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German Pages 348 [350] Year 2022
Professionalisierung der Gesundheitsberufe Berufliche und hochschulische Bildung im Spiegel aktueller Forschung Herausgegeben von Ulrike Weyland und Karin Reiber
Berufspädagogik
ZBW – Beiheft | 33
Franz Steiner Verlag
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Zeitschrift für Berufs- und Wirtschaftspädagogik Herausgegeben von Bernadette Dilger, Hubert Ertl, Jürgen Seifried, Peter F. E. Sloane, Ulrike Weyland und Birgit Ziegler Redaktion Ralf Tenberg Beiheft 33
PROFESSIONALISIERUNG DER GESUNDHEITSBERUFE Berufliche und hochschulische Bildung im Spiegel aktueller Forschung Herausgegeben von Ulrike Weyland und Karin Reiber
Franz Steiner Verlag
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Inhaltsverzeichnis
ULRIKE WEYLAND / KARIN REIBER
Editorial Professionalisierung der Gesundheitsberufe – Berufliche und hochschulische Bildung im Spiegel aktueller Forschung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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I. Zielperspektive Kompetenzerwerb MICHAEL GOLLER / BIANCA STEFFEN / DIRK LAU
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
Eine Mixed-Methods-Replikationsstudie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 EVELINE WITTMANN / ULRIKE WEYLAND / JULIA WARWAS / SUSAN SEEBER / MATTHIAS SCHUMANN
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungsund Kooperationskompetenzen in der Pflegeausbildung
Ansätze im Forschungsprojekt EKGe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 INGRID DARMANN-FINCK / CLAUDIA SCHEPERS
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz für die Fachweiterbildung Onkologische Pflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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II. Entwicklungslinien Akademisierung und Digitalisierung RENATE VON DER HEYDEN / SEBASTIAN FLOTTMANN
Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie
Module als Beitrag zur Äquivalenzprüfung von berufsfachschulischen und hochschulischen Kenntnissen und Fähigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 95
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Inhaltsverzeichnis
MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
Eine berufsgruppenspezifische Analyse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit als Folge technologischer Entwicklungen im Gesundheitswesen . . . . . . . . . . . . . . . .
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MARISA KAUFHOLD / JOSCHA HEINZE
Zum Einsatz digitaler Technologien
Veränderungen beruflicher Aufgaben des Pflegepersonals . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 183 III. Herausforderungen im Kontext von Fachkräftesicherung JUTTA MOHR / ISABELLE RIEDLINGER / KARIN REIBER
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität im Kontext des Fachkräftemangels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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FLORIAN FISCHER / CLAUDIA BOSCHER / LEA RAIBER / JOHANNES STEINLE / ANITA RÖLLE / MAIK H.-J. WINTER
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
Die Perspektive zukünftiger Nutzer*innen pflegerischer Leistungen im Alter . . . . . . . . . . 243 JUTTA MOHR
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege als Beitrag zur Professionalisierung auf individueller Ebene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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IV. Anforderungen an das Bildungspersonal KARIN REIBER
Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege im Spiegel domänenspezifischer Anforderungen . . . . . . . . . . . .
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BÄRBEL WESSELBORG / MARC KLEINKNECHT / ELLEN BÖGEMANN-GROSSHEIM / MATTHIAS HOENEN
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
Entwicklung und Erprobung eines fachdidaktischen Kategoriensystems . . . . . . . . . . . . . . 321
Editorial Professionalisierung der Gesundheitsberufe – Berufliche und hochschulische Bildung im Spiegel aktueller Forschung ULRIKE WEYLAND / KARIN REIBER
Den Gesundheitsberufen wird aufgrund ihrer Bedeutung für die Prävention und den Erhalt von Gesundheit bereits seit jeher ein hoher gesellschaftlicher Stellenwert attestiert, wobei deren Relevanz angesichts des demographischen Wandels und des damit einhergehenden Fachkräftebedarfes in den letzten Jahren weiter gestiegen ist (Kälbe & Pundt, 2015; Schwinger, Klauber, & Tsiasioti, 2019) . Welche gesellschaftliche und politische Bedeutung dieser Berufsgruppe aktuell zuteilwird und welche Konsequenzen aus einem Fachkräftemangel für das Gesundheitssystem für jeden Einzelnen resultieren können, trat besonders deutlich im Zusammenhang mit der jüngsten Pandemie-Entwicklung hervor (Reiber, Fischer, & Lämmel, 2021; Reiber & Weyland, 2020; Weyland, 2020) . Dabei haben die Pflegeberufe aufgrund ihrer tragenden Rolle im Gesundheitssystem besondere Aufmerksamkeit erfahren . Aber auch andere Gesundheitsberufe, wie u . a . Medizinische und Zahnmedizinische Fachangestellte sowie Physio- und Ergotherapeut*innen, sind in dieser jüngsten Krise besonders gefordert gewesen (siehe z . B . für den Bereich der Medizinischen Fachangestellten die Untersuchung von Schnitzler et al ., 2020) und zunehmend verstärkt in den Fokus gesellschaftlicher Beobachtung und politischer Diskussion gerückt . Kennzeichnend für diese Berufe ist aufgrund ihrer Charakterisierung als personenbezogene Dienstleistungsberufe der gleichermaßen hohe fachliche, ethische und soziale Anspruch an das berufliche Handeln und die integrierte Anwendung dieser Kompetenzfacetten im Rahmen berufsfachlicher Handlungskompetenz (Wittmann, Kaspar, & Döring, 2017) . Charakteristisch für diese Domäne ist weiterhin, dass das standardisierte Regelwissen in viel höherem Maße einer situationsspezifischen Adaption für den Einzelfall bedarf, um sowohl berufliche Anforderungen gemäß dem State of the Art zu erfüllen als auch hinsichtlich der spezifischen Situation mit ihren
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Akteur*innen angemessen zu handeln (Hülsken-Giesler, 2014; Schützeichel, 2018) . Ein weiteres Merkmal der hier zum Gegenstand erhobenen Berufe sind die historisch tradierten und genderkodierten Bildungswege jenseits allgemein üblicher Ordnungsmittel wie BBiG/HWO bei gleichzeitig mangelnder Durchlässigkeit (Friese, 2017, 2018) . Diese nur bedingte Standardisierbarkeit des beruflichen Handelns und die historisch begründeten Besonderheiten von Ausbildungsstrukturen stellen die zentralen Prämissen für die Professionalisierung der Gesundheitsberufe dar (Reiber, Weyland, & Wittmann, 2019) . Das Verständnis von Professionalisierung wird unter dem hier gesetzten Fokus dabei in zweifacher Hinsicht adressiert: zum einen unter einer berufssoziologischen Perspektive, was die seit langem eingeleitete, aber durchaus kontrovers diskutierte Weiterentwicklung der Gesundheitsberufe im Rahmen ihrer Akademisierung betrifft . Zum anderen stellt sich in professionstheoretischer Perspektive die Frage nach der Modellierung und Entwicklung domänenspezifischer Professionsmerkmale im Kontext der Gemeinwohlorientierung der Gesundheitsberufe (Cassier-Woidasky, 2012) . Dies impliziert bzw . erfordert zugleich die Betrachtung spezifischer Kennzeichen professionellen Handelns, die konstitutiv sind für die Gesundheitsberufe und somit relevant für deren Bildungspersonal . Der vorliegende Sammelband nimmt das Thema Professionalisierung der Gesundheitsberufe im Kontext beruflicher und hochschulischer Bildung auf der Basis aktueller Diskurse, Forschungsbezüge und -befunde in den Blick . Die darin versammelten Beiträge beleuchten unterschiedliche Entwicklungen in den Gesundheitsberufen, die sich einerseits aus berufsimmanenten Dynamiken und Diskursen ergeben und andererseits eine Reaktion auf externe Anforderungen darstellen, die wiederum aus gesellschaftlichen Bedarfen und Trends resultieren . Beide Entwicklungslinien interagieren und bilden sich in veränderten Ansprüchen an berufliche Handlungskompetenz ab . Die in diesem Band präsentierten Beiträge zum Gegenstand berufliche Bildung konzentrieren sich dabei auf die Phase der beruflichen Ausbildung sowie auf die der Fort- und Weiterbildung, nicht jedoch auf die vorberufliche Bildung . Beiträge zur hochschulischen Bildung fokussieren die Akademisierung der Gesundheitsberufe; zwei Beiträge adressieren Anforderungen an Lehrpersonen bzw . schulisches Bildungspersonal . Bezogen auf die Berufspraxis, Berufsbildungspraxis und das Berufsbildungspersonal wird damit einerseits auf den gegenwärtigen Stand der Professionalisierung rekurriert . Andererseits wird die Bedeutung von aktuellen Ansprüchen und Strömungen für die Gesundheitsberufe und deren Bildungspersonal aufgenommen . Professionalisierung wird dabei als anhaltende berufliche Entwicklungsaufgabe in kollektiver wie individueller Hinsicht konzeptualisiert, die ein Leitmotiv für die Aus-, Fort- und Weiterbildung sowie für die Bildung des beruflichen Bildungspersonals darstellt . In diesem Sinne liegt dem vorliegenden Band ein Verständnis von Professionalisierung zugrunde, das berufsimmanente Dynamiken sowie gesellschaftliche Trends und Erwartungen hinsichtlich ihrer Implikationen auf berufliche Kompetenz und
Editorial
Autonomie im Kontext des Berufsbildungssystems in einer verlaufsorientierten Entwicklungsperspektive thematisiert . Die ursprüngliche Zielsetzung dieses Beiheftes der Zeitschrift Berufs- und Wirtschaftspädagogik richtete sich eigentlich darauf, aktuelle Forschungsdiskurse und -befunde zu der Breite an Gesundheitsberufen abzubilden, weshalb dem Call for Papers auch ein weites Verständnis von Gesundheitsberufen1 unter Einschluss der Gesundheitsfachberufe zugrunde lag . Abweichend von dieser Ausgangsintention dominiert in den hier publizierten Aufsätzen allerdings die fachliche Auseinandersetzung mit Bildungsanforderungen innerhalb der beruflichen Fachrichtung Pflege: Neun der insgesamt zwölf abgedruckten Beiträge fokussieren auf den Pflegeberuf bzw . auf das Bildungspersonal dieser Domäne . Diese seitens der Herausgeberinnen vorab nicht in dieser Eindeutigkeit vorgesehene Schwerpunktsetzung resultiert aus der Eigendynamik des Editionsprozesses: der thematischen Ausrichtung der eingereichten und positiv begutachteten Beiträge . Die Domäne Pflege nimmt innerhalb der Gesundheitsberufe insofern eine Vorreiterfunktion ein, als die Disziplinentwicklung hier vergleichsweise weit fortgeschritten ist und somit auch bereits stärkere Forschungsaktivitäten und -ergebnisse zu verzeichnen sind (Ewers et al ., 2012) und der Professionalisierungsdiskurs innerhalb der Berufsgruppe einen relativ prominenten Stellenwert einnimmt (Seltrecht, 2016) . Die Herausgeberinnen haben trotz dieser nun gegebenen Schwerpunktlegung den Begriff Gesundheitsberufe im Titel beibehalten; zum einen, weil zumindest drei Beiträge über die Domäne Pflege hinausgehen, zum anderen aufgrund der paradigmatischen Funktion zahlreicher Beiträge hinsichtlich ihres Transferpotenzials für andere Gesundheitsberufe . Den Anfang des vorliegenden Themenheftes bildet der Themenschwerpunkt I „Zielperspektive Kompetenzerwerb“, worunter sich drei Beiträge subsumieren lassen, die berufliche Kompetenzentwicklung unter einer jeweils spezifischen Akzentsetzung für unterschiedliche Stufen der Pflegebildung, nämlich für die Pflegeausbildung (Beitrag 1 und 2) und für die Fachweiterbildung Onkologische Pflege (Beitrag 3), beleuchten . Das Thema Kompetenzerwerb ist mit der Einführung des Lernfeldkonzeptes Mitte der 1990er Jahre und der nachfolgenden Übersetzung in entsprechende lernfeldorientierte Curricula verstärkt in den Fokus curricularer, didaktischer, aber ebenso prüfungsbezogener Fragen gerückt (Seeber & Nickolaus, 2010) – wenngleich für die Gesundheitsberufe mit deutlichen Unterschieden und Abstufungen, was die zeitliche Dimension und ordnungsrechtliche Regelungen, die fachliche Schwerpunktsetzung Es sei darauf hingewiesen, dass eine einheitlich konsentierte Definition zum Begriff „Gesundheitsberufe“ bisher nicht vorliegt . Der Begriff „Gesundheitsberufe“ wird hier mit Bezugnahme auf IGL als weiter und übergeordneter Begriff verstanden (SVR, 2007, zit . n . Igl, 2015, S . 107) . Unter einem solch weiten Begriff lassen sich dann sowohl die sogenannten Gesundheitsfachberufe subsumieren, zu denen z . B . die Berufe im Bereich Pflege und Therapie zählen, als auch solche Berufe, die auf Basis des BBiG oder der HwO ausgebildet werden, wie z . B . Medizinische oder Zahnmedizinische Fachangestellte mit Bezugnahme auf das BBiG (Weyland, 2020, S . 344) . 1
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und begriffliche Akzentuierungen betrifft (Weyland & Kaufhold, 2019) . Dabei stellt die Modellierung und Messung von beruflicher Handlungskompetenz eine besondere Herausforderung dar, was u . a . auch in verschiedenen Forschungszusammenhängen der BMBF-Forschungsinitiative ASCOT und der Forschungs- und Transferinitiative ASCOT+ sichtbar wurde/wird (hierzu Beck et al ., 2016; Abele et al ., 2021) . Der erste Beitrag von Michael Goller, Bianca Steffen & Dirk Lau mit dem Titel „Kompetenzerwerb auf der Schulstation: Eine Mixed-Methods-Replikationsstudie“ nimmt die bisher empirisch unterbelichtete Frage nach den Auswirkungen eines Praxiseinsatzes im Rahmen von Schulstationen in den Blick, bezogen auf das subjektive Kompetenzerleben von Auszubildenden . Die Befunde der quantitativen und qualitativen Erhebung geben Hinweise auf besondere Lerneffekte durch die didaktische Nutzung von Schulstationen . Die Selbsteinschätzung des Kompetenzerwerbs durch die Auszubildenden verweise zugleich auf Limitationen, so das Autorenteam . So sei unklar, ob diese Selbsteinschätzungen eher auf einer Zunahme von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen statt auf tatsächlicher Kompetenzentwicklung basierten . Vor dem Hintergrund der Ergebnisse wird eine Diskussion über die Integration von Schulstation-Einsätzen in den Ausbildungsablauf, gerade auch im Vergleich zu regulären Praxiseinsätzen, für die Professionalisierungseffekte im Rahmen der pflegeberuflichen Ausbildung angestoßen . Der zweite Beitrag von Eveline Wittmann, Ulrike Weyland, Julia Warwas, Susan Seeber & Matthias Schumann befasst sich ebenfalls mit dem Kompetenzerwerb von Pflegeauszubildenden, aber auf der Basis objektiv zugänglicher Messverfahren im Zusammenhang mit Situational Judgement Tests . Der Beitrag mit dem Titel „Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen in der Pflegeausbildung – Ansätze im Forschungsprojekt EKGe“ ist eingebettet in die BMBF-Forschungs- und Transferinitiative ASCOT+ und fokussiert zwei zentrale Kompetenzfacetten: die Erfassung und Förderung von Bewältigungskompetenz und interprofessioneller Kooperationskompetenz . Die Eingrenzung und Fokussetzung auf diese beiden Kompetenzen wird einerseits mit der Befähigung von Pflegefachkräften zur Bewältigung belastender Situationen und der Vermeidung eines frühzeitigen Berufsausstiegs begründet, andererseits mit der Notwendigkeit, angehende Pflegefachkräfte auf die Kooperation mit anderen Berufsgruppen vorzubereiten, die sich u . a . aufgrund der Multimorbidität älterer Patient*innen und Klient*innen sowie technologischer Herausforderungen (u . a . technologische Integration von Arbeitsabläufen) ergebe . Die Bedeutung dieser Kompetenzfacetten bildet sich in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (PflAPrV, 2018) und den Rahmenplänen für die Pflegeausbildung (Fachkommission, 2020) nach dem neuen Pflegeberufegesetz (PflBG, 2017) ab . Bisher, so das Autorenteam, gebe es aber weder konsistente theoretische Modellierungen und Operationalisierungen noch systematische empirische Befunde zu deren Förderung . Mit Blick auf den Zeitpunkt der Manuskriptabgabe und korrespondierend zum Projektverlauf können in diesem Beitrag aber noch keine
Editorial
Befunde zur Förderung dieser Kompetenzfacetten referiert und hinsichtlich einzelner Implikationen für die Professionalisierung diskutiert werden . Der Beitrag begrenzt sich somit zunächst auf die Beschreibung der methodischen Konzeption in diesem Projektkontext . Der dritte Beitrag von Ingrid Darmann-Finck & Claudia Schepers konzentriert sich im Gegensatz zu den vorangestellten Beiträgen nicht auf das Feld der beruflichen Ausbildung, sondern bearbeitet die Zielperspektive Kompetenzerwerb für die Fachweiterbildung Onkologische Pflege . Vorgestellt wird das Projekt CAROplusONKO, innerhalb dessen ein Mustercurriculum zur Förderung der kommunikativen Kompetenz für die Fachweiterbildung Onkologische Pflege entwickelt wird (nahezu gleichlautend der Beitrag in diesem Band) . Dieses Curriculum bildet die Grundlage für die Konzeption digital unterstützter Lehr-Lernangebote . Im Beitrag wird, ausgehend von theoretischen Überlegungen, das Vorgehen im Rahmen der empirischen Bedarfsanalyse präsentiert . Auf der Basis ihrer Erkenntnisse formulieren die Autorinnen Schlussfolgerungen für die Curriculumentwicklung und verdeutlichen einzelne curriculare Konstruktionsprinzipien für diese Fachweiterbildung . Der Beitrag steht damit paradigmatisch für die Professionalisierung hinsichtlich der kommunikativen Anteile des pflegerischen Handelns im Kontext der Fachweiterbildung . Der zweite Themenschwerpunkt „Entwicklungslinien Akademisierung und Digitalisierung“ vereint insgesamt vier Beiträge, wobei die ersten beiden Beiträge Fragen zur Akademisierung adressieren und damit grundlegende Entwicklungen beleuchten, die im Zusammenhang mit der Professionalisierung der Gesundheitsberufe stehen . Denn analog zu den quantitativen Herausforderungen, was u . a . den Fachkräftebedarf betrifft, welcher zugleich einen eigenen Themenschwerpunkt (siehe III) in diesem Band darstellt, stehen die Gesundheitsberufe und ihre Berufsbildung ebenso vor hohen qualitativen Herausforderungen: Komplexer werdende Versorgungsbedarfe und veränderte gesellschaftliche Erwartungen stellen gleichermaßen hohe Ansprüche an die Qualifizierung wie die mit der Ökonomisierung, dem zunehmenden Technikeinsatz und der Digitalisierung einhergehenden Anforderungen an erweiterte berufsfachliche Kompetenzen . Neue und komplexere Anforderungen sind – neben den oben genannten berufsimmanenten Professionalisierungsbestrebungen – maßgebliche Dynamisierungsfaktoren der partiellen Verlagerung der Berufsbildung ins tertiäre Bildungssystem . Dieser academic drift manifestiert sich bereits in einigen Berufsgesetzen: Primärqualifizierende Studiengänge eröffnen neben (so z . B . im Pflegeberufegesetz geregelt) oder anstelle der bisherigen berufsfachschulischen Ausbildung (so z . B . im Hebammengesetz) den Zugang als Fachkraft zum Beruf . Diese Entwicklung stellt die Gesundheitsberufe vor die Herausforderung, die Akademisierung selbst autonom auszugestalten hinsichtlich der Studienstrukturen und -profile sowie bezüglich der Anschlussfähigkeit und Passung zum Berufsbildungssystem . Damit verbinden sich – auch mit Blick auf den steigenden Fachkräftebedarf – Aufgaben einer stärkeren Binnendifferenzierung von berufsbezogenen Ausbildungsgängen auf unterschiedlichen
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Qualifikationsniveaus (vertikale Differenzierung) und mit aufeinander abgestimmten Berufsprofilen (horizontale Differenzierung) . Der erste Beitrag in diesem Themenschwerpunkt von Renate von der Heyden & Sebastian Flottmann greift die „Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie“ auf . Ausgehend von der Problematik einer gewissen Unübersichtlichkeit, was die unterschiedlichen Bildungswege und Abschlüsse in der Ergotherapie betrifft, wird der Projektrahmen des Deutschen Verbandes der Ergotherapie vorgestellt, der die Vergleichbarkeit von berufsfachschulischen und hochschulischen Bildungsangeboten zum Ziel hat, welche wiederum die Voraussetzung für eine Durchlässigkeit der Bildungswege ist . Innerhalb dessen wird ein Referenzrahmen zur Modularisierung der Ausbildung in Hinblick auf vorzunehmende Äquivalenzprüfungen von berufsfachschulischen und hochschulischen Kenntnissen und Fähigkeiten präsentiert und hinsichtlich seines Anwendungskontextes reflektiert . Der nachfolgende Beitrag von dem Autorenteam Maria Richter, Volker BaethgeKinksy, Christian Kerst & Susan Seeber adressiert ebenfalls die Entwicklungslinie Akademisierung und stellt eine berufsgruppenspezifische Analyse in Hinblick auf den „Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen“ in den Mittelpunkt . Das Autorenteam greift u . a . wesentliche berufs- und bildungsstrukturelle Entwicklungen in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen auf und verdeutlicht den deklarierten Wandel von Ausbildung und Studium anhand der Analyse von Absolvent*innenzahlen und damit einhergehenden Verschiebungen in den jeweiligen Bildungswegen . Die nachgezeichneten Veränderungen werden hinsichtlich einzelner Implikationen auf verschiedenen Ebenen (u . a . individuelle Zugangswege) diskutiert . Die sich hieran anschließenden Beiträge widmen sich schließlich der in diesem Themenschwerpunkt II so gekennzeichneten Entwicklungslinie Digitalisierung, die als gesamtgesellschaftliche Entwicklung von grundsätzlich hoher Reichweite für alle Lebensbereiche ist . Im Gesundheitswesen ist sie mit vielen Erwartungen, aber auch Befürchtungen verbunden: So birgt die digitale Transformation die Chance der qualitativen Verbesserung und der Arbeitsentlastung; gleichzeitig verbinden sich damit die Sorge um den Schutz von Persönlichkeit und des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sowie eine Technikdominanz und Entmenschlichung im Rahmen von Versorgungsprozessen . Der erste thematische Beitrag zu dieser Entwicklungslinie von Regina H . Mulder, Patrick Beer, Kathrin Schierl & L . Romina Bornhaupt thematisiert „Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit als Folge technologischer Entwicklungen im Gesundheitswesen“ . Ausgehend von der Prämisse, dass die Digitalisierung zu einschneidenden Veränderungen in der Arbeit führt, entwickeln die Autor*innen einen konzeptionellen Rahmen für Professional Development . Die im Beitrag vorgestellte explorative Studie, die sich an diesem Referenzrahmen orientiert, verdeutlicht schließlich, dass von neuen Technologien Lernaktivitäten mit Bezugnahme auf Learning Professionals initiiert werden können . Der nachfolgende Beitrag von Marisa Kaufhold & Joscha Heinze befasst sich ebenfalls mit dem „Einsatz digitaler Technologien“ und reflektiert die Frage nach den
Editorial
Veränderungen beruflicher Aufgaben des Pflegepersonals . Ausgehend vom bisherigen Entwicklungsstand werden vorliegende Erkenntnisse zum Einsatz digitaler Technologien und damit korrespondierende Veränderungen für Arbeitsprozesse und Kompetenzanforderungen vorgestellt . Vor dem Hintergrund des seitens der Autor*innen konstatierten Forschungsdefizits wird eine explorative Pilotstudie in der stationären Altenpflege vorgestellt . Es werden Auswirkungen des Technikeinsatzes für das Pflegepersonal ermittelt und daraus abzuleitende Implikationen für die berufliche Aus- und Weiterbildung in der Pflege aufgezeigt . Der dritte Themenschwerpunkt in diesem Band beleuchtet „Herausforderungen im Kontext von Fachkräftesicherung“ . Aufgrund des mit dem demographischen Wandel und dem medizin-technischen Fortschritt einhergehenden steigenden Bedarfs sowie der mit dem Wertewandel verbundenen höheren Inanspruchnahme von gesundheitlich-pflegerischen Versorgungsleistungen steht die Fachkräftegewinnung vor Herausforderungen neuen quantitativen Ausmaßes . Die bereits durch den anhaltenden Fachkräftebedarf geprägte Ausbildungsrealität geht mit Konsequenzen für die Berufsattraktivität und Berufsbindung einher . Wenngleich die Anzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen in der letzten Dekade deutlich gestiegen ist, muss konstatiert werden, dass dem quantitativen Bedarf an Fachkräften zwar eine große Nachfrage nach Ausbildungen gegenübersteht, dass die Ausbildungsaktivitäten und -zahlen aber weiterhin gesteigert werden müssen . Das macht u . a . gezielte Maßnahmen zur Berufsorientierung und zur Attraktivitätssteigerung dieser Berufe erforderlich . Der Personalmangel erstreckt sich auch auf das Lehrpersonal an Berufsfachschulen für Gesundheitsund Pflegeberufe und die höheren formalen Qualifikationsanforderungen kommen erschwerend hinzu, da aufgrund einer verspäteten Akademisierung der Lehrer*innenbildung der Auf- und Ausbau von Studienstrukturen mit diesem stetig steigenden Bedarf in quantitativer Hinsicht nicht Schritt gehalten hat (z . B . Reiber, Weyland, & Wittmann, 2019) . Diese Entwicklungen stehen in einem Spannungsverhältnis mit der aus Sicht von Professionalisierung zukunftssicheren Deckung des Personalbedarfs in Berufspraxis und -bildung . Drei Beiträge widmen sich dieser hochrelevanten Thematik, allerdings ausschließlich in Hinblick auf die pflegeberufliche Bildung . Den Auftakt innerhalb dieses Themenschwerpunktes bildet der Beitrag von Jutta Mohr, Isabelle Riedlinger & Karin Reiber mit dem Titel „Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität im Kontext des Fachkräftemangels“ . Vor dem Hintergrund des anhaltenden Fachkräftemangels in der Pflegepraxis und der damit einhergehenden Qualitätseinbußen in der praktischen Ausbildung lassen sich Konsequenzen für die berufliche Identitätsbildung angehender Pflegekräfte auf der Basis empirischer Daten im Kontext des mehrjährig angelegten Forschungsprojektes care4care nachzeichnen . In Hinblick auf die Sicherstellung des Berufsverbleibs wird gerade in der Förderung beruflicher Identität im Zusammenhang mit der Anbahnung eines professionellen Pflegeverständnisses eine große Chance gesehen . Der Beitrag nimmt Impulse für die
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weitere Ausgestaltung pflegeberuflicher Ausbildung auf, gerade unter dem Blickwinkel der fortlaufenden Professionalisierungsbestrebungen im Hinblick auf pflegeberufliches Handeln – auch und gerade bereits auf der Ebene der Ausbildung . Ein weiterer Beitrag zu diesem Themenfeld stellt der von Florian Fischer, Claudia Boscher, Lea Raiber, Johannes Steinle, Anita Rölle & Maik H .-J . Winter dar . Sie setzen mit ihrem Beitrag insbesondere die Nutzerperspektive möglicher zukünftiger Pflegebedürftiger in der pflegerischen Langzeitversorgung in den Vordergrund und markieren die Notwendigkeit einer stärkeren Berücksichtigung dieser Thematik bereits innerhalb der pflegeberuflichen Ausbildung . So sei das Wissen um die Erwartungen zukünftiger Nutzer*innen pflegerischer Leistungen im Alter für die Sicherstellung einer qualitativ hochwertigen Pflege von besonderer Bedeutung . Die Auseinandersetzung damit müsse bereits in der Ausbildung erfolgen, nicht zuletzt vor dem Hintergrund der Fachkräftesicherung . Die Ergebnisse der repräsentativ angelegten Studie unterstreichen die stärkere Hinwendung zu einer adressatenorientierten pflegeberuflichen Ausbildung . Implikationen für die Professionalisierung und somit für die Ausgestaltung der Ausbildung in der Pflege werden abgeleitet . Der abschließende Beitrag zu den mit der Fachkräftesicherung verbundenen Herausforderungen richtet sein Augenmerk auf eine spätere Phase der pflegeberuflichen Bildung, die betriebliche Fort- und Weiterbildung . Auch wenn die Autorin Jutta Mohr in ihrem Beitrag mit dem Titel „Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege als Beitrag zur Professionalisierung auf individueller Ebene“ nicht zuallererst die Frage nach der Fachkräftesicherung in den Vordergrund stellt, adressiert der Beitrag diesen Themenschwerpunkt insofern, als die aufgezeigten Befunde zum Status quo betrieblicher Fort- und Weiterbildung grundsätzliche Fragen an die Personalentwicklung stellen und damit unmittelbar strategische Maßnahmen von Fachkräftesicherung betreffen . Die vorgelegten Daten aus der empirischen Untersuchung basieren auf einer Teilstudie des bereits erwähnten Forschungsprojektes care4care . Ergebnisse dieser Studie veranlassen zur Diskussion um eine systematische Förderung horizontaler und vertikaler beruflicher Entwicklungspfade im Kontext von individueller Professionalisierung der Pflegefachpersonen und Fachkräftesicherung . Der Themenschwerpunkt IV als zugleich abschließender Schwerpunkt in diesem Band richtet sein Augenmerk unter der Perspektive der weiteren Professionalisierung in den Gesundheitsberufen auf „Anforderungen an das Bildungspersonal“ . Zwei Beiträge befassen sich aus einem spezifischen Blickwinkel mit dieser Thematik und formulieren zugleich Ansprüche an die Professionalisierung des schulischen Bildungspersonals . Karin Reiber setzt sich in ihrem theoretisch-systematischen Beitrag mit dem Titel „Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege im Spiegel domänenspezifischer Anforderungen“ vor dem Hintergrund hinlänglich bekannter Desiderate mit den aktuellen Herausforderungen für die Lehrer*innenbildung in der beruflichen Fachrichtung Pflege auseinander . Den zentralen
Editorial
Impulsgeber für diese Analyse stellt sie in den Zusammenhang mit den im Zuge der Einführung des Pflegeberufegesetzes formulierten Kompetenzanforderungen an die Pflegeberufe . Sie reflektiert diese Ansprüche unter dem Blickwinkel der professionsbezogenen Konsequenzen für die Lehrpersonen als didaktische Gestalter*innen pflegeberuflichen Unterrichts und Begleiter*innen pflegeberuflicher Ausbildung . Dabei rekurriert sie auf unterschiedliche Bestimmungsansätze und Zugänge zu pädagogischer Professionalität, wobei sich die nachfolgende Argumentation und Analyse auf den kompetenztheoretischen Bestimmungsansatz stützt . Hierauf bezugnehmend wird ein Vorschlag zur Konzeptualisierung der fachlichen Anteile des fachbezogenen Professionswissens vor dem Hintergrund der Analyse domänenspezifischer Anforderungen pflegeberuflichen Handelns vorgelegt und diskutiert . Bärbel Wesselborg, Marc Kleinknecht, Ellen Bögemann-Grossheim & Matthias Hoenen konzentrieren sich in ihrem Beitrag auf einen spezifischen Anforderungskontext, der im Zusammenhang mit unterrichtlichen Aufgaben von Lehrpersonen steht . Dieser Beitrag fokussiert auf die mit der Sicherung unterrichtlicher Ausbildungsqualität in Zusammenhang stehenden Anforderungen eines kognitiv aktivierenden Unterrichts . Vor dem Hintergrund der vorliegenden, defizitären Forschungslage wurde von dem Autorenteam ein Analyseraster zur Feststellung des kognitiven Potenzials von fachbezogenen Aufgaben im pflegeberuflichen Unterricht entwickelt . Hierzu wurde ein fachdidaktisches Kategoriensystem generiert und empirisch auf der Basis von Expertenratings geprüft . Neben der möglichen Nutzung dieses Instruments für die domänenspezifische Unterrichtsforschung plädiert das Autorenteam mit Blick auf die qualitätsbezogene Weiterentwicklung pflegeberuflichen Unterrichts für eine darauf bezogene Vorbereitung der Lehrpersonen und damit für gezielte Professionalisierungsmaßnahmen in der Aus- und Weiterbildung . Die präsentierten Beiträge liefern mit ihren Erkenntnissen einen wesentlichen Beitrag zum Ausbau domänenbezogener Berufsbildungsforschung und zeigen weitere Forschungsperspektiven zur Professionalisierung der Gesundheitsberufe und ihres Bildungspersonals auf . Angesichts der hier vorliegenden Dominanz der Domäne Pflege werden zugleich Herausforderungen angesprochen, die damit verbundene Anstrengungen hinsichtlich der Förderung weiterer Forschung zu hier ausgewiesenen Themenfeldern in anderen Gesundheitsberufen adressieren . Abschließend sei erwähnt, dass alle Beiträge ein aufwändiges Peer-Review-Verfahren durchlaufen haben . An dieser Stelle möchten wir uns bei den Gutachter*innen für die konstruktiv gestalteten und fachlich differenzierten Reviews sowie bei den Autor*innen für die gute Zusammenarbeit und die erkenntnisreichen Beiträge bedanken .
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ULRIKE WEYLAND / KARIN REIBER
Literatur
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ULRIKE WEYLAND / KARIN REIBER
Ulrike Weyland, Prof. Dr., Professur für Erziehungswissenschaft mit dem Schwerpunkt
Berufspädagogik an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster; Dekanin des Fachbereiches Erziehungswissenschaft und Sozialwissenschaften . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Professionalisierung beruflichen Bildungspersonals, Kompetenzmessung und -förderung in den Gesundheitsberufen, Berufsorientierung im Kontext von Fachkräftesicherung, Digitale Transformation im Gesundheitsbereich . E-Mail: ulrike .weyland@uni-muenster .de Karin Reiber, Prof. Dr., Professur für Erziehungswissenschaft mit den Schwerpunkten Berufspädagogik und berufliche Didaktik der Pflegeberufe an der Hochschule Esslingen . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Berufliche Bildung in der Domäne Pflege im Kontext von Professionalisierung und Fachkräftesicherung, Professionalisierung des schulischen Berufsbildungspersonals der beruflichen Fachrichtung Pflege . E-Mail: karin .reiber@hs-esslingen .de
I.
Zielperspektive Kompetenzerwerb
Kompetenzerwerb auf der Schulstation Eine Mixed-Methods-Replikationsstudie MICHAEL GOLLER / BIANCA STEFFEN / DIRK LAU
Competence Development at Student-Run Hospital Wards: A Mixed-Methods Replication Study Kurzfassung: Schulstationen werden bereits seit mehr als zwei Jahrzehnten in der Ausbildung von
Pflegefachkräften zur Kompensation bekannter Defizite regulärer Praxiseinsätze eingesetzt . Gleichzeitig ist über die unterstellten Potenziale für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz dieses speziellen Lehr-Lernarrangements bisher nur wenig bekannt . Der vorliegende Beitrag trägt zur Schließung dieser Forschungslücke bei . Hierzu wurden zwei konsekutive Durchführungsjahrgänge einer Schulstation mittels eines Mixed-Methods-Replikationsdesigns evaluiert . Dazu wurden in den Jahren 2017 und 2018 jeweils 18 Auszubildende vor und nach einer Schulstation mit standardisierten Fragebögen zu ihrem subjektiven Kompetenzerleben befragt . Die Veränderung des Kompetenzerlebens durch die Schulstation wurde mittels zweiseitiger Wilcoxon-Rangsummentests analysiert . Darüber hinaus wurden 2017 mit insgesamt 12 Auszubildenden und 2018 mit 13 Auszubildenden sowie 3 an der Schulstation beteiligten Pflegefachkräften und 3 Ärzt*innen Interviews geführt . Dieses qualitative Datenmaterial wurde inhaltsanalytisch ausgewertet . Sowohl in den quantitativen als auch in den qualitativen Daten finden sich Hinweise, dass die Schulstation für die Auszubildenden eine lernwirksame Intervention darstellte . Das subjektive Kompetenzerleben der Auszubildenden stieg über den Verlauf der Schulstation hinweg an (mittlere bis hohe Effekte) . Aus den Interviews lässt sich ableiten, dass der wahrgenommene Kompetenzerwerb auf die Möglichkeiten zur Übernahme der ganzen Bandbreite pflegerischer Tätigkeiten und der sozialen Interaktion mit anderen Berufsgruppen sowie die pädagogische Ausgestaltung der Schulstation zurückzuführen ist . Die Befunde legen nahe, dass Schulstationen aufgrund ihrer speziellen Arbeitsplatzmerkmale sowie ihrer pädagogischen Einbettung im Vergleich zu regulären Praxiseinsätzen mehr Potenzial zum Kompetenzerwerb innewohnt . Offen bleibt, ob der selbsteingeschätzte Kompetenzzuwachs der Auszubildenden tatsächlich auf berufliche Kompetenzentwicklung oder eher auf Zunahme von Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zurückzuführen sind . Schlagworte: Pflegeausbildung, Schulstation, Lernen am Arbeitsplatz, Kompetenzerwerb
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MICHAEL GOLLER / BIANCA STEFFEN / DIRK LAU
Abstract: Student-run hospital wards (SHW) have been used to compensate for deficits of regular
practise phases during initial nursing training in Germany for more than two decades . At the same time, not much is known whether this special learning arrangement really contributes to student nurses’ competence development . This contribution aims to address this research gap . For this purpose, a mixed-method replication design was used to evaluate two consecutive runs of a SHW . In 2017 and 2018, each year 18 participating student nurses filled in a standardised instrument on how they perceive their competence level before and after the SHW . Changes in the observed competence levels were analysed using Wilcoxon signed-rank tests . In addition, in 2017, a group of 12 student nurses and, in 2018, 13 student nurses and 3 registered nurses as well as 3 physicians were interviewed . This data was analysed using qualitative content analysis . Both the quantitative as well as the qualitative data give evidence that the evaluated SHWs are indeed conducive to professional learning and development . The perceived competence level of the participating student nurses grew over the course of the SHW (middle to large effects) . The interview data indicates that this subjective competence development can be traced back to students’ opportunities to engage in the whole range of nursing activities, chances to interact with representatives of other medical professions, as well as the pedagogical interventions around the SHW (e . g ., reflection sessions, chances to get feedback from nurse trainers) . The findings suggest that SHWs are – in comparison to regular practice phases during initial nursing training – more conducive to professional learning and competence development due to their specific workplace characteristics as well as pedagogical affordances present at the SHW . However, it remains open whether the observed growth in the subjective competence level of the student nurses can indeed be interpreted as competence development or are rather an increase of self-efficacy beliefs . Keywords: nurse, nursing training, student-run hospital ward, workplace learning, competence development
1.
