Prozessinhalte Die Prozessinhalte unterliegen in der Praxis projektbezogen individuellen Faktoren. Im Folgenden werden daher anhand der üblichen Chronologie eines Bauvorhabens die Aufgaben des Architekten – verallgemeinert und abstrahiert – vorgestellt, um die theoretischen Grundlagen zu erweitern. Der folgende Überblick baut dabei auf Klein [171]

und Menz [207] auf:

• In der Grundlagenermittlung findet in erster Linie vonseiten des Architekten die Klärung der Aufgabenstellung und die Beratung des Bauherrn zum gesamten Leistungsbedarf statt. Es werden zudem Entscheidungshilfen formuliert, die bei der Auswahl anderer an der Planung fachlich Beteiligter helfen sollen. • In der Vorplanung werden die Grundlagen analysiert und darauf aufbauend die Zielvorstellungen abgestimmt. Hierunter fallen nicht nur die Rahmenbedingungen der weiteren Planung von Projekt und Objekt, sondern auch das Erfassen eventueller Zielkonflikte. Des Weiteren werden die ersten entwerferischen Schritte eingeleitet, indem ein architektonisches Konzept erarbeitet wird. Die Untersuchung alternativer Lösungsmöglichkeiten unter gleichen Voraussetzungen ist hierbei von großer Wichtigkeit, wird in der Realität aber nicht immer in einem Umfang vollzogen, der den theoretischen Suchraum einer optimalen Lösung erschließt. Dies resultiert vorwiegend aus der Tatsache, dass die laut HOAI zu diesem Zeitpunkt erfolgende Integration der Leistungen der Fachplanung nicht immer vorgenommen werden kann. Das Klären und Erläutern der wesentlichen städtebaulichen, gestalterischen, funktionalen, technischen, bauphysikalischen und wirtschaftlichen sowie energiewirtschaftlichen und landschaftsökologischen Zusammenhänge wird oft unterbunden, da die hierauf spezialisierten Akteure zu diesem frühen Zeitpunkt oftmals noch nicht involviert werden. Eine eventuelle Belastung der betroffenen Ökosysteme kann somit nicht frühzeitig analysiert werden. Parallel soll der Architekt Vorverhandlungen mit den zuständigen Behörden aufnehmen, um die Genehmigungsfähigkeit des beabsichtigten Objekts zu prüfen. Um die Kontrolle über die Kosten zu gewährleisten, stellt der verantwortliche Architekt zum Abschluss der Vorplanung eine Kostenschätzung auf. • In der Entwurfsplanung, die sich mit der System- und Integrationsplanung befasst, wird durch eine »stufenweise Erarbeitung einer zeichnerischen Lösung« [171] das Planungskonzept konkretisiert und unter Verwendung der Beiträge anderer an der Planung fachlich Beteiligter zum vollständigen Entwurf ausgearbeitet. Der Architekt sollte hierbei eine Objektbeschreibung verfassen, die eine Erläuterung von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen nach Maßgabe der naturschutzrechtlichen Eingriffsregelung beinhaltet. Der Entwurf wird während der gesamten Phase zeich-

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nerisch dargestellt, um eventuell wiederkehrende Baugruppen bereits im Detail betrachten zu können. Neben der erneuten Überprüfung und Abwägung der Genehmigungsfähigkeit wird eine Kostenberechnung aufgestellt und anhand einer Kostenkontrolle mit der in der Vorplanung erstellten Kostenschätzung verglichen. • In der Genehmigungsplanung beauftragt der Bauherr den Architekten, die Unterlagen für die nach öffentlich-rechtlichen Vorschriften erforderliche Genehmigung für das Bauvorhaben einzureichen. Eine eventuelle Vervollständigung bzw. Anpassung der Planungsunterlagen, Beschreibungen und Berechnungen nach Abschluss der Genehmigungsplanung sind dabei keine Ausnahme. • In der Ausführungsplanung wird eine ausführungsreife Lösung erarbeitet. Hierfür werden die Ergebnisse der vorangegangenen Phasen unter Verwendung der Beiträge anderer an der Planung fachlich Beteiligter weiter durchgearbeitet. Das Ziel ist eine zeichnerische Darstellung des Objekts mit allen für die Ausführung notwendigen Einzelangaben. Hierzu gehören beispielsweise Ausführungs-, Detailund Konstruktionszeichnungen. Das Fortschreiben der Planung während der eigentlichen Bauausführung ist insbesondere bei großen Projekten üblich, erzeugt allerdings in der Regel Mehrkosten von 20–30 Prozent [242]. • Während der Vorbereitung der Vergabe ermittelt der Architekt die Mengen als Grundlage für das Aufstellen von Leistungsbeschreibungen. Dies geschieht anhand von Leistungsverzeichnissen nach Leistungsbereichen. Das Abstimmen und Koordinieren der Leistungsbeschreibungen der Fachplaner gehört ebenso wie das Einholen von Angeboten pro Leistungsbereich zur Aufgabe des Architekten. Das Vergabeverfahren ist hierfür in Deutschland gesondert in der Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen (VOB) [314] geregelt. Die Priorität des Verordnungsgebers liegt hierbei auf der Transparenz des Verfahrens und der Gleichberechtigung aller Bieter. • Während der Mitwirkung bei der Vergabe ist es Aufgabe des Architekten, die Angebote der Bieter zu prüfen und zu bewerten. Er stellt hierfür einen Preisspiegel nach Teilleistungen auf. Durch das Erstellen eines Kostenanschlags und dessen Abgleich mit der Kostenberechnung erfolgt eine erneute Kostenkontrolle. Die Ausschreibung und Vergabe kennzeichnet letztlich den Übergang vom theoretischen Teil des Planens in den praktischen Teil des Bauens. • Während der Objektüberwachung ist es Aufgabe des Architekten, die Ausführung des Bauwerks auf Übereinstimmung mit der Baugenehmigung, den Ausführungsplänen und den Leistungsbeschreibungen sowie den allgemein anerkannten

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Regeln der Technik und den einschlägigen Vorschriften zu überwachen. Er ist darüber hinaus für die ordnungsgemäße Ausführung von Tragwerken auf Übereinstimmung mit dem Standsicherheitsnachweis verantwortlich. Des Weiteren koordiniert er die an der Objektüberwachung fachlich Beteiligten, stellt einen Zeitplan auf und überwacht diesen, führt ein Bautagebuch und übernimmt die Rechnungsprüfung. Der Bauleiter überwacht die Details von Fertigteilen, macht gemeinsam mit den bauausführenden Firmen ein Aufmaß und übernimmt unter Mitwirkung anderer an der Planung und Objektüberwachung fachlich Beteiligter die Abnahme der Bauleistungen. Da hiermit das Auflisten von Verjährungsfristen für Mängelansprüche einhergeht, ist dies juristisch von großer Relevanz. Letztlich werden die tatsächlichen Kosten anhand einer Kostenfeststellung beziffert. Die behördliche Abnahme sowie die Übergabe des Objekts an den Bauherrn stellt den Höhepunkt der Objektüberwachung dar. Hierbei werden dem Bauherrn auch die zuvor zusammengestellten Unterlagen wie z. B. Bedienungsanleitungen und Prüfprotokolle übergeben. Das Überwachen der Beseitigung von Mängeln sowie eine abschließende Kostenkontrolle anhand der Überprüfung der Leistungsabrechnung der bauausführenden Unternehmen im Vergleich zu den Vertragspreisen und dem Kostenanschlag schließen die Objektüberwachung ab. • Die Objektbetreuung und Dokumentation umfassten insbesondere den Umgang mit Mängeln. Diese sollen bei einer Objektbegehung vor Ablauf der Verjährungsfristen für Mängelansprüche gegenüber den bauausführenden Firmen festgestellt und beseitigt werden. Zum Abschluss des Prozesses stellt der Architekt die zeichnerischen Darstellungen und rechnerischen Ergebnisse zusammen. Diese letzte Phase entspricht mit einem Vergütungsanteil von 3 Prozent dem Niveau der ersten Phase der Grundlagenermittlung – ein vergleichsweise geringer zeitlicher Aufwand ist oft die Folge, obwohl gerade diese Phasen von großer Wichtigkeit im Hinblick auf die Qualität der Nachhaltigkeit der gebauten Umwelt sind. Eine ausführliche Dokumentation der verbauten Materialien beispielsweise findet heute jedoch nicht statt, was am EOL-Punkt zu Problemen führt. Vereinfacht lässt sich der Prozess nach HOAI als produktbezogener Prozess darstellen, der weder den Lebenszyklus des Gebäudes und dessen Wechselwirkungen mit der natürlichen Umwelt noch die Geschäftsprozesse der einzelnen Akteure und ihre systemische Einbettung in die kulturelle Umwelt berücksichtigt → s. Abb. 4.

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Bauherr

Architekt

Bauunternehmer

Fachplaner

Subunternehmer

Aufgabe

BOL

PLANUNG

Vergabe

Übergabe

AUSFÜHRUNG

NUTZUNG

EOL ZEIT

Abb. 4: Produktbezogene Organisation (nach HOA I [314 ] )

3.2 DIE AKTEURE: AM BAUEN FACHLICH BETEILIGTE Übersicht nach Lebenszyklusphasen Wird der Prozess im Bauen über den Lebenszyklus eines Gebäudes hinweg betrachtet, so entscheidet das Zusammenwirken der Akteure über die Qualität von Prozess und Produkt. Dies wird in der Regel anhand von linearen Schaubildern dargestellt, da vornehmlich Hierarchien und Handlungsbefugnisse sowie juristische Verantwortlichkeiten abgebildet werden sollen. Die Realität der vernetzten Beziehungen, die individuelle Verfügbarkeit über spezifisches Wissen der jeweils anderen und die hieraus resultierenden Handlungen vermögen diese allerdings nicht widerzuspiegeln. In → Abb. 5 werden daher die üblicherweise fachlich Beteiligten und ihre Beziehungen in einer Form dargestellt, welche die Komplexität in der Praxis zutage bringt. Sie dient dazu, das System Bauen in seine einzelnen Subsysteme zu untergliedern. Das Wissen wird als Zentrum des Netzwerks angenommen, da dieses die Effizienz, die Effektivität, das Innovationspotenzial und die Qualität des Prozesses sowie die der Nachhaltigkeit des Produkts maßgeblich bestimmt. Die Akteure des Prozesses im Bauen sind die Träger von Wissen, und sie teilen dieses untereinander mithilfe der Kommunikation. Sie beziehen sich somit auf das Wissen, wobei der Informationsfluss bidirektional verläuft. Die grafische Nähe zum Wissenszentrum dient als abstrahierte Veranschaulichung der Wichtigkeit der jeweiligen Akteure innerhalb des Prozesses,

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Abb. 5: Am Prozess im Bauen beteiligte Akteure

ohne jedoch eine Aussage über die Hierarchisierung der Akteure zu treffen. Sie ist somit intuitiv und exemplarisch gewählt und divergiert gewöhnlich von Projekt zu Projekt bzw. von Phase zu Phase. → Abb. 6 bricht die aus Gründen der Simplifizierung undefinierten Gruppen der Akteure auf und veranschaulicht die Komplexität der Strukturen, die sich mit der zunehmenden Spezialisierung der einzelnen Aspekte ergibt. Diese formieren sich wiederum um den Hauptakteur und finden ihre Positionen analog zum oben beschriebenen Vorgehen. Die sich auf den Kreisen befindlichen Akteure reihen sich entsprechend den Abfolgen über den Lebenszyklus aneinander. Die Überlagerung der verschiedenen Sphären erlaubt eine stark simplifizierte Repräsentation sowohl der Informations- als auch der Stoffströme. Das Resultat ist die Visualisierung der Komplexität, die dem Prozess im Bauen heute innewohnt – das Wissen verliert an Relevanz, da die Beziehungsgeflechte zunehmend Leistungsprobleme und Innovationshemmnisse hervorrufen. Zudem führt die mangelhafte Prozessorganisation zunehmend zu Rechtsstreitigkeiten, deren Komplexität sich aus der durchschnittlichen Bearbeitungszeit erkennen lässt,

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die Richtern der Oberlandesgerichte (in zweiter Instanz) in Deutschland hierfür zugesprochen wird [141]. Diese übersteigt solche anderer zivilrechtlicher Sachverhalte bei Weitem. Eine Folge hieraus ist die Fokussierung der Beteiligten weg von den ursprünglich entwerferischen und planerischen – also inhaltlichen – Aufgaben des Prozesses hin zu überwachenden und absichernden – also organisatorischen – Maßnahmen, welche vornehmlich die jeweilige Position bzw. Entscheidung absichern sollen. Die zunehmende Involvierung von Juristen und die aus Gründen der Risikominimierung vermehrte Konzentration von ehemals produzierenden Akteuren auf Dienstleistungsaufgaben – z. B. Bauunternehmen, die sich heute überwiegend in Bereichen der Projektsteuerung

Material-Material beschaffung

Begin Of Life (BOL) (BOL & Vergabe rgabe

Ausführung führung

Fach-Fach planer

Gebaute Umwelt

Gutachter

Nutzung & End Of Life (EOL) (EOL)

Ausführung Projektablauf ojektablauf

ProjektPr ojektsteuerer

Planung

Wissen

Architekt Ar chitekt

Management

Natürliche Umwelt

Nutzer

Recyclinganlagen anlage n

Bauherrr Bauher

Behörden Behör den Gesetzgebung Genehmigung

Abb. 6: Aufgliederung der Akteure und ihrer Beziehungen

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oder des Facility-Managements betätigen – sind Anzeichen hierfür. Solche Unternehmen richten ihre Strategie an den herrschenden Marktentwicklungen aus, die einer teamorientierten, innovativen und nachhaltigen Entwicklung im Bauen entgegenstehen. Sie entstammen weniger der »zunehmenden Technisierung des Bauens« [325] als vielmehr einer überholten Prozessorganisation.

Die klassischen Akteure • Bauherr und Nutzer Bauherr ist, wer »auf seine Verantwortung eine bauliche Anlage vorbereiten oder ausführen lässt« [171]. Im Regelfall sind alle weiteren an Planung und Bau fachlich beteiligten Akteure vertraglich an ihn gebunden. Heute ist er insbesondere bei größeren Bauvorhaben meist nicht gleichzeitig auch der Nutzer. Entsprechend können die beiden Zielvorstellungen divergieren, da es Letzterem in erster Linie um die Alltagstauglichkeit, Ersterem hingegen oft um die Rendite der Unternehmung geht. Oftmals ist der Nutzer zu Beginn einer Planung allerdings auch noch nicht bekannt, was eine generische Planung, beispielsweise ein der Marktanalyse von Immobilienmaklern entsprechendes, flexibles Gebäude hervorruft. Umgekehrt kann die intensive Involvierung der Wünsche des Erstnutzers in die Planung zur Folge haben, dass das Gebäude für einen eventuellen Zweitnutzer unattraktiv ist. Fälle, bei denen es beispielsweise durch eine zwischenzeitliche Insolvenz des angestrebten Erstnutzers bei Fertigstellung zur Unvermietbarkeit kam, sind bekannt [327]. Der Bauherr kann in seinen Entscheidungen daher eng gebunden sein an Finanzierungsträger, Aufsichtsratsgremien oder Immobilienmakler. Schließlich ist die Qualität eines Gebäudes direkt abhängig von Entscheidungen, die nicht der Planer, sondern der Bauherr bzw. dessen Kontrollorgan trifft. So können trotz umfassender Informationslage und Beratung durch die Planer suboptimale Entscheidungen getroffen werden. • Projektsteuerer Bei Großprojekten übersteigen die zu beachtenden Rahmenbedingungen sowie der benötigte Zeitaufwand in der Regel die Kompetenzen und humanen Ressourcen des Bauherrn. Um sicherzustellen, dass alle Projektschritte im Rahmen des von ihm gesetzten Zeit- und Kostenrahmens vollzogen werden, vergibt er »delegierbare Auftraggeberfunktionen in technischer, wirtschaftlicher und rechtlicher Hinsicht« [171] an einen Projektsteuerer. Die Arbeit des Architekten beschränkt sich somit in der Regel auf die zur physisch machbaren Errichtung eines Gebäudes benötigten planerischen Tätigkeiten. Wirtschaftlichkeitsanalyse, Mittelbereitstellung, Vertragsabwicklung und weitere Tätigkeiten z. B. im Bereich des Facility

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Managements übernimmt der Projektsteuerer. Ein enges Zusammenarbeiten zwischen Projektsteuerer und Architekt ist erstrebenswert, da sich oft die Koordination und Überwachung von Fachplanung und Ausführung mit den Aufgaben des Projektmanagements überschneiden. • Architekt Der Architekt berät den Bauherrn in allen Belangen, die die Umsetzung eines Bauwerks betreffen, und vertritt seine Interessen gegenüber allen an der Planung und Bau fachlich Beteiligten. In Deutschland ist er somit traditionell Sachwalter des Bauherrn. Neben der Fähigkeit, überzeugende Ideen zu entwickeln und diese gestalterisch anspruchsvoll sowie technisch fehlerfrei und wirtschaftlich effizient umzusetzen, sollte er über ausgeprägte soziale Kompetenzen verfügen. Die Aufgabenbereiche des Architekten können sich von Projekt zu Projekt und je nach Vertragsgrundlage und Auftraggebermodell stark unterscheiden. Die klassische Rolle des Generalisten, der Kompetenzen in allen Bereichen des Bauens aufweist, wird zunehmend verdrängt. Beinahe in allen europäischen Ländern sowie insbesondere in den USA hat bereits eine Aufteilung der Tätigkeiten gemäß der in der Prozessgestaltung verankerten Trennung von Planung und Ausführung stattgefunden. Auch in Deutschland sind solche Tendenzen zu beobachten. Zumeist wird hierbei ein sog. Entwurfsarchitekt mit den LP 1–4 beauftragt, bevor ein technisch und wirtschaftlich kompetenter sog. Ausführungsarchitekt die LP 5–9 übernimmt. Der genaue Zeitpunkt der Übergabe kann allerdings variieren, denn nicht selten kommen auch Organisationsformen zum Einsatz, in denen Letzterer die Koordination und Leitung des Gesamtprojekts als Generalplaner von der ersten Leistungsphase an übernimmt. Der Entwurfsarchitekt fertigt in diesem Falle den Entwurf unter dessen Leitung an, um im Anschluss mit überwachender Funktion hinsichtlich der architektonischen und gestalterischen Qualität involviert zu bleiben. Hierbei besteht die Gefahr einer verminderten Ausführungsqualität, wenn die künstlerische Oberleitung [144] nicht beauftragt wird. • Fachplaner Tragwerksplanung und technische Gebäudeausrüstung sind fester Bestandteil eines jeden größeren Bauprojekts (zu ihrer Rolle und ihrem Einfluss s. [31] ) Durch das stetige Anwachsen des Wissens in der Geschichte des Bauens hat die Anzahl weiterer Fachplaner – darunter Innenarchitekt, Landschaftsarchitekt und Lichtdesigner – kontinuierlich zugenommen. Weitere sog. neue Akteure werden aufgrund ihrer zunehmenden Wichtigkeit gesondert vorgestellt.

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• Gutachter und Berater Zu projektspezifischen Themenfeldern können über die gesamte Planungszeit hinweg Gutachter beauftragt werden. Diese erbringen im Gegensatz zu den Fachplanern keine Planungsleistung, sondern lediglich Beratungsleistung. Einige typischerweise zum Einsatz kommende Gutachter sind: Bodengutachter, Bauhistoriker, Verkehrsplaner, Gutachter für Brandschutz, Gutachter für Wärme- und Schallschutz, Gutachter für Raumakustik. • Ämter und Behörden / Öffentlichkeit Neben der inhaltlichen Leistung der Planer sind auch externe Faktoren wie die Genehmigung durch öffentliche Ämter bzw. Behörden für den Projektverlauf maßgeblich. Die Bauaufsichtsbehörde überwacht bei genehmigungspflichtigen Bauvorhaben die Einhaltung der Bauordnung und anderer Vorschriften [171]. Weitere Parteien wie beispielsweise das Kataster- und Vermessungsamt, das Grundbuch- oder Liegenschaftsamt, das Stadtplanungsamt, die Denkmalbehörden, das Umweltamt, das Tiefbauamt und das Amt für Grünplanung können projektspezifisch involviert werden. Zudem werden die Unterlagen zur Genehmigung öffentlicher Bauvorhaben auch der örtlichen Feuerwehr und dem Amt für Brand- und Katastrophenschutz vorgelegt. Handelt es sich bei einem Bauvorhaben um ein für die allgemeine Öffentlichkeit relevantes Projekt, so werden die Pläne vor entsprechenden Gremien [118] vertreten. Hierbei kommt es nicht selten durch die festgelegten Sitzungspläne und einen abstimmungsbezogenen Diskussionsbedarf zu einer zeitlichen Verzögerung. Großprojekte der jüngsten Vergangenheit (z. B. Stuttgart 21 [297] ) zeigen auf, dass die bisherigen repräsentativen Verfahren der demokratischen Meinungsbildung nicht durchgängig zu Beschlüssen führen, die auch von Minderheiten der Bevölkerung akzeptiert werden. Eine Ausdehnung der Meinungsbildung auf Bürgerinitiativen ist die Folge. Probleme auf Prozessebene ergeben sich einerseits aus der Hinterfragung der Kompetenzen der sog. Spezialisten sowie andererseits aus der zeitlichen Verzögerung und der Frage, ob die Berücksichtigung aller Interessen letztlich zu einer erhöhten oder verminderten Qualität des Bauwerks führen würde. Großprojekte mit einer Projektlaufzeit von mehreren Jahren sind aufgrund ihrer Komplexität für den Laien in ihren systemischen Zusammenhängen inhaltlich nur schwer zu durchdringen. • Ausführende Unternehmen Der heute typische Prozess sieht eine Ausschreibung und Vergabe der Bauleistung an ausführende Unternehmen vor. Prinzipiell kommen hier zwei Varianten zum Einsatz: Zum einen kann der Bauherr die Leistungen gewerkeweise vergeben. Im Gegensatz hierzu steht die Ausführung aller gewerkeübergreifender Bauleistungen durch einen Generalunternehmer.

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Die bauausführenden Firmen besitzen Organisationsstrukturen, die dem Bauherrn und Planer weitestgehend verborgen bleiben. Die Materialbeschaffung hat beispielsweise großen Einfluss auf Zeit, Kosten und Qualität. Sogenannte Nachunternehmer spielen ggf. ebenso eine Rolle. Gegenwärtig ist zu beobachten, dass Gebäude zunehmend aus Einzelteilen zusammengefügt bzw. montiert werden [198]. Da immer häufiger in einer Art Mischverfahren aus Vorfertigung ex situ und Bauen in situ gebaut wird, sind die Abhängigkeiten und Wechselbeziehungen zwischen diesen Akteuren zu berücksichtigen. Das Prinzip der sog. Lean Construction [139] fördert diese Entwicklung.

Die »neuen Akteure« In den letzten Jahren ist die Zahl der im Prozess Beteiligten stetig angestiegen. Im Folgenden werden diese als »neue Akteure« bezeichnet und anhand ihrer Verknüpfungen untereinander sowie in Bezug auf ihren jeweiligen Einfluss innerhalb des Prozesses vorgestellt: • Fassadenplaner Der Fassadenplaner befasst sich mit den konstruktiven, technischen und bauphysikalischen Eigenschaften der Gebäudehülle. Die Gebäudehülle ist eines der komplexesten Bauelemente, da sie eine Vielzahl unterschiedlichster Funktionen zu erfüllen hat. Neben den gestalterischen Aspekten, die besonders durch nichtstandardisierte Geometrien und die Verwendung neuer Medien spezialisierte Kenntnisse erfordern, sind dies insbesondere bauphysikalische Anforderungen. Diese Kombination übersteigt die bisherigen Kompetenzen der reinen Bauphysik, der technischen Ausrüstung oder des Fassadenherstellers. Aufgabe des Fassadenplaners ist es somit, die gestalterischen Ideen des Architekten mit den bauphysikalischen, fertigungs- und bauablaufbezogenen Aspekten der technologischen Seite zu verknüpfen. Die Nachfrage des Bauherrn nach sog. Medienfassaden oder automatisierten Lichtinstallationen kann darüber hinaus dazu führen, dass die traditionell beim Architekten verortete Gestaltung des Stadtbildes von hierauf nicht spezialisierten Akteuren übernommen wird. Die Trennung der Vergabe von Leistungen bezüglich der Planung des Gebäudes und solchen, die die Fassade zum Inhalt haben, führt zu einer weiteren Differenzierung und Fragmentierung der Architektur. Die Tatsache, dass ein großer Teil der Wartungskosten eines Gebäudes während seiner Nutzung ebenfalls auf die Fassade zurückzuführen ist, macht die Vergabe an spezialisierte Anbieter, die in engem Kontakt zu den ausführenden Firmen stehen, für Bauherren und das Facility Management umso attraktiver. Ganzheitlich konzipierte Architektur entsteht auf diesem Wege jedoch nicht.

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• Nachhaltigkeitsberater Zunehmend komplexe Anforderungen im Kontext der Planung nachhaltiger Gebäudekonzepte haben zur Entstehung hierauf spezialisierter Berater und Fachplaner geführt. Sie wirken zunehmend darauf hin, Gebäude zu entwickeln, die den international anerkannten Zertifizierungssystemen für nachhaltiges Bauen entsprechen. Hierbei kann es sich um technische Teilleistungen der TGA oder um umfassende planerische und beratende Tätigkeiten handeln, die unter anderem eine Lebenszyklusanalyse bzw. eine Ökobilanzierung zum Inhalt haben. Der Simulationstechnik kommt in der Nachhaltigkeitsplanung ebenso eine wichtige Rolle zu. Die Analyse und Berechnung von solaren Energiegewinnen oder Wärmetransmissionsverlusten sind neben vielen weiteren Aspekten Gegenstand solcher Simulationen. In diesem Kontext sind Unternehmen entstanden, die den Bauherrn beraten und den Architekten auf dem Weg zur Zertifizierung mit ihrem Know-how unterstützen. • Auditor Durch Weiterbildungsmaßnahmen der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) sind in den letzten Jahren in Deutschland sog. Auditoren entstanden. »Nur durch sie« und durch ihre mit dem Titel DGNB-Auditor verkörperte Qualifikation »kommt eine […] Zertifizierung zustande« [77]. Wenngleich sie keine planende Tätigkeit ausüben, begleiten sie den Prozess im Idealfall von Anfang an, um die notwendigen Schritte hin zu einer Zertifizierung frühzeitig abzufragen. Das geschieht oftmals durch eine Vorzertifizierung, die aus Sicht der Immobilienvermarktung wichtig ist. Denn neben dem positiven Effekt für die natürliche Umwelt führt ein Zertifikat auch zu einer Wertsteigerung der Immobilie. Des Weiteren ergibt sich ein positiver Imageeffekt für die beteiligten Firmen. Da diese ihre unternehmensinternen Qualitätsstandards zunehmend selbst zertifizieren lassen (z. B. durch eine ISO- oder eine ICG-Zertifizierung), kann sich eine Gebäudezertifizierung letztlich auch positiv auf die sog. Corporate Social Responsibility (CSR) auswirken. • Geometrieplaner Durch die Zunahme komplexer computergenerierter Geometrien entstand in den letzten Jahren ein Kompatibilitätsproblem an der Schnittstelle zur Realisierung: »Powerful software tools allow the exploration of non-standard forms with intuitive user interfaces and hide the complexities of blobs, twists and folds during design. But when it comes to the precise realization of those shapes, the complexity is back.« [76] Da die Bauindustrie mit den Entwicklungen der IT-Branche nicht Schritt hält und den Planern das notwendige Know-how im Bereich von Programmierung und Mathematik fehlt, befassen sich neu entstandene Geometrieplaner mit der Übertragung der Information des Architekten in parametrische CAD-Modelle,

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was eine Übersetzung in die Sprache der Fertigungsunternehmen und deren CAMMaschinen ermöglicht. Ihre Tätigkeit schließt die häufig problematische Lücke zwischen Planung und Ausführung. Hierdurch entstehen neue Erkenntnisse, weil anders als bei typischen Vergabeverfahren frühzeitig Kontakt zu Herstellern aufgenommen werden muss, um deren technologische Möglichkeiten der Planung zugrunde legen zu können. Die logistischen Vorgänge werden hierbei ebenfalls berücksichtigt und haben im Umkehrschluss einen großen Einfluss auf den Entwurf, die Planung und die Fertigung. Das Know-how der Fertigung wird also zu einem Zeitpunkt in den Prozess integriert, der weit vor der gängigen Vergabepraxis liegt. • Value Engineering Das Value Engineering (VE) befasst sich mit einem Verfahren, das zu einem recht späten Zeitpunkt der Planung die bisher erarbeiteten Lösungen hinsichtlich nur eines Faktors – der Wirtschaftlichkeit – überprüft. Ähnlich wie die Verwendung des Terminus Value hierbei lediglich auf die messbaren Werte in Bezug auf die Kosten abzielt, entspricht auch der Terminus Engineering nicht dem allgemeinen Verständnis im Sinne eines Entwerfens bzw. Berechnens von Tragwerkslösungen. Durch dieses Vorgehen besteht prinzipiell die Gefahr, dass zuvor erarbeitete Lösungen Optimierungsmaßnahmen zur Steigerung der Kosteneffizienz unterzogen werden, welche die architektonische und gestalterische Qualität sowie die Qualität der Nachhaltigkeit des Gebäudes ggf. mindern. • BIM-Manager Ein sog. BIM-Manager ist ein IT-Experte, der sich bei einem BIM-unterstützten oder BIM-basierten Prozess ausschließlich der Pflege des virtuellen Gebäudemodells bzw. digitalen Bauwerkmodells widmet. Durch die Möglichkeit der Bearbeitung des virtuellen Modells durch eine Vielzahl von Akteuren sowie die entstehende Datenmenge kann es prinzipiell zu Komplikationen mit dem Modell an sich kommen. Diese versucht der BIM-Manager zu verhindern, indem er beispielsweise die Änderungen der Beteiligten kontrolliert, die hinterlegten Datenbanken pflegt und ggf. auftretende Probleme behebt. Er ist hierbei lediglich für die Aspekte der IT verantwortlich und übt keinen fachlichen Einfluss auf das Projekt aus. Über die Kontrollfunktion ergeben sich allerdings indirekt große Einflussmöglichkeiten. Darüber hinaus führt die digitale Kontrolle zu einer bisher nicht gekannten Überwachung der Akteure, wodurch es wiederum zu Misstrauen und vorzeitigen Absicherungsmechanismen zur Beweissicherung im Hinblick auf potenzielle Streitigkeiten kommen kann. Das Innovationspotenzial und die Qualität des Prozesses könnten somit zwar steigen, die Fähigkeit der Akteure, auf Produktebene zu innovieren, letztlich aber auch sinken.

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• Jurist bzw. Adjudikator Das von Werner und Pastor

[325] als »kaum noch zu überblickende Spezialmaterie« umschriebene Baurecht stellt für Juristen ein wichtiges Betätigungsfeld dar. Je größer die Komplexität des Bauens, desto umfangreicher sind die Vertragswerke. Je unübersichtlicher die Zusammenhänge und je unsicherer die Abschätzung von Risiken, desto größer ist das Potenzial für Streitigkeiten. Aufgabe der Juristen ist es, diese im Sinne der Beteiligten zu lösen bzw. zu schlichten. Darüber hinaus etablieren sich auf europäischer Ebene seit einigen Jahren sog. ADR-Verfahren (Alternative Dispute Resolution), die ihren Ursprung im angelsächsischen Rechtskreis haben. Durch »Instrumente außergerichtlicher Streitbeilegung« sollen hierbei »Konflikte privatautonom schnell und kostengünstig« beigelegt werden [236] (vgl. auch SOBau [272]). Unterschiedliche außergerichtliche Verfahren werden im Zuge von ADR von einem »neutralen Dritten […] ohne […] abschließende Entscheidungsgewalt« geleitet [125]. Pezold [236] äußert den Verdacht, dass hierdurch »Selbstalimentierungstöpfe« generiert werden. Sogenannte Adjudikatoren müssen zudem bislang keine gesonderte Qualifizierung nachweisen. Für den Prozess im Bauen am wichtigsten erscheint jedoch die Tendenz, dass ADR-Verfahren zukünftig baubegleitend durchgeführt werden sollen [41]. Juristen werden in Zukunft nicht mehr nur im konkreten Konfliktfall als externe Rechtsvertreter durch einzelne am Bauen fachlich Beteiligte zurate gezogen, sondern fester Bestandteil des Planungsteams werden. Diese zu beobachtende Entwicklung könnte einerseits Vorteile im Hinblick auf die Vermeidung von Rechtsstreitigkeiten bewirken – auch durch das Verfahren der Mediation [130]; das Vertrauen innerhalb des Teams könnte gestärkt werden. Andererseits besteht die Gefahr, dass die kontrollierenden Anteile solche der gestaltenden Planung zunehmend dominieren, was einem partnerschaftlichen Ansatz der gegenseitigen Wertschätzung psychologisch entgegenwirken könnte.

3.3 EXTRAKTION DER ERKENNTNISSE Explizite und implizite Leistungsprobleme Die durch die fragmentierte Prozessgestaltung erzeugte Problematik setzt sich aus zwei Komponenten zusammen: Direkt aus der HOAI ableitbare Mängel werden hierbei als explizite Leistungsprobleme bezeichnet. Hieraus ergeben sich indirekt auf systemischer Ebene Folgeerscheinungen, welche als implizite Leistungsprobleme bezeichnet werden. Im Folgenden werden die wichtigsten Zusammenhänge erläutert und in acht Problemfelder eingruppiert:

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• Zeitliche Limitierung Der abgebildete Prozess ist zeitlich auf einen nur sehr begrenzten Rahmen innerhalb des gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes limitiert. Phasen vor der Beauftragung des Architekten, wie die Ablaufplanung sowie die BOL-Phase, bleiben hierbei ebenso unberücksichtigt wie die auf die Objektübergabe folgenden Phasen der Nutzung, Umnutzung und des EOL. Den Planern kann somit bei Auftragserteilung nicht vollumfassend bewusst sein, welche BOL-Phasen die von ihnen eingeplanten Materialien zuvor durchlaufen und welche Auswirkungen diese auf das Ökosystem des Planeten haben. Ebenso können sie diese für die nachgelagerte Nutzungs-, Umnutzungs- und EOL-Phase nur begrenzt absehen. Sogenannte Lebenszyklusbetrachtungen werden heute als Methode verwendet, um hierauf zu reagieren. Sie sind allerdings bisher nicht im Planungsprozess verankert, sondern stellen lediglich eine »Beratungsleistung« oder eine besondere Leistung dar, deren Beauftragung wiederum vom Bauherrn abhängt. Überdies können Lebenszyklusbetrachtungen auch bei Beauftragung die mitunter negativen Folgen nur bedingt abmindern, da systemisch maßgebliche Aspekte wie beispielsweise Abschreibungsmodelle von Investoren oder das Fehlen einer etablierten Produktverantwortung einer nachhaltigen Entwicklung im Wege stehen. Zukünftig sollte somit der Prozess im Bauen ausgedehnt und den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes umfassen, um durch die Verantwortung der Akteure positive Anreize zu generieren. • Zweiteilung durch Vergabe Der Prozess nach HOAI ist formal in zwei Teile gegliedert: Die Ausschreibung und Vergabe stellen eine Barriere dar, die zwischen den vorgelagerten Phasen der Planung und der nachfolgenden Ausführung steht und einen prozessualen Bruch entstehen lässt. Verschiedene ausführende Unternehmen geben ihre Angebote für einen gewissen Leistungsumfang ab, auf dessen Inhalt sie allerdings keinen Einfluss haben können. In der Folge erhält in der Regel der Bieter mit dem preisgünstigsten Angebot den Zuschlag – eine verminderte Qualität und eine spätere Kostensteigerung sind meist die Folge. Erste Ansätze von Verfahren, die vermehrt den Lebenszyklus des Bauwerks berücksichtigen, existieren allerdings bereits [20]. Zudem muss im Zuge der Angebotsabgabe ein über eine große Zeitspanne erarbeiteter Planungsstand innerhalb nur weniger Wochen durch die Bieter gesichtet und verstanden werden. Die der Aufgabe zugrunde liegende Komplexität kann hierbei oft nicht vollständig analysiert werden. Ein aktives Eingreifen der Bieter in den Entwurf durch die Abgabe sog. Nebenangebote, die das Ziel der Kostenminimierung verfolgen, kann überdies auf die Qualität des Gebäudes negativen Einfluss haben. Das Know-how der ausführenden Firmen sowie der Produkt- und Maschinenhersteller müsste zukünftig während des Entwurfsprozesses integriert werden, um den Bruch zwischen Theorie und Praxis zu eliminieren.