Einleitung
Die Gruppe der ausgebildeten Pflegefachkräfte stellt einen der Grundpfeiler unseres Gesundheitssystems dar, ohne den die Sicherstellung pflegerischer und medizinischer Versorgung der Bevölkerung nicht gewährleistet werden kann . In Zusammenarbeit mit Beschäftigten anderer Gesundheits- und Heilberufe sind sie für die eigenverantwortliche Versorgung und Betreuung von Menschen mit dem Ziel der Förderung des gesundheitlichen Wohlbefindens und der Gesundheit, der Prävention von Krankheiten sowie der Linderung medizinisch verursachter Beschwerden verantwortlich (DbfK, 2019; ICN, 2002) . Um diesen Auftrag erfüllen sowie die damit verbundenen vielfältigen Anforderungen der alltäglichen Arbeit in stationären sowie ambulanten Versorgungsbereichen erfolgreich bewältigen zu können, greifen Pflegefachkräfte auf berufliche Handlungskompetenz zurück . Die Grundlage für diese Handlungskompetenz wird in Deutsch-
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
land trotz existierender Alternativen1 vorwiegend über den Weg einer klassischen beruflichen Ausbildung erworben, in der die angehenden Pflegefachkräfte zu ungefähr gleichen Teilen am Lernort Schule sowie in pflegerischen und medizinischen Praxiseinrichtungen ausgebildet werden . Trotz der curricular verankerten Relevanz des Lernortes Praxis für den Erwerb beruflicher Handlungskompetenz sowie die pflegerische Professionalisierung wurden dessen Entwicklungspotenziale im Kontext der Ausbildung von Pflegefachkräften in den letzten Jahren mehrfach in Frage gestellt (z . B . Lauber, 2017; Goller, Steffen, & Lau, 2020) . Auslöser hierfür sind vor allem die Gestaltungsmerkmale, die insbesondere hinsichtlich der Lernförderlichkeit und Berufsbindung hinderlich sind . Aufgrund der fortlaufenden Ökonomisierung des Gesundheitssystems in Deutschland im Rahmen der Etablierung marktwirtschaftlicher Prinzipien samt entsprechender Wettbewerbsstruktur (Stichwort: Trägerkonkurrenz) kam es zu einem umfassenden Stellenabbau im Pflegebereich, der mit der Steigerung einer anhaltenden Arbeitslast für viele Pflegefachkräfte einherging . Diese Entwicklung führt in Verbindung mit der demographisch bedingten Zunahme älterer und pflegebedürftiger Personen sowie einem häufig nicht unerheblichen personellen Krankenstand in Gesundheitseinrichtungen (auch als Folge der Überbelastung) dazu, dass Pflegefachkräften weniger Zeit für die unterschiedlichen Facetten des Pflegeprozesses (Erhebung des Pflegeaufwandes, Pflegeplanung, Körperpflege, Beratung u . a .) zur Verfügung stehen (Auth, 2019; Braun, 2014; Simon, 2014) . Auswirkungen auf die berufliche Ausbildung angehender Pflegefachkräfte haben diese Entwicklungen dahingehend, dass Auszubildende am Lernort Praxis häufig nur sehr bedingt mit lernförderlichen Arbeitsaufgaben betraut werden (Bohrer, 2013; Bräutigam, Evans, Hilbert, & Öz, 2014; Fichtmüller & Walter, 2007; Fischer, 2013; Goller et al ., 2020; Lauber, 2017; Söstra, 2016) .2 Vielmehr übernehmen Auszubildende in ihren Praxiseinsätzen häufig isolierte – die bereits ausgebildeten Pflegefachkräfte unterstützende – Teiltätigkeiten, welche aus berufspädagogischer und lernpsychologischer Perspektive für die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenzen und somit der Professionalisierung von angehenden Pflegefachkräften als nur sehr eingeschränkt förderlich beschrieben werden können . Darüber hinaus gibt es Hinweise, dass sich die skizzierte Situation in den Praxiseinsätzen auch auf die Zufrie-
Vgl . zur Diskussion um die Akademisierung der Pflegeberufe und die damit verbundenen Möglichkeiten zur hochschulischen Erstausbildung bspw . Darmann-Finck (2018) . 2 Diese empirischen Befunde beziehen sich noch auf die getrennte Berufsausbildung von Gesundheitsund Krankenpfleger*innen, Gesundheits- und Kinderkrankenpfleger*innen sowie Altenpfleger*innen, die auch den Fokus im vorliegenden Beitrag darstellt . Hinzuweisen bleibt in diesem Kontext jedoch auf das Pflegeberufegesetz, welches zentrale Aspekte der Pflegeausbildung seit 2020 neu ordnet und sich auch auf die praktische Berufsausbildung von Pflegefachkräften auswirkt . Inwiefern sich die hier referierten empirischen Befunde aus dem alten in das generalistische Ausbildungssystem übertragen lassen, bleibt jedoch offen und sollte Gegenstand zukünftiger empirischer Forschungsvorhaben werden . 1
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denheit sowie die Identifikation der Auszubildenden mit dem Beruf negativ auswirkt (Bühler, 2015) . Zur Kompensation der dargestellten Defizite regulärer Praxiseinsätze und somit zur Gewährleistung von Professionalisierungsprozessen angehender Pflegefachkräfte führen viele Ausbildungsstandorte sog . Schulstationen durch (Hauck & Schuster, 2014) . Unter einer Schulstation wird ein spezielles, projektartiges Lehr-Lernarrangement verstanden, in welchem Auszubildende zeitlich begrenzt die volle Verantwortung für die Planung, Organisation und Umsetzung der Patient*innenpflege auf einer Station im regulären Betrieb einer Einrichtung der Gesundheitsversorgung (i . d . R . ein Krankenhaus) übernehmen . Schulstationen stellen daher spezielle Praxiseinsätze dar, welche per Definition lernförderliche Merkmale aufweisen und somit zum Kompetenzerwerb im Rahmen der beruflichen Ausbildung beitragen sollen . Obgleich die unterstellten Potenziale von Schulstationen für den Kompetenzerwerb und die Professionalisierung von Auszubildenden in der pflegepädagogischen Literatur bereits länger diskutiert werden (Blank & Fischbock, 2010; Grube, Morgenstern, & Koch, 2017; Hauck & Schuster, 2014; Hertel & Bergjan, 2015; Witte, Greis, & Darmann-Finck, 2016; Zinndorf, Arend, Jochum, & Utsch, 2014) und auch eine Reihe von Ausbildungsstandorten dieses spezielle Lehr-Lernarrangement schon seit mehr als zwei Jahrzehnten umsetzen (Hauck & Schuster, 2014), muss gleichzeitig ein Mangel an empirischen Studien konstatiert werden, welche die Effekte der auf diese speziellen Praxiseinsätze zurückzuführenden Kompetenzentwicklung bei den Auszubildenden untersuchen . Existierende Studien weisen zwar auf die potenzielle Lernförderlichkeit von Schulstationen hin, sind aber bis auf einzelne Ausnahmen (Goller et al ., 2020; Hertel & Bergjan, 2015) häufig empirisch nicht belastbar bzw . gehen nicht über anekdotische Evidenz bzw . deskriptive Zufriedenheits- und Belastungsevaluationen hinaus (Blank & Fischbock, 2010; Grube et al ., 2017; Witte et al ., 2016) . Ziel des vorliegenden Beitrages ist es, zur Schließung dieser Forschungslücke beizutragen . Im Konkreten soll hierbei folgende Forschungsfrage beantwortet werden: Welche Kompetenzen können Auszubildende durch die Teilnahme an der Schulstation entwickeln und wie kann diese Entwicklung erklärt werden? Hierzu werden in Kapitel 2 die Relevanz von Erfahrungslernen sowie die hierzu nötigen Bedingungen in der Praxis für den erfolgreichen Kompetenzerwerb als Grundlage von Professionalisierung sowie die zu erwerbenden Kompetenzen theoretisch skizziert . Kapitel 3 beschreibt dann, inwiefern die Schulstationen diese Merkmale aufweisen und somit zum Kompetenzerwerb beitragen können . Darüber hinaus wird kurz der Stand der Forschung zur Schulstation referiert . Kapitel 4 erläutert das methodische Vorgehen der Mixed-Methods-Replikationsstudie, welche zur Beantwortung der Forschungsfrage durchgeführt wurde . Die Befunde dieser Studie werden in
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
Kapitel 5 berichtet und in Kapitel 6 diskutiert . Der Beitrag schließt mit einem Fazit in Kapitel 7 . 2.
Erwerb von Handlungskompetenz in Praxiseinsätzen als Grundlage erfolgreicher Professionalisierung
Der Erwerb einer umfassenden Basis beruflicher Handlungskompetenz stellt die Grundlage erfolgreicher Professionalisierung dar (Besser & Kraus, 2009; Lehmann-Grube & Nickolaus, 2009; Mieg, 2008) .3 Ohne das dafür notwendige Wissen sowie die zugehörigen Fertigkeiten ist eigenständiges, professionelles Handeln, welches sich an etablierten beruflichen Standards orientiert, in komplexen beruflichen Problemsituationen nicht denkbar . Im Kontext ihrer Ausbildung sollen angehende Pflegefachkräfte die für ihren Beruf relevanten Handlungskompetenzen im Rahmen des Unterrichts in Pflegeschulen sowie der unterschiedlichen Praxiseinsätze in verschiedenen Versorgungsbereichen erwerben . Zu letzteren gehören bspw . unterschiedliche Stationen im Krankenhaus, die stationäre Langzeitpflege, ambulante Pflegedienste sowie Einrichtungen der psychiatrischen Pflege . Erklärtes Ziel der beruflichen Pflegeausbildung und dementsprechend auch das Anliegen der Schulstation ist es daher (vgl . KrPflG 2004 bzw . seit Januar 2020 PflBG), angehenden Pflegefachkräften jene Handlungskompetenzen zu vermitteln, die zur eigenständigen und verantwortungsvollen Bewältigung berufsrelevanter Aufgaben und Probleme im Rahmen von Pflegeprozessen befähigen . Als Handlungskompetenzen werden hierbei im Anschluss an Weinert (2001) „die bei Individuen verfügbaren oder durch sie erlernbaren kognitiven Fähigkeiten und Fertigkeiten [verstanden], um bestimmte [berufliche] Probleme zu lösen, sowie die damit verbundenen motivationalen, volitionalen […] und sozialen Bereitschaften und Fähigkeiten, um die Problemlösungen in variablen Situationen erfolgreich und verantwortungsvoll nutzen zu können“ (S . 27 f .) . In der Literatur werden verschiedene domänenspezifische Tätigkeitsfacetten unterschieden, mit denen Pflegefachkräfte regelmäßig konfrontiert werden (Benner, 1984; Girbig & Bauer, 2011; Meretoja, Isoaho, & Leino-Kilpi, 2004; s . auch O*Net, 2020): (a) Helfen, (b) Beraten und Betreuen, (c) Diagnostik und Patient*innenüberwachung, (d) Handeln bei Notfällen, (e) Überwachung und Sicherstellung der Qualität der Dieser Beitrag fokussiert berufliche Handlungskompetenz als Teilkomponente und Fundament von Professionalisierung, deren Genese auf der Verknüpfung von Regelwissen mit Fallverständnis basiert (Lademann, 2018) . Kognitionspsychologisch gewendet ist es demnach gerade die Integration deklarativer, prozeduraler und episodischer Wissensstrukturen, die die Grundlage jeglichen professionellen Handelns als Manifestation von Professionalisierung darstellen (s . auch Gerholz & Goller 2021) . Vgl . zu weiteren Perspektiven auf bzw . Komponenten von Professionalisierung im Bereich der Pflege, die hier nicht weiter thematisiert werden, u . a . Lademann (2018) .
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medizinischen Versorgung, (f) Inner- als auch multiprofessionelle Organisation und Zusammenarbeit sowie (g) Coaching und Anleitung unterschiedlicher Akteur*innen des Gesundheitssystems . Es sind genau diese Teiltätigkeiten, welche von Pflegefachkräften den Rückgriff auf eine umfassende Basis beruflicher Handlungskompetenzen verlangen, um im Rahmen komplexer Pflegeprozesse professionell handeln zu können . Zum Erwerb der hierfür nötigen Handlungskompetenzen ist es Voraussetzung, dass Auszubildende die theoretisch-konzeptionellen Grundlagen ihrer Profession verinnerlicht und verstanden haben . Dieses, in der Regel in einer deklarativen Form kodierte semantische Wissen, welches entweder in der Schule oder durch Anleitung im Praxiskontext erworben wird, erlaubt zwar im Idealfall die Umsetzung in berufliches Handeln . Jedoch geschieht der hierfür nötige Wissensabruf aus dem Langzeit- samt der Transfer in das Arbeitsgedächtnis und die anschließende Applikation im Anwendungskontext langsam und ist darüber hinaus vergleichsweise fehleranfällig (Anderson, 1982) . Erst durch erfolgreiche wiederholte Anwendung im Praxisfeld wird das deklarative Wissen in eine prozedurale Form überführt (in sog . Skripte i . S . v . kognitiven Schemata, die verallgemeinertes Wissen über Handlungsmuster und Ereignisabfolgen enthalten; z . B . Schank & Abelson, 1977), welches effektives und effizientes Arbeiten ermöglicht (Anderson, 1982) . Die Teilnahme an realen beruflichen Praktiken ermöglicht darüber hinaus die Validierung bereits aufgebauter Handlungsstrategien, die Überprüfung subjektiver Theorien in Hinblick auf berufspraktische Phänomene sowie den Aufbau und die kognitive Integration episodischer Wissensstrukturen (Gruber, 1999; Kolodner, 1983; Kolb, 1984; Kolb & Kolb, 2012) . Es ist gerade die Kombination semantischen Wissens (z . B . über berufliche Standards oder pathophysiologische Prozesse) mit einem großen und reichhaltigen Erfahrungsschatz über die Manifestationen von Phänomenen der Praxis sowie der Adäquatheit bzw . Inadäquatheit von Handlungsstrategien, welche zum Aufbau von Expertise als hoch ausgeprägte berufliche Handlungskompetenz und somit zur Professionalisierung beiträgt (s . u . a . Boshuizen & Schmidt, 2008; Boshuizen, Gruber, & Strasser, 2020; Ericsson, 2018; Feltovich, Prietula, & Ericsson, 2018; Norman, Grierson, Sherbino, Hamstra, Schmidt, & Mamede, 2018) . Damit die skizzierten kognitiven Prozesse stattfinden können, müssen Arbeitsplätze jedoch lernförderliche Merkmale aufweisen (Frieling, Bernard, Bigalk, & Müller, 2006; Kyndt & Baert, 2013; Rausch, 2011) . Darunter zählen unter anderem der Zugang zur ganzen Bandbreite typischer Tätigkeiten des jeweiligen Berufsfeldes sowie die Bereitstellung von Gelegenheiten zur eigenständigen Ableitung und Umsetzung von Bewältigungsstrategien . Darüber hinaus braucht es Möglichkeiten zur umfassenden Interaktion mit anderen beruflichen Akteur*innen, welche einerseits die Teilnahme an Arbeitspraktiken außerhalb des eigenen Kompetenzstandes erlauben (Zone der proximalen Entwicklung; Cole, 1995; Vygotsky, 1978) sowie andererseits durch gezielte Rückmeldung Reflexionsprozesse anregen können, genauso wie Gelegenheiten zum Umgang mit berufsrelevanten Artefakten (z . B . Formularen, Com-
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
puterprogrammen) . Wenn Einsatzorte der praktischen Ausbildung solche lernförderlichen Merkmale nicht aufweisen, besteht die Gefahr, dass Praxiseinsätze nicht das ihnen immanente Lern- und Professionalisierungspotenzial entfalten können . 3.
Schulstationen als besondere Praxiseinsätze
Aufgrund einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens und dem daraus resultierenden Personalabbau in Verbindung mit dem demographischen Wandel der Bevölkerung, der bereits jetzt zu einer größeren Anzahl pflegebedürftiger Personen führt, wird von einer Verdichtung der Arbeit im Pflegekontext berichtet (s . Kap . 1) . Es ist gerade diese Verdichtung, welche häufig als Grund angeführt wird, dass die soeben benannten Merkmale lernförderlicher Arbeit für angehende Pflegefachkräfte in den regulären Praxiseinsätzen ihrer Ausbildung häufig nur stark eingeschränkt ausgeprägt sind (Bohrer, 2013; söstra, 2016; ver .di, 2015; Zinndorf et al ., 2014) . In den angeführten Studien zeigt sich, dass Auszubildende in der Pflege eher zur Unterstützung des bereits ausgebildeten Personals herangezogen und überwiegend mit isolierten Teiltätigkeiten betraut werden, die sich nur bedingt dazu eignen, umfassende Einblicke in komplexe Phänomene und Zusammenhänge des zukünftigen Berufsfeldes zu erlangen . Es scheint sogar so, dass bestimmte Tätigkeiten, die integraler Teil der Pflege sind, von Auszubildenden selten bis gar nicht übernommen werden (dürfen) . Darüber hinaus können Auszubildende häufig nur sehr eingeschränkt Pflegeentscheidungen selbstständig treffen und evaluieren, da ihnen das Pflegehandeln von ihren erfahreneren Kolleg*innen zumeist explizit vorgegeben wird . Dazu kommt, dass der professionelle Austausch zu den eigenen Erfahrungen, welcher häufig als Anstoß von Reflexionsprozessen dient, wegen mangelnder Möglichkeiten der Interaktion und der direkten Zusammenarbeit mit anderen beruflichen Akteur*innen als Folge des Zeitdrucks nicht möglich ist . Aufgrund des somit zum Teil sehr eingeschränkten Erfahrungs- und Lernraumes in den Praxiseinsätzen der Ausbildung muss deren Lern- und somit Professionalisierungspotenzial stark hinterfragt werden (Bohrer, 2013; Bräutigam et al ., 2014; Fichtmüller & Walter, 2007; Fischer, 2013; Goller et al ., 2020; Lauber, 2017) . Wie bereits angesprochen, wurde das Konzept der Schulstation zur Kompensation der benannten Defizite regulärer Praxiseinsätze konzipiert . In diesen speziellen, projektartigen Praxiseinsätzen übernehmen Auszubildende für einen begrenzten Zeitraum eine ausgewählte Station eines Krankenhauses unter Realbedingungen . Alle sonst von ausgebildeten Pflegefachkräften übernommenen Tätigkeiten werden in diesem Zeitraum auf der Station von den Auszubildenden eigenverantwortlich durchgeführt . Bereits ausgebildete Pflegefachkräfte und Praxisanleiter*innen stehen zwar zur Beantwortung von Fragen sowie für beratendes Feedback zur Verfügung und greifen bei Notfällen ein, übernehmen jedoch keine regulären Pflegetätigkeiten . Alle
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auftretenden Aufgaben und Probleme müssen von den Auszubildenden der jeweiligen Schicht selbstständig gelöst werden . Gleichzeitig werden einige Rahmenbedingungen auf Schulstationen pädagogisch so abgewandelt, dass diese einerseits eine Überforderung der Auszubildenden verhindern und andererseits bestmöglich zur Kompetenzentwicklung beitragen sollen (Hauck & Schuster, 2014; Witte et al ., 2016; Zinndorf et al ., 2014) . Zu diesen Maßnahmen gehören u . a . die intensive Vorbereitung aller betroffener Akteur*innen auf die neue Situation, ein besserer Personalschlüssel, die stete Verfügbarkeit von Praxisanleiter*innen sowie die Durchführung zusätzlicher Dienst- und Teambesprechungen, welche sowohl der regelmäßigen Reflexion von Erfahrungen und Erlebnissen als auch der intensiveren organisatorischen und interprofessionellen Abstimmung dienen . Aufgrund ihrer projektartigen Ausgestaltung und der pädagogischen Anreicherung gelten Schulstationen als spezifische Lernform, welche den teilnehmenden Auszubildenden eine Bandbreite relevanter Lernerfahrungen ermöglichen sollen, die in regulären Praxiseinsätzen häufig sonst nicht realisiert werden können (Fischer, 2013; Hauck & Schuster, 2004; Witte et al ., 2016) . Empirisch ist über die Lernwirksamkeit von Schulstationen bisher wenig bekannt . Erkenntnisse liegen jedoch darüber vor, dass Schulstationen im Vergleich zu regulären Praxiseinsätzen tatsächlich lernförderlichere Merkmale aufzuweisen scheinen (Goller et al ., 2020) sowie in der Regel von den Teilnehmer*innen als positives Lehr-Lernarrangement mit hohen Lernpotenzialen bewertet werden (Hertel & Bergjan, 2015; Pfennig & Klewer, 2014) . Erste Befunde in Hinblick auf erreichte Lernergebnisse präsentierten Witte et al . (2016): Die beteiligten Auszubildenden berichten aufgrund der Schulstation einen wahrgenommenen Kompetenzzuwachs . Einschränkend ist jedoch die geringe Datenbasis von lediglich fünf Interviews in dieser Studie zu nennen . Einen wahrgenommenen Kompetenzzugewinn bei den Auszubildenden sowie eine hohe Relevanz der Schulstation als Vorbereitung auf die spätere berufliche Berufstätigkeit berichten in ihren Untersuchungen darüber hinaus Zinndorf et al . (2014) sowie Blank und Fischbock (2010) . Diese Studien basieren jedoch eher auf anekdotischer Evidenz und weniger auf einem expliziten empirischen Forschungsdesign . Auch aus theoretischer Perspektive ist unklar, welchen Beitrag Schulstationen zur Kompetenzentwicklung und somit zur andauernden Professionalisierung von angehenden Pflegefachkräften leisten können . Einerseits, wie bereits dargestellt, eröffnen Schulstationen den teilnehmenden Auszubildenden Erfahrungsräume, die zum erfolgreichen Erwerb beruflicher Handlungskompetenz nötig sind, jedoch in regulären Praxiseinsätzen angehenden Pflegefachkräften häufig verwehrt bleiben . Hierfür sprechen auch die angeführten empirischen Studien . Andererseits nehmen Schulstationen in der Pflegeausbildung nur einen geringen zeitlichen Anteil ein (in der Regel zwei bis vier Wochen), weshalb aufgrund des geringen Interventionsumfanges dieses speziellen Lehr-Lernarrangements Skepsis bezüglich des Einflusses auf den Kompetenzerwerb bei den Auszubildenden geäußert werden muss (vgl . zur Problematik Jacob, Doolittle, Kemple, & Somers, 2019) .
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass Praxiseinsätze, die dem Konzept der Schulstation folgen, im Vergleich zu regulären Praxiseinsätzen verstärkt lernförderliche Charakteristika aufzuweisen scheinen . Wenig bekannt hingegen ist empirisch darüber, inwiefern Schulstationen auch zum Kompetenzerwerb und damit zur Professionalisierung von angehenden Pflegefachkräften beitragen . Ziel der hier berichteten Studie ist es daher, die folgende Forschungsfrage zu beantworten und somit zur Schließung dieser Forschungslücke beizutragen: Welche Kompetenzen können Auszubildende durch die Teilnahme an der Schulstation entwickeln und wie kann diese Entwicklung erklärt werden? 4.
Methodik
4.1
Studiendesign
Die Studie folgt einem Mixed-Methods-Replikationsdesign . In den Jahren 2017 und 2018 wurden zwei Durchläufe einer Schulstation mit Auszubildenden der Gesundheits- und Krankenpflege in einem Krankenhaus in Nordrhein-Westfalen wissenschaftlich begleitet und untersucht . In beiden Jahren kamen sowohl standardisierte Befragungen der teilnehmenden Auszubildenden kurz vor als auch unmittelbar nach der Schulstation zum Einsatz (Pre-Post-Testung) . Zusätzlich fanden im Anschluss an beide Schulstationen qualitative Interviews mit Auszubildenden sowie 2018 auch mit den beteiligten ausgebildeten Pflegefachkräften (z . T . Praxisanleiter*innen) und Ärzt*innen statt . Ziel des Mixed-Methods-Designs ist es, umfangreiche Antworten auf die gestellte Forschungsfrage zu erhalten . Ebenso wie die Anwendung qualitativer und quantitativer Methoden soll auch die Verschränkung unterschiedlicher Akteursperspektiven der Triangulation dienen . Vor allem durch die Interviews werden breitere und tiefere inhaltliche Einblicke in die Kompetenzentwicklung der Teilnehmenden sowie Hinweise darauf, weshalb es zur Kompetenzentwicklung auf Schulstationen kommt, erwartet, als es durch eine standardisierte Erhebung möglich wäre . Dem Anspruch der Offenheit sowie dem explorativen Charakter der Studie kann somit Rechnung getragen werden . Die Perspektive der beteiligten Pflegefachkräfte und Ärzt*innen soll die Triangulation der Selbstwahrnehmung der Teilnehmer*innen ermöglichen und dementsprechend die Interpretationsqualität erhöhen . Die Replikation dient dazu, Aussagen über die Robustheit der Befunde treffen zu können und diese zu einer kohärenten Gesamtinterpretation zu verdichten . Das Forschungsdesign zielt daher auf die Generierung empirisch vertrauenswürdiger, zuverlässiger und belastbarer Befunde ab .
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4.2
Untersuchungskontext
In den Jahren 2017 und 2018 wurde die Schulstation in dem beteiligten Krankenhaus das zweite bzw . dritte Mal durchgeführt . Die Schulstation fand für die Auszubildenden jeweils am Anfang des dritten Lehrjahres (Oberkurs) auf der Geriatriestation (19 Betten, 8 Zimmer) für drei konsekutive Wochen statt und wurde durch ausgebildete Pflegefachkräfte (einschließlich Praxisanleiter*innen) begleitet . Die Auszubildenden übernahmen gemäß dem Konzept der Schulstation die volle pflegerische Verantwortung für die gesamte Station . Eine gewisse Anzahl von Pflegefachkräften stand für Fragen, Anleitungen und Notfälle durchgehend bereit, war jedoch nicht mit Aufgaben des Alltagsgeschäftes betraut . Organisiert und vorbereitet wurde die Schulstation von der dem Krankenhaus angegliederten Pflegeschule . Hierzu gehören u . a . die Abstimmung mit der beteiligten Station, die Information aller direkt beteiligter Akteur*innen bzw . betroffenen Berufsgruppen (z . B . Physiotherapeut*innen), Vorbereitung der Auszubildenden auf die Schulstation durch speziell zugeschnittenen Fachunterricht (z . B . Kennenlernen der Stationssoftware, Aufnahme- und Entlassungsmanagement) sowie Nachbereitung im Rahmen eines Abschlusstages . Während der Schulstation fanden zusätzlich zu den üblichen Dienstbesprechungen noch tägliche Reflexionssitzungen sowie wöchentliche Teammeetings statt, an denen die Auszubildenden und die Praxisanleiter*innen teilnahmen . Didaktisch sollen vor allem die Prinzipien der Selbststeuerung und Handlungsorientierung umgesetzt werden . 4.3
Stichprobe
An der standardisierten Befragung 2017 nahmen beim Pre-Test alle 24 Auszubildenden des Oberkurses teil (29 % männlich); bei der Post-Testung hingegen nur 18 Auszubildende . Am Durchführungsjahr 2018 nahmen sowohl am Pre-Test als auch am Post-Test 20 von 23 Auszubildenden teil (17 % männlich), wobei jedoch nur 18 Auszubildende zu beiden Erhebungszeitpunkten überlappend anwesend waren . Die fehlenden Fälle erklären sich jeweils durch Nichtanwesenheit der Auszubildenden in dem Fachunterricht, in welchem die Befragung durchgeführt wurde . Daraus ergibt sich in beiden Erhebungszeitpunkten eine Stichprobe von jeweils 18 Personen, die in die Datenanalyse einbezogen werden konnte . Personen, die an einem der zwei Erhebungszeitpunkten nicht teilnahmen, wurden von den Analysen ausgeschlossen . Im ersten Erhebungsjahr erklärten sich 12 Auszubildende für Interviews bereit, 2018 hingegen 13 Auszubildende . Die Erhebung fand parallel zum Fachunterricht mit den Auszubildenden einen Tag nach dem Ende der Schulstation statt . Interviews mit ausgebildeten Pflegefachkräften (n = 3, davon n = 2 die verantwortlichen Praxisanleiter*innen) sowie allen hauptsächlich beteiligten Ärzt*innen (n = 3) konnten nur im Jahr 2018 geführt werden . Zur Gewinnung dieser Stichprobe wurden alle beteiligten
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
Akteur*innen angefragt . Interviews wurden mit den Personen, die sich hierfür bereit erklärten, ca . zwei bis drei Monate nach dem Ende der Schulstation durchgeführt . Die Erhebungen fanden alle auf freiwilliger Ebene statt und wurden einerseits von der Ethikkommission der Universität der Forschenden als unbedenklich bestätigt und andererseits von der Mitarbeiter*innenvertretung des Krankenhauses befürwortet . Zur Wahrung der Anonymität aller Beteiligten wurde auf die Erfassung soziodemographischer Merkmale sowohl bei den standardisierten Befragungen als auch den Interviews verzichtet . 4.4
Instrumente
In den standardisierten Befragungen kam jeweils die für den deutschen Sprach- und Kulturraum adaptierte Version der Nurse Competence Scale zum Einsatz (Girbig & Bauer, 2011; Meretoja et al ., 2004) . Das Instrument umfasst ursprünglich sieben Teilskalen, welche es (angehenden) Pflegekräften ermöglicht, eine umfassende Kompetenzselbsteinschätzung vorzunehmen . Die Teilskala Coaching und Anleitung kam nicht zum Einsatz, da diese als unpassend für Auszubildende eingeschätzt wurde, denn auf der Schulstation gibt es für Auszubildende keine Anlässe zur Betreuung von Anfänger*innen . Hingegen wurde die selbstentwickelte Teilskala Überblickswissen aufgenommen, welche misst, wie gut die Auszubildenden das Geschehen einer klinischen Station verstehen und überblicken (z . B . wie sie organisiert ist, welche Aufgaben es gibt, wie diese zustande kommen und zusammenhängen) . Tabelle 1 listet die verwendeten Skalen, die Anzahl der Items pro Skala, ein Beispielitem sowie die standardisierten Cronbachs α der Pre- und Post-Testung beider Erhebungsjahre . Zur Beantwortung der Items und somit zur Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenz stand den Auszubildenden eine siebenstufige Likert-Skala von 1 = „Gar nicht“ (sehr geringe Kompetenzeinschätzung) bis 7 = „Sehr gut“ (sehr hohe Kompetenzeinschätzung) zur Verfügung, auf der sie einschätzen sollten, wie gut es ihnen gelingt, mit den jeweiligen Situationen umzugehen . Die Werte für Cronbachs α fast aller Teilskalen liegen zu den vier Erhebungszeitpunkten über dem angesetzten Cut-Off-Wert von .70 . Ausschließlich für die Skalen Organisation & Zusammenarbeit in der Pre-Testung 2017 sowie Handeln bei Notfällen in der Post-Testung 2017 wird dieser Wert nur knapp unterschritten, was auf die geringe Stichprobengröße zurückgeführt werden könnte . Die internen Konsistenzen als Maß der Reliabilität können als zufriedenstellend bis gut interpretiert werden (Hair, Black, Babin, & Anderson, 2014) . Die Interviews wurden mithilfe eines teilstandardisierten Interviewleitfadens durchgeführt . Bei den Auszubildenden beinhaltete dieser Fragen zum Erleben der Schulstation, zum wahrgenommenen Kompetenzerwerb und Lernerfolg sowie den wahrgenommenen Unterschieden zwischen der Schulstation und regulären Praxis-
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Tab. 1 Verwendete Skalen mit Beispielitem und Maßen der internen Konsistenz Skala (Itemanzahl)
Beispielitemb
2017
2018
αPre
αPost
αPre
αPost
Helfen (10)
„Die Bewältigungsstrategien von Patienten zu unterstützen.“
.85
.87
.89
.79
Beraten und Betreuen (7)
„Individuelle Patientenberatung anzubieten.“
.78
.80
.86
.78
Diagnostik und Patient* innenüberwachung (8)
„Bedeutsame Veränderungen des gesundheitlichen Zustandes von Patienten zu erkennen.“
.83
.84
.91
.82
Handeln bei Notfällen (4)
„In lebensbedrohlichen Situationen angemessen zu handeln.“
.95
.68
.76
.78
Überwachung und Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung (7)
„Maßnahmen auf ihre medizinische und pflegerische Sicherheit zu überprüfen.“
.87
.81
.92
.70
Organisation und Zusammenarbeit (10/8a)
„Die Pflegeaktivitäten eines multidisziplinären Teams zu koordinieren.“
.66
.83
.85
.74
Überblickswissen (10)
„Ich weiß, wie die Teilaufgaben auf einer Station koordiniert werden.“
.91
.95
.89
.84
Anmerkungen. a Zwei der ursprünglich 10 Items wurden hier aufgrund geringer Korrelationen mit der Gesamtskala entfernt. b Einleitung durch die Frage „Wie gut gelingt es Ihnen, mit der folgenden Situation umzugehen?“
einsätzen . Bei den Pflegefachkräften sowie den Ärzt*innen kam ein leicht angepasster Interviewleitfaden zum Einsatz, der vergleichbare Fragen zu deren Perspektive stellte . Die Interviews dauerten im Durchschnitt 62 Minuten mit den Auszubildenden und 43 Minuten mit den anderen Gruppen . Sie wurden nach vorheriger Einwilligung aufgezeichnet . 4.5
Datenanalyse
Aus den Rohdaten der Einzelitems der standardisierten Befragung wurden für weitere Analysen vorab Mittelwertscores für jede Teilskala gebildet . Zur Analyse potenzieller Änderungen der Kompetenzselbsteinschätzung der Auszubildenden wurden nichtparametrische, zweiseitige Wilcoxon-Rangsummentests (Alpha-Niveau = .05) sowie Cohens d als Maß der Effektstärke mit R 3 .4 .4 (R Core Team, 2018) berechnet . Die Interviewaufnahmen wurden transkribiert . Das umfangreiche Textmaterial wurde dann mit einer Kombination aus strukturierender und zusammenfassender qualitativer Inhaltsanalyse ausgewertet (Kuckartz, 2016; Mayring, 2015; Schreier, 2012) . Hierzu wurde im ersten Schritt ein deduktives Kategoriensystem mit weit gefassten Oberkategorien entworfen und auf die Transkriptionen angewendet, um
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
dem Kriterium der Offenheit gerecht zu werden . In einem zweiten Schritt wurde dieses Kategoriensystem überarbeitet und um induktiv gebildete und stärker differenzierende Ober- und Unterkategorien ergänzt . Folgende Kategorien kamen zur Beantwortung der Forschungsfrage letztendlich zum Einsatz: 1 . Lernerfolge (1 .1 . Kompetenzerwerb, 1 .2 . Selbstwirksamkeit, 1 .3 . Motivation, 1 .4 . Sonstiges; Welche pädagogisch relevanten Effekte kommen durch die Teilnahme an der Schulstation zum Tragen?), 2 . Beurteilung der pädagogischen Maßnahmen (2 .1 . Vorbereitung, 2 .2 . Nachbereitung, 2 .3 . Teammeetings, 2 .4 . Praxisanleitung, 2 .5 . Sonstiges; Wie wird die pädagogische Einbettung der Schulstation erlebt?), 3 . Theorie-Praxis-Bezug (Ob und wie konnte theoretisches und praktisches Wissen aufeinander bezogen werden?), 4 . Unterscheidung Praxiseinsätze/Schulstation (Wie unterscheidet sich die Schulstation von den regulären Praxiseinsätzen in Hinblick auf Lernförderlichkeit?) sowie 5 . Sonstiges (Residualkategorie) . In einem dritten Schritt wurde dieses finale Kategoriensystem zur erneuten Kodierung des gesamten Textmaterials verwendet . Alle kodierten Fundstellen wurden von den ersten beiden Autor*innen im diskursiven Konsensverfahren bestätigt oder verworfen und dann im Anschluss paraphrasiert und zusammengefasst . Diese Zusammenfassungen dienten der Identifikation dominanter Thematiken zur Beantwortung der Forschungsfragen, welche nachfolgend beschrieben und diskutiert werden . Hierzu werden z . T . Interviewausschnitte zur Illustration der Befunde herangezogen, wobei die Abkürzungen Aus für Auszubildende, Pfl für Pflegefachkäfte und Ar für Ärzt*innen stehen . Auch das Jahr der Erhebung wird mit angegeben . 5.
Ergebnisse
5.1
Standardisierte Befragung
Abbildung 1 stellt für die Durchführungsjahrgänge 2017 und 2018 jeweils die selbsteingeschätzte Kompetenzen der Auszubildenden vor und nach der Schulstation dar . Deskriptiv lässt sich erkennen, dass die Kompetenzeinschätzung in allen Teilbereichen in beiden Jahren nach der Schulstation in der Post-Testung höher liegt als in der Pre-Testung (ΔMW2017 = 0 .35–1 .00, ΔMW2018 = 0 .91–1 .38) . Diese Unterschiede sind auf dem 5 %-Niveau signifikant, ausgenommen bei den 2017er-Skalen Beratung & Betreuen (p = .065) sowie Organisation & Zusammenarbeit (p = .231) . Die Effektstärken der signifikanten Unterschiede liegen im mittleren bis hohen Bereich . Am höchsten liegen diese bei den Skalen Diagnostik & Patient*innenüberwachung (d2017 = 1 .36, d2018 = 1 .58), Überwachung und Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung (d2018 = 1 .42), Überblickswissen (d2018 = 1 .36) sowie Helfen (d2018 = 1 .22) . Die Effektstärken 2017 liegen leicht unter denen von 2018 .
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*
p = .048 d = 0.54
***
p < .001 d = 1.22
ns p = .065 d = 0.50
**
p = .005 d = 0.92
***
p < .001 d = 1.36
***
p < .001 d = 1.58
**
p = .007 d = 0.85
**
p = .005 d = 0.89
**
p = .006 d = 0.77
***
p < .001 d = 1.42
ns p = .231 d = 0.39
***
p < .001 d = 1.27
**
p = .009 d = 0.75
***
p = .009 d = 1.36
Abb. 1 Kompetenzselbsteinschätzung vor und nach der Schulstation in 2017 und 2018. Mittelwertscores der Skalen auf der x-Achse (1 = sehr geringe Kompetenzeinschätzung bis 7 = sehr hohe Kompetenzeinschätzung). Error Bars = Standardabweichung. d = Cohens d. Zweiseitiger WilcoxonRangsummentest: *** p < .001, ** p < .01, * p < .05, ns = Nicht signifikant (eigene Darstellung)
5.2
Interviews
Die angehenden sowie die bereits ausgebildeten Pflegefachkräfte berichten, dass die Arbeit auf der Schulstation den Auszubildenden ermöglicht, die ganze Bandbreite von pflegerischen Tätigkeiten auf einer Station zu übernehmen . Hierdurch erhalten die Auszu-
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
bildenden laut den Praxisanleiter*innen einen „Blick auf das große Ganze“ (Pfl1_2018) im Vergleich zu den regulären Praxiseinsätzen, die häufig nur so genannten „Flurdienst“ (z . B . Aus12_2017, Aus8_2018) – d . h . Übernahme einzelner, isolierter Teiltätigkeiten – ermöglichen . Als hochgradig lernwirksam erleben die Auszubildenden, wenn sie Patient*innen von der Aufnahme bis zur Entlassung begleiten konnten . Hierdurch erlangen die Auszubildenden einerseits relevante Einblicke in den Nutzen verschiedener Pflegehandlungen und andererseits ermöglicht diese Arbeit ihnen, Krankheitsverläufe und die Wirksamkeit von selbst durchgeführten Behandlungen zu erleben und zu evaluieren . Tätigkeiten, welche in regulären Praxiseinsätzen gar nicht oder nur sehr selten übernommen werden, wird großes Lernpotenzial attribuiert . Hierzu zählen bspw . die Vorbereitung, Übernahme und Nachbereitung von Visiten, das Stellen von Medikamenten, die Durchführung der Pflegedokumentation oder auch Tätigkeiten der medizinischen Behandlungspflege (z . B . Wundversorgung) . Im Rahmen der Übernahme dieser Arbeiten erhalten die Auszubildenden darüber hinaus Zugang zu Formularen, Computersystemen oder auch medizinischen Gerätschaften (z . B . Blutgasanalysatoren), welche ihnen in den regulären Praxiseinsätzen häufig nicht zur Verfügung stehen . Nach Aussagen der interviewten Auszubildenden und der Pflegefachkräfte sind es gerade diese Tätigkeiten, welche sich positiv auf den Kompetenzerwerb in den einzelnen Teilfacetten auswirken . Wenig bis gar kein Potenzial zur beruflichen Weiterentwicklung wird sowohl von Seiten der angehenden als auch der bereits ausgebildeten Pflegefachkräfte solchen Aufgaben zugerechnet, die aus dem Bereich der Grundpflege stammen, da Auszubildende hierfür in den regulären Praxiseinsätzen typischerweise zuständig sind (z . B . Blutdruck messen) . Proband*innen aus allen Interviewgruppen betonen, dass Auszubildende in regulären Praxiseinsätzen nur selten die Gelegenheit zur Interaktion und Kooperation mit Ärzt*innen sowie anderen Vertreter*innen weiterer Heil- und Gesundheitsberufe (z . B . Physiotherapeut*innen) erhalten, auf der Schulstation dies jedoch durchgehend der Normalfall war . Als äußerst positiv wurde in diesem Zusammenhang wahrgenommen, dass vor allem die beteiligten Ärzt*innen Krankheitsverläufe, Medikationen und andere Anweisungen häufig expliziter begründet und erläutert haben, als sie es im Regelbetrieb machen würden . Hierdurch konnten die Auszubildenden relevante Verknüpfungen zwischen Wissenselementen aufbauen . Ja, ich erkläre dann natürlich mehr . Also die Schüler sind ja dann mitgegangen und dann habe ich versucht, die Zusammenhänge, was weiß ich, von Symptomen und Reaktionen klar zu machen . Sagen wir mal so, ich habe laut gedacht . (Ar1_2018)
Darüber hinaus berichten einige Auszubildende, dass sie im Laufe der Schulstation einerseits Ängste und Vorurteile in Bezug auf die Zusammenarbeit mit Ärzt*innen ablegen und andererseits Strategien zur Kommunikation mit diesen aufbauen konnten . Letzteres wird von den interviewten Ärzt*innen dadurch bestätigt, dass diese darauf hinwiesen, dass die Auszubildenden diese Interaktionsfähigkeiten im Verlauf der Schulstation immer besser umsetzen konnten .