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Gemäß der industriellen Denkweise müssen Architekten heute frühzeitig auf Herstellerangaben und Produktangebote zurückgreifen, die standardisierte Abmessungen und Preise vorgeben, um eine Realisierung ihrer Ideen gewährleisten zu können. Dieser Umstand prägt die gebaute Umwelt. Setzt sich der Architekt hierüber hinweg, so übersteigen die Kosten zur Realisierung eventuell den zuvor definierten Rahmen. Durch Forschung und Entwicklung im Bereich der Bautechnik wird daher versucht, diese Kosten zu senken – zumeist allerdings ohne Beteiligung der Architekten. Eine frühzeitige Zusammenarbeit könnte beide Probleme systemisch lösen, ohne jedoch die Standardisierung zu erhöhen. • Relevanz der frühen Phasen Während der ersten beiden Leistungsphasen besteht das größte Potenzial, auf die Kostenentwicklung innerhalb des weiteren Prozessverlaufs sowie über den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes Einfluss zu nehmen. Die Wirtschaftlichkeit kann maßgeblich »nur in einem frühen Stadium, nämlich der Bedarfsplanung und der Bauplanung beeinflusst werden« [326]. Diese Feststellung lässt sich auf die Faktoren der Nachhaltigkeit übertragen. Einer Grundlagenermittlung und Vorplanung, die dies berücksichtigt, stehen jedoch folgende Faktoren im Wege: Erstens ist es aufgrund der geringen Vergütung von 10 Prozent des Gesamthonorars sowie des entsprechend kurzen Zeitrahmens dem Architekten nicht immer möglich, alle relevanten Parameter zu analysieren und adäquate Lösungen zu finden. Zweitens ist in diesen frühen Leistungsphasen in der Regel ein hierfür ausreichend kompetentes und interdisziplinär zusammengesetztes Planungsteam noch nicht installiert. Ein der Vielfalt und Komplexität der Aufgaben entsprechendes Know-how kann bei der Architektenschaft alleine allerdings nicht vorliegen, was unter anderem auf die zunehmende Spezialisierung der Berufe zurückzuführen ist. Drittens sind die frühen Phasen oft nicht ausreichend definiert; sie verfügen über einen sehr geringen Organisationsgrad. Die Akquisition oder auch Wettbewerbsverfahren ersetzen diese oft gänzlich. Der Entwurf entsteht somit unter hohem zeitlichen Druck bei gleichzeitig geringem oder keinem Honorar. Die Ergebnisse werden zwar oft aufgrund ihrer architektonischen Gestalt zelebriert, unterliegen aber nicht durchgängig einer umfangreichen Überprüfung hinsichtlich ihrer nicht zu visualisierenden Werte. Verfügt der Architekt über ein eigenes Netzwerk an Fachplanern, die ihn unterstützen, so ist dies von großem Vorteil. Die Wettbewerbsregeln sehen oft allerdings nur eine direkte Beauftragung des Entwurfsverfassers vor. Dieses Vorgehen entspricht überkommenen Hierarchieverhältnissen. Bestellt der Auftraggeber nach der Wettbewerbsphase neue Fachplaner, so leidet die Kontinuität des Prozesses. Erneute Einarbeitungszeiten und ein erhöhter Abstimmungsaufwand der bisher fremden Parteien führen zu Reibungsverlusten.

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Überdies ist zu beobachten, dass sich Bauherren bei Großprojekten zunehmend marktseitig hinsichtlich ihrer Zielformulierung beraten lassen, noch bevor sie einen Architekten beauftragen. Die Marketingbranche besetzt in diesem Zusammenhang eine Schlüsselrolle: Während es Aufgabe des Architekten ist, die Lebenswelt der Menschen vorausschauend zu gestalten, also ein Idealbild der Zukunft zu entwerfen [279], ist das Marketing bemüht, Garantien für den finanziellen Erfolg eines Projekts bereitzustellen. Eine grundsätzlich andere – sich aus der Vergangenheit seine Berechtigung sichernde – Zielformulierung ist somit dem auf die Zukunft gerichteten Wirken des Architekten vorgeschaltet. • Spezialisierungstendenzen Während die frühen Leistungsphasen vor allem durch entwerferische und planerische Aufgaben gekennzeichnet sind, werden während der Ausführungsplanung und Objektüberwachung vertiefte Kenntnisse der bautechnischen Abläufe gefordert. Die Fähigkeit des jeweiligen Architekten, kreativ-planerische und auch kontrollierend-überwachende Tätigkeiten durchführen zu können, definiert die Qualität des Phasenübergangs. In vielen Teilen der EU sowie in den USA hat umgekehrt bereits eine Zweiteilung des Architektenberufs aufgrund dieser Diskrepanz stattgefunden. Eine enge Zusammenarbeit des entwerfenden und überwachenden Akteurs sollte hierbei allerdings über den gesamten Prozessverlauf existieren. Das Entstehen neuer Expertenberufe und die Aufsplittung in entwerfende und ausführende Planungsbüros sowie umgekehrt die Integration immer größerer Kompetenzfelder innerhalb einzelner Organisationen, finden durch die Betrachtung der Fachplaner in summa keinen Widerhall im heutigen Prozessverlauf. Die mit dem Anwachsen des Planungsteams einhergehenden Management-, Koordinations- und Teambildungsaufgaben finden bis heute weder in der Ausbildung noch in der Vergütung oder der Zeitplanung ihre entsprechende Berücksichtigung. Zudem setzt sich das Team meist bei jedem Projekt neu zusammen, was die Koordination und Gestaltung der Teambildung erschwert. • Verzögerungen durch Genehmigung Beim Übergang von einer Phase in die nächste, z. B. während der Genehmigung, kann es prinzipiell zu Verzögerungen kommen. Insbesondere bei Aufträgen der öffentlichen Hand lassen solche bei den Planern oft einen gewissen Leerlauf entstehen. In Deutschland gelten darüber hinaus länderspezifische Richtlinien über die Plandarstellung zur Genehmigung. Eine Vereinheitlichung, wie sie bei der europäischen Normung gegenwärtig vollzogen wird, erscheint hier sinnvoll. Vorschriften der Bauordnungen (z. B. Abstandsflächen) sowie die Kostenberechnung nach Kostengruppen (z. B. Wände oder Decken) sind überdies durch ihre Zweidimensionalität nicht ohne Weiteres auf neue z. B. organische Formen anzuwenden und bedür-

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fen daher einer grundsätzlichen Überarbeitung. Das Ergebnis sollte eine erhöhte Kompatibilität mit den heutigen digitalen Planungsmethoden ermöglichen. Das Genehmigungsverfahren sowie die Dokumentation einer jeden Phase könnten beispielsweise durch die Zulassung dreidimensionaler virtueller Gebäudemodelle zukünftig vereinfacht werden. • Linearität des Prozesses Die lineare Abfolge der einzelnen Leistungen führt während der Planungs- und Bauphase regelmäßig zu Verzögerungen. Grund sind neben Schlechtwetterperioden vor allem Probleme beim Vergabeverfahren mit sich daran eventuell anschließenden Gerichtsverfahren, Lieferengpässen sowie Insolvenzen einzelner Firmen. Verzögert sich die Arbeit eines Gewerks, so kann das darauffolgende seine Tätigkeit nicht termingerecht beginnen. Entsprechende Verzögerungen ziehen sich durch die gesamte Prozesskette. Probleme an den Schnittstellen der Disziplinen bestehen ebenso auf der Seite der Planer durch die Verwendung unterschiedlicher Software und inkompatibler Dateiformate. Hierdurch entstehen ein erhöhter Abstimmungsaufwand, ggf. ein Verlust von Information sowie Fehler bei der Kommunikation bzw. Interpretation von Informationen. Durch die Vereinheitlichung der Datenformate respektive eine durchgängige Kompatibilität zwischen den zur Anwendung kommenden Programmen könnte dies behoben werden. • Anreizsysteme Um das Bauen kostengünstiger zu gestalten, sieht die HOAI eine Bonusklausel in Prozent des vorab festgelegten Honorars vor, falls die im Werkvertrag einvernehmlich festgelegten anrechenbaren Kosten unterschritten werden; Voraussetzung hierfür ist, dass eine solche Kostenunterschreitung auf einer »Ausschöpfung technisch-wirtschaftlicher oder umweltverträglicher Lösungsmöglichkeiten« beruht. Da die Errichtung eines Bauwerks allerdings nur ca. 15 Prozent der gesamten Kosten über den Lebenszyklus des Gebäudes hinweg ausmacht [179], erscheint dieser Anreiz sowohl hinsichtlich der Lebenszykluskosten als auch in Bezug auf die Qualität der gebauten Umwelt als zu kurzsichtig. Eine Malusregelung ist bei Überschreiten der vereinbarten Summe ebenfalls vorgesehen. Da hierfür allerdings keine Einschränkungen existieren, besteht die Gefahr, dass der Architekt auch dann mit einem verminderten Honorar rechnen muss, wenn die Ursache hierfür außerhalb seines Einflussbereichs liegt. Während diese Regelungen auf eine Kostensenkung hinwirken, könnten durch Bonuszahlungen hingegen auch Anreize für die Planer geschaffen werden, eine nachhaltige Entwicklung im Bauen voranzutreiben. Planungen, die beispielsweise ein über das gesetzlich geregelte Maß energieeffizientes oder ressourceneffizientes Gebäude hervorbringen, könnten so gezielt gefördert werden.

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Durch die Dreiteilung der Aufgaben in Leistungen, Beratungsleistungen und besondere Leistungen entsteht zudem für den Auftraggeber kein verordnungsrechtlicher Impetus, solche Leistungen anzufordern, welche über eine »ordnungsgemäße Erfüllung eines Auftrages im Allgemeinen« [145] hinausgehen. Ob Beratungsleistungen oder besondere Leistungen durchgeführt werden, hängt somit weniger von der Kompetenz der Planer ab als vielmehr von dem Willen eines Auftraggebers, solche zu vergüten. Im Zuge einer nachhaltigen Entwicklung sollte erwogen werden, Umweltverträglichkeitsstudien sowie die Belange der Bauphysik und erhöhte Maßnahmen zur energetischen Optimierung verpflichtend einzuführen bzw. die jeweiligen gesetzlichen Regelungen anzupassen, um Innovationen zu fördern. • Preiswettbewerb Da »bindendes Preisrecht« [145] der EU-Dienstleistungsrichtlinie [248] widerspräche, ist durch die Einschränkung des Anwendungsbereichs der HOAI auf deutsche Architektur- und Ingenieurbüros eine sog. Inländerdiskriminierung entstanden. Dieser Missstand ist auch in der Novellierung von 2013 enthalten [314]. Es ist hierdurch zu befürchten, dass eine Wettbewerbsverzerrung zugunsten preiswerterer Dienstleistungsanbieter aus dem europäischen Ausland langfristig zu einer verminderten Qualität der gebauten Umwelt führt. Die VOB [314] schreibt hingegen auf der Ebene der Produzenten vor, ortsnahe Unternehmen bei der Vergabe zu begünstigen. Hieraus ergibt sich eine Schwächung des Wettbewerbs, was eine Verminderung der Innovationsanreize bedeuten kann. Die Festlegung, dass die Vergabe sich nach den »ortsüblichen Kosten« richten soll, negiert die Realität der Globalisierung. Diese Einschränkung aufseiten der Ausführenden steht der wettbewerbsfördernden Ausweitung im Zuge der sog. Inländerdiskriminierung aufseiten der Planenden diametral entgegen. Folgende Ziele wurden dem Verordnungsgeber 1996 durch den Bundesrat für die Überarbeitung der HOAI auferlegt: systemkonforme Vereinfachung, transparentere Gestaltung, Bürokratieabbau, flexiblere Gestaltung, stärkere Anreize zum kostengünstigen und qualitätsbewussten Bauen [325]. Die Ambition eines qualitätssteigernden und innovationsfördernden Bauens, welches den Fortschritt der Branche eventuell begünstigt hätte, wurde hingegen nicht formuliert – auch zwischen 2009 und 2013 lag der Fokus der Überarbeitung auf den Themenschwerpunkten Termine und Kosten. • Architektonische und künstlerische Aspekte In der Summe stellen die genannten Leistungsprobleme ein Hemmnis auch auf architektonischer bzw. künstlerischer Ebene dar. Der Wert von Architektur in dem Sinne, dass die gebaute Umwelt maßgeblich das alltägliche Leben des Menschen prägt und ihre Qualität daher nicht nur aus technischer, sondern zudem aus archi-

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tektonischer bzw. künstlerischer Sicht beurteilt werden sollte, wird in der HOAI nicht berücksichtigt. Die oben aufgelisteten Probleme haben somit eine direkte negative Auswirkung auf die architektonische Qualität der gebauten Umwelt. Mit der Davos Declaration wurden 2018 jedoch erste Weichen gestellt, die kulturellen Qualitätsanforderungen mit den ökonomischen und technischen Interessen gleichzustellen [74].

Systematische und systemische Kategorisierung In → Abb. 7 werden die Problemfelder zusammengefasst und den kritischen Leistungsphasen 1, 4, 7 und 9 zugeordnet. Diese Probleme sind zusammenfassend für die Entwicklung einer Strategie zur Prozessneugestaltung von besonderer Relevanz. Sie zeigen die Wichtigkeit der ersten Phase sowie vorgelagerter Entscheidungsfindungsprozesse, die noch den Charakter einer Ablaufplanung besitzen, sowie die Relevanz der letzten Phase im Hinblick auf die Nutzung und EOL-Phase auf. Zudem werden durch die Benennung der Schwachstellen in LP 4 und LP 7 die zwei wichtigsten Schnittstellenprobleme deutlich, die eine Trennung des theoretischen vom praktischen Teil manifestieren. Die Leistungsprobleme der HOAI lassen sich im Abgleich mit den bereits erarbeiteten theoretischen Grundlagen in folgende fünf übergeordnete Kategorien einordnen, die den Istzustand im Bauen heute in seinen systemischen Zusammenhängen charakterisieren: • Sequenzielle Prozesse: Dienstleister vs. Produzenten In der HOAI werden die Prozesse vereinfacht sequenziell dargestellt. Es wird davon ausgegangen, dass die Planung eines Gebäudes einer strikten linearen Kette von Entscheidungen folgt, dargestellt durch sog. Phasen, an deren Ende jeweils ein Abschluss erfolgt, der benötigt wird, um mit der nächsten Phase zu beginnen. Diese Denkweise entspricht nicht der komplexen Realität des Prozesses im Bauen, bei dem es sich um eine Struktur vernetzter, iterativer Prozesse handelt. Die durch die HOAI und durch die gegenwärtige Praxis der Ausbildung von Architekten und Ingenieuren geförderte Trennung von Entwurf und Ausführung manifestiert diesen Mangel. Das Know-how der ausführenden Firmen wird im Zuge der Ausschreibung und Vergabe zu einem Zeitpunkt abgefragt, zu dem die Beeinflussbarkeit nicht nur der Kosten, sondern auch der architektonischen Qualität sowie der Qualität der Nachhaltigkeit gering ist – anstatt das Wissen von vornherein in die Planung zu integrieren. Das Verfahren zu Ausschreibung und Vergabe steht somit einem innovationsfördernden Handeln der Akteure im Wege.

TEIL II 86

TEAMQUALITÄT

VERTRAGSGESTALTUNG GRAUE ENERGIE

RISIKOMANAGEMENT

BAUHERR

ÖFFENTLICHKEIT

TEAMBUILDUNG

HIERARCHIE KOMMUNIKATION

LP 4

LP 3

ZEITMANAGEMENT

VALUE ENGINEERING

OBJEKTBETREUUNG

MÄNGELBESEITIGUNG

WERKSTATTZEICHNUNGEN KOMMUNIKATION

STANDARDISIERUNG

BAUMASCHINEN

ENTWURFSARCHITEKT

NUTZUNG ENERGIEEFFIZIENZ UMNUTZUNG SANIERUNG

AUSFÜHRUNGSARCHITEKT

UNSICHERHEIT

INSOLVENZEN

END OF LIFE RECYCLING

LP 7 LP 8

ALTERNATIVEN

PREISWETTBEWERB

BÜROKRATIE

LP 6

POLITISCHE GREMIEN

WETTBEWERBE

LP 1 LP 2

AUSFÜHRUNG AUSSCHREIBUNG

LP 5

SKIZZE

ROHSTOFFE

PLANUNG

GENEHMIGUNG

Abb. 7: Übersicht der Probleme nach Leistungsphasen

• Fragmentierte Prozesse: Wirtschaften statt Wertschöpfen Der gegenwärtige Planungs- und Bauprozess ist in zweierlei Hinsicht fragmentiert: zum einen innerhalb des durch die HOAI betrachteten Prozessrahmens, zum anderen findet sich die Fragmentierung an den Schnittstellen der Phasen wieder. Die aus der Spezialisierung entstandene Vielzahl der fachlich Beteiligten und prozessbegleitenden Akteure hat eine Fragmentierung der Arbeiten zur Folge. Leistungsprobleme entstehen an den Schnittstellen dieser Bereiche sowohl auf zwischenmenschlicher als auch auf datentechnischer Ebene. Die Kommunikation von Information wird hierdurch behindert, was sowohl die Effizienz als auch die Effektivität des Prozesses negativ beeinflusst. Obschon die Phasenübergänge innerhalb des Prozesses der HOAI große Schwierigkeiten bereiten, ist insbesondere die Nichtbeachtung der prozessvorgelagerten und prozessnachgelagerten Phasen problematisch. Zu diesen gehören die BOL-, Nutzungs- und EOL-Phasen, die maßgeblich für den Ressourcen- und Energieverbrauch sowie die Produktion von Emissionen und Abfällen verantwortlich sind. Wenngleich im Zuge von Lebenszyklusbetrachtungen hierauf eingegangen werden kann, lassen sich weitreichendere Schritte nur durch die ganzheitliche Berücksichtigung des gesamten Prozesses im Bauen erzielen. Die Schaffung von Anreizen sowie die Ausdehnung von Verantwortlichkeiten spielt für eine ganzheitliche Wertschöpfung, die materielle und soziokulturelle Werte einbezieht, eine große Rolle.

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LP 9

ENTWURF VORBEREITUNG

• Hierarchische Prozesse: Risiko der Entscheidungsfindung Während die antike Doppeldeutigkeit der Termini Kunst (lat.: ars) und Technik (gr.: techne) aufzeigt, dass ursprünglich die Begriffe »gleichermaßen Kunst und Handwerk bezeichnen konnten« [257] und somit auf die »Unteilbarkeit der Baukunst« [270] verweisen, setzen sich heutige Projektteams aus einer Vielzahl von Spezialisten mit höchst divergierenden Kompetenzen und Zielen zusammen. Um eine nachhaltige Entwicklung des Bauens zu verwirklichen, müssen diese Grenzen der Disziplinen zukünftig überwunden werden. Die am Prozess im Bauen fachlich Beteiligten sollten daher fortan wertfrei als Partner betrachtet werden, die zum Zwecke des Erreichens eines gemeinsamen Ziels ihre Aufgaben wahrnehmen. Durch eine teamorientierte Kooperation können der Suchraum einer optimalen baulichen Lösung und parallel das Spektrum der möglichen Entwurfs- und Planungsschritte erweitert werden. • Mechanistische Prozesse: Denken in Leistungsphasen Die heutige Prozessstruktur folgt in ihrer Denkweise einem sog. Maschinenmodell. Es wird dabei davon ausgegangen, dass bei gegebenem Input eine exakte Vorhersage über den Zeitpunkt und Inhalt des Outputs möglich ist. Die Komplexität im Bauen lässt jedoch erkennen, dass die Unvorhersehbarkeiten zugenommen haben. An die Stelle des mechanistischen Denkens, das die Abläufe der Fließfertigung auf die theoretischen Aspekte der Planung anwendet, muss zukünftig ein Denken treten, das die komplexen Wechselwirkungen im Bauen und seine Abhängigkeit sowie Auswirkungen auf die Rahmenbedingungen bzw. die Umwelt im Allgemeinen zu integrieren vermag. Das objektbezogene Denken ist für die gegenwärtigen Herausforderungen nicht mehr geeignet. Wenn nicht länger die Fertigstellung eines Bauwerks das Ziel des Wertschöpfungsprozesses ist, sondern die materiellen und immateriellen Qualitäten der gebauten Umwelt im Hinblick auf den Lebenszyklus betrachtet werden, müssen vermehrt die Zusammenhänge zwischen Ursache und Wirkung über Disziplin- und Phasengrenzen hinweg Berücksichtigung finden. Durch die Digitalisierung bestehen heute Methoden, um die Interdependenzen systemisch zu begreifen und ein zukünftiges Denken hieran auszurichten. • Industrielle Prozesse: Limitierung durch Rationalisierung Die Industrialisierung des Bauens äußert sich in industriellen Prozessen und Rationalisierungsmaßnahmen, die dazu geführt haben, dass das Bauen heute im Prinzip ein Bauen mit Systemen ist. Bauwerke werden zunehmend aus vorgefertigten, standardisierten Elementen zusammengebaut, die der Entwerfende bereits zu Beginn berücksichtigen sollte, um wirtschaftlich arbeiten zu können. In der Folge entsteht allerdings ein verminderter Innovationsanreiz aufseiten der Ausführenden, da diese nicht mehr auf zunächst als nicht realisierbar geltende oder

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Ineffizienzen auf Prozessebene hervorrufende Ideen reagieren müssen. Durch die sog. Mass Customization und die Schließung der digitalen Datenübermittlung vom Entwurf bis zur Realisierung bestehen heute Methoden, höchst individuelle Entwürfe zu realisieren. Wird der Fokus weg von den industriellen Prozessen der Vergangenheit und hin auf die digitalen Prozesse der Zukunft gerichtet, kann das Innovationspotenzial der gesamten Branche steigen und zukünftig nicht mit System, sondern im System gebaut werden.

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TEIL I 90

4  |  DEFINITION DES SOLLZUSTANDS

Auf Grundlage der Identifikation von Schwachstellen im heutigen Prozess im Bauen erfolgt im Folgenden eine Herleitung der Definition des anvisierten Sollzustands, um den entsprechenden Handlungsbedarf auf Prozessebene definieren zu können. Die Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung steht dabei im Fokus der Zielsetzung. Vorhandene Ansätze wie die der Effizienz, Permanenz, Suffizienz und Resilienz sowie der Substitution werden dargelegt und überprüft. Letztlich werden als holistischer Ansatz das vollrezyklierbare Bauen vorgestellt und dessen wichtigsten Inhalte erläutert.

4.1 ANFORDERUNGEN AN DAS BAUEN DER ZUKUNFT Im Folgenden werden die Anforderungen an einen zukünftigen Sollzustand im Bauen formuliert, um den entsprechenden Handlungsbedarf auf Prozessebene definieren zu können. Die Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung steht dabei im Fokus der Zielsetzung. Die in diesem Kontext gegenwärtig bestehenden Herausforderungen lassen sich ganzheitlich nur durch ein Anheben des Innovationspotenzials im Bauen bewältigen.

Fragmentarische Ansätze der Nachhaltigkeit Zunächst werden fünf bestehende Ansätze, die zu einer nachhaltigen Entwicklung beitragen sollen, vorgestellt und kritisiert. Aufgrund der drei Dimensionen der Nachhaltigkeit [2] muss Berücksichtigung finden, dass Handlungsempfehlungen in Bezug auf das sog. neue Paradigma (Rohstoffe, Recycling, Emissionen) unter Umständen Auswirkungen auf das sog. alte Paradigma (Kosten, Zeit, Qualität) [70] haben können, die den gesamtgesellschaftlichen Inhalten einer nachhaltigen Entwicklung zuwiderlaufen. • Effizienz Bei Energie- und Ressourceneffizienzmaßnahmen handelt es sich um Übergangslösungen: Durch eine Verringerung der eingesetzten Ressourcen beeinflussen sie die negativen Auswirkungen zwar positiv, beheben aber die Ursachen eines in sich fehlerhaften Systems nicht. Zudem kann es beispielsweise durch das Verbessern der Energieeffizienz eines Gebäudes auf der Ebene der Ressourcennutzung zu einer Verschlechterung kommen, indem durch zusätzliches Dämmmaterial während der BOL-Phase mehr Material erzeugt sowie Wasser und Energie verbraucht werden oder am EOL-Punkt ein erhöhtes Mischabfallaufkommen entsteht. Durch solche sog. Rebound-Effekte kann die Entropie an anderer Stelle zunehmen [165]. Des Weiteren steht infrage, ob das Prinzip der Effizienz im Rahmen des heutigen Wirtschaftssystems letztlich nicht auch negative Folgen für die Produzenten haben könnte, da weniger Material- und Energieverbrauch in der Regel auch weniger Umsatz bedeuten. • Permanenz Unter Permanenz wird in diesem Zusammenhang die Dauerhaftigkeit bzw. Langlebigkeit von Gebäuden verstanden. Es wird dabei davon ausgegangen, dass Gebäude besonders nachhaltig sind, wenn sie über eine möglichst maximale Zeitspanne zu unterschiedlichen Nutzungszwecken herangezogen werden können. Dass durch die hiermit einhergehende Flexibilisierung und Modularisierung der Konstruktionen und Raumgefüge eine Monotonisierung der gebauten Umwelt mit

TEIL II 92

negativen soziokulturellen Folgen einhergehen kann, bleibt dabei zumeist ebenso unberücksichtigt wie die Tatsache, dass eine maximierte Lebensdauer von Gebäuden zukünftigen Generationen unter Umständen die Möglichkeit nimmt, die gebaute Umwelt nach ihren jeweiligen Anforderungen und in Übereinstimmung mit ihren technologischen Möglichkeiten zu gestalten. Eine verminderte Innovationskraft ist die Folge. • Suffizienz Unter Suffizienz wird in diesem Zusammenhang die Begrenzung der Ansprüche vonseiten der Nutzer verstanden. Im Rahmen von Nachhaltigkeitsstrategien geht der Begriff auf Sachs [261] zurück. Beispiele im Bauen sind die Forderung nach der Verminderung der Wohnfläche, die jedem Bürger zur Verfügung stehen sollte [88], oder die Akzeptanz von höheren bzw. niedrigeren Grenzwerten bezüglich der zulässigen empfundenen Temperatur in Innenräumen. Dies könnte durch die Anpassung von Richtlinien verordnet werden. Allerdings würde dies eine gewisse Diskrepanz zu allgemein anerkannten demokratischen und marktwirtschaftlichen Prinzipien bedeuten. Nach Klein [172] geht es hierbei um eine grundsätzliche Entscheidung nach dem Credo »Kapitalismus vs. Klima«. Wenngleich die Suffizienz-Strategie unmittelbar positive Auswirkungen auf die ökologische Säule der Nachhaltigkeit hätte, so vernachlässigt sie die indirekt hervorgerufenen Effekte auf ökonomischer, sozialer und kultureller Ebene. Denn solange das Wirtschaftssystem auf dem Wachstumsprinzip aufbaut, würde durch die Verringerung der Nachfrage von Raum, Material und Energie auch eine Verringerung der Produktionsleistung einhergehen und in letzter Konsequenz den Wohlstand gefährden. Harvey [134] schildert die Zusammenhänge zwischen der gebauten Umwelt und dem Wirtschafts- sowie Finanzsystem eindrücklich. Ihm zufolge wird das Bauen seit jeher von Politik und Wirtschaft verwendet, um systemisch bedingte Diskrepanzen zwischen Angebot und Nachfrage von Kapital auszugleichen. Die sozialen Folgen, die sich aus dem Rückgang von Konsum ergeben würden, werden durch Bauman [26] beschrieben. Er verdeutlicht, dass der einzelne Mensch innerhalb der postindustriellen Gesellschaft von heute seinen gesellschaftlichen Wert durch die Fähigkeit zu konsumieren erhält. Verliert er diesen Wert, so wiederfährt ihm nach diesem Szenario die gesellschaftliche Exklusion [27]. Gesamtgesellschaftlich nachhaltig, im Sinne der Definition des Brundtland-Reports, ist die Idee der Suffizienz somit nicht. • Resilienz Unter Resilienz wird die Widerstandsfähigkeit der Ökosysteme hinsichtlich anthropogener Belastungen verstanden. Die im Brundtland-Bericht [53] gewählte Formulierung der Definition einer nachhaltigen Entwicklung wird dabei anthro-

4  |  DEFINITION DES SOLLZUSTANDS 93

pozentrisch interpretiert: Die Auswirkungen des menschlichen Handelns auf die Ökosysteme des Planeten werden explizit unter der Prämisse der Befriedigung der Bedürfnisse des Menschen betrachtet. Dies wird mitunter als Legimitation verstanden, um Gegenmaßnahmen zeitlich aufzuschieben [165]. Es lässt sich hieraus schließen, dass, dem Leitbild der Resilienz folgend, die Grundsätze des bestehenden Handelns nicht infrage gestellt und somit ökologische Gesichtspunkte denen der Ökonomie tendenziell eher untergeordnet werden. Dies widerspricht dem ganzheitlichen Ansatz des Drei-Säulen-Modells der Nachhaltigkeit [2]. • Substitution Substitution bedeutet in diesem Zusammenhang das Ersetzen einzelner Rohstoffe durch gleichwertige andere Materialien. Dies kann einerseits dazu dienen, die negativen Auswirkungen der Verwendung eines Materials durch die Substitution mit einem anderen zu eliminieren. Dies ist z. B. im Hinblick auf gesundheits- oder klimaschädliche Emissionen, einen überproportionalen Energieverbrauch während der Herstellung des Materials oder eine eventuelle Grundwassergefährdung bei der Deponierung am EOL-Punkt der Fall. Heute ist die Ressourcenknappheit, die zu Preissteigerungen und lokalen Allokationsproblemen führt, allerdings der Hauptgrund für Substitutionsbestrebungen. Ein positiver Effekt ergibt sich aus der langfristigen Perspektive, dass durch Innovationen zukünftig ein flexiblerer Materialeinsatz ermöglicht wird, was insbesondere für die Verwendung von Rezyklaten eine wichtige Voraussetzung darstellt. Negative Auswirkungen wie beispielsweise eine Preissteigerung und zunehmender Import von Holz sind in Deutschland allerdings eine Folge seiner vermehrten Nutzung als Brennstoff, um Erdöl durch einen nachwachsenden Rohstoff zu ersetzen. Auch im Bauen erfährt Holz als Substitut von Beton und Stahl aufgrund seiner positiven Auswirkung auf die Ökobilanz heute eine große Aufmerksamkeit [71]. Hält dieser Trend an, besteht jedoch die Gefahr, die regenerativen Rohstoffquellen unnachhaltig zu bewirtschaften, Rebound-Effekte könnten die Folge sein [19]. Durch eine Kombination der genannten Ansätze lassen sich Verbesserungen erzielen, eine dauerhaft nachhaltige Entwicklung auf ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Ebene kann hierdurch gleichwohl nicht erzielt werden. Die dargestellten Ansätze können die Zusammenhänge innerhalb des Bauens sowie solche zwischen dem Bauen und anderen Wirtschafts- bzw. Lebensbereichen systemisch nicht erfassen.

Holistische Ansätze: Triple Zero und Cradle to Cradle Entgegen diesen fragmentarischen Ansätzen muss einer Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen ein ganzheitlicher, sich jenseits dieser Termini befindlicher Ansatz

TEIL II 94

zugrunde gelegt werden. Sobek [288] definiert einen solchen mit dem Prinzip Triple Zero; es geht hierbei darum, »Gebäude zu bauen, die für ihren Betrieb in der Jahressumme keine Energie benötigen« (Zero Energy), »die keine schädlichen Emissionen abgeben« (Zero Emission) und die »vollkommen rezyklierbar sind« (Zero Waste). Braungart und McDonough [47] umschreiben insbesondere letztgenannten Ansatz mit dem Prinzip Cradle to Cradle. Während die Energieerzeugung, auf der bis dato der politische Fokus liegt, nur so lange ein Problem für die natürliche Umwelt darstellt, wie sie nichtregenerativ erfolgt und nur innerhalb dieses Zeitraums schädliche Emissionen in die Atmosphäre gelangen, ist die Versorgung mit natürlichen Ressourcen zum Zwecke des Bauens ein dauerhaftes Problem, da diese nur endlich vorhanden sind. Das strategische Ziel muss daher die Entwicklung eines vollständig rezyklierbaren Bauens sein, um die im anthropogenen Zwischenlager der gebauten Umwelt gespeicherten Ressourcen zukünftigen Generationen für ihre Bedürfnisse zugänglich zu machen. Eine abfallfreie geschlossene Kreislaufwirtschaft, in der alle Materialien verlustfrei und auf gleichem Qualitätsniveau in die natürlichen oder technischen Stoffkreisläufe zurückgeführt werden können, muss somit Ausgangspunkt für eine Neugestaltung der Prozesse im Bauen sein.

4.2 VOLLREZYKLIERBARES BAUEN Ausgangssituation und Handlungsbedarf Das Bauen verursacht in Deutschland ca. 55 Prozent der Gesamtabfallmenge [72] und verarbeitet 85 Prozent aller mineralischen Ressourcen [245]. Die EU-Ressourcenstrategie [1] sowie das Ressourceneffizienzprogramm der Bundesrepublik Deutschland [78] formulieren weitreichende Anforderungen an den zukünftigen Umgang mit Baustoffen und Bauabfällen. Das Gesetz zur Neuordnung des Kreislaufwirtschafts- und Abfallrechts (KrWG) [117] sieht eine fünfstufige Hierarchie vor, die der Vermeidung von Abfall oberste Priorität einräumt. Dem Sustainable Materials Management der OECD [239] zufolge soll die heutige Abfallwirtschaft durch ein lebenszyklusbegleitendes Materialmanagement ersetzt werden. Folgende Aspekte stehen diesen Entwicklungen heute im Wege: Baustoffe werden gegenwärtig nach wie vor zu großen Teilen mithilfe von Nassprozessen dauerhaft miteinander verbunden. Der hierdurch erschwerte Rückbau erfolgt daher zumeist zerstörend, wobei Rückstände jeweils unterschiedlicher Stoffe an den Materialien haften bleiben. Heterogene Stoffgemische, die unter anderem durch die gestiegenen Anforderungen an die Wärmedämmeigenschaften und die Dichtigkeit von Gebäudehüllen im

4  |  DEFINITION DES SOLLZUSTANDS 95

Zuge von Energieeffizienzbestrebungen zunehmend künstliche und natürliche sowie mineralische und organische Stoffe enthalten, führen zu einem zukünftigen Sondermüllproblem. Richter und Maak [246] beschreiben diese Problematik – die Initiative für Nachrichtenaufklärung (INA) [306] identifizierte sie als eines der zehn am stärksten vernachlässigten Themen bereits im Jahr 2009. Eine geschlossene Kreislaufwirtschaft existiert daher entgegen der offiziellen Angabe einer Verwertungsquote von knapp 90 Prozent und einer Recyclingquote von ca. 80 Prozent [212] im Bauen heute nicht. Eine eingehende Verfolgung der mineralischen Stoffströme gemäß dem Monitoring-Bericht der Kreislaufwirtschaft Bau [212] lässt den Schluss zu, dass eine tatsächliche Recyclingquote gemäß der Neudefinition des Terminus Recycling im KrWG [117] bei nur etwa 1 Prozent liegen würde. Hierfür sind zwei Aspekte des Monitoring-Berichts [212] verantwortlich: Erstens sollten nur solche Fraktionen bei der Quotenbestimmung miteinbezogen werden, die auch tatsächlich im Hochbau verbaut wurden. Straßenaufbruch und Bodenaushub in Form von Erden und Steinen, die zusammen 63 Prozent des Abfalls im Bauen ausmachen und für die gleichen Zwecke wieder eingesetzt werden, verzerren durch ihre fraktionsinterne Verwertungsquote von über 85 Prozent die Sachlage. Zweitens werden auch sog. Recyclingbaustoffe entgegen der etymologischen Assoziation beinahe vollständig im Erd- oder Straßenbau sowie für sonstige Anwendungen verwertet. Nur ca. 1 Prozent der rezyklierten Abfälle – und auf die Werte der Kreislaufwirtschaft Bau [212] bezogen damit nur ca. 0,5 Prozent des gesamten mineralischen Bauabfalls (inklusive Straßenaufbruch sowie Steine und Erden) – entsprechen einem Recycling auf gleichem Qualitätsniveau. Um ein adäquates Bild der Stoffströme zeichnen zu können, müssen zukünftig vermehrt qualitative Aspekte Beachtung finden. Das beschriebene Downcycling kann so besser von qualitativ gleichwertigem Recycling unterschieden werden. Ebenso sollten die Daten um nichtmineralische Baustoffe erweitert werden. Rücknahmeverpflichtungen der Hersteller, welche die Bewirtschaftung von Abfall ersetzen würden, da die Materialien ihren Produktstatus nicht verlören, sowie Deponieverbote erfordern solche Maßnahmen auch vonseiten des Gesetzgebers [249]. Ob Abfälle rezykliert werden können und welches Qualitätsniveau hieraus gewonnene Recycling-Baustoffe erreichen, hängt neben den Ausgangsqualitäten der Materialien »maßgeblich von der Verfahrensweise beim Abbruch bzw. Rückbau, der Getrennthaltung der Fraktionen und der eingesetzten Aufbereitungstechnik« [212] ab. Während auf stofflicher Ebene entsprechende Maßnahmen zu beobachten sind (z. B. durch sog. EPDs [160] ), existieren heute nur vereinzelt Kenntnisse über zerstörungs- und rückstandsfrei lösbare Verbindungstechniken im Bauwesen. Bestehende Konstruktionsformen müs-

TEIL II 96

sen daher besser erfasst werden, um sie für zukünftige Entwurfs- und Konstruktionsmethoden weiterzuentwickeln. Für den Prozess im Bauen bedeutet dies, dass das Beschaffen und Kommunizieren von Information über die Grenzen von Phasen und Disziplinen hinweg sowie ihre Interpretation und Deutung durch die involvierten Akteure Wissen erzeugt, dessen Umsetzung über Entropiezunahme oder -vermeidung während der BOL-, Bau-, Nutzungs-, Umnutzungs- und EOL-Phase eines Gebäudes entscheidet. Denn eine vollständige Demontierbarkeit des Bauwerks liefert gemeinsam mit einer sortenreinen Trennbarkeit der Baustoffe die Grundlage zur geforderten Priorisierung der »Wiederverwendung«, »Vorbereitung zur Wiederverwendung« und des »Recyclings« gegenüber der »Verwertung« [117]. Demontage und Recycling In der VDI-Richtlinie 2243 [312] wird der Begriff Demontage definiert als »Gesamtheit aller Vorgänge, die der Vereinzelung von Mehrkörpersystemen zu Baugruppen, Bauteilen und / oder formlosem Stoff durch Trennen dienen«. Recycling hingegen beschreibt im Allgemeinen das Rückführen von Abfällen in einen künstlichen Stoffkreislauf, der dem natürlichen nachempfunden ist. Das KrWG [117] definiert Recycling als »jedes Verwertungsverfahren, durch das Abfälle zu Erzeugnissen, Materialien oder Stoffen entweder für den ursprünglichen Zweck oder für andere Zwecke aufbereitet werden«; es schließt also »die Aufbereitung organischer Materialien ein, nicht aber die energetische Verwertung und die Aufbereitung zu Materialien, die für die Verwendung als Brennstoff oder zur Verfüllung bestimmt sind«. Momentan existiert – nicht zuletzt durch das Aufkommen der nicht eindeutig definierten Begriffe Urban Mining [110] und Ressourceneffizienz [274] – allerdings noch eine Vielzahl anderer Definitionen, sodass umgangssprachlich unter Recycling oft auch stoffliche oder sogar energetische Verwertung verstanden wird. Dies verhindert eine einheitliche Verwendung des Begriffs in der Wissenschaft. Im Folgenden werden die Begriffe Demontage und Recycling entsprechend den zitierten Definitionen verstanden, wobei sie zwei aufeinanderfolgende Prozessschritte bezeichnen. Die Qualität der Demontage bestimmt hierbei maßgeblich die Qualität des Recyclings. Ein vollrezyklierbares Bauen wird im Rahmen dieser Untersuchung als Vision einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft verstanden und beinhaltet daher die Wiederverwendung, die Vorbereitung zur Wiederverwendung und das Recycling bei gleichem Qualitätsniveau. Ziel ist es, die durch minderwertige stoffliche oder energetische Verwertung sowie das Verbrennen und Deponieren von Materialien vorangetriebene Entropiezunahme zu stoppen.