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Die Kommunikation mit den Ärzten . Also zu merken, ok, da läuft irgendetwas nicht . Und dann diesen Mut zu fassen, weil ich musste mich da wirklich einmal so zusammenreißen und sagen „Ok, ich gehe da jetzt hin und sage ihm, dass das und das, also was er gemacht hat, nicht in Ordnung war . Und dass er sich jetzt mal drum kümmern muss .“ … Und dann einfach so dieser Moment, boah, ich hab jetzt richtig etwas für die Patientin erkämpft . (Aus3_2018)
Doch nicht nur die Interaktion und Kooperation mit anderen Berufsgruppen wird als lernwirksam von den Auszubildenden wahrgenommen . Auch die Zusammenarbeit der Auszubildenden als Team miteinander wird in diesem Zusammenhang genannt . Relevante Einsichten ergaben sich laut der Interviews vor allem darin, wie die gemeinsame Arbeit auf der Station im Team zu koordinieren und abzustimmen sei . Darüber hinaus haben sich die Auszubildenden während der Schulstation gegenseitig bei wenig vertrauten Aufgaben unterstützt . Neben dem Austausch hilfreicher „Kniffe und Tricks“ (Aus11_2017) ging es hier vor allem um Erklärungen sowie gegenseitige Rückmeldungen auf Peer-Ebene . Ja also klar, wir haben uns immer so Sachen erklärt . Zum Beispiel, wie gesagt, wenn jemand irgendwas wusste, was man selbst nicht wusste, hat man halt gefragt und die Person hat es dem anderen dann erklärt . Das ist schon oft passiert auf der Schulstation und das war eigentlich immer ganz gut . (Aus3_2017)
Im Vergleich zu den regulären Praxiseinsätzen wird von allen beteiligten Gruppen die Schulstation als weniger zeitstressig beschrieben . Aufgrund des besseren Personalschlüssels steht für die anfallenden Aufgaben mehr Pflegepersonal zur Verfügung als im stationären Normalbetrieb . Die dadurch gewonnenen Zeitressourcen erlauben es den Auszubildenden, die von ihnen übernommenen Tätigkeiten gemäß aktueller Pflegestandards auszuführen . Dieses so genannte „schulische“ (Pfl2_2018) Arbeiten ist aufgrund des erlebten Zeitdrucks in regulären Praxiseinsätzen häufig nicht möglich . Gelerntes Wissen kann auf der Schulstation gezielt angewendet und vertieft werden . So stehen bspw . zeitliche Ressourcen zur Verfügung, um relevante Prophylaxen sorgfältig umzusetzen oder Beratungsgespräche mit Patient*innen und Angehörigen durchzuführen . Die Arbeit mit und an den Patient*innen wird als intensiver erlebt . Also man konnte das in der Pflege, man hatte unheimlich viel Zeit . Auch wenn man jeden Tag schneller wurde, konnte man wirklich super hygienisch arbeiten, man konnte auch die Wunden super schulisch machen . Auch einfach, wie z . B . auch das Beispiel mit der Lagerung . Sowas wird man hier nie sehen . Aber man kennt es theoretisch und das ist auch eine super Sache . Man kann einfach machen . (Aus3_2018)
Obgleich die Auszubildenden ihren Kompetenzzuwachs vor allem den erweiterten Erfahrungs- und Interaktionsmöglichkeiten sowie der Gelegenheit zum „schulischen“ Arbeiten auf der Schulstation attribuieren, so beschreiben einige Interviewpartner*in-
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
nen auch die pädagogische Einbettung als lernwirksam . Als wertvoll werden hierbei einerseits die regelmäßigen Teambesprechungen genannt, welche den Auszubildenden ermöglichten, das Vorgehen auf der Station mit den anderen Beteiligten abzusprechen und zu reflektieren . Darüber hinaus wurde vor allem die hohe Verfüg- und Ansprechbarkeit der Praxisanleiter*innen sowie der ausgebildeten Pflegefachkräfte positiv genannt, welche sowohl Anleitung in unbekannten Situationen als auch die Rückmeldung bezüglich der Qualität eigenen Handelns boten . Diese enge Betreuung der Auszubildenden wird auch von den interviewten Ärzt*innen als hochgradig bedeutsam wahrgenommen . Die Praxisanleiter*innen betonen zur Umsetzung ihrer lernwirksamen Rolle jedoch, dass es wichtig sei die Auszubildenden möglichst eigenständig arbeiten und, solange vertretbar, auch kleinere Fehler machen zu lassen . Des Weiteren bedarf es hinreichend vieler bereits ausgebildeter Fachkräfte auf der Schulstation, um die Betreuung der Auszubildenden zu gewährleisten . Durch die Teilnahme an der Schulstation gelangen einige Auszubildende zu relevanten beruflichen Einblicken, die ihnen die regulären Praxiseinsätze bisher verwehrten . So wird berichtet, dass nun verstanden wurde, wieso die bereits ausgebildeten Pflegefachkräfte so viel Zeit mit Dokumentation verbringen und welche Verantwortung diese auf der Station tragen . Auch die eigene Rolle im Krankenhausbetrieb bzw . im Gesundheitssystem als Pflegefachkräfte reflektierten einige Auszubildende in Abgrenzung zu Aufgaben und Funktionen anderer Heil- und Gesundheitsberufe . […] dass es ganz viele Sachen gibt, die eine Examinierte macht, wo ich vorher nicht wusste, was sie alles macht . Die ganze Verantwortung, das ganze Dokumentieren . Ich habe mich nämlich immer vorher gefragt: „Wir machen immer die ganze pflegerische Versorgung, die ganzen Sachen am Flur und das Essen verteilen, die Prophylaxen, Verbandswechsel und was machen die Schwestern? Die sitzen da einfach nur auf der Station und dokumentieren irgendwas .“ Das fand ich schon immer ungerecht . Und jetzt, wo ich das mal eigentlich komplett gesehen habe, wusste ich dann, sie übernimmt ja trotzdem die Verantwortung für die Sachen, die ich dann tue . Und sie ist ja im Prinzip die, die dafür geradestehen muss, wenn irgendwas ist . Sie muss ja auch gucken, dass das erledigt wird . Also Dokumentation ist echt so viel . (Aus9_2017)
Neben dem wahrgenommenen Kompetenzerwerb berichten einige Auszubildende noch von weiteren positiven Effekten der Schulstation . Durch die Übernahme der ganzen Bandbreite von Tätigkeiten ausgebildeter Pflegefachkräfte konnten Einblicke in den momentanen Kompetenzstand bzw . potenzielle Defizite vor allem auch in Hinblick auf die kommende Abschlussprüfung gewonnen werden . Die Praxisanleiter*innen berichten, dass die Auszubildenden über die drei Wochen die unterschiedlichen Herausforderungen sukzessive besser bewältigen konnten, was als Kompetenzzuwachs über alle Kompetenzfacetten hinweg interpretiert wurde . Anfangs sicherten sich die Auszubildenden häufig mit Rückfragen ab, im Verlauf der Zeit stieg jedoch deren Selbstständigkeit . Relevante Wissenslücken waren lediglich
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in Bezug auf den Umgang mit der Dokumentation vorhanden . Gleichzeitig wird von einigen Praxisanleiter*innen kritisch berichtet, dass nicht alle der angehenden Pflegefachkräfte die Potenziale der Schulstation gleichermaßen wahrgenommen haben . So nutzten ihres Erachtens nicht alle Auszubildenden die wertvolle Möglichkeit, Rückmeldung zur eigenen Arbeit einzufordern . Auch hatten laut der Praxisanleiter*innen manche Auszubildende nicht zutreffende und somit dysfunktionale Selbstbilder aufgebaut, welche deren eigentlichen Kompetenzstand überstiegen . Von Seiten der Auszubildenden wird zum Teil betont, dass die Schulstation nicht die typische Arbeitssituation im Krankenhausbetrieb und somit den beruflichen Alltag abbilde . Vielmehr verzerre die hohe Personalausstattung den Realitätscharakter . Darüber hinaus wird hervorgehoben, dass das konkrete Lernpotenzial der Schulstation stets von den zu übernehmenden Aufgaben und Tätigkeiten abhängt . So sind in der Chirurgie bspw . mehr Wunden zu versorgen als in der Geriatrie . Ansonsten determinierten noch sowohl die zu übernehmende Schicht als auch die zu behandelnden Patent*innen, mit welchen Aufgaben und Krankheitsbildern die Auszubildenden konfrontiert werden . Einige waren daher enttäuscht, dass sie bspw . im Gegensatz zu anderen keine Möglichkeiten zur Versorgung komplexer Wunden bekamen, die sich in ihrer bisherigen Ausbildung auch noch nicht ergeben hatten . Ja, aber das ist jetzt nicht Schuld der Schulstation, sondern einfach das Patientenklientel was wir so hatten . Wir hatten wenig so Tracheostoma-Versorgung . Jetzt am letzten Tag kam einer, aber das konnten wir ja gestern dann auch nicht mehr machen . Oder großartige Zugänge, ZVKs, Sonden, sowas hatten wir halt wenig . Aber das ist halt je nachdem, wann man … Klar, das hätte ich auch nochmal gerne gemacht, aber je nachdem, wann man da ist, kann man halt einfach Glück oder Pech haben . Ja, also wenn dann nur Dinge, die halt der Fachrichtung geschuldet sind, Geriatrie, Post-OP-Versorgung, größere Wunden, Klammern ziehen, solche Sachen, die man halt immer gerne macht, gehen da halt nicht . (Aus6_2018)
6.
Diskussion
Die Ergebnisse der Pre-Post-Testung zeigen in beiden Stichproben über die Schulstation hinweg einen Anstieg des wahrgenommenen Kompetenzerlebens der befragten Auszubildenden in allen pflegerischen Teilfacetten . Die beobachteten Anstiege können durchgehend auf Basis der geschätzten Effektstärken als mittel bis hoch charakterisiert werden . Die Kompetenzdifferenzen unterscheiden sich bis auf zwei Teilfacetten der eingesetzten Nurse Competence Scale (Beratung & Betreuen, Organisation & Zusammenarbeit) im Jahr 2017 stets signifikant von Null, wobei die nicht-signifikanten Befunde wenigstens anteilig durch die geringe Teststärke aufgrund der kleinen Fallzahlen begründet werden können (die Effektstärken der Kompetenzzuwächse liegen auch bei den nicht signifikanten Skalen im mittleren Bereich) . Auch die Interview-
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
daten beider Stichproben weisen darauf hin, dass die Auszubildenden die Schulstation als lernwirksam erlebten und ihre beruflichen Handlungskompetenzen weiterentwickeln konnten . Hinweise finden sich explizit auf die gemessenen Kompetenzfacetten des Helfens, des Beratens & Betreuens, der Diagnostik & Patient*innenüberwachung, der Überwachung & Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung und in Ansätzen auch zur Organisation & Zusammenarbeit . Ambivalente Befunde zeigen sich in den Interviews in Bezug auf das Handeln in Notfällen, da nicht alle Auszubildenden während der Schulstation mit Notfällen in Berührung kamen . Der erlebte Kompetenzerwerb wird von den Interviewpartner*innen vor allem durch die Übernahme solcher Tätigkeiten erklärt, zu welchen die Auszubildenden in den regulären Praxiseinsätzen keinen Zugang haben (z . B . Ausarbeitung und Begleitung von Visiten) . Anstelle isolierter Teiltätigkeiten der Funktionspflege erhalten die Teilnehmenden auf der Schulstation die Möglichkeit, bezugspflegerisch tätig zu werden und somit Patient*innen im Idealfall langfristig und umfassend während deren kompletten Krankenhausaufenthaltes zu begleiten . Lernpsychologisch kann ein langfristiger und umfassender Arbeitsmodus als vollständig zyklisch bezeichnet werden, da er die Planung, die Ausführung sowie die Evaluation des eigenen Handelns und Tuns ermöglicht (Hacker & Sachse, 2014; Rausch, 2011) . Darüber hinaus steht den Auszubildenden für die Verrichtung ihrer Aufgaben aufgrund der guten Personalbesetzung auf der Schulstation mehr Zeit zur Verfügung . Die Auszubildenden sind aufgrund der großzügigen Zeit in der Lage, ihr in der Pflegeschule erworbenes Wissen schrittweise gemäß aktueller Pflegestandards in die klinische Praxis zu übertragen sowie unterschiedliche Handlungsstrategien zu testen und zu evaluieren . Die Lernwirksamkeit so gestalteter Arbeitsumgebungen ist in der Literatur gut dokumentiert (Frieling et al ., 2006; Kyndt & Baert, 2013; Rausch, 2011) . Potenzial zum Kompetenzerwerb wird von den Interviewpartner*innen neben den neuen Aufgaben jedoch auch der Interaktion und Kooperation mit Vertreter*innen anderer Heil- und Gesundheitsberufe sowie den gleichzeitig auf der Schulstation eingesetzten Auszubildenden zugesprochen . Neben verbalen Erläuterungen sind es bei der ermöglichten Kooperation vor allem Ko-Konstruktionsprozesse aufgrund gemeinsam entwickelter Problemlösungen und gegenseitiger Beobachtung, welche zur Kompetenzentwicklung beigetragen haben . Auch diese Lernmodi werden in der Literatur als lernwirksam beschrieben (Goller, 2017; Pool, Poell, Berings, & ten Cate, 2016) . Neben den Arbeitsplatzmerkmalen sowie den Kooperationscharakteristika werden darüber hinaus vor allem die erweiterten Möglichkeiten zur Anleitung und für Feedback durch die Praxisanleiter*innen als bedeutsam für die eigene Kompetenzentwicklung auf der Schulstation erlebt . Gleichzeitig wird betont, dass die Auszubildenden die existierenden Angebote der Schulstation jedoch auch eigenständig und proaktiv nutzen und Feedback bspw . zum Teil auch einfordern müssen . Nicht von allen Auszubildenden wurden die Lerngelegenheiten gleichermaßen für die berufliche Weiterentwicklung genutzt .
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Alles in allem kann der beobachtete Zuwachs in der Kompetenzselbsteinschätzung bei den Auszubildenden somit durch die besondere Ausgestaltung der Arbeitsplatzmerkmale der Schulstation sowie deren pädagogische Einbettung begründet werden . Diese wird vor dem Hintergrund der sonst häufig nur sehr eingeschränkten Kompetenzförderlichkeit der regulären Praxiseinsätze deutlich, welche auch schon in anderen Studien beschrieben wurde (Bohrer, 2013; Bräutigam et al ., 2014; Fichtmüller & Walter, 2007; Goller et al ., 2020; Fischer, 2013; Lauber, 2017) . Gleichzeitig muss an dieser Stelle darauf hingewiesen werden, dass auch das Konzept der Schulstation noch immer den Defiziten informeller betrieblicher Lernräume unterliegt . Auch hier wird das Lernpotenzial durch die anfallenden Tätigkeiten aufgrund der zu behandelnden Patient*innen und des Teamklimas determiniert . Welche Tätigkeiten von den Auszubildenden übernommen werden können, ist somit pädagogisch und didaktisch nicht oder nur sehr eingeschränkt plan- und steuerbar, da die Lernsituation Realbedingungen entspricht . Kritisch hinterfragt werden sollte, ob es sich bei den in dieser Studie dokumentierten selbsteingeschätzten Kompetenzzuwächsen der Auszubildenden wirklich um berufliches Lernen im Sinne eines objektiven Kompetenzerwerbs handelt und somit ein realer Beitrag zu deren fortlaufenden Professionalisierung durch die Teilnahme an der Schulstation geleistet wird . Obgleich sich sowohl in den Daten der standardisierten Befragung als auch in den Interviews Hinweise auf die professionelle Kompetenzentwicklung der Auszubildenden finden lassen, so basieren diese doch überwiegend auf Selbsteinschätzungen . Es muss daher davon ausgegangen werden, dass sich die beobachteten Kompetenzveränderungen eher durch Zuwächse in den Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Auszubildenden begründen lassen . Ob diese immer adäquat und zutreffend sind, ist unklar und kann mit den Daten dieser Studie nicht beantwortet werden . Gleichzeitig soll an dieser Stelle jedoch darauf hingewiesen werden, dass die interviewten Pflegefachkräfte aus ihrer Perspektive auch einen Kompetenzerwerb bei den Auszubildenden wahrnahmen . Zusätzlich betonten diese, dass manche Auszubildende sich ihrer Einschätzung nach fachlich aber eher überschätzen und durch die positiven Erfahrungen der Schulstation ein verzerrtes Fähigkeitsselbstbild aufgebaut haben bzw . darin bestätigt wurden . Hinweise auf eine zu positive Selbsteinschätzung durch die Auszubildenden geben auch die quantitativen Daten . Die Mittelwertscores liegen auf einer sieben-stufigen Likertskala zwischen 4 .5 und 6 .6 (7 = höchste Kompetenzeinschätzung), obgleich die Auszubildenden sich erst am Anfang des letzten Ausbildungsdrittels befinden und den Großteil ihrer beruflichen Entwicklung noch vor sich und auch eigene Schwächen teilweise in den Interviews diskutiert haben (bspw . Wundversorgung) . Neben den bereits angesprochenen Limitationen müssen folgende potenzielle Defizite der vorgestellten Studie herausgestellt werden: (a) Auch wenn es sich um ein komplexes Studiendesign handelt, so wurde nur eine spezifische Umsetzung des Konzepts der Schulstation in einem Krankenhaus auf einer ausgewählten Station evaluiert .
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
Unklar verbleibt somit, ob die Ergebnisse auf abgewandelte Schulstationskonzepte sowie andere Krankenhäuser oder Stationen übertragen werden können . (b) In beiden Durchführungsjahrgängen nahmen nicht alle Auszubildenden des jeweiligen Oberkurses an den standardisierten Befragungen und den Interviews teil . Es ist unklar, ob und inwiefern sich dieses Stichprobencharakteristikum auf die berichteten Ergebnisse auswirkt . (c) In dem Kooperationskrankenhaus und der angegliederten Pflegeschule gab es pro Jahrgang nur einen Oberkurs . Es war daher nicht möglich, die hier berichtete Evaluationsstudie mit einer Kontrollgruppe durchzuführen, welche sich parallel in einem regulären Praxiseinsatz befindet . Somit erlauben die hier beschriebenen Befunde keinen Aufschluss über die kausale Wirkung der Schulstation auf die Kompetenzentwicklung der Teilnehmenden . (d) Die quantitativen Daten wurden rein auf Basis von retrospektiven Selbsteinschätzungen erhoben und erlauben daher nur einen bedingten Rückschluss darauf, inwiefern die Teilnahme an einer Schulstation sich auf den tatsächlichen Kompetenzerwerb auswirkt . (e) Die beiden Skalen Handeln bei Notfällen und Organisation & Zusammenarbeit erreichten nicht in allen Erhebungszeitpunkten zufriedenstellende Reliabilitäten, weshalb entsprechende Befunde mit Vorsicht interpretiert werden sollten . Vor dem Hintergrund der berichteten Limitationen ergibt sich für zukünftige Untersuchungen vor allem die Implikation, Schulstationen im Rahmen von Kontrollgruppendesigns mit validierten (objektiven) Kompetenzmessverfahren zu evaluieren, welche Hinweise darauf geben können, ob dieses spezielle Lehr-Lernarrangement in höherem Maße als reguläre Praxiseinsätze zur Kompetenzentwicklung Auszubildender beiträgt . Wenn möglich, sollte ein solches Design mehr als ein Krankenhaus und verschiedene Ausgestaltungen von Schulstationen umfassen . Wünschenswert wären auch Datenerhebungen, die eine längere Zeit nach dem Ende der Schulstation stattfinden, um weitere Einblicke in die langfristige Wirkung dieses Lehr-Lernarrangements zu erhalten . Aufschlussreich könnten auch prozessbezogene Erhebungen sein, die im Vergleich zu retrospektiven Befragungen Daten während bzw . unmittelbar nach lernförderlichen Episoden auf der Schulstation erfassen, um Erinnerungseffekte und somit Wahrnehmungsverzerrungen zu vermeiden (Rausch, 2014) . Trotz der eingeschränkten Erklärungskraft der durchgeführten Studie lassen sich unterschiedliche Implikationen für die Praxis ableiten: (a) Bei der Umsetzung der Schulstation in Krankenhäusern sollten alle Akteur*innen vorab gut über den Zweck, die Durchführung und ihre Rolle in der Schulstation informiert werden . So können sich bspw . Ärzt*innen auf den veränderten Stationsbetrieb vorbereiten und während der Schulstation intendiert zusätzliche Erläuterungen anbieten, welche die Auszubildenden im Kompetenzerwerb unterstützen und von diesen auch als positiv erlebt werden . (b) Bereits ausgebildete Pflegefachkräfte sowie insbesondere Praxisanleiter*innen sollten den Auszubildenden in ausreichender Anzahl für Anleitung und Rückmeldung zur Verfügung stehen, jedoch nicht auf jede Frage direkt die Lösung anbieten, sondern den eigenständigen Problemlöseprozess unterstützen . Soweit vertretbar sollten Auszu-
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bildende die anfallenden Tätigkeiten selbst durchführen können, auch wenn dies bedeutet, dass Fehler nicht vollständig auszuschließen sind . Dies ist aus pädagogischen Erwägungen heraus sinnvoll und wurde von den Auszubildenden auch als Gelingensbedingung für den Kompetenzerwerb herausgestellt . Zusätzlich sollten hinreichend Angebote durch Teamsitzungen u . ä . zur Reflexion der Tätigkeit der Auszubildenden sowie für den erhöhten Abstimmungsbedarf zwischen allen Beteiligten geschaffen werden . (c) Die Auszubildenden sollten über Potenziale und Limitationen dieses speziellen Lehr-Lernarrangements vorab aufgeklärt werden . Darüber hinaus sollte ihnen erläutert werden, wie sie die kurze Zeit auf der Schulstation zur Kompetenzentwicklung bestmöglich nutzen können (z . B . proaktives Einholen von Feedback, Formulierung von Lernzielen) . In der Studie zeigte sich, dass aus Perspektive der Praxisanleiter*innen nicht alle Auszubildenden die verfügbaren Entwicklungschancen der Schulstation auch adäquat nutzten . (d) Soweit möglich, sollten auch reguläre Praxiseinsätze lernwirksam gestaltet werden . Hiermit ist gemeint, dass Auszubildende die ganze Bandbreite pflegerischer Tätigkeiten auf den jeweiligen Stationen gemäß ihres Lernstandes, flankiert durch Anleitung, Beratung und Feedback von Pflegefachkräften, übernehmen können . Daneben sollten diese im Praxisbetrieb nicht als reguläre Pflegefachkräfte gezählt werden, damit ihnen die benötigte Zeit zur Einübung von Tätigkeiten sowie zu deren Reflexion zur Verfügung steht . Wünschenswert ist auch die Ausweitung der Praxisanleitung im Dienst, sodass Auszubildende in ihrer beruflichen Entwicklung in den Praxiseinsätzen umfassender begleitet werden . Erfreulicherweise wurden hierzu erste Verbesserungen im neuen Pflegeberufegesetz bereits festgeschrieben . 7.
Fazit
Schulstationen stellen spezielle Lehr-Lernarrangements in der Ausbildung angehender Pflegefachkräfte dar . Und obgleich sowohl Akteur*innen der Praxis als auch der Wissenschaft diesem Lehr-Lernarrangement erhebliche Lernwirksamkeit unterstellen, war bisher wenig darüber bekannt, welche Kompetenzen Auszubildende durch die Teilnahme an Schulstationen entwickeln können . Der vorliegende Beitrag trägt mit einer Mixed-Methods-Replikationsstudie zur Schließung dieser Forschungslücke bei und bietet erste Erklärungsansätze für Kompetenzentwicklungsprozesse auf Schulstationen . Die berichtete Befundlage stimmt positiv: Vieles spricht dafür, dass die teilnehmenden Auszubildenden insbesondere einen Zuwachs der eigenen pflegerischen Handlungskompetenzen in den Facetten Helfen, Diagnostik & Patient*innenüberwachung, Handeln in Notfällen, Überwachung und Sicherstellung der Qualität medizinischer Versorgung und Stationäres Überblickswissen erleben . Uneindeutige Befunde kamen jedoch in Bezug auf den erlebten Kompetenzzuwachs der Facetten Beraten & Betreuen sowie Organisation & Zusammenarbeit zustande, da hier die in der ersten Stichprobe
Kompetenzerwerb auf der Schulstation
signifikante Kompetenzzuwächse während der Schulstation in der zweiten Stichprobe nicht repliziert werden konnten . Die erlebte Steigerung der eigenen Handlungskompetenz, welche in diesem Beitrag als Grundlage professionellen Handelns verstanden wird, wird durch die lernförderlichere Gestaltung der Schulstation im Vergleich zu den regulären Praxiseinsätzen erklärt . Hierauf weisen die Befunde aus den Interviews eindeutig hin . Mit anderen Worten tragen Schulstationen zur Professionalisierung angehender Pflegefachkräfte vor allem deshalb bei, da sie diesen die Übernahme einer Vielzahl unterschiedlicher Aufgaben und Tätigkeiten ermöglichen, auf welche die Auszubildenden in ihren typischen Praxiseinsätzen nur bedingt Zugriff haben . Schulstationen kompensieren somit zu einem gewissen Anteil die bekannten Defizite regulärer Praxiseinsätze während der Pflegeausbildung . Durch die Teilnahme an Schulstationen entsteht für Auszubildende Potenzial zu erfahrungsbasiertem Erwerb beruflicher Handlungskompetenzen im Sinne der Verknüpfung deklarativer und prozeduraler mit episodischen Wissensstrukturen, welche aus einer psychologisch-orientierten Perspektive als Grundlage erfolgreicher Professionalisierung verstanden werden kann (Besser & Kraus, 2009; Lehmann-Grube & Nickolaus, 2009; Mieg, 2008) . Gleichzeitig bleibt offen, ob sich der wahrgenommene Kompetenzzuwachs auch langfristig in einem objektiv messbaren Kompetenzerwerb und eine damit verbundene Professionalisierungsgrundlage manifestiert . Hierzu bedarf es weiterer Forschungsbemühungen, in denen die Auszubildenden bspw . zu einem späteren Zeitpunkt nach Abschluss der Schulstation erneut untersucht werden . Ein weiterer Forschungsbedarf liegt in der Übertragbarkeit der Ergebnisse . Die vorliegende Studie beschreibt den untersuchten Kontext zwar dicht, dennoch bleibt offen, inwiefern vergleichbare Untersuchungen anders konzipierter Schulstationen in anderen Krankenhäusern zu ähnlichen Resultaten führen . Wünschenswert wären auch Untersuchungen, welche Daten zu Lernanlässen in Schulstationen prozessbezogen, z . B . mittels Tagebüchern, erheben, da in der vorliegenden Studie aufgrund ihres Erhebungsdesigns nur retrospektive Einschätzungen erhoben werden konnte . 8.
Danksagung
Wir möchten uns vor allem bei Frau Kristin Dunsche und Frau Susanne Lewis für die Unterstützung bei der Datenerhebung bedanken .
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Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen in der Pflegeausbildung Ansätze im Forschungsprojekt EKGe EVELINE WITTMANN / ULRIKE WEYLAND / JULIA WARWAS / SUSAN SEEBER / MATTHIAS SCHUMANN
Operationalizing and Facilitating Coping and Collaboration Competencies in Nursing Education Approaches of the EKGe Project Kurzfassung: Die Erfassung und Förderung der Kompetenz angehender Pflegekräfte zur Bewälti-
gung belastender Situationen erscheint mit Blick auf den Berufsverbleib von Pflegekräften bedeutsam . Auch einer eng abgestimmten interprofessionellen Zusammenarbeit und einer entsprechenden Befähigung zur Kooperation mit anderen Berufsgruppen wird in der Pflege, z . B . angesichts der Multimorbidität älterer Patient*innen und Klient*innen, der technologischen Integration von Arbeitsabläufen usw . eine immer größere Bedeutung zuteil . Die neuen Rahmenpläne der Generalistischen Pflegeausbildung fordern dementsprechend Kompetenzen zum interprofessionellen Denken und Handeln sowie zur Bewältigung unvermeidbarer beruflicher Belastungen ein . Systematische empirische Befunde dazu, wie diese Kompetenzen in der nicht-akademischen Pflegeausbildung gefördert werden können, sowie konsistente theoretische Modellierungen und Operationalisierungen dieser Kompetenzen stehen allerdings aus . Im Beitrag beschreiben wir den konzeptuellen Ansatz des in der BMBF-Förderinitiative ASCOT+ geförderten Projekts EKGe, in dem diese Kompetenzfacetten sowie patient*innen-/bewohner*innenbezogenen Kompetenzfacetten vertiefend in ihrem berufsausbildungsspezifischen Verursachungskontext untersucht werden . Dabei soll zugleich ein Beitrag zum Transfer in Lehr-Lern-Situationen durch die Entwicklung von digital gestützten Lehr-Lern-Einheiten zur Förderung der Bewältigungskompetenz geleistet und evidenzbasierte Impulse für die Ausbildung in Praxiseinrichtungen und für die
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EVELINE WITTMANN / ULRIKE WEYLAND / JULIA WARWAS / SUSAN SEEBER / MATTHIAS SCHUMANN
Ordnungsarbeit geliefert werden . Das Projekt leistet damit auch einen Beitrag zur Umsetzung der curricularen Zielsetzungen und gibt Anstöße zur curricularen Weiterentwicklung . Schlagworte: Interprofessionelle Kooperation, Belastung, Kompetenz, Berufsausbildung, Pflege, Ausbildungsbedingungen Abstract: Testing and enhancing the competence of prospective nurses to cope with stressful sit-
uations appears to be significant with regard to the career retention of nurses . Closely coordinated interprofessional cooperation and the corresponding ability to cooperate with other professional groups are also becoming increasingly important in nursing, e . g . in view of the multimorbidity of older patients and clients, the technological integration of work processes, etc . The new curriculum for generalist nursing training accordingly calls for competencies in the field of interprofessional cooperation as well as for coping with unavoidable professional stress . However, systematic empirical findings on how these competencies can be supported in non-academic nursing education as well as consistent theoretical modeling and operationalization of these competencies are lacking . In this article we describe the conceptual approach of the project EKGe, funded by the BMBF initiative ASCOT+, in which these competencies as well as patient/resident-related competencies are investigated in-depth in their vocational training-specific causal context . At the same time, the project contributes to the transfer in teaching-learning situations through the development of digitally supported teaching-learning units for the promotion of coping competence, and evidence-based impulses for training in practical institutions and for regulatory work are to be provided . The project thus also contributes to the implementation of the curricular objectives and aims to provide impetus for curricular further development . Keywords: interprofessional collaboration, stress, competencies, VET, nursing, training conditions
1.
Einführung
In der Pflege führen Fachkräftemangel und personelle Unterbesetzungen zu erheblichen Arbeitsbelastungen und erhöhter psychischer Beanspruchung (Isfort et al ., 2016; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018) . Die Erfassung und Förderung der Kompetenz angehender Pflegekräfte zur Bewältigung dieser belastenden Situationen erscheint gleichzeitig mit Blick auf den Berufsverbleib von Pflegekräften bedeutsam; sie ist damit für die langfristige Sicherung des Fachkräftebedarfs im Bereich der Pflegeberufe besonders gesellschaftlich virulent (z . B . Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018) . Auch einer eng abgestimmten interprofessionellen Zusammenarbeit und einer entsprechenden Befähigung zur Kooperation mit anderen Berufsgruppen wird in der Pflege, z . B . angesichts der Multimorbidität älterer Patient*innen und Klient*innen, der technologischen Integration von Arbeitsabläufen usw . eine immer größere Bedeutung zuteil (z . B . Sachverständigenrat, 2007; Robert Bosch Stiftung, 2011; Isfort et al ., 2016) .
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen
Die Generalistische Pflegeausbildung bietet dafür außerdem einen neuen Ausbildungskontext: Die neuen Rahmenpläne zur Pflegeausbildung fordern u . a . Kompetenzen zum interprofessionellen Denken und Handeln sowie zur Bewältigung unvermeidbarer beruflicher Belastungen ein1 . Systematische empirische Befunde dazu, wie diese Kompetenzen in der nicht-akademischen Berufsausbildung gefördert werden können, stehen bislang allerdings aus . Insbesondere fehlen auch konsistente theoretische Modellierungen und Operationalisierungen dieser Kompetenzen für die nichtakademische Berufsausbildung in der Pflege . Im vorliegenden Beitrag beschreiben wir den konzeptuellen Ansatz des BMBF-Projekts „Erweiterte Kompetenzmessung im Gesundheitsbereich“ (EKGe), in welchem die Entwicklung beruflicher Handlungskompetenz in der Pflegeausbildung und ihrer Bedingungsfaktoren empirisch untersucht werden sollen . Die im Projekt gewählten Zugänge zur Erfassung von Kompetenzen im Umgang mit berufsfeldtypischen psychischen Belastungen sowie in der Zusammenarbeit mit weiteren Berufsgruppen entstanden vor dem Hintergrund einer defizitären (inter-)nationalen Forschungslage sowie theoriegeleiteten Vorarbeiten der Projektbeteiligten, die nachfolgend zuerst erläutert werden, um hieraus die spezifische Zielsetzungen des EKGe-Ansatzes zu begründen . 2.
Zum Stand der Forschung
Wir gehen im Folgenden auf den internationalen und nationalen Forschungsstand zur Bewältigungskompetenz und zur interprofessionellen Kooperationskompetenz unter der Perspektive von Defiziten der empirischen Befundlage ein . 2.1
Bewältigungskompetenz für pflegetypische Belastungen
Die durch Spezifika des Pflegeberufs systematisch erhöhte negative psychische Beanspruchung der Pflegekräfte wirkt sich der Befundlage zufolge u . a . auf das Pflegeverhalten, mithin die Versorgungsqualität aus (Sarafis et al ., 2016) und beeinträchtigt auch deren eigene, gesundheitsbezogene Lebensqualität (Oyama & Fukaori, 2015; Sarafis et al ., 2016) . So geht etwa berufliches Stressempfinden mit einer geringeren moralischen Sensitivität im Pflegesetting einher (Bégat, Ellefsen, & Severinsson, 2005) . Darüber hinaus ergeben sich auch arbeitsklimatische Verschlechterungen im Team mit indirekten Folgewirkungen für die Versorgungsqualität (Rowe & Sher-
S . die neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeausbildung (PflAPrV, Anlage 2, Kompetenzbereiche III und V vom 13 .06 .2018) .
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lock 2005) . Hinzu kommt eine Zunahme von Fehl- und Krankheitstagen (Isfort et al ., 2016) . In der empirischen Forschungsliteratur wird eine Reihe von spezifischen Merkmalen des Berufs identifiziert, die psychische Fehlbeanspruchungen wie bspw . Stressempfinden begünstigen . Hierzu gehören die Konfrontation mit Sterben und Tod, die Ungewissheit bzgl . der Wirksamkeit von Behandlungen sowie Probleme mit Vorgesetzten oder Patient*innen und Angehörigen (Isfort, 2017; Sarafis et al ., 2016; Glaser & Höge, 2005) . Die Forschungslage verdeutlicht mithin, dass der individuelle Umgang mit diesen Stressoren (Belastungsfaktoren) einen in der Praxis hochgradig relevanten, berufs- und berufsfeldspezifischen Kompetenzaspekt darstellt . Oyama und Fukaori (2015) führten ein systematisches Literaturreview zu Einflussfaktoren der gesundheitsbezogenen Lebensqualität bei Pflegekräften in der internationalen empirischen Forschung durch . Im Ergebnis wird deutlich, dass (1) sich eine mentale und eine physische berufsbedingte Stresskomponente differenzieren lassen; (2) Stressbewältigung eine wichtige Strategie der Erhaltung der Gesundheit darstellt; (3) eine Vielzahl relevanter betrieblicher Einflussbedingungen wie Arbeitszeiten, Handlungsfreiheit und soziale Unterstützung identifiziert werden können; (4) mit einer Ausnahme alle verwerteten Untersuchungen den Zusammenhang über ein querschnittliches Design abbildeten und dementsprechend nicht zur Abbildung von Veränderungsursachen geeignet waren . Aus Sicht von Oyama und Fukaori (2015) sind systematische evidenzbasierte Strategien für die Unterstützung der psychischen Gesundheit der Pflegekräfte erforderlich . Hart, Brannan und De Chesnay (2014) identifizierten auf Basis eines systematischen Literaturreviews qualitativer und quantitativer Studien zur Resilienz von Pflegekräften begünstigende individuelle Verhaltensweisen . Diese haben u . a . Strategien zum Umgang mit Emotionen und der Bewältigung belastender Situationen zum Gegenstand und können in eine Intervention sowie in ein technologiegestütztes Assessment gewinnbringend einfließen (z . B . cognitive reframing, skill recognition) . Die Instrumente der identifizierten quantitativen Studien basierten jeweils auf Likert-Skalen zur Selbsteinschätzung . Hiermit übereinstimmend identifizierte auch ein systematisches Literaturreview von Gillman et al . (2015) als gesundheitsförderliche Strategien der Vorbereitung von Pflegekräften in palliativen und onkologischen Settings Erziehung und Training zur Stressbewältigung sowie Unterstützung bei der Emotionsverarbeitung und dem Lernen aus Erfahrung . Als wichtige Rahmenbedingungen werden organisationale Unterstützung in der Pflegeeinrichtung bzw . Beziehungen im Team herausgestellt (z . B . auch Kim et al ., 2017; Battistelli, Galletta, Vandenberghe, & Odoardi, 2016) . Dies unterstreicht die Notwendigkeit, den organisationalen Wirkungskontext mit zu erfassen . Der Forschungsstand legt also nahe, die Bewältigungskompetenz gerade bezogen auf die psychische Gesundheit bereits im Rahmen der Berufsausbildung zu unterstützen, wie dies auch die hier nicht ausführlicher diskutierten pflegeberuflichen Curri-
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen
cula vorsehen (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020) . Für den Nachweis des Erfolgs entsprechender Maßnahmen ist allerdings die Entwicklung möglichst psychometrisch fundierter, valider Testinstrumente unabdingbar, die insbesondere auch für den Kontext der beruflichen Erstausbildung in Deutschland bislang nicht vorliegen (vgl . ausführlich Kaspar et al ., 2016) . In Verbindung mit Konzepten der allgemeinen Stressbewältigung erscheint hier ein berufsfeldspezifischer Zuschnitt, also eine enge Rückbindung an konkrete Situationen in Pflegeeinrichtungen und an typische strukturelle Merkmale der beruflichen Tätigkeit, erforderlich (Wittmann, Kaspar, & Döring, 2017; Wittmann et al ., 2014) . Eine vergleichbare Situation liegt für die interprofessionelle Kooperationskompetenz vor, auf die wir im Folgenden genauer eingehen . 2.2
Interprofessionelle Kooperationskompetenz
Auch interprofessionelle Kooperation wird im Zusammenhang mit der Verbesserung effizienter Patient*innenversorgung und der Versorgungssicherheit als Erfordernis herausgestellt (Zwarenstein, Goldman, & Reeves, 2009; z . B . Programm „Operation Team“ der Robert Bosch Stiftung, 2020; Thierfelder & Wildt, 2018; Ewers, 2018) . Als eher schwach gilt allerdings die Befundlage zu den Auswirkungen interprofessioneller Kooperation sowie entsprechender Trainings- und Förderinterventionen in verschulten Settings (Reeves et al ., 2016; auch Thislethwaite, Moran, & WHO Study Group on Interprofessional Education, 2010) und in Praxissettings auf die Qualität von Versorgungsprozessen und patient*innenbezogenen Ergebnissen (Reeves, Pelone, Harrison, Goldman, & Zwarenstein, 2017) . Unklar ist, welche Qualitätsstandards existierenden Studien zugrunde liegen und ob deren Ergebnisse auf den deutschen Kontext transferiert werden können (vgl . z . B . das theoretische Konzept von Kiesewetter et al ., 2016), unter anderem mit Blick auf nicht-akademische Ausbildungskontexte sowie die traditionelle Ausdifferenzierung in Gesundheits- und Krankenpflege und Altenpflege . Ebenso beklagt wird hinsichtlich der Umsetzung interprofessionellen Lehrens, Lernens und Arbeitens im deutschsprachigen Raum, dass es an einer fundierten bildungswissenschaftlichen Auseinandersetzung bzw . berufspädagogisch-theoretischen Reflexion fehle (Ewers, 2018) . Unterschiedliche Berufsgruppen des Berufsfeldes Gesundheit nehmen dabei je verschiedene, spezifische Rollen ein; diversen Studien zufolge machen Teams weniger Fehler, wenn eigene und fremde Verantwortlichkeiten im Team jeweils klar sind (Reeves et al ., 2017) . Internationale empirische Befunde legen darüber hinaus nahe, dass der Kontext in der Praxiseinrichtung Einfluss auf interprofessionelles Kooperationsverhalten, insbesondere Vertrauen, Führungsmerkmale und geringe Hierarchien, hat (Regan, Laschinger, & Wong, 2016) .