4  |  DEFINITION DES SOLLZUSTANDS 97

Das Bauwerk als technisches System Nachfolgend wird ein Bauwerk als technisches System betrachtet und demzufolge ausschließlich nach technischen Kriterien analysiert. Architektonische Gesichtspunkte werden nur insofern berücksichtigt, als dass die Ergebnisse der systemtechnischen Analyse einer allgemeinen Anwendbarkeit nicht im Wege stehen dürfen. Unter dieser Prämisse werden Erkenntnisse aus der Literatur artverwandter Branchen wie dem Maschinen- oder Automobilbau herangezogen. Detailliertere Erkenntnisse werden von Masou et al. [202] aufgeführt. Anders als nach DIN 276 [82] sollten Bauwerke im Hinblick auf ihre Recyclingfähigkeit zukünftig anhand ihrer sog. Baustruktur untergliedert werden. Diese setzt sich – hierarchisch organisiert – aus dem Austauschcluster, der Baugruppe, dem Bauteil und dem jeweiligen Material zusammen [52]. Das durch Brand [45] geprägte Konzept der Austauschcluster → Abb. 8 stellt dabei die höchste Hierarchieebene dar, die zugleich die Adaptionsfähigkeit eines Gebäudes auf veränderte Anforderungen bestimmt. Solche ergeben sich neben den materialspezifischen Halbwertszeiten und den individuellen Wünschen der Bewohner zunehmend aus dem Inkrafttreten gesetzlicher Bestimmungen wie z. B. der Energieeinsparverordnung (EnEV) [97]. Daneben führen immer kürzer werdende Innovationszyklen der Hersteller zum Austausch von Elementen, die ihren EOL-Punkt noch nicht erreicht haben. Beispielsweise wurde die Fassade des Apple Cube in New York nach einer Nutzungszeit von nur fünf Jahren ausgetauscht. Die jeweils 18 Glasscheiben einer Fassadenseite wurden hierbei zum Erreichen einer größeren Transparenz durch nur jeweils drei Scheiben ersetzt [14]. Im Rahmen der Konzeption einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft sollte heute nicht nur von einem EOL-Szenario ausgegangen, sondern darauf hingewirkt werden, dass ein zu unterschiedlichen Zeiten erfolgender Umbau bzw. Ersatz einzelner Cluster ohne Beeinflussung der jeweils anderen Cluster stattfinden kann. Hierdurch kann auf unterschiedliche wirtschaftliche und technische Lebensdauern reagiert werden. Der Begriff der Bauweise bezeichnet im Maschinenbau die Art und Weise, in der Baustoffe geformt und zu Bauteilen verbunden werden. Er trifft somit Aussagen zu konstruktiven Eigenschaften, Montage, Rezyklierbarkeit und Verhalten der Elemente im Tragwerk [25]. Die folgenden vier Begriffe können nach Sobek [289] jedoch auch im Bauwesen angewendet werden: Differenzialbauweise, Integralbauweise, integrierende Bauweise und Verbundbauweise. Unter dem Gesichtspunkt der Rezyklierbarkeit verfügt die Integralbauweise über positive Recyclingeigenschaften, da sie innerhalb nur eines Stoffes mehrere Funktionen

TEIL II 98

Ausbau:

5–10 Jahre

Grundriss:

10–15 Jahre

Service:

10–20 Jahre

Fassade:

25–30 Jahre

Tragwerk:

50–100 Jahre

Grundstück:

>200 Jahre

Abb. 8: Austauschcluster eines Gebäudes [45]

übernehmen kann. Das Demontieren verschiedener Materialien, die damit verbundene Zeit und ein oft aufwendiges Trennverfahren entfallen [52]. Dies entspricht der Forderung der VDI-Richtlinie 2243 [312] nach grundsätzlicher Vermeidung des Einsatzes vieler verschiedener Werkstoffe. Auf die lebenszyklusbezogenen Anforderungen der einzelnen Austauschcluster kann die Differenzialbauweise allerdings besser reagieren. Hierbei werden mehrere Elemente auch unterschiedlichster Materialien durch punktuelle Fügung zu einem Bauteil oder einer Baugruppe verbunden. Eine rückstandsfreie Lösung der Verbindungen ermöglicht eine vergleichsweise einfache Demontage und eine sortenreine Separierung ohne aufwendige, energieintensive Trennprozesse.

Materialwahl und Verbindungstechnik Die Materialwahl bestimmt auf stofflicher Ebene die Recyclingeigenschaften. Die Wahl der Verbindungsmittel hingegen bestimmt die Demontageeigenschaften von Bauwerken und ihren Strukturebenen. Sie stellt daher einen zentralen Bestandteil zum Erreichen einer geschlossenen Kreislaufwirtschaft dar. Verbindungsarten werden bisher zumeist nach ihrem physikalischen Wirkprinzip unterteilt. Für die Trennbarkeit der Komponenten muss folgende, in der Produktentwicklung gängige Einteilung zusätzlich Beachtung finden: unlösbare, bedingt lösbare und lösbare Verbindungen. Eine weitere Kategorisierung aus dem Bereich der technischen Produkte teilt die Verbindungstechniken nach deren Demontageeigenschaften wie folgt ein [143]: zerstörende, partiell zerstörende und zerstörungsfreie Demontage. Maßgeblich für die Wahl der Verbindungstechnik ist es, von vornherein zu planen, welcher Recyclingform die zu demontierenden Teile im Anschluss unterzogen werden

4  |  DEFINITION DES SOLLZUSTANDS 99

sollen. Die erläuterten Zusammenhänge der einzelnen Austauschcluster lassen den Schluss zu, dass eine zerstörungsfreie Demontage nicht nur als Basis aller hochwertigen Rezyklate fungiert. Dennoch entspricht der gängige Demontageprozess im Maschinenbau heute meist nicht der Umkehrung der Montage [143]. Einen extremen Widerspruch, der sich im Bauwesen durch die Verwendung der Termini Abriss und Abbruch zeigt und die entsprechenden Methoden beinhaltet, kennt man dort allerdings nicht. Im Bauwesen muss unter Berücksichtigung der auf den Rückbau folgenden Aufbereitungsprozesse des Weiteren differenziert werden, ob nach dem Trennen noch Rückstände der Verbindungsmittel am jeweiligen Material anhaften oder nicht. Lösbare Verbindungen, die gleichzeitig rückstands- und zerstörungsfrei sind, haben zwei entscheidende Vorteile: Zum einen kann die höchste Stufe des Recyclings – die Wiederverwendung – erzielt werden; zum anderen eröffnen sie neue Potenziale im Hinblick auf die Technologien, die bei der Demontage zum Einsatz kommen können. Ein systematisch angelegter und planmäßiger Rückbauprozess erscheint möglich – gefährliche, staub- und lärmintensive Abrissarbeiten im urbanen Raum entfielen. Das zu rezyklierende Material könnte auf diese Weise noch vor Ort oder unter sauberen Bedingungen – der Vorfabrikation entgegengesetzt – an anderer Stelle sortenrein getrennt werden. Heutige Verantwortlichkeiten und Prozessketten müssten unter dieser Voraussetzung zukünftig einer Prüfung unterzogen werden; Addis und Schouten [3] zeigen die Probleme, die sich bei heutigen Abriss- und Rückbaumethoden ergeben, im Detail auf. Ferner muss untersucht werden, inwieweit die Rücknahme und Wiederverwendung von Bauteilen durch den Hersteller im Bauwesen rechtlich möglich und am Markt kommunizierbar sind. Letztlich muss auch geklärt werden, ob dies für Eigentümer generationenübergreifend emotional annehmbar wäre.

Demontageprozesse: Basisbauteil und Plattformprinzip Die Demontagefreundlichkeit von Konstruktionen wird durch Maßnahmen während des Entwurfs- und Konstruktionsprozesses, die unter dem Begriff Design for Disassembly (DFD) zusammengefasst sind, definiert [68] (vgl. [89], [222] ). In der Literatur der Produktgestaltung werden hierfür entsprechende Gestaltungskriterien genannt [93] (vgl. [143]). Insbesondere Schmidt-Kretschmer [273] verdeutlicht die enge wechselseitige Beziehung der Verbindungsmittel mit den zu verbindenden Teilen. Aus der montagegerechten Produktgestaltung nach Pahl und Beitz [231] lassen sich ebenfalls für die Demontage Handlungsanweisungen ableiten: Das Gliedern, Reduzieren, Vereinheitlichen und Vereinfachen von Demontageoperationen führt in der Folge zu einer demontagegerechten Baustruktur des gesamten Gebäudes. Eine demontagegerechte

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Gestaltung der Verbindungen basiert auch auf dem Reduzieren, Vereinheitlichen und Vereinfachen der Fügestellen. Die Regeln aus den Anforderungen der VDI-Richtlinie 2243 [312] können hier zusammenfassend einen Überblick geben. Eine Übertragung auf das Bauwesen ist nach Willkomm [334] prinzipiell möglich. Dies muss auf den unterschiedlichen Bauwerks- bzw. Strukturebenen in verschiedenen Skalierungsformen stattfinden. Ein planmäßiges, dem Montageprozess in umgekehrter Reihenfolge entsprechendes Demontieren der Bauwerkskomponenten wird sich allerdings nur durchsetzen können, wenn es auch im Hinblick auf die hierfür benötigte Zeit mit dem heute gängigen, vergleichsweise unplanmäßigen Abriss- bzw. Abbruchverfahren konkurrieren kann. Die Demontagetiefe spielt hierfür eine entscheidende Rolle [93]. Ziel der Demontage kann vor diesem Hintergrund das Aufteilen des Bauwerks in einzelne Fraktionen sein, die dann verfahrenstechnisch zerkleinert, getrennt und weiterbehandelt werden. Dass das eigentliche Lösen von Verbindungen nur einen sehr geringen Anteil an der Gesamtzeit des Demontageprozesses haben kann, zeigt Ehrenstein [93]. Wichtige weitere Faktoren sind Erkennbarkeit, Zugänglichkeit, benötigte Lösekraft sowie insbesondere die Bauteilgröße und das Bauteilgewicht. Im Produktentwicklungsprozess im Automobilbau wird daher neben dem Fahr- und Crashverhalten des Fahrzeugs sowie den Produktionsprozessen heute auch die Demontage geplant und zunehmend virtuell simuliert. Verwertungskosten sowie Materialerlöse, optimierte Demontagewege und Umweltbelastungen können hierdurch ermittelt werden. Neben der Übertragung dieser Verfahren werden Rationalisierungsmaßnahmen für das Bauwesen ein wichtiger Faktor sein, um DFD-Konzepte in die Wertschöpfungskette integrieren zu können. Im Bauen können Verfahren zur Demontage in situ oder ex situ zur Anwendung kommen. Diese entsprechen der Umkehrung der beim Errichten eines Bauwerks zum Einsatz kommenden Methoden der Montage vor Ort bzw. der Vorfertigung im Werk. Aufgrund der Größe finden im Bauwesen bei der Montage die letzten und entsprechend bei der Demontage die ersten Schritte immer in situ statt. Ein Ergebnis der Rationalisierung hiervon ist – ebenfalls vergleichbar mit der Automobilindustrie – die Modularisierung. Module können aus einem Stoff, aus mehreren Stoffen oder aus ganzen Räumen bestehen und müssen dabei nicht dem Gleichteileprinzip folgen. Am Beispiel von Mauerwerkssteinen lässt sich ein zukünftig voll automatisiertes Demontageszenario skizzieren: Bei der Montage kommen im Zuge von Effizienzsteigerungen zunehmend teil- oder voll automatisierte Maueranlagen sowie in jüngster Zeit Bauroboter zum Einsatz [255]. Eine lösbare Verbindungstechnik vorausgesetzt, könnten Bauroboter in umgekehrter Reihenfolge Wände am EOL-Punkt eines Bauwerks präzise

4  |  DEFINITION DES SOLLZUSTANDS 101

wieder abbauen. Dieses Prinzip könnte unter Beachtung der DFD-Gestaltungsregeln im Weiteren für alle den Außenwandaufbau betreffende Schichten angewandt werden. Betrachtet man die logischen Konsequenzen der Automatisierung, so läge das Verlagern der Demontage von Bauteilen bzw. Baugruppen in eine saubere und automatisierte Umgebung nahe. Die Demontagetiefe vor Ort würde dabei minimiert, wodurch sich folglich die Belastung der Umgebung, der benötigte Zeit- sowie der Logistikaufwand verringern würden. Einzelne Projekte der Baubranche zeigen bereits heute die Tendenz auf, dass Bauteile vom ursprünglichen Hersteller zurückgenommen werden. Die gute Handhabung der Bauteile bzw. Baugruppen, die eine für das voll automatisierte Werk vorteilhafte Größe aufweisen, macht dieses Vorgehen vergleichbar mit Demontageprozessen von technischen Produkten. Ein Bauwerk könnte beispielsweise in situ wieder in die ursprünglich zum Bau produzierten Fertigteile zerlegt werden, die mitsamt ihrer Schichtaufbauten sowie eventuellen Installationen wieder in das Werk zurücktransportiert werden. Es erfolgte die Demontage der Fertigteile in ihre einzelnen Komponenten und im Weiteren eine sortenreine Trennung der einzelnen Materialien ex situ. Bei technischen Produkten wird entsprechend von Grobzerlegung und Feinzerlegung gesprochen [143]. Der tragende Teil einer Wand kann im Bauen analog zur Produktgestaltung als sog. Basisbauteil betrachtet werden. Diese konstruktive Basis wird in der Regel in einem industriellen Prozess im Werk mit weiteren sog. Sekundärkomponenten (z. B. weiteren Fassadenaufbauten) bestückt. Die Form des Basisbauteils hängt daher nicht nur von der späteren Verwendung und den Anforderungen während der Nutzung ab, sondern folgt zudem den Produktionsbedingungen wie beispielsweise den Robotergreifmethoden. Die sich aus der Montage dabei ergebenden Abhängigkeitsmuster sind auch für das Demontieren von Bedeutung. Verschachtelte Muster sind beim späteren Demontieren als problematisch zu bewerten, offene sind geschlossenen Mustern vorzuziehen [52].

Recyclinggerechtes Entwerfen Die Lebenszyklusbetrachtung gewinnt innerhalb des Prozesses im Bauen zunehmend an Einfluss. Dennoch steht ganzheitlichen Bilanzierungsverfahren insbesondere vonseiten des Bauherrn nach wie vor meist das Selbstverständnis eines »Bauens für die Ewigkeit« im Wege. Ökobilanzielle Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass der kumulierte Energieaufwand für die Herstellung neuer Wohngebäude, die auf eine Reduktion des Heizenergieverbrauchs optimiert sind, über einen Betrachtungszeitraum von 50 Jahren einen Anteil von bis zu 45 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs ausmacht. Werden die verbauten Materialien durch Recycling allerdings im Materialkreis-

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lauf gehalten, kann hiervon ein Anteil von bis zu 40 Prozent zurückgewonnen werden [305]. Um diese Ansätze bereits in die Planungsphase zu integrieren, haben sich in der Produktgestaltung folgende Begriffe durchgesetzt, die sich aus dem Prinzip Design for X (DFX) [258] ableiten lassen: • Design for Environment (DFE) • Design for Disassembly (DFD) • Design for Recycling (DFR) • Design for Reuse (DFR)

Während im Bauwesen die umfangreichen Verfahren des Design for Environment (DFE) [8] heute noch nicht zur Anwendung kommen, sind sie im Automobilbau im Rahmen des Product Lifecycle Management (PLM) bereits Standard [4]. Penev [234] schlägt daher ein generelles Lebenszyklusmodell vor, das die drei letzten Verfahren miteinander kombiniert. Ziel ist es demnach, über den gesamten Lebenszyklus einen minimalen Ressourcenverbrauch (inklusive Energie) zu erzielen und im Idealfall jegliches Deponieren zu vermeiden. Design for Disassembly (DFD) hat einen maßgeblichen Einfluss auf die Konstruktion eines Bauwerks und seiner Verbindungsmittel [89], Design for Recycling (DFR) beachtet zusätzlich die Eigenschaften der verwendeten Materialien sowie der Logistik [278]. Design for Reuse (DFR) beschreibt den Prozess der Wieder- und Weiterverwendung, bei dem die strukturelle Gestalt des Produkts erhalten bleibt [127]. Im Detail gestaltet sich die Bilanzierung von Recyclingprozessen heute bisweilen noch kompliziert, da in den gängigen Datenbanken nur unzureichend Informationen zu den Recyclingpotenzialen einzelner Baustoffe und Verbindungstechniken bereitgestellt werden. Meist werden nur sehr allgemeingültige EOL-Szenarien angeboten, die neue Konzepte nicht ausreichend wiedergeben können. So wird beispielsweise für mineralische Abfälle ein standardisierter Verwertungsprozess angesetzt, der auf den heutigen Realitäten basiert – unabhängig davon, ob die entstehenden Baurestmassen als Mischabbruch anfallen oder ob diese in sortenreinen Einzelfraktionen auftreten. Für eine aussagekräftige Bilanzierung von Recyclingprozessen in Lebenszyklusbetrachtungen muss daher zukünftig ein detailliertes und materialbezogenes Recyclingpotenzial ermittelt und zusätzlich eine Bewertung der Qualität des Verwertungs- bzw. Verwendungsvorgangs vorgenommen werden. Zusammenfassend wird festgestellt, dass im Bauwesen noch keine ausreichenden Erfahrungen zur methodischen Entwicklung von demontierbaren und vollständig rezyklierbaren Konstruktionen vorliegen. Eine Übertragung der Erkenntnisse aus der Analyse des Maschinen- und Automobilbaus erscheint jedoch möglich, wenn die für das Bauwesen typischen Eigenheiten beachtet und bei der Konzeption vollrezyklierbarer Bauweisen berücksichtigt werden. Eine neue Systematik im konzeptionellen Denken ist dabei Grundvoraussetzung.

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TEIL III

5  |  ANALYSE INTERNER ANSÄTZE

Die bereits im Bauen existierenden Ansätze zur Prozessoptimierung werden im Folgenden vorgestellt und untersucht: Erstens die virtuelle Vorwegnahme der Realität durch digitale Planungsmethoden. Diese haben große Auswirkungen auf die Zusammenarbeit der Beteiligten. Zweitens bestehen einige Ansätze zur Prozessoptimierung, deren Potenziale und Probleme dargestellt werden. Und drittens die Quantifizierung von Qualität. Simulationen und Zertifizierungsverfahren prägen zunehmend die Prozess­strukturen. Neben den positiven Aspekten bestehen auch hier Risiken, die gleichermaßen aufgezeigt werden.

5.1 DIE QUANTIFIZIERUNG DER QUALITÄT Die Analyse des Istzustands und die skizzierten Anforderungen an einen zukünftigen Sollzustand zeigen auf, dass es eines umfassenden Neuanfangs im Bauen bedarf. Vor dem Hintergrund der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung und der zunehmenden Digitalisierung wurden in jüngster Vergangenheit diverse Ansätze zur Prozessoptimierung innerhalb des Bauens entwickelt. Die wichtigsten werden nachfolgend vorgestellt und inhaltlich untersucht, um ihren Einfluss auf eine Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen herauszuarbeiten. Die Möglichkeiten zur Prognose der sog. Performanz eines Gebäudes führen zudem zu einer umfassenden Informationsbasis innerhalb von Entscheidungsfindungsprozessen. Hierbei sind beispielsweise die Ergebnisse von Ökobilanzierungen und Simulationen grundsätzlich anders geartet als die bisher vonseiten der Architekten zur Bewertung der Qualität eines Gebäudes verwendeten Kriterien: sie liefern Ergebnisse, die eine quantifizierbare Bewertung ermöglichen. Die hiermit einhergehenden Chancen und Risiken werden im Folgenden betrachtet.

Der Qualitätsbegriff: Eine Definition Der Terminus Qualität wird sowohl neutral als Summe von Eigenschaften als auch bewertend als Güte von Eigenschaften verwendet. Ein durchgängig einheitliches Begriffsverständnis ist heute im Bauen nicht vorzufinden, weshalb zunächst ein allgemeiner Überblick gegeben wird: Nach Brauer [46] ist Qualität »die Bezeichnung einer wahrnehmbaren Zustandsform von Systemen und ihrer Merkmale, welche in einem bestimmten Zeitraum anhand bestimmter Eigenschaften des Systems in diesem Zustand definiert wird«. ISO 9000:2005 [161] hingegen definiert Qualität als »Grad, in dem ein Satz inhärenter Merkmale Anforderungen erfüllt«. Damit entspricht sie in etwa der Auffassung von Crosby [66], wonach Qualität als »Erfüllung von [vorher festgelegten] Anforderungen« definiert wird. Es geht hierbei also um objektiv messbare Merkmale. Heute reicht eine Qualitätsbetrachtung außerhalb des Bauens allerdings oft weit über das eigentliche Produkt hinaus: Durch das sog. Total-Quality-Management (TQM) wird ein gesamtes Unternehmen hinsichtlich seiner Qualität überprüft. Nach Garvin [113] können zudem fünf Sichtweisen zur Bewertung von Qualität eingenommen werden: • transzendental (umgangssprachliche Sicht) • produktbezogen (objektive Erfüllung festgelegter Anforderungen) • kundenbezogen (nur Faktoren, die der Kunde fordert, sind relevant) • wertorientiert (in Bezug auf den Preis, also als Kosten-Nutzen-Verhältnis) • fertigungsbezogen (Erfüllung von a priori gesetzten Bedingungen)

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In der Architektur wird Qualität oftmals als Gegensatz zu Quantität verwendet und stellt somit ein Synonym für Güte dar. Diese Verwendung entspricht damit einem sog. transzendentalen Verständnis. In Bezug auf die Gebäudeperformanz hingegen wird Qualität zumeist durch eine Quantität von Eigenschaften gemessen und drückt sich daher in der Regel in Messwerten aus (z. B. die Dichtigkeit der Gebäudehülle mittels eines Blower-Door-Tests). Dies entspricht einer produktbezogenen Sichtweise. Auch bei der Feststellung der Ausführungsqualität geht es im Bauen um die Bewertung des Übereinstimmungsgrades von Ist und Soll, sodass die beiden letztgenannten Aspekte dem Bereich der Technischen Qualität zugeordnet werden können. Diese technische Qualität wird durch das Qualitätsmanagement geplant, gesteuert und kontrolliert. Die Kennzahlen zur Qualitätssicherung werden heute im produzierenden Gewerbe häufig mithilfe von Computer-Aided-Quality-Systemen (CAQ) überwacht. Im Bauen kommen solche Systeme nur innerhalb einzelner Unternehmen der Bauindustrie bzw. solchen der Produkthersteller zum Einsatz, da nur hier der Maßstab der Produkte vergleichbar ist und die Produktion unter sauberen Werksbedingungen stattfindet. Allerdings ist erst bei einer größeren Stückzahl eine Digitalisierung der Qualitätsüberwachung sinnvoll. Bezogen auf ein gesamtes Bauwerk kommen CAQ-Systeme bisher nicht zur Anwendung.

Architektonische Qualität – Qualität der Nachhaltigkeit Um zu einem differenzierteren Verständnis des Terminus Qualität im Kontext des Bauens zu gelangen, wird im Folgenden anhand der vorgenannten Definitionen und der Kriterien der DGNB [79] eine Unterteilung in vier maßgebliche Qualitätsbegriffe vorgenommen. Auf den gesondert, da übergeordnet zu verstehenden Sammelbegriff der Baukultur wird ausführlich in der Davos Declaration [74] eingegangen. Da dieser bereits eine Wertung bzw. ein Ziel beinhaltet, wird er in diesem Kontext nicht weiter ausgeführt. • Architektonische Qualität Die architektonische Qualität ist die Güte des Entwurfs inklusive städtebaulicher Aspekte, der räumlichen Wirkung, der Materialwahl und der Erfüllung der nutzungsspezifischen Anforderungen. Auch übergeordnete Faktoren, die im fachlichen Diskurs der Architektur verortet sind, werden inkludiert; hierzu gehören vor allem das architektonische Konzept, die Neuheit einer Idee und der Stellenwert innerhalb des zeitgenössischen und historischen Architekturdiskurses. »Gute« Architekten treten beispielsweise oftmals durch besondere Raumkonstellationen oder einen ungewöhnlichen Umgang mit Licht und Farbe sowie deren Wirkungen auf den Menschen in Erscheinung und definieren hierdurch neue, nicht mess-

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bare Sollwerte für die zukünftige architektonische Qualität. Nach dem Großteil aller gängigen Faktoren der Qualitätsmessung womöglich unterdurchschnittlich abschneidend, definieren seit jeher sog. Meisterwerke die architektonische Qualität. Letztlich muss immer das subjektive Gefühl eines jeden Individuums beim Erblicken oder Betreten von Architektur über gute oder schlechte Qualität entscheiden: Architektur »muss unser Leben inspirieren« [9] Somit kann auch ein Bauwerk, welches zum Nachdenken anregt, dabei aber nicht unbedingt dem allgemeinen Verständnis von Schönheit entspricht, sehr qualitätvolle Architektur sein. Dieses transzendentale, nicht quantifizierbare und zum Teil höchst subjektive Qualitätsverständnis – worin die Architektur dem Verständnis Gombrichs [121] nach der Kunst sehr ähnlich ist – sollte somit zukünftig im Kontext der soziokulturellen Säule der Nachhaltigkeit eine größere Rolle spielen. • Gestalterische Qualität Die gestalterische Qualität ist das Bindeglied zwischen der architektonischen Qualität und der Ausführungsqualität. Durch die Detaillierung im Zuge der Ausführungsplanung ist dafür Sorge zu tragen, dass es den Ausführenden ermöglicht wird, den architektonischen Entwurf qualitativ hochwertig in die Realität zu überführen – ob dies den Ausführenden wiederum gelingt, wird hingegen durch die Ausführungsqualität wiedergegeben. Auch managementbezogene Faktoren, wie beispielsweise die Vergabe, spielen im Kontext der gestalterischen Qualität daher eine große Rolle. Ein Bauwerk kann somit eine sehr hohe architektonische Qualität besitzen und dennoch gestalterisch die Qualitätsansprüche nicht befriedigen. Umgekehrt kann auch ein architektonisch nicht als qualitätvoll zu bezeichnendes Gebäude eine hohe gestalterische Qualität aufweisen – dies wird meist nur dann ersichtlich, wenn auch die Ausführungsqualität hoch ist. • Ausführungsqualität Die Ausführungsqualität ist direkt vergleichbar mit der technischen Qualität von Produkten und wird ausschließlich in der Ausführung entschieden. Unabhängig davon, wie die Details vonseiten der Planer zeichnerisch gelöst wurden, hängt die Ausführungsqualität nur vom Grad des Erreichens dieser a priori definierten Sollwerte ab. Die Planung des Ausführungsprozesses hat hierauf dennoch einen indirekten Einfluss, da beispielsweise die Verlagerung von Teilbereichen der Ausführung in das Werk zumeist ein höheres Qualitätsniveau verspricht. Zu beachten hierbei ist ein eventuell auftretender Konflikt: Obschon die Ausführungsqualität vorgefertigter Elemente oft die von Verfahren vor Ort übertrifft, können unter Umständen der Gesamteindruck und somit die architektonische Qualität darunter leiden. Es handelt sich also um ein fertigungsbezogenes Qualitätsverständnis.

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• Qualität der Nachhaltigkeit Der Terminus Nachhaltigkeit kann als Qualitätsbegriff verstanden werden: Ist ein Gebäude nachhaltig, besitzt es ein hohes Qualitätsniveau bezogen auf die gesteckten Sollwerte der Nachhaltigkeit. Um dies beurteilen zu können, existieren umfangreiche Kriterienkataloge im Kontext von Zertifizierungssystemen, die durch Institutionen wie das United States Green Building Council (USGBC) [187], das britische Building Research Establishment (BRE) [49] oder die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) [77] erarbeitet wurden. Hierdurch existieren unterschiedliche Auffassungen über die Anzahl der zu berücksichtigenden Kriterien sowie die Höhe einzelner zu erreichender Sollwerte [91].

Die Zertifizierung der Qualität Zertifizierungssysteme haben einen großen Anteil an der steigenden Relevanz des Themas Nachhaltigkeit im Bauen. Durch sie können Maßnahmen zur Planung und Realisierung nachhaltiger Gebäude nicht nur prozessbegleitend integriert und überwacht, sondern deren Funktion nach Fertigstellung des Gebäudes auch gemessen und bewertet werden. In erster Linie geschieht dies durch den Fokus auf das Objekt, welches als offenes technisches System verstanden wird. Der Kriterienkatalog der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen (DGNB) [79] umfasst diesbezüglich folgende vier Themenfelder: • Ökologische Qualität: Ökobilanz, Wirkungen auf globale und lokale Umwelt, Ressourceninanspruchnahme und Abfallaufkommen • Ökonomische Qualität: Lebenszykluskosten, Wertentwicklung • Soziokulturelle und funktionale Qualität: Gesundheit, Behaglichkeit und Nutzerzufriedenheit, Funktionalität, gestalterische Qualität • Technische Qualität: Qualität der technischen Ausführung Folgende zwei weitere Kriterien vervollständigen den derzeitigen Katalog, fließen aber nicht gleichwertig in die Bewertung mit ein: • Prozessqualität: Qualität der Planung, Qualität der Bauausführung, Qualität der Bewirtschaftung • Standortqualität: (findet keinen Eingang in die Gesamtbewertung) Das Kriterium der Prozessqualität ist von besonderer Bedeutung. Hierbei wird bewertet, inwiefern die Kriterien der Nachhaltigkeit über den gesamten Prozess der Planung, der Bauausführung und der Bewirtschaftung hinweg bei den Projektbeteiligten Beachtung finden. Während die vier Erstgenannten zu je 22,5 Prozent in die Bewertung einfließen, wird die Prozessqualität im Rahmen einer Zertifizierung nur mit 10 Prozent berücksichtigt [79].

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Zur Prozessqualität tragen die Projektvorbereitung sowie die Methoden einer integralen Planung bei. Ebenso wird beurteilt, ob während der Planung trotz eines Anstiegs der Komplexität weitere Optimierungsschritte vorgenommen werden. Die Sicherung der Nachhaltigkeitsaspekte über die Ausschreibung und Vergabe hinweg findet im Rahmen der Bewertung der Prozessqualität ebenfalls Beachtung. Dem Erfüllungsgrad der Qualitätskriterien entsprechend wird bewertet, inwieweit durch die im Prozess durchgeführten Schritte eine optimale Voraussetzung für eine nachhaltige Bewirtschaftung des Gebäudes geschaffen wird. Die Qualität der Bauausführung wird nach DGNB [79] durch vier weitere Faktoren bewertet: die Qualität der Baustelle bzw. des Bauprozesses, die Qualität der ausführenden Firmen sowie deren Präqualifikation, die Qualität der Bauausführung und die systematische Inbetriebnahme des fertigen Gebäudes. Auch zur nachhaltigen Bewirtschaftung während der Nutzungsphase eines Gebäudes werden Kriterien angesetzt. Diese lauten: Strategie und Controlling sowie ein systematisches Installations- und Ressourcenmanagement. Zertifizierungssysteme ermöglichen somit ein erhöhtes Maß an Kontrolle in Bezug auf die Einhaltung der Kriterien zur Nachhaltigkeit. Ein weiteres Verdienst ist die öffentliche Vermarktung der Relevanz dieses Ziels. Der Erreichungsgrad der Zielmarken wird durch das Deutsche Gütesiegel Nachhaltiges Bauen der DGNB quantifiziert und kann durch das Anbringen von Gold-, Silber- oder Bronze-Plaketten durch den Bauherrn visualisiert werden. Das Messbar- und Sichtbarmachen bislang unsichtbarer Faktoren ist ein wichtiger Aspekt von Zertifizierungssystemen. Die Thematik wird hierdurch auch über die Fachkreise hinaus diskutiert. Es entstehen Mechanismen des Wettbewerbs, die Anreize zu weiterer Entwicklung liefern. Letztlich werden auch für Investoren und Nutzer monetäre sowie imagefördernde Anreize gebildet.

Kritische Betrachtung Andererseits bilden sich aus der Zertifizierung vier Problemfelder für den Prozess im Bauen heraus, die im Folgenden erläutert werden: • Marktkompatibilität definiert Qualitätsniveaus Die Strukturen und Inhalte von Nachhaltigkeitszertifizierungen bauen auf den herrschenden Marktbedingungen auf. Hierdurch wurde eine zeitnahe Umsetzung in die Baupraxis erzielt. Wichtige Aspekte sind eine möglichst konfliktfreie Integration in die im Alltag praktizierten Abläufe sowie eine möglichst geringe Kostensteigerung für die Auftraggeberseite. Insbesondere in den Systemen BREEAM und LEED spiegelt sich dieser Ansatz wider. Das Ergebnis besteht in einer starken

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Vereinfachung der komplizierten Zusammenhänge und einer Definition des Qualitätsniveaus, die sich nicht nur nach den ökologischen Nachhaltigkeitskriterien, sondern ebenso nach den Kriterien des existierenden Marktes ausrichtet. Ein Mittelmaß, das den sog. Standard festlegt, ist die logische Folge. Je niedriger die Qualitätsniveaus der Richtwerte, die es zum Erreichen beispielsweise eines Gold-Zertifikats bedarf, angesetzt sind, desto niedriger ist auch die Resistenz der Akteure: je geringer der Mehraufwand, desto geringer die zusätzlichen Kosten. Eine vergleichsweise einfache Bilanzierung der zusätzlichen monetären Gewinne, die sich durch ein zertifiziertes Gebäude auf dem Immobilienmarkt erzielen lassen, zeigt dem Auftraggeber nach der Subtraktion der zusätzlich zu investierenden Baukosten die Rentabilität der Zertifizierung auf. Eine systemisch angelegte Definition des Begriffs Nachhaltigkeit, welche die Interdependenzen zwischen der ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Säule gleichrangig berücksichtigt [2], ist somit einerseits zwar für den Veränderungsprozess essenziell – andererseits führt sie aber auch zu Kompromissen, die tiefgreifendere Veränderungsprozesse unterbinden. Würde die ökologische Säule in einem Maße berücksichtigt, das der Größe der Herausforderung entspräche, würden die Auswirkungen auf die beiden anderen Säulen als negativ betrachtet werden. Zu große ökonomische Einschnitte wären dem Bauherrn nicht vermittelbar; soziokulturelle Auswirkungen würden befürchtet. Durch das Festhalten am Bestehenden auf der einen und dem Betreten von Neuland auf der anderen Seite ist zu vermuten, dass Innovationen auf soziokultureller und ökonomischer Ebene verhindert werden. • Kosten und Aufwand als neues Konfliktfeld Die Mehrkosten für eine Zertifizierung teilen sich in drei Bereiche: 1. in Kosten, die an den Zertifikatsverleiher zu entrichten sind, 2. in solche, die für die Arbeit des Auditors anfallen, und 3. in Kosten, die zum Erreichen der Qualitätsstandards der Nachhaltigkeitskriterien selbst investiert werden müssen (inklusive Sach- und Planungskosten). Als Richtwert kann von ca. 15  Prozent der Bausumme ausgegangen werden, wobei allerdings anzunehmen ist, dass sich die Amortisationszeit durch die verringerten Unterhaltskosten im Lebenszyklus mit fortschreitender Entwicklung der Technologien verkürzen wird, sodass langfristig innerhalb von drei Jahrzehnten nicht nur die Mehrkosten, sondern darüber hinaus die gesamten Baukosten zu amortisieren sind [285]. Diese Mehrkosten, die relativ komplizierten Nachweise sowie eine Vielzahl neuer Abhängigkeiten und Schnittstellen bergen prinzipiell ein erhöhtes Risiko (juristischer) Streitigkeiten. Zudem steht zur Erlangung einer hohen Prozessqualität jeder planenden eine verwaltende Handlung gegenüber: Dokumentation und

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Überwachung rücken innerhalb des Prozesses zeitlich immer weiter nach vorne. Neben dem positiven Effekt der Steigerung der Prozessqualität kann dies auch einen negativen Effekt im Hinblick auf das Vertrauen im Team und das Streben nach neuen Lösungen innerhalb eines kreativen Prozesses erzeugen. • Quantifizierung führt zur Entpersonalisierung der Verantwortung Quantifizierbare Argumente sind in Entscheidungsfindungsprozessen im Bauen nichtquantifizierbaren oft überlegen. Diese Tatsache beruht auf der Rationalität des wissenschaftlichen Denkens. Die hieraus gefolgerte Unterscheidung in rational und emotional impliziert allerdings häufig den Trugschluss, dass das eine das andere ausschließe. Dies bedeutete, dass rationale Entscheidungen keinen Entscheider hätten und emotionale Entscheidungen aufgrund des Entscheiders per se irrational wären. Hieraus entwickelt sich gegenwärtig ein Konflikt, der auf demselben Denkfehler beruht: Nachhaltigkeit oder Kreativität. Ein neues »Entweder– Oder« entsteht, wo ein »Sowohl-als-Auch« vonnöten ist [218]. Doch nur als kreative Architektur ergibt nachhaltiges Bauen soziokulturell Sinn, und nur durch nachhaltiges Bauen ist kreative Architektur ökologisch vertretbar. Als noch bedeutender wird die Gefahr der Qualitätsminderung der gebauten Umwelt durch die formale Rationalisierung der Entscheidungsbegründung eingeschätzt. Indem sich Auftraggeber, die ihr Handeln einerseits intern (z. B. vor Aufsichtsräten) und andererseits extern (z. B. vor der Öffentlichkeit) begründen und vertreten müssen, auf wissenschaftliche Kriterien, quantifizierte Daten sowie einen qualitätsgeprüften Prozess berufen können, sichern sie ihre Entscheidung offiziell ab. Die hieraus resultierende »Unantastbarkeit« der Entscheidungsträger kann bei qualitätssichernden Maßnahmen als egoistisches Moment beobachtet werden – zu dem sie jedoch aufgrund der bestehenden Strukturen quasi gezwungen werden. Diese Entpersonalisierung der Entscheidung hat zur Folge, dass sich der Entscheider zunehmend seiner Verantwortung entzieht. Was Lampugnani [183] über die Beauftragung von sog. Star-Architekten beklagt, deren Werk eine allgemeine Anerkennung genieße, die den Auftraggeber von seiner Verantwortung für die Qualität eines Gebäudes freispreche, könnte zukünftig auch über die Quantifizierbarkeit nachhaltiger Gebäude konstatiert werden. • Prozessqualität unabhängig von Entscheidung Das Zertifizierungssystem der DGNB untersucht neben der Qualität des Gebäudes auch die Qualität des Prozesses. Dabei ist festzustellen, dass es beim Abgleich von Prozess- und Produktqualität a posteriori zu signifikanten Differenzen kommen kann. Werden durch einen auf die Übereinstimmung mit den Kriterien der Zertifizierung hin optimierten Prozess die Weichen für ein ebenso nachhaltiges Gebäude gestellt, erreicht die Prozessqualität theoretisch einen sehr hohen Erfüllungsgrad.