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Instrumente zur Messung von Kooperationskompetenz für die interprofessionelle Zusammenarbeit unterschiedlicher Berufsgruppen des Gesundheitswesens beziehen sich i . d . R . auf Einschätzskalen zur Kooperation (z . B . Role Perception Questionnaire/RPC, Mackay, 2004; Modified Index for Interdisciplinary Collaboration/MIIC, Oliver, Wittenberg-Lyles, & Day, 2007) oder basieren auf einer Erfassung mittels klinischer Beobachtungen in realen oder simulierten Settings (Havyer et al ., 2016) . Ersteres erscheint aufgrund der angestrebten psychometrischen Qualität der Instrumente unzureichend, Zweiteres wäre für die digitale Umsetzung entwickelter Testinstrumente nicht praktikabel, die für breiter angelegte, systematische quantitative Studien zu diesem komplexen Kompetenzkonstrukt erforderlich wäre . Darüber hinaus basieren die verwendeten Instrumente auf heterogenen theoretischen und operationalen Definitionen interprofessioneller Kooperation, welche von auf die Erhaltung der Gesundheit von Patient*innen und Bevölkerung gerichteten Kommunikationszielen bis hin zu aktuellem Verhalten gesamter Teams reicht (Havyer et al ., 2016; vgl . z . B . auch Kiesewetter, Semmelies, Saravo, Fischer, & Wershofen, 2014; Bronstein, 2002) . Aus dem deutschsprachigen (Mahler, Berger, & Reeves, 2015) und internationalen Kontext (Schmitz & Brandt, 2015) sind dementsprechend Zweifel an der Konstruktvalidität vorliegender Instrumente, insbesondere der psychometrischen Qualität der Subskala der häufig eingesetzten „Readiness for Interprofessional Learning Scale“ (RIPLS) zu Rollen und Verantwortlichkeiten (Mahler et al ., 2015), formuliert worden . Kritikpunkte betreffen zudem die Passung für den Entwicklungsstand von Proband*innen in der nichtakademischen Ausbildung sowie Fragen sozialer Erwünschtheit (Schmitz & Brandt, 2015) . Für den deutschsprachigen Raum entwickelten Kiessling et al . (2016) ein als Situational Judgement Test angelegtes, computerbasiertes Testinstrument zur Testung der Kommunikationskompetenzen von Medizinstudierenden im Bereich geteilter Entscheidungsfindung; fraglich ist allerdings ebenfalls die Passung für die hier thematisierte Zielpopulationen – nichtakademisch ausgebildete oder auszubildende Pflegekräfte – und den Gegenstand, d . h . Kooperationskompetenz für die interprofessionelle Zusammenarbeit . Das Literaturreview von Foronda, MacWilliams und MC Arthur (2016) zu interprofessioneller Kommunikation im Gesundheitsbereich stellt hierbei funktionierende Kommunikation als Voraussetzung für effektive interprofessionelle Kooperation heraus und verweist darüber hinaus auf Konsequenzen für eine wirksame Patient*innenversorgung, etwa durch zeitlich verzögerte Ausführung medizinischer Anweisungen . Es enthält eine systematische Aufarbeitung wechselseitiger Frustrationen von Pflegekräften und Ärzt*innen mit typischem Kommunikationsverhalten der jeweils anderen Berufsgruppe, die sich zu erheblichen Teilen aus rollentypischen Kommunikationsmustern ergeben (Wittmann, 2001); zu nennen sind hier unter anderem das Adressieren wahrgenommener Unterschiede in der Hierarchie sowie die Unfähigkeit, die Relevanz pflegerischer Zielsetzungen in der Kommunikation zu ver-
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen
deutlichen (zu Ansatzpunkten wirksamer Strategien vgl . z . B . das Konzept „lateraler Führung“ zu Beeinflussungsstrategien in abhängigen Berufsrollen; Schmidt-Huber, Netzel, & Kiesewetter, 2017) . Genannt werden in den bei Foronda et al . (2016) aufgearbeiteten Studien aber auch Unterschiede in der Strukturierung von Information, was auf Ärzt*innenseite als desorganisierte Präsentation von Information oder als Präsentation irrelevanter Information wahrgenommen werden kann (zur Relevanz der Informationsdarstellung und Weitergabe siehe auch Kiesewetter, Fischer, & Fischer 2017) . Insgesamt verweist der Forschungsstand wie für die Bewältigungskompetenz auch für die interprofessionelle Kooperationskompetenz auf mögliche Unterstützungsbedarfe im Rahmen der Berufsausbildung, wie dies auch hier die neuen pflegeberuflichen Curricula vorsehen (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020) . Für den Nachweis des Erfolgs entsprechender Maßnahmen ist allerdings die Entwicklung möglichst psychometrisch fundierter valider Testinstrumente unabdingbar, die bislang nicht vorliegen . Auch kann hier der Forschungsstand so gekennzeichnet werden, dass noch größere Klärungsbedarfe bezüglich des Konstrukts selbst vorliegen . In Verbindung mit Konzepten der allgemeinen Stressbewältigung erscheint hier eine berufsfeldbezogene theorie- und empiriegeleitete Konstruktentwicklung, die auch für die interprofessionelle Kooperationskompetenz einer engen Rückbindung an typische strukturelle Merkmale der pflegeberuflichen Tätigkeit sowie eines diesbezüglich situierten Ansatzes bedarf (Wittmann et al ., 2017; Wittmann et al ., 2014) . Systematische empirische Forschung zu den hier behandelten Thematiken ist dabei vor allem in internationalen Publikationen zu finden, wobei anzumerken ist, dass dort im Regelfall eher nicht zwischen unterschiedlichen Settings der Pflege wie stationärer Krankenpflege, stationärer Altenpflege und ambulanter Pflege differenziert wird, wie sie im deutschen Kontext auch in der historischen Berufsentwicklung abgebildet war . Grundsätzlich kann vermutet werden, dass Stressoren und Kooperationsanreize und die Ausprägung entsprechender Kompetenzen zwischen diesen Settings substanziell variieren können . Gleichzeitig steht eine fundierte Forschungsentwicklung zu Differenzierungen zwischen diesen Settings noch aus . Die dargestellte Befundlage bildet den Hintergrund für die Entwicklung des im Rahmen der BMBF-Intiative ASCOT+ geförderten Forschungsvorhabens Erweiterte Kompetenzmessung im Gesundheitsbereich (EKGe), auf das wir in Kapitel 4 genauer eingehen . Im folgenden Kapitel erläutern wir als Hintergrund zunächst anhand von Vorarbeiten, die im Rahmen des in der BMBF-Initiative ASCOT geförderten Projekts TEMA durchgeführt wurden, den konzeptuellen Rahmen einschließlich der Desiderate, der auch dem Ansatz des EKGe-Projekts zugrunde liegt .
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3.
Hintergrund des Projektvorhabens EKGe – konzeptuelle Vorarbeiten und Desiderate
3.1
Operationalisierung berufsfachlicher Handlungskompetenzen für die nichtakademische Pflegeausbildung
Im Projekt „Entwicklung und Erprobung von technologieorientierten Messinstrumenten zur Feststellung der beruflichen Handlungskompetenz in der Pflege älterer Menschen“ (TEMA), welches im Rahmen der BMBF-Förderinitiative ASCOT durchgeführt wurde, wurde für die Pflegeberufe (Gesundheits- und Krankenpfleger*in, Altenpfleger*in) ein heuristisches Kompetenzmodell mit drei Kompetenzbereichen (patienten-/bewohnerbezogener, organisationsbezogener und selbstbezogener Kompetenzbereich) ausdifferenziert (Wittmann et al ., 2014) . Aufgrund der zentralen Bedeutung bewohner-/ patientennahen Handelns für die Berufsausübung und aus zeitökonomischen Gründen wurde die empirische Kompetenzmodellierung auf den bewohner-/patientenbezogenen Kompetenzbereich begrenzt, während eine Operationalisierung des organisationsbezogenen und des selbstbezogenen Kompetenzbereichs nicht geleistet werden konnte . Im Endergebnis wurden ein über Domänenmodellierungen curricular und durch Experten validiertes heuristisches Kompetenzmodell, Situationen und Aufgaben konstruiert . Diese wurden in komplexen video- oder simulationsbasierten technologischen Umgebungen handlungsorientiert umgesetzt, auf der Basis der probabilistischen Testtheorie skaliert und empirisch in der Altenpflege auf hierfür relevante Reliabilitätskriterien geprüft sowie konstruktvalidiert . Mittlerweile vorliegende Befunde aus der Gesundheitsund Krankenpflege (Ries, 2020) unterstützen die Konstruktvalidität und Reliablität auch für diesen Bereich und unterstreichen damit die grundsätzliche Verwendbarkeit auch für eine generalistische Ausbildung . Ein zentrales Defizit des TEMA-Projekts zur Testung der berufsfachlichen Handlungskompetenz ist jedoch, dass die organisationsund selbstbezogenen Bereiche des heuristischen Kompetenzmodells aus Gründen der Zeitintensität zur Entwicklung eines solchen Testinstruments, die den Ansatz zur Operationalisierung der Kompetenzfacette, die Situations- und Aufgabenmodellierung sowie Pilotierung und Pretestung umfassen müsste – im Projektzeitraum des TEMAProjekts nicht umgesetzt werden konnten (Wittmann et al ., 2017; Kaspar et al ., 2016; Wittmann et al ., 2014) . Das aufwändige Vorgehen entspricht hierbei Vorgehensweisen für die psychometrisch fundierte Entwicklung von Kompetenztests im beruflichen Bereich, wie sie gegenwärtig auch in anderen Berufsfeldern erfolgt (s . genauer Abele et al ., 2021) und stellt eine „Vorlage“ für die Kompetenzmodellierung im EKGe-Projekt dar . In Zusammenhangsanalysen mit dem SiKoFak2-Instrument zur Erfassung der Kontextbedingungen ergaben sich signifikante Zusammenhänge der Testleistungen mit
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„Systemische und individuelle Kontextfaktoren der beruflichen Ausbildung“ (SiKoFak)
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen
dem Involviertsein der Testpersonen in Aufgabenfelder der Pflege akut chronisch erkrankter oder dementer alter Menschen und Menschen in besonders schweren Situationen sowie der Durchführung ärztlicher Anordnungen, während die Pflege und Mitwirkung bei Erst- und Hausbesuchen und die Vermittlung von Hilfen und Beratungsangeboten an Pflegebedürftige und Bezugspersonen erwartungswidrig negative Zusammenhänge zur berufsfachlichen Handlungskompetenz aufwiesen (Wittmann et al ., 2015) . Dies spricht dafür, dass das TEMA-Instrument in besonderem Maße vor allem den pflegerischen Umgang mit altersspezifschen Krankheitsbildern und weniger den umfeldbezogenen Umgang mit älteren Menschen abbildet (Wittmann et al ., 2015) . Zwar erfolgte im Projekt TEMA auch eine Operationalisierung sozial-kommunikativer Kompetenzaspekte, die bezogen auf Patient*innen/Bewohner*innen als Bestandteil der berufsfachlichen Kompetenz modelliert wurde (Wittmann et al ., 2014), wobei grundsätzlich angenommen werden kann, dass gelingende Kommunikation eine wesentliche Voraussetzung für eine zielführende interprofessionelle Kooperation im Gesundheitsbereich darstellt (Foronda et al ., 2016) . Nicht operationalisiert wurde in TEMA jedoch der im organisationalen oder intra-organisationalen Bereich angesiedelte kompetente Umgang mit professionellen Akteur*innen anderer Berufsgruppen im Gesundheitswesen in verschiedenen berufstypischen Handlungssituationen . Zur Operationalisierung der sozial-kommunikativen Kompetenzaspekte wurde außerdem auf psychologische Konstrukte der Emotionsforschung zurückgegriffen (z . B . empathische Akkuratheit, Kommunikation empathischen Verständnisses, Regulation des eigenen Emotionsausdruckes) (Wittmann et al ., 2017; Kaspar et al ., 2016) . Allerdings beziehen sich die operationalisierten emotionsbezogenen Merkmale sämtlich auf die Wahrnehmung der Emotionen der zu Pflegenden bzw . der Patient*innen oder den Emotionsausdruck gegenüber Patient*innen/Bewohner*innen und deren Angehörigen . Demgegenüber fehlt der in der pflegewissenschaftlichen Literatur auch unter dem Begriff „Emotionsarbeit“ bzw . „psycho-social work“ thematisierte (z . B . Gillman et al ., 2015), auf die eigene Gesunderhaltung gerichtete Umgang mit wahrgenommenen Emotionen und dem eigenen Emotionsausdruck (vgl . Kaspar & Hartig, 2016), dem gerade in durch interaktive Arbeitsanteile bestimmten Dienstleistungsberufen hohe Bedeutung zukommen dürfte (Seeber & Wittmann, 2017), ebenso wie der präventive und retrospektive kompetente Umgang mit emotional belastenden Situationen (siehe dazu auch Kaspar & Hartig, 2016) . Neben der in diesem Projektvorhaben vorgesehenen Operationalisierung der interprofessionellen Kooperationskompetenz und der Bewältigungskompetenz stellt sich vor dem Hintergrund der in Kapitel 2 herausgearbeiteten Defizite des diesbezüglichen Forschungsstandes die Frage nach Möglichkeiten der zielgenauen Förderung dieser Kompetenzen in der Berufsausbildung von Pflegekräften und deren empirischer Erforschung . Auch hier stellen wir als Grundlage die Erläuterung des Ansatzes im Pro-
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jekt EKGe zunächst Befunde des Vorläuferprojekts SiKoFak dar, das im Rahmen der ASCOT-Initiative mit dem Projekt TEMA kooperierte . 3.2
Kompetenzförderliche Merkmale in der Pflegeausbildung
In der Förderinitiative ASCOT wurden mit dem Projekt „Systemische und individuelle Kontextfaktoren der beruflichen Ausbildung“ (SiKoFak) in Zusammenarbeit mit dem TEMA-Verbund querschnittlich Zusammenhänge zwischen Kontextbedingungen, Bedingungen in Praxiseinrichtungen und schulischen Bedingungen, und der berufsfachlichen Handlungskompetenz am Ende der Berufsausbildung untersucht, unter Einbezug individueller Merkmale . Allerdings erfolgte die Untersuchung als Querschnittsstudie, was grundsätzlich die Frage offen lässt, wovon Unterschiede bezogen auf die gemessenen Kompetenzen abhängig sind . In die Untersuchung einbezogen wurden strukturelle Merkmale wie schulische Curricula, die Professionalität des Ausbildungspersonals und Beziehungen zum anderen Lernort, ebenso wie aufgabenund interaktionsbezogene Merkmale, für die als theoretisch-konzeptionell postulierte Merkmale die empirische Evidenz bezüglich der Wirkungen unklar war (Baethge & Seeber, 2016; auch Wittmann et al ., 2015) . Dabei wurden zwar sprachliche Anpassungen an die beruflichen Domänen vorgenommen, aber zum Zwecke der Vergleichbarkeit zwischen den Berufen wenig auf mögliche Berufsfeldspezifika geachtet . Erfasst wurden über die Lernmotivation und die Einstellungen zur Arbeit und Beruf schließlich auch individuelle Bedingungen des Engagements, allerdings mit Kategorien, die eher wenig Rückschlüsse auf den Umgang mit konkreten Ausbildungsmerkmalen zulassen (Baethge & Seeber, 2016) . Insgesamt zeigten sich für das TEMA-Instrument nur wenige positive Zusammenhänge zwischen den durch SiKoFak erhobenen Ausbildungsbedingungen in Praxiseinrichtungen mit den gemessenen Kompetenzdimensionen (Baethge-Kinsky, Baethge, & Lischewski, 2016) . Kein Zusammenhang wurde bezüglich der zeitlichen und inhaltlichen Autonomie der Auszubildenden in den Praxiseinrichtungen gefunden . Darüber hinaus sind erklärungsbedürftige erwartungswidrige Zusammenhänge zu verzeichnen, z . B . für die Frage, ob sich betriebliche Praxisanleiter*innen nach schulischen Ausbildungsinhalten erkundigten, die möglicherweise durch negative Einflüsse der beruflichen Handlungskompetenz auf die retrospektive Einschätzung betrieblicher Ausbildungsbedingungen erklärbar sind . Dies deckt sich insgesamt mit Problematiken, wie sie in der Forschung zum Lernen am Arbeitsplatz in der Berufsausbildung auch in anderen Berufsfeldern auftreten (s . ausführlich Wittmann et al ., 2015) . Die Befunde zum Einfluss der Ausbildungsbedingungen in Praxiseinrichtungen verdeutlichen also die nach wie vor bestehende Forschungslücke zu Zusammenhängen zwischen diesen Einflussfaktoren und der Kompetenzentwicklung (Wittmann
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen
et al ., 2015) . Ganz abgesehen davon, dass in der Forschungsinitiative ASCOT nur querschnittliche Analysen vorgenommen wurden, die eine Kausalzuschreibung von Effekten der Ausbildungsbedingungen auf die Kompetenzausprägung per se ausschließen, zeigten die Zusammenhangsanalysen in nahezu allen Projekten der Forschungsinitiative allenfalls moderate Effekte (Baethge-Kinsky & Baethge, 2016) . Dieser Umstand dürfte vor allem auf die retrospektive Erfassung und Analyse von eher distalen (Rahmen-)Bedingungen der Ausbildung zurückzuführen sein, was eine prozessnähere Erhebung betrieblicher Ausbildungsmerkmale und einen verstärkten Zuschnitt auf das unmittelbare berufliche Handlungsumfeld nahelegt (Wittmann et al ., 2015; vgl . dazu auch Arbeiten von Rausch, 2012; 2013) . Auch im subjektiven Umgang mit Ausbildungsmerkmalen könnten – bislang kaum untersuchte – Erklärungsvariablen liegen, die für Analysen zur Ausbildungsqualität in Praxiseinrichtungen der Pflegeausbildung fruchtbar gemacht werden könnten (z . B . Bauer & Mulder, 2013; auch bereits Wittmann, 2001) . Insgesamt erlauben die Befunde aufgrund der Anlage als Querschnitt aber auch für die Gestaltung schulischer Bedingungen keine Aussagen zu kausalen Zusammenhängen . 3.3
Zwischenfazit
Der Forschungsstand legt für das Projekt EKGe also zunächst die Ausdifferenzierung des Konstrukts Kooperationskompetenz für die interprofessionelle Zusammenarbeit durch Domänenanalysen nahe, einschließlich der Detailsichtung der Literatur und von Interviews mit Expert*innen der Berufsfeldpraxis, sowie die Entwicklung von für den Entwicklungsstand von Pflegeauszubildenden in Deutschland geeigneten, psychometrisch von pauschalen subjektiven Einschätzungen möglichst unabhängigen Testinstrumentarien . Für die Bewältigungskompetenz liegen hinreichende Vorarbeiten für die Entwicklung einer auf die Berufsausbildung im Berufsfeld zugeschnittenen Intervention vor, die, wie vorstehend bereits begründet, im Projektvorhaben für die Pflegeausbildung zusätzlich zum Erhebungsinstrument konstruiert werden soll . Darüber hinaus ergeben sich aus der vorliegenden Forschung auch für beide Kompetenzen Hinweise zu möglicherweise förderlichen Bedingungen der Ausbildung in Praxiseinrichtungen . Die offene Frage des Einflusses von Ausbildungsbedingungen in Praxiseinrichtungen wäre über ein differenzierteres und prozessnahes Design mit kurzem Längsschnitt genauer zu untersuchen (z . B . Rausch, Schley, & Warwas, 2015) . Besonders stellt sich auch die Frage nach der inhaltlichen Gültigkeit der rückblickend-summativen Erfassung von Merkmalen für den Bereich der Pflege, in der z . B . restriktive Arbeitsbedingungen wie Zeitmangel als wesentliche Belastungsfaktoren in der Ausbildung genannt werden (z . B . ver .di, 2015) . Diese Bedingungen gelten auch für einen vorzeitigen Berufsausstieg aus der Pflege als relevant (z . B . Isfort et al ., 2016; Hasselhorn et al ., 2005), mithin für die eingangs angesprochene Fachkräftethematik .
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Auch wenn die hierfür zu leistende Entwicklungsarbeit als nicht unerheblich eingestuft werden muss, legen die in Kapitel 2 dargelegten Befunde außerdem eine systematische Förderung der Bewältigungskompetenz in der schulischen Pflegeausbildung nahe, wobei ergänzend angemerkt werden kann, dass bislang verfügbare, wissenschaftlich evaluierte Bewältigungstrainings eine große inhaltliche wie auch methodische Bandbreite aufweisen und noch nicht für charakteristische Arbeitssituationen in den Gesundheitsberufen konkretisiert wurden, insbesondere für den Kontext der Berufsausbildung in der Pflege (im Überblick z . B . Milek & Bodenmann, 2018) . In der Pflege können, wie die zuvor referierten Befunde zeigen, spezifische Belastungen aus der in der sozialen Interaktion erforderlichen Emotionsregulation und aus der Empathie für die Situation der Patient*innen und Bewohner*innen resultieren (vgl . weiterführend auch Seeber & Wittmann, 2017; Krell, Worovka, Simon, Wittmann, & Purwins, 2015), die aufgrund der aufgezeigten praktischen Bedeutsamkeit eine spezifische Förderung im Rahmen der Berufsausbildung nahelegen . Das im Folgenden dargestellte Projekt EKGe befasst sich dementsprechend mit der Modellierung und Operationalisierung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenz sowie mit Möglichkeiten ihrer Förderung . 4.
Der Ansatz im Verbundprojekt EKGe
Im Verbundprojekt EKGe werden digitale Testinstrumente für die Bewältigungskompetenz für pflegetypische Belastungen und die interprofessionelle Kooperationskompetenz entwickelt, wobei eine längerfristige Zielsetzung im konsequenten Ausbau validierter Verfahren zur Messung unterschiedlicher Facetten der berufsfachlichen Handlungskompetenz in der Pflege liegt . Mit der berufsbezogenen Bewältigungskompetenz angehender Pflegekräfte wird eine selbstbezogene Komponente beruflicher Handlungskompetenz adressiert, die angesichts der psychischen Beanspruchung der in den Gesundheitsberufen tätigen Personen mit Blick auf die langfristige Sicherung des Fachkräftebedarfs besonders im Bereich der Pflegeberufe gesellschaftlich virulent erscheint (z . B . Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2018) . Verstanden im Sinne einer individuellen Befähigung zur Bewältigung von berufstypischen psychischen Belastungsfaktoren mit dem Ziel der Erhaltung der eigenen psychischen Gesundheit wird diese Kompetenzdimension folgerichtig mithilfe sogenannter Belastungs-Bewältigungs-Modelle theoretisch durchdrungen und beinhaltet kurz- und langfristige, funktionale Strategien der mentalen, instrumentellen und palliativ-regenerativen Bewältigung, die auch Techniken der Emotionsregulation umfassen . Mit der Hervorhebung der Kooperationskompetenz für die interprofessionelle Zusammenarbeit wird auf das Erfordernis verstärkter Kooperation und Kommunikation der im Berufsfeld Tätigen mit Akteur*innen anderer Berufe im organisationalen/ins-
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen
titutionellen Kontext reagiert . Einer eng abgestimmten interprofessionellen Zusammenarbeit wird in den Gesundheitsberufen und insbesondere im Pflegebereich angesichts der Multimorbidität älterer Patient*innen, der technologischen Integration von Arbeitsabläufen usw . eine immer größere Bedeutung zuteil (z . B . Sachverständigenrat, 2007; Robert-Bosch-Stiftung, 2011; Isfort et al ., 2016) . Diese Kooperationserfordernisse werden im Projekt für die Pflege aus rollentheoretischem Blickwinkel durchdrungen und bezogen auf den rechtlich-institutionellen und fachlichen Kontext der Pflege modelliert (z . B . adäquates Verständnis der eigenen Berufsrolle, Übernahme anderer fachlicher (inkl . fachsprachlicher) Perspektiven, rollenadäquate Kommunikationsstrategien in institutionell hierarchisch geprägten Kontexten) (vgl . z . B . Wittmann, 2001) . Mit Blick auf die Zielgruppe der Auszubildenden in nichtakademischen Ausbildungsberufen wird Kooperationskompetenz für die interprofessionelle Zusammenarbeit gefasst als die Befähigung, Wissen über seine eigene Rolle und die anderer gesundheitsberuflich Tätiger zu nutzen, um eine angemessene Beurteilung von Pflege- und Versorgungsbedarfen von Patient*innen und bedienten Gruppen zu erreichen (Englander et al ., 2013; vgl . genauer die bei Havyer et al ., 2016 referenzierten Studien) . Inwieweit in den Einrichtungen der Pflege in Deutschland interprofessionell kooperiert wird, kann auf Basis der empirischen Befundlage nicht eingeschätzt werden; dies gilt inbesondere für die umfassenden interprofessionellen Kooperationsarrangements wie interprofessioneller Fallbesprechungen, interprofessioneller Visiten etc . Insbesondere ist auch offen, inwieweit Auszubildende in vorhandene Kooperationsstrukturen eingebunden sind . Um dementsprechend auch im Fall einer geringen Einbindung in interprofessionelle Kooperationsprozesse eine differenzierte Messung vornehmen zu können und ein valides Messinstrument zu erhalten, wird damit in der Modellierung des EKGe-Projekts nicht vorausgesetzt, dass interprofessionelle Kooperation in den Ausbildungseinrichtungen konsequent umgesetzt wird; vielmehr werden individuelle Voraussetzungen dafür analysiert, Ansätze für interprofessionelle Kooperation zu suchen und zu finden, und dies ggf . auch unter erschwerten institutionellen Bedingungen . Der inhaltliche Fokus auf die Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen begründet sich einerseits aus den dargelegten gesundheits- und arbeitswissenschaftlichen Zusammenhängen, anderseits aus berufspädagogischen Erkenntnissen und Desiderata . Sie werden in Kooperation mit Expert*innen aus Schulen und Betrieben bzw . Praxiseinrichtungen sowie Sozialpartnern und Kammern/Berufsverbänden im Projekt EKGe ausgearbeitet . Zentral knüpft das Projekt an Analysen der Kompetenzen in ihrem Verursachungs- und Entstehungskontext im Rahmen der Förderinitiative ASCOT an, indem die Messung der beruflichen Kompetenzen mittels des TEMA-Testinstruments sowie der im Projekt EKGe entwickelten Testinstrumente mit der Erhebung von Ausbildungsbedingungen verbunden wird (Wittmann et al ., 2015) . Dabei liegt der Schwerpunkt auf der vertieften Analyse der Ausbildungsqualität und einer Verbesserung der Erhebungsverfahren zur Erfas-
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sung der Ausbildungsbedingungen in den Praxiseinrichtungen der Pflegeausbildung unter der Perspektive einer erhöhten Passgenauigkeit sowie deren Einsatz im Rahmen einer längsschnittlichen Untersuchung . Messmethodisch ist dabei der ergänzende Einsatz eines prozessbegleitenden Erhebungsverfahrens vorgesehen, welches valide Einblicke in pflegespezifische Bedingungen der Bewältigung berufstypischer Aufgaben in den Praxiseinrichtungen sowie den Nachvollzug längsschnittlicher Entwicklungsverläufe erlauben soll . Hintergrund dieses Zuschnitts ist auch die Virulenz bzgl . des Fachkräftebedarfs im pflegeberuflichen Bereich und die mutmaßliche Bedeutung nicht-monetärer Ausbildungs- und Arbeitsbedingungen für dessen Sicherung (Isfort et al ., 2016; Sachverständigenrat, 2018) . Außerdem soll das Verbundprojekt EKGe durch die Konzeption, Durchführung und Evaluation digital gestützter Lehr-Lern-Einheiten für den beruflichen Unterricht zur Stärkung der berufsbezogenen Bewältigungskompetenz einen Beitrag zur Verbesserung von Lehr-Lernprozessen in der Ausbildung leisten . Meta-analytische Effektivitätsbilanzen von Bewältigungstrainings in anderen Berufsfeldern legen nahe, dass ein ausschließlich auf außerberuflichen Ausgleich und Regeneration abzielendes Entspannungstraining zu kurz greift und vor allem der gezielte Aufbau handlungsnaher mentaler (d . h . auch emotionsregulierender) und instrumenteller Bewältigungsstrategien mit nachweisbaren Reduktionen negativer psychischer Beanspruchungen bei der Berufsausübung einhergeht (Richardson & Rothstein, 2008; van der Klink, Blonk, Schene, & Van Dijk, 2001) . Um überprüfen zu können, welchen Beitrag die entwickelten Lehr-Lern-Einheiten zur Steigerung speziell der berufsbezogenen Bewältigungskompetenz leisten, ist eine Interventionsstudie im Experimental-/Kontrollgruppen-Design vorgesehen, die in wiederholte Kompetenzmessungen (drei Erhebungszeitpunkte) eingebettet ist . Dabei sind auch Maßnahmen der Transferförderung vorgesehen, wie die Einbindung von Lehrkräften und Schulleitungen in die Entwicklung der Lehr-Lern-Einheiten und die Verbreitung über die Schulung von Lehrkräften . Für eine analoge Studie zur Kooperationskompetenz für die interprofessionelle Zusammenarbeit liegen zum aktuellen Zeitpunkt anders als für die Bewältigungskompetenz noch keine hinreichenden psychologischen Vorarbeiten aus den Vorläuferprojekten oder dem theoretischen und empirischen Forschungsstand vor, um hier im Projektzeitraum eine entsprechende Interventionsstudie realisieren zu können . Das Projekt ist daher im Bereich der interprofessionellen Kooperationskompetenz auf die Zielsetzung begrenzt, ein theoretisch fundiertes Konzept für die Berufsausbildung und auf dieser Basis ein Testinstrument zu entwickeln und empirisch zu prüfen .
Operationalisierung und Förderung von Bewältigungs- und Kooperationskompetenzen
5.
Ausblick
Das im Rahmen der BMBF-Förderinitiative ASCOT+ geförderte Projekt EKGe operationalisiert angesichts der besonderen, auch curricular untermauerten Bedeutung für die Versorgungsqualität in der Pflege eine berufsbezogene Bewältigungskompetenz, welche auf den Umgang mit berufs- bzw . berufsfeldspezifischen Belastungen zur Erhaltung der eigenen psychischen Gesundheit abhebt, sowie eine Kooperationskompetenz für die interprofessionelle Zusammenarbeit . Im Projekt werden außerdem berufsfachliche Handlungskompetenzen in der Pflege, unter besonderer Betonung der patient*innen-/bewohner*innenbezogenen Facetten, vertiefend in ihrem berufsausbildungsspezifischen Verursachungskontext untersucht . Dabei sollen zugleich ein Beitrag zum Transfer in Lehr-Lern-Situationen durch die Entwicklung von digital gestützten Lehr-Lern-Einheiten zur Förderung der Bewältigungskompetenz geleistet und evidenzbasierte Impulse für die Ausbildung in Praxiseinrichtungen und für die Ordnungsarbeit geliefert werden . Das Projekt leistet damit einerseits auch einen Beitrag zur Umsetzung der curricularen Zielsetzungen und zielt andererseits darauf ab, Anstöße zur curricularen Weiterentwicklung zu geben . Literatur
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schwerpunkte: Professionalisierung beruflichen Bildungspersonals, Kompetenzmessung und -förderung in den Gesundheitsberufen, Berufsorientierung im Kontext von Fachkräftesicherung, Digitale Transformation im Gesundheitsbereich E-Mail: ulrike .weyland@uni-muenster .de Eveline Wittmann, Prof. Dr., Lehrstuhl für Berufspädagogik der Technischen Universität München (TUM) . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Digitale Transformation in der beruflichen Bildung, digitalisierungsbedingte Veränderungen beruflicher Schulorganisation, Modellierung, digitale Messung und Förderung beruflicher Handlungskompetenz, prozessnahe Erfassung beruflicher Ausbildungsbedingungen . E-Mail: eveline .wittmann@tum .de
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz für die Fachweiterbildung Onkologische Pflege INGRID DARMANN-FINCK / CLAUDIA SCHEPERS
Development of a Model Curriculum for Promoting Communication Skills in Advanced Training of Cancer Nurses Kurzfassung: Im Projekt CAROplusONKO wurde ein situations- und kompetenzbasiertes Mus-
tercurriculum zur Förderung der kommunikativen Kompetenz in der Fachweiterbildung Onkologische Pflege als Grundlage für die Konzeption digital unterstützter Lehr-Lernangebote entwickelt . Ausgehend vom pflegedidaktischen Modell der Interaktionistischen Pflegedidaktik wurde zunächst eine empirische Bedarfsanalyse auf der Basis eines Mixed-Methods Designs durchgeführt . Aus den Ergebnissen dieser Bedarfsanalyse und einer ebenfalls erfolgten Literaturrecherche wurden Schlussfolgerungen für die Curriculumentwicklung gezogen . Neben der Durchführung und den Ergebnissen der Bedarfsanalyse werden die curricularen Konstruktionsprinzipien an ausgewählten Elementen des Curriculums veranschaulicht . Schlagworte: Bedarfsanalyse, Qualifikationsforschung, Curriculumentwicklung, Kommunikative Kompetenz, Situationsorientierung, Kompetenzorientierung Abstract: In the CAROplusONKO project, a situation- and competence-based curriculum was de-
veloped to promote communicative skills in advanced training of cancer nurses as a basis for the conception of digitally supported teaching and learning offers . Based on the nursing educational model of interactionist nursing didactics, a training needs analysis was first carried out on the basis of a mixed-methods design . From the results of the needs analysis and a literature research conclusions for curriculum development were drawn . In addition to the conduct and the results of the training needs analysis the curricular construction principles are illustrated with selected elements of the curriculum . Keywords: training needs analysis, qualification research, curriculum development, communicative competence, situations, competence orientation
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INGRID DARMANN-FINCK / CLAUDIA SCHEPERS
1.
Hintergrund
Die kommunikative Kompetenz von Pflegefachpersonen, die in onkologischen Arbeitsfeldern tätig sind, ist eine zentrale Voraussetzung für eine professionelle Beziehungsgestaltung, die auf den Erhalt und die Wiederherstellung der pflege- und gesundheitsbezogenen Selbstbestimmung von Menschen, die von Krebs betroffen sind, gerichtet ist . Auf der Basis oftmals langfristiger Beziehungen unterstützen Pflegefachpersonen die Betroffenen bei Entscheidungen, die ihren Wertpräferenzen entsprechen und begleiten sie in emotional belastenden Situationen . Studien belegen, dass durch eine effektive Kommunikation das Wohlbefinden der zu pflegenden Menschen und Behandlungsergebnisse verbessert werden können (Moore et al ., 2018) . Die Weiterentwicklung der kommunikativen Kompetenz, aufbauend auf der in der Erstausbildung und in Jahren der Berufserfahrung erworbenen Kompetenz, ist daher auch ein zentrales Ziel der Fachweiterbildung (FWB) Onkologische Pflege . Digitale Technologien nehmen zunehmend Einzug in die Pflege . Auch Kommunikation und Beratung verändern sich durch die Möglichkeiten digitaler Medien, beispielsweise durch Online-Unterstützungsangebote bei der Krankheitsbewältigung oder bei psychischen Belastungen (z . B . Online-Foren oder -Beratungsangebote) (Badr, Carmack, & Diefenbach, 2015), medial unterschiedlich aufbereitete digital bereitgestellte Informationen (z . B . Erklärvideos für krebskranke Kinder) und Apps zur Unterstützung des Selbstmanagements bei der Realisierung der Therapie (z . B . Medikamentenmanagement) oder beim Umgang mit Therapiefolgen (z . B . Unterstützung bei der Lebensstiländerung) (Heynsbergh et al ., 2018) . Mit dem BMBF-finanzierten Vorhaben CAROplusONKO (CAre Reflection Online für die Fachweiterbildung Onkologische Pflege) (Laufzeit 10/2019–09/2022) sollen in der FWB Onkologische Pflege Kompetenzen zur reflexiven Nutzung und Gestaltung dieser Angebote bei der Kommunikation mit und Beratung von Menschen, die von einer onkologischen Erkrankung betroffen sind, aufgebaut werden . Um diesem Ziel näher zu kommen, werden in dem Projekt digital unterstützte, pflege- und mediendidaktisch fundierte Lehr-/Lernszenarien zur Förderung der kommunikativen Kompetenz in der FWB Onkologische Pflege entwickelt, erprobt und evaluiert . Das Projekt baut auf vorliegenden Konzepten und Instrumenten auf, nämlich auf der Datenbank des Nationalen Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz in der Pflege(-erstausbildung) (NaKomm) (Darmann-Finck, Muths, & Partsch, 2017) und dem CAre Reflection Online Classroom Learning Interaction System (CARO CLIS) (Darmann-Finck et al ., 2021) .1 In enger Zusammenarbeit mit der Bundesarbeitsgruppe der Leitungen der Weiterbildungsstätten für die Pflege des krebskranken,
Das Vorhaben stellt eine Weiterentwicklung der im Projekt CARO (Laufzeit 2016–2019) (Förderkennzeichen 01PD15012) entwickelten Lernumgebung dar .
1
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz
chronisch kranken Menschen (BAGL) wurde zunächst ein an das NaKomm wie auch die Rahmenpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG (2019) anknüpfendes Mustercurriculum Kommunikative Kompetenz in der FWB Onkologische Pflege im Umfang von ca . 80–100 Unterrichtsstunden konzipiert . Teile davon werden im Anschluss anhand von digital unterstützten Lehr-Lernangeboten (LLA) konkretisiert und erprobt . Der vorliegende Beitrag fokussiert die Entwicklung des Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz für die FWB Onkologische Pflege als Grundlage für die digitalen LLA . Im Mittelpunkt stehen insbesondere die durchgeführte Bedarfsanalyse, die daraus gewonnenen Schlussfolgerungen für die Curriculumentwicklung sowie die für die Curriculumentwicklung genutzten curricularen Prinzipien . 2.
Methodisches Vorgehen bei der Curriculumentwicklung
Der forschungsmethodische Rahmen des Projekts orientiert sich am Design-Based Research-Ansatz (McKenney & Reeves, 2013; Euler & Sloane, 2014) . Dieser Ansatz zielt sowohl darauf ab, innovative und wissenschaftsbasierte Lösungsansätze für praktische Probleme und damit für Verbesserungen (der Ausbildung in den Pflege- und Gesundheitsfachberufen) als auch wissenschaftliche Erkenntnisse oder sogar Theorien zu generieren . Zentrale Strategien bestehen in einem sehr kleinschrittigen zyklischen Vorgehen mit kontinuierlicher Wiederholung der Schritte Entwicklung, Implementation und (formative) Evaluation sowie in einer engen Zusammenarbeit von Forschenden und Praktiker*innen . Den beiden Zielsetzungen entsprechend werden beim DBR Designentwicklungsprozesse und Prozesse der Wissensgenerierung bzw . Theorieentwicklung miteinander verknüpft (Sloane, 2014, S . 117 f .) . Für die Strukturierung des Curriculumkonstruktionsprozesses wurde der international in den Gesundheitsberufen häufig rezipierte Ansatz von Kern et al . (2009), der Six-Step-Approach, mit dem aus der Erwachsenenbildung stammenden Ansatz von Siebert (1974) sowie dem pflegedidaktischen Ansatz der Interaktionistischen Pflegedidaktik von Darmann-Finck (2010; 2021) kombiniert . Den beiden aus der Erwachsenenbildung und der Pflegedidaktik stammenden Ansätzen folgend wurden zunächst (normative) Richtziele bzw . übergeordnete Bildungsziele des Mustercurriculums festgelegt . Sie bestehen in der kritisch-reflexiven Identitätsbildung der Fachweiterbildungsteilnehmer*innen und der Fähigkeit, Herrschafts- und Missachtungsverhältnisse zu erkennen und in der Interaktion Bedingungen wechselseitiger Anerkennung sicherzustellen . Durch diese Bildungsziele wurde der Ansatz von Kern erweitert, da dieser vergleichsweise eng auf die Verwertungsanforderungen im Berufsfeld ausgerichtet ist . Dem Ansatz von Kern entsprechend wurde der Prozess dann mit einer (empirischen) Untersuchung von Bedarfen fortgesetzt . In dem vorliegenden Vorhaben wurden die Bedarfe sowohl aus Sicht der Lehrenden als auch aus Sicht der Lerngruppe („spezifische Bedarfsanalyse“) erhoben . Daneben wurde eine gründliche
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INGRID DARMANN-FINCK / CLAUDIA SCHEPERS
fach- und bezugswissenschaftliche Recherche und Analyse durchgeführt („generelle Bedarfsanalyse“) . Die Ergebnisse dieser beiden Analysen bildeten den Input für die didaktische Analyse und die curriculare Entwicklung i . e . S . Für die didaktische Analyse und Systematisierung der Ergebnisse unter Bildungsgesichtspunkten wurde die Heuristik der Interaktionistischen Pflegedidaktik von Darmann-Finck (2010) genutzt . Dabei handelt es sich um einen pflegedidaktischen Fragen- und Kriteriensatz, mit dessen Hilfe Bildungsziele und -inhalte für die Pflegebildung identifiziert werden können . Für die Curriculumentwicklung i . e . S . wurden curriculare Einheiten (Lernsituationen) festgelegt sowie Learning Outcomes (Kompetenzen) und Inhalte definiert . Die jeweiligen Zwischenergebnisse wurden im Verlauf des Entwicklungsprozesses mehrfach mit einer hierfür gebildeten Curriculumarbeitsgruppe der BAGL diskutiert und abgestimmt . Inzwischen liegt das Curriculum in einer vorläufigen Fassung vor . Ausgewählte Elemente werden im weiteren Verlauf des Projekts in Form von digital unterstützten LLA ausgearbeitet und dann von Lehrenden kooperierender Weiterbildungseinrichtungen umgesetzt, vom Projektteam evaluiert und ggf . weiterentwickelt . Die Schritte der dauerhaften Implementation und (summativen) Evaluation des gesamten Curriculums sind nicht mehr Gegenstand des Projekts . 3.