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Fällt die Entscheidung z. B. des Bauherrn oder einer Jury trotz der von den Planern vorbildlichen Prozessgestaltung allerdings gegen eine nachhaltige Lösung aus und wird eine andere, womöglich gänzlich unnachhaltige Alternative realisiert, so hat dies keinen negativen Einfluss auf die Bewertung der Prozessqualität. Insbesondere in den schwieriger zu quantifizierenden Bereichen, wie beispielsweise der soziokulturellen Säule der Nachhaltigkeit, spiegelt sich eine solche Entscheidung in der Gebäudebewertung nicht wider.

5.2 INTEGRATIVE PROZESSMODELLE Die Missstände im Bauen haben in anderen Ländern seit einigen Jahren dazu geführt, dass neue Prozessstrukturen erarbeitet wurden. Die wichtigsten kommen aus den Niederlanden und den USA: Bouw-Team-Modelle und Integrated Project Delivery (IPD).

Bauteam-Modelle Insbesondere das niederländische Konzept des Bouw-Teams fand (als Bauteam) bereits in der deutschen Debatte um die Optimierung der Abläufe – allerdings vornehmlich zur Einsparung von Kosten und Zeit – Beachtung [29]. In einigen europäischen Staaten hat es zu einer Adaption der jeweiligen Prozessorganisation geführt. Aus deutscher Sicht wird im Allgemeinen zwar die dadurch in den meisten Fällen erzielte Kostensenkung begrüßt, der zugleich beobachtete Qualitätsverlust nicht nur vonseiten der Architekten aber als Gegenargument angeführt. Da es vornehmlich die Beziehung zwischen Architekt und Handwerker betrifft und weder umfassend die Neuerungen auf der Ebene der digitalen Datenverarbeitung und Kommunikation noch die Komplexität größerer Bauprojekte zu bewältigen vermag, wird an dieser Stelle auf die Literatur verwiesen: Einen allgemeinen Überblick geben die Architektenkammer Baden-Württemberg [29] sowie Wehrle [318]. Weeber et al. [317] beziehen sich in erster Linie auf die Vorteile der Kostensenkung, Weber [316] vergleicht den teamorientierten Ansatz im europäischen Ausland mit der herkömmlichen deutschen Verfahrensweise. Gesondert wird auf mit dem Bauteam-Gedanken verwandte Unternehmensstrategien, die vonseiten der Bauindustrie insbesondere auf Großprojekte abzielen, verwiesen [340]. Daneben besteht das Prinzip der Lean Construction, das aus der Lean Production und dem Lean Management der Automobilindustrie adaptiert wurde. Wenngleich es wichtige Aspekte wie Komplexitäts- und Unsicherheitsbewältigung insbesondere bei schnellen Projektabläufen sowie die Minimierung des Ressourcenverbrauchs beinhaltet, ist es in erster Linie ein »Projekt-Abwicklungs-System« [151]. Tiefergehende Betrachtungen, welche die systemischen Zusammenhänge zwischen digitalen Planungswerk-

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zeugen und den Zielen der Nachhaltigkeit betrachten, liefern Forbes und Ahmed [109]. Die Herkunft aus der Automobilindustrie und die Wichtigkeit der Kontrollfunktion aus Sicht des Projektmanagements wird durch Wolf herausgestellt [336]; Altner [12] schildert die Vorteile vonseiten einer Bauunternehmung.

Integrated Project Delivery (IPD) Das Konzept der Integrated Project Delivery (IPD) des American Institute of Architects (AIA) [156] stellt hingegen einen umfangreichen Ansatz zur Prozessoptimierung dar. Die Projektabwicklung, die mit dem IPD verfolgt werden soll, integriert Beteiligte, Systeme, Geschäftsstrukturen und -praktiken in einen Prozess, der die Kompetenzen und das Wissen aller Beteiligten nutzt; Ziel ist es, die Projektergebnisse zu optimieren, dem Bauherrn einen Mehrwert zu generieren und Abfall zu vermeiden, während die Effizienz über alle Phasen hinweg maximiert wird [156]. Der Schlüssel zum Erfolg ist demnach die enge und teamorientierte Zusammenarbeit aller Beteiligten von einem möglichst frühen Zeitpunkt an. Die Vision des AIA lässt sich in sechs Punkte übersetzen [156]: • Facility Management, Nutzer, Bauunternehmen und Subunternehmen bzw. Zulieferer sind von Anfang an in den Entwurfsprozess involviert. • Prozesse sind ergebnisorientiert, und Entscheidungen werden nicht allein auf der Basis von Kosten getroffen. • Die Kommunikation über den gesamten Prozess hinweg ist klar, präzise, offen, transparent und vertrauensvoll. • Der Entwerfer versteht zum Zeitpunkt seiner Entscheidungen deren spätere Auswirkungen. • Risiken und Entlohnungen sind über die gesamte Zeitspanne eines Projekts wertebasiert und unter den Beteiligten angemessen ausgeglichen verteilt. • Als Ergebnis liefert die Bauindustrie eine qualitätvollere und nachhaltigere gebaute Umwelt. Die Verwendung digitaler Planungs- und Kommunikationstechnologien ist dabei nicht nur als Mittel, sondern auch als Ursache zur Entwicklung des IPD zu verstehen. Anders als die deutsche Vereinigung buildingSMART [191] sieht das AIA das sog. Building Information Modeling (BIM) nicht als Methode, sondern lediglich als Werkzeug an. IPD beinhaltet Methoden, die in Kombination mit BIM zu einem neuen Prozess führen [156]. Sowohl das Werkzeug BIM als auch der Prozess IPD können aber auch getrennt voneinander Anwendung finden. IPD ist daher so aufgebaut, dass es auf jede Art von Projekt angewendet werden kann. Die Beteiligten werden dabei durchgehend in drei Gruppen eingeteilt: »Owner«, »Constructor« und »Designer« [156]. Diese Termini sind einerseits gut gewählt, da sie offen

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Primary Participants Bauherr (Owner) Architekt (Designer) Bauunternehmer (Constructor)

Key Supporting Participants

Fachplaner

Aufgabe

BOL

Subunternehmer

Facility Management

Übergabe

PLANUNG

AUSFÜHRUNG

NUTZUNG

EOL

ZEIT

Abb. 9: Projektbezogene Organisation (nach IPD [156] )

genug sind, um als Überbegriffe für die einzelnen Vertragsparteien zu fungieren. Andererseits wird das Feld der auf den Projektverlauf Einfluss habenden Akteure stark eingeschränkt. Zudem ergeben sich durch die Offenheit der Begriffe unpräzise Deutungsspielräume. Der »Designer« beispielsweise ist heute nicht mehr zwingenderweise Entwerfer und Überwacher in Personalunion von der Initiierung bis zur Projektübergabe. So kann es auch hier zu Brüchen kommen, die durch das Konzept des IPD nicht adäquat wiedergegeben werden. IPD konzentriert sich daher in erster Linie auf die Kollaboration der drei genannten Gruppen, die es als »Primary Participants« bezeichnet → s. Abb. 9. Diese werden durch einige »Key Supporting Participants« unterstützt. Diese zunächst als logisch erscheinende – weil komplexitätsvermeidende – Trennung führt jedoch zu Abgrenzungen und Hierarchieebenen, die eigentlich überwunden werden sollten. Dennoch sind die neun Prinzipien des IPD [156] für diese Untersuchung von Bedeutung: • Gegenseitiger Respekt und Vertrauen: Alle Beteiligten sind gewillt und engagiert, im Team zu arbeiten, und verstehen den Wert der Kollaboration. • Allgemeiner Mehrwert und anteilige Entlohnung: Alle Beteiligten profitieren von der Arbeit im Team. Die Entlohnung basiert auf dem Wert, den ein Beteiligter eingebracht hat.

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• Kollaborative Innovation und Entscheidungsfindung: Innovationen werden durch den freien Austausch von Ideen stimuliert; Entscheidungen werden im Hinblick auf den erwarteten Wert für das Projekt getroffen, nicht auf der Basis eines vordefinierten Status eines Beteiligten. Schlüsselentscheidungen werden im Team evaluiert und einstimmig getroffen. • Frühe Involvierung der Beteiligten: Die Entscheidungsfindung wird verbessert durch Integration von Wissen und Expertise der Beteiligten aus späteren Phasen. • Frühe Zielfestlegung: Projektziele werden früh und gemeinschaftlich erarbeitet, beschlossen und von allen über den gesamten Projektzeitraum respektiert. • Intensivierte Planung: Die Verbesserung der Ergebnisse der Entwurfsphase führt zu größerer Effizienz und zu Einsparungen in der Ausführung. • Offene Kommunikation: An die Stelle von Schuldzuweisungen und Haftungsklagen tritt der projektbezogene Wille, Probleme gemeinschaftlich zu lösen. Die Kommunikation muss daher offen, direkt und ehrlich vonstatten gehen. • Adäquate Technologie: Die Verwendung neuester Technologien wird zu Beginn festgelegt. Funktionalität und Interoperabilität sind dabei für die Kommunikation von größter Wichtigkeit. • Organisation und Leadership: Das Projektteam soll eine eigene Organisation sein. Die Führung wird themenspezifisch von demjenigen übernommen, der am besten hierfür geeignet ist. Da IPD auf die heute gängigen Strukturen der Bauwirtschaft aufsetzt, kann es den gewünschten radikalen Wandel allerdings nicht frei von gewissen Zwängen und Rahmenbedingungen proklamieren. Insbesondere bei der Frage der Verantwortlichkeiten sowie der Honorierung von Leistungen ergeben sich interne Widersprüche: So soll einerseits die über Jahrzehnte hinweg entstandene Trennung der Verantwortlichkeiten aufgebrochen werden, andererseits sollen die Rollen klar definiert bleiben. Als Appell ist der wiederholte Bezug zu »Kollaboration« und »Vertrauen« sicherlich richtig; ob dieser sich jedoch in einer Branche, die stark durch zeitlich begrenzte Projektarbeit geprägt ist, umsetzen lässt, ist fraglich. Die Antwort auf diese Frage liefert IPD durch die Kopplung des Erfolgs jedes Einzelnen an den Gesamtprojekterfolg. Wie dies im Detail aussehen mag, bleibt allerdings verborgen. Es wird im Gegenteil darauf verwiesen, dass ein »kultureller Wandel« im Bauwesen bzw. in der Art und Weise der zwischenmenschlichen Zusammenarbeit stattfinden muss. Die wichtigsten Aspekte des IPD [156] werden im Folgenden zusammengefasst und diskutiert: Anders als in traditionellen Projektteams können die »Primary Participants« sich in »Single Purpose Entities« (SPE), also Zweckgesellschaften oder Arbeitsgemeinschaften (ARGE), zusammenschließen. »Key Supporting Participants« können entweder vertraglich an die ARGE gebunden sein oder an eines seiner Mitglieder. Somit sind der Trag-

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werks-, Fassaden- oder TGA-Planer nicht Teil des inneren Kerns der Entscheidungsträger. Diese Regelung führt letztlich nicht über den bisherigen Grad der Integration hinaus – ihr Wissen wird nach wie vor als Fachplanung abgefragt, die systemische Bedeutung weiterhin verkannt. Die Wichtigkeit der intrinsischen Motivation durch die Identifikation dieser Akteure mit dem Team und seinen Zielen bleibt hierbei unbeachtet. Um ein Projektteam zu installieren, erscheint eine große Anzahl von Faktoren zu Beginn festgelegt bzw. gemeinschaftlich erarbeitet werden zu müssen. Dies ist in der Folge von großer Wichtigkeit, da durch eine funktionierende Prozessstruktur, eine ausgeprägte Teamarbeit und definierte Regeln der Entscheidungsfindung die weiteren Schritte effizienter und mit weniger Fehlern durchgeführt werden können. Jedoch bestehen hier zwei große Probleme: Zum einen erarbeitet das Team die Strukturen seines eigenen Handelns selbst – im Regelfall ist allerdings keiner der Beteiligten in dieser Hinsicht kompetent; zum anderen kann sich dieser Arbeitsschritt unter Umständen zeitintensiver gestalten als zunächst prognostiziert.

Kritische Betrachtung Grundlegende Schwierigkeiten des IPD sind auf die Organisationsform als Projekt zurückzuführen. Ökonomische Anreize sowie rechtliche Verantwortlichkeiten werden maßgeblich durch die zeitlich begrenzte Zusammenarbeit bestimmt. Obwohl das IPD umfassende Eingriffe in die existierenden Strukturen vornimmt – insbesondere weil große Teile der Entscheidungsfindung von bisher späteren in jetzt frühere Phasen vorverlegt werden –, baut es auf den bestehenden Strukturen auf, ohne die Rahmenbedingungen ganzheitlich zu betrachten. Die Trennung und Hierarchisierung der einzelnen Beteiligten bleibt ungeachtet des diesbezüglichen Reformwillens bestehen. Die Schnittstellenoptimierung mittels der Verwendung digitaler Werkzeuge wird optimiert, während das Verständnis der Beweggründe der jeweiligen Beteiligten davon allerdings weitestgehend unberührt bleibt. Das IPD detektiert, was die zeitliche Abfolge der Entscheidungsfindung anbelangt, die richtigen Schwachstellen und zieht die richtigen Rückschlüsse. Dies soll zu einer Effizienzsteigerung des gesamten Prozesses führen. Kosten und Zeit können eingespart und Risiken minimiert werden. Auch werden innerhalb der heutigen Möglichkeiten die richtigen Maßnahmen ergriffen, um die Nachhaltigkeit der Gebäude zu verbessern. Dies wird maßgeblich erreicht durch das sehr frühe Einbinden von Expertenwissen sowie durch die verbesserte, transparentere und ehrgeizigere Definition von Zielwerten und Messverfahren beispielsweise hinsichtlich der Energieeffizienz oder dem Ressourcenverbrauch.

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Die Qualität des Prozesses ist demnach gestiegen, doch bestehen durch die Anwendung des IPD insbesondere zwei Risiken: zum einen die Gefahr der Stagnation durch einen übermäßigen Organisations- und Koordinationsaufwand aller Beteiligten. Der Anteil der zur Kollaboration benötigten Energie kann den der inhaltlichen Projektarbeit erreichen oder gar übersteigen, was Ineffizienzen zur Folge haben kann. Zum anderen besteht die Gefahr der Innovationsvermeidung durch übermäßige Kontrolle aller Entscheidungen auf der Basis bewertbarer Parameter. Nicht nur die Kreativität der Entwerfer, sondern in letzter Konsequenz auch die Forschung und Entwicklung von Bauunternehmen könnte darunter leiden, dass von vornherein versucht wird, allen Unwägsamkeiten aus dem Weg zu gehen. Und letztlich muss die legitime Frage gestellt werden, weshalb trotz der vermeintlich überlegenen Prozessorganisation in den USA die Meilensteine in puncto Nachhaltigkeit, Qualität und Innovation vornehmlich anderswo gesetzt werden.

Insourcing : Architektur als »Marke« Eine Lösung hierfür könnte in der Auflösung der Trennung der einzelnen Beteiligten gefunden werden. Vergleichbar mit dem Automobilbau, könnten sich Unternehmen bilden, die die Kompetenzen aller Beteiligten als Einheit unter einer sog. Marke bündeln. Die komplizierten und risikobehafteten Teambildungsprozesse sowie die damit verbundenen rechtlichen Verträge und Haftungsbedingungen entfielen. Gleichzeitig könnte die Motivation aller Akteure steigen, da das gesamte Team nach außen verkörpert wird und monetäre Gewinne sich entsprechend für alle Beteiligten bemerkbar machen. Rechtsstreitigkeiten hingegen würden minimiert – externen Ansprüchen könnte durch die »Marke« gemeinschaftlich begegnet werden. Ein weiterer Vorteil wäre die langfristige, kontinuierliche, projektübergreifende Zusammenarbeit der Teams. Damit einhergehen würde die Auflösung der organisatorischen und administrativen sowie soziokulturellen Schwierigkeiten der Projektbildungs- und Einarbeitungsphasen. Hiermit ebenfalls verbunden wäre ein unternehmensinterner kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP), bei dem sowohl organisatorische als auch projektspezifisch inhaltliche Erfahrungen und Erkenntnisse gesammelt und dokumentiert werden, um über Projektgrenzen hinweg Wissen aufzubauen. Ansätze, diesen Prozess mithilfe von Software zu unterstützen, existieren bereits [75]. Die so gewonnenen Kompetenzen spiegeln sich auf lange Sicht in der »Marke« nach außen wider. Marktvorteile werden sowohl durch die Effizienz der Prozesse als auch durch die Qualität der Produkte bzw. Bauwerke entstehen, während Risiken minimiert werden. Ein Ausbrechen aus dem im Regelfall »preisbasierten Wettbewerb« [308] wird möglich. Monetäre Gewinne, die den Kapitalstock erhöhen, wären die Folge. Dessen Reinvestition in Forschung und Entwicklung – das Grundprinzip aller außerhalb des Baugewer-

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Marke Architekt & Ingenieur Bauunternehmer

Experten

Fachplaner

Hersteller

Aufgabe

BOL

Zulieferer

Facility Management

Übergabe

PLANUNG

PRODUKTION

Fachplaner

Umbau

NUTZUNG

Verwerter

Rückbau

UMNUTZUNG

EOL ZEIT

Abb. 10: Prozessbezogene Organisation

bes produzierenden Unternehmen – könnte auch in der Architektur Einzug halten. Das Innovationspotenzial in der Grundkonzeption von Gebäuden würde steigen und sich von der reinen Komponenten- auf die Konzeptebene verlagern. Vergleicht man dieses Szenario mit der Automobilindustrie, so wird ersichtlich, dass der Gestalt des Endprodukts auf Kunden- bzw. Nutzerseite die entscheidende Bedeutung zukommt. Die Prozessgestaltung wäre Angelegenheit der einzelnen Unternehmen. Sie könnten selbstständig ihr Profil erarbeiten und ihre Schwerpunkte sowohl auf Prozess- als auch auf Produktebene setzen. Gleichzeitig müsste die Verantwortlichkeit dieser Unternehmen für ihre Produkte ausgedehnt werden, sodass sie auch während des Betriebs und am EOL-Punkt des Gebäudes noch verantwortlich wären. Dies erhöhte den Anreiz bzw. die Verpflichtung, während Entwurfsplanung und Ausführung bereits verstärkt diesen nachgelagerten Phasen Beachtung zu schenken. Im Automobilbau ist es üblich, den Hersteller für Wartungszwecke während der Nutzungsphase regelmäßig zu konsultieren; hieraus wird ein Großteil des Umsatzes generiert. Bei diesem Szenario käme somit der Lebenszyklusbetrachtung ein erhöhter Stellenwert zu. Einem geordneten Rückbau, sortenreinem Trennen und vollständig hochwertigem Rezyklieren der verwendeten Baumaterialien würde der Weg bereitet. Die Dokumentation der Planung und der Gebäudezusammensetzung ermöglichte dies auf technologischer, die Ausdehnung der Verantwortlichkeit auf juristischer Ebene. Marktwirtschaft-

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liche Vorteile ergäben sich durch die Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung, da zukünftig das Image der »Marke« direkt mit diesen Fragen verbunden sein wird. Diese Überlegung erscheint in Anbetracht der bisherigen und durch die Berufsordnung der Freien Architekten [34] manifestierten Trennung von Dienstleistung und Produktion revolutionär. Doch solche Unternehmen bzw. Marken existieren bereits in Gestalt von Generalunternehmen, Bauträgergesellschaften oder Fertighausanbietern. Würden diese ihre Arbeit an ganzheitlich nachhaltigen und innovationsfördernden Prinzipien ausrichten, wie sie in diesem Buch beschrieben werden, so könnten zukunftsfähige Organisationsformen und Unternehmensstrukturen entstehen. Insbesondere wäre hierbei zu beachten, dass auch die sog. weichen Kriterien, die den gestalterischen und kulturellen Wert der gebauten Umwelt bestimmen, gleichwertig Berücksichtigung finden. Hier besteht gegenwärtig ein Missstand, der auch daher rührt, dass sich überdurchschnittlich talentierte Entwurfsarchitekten in diesem Bereich zu wenig einbringen. Das skizzierte Insourcing wird als organisationsbezogen bezeichnet, da es nicht direkt an dem Prozess ansetzt, sondern an der Organisationsstruktur der Beteiligten. Risiken bestehen in dem eventuellen Entstehen einer übermäßigen Hierarchie aus Kontrollgründen und einem anwachsenden Koordinations- und Administrationsaufwand. Die Geschichte des Automobilbaus zeigt diese Probleme auf: Während die Automobilkonzerne bis heute weiter wachsen, wird die Kernmarke immer kleiner, da immer größere Anteile der Fertigung einem Outsourcing unterzogen werden. Immer mehr kleinere bis mittelständische Unternehmen arbeiten hier zusammen, um ein möglichst innovatives Endprodukt herzustellen. Viele der Zulieferer arbeiten dabei parallel für mehrere Marken und stellen unter Umständen die gleichen Teile für verschiedene Produkte her. Die Marke übernimmt dabei in der Öffentlichkeit für das Gesamtprodukt die Verantwortung und mehrt bei positiver Außenwahrnehmung gleichzeitig ihr Image. Sie definiert somit die zu erreichenden Ziele, ist maßgeblich für die Gestalt des Produkts und durch die Endfertigung letztlich Garant für die Qualität. Obwohl ein Großteil der Wertschöpfung von Dritten durchgeführt wird, tritt die »Marke« nach außen als Einheit auf. Für die Prozessgestaltung im Bauwesen kann hieraus gefolgert werden, dass die qualitätsentscheidenden Schritte – ganz gleich zu welchem Prozesszeitpunkt – von einer Einheit durchgeführt werden müssten → s. Abb. 10. Entsprechend der Automobilindustrie kann dadurch eine Vielzahl von Spezialisten über langfristige Rahmenverträge projektübergreifend partnerschaftlich und teamorientiert integriert werden. Essenziell ist durch die Verantwortung des Bauens jedoch, dass auch in einem solchen Prozessmodell Werte verfolgt werden, die gesamtgesellschaftlich geteilt werden. Der Architekt mit seinen auf das Wohl der Allgemeinheit bezogenen Kompetenzen muss sich hierbei besonders einbringen.

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PLANUNG

AUSFÜHRUNG PRODUKTBEZOGEN

PROJEKTBEZOGEN

PROZESSBEZOGEN

BOL

NUTZUNG

UMNUTZUNG

EOL

VORFERTIGUNG

Projektübergreifender Prozess Abb. 11: Produkt-, projekt- und prozessbezogene Organisation

In → Abb. 11 werden exemplarisch die herausgearbeiteten Unterschiede zwischen der produktbezogenen Organisation der HOAI, der projektbezogenen Organisation des IPD und der prozessbezogenen Organisation, welche dem Insourcing-Ansatz folgt, in Bezug auf ihre Bedeutung für den Lebenszyklus von Bauwerken verglichen.

5.3 DIGITALISIERUNG DES BAUENS Parametrismus vs. Performanz Dreidimensionale Planungswerkzeuge liefern dem Anwender ein Abbild eines Vorgangs, der mathematischen Ursprungs ist. Mit dem Eingreifen in die Algorithmen ist der Entwerfer in der Lage, eine große Varianz nicht nur visuell zu erzeugen, sondern die einzelnen Ergebnisse auch innerhalb kürzester Zeit mathematisch exakt zu beschreiben. Des Weiteren lässt sich eine beispiellose Summe an Bedingungen, die für das Zustandekommen einer Form herangezogen werden, handhaben und beeinflussen. Laut Schumacher [276] entwickelt sich auf der Basis dieser Entwurfsmethodik gegenwärtig ein neuer Stil, den er als »Parametrismus« bezeichnet. Diese Entwicklung findet allerdings vornehmlich auf akademischem Niveau statt. Ob parametrische Entwurfsmethoden die theoretische Debatte der Architektur ähnlich radikal revolutionieren werden wie die optische Revolution zum Ende des 19. oder die Erfindung der Zentralperspektive Ende des 17. Jahrhunderts [119], bleibt abzuwarten. Losgelöst von formalen Fragen der Architektur lässt sich festhalten, dass das Begreifen des Computers als Methode und nicht als Hilfsmittel großes Potenzial hinsichtlich einer innovationsfördernden und nachhaltigen Entwicklung im Bauen hat. In computerbasierten Design-

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verfahren werden die Vorteile der beliebigen Anzahl von Iterationsschritten mit der Erkenntnis gepaart, dass nicht der Entwerfer die formdefinierenden Parameter setzt, sondern sich der Entwurf durch von außen an ihn gestellte Anforderungen findet [289]. Menges [206] definiert das Resultat dieses Prozesses in Anlehnung an Kolarevic [175] als »performative Architektur«. Die Funktion definiert somit die Form, wenngleich die formale Gestaltgebung sich seit dem Sullivan’schen Ausdruck [298] durch die Digitalisierung maßgeblich gewandelt hat. In diesem Sinne geht dies aber keinesfalls auf einen gestalterischen Willen zurück, sondern auf die Tatsache, dass mithilfe der digitalen Technologien die Physik genauer analysiert und gleichzeitig die Form detaillierter an ihr ausgerichtet werden kann. War die Formensprache der Moderne noch bezogen auf die rationalen Fertigungsverfahren und die Übertragung der maschinengeprägten Denkweise auf das Alltagsleben der Menschen, so ergibt sich die Formensprache der sog. performativen Architektur aus der Analyse von System-Umwelt-Beziehungen und der Anwendung digitaler Technologien. Die Idee einer sog. service economy muss entsprechend die bestehenden Bewertungskriterien der Performanz, welche noch aus der sog. industrial economy stammen, ersetzen [292].

Digitale Prozesse Die Digitalisierung hat einen tiefgreifenden Einfluss auf das Bauen. Aus einigen der digitalen Technologien haben sich mittlerweile neue Methoden des Vorgehens entwickelt, die den Prozess im Bauen maßgeblich beeinflussen. Man unterscheidet »digitale Planungstechnologien« und »digitale Fertigungstechnologien« [135]. Dennoch haben beide einen konnektiven Charakter. Insbesondere digitale Planungstechnologien können mittels Simulationen Informationen aus nachfolgenden Phasen frühzeitig integrieren. Es entwickeln sich somit aus neuen Werkzeugen neue Methoden, auf welche die Prozessgestaltung stetig reagieren muss. Technologie wird in diesem Zusammenhang nach Ropohl [257] verstanden als Summe der Gegenstände, die vom Menschen künstlich entwickelt werden und einem profanen Zweck dienen. Technik hingegen wird verstanden als ein organisiertes Handlungsmuster, das der Erreichung eines Ziels dient. Beim Bauen ist das Werkzeug die Technologie, welche eine Technik des Planens bzw. eine Methode erzeugt oder bedingt. Durch das zeitliche Fortschreiben dieses Vorgangs entsteht ein Prozess; dieser umfasst eine Summe von Handlungen. Je komplizierter jede dieser Handlungen, desto spezialisierter müssen die Kenntnisse sein, die zur Verarbeitung von Information benötigt werden. Zwei Entwicklungen sind die Folge:

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Zunächst das Anwachsen der Summe der Prozessbeteiligten. Mit dem Anstieg der Komplexität nimmt die Teilung der Berufsstände zu. Effizienzeinbußen durch Schnittstellenprobleme sind die Folge. Die Digitalisierung hat allerdings die Anzahl der Beteiligten nicht steigen lassen. Heute werden aufgrund der rationalisierten, auf digitalen Technologien beruhenden Planungsmethoden Projekte i. d. R. mit weniger Mitarbeitern bearbeitet als früher – lediglich die Heterogenität der Akteure und die Anzahl der beteiligten Unternehmen hat zugenommen. Hieraus ergibt sich ein Kommunikationsproblem an den Schnittstellen. Die Folge ist das Übertragen immer größerer Prozessanteile in den virtuellen Raum. Das Bauen befindet sich somit zurzeit in einer Übergangsphase, in der Computer zwar in der Lage sind, große Datenmengen und komplexe Informationen zu verarbeiten, diese aber noch nicht vollständig integrieren und deuten können. Eine Vielzahl sog. neuer Akteure beschäftigt sich sozusagen mit den heute auf technologischer Seite existierenden Schwachstellen. Langfristig ist allerdings anzunehmen, dass die exponentielle Steigerung der Leistungsfähigkeit von Microchips [149] dazu führen wird, dass weite Teile der heutigen Expertenleistungen zukünftig von Computern übernommen werden können. Die Integration externer Simulationstools in die Planungssoftware des Architekten zeichnet sich bereits ab. Letztlich kann vermutet werden, dass dies langfristig zu einer schnittstellenärmeren, damit effizienteren und letztlich ganzheitlicheren Planung führen wird.

Digitale Planungstechnologien Folgende digitale Planungstechnologien, die Hauschild und Karzel [135] detailliert vorstellen, haben direkte Auswirkungen auf den Prozess im Bauen: • Geoinformationssystem (GIS) Umfassende Informationen zu Standort und Geografie können mithilfe von GIS eine integrale Basis der Planung darstellen. Städte lassen sich zudem immer weniger anhand von 2-D-Planmaterial planen – vielmehr müssen Fakten (z. B. Wasserverbrauch, Infrastruktursysteme, soziale Durchmischung), welche die Bedürfnisse der Bewohner widerspiegeln, analysiert werden, um nachhaltige Stadtkonzepte zu entwickeln [307]. Das Nutzen auch von (anonymisierten) privaten Daten (beispielsweise via GPS) kann darüber hinaus neue Erkenntnisse über die »unsichtbaren« Verbindungen zwischen den Elementen einer Stadt liefern [243]. Diese können zukünftig in GIS integriert werden. Bereits im Vorfeld müssen zukünftig die Wechselwirkungen zwischen einem einzelnen Bauvorhaben und der Stadt im Hinblick auf die Faktoren der Nachhaltigkeit virtuell untersucht werden.

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• Simulation Simulationen nutzen Algorithmen zur Aufbereitung und Verarbeitung von Information: »Es lassen sich [mit ihnen] komplexe Systeme und Prozesse in ihrem (zumeist dynamischen) Verlauf nachahmen«. [135] Mittelfristig werden Planungs- und Simulationssoftware weiter zusammenwachsen, die Bedieneroberfläche intuitiver gestaltet und die Parameter (in für den Anwender unsichtbaren Datenbanken) hinterlegt werden. Langfristig könnte sich ein Szenario einstellen, in dem planungsbegleitend alle relevanten Simulationen in einer einzigen Software durchgeführt werden [191]. »Das idealtypische Ziel der virtuellen Simulationstechnik ist eine antizipierte Lebenszyklusanalyse des betrachteten Gebäudes.« [135] • Parametrische Software Dreidimensionale Elemente werden durch parametrische Software mittels regelbasierter Datenmodelle zueinander in Beziehung gesetzt. Das Zeichnen wird dabei durch das Programmieren ersetzt, Varianten werden in kürzester Zeit erzeugt. Werden während der Planung lokal Änderungen vorgenommen, so entsteht kontinuierlich eine globale Anpassung des Modells. Die wahren Vorzüge des Einsatzes digitaler Werkzeuge entfalten sich erst durch diesen assoziativen Charakter; die Verwandtschaft zwischen digitaler und systemischer Denkweise wird ersichtlich. • Visuelle Programmierung Bei der sog. visuellen Programmierung muss der jeweilige Bearbeiter die »Sprache« des Programmierens nicht beherrschen. Ein grafisch aufbereiteter, modularer Aufbau von hinterlegten Bedingungen ermöglicht eine Anwendung über Projektgrenzen hinweg. So geht es hierbei in erster Linie um die unternehmensinterne Weitergabe von Wissen zwischen unterschiedlichen Projekten, die sowohl zeitlich als auch personell getrennt sein können. Durch die parametrisierte Modellierung des Entwurfs gleich zu Beginn der Planung ergibt sich eine Neustrukturierung der Leistungsinhalte – die Formulierung des Modells zu Beginn der Planung wird aufwendiger. Da die assoziativen Verbindungen zwischen den Einzelteilen nicht erst nach dem Prozess des Entwerfens zum Ziel der Effizienzsteigerung erfolgen sollte, sondern diese erst zum Entstehen eines Entwurfs führt, handelt es sich hierbei nicht um eine additive Leistung, sondern um die Tätigkeit des intelligenteren Entwerfens und Planens an sich – mit neuen Mitteln. Die hieraus resultierenden Vorteile für die späteren Phasen sollten zu einer erhöhten Vergütung bei der Anwendung von parametrischer Software führen. Nicht die Mehrleistung des Programmierens, sondern vielmehr die durch den generativen Ansatz erzeugte Ganzheitlichkeit fordert dies.

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• Industry Foundation Class (IFC) / GAEB IFC ist ein Datenformat, das durch die ISO/DIS 16739 [162] geregelt wird und als standardisierte Schnittstelle im Bauen dienen soll. Es optimiert die Zusammenarbeit aller Beteiligten auf technologischer Ebene. Die Industry Foundation Class (IFC) und in Deutschland der Gemeinsame Ausschuss Elektronik im Bauwesen (GAEB) ermöglichen bzw. erarbeiten einen herstellerunabhängigen, verlust- und fehlerfreien direkten Austausch zwischen allen Softwareprogrammen. Diese Daten umfassen z. B. Geometrien und Bauteilinformationen sowie Massen-, Material- und Kostenangaben. • Building Information Modeling (BIM) BIM ist weniger eine Software als vielmehr eine Methode zur digitalen, vernetzten Projektorganisation [190]. Das Ziel ist ein fehler- und verlustfreier Kommunikationsprozess aller Beteiligten. Informationen werden in Form von umfangreichen Datenbanken verknüpft und mittels eines einzigen dreidimensionalen sog. virtuellen Gebäudemodells visualisiert. Aufgrund der zukünftigen Relevanz von BIM wird hierauf später detailliert eingegangen. • Gläserner Projektraum Eine Erweiterung des BIM-Ansatzes stellt der sog. gläserne Projektraum dar. In ihm werden alle realen Handlungen virtuell abgebildet; ein Hoch- und Herunterladen von Daten entfällt. Die mobile Bearbeitung wird mithilfe des Cloud Computing noch weiter fortschreiten, sodass projektrelevante Information zukünftig virtuell erarbeitet, kommuniziert, dokumentiert und gespeichert werden kann. Die Echtzeitabbildung der Realität soll überdies teambildenden Charakter haben [240]. Da der virtuelle Raum ein Abbild des realen sein soll, müssen in ihm auch dieselben Strukturen herrschen [135]. Er spiegelt also auch die sich aus den real bestehenden Verträgen ergebenden Leistungen und Verpflichtungen ab. Alle Handlungen sind im gläsernen Projektraum nachvollziehbar, die Informationsflüsse sind transparent und können nicht gelöscht werden. Diese Kontrollfunktion steht dem »Community«-Charakter des Mediums diametral gegenüber und widerspricht den im Management proklamierten Regeln des sog. »Teamspirits«. Dennoch ist sie vor dem Hintergrund von Haftungs- und Gewährleistungsfragen weiterhin relevant. Allerdings kann dieses Kontrollinstrument unter Umständen auch dazu führen, dass Risiken von vornherein nicht mehr eingegangen werden und die Motivation der Akteure leidet. Durch einen automatisierten Abgleich mit dem Zeitplan (4-D-BIM) bestehen weitere Kontrollmechanismen, welche nicht nur den Druck auf die Beteiligten erhöhen, sondern auch den iterativen Prozess des Bauens – trotz Verwendung neuester Technologien – negieren; Innovationshemmnisse könnten die Folge sein.

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• Immobilien-Lebenszyklus-Management (ILM) Durch ein Immobilien-Lebenszyklus-Management (ILM) lassen sich schon früh Informationen implementieren, die vor allem für das spätere Facility-Management von großer Bedeutung sind. Hierin besteht neben dem Controlling der eigentliche Sinn des sog. lake knowledge [135]. Im Hinblick auf Nachhaltigkeitsaspekte ist diese Integration von sowohl Akteuren als auch Informationen aus späteren Phasen des Lebenszyklus eines Gebäudes positiv zu bewerten.

5.4 INFORMATIONSBASIERTE MODELLIERUNG Building Information Modeling (BIM) »Building Information Modeling (BIM) ist eine Methode der Planungsorganisation und Planungsdokumentation«, was bedeutet, dass deren »Einführung, Umsetzung und Förderung […] eine Managementaufgabe« ist [190] . Das Werkzeug, das hierbei zum Einsatz kommt, ist ein virtuelles Gebäudemodell bzw. digitales Bauwerksmodell. Die Standards auf technologischer Ebene werden von den Ausschüssen TC 59 und TC 184 der International Organization for Standardization (ISO) [158] sowie dem buildingSmart e. V. [192] genormt, um »in ihrer Gesamtheit einen einheitlichen, prozessübergreifenden Datenaustausch [zu] steuern« [191]. Der Gemeinsame Ausschuss Elektronik im Bauwesen (GAEB) [116] beschäftigt sich mit den Fragen der Schnittstellenoptimierung; die Ergebnisse gehen in die Arbeit des Deutschen Instituts für Normung (DIN) ein. Die durchgängige IT-Unterstützung im Bauen wird durch das Leitbild Bau [189] gefordert, ist in Deutschland aber noch nicht verbreitet [99]. Das Ziel dieser Arbeitsmethode liegt in der effizienteren Gestaltung des Wertschöpfungsprozesses im Bauen. Durch eine durchgängige IT-Unterstützung des Planungsund Bauprozesses sowie während der Nutzung sollen »Vorteile des Bauherrn« in den Bereichen »Termin-, Kosten- und Qualitätssicherheit« erzielt werden [190]. In der Praxis stellt sich dies so dar, dass die an Planung und Bau fachlich Beteiligten ihre Leistungen in ein gemeinsames virtuelles Gebäudemodell integrieren und hieraus wiederum auch die für sie relevanten Informationen entnehmen. Bei diesem Idealfall, dem »big open BIM« [191], wird ein digitales 3-D-Modell inklusive aller Details und zusätzlich mit sämtlichen nicht in Zeichnungen darstellbaren Informationen wie beispielsweise Mengenoder Herstellerangaben einzelner Elemente sowie entsprechender Preisinformationen hinterlegt. Alle Modellinformationen sind assoziativ miteinander verknüpft, sodass singuläre Veränderungen Aktualisierungen in allen betreffenden Daten hervorrufen. So können im Zuge der Ausschreibung und Vergabe hierüber digital Angebote abge-

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Architekt

Architekt

Auditor

Bauingenieur

TGA

Auditor

Bauingenieur

TGA

BIM Projektsteuerung

Behörde

Facility Management

Projektsteuerung

Bauunternehmen

Behörde

Facility Management

Bauunternehmen

Abb. 12: Herkömmlicher und BIM-basierter Informationsfluss [284]

geben, die Baustellenorganisation vorgenommen und der reale Baufortschritt kontinuierlich abgebildet werden. Die weitreichenden Veränderungen, die diese Methode hervorruft, werden von Crotty [67] beschrieben. Mit Fertigstellung des Bauwerks wird das digitale Modell an den Nutzer bzw. das Facility Management übergeben, sodass auch für die Folgephasen alle Informationen weiterhin vorhanden sind. Neben dem Nachtragsmanagement können hiermit auch die Wartung und evtl. weitere Planungsleistungen im Zuge eines Umbaus oder bei Sanierungsmaßnahmen kontrolliert werden. Ein großer Vorteil liegt dabei darin, dass anhand eines Modells und den hinterlegten Datenbanken die verbauten Materialien exakt lokalisiert und in ihrer Menge und ihren Eigenschaften bestimmt werden können. Die Methode des »big open BIM« kann daher als Idealtyp angesehen werden. »Die systematische und verlustfreie Erfassung, Bereitstellung und Langzeitbewahrung relevanter Bauwerksinformationen […] über den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks hinweg« [135] verändert den ihm zugrunde liegenden Prozess allerdings bisher nicht in einem Maße, wie es der systemische Ansatz vermuten ließe. Erst mit der weiteren Verbreitung von BIM ist zu erwarten, dass die Erkenntnis des Potenzials dieser Arbeitsweise reifen wird; bisher erachten nur 15 Prozent der Architekten in Deutschland BIM als zukünftig relevant [99]. Dieser »modellorientierten Arbeitsweise« steht die »zeichnungsorientierte Arbeitsweise« gegenüber [135]: Zeichnungen als Werkzeug des Entwerfens und Konstruierens, der Kommunikation und der Umsetzung auf der Baustelle bestehen immer aus der Darstellung von Geo-

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metrie. Diese definiert die Form eines Objekts. Der Entwerfer ist somit aufgrund des Werkzeugs vornehmlich an der Geometrie interessiert. Menges [206] umschreibt dies mit dem Satz: »Der Entwerfende operiert […] auf der Ebene des Phänotyps.« Die der Form unterliegenden, dem Betrachter aber verborgenen Informationen können zeichnungsbasiert vom Entwerfenden nicht bestimmt werden. Das Potenzial des Computers liegt jedoch in der Verarbeitung von analog nicht beherrschbaren Informationsmengen, wie sie im »Genotyp« von Formen auftreten. Mit dem Entwerfen von Systemen, deren Wechselbeziehungen einen Möglichkeitenspielraum für die Generierung einer Form definieren, kann der systemische Charakter der Faktoren, die auf die Architektur Einfluss haben, erfasst und integriert werden. Algorithmen ermöglichen hierbei die Kopplung von Informationen, sog. Parametern. Neben dem Vorteil, dass Optimierungsverfahren nicht mehr nur auf ein Ziel hin durchlaufen werden, ergibt sich trotz einer weiteren Zunahme von Komplexität und der Anzahl von Akteuren die Möglichkeit, ganzheitlich den systemischen Charakter von Bauwerken zu erfassen und sie entsprechend zu gestalten. Mit diesem sog. Computational Design wachsen die beiden seit Leon Battista Alberti [6] auseinanderdriftenden Phasen Planen und Bauen wieder zusammen. Grund hierfür ist die Tatsache, dass Zeichnung und Modell als Abstraktion und Repräsentation der Wirklichkeit mit der Verarbeitung von Information mittels Computer unwichtiger werden. Sie fanden bisher Verwendung, weil das menschliche Gehirn eine vereinfachte Darstellung der Informationsfülle zur Verarbeitung und Deutung benötigte. Der Computer jedoch kann bei entsprechender Programmierung nicht nur umfangreichere, sondern auch komplexere Informationen verarbeiten. Mittels Computing [206] könnten zukünftig verschiedenste Faktoren aus Produktion und Nutzung, aber auch aus den Anforderungen der BOL- und EOL-Phasen integriert werden, um den Suchraum einer architektonischen Lösung zu erweitern: »Computational Design ermöglicht […] ein Verständnis von Form, Material, Struktur, Herstellung und Fertigung als systemische Wechselbeziehungen.« [135] Das Ergebnis ist eine deutlich bessere Performanz der gebauten Umwelt. Diese Faktoren müssen im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung daher erweitert werden.

Auswirkungen auf den Prozess Die Anwendung von BIM hat weitreichende Folgen auf den gesamten Prozess im Bauen. Einige werden von Liebich et al. [190] genannt: • Der allgemeine Aufwand an strukturierenden und koordinierenden Leistungen wächst deutlich an. Abhängig davon, ob es sich bei der Methode um das zur Abstimmung der Beteiligten in Abständen aktualisierte oder um ein kontinuierlich

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von allen zugängliches Gebäudemodell handelt, verschiebt sich der Mehraufwand über Disziplingrenzen hinweg. • Neben der fachspezifischen Bearbeitung des Modells fallen durch die BIM-Methode koordinierende und strukturierende Arbeiten an, die mit der Pflege des Modells und der Sicherstellung der Kompatibilität der hierfür benötigten Daten zusammenhängen. Hierfür wird eine »neue zentrale Rolle« [190] vorgeschlagen, der sog. BIM-Manager. • Im Vergleich zur herkömmlichen Vergütung auf Basis der HOAI ergeben sich auch im Hinblick auf den Faktor Zeit Verschiebungen. Durch die Verwendung von BIM entsteht insbesondere in sehr frühen Projektphasen ein Mehraufwand, dessen Kosten gedeckt werden müssen. Hier gibt es ein großes Risiko für die tatsächliche Umsetzung der BIM-Methode in der Realität, da Bauherren hierzu oft nicht gewillt sind. • Für die Höhe der Vergütung bestehen prinzipiell drei Möglichkeiten: Das Schaffen neuer spezifischer Leistungsbilder, welche die bestehenden ergänzen, das Abrechnen der Leistungen unter den »besonderen Leistungen« [145] und schließlich das völlige Freistellen dieser Leistungen von dem verbindlichen Preisrecht. Die Gutachter [190] plädieren für Letzteres, da hierdurch die klassische Aufteilung der Honorare nach Planungsbereichen überwunden und sich das gemeinschaftlich disziplinübergreifende Handeln entsprechend in der vertraglichen Gestaltung widerspiegeln würde. Durch die Verwendung von BIM ergeben sich allerdings auch Probleme, die eng mit den vermeintlichen Vorteilen verwoben sind: • Als Grundlage für die Implementierung von BIM wird oftmals das Wort »Vertrauen« verwendet – das gemeinschaftliche Erarbeiten eines virtuellen Gebäudemodells soll den Teamcharakter im Bauen stärken. Letztlich ergibt sich dadurch aber auch, dass es zu einem umfassenden Kontrollmedium reift. Jede Tätigkeit der Beteiligten kann mittels automatisierter Protokollerstellung festgehalten und der Projektfortgang nicht nur vorausschauend, sondern auch rückblickend betrachtet werden. Im Zuge der Optimierung bzw. Effizienzsteigerung des Prozesses kann hier die Leistung der Beteiligten in Form von Zeitspannen analysiert und bewertet werden. Die ursprünglich zugunsten der Kostensicherheit und der Einhaltung von Terminen wirkende Funktion kann negativen Einfluss auf Motivation, Kreativität und letztlich Innovationskraft der Beteiligten haben.

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BIM wurde federführend von Vertretern der Bauindustrie vorangetrieben [264]. Es hat seinen Ursprung nicht in der frühen Phase eines Projekts, sondern ist aus dem Wunsch heraus entstanden, eine möglichst fehlerfreie und schnelle Bauabwicklung durchführen zu können. Hierfür ist es von Vorteil, wenn alle Bauabschnitte im Vorfeld ohne den Verbrauch von Materialien und den damit einhergehenden Zeit- und Kostenaufwand erprobt werden können. Zu Beginn der Planung, wenn es darum geht, eine für die Aufgabe adäquate architektonische Lösung mittels konzeptioneller und entwerferischer Ideen zu entwickeln, eignet sich die Methode weniger; zwei Gründe hierfür sind die von der Technologie an den Entwerfer geforderte Präzision sowie das Fehlen ausreichender Information. • Im Umkehrschluss besteht die Gefahr der Systematisierung. Anstatt projektspezifisch die systemischen Zusammenhänge zu entdecken und durch die bisherige Eigendynamik immer Neues entstehen zu lassen, könnte das weitere Streben nach Effizienz auf Prozessebene mittels Systematisierung zukünftig innovationshemmend wirken. Ähnlich wie heutige Bebauungspläne auf der Grundlage des öffentlichen Baurechts neuartige Gebäudegeometrien nicht berücksichtigen, so könnte eine BIMSoftware zukünftig vor kreativen und zunächst Ineffizienzen hervorrufenden Gestaltungsvorschlägen eines Architekten automatisch »warnen«, weil die passenden Komponenten (z. B. Fensterprofile) auf dem Markt nicht vorhanden oder im System nicht hinterlegt sind. Insbesondere in frühen Planungsphasen, in denen vieles noch im Entstehen begriffen und somit zunächst recht undefiniert ist (und auch sein muss), könnte dies hemmenden Einfluss auf das Projekt und sogar die Baukultur im Ganzen haben. • Für den Entwerfenden zu Beginn eines Projekts kann das Wissen über alle quantifizierbaren Parameter späterer Phasen hemmend wirken. Simulationen, die während der frühen Entwurfsphase die Folgen für nachgelagerte Phasen abbilden, basieren zudem in der Regel auf Erfahrungswerten. Das heißt, ein neuer Entwurf wird anhand von Datenbanken bereits bestehender Gebäude bewertet. Diese haben allerdings Prozesse durchlaufen, die den Parametern ihrer Zeit entstammten. Die industriellen Prozesse der Moderne sind noch heute für den Großteil der Formen der gebauten Umwelt verantwortlich, denn jeder Entwurf wird an seiner wirtschaftlichen Machbarkeit gemessen. Da Plattenware in großen Stückmengen industriell bislang am kostengünstigsten war, werden viele Entwürfe diesbezüglich angepasst. Kurven werden z. B. trianguliert, komplexe Geometrien approximiert und in einfachere umgewandelt, um eine größere Anzahl von Gleichteilen verbauen zu können. Umgekehrte Mechanismen, wie sie im Zuge der Digitalisierung zu beobachten sind, werden verhindert. Die vermeintliche Genialität (oder gar Naivität) des Entwerfenden sowie eventuell

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nichtstandardisierte Entwürfe führen hingegen immer wieder zu Innovationen im Bereich der Fertigung. Indem die Nachfrage nach nichtstandardisierten Formen in den vergangenen Jahren stieg, musste der Bausektor seine Verfahren und Technologien adaptieren, um die computergenerierten Formen in die Realität umsetzen zu können. Durch das Zurverfügungstellen umfangreicher Kenntnisse über mögliche Konsequenzen einer Entscheidung in frühen Entwurfsphasen kann die Effizienz zwar gesteigert werden; damit wird unter Umständen aber auch ein ineffektiver, da innovationshemmender Prozess in Kauf genommen. Matzig [204] führt hierzu ein Beispiel im Bauen aus: »Als der Architektenwettbewerb zur Olympiaanlage [1972 in München] entschieden wurde […] , wusste niemand, ob man die Zeltdachlandschaft würde bauen können, wie lange das dauern würde, wie haltbar das Ganze wäre und wie viel es schließlich kosten würde. Anders gesagt: Alle Fragen waren offen. Man hat trotzdem gebaut. […] Heute […] würde man das Olympiastadion nicht mehr bauen.« • Durch die frühzeitige Einbindung von Simulationssoftware kann es überdies zu sog. Zielkonflikten kommen: Die softwarebasierte Darstellung von Konsequenzen aus möglichen Szenarien suggeriert eine eindeutige Wahlmöglichkeit. Je mehr Informationen zu Beginn einer Planung vorliegen, desto zahlreicher werden jedoch die Zielkonflikte. Im Sinne der Nachhaltigkeit sollte beim Entwerfen daher nicht die Optimierung hinsichtlich nur eines Parameters das Ziel sein, sondern die Optimierung eines Entwurfs hinsichtlich möglichst aller maßgeblichen Parameter. Im Bauen überlagern sich jedoch stets harte und weiche Faktoren. Durch Simulationen besteht also zukünftig die Gefahr, dass weiche Faktoren im Vergleich zu harten Faktoren nicht ebenbürtig behandelt werden – die Abwägung nichtquantifizierbarer Faktoren ist letztlich nur durch Entscheidungen des Menschen möglich. • Bei einem »big open BIM« besteht das Problem, dass durch die Möglichkeit des kontinuierlichen Zugriffs dieses sich ebenso kontinuierlich in Veränderung befindet. Durch den Zugriff auf das Modell und die Möglichkeit, dieses selbstständig zu verändern, könnten die Beteiligten nicht nur suboptimale Lösungen anbieten, sondern auch Fehler im Modell erzeugen. Die bisherige Arbeitsweise, in der Varianten nur zwischen den jeweils Beteiligten mittels extra angefertigter Zeichnungen und Skizzen ausgetauscht werden, besitzt den Vorteil, dass der Architekt die einzelnen Varianten zunächst prüft. Hierbei kann er ggf. seinen Entwurf anpassen – ein Arbeitsschritt, den der Fachplaner nicht durchführen kann. Dass ein durch die Literatur [190] [191] vorgeschlagener BIM-Manager hierfür sorgt, ohne fachlich etwas von der Materie zu verstehen, erscheint in der Realität als fragwürdig.

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Es zeigt sich, weshalb die meisten Beispiele, bei denen BIM bisher erfolgreich eingesetzt wurde, entweder hochstandardisierte Gebäude in Systembauweise waren oder die Methode erst zum Zeitpunkt der Ausschreibung und Vergabe in den Prozess eingeführt wurde. Ersteres deutet auf die genannten Probleme der weiteren Systematisierung entsprechend einer bauteil- bzw. komponentenbezogenen Denkweise hin und steht dem systemischen Denken entgegen; Letzteres schöpft hingegen das eigentliche Potenzial von BIM nicht aus, da es zu spät und vornehmlich mit dem Ziel, Kosten und Zeit auf der Baustelle einzusparen, herangezogen wird. In der Automobilindustrie bestehen mit dem BIM-Ansatz vergleichbare Methoden: das Simultaneous Engineering sowie die Digitale Fabrik, bei der während des Entwurfsund Planungsprozesses bereits digital simuliert wird, wie die Fertigung der einzelnen Elemente und des Gesamtprodukts ablaufen muss, um effizient produzieren zu können. Der große Unterschied zwischen der Automobilindustrie und dem Bauen liegt in diesem Kontext darin, dass beim Automobilbau aufgrund einer sehr großen Stückzahl abzusehen ist, inwieweit ein zunächst ineffizienter Fertigungsgang durch das Design, das einen gesteigerten Absatz vermuten lässt, monetär gerechtfertigt werden kann. Eine neue Fabrik mit einer gänzlich veränderten Fertigungsstraße beispielsweise kann sich trotz großer Investitionen rentieren, wenn hierdurch ein Produkt auf den Markt gebracht werden kann, das dem Hersteller zu erheblichen Wettbewerbsvorteilen verhilft. Diesen Zusammenhang gibt es im Bauen nicht. Eine Folge des virtuellen Simulierens dieser Vorgänge kann daher sein, dass im Hinblick auf Kosten, Zeit und Qualität im Vorfeld des Bauens die Effizienz der späteren Bauwerkserstellung in einem Maße optimiert wird, das die Standardisierung weiterhin zu- statt abnehmen lässt. Architektonische Sonderlösungen könnten in der Folge immer mehr verdrängt werden, was die architektonische Qualität nicht nur einzelner Gebäude, sondern ganzer Städte mindern würde. Beim Einsatz von BIM kommt es daher maßgeblich darauf an, parallel zu einem prinzipiellen Umdenken auf Prozessebene die Erkenntnis zu gewinnen, dass die industriell geprägten mechanistischen Denkweisen von heute keine Lösungen für die Probleme von morgen bieten können. Stattdessen müssen neue, durch die Digitalisierung geprägte, systemische Denkweisen entwickelt und angewendet werden.

BIM als Werkzeug der Nachhaltigkeit Das Arbeiten mit einem BIM-Modell erfordert bzw. erzeugt einen holistischen Ansatz. Anders als bei herkömmlichen Planungsmethoden stellt das virtuelle Gebäudemodell keine reine Repräsentation des zu bauenden Objekts dar, sondern ist bereits die simulierte Vorwegnahme der Realität. Dies liegt daran, dass nicht die getrennt erarbeiteten repräsentativen Zeichnungen und Berechnungen in ihrer Summe die Information für

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das zu bauende Objekt darstellen, sondern umgekehrt alle relevanten Einzelinformationen aus einem einzigen Modell entnommen werden können. Die 3-D-Visualisierung des virtuellen Gebäudemodells ist hierbei nur eine der Darstellungsformen der hinterlegten Informationen, die in wechselseitiger Abhängigkeit in Datenbanken hinterlegt sind: »The geometry of a building represents only a small percentage of the total body of useful information […].« [284] Die virtuelle Miniatur eines physischen Bauwerks ist also weniger das Modell desselben als vielmehr eine Abbildung des Modells, das dieses beschreibt. Der Allgemeinen Modelltheorie [291] zufolge ist ein Modell neben der abstrakten oder realen Abbildung der Realität auch eine Verkürzung derselben. Ein Modell erfasst also per definitionem nur solche Attribute des Originals, die dem Modellverfasser auch als relevant erscheinen. Ein Resultat dieser Tatsache ist, dass Modelle stets interpretiert werden müssen. Um hierbei Fehlerquellen zu vermeiden, ist die Modellbildung bzw. -anwendung nur zielführend, wenn das Modell valide (also der Spezifikation entsprechend) ist [84]. Building Information Modeling (BIM) ist sowohl deskriptiv – d. h. beschreibend – als auch präskriptiv – es dokumentiert die Information, führt jedoch während der Modellbildung gleichzeitig zum Entstehen neuer Information. Der englische Terminus modeling bedeutet im Deutschen sowohl Modellieren als auch Modellbildung [184]. Während Ersteres den Vorgang des Bauens in skaliertem Maßstab beschreibt, sei es physisch oder digital, versteht man unter Modellbildung vielmehr das Erkennen, Beschreiben und Antizipieren von Realität [291]. Die Abbildung des Untersuchungsgegenstands ist demnach nicht nur die Abbildung seiner Einzelteile, sondern auch die Abbildung von deren Zusammenhängen. Im Ganzen kann mittels eines Modells also ein System verstanden werden. Da es sich sowohl beim Produkt Bauwerk als auch beim Prozess Bauen um ein System handelt, beschreibt BIM sowohl das virtuelle Bauwerksmodell als auch die Tätigkeit der Modellierung von Information an sich. Das Abstrahieren ist in beiden Fällen von großer Bedeutung, da man ohne Abstraktion nicht von einem Modell sprechen kann. Mit der zunehmenden Leistungskraft der digitalen Datenverarbeitung nähern sich Simulation und Realität immer weiter an. Dennoch handelt es sich auch bei einem virtuellen Gebäudemodell aufgrund der großen Komplexität der Realität immer noch um eine Abstraktion. Einige Informationen sind bei der Modellierung also bekannt, einige andere aber auch nicht. Während der Modellbildung wächst die Summe der Information kontinuierlich an. Die sich hieraus ergebenden Veränderungen der Einzelteile als auch die dadurch evozierten Veränderungen ihrer Beziehungen untereinander werden ständig aktualisiert. Die Auswirkungen, welche eine Entscheidung auf eine oder mehrere andere haben kann, wird damit deutlich, ohne bereits Ressourcen verbraucht zu haben.

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Auch hier wird die Grenze zwischen Produkt und Prozess durchbrochen: Die das Bauwerk betreffenden Informationen sowie die ein Projekt umschreibenden Faktoren werden im Modell erfasst. Da dieses parametrisch aufgebaut ist, können Informationen, die den Prozess beeinflussen, direkt auf das Produkt einwirken und umgekehrt. Krygiel und Nies [181] nehmen eine phasen- und informationsbedürfnisbezogene Unterteilung von Modellen vor, zwischen denen die Übertragung von Daten jeweils bidirektional möglich ist (vgl. auch die Einteilung nach [197] ): • Integrated Design Model während Entwurf und Planung / geteilt von Planer und Fachplaner • Construction Planning Model während Bauausführung / geteilt von Bauunternehmer und Subunternehmern • Facilities Management Model während der Nutzung / geteilt von Bauherr und Betreiber Das Integrated Design Model kann beispielsweise für die Energie- oder Tragwerksplanung in spezifische Softwareprogramme überführt werden. Auch können dem Entwurf exakte GIS-Daten zugrunde gelegt werden. Zudem lassen sich zukünftig erweiterte Informationen zur Ermittlung der ökologischen Nachhaltigkeit integrieren. Daten – beispielsweise zur Erstellung eines Energieausweises – können so zukünftig automatisch generiert und darüber hinaus die gesamte Nachhaltigkeitszertifizierung an ein solches Modell gekoppelt werden. Die Integration von Materialdatenblättern gibt einen vereinfachten Überblick über Kosten und Umweltauswirkungen. Mit dem Construction Planning Model lässt sich der gesamte Bauablauf planen. Diese logistische Komponente wird in der Automobilindustrie seit den 1990er-Jahren mittels der sog. digitalen Fabrik umgesetzt. Ihre Entsprechung im Bauen erfährt sie bisher durch die sog. digitale Baustelle [42] (vgl. [126] ). Die Übergabe des Facilities Management Model an den Betreiber optimiert nicht nur die tägliche Organisation während der Nutzungsphase, sondern ermöglicht auch eine kontinuierliche Dokumentation von Umbauten, sodass auch am EOL-Punkt des Gebäudes ein aktuelles Modell vorhanden ist.

Kritische Betrachtung Bei allen Vorteilen, die sich durch BIM ergeben, bleibt festzuhalten, dass das Verwenden einer Methode alleine noch keinen Erfolg garantiert. Das Beherrschen der ihr innewohnenden Techniken spielt insbesondere bei Softwareapplikationen eine große Rolle, denn die Qualität des Outputs ist direkt abhängig von der Qualität des Inputs; derjenige, der das Modell aufstellt, die entsprechenden Daten einpflegt und die Verknüpfungen definiert, hat also einen entsprechend großen Einfluss. Das Setzen der Parameter ist hierbei ebenso wichtig wie das zur Verfügung stehende Datenangebot.

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Die Dreiteilung des Modellansatzes entspricht zudem trotz einer zeitlichen Erweiterung des Prozesses noch keiner ganzheitlichen Betrachtungsweise, denn die modellbezogene Kommunikation entsteht meist zu einem Zeitpunkt, an dem großes Potenzial bereits nicht mehr genutzt werden kann. Zudem kann durch die nach wie vor bestehenden Projektgrenzen das entstehende Wissen nicht ohne Weiteres einem Folgeprojekt zugrunde gelegt werden; die jeweils neue Zusammensetzung des Projektteams sowie die zeitlich limitierten Verantwortlichkeiten stellen ein weiteres Problem dar. Eine Fragmentierung besteht daher heute nicht nur in der Kommunikation von Daten, sondern auch in der zwischenmenschlichen Kommunikation der einzelnen Spezialisten. Ein projektunabhängiges Verständnis der jeweiligen Rollen, Kompetenzen, Ziele und Positionen sowie ein aufrichtiges gegenseitiges Interesse und ein selbstverständlicher gegenseitiger Respekt müssen den Beteiligten in ihren jeweiligen Ausbildungen vermittelt werden. Das Aufbauen eines jeweils neuen Projektteams, bei dem verschiedene Charaktere auf zwischenmenschlicher Ebene harmonieren und unterschiedliche Arbeitsweisen bzw. Geschäftsprozesse aufeinander abgestimmt werden müssen, stellt ein weiteres Hindernis dar. Durch die Entscheidungsfreiheit des Bauherrn existiert letztlich die Gefahr, dass nicht alle zum angestrebten Ziel benötigten Spezialisten beauftragt werden. Je nach Wertedefinition des Auftraggebers können also wichtige Akteure fehlen. Die genannten Aspekte sind Beispiele dafür, dass die reine Methodenwahl – beispielsweise BIM – nicht die Ganzheitlichkeit eines Ansatzes erzeugt, die für eine nachhaltige Entwicklung im Bauen wichtig ist.

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Durch die Untersuchung von Prozessketten und Rahmenbedingungen artverwandter Disziplinen werden im Folgenden punktuell Handlungsempfehlungen für das Bauen von morgen ausgesprochen. Es wird hierbei auf zwei Punkte abgehoben: erstens auf die Treiber der Innovationen sowohl auf Produkt- als auch auf Prozessebene und zweitens auf die Struktur der Zusammenarbeit der am Produktentstehungsprozess Beteiligten und der Beeinflussung des Prozesses durch die verwendeten Technologien. Eine kritische Diskussion im Hinblick auf die Übertragbarkeit der Erkenntnisse und eine dem Bauen entsprechende Adaption schließt die Untersuchung ab.

6.1 EVOLUTIONSSCHRITTE IM AUTOMOBILBAU Der Automobilbau dient der Architektur bereits seit seiner Entstehung als Vorbild [167] (vgl. [185] ), da in seinen Prozessstrukturen Verwandtschaft zum Bauwesen besteht, er jedoch ein überlegenes Innovationspotenzial aufweist. Die Vergleichbarkeit ist allerdings auf Produktebene aufgrund des Unterschieds zwischen der Massen- und der Unikatfertigung sowie des Maßstabssprungs zwischen Automobilen und Immobilien nur sehr eingeschränkt gegeben. Im Folgenden wird die Entwicklung des Automobilbaus daher ausschließlich hinsichtlich der zur Anwendung kommenden Prozesse und ihrer Rahmenbedingungen untersucht. Eine Zusammenstellung der wichtigsten Evolutionsschritte → s. Abb. 13 und insbesondere ihrer Ursachen, Zusammenhänge und Auswirkungen werden im Folgenden zusammengefasst. Die neuesten Entwicklungen im Kontext der Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung und der Digitalisierung werden anhand von Beispielen erläutert, um Rückschlüsse für den Prozess im Bauen ziehen zu können.

Von der Massenproduktion zur Divisionalisierung Die Einführung des Fließbands in die Fertigung durch Henry Ford 1913 stellt einen ersten revolutionären Schritt im Automobilbau dar. Eine Zeitersparnis von fast 90 Prozent führte zu Kostensenkungen und dadurch zu erhöhter Nachfrage [152]. Die sog. Taylorisierung hatte jedoch auch eine bis dato unbekannte Dimension des Ressourcenverbrauchs zur Folge. Die Fragmentierung des Prozesses führte überdies dazu, dass sich Verzögerungen an nur einer Stelle negativ auf den gesamten Prozess auswirkten. Durch eine übermäßige Kontrolle und Überwachung sollten solche Fehler vermieden werden. Parallelen zu den heutigen Abläufen im Bauen – mehr als 100 Jahre später – sind erkennbar.

MERCEDES-BENZ

FORD

GM

TOYOTA

Verbrennungsmotor Automobil

Fließband Vertikale Integration

Divisionalisierung Taylorisierung

Outsourcing Digital Car Lean Management Project

1886

1913

1950

1982

140

1995

AUDI Strategie Innovationen heute

MOBILITÄT

MASSE

INDIVIDUALITÄT

QUALITÄT

EFFIZIENZ

Produkt Antrieb

Produktion Kosten

Management Marketing

Management Produktion

Individualisierung Unternehmen Antrieb Prozess

Abb. 13: Evolutionsschritte im Automobilbau (nach [152], erweitert)

TEIL III

BMW

NACHHALTIGKEIT

Die unterschiedlichen Wertvorstellungen zu Beginn der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts konnten mit den Einheitsprodukten von Ford nicht länger befriedigt werden. General Motors (GM) übertrug die Spezialisierungsstrategie aus der Fertigung ins Management und erzielte eine Diversifikation der Produkte, was mit der Erschließung eines neuen Geschäftszweigs einherging: Erstmals vergab ein Automobilhersteller Kredite an seine Kunden [152]. Dieses Vorgehen hat systemischen Charakter: Ein vermeintlicher Mehrkostenpunkt in der Produktion kann letztlich zu einem Vorteil umgewandelt werden. Durch die sog. Divisionalisierung erschloss GM durch die individualisierten Produkte das Marketing. Die Arbeitsteilung auf Managementebene führte zu Effizienzsteigerungen und zur Einrichtung spezialisierter Abteilungen. Aus der Gründung einer eigenen Bank ergab sich neben einem zusätzlichen Gewinn eine engere Kundenbindung – und damit ein strategisch angelegter Wettbewerbsvorteil.

Von der Taylorisierung zum Plattformprinzip Die Firma Toyota entwickelte in den 1980er-Jahren eine neue Form der prozessorientierten Organisation, das sog. Toyota Production System (TPS). Dieser Prozess, der die maximale Zufriedenstellung des Kunden an die Stelle der maximalen Produktion stellte, hatte seinen Ursprung erneut in den gesamtgesellschaftlichen Rahmenbedingungen [152]: Der Nachfrageboom der Nachkriegsjahre ebbte ab; infolge der Globalisierung entstand eine weltweite Konkurrenzsituation. Geschäftsprozesse mussten daher auf sich kontinuierlich verändernde und zunehmend individualisierte Kundenwünsche angepasst werden. Das TPS basiert dabei auf dem japanischen Grundsatz des sog. Kaizen. Dabei wird »die Wertschöpfung als Einheit aufgefasst […] und alle relevanten Stufen [werden] von allen teilhabenden Parteien gemeinsam verbessert« [152]; einerseits wurde die Spezialisierung als Mittel zur Erzielung von Innovationen verwendet, andererseits führten Outsourcing und Partnering zu einer Steigerung der Effizienz. Im Einzelnen wurde der Erfolg des hierdurch begründeten sog. Lean Management erzielt durch die Einführung folgender Methoden: Im Zuge des sog. Keiretsu werden langfristige Rahmenverträge mit den Lieferanten geschlossen, was für diese zu einer höheren Verantwortung und einer verstärkten Teilhabe am Gesamtprodukt führte. Das sog. Kanban bedeutet, dass die Teile innerhalb einer Produktion erst dann zum jeweiligen Arbeiter nachrücken, wenn er sie anfordert (sog. Holprinzip), um einen eventuellen Stau wie bei der Fließfertigung zu vermeiden. Gleichsam übernimmt der Arbeiter mehr als nur einen Arbeitsschritt: Er ist integriert in ein sog. Nest, das eigenständig ein größeres System fertigt und dieses in die Hauptproduktion überträgt [152]. Jidoka wiederum ist eine Optimierungsmethode, bei der

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während der Produktion entstehende Fehler nicht erst bei der Endkontrolle entdeckt werden – dann nämlich, wenn ein Gegensteuern schwierig und kostenintensiv ist. Die Mitbestimmung der Beteiligten ist ein wichtiger Aspekt zur Erarbeitung eines gemeinsamen Produkts. Poka Yoka ist ein Instrument, das zur Komplexitätsvermeidung beitragen soll, um Fehler erkennen zu können. Diese Maßnahmen werden auch bei den Lieferanten durchgeführt, wodurch eine Langfristigkeit der Zusammenarbeit möglich ist. Die zumeist kleineren Zuliefererbetriebe profitieren hierbei durch das ManagementKnow-how des Großkonzerns, weshalb die Loyalität unter den Partnern hoch ist [152]. Just-in-Time (JIT) bzw. Just-in-Sequence (JIS) bedeutet, dass Teile erst dann an die benötigte Stelle geliefert werden, wenn sie gebraucht werden. Die Komplexität der Logistik nimmt zu, die Koordination übernimmt eine zentrale Rolle. Da nun nicht mehr große Massen gleicher Fahrzeuge produziert wurden (Make-to-Stock bzw. Push-Strategie), wurde der Produktionsprozess zum Ziele der Rationalisierung einem sog. Outsourcing unterzogen. Einzelne im Fertigungsprozess als Einheit zu identifizierende Prozesse werden hierbei aus dem eigentlichen Produktionsfluss räumlich ausgelagert. Einzelteile werden durch Zulieferer zu Komponenten zusammengefügt und Just-in-Time geliefert (Make-to-Order bzw. Pull-Strategie). Die Werkzeuge der Prozessoptimierung auf Managementebene haben direkte Auswirkungen auf die Produktionsebene. Umgekehrt bewirkt eine sog. Lean Production ein sog. Lean Management – beide Prinzipien sind eng miteinander verbunden. Ein Resultat hiervon ist das sog. Plattformprinzip. Es handelt sich hierbei um ein Werkzeug der Standardisierung, um einerseits Kosten in der Produktion einsparen zu können, andererseits aber auch die aus dem Outsourcing hervorgegangene Komplexität bewältigen zu können und die Gefahr von Fehlern bei der Abstimmung unter den Beteiligten zu minimieren. Für den Kunden unsichtbare Komponenten werden hierbei über Produkt- bzw. Modellgrenzen hinweg standardisiert und zu einer Bodengruppe zusammengefasst. Mehrere in ihrer Erscheinung, ihrer Leistung und ihren Anschaffungskosten höchst unterschiedliche Fahrzeuge können somit auf der gleichen Plattform gefertigt werden. Das an den nicht sichtbaren Stellen eingesparte Kapital wird zur gesteigerten Individualisierung der Produkte verwendet: Designrelevante Komponenten können stärker ausdifferenziert werden; die globale und marktübergreifende Zusammenarbeit wird aufgrund der immer gleichen Schnittstellen möglich. Nicht die Komponenten, sondern die Schnittstellen sind somit standardisiert, während die Form der einzelnen Komponenten hingegen vollständig unterschiedlich sein kann. Die heutige Variantenvielfalt im Automobilbau hat ihren Ursprung also im individualisierten Kundenwunsch, der sich in entsprechenden Managementprozessen niederschlug und letztlich über die Fertigungsprozesse zu der gewünschten Produktvielfalt führte.