Bedarfsanalyse: Theoretischer Rahmen und Forschungsstand
Die zweijährige FWB und die abschließende Prüfung für Pflegekräfte in der Onkologie ist entweder durch landesrechtliche Weiterbildungs- und Prüfungsordnungen (WPO) oder entsprechende Ordnungen von Pflegekammern, häufig unter Nutzung des entsprechenden Musters der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) geregelt . Die Förderung der kommunikativen und sozialen Kompetenz ist in den insgesamt 720 Stunden umfassenden Ordnungen zentral verankert (ebd .) . Die DKG (2015) sieht in ihrer Empfehlung für die Onkologische Pflege ein Modul im Umfang von 100 h vor, davon entfallen 40 h auf die Kompetenz „onkologisch [zu] beraten“ und 60 h auf die Kompetenz, „Krankheitsbewältigung kommunikativ [zu] unterstützen“ (vgl . ebd ., S . 2) . Die Empfehlungen bleiben aber ausgesprochen abstrakt und geben weder Auskunft darüber, von welchem Kompetenzniveau ausgegangen, noch welches Kompetenzniveau in welchen Schritten angestrebt wird oder wie Lernangebote inhaltlich oder methodisch gestaltet werden können . Gleiches gilt für die auf europäischer Ebene bestehenden Standards der European Oncology Nursing Society (EONS, 2018) . Ein wichtiger Input für die Curriculumentwicklung stellen empirisch ermittelte Versorgungsdefizite in der Pflegepraxis („generelle Bedarfsanalyse“) sowie die Bildungsbedarfe aus Sicht der Lehrenden und der Weiterbildungsteilnehmenden („spezifische Bedarfsanalyse“) jeweils bezogen auf die Kommunikation mit von Krebs betroffenen Menschen dar . Bedarfsanalysen lassen sich der Qualifikationsforschung zuordnen . Die in diesem Projekt durchgeführte Bedarfsanalyse zielte im Sinne berufs-
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz
wissenschaftlicher Qualifikationsforschung darauf ab, die im Praxisfeld der onkologischen Kommunikation und Beratung erforderlichen Kompetenzen bzw . das hierfür notwendige Wissen und Können als Input für die Curriculumentwicklung zu erfassen (Darmann-Finck, 2014; Becker & Spöttl, 2008) . Durch den bildungstheoretisch fundierten pflegedidaktischen Rahmen, der auch der Bedarfsanalyse zugrunde lag, waren für die Datenerhebung wie für die Auswertung auch Bildungsgesichtspunkte leitend . Kompetenzen werden in diesem Projekt als „Disposition für Handeln in abgegrenzten Situationstypen“ (Euler, 2020, S . 3) definiert . Hinsichtlich der theoretischen Grundlagen zur Kommunikation rekurriert das Projekt auf den Symbolischen Interaktionismus . Kommunikation wird demnach als ein Prozess der wechselseitigen Aushandlung von Bedeutungen beschrieben (Joas & Knöbl, 2013, S . 190) . Die Begriffe Kommunikation und Interaktion werden nicht differenziert . Vielmehr wird Kommunikation in erster Linie als mündliche Kommunikation und Interaktivität als konstitutives Merkmal von Kommunikation verstanden (Becker-Mrotzek, 2009, S . 3) . Ziel der Bedarfsanalyse war es demzufolge, Situationstypen und die in ihnen geforderten kommunikativen Kompetenzen zu ermitteln, wobei mit Kommunikationskompetenz die Fähigkeit gemeint ist, „die sich aus der Gesprächssituation ergebenden Anforderungen zu erfüllen“ (Becker-Mrotzek, 2009, S . 1) . Dem Modell der Interaktionistischen Pflegedidaktik folgend standen vor allem widersprüchliche und konflikthafte berufliche Situationen, sog . Schlüsselprobleme der Berufswirklichkeit (Darmann-Finck, 2010, S . 186 ff .), im Mittelpunkt und weniger Routineaufgaben, die ohnehin auch schon Gegenstand der Erstausbildung sind . Solche Schlüsselprobleme bieten eine geeignete Grundlage, um Bildungsziele zu verfolgen . Bildungsziele stellen eine Teilmenge von Kompetenzen dar und heben auf kritisch-reflexive Identitätsbildung ab . Eine scharfe Trennung von Bildungszielen und anderen Kompetenzen ist nicht möglich . Um den Forschungsstand hinsichtlich der „generellen Bedarfe“ zu ermitteln, wurde zunächst eine Datenbankrecherche in Pubmed mit den Begriffen Kommunikation (communication), Pflege (nurs*) und Bedarfe (needs, requirements) durchgeführt . Die wichtigsten Erkenntnisse aus dieser Recherche werden im Folgenden zusammengefasst . Zwei zentrale Anforderungen an die Kommunikation mit Menschen, die von Krebs betroffenen sind, lassen sich in der nationalen und internationalen Literatur identifizieren, nämlich das Erfordernis umfassender Information in allen Phasen der Krebserkrankung sowie der emotionalen Unterstützung (Raschper, 2015) . Von Krebs betroffene Menschen äußern in verschiedenen Studien einen erheblichen Informationsbedarf bzw . einen Mangel an Informationen (Fletcher et al ., 2016; Zellhofer, 2010; Pinkert, Hotgrawe, & Remmers, 2008) . Informationsdefizite bzw . erhöhte Informationsbedarfe bestehen vor allem bei Menschen mit einer niedrigen Gesundheitskompetenz (Wittenberg et al ., 2019), bei Menschen, die nicht die Landessprache sprechen bzw . diese nicht gut beherrschen (ebd .) oder bei alten Menschen
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(Posma et al ., 2009) . Auch wenn onkologisch erkrankte Menschen nicht ständig über schwierige Emotionen sprechen möchten und bei vielen ein starker Wunsch nach Normalisierung (Kvale, 2007) und allgemein einer warmen, freundlichen sowie humorvollen Kommunikation besteht (McCarthy, 2014), so benötigen von Krebs betroffene Menschen doch in verschiedenen Stadien ihrer Erkrankung auch eine gezielte emotionale Unterstützung (Newman, 2016; Thorne et al ., 2014), z . B . wenn sie die Diagnose erfahren (Schildmann & Härlein, 2016; Thorne et al ., 2010), bei erneutem Auftreten einer Krebserkrankung oder beim Übergang in eine fortgeschrittene Erkrankung (ebd .) . Für beide Anforderungen, Information wie auch emotionale Unterstützung, gilt, dass sich die diesbezüglichen Bedarfe der von Krebs betroffenen Menschen im Verlauf der Krebserkrankung bzw . der Krankheitsverlaufskurve verändern und sich in jeder Phase spezifische Bedarfe beschreiben lassen, die dann noch individuell variieren können (Thorne et al ., 2014, S . 1013; Schaeffer & Moers, 2008; Corbin & Strauss, 2004) . Neben der Unterstützung der zu pflegenden Menschen werden in der Literatur aber auch die Risiken thematisiert, die für Pflegefachpersonen durch die Kommunikation mit Menschen, die sich in teilweise existentiellen Lebenssituationen befinden, entstehen können, nämlich emotionaler Stress und Belastungsempfinden bis hin zu psychosomatischen Symptomen (McLean et al ., 2011) oder einer „sekundären Traumatisierung“ (Rixe et al ., 2014) . Ein zentrales best practice Prinzip in der Kommunikation mit von Krebs betroffenen Menschen stellt die Überwindung einer patriarchalischen hin zu einer personzentrierten Beziehungsstruktur dar . Alle (pflegebezogenen) Entscheidungen sollten sich am Prinzip der partizipativen Entscheidungsfindung ausrichten . Aber auch bei Therapieentscheidungen können Pflegende im shared decision-making – Prozess eine bedeutende Rolle einnehmen, beispielsweise als decision coaches (Berger-Höger et al ., 2019) . Von Krebs betroffene Menschen sind außerdem stets im Kontext ihrer sozialen Netzwerke zu sehen . Familienmitglieder begleiten die von Krebs betroffenen Menschen bei ihren Entscheidungen und in emotionalen Notsituationen, können aber auch zusätzliche Belastungen darstellen (Laryionava et al ., 2018; Goldsmith et al ., 2015) . Bislang werden Familien noch nicht systematisch in den Pflege- und Therapieprozess einbezogen (ebd .) . Für das Mustercurriculum Kommunikative Kompetenz in der FWB Onkologische Pflege wurde wie für das Nationale Mustercurriculum Kommunikative Kompetenz in der Pflege ein (pflege-)theoretischer Rahmen zugrunde gelegt, der eine normativ gehaltvolle Grundlage pflegerischer Kommunikation bietet (z . B . Friesacher, 2008) . Ein normativer pflegetheoretischer Bezugsrahmen ist erforderlich, um den in Beratungs- und Schulungskonzepten zum Teil enthaltenen Verengungen insbesondere vor dem Hintergrund eines durch Macht- und Abhängigkeitsbeziehungen gekennzeichneten Handlungsfelds ein Korrektiv entgegensetzen zu können . Wichtige Bezugspunkte
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz
sind die Konzepte der Verständigungsorientierung (Habermas, 1982a; 1982b), der Anerkennung (Honneth, 1992), der nicht-paternalistischen Fürsorge (Remmers, 2000), der Anwaltschaft (Gadow, 1980) und der Verschränkung von Körper und Leib (Gugutzer, 2014) . 4.
Bedarfsanalyse: Methoden
Aufbauend auf den berufswissenschaftlichen Ansatz der Qualifikationsforschung (Becker & Spöttl, 2008) sowie den pflegedidaktischen Ansatz der interaktionischen Pflegedidaktik (Darmann-Finck, 2010; 2014), wonach insbesondere widersprüchliche und konflikthafte berufliche Situationen, sog . Schlüsselprobleme der Berufswirklichkeit, Gegenstand von Bildungsgängen sein sollten, wurden folgende Forschungsfragen untersucht: 1 . Welche Schlüsselsituationen (Pflege- und andere berufliche Situationen) der Berufswirklichkeit bezogen auf die Kommunikation in der Onkologischen Pflege lassen sich feststellen und über welche kommunikativen Kompetenzen sollten die Pflegefachpersonen verfügen? 2 . Wie hoch schätzen die Leitungen von FWB-Einrichtungen die Bedeutsamkeit ausgewählter Kompetenzen im Praxisfeld ein? 3 . Wie hoch schätzen die FWB-Teilnehmenden ihre Lernbedarfe bezogen auf ausgewählte Kompetenzen ein? Die Bedarfsanalyse erfolgte methodisch anhand eines Mixed Methods Designs (Schreier & Ödag, 2010) . Durch die Triangulation von Forschungsmethoden (Flick, 2010) sowie von Daten unterschiedlicher Akteursgruppen sollte ein umfassendes Bild von den Bedarfen entstehen . Drei Erhebungen wurden durchgeführt, nämlich eine Fokusgruppendiskussion mit Lehrenden/Leitungen der FWB Onkologische Pflege, eine standardisierte Befragung von Lehrenden/Leitungen und eine standardisierte Befragung von Teilnehmenden der FWB Onkologische Pflege . Die Bedarfsanalyse startete mit einer Fokusgruppendiskussion (Bogner & Leuthold, 2005) mit einer Teilgruppe der BAGL . Die zentrale Leitfrage für die Erhebung bildete im Sinne der Critical Incident Technique (Flanagan, 1954) die Aufforderung, von konkreten, besonders herausfordernden Situationen und/oder Problemstellungen, die in den Kursen der onkologischen FWB in Bezug auf Kommunikation und Beratung immer wieder thematisiert werden (oder alternativ: die die Befragten auch selbst erlebt haben), zu erzählen . Die Proband*innen sollten erzählen, wer an der Situation beteiligt war, welches der Handlungsanlass war, wer wie gehandelt bzw . wer was gesagt hat und wie ggf . der Kontext war . Nach einer Austauschphase in Partner*innenarbeit wurden die Erzählungen im Plenum zusammengeführt und in der gemeinsamen Diskussion geordnet .
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Die Fokusgruppendiskussion wurde digital aufgezeichnet, transkribiert und die transkribierten Daten wurden inhaltsanalytisch (Mayring, 2010) ausgewertet . Die Kategorien bzw . situationsbezogenen Kompetenzschwerpunkte und die ihnen jeweils zugeordneten, ebenfalls situations- und anforderungsbezogenen Kompetenzen wurden unter Nutzung der Ergebnisse der Literaturrecherche gebildet . Auf der Basis der durch die Gruppendiskussion ermittelten Qualifikationsanforderungen wurde eine standardisierte Onlinebefragung aller Leitungen der FWB Onkologische Pflege, die Mitglied in der BAGL sind, durchgeführt . Dabei wurden die Befragten jeweils gebeten, die Bedeutsamkeit von zuvor qualitativ ermittelten Kompetenzen in einer bestimmten Kompetenzkategorie anhand einer vierstufigen LikertSkala (sehr wichtig, wichtig, weniger wichtig, unwichtig) zu bewerten . Für die Kompetenzkategorie „Kommunikation im Krankheitsverlauf “2 wurden beispielsweise die unten aufgeführten Items abgefragt . Die Items bilden jeweils herausfordernde situationsbezogene Kompetenzen ab . 1 . Die Teilnehmer*innen können im Vorfeld der Diagnose den „diagnostischen Schwebezustand“ kommunikativ begleiten . 2 . Die Teilnehmer*innen können entlastende Gespräche in der postdiagnostischen Phase führen . 3 . Die Teilnehmer*innen können Ängste und Unsicherheiten vor der ersten Behandlung (z . B . Operation, Chemotherapie, Strahlentherapie, etc .) kommunikativ unterstützen . 4 . Die Teilnehmer*innen können das Leben im ‚Auf und Ab‘ der Patientin/des Patienten vor allem in Krisensituationen begleiten (z . B . bei Auftreten eines Rezidivs) . 5 . Die Teilnehmer*innen können in der Phase der Abwärtsentwicklung und des Sterbens den Wechsel des Therapieansatzes bzw . des Therapieziels kommunikativ unterstützen . Zu jeder der acht übergeordneten situationsorientierten Kompetenzschwerpunkte gab es 4–7 Items . An die Bedarfsanalyse aus Sicht der FWB-Leitungen schloss sich eine auf die Teilnehmenden bezogene Bedarfsanalyse an . Dabei wurde ermittelt, welche Kompetenzdefizite und daraus resultierende spezifische Bedarfe aus Sicht der Lerngruppe bestehen . In der Weiterbildung entstehen mögliche Lernbegründungen (Holzkamp, 1993) für die Teilnehmenden aus der Erfahrung einer unbefriedigenden Situationsbewältigung, der Erwartung zukünftig veränderter Arbeitsaufgaben oder einer Aufforderung durch Dritte (Müller, 2006) . Um die Interessenlagen, emotional-motivationale Neben dieser Kompetenzkategorie gab es auch eine Kategorie „Beratung im Krankheitsverlauf “ . „Kommunikation im Krankheitsverlauf “ beinhaltete schwerpunktmäßig Kompetenzen der emotionalen Unterstützung .
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Voraussetzungen und erfahrene Lerndiskrepanzen der FWB-Teilnehmenden zu erheben, wurde der für die Lehrenden entwickelte Online-Fragebogen angepasst und um drei offene Fragen ergänzt . Die Items wurden so umformuliert, dass sie sich auf von den Befragten wahrgenommene Lernbedarfe beziehen, sie waren ebenfalls anhand einer vierstufigen Likert-Skala zu beantworten (sehr hoher Lernbedarf, hoher Lernbedarf, geringer Lernbedarf, kein Lernbedarf) . Die offenen Fragen richteten sich darauf, welche herausfordernden Situationen die Befragten in der Kommunikation und Beratung in ihrem beruflichen Alltag erlebt hatten, welche konkreten Lerninteressen sie prioritär bearbeiten wollten und welche Inhalte sie sich wünschten . Die Erhebung wurde bei zehn Kursen der FWB Onkologische Pflege unterschiedlicher FWB-Anbieter in Deutschland durchgeführt . Die Auswertung der Daten der Online-Erhebungen wurde mit der Statistik- und Analyse-Software SPSS Version 26 vorgenommen . Bislang erfolgte lediglich eine deskriptive Analyse mit Darstellung von Häufigkeiten und Prozentwerten . Die offenen Fragen wurden inhaltsanalytisch ausgewertet (Mayring, 2010) . Bei den Erhebungen wurden die forschungsethischen Grundsätze der „informierten Zustimmung“ und des Datenschutzes berücksichtigt (Schnell & Heinritz, 2006) . 5.
Bedarfsanalyse: Ergebnisse
Die Ergebnisse der Erhebungen werden zunächst separat dargestellt und dann zusammengeführt und zusammenfassend bewertet . 5.1
Ergebnisse der Fokusgruppendiskussion mit Leitungen der FWB
An der Fokusgruppendiskussion nahmen 13 FWB-Leitungen teil . Die Datenerhebung erfolgte im Rahmen eines der halbjährlichen Treffen der BAGL . Die von den befragten Lehrenden geschilderten Situationen wurden zu acht Kategorien zusammengefasst (s . Abb .1) . Während die Kategorien 1–5 primär auf zu pflegende Menschen und ihre Bezugspersonen zielen, betreffen die Kategorien 6 und 7 die intra- und interprofessionelle Kommunikation . Die gewählte Unterscheidung bezieht sich damit primär auf die Akteur*innen der Kommunikation, aber auch auf Themen und Kontexte . Die Kategorie 8 enthält die Anforderung einer generellen Reflexion von Kommunikation . Hinsichtlich der Kommunikation mit von Krebs betroffenen Menschen wurde mit der Kategorie 5 aufgrund der besonderen Komplexität und der verkomplizierenden Beziehungsdynamiken eine separate Kategorie für die Kommunikation mit Familiensystemen gebildet . Die Kategorien 1–4 beziehen sich primär auf einzelne zu pflegende Personen . In der Kategorie „grundlegende Kommunikationsanlässe“ wurden Kom-
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petenzen zusammengefasst, die sich auf die kommunikative Bewältigung von nicht für die onkologische Pflege spezifische Situationen richten (z . B . Durchführung von Aufnahmegesprächen) und auch schon Gegenstand der Erstausbildung sind . Die Kategorien 2, 3 und 4 bilden spezifische Kompetenzen ab, die entweder die Kommunikation, die Beratung oder die Entscheidungsfindung betreffen . Beratung wurde hier als Oberbegriff für die Konzepte der Information, Schulung und Beratung gewählt (Abt-Zegelin, 2003, S . 103) . Innerhalb der Kategorien wurden aus den Situationsbeschreibungen, die diesen Kategorien zugeordnet wurden, jeweils anforderungsbezogene Kompetenzen abgeleitet, die zur Situationsbewältigung erforderlich sind .
Abb. 1 Durch die Fokusgruppendiskussion ermittelte Kategorien (eigene Darstellung)
5.2
Ergebnisse der Fragebogenerhebung bei Leitungen der FWB
Die Beteiligung an der Online-Befragung betrug knapp 50 % (n = 20/41) . Alle 36 abgefragten Items fanden eine hohe Zustimmung (sehr wichtig oder wichtig 80–90 %) . Es kann demnach festgestellt werden, dass die in der Gruppendiskussion ermittelten Themen auch von einer größeren Gruppe von FWB-Leitungen als bedeutungsvoll eingeschätzt werden .
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz
5.3
Ergebnisse der Fragebogenerhebung bei Teilnehmenden der FWB
Durch die Coronakrise war der Zugang zu den Teilnehmenden erschwert . Zwar wurden die Links der Online-Befragung verschickt, allerdings war der Rücklauf nur sehr zögerlich, so dass die Beantwortungsfristen mehrfach verlängert wurden . Die jetzt dargestellten Ergebnisse sind vorläufig, die abschließende Auswertung steht noch aus . 60 von 169 Teilnehmenden haben die Befragung abgeschlossen, die Beteiligung betrug damit 35,5 % . Die Zusammensetzung des Samples ist sehr heterogen . Ca . jeweils ein Drittel der Teilnehmenden ist im Alter 20–29 bzw . 30–39, das restliche Drittel ist älter als 40 Jahre, davon auch einige älter als 50 Jahre . Ein ähnliches Ergebnis ergibt sich bei der Berufserfahrung in Jahren . Ebenfalls ca . jeweils ein Drittel der Befragten weist eine Berufserfahrung von 1–4 Jahren bzw . 5–10 Jahren auf, ein weiteres Drittel hat über zehn Jahre Berufserfahrung, davon auch einige Teilnehmende mehr als 20 Jahre . Hinsichtlich der Einschätzungen zu den Lernbedarfen lässt sich derzeit feststellen, dass die Teilnehmenden deutlich heterogener antworten als die Lehrenden und alle Antwortmöglichkeiten der Likert-Skala ausschöpfen . Innerhalb der Items zu den verschiedenen Oberbegriffen lassen sich kaum Muster erkennen . Einige Tendenzen lassen sich aus den Items ablesen, die besonders hohe oder besonders niedrige Zustimmung bekommen haben . Besonders hohen Lernbedarf mit über 70 % hoher oder sehr hoher Zustimmung geben die Teilnehmenden bei mehreren Items rund um die Diagnoseeröffnung und bei einem Item in Zusammenhang mit der Phase der Abwärtsentwicklung an, zwei weitere betreffen die Kommunikation mit Familien, nämlich mit Paaren bzw . mit Familien krebserkrankter Kinder und ein weiteres die interprofessionelle Kommunikation im Tumorboard . Hinsichtlich der „grundlegenden Kommunikationsanlässe“ nehmen die Teilnehmenden insgesamt einen eher niedrigen Lernbedarf wahr, bei drei von vier Items geben ca . 50 % bzw . über 50 % der Teilnehmenden einen geringen oder gar keinen Lernbedarf an (z . B . Aufnahmegespräche führen), z . T . verbunden mit dem Hinweis, dass die Kompetenzen schon Gegenstand der Erstausbildung sind . Lediglich das Item „Kommunikation mit kognitiv beeinträchtigten Menschen“ erhält eine höhere Zustimmung . Ebenfalls vergleichsweise wenig Zustimmung bekommen Kompetenzen der Reflexion . Bezogen auf die drei diesbezüglichen Items wird der Lernbedarf von 50 % oder von über 50 % der Befragten als gering oder nicht vorhanden eingeschätzt, wobei mit den Bemerkungen „wenig Akzeptanz“ oder „wird nicht angeboten“ Hinweise auf die möglichen Hintergründe dieser Einschätzungen gegeben werden . Hinsichtlich der inter- und intraprofessionellen Kommunikation wird der Lernbedarf zur interprofessionellen Kommunikation tendenziell höher, z . T . sehr hoch eingeschätzt als der Lernbedarf zur intraprofessionellen Kommunikation, der eher niedrige Werte erhält . Ergänzend lassen sich Hinweise zu Lernbedarfen aus den Antworten auf zwei der offen formulierten Fragestellungen gewinnen . Für die Auswertung wurden die Antworten auf die Fragen 1 und 2 zusammengefasst, da sich die Semantik der Antworten trotz unterschiedlicher Fragestellungen nicht maßgeblich unterschied .
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Frage 1: Gibt es eine besonders herausfordernde Situation und/oder Problemstellung in Bezug auf Kommunikation oder Beratung, die Sie in Ihrem beruflichen Alltag erlebt haben? Frage 2: Welche konkreten Lernbedarfe und/oder -interessen haben Sie in Bezug auf Kommunikation und Beratung, die Sie im Rahmen der FWB unbedingt bearbeiten wollen? Fünf Themen oder Kategorien konnten ermittelt werden, die von den Teilnehmenden in den beiden offenen Fragen häufiger genannt wurden . Zwei der Kategorien betreffen die Unterstützung der von Krebs betroffenen Menschen in unterschiedlichen Stadien des Krankheitsverlaufs . In der Kategorie „Kommunikation nach der Diagnoseübermittlung“ werden von den Teilnehmenden die Anforderungen benannt, Patient*innen emotional „auffangen“ und die geleistete Aufklärung anhand von zusätzlichen Informationen „nachbearbeiten“ zu müssen . Hinsichtlich der „Kommunikation in Phasen der Abwärtsentwicklung und palliativen Situationen“ („bei palliativen Patienten … was sind die richtigen Worte?“) werden durch Ungewissheiten entstehende Anforderungen und der Umgang mit Angehörigen beschrieben . Eine weitere Kategorie betrifft die inter- und intraprofessionelle Kommunikation, insbesondere werden Informationsbrüche als Schwierigkeit herausgestellt . Des Weiteren stellen sprachliche Barrieren eine Herausforderung dar („viele ausländische Patienten ohne Dolmetscher oder keine Englischkenntnisse“) . In mehreren Äußerungen geben die Teilnehmenden an, dass es im Klinikalltag an Zeit und Raum für Gespräche mangelt („Man weiß, jetzt muss man sich Zeit nehmen, die man aus strukturellen Gründen oft nicht hat.“). Dies gilt insbesondere für „schwere“ Gespräche, aber auch für Informationsgabe und Beratung . Viele Gespräche ereignen sich „nebenher beim Durchgang am Bett“ . 5.4
Diskussion und Schlussfolgerungen für die Curriculumentwicklung
Die zunächst in der qualitativen Erhebung ermittelten acht Situationstypen sowie die daraus abgeleiteten Kompetenzen wurden anhand der quantitativen Befragung der FWB-Leitungen bestätigt . Dies war auch nicht anders zu erwarten, da sich an der quantitativen Erhebung vermutlich auch Leitungen beteiligt haben, die schon an der Fokusgruppendiskussion teilgenommen haben . Im Unterschied dazu geben die Teilnehmenden zu vielen Kompetenzen einen weitaus geringeren Lernbedarf an als es der Bedeutungszuschreibung der Lehrenden entspricht, z . B . zu reflexiven Kompetenzen . Einige Hinweise, wie diese Diskrepanzen zu erklären sind, können aus den Ergebnissen der qualitativen Erhebung gewonnen werden . Der häufige Verweis auf die zeitlichen Rahmenbedingungen, unter denen die Kommunikation stattfindet, und die Schwerpunkte bei der Gewichtung des Lernbedarfs lassen darauf schließen, dass die Teilnehmenden stärker die Situationen und
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Kompetenzen betonen, die sie in ihrem Alltag als relevant erleben, nämlich Situationen der unmittelbaren Versorgung von zu pflegenden Menschen . Partizipative Entscheidungsfindung und die Reflexion von schwierigen kommunikativen Situationen werden demgegenüber eher als in der Praxis nicht umsetzbar und daher als weniger bedeutsam erachtet . Das sehr differenziertere Antwortverhalten im Hinblick auf Lernbedarfe könnte durch die sehr unterschiedlichen (berufs-)biographischen Vorerfahrungen der Teilnehmenden erklärt werden . Ob sich der Befund internationaler Studien bestätigt, dass Teilnehmende mit mehr Berufserfahrung auch mehr Lernbedarfe erkennen (bezogen auf Menschen mit einer niedrigen Gesundheitskompetenz Wittenberg et al ., 2019), soll durch die noch ausstehende analytische Auswertung der Befragungsdaten geprüft werden . Resümierend wird aus der Bedarfsanalyse der Schluss gezogen, die kommunikative und beraterische Unterstützung der von Krebs betroffenen Menschen in unterschiedlichen Phasen des Krankheitsverlaufs in den Mittelpunkt zu stellen und den Phasen jeweils eigene Lernsituationen zu widmen . Im Curriculum werden in Anlehnung an das Trajektmodell vier Phasen ausdifferenziert, nämlich „Kommunikation und Beratung im Umfeld der Diagnose“, „Kommunikation und Beratung bei Therapiebeginn und im Therapieverlauf “, „Kommunikation und Beratung im ‚Auf und Ab‘ der Erkrankung“ und „Kommunikation und Beratung in der Phase der Abwärtsentwicklung und des Sterbens“ . Da nicht vorausgesetzt werden kann, dass das Trajektmodell in allen FWBEinrichtungen im Curriculum vorkommt, wird eine entsprechende Lernsituation vorangestellt . Auch zur „Kommunikation und Beratung von Familiensystemen“ wird im Curriculum eine Lernsituation vorgesehen . Obwohl die Teilnehmenden diesbezüglich weniger Lernbedarf angeben, werden die Ansätze der Partizipativen Entscheidungsfindung sowie der Reflexion von Kommunikation dennoch in das Curriculum mit eigenen Lernsituationen aufgenommen, da diese Ansätze auch vor dem Hintergrund der generellen Bedarfsanalyse als fundamental für eine qualitativ hochwertige Versorgung von Menschen, die von Krebs betroffen sind, angesehen werden können . Bei der Entwicklung der Lehr-Lernangebote muss aber berücksichtigt werden, dass diesbezüglich möglicherweise zunächst eine Lernmotivation seitens der Teilnehmenden aufgebaut werden muss . Obwohl eigentlich nicht Gegenstand des Projekts, wird aufgrund der Zustimmung seitens der Teilnehmenden und der Voten der Curriculumarbeitsgruppe eine Lernsituation zur interprofessionellen Kommunikation integriert . Auf Lernsituationen zu „grundlegenden Kommunikationsanlässen“ wird dagegen aufgrund des geringen Lernbedarfs seitens der Teilnehmenden verzichtet . Weiterbildungseinrichtungen, die dennoch z . B . LehrLernangebote zum Thema Aufnahmegespräche machen möchten, können diesbezügliche Anregungen dem NaKomm entnehmen .
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6.
Strukturprinzipien des Curriculums
Das Curriculum für die Weiterbildung sollte die Strukturen aufnehmen, die auch in aktuellen Konzepten für die Erstausbildung genutzt werden (DBR, 2020) . Es sollte folglich anschließen an die Rahmenlehrpläne der Fachkommission nach § 53 PflBG (2019), wie auch an das NaKomm (Darmann-Finck, Muths, & Partsch, 2017) . Leitende Konstruktionsprinzipien sind demzufolge neben der Situationsorientierung und der Berücksichtigung weiterer curricularer Prinzipien (Wissenschafts- und Persönlichkeitsorientierung), die Orientierung an Kompetenzen, die Realisierung einer Entwicklungslogik im Aufbau von Kompetenzen sowie die Orientierung am Pflegeprozess . Im Unterschied zum NaKomm, das 60 ausgearbeitete Lernsituationen beinhaltet und damit vergleichsweise geschlossen ist, wird das Mustercurriculum für die FWB einen halboffenen Charakter haben, lediglich ausgewählte Lernsituationen werden ausdifferenziert . Um den Aufbau von Kompetenzen (und nicht von trägem Wissen) zu begünstigen, erfolgt die Strukturierung des Curriculums anhand von beruflichen Aufgabenstellungen und Situationen (Reetz & Seyd, 2006) . Damit reflexive Fähigkeiten aufgebaut werden können, die insbesondere auf dem Niveau der FWB von hoher Bedeutung sind, werden vor allem solche Situationen der Berufswirklichkeit als Ausgangspunkt von LLA genutzt, die nicht anhand von Regelwissen zu lösen sind, sondern eine Abwägung unterschiedlicher Handlungsoptionen erfordern, sog . „Schlüsselprobleme der Berufswirklichkeit“ (Darmann-Finck, 2010, S . 186 ff .) . Um diese problembehafteten Situationen bearbeiten zu können, müssen unterschiedliche Kompetenzdimensionen und Wissensbereiche miteinander verknüpft werden, situationsorientierte Curricula sind daher stets fächerintegrierend . Da sich das Mustercurriculum lediglich auf kommunikative und beraterische Kompetenzen bezieht und nicht auf die gesamten Gegenstände der FWB, fokussieren die Lernsituationen ausschließlich kommunikative und beraterische Kompetenzen . Sie sind jedoch so flexibel, dass sie mit anderen Fachmodulen verknüpft werden können (und sollten), unabhängig davon, wie die Curricula in den unterschiedlichen FWB-Einrichtungen strukturiert sind . Der Situationsorientierte Ansatz wird bei der Darstellung von Lernsituationen dadurch umgesetzt, dass Inhalte anhand von Situationsmerkmalen geordnet und den Lernsituationen jeweils Situationsbeschreibungen vorangestellt werden .3 Während das Prinzip der Situationsorientierung die Strukturierung des Curriculums auf der Makroebene kennzeichnet, werden die Prinzipien der Wissenschafts-
Soll der situationsorientierte Ansatz konsequent realisiert werden, müssten alle Module der Fachweiterbildung Onkologische Pflege auf den Prüfstand gestellt werden . Da der Schwerpunkt des Projekts CAROplusONKO aber auf der Entwicklung von digital unterstützten Lehr-/Lernangeboten liegt, wurde von einer solch umfassenden curricularen Entwicklung, die zweifellos sinnvoll wäre, Abstand genommen .
3
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz
und der Persönlichkeitsorientierung auf der Ebene der konkreten Lernsituationen integriert (Reetz & Seyd, 2006) . Dem Prinzip der Wissenschaftsorientierung wird Rechnung getragen, indem sich die Inhalte in den curricularen Einheiten auf den aktuellen Stand der Pflege- und der Bezugswissenschaften stützen . Die Aktualität wird durch eine umfassende Literaturrecherche zu jeder der curricularen Einheiten sichergestellt . Das Prinzip der Persönlichkeitsorientierung wird durch die Kompetenzorientierung umgesetzt, darüber hinaus werden zu jeder curricularen Einheit Bildungsziele angegeben . Die Bildungsziele beschreiben reflexive Einsichten, die die FWB-Teilnehmenden anhand der Erarbeitung einer Lernsituation gewinnen sollen . Diese reflexiven Einsichten werden anhand von Widersprüchen beschrieben . Durch das Denken in Widersprüchen soll die Fähigkeit gestärkt werden, Routinen und eingeschliffene Sichtweise in Frage zu stellen, zu revidieren und ggf . weiterzuentwickeln und letztlich soll darüber die kritische Identitätsbildung der Teilnehmenden gefördert werden . Für jede Lernsituation werden Kompetenzen festgelegt, die sich die Teilnehmenden anhand der vorgeschlagenen exemplarischen Fälle und der angegebenen Inhalte (und darauf abgestimmter Methoden) aneignen sollen . Das Kompetenzniveau, auf das das Curriculum abhebt, wird im Vergleich zur Erstausbildung gesteigert (Rauner, 1999) . Das Mustercurriculum für die FWB baut auf dem Mustercurriculum für die Grundausbildung auf und hebt auf eine Spezialisierung im Hinblick auf Menschen mit onkologischen Erkrankungen und ihren Bezugspersonen sowie auf ein höheres Kompetenzniveau mit Fokus auf „problembehaftete“, z . B . psychisch besonders herausfordernde Kommunikationssituationen, ab . Die Pflegeprozessorientierung wird realisiert, indem zwischen Handlungsanlässen und Handlungsmustern unterschieden wird . Ausgangspunkt des kommunikativen und beraterischen Handelns ist stets ein entsprechender Kommunikations- oder Beratungsbedarf auf Seiten der zu pflegenden Menschen und ihrer Bezugspersonen oder im Rahmen interprofessioneller Zusammenarbeit . Für Handlungsanlässe und Handlungsmuster werden – wenn möglich – Begriffe aus pflegewissenschaftlichen Klassifikationssystemen genutzt (z . B . NANDA, NIC, NOC) (Müller-Staub, Schalek, & König, 2016) . 7.
Konzeption des Mustercurriculums
7.1
Makrostruktur des Curriculums
Die Makrostruktur des Curriculums (Tab . 1) besteht aus neun Lernsituationen . Vier der neun Lernsituationen (LS 1 .0–4 .0) beziehen sich auf übergreifende Grundsätze der Kommunikation mit von Krebs betroffenen Menschen und ihren Bezugspersonen, nämlich auf die Grundsätze der Partizipativen Entscheidungsfindung,
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der Interprofessionellen Kommunikation, der Kommunikation und Beratung von Familiensystemen und der kontinuierlichen (Selbst-)Reflexion der Kommunikation . Fünf weitere Lernsituationen (LS 5 .0–5 .4) orientieren sich an den sich im Verlauf der Krebserkrankung verändernden Kommunikations- und Beratungsanforderungen der zu pflegenden Menschen und ihrer Bezugspersonen . Diese Lernsituationen sind anhand der Phasen des Trajektmodells (Corbin & Strauss, 2004; Thorne et al ., 2014) strukturiert . Mit dem von Corbin und Strauss empirisch ermittelten Trajektmodell lassen sich unterschiedliche Krankheits- und damit verknüpfte Bearbeitungsphasen von Menschen mit chronischen Erkrankungen beschreiben . Es bietet eine Orientierung, um von Krebs betroffene Menschen in den unterschiedlichen Phasen umfassend, auch mit Blick auf die mit dem Leben mit der Krankheit verbundenen psychosozialen Folgen pflegerisch unterstützen zu können . Tab. 1 Übersicht über die Lernsituationen des Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz in der FWB Onkologische Pflege 1.0
Partizipative Entscheidungsfindung
2.0
Interprofessionelle Kommunikation
3.0
Familiensysteme kommunikativ und beraterisch unterstützen
4.0
Reflexion/Kollegiale Beratung
5.0
Kommunikation und Beratung im Krankheitsverlauf: Einführung in das Trajektmodell
5.1
Kommunikation und Beratung im Umfeld der Diagnose
5.2
Kommunikation und Beratung bei Therapiebeginn und im Therapieverlauf
5.3
Kommunikation und Beratung und im ‚Auf und Ab‘ der Erkrankung
5.4
Kommunikation und Beratung in der Phase der Abwärtsentwicklung und des Sterbens
7.2
Konzeption und Darstellung einzelner Lernsituationen
Die Umsetzung der curricularen Prinzipien schlägt sich in der Konzeption und Darstellung der einzelnen Lernsituationen nieder (exemplarisch wird in Tab . 2 ein Entwurf der LS 5 .1 „Kommunikation und Beratung im Umfeld der Diagnose“ dargestellt) . Die Lernsituationen steigen meistens mit Situations- oder Fallbeschreibungen ein . Beispielsweise soll in der LS „5 .1 Kommunikation und Beratung im Umfeld der Diagnose“ eine Kommunikationssituation bearbeitet werden, in der eine Pflegefachperson wegen eines anderen Anliegens das Zimmer einer Patientin betritt und dort auf eine verstörte Patientin trifft, die soeben von ärztlicher Seite über die Krebsdiagnose aufgeklärt wurde . Offensichtlich sind in dem Gespräch noch viele Fragen offengeblieben, denn die Patientin äußert erheblichen Informationsbedarf . Angelehnt an den Ansatz von Kaiser (1985) werden die Inhalte der Lernsituationen anhand der Situationsmerkmale Handlungsanlässe, Kontextbedingungen, ausgewähl-
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te Akteure und Handlungsmuster dargestellt . Die diesen Situationsmerkmalen zugeordneten Kompetenzen und Wissensbestände sollen anhand der eingangs beschriebenen Situation (oder anderer Situationen dieses Situationstyps) integrativ angeeignet werden . In LS 5 .1 besteht der Handlungsanlass u . a . vermutlich in einem Wissensdefizit nach ungenügender ärztlicher Aufklärung und einem emotionalen Schock mit Todesangst der Patientin . Aufseiten der Pflegefachperson ist mit Unsicherheit aufgrund fehlender Information hinsichtlich des genauen Aufklärungsinhalts und -umfangs zu rechnen . Akteure sind neben der Pflegefachperson die zu pflegende Person und ggf . noch Bezugspersonen sowie die aufklärende Ärztin/der aufklärende Arzt . Als relevante Kontextbedingungen, die bei der Gestaltung der Situation berücksichtigt werden müssen, sind die rechtlichen Verantwortlichkeiten im Zusammenhang mit Aufklärung sowie die zeitlichen und örtlichen Gegebenheiten zu nennen . Bei den Handlungsmustern werden Interventionen erarbeitet, die geeignet sind, um Patient*innenergebnisse zu verbessern, etwa Konzepte der interprofessionellen und prozesshaften Aufklärung, aber auch Interventionen zur Unterstützung bei emotionalen Belastungen . Am konkreten Beispiel werden dann im Sinne exemplarischen Lernens Kompetenzen erworben, die auch auf andere Kommunikations- und Beratungsituationen transferiert werden können (Wagenschein, 1965) . Tab. 2 Konzeption und Darlegung am Beispiel der LS 5.1 „Kommunikation und Beratung im Umfeld der Diagnose“ (Entwurf) 5.1 Lernsituation: Kommunikation und Beratung im Umfeld der Diagnose Fallsituation Eine Pflegefachperson betritt mit einem ganz anderen Anliegen das Zimmer einer Patientin. Diese ist soeben (ungenügend) „aufgeklärt“ worden und hat noch viele Fragen bzw. erheblichen Informationsbedarf. Intentionen und Relevanz Der Zeitraum vom Ausbruch einer Erkrankung mit Wahrnehmung von ersten Symptomen bis zur ersten offiziellen Diagnose gilt in der Krankheitsverlaufskurve als Krise. Diese Phase ist oft von großer Unsicherheit begleitet, Gefühle schwanken zwischen Hoffnung und Verzweiflung bzw. Angst. Die von Krebs betroffenen Menschen und ihre Bezugspersonen erleben die Diagnose häufig als eine existentielle Bedrohung. Sie haben einen unterschiedlich hohen Bedarf, komplexe Informationen zu verstehen, um auf dieser Grundlage meistens grundlegende lebensverändernde Entscheidungen treffen zu können. Der Informationsbedarf kann sehr hoch sein, aber auch bis hin zur völligen Verdrängung reichen und sich im Verlauf der Erkrankung immer wieder verändern. Beim Aufklärungsgespräch befinden sich die Beteiligten in unterschiedlichen Erlebniswelten, sodass es zu Kommunikationsproblemen kommen kann. Häufig können im ärztlichen Aufklärungsgespräch aus vielfältigen Gründen nicht alle relevanten Aspekte und die sich daraus ergebenden Konsequenzen thematisiert werden, so dass nach einem Gespräch viele Fragen offenbleiben. Die Aufklärung des von Krebs betroffenen Menschen sollte daher als interprofessioneller Prozess mit Vertreter*innen unterschiedlicher Gesundheitsprofessionen konzeptualisiert werden. Pflegefachpersonen stellen in der Kommunikation oft ein Bindeglied zwischen den von Krebs betroffenen Menschen, ihren Bezugspersonen und den Ärzt*innen dar und bieten Unterstützung vor, während und besonders nach dem ärztlichen Aufklärungsgespräch.