TEIL III 142

Vom klassischen zum digitalen Prozess Während der Ausgangspunkt der Taylorisierung in der Produktion (Fließband) und der des Kaizen im Management (Lean Management) liegt, so hat die Digitalisierung ihren Ausgangspunkt im Prozess der Planung. Am Beispiel von BMW wird dieser Transformationsprozess nachfolgend beleuchtet. Ziel des sog. Digital Car Project von BMW war es, den Produktentwicklungsprozess um 50 Prozent zu verkürzen [303]. Der zu Beginn bestehende Prozess wird fortan als klassischer Prozess, der am Ende entwickelte Prozess als digitaler Prozess bezeichnet. Wenngleich nicht wissenschaftlich belegt werden kann, ob dieses Projekt in der durch die Literatur [303] beschriebenen Art und Weise bei BMW umgesetzt wurde, kann es mit seinen interessanten Ansätzen dennoch als theoretisches Denkmodell herangezogen werden. Die maßgeblichen Veränderungen werden hierauf aufbauend im Folgenden aufgezeigt. • Capability-Building-Phase ersetzt initiale Zieledefinition Während im klassischen Prozess zunächst die Ziele für ein neues Produkt gesetzt wurden, ist die Anfangsphase des digitalen Prozesses gekennzeichnet durch eine Zielfindung [303]. Vergleichbar zur Architektur wird also nicht die Form entworfen, sondern die Gegebenheiten werden so lange untersucht, bis sich eine für die Aufgabe als optimal erweisende Form »gefunden« hat [289]. Allerdings geht es bei der Zielfindung im Automobilbau um einen umfassenden Analysevorgang im Hinblick auf multiple Kriterien. Die Besonderheit bei diesem Ansatz liegt darin, dass die Anfangsphase ausgedehnt und zugleich offen gestaltet wird. Es geht um den Aufbau von Wissen, nicht um die vermeintlich »geniale Idee« eines Einzelnen. Hierfür wird trotz des Ziels, die gesamte Prozesslaufzeit zu halbieren, weitaus mehr Zeit veranschlagt als beim klassischen Prozess. Die Zielfindungsphase läuft somit parallel zu den bereits einsetzenden Planungsschritten. Somit wird der zweite wichtige Unterschied zum klassischen Prozess ersichtlich: Alle Prozessbeteiligten bringen ihr Know-how und ihre Ideen ein, um gemeinschaftlich die Ziele zu definieren. Dies hat zur Folge, dass sich der Suchraum für mögliche Lösungen erweitert, die Basis zur Entscheidungsfindung breiter angelegt ist und bisher unberücksichtigte Aspekte integriert werden können. Die Partizipation aller Beteiligten stärkt den Teamgedanken und erhöht die intrinsische Motivation. Darüber hinaus liefert die Parallelität der Handlungen die Möglichkeit, die Zieldefinitionen kontinuierlich an neue Erkenntnisse anzupassen – das Ziel ist also nicht mehr fixiert. • Formulierung einer Vision im Vorfeld der Festsetzung von Zielen Auf dem Weg zur Zielfindung wird etwa zur Mitte der eingeplanten Prozesszeit eine sog. Vision festgelegt [303]. Diese definiert ein umfassendes Bild dessen, was

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langfristig erreicht werden soll. Insbesondere das Image bzw. der emotionale Wert eines Automobils wird dort festgelegt. Dazu gehören vor allem Werte, die nicht direkt mit denen im Kontext der Produktentwicklung stehenden Zielen ausgedrückt werden können. Für den Kunden kann diese Vision kaufentscheidend sein und das Produkt von Konkurrenzangeboten abheben. Ebenso schlägt die Vision eine Brücke zu den Unternehmenswerten und bettet das Produkt in deren langfristigen strategischen Rahmen ein. Nicht zuletzt bündelt die Vision Ziele, die sich bereits in der Entwicklung befinden, sodass diese später nicht in diametrale Richtungen weisen. Sie ist somit ein starkes, identitätsstiftendes Mittel – nach außen wie nach innen. Das Team kann sich bei Entscheidungsfindungsprozessen über den gesamten Prozessverlauf hinweg immer wieder an der Vision orientieren. • Konzeptphase verliert an Gewichtung Während im klassischen Prozess keine Vision erarbeitet wurde und die Zieldefinition eine zeitlich untergeordnete Rolle spielte, dafür jedoch die Konzeptphase parallel zur Festlegung der Eigenschaften und Ausstattungsmerkmale einer Produktpalette stattfand, nimmt im digitalen Prozess die Konzeptphase einen zeitlich weitaus geringeren Anteil in Anspruch [303]. Dies bedeutet, dass das Konzept etwas in hohem Maße Projektspezifisches darstellt und aufgrund seiner geringeren Relevanz für andere Projekte auch eine geringere Gewichtung im Prozess einnimmt. Die Wiederholbarkeit des Prozesses bei anderen Projekten und der hierdurch erwartete Wissenszuwachs nehmen eine höhere Stellung ein als das Produkt an sich. Das sog. Styling hingegen beginnt bereits mit der Festlegung der Vision, noch bevor das Konzept feststeht, was bedeutet, dass die Konzeptfindung auf der Basis bereits erarbeiteter »Designs« stattfindet [303]. Im Zusammenhang mit dem architektonischen Entwurf kann unter Umständen beobachtet werden, dass »starke« Konzepte qualitativ eher schlecht umgesetzt werden; ebenso kann qualitativ gute Architektur aus weniger »starken« Konzepten hervorgehen. Erst wenn das sog. Design existiert, lässt sich in der Architektur ein Konzept endgültig beurteilen – weil es erst in der Umsetzung funktioniert oder scheitert. Es kann demzufolge also Vorteile haben, frühzeitig mit Entwerfen zu beginnen. • Digitale Simulation anstelle von physischen Tests Der wohl bedeutendste Unterschied zwischen dem klassischen und dem digitalen Prozess liegt in der Verlagerung nahezu aller physischen Tests in die Virtualität. Während einst noch Modelle bis zum Maßstab 1:1 in Handarbeit modelliert wurden, um Aussehen und Funktion zu untersuchen, und mindestens zwei voll funktionstüchtige Prototypen gebaut wurden, verwendet der digitale Prozess virtuelle Modelle und Simulationen [303]. Sämtliche relevanten Eigenschaften eines Automobils werden digital simuliert. Dies geht so weit, dass auch die Produktion

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mithilfe einer sog. digitalen Fabrik virtuell vorweggenommen wird. Während mit Methoden des sog. Digital Assembly die Montage des Automobils simuliert wird, nimmt das Design for Disassembly (DFD) die Demontage am Ende der Lebenszeit eines Automobils virtuell vorweg. Hinzu kommen die gängigen Methoden, die beispielsweise Fahreigenschaften oder Aerodynamik digital testen. • Fehler als negatives Feedback zur Vermeidung Durch das Verlagern sämtlicher Entwicklungsschritte und Tests in den virtuellen Raum verursachen Fehler während des Prozesses kaum Kosten und nahezu keinen Zeitverlust. Sie werden daher viel eher in Kauf genommen und sogar begrüßt. Das Ausloten der Grenzen des Machbaren gestaltet sich mit digitalen Mitteln aus den oben genannten Gründen weitaus einfacher. Hierdurch entsteht eine große Anzahl von Fehlern, welche Iterationsschleifen auslösen, um sich dem gewünschten Ziel zu nähern. Dieser evolutionäre Vorgang, der in Teilen algorithmisch automatisiert werden kann, hat große Optimierungspotenziale zum Ergebnis.

Von der Prozess- zur Strategieebene Die Verknappung von Ressourcen ist ein zentrales Thema der Unternehmensstrategien heutiger Automobilkonzerne. Ein ganzheitlicher Ansatz, der den gesamten Lebenszyklus eines Automobils berücksichtigt, wird daher dem Produktentwicklungsprozess zugrunde gelegt. Ein Beispiel, wie ein Konzern auf diese Herausforderung reagiert, ist die Audi Strategie 2020 [182]: »Wir prägen Innovationen« ist eine Mission, die darauf abzielt, den Wertschöpfungsprozess so zu gestalten, dass ein insgesamt innovatives Produkt daraus hervorgeht. Das zentrale Prinzip des gegenwärtigen Produktportfolios ist Leichtbau. Hierdurch sollen in jeder Phase des Produktlebenszyklus Ressourcen eingespart werden. Um dies zu erreichen, arbeiten von Beginn an die Spezialisten der Entwicklung und die der Produktion eng zusammen. Die Ergebnisse sind einerseits im Produkt erkenntlich: Die Topologie einzelner Bauteile folgt dem Vorbild der Natur. Die A-Säule beispielsweise besteht aus einem Aluminium-Druckgussteil, in dem sich das Material an Stellen hoher Beanspruchungen verdichtet und an Stellen geringerer Beanspruchungen eingespart wird [182] – ebenso folgt z. B. der Aufbau der Strangpressprofile der Schweller dem Vorbild des Knochenbaus, bei dem die Architektur der Spongiosa die herrschenden Krafttrajektorien widerspiegelt [304]. Dieses Prinzip des Materialleichtbaus [289] wird zunehmend erweitert durch den Einsatz unterschiedlichster Materialien innerhalb eines solchen Bauteils. So können beanspruchungsspezifische Kräfte durch materialspezifische Eigenschaften besonders effizient aufgenommen und übertragen werden. Vorteile aus dieser integrierenden Bauweise [289] ergeben sich durch die minimierte Anzahl

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von Verbindungen, die geringere Anzahl von Bauteilen selbst sowie durch eine erhöhte Präzision bei der Montage. Dies wiederum hat große Auswirkungen auf die Planung der Produktion: Während des Produktentwicklungsprozesses wird somit auch die Produktion genauestens geplant. So werden unter Umständen auch die benötigten Produktionsanlagen anhand des sog. Fabrikentstehungsprozesses [182] neu entworfen, geplant und umgesetzt; die Fabrikation des Automobils wird zunächst virtuell simuliert. Die Tätigkeit des Menschen kann hierbei Bestandteil des sog. digitalen Datenkontrollmodells (DDKM) sein, das als ein durchgängiger Datensatz den gesamten Prozess begleitet und alle relevanten Informationen integriert [182]. Dieses dient zur internen Kommunikation von technisch relevanten sowie designbezogenen Aspekten. Ein gesonderter Arbeitsschritt des Visualisierens mithilfe von 2-D-Plandarstellungen, wie in der Architektur üblich, entfällt. Diese parallele Entwicklung von Produktplanung und Produktionsplanung → s. Abb. 14 ermöglicht es, das Ziel der Ressourcenschonung auch auf Letztere zu übertragen. So wird kontinuierlich an dem Prozess der Produktion geforscht und optimiert, um auch die zur Erzeugung des Produkts benötigten Ressourcen zu minimieren. Werkzeuge werden somit gewichtsminimiert konstruiert und die zur Produktion eines Fahrzeugs verwendete Menge an Wasser genauestens dokumentiert. Während diese bei Audi im Jahr 1988 noch 5 m3 pro Automobil betrug, konnte sie bis ins Jahr 2010 auf 1 m3 reduziert werden – gleichzeitig herrscht heute eine Wasserzirkulationsrate von 97 Prozent [182]. Um weitere Verbesserungen zu erzielen, werden im Automobilbau sowohl die Innovationen als auch die ihnen zugrunde liegenden Prozesse einem kontinuierlichen Monitoring unterzogen. Hierdurch wird ein auf die Strategie abzielendes (also langfristiges) Innovations- und Kompetenzmanagement verfolgt.

6.2 SYNERGIEEFFEKTE ARTVERWANDTER DISZIPLINEN Mobiles und immobiles Bauen Die Fokussierung der Automobilindustrie auf die Schnittstellen und Wechselwirkungen sowohl auf Produkt- als auch auf Prozessebene ist ein wichtiger Aspekt für ihre Innovationsfähigkeit. Neue Entwicklungen werden in den kommenden Jahren im Automobilbau allerdings überwiegend im Bereich des Antriebs sowie der Vernetzung der Automobile untereinander und mit ihrer Umwelt stattfinden [182]. Wird Ersteres weiterhin in Richtung Elektromobilität entwickelt, so ergibt sich die Möglichkeit von Synergieeffekten zwischen dem immobilen und dem mobilen Bauen: Da erstmals beide Produkte auf elektrischen Strom angewiesen sein werden, können die Energie-

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Projektsteuerer

Architekt Ingenieure

Planung der Planung

Management

Designer Konstrukteure

Planung Automobiles Bauen

Immobiles Bauen

Gewerke Bauunternehmer

Baumaschinen

Produktion Produktion der Produktion

Planung der Produktion

Zulieferer Fabrik

Robotik

Abb. 14: Parallelität von Produkt- und Produktionsplanung

ströme nutzerspezifisch mithilfe sog. Smart Grids gesteuert werden. Gefragt sind zukünftig nicht mehr nur Gebäude, die sich selbst mit Energie versorgen, sondern zusätzlich als Stromlieferant für das emissionsfreie Automobil fungieren [286]. Ein Prototyp für ein solches Konzept ist das Aktivhaus B10 [140] in der Stuttgarter Weißenhofsiedlung: Es erzeugt lokal regenerativ 200 Prozent der Energie, die es selber benötigt; mit dem Überschuss werden Elektromobile sowie ein Teil des Energiebedarfs eines benachbarten Gebäudes von Le Corbusier gedeckt. Dieser Ansatz wird »ein wichtiger Baustein der Energiewende« [224] sein. Ein detaillierter Abgleich der Planungs- und Konstruktionsprozesse der Automobilbranche mit denen des Bauwesens könnte vorgenommen werden. Durch einen Wissenstransfer eröffnet sich ein großes Potenzial für das Bauen. Ein besonderer Effekt findet eventuell auch auf dem Arbeitsmarkt statt: Durch die Verschiebung der Schwerpunkte des Automobilbaus hin zum elektrischen Antrieb wird die Branche mit Umstrukturierungsprozessen konfrontiert. Hoch qualifizierte Arbeitskräfte können im Bauen eingesetzt werden und mit ihrem Know-how die nachhaltige Entwicklung des Bauwesens in technologischer Hinsicht vorantreiben.

Einfluss des Schiffbaus Neue Formensprachen infolge der Verwendung von digitalen Planungstechnologien können von Unternehmen des klassischen Bauhauptgewerbes heute oftmals nicht realisiert werden, da ihnen das Know-how und die entsprechenden Technologien fehlen. Eine kleine – wenngleich rapide steigende – Anzahl von Gebäuden wird heute daher

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mit Fertigungsverfahren gebaut, die aus dem Schiffbau stammen. Die Herstellung der Link Bridge des Yas Marina Hotels in Abu Dhabi [60] mithilfe des im Schiffbau üblichen Blockbau-Prinzips [38] ist hierfür ein Beispiel, das die Wichtigkeit der Rahmenbedingungen in Fertigung und Logistik veranschaulicht. Die Arbeiten finden im Schiffbau anders als im Bauen parallel – je nach Größe des Schiffes – in vorgefertigten Sektionen oder Blöcken statt [38]. Nach Eyres und Bruce [101] werden hierbei unter fabriksauberen Bedingungen bereits 85–90 Prozent aller Verkabelungen, Installationen und sonstigen technischen Ausstattungen vorgenommen; auch die Innenausstattung kann durch Module – deren Formen nicht standardisiert sein müssen – durch Zulieferer in diese Sektionen integriert werden, sodass die größten Schiffe der Welt heute aus nur zehn bis 15 solcher »Megablocks« bestehen [301]. Die maßstabsbezogene Abstufung der Vorfertigung erhöht die Effizienz der Produktion maßgeblich: Große Containerschiffe verfügen heute über Bauzeiten von unter sieben Monaten, die zugelassenen Toleranzen liegen dennoch nur bei +/-5 mm [186]. Eine ähnliche Untergliederung von Gebäuden in Blöcke, Sektionen und Module, die sich weder an die Gruppierung in Boden–Wand–Decke noch an der Hierarchisierung von Tragwerk, Fassade und Ausbau orientiert, würde einen vollständig neuen Ansatz für das Bauen liefern. Die Aufhebung der Linearität des Prozesses, die Integration aller Disziplinen und Gewerke von Beginn des Prozesses und die Präzision von Planung und Ausführung mithilfe von digitalen Methoden würden den gesamten Wertschöpfungsprozess und seine bestehenden Rahmenbedingungen maßgeblich verändern. Auch die beschriebenen schrittweisen Demontageprozesse in umgekehrter Reihenfolge erscheinen möglich. Eine Übertragung dieser Prinzipien und ihrer Denkweise auf den Prozess im Bauen verspricht daher weitaus größeres Innovationspotenzial als lediglich die Adaption solcher Teilfertigungsschritte, die zu einer neuen Formensprache in der gebauten Umwelt führen.

6.3 EXTRAKTION DER ERKENNTNISSE Gesamtgesellschaftliche Rahmenbedingungen Die beschriebenen Entwicklungsschritte sind maßgeblich aufgrund des Zusammenwirkens einer Reihe externer Rahmenbedingungen entstanden. Hüttenrauch und Baum [152] bilden diese in einem »Modell der externen Umweltanalyse« (PESTE-Analyse) ab, bei dem die politischen, ökonomischen, soziologischen, technologischen und ökologischen Veränderungen analysiert werden.

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Hiernach basiert der Erfolg der Ford Motor Company nicht nur auf der technischen Innovation der Fließfertigung und der Preissenkung durch Standardisierung. Vielmehr waren dies Folgen des Ersten Weltkriegs, in dessen Folge eine zuvor nicht gekannte Menge an Gütern nachgefragt wurde. Gleichzeitig konnten aufgrund der schlechten Arbeitsmarktsituation in den USA Arbeiter mit hohen Löhnen gelockt werden, die durch die Politik in hohem Maße subventioniert wurden. Durch das Sinken der Anschaffungskosten wurden für den Kunden große Anreize geschaffen. Ford propagierte überdies die Alltagsrelevanz des Automobils. Der Ursprung der individuellen Massenmobilität liegt somit maßgeblich in den monetären Anreizen, die sich für das Unternehmen boten. Das Toyota Production System fand gänzlich andere Rahmenbedingungen vor: Japan hatte in den Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg mit einer anhaltenden Ressourcenknappheit zu kämpfen; parallel forderten die Gewerkschaften lebenslange Beschäftigungsgarantien. Die hohen Personalkosten mussten durch den sparsamen Einsatz von Ressourcen und eine kontinuierliche Verbesserung des Prozesses kompensiert werden. Das Just-in-time-Verfahren hat seinen Ursprung in hohen Kosten für Lagerflächen. Die resultierende Pull-Strategie stellt die Schnittstelle zu den veränderten Kundenwünschen dar. An die Stelle der Quantität trat die Qualität. Diese konnte nur durch eine erhöhte Eigenständigkeit der Lieferanten erzielt werden, was zu Problemen beim Zusammenführen der Komponenten führte, da die Komplexität der Koordination durch räumliche und fachliche Distanz zunahm – das Plattformprinzip entstand. Mit ihm nahmen das Outsourcing und das Supply-Chain-Management zu. Durch den interorganisationalen Austausch von Wissen entstand das Prinzip der Open Innovation. Ökologische Faktoren blieben bis in die 1990er-Jahre unberücksichtigt. Heute dominieren sie nicht nur die Transformationsprozesse im mobilen, sondern auch solche im immobilen Bauen. Der Einfluss sich wandelnder Anforderungen im Bauen kann nach Rieck [250] in drei Segmente eingeteilt werden: »Technologie und Prozesse«, »Nachfrage und Baukosten« sowie »Bestand und Modernisierung«. Die beiden letztgenannten Aspekte werden der Studie zufolge langfristig an Bedeutung verlieren – ab dem Jahr 2020 wird der Sektor »Technologien und Prozesse«, der heute noch als wenig bedeutend eingestuft wird, wichtiger sein als die beiden anderen Sektoren zusammen und weiter exponentiell ansteigen.

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Systematisierung der Schlussfolgerungen Zusammenfassend werden aus der vorangegangenen Analyse folgende Schlussfolgerungen gezogen: • Outsourcing führt zu Wettbewerbsfähigkeit Die Schnittstellengestaltung auf Planungs- und Produktionsebene steht im Fokus der Akteure. Das Plattformprinzip ist eine Produktinnovation, die auf Managementinnovationen beruht. • Intrinsische Motivation ist effektiver als extrinsische Motivation Aus der Übertragung einer größeren Verantwortung auf die fachlich Beteiligten entsteht eine aus der Tätigkeit selbst gezogene (intrinsische) Motivation, die zu einem besseren Resultat führt, als es durch erhöhte monetäre Anreize (extrinsisch) erzielt werden könnte. • Langfristige Rahmenverträge sorgen für Stabilität Die Qualität der Produkte und das Innovationspotenzial wachsen durch die kontinuierliche Zusammenarbeit und wechselseitige Abhängigkeit. Reibungsverluste im Zuge von Teambildungsprozessen und der Abstimmung unterschiedlicher Geschäftsprozesse entfallen. • Managementinnovationen führen zu Produktinnovationen Produktinnovationen sind zumeist die Folge von Innovationen auf Prozessebene. Diese haben ihren Ursprung in systemexternen Rahmenbedingungen (z. B. der Gesellschaft), durch die sie maßgeblich geprägt werden. • Initiale Kooperation von Design, Konstruktion und Produktion Rahmenbedingungen und Risiken werden durch ein frühzeitiges Involvieren aller beteiligten Akteure der gesamten Wertschöpfungskette in den frühen Projektphasen erkannt. Die Planung wird entsprechend adaptiert und bezieht die Aspekte des BOL und EOL mit ein. • Partnerschaftlichkeit führt zu Team Spirit Durch eine gemeinsame Vision und das Image der Marke wird die Identifikation jedes einzelnen Akteurs mit dem Gesamtsystem erreicht. • Aufbau von gemeinschaftlichem Wissen von Projekt zu Projekt Marktvorteile gegenüber Mitbewerbern werden durch das Prinzip der Open Innovation erzielt. Spezifisches Fachwissen wird durch Spezialisten gewonnen und kontinuierlich über Projektgrenzen hinweg transdisziplinär getauscht.

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• Kundenwunsch ist maßgeblich für das Angebot Kontinuierliche Analysen der Nachfrage führen zu sich ständig ändernden und auf die Bedürfnisse der Gesellschaft ausgerichteten Produkten, an denen sich rückwirkend die Prozessgestaltung ausrichtet. • Coupled-Process-Innovation schürt Nachfrage Da die Gesellschaft keinen Einblick in die technologischen Möglichkeiten der Hersteller hat, wird durch Externalisierung von Teilaspekten neuer Entwicklungen (beispielsweise durch Prototypen) eine zukünftige Nachfrage erzeugt. Nicht sichtbare Innovationen werden durch das Design visualisiert. • Gesetzliche Regelungen erzeugen Innovationsdruck Wie am Beispiel der Richtlinie 2000/53/EG [247] gezeigt, führten gesetzliche Vorgaben zum Recycling von Automobilen zu großen Innovationsschüben innerhalb der Branche. • BOL- und EOL-Phasen spielen entscheidende Rollen Im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung kommt der BOL- und EOL-Phase eine besondere Bedeutung zu. Dies begründet sich zudem aus imagefördernden Überlegungen im Hinblick auf die Gesamtmarke. Methoden wie Design for Disassembly, die Weiterentwicklung der Automation sowie gestiegene Leistungen im Kontext von Rücknahmegarantien sind hieraus hervorgegangen (vgl. International Dismantling Information System – IDIS [157]). • Simulationen ersetzen Modelle und Prototypen Durch die zunehmende Vorwegnahme der Realität mittels digitaler Techniken werden Ressourcen eingespart, Zeit gewonnen und eine Variantenvielfalt entwickelt, die es zuvor nicht gab. Letzteres führt zu Wissenszuwachs und einem besseren Endprodukt. • Entwurf von Produktionsstätte parallel zur Produktentwicklung Die Produktgestaltung muss nicht zwangsläufig auf bestehende Technologien der Produktionsstätten aufbauen. Letztere können im Gegenteil aufgrund spezifischer Anforderungen des Produkts parallel mitentwickelt werden. Produktinnovationen können somit auf die Technologien und Prozesse der Produktion innovationsfördernden Charakter haben. • Plattform-, Gleichteile- und Modularisierungsprinzipien Durch global verteilte Zuliefererbetriebe steht die Koordination und Kommunikation im Fokus des Prozesses. Um die Schnittstellen möglichst reibungs- und fehlerfrei zu gestalten, werden produktbestimmende Techniken entwickelt, die nicht

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mehr die Einzelteile, sondern die Schnittstellen standardisieren. Die sichtbare Individualität nimmt somit tendenziell zu, während die »unsichtbare« Standardisierung steigt. • Effizienz wird zukünftig abgelöst durch Effektivität Der Fokus der Unternehmen liegt gegenwärtig auf der weiteren Zunahme der Modell- und Designvielfalt sowie auf der Effizienz im Umgang mit Ressourcen und Energie. Die Prozesse erscheinen heute allerdings in puncto Effizienz beinahe ausgereift. Der nächste große Evolutionsschritt wird voraussichtlich auf Produktebene stattfinden: Der Verbrennungsmotor wird durch eine nachhaltigere (z. B. elektronische) Antriebsform ersetzt werden müssen.

6.4 RÜCKSCHLÜSSE FÜR DEN PROZESS IM BAUEN Möglichkeiten der Übertragung Bisherige Untersuchungen des Wertschöpfungsprozesses im Automobilbau hinsichtlich seiner Übertragbarkeit auf das Bauen fanden vornehmlich auf dem Gebiet der Fertigung und Produktion statt. Wenngleich eine allgemeine Übertragbarkeit aller Aspekte nicht möglich ist, besteht doch auf der Ebene der Organisation des Gesamtprozesses und insbesondere in Bezug auf die während der Planung zum Einsatz kommenden Werkzeuge und Methoden eine theoretische Vergleichbarkeit. Aus der Analyse ergeben sich somit Aspekte, die für den Prozess im Bauen von großer Relevanz sind: • Die Fokussierung auf die ersten Leistungsphasen muss zukünftig Priorität genießen. Eine umfassende, aus einer interdisziplinär zusammengesetzten und partnerschaftlich organisierten Projektinitiierungsphase hervorgehende Zielfindung prägt nicht nur den weiteren Projektverlauf innerhalb des Teams, sondern legt vielmehr die Basis für ein nachhaltiges und innovatives Bauwerk. Je länger diese Phase andauert und je offener und flexibler die Vision sowie die Ziele formuliert werden, desto erfolgreicher die spätere Umsetzung. Es ist zu erwarten, dass sich hieraus große Potenziale zur Steuerung des Projekts ergeben, die letztlich auch Zeit und Kosten über den Lebenszyklus sparen. • Bereits während dieser ersten Phasen sollten Entwürfe entwickelt und anhand von digitalen Zeichnungen und Modellen präsentiert werden, die verschiedene Varianten untersuchen und Hilfestellung bei dem Entscheidungsfindungsprozess geben, da Vor- und Nachteile einzelner Überlegungen so deutlicher visualisiert und theoretische Überlegungen in den Kontext der Architektur übertragen werden können. Dieses Mittel erscheint als Gegenpol zu den meist auf Quantitäten basie-

TEIL III 152

renden Argumentationssträngen anderer Projektbeteiligter ein adäquates Werkzeug des Architekten, um qualitative Vor- und Nachteile anschaulich verdeutlichen zu können. Die Mehrarbeit, die aus der Erarbeitung von Varianten und dem Durchlaufen von Iterationen entsteht, dient dabei der Qualität des Endprodukts. Die Honorierung dieser Tätigkeit sollte ihrer Wichtigkeit entsprechen. • Die digitalen Technologien sollten vergleichbar zur Automobilindustrie weiter ausgebaut werden. BIM stellt ein wichtiges Werkzeug dar; jedoch sollten die digitalen Bauwerksmodelle sich einer zunehmenden Standardisierung und Vereinnahmung vonseiten der Produkthersteller verwehren, um auch für die Planer bereits von Beginn an die richtige Technologie zur Entwicklung ihrer kreativen Ideen darzustellen. Eine Einengung kann hier im Hinblick auf die Forderung nach Innovationen im Bauwesen als nicht wünschenswert erachtet werden. Wichtig ist, dass diese neuen Leistungen nicht nur von einem Projektbeteiligten erbracht werden, sondern vergleichbar zur Automobilindustrie mehrere Projektpartner parallel an unterschiedlichen Varianten arbeiten. So wie die Abteilung für das Crashverhalten von Automobilen den Designern ihre Lösungen vorschlägt und die Produktion reagieren muss, so kann umgekehrt auch Letztere wichtige Impulse liefern, um das Design oder das Crashverhalten anzupassen. Offenheit für Kritik und Vorschläge Dritter sowie Eigeninitiative und Kreativität werden hierbei von allen Projektbeteiligten abverlangt. • Würde sich im Bauen ein ähnlich positiver Umgang mit Fehlern während der Planungsphase etablieren, könnten bisherige Grenzen des Machbaren überschritten werden. Die Möglichkeit, mithilfe digitaler Technologien in kürzeren Intervallen und ohne kosten- und ressourcenintensive Vorgänge eine erhöhte Anzahl von Varianten zu erarbeiten und sie gegeneinander abzuwägen, führt zu einem breiteren Verständnis nicht nur der spezifisch zu lösenden Aufgabe, sondern lässt darüber hinaus den Erfahrungsschatz jedes Einzelnen anwachsen. Dies macht sich in einem übergeordneten Lernprozess bemerkbar, der projektübergreifend das Wissen mehrt. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die Verwendung von digitalen Technologien in der Planung im Automobilbau den gesamten Wertschöpfungsprozess verändert hat. Entsprechend den digitalen Technologien wurden digitale Techniken entwickelt, die in einen digitalen Prozess mündeten. Die Veränderung des Prozesses führt überdies zu einem erhöhten Wissenszuwachs über die zeitlich begrenzten Projekte hinweg. Nach Bangle [21] kann das Produkt als »Experiment« zur Verbesserung des Prozesses im Hinblick auf die Produkte der Zukunft verstanden werden: »A successful design is not characterized by the ability to create a brief sensation – but by the influence it exerts on subsequent designs in the years that follow.«

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Die beschriebenen Entwicklungsschritte im Automobilbau befinden sich im Bauen noch am Beginn der Entwicklung. Die Begriffe Modul, System und Element sowie Standardisierung und Industrialisierung werden weitgehend unterschiedlich verstanden, eine entsprechende negative Assoziation ist im Bauen weit verbreitet. Da das Automobil wie beschrieben durch die veränderten individuellen Kundenansprüche nicht mehr wie zur Mitte des vergangenen Jahrhunderts ein Massenprodukt immer gleicher Ausformungen ist, gilt auch das von Kritikern der Industrialisierung oft hervorgebrachte Argument, das Haus sei kein Automobil, nur noch bedingt. Selbstverständlich muss jedes Haus auf seine jeweiligen programmatischen, klimatischen und geografischen sowie soziologischen, kulturellen und formalen Rahmenbedingungen reagieren – das System, nach dem es konzipiert, entworfen, geplant, konstruiert und gebaut, genutzt, demontiert und rezykliert wird, bedarf allerdings einer an den global drängenden Fragestellungen orientierten Neuorientierung. Ein Beispiel: Fertighausanbieter machen sich das Plattformprinzip bereits zunutze., doch diesen wird vonseiten der Baukultur wenig Beachtung geschenkt – Gestaltung findet hier weitestgehend ohne den Einfluss von Architekten statt. Die Vorfertigung von Einzelteilen allerdings erfreut sich bei größeren Bauaufgaben aufgrund immer komplexerer Geometrien, damit einhergehender neuer Fertigungstechnologien und der benötigten Präzision zunehmender Beliebtheit auch bei den Architekten [35]. Ihr Image hat sich in den letzten Jahren umfassend gewandelt. Sie kommt heute paradoxerweise insbesondere dann zum Einsatz, wenn es um die Realisierung besonders individueller (und somit nichtstandardisierter) Architektur geht. Jedoch ist trotz aller Bestrebungen, das Bauen kostengünstiger zu machen, es kontinuierlich teurer geworden. Automobile hingegen werden heute bezogen auf ihre Qualität und ihren Wert zu einem niedrigeren relativen Preis verkauft als noch vor 30 Jahren – dennoch werden vonseiten der Hersteller Rekordprofite erzielt [284]. Gleichzeitig hat sich die Art und Weise, wie Automobile produziert werden, ihre Erscheinung, Qualität und Funktion stetig weiterentwickelt. Das Betrachten jeder einzelnen Phase während der Planung ist also nicht nur ein ideeller Wert, sondern stellt einen Ansatz dar, das Innovationspotenzial im Bauen – über die technischen Innovationen innerhalb der Bauindustrie hinaus – zu steigern.

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Kritische Überprüfung Auch wenn der Produktentstehungsprozess als Vorbild für das immobile Bauen dienen kann, so ist dies durchaus auch kritisch zu betrachten: • Innovation auf Komponentenebene – nicht auf Produktebene Das Innovationspotenzial des Automobilbaus wird mit den gängigen Bewertungskriterien (z. B. F&E-Ausgaben, Patente) gemessen. Dabei handelt es sich bei den Innovationen vornehmlich um Innovationen auf Komponentenebene. Das Produkt Automobil hat sich in seinen Grundzügen seit seiner Entstehung kaum verändert. Innovationen fanden in den Bereichen Fahrverhalten, Leistung, Verbrauch, Komfort, Bedienerfreundlichkeit und Sicherheit statt – alles Faktoren, die mithilfe technologischer Innovationen optimiert werden konnten. Es handelt sich durchweg um graduelle Veränderungen auf technischer Ebene oder der von Produktionsprozessen. Ersichtlich wird dieses Problem in der gegenwärtigen Krise, in der nach neuen Antriebskonzepten gesucht wird. Führende Automobilhersteller versuchen gegenwärtig, mit ihren auf das Produkt Automobil maßgeschneiderten Prozessen eine Antwort auf die geforderte Elektrifizierung der individuellen Mobilität zu finden. Die entstehenden Produkte sind dabei das Resultat umgebauter Verbrennungsmobile. Neuere, kleinere Unternehmen, die keine Vergangenheit in der Automobilindustrie vorweisen können, entwickeln hingegen ein von Grund auf neues Produkt, das nach Prozessen entwickelt wird, die nicht adaptiert werden müssen, sondern ebenfalls spezifisch neu gestaltet werden können. Sie handeln dabei nicht nach dem Prinzip der Optimierung und müssen sich nicht mit bereits bestehenden Strukturen und Denkweisen auseinandersetzen, sondern können von einem Idealbild des Elektromobils ausgehen, um rückwirkend die zum Erreichen dieses Ideals benötigten Prozesse zu entwerfen. In diesem Vorgehen gleichen sie im Prinzip dem heutigen Verhalten von Architekten, wenn sie zu Beginn der Planung auf einer sehr geringen Informationsbasis einen Entwurf erstellen. Sie wenden nicht ausschließlich den im Management der Wirtschaft anerkannten Resource-based-View an und betrachten, welche Mittel ihnen zur Verfügung stehen, sondern fragen sich vielmehr, was die ideale Maßnahme wäre, um den jeweiligen Ort zu verbessern [279] (vgl. auch Design Thinking [98]). Das Resultat sind – hochwertige Arbeit des Entwurfsverfassers vorausgesetzt – maßgeschneiderte Lösungen, die auf Produktebene einen weitaus höheren Innovationsgrad aufweisen, als dies je bei einem Automobil der Fall war. Die Indikatoren, mit denen das Innovationspotenzial gemessen wird, spiegeln diese aber nicht wider. • Reglementierung als Hemmnis von Innovationen Der Automobilbau hat mit einer großen Menge von Reglementierungen umzugehen. Weltweit festgelegte Standards schreiben den Designern und Ingenieuren

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weitestgehend vor, wie ein Auto auszusehen und zu funktionieren hat. Diese Reglementierungen können sowohl innovationsfördernden als auch innovationshemmenden Charakter haben. In der durch die Forderung nach Nachhaltigkeit rapide voranschreitenden Reglementierung im Bauen wird langfristig eine Gefahr für die Innovationskraft auf Produktebene gesehen. Je gewichtiger Zertifizierungsverfahren werden und je mehr sie den Charakter von gesetzlichen Verordnungen erlangen, desto vorhersehbarer wird die Qualität der gebauten Umwelt. Obschon hiermit die quantifizierbare Qualität, beispielsweise die der Nachhaltigkeit, zunimmt, so ist nicht ausgeschlossen, dass sich das Niveau der architektonischen und gestalterischen Qualität verringert. Ein Beispiel hierfür sind Solaranlagen, die ungeachtet ihrer ästhetischen Erscheinung eine Vielzahl von Dächern belegen. Ein weiteres ist das auch aus ökologischen Gründen bedenkliche Verbauen von 700 Mio. m2 WDVS in Deutschland – innerhalb von nur 50 Jahren seit seiner Einführung bis ins Jahr 2007 [104]. Auch Baukörper, deren Außenflächen in Bezug zu ihrer Nutzfläche minimiert werden, um Wärmetransmissionsverluste zu vermeiden, nehmen zu und bedrohen – weil quantitativ belegbar ökologisch im Vorteil – die für die Qualität der Innen- wie auch der Stadträume sehr wichtige architektonische Vielfalt.

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TEIL IV

7  |  STRATEGIEENTWICKLUNG

Im Folgenden wird ein ganzheitliches System-Umwelt-Modell im Bauen vorgestellt. Die Ebenen der Strategie – Vision, Mission, Leitbilder und Ziele – bauen hierauf auf und basieren auf dem Verständnis des Bauens als System. Die systemexternen Rahmenbedingungen üben maßgeblichen Einfluss auf den Prozess im Bauen sowie die Handlungen seiner Akteure aus und werden daher in die Strategie integriert. Zwei Kreisläufe – der materielle Stoff- und immaterielle Wissenskreislauf – werden als Denkmodell entwickelt mit dem Ziel, Projekte zukünftig als Schnittstelle dieser Kreisläufe zu betrachten, um langfristig Innovationen im Bauen zu generieren.

7.1 DAS SYSTEM-UMWELT-MODELL IM BAUEN Materielle und immaterielle Ressourcen In → Abb. 15 wird ein allgemeines Kreislaufmodell für den Prozess im Bauen vorgestellt. Wie erläutert, handelt es sich beim Bauen um ein System, das sich im ständigen Austausch mit seiner Umwelt befindet. Dabei entstehen zwei Kreisläufe: zum einen ein Materialfluss – Rohstoffe werden der Umwelt entnommen, zu Baumaterialien verarbeitet und verbaut. Als solche werden sie während der Nutzungsphase in Summe als Gebäude genutzt und am Ende wieder in die Umwelt eingeschleust. Hierbei kann es sich um die natürliche Umwelt handeln, sofern sich die Stoffe in einen natürlichen Stoffstrom wieder einschleusen lassen. Daneben existiert die Möglichkeit, Materialien in weitere, sich innerhalb der Systemumwelt befindende Systeme zu integrieren. Dort zirkulieren sie in sog. technischen Kreisläufen [47]. Sowohl aus den Kreisläufen der Natur als auch den Kreisläufen der Technik muss es zukünftig möglich sein, Materialien mittels eines qualitativ gleichwertigen Recyclings aus der Umwelt zurück ins System zu integrieren, um eine geschlossene Kreislaufwirtschaft im Bauen zu erzielen. Materialien können als Untergruppe der Ressourcen verstanden werden. So wie Arbeitskraft, Kapital oder Zeit Bestandteile dieser Gruppe sind, so ist auch das über den Projektverlauf kumulierte Wissen eine Ressource. Diese stellt den nicht minder wichtigen immateriellen Gegenstand des zweiten Kreislaufs dar. Anstatt, wie heute üblich, zeitlich auf die Dauer eines Projekts begrenzt – also auf das Erreichen eines spezifischen Produkts unter fest definierten Qualitätsanforderungen hin – zu kooperieren, müssen zukünftig Mechanismen und Methoden installiert werden, die dafür Sorge tragen, dass diese immaterielle Ressource, die durch das Entwerfen, Planen und Bauen produziert wird, auch in Kreisläufen Bestand hat. Somit ist das geschaffene Wissen für das System Bauen jederzeit verfügbar und kann für neue Projekte abgerufen werden. Während die materielle Ressource »Rohstoffe« das System verlässt und weitere Phasen in der natürlichen Systemumwelt durchläuft, folgt die immaterielle Ressource »Wissen« einem Kreislauf durch die kulturelle Systemumwelt. Die Träger des Wissens sind die Akteure an der Grenze des Systems. Sie selbst formen ein Subsystem des Bauens, das als Kommunikations- bzw. Sinnsystem definiert wird. Es organisiert den Prozess des Bauens und steht in direktem Bezug zur kulturellen Systemumwelt. Diese spielt eine entscheidende Rolle: Sie definiert alle zur Funktion des Systems relevanten Rahmenbedingungen.

TEIL IV 162

Rahmenbedingungen: Mechanismen zur Steuerung Die Akteure bilden die Schnittstelle zwischen System und Umwelt. Hier befindet sich die Steuerung des Systems. Sowohl die Akteure des Sinnsystems Bauen entspringen der Systemumwelt als auch ihre durch die jeweiligen Ausbildungen erlernten Fähigkeiten. Die Gesetzgebung, nach der sie ihr Handeln zu richten haben, steuert die Qualität des Produkts ebenso wie die Vergütung, die sie für ihre jeweiligen Leistungen erhalten. Diese hängen mit dem Wert zusammen, der ihnen gesamtgesellschaftlich zugesprochen wird, d. h. die Gesellschaft und ihre Wertvorstellungen steuern das Ergebnis des Prozesses im Bauen maßgeblich mit. Nicht nur der Preis ist hierfür entscheidend, sondern auch die Nachfrage. Je mehr internes Wissen aus dem Prozess auch in die kulturelle Umwelt, also mittels der Akteure in die Gesellschaft externalisiert wird, desto größer die Chance des Sinnsystems, das Verhalten der Gesellschaft im Gegenzug zu steuern. Das heißt, die Akteure des Bauens werden zwar durch die Rahmenbedingungen der Gesellschaft gesteuert, haben umgekehrt jedoch auch die Möglichkeit, ihre kulturelle Systemumwelt zu steuern oder zumindest in ihrer Entwicklung zu beeinflussen. Den Architekten kommt hierbei eine besondere Stellung zu, da sie ein eindrückliches Werkzeug der Visualisierung an der Hand haben: die Architektur. → Abb. 16 zeigt ferner auf, dass der heutige Fokus im Bauen auf das Durchlaufen eines linearen, zeitlich begrenzten Prozesses mit dem Bauwerk als Endpunkt aufgegeben werden muss. Würde man Gebäude vielmehr als Mittel zum Zweck der Weiterentwicklung des Bauens im Allgemeinen verstehen, so würde jedes einzelne Bauwerk sich langfristig in eine Reihe von »Experimenten« eingliedern, die das Qualitätsniveau entsprechend dem generierten Wissen insgesamt erhöhten. Dieser kontinuierliche Verbesserungsprozess muss insbesondere in Architekturbüros – wo dieser Ansatz im Gegensatz zur Bauindustrie im Regelfall noch nicht institutionalisiert und wenig erforscht ist – stattfinden. Darüber hinaus müssen Wege gefunden werden, um diesen Prozess auch über Unternehmensgrenzen hinweg fortzuführen. Die in Forschung und Praxis bislang wenig beachtete kulturelle Systemumwelt – allen voran die Bereiche Ausbildung, Gesetzgebung, Vergütung und Werte – müssen stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit rücken. Bisher wurden vornehmlich die Akteure im Bauen und ihre Beziehungen für den Erfolg oder Misserfolg, die Qualität und Kostenentwicklungen oder die Nachhaltigkeit von Gebäuden verantwortlich gemacht. Durch das Erforschen der Rahmenbedingungen und deren Funktionsweisen im Bezug auf die Akteure, das Projekt, den Prozess und das Produkt wird hingegen erwartet, dass ein

7  |  STRATEGIEENTWICKLUNG 163

KULTUR

Werte

Gesetze

Vergütung

Steuerung

WISSEN

Kommunikation

SOZIALES SYSTEM

AKTEURE Organisation

MENSCH KUNST TECHNIK

PROJEKT BOL

Planen

Bauen

PROZESS

MATERIELLE MATERIELLE RESSOURCEN RESSOURCEN

NATUR Abb. 15: System-Umwelt-Modell im Bauen

TEIL IV 164

Ausbildung/Forschung

etc. ...

IMMATERIELLE RESSOURCEN

SOZIOTECHNISCHES SYSTEM

PRODUKT Nutzen

GEBAUTE UMWELT

EOL

TECHNISCHES SYSTEM

Input / Output

ROHSTOFFE ROHSTOFFE

7  |  STRATEGIEENTWICKLUNG 165

INPUT

OUTPUT

Wertschöpfung Wertschöpfung

Innovationen Innovationen

Wissen Wissen

Wissen Wissen

Wissen Wissen

Prozesse Prozesse

Technologien Technologien

PLANUNG

PRODUKTION PROJEKTPHASE

Abb. 16: Projektübergreifender, kontinuierlicher Verbesserungsprozess

weitaus größerer Einfluss ausgeübt werden kann. Hier liegen große Potenziale, die an der Steuerung des Systems ansetzen, also die Ursachen der heute praktizierten Techniken ergründen und verändern, anstatt den bekannten Auswirkungen entgegenwirken zu wollen.

Ressourcenkreisläufe: Projekt als Schnittstelle Die Ressourcenkreisläufe sind gekennzeichnet durch die drei entscheidenden Phasen Projekt, Verwendung und Aufbereitung → Abb. 17. Das Projekt stellt hierbei die Schnittstelle zwischen dem Material- und dem Wissenskreislauf dar. Zwischen den Phasen durchlaufen die Ressourcen unterschiedliche Einzelprozesse. Für den Materialkreislauf sind diese bereits bekannt: Nach der Objektübergabe an den Nutzer werden sie zu dessen Zwecken verwendet. Im Anschluss kommt es, ggf. nach einer Reihe von Umnutzungen (in deren Kontext sich erneute Projekte in den Kreislauf eingliedern können), zum Rückbau. Die Materialien werden aufbereitet und einem Recycling zugeführt, um für weitere Projekte wieder zur Verfügung zu stehen. Für den Wissenskreislauf wird vorgeschlagen, das zur Objektübergabe am Ende der Projektlaufzeit erarbeitete Wissen zu dokumentieren. Diese Dokumentation geht dabei weit über die in der HOAI verankerte Projektdokumentation hinaus. Es geht vielmehr darum, neben dem Produkt auch den Prozess zu dokumentieren, aus dem es entstanden ist. Die Probleme, mit denen die Akteure sich auseinanderzusetzen hatten, die Entscheidungen, die gefällt wurden, die Zwänge, die ggf. zu Umplanungen führten etc., geben Aufschluss über die Weichen, die für ein Folgeprojekt frühzeitig zu stellen sind. Die Weitergabe von Erfahrungen muss in einem Format erfolgen, das auch für Projektexterne zu erschließen ist. Dieses Wissen wurde bisher im Bauen mit der Begründung der Einmaligkeit von Projektabläufen sowie aufgrund von vertraglichen Geheimhaltungsklauseln kaum dokumentiert. Weder Veröffentlichungen der Projektsteuerung noch solche vonseiten der

TEIL IV 166

Architekten geben umfassende Einblicke in die durchlaufenen Prozesse. Die Forderung, dass Dissertationen im Fach Architektur auch über vom jeweiligen Verfasser mitgeplante Gebäude verfasst werden könnten [229], deutet hier jedoch in die richtige Richtung. So kann die Forschung auch in der Architektur um große, bisher verborgen gebliebene Wissensschätze bereichert werden. Diese können in einem nächsten Schritt innerhalb des Kreislaufs als Grundlage für weitere, detailliertere Forschung Verwendung finden. Die theoretischen Grundlagen können so ihren Weg in die Entwicklung finden und zu Produkten oder Prozessen führen, die eine Optimierung des Folgeprojekts ermöglichen. Zum Zeitpunkt der Initiierung eines jeden neuen Projekts treffen die Materialkreisläufe und die Wissenskreisläufe anderer Projekte wieder zusammen. Die Summe vieler Projekte führt zu einer Verknüpfung einer größeren Anzahl von Ressourcenkreisläufen. Durch die im Bauen üblichen losen Projektteams entnimmt zusätzlich jeder Akteur aus jedem Projekt spezifisches Fach- und Prozesswissen, das er in anderen Konstellationen einbringen kann. Es entsteht ein über alle Lebenszyklusphasen hinweg rückgekoppelter Ressourcenkreislauf von Material und Wissen.

cling Recy Aufbereitung Rüc k

Aufbereitung

WISSENSKREISLAUF

Projekt

MATERIALKREISLAUF

Umnutzung

Verwendung

Verwendung

g tzun Nu

Dokumenta tion

ng schu For

ng

Initiierung

u ba

En tw ick lu

Optimier ung

Übergabe

Abb. 17: Materielle und immaterielle Ressourcenkreisläufe

7  |  STRATEGIEENTWICKLUNG 167

Wissenskreisläufe entlang des Materialkreislaufs Wie in → Abb. 18 dargestellt, formieren sich um jeden Materialkreislauf unterschiedliche Wissenskreisläufe. Diese entsprechen folgenden Disziplinen: • Planen und Bauen (angelagert an die Projektphase) • Nutzen und Betreiben (angelagert an die Verwendungsphase) • Beschaffen und Verwerten (angelagert an die Aufbereitungsphase) Das Wissen aus der Projektphase führt zur Verwendung und Aufbereitung von Information, um sie bei Folgeprojekten anwenden zu können. Das Wissen aus der Nutzungsphase – der Verwendung des Materials – kann ebenso innerhalb des fachspezifischen Wissenskreislaufs des Nutzens und Betreibens aufbereitet und eigenen Projekten zugeführt werden. Die aus der Aufbereitung der Materialien gewonnenen Erkenntnisse wiederum führen zu Projekten innerhalb der Recycling- bzw. Baustoffindustrie.

Projekt

VerBESCHAFFEN wendung VERWERTEN

Aufbereitung

PLANEN BAUEN Verwendung

Aufbereitung

Projekt

INTERDISZIPLINÄRE KOMMUNIKATION

MATERIALKREISLAUF Verwendung

NUTZEN BETREIBEN

Aufbereitung

Projekt

Abb. 18: Wissenskreisläufe entlang des Lebenszyklus

TEIL IV 168

Umschließt diese drei sich an den Materialkreislauf angliedernden Wissenskreisläufe ein übergeordneter Wissenskreislauf, so können die heute fehlenden Synergien zwischen dem Wissen der drei Disziplinen erzielt werden. Hierbei spielt die interdisziplinäre Kommunikation über die Forschung eine zentrale Rolle, die in der Lage ist, das Innovationssystem im Bauen zu revolutionieren. Der erläuterte Missstand, dass nur in der spezialisierten Arbeitsteilung neues Wissen entstehen kann, während hierdurch gleichzeitig ein Problem auf der Ebene der Schnittstellen und der Kommunikation entsteht, kann durch diesen Ansatz sukzessive beseitigt werden. Zukünftig muss nicht mehr nur in einem Kreislauf gedacht werden, bei dem jedes Projekt bzw. jeder Material- oder Wissenskreislauf nur aus einer Perspektive und als in sich geschlossen betrachtet wird; vielmehr wird die Kopplung vieler Wissens- und Materialkreisläufe als erfolgversprechender erachtet, da sie ganzheitlicher das System im Bauen widerspiegelt. In einem nächsten Schritt kann diese Denkweise vom Bauen auch auf andere anthropogene Material- und Wissenskreisläufe übertragen werden. Solche ließen sich zukünftig in die hier gezeigten Ströme eingliedern. Die Folge ist ein immaterieller Wissenszuwachs und Wissensaustausch über Disziplingrenzen hinweg. Auf materieller Ebene können neue Stoffströme über bisher getrennte ressourcenverarbeitende Industrien hinweg entstehen und die Abfalleigenschaft von Produkten gänzlich eliminiert werden [7].

7.2 STRATEGIEEBENEN Das System-Umwelt-Modell stellt aus heutiger Sicht einen Idealzustand im Bauen dar. Dieser befindet sich selbst kontinuierlich im Wandel, um auf die anthropogenen und natürlichen Bedingungen reagieren zu können. Um eine neue Prozessgestaltung im Bauen zu ermöglichen, setzt sich die vorliegende Strategie aus einer Vision, einer Mission, fünf Leitbildern und zehn Zielen zusammen:

Vision und Mission Vision: Metabolische Evolution des Bauens Das Bauen befindet sich sowohl auf materieller als auch auf immaterieller Ebene hinsichtlich seines Inputs und Outputs kontinuierlich im Einklang mit seiner anthropogenen und natürlichen Umwelt – vergleichbar mit einem Metabolismus [18]. Das Bauen entwickelt sich – vergleichbar mit der biologischen Evolution – als System innerhalb dieser Umwelten, mehrt sein Wissen über Projektgrenzen hinweg, ist langfristig innovativ und entspricht den Prinzipien einer nachhaltigen Entwicklung auf ökologischer, ökonomischer und soziokultureller Ebene. Als Ergebnis entsteht auf der Basis der

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Ökologie des Planeten Erde eine gebaute Umwelt, welche die Bedürfnisse der jeweiligen Epoche befriedigt und ihre Möglichkeiten widerspiegelt – und nicht zuletzt das Leben der Menschen architektonisch inspiriert. Die jeweilige gebaute Umwelt steht als System schadstoff- und abfallfrei über den gesamten Lebenszyklus im Einklang mit der natürlichen Umwelt und ist zu jedem Zeitpunkt unabhängig von ihren endlichen Ressourcen. Mission: Reengineering Architecture Die Vision muss durch eine umfassende Neugestaltung des Prozesses im Bauen erreicht werden, da dieser konstitutiv für die gebaute Umwelt ist.

Leitbilder und Ziele Leitbilder • vom mechanistischen zum systemischen Denken, • vom fragmentierten zum ganzheitlichen Entwerfen, • vom hierarchischen zum partnerschaftlichen Planen, • vom sequenziellen zum parallelen Handeln und • vom industriellen zum digitalen Fertigen Ziele • Rückkopplungsfähiger Projektprozess Der Prozess im Bauen muss projektbezogen erweitert werden. Es müssen die ihm vorausgehenden Phasen der Projektinitiierung und der Materialbeschaffung (BOL) sowie die ihm nachfolgenden Phasen der Nutzung, Umnutzung und des Rückbaus inklusive des Recyclings (EOL) integriert werden. • Kontinuierlicher Verbesserungsprozess Die projektbezogene Betrachtung der zu lösenden Aufgaben im Bauen muss überwunden werden. Projektübergreifende und damit längerfristige Betrachtungen – nicht des Produkts, sondern der eigenen Prozessorganisation – müssen insbesondere durch Architekten etabliert und professionalisiert werden, um das durch ein Projekt erlangte Wissen über Projektgrenzen hinweg dokumentieren und mehren zu können. Ein langfristiger sog. kontinuierlicher Verbesserungsprozess (KVP) – wie er aufseiten von Bauunternehmen bereits verfolgt wird [69] – muss etabliert werden. • Integrierter Planungs- und Produktionsprozess Die strikte Trennung von Dienstleistung (Planung) und Produktion (Ausführung) durch das heutige Verfahren der Ausschreibung und Vergabe muss abgeschafft werden. Das Wissen der jeweils Beteiligten muss frühzeitig und partnerschaftlich

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geteilt und in den jeweils anderen Phasen integriert werden, um bereits zu Beginn der Planung auf die Kompetenzen der Produktion zurückgreifen und umgekehrt durch bewusste Entscheidungen während der Planung die Produktion beeinflussen zu können. • Netzwerk aus Experten Die anwachsende Komplexität der im Bauen bestehenden Zusammenhänge muss dazu führen, dass sich das Feld der Akteure fachlich erweitert und sich deren jeweiligen Profile spezialisieren. Auch die Rolle des Architekten kann nicht länger singulär betrachtet werden – hier müssen sich innerhalb des Kompetenzbereichs ebenfalls Experten formieren. • Partnerschaftliches Kooperieren Zukünftig muss partnerschaftlich zum Gelingen eines Vorhabens kooperiert werden, um der Komplexität der Zusammenhänge, die zum Erzielen eines Ergebnisses führen, zu entsprechen. Das öffentliche Darstellen der Leistungen der Beteiligten sowie die hieraus ansteigende Verantwortung erhöhen deren intrinsische Motivation. • Interorganisationale Geschäftsprozesse Die projektbezogene Zusammensetzung der Beteiligten führt zu Reibungsverlusten durch die Konfrontation divergierender Arbeitsweisen, unterschiedlicher Datenverarbeitungsmethoden und individueller Charaktere. Die jeweiligen Geschäftsprozesse der einzelnen Organisationen müssen zukünftig der interorganisationalen Realität der Prozessstruktur angepasst werden. Eine langfristige Kooperation von Partnern ist als Ideal anzustreben. • Interdisziplinäre Kommunikation Die Kooperation muss durch eine interdisziplinäre Kommunikation ergänzt werden. Durch die zunehmende Spezialisierung der einzelnen Prozessbeteiligten und ihre intellektuellen Hintergründe besteht die Gefahr, dass jeder Einzelaspekt zwar optimiert wird, die Zusammenhänge des »großen Ganzen« aber aus den Augen verloren gehen. Dieser Gefahr muss auf zwischenmenschlicher Ebene begegnet werden, da digitale Bauwerksmodelle diesbezüglich limitiert sind. • Ganzheitlicher Ausbildungsprozess Der zunehmenden Spezialisierung im Bauen ist in Form von neuen Studiengängen sowohl in der Architektur als auch in anderen Disziplinen Rechnung zu tragen. Diese Neuausrichtung muss auch die praktischen Berufe, wie beispielsweise das Handwerk, beinhalten. Neben den fachlichen Inhalten müssen die verschiedenen

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Ausbildungswege die Horizonte der jeweils anderen Akteure vermitteln, um eine reibungsfreie und fruchtbare Zusammenarbeit zu ermöglichen. • Aufklärung der Öffentlichkeit Die am Prozess im Bauen Beteiligten müssen zukünftig nicht mehr nur die Aspekte der Nachhaltigkeit in ihrem Handeln berücksichtigen, sondern offensiv die Gesellschaft über deren Relevanz informieren – denn diese ist durch ihre Wertedefinition letztlich der Entscheidungsträger darüber, was, wie und wo gebaut (und auch rückgebaut) wird. Als Teil dieser Öffentlichkeit bestimmt der Bauherr einen großen Teil der Rahmenbedingungen und trifft die maßgeblichen Entscheidungen; seine Werte bestimmen den Wert der gebauten Umwelt. Aufgabe der Akteure und insbesondere des Architekten muss es somit sein, die Gesellschaft als Ganzes bzw. den Auftraggeber im Speziellen durch ihr bzw. sein Wirken positiv zu beeinflussen. • Gesetzliche Rahmenbedingungen Die bestehenden Normen und Richtlinien hemmen den Innovationsprozess im Bauen. Zudem ist die Komplexität des privaten Baurechts in Deutschland auf die große Summe der am Bauen Beteiligten und ihre überholten Prozessstrukturen zurückzuführen, durch die Unwägbarkeiten und monetäre Risiken entstanden sind. Inwiefern Recht und Rechtsprechung das Bauen beeinflussen, muss zukünftig gezielt erforscht werden. Durch verbindliche rechtliche Regelungen und politisch geförderte monetäre Anreize kann die Nachhaltigkeit der gebauten Umwelt allerdings auch gesteigert werden. Diese müssen darauf abzielen, systemisch einen positiven Effekt zu bewirken.

7.3 AUSWIRKUNGEN AUF DIE BERUFSBILDER Die Verantwortung von Architekt und Ingenieur »Die großen Probleme unserer Zeit lassen sich nicht durch die Wissenschaft lösen.« [108] Grund hierfür ist die Tatsache, dass Wissenschaft zumeist Probleme isoliert betrachtet, um sie einer verifizierbaren Lösung zuführen zu können. Die heutigen Herausforderungen im Bauen sind hingegen systemischen Ursprungs. Die Erkenntnisse der Naturwissenschaften und die der Geisteswissenschaften müssen daher zukünftig gleichberechtigt Beachtung finden. Architekten müssen dabei ihrem Handeln und ihren Entscheidungen die Errungenschaften der Hard Sciences zugrunde legen; umgekehrt müssen auch die Soft Sciences als gleichwertig anerkannt und ihre Ziele verstanden werden. Durch einen offenen Austausch können beide Seiten – Design und Wissenschaft – sich gegenseitig stärken [13].

TEIL IV 172

In den heute zumeist getrennten Ausbildungswegen und Ausbildungsinhalten der Studierenden ist allerdings die Hauptursache für Kommunikationsmissstände zu suchen. Als Grundlage für eine reibungslose Zusammenarbeit müssen die unterschiedlichen Ausbildungsinhalte – phänomenologisch – stärker in den jeweils anderen am Bauen beteiligten Disziplinen verankert werden. Außerdem müssen durch inter- und transdisziplinäre Projektarbeit bereits während des Studiums die fachlichen und kommunikationsbezogenen Grundlagen für die spätere Teamarbeit gelegt werden. Denn nach von Förster [108] lassen sich – ganz gleich ob im Bauen oder anderswo – generell zwei Arten von Fragen unterscheiden: prinzipiell entscheidbare und unentscheidbare Fragen. Unter entscheidbaren Fragen versteht er solche der Hard Sciences, weil ihre Beantwortung durch »ein definitives Ja oder ein definitives Nein« aufgrund der Naturgesetze möglich ist. Im Gegensatz hierzu besteht bei der Entscheidung über unentscheidbare Fragen eine Wahlmöglichkeit, mit welcher die »Verantwortung für jede […] Entscheidung« einhergeht – demzufolge können nur prinzipiell unentscheidbare Fragen auch von den Akteuren im Bauen entschieden – und somit ihre Antworten nicht gefunden, sondern erfunden – werden [108]. Ein objektives Richtig oder Falsch gibt es also (zumindest in der Architektur) nicht. Denn prinzipiell unentscheidbare Fragen sind es, die es während des Bauprozesses vornehmlich zu beantworten gilt. Die Freiheit der Wahl und die damit einhergehende Verantwortung bestimmen die Qualität der gebauten Umwelt. Das Erfinden von Antworten also ist in erster Linie Aufgabe des Architekten. Er muss als Teil eines Sinnsystems gleichzeitig als Sensor und Aktuator fungieren. Sensor insofern, als dass er Veränderungen in der Systemumwelt wahrnehmen und diese als Feedback an das System Bauen weiterleiten muss. Als Aktuator kann er die Differenz, welche die Information zutage fördert, identifizieren und das System Bauen (beispielsweise durch den Entwurf ) beeinflussen, um das Systemverhalten entsprechend anzupassen. Entscheidungen können somit vor dem Hintergrund des Abgleichs von Hard Sciences und Soft Sciences gemeinschaftlich und auf einer entsprechenden Informationsbasis geschehen. Es bedarf eines informierten Urteilsvermögens [32], um Komplexität jenseits des Entwerfens begreifen und ihre Zusammenhänge systemisch berücksichtigen zu können. Die Erkenntnisse müssen in den Zusammenhang des Gesamtsystems gestellt werden, um Folgeeffekte für die System-Umwelt-Beziehungen und die Systemumwelt an sich absehen zu können. Hierdurch muss vermieden werden, dass unentscheidbare Fragen in einer Weise entschieden werden, die für die unmittelbar projektbezogene Fragestellung zwar als sinnvoll eingestuft wird, sich an von den Sensoren des Systems nicht erfassbarer Stelle – sowohl räumlich als auch zeitlich – aber als negativ herausstellen könnte (sog. Rebound-Effekte).

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Gesellschaftsrelevante Probleme, wie beispielsweise solche, die die Etablierung einer nachhaltigen Entwicklung im Bauen betreffen, müssen vermehrt in den Bereich der öffentlichen Wahrnehmung gerückt werden. Insbesondere Architekten kommt hierbei die Aufgabe zu, nicht visualisierbare Werte und sog. Hard Facts mithilfe des Entwerfens anschaulich und einprägsam zu veranschaulichen. Ebenso können Publikationen und Vorträge zur Wertebildung einer Gesellschaft beitragen und hierdurch indirekt die Qualität der gebauten Umwelt beeinflussen.

Die Situation der Architekten Im Kontext der Entwicklung der Architektur-Biennalen in Venedig adressiert Chipperfield [62] ein Problem der Architekten: »Sie werden […] nicht mehr ernst genommen in der Politik des Bauens und scheinen den Boden unter den Füßen verloren zu haben.« [170] Auch Hadid [128] benannte dieses Problem: »People don’t have respect for you.« Die

Position der im Bauen Beteiligten, ihre Beziehungen untereinander und ihr Ansehen in der Gesellschaft bestimmen unter anderem ihre Fähigkeit, auf eine nachhaltige Entwicklung im Bauen hinzuwirken. Sie sind sowohl Wissens- als auch Entscheidungsund somit Verantwortungsträger, denn »Architektur wird nicht nur von Architekten gemacht, sie hängt ab von gemeinsamen Bedingungen und der Gesellschaft« [61]. Der heutige Missstand im Berufsfeld des Architekten wurde in Deutschland in den letzten Jahren durch eine Reihe von Studien belegt (u. a. [106], [323]). Hommerich [146] kommt zu dem Schluss, dass sich die Architekten in einer »massiven wirtschaftlichen Krise« befinden. Perspektivische Untersuchungen [147] sowie regelmäßige Gehalts-, Konjunktur- und Büroumfragen der Länderarchitektenkammern [295] bestätigen dieses Bild: Die Honorare der Architekten und Bauingenieure liegen bis zu 25 Prozent unter denen in anderen Bereichen beschäftigter Ingenieure – 40 Prozent der deutschen Planungsbüros schreiben rote Zahlen [154]. Dies ist letztlich auch ein Resultat des Verlusts wichtiger Aufgaben innerhalb des Prozesses im Bauen. Insbesondere bei größeren Projekten sind die Kompetenzen im Bereich der Projektsteuerung und des Managements an hierauf spezialisierte Anbieter abgegeben worden. Der Architekt ist verstärkt zum Experten für gestalterische Aufgaben geworden und Anweisungen Dritter unterworfen. Doch auch bei kleineren Projekten wie beispielsweise dem Wohnungsbau ist ein Rückgang der Involvierung von Architekten zu beobachten. Anbieter, die Einfamilienhäuser mit garantierter Planungsund Kostensicherheit schlüsselfertig erstellen, haben in Deutschland Marktanteile gewonnen [85]. Zudem liegt der Anteil von Fertighäusern am Einfamilienhausmarkt bei ca. 20 Prozent – ihnen »kommt sicherlich die gesamte Diskussion um Energie und Nachhaltigkeit in den letzten Jahren zugute« [335].

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Ökonomisch betrachtet bedeutet dies, dass das Angebot die Nachfrage übersteigt. Die Folge ist eine erhöhte Konkurrenzsituation auf dem Markt. So ist zu vermuten, dass auch über eine übliche Akquisetätigkeit hinaus zum Teil unentgeltlich Leistungen erbracht werden. Auf der Ebene der Arbeitnehmer schlägt sich die Konkurrenzsituation vornehmlich in vergleichsweise geringen Löhnen und einer steigenden Anzahl von Studienabsolventen nieder, die nur zeitlich befristete Arbeitsstellen oder Praktikumsplätze erhalten. Hieraus ergeben sich zwei Folgen, die direkten Einfluss auf die Qualität der gebauten Umwelt haben: Erstens müssen bei der Bearbeitung von Projekten Ressourcen eingespart werden, um wirtschaftlich agieren zu können. Hierdurch sinkt unter Umständen die Qualität der Leistung. Erbringt der Architekt durch unbezahlte Arbeitszeit dennoch seine Leistungen gewissenhaft, so entsteht auch ein Verlust seines Ansehens, denn »das Gesetz der Wirtschaft verbietet es, für wenig Geld viel Wert zu erhalten« [259]. Seine Arbeit wird in der Folge nicht mehr als wertvoll erachtet. Zudem führte die Abgabe großer Teile des Kompetenzbereichs des Architekten an Projektsteuerer zu einer vermehrten Konzentration der Architekten auf die reine Gestaltung. Dies hat ihre Prominenz zwar zunächst gefördert, »ihr Einfluss jedoch [wurde] immer geringer« [176]. Der Architekt läuft durch die Zusammenhänge von Marketing und Gestalt [183] daher Gefahr, seine Gestaltungskompetenz ad absurdum zu führen. Diese Entwicklung, bei der die wahren, weitaus komplexeren Inhalte und Aufgaben von Architektur immer weniger Raum einnehmen, schwächt langfristig das Ansehen der Architekten.

Entwurf einer adäquaten Ausbildung Die genannten Probleme müssen politisch aufgegriffen werden, um die systemischen Zusammenhänge zwischen Wertschätzung, Leistung, Honorierung und Qualität steuern zu können. Ein wichtiger Ansatzpunkt stellt hier das Hochschulsystem dar, für das neben den von Koch [174] erläuterten Themenfeldern folgende Handlungsempfehlungen ausgesprochen werden: • Höhere Anforderungen an Studienanfänger Architektur muss als Summe aller notwendigen Kenntnisse aufgefasst werden – Auswahlverfahren für Studienanfänger allein auf der Basis gestalterischer Fähigkeiten sollten daher überdacht werden. Kompetenzen beispielsweise der Kommunikation, der strategischen Planung oder der Ökonomie sollten ebenso Berücksichtigung finden. Zur Auswahl der Qualität der Studienanwärter ist zu überlegen, ob z. B. ein Numerus clausus geeignet wäre.

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• Abfragen von Leistungen während des Studiums Das Architekturstudium in Deutschland ist geprägt von großen Freiheitsgraden für die Studierenden. Während dies im universitären Sinne sicherlich sinnvoll ist, sollte parallel auf die konsequente Vermittlung und das Abfragen von Wissen abgezielt werden. Denn das Ansehen eines Studiums an sich kann ebenso zu einer erhöhten Wertschätzung beitragen. • Spezialisierung der Ausbildung Aufbauend auf einen allgemeinen Teil des Studiums sollte eine fachliche Spezialisierung erfolgen, um auf die Zunahme der Aufträge in Spezialbereichen [295] zu reagieren. Entsprechend dem Fachanwalt könnte eine Spezialisierung in Facharchitekten nach Typologie und Inhalt respektive nach Materialien und Technologien erfolgen. Dies würde zudem das Vertrauen potenzieller Auftraggeber in die Qualifizierung des Auftragnehmers stärken. • Interdisziplinäres Wissen Die Ausbildung sollte verstärkt Inhalte der Ausbildung zukünftiger Projektpartner beinhalten; deren Strukturen und Denkweisen, Technologien und Geschäftsprozesse sollten vermittelt werden. Würden Studieninhalte in interdisziplinären Teams projektbezogen gemeinsam erarbeitet werden, stiege das Verständnis und die Akzeptanz zwischen den Disziplinen, sodass ein späteres teamorientiertes Zusammenarbeiten gefördert wird. • Organisationskompetenz als Ausbildungsinhalt Kompetenzen der Organisation, des Managements, der Teambildung, der Motivation und der Kommunikation sowie der strategischen, zielorientierten Problemlösung müssen in die Ausbildung der Architekten integriert werden. Hierdurch würde er seiner Rolle als Kommunikator gerecht. Insbesondere unvorhergesehene komplexe Situationen, in denen Zielkonflikte herrschen, nehmen aufgrund der projekt- und gestaltbezogenen akademischen Arbeitsweise bisher einen zu geringen Stellenwert in der Ausbildung ein. • Vermittlung von Grundlagen und Zukunftstechnologien Das Erlernen von Grundlagen wie händisches Skizzieren und die Beherrschung neuester 3-D-Software schließen sich keinesfalls aus. Beides muss ebenso vermittelt werden wie ein solider Umgang mit gängigen Planungswerkzeugen und Regulierungen.

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• Kompetenz der Nachhaltigkeit In die Ausbildungsinhalte muss letztlich das fachliche Wissen der Nachhaltigkeit integriert werden. Das Einrichten von Lehrstühlen sollte vergleichbar zu denen der Tragwerkslehre und der Bauphysik erfolgen. Darüber hinaus müssen aber auch letztgenannte Disziplinen ihre spezifischen Kenntnisse im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung im Bauen erweitern, sodass bereits mittelfristig Nachhaltigkeit als Selbstverständlichkeit innerhalb des Entwerfens und Planens angesehen wird.

Die zukünftge Rolle des Architekten Neben der Objektplanung, wie sie Eisenmenger [96] schildert, wird es zunehmend die Aufgabe von Architekten sein, Innovationen zu planen bzw. zu entwerfen und sie mithilfe von sog. Coupled-Innovation-Processes zu externalisieren. Erfolgreiche Architekturbüros fokussieren ihre Arbeit bereits heute zumeist auf nur einige wenige Aspekte der Architektur und entwickeln hieraus eine umfassende Haltung, die über Projektgrenzen hinweg ihr Werk bestimmt. Hierdurch werden sie Spezialisten in einem Fachgebiet innerhalb der Architektur. Dies geht sehr oft einher mit einer – gewollten oder ungewollten – Marketingstrategie. Am Anfang der Karrieren vieler heutiger Stararchitekten standen weniger große Projekte als vielmehr kleine »Experimente«, gepaart mit einer theoretischen Abhandlung oder einem eindringlichen Manifest. Ihre Bauten verkörpern dies und liefern das für das Marketing benötigte Image. Die Veröffentlichung beider sorgt für die Verbreitung der Idee. Die Invention kann somit zunächst in Architektenkreisen und darüber hinaus in Bauherren- und Investorenkreisen diffundieren – eine Innovation entsteht. Die Architekten stehen für eine »Marke«, deren Produkte ihre Gebäude sind. In einzelnen Fällen wurden ihre Gebäude bereits mit dem eigenen Logo versehen (z. B. Prada Aoyama Epicenter in Tokio, Herzog & de Meuron [142]). Ungeachtet dessen, ob dies positiv oder negativ zu bewerten ist, besteht somit die Möglichkeit, mittels Marketing- und Branding-Strategien die Haltung eines Architekten zu Wettbewerbsvorteilen heranzuziehen. Hierdurch steigt die Fähigkeit, Einfluss auszuüben – die Folge ist eine größere Verantwortung. Die hier aufgezeigten Mechanismen gilt es, für die Architekten zu erkennen und in der Zukunft zum Wohle einer innovationsfördernden und nachhaltigen Entwicklung des Bauens anzuwenden.

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Gesamtgesellschaftliche Perspektive Das Bauen ist ökonomisch, ökologisch und soziokulturell von zentraler gesamtgesellschaftlicher Bedeutung – es umfasst ca. 5 Prozent der in Deutschland erwirtschafteten Güter und Dienste und beschäftigt knapp 7 Prozent der Erwerbstätigen [210]. Innerhalb des produzierenden Gewerbes arbeitet fast jeder fünfte im Baugewerbe und innerhalb des Dienstleistungssektors etwa jeder 70. in Architektur- oder Ingenieurbüros (s. [81] i. V. m. [163]). Auch der Anteil des Baugewerbes an der gesamten Wertschöpfung [30] zeigt, dass die Bedeutung des Bauens in Deutschland weiterhin hoch ist. Doch eine große Anzahl von Produkten und Dienstleistungen wird durch Akteure erbracht, die in den genannten Indikatoren keine Berücksichtigung finden. So werden die dem Prozess vor- und nachgelagerten Phasen bei volkswirtschaftlichen Bilanzen bisher nicht integriert. Ebenso werden Dienstleistungsberufe, die sich mittelbar mit dem Bauen beschäftigen, wie z. B. die Kredit- und Immobilienwirtschaft, nicht berücksichtigt. Auch sind unterstützende Berufe wie beispielsweise die IT-Branche zu integrieren, um die Relevanz des Bauens abzubilden. Insbesondere während der Nutzungsphase sind die volkswirtschaftlichen Auswirkungen des Bauens groß: Die Energiewirtschaft und die zunehmende technische Regelung von Gebäuden, die Wasserver- und -entsorgung sowie das Facility Management sollten als Teil des Bauens betrachtet werden. Während auf stofflicher Ebene diese Faktoren eine steigende Relevanz erfahren, bleiben sie in der volkswirtschaftlichen Betrachtung bis heute meist außen vor. Ebenso verhält es sich mit den Erwerbstätigen innerhalb der EOL-Phase wie z. B. die in Abriss-, Rückbau und Recycling-Unternehmen Tätigen. Eine »erweiterte Sicht« auf die Gesamtwertschöpfungskette Bau zeigt, dass diese einen weitaus höheren Anteil am gesamtwirtschaftlichen Produktionswert hat als gemeinhin angenommen – d. h., dass jeder zehnte Euro in Deutschland im Kontext des Bauens erwirtschaftet wird [328]. Zudem sind allein »für die Bereitstellung von Immobiliennutzungen sowie die Erweiterung, Modernisierung und Substanzerhaltung des Bauwerksbestandes« etwa ein Zehntel aller Erwerbstätigen in Deutschland erforderlich [260]. Dieser Wert wird zur Quantifizierung der Bedeutung der Immobilienwirtschaft herangezogen. Der Begriff der Immobilienwirtschaft kommt in den offiziellen Statistiken zur Bedeutung des Bauens allerdings nicht vor, obwohl der Anteil des Grundstücks- und Wohnungswesens an der Bruttowertschöpfung mit ca. 13 Prozent den des Baugewerbes deutlich übersteigt [260]. Durch die heute gängige Differenzierung sowie Überschneidung der Termini und der ihr zugeordneten Wirtschaftsbereiche kann die volkswirtschaftliche Bedeutung der Gesamtwertschöpfungskette Bau [328] nicht erfasst werden. Um die vorgestellte Strategie in der Realität umsetzen zu können, müssen diese Grenzen überwunden werden. Hieraus wird ersichtlich, welches Potenzial sich im gesamt-

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gesellschaftlichen Kontext ergibt: Nicht nur die vorliegende Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen kann zu einer nachhaltigen und innovativen gebauten Umwelt führen, sondern umgekehrt kann Letztere als Strategie maßgeblich zur Gestaltung einer nachhaltigen und innovationsfördernden Gesellschaft beitragen → Abb. 19.

EBENE III

was? Analyse

wie? Gestaltung Gestaltung

Strategie

Strategie zur Prozessneugestaltung

UMWELT SYSTEM

Gestaltung

EBENE II

wie?

wie?

was?

Gestaltung

Analyse

PROZESS

PRODUKT

Analyse

Gestaltung

was?

wie?