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Bildungsziele Die Teilnehmer*innen reflektieren den Widerspruch, angemessen und professionell mit den Ängsten und Emotionen der von Krebs betroffenen Menschen und ihrer Bezugspersonen umzugehen, und den Grenzen der eigenen Empathiefähigkeit bzw. der Überforderung. Sie suchen nach Lösungsmöglichkeiten bei der Unvereinbarkeit des Informationsbedarfs der betroffenen Menschen und der Informationen, die Pflegefachpersonen in Bezug auf die Diagnose kommunizieren dürfen. Des Weiteren erarbeiten sie den Widerspruch zwischen dem oftmals mangelnden Informationsfluss über Diagnose-/Prognosegespräche zwischen Ärzt*innen und Pflegepersonal einerseits und dem Anspruch, den von Krebs betroffenen Menschen auch über das Aufklärungsgespräch hinaus umfassend mit Informationen zu versorgen. Kompetenzen Die Teilnehmenden – gehen auf die Sorgen und Probleme der von Krebs betroffenen Menschen und ihrer Bezugspersonen empathisch ein und unterstützen sie bei Verunsicherung und starken Emotionen, wie (Todes-)Angst, Furcht, Verzweiflung, Wut und Hoffnungslosigkeit – verstehen das Überbringen „schlechter Nachrichten“ als interprofessionellen Prozess und beteiligen sich daran im Rahmen der pflegerischen Rolle durch einfühlsame, verständliche, Hoffnung vermittelnde und wissensgestützte Informationsgabe – gestalten eine professionelle Beziehung und gemeinsame Kommunikationsbasis mit von Krebs betroffenen Menschen und ihren Bezugspersonen unter Beachtung der individuellen, auch kulturell beeinflussten Lebenswelt und Lebenserfahrungen Inhalte anhand von Situationsmerkmalen Handlungsanlässe
– erfolgte Aufklärung einer von Krebs betroffenen Person über Diagnose, Therapieoptionen und Prognose – erfolgte Diagnose, Erfordernis der Diagnosemitteilung – der emotionale Zustand vom Krebs betroffener Menschen und ihrer Bezugspersonen (Angst/Todesangst/Furcht/Ungewissheit/Trauer) im Umfeld der Diagnose – Unterschiedlicher Informationsbedarf vor, während und besonders nach dem ärztlichen Aufklärungsgespräch
Kontext– bedingungen – – Ausgewählte Akteure
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Handlungsmuster
– – –
–
–
rechtliche Aspekte von Aufklärung einschließlich der Rolle von Ärzt*innen und Pflegefachpersonen Aufklärung und das „Überbringen schlechter Nachrichten“ als interprofessioneller Prozess und die Rolle der Pflegefachpersonen häufiger „Ad-hoc-Charakter“ der Gesprächssituation von Krebs betroffene Menschen mit Informations- und Unterstützungsbedarf nach dem ärztlichen Aufklärungsgespräch Bezugspersonen mit Informationsbedarf interprofessionelle Gestaltung des Aufklärungsprozesses („bringing bad news“) sinnvolle Abstimmung/Absprachen zwischen den Berufsgruppen (Zeitpunkt, Informationen, gemeinsame Durchführung, Aufgabenverteilung) Überbringen schlechter Nachrichten unter Berücksichtigung des SPIKES-Modells (6 Schritte zur Unterstützung bei der Übermittlung schwerwiegender Nachrichten) und des NURSE-Modells Adressatengerechte Patientenedukation unter Nutzung geeigneter Materialien und digitaler Angebote, auch bezogen z. B. auf Unterstützungsangebote anderer Berufsgruppen Psychosoziale und emotionale Unterstützung/Entlastung der von Krebs betroffenen Menschen und ihrer Angehörigen bei der Bewältigung/Verarbeitung der „schlechten Nachrichten“ und Förderung des psychischen Wohlbefindens (z. B. Angstminderung, Unterstützungssystemförderung, Hoffnungsvermittlung, Beruhigung)
Entwicklung eines Mustercurriculums Kommunikative Kompetenz
Didaktischer Kommentar Diese Lernsituation liegt in der Lernumgebung CAROplusONKO ausgearbeitet vor. Literatur4 – …
8.
Fazit und Ausblick
In dem Beitrag wurde der Konstruktionsprozess eines Mustercurriculums zur Förderung der kommunikativen Kompetenz in der FWB Onkologische Pflege auf der Basis einer Bedarfsanalyse beschrieben . Das hier verwendete Konzept einer Bedarfsanalyse stützt sich dabei von vornherein auf den pflegedidaktischen Ansatz der Interaktionistischen Pflegedidaktik, wodurch bereits bei der Bedarfsanalyse Bildungsgesichtspunkte Eingang finden, indem situationsbezogene Kompetenzen zur Bearbeitung von „Schlüsselproblemen der Berufswirklichkeit“ identifiziert werden . Der Prozess und das Ergebnis des Mustercurriculums belegen eindrücklich, wie es mit einer so angelegten Bedarfsanalyse der Lehrenden und ebenso der Lernenden gelingen kann, Bildungsgesichtspunkte und Anforderungen der beruflichen Praxis zusammenzubringen . Diese Vorgehensweise kann als ein Best Practice Beispiel auch für curriculare Entwicklungen anderer Fachweiterbildungen genutzt werden . Bislang steht die Anpassung der pflegerischen Fachweiterbildungen an die curricularen und pflegewissenschaftlichen Grundlagen, auf die sich die Erstausbildung stützt, noch aus . Die Empfehlungen der DKG, die in vielen Bundesländern als Referenz genutzt werden, entsprechen diesen Ansätzen (bspw . Situations- und Kompetenzorientierung) derzeit noch nicht . Durch die enge Abstimmung mit Lehrenden der FWB Onkologische Pflege bei der Entwicklung des Mustercurriculums, die Integration der realen Berufsanforderungen und die flexiblen Einsatzmöglichkeiten sind bereits wesentliche Voraussetzungen für die Implementation des Mustercurriculums erfüllt (Schrader et al ., 2020, S . 27) . Darüber hinaus sollen Schulungen für interessierte Lehrende angeboten werden – ebenfalls ein wichtiger Gelingensfaktor für die Implementation (ebd .) . In dem Projekt CAROplusONKO werden im nächsten Schritt ausgewählte Lernsituationen oder Teile von Lernsituationen anhand der digitalen Lernumgebung CAre Reflection Online (CARO) umgesetzt (Darmann-Finck et al ., 2021) . Das Curriculum bildet dabei die inhaltliche und pflegedidaktisch begründete Basis der digitalen Interaktionsformate . Diese Vorarbeit ist deswegen bedeutsam, weil die Qualität der Inhalte ausschlaggebend für die Qualität digitaler LLA ist . Die LLA sollen insbesondere Tools aufgreifen, die für eine digital unterstützte Kommunikation und Beratung von Krebs betroffener Menschen genutzt werden können .
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Die Literaturliste wurde aus Platzgründen für diesen Beitrag entfernt .
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Derzeit ist in CARO die Auswahl an Interaktionsformaten noch begrenzt . In dem Projekt CAROplusONKO ist geplant, das Spektrum zu erweitern . So sollen zukünftig insbesondere digital unterstützte LLA entwickelt werden, die zu einer stärkeren Verknüpfung des formellen Lernens in den Pflegebildungseinrichtungen und des eher informellen Lernens in den Praxiseinsätzen beitragen (Lewin & Charania, 2018) . Grundlegend hierfür ist ein technisches aufwändiges Tool, mit dem sich Gruppenarbeiten steuern und umsetzen lassen und das auch die digitale Kommunikation unter Teilnehmenden ermöglicht . Nicht nur sogenannte „Ad hoc“-Gruppen, die sich kurzfristig für abgegrenzte Arbeitsaufträge im Präsenzunterricht bilden, sondern auch langfristig angelegte „Projektgruppen“ können damit außerhalb von Präsenzphasen digital unterstützt zusammenarbeiten (Meyer & Schepers, 2020) . Das neue Gruppenarbeitstool stellt außerdem die Voraussetzung für die geplante didaktische Konzeption und technische Umsetzung eines online-gestützten Formats der kollegialen Beratung dar (Kocks, Segmüller, & Zegelin, 2012) . Durch dieses Interaktionsformat können möglicherweise auch Hürden überwunden werden, die die Implementation einer kollegialen Beratung in der Pflegepraxis und in den Fachweiterbildungen oftmals verhindern . Literatur
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II.
Entwicklungslinien Akademisierung und Digitalisierung
Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie Module als Beitrag zur Äquivalenzprüfung von berufsfachschulischen und hochschulischen Kenntnissen und Fähigkeiten RENATE VON DER HEYDEN / SEBASTIAN FLOTTMANN
Educational Transition in Occupational Therapy Designing Modules to Identify the Equivalency of Vocational and Higher Education Skills Kurzfassung: In Ausbildungsprogrammen der Ergotherapie führt die Parallelität von berufs-
fachschulischen und vielfältigen hochschulischen Bildungsangeboten zu einer allgemeinen Unübersichtlichkeit, unter anderem hinsichtlich der Vergleichbarkeit der jeweiligen Abschlüsse . Eine Voraussetzung zur Herstellung einer Transparenz der Bildungswege sowie der jeweiligen Abschlusskompetenzen, ist eine vollständige Überarbeitung bzw . Neuentwicklung der Referenzrahmen für die Ausbildung . Zwei Projektgruppen des Deutschen Verbandes der Ergotherapie haben Entwürfe für neue ordnungspolitische Grundlagen sowie ein Kompetenzprofil vorgelegt und erarbeiten einen Vorschlag zur Modularisierung der Ausbildung . Die damit verbundene Definition von Abschlusskompetenzen sowie eine Modularisierung der berufsfachschulischen Ausbildung unterstützen die Vergleichbarkeit der Abschlüsse, leisten gleichzeitig einen Beitrag zur Bildungsdurchlässigkeit und tragen damit zur weiteren Akademisierung der Ergotherapie bei . Schlagworte: Ergotherapieausbildung, Berufsgesetze, Kompetenzprofil, Modularisierung, Bildungsdurchlässigkeit, Akademisierung Abstract: In occupational therapy training programs, the parallelism of vocational and various
higher education programs results in a lack of clarity, particularly regarding the comparability of their degree . In order to create transparency in educational pathways as well as competencies, a thorough revision or new design of the training regulations is indispensable . Two project groups of the German Association of Occupational Therapists (DVE) presented drafts for new regulatory fundamentals and a competency framework . They are further working on a proposal for modularizing the
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RENATE VON DER HEYDEN / SEBASTIAN FLOTTMANN
training . The definition of competencies as well as a modularization of education programs support transitions in educational pathways and contribute to the academization of occupational therapy . Keywords: Occupational therapy education, professional laws, competency framework, modularization, educational transition, academization
1.
Einleitung
Eine Vollakademisierung der Gesundheitsberufe wird von den Berufsangehörigen gefordert (z . B . Deutscher Verband der Ergotherapeuten, o . A .; Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe, 2020), von der Politik wird aber nur eine Teilakademisierung der Ergotherapie in Aussicht gestellt (z . B . Bundesgesundheitsministerium, 2020; Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen, 2017; Wissenschaftsrat, 2012) . Die Akademisierung der Ergotherapie befindet sich derzeit mit verschiedenen Studienangeboten in einer Aufbau- und Erprobungsphase . Der überwiegende Teil der Studiengänge Ergotherapie sind additiv bzw . integriert oder dual organisiert, so dass eine berufsfachschulische Ausbildung, in Teilen oder komplett, voraussetzend für das Studium ist . In diesen Studiengängen werden häufig ausgewählte berufsfachschulische Ausbildungsinhalte auf das Hochschulstudium pauschal angerechnet . Dies ist nach dem Beschluss der KMK (2002) mit Anteilen bis zu 50 Prozent möglich, wenn die Ausbildungsteile nach Inhalt und Niveau dem anzurechnenden Teil des Studiums gleichwertig sind . Für die Ergotherapie ist das eine fragliche Praxis, da die Äquivalenz der berufsfachschulisch erworbenen Kenntnisse und Fertigkeiten mit den hochschulisch erforderlichen Qualifikationsanforderungen kaum adäquat nachgewiesen werden kann . Unter diesen Vorannahmen sollen im Folgenden die Exo- und Mesosysteme (Reiber et al ., 2017) der Ausbildung von Ergotherapeut*innen diskutiert werden . Das Exosystem betrifft hier die politischen Rahmenbedingungen und das Mesosystem bezieht sich auf Organisationen und Institutionen . Die Ausarbeitungen fokussieren die Bildungsdurchlässigkeit vor dem Hintergrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen sowie der Parallelität berufsfachschulischer und hochschulischer Ausbildungsprogramme und unterbreiten einen Vorschlag zur Gestaltung von Bildungsprogrammen auf der organisatorischen und institutionellen Ebene (Sloane, 2010) . Im Folgenden werden ausgewählte Aspekte der Ausbildung von Ergotherapeut*innen sowie beeinflussende Faktoren mit Blick auf die Bildungsdurchlässigkeit zwischen berufsfachschulischen und hochschulischen Bildungsprogrammen skizziert . Diese Aspekte berücksichtigend, wurde vom Deutschen Verband der Ergotherapie (DVE) eine Projektgruppe initiiert . Deren Entwicklung eines Kompetenzprofils Ergotherapie sowie Vorschläge für eine Modularisierung der Ausbildungsprogramme werden vorgestellt . Abschließend wird ein Ausblick gegeben .
Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie
Dass eine Akademisierung der Ergotherapie kein Selbstzweck ist, sondern zur Steigerung der Versorgungsqualität sowie zur Weiterentwicklung des professionellen Handelns beiträgt, soll hier nicht weiter thematisiert werden, da dies bereits vielfach in Aufsätzen, Statements oder Evaluationsberichten begründet ist (Walkenhorst, 2011) . 2.
Ausgangslage
Die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Ausbildungsprogramme in der Ergotherapie sind veraltet und behindern Anpassungen der Ausbildungsprogramme an aktuelle Anforderungen, Entwicklungen und Bedarfe (z . B . Dieterich et al ., 2019; Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter des Landes Nordrhein-Westfalen, 2015) . Nachdem die Ausbildung von Beschäftigungstherapeuten, so die damalige Berufsbezeichnung, ab 1953 nach länderspezifischen Richtlinien durchgeführt wurde, trat 1976 ein bundeseinheitliches Berufsgesetz sowie eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung mit einem Rahmenlehrplan in Kraft . Die derzeit gültige Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten (ErgThAPrV) wurde 1999 ausgefertigt, mehrfach überarbeitet und zielt nach wie vor auf eine berufsfachschulische Ausbildung ab . Die mehrfachen Überarbeitungen in den letzten Jahren sind als marginal zu bewerten, da das ursprüngliche Prinzip der Fächer- und Inhaltsorientierung beibehalten und nur wenige Inhalte angepasst wurden . In einem Vergleich der derzeit gültigen ErgThAPrV mit dem Rahmenlehrplan der im Jahr 1976 veröffentlichten Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (z . B . Marquardt, 2004), sind selbst hier keine grundlegenden Anpassungen an ergotherapietheoretischen sowie berufspraktische Entwicklungen erkennbar . So erfolgt die Ausbildung von Ergotherapeut*innen heute (2022) noch im Wesentlichen nach dem Gesetz von 1976 . Hierbei muss relativierend anerkannt werden, dass inzwischen den Bundesländern die Möglichkeit eröffnet wurde, eigene Richtlinien zu erlassen, die jedoch mit den bundeseinheitlichen Gesetzen kompatibel sein müssen . Etliche Bundesländer haben diese Möglichkeit genutzt und teilweise Richtlinien nach modernen berufspädagogischen Konzepten, wie z . B . eine Orientierung an Lernfeldern, entwickelt . Des Weiteren ist seit 2009 eine Modellklausel (Bundesrat, 2009) in Kraft und im Berufsgesetz verankert, nach der primärqualifizierende Studiengänge für die Ergotherapie erprobt werden dürfen, die jedoch den bundeseinheitlichen gesetzlichen Grundlagen für die Ergotherapieausbildung genügen müssen . Die ErgThAPrV folgt einer Fächersystematik mit aufgelisteten Inhalten, die sich an den medizinischen Fächern mit den korrespondierenden ergotherapeutischen Behandlungsverfahren orientieren, Handwerk – als ergotherapeutisches Mittel und Medium –mit einem relativ hohen Stundenanteil ausweist und für die praktische Ausbildung lediglich Funktionsbereiche und das jeweilige Stundenkontingent vor-
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gibt . Die Mindeststundenzahl der Ausbildung von insgesamt 4 .400 Stunden unterliegt der Präsenzpflicht und ergibt eine dreijährige Vollzeitausbildung in einer Schullogik . Dies bedeutet u . a ., dass Selbstlernzeiten, außerhalb des Präsenzlernens in der Ausbildungseinrichtung nicht eingeplant sind und der Umfang der ausbildungsfreien Zeiten recht gering ist . Die Regelungen lassen einerseits Freiräume in der Organisation von Bildungsprogrammen zu, andererseits sind jedoch spezifische Innovationen kaum möglich . Für die jeweiligen Ausbildungsinstitutionen ist es durchaus möglich die implizierten Fächer aufzulösen und eine andere Strukturierung, wie z . B . in Lernfeldern zu entwickeln, wenn nachgewiesen werden kann, an welchen Stellen die Inhalte der Fächer in eine andere Ausbildungsstruktur vollständig integriert sind . Eine hochschulische Ausbildung bzw . die Entwicklung von primärqualifizierenden Studiengängen unter Maßgabe der ErgThAPrV wird schwierig, da die Vorgaben, wie z . B . die Praxisphasen kaum in die üblichen Vorlesungs- und Präsenzzeiten eines sechssemestrigen Bachelorstudiengangs integriert werden können und neben einem Bachelorabschluss die staatliche Prüfung laut Vorgabe der ErgThAPrV zur Berufszulassung notwendig ist . Im Allgemeinen stehen seit einigen Jahren die gesetzlichen Rahmenbedingungen für Ausbildungsprogramme in Gesundheitsberufen auf berufsinterner sowie auf politischer Ebene in der Diskussion . Am Beispiel der Ergotherapie ist festzustellen, dass sowohl die bundeseinheitliche Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (Ergotherapeuten-Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, 1999) und das Berufsgesetz (Ergotherapeutengesetz, 1976) als auch die Ausbildungsorganisation aus folgenden Gründen einer grundlegenden Revision bedürfen . 2.1
Berufspolitik
Auf berufspolitischer Ebene fallen Schwierigkeiten in der internationalen Vergleichbarkeit der Berufsabschlüsse auf . International sind die Ausbildungsprogramme in der Ergotherapie an Hochschulen angesiedelt . In Deutschland erfolgt die regelhafte Ausbildung an Berufsfachschulen . Hinsichtlich einer internationalen Mobilität wird der deutsche Berufsfachschulabschluss in vielen Ländern nicht als gleichwertig anerkannt (Klotz, 2019) . Eine Einzelfallprüfung wird oft schwierig, da aus den Ordnungspapieren nicht hervorgeht, über welche Kenntnisse und Fähigkeiten die Absolvent*innen der Berufsfachschulen auf welchem Niveau verfügen . Wird hier formal der Europäische Qualifikationsrahmen (Europäische Kommission, 2008) hinzugezogen, unterscheiden sich die Niveaus offensichtlich, da der Berufsfachschulabschluss im Gegensatz zum Bachelorabschluss, der Niveaustufe 4 zugeordnet ist . Parallel zu den Berufsfachschulen gibt es wenige primärqualifizierende Studiengänge an Hochschulen, an denen die Studierenden sowohl einen Berufsabschluss nach dem Berufszulassungsgesetz (Ergotherapeutengesetz, 1976) als auch einen
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Bachelorabschluss erwerben können . Darüber hinaus existieren weitere, sehr verschieden aufgebaute Studiengänge für Ergotherapie, die dual, ausbildungsbegleitend, berufsbegleitend oder additiv organisiert sind, bis hin zu Fernstudiengängen . Diese Studiengänge sind durch unterschiedliche Studienschwerpunkte charakterisiert, die auf die Ausbildung an Berufsfachschulen anschließen oder aufbauen . Während der DVE, als die wesentliche Interessensvertretung der Berufsangehörigen, eine vollständige Akademisierung der Ausbildung fordert (Deutscher Verband der Ergotherapeuten, o . A .), ist dies von Seiten der Politik derzeit nicht gewünscht (z . B . Bundesgesundheitsministerium, 2020; Wissenschaftsrat, 2012) . Auf absehbare Zeit wird es eine Parallelität der berufsfachschulischen und der hochschulischen Ausbildung in der Ergotherapie geben . Die große Nachfrage nach additiven Studiengängen, nach der ersten berufsfachschulischen Qualifikation (z . B . Klotz, 2019), erzeugt das Problem der Anrechnung von berufsfachschulischen Anteilen auf ein Studium . Die Anrechnung des ersten berufsqualifizierenden Abschlusses, z . B . im Beruf Ergotherapie, auf die zu erbringenden Studienleistungen entspricht der Empfehlung des Wissenschaftsrates zur Gestaltung des Verhältnisses von beruflicher und akademischer Bildung (Wissenschaftsrat, 2014) . Dies erhöht die Bildungsdurchlässigkeit und ermöglicht vielen, sich akademisch weiterzubilden . Demnach sollen berufliche Kompetenzen angerechnet sowie eine zielgruppenorientierte Studienorganisation angeboten werden . Eine vertikale, als auch eine horizontale Durchlässigkeit wünscht ebenso die Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Bundesgesundheitsministerium, 2020) ausdrücklich . Ähnlich wie bei einer internationalen Vergleichbarkeit der Abschlüsse, ergibt sich hier das Problem der Äquivalenzprüfung zwischen berufsfachschulischen Ausbildungsinhalten und hochschulischen Modulen . 2.2
Gesundheitsversorgung
Bis zu Beginn der 1980er Jahre arbeiteten Ergotherapeut*innen ausschließlich in Institutionen, wie Kliniken der Akutversorgung, Rehabilitationskliniken, Werkstätten für Menschen mit einer Behinderung und anderen Einrichtungen . Das bedeutete, dass sie in den Institutionen als Angestellte tätig und kaum mit komplexen Verwaltungsaufgaben konfrontiert waren . Darüber hinaus spezialisierten sie sich während der Berufsausübung in den jeweiligen Institutionen, die eine spezifische Klientel adressierten . Im Jahr 1980 eröffneten die Krankenkassen Ergotherapeut*innen die Möglichkeit einer Zulassung für eine eigene ergotherapeutische ambulante Praxis (Marquart, 2004) . Für diese Praxisinhaber*innen und deren Angestellte erweiterte sich damit das Aufgabenspektrum . Zum einen mussten eine Praxis geführt, Klient*innen akquiriert und Abrechnungen mit den Kostenträgern durchgeführt werden und zum anderen bedingte eine Kassenzulassung keine Spezialisierung auf spezifische Klientengruppen bzw . Gesundheitseinschränkungen . Derzeit arbeitet nahezu die Hälfte der Ergothera-
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peut*innen im ambulanten Sektor (Deutscher Verband der Ergotherapeuten, 2017) . Eine Verifikation, ob dies mit der Tätigkeit in einer Ergotherapiepraxis verbunden ist, ist nicht möglich, da es keine Kammer oder eine ähnliche Organisation gibt, die solche Zahlen zuverlässig erhebt . Es ist jedoch davon auszugehen, dass ein relevanter Anteil in ergotherapeutischen Praxen arbeitet und entsprechende Anforderungen zu bewältigen hat, auf die die berufsfachschulische Ausbildung nicht vorbereitet . In der öffentlichen Gesundheitsversorgung werden bereits seit Jahren Forderungen an alle Gesundheitsberufe gestellt, deren Erfüllung ebenfalls eine Überarbeitung der Ordnungsmittel bedingen . Der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen empfahl bereits 2007 eine Entwicklung der Zusammenarbeit der Gesundheitsberufe als Beitrag zu einer effizienten und effektiven Gesundheitsversorgung im Zusammenhang mit einer neuen Aufgabenverteilung zwischen den Gesundheitsberufen . Der Sachverständigenrat (2007) weist in diesem Zusammenhang ausdrücklich darauf hin, dass jede Veränderung der Kooperation und der Aufgabenteilung zwischen den heute bestehenden Gesundheitsberufen der Überprüfung und gegebenenfalls der Änderung der rechtlichen Voraussetzungen bedarf . Darüber hinaus setzen die Übernahmen neuer Aufgabenfelder oder eine geänderte Verantwortung (Haftung) Anpassungen im Bereich der jeweiligen Primärqualifikationen der einzelnen Berufe oder entsprechende Weiterbildungen voraus . (ebd ., S . 16)
Weiter stellt der Sachverständigenrat (2007) fest, dass die Ausbildungen in den Gesundheitsberufen nicht adäquat auf die Zusammenarbeit mit anderen Gesundheitsberufen vorbereiten und die Ausbildung sämtlicher Gesundheitsberufe inhaltlich nur unzureichend auf eine spätere Kooperation abzielen . „Wenn die Gesundheitsprofessionen künftig besser zusammenarbeiten sollen, muss diese Zusammenarbeit schon während der Ausbildung geübt werden“ (ebd ., S . 25) . Im Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Bundesgesundheitsministerium, 2020) wird im Zusammenhang mit einer Modernisierung der Berufsgesetze der Gesundheitsberufe unter anderem die zunehmende Bedeutung und Notwendigkeit der interprofessionellen Zusammenarbeit als ein konstitutives Element der Veränderungen innerhalb der Gesundheitsversorgung benannt . Ähnlich strukturierte Ausbildungsordnungen sowie explizit formulierte Lernergebnisse erleichtern eine anteilig interprofessionelle Ausbildung . 2.3
Fachwissenschaftliche Entwicklungen
Aus einer fachwissenschaftlichen Perspektive wird sehr deutlich, dass sich das Berufsbild seit Inkrafttreten der ersten Ausbildungs- und Prüfungsverordnung im Jahr 1976 erheblich verändert hat .
Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie
Zu Beginn der Berufswerdung war das berufliche Handeln durch eine reine Anwendungsorientierung mit Rückgriff auf Bezugswissenschaften wie der Medizin, Psychologie und den Sozialwissenschaften gekennzeichnet . Im weiteren Verlauf der Berufsentwicklung kam es in den 1980er und 1990 Jahren zu einer Rezeption ergotherapeutischer Modelle vorwiegend aus dem englischsprachigem Raum, in denen Elemente ergotherapeutischen Handelns expliziert und der Gegenstand der Ergotherapie umrissen wurde . Damit konnte das berufliche Handeln theoretisch eingeordnet und erklärt werden (von der Heyden, 2014) . Seit Anfang des neuen Jahrtausends fordern Krankenkassen (z . B . Gemeinsamer Bundesausschuss, 2021) aber auch Berufsvertreter*innen Wirksamkeitsnachweise für ergotherapeutische Interventionen im Sinne einer Evidence Based Practice (EBP) . Eine evidenzbasierte Berufspraxis setzt Studien zu den Effekten ergotherapeutischer Interventionen bei spezifischen Problemen und Zielen voraus . Da eine Akademisierung und damit Forschungsaktivitäten sich bis heute noch im Aufbau befinden, wird eine EBP in ersten Ansätzen, vorwiegend von akademisch weitergebildeten Ergotherapeut*innen auf Basis vorliegender Studienergebnissen erprobt . Seit ein paar Jahren sind Bemühungen für eine Wissenschaftsbasierung der Ergotherapie aus der beruflichen Community zu verzeichnen . Deutlich wird dies vor allem an zwei Aktivitäten: Der Gründung der deutschen Sektion der Occupational Science, die zunächst auf die Förderung und Etablierung von Grundannahmen und Erkenntnissen der Occupational Science (Betätigungswissenschaften) in Deutschland, als die zentrale Grundlagenwissenschaft der Ergotherapie, abzielt . Die zweite Aktivität besteht in der Gründung der „Deutschen Gesellschaft für Ergotherapiewissenschaft e . V .“ (DGEW), die sich die Weiterentwicklung der Ergotherapiewissenschaft in Deutschland zum Ziel gesetzt hat . In die derzeitig gültige ErgThAPrV (1999) sind Ergotherapeutische Modelle (Erklärungsmodelle zu den Gegenstandsbereichen von Ergotherapie) sowie eine Einführung in die Statistik und fachbezogene Anwendung, als eine Orientierung zur Logik und zum Aufbau von Studien, in die Inhaltsliste aufgenommen, eine solide, vertiefte Auseinandersetzung mit den jeweiligen Gegenständen ist unter den Rahmenbedingungen der berufsfachschulischen Ausbildung jedoch kaum möglich (z . B . Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe & Verbund für Ausbildung und Studium in den Therapieberufen, 2020) . 2.4
Akademisierung
Ein Vergleich der Bachelorstudiengänge für Ergotherapie in Deutschland lässt vermuten, dass die jeweiligen Absolvent*innen zwar über das gleiche Qualifikationsniveau verfügen, jedoch ein unterschiedliches Kompetenzniveau aufweisen und in einem unterschiedlichen Maße befähigt sind, im weiteren Sinne wissenschaftlich zu
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arbeiten (von der Heyden, 2015) . Kälble (2008) kritisiert vor allem Studiengänge, in denen außerhalb der Hochschule erworbene Kenntnisse und Fähigkeiten auf ein Bachelorstudium bis zu 50 Prozent angerechnet werden . Er führt aus, dass die entsprechenden Studierenden die Hälfte ihres Studiums „absolvieren“, ohne jemals an diesen Veranstaltungen in ihrem Studiengang teilgenommen zu haben . Sie sollen über dieselben Kenntnisse und Fähigkeiten verfügen wie Studierende, die die entsprechenden Module besucht und erfolgreich absolviert haben . Damit verwische der Unterschied zwischen hochschulischer und fachschulischer Bildung . Unabhängig von der politisch gewollten Durchlässigkeit des Bildungssystems sowie der jeweiligen Ausbildungsdauer und dem individuellen Engagement, bezeichnet Kälble (2008) das auch in anderen Studiengängen praktizierte Vorgehen der Anrechnung außerhochschulisch erworbener Zertifikate auf ein Studium als „Pseudo-Akademisierung“ (ebd . S . 206) . Vor dem Hintergrund, dass auf bundespolitischer Ebene derzeit lediglich eine Teilakademisierung in Aussicht gestellt wird, akademisch ausgebildete Ergotherapeut*innen jedoch auf Grund der vielfältigen Aufgabenveränderungen bzw . -erweiterungen notwendig sind, ist eine Bildungsdurchlässigkeit mit der Anrechnung berufsfachschulischer Kompetenzen so zu gestalten, dass Äquivalente möglichst eindeutig identifiziert werden können . Hierzu bedarf es eines Bewertungssystems, das sowohl die Art als auch die Qualität der jeweiligen Kompetenzen im Einzelnen erfasst (Euler & Severing, 2006; Weyland et al ., 2014) . Dies gelingt umso einfacher, desto ähnlicher die Bildungsprogramme organisiert sind . 2.5
Berufspädagogik
Aus einer berufspädagogischen Perspektive ist die Auflistung von Fächern mit stichpunktartig hinzugefügten Inhalten eine veraltete Form für Ausbildungsrichtlinien (Buschfeld & Kremer, 2010) . Nicht nur in der beruflichen Bildung hat sich die Erkenntnis durchgesetzt, dass ein fragmentiertes Lernen von Inhalten in Form von Fächern für eine spätere Verwendung des Gelernten wenig förderlich ist . Lernenden wird die Entwicklung einer beruflichen Handlungsfähigkeit eher ermöglicht, wenn die Lehr-Lernarrangements sich an beruflichen Situationen orientieren (z . B . Arnold, 2007; Neuweg, 2004) . Hinsichtlich der Anrechnungen von Teilen der Ausbildung auf ein Studium, erschweren die Fächerorientierung in Kombination mit einer möglicherweise Inhalte reproduzierenden Abschlussprüfung, eine Identifikation der sich mit Studieninhalten überschneidenden Lernergebnissen (Euler & Severing, 2006) . Im dualen Ausbildungsbereich sowie in einigen anderen Gesundheitsberufen, wie z . B . der Pflege (Fachkommission Pflegeberufegesetz, 2019), orientieren sich einige Ordnungsmittel an Lernfeldern und legen damit das didaktische Prinzip der Kompetenz-
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orientierung für die Ausbildungsprogramme nahe . Laut Sloane (2010) werden in Lernfeldern berufliche Aufgabenstellungen beschrieben, die kompetenzbasiert sein sollen und das berufliche Können und Wissen der Lernenden nach Abschluss des Lernfeldes definieren . Des Weiteren sind weder im Berufsgesetz noch in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Ergotherapie Ausbildungsziele benannt . Diese Mängel sind auf administrativer Ebene anscheinend erkannt, wenn im Eckpunktepapier der Bund-Länder-Arbeitsgruppe eine der Forderungen ist, die Ausbildungen kompetenzorientiert zu gestalten sowie in allen Berufsgesetzen kompetenzorientierte Ausbildungsziele zu formulieren (Bundesgesundheitsministerium, 2020, S . 4) . 2.6
Zwischenfazit
Die Liste der Begründungen für eine Revision der Ordnungsmittel für Ausbildungsprogramme in der Ergotherapie ist beispielhaft und ließe sich noch weiter fortsetzen . Die Forderungen von unterschiedlichen Akteur*innen zur Überarbeitung der Gesetze können nicht paternalistisch auf politischer Ebene erfüllt werden, sondern es bedarf verschiedener Vorarbeiten sowie der Beteiligung der professionellen Community . Wenn die Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Bundesgesundheitsministerium, 2020) berichtet, dass die Gesundheitsministerkonferenz im Juni 2007 die Einrichtung einer Arbeitsgruppe anregte, um einen Aktionsplan für eine „bedarfsorientierte Ausbildung in den Gesundheitsfachberufen sowie eine Neustrukturierung der Aufgabenund Kompetenzprofile“ (ebd ., S . 1) zu erstellen und unter anderem eine Revision der Berufsgesetze erfolgen solle (Dieterich et al ., 2019), braucht es eine Beteiligung von berufspolitischen Vertreter*innen der angesprochenen Berufe . Diese Entwicklungen antizipierend hat der DVE Projektgruppen installiert, die nacheinander, Entwürfe für eine neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung, für ein neues Berufsgesetz sowie ein Kompetenzprofil entwickelten und Möglichkeiten für eine Modularisierung auch der berufsfachschulischen Ausbildung erarbeiten . 3.
Kompetenzprofil Ergotherapie
Eine erste Projektgruppe wurde seitens des DVE bereits 2007 in Folge eines Antrages beim Bundesministerium für Gesundheit (BMG) zur Novellierung des Ergotherapeutengesetzes (ErgThG) initiiert (Longrée & Junge, 2017) . Ziel war es u . a . einen vollkommen neuen Entwurf des Gesetzes und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (ErgThAPrV) zu gestalten und dabei insbesondere die Aspekte hochschulische Ausbildung, die Qualifikation von Lehrenden, Formulierung eines Ausbildungsziels und eine Kompetenzorientierung zu bearbeiten . Aufgrund von stetigen neuen bildungs-
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politischen Entwicklung mussten immer wieder Adaptionen von Zwischenergebnissen vorgenommen werden, bis 2017 die Entwürfe (DVE, 2017a; DVE 2017b) finalisiert werden konnten und diese im Austausch mit den zuständigen Fachabteilungen dem BMG vorgelegt wurden (Longrée & Junge, 2017) . Die Entwürfe sind derart konzipiert, dass sie sowohl für eine berufsfachschulische als auch für die hochschulische Ausbildung von Ergotherapeuten gelten . Leitende Momente der Entwürfe der gesetzlichen Grundlagen sind der ergotherapeutische Gegenstand Betätigungen sowie die selbständige und verantwortliche Durchführung des ergotherapeutischen Prozesses . Im direkten Anschluss wurde 2017 eine zweite DVE-Projektgruppe gegründet, um ein „Kompetenzprofil Ergotherapie“ (DVE, 2019) und einen Entwurf für die Modularisierung der Ausbildung zu erstellen . Ein Kompetenzprofil ist für verschiedene berufliche Verwertungszusammenhänge sinnvoll . Es spiegelt die berufsspezifischen Kompetenzen wider, trägt zu einem Abgleich der Ausbildungsinhalte verschiedener Ausbildungsstätten bei und bietet zudem einen grundlegenden Beitrag zur Bildung einer gemeinsamen Berufsidentität . Darüber hinaus liefert es eine argumentative Basis in berufspolitischen Aktivitäten, wie in der Etablierung neuer Handlungsfelder, den Verhandlungen über die Vergütung therapeutischer Leistungen oder Forderungen zu Verantwortungserweiterungen . Für Ausbildungen im dualen System ist es verpflichtend, für den berufsfachschulischen Teil im Rahmen von Lernfeldern berufsspezifische Kompetenzen zu formulieren (Kultusministerkonferenz, 2018) . Dies gilt für therapeutische Gesundheitsberufe bisher nicht . Das Kompetenzprofil Ergotherapie ist insbesondere vor dem Hintergrund der Eckpunkte der Bund-Länder-Arbeitsgruppe (Bundesgesundheitsministerium, 2020) zum „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ relevant . Unter anderem wurde die Bund-Länder-Arbeitsgruppe beauftragt, die Aufgaben und Kompetenzprofile der Gesundheitsberufe neu zu strukturieren und neu zu ordnen, was das Vorliegen von entsprechenden Kompetenzprofilen voraussetzt . Übergeordnete Bezugspunkte im Entwicklungsprozess bildeten der Europäische Qualifikationsrahmen (EQR) sowie der Deutsche Qualifikationsrahmen (DQR) und das Kompetenzverständnis nach Weinert (2001) und Klieme (BMBF, 2003) . Die konkrete Ausgestaltung erfolgte in Anlehnung an das Rollenmodell der „Canadian Medical Education Directives for Specialists“ (CanMEDS) (Frank, 2005 und 2015) und auf Basis einer Analyse bestehender professionsbezogener Kompetenzprofile und der anderer Gesundheitsberufe . Einerseits wurden zentrale internationale ergotherapeutische Kompetenzprofile, bspw . das „Profile of Practice of Occupational Therapists in Canada“ oder die „Abschlusskompetenzen für die Fachhochschul-Gesundheitsberufe“ aus der Schweiz, und andererseits nationale Referenzrahmen angrenzender Professionen, insbesondere der „Nationalen Kompetenzbasierten Lernzielkatalog Medizin“ (NKLM), als Grundlage genutzt und somit dahingehend eine Anschlussfähigkeit hergestellt wurde . Nicht umfassend umgesetzt werden konnte dieser Aspekt in Bezug auf angrenzende Therapieberufe, da in der Physiotherapie ein anderes Kompetenzmo-
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dell vorliegt (Becker, 2019) und das Kompetenzprofil der Logopädie (Deutscher Bundesverband für Logopädie, 2014) einer anderen Systematisierung folgt . Entgegen der Unterteilung in Rollen wurde im Kompetenzprofil Ergotherapie bewusst auf diese Bezeichnung verzichtet und der Begriff Domäne verwendet, weil damit die Zuständigkeitsbereiche respektive die Handlungsfelder der Ergotherapie betont werden . Folgende sieben Domänen ergotherapeutischen Handelns wurden in Anlehnung an die CanMEDS entwickelt (siehe Abb . 1): „Ergotherapeutische Expertise“, „Kommunikation“, „Zusammenarbeit“, „Management“, „Fürsprache“, „Lernen“ und „Professionalität“ (DVE, 2019, S . 9) . Eine wesentliche Stellung nimmt die Domäne „Ergotherapeutische Expertise“ ein, da sich in dieser alle übrigen Domänen bündeln und somit ein Zusammenwirken aller Domänen vorhanden sein muss, um beruflich kompetent handeln zu können .
Abb. 1 Das Kompetenzprofil Ergotherapie (DVE, 2019, S. 9) © DVE
Alle Kompetenzen wurden auf DQR Niveau 6 formuliert und stellen die beruflichen Eingangskompetenzen nach einer zeitgemäßen Ausbildung dar, um sich den aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Rahmen der Gesundheitsversorgung, bspw . den „demografischen, epidemiologischen, technologischen, politischen und ökonomischen Entwicklungen“ (ebd ., S . 8), stellen zu können . Damit wird die Zuordnung der berufsfachschulischen Ausbildung zu DQR 4 bewusst vermieden, um das Ausmaß der Planung, Bearbeitung und Evaluation komplexer beruflicher Aufgaben, der eigenverantwortlichen Steuerung von Prozessen und der Orientierung an wissenschaftli-
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chen Erkenntnissen in der beruflichen Praxis zu verdeutlichen . Eine Formulierung der Kompetenzen auf Niveaustufe 4 ist im Abgleich mit den beruflichen Anforderungen nicht adäquat . Mit dem Kompetenzprofil liegen Verschriftlichungen dazu vor, auf welche Ergebnisse eine Ausbildung in der Ergotherapie abzielt . 4.
Modularisierung von Ausbildungsprogrammen
Mit der Bologna-Erklärung 1999, und der damit einhergehenden gestufte Studiengangsorganisation in Bachelor- und Masterabfolge sowie der Einführung eines Kreditpunktesystems, ist in Deutschland eine Modularisierung von Bildungsprogrammen verbunden (Sloane, 2008) . Die Angleichung von Studienabschlüssen an angelsächsische Traditionen sowie die Modularisierung von Studiengängen sollte die internationale und nationale Studien-, Arbeits- und Bildungsmobilität (Durchlässigkeit), die Flexibilisierung von Bildungsprogrammen sowie die Qualitätssicherung fördern . Nachdem die Vergabe von Kreditpunkten und eine Modularisierung zunächst vorwiegend Hochschulen betraf, wurde dies auch mit der Kopenhagen-Erklärung 2002 sowie der Entwicklung des Europäischen Qualifikationsrahmens (EQR) und eines Europäischen Credit Transfer Systems (ECVET [European Credit System for Vocational Education and Training]) für die berufliche Bildung im dualen System angestrebt (ebd .) . Mit der Vergabe von Punkten für spezifische Lernleistungen ist die Erwartung an eine genauere Einschätzung des Arbeitsaufwands (Workload) zur Erbringung der Lernleistung verbunden . Eine Herstellung von Transparenz, dem Transfer von Leistungspunkten und der gegenseitigen Anerkennung von Lernergebnissen soll auch im Bereich der beruflichen Bildung Mobilität ermöglichen . Eine mögliche Ausgestaltung unter Einbezug der Ausbildungen Altenpflege, Ergotherapie, Logopädie und Physiotherapie findet sich in Fischer et al . (2013) . 4.1
Durchlässigkeit durch Anrechnung
Die Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen auf die Hochschulausbildung erhöht die Durchlässigkeit zwischen dem beruflichen und hochschulischen Bildungsbereich und erzeugt eine Steigerung der bildungsökonomischen Effizienz (Euler & Severing, 2006) . Sloane (2008) schlägt vor, für die berufliche Bildung innerhalb des dualen Systems identifizierbare und bewertbare kleinere Einheiten zu beschreiben, die durchaus den Charakter einer „virtuellen“ Modularisierung aufweisen könnten, um das deutsche Berufskonzept nicht aufgeben zu müssen . Für Pflegeberufe wurde ein solches Verfahren bereits 2008 entwickelt und erprobt (Weyland et al ., 2014) . Im Allgemeinen erzeugt die Nachfrage nach akademischen Abschlüssen nach einer ersten beruflichen Qualifizierung unter anderem die Frage zur Anrechnung beruflich
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erworbener Kompetenzen auf ein Studium (Euler & Severing, 2006) . Eine Anrechnung beruflich erworbener Kompetenzen ist dann möglich und sinnvoll, wenn der anvisierte Studiengang einen engen Bezug zum Herkunftsberuf aufweist, wie z . B . eine Bewerbung mit einem berufsfachschulischen Abschluss in der Ergotherapie für einen Studiengang Ergotherapie . Für das duale Ausbildungssystem stellt Bensel (2004) fest, dass „mit dem Erwerb von Doppelqualifikationen in einer beruflichen und in einer hochschulischen Ausbildung, ohne dass Teile gegeneinander angerechnet werden, […] in hohem Maße Bildungs- und Qualifikationspotenziale [verschwendet werden] – nicht nur die der Mitarbeiter, sondern gesamtgesellschaftlich gesehen“ (ebd . S . 6) . Darüber hinaus werde Gelerntes noch einmal vermittelt und Ausbildungszeiten verlängerten sich (Brosi, 2004; Sloane, 2008) . Dies trifft auf additive Studiengänge für Ergotherapie ebenso zu und ist vor dem Hintergrund relevant, als dass solche Studiengänge, genau wie der berufsfachschulische Abschluss, auf die klinische Tätigkeit abzielen . Auch mit Anrechnungen ist eine solche Bildungsbiografie bis zum Bachelorabschluss vergleichsweise lang . Eine modularisierte Bildungsorganisation mit der Vergabe von Kreditpunkte für umschriebene Bausteine (Module), vereinfacht eine Anrechnung erworbener Kompetenzen auf weitere Bildungsprogramme bzw . ermöglicht eine adäquate Anrechnung . Bisher erfolgt in additiven Studiengängen für Ergotherapie vorwiegend eine pauschale Anrechnung . 4.2
Charakter und Zielsetzung von Modulen
Hinsichtlich der Modularisierung von Ausbildungsprogrammen kann in Anlehnung an Kloas (2001) festgehalten werden, dass eine berufliche Qualifikation aus einer Kombination von Teilkompetenzen besteht, die in Modulen erworben und überprüfbar sind . Ein Modul ist somit ein Teil des Ganzen, der gesamten Ausbildung . Euler und Severing (2006) sprechen von Ausbildungsbausteine, denen sie folgende drei Merkmale zuweisen . – „Ein Ausbildungsbaustein bezieht sich auf einen abgegrenzten Tätigkeitsbereich innerhalb des Ausbildungsberufes . Die einzelnen Bausteine entstehen aus einem ganzheitlichen Ausbildungsberufsbild, umgekehrt repräsentieren sie in ihrer Gesamtheit die Einheit des Berufsbilds . Damit korrespondiert die vertragsrechtliche Komponente, dass Ausbildungsverhältnisse innerhalb des dualen Systems unverändert über die Gesamtdauer der Ausbildung abzuschließen sind . – Die Schneidung der Ausbildungsbausteine legitimiert sich durch ihr Potenzial zur Erreichung von didaktischen und/oder berufsbildungspolitischen Zielen . – Die erfolgreiche Absolvierung eines Ausbildungsbausteins begründet die Möglichkeit zur Anrechnung dieser Ausbildungsteilleistung .“ (ebd ., S . 43)
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Knigge-Demal und Hundenborn (2011) betonen, dass die Entwicklung von Modulen nicht auf Grundlage von Ausbildungsinhalten bzw . Fächern erfolgt . Vielmehr stellen sie abschlussorientierte Bausteine dar, die ein Thema oder einen Schwerpunkt fokussieren und auf dem Kompetenzprofil des angesprochenen Berufes basieren . Für die berufliche Bildung fordert Kloas (2001) die jeweiligen Module, wie es auch an Hochschulen üblich ist, mit einer Prüfung abzuschließen und zusätzlich am Ende des Ausbildungsprogramms eine Abschlussprüfung der Gesamtqualifikation anzusetzen, da die berufliche Handlungsfähigkeit mehr erfordert, als die Summe der einzelnen Module . Hochschulen mit primärqualifizierenden Studiengängen für die Ergotherapie praktizieren derzeit ein solches Vorgehen, bemängeln jedoch den hohen Aufwand sowie eine Inkompatibilität zwischen beruferechtlichen und hochschulrechtlichen Vorgaben (Darmann-Finck et al ., 2013) . 4.3
Modularisierung der Ausbildung in der Ergotherapie
Die Organisation von berufsfachschulischen Bildungsprogrammen in Form von Modulen ist in therapeutischen Gesundheitsberufen noch ungewöhnlich, aber gerade durch die mit Hochschulen vergleichbaren Voraussetzungen besonders dafür geeignet . Ähnlich wie an Hochschulen, liegt die Gesamtverantwortung sowohl für die theoretische als auch für die praktische Ausbildung bei den ausbildenden Schulen (Gesetz über den Beruf der Ergotherapeutin und des Ergotherapeuten, 1976) . Der Anteil theoretischer Lerngegenstände beträgt nahezu zwei Drittel der Ausbildungszeit und Lernerfolgsüberprüfungen sind während der Ausbildung frei planbar . Neben einer adäquaten Anrechnung der erworbenen Kompetenzen auf andere Bildungsprogramme, bedingt eine Modularisierung auch die Formulierung von Lernergebnissen, die in der Summe die Ausbildungsziele definieren . Für die Ergotherapie würde dies einen Fortschritt in berufsfachschlichen Ausbildungsprogrammen bedeuten, da bisher die Definition von Ausbildungszielen oder Lernergebnissen gesetzlich nicht verankert ist . Mit einer angestrebten Revision des Berufsgesetzes sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für Ausbildungsprogramme in der Ergotherapie verknüpft der Deutsche Verband der Ergotherapeuten (DVE) die Erwartungen, die in einer Projektgruppe entwickelten Entwürfe umzusetzen und damit Ausbildungsprogramme völlig neu zu organisieren . Im Entwurf einer neuen ErgThAPrV (vgl . Deutscher Verband der Ergotherapeuten, 2017b), der dem Bundesgesundheitsministerium vorliegt, ist eine Abkehr von einer Fächersystematik hin zu einer Handlungssystematik angelegt . Nach einer Überführung der Entwürfe in Gesetze stehen die Berufsfachschulen vor der Aufgabe, ihre Curricula entsprechend zu überarbeiten . Der Entwurf des DVE einer neuen ErgThAPrV impliziert ein lernfeldorientiertes Curriculum in Form von Modulen .
Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie
Aufbauend auf die Entwürfe eines neuen Ergotherapeutengesetzes sowie einer neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Ausbildung in der Ergotherapie und dem Kompetenzprofil des DVE erarbeitet eine Projektgruppe des DVE Vorschläge für exemplarische Module und damit einer Modularisierung der Ausbildung . Der Vorschlag für eine modularisierte Ausbildung beruht auf der Annahme einer adäquaten Vergleichbarkeit von berufsfachschulischen und hochschulischen Ausbildungsprogrammen . Darüber hinaus vereinfacht eine Modularisierung der berufsfachschulischen Ausbildung die Anrechnung von Ausbildungsanteilen auf ein Studium (siehe Abb . 2) .
Erläuterung: ECVET: European Credit System for Vocational Education and Training ECTS: European Credit Transfer System Abb. 2 Gelingensbedingungen der Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie (eigene Darstellung)
Dies ist von hoher Relevanz, da die meisten Studiengänge in der Ergotherapie derzeit additiv bzw . integriert angelegt sind, das heißt, eine Studienvoraussetzung ist der Berufsabschluss oder ein Ausbildungsvertrag mit einer Berufsfachschule . Für integrierte Studiengänge ist eine modularisierte berufsfachschulische Ausbildung in der Entwicklungsphase interessant, wenn berufsfachschulische Module (Kenntnisse und Fähigkeiten) identifiziert werden müssen, die korrespondierenden Hochschulmodulen gleichwertig sind . Mit Inkrafttreten neuer gesetzlicher Rahmenbedingungen für Ausbildungsprogramme stehen insbesondere Berufsfachschulen sowie Hochschulen mit primärqualifizierenden Studiengängen vor der Herausforderung ihre Curricula komplett zu überarbeiten . Derzeit muss davon ausgegangen werden, dass in den meisten Bundesländern nur wenige Lehrende an Berufsfachschulen für Ergotherapie über eine akademische pädagogisch-didaktische Qualifikation verfügen (vgl . Bonse-Rohmann, 2015) um eine komplette Neukonstruktion des schuleigenen Curriculums und die damit verbundenen Herausforderungen zu bewältigen . Diese Annahme leitet sich von den bundesrechtlichen Mindestanforderungen ab, die keinen akademischen Abschluss für die Lehrenden in Berufsfachschulen für Ergotherapie vorschreiben, ausgenommen der Bundesländer, in denen eine akademische, berufspädagogische Qualifikation voraussetzend für die Übernahme einer Lehrtätigkeit in Schulen für Er-
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gotherapie ist . Ähnliche Voraussetzungen liegen bei Hochschullehrenden vor, die beruferechtliche mit hochschulrechtlichen Vorgaben verknüpfen müssen . Um den Verantwortlichen zu gegebener Zeit eine Unterstützung zur Curriculumentwicklung zur Verfügung stellen zu können, konstruiert die Projektgruppe exemplarische Modultitel für die komplette Ausbildung, erstellt einen möglichen Plan mit einer Anordnung der Module im Ausbildungsverlauf und arbeitet vier Beispielmodule vollständig aus . Die Auswahl der vier Beispielmodule erfolgte unter der Prämisse, dass in einem der Module eine betätigungsorientierte Handlungssystematik sehr deutlich werden soll, ein interprofessionell angelegtes Modul beschrieben wird, ein Modul mit hohem Praxisanteil entwickelt wird sowie ein Modul mit typischen Gegenständen der Ergotherapie, den Klient*innen erarbeiten werden sollte . Mit dieser Auswahl werden sowohl fachliche und handlungssystematische Neuerungen als auch unterschiedliche Lehr-Lernformate fokussiert . Das Vorgehen der Projektgruppe in der Entwicklung von Beispielmodulen orientiert sich an den Empfehlungen des DVE zur Ausbildung von Ergotherapeutinnen und Ergotherapeuten (2017c) . Die Empfehlungen beziehen sich unter anderem auf ein Fachgutachten zur Kompetenzorientierung in Studium und Lehre von Schaper (2012) sowie auf ein Themendossier der Abteilung Hochschuldidaktik der Universität Freiburg (Klein & Weiss, 2016) . In den Empfehlungen des DVE (2017c) werden folgende Schritte zur Modulentwicklung vorgeschlagen: – „Strukturierung des Ausbildungsablaufs, inkl . der praktischen Ausbildung in Modulen, wobei die Orientierung am Kompetenzprofil sicherzustellen ist – Zeitliche Einordnung der Module in den Studien- oder Ausbildungsablauf – Formulierung von Learning Outcomes auf der Modulebene . Sie stellen zentrale Elemente einer kompetenzorientierten Ausbildung dar – Abstimmung der Modulkonzeption mit allen an der Ausbildung beteiligten Akteure/Gruppen“ (ebd ., S . 10) Allein der letzte Schritt kann im Rahmen der Projektgruppe nicht erfolgen, da die Beispielmodule für fiktive Ausbildungsprogramme konstruiert werden . Eine Diskussion mit verschiedenen Lehrenden und Praxisanleiter*innen ist demgegenüber möglich und notwendig . Diese Notwendigkeit zeigt sich, neben den Anforderungen an die Qualität der Ergebnisse, nach den Erfahrungen der arbeitsteiligen Erarbeitung der Beispielmodule . Begleitend zu den Beispielmodulen erarbeitet die Projektgruppe eine Handreichung mit weiteren Anleitungen zur Curriculumkonstruktion im Modulformat . Diese Handreichung adressiert Lehrende an Berufsfachschulen und an Hochschulen und befindet sich derzeit noch in der Entwicklungsphase .
Bildungsdurchlässigkeit in der Ergotherapie
5.
Zusammenfassung
Die Ausbildung von Ergotherapeut*innen an Hochschulen hat begonnen, wobei Studiengänge, in denen die vollständige Verantwortung für die Ausbildung bei den Hochschulen liegt, lediglich als Modellstudiengänge beantragt werden können . Die beim DVE gelisteten Bachelorstudiengänge Ergotherapie sind vorwiegend additiv, ausbildungsbegleitend, integrierend oder dual angelegt (Wissenschaftsrat, 2020) . Das bedeutet, dass eine Anrechnung von berufsfachschulischen Ausbildungsanteilen auf das Studium erfolgt . Die Äquivalenz von berufsfachschulischen und hochschulischen Leistungen hinsichtlich der Inhalte sowie der zeitlichen Dimension, wird in den jeweiligen Hochschulen sehr unterschiedlich bewertet . Unter solchen Voraussetzungen hat die Akademisierung der Ergotherapie immer noch Erprobungscharakter und wird zwischen Berufsangehörigen und der Politik diskutiert . Unstrittig ist hierbei, dass ein gesetzlicher Rahmen auch für hochschulische Ausbildungsprogramme in der Ergotherapie geschaffen werden muss . Durch die Vorlage der Entwürfe eines neuen Ergotherapeutengesetzes sowie einer neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung beim Bundesministerium für Gesundheit sind in diesem Bereich erste notwendige Schritte erfolgt . Auch nach einer Verabschiedung neuer gesetzlicher Rahmen für die Ausbildung in der Ergotherapie wird es mittelfristig eine Parallelität berufsfachschulischer und hochschulischer Ausbildung geben . Desgleichen wird es Studiengänge geben, die auf einem berufsfachschulischen Abschluss aufbauen oder auf irgendeine Art und Weise mit Berufsfachschulen kooperieren . In Orientierung an politische Verlautbarungen wie z . B . dem Eckpunktepapier zum Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe (Bundesgesundheitsministerium, 2020) ist davon auszugehen, dass eine neue Ausbildungs- und Prüfungsverordnung eine vollständige Überarbeitung der Curricula in den Berufsfachschulen bedingt . Der Entwurf einer neuen Ausbildungs- und Prüfungsverordnung des DVE impliziert lernfeldorientierte Curricula . Die berufs- und auch bildungspolitischen Entwicklungen implizieren eine Modularisierung der berufsfachschulischen Ausbildung . Unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der gesetzlichen Rahmenbedingungen, benötigen die Berufsfachschulen Unterstützung in der Curriculumentwicklung, da ein hoher Anteil des Bildungspersonals in vielen Bundesländern nicht über eine akademische pädagogisch-didaktische Qualifikation verfügt (Reiber et al ., 2017; Bonse-Rohmann, 2015) und daher Kompetenzen zur Curriculumentwicklung nicht vorausgesetzt werden können . Darüber hinaus fehlen – insbesondere in den privatwirtschaftlich betriebenen – Berufsfachschulen oft zeitliche und personelle Ressourcen für konzeptionelle Aufgaben . Erschwerend kommt ein hoher Anteil von Honorarkräften hinzu, die selten in schulinterne Diskussionen und Entwicklungen eingebunden werden . Mit Blick auf die Rahmenbedingungen in den Berufsfachschulen und vor dem Hintergrund der berufspolitischen Entwicklungen, erstellt die Projektgruppe des DVE
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eine Handreichung zur Curriculumentwicklung auf Basis einer neuen Ausbildungsund Prüfungsverordnung und dem Kompetenzprofil des DVE . In der Handreichung wird eine modularisierte Curriculumkonstruktion vorgeschlagen und der Entwicklungsprozess mit den Spezifika in Berufsfachschulen für Ergotherapie beschrieben . Die Handreichung kann nur eine von weiteren Hilfen zur Curriculumentwicklung sein . Es ist davon auszugehen, dass für die Verantwortlichen in den Schulen Schulungen vorgehalten werden müssen, in denen eine Curriculumentwicklung nach den neuen Gesetzen erarbeitet wird . Die Verantwortung sowie die Finanzierung solcher Angebote liegen bei den zuständigen Behörden . Die Entwürfe für neue Gesetze, die dem Bundesgesundheitsministerium vorliegen, sehen eine Parallelität sowohl berufsfachschulischer als auch hochschulischer Ausbildungsprogramme in der Ergotherapie vor, die mit Blick auf eine Sicherstellung der Versorgung der Bevölkerung mit dem Heilmittel Ergotherapie mittelfristig notwendig sein wird (Longreé & Junge, 2017) . Der Stellenwert einer akademischen Ausbildung in der Ergotherapie in den dann verabschiedeten Gesetzen muss sich zeigen, ebenso wie die Kompatibilität mit hochschulischen Rahmenbedingungen, Traditionen und dem Selbstverständnis bzw . den Lehr-Lerngewohnheiten an Hochschulen . Neue gesetzliche Rahmenbedingungen sowie eine Modularisierung der berufsfachschulischen Ausbildung sind geeignete Instrumente die Bildungsdurchlässigkeit in Ausbildungsprogrammen in der Ergotherapie zu unterstützen, weil die Äquivalenz transparenter wird, als dies bisher möglich ist . Literatur
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Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen Eine berufsgruppenspezifische Analyse MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
Vocational Training and Higher Education in Non-physician Healthcare Professions An Analysis of Graduates from VET Training and University Kurzfassung: Der demografische Wandel und eine zunehmende Technologisierung und Ökono-
misierung von Leistungsprozessen stellt die Fachkräftesicherung im Gesundheitsbereich vor große Herausforderungen . Im Beitrag werden die wesentlichen berufs- und bildungsstrukturellen Entwicklungen in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen sowohl hinsichtlich ihrer rechtlichen Rahmenbedingungen als auch ihrer quantitativen Entwicklungen und Verschiebungen zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung anhand von Absolvent*innenzahlen nachgezeichnet . Die sich daraus ergebenden Implikationen für die individuellen Zugangswege, für die Sicherung der Qualität von Bildungsprozessen und die Verwertbarkeit der verschiedenen Abschlüsse werden abschließend diskutiert . Schlagworte: Akademisierungsprozesse in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen, berufliche und akademische Ausbildung in Gesundheitsberufen, Ausbildungsabsolvent*innen in Gesundheitsberufen, Studienabsolvent*innen nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe Abstract: Due to demographic changes as well as increasing technologization and economization
the health sector is facing major challenges in securing the demands of well-trained professionals . This article examines the main developments concerning the training und study programmes of non-physician healthcare professions . First, the legal framework for vocational and academic training and the changes that have taken place or are emerging are discussed . Subsequently, quantitative developments in individual occupational areas are traced and shifts between vocational and academic training are highlighted .
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MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
Keywords: Accademization Processes in Health Professions, Vocational and Academic Training
in Healthcare Professions, VET-Graduates in Health Vocations, Study Graduates in Non-physician Health Care Professions
1.
Einleitung
Angesichts der demografischen Entwicklung und veränderter Ansprüche der Bevölkerung an gesundheitsbezogene Dienstleistungen ist die Fachkräftesicherung in den Gesundheits-, Pflege- und Therapieberufen nach wie vor eine strategische Herausforderung . Seit Jahren besteht in diesen Berufen auf dem Arbeitsmarkt eine angespannte Situation . Durch jüngste epidemiologische Entwicklungen wie die Corona-Pandemie ist die Bedeutung des Gesundheitswesens und in besonderem Maße die der nichtärztlichen Gesundheitsberufe verstärkt in den Mittelpunkt des öffentlichen Interesses gerückt . Wenngleich Deutschland bislang relativ gut die Gesundheitsversorgung der Bevölkerung sicherstellen konnte, steht der Gesundheitsbereich seit längerem vor gravierenden Herausforderungen: Auf der einen Seite ist damit die mit dem demografischen Wandel und den Abwanderungsprozessen von Ausbildungspotenzial in urbane Räume verbundene Frage eines in der Fläche quantitativ ausreichenden Fachkräftebestandes angesprochen . Insbesondere in der Pflege sind Versorgungslücken seit längerem offenkundig (Bräutigam et al ., 2014) und künftig noch vermehrt zu befürchten . Auch die mit der Ökonomisierung des Gesundheitswesens gestiegenen atypischen Beschäftigungsverhältnisse in Pflegeberufen wie Leiharbeit, unfreiwillige Teilzeit, befristete Beschäftigung (Welker & Schiemann, 2017, S . 57 f .) dürften nicht unbedingt dazu beigetragen haben, die Fachkräftesituation zu verbessern . Auf der anderen Seite werfen eine zunehmende Digitalisierung/Technologisierung von Leistungsprozessen (Kuhlmann, 2021) wie etwa die Einführung von Krankenhausinformationssystemen oder elektronischen Patient*innenakten in Verbindung mit der erwähnten Ökonomisierung des Gesundheitswesens die Frage auf, inwieweit den dadurch veränderten Anforderungen an nicht-ärztliche Fachkräfte im Bereich Diagnostik, Therapie, Prävention, Rehabilitation, Pflege und Abrechnungswesen durch Modernisierung, Akademisierung und Professionalisierung der Berufsausbildung Rechnung getragen wird . Mit Blick auf die skizzierten Dynamiken, die damit einhergehenden neuen Arbeitszuschnitte, erweiterten Verantwortungs- und Handlungsbereiche und Wissensanforderungen an nicht-ärztliches Gesundheitspersonal (Kälble & Pundt, 2015, S . 15) werden seit längerem – auch unter dem Einfluss internationaler Trends – teils hitzige Debatten zur Akademisierung der Gesundheitsberufe geführt . Denn die beschriebenen Entwicklungen dürften nicht nur Konsequenzen für die Entwicklungsmöglichkeiten des/der Einzelnen und seinen/ihren Zugangs- und Teilhabechancen haben, sondern auch mit neuen pädagogischen Herausforderungen für die Qualifizierung des Lehr- und Ausbildungspersonal verbunden sein .
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
Im Beitrag werden wesentliche berufs- und bildungsstrukturelle Entwicklungen der Fachkräfteausbildung in jenen Gesundheitsberufen, die nicht seit jeher vollakademisch (wie der Beruf des Arztes/der Ärztin und des Apothekers/der Apothekerin) sind, seit dem Jahr 20081 in den Blick genommen . Wir konzentrieren uns dabei auf Berufe, die auf der einen Seite unmittelbar zur Versorgung der Patient*innen beitragen (die Kranken- und Pflegeberufe sowie die therapeutisch-präventiven Gesundheitsberufe), und die auf der anderen Seite wichtige administrative, handwerklich-technische bzw . medizinisch-pharmazeutische sowie gesundheitswissenschaftliche und -ökonomische Funktionen im Gesundheitssystem ausfüllen . Sozialpflegerische Berufe, die der pädagogischen und lebenspraktischen Unterstützung dienen (z . B . Heilerziehungspfleger*in oder Familienhelfer*in), werden hingegen nicht berücksichtigt . Ebenso sind Berufe der Tiermedizin, der Körperpflege und des Wellnessbereichs ausgeklammert . Die Analysen konzentrieren sich auf beruflich und akademisch qualifizierte Absolvent*innen . Anders als die Gesamtteilnehmer- oder Anfänger*innenzahlen geben die Absolvent*innenzahlen genauer Auskunft darüber, wie sich der potenzielle Fachkräftenachwuchs im Zeitverlauf entwickelt hat und welche Veränderungen im Verhältnis beruflicher und akademischer Ausbildungen (z . B . in den Pflege- und Therapieberufen) beobachtbar sind . Damit werden zugleich Aussagen über etwaige Akademisierungsstrategien möglich . Der Beitrag gliedert sich insgesamt in vier Abschnitte: Nach der Einleitung gehen wir im zweiten Abschnitt zunächst auf die rechtlichen Rahmenbedingungen der Fachkräfteausbildung in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen2 sowie die vollzogenen und sich abzeichnenden zukünftigen Veränderungen ein; hierbei stehen vor allem inhaltliche Qualifikationsstandards wie auch die Form der Institutionalisierung (akademische vs . nicht-akademische Ausbildung, Rechtsform der Ausbildung) im Vordergrund . Im dritten Teil werden sowohl für den Bereich der beruflichen als auch der Hochschulbildung die quantitativen Entwicklungen der Absolvent*innenzahlen einzelner Berufsbereiche nachgezeichnet und damit quantitative Verschiebungen in der Ausbildungsstruktur (im obigen Sinn) nicht-ärztlicher Gesundheitsberufe herausgearbeitet . Vertiefend wird zudem auf mögliche weitere Karrierepfade im Gesundheitsbereich eingegangen . Im abschließenden vierten Teil werden vor dem Hintergrund der dargestellten qualitativen und quantitativen Veränderungen in der Qualifizierung des nicht-ärztlichen Gesundheitspersonals absehbare berufspädagogische Herausforderungen beim Zugang, Abschluss und der Verwertbarkeit diskutiert . Auch wenn das
Die Zeitreihendarstellung erfolgt ab dem Jahr 2008 aufgrund der Umstellung der Berufsbildungsstatistik und der ab diesem Zeitpunkt zu beobachtenden stärkeren Zunahme von Hochschulausbildungen in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen . 2 Gemeint sind damit prinzipiell alle Berufe in den genannten Bereichen des Gesundheitswesens – mit Ausnahme von Ärzt*innen und Apotheker*innen, für deren Ausübung seit Langem ein abgeschlossenes Studium Voraussetzung ist . 1
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Lehr- und Ausbildungspersonal nicht Gegenstand unserer Analysen ist, so sind Fragen der Fachkräftesicherung, der Weiterentwicklung der Ausbildungs- und Studienangebote in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen unmittelbar auch mit der Qualität der Bildungsangebote und der Professionalität des Lehrpersonals in den ausbildenden Institutionen verbunden . Allein die Herausforderungen, die sich – neben den schon angesprochenen wissenschaftlichen und technologischen Entwicklungen im Gesundheitsbereich – beispielsweise im Umgang mit der Heterogenität von Lernenden und Studierenden in den nichtärztlichen Gesundheitsberufen stellen (Weyland & Kaufhold, 2017) – verwiesen sei an dieser Stelle auf sehr unterschiedliche bildungsbiografische Erfahrungen, erhebliche Differenzen in Lernverhalten und Lernstrategien sowie Lernausgangslagen (Rosemann, 2021; Lüftl & Fritz, 2018; Seeber, 2014) – dürften ohne entsprechende fachliche, fachdidaktische und berufspädagogische Standards bei den ausbildenden Lehr- und Fachkräften nur schwer zu meistern sein . 2.
Rechtsgrundlagen der Gesundheitsberufe, Ausbildungsund Studienangebote und Professionalisierungsdebatten
2.1
Duale und vollzeitschulische berufliche Ausbildung
Die Qualifizierung des Fachkräftepersonals für nicht-ärztliche Gesundheitsberufe unterhalb der Hochschulebene erfolgt auf drei unterschiedlichen Wegen: Im Rahmen der vollzeitschulischen Ausbildungsgänge lassen sich (1) die Gesundheitsfach- und Heilberufe außerhalb Berufsbildungsgesetz bzw . der Handwerksordnung (BBiG/HwO), die bundesgesetzlich geregelt sind, von den (2) landesrechtlich geregelten Helferberufen sowie den Assistenzberufen für verwaltende Tätigkeiten im Gesundheitswesen unterscheiden . Zu den Gesundheitsberufen werden (3) zudem die nach BBiG/HwO geregelten Berufe des Gesundheitswesens gezählt . Die Rechtsgrundlage der bundesgesetzlich geregelten vollzeitschulischen Ausbildungen stellen die jeweiligen Berufsgesetze dar, in denen die Berufsbezeichnung festgelegt sowie die strukturellen Rahmenbedingungen der Ausbildung vorgegeben werden . Diese Ausbildungen, zu denen u . a . Berufe wie der Ergotherapie, Logopädie, Diätassistenz oder medizinisch-technische Assistenz gehören, finden in erster Linie an Schulen des Gesundheitswesens statt; in einigen Bundesländern werden die Ausbildungen an Berufsfachschulen angeboten (für einen Überblick zu diesen Berufen vgl . Alscher et al ., 2013, S . 157; Zöller, 2014, S . 14 ff .) . Für die Vorgaben der landesrechtlich geregelten Berufe im Gesundheitswesen (z . B . Altenpflegehelfer*in) sind je nach Bundesland neben den Kultusministerien vorwiegend die Gesundheits- und Sozialministerien der Länder zuständig (Jürgensen, 2019) . Dies führt dazu, dass die Regelungen der Ausbildungen zwischen den Ländern zum Teil sehr unterschiedlich sind und nicht alle Ausbildungen in allen Ländern angeboten werden (Dielmann
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
et al ., 2020) . Wenngleich die bundes- und landesrechtlich geregelten Ausbildungen statistisch zu den vollzeitschulischen Ausbildungsgängen zählen, sind sie durchaus „dual“ strukturiert, d . h . sie beinhalten – mit je nach Ausbildungsberuf unterschiedlich hohem Volumen – einen praktischen Ausbildungsanteil; bei der Pflege z . B . findet dieser in Krankenhäusern oder stationären und ambulanten Pflegeeinrichtungen statt (Alscher et al ., 2013, S . 158 f .) . Nichtsdestotrotz unterscheiden sie sich gegenüber dualen Ausbildungsberufen bezüglich der Bedarfssteuerung, den institutionellen Zugangsregelungen, der Organisationsstruktur und Finanzierung (Seeber & Seifried, 2019) . So zeigten Offermanns und Blum (2019) in ihrem „Gutachten zur Datenerhebung und Datenauswertung zu Schulgeld, Schulkosten und Ausbildungsvergütung“ für das Bundesministerium für Gesundheit auf, dass in der Mehrheit der Ausbildungsgänge für die erfassten Gesundheitsfachberufe im Schuljahr 2018/19 Schulgeld erhoben wurde . Allerdings steht die Zahlung von Schulgeld seit längerem in der Kritik und wird nun nach und nach in den einzelnen Bundesländern abgeschafft . Für die dualen Ausbildungen in Gesundheitsberufen, zu denen die administrativen Gesundheitsberufe wie Kaufmann/Kauffrau für Gesundheitswesen und (Zahn-)Medizinische*r Fachangestellte*r als auch handwerklich-technische Berufe wie Augenoptiker*in oder Hörgeräteakustiker*in zählen, gilt dagegen das Berufsbildungsgesetz, welches sehr weitreichende bundeseinheitliche Regelungen zu den Curricula, den Lernorten, der Qualifikation das Personals an den Lernorten, zum Prüfungswesen und zur Finanzierung umfasst . Mit Blick auf den demografischen Wandel und damit einhergehende Veränderungen in den Versorgungsbedarfen in Gesundheitsförderung, -prävention und Pflege sowie auf die fortschreitende technologische Entwicklung in der medizinischen Versorgung werden seit einigen Jahren vermehrt zwei absehbare Herausforderungen der Fachkräfteentwicklung diskutiert . Die eine liegt in neuen Anforderungen an die Qualifizierung des Fachkräftepersonals, die andere im Anstieg des quantitativen Bedarfs an Fachkräften . Unter Bezug auf beide – qualitative wie quantitative – Probleme der Fachkräfteversorgung wird die Modernisierung und Weiterentwicklung der Ausbildungen in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen angemahnt (Verein zur Förderung eines NGBR, 2016; Bündnis Therapieberufe an die Hochschulen, 2019; zum Diskurs in der Wissenschaft vgl . Klotz, 2019; Kälble & Pundt, 2015) . Im Vordergrund öffentlicher Debatten steht dabei die Schließung (drohender) Qualifikationslücken, auch über eine Steigerung der Attraktivität dieser Berufe . Vor diesem Hintergrund sind die in jüngster Zeit umgesetzten bzw . noch vorzunehmenden Novellierungen gesetzlicher Grundlagen für Ausbildungen in den bundeseinheitlich geregelten schulischen Gesundheitsberufen, aber auch die Modernisierungen und Weiterentwicklungen in den Gesundheitsberufen der dualen Ausbildung zu verstehen . Lediglich bei den landesrechtlich geregelten Ausbildungen auf Assistenz- und Helfer*innenniveau wird derzeit kein Bedarf einer Weiterentwicklung gesehen (Bund-Länder-Arbeitsgruppe, 2020, S . 8) .
121
122
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Im Vordergrund von Veränderungen in den gesetzlichen Regelungen bzw . den Ausbildungsordnungen steht die Neujustierung der Vorbereitung auf zukünftige und zum Teil schon gegenwärtig veränderte Qualifikationserfordernisse . Dabei ziehen gestiegene Anforderungen an Beratung und Koordination, Veränderungen in der fachlichen Arbeitsteilung zwischen ärztlichen und nicht-ärztlichen Fachkräften, eine zunehmende Digitalisierung der Gesundheitsversorgung sowie die Notwendigkeit übergreifender Qualifikationen (z . B . Fähigkeit zur interprofessionellen Zusammenarbeit) im Wesentlichen zwei Veränderungen nach sich: Zum einen erscheint eine Weiterentwicklung bestehender dualer bzw . vollzeitschulischer Ausbildungsgänge unabdingbar . Zum anderen gilt die Ausbildung an berufsbildenden Schulen auf einer mittleren Qualifikationsebene als nicht mehr hinreichende Vorbereitung für bestimmte Aufgabenbereiche und die damit verbundenen Anforderungen an Fähigkeiten und Kompetenzen innerhalb eines Berufsbildes . Der Wissenschaftsrat empfahl daher bereits 2012, für die Übernahme komplexer Aufgabenbereiche in der Pflege, der Therapie und der Geburtshilfe für 10 bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs das Hochschulstudium als Voraussetzung für die Ausübung des Berufes verpflichtend einzuführen (Wissenschaftsrat, 2012, S . 8) . Die Diskussion um die „Akademisierung“ der Gesundheitsfachberufe beschränkt sich freilich nicht allein auf die Berufsqualifizierung . Vielmehr wird damit auch der „Prozess der wissenschaftlichen Disziplinbildung […] [, der] Auf- und Ausbau von eigenständiger Forschung und – damit eng verbunden – von wissenschaftlichen Karrierewegen“ angesprochen (ebd .) . Diese Professionalisierungsforderungen zeigen sich bereits in einer Reihe von Änderungen in den Berufsgesetzen: Die aktuell umfassendste rechtliche Veränderung ist bei den Pflegeausbildungen festzustellen . Zum 1 . Januar 2020 wurden mit dem bundeseinheitlich geregelten Pflegeberufegesetz die verschiedenen Pflegeberufe der Alten-, Kinder- und Krankenpflege zum generalistischen Pflegeberuf zusammengeführt . Seitdem werden damit neue Auszubildende nach einem gemeinsamen theoretischen Kanon ausgebildet und so auf den Einsatz in den unterschiedlichsten Arbeitsfeldern der Pflege vorbereitet . Ziel ist es, übergreifende pflegerische Kompetenzen zur Pflege von Menschen aller Altersgruppen, in allen Versorgungsbereichen und Pflegesettings – in Krankenhäusern, stationären Pflegeeinrichtungen und in der ambulanten Pflege – zu vermitteln . Auszubildende haben jedoch auch in Zukunft weiterhin die Möglichkeit, sich für einen Berufsabschluss in der Altenpflege oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege zu entscheiden, wenn sie im letzten Ausbildungsdrittel eine entsprechende Spezialisierung wählen . Erstmals liegt damit ein einheitlicher Rahmenplan für die Pflegeberufe auf Bundesebene vor, wenngleich dieser – im Gegensatz zum dualen Bereich – einen stärkeren Empfehlungscharakter hat . Die Ausgestaltung der Pflegeausbildung liegt weiterhin zu großen Teilen in der Durchführungszuständigkeit der Länder (Hofrath & Zöller, 2020), wodurch Unterschiede in der Anordnung und zeitlichen Strukturierung der Ausbildungsinhalte, aber auch in den konkreten Kompetenzzielen entstehen (können) . Neben der Neustrukturierung
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
der Pflegeausbildung auf mittlerem Qualifikationsniveau sieht das Gesetz darüber hinaus auch vor, dass die Ausbildung in Form eines grundständigen Pflegestudiums absolviert werden kann (seit 2003 galt dies bisher für die Gesundheits- und (Kinder-) Krankenpfleger*innen sowie Altenpfleger*innen nur als Modellklausel) . Ziel ist es, dass akademisch ausgebildete Pflegefachkräfte hochkomplexe Pflegeprozesse steuern und koordinieren und bei besonderen pflegerelevanten Problemstellungen evidenzbasiert intervenieren und beraten können . Im Vergleich zur Schweiz und Österreich werden in Deutschland damit die Zugangsvoraussetzungen für den Pflegeberuf nur teilweise auf tertiäres Niveau angehoben (Daxberger et al ., 2020) . Ebenfalls zum 1 . Januar 2020 wurde die Hebammen-/Entbindungspflegeausbildung gesetzlich reformiert und modernisiert, die nur noch akademisch im Rahmen eines Bachelor-Studiums erfolgt . Damit wurde die seit dem Jahr 2009 geltende Modellklausel zur Möglichkeit der Akademisierung in den Regelbetrieb überführt . Ausschlaggebend für die Entscheidung zur Akademisierung dieses Ausbildungsberufs war, dass – vor dem Hintergrund der geringen Größe dieser Berufsgruppe – jede Hebamme/jeder Entbindungspfleger das gesamte Tätigkeitsspektrum ihres/seines Berufs beherrschen muss (Bund-Länder-Arbeitsgruppe, 2020) . Während der Weg der Akademisierung bei einem Teil des Pflegepersonals und umfassend bei Hebammen/Entbindungspflegern beschritten wird, sieht es bei den logopädischen sowie physio- und ergotherapeutischen Berufen anders aus: Zwar gibt es dort bereits seit 2009 (über sogenannte Modellklauseln in den entsprechenden Berufsgesetzen) ausdrücklich die Möglichkeit einer akademischen Ausbildung . Eine Überführung in den Regelbetrieb wurde bisher jedoch aufgeschoben . Die Gültigkeit der Modellklauseln wurden zunächst bis zum Jahr 2017 terminiert; nach der Evaluierung und Überprüfung des Modells wurde der Versuch um weitere 4 Jahre bis 2021 verlängert . Daher bleibt die Akademisierung dieser Berufe weiterhin offen . Für die Mehrheit der bundeseinheitlich geregelten Gesundheitsberufe (Diätassistenz, Ergotherapie, Logopädie, Masseur*in bzw . medizinische*r Bademeister*in, Medizinisch-technische Assistenz, Orthoptist*in, Physiotherapie, Podologie und Pharmazeutisch-technische Assistenz) wird mit dem von Bund und Ländern erarbeiteten und im März 2020 veröffentlichten Eckpunktepapier „Gesamtkonzept Gesundheitsfachberufe“ zudem übergreifend eine breitere Neuordnung angestrebt . So werden Möglichkeiten einer teilweisen oder vollständigen Akademisierung insbesondere der Ausbildungsberufe im therapeutischen Bereich diskutiert . In den Abwägungen über neue Ausbildungsmodelle und -wege spielen vor allem künftige Aufgabenverteilungen sowie das dafür erforderliche Qualifikationsprofil eine Rolle . Auch quantitative Entwicklungen des Bedarfs an Fachkräften fließen in die Diskussionen über die Neustrukturierung bzw . Erweiterung von Ausbildungswegen ein . So soll die Größe der Berufsgruppe darüber mitentscheiden, ob eher eine Teil- (wie bei der Pflegeausbildung) oder eine Vollakademisierung (wie bei den Hebammen/den Entbindungspflegern) vorgenommen wird . Insbesondere für die medizinisch-technischen Assistenzberufe
123
124
MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
(Assistenz für Funktionsdiagnostik, Laboratoriumsassistenz und Radiologieassistenz), für die der Wissenschaftsrat 2012 die Möglichkeit einer Akademisierung angesprochen hatte, da es sich bei der Tätigkeit in vielen Fällen um hochkomplexe Aufgaben handelt, bleiben die zukünftigen Entwicklungen abzuwarten . Die Neugestaltung der bundeseinheitlich geregelten Ausbildungen soll darüber hinaus auch eine stärkere horizontale und vertikale Durchlässigkeit ermöglichen . So werden Möglichkeiten der Anrechnung einer Ausbildung bzw . von Ausbildungsanteilen auf die Ausbildung in einem anderen Gesundheitsfachberuf sowie auf ein Bachelor-Studium nach vorher absolvierter Ausbildung diskutiert . Zudem sieht das Konzeptpapier u . a . die bundeseinheitliche Abschaffung des Schulgeldes vor, wie dies bereits bei den Pflegeberufen, Hebammen/Entbindungspflegern und Notfallsanitäter*innen geschehen ist . Schließlich soll in den Berufsgesetzen auch eine angemessene Ausbildungsvergütung verankert werden, sodass künftig eine solche Vergütung Bestandteil jedes Ausbildungsvertrages in bundesrechtlich geregelten Gesundheitsfachberufen wird . Die Abschaffung des Schulgeldes für den Beruf des/der Notfallsanitäters/Notfallsanitäterin trat mit dem zum 31 .12 .2014 neu geregelten Gesetz in Kraft . Mit dieser Gesetzesnovelle wurde die Modernisierung und inhaltliche Aufwertung des Berufs Rettungsassistent*in zum neuen Beruf des Notfallsanitäters/der Notfallsanitäterin vollzogen . Im Zuge dessen wurde auch aufgrund des inhaltlichen Anforderungsprofils die Ausbildungsdauer von zwei auf drei Jahre angehoben . Darüber hinaus gibt es laufende Gesetzgebungsvorhaben für die Berufe der anästhesie- und operationstechnischen Assistenz sowie der pharmazeutisch-technischen Assistenz . Für die anästhesie- und operationstechnischen Assistent*innen wird per Gesetz, das zum 1 . Januar 2022 in Kraft treten soll, erstmals eine bundesweit einheitliche Regelung für die Ausbildung geschaffen . Laut Entwurf beträgt die Ausbildungszeit 3 Jahre, zudem ist damit – nun erstmals rechtlich geregelt – eine angemessene Ausbildungsvergütung vorgesehen . Ende 2019 wurde das „Gesetz zur Weiterentwicklung des Berufsbildes und der Ausbildung der pharmazeutisch-technischen Assistent*innen“ kurz PTA-Reformgesetz verabschiedet, das ab Januar 2023 gelten soll . Hauptziel des Gesetzes ist es, die Kompetenzen der PTA zu erweitern und zu stärken, sodass den Absolvent*innen unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit gegeben werden kann, auch ohne Aufsicht des Apothekers/der Apothekerin bestimmte Tätigkeiten zu verrichten . Weiterhin wurden (und werden) auch in dualen Gesundheitsberufen die Ausbildungsordnungen den aktuellen fachwissenschaftlichen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen im jeweiligen Berufsfeld angepasst, z . B . durch inhaltliche Erweiterungen mit Blick auf eine stärkere Kundenorientierung und eine Berücksichtigung digitaler Techniken im Arbeitsprozess (z . B . Neuordnungen in den Berufen Augenoptiker*in 2011, pharmazeutisch-kaufmännische*r Angestellte*r 2012, OrthopädietechnikMechaniker*in 2013, Orthopädieschuhmacher*in 2015 und Hörakustiker*in 2016) .