Prozessneugestaltung als Strategie

EBENE I

Strategie Strategie

Abb. 19: Perspektiven der Strategieentwicklung

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8  |  AUSBLICK

Aus den vorgestellten Inhalten einer Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen lässt sich ableiten, dass sich die Einflussmöglichkeit auf die Performanz der Gebauten Umwelt mit zunehmender Distanz von bisherigen Sichtweisen erhöht. Der größte Hebelarm für Veränderungen könnte somit aus der Hinterfragung von Paradigmen, die momentan in der kulturellen Systemumwelt herrschen, entstehen. Im Folgenden wird im Sinne eines Ausblicks angedacht, das bisher vorherrschende Paradigma der Permanenz der Gebauten Umwelt zu ersetzen durch eine gezielte Lebenszyklusverkürzung (Impermanenz).

8.1 IMPERMANENTES BAUEN: EIN ZUKUNFTSSZENARIO Flexibilität vs. Individualität In der Nachhaltigkeitsdebatte im Bauen wird allgemein davon ausgegangen, dass Gebäude möglichst dauerhaft Bestand haben und durch Sanierungs- sowie Umbaumaßnahmen über einen maximalen Zeitraum erhalten und umgenutzt werden sollen. Unter heute existierenden Bedingungen erscheint diese Einschätzung zunächst sinnvoll, um den Material- und Energieverbrauch minimal und die Anzahl von BOL- und EOL-Phasen so gering wie möglich zu halten. Überdies entspricht dieser – im Weiteren als Permanenz bezeichnete Ansatz – dem Konsens der Architekten darüber, dass gebaute Umwelt als über Generationen hinweg evolvierendes Kulturgut zu verstehen sei. Dieser Permanenz-Ansatz wird im Folgenden vor dem Hintergrund der dargelegten systemischen Zusammenhänge im Bauen hinsichtlich seiner Fähigkeit zur Erreichung der Ziele einer nachhaltigen Entwicklung überprüft. Grund hierfür ist die Tatsache, dass er vornehmlich auf dem Prinzip der Ressourceneffizienz im Hinblick auf die ökologische Säule der Nachhaltigkeit basiert. Strategisch muss hingegen Beachtung finden, wie sich eine vollständig geschlossene Kreislaufwirtschaft im Bauen (bei der zukünftig also kein Abfall mehr anfällt), gepaart mit einer vollständig regenerativen Energiegewinnung, auf alle drei Dimensionen der Nachhaltigkeit [2] und somit auch auf die soziokulturellen und ökonomischen Zusammenhänge der Gesellschaft auswirken. Die Annahmen, auf welchen der Ansatz der Permanenz im Bauen heute beruht, können sich aufgrund des technologischen Fortschritts somit zukünftig eventuell als falsch – und die Denkweise langfristig als gesamtgesellschaftlich ineffektiv – erweisen. Die von vorangegangenen Generationen geerbte Bausubstanz entspricht heute in weiten Teilen nicht mehr den Anforderungen durch ihre Nutzer. Dies bezieht sich sowohl auf technologische Aspekte, wie z. B. die technische Gebäudeausrüstung oder die Wärmedämmeigenschaften der Gebäudehülle, als auch auf die Anforderungen aus der Nutzung, welche die Gebäudesubstanz, also z. B. die Grundrissorganisation, betreffen. Neben dem demografischen Wandel und zunehmend unsteten individuellen Nutzerbiografien im Wohnungsbau erfährt der Verwaltungs- und Bürobau ständig wechselnde Anforderungen aufgrund einer zunehmend verkürzten Verweildauer eines Unternehmens an einem Standort und der sich aus der Umnutzung ändernden Programme. Gegenwärtig kann beobachtet werden, dass aus dieser Erfahrung heraus eine ökologische Notwendigkeit zur unbedingten Antizipation des Zukünftigen gefolgert wird, um nachhaltig – im Sinne von generationengerecht – zu bauen. Die Einbeziehung möglichst umfangreicher Eventualitäten führt zur Zunahme der Flexibilität von Bauwerken. Eine dem Modell Stuart Brands [45] folgende, in sog. Austauschcluster unter-

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gliederte Baustruktur, die durch ein für alle Nutzungsszenarien gerastertes Tragwerk gekennzeichnet ist, stellt – dem Permanenz-Ansatz folgend – eine optimal nachhaltige Bauweise dar. Entgegen der fortschreitenden Digitalisierung handelt es sich hierbei um eine Rückbesinnung auf die Vorzüge standardisierter Bauweisen, die an die 1960er-Jahre anknüpft: »Man kann die Zukunft gestalten, ohne sie sich zu verbauen« [311], ist eine der Aussagen dieser vom Bauen mit Systemen geprägten Zeit. Heutige Ansätze [220], die auf die Flexibilität und Langlebigkeit der Strukturen abzielen, ähneln den damaligen Zukunftsvisionen [107] in überraschender Weise.

Der Permanenz-Ansatz bezieht sich also in erster Linie auf die ökologischen Aspekte der Nachhaltigkeit. Er erzeugt damit eine Gestalt der gebauten Umwelt, welche die Anforderungen und Möglichkeiten der jeweils unterschiedlichen Generationen nicht vollständig widerzuspiegeln vermag. Einem Trugschluss unterliegt der Mensch, wenn er glaubt, die Folgen seines Handelns – und welche Vor- und Nachteile sich hieraus für kommende Generationen ergeben könnten – vollständig antizipieren zu können. Beispiele, bei denen von Menschen organisierte Systeme zu Folgen führten, die zum Zeitpunkt ihrer Installation nicht abzusehen waren, sind allgegenwärtig: Ein Beispiel im Bauen ist die Gartenstadtidee [150], die letztlich zu erhöhtem Flächenverbrauch, einem gestiegenen Verkehrsaufkommen und dem Phänomen des sog. Urban Sprawl [280] bzw. der sog. Zwischenstadt [282] führte. Andererseits resultierten großmaßstäbliche soziale Wohnungsbauprogramme, die entwickelt wurden, um durch eine Egalisierung der Wohnverhältnisse ein sozial ausgewogenes Miteinander zu gestalten, letztlich in einem Mangel an räumlicher Qualität und damit an Lebensqualität; gesamtgesellschaftliche Probleme waren die Folge. Auf stofflicher Ebene stellt der sog. Great Pacific Garbage Patch [168] eine vergleichbare Problematik dar: Kunststoffe, die heute die Ökosysteme der Ozeane bedrohen, wurden einst aus dem vermeintlichen Vorteil der Unverrottbarkeit erfunden. So wie die politische Forderung nach Energieeffizienz der vergangenen Jahre den Aufstieg der Dämmstoffindustrie befördert hat, entstehen im Zuge der Energiewende Wachstumschancen für die Photovoltaikindustrie. Das aus der luftdicht verklebten Fassadenkonstruktion einer Vielzahl organischer und mineralischer Werkstoffe ableitbare Problem des Massenmüllaufkommens wird zukünftig die Forschung und Entwicklung von Recyclingverfahren für Wärmedämmverbundsysteme evozieren. Innovative Unternehmen werden zukünftig monetäre Gewinne erzielen, die gesamtgesellschaftlich zu Wachstum führen, was letztlich – sofern ein vollständiges Rezyklieren gelingen sollte – ökonomisch als nachhaltig zu beurteilen wäre. Der so gesicherte Wohlstand einer Gesellschaft kann als die Basis der soziokulturellen Nachhaltigkeit verstanden werden. Es stellt sich somit die Frage, ob die Forderung nach Ressourceneffizienz – und

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im Kontext der Dauerhaftigkeit von Gebäuden das Vermeiden von vermeintlichen Problemen – tatsächlich der systemisch verstandenen Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung entspricht. Eine nähere Betrachtung der ökonomischen Säule der Nachhaltigkeit zeigt, dass es heute als erstrebenswert betrachtet wird, Gebäude so zu konzipieren, dass sie über die Dauer ihrer Nutzung möglichst geringer Unterhaltungskosten bedürfen. Das heißt einerseits, dass sie z. B. möglichst energieeffizient funktionieren. Unter einer rein ökologischen Betrachtungsweise erscheint dies, solange zur Energiegewinnung noch fossile Ressourcen Verwendung finden, sinnvoll. Ökonomisch betrachtet hat dies allerdings nur für den Betreiber Vorteile. Die Energieversorger auf der anderen Seite haben Einbußen hinzunehmen. Je mehr Null- oder sogar Plusenergiehäuser entstehen, desto signifikanter werden diese Verluste. Bedeutende Wirtschaftszweige befinden sich im Umbruch. Mit dem Verlust von Marktanteilen geht zumeist ein Stellenabbau einher, der neben dem individuellen Schicksal der Betroffenen sich letztlich auch negativ auf die Gesamtgesellschaft auswirken kann. Eine erhöhte Arbeitslosenquote hat wiederum negative Auswirkungen auf den Sozialstaat und somit auf soziokultureller Ebene auf die Nachhaltigkeit. Diese Phänomene können ebenso auftreten, wenn andererseits die Betriebskostenminimierung durch einen verringerten Instandhaltungsaufwand erzielt wird. Eine wartungsarme Gebäudetechnologie, witterungsbeständige Baumaterialien und langlebige Grundrisskonstellationen sollen hierzu beitragen. Unternehmen, die sich auf die Wartung und Reparatur dieser Komponenten oder auf den Umbau und die Sanierung des Gebäudebestands spezialisiert haben, verlieren hierbei ihre Aufträge. Mit der Abnahme der Notwendigkeit von Renovierungs- oder Umbaumaßnahmen sinkt zudem langfristig das Innovationspotenzial. Je länger die Zeitabschnitte, für die Gebäude konzipiert werden, desto seltener besteht jedoch die Möglichkeit, Neuerungen vorzunehmen; und je seltener diese nachgefragt werden, desto weniger werden sie produziert. Der Innovierungsprozess verlangsamt sich und käme bei einem Permanenz-Ansatz letztlich eventuell sogar zum Erliegen. Das Credo des »Bauens für die Ewigkeit« ist seit jeher eine der Ursachen für das geringe Innovationspotenzial im Bauen. Da heute die Lebenszyklen abnehmen, unabhängig davon, was der oder die Planer beabsichtigen, müssen die Folgen betrachtet werden: Der Ansatz der Permanenz hat dazu geführt, dass heute bereits fast 30 Prozent der Baumaßnahmen in Deutschland im Bestand stattfinden [28]. Wenn Architektur der Ausdruck einer jeden Epoche ist [57], besteht die Aufgabe von Architekten in Mitteleuropa zunehmend im Bewahren der Vergangenheit – anstatt in der Gestaltung der Zukunft: »An [Bestandsbauten] erbringen die Architekturbüros inzwischen 57 % ihrer Leistun-

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gen – und nur noch 43 % im Neubau.« [295] Die Folge ist eine Art Lethargie, welche den Glauben an die Fähigkeit, etwas Qualitätvolleres zu schaffen, als es vorangegangene Generationen im Stande waren, unterbindet. Mit ihm stirbt zugleich der gesellschaftliche und damit nicht nur der technologische, sondern auch der soziokulturelle Fortschritt. Die Debatte um den Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses ist nur ein Beispiel für die Folgen dieses innovationshemmenden Denkens [244]. Koolhaas [230] verdeutlicht dies, indem er darlegt, dass bereits 12 Prozent der Landmasse durch offizielle Bestandserhaltungsmaßnahmen geschützt und damit auch für zukünftige Generationen, deren Bedürfnisse sich womöglich grundlegend von den heutigen unterscheiden, unantastbar sind. Der Terminus Kultur jedoch wird seit jeher nicht nur als das Bewahren von Bestehendem, sondern stets auch als das Weiterentwickeln und Hinzufügen von etwas Neuem – also als aktives Kulturschaffen – verstanden. Nicht selten musste hierfür dem Neuen etwas Altes weichen. Konstrukte, die sich heute einer großen Bewunderung erfreuen, wie beispielsweise der Eiffelturm in Paris, sind aus einem zerstörerischen Akt hervorgegangen. Zudem waren sie zur Zeit ihrer Entstehung – insbesondere vonseiten der Kulturschaffenden – höchst umstritten [119]. Rückblickend hingegen war der Turm Garant und Zeichen des Aufstiegs einer Weltmetropole – sein gesamtgesellschaftlicher Wert wird heute auf 435 Mrd.  Euro geschätzt [95]. Dieses Beispiel verdeutlicht, dass Erneuerungsprozesse einer jeden Generation die Möglichkeit liefern, eine gebaute Umwelt zu gestalten, die ihren spezifischen Anforderungen Rechnung trägt und gleichzeitig Ausdruck ihrer technologischen sowie kulturellen Errungenschaften ist. Dass diese auf jenen der Vergangenheit aufbauen – auch wenn sie mit bestehenden Paradigmen brechen –, definiert dabei die Baukultur.

Gezielte Lebenszyklusverkürzung Im Umkehrschluss wird dem Ansatz der Permanenz daher ein Modell der Impermanenz der gebauten Umwelt entgegengestellt. Hierbei tritt an die Stelle der Dauerhaftigkeit die Vergänglichkeit: Impermanenz bedeutet in diesem Zusammenhang, dass sich die gebaute Umwelt in einem viel stetigeren Wandel befände als heute. Kontinuierlich würde etwas Überkommenes verschwinden, etwas Neues an seinem Platz entstehen. Für jeden einzelnen Bauherrn hätte dies große Vorteile: Ein speziell nach seinen Vorstellungen entwickeltes Konzept würde in die Realität überführt. Auf die eingangs erläuterten Zusammenhänge aus der Lebenssituation im Wohnungsbau einerseits und den Unternehmensanforderungen im Bürobau andererseits würden jeweils spezifische Gebäude

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maßgeschneidert. Während das Renovieren und Instandhalten immer nur eine graduelle Anpassung einer einst festgelegten Grundentscheidung ermöglicht, besteht durch den Ansatz des vollständigen Rezyklierens von Bauwerken die Möglichkeit, spezifisch auf neue Anforderungen reagieren und auf den neuesten Stand der Technik zurückgreifen zu können, indem von Grund auf neu gebaut wird. Diese zunächst unwirtschaftlich erscheinende Strategie kann nicht nur zu einer vollständig neu gearteten Wirtschaftlichkeit führen [90], sondern sich darüber hinaus auf der Ebene der Volkswirtschaft als Antrieb erweisen: Je mehr Aufgaben es zu erfüllen gibt, desto mehr Arbeit entsteht; je mehr Arbeit entsteht, desto produktiver eine Gesellschaft. Die Arbeitslosigkeit sinkt, der Konsum nimmt zu. Dieser wiederum ist entscheidend für den Wohlstand einer Gesellschaft, was sich letztlich positiv in den Bereichen Bildung, Soziales und Altersvorsorge bemerkbar macht. Gesamtgesellschaftlich betrachtet könnte sich eine zunehmende Rückbau- und Neubautätigkeit als ökonomisch und soziokulturell nachhaltig herausstellen. Hinzu kommt der psychologische Effekt des Überwindens bestehender, überalteter Strukturen. Die zunehmend kürzer werdenden Nutzungszeiträume von Gebäuden erhöhten gleichzeitig das Innovationspotenzial im Bauen; nicht nur, da kontinuierlich die Möglichkeit des Einsatzes neuer Technologien bestünde und sich hieraus ein wettbewerbsorientierter Markt ergäbe, sondern vor allem durch die Möglichkeit, Projekte vermehrt als »Experimente« innerhalb eines übergeordneten Prozesses zu begreifen. Die gesellschaftliche Akzeptanz von neuen, ungewohnten Konzepten oder Formen der Architektur würde durch die kürzere Lebensdauer von Gebäuden erhöht und somit ein breiteres, durchaus kritisches Bewusstsein über Baukultur geschaffen. Hier liegt der grundlegende Unterschied zum Permanenz-Ansatz. Anstatt in den rein funktionalen Formenkanon der 1960er-Jahre zurückzufallen, um das Gebäude den sich ständig wandelnden Anforderungen der Zeit anpassen zu können, würde im Zuge des Impermanenz-Ansatzes spezifisch für das zum Zeitpunkt der Entscheidung relevante und sichere Wissen geplant werden. Intellektuell bedeutet dies, dass man sich nicht anmaßt, bereits für alle Eventualitäten vorgesorgt zu haben; soziokulturell bedeutet dies, dass das Entwerfen einen höheren Stellenwert einnehmen wird als heute und eine sich ständig im Wandel befindliche Stadt nach den Bedürfnissen ihrer Bewohner möglich ist. Die Spezifität der Entwürfe stünde der Gefahr diametral entgegen, dass durch eine Aneinanderreihung immer einfältigerer und nach den Maßstäben der Permanenz und Effizienz rationalisierter Gebäude die Städte sich einander weltweit angleichen. Diese Monotonie kann zu soziokulturellen Problemen führen. Die Tatsache, dass die gebaute Umwelt als System nicht nur ökologische Wechselwirkungen mit der natürlichen Umwelt unterhält, sondern der Mensch als biologische Spezies Teil Letzterer ist, verdeut-

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licht, dass sie schlussendlich insbesondere für den Menschen ganzheitlich nachhaltig sein muss. Eine sich ständig erneuernde gebaute Umwelt lässt dieses Potenzial für alle Bereiche des Lebens erahnen. Eine auf die zum Zeitpunkt des Entwerfens bekannte Parameter hin optimierte gebaute Umwelt stellt ein Denkmodell dar, das im Einklang mit den sich momentan auf technologischer Ebene des Entwerfens und Planens vollziehenden Umwälzungsprozessen steht. Höchst ausdifferenzierte und orts- sowie aufgabenspezifische, individuell optimierte Formen und Strukturen können im Zuge der Digitalisierung von Entwurf, Planung und Ausführung entwickelt und umgesetzt werden. Diese entsprechen dem Zeitgeist der gegenwärtigen Avantgarde sowie dem Wunsch der Gesellschaft, wie er in den bereits lebenszyklusverkürzten Industriezweigen zu beobachten ist. Hierdurch besteht überdies die Chance, gesamtgesellschaftlich wieder den Mut aufzubringen, einmal ein Projekt zuzulassen, das man in 50 Jahren eventuell nicht mehr sehen will [299]. War die Moderne die architektonische Antwort auf die Rationalisierung der Lebensbereiche des Menschen mit dem Ergebnis weitestgehend standardisierter Gebäude, so muss die Zukunft die architektonische Antwort auf die Forderung nach einer nachhaltigen Entwicklung mit dem Ergebnis individualisierter Gebäude sein. Das Szenario einer gezielten Lebenszyklusverkürzung, bei der Gebäude nur ephemerer Natur sind, zielt hierauf ab und erhöht das Innovationspotenzial von Generation zu Generation. Das vollständige Rezyklieren aller Baustoffe ist die Grundvoraussetzung, um den dargestellten Ansatz ökologisch nachhaltig umsetzen zu können. Eine geschlossene Kreislaufwirtschaft im Bauwesen, in der Gebäude wie erläutert planmäßig demontiert, ihre Stoffe sortenrein getrennt und ohne Qualitätsverlust wieder in die Stoffkreisläufe von Natur und Technik integriert werden, stellt hierfür die Basis dar. Alle notwendigen Informationen müssen in einem digitalen Bauwerksmodell hinterlegt werden, das um die relevanten Daten – vergleichbar zum IDIS der Automobilindustrie [157] – erweitert wird. Genaue Mengen- und Positionsangaben der einzelnen Stoffe sowie präzise Anleitungen zur gezielten Demontage der Einzelkomponenten sowie die entsprechenden EPDs und die vorgesehenen Verwertungswege müssen zum Zeitpunkt der Planung bereits virtuell hinterlegt und die Bauteile real mittels RFID-Systemen (Radio-FrequencyIdentification) oder QR-Codes (Quick-Response-Codes) gekennzeichnet werden [310]. Ebenso sind die juristischen Verantwortlichkeiten im Vorfeld zu klären und in Datensätzen festzuhalten. Die Vorgehensweise der Demontage unterscheidet sich somit von den heutigen Abrissverfahren: An die Stelle eines zerstörerischen Akts unter Lärm- und Staubentwicklung

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bei gleichzeitig großer Gefahr für die Arbeiter tritt ein planvoll zerstörungsfreier Rückbau, der Lärm und Staub vermeidet und weitestgehend ungefährlich ist. Das Resultat ist ein geordnetes Sortiment an Baumaterialien, die zur weiteren Verwendung im Bauwesen, zur verfahrenstechnischen Aufbereitung im Sinne eines qualitativ gleichwertigen Recyclings sowie für andere Branchen zur Verfügung stehen. Das heute schwer zugängliche anthropogene Rohstofflager wird durch die bereits zu Projektbeginn zielorientiert geplante Demontage zukünftig leicht zugänglich. Durch die steigende Anzahl von Demontagevorgängen steht eine anwachsende Menge an Baumaterial kontinuierlich zur Verfügung. Diese substituiert durch technische Stoffkreisläufe nichtregenerative, der Natur entnommene Rohstoffe. Hierdurch könnte langfristig auf natürliche Ressourcen verzichtet werden. Allerdings lässt sich heute »aus der sich [in Deutschland] abzeichnenden demographischen Dynamik […] ableiten, dass im Jahr 2050 insbesondere im Wohnungsbau der Abriss den Neubau nahezu flächendeckend deutlich übersteigen wird« [269]. Ein sortenreines Trennen und hochwertiges Recycling ist also auch deshalb notwendig, weil der Materialoutput aus der gebauten Umwelt mengenmäßig über dem Materialinput aus der natürlichen Umwelt liegen wird. Somit müssen langfristig die Materialien aus den technischen Kreisläufen vollständig ökologisch abbaubar wieder in die natürlichen Kreisläufe eingeschleust werden. Die Wahl der Verbindungstechnik muss hierbei neu überdacht werden. Ebenso muss überprüft werden, welche Materialien im Bauwesen zur Anwendung kommen können. Die Parameter der Auswahl sind also nicht mehr nur Standfestigkeit, Langlebigkeit und ihre bauphysikalischen Eigenschaften, sondern zudem ihr Recyclingpotenzial. Sind sie nicht oder nur mit Qualitätsverlust rezyklierbar bzw. können sie nur einer thermischen Verwertung zugeführt werden, so sind sie zu vermeiden – oder es sind für sie neue Aufbereitungsprozesse zu entwickeln. Durch die Nanotechnologie besteht beispielsweise die Möglichkeit, vollständig neue, auf das Ziel des endlosen Zirkulierens der Materialien in einem technischen Kreislauf hin optimierte Materialeigenschaften zu entwickeln. Wie über die letzten Jahrzehnte hinweg im Automobilbau zu beobachten war, wird das erwartete Innovationspotenzial durch den kürzeren Lebenszyklus eines Gebäudes noch erhöht. Je kürzer jedoch die Produktlebenszyklen, desto kostengünstiger auch das Produkt. Diese Zusammenhänge machen sich derzeit beinahe alle produzierenden Gewerbe (mit Ausnahme des Bauens) zunutze. Die negative Konnotation der Konsumgesellschaft rührt dabei aus der Tatsache, dass sie heute gleichbedeutend ist mit dem Terminus der Wegwerfgesellschaft. Würden durch Konsumption allerdings keine Abfälle, sondern nur noch neue Rohstoffe produziert [47], so wäre das Problem der Entropiezunahme eliminiert.

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Die Möglichkeit, ganze Städte neu und dennoch an gleicher Stelle zu planen, hat eine weitreichende Bedeutung: Weil innerstädtische Gebiete heute bereits weitgehend verbaut sind und die Strukturen sich für die Bedürfnisse der Bauherren nur schwer umnutzen lassen, Abbrucharbeiten jedoch zusätzliche Kosten bedeuten, anstatt Einnahmen aus dem Verkauf der hieraus gewonnenen Rohstoffe zu erwirtschaften, entsteht ein Großteil aller Neubauten außerhalb bestehender Strukturen, »so dass insgesamt 90 % der Flächeninanspruchnahme allein auf das ständige Wachstum der Siedlungsgebiete zurückzuführen ist« [251]. Hierdurch wird weiter Land verbaut, während die Stadtzentren veröden. Begleiterscheinungen sind ein erhöhtes Verkehrsaufkommen, ansteigende CO2-Emissionen, Bodenversiegelung, Allokationsprobleme mit der Agrarwirtschaft, Segregation [281] und nicht zuletzt eine Ästhetik, die sich zunehmend der gestalterischen Einflussnahme durch Architekten entzieht. Eine gezielte Lebenszyklusverkürzung der gebauten Umwelt kann dem entgegensteuern, da durch das kontinuierliche Freiwerden von Bauflächen die Freiheit entsteht, auch im innerstädtischen Kontext kontinuierlich neue Wege gehen zu können. Soziokulturell muss zukünftig der emotionale Aspekt des Impermanenz-Ansatzes untersucht werden. Der Drang des Menschen, für die Ewigkeit zu bauen, ist architekturgeschichtlich bis auf die großen kulturellen bzw. religiösen Stätten zurückzuverfolgen, so beispielsweise die Pyramiden von Gizeh. Davon abgesehen waren die Menschen zu jenen Zeiten in erster Linie Nomaden. Erst mit der Sesshaftwerdung entstanden auch die kulturellen Gepflogenheiten der Gestaltung von Häusern, was aus reinen Habitaten Orte machte. In Städten entstanden solche der Zusammenkunft und solche der Abgeschiedenheit. Und obwohl das Bauen für die Ewigkeit z. B. zu Zeiten der Römer noch dem Stand der Technik sowie dem Selbstverständnis der Gesellschaft entsprang, ist die heutige unvollständige Silhouette des Kolosseums in Rom unter anderem auf die Wiederverwendung seiner Steine zurückzuführen: » […][T]he Colosseum was not so much a monument as a quarry.« [148] Solange nur natürliche Materialien zur Anwendung kamen und die Bevölkerungszahl des Planeten überschaubar war, kann diese Lebensform als nachhaltig bezeichnet werden. Mit den Errungenschaften der Industrialisierung, der Verwendung auch künstlicher Baumaterialien und dem rasanten Anstieg der Weltbevölkerung bei gleichzeitiger Verknappung der natürlichen Ressourcen des Planeten während der Industrialisierung begann allerdings eine Phase, die mit den Erkenntnissen des Klimawandels und der Adaption des Systems Menschheit mithilfe der Strategie einer nachhaltigen Entwicklung ein Ende finden muss. Heute erscheint der Impermanenz-Ansatz – bzw. eine gezielte Lebenszyklusverkürzung der gebauten Umwelt unter Annahme der zukünftigen Existenz einer vollständig geschlossenen Kreislaufwirtschaft – als eine potente Strategie, um eine systemisch verstandene nachhaltige Entwicklung des Bauens zu ermöglichen. Die Möglichkeit, Archi-

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tektur zukünftig so zu konzipieren, dass sie qualitativ höherwertig als heute errichtet und vor allem ebenso präzise wieder demontiert werden kann, fördert zudem die Innovationskraft der Baukultur. Mit jedem Abbau und Neubau besteht die Möglichkeit, gewonnene Erkenntnisse und Inventionen umzusetzen. Die gebaute Umwelt spiegelt somit nicht nur den jeweiligen Zeitgeist der Gesellschaft und ihre technologischen Errungenschaften wider, sondern hat vor allem die Möglichkeit, sich kontinuierlich an veränderte Rahmenbedingungen zu adaptieren: »Architecture isn’t here to stay.« [287].

8.2 ZUSAMMENFASSUNG Fazit Vorliegend wurde eine Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen entwickelt. Die These, dass die vorherrschende produktbezogene Sichtweise nicht in der Lage ist, die Herausforderungen im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung zu bewältigen, wurde bestätigt. Nur ein ganzheitlicher prozessbezogener Ansatz kann die gegenwärtige Problematik überwinden, denn er berücksichtigt alle Faktoren, welche das Bauen und hierdurch mittelbar die gebaute Umwelt zu jedem Zeitpunkt beeinflussen. Der Prozess wird als Kreislauf definiert, der in einem neuartigen System-UmweltModell die Wechselwirkungen zwischen dem sozialen System des Bauens und dem technischen System der gebauten Umwelt aufzeigt. Ihre jeweiligen Inputs und Outputs sind direkt gekoppelt an die natürliche und kulturelle Systemumwelt, weshalb das Führen von materiellen und immateriellen Ressourcen in projektübergreifenden Kreisläufen als Schlüssel sowohl für eine nachhaltige Entwicklung als auch für eine Steigerung des Innovationspotenzials im Bauen detektiert wird. Die Akteure im Bauen spielen für die Qualität der gebauten Umwelt eine maßgebliche Rolle, da sie an der Schnittstelle zur Gesellschaft eine Steuerungsfunktion innehaben. Es wurde gezeigt, dass die systemexternen Rahmenbedingungen wie Gesetze und Honorare sowie gesellschaftliche Werte und Ausbildungsstrukturen ihr Handeln maßgeblich beeinflussen. Die gegebenen Handlungsempfehlungen setzen somit auf drei unterschiedlichen Maßstabsebenen an: zum einen auf den Leistungsproblemen, die aus den durch die HOAI geprägten Prozessstrukturen abgeleitet wurden. Als maßgeblich wird das Überwinden der fragmentierten, hierarchischen und sequenziellen Abläufe erkannt, die einem mechanistischen, der Industrialisierung entstammenden Weltbild entsprechen. An ihre Stelle müssen ganzheitliche, partnerschaftliche und parallele Verfahren treten, die den systemischen Charakter des Bauens im Zeitalter der Digitalisierung zur Basis haben. In der informationsbasierten Modellierung (z. B. mithilfe von Building Information Modeling [BIM]) wird eine zukunftsweisende Planungsmethode erkannt, die ihr volles

TEIL IV 190

Potenzial allerdings nur entfalten kann, wenn sie den gesamten Lebenszyklus eines Bauwerks nicht nur berücksichtigt, sondern auch umschließt, d. h. von jedem Beteiligten schnittstellenfrei in jeder Phase angewendet wird. Denn das Betrachten von Bauwerken als modifizierte Materie, die langfristig abfallfrei in den Stoffkreisläufen zirkuliert, ist eine der Grundlagen für die im Rahmen des vorliegenden Buchs entwickelte Vision einer metabolischen Evolution des Bauens. Es wurde aufgezeigt, dass eine Umsetzung dieses projektbezogenen Ansatzes in die Realität weitreichende Konsequenzen für das gesamte System im Bauen hätte – einschließlich der Adaption der Rahmenbedingungen. Aus diesem Grund setzt ein prozessbezogener Ansatz, der einen langfristigen, kontinuierlichen Innovationsprozess des Bauens zum Ziel hat, hierauf auf. Anhand von Beispielen der Automobilindustrie und aktuellen Bestrebungen großer Architekturbüros wurden die Vor- und Nachteile von Strategien des In- und Outsourcings untersucht. Es ließ sich feststellen, dass die Integration von Entwurf, Planung und Ausführung sowie das Betreuen eines Bauwerks während der Nutzung zur Etablierung einer »Marke« führen kann, die – ohne den Anspruch von Architektur als Kultur aufzugeben – eine Vielzahl der heutigen Leistungsprobleme lösen kann. Ein besonderer Fokus wird bei einer langfristigen Kooperation auf den projektunabhängigen Wissenszuwachs und die entfallende Abstimmung der Geschäftsprozesse der beteiligten Akteure ebenso gelegt wie auf die Möglichkeit der erhöhten Produktverantwortung und die Chancen, durch Inside-Out-Prozesse bzw. Marketing positiv auf die soziokulturellen Werte der Gesellschaft Einfluss zu nehmen. Methoden, wie ein solcher Prozess durch technische Maßnahmen auf Produktebene unterstützt werden kann und durch eine vollrezyklierbare gebaute Umwelt neue Marktmechanismen angestoßen werden können, wurden skizziert. Letztlich wurden die vorgestellten Maßnahmen im Gesamtzusammenhang mit der Gesellschaft betrachtet, denn Architektur ist die »Widerspiegelung der treibenden und tragenden Kräfte einer Epoche« [57]. Auf dieser Ebene des Gesamtsystems wurde der gegenwärtig im Kontext einer nachhaltigen Entwicklung im Bauen vorherrschenden Strategie der Lebensdauermaximierung von Bauwerken, des sog. Permanenz-Ansatzes, ein neues Modell der Lebensdauerverkürzung von Bauwerken, der sog. ImpermanenzAnsatz, entgegengestellt. Es konnte gezeigt werden, dass sich hierdurch rückwirkend die Ebene der Prozess- und Produktgestaltung maßgeblich steuern lässt. Langfristig stellt dieser Ansatz eine Strategie zur ganzheitlichen, phasen-, projekt-, organisationsund disziplinübergreifenden Prozessneugestaltung im Bauen dar, der die Wechselwirkungen zwischen ökologischen, ökonomischen und soziokulturellen Aspekten systemisch berücksichtigt und jeder kommenden Generation die Möglichkeit eröffnet, eine auf ihre Bedürfnisse zugeschnittene und ihre Möglichkeiten widerspiegelnde Baukultur zu erschaffen.

8  |  AUSBLICK 191

Zukünftige Forschung Das vorliegende Buch legt den Fokus auf die Entwicklung einer Strategie zur Prozessneugestaltung im Bauen. Aufgrund der Mannigfaltigkeit der Prozessstrukturen im Bauen und der Komplexität der Zusammenhänge wurde dieser Maßstab gewählt, der sich oberhalb der operationellen Prozessgestaltung befindet. Hierdurch konnten ein transdisziplinärer Ansatz gezielt verfolgt und anhand einer umfangreichen Literaturrecherche auch Wissen artverwandter Branchen erschlossen sowie Wechselwirkungen zwischen einzelnen Handlungsempfehlungen systemisch erfasst werden. Nicht jeder betrachtete Aspekt wird dabei abschließend untersucht. Das Ergebnis ist somit eine intendierte Strategie, die selbst als Prozess verstanden werden muss und sich an spezifische, individuellere Untersuchungsgegenstände adaptieren lässt. Gleichzeitig wird erhofft, dass sich durch punktuell benannte Problemstellungen weitere, anders geartete Strategieansätze entwickeln werden. Dem Wesen einer Strategie folgend, wirft das Ergebnis eine Vielzahl von Fragestellungen auf, die es zukünftig detaillierter zu betrachten gilt. Die wichtigsten lassen sich wie folgt benennen: • Grundlegende Neugestaltung der HOAI mit dem Ziel der Institutionalisierung von integrativen Prozessstrukturen als neuer Standard • Schaffung von monetären Anreizsystemen für alle Beteiligten im Hinblick auf eine nachhaltige Entwicklung der gebauten Umwelt (auch über Projektgrenzen hinweg) • Visualisierung der verborgenen Handlungszwänge, welchen die Beteiligten beispielsweise durch Vertrags-, Unternehmens- oder Vergütungsstrukturen sowie das Versicherungs- und Abschreibungswesen unterliegen • Untersuchung der Einflussmöglichkeiten der Politik, mittels Normen und Gesetzgebung Innovationen im Bauen zu fördern oder zu verhindern • Reorganisation von Indikatoren des Innovationspotenzials, der Leistungsfähigkeit und der gesellschaftlichen sowie ökologischen Relevanz des Bauens zur Steigerung der Transparenz der Zusammenhänge • Methoden zur Professionalisierung des Wissensmanagements und der Qualitätskontrolle innerhalb von Architekturbüros • Entwicklung von Methoden zur gleichberechtigten Bewertung von quantifizierbaren und nichtquantifizierbaren Qualitäten der gebauten Umwelt • Analyse der Ausbildung der Akteure im Spannungsfeld zwischen Generalisierung und Spezialisierung mit dem Fokus auf eine effiziente und effektive Kommunikation • Weiterentwicklung der technischen, baukonstruktiven und logistischen Ansätze zur Generierung einer vollständig rezyklierbaren gebauten Umwelt

TEIL IV 192

• Erforschung der Möglichkeiten und Auswirkungen des vollrezyklierbaren Bauens sowie einer verkürzten Lebensdauer von Bauwerken aus betriebs- und volkswirtschaftlicher Sicht (auch vonseiten des Bauherrn) • Abwägung der soziokulturellen und emotionalen Folgen des Impermanenz-Ansatzes und des Innovationspotenzials auf stadträumlicher und kulturevolutionärer Ebene einer Gesellschaft • Entwicklung einer Baukultur, die architektonisch die beiden vorherrschenden Kräfte Nachhaltigkeit und Digitalisierung zeitgemäß und gleichberechtigt zum Ausdruck bringt Zusammenfassend wird festgestellt, dass solche Untersuchungen großes Innovationspotenzial aufzeigen und daher vermehrt verfolgt werden sollten, die Ergebnisse nicht ausschließlich an der Möglichkeit ihrer Umsetzung innerhalb bestehender Rahmenbedingungen bewerten, sondern in die Zukunft blickend einen Sollzustand entwerfen, zu dessen Erreichen vollständig neue Prozesse gestaltet und die existierenden Rahmenbedingungen überwunden werden müssen.

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ANHANG 213

214

ÜBER DEN AUTOR Christian Bergmann hat Architektur an der ETH Zürich und der Universität Stuttgart studiert, wo er 2006 mit dem Diplom abschloss. Als Entwurfs- und Projektleiter war er bei UNStudio in Amsterdam und Werner Sobek in Stuttgart tätig. Mit seiner im Jahr 2013 an der Universität Stuttgart abgeschlossenen Promotion liegt eine Strategie vor, die die Entwicklung innovationsfördernder und nachhaltiger Prozesse im Entwerfen und Bauen ganzheitlich ermöglicht. Seit 2015 ist er Senior Architect und Projektleiter bei Hadi Teherani Architects in Hamburg. Die von ihm verantworteten Projekte sind mit renommierten Architektur- und Designpreisen ausgezeichnet worden.

ANHANG 215

Lektorat:  Ilka Backmeister-Collacott Projektkoordination:  Nora Kempkens, Alexander Felix Herstellung:  Bettina Chang Layout, Covergestaltung und Satz:  Jenna Gesse Satz und Überarbeitung der Abbildungen:  Jan Middendorp Papier:  120 g/m² Plano Plus Druck:  Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG, Calbe

Library of Congress Control Number: 2018965791 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Vervielfältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechts. ISBN 978-3-0356-1582-1 e-ISBN (PDF) 978-3-0356-1571-5 Englisch Print-ISBN 978-3-0356-1584-5

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