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
2.2
Studienangebote in den Therapieberufen und den Gesundheitswissenschaften
In den letzten Jahren hat – insbesondere im Zuge der jüngsten Akademisierungsbestrebungen – die Anzahl der Studiengänge für nicht-ärztliche Gesundheitsberufe deutlich zugenommen . Die Akademisierung in diesen Gesundheitsberufen ist zum Teil eine Folge der Ersetzung einer beruflichen Ausbildung durch ein Studium (z . B . Hebamme/Entbindungspfleger lt . HebG vom 22 .11 .2019, § 5) . Wenn Studiengänge als Alternative zur beruflichen Ausbildung oder als berufliche Weiterbildung angeboten werden, führt dies zu einer Überschneidung in den anzustrebenden Qualifikationsprofilen zwischen den Studienangeboten an Hochschulen mit denen der beruflichen Ausbildung (z . B . Pflegeberufe) . Darüber hinaus werden an den Hochschulen jedoch auch zahlreiche Studiengänge im Bereich der Gesundheitswissenschaften, des Gesundheitsmanagements, der Gesundheitsökonomie oder der Gesundheitspädagogik angeboten, die keine direkten Entsprechungen in der beruflichen Ausbildung haben (Tab . 1) . Dem Wissenschaftsrat (2012) folgend können drei Arten von Studiengängen unterschieden werden: Auf der einen Seite (1) die vom Wissenschaftsrat empfohlenen grundständigen Bachelorstudiengänge, die vielfach dem Modell praxisintegrierender3 dualer Studiengänge entsprechen und bei denen „die Berufsqualifizierung über das erfolgreiche Absolvieren eines Hochschulstudiums erreicht“ wird (ebd ., S . 57) oder (2) die ausbildungsintegrierenden dualen Bachelorstudiengänge, welche durch den Einbezug der Schulen des Gesundheitswesens eigentlich eine triale Struktur aufweisen . Beide Arten von Studiengängen richten sich an Studienberechtigte, die vorher keine einschlägige Berufsausbildung absolviert haben (müssen) . Auf der anderen Seite werden davon (3) die weiterqualifizierenden Studiengänge unterschieden, die auf der Bachelorstufe eine abgeschlossene fachbezogene berufliche Ausbildung voraussetzen, auf dem Masterniveau in der Regel einen Bachelor- oder gleichwertigen Abschluss . In den Anfängen der Akademisierung der Gesundheitsberufe in den 1990er Jahren wurden zunächst die weiterbildenden Studiengänge angeboten . Seit den 2000er Jahren sind die grundständigen, primärqualifizierenden Studiengänge in der Pflege, der Ergound Physiotherapie sowie der Logopädie hinzugekommen (ebd .) . Zur Darstellung des aktuellen Studienangebots in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen und den Gesundheitswissenschaften wird auf die Daten des Hochschulkompasses der Hochschulrektorenkonferenz (HRK)4 zurückgegriffen . Hierbei handelt es sich zwar nicht um eine amtliche Statistik, sodass die Hochschulen nicht verpflichtet sind, alle Studiengänge einzutragen . Der Hochschulkompass kann aller-
3 4
Zu den verschiedenen Arten dualer Studiengänge siehe Wissenschaftsrat (2013) . https://www .hochschulkompass .de/studium/studiengangsuche/erweiterte-studiengangsuche .html
125
126
MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
Tab. 1 Bachelorstudiengänge in den Studienbereichen Gesundheitswissenschaften und Therapien im August 2020 (Anzahl) Studienbereich und ausgewählte Studienfelder1)
Bachelorstudiengänge (Anzahl) Insgesamt
Fachhochschulen2) Insgesamt
Insgesamt
Universitäten3)
Insgesamt Davon: In privater Trägerschaft
Davon: In privater Trägerschaft
382
300
115
82
28
4)
286
230
80
56
18
Pflegewissenschaft oder -management
99
86
25
13
2
Gesundheitspädagogik
32
26
12
6
1
173
140
50
33
14
96
70
35
26
10
Ergotherapie
23
21
8
2
–
Logopädie
26
17
8
9
1
Physiotherapie
42
28
15
4
1
Gesundheitswissenschaften Darunter:
Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsökonomie Therapien Darunter:
1) Ohne drei Studiengänge der Psychologie, die im Hochschulkompass den Therapieberufen zugeordnet sind. Doppelzählungen durch mehrfache Zuordnung von Studiengängen zu Studienfeldern möglich. 2) Einschließlich Hochschulen für angewandte Wissenschaften und der Dualen Hochschule Baden-Württemberg. 3) Einschließlich einer Kunst- und Musikhochschule. 4) Im Hochschulkompass einschließlich Pflegewissenschaft. Quelle: Hochschulkompass der HRK (https://www.hochschulkompass.de/studium/ studiengangsuche/erweiterte-studiengangsuche.html), eigene Berechnungen
dings als umfangreichste Datenbank und Informationsquelle über die in Deutschland angebotenen Studiengänge verstanden werden . Er dient in erster Linie als Informationsservice für Studieninteressierte und bietet allen Hochschulen5 die Möglichkeit, ihre Studiengänge zu präsentieren . Es können jedoch Studiengänge fehlen6 oder falsch zugeordnet sein; auch fachliche Doppelzuordnungen treten auf . Da allerdings für vergleichende Analysen des Studienangebots keine andere, ähnlich umfangreiche Datenquelle zur Verfügung steht, wird der Hochschulkompass trotz seiner Limitationen zur Auch für Hochschulen, die nicht Mitglied der HRK sind . So ist beispielsweise die European University of Applied Sciences in Mannheim (früher: Hochschule für Gesundheitsorientierte Wissenschaften Rhein-Neckar) mit ihrem Studienangebot in der Physiotherapie im Hochschulkompass derzeit nicht vertreten .
5 6
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
Darstellung der Entwicklung des Studienangebots herangezogen (für ein Beispiel vgl . Hochschulrektorenkonferenz, 2020) . Wie viele der Studiengänge den drei vom Wissenschaftsrat genannten Studiengangarten entsprechen, kann nur näherungsweise ermittelt werden . Dem Hochschulkompass zufolge werden 148 Bachelorstudiengänge als Vollzeitstudium angeboten, ohne zusätzlich als berufsbegleitend, praxis- oder ausbildungsintegrierend gekennzeichnet zu sein . Zudem sind insgesamt 125 Bachelorstudiengänge als duale Studiengänge ausgewiesen . Dem vom Wissenschaftsrat bevorzugten Modell praxisintegrierender dualer Studiengänge (2012, S . 82) entsprechen dabei 32 Studienangebote . Die übrigen dualen Studienangebote sind entweder ausbildungsintegrierende Studiengänge (67)7 oder ohne spezifische Angabe zur Praxis- und Ausbildungsintegration (26) . Weitere 108 berufsbegleitend sowie acht berufsintegrierend angebotene Bachelorstudiengänge entsprechen dem Typ der weiterbildenden Studiengänge, die eine abgeschlossene berufliche Ausbildung voraussetzen . Auch die 16 Teilzeitstudiengänge sind hier überwiegend zuzuordnen . Bei den Masterstudiengängen ist ca . ein Drittel als berufsbegleitendes Studium ausgewiesen, viele Studiengänge können auch in Teilzeit studiert werden . Im Hochschulkompass werden zehn Fächergruppen8 unterschieden, zu denen jeweils mehrere Studienbereiche gehören, denen wiederum Studienfelder zugeordnet sind . Im Folgenden werden aus der Fächergruppe Medizin/Gesundheitswissenschaften nur die Studienangebote in den beiden Studienbereichen Gesundheitswissenschaften, zu denen im Hochschulkompass auch die Pflegewissenschaft zählt9, und Therapien10 betrachtet . Auf dieser Datenbasis finden sich im August 2020 an 127 Hochschulen etwa 300 Bachelorstudiengänge in den Gesundheitswissenschaften .11 Hinzu Bei einem Teil dieser Studiengänge scheint das Label Ausbildungsintegration allerdings darauf zu zielen, dass mit dem BA Sc . zugleich die staatliche Berufszulassung verbunden ist . Sie entsprechen damit nicht mehr dem trialen Modell, das auch Schulen des Gesundheitswesens einbezieht . 8 Die Fächergruppen werden etwas anders definiert als in der Hochschulstatistik; so wird etwa die hochschulstatistische Fächergruppe Rechts-, Wirtschafts- und Sozialwissenschaften im Hochschulkompass in Wirtschafts- und Rechtswissenschaften, Sozial- und Gesellschaftswissenschaften sowie Öffentliche Verwaltung unterteilt . 9 Darüber hinaus werden im Hochschulkompass auch Studiengänge aus den Studienfeldern Pflegemanagement, Pflegepädagogik, Hebammenwesen, Gesundheitswissenschaften, -management, -ökonomie, -pädagogik und Rehabilitationswissenschaft dem Studienbereich Gesundheitswissenschaften zugeordnet . 10 Hierzu gehören laut Hochschulkompass Studiengänge in den Studienfeldern Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie, Musiktherapie, Sporttherapie, Kunsttherapie und sonstige Therapien . Sofern Studiengänge der Psychologie und Psychotherapie dem Studienbereich Therapien zugeordnet sind, werden diese nicht berücksichtigt . 11 Die Daten wurden am 3 .8 .2020 recherchiert und abgespeichert . Anschließend wurden Doppelzählungen auf der Studienbereichsebene ausgeschlossen . Studiengänge, die sowohl dem Studienbereich Gesundheitswissenschaften als auch dem Bereich Therapien zugeordnet waren, wurden je nach Schwerpunkt des Studiengangs zugeordnet . Wenn Studiengänge mehreren Studienfeldern zugeordnet wurden, etwa der Studiengang „Angewandte Therapiewissenschaften – Logopädie und Physiotherapie“ an der Hochschule Bremen den Studienfeldern Logopädie und Physiotherapie, wurde der Studiengang in der Zählung nach Studienfeldern mehrfach gezählt . 7
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128
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kommen ca . 100 Bachelorstudiengänge, die für nicht-ärztliche Therapieberufe qualifizieren (Tab . 1) . Die Bachelorstudiengänge in den Gesundheitsberufen werden laut Hochschulkompass überwiegend an Fachhochschulen angeboten (Tab . 1), sowohl in den Gesundheitswissenschaften als auch in den Therapiestudiengängen . Mit 37 % ist ein überdurchschnittlich hoher Anteil der Studiengänge an einer privaten Hochschule angesiedelt (im Durchschnitt aller Hochschulen sind es 11 %) . Die privaten Hochschulen haben mit den Gesundheitsberufen und der Gesundheitswissenschaft ein wichtiges Geschäftsfeld entwickelt, was sich nicht nur in der Zahl der Studiengänge, sondern auch in der Studiennachfrage zeigt: Fast die Hälfte aller Neueinschreibungen in den Gesundheitswissenschaften erfolgte im Jahr 2018 an einer privaten Hochschule12; im Durchschnitt aller Fächer hat dagegen 2018 nur ein Zehntel aller Studienanfänger*innen ihr Studium an einer privaten Hochschule begonnen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2020) . Dies verdeutlicht die enorme Bedeutung der von den privaten Hochschulen angebotenen Studiengänge für die akademische Ausbildung in den Gesundheitsberufen . Auch wenn ein direkter Vergleich wegen unterschiedlicher Datenquellen schwierig ist, deutet sich gegenüber 2012, als der Wissenschaftsrat in seiner Stellungnahme von ca . 20 primärqualifizierenden Studiengängen in den Pflegeberufen und ca . 40 Studiengängen in Therapieberufen (wie Ergotherapie und Logopädie) ausging, ein Zuwachs bei der Zahl der Studiengänge an . Die Empfehlung des Wissenschaftsrats, das Studienangebot auszubauen, ist offenbar umgesetzt worden . Der vorgeschlagene stärkere Ausbau von Studiengängen vor allem an den Universitäten konnte dagegen nicht realisiert werden . Zwar hat sich im Studienbereich Gesundheitswissenschaften zwischen 2012 und 2018 die Absolvent*innenzahl an den Universitäten verdoppelt (+206 % bzw . 6 .300, vgl . Tab . 4), ein Ausbau ist also durchaus erkennbar . Ein überproportionaler Zuwachs in den nicht-ärztlichen Therapieberufen und der Pflegewissenschaft ist jedoch nicht festzustellen . Zudem ist das Wachstum an den öffentlichen Universitäten (+190 %) schwächer als an den öffentlichen (+213 %) oder den privaten Fachhochschulen (+284 %), sodass sich das Verhältnis zwischen Angeboten an Fachhochschulen und Universitäten sogar noch weiter zu Ungunsten der Universitäten entwickelt hat . Um wissenschaftliche Karrierewege aufzubauen und die Basis für eine Ausweitung und Profilierung der Forschungsaktivitäten in den Gesundheitsberufen zu stärken, empfahl der Wissenschaftsrat 2012, mittelfristig auch Masterstudiengänge aufzubauen . Dies ist mittlerweile in großer Zahl geschehen (Tab . 2) . Insgesamt werden in den beiden Studienbereichen knapp 300 Masterstudiengänge13 angeboten . Die Universitäten spielen hier eine größere Rolle als bei den Bachelorstudiengängen . Der SchwerIm Studienfach Pflegewissenschaft ist der Anteil mit zuletzt etwa 35 % etwas geringer . Beide Angaben beruhen auf Auswertungen der Hochschulstatistik des Statistischen Bundesamts . 13 Im Hochschulkompass werden elf Studiengänge aus den Bereichen Psychologie und Psychotherapie den Studienbereichen Gesundheitswissenschaften und Therapien zugeordnet . Diese werden hier nicht be12
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
Tab. 2 Masterstudiengänge in den Studienbereichen Gesundheitswissenschaften und Therapien im August 2020 (Anzahl) Studienbereich und ausgewählte Studienfelder1) Insgesamt
Insgesamt Fachhochschulen2)
Darunter: In privater Trägerschaft
Universitäten3)
Darunter: In privater Trägerschaft
298
158
57
140
23
4)
242
130
43
112
14
Pflegewissenschaft oder -management
32
19
–
13
4
Gesundheitspädagogik
12
5
3
12
–
187
98
36
89
12
56
28
14
28
9
5
5
3
–
–
7
4
2
3
–
11
10
6
1
–
Gesundheitswissenschaften Darunter:
Gesundheitswissenschaften, Gesundheitsökonomie Therapien Darunter: Ergotherapie Logopädie Physiotherapie
1) Ohne elf Studiengänge der Psychologie. Doppelzählungen durch mehrfache Zuordnung von Studiengängen zu Studienfeldern möglich. 2) Einschließlich Hochschulen für angewandte Wissenschaften und der Dualen Hochschule BadenWürttemberg. 3) Einschließlich einer Kunst- und Musikhochschule. 4) Im Hochschulkompass einschließlich Pflegewissenschaft.
Quelle: Hochschulkompass der HRK (https://www.hochschulkompass.de/studium/ studiengangsuche/erweiterte-studiengangsuche.html), eigene Berechnungen
punkt des Masterangebots liegt nach wie vor bei den Gesundheitswissenschaften, dem Gesundheitsmanagement und der Gesundheitsökonomie . Der mit Blick auf die Entwicklung einer stärkeren Forschungsbasierung, der Schaffung wissenschaftlicher Karrierewege und der Ausbildung von akademisch qualifizierten pädagogischen Fachkräften vom Wissenschaftsrat angeregte Aufbau universitärer Masterstudiengänge in den Pflege- und Therapieberufen scheint bisher nicht umgesetzt worden zu sein . So gibt es nur drei universitäre Masterstudiengänge in der Logopädie und nur einen in der Physiotherapie . Eine Besonderheit stellt zudem die Lehrerqualifizierung im Bereich der Gesundheitswissenschaften und Pflegewissenschaft dar . So findet sich die Mehrzahl der Bachelor-/ Masterstudiengänge, die zum Lehramt in diesem Bereich führen, an Fachhochschulen
rücksichtigt, da es einen eigenen Studienbereich Psychologie mit insgesamt 227 Studienangeboten gibt, dem diese Studiengänge überwiegend ebenfalls zugerechnet werden .
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wieder . Sie bereiten u . a . für Lehrtätigkeiten an Schulen des Gesundheitswesens vor, die insbesondere für die Ausbildung in den Pflege- und therapeutischen Berufen zuständig sind . Universitäre Studiengänge14, die für eine Lehrtätigkeit an öffentlichen beruflichen Schulen qualifizieren, sind dagegen weniger stark verbreitet . Die Hochschulausbildung in den Gesundheitswissenschaften und den Therapieberufen konzentriert sich auf wenige Hochschulen: Insgesamt 75 von ca . 400 Hochschulen meldeten im Prüfungsjahr 2018 Absolvent*innen eines Erststudiums in den Gesundheitswissenschaften oder der Gesundheitspädagogik, 37 sind es in den nichtärztlichen Therapiestudiengängen und 48 in der Pflegewissenschaft, wobei sich diese Hochschulen wiederum unterschiedlich stark auf diese Fächer spezialisiert haben . 3.
Quantitative Entwicklung des Fachkräftepotenzials in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
3.1
Berufsausbildung und berufliche Fortbildung in Gesundheitsberufen
Die Darstellung der quantitativen Entwicklung von Absolvent*innen einer vollzeitschulischen Berufsausbildung steht vor dem grundsätzlichen Problem, dass auf Bundes- und Länderebene keine vollständige Datenbasis über das Ausbildungsgeschehen in den betrachteten Gesundheitsberufen zur Verfügung steht . Dies liegt insbesondere in der Tatsache begründet, dass bisher nicht in allen Bundesländern rechtlich vorgeschrieben ist, Daten zu Schüler*innen bzw . Absolvent*innen von Schulen des Gesundheitswesens, die einen großen Teil der Theorieausbildung sicherstellen, zu übermitteln .15 Nichtsdestotrotz bieten die Schul- als auch Berufsbildungsstatistik für die dualen Gesundheitsberufe wichtige Hinweise zur Entwicklung des Fachkräftepotenzials . So überrascht vor dem Hintergrund des immer wieder in der Öffentlichkeit diskutierten Fachkräftemangels im Gesundheitssektor – u . a . aufgrund zunehmender Alterung der Gesellschaft – die Tatsache, dass die Zahl der Absolvent*innen in den nicht-ärztlichen Ausbildungsberufen zwischen den Jahren 2008 und 2018 um gut 4 .000 Absolvent*innen abgenommen hat und damit bei knapp 87 .000 liegt (Tab . 1A im Anhang) . Im Vergleich zur Entwicklung der Gesamtzahl der Ausbildungsabsolvent*innen des dualen und des Schulberufssystem weisen sie jedoch eine deutlich geringere Rückläufigkeit auf (Autorengruppe Bildungsbericht, 2020) .
Je nach Bundesland sind sie als BA/MA-Studiengang (U Hamburg, TU München, U Osnabrück (zwei Angebote)) oder als Staatsexamensstudiengang (TU Dresden) organisiert . 15 So gilt bspw . für Rheinland-Pfalz erst seit dem Jahr 2009 eine Auskunftspflicht über die Schüler*innen bzw . Absolvent*innen an Gesundheitsschulen . Vorher basieren die Daten auf freiwilligen Angaben dieser Schulen (Schröder, 2018) . 14
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
Innerhalb des Gesundheitsbereichs sind zudem Umschichtungen zwischen den fünf unterschiedenen Berufsbereichen festzustellen (Abb . 1): Während die Absolvent*innenzahl in den Pflegeberufen, aber auch in den handwerklichen Gesundheitsberufen zugenommen hat, ist sie in den therapeutischen und präventiven, den medizinisch-technischen und den administrativen Gesundheitsberufen über die Zeit rückläufig . Vergleicht man die Ausbildungsleistungen beider Teilsysteme der beruflichen Bildung, so ist für den dualen Bereich, d . h . bei den Absolvent*innen der handwerklichen und administrativen Gesundheitsberufe zusammengenommen eine Abnahme um sechs Prozentpunkte festzustellen . Wie der Vergleich der Anzahl der Angebote an Ausbildungsstellen mit der Nachfrage nach Ausbildungsplätzen in diesen Berufen zeigt, ist diese Entwicklung jedoch nicht auf eine abnehmende Ausbildungsbereitschaft zurückzuführen: Sowohl das Angebot als auch die Nachfrage haben sich im Zeitraum zwischen 2008 und 2018 gleichermaßen erhöht . Vielmehr deutet der Vergleich der Zahl der Anfänger*innen und Absolvent*innen an, dass insbesondere bei den medizinischen und zahnmedizinischen Fachangestellten häufiger Vertragslösungen stattzufinden scheinen, die sich in sinkenden Absolvent*innenzahlen niederschlagen (siehe auch Seeber et al ., 2019 für berufsspezifische Vertragslösungsquoten) . 50.000 45.000 40.000 35.000
Pflegeberufe
30.000
Administrative Gesundheitsberufe
25.000
Therapeutische und präventive Gesundheitsberufe
20.000
Medizinisch-pharmazeutische Gesundheitsberufe Handwerkliche Gesundheitsberufe
15.000 10.000 5.000 0
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Abb. 1 Zahl der Absolvent*innen nach Berufsbereichen 2008 bis 2018* (Anzahl) *Die Erhebung an Schulen des Gesundheitswesens erfolgt zum Teil auf freiwilliger Basis, sodass von einer Unterschätzung der Anfänger*innenzahlen auszugehen ist. Ohne Schulen des Gesundheitswesens in Hessen, da für diese erst seit 2012 Daten vorliegen. Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schul- und Berufsbildungsstatistik, eigene Berechnungen
Ebenfalls im Bereich der vollzeitschulischen Ausbildungen sind die Absolvent*innenzahlen bei den Pflege-, therapeutisch-präventiven und medizinisch-technischen Berufen insgesamt leicht zurückgegangen (um vier Prozentpunkte) . Stellt man den in den letzten Jahren beobachtbaren starken Um- und Ausbau des Schulberufssystems
131
132
MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
in Richtung Gesundheits-, Erziehungs- und Sozialberufe in Rechnung (Autorengruppe Bildungsbericht, 2020), so wird deutlich, dass sich dieser noch nicht in der Absolvent*innenzahl der hier betrachteten Gesundheitsberufe niederschlägt . Wieweit die tendenzielle Stagnation in den Absolvent*innenzahlen darauf zurückzuführen ist, dass die vermehrt öffentlich geführten Debatten um schlechte Arbeitsbedingungen wie Schichtdienst, starken körperlichen und psychischen Belastungen (BAuA, 2014; Techniker-Krankenkasse, 2019) und unzureichende Bezahlung hier durchschlagen, kann nicht abschließend geklärt werden . Von der Hand zu weisen sind derartige Gründe nicht – ebenso wenig wie die Vermutung, dass ein nach wie vor in einigen Bundesländern für bestimmte Ausbildungen zu zahlendes Schulgeld (Offermanns & Blum, 2019) vom Absolvieren einer derartigen Ausbildung abhält . Unterschieden nach dem Rechtsrahmen stellen die bundesrechtlich geregelten vollzeitschulischen Ausbildungsgänge mit 57 % das Gros aller Ausbildungsabsolvent*innen . 34 % der Absolvent*innen entfallen auf Ausbildungen in handwerklichen und administrativen Gesundheitsberufen, die nach BBiG/HwO geregelt sind . Bei den restlichen 9 % handelt es sich um Ausbildungen, die landesrechtlich bestimmt werden, also Helfer*in- oder Assistenzberufen zuzuordnen sind . Nach Berufsbereichen differenziert bilden die Pflegeberufe im Jahr 2018 mit rund der Hälfte die größte Absolvent*innengruppe, gefolgt von den Absolvent*innen administrativer Gesundheitsberufe (29 %) und jenen der therapeutischen und präventiven Ausbildungsberufe (12 %) . Geringe Anteile fallen dagegen auf die medizinisch-pharmazeutischen sowie die handwerklichen Gesundheitsberufe, die jeweils einen Anteil von knapp 5 % aller Absolvent*innen der Gesundheitsberufe umfassen (Abb . 1) . Innerhalb des Bereichs der Pflegeberufe sind die Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger*innen mit 42 % die größte Absolvent*innengruppe, gefolgt von den Altenpfleger*innen mit 36 % und den Altenpflegehelfer*innen mit 11 % . Der geringste Anteil kommt den Hebammen/Entbindungspflegern zu (Tab . 1A im Anhang) . Der Zuwachs im Pflegebereich ist insbesondere auf den Ausbau bei den Pflegefachkräften (+14 %), etwas stärker auf den Ausbau bei den Alten-, Gesundheits- und Krankenpflegehelfer*innen (Zuwachs um 16 %) zurückzuführen (Abb . 2) . Allerdings fällt dieser Zuwachs längst nicht so dynamisch aus wie die Entwicklung des Anteils der über 80-Jährigen Bevölkerung (insbesondere in den ostdeutschen Flächenländern, vgl . Seeber et al ., 2019) . Insofern bleibt fraglich, ob bei derart verhaltenem Zuwachs an Fachpersonal der infolge der Alterung der Gesellschaft schon länger prognostizierte erhöhte Pflegebedarf (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2010) wirklich gedeckt werden kann . Vielmehr sind Anzeichen einer möglichen Polarisierung in der Pflege zu erkennen: Auf der einen Seite eine Zunahme von Absolvent*innen in den Helferberufen, in denen eine relativ geringe formale Qualifikation vermittelt und vorausgesetzt wird (Abb .2) . Auf der anderen Seite ein sichtbarer Ausbau der akademischen Ausbildung im Pflegebereich (siehe dazu Abschnitt 3 .2 .), der durch das neue Pflegeberufegesetz zusätzlichen Rückenwind erhält .
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
Der stärkste Rückgang in den Absolvent*innenzahlen ist für den Bereich der therapeutischen und präventiven Gesundheitsberufe festzustellen (Abb . 1) . Dieser ist auch auf abnehmende Absolvent*innenzahlen in der Physio- und Ergotherapie sowie Logopädie zurückzuführen (Abb . 2), für welche seit 2009 in einem Modellversuch entsprechende Studiengänge eingeführt wurden . Die sinkende Zahl der Ausbildungsabsolvent*innen scheint daher zumindest zum Teil auch durch Absolvent*innen der Bachelorstudiengänge für Therapieberufe, für die seit 2013 ein positiver Trend besteht (siehe Abschnitt 3 .2), kompensiert zu werden . Insgesamt stellen diese drei Berufsgruppen nach wie vor das Gros der Ausbildungsabsolvent*innen in diesem Bereich dar: 53 % sind Physiotherapeut*innen, 24 % Ergotherapeut*innen und 10 % Logopäd*innen . 140 130 Indexwerte 2008 = 100
120 110 100 90 80 70 60 50 40
2008 2009 2010 2011 2012 2013 Pflegefachkräfte Physio- und Ergotherapeut*in sowie Logopäde/Logopädin Zahntechniker*in (Zahn-)Medizinische Fachangestellte
2014 2015 2016 2017 2018 Pflegehelfer*in Pharmazeutisch-technische Assistenz Pharmazeutisch-kaufmännische Angestellte
Abb. 2 Absolvent*innen nach ausgewählten Berufen bzw. Berufsgruppen* 2008 bis 2018 (Index 2008 = 100)** * Anmerkung: Unter den Pflegefachkräften werden Alten- sowie Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpfleger*innen und unter den Pflegehelfer*innen die Alten- sowie Gesundheits- und Krankenpflegehelfer*innen gefasst. ** Die Erhebung an Schulen des Gesundheitswesens erfolgt zum Teil auf freiwilliger Basis, sodass von einer Unterschätzung der Anfänger*innenzahlen auszugehen ist. Ohne Schulen des Gesundheitswesens in Hessen, da für diese erst seit 2012 Daten vorliegen. Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schul- und Berufsbildungsstatistik, eigene Berechnungen
Die abnehmende Zahl der Absolvent*innen zwischen 2008 und 2018 in den medizinisch- und pharmazeutisch-technischen Gesundheitsberufen (Abb . 1) ist insbesondere auf die Gruppe der angehenden pharmazeutisch-technischen Assistent*innen zurückzuführen . Sie hat in diesem Zeitraum ein Drittel ihrer Absolvent*innen verloren (Abb . 2), auch wenn damit nach wie vor etwas über die Hälfte aller Absolvent*innen in diesem Bereich die pharmazeutisch-technischen Assistent*innen stellen . Die Gründe für diesen Rückgang sind kaum in abnehmenden Beschäftigungschancen zu suchen:
133
134
MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
Nach den von der Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände vermeldeten Zahlen ist die Zahl der in öffentlichen Apotheken beschäftigten pharmazeutisch-technischen Assistent*innen zwischen 2013 und 2019 um mehr als 8 .000 auf 68 .277 gestiegen – bei gleichzeitigem Anstieg der Zahl dort beschäftigter Apotheker*innen (ABDA, 2016, 2020) . Inwieweit jedoch die andauernde öffentliche Klage über ein drohendes „Apothekensterben“ (Bergt, 2021) Jugendliche vermehrt von einer derartigen Ausbildung abhält, ist eine offene Frage . Unter den handwerklichen Gesundheitsberufen, für die insgesamt ein positiver Trend zwischen 2008 und 2018 auszumachen ist, sticht die Entwicklung der Absolvent*innenzahl im Beruf der Zahntechniker*in heraus (Abb . 2); sie ist um ein Drittel zurückgegangen, sodass sich ihr Anteil an allen handwerklichen Gesundheitsberufen deutlich reduziert hat (von 49 auf 27 Prozent) . Wie stark hier eine nachlassende Arbeitskräftenachfrage infolge der Digitalisierung von Labortechnik wie auch die Verlagerung von Aufträgen ins Ausland zu Buche schlagen, ist nicht abschließend zu klären . Die Gruppe der administrativen Gesundheitsberufe setzt sich überwiegend aus den medizinischen und zahnmedizinischen Fachangestellten zusammen . Kennzeichnend für diese Berufe ist, dass – neben (zahn-)medizinischem und gesundheitsbezogenem Fachwissen – auch kaufmännische Kompetenzen gefördert werden, um z . B . Verwaltungsaufgaben in einer Praxis oder einem Krankenhaus sachgerecht zu bearbeiten . Ihre Absolvent*innenzahl hat zwar zwischen 2008 und 2018 leicht abgenommen (um acht Prozentpunkte), nach wie vor stellen sie jedoch immer noch 80 % aller Absolvent*innen dieses Berufsbereichs . Ein deutlicher Einbruch ist hingegen für die kleine Gruppe der pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten festzustellen (Abb . 2) . Wie bei den pharmazeutisch-technischen Assistent*innen ist auch dieser Rückgang kaum auf aktuell sichtbare, verminderte Beschäftigungschancen dieser Gruppe zurückzuführen; die Zahl der pharmazeutisch-kaufmännischen Beschäftigten ist in den letzten Jahren nur geringfügig zurückgegangen (ABDA, 2020) . Insgesamt weisen die Ergebnisse zur Entwicklung der Fachkräfte in den Gesundheitsberufen – trotz häufig beklagtem Fachkräftemangel (Bundesagentur für Arbeit, 2019) – auf leicht rückläufige Absolvent*innenzahlen hin . Hieraus lassen sich auch die aktuell verstärkten Bemühungen verstehen, die Berufsbilder im Gesundheitsbereich für junge Menschen attraktiver zu gestalten . Dies schließt neben der Modernisierung und Weiterentwicklung der Ausbildungsberufe selbst auch Fragen zur Schulgeldfreiheit und Ausbildungsvergütung ein . Darüber hinaus ist es jedoch wichtig Maßnahmen zu ergreifen, um die Beschäftigungssituation zu verbessern . Hierfür spielen auch Aufstiegs- und Entwicklungsmöglichkeiten eine wesentliche Rolle und können zur Attraktivitätssteigerung beitragen (Helmrich et al ., 2016) . Die bisherigen Weiterbildungsmöglichkeiten in den Gesundheitsberufen sind allerdings eher eingeschränkt und unübersichtlich . So besteht in vielen Berufen wie dem der/des pharmazeutisch-kaufmännischen Angestellten gar keine Möglichkeit, eine berufsspezifisch
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
aufbauende, staatlich geregelte (Aufstiegs-)Fortbildung zu absolvieren (Brings, 2012) . Will man die quantitative Entwicklung des Fortbildungsgeschehens im Gesundheitsbereich darstellen, so stößt man auf eine unzureichende Datenlage . Dies liegt insbesondere darin begründet, dass quantitativ nur jene Fortbildungen in der amtlichen Statistik erfasst werden, die auch zu einem staatlich geregelten Fortbildungsabschluss führen . Wie viele Personen im Gesundheitsbereich daher an beruflichen Weiterbildungskursen teilnehmen, die keinen staatlich geregelten Abschluss beinhalten, ist nicht bekannt . Grundsätzlich lässt sich der Bereich der rechtlich geregelten Weiterbildung in landesrechtlich geregelte Fach- und Funktionsweiterbildungen und bundesrechtlich nach BBiG/HwO geregelte (Aufstiegs-)Fortbildungen (Meister*innenausbildung) unterscheiden (Zöller, 2012) . Entsprechend den Angaben der Schulstatistik absolvieren seit 2012 zwischen 300 und 400 Personen im Jahr eine Fortbildung im Gesundheits- und Pflegebereich . Für die nach BBiG/HwO geregelten Fortbildungen in administrativen und handwerklichen Gesundheitsberufen zeigt sich für den Zeitraum 2009 bis 2018 eine deutliche Zunahme der Fortbildungsabsolvent*innen, die sich in fast allen Fortbildungsberufen niederschlägt (Tab . 3) . Bei den handwerklichen Fortbildungen konzentriert sich der Anstieg vor allem auf die Meister*innenprüfungen im Bereich Medizin-, Orthopädie- und Rehatechnik . Ob dieser Zuwachs das Resultat gestiegener technologischer Ansprüche in den Berufsfeldern oder einer stärkeren Aufstiegsorientierung geschuldet ist, lässt sich nicht beurteilen . Die deutliche Zunahme bei den administrativen Gesundheitsberufen, die vor allem auf den Ausbau bei den verwaltenden Berufen im Gesundheitswesen zurückzuführen ist, ist vermutlich Ausdruck einer zunehmenden Ökonomisierung des Gesundheitswesens . Diese Dynamik ist in noch stärkerem Maße bei den Masterabschlüssen im Studiengang „Gesundheitswissenschaft/-management“ festzustellen (vgl . Abschnitt 3 .3) .
135
1.026
36
1
1.063
990
43
14
1.047
1.880
241
1.857
69
4.047
*
*
*
7
1.206
65
1
1.279
1.905
154
1.801
95
3.955
2011
14
1.316
111
1.441
1.898
274
1.914
80
4.166
425
425
2012
22
1.377
65
11
1.475
1.766
232
2.145
124
4.267
296
61
357
2013
6
1.357
78
1
1.443
4
1.864
289
2.147
142
4.446
257
135
392
2014
41
1.351
73
13
1.478
10
1.944
314
2.479
116
4.863
287
76
363
2015
34
1.297
91
9
1.431
9
1.923
367
2.270
151
4.720
294
37
331
2016
35
1.286
69
3
1.393
7
1.933
255
2.236
165
4.596
282
63
345
2017
60
1.309
79
6
1.454
7
1.827
263
2.296
173
4.566
264
39
303
2018
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Berufsbildungs- und Schulstatistik
1 Für den Gesundheits- und Pflegebereich wurde die Schulstatistik der Fachschulen verwendet; für den Bereich der administrativen und handwerklichen Gesundheitsberufe die Berufsbildungsstatistik herangezogen. 2 Erst mit Einführung der Klassifikation der Berufe 2010 (KldB, 2010) im Jahr 2012 ist eine differenzierte Ausweisung der Spezialist*innentätigkeiten im Gesundheits- und Pflegebereich mit der Schulstatistik möglich.
Optometrist*in
Meister*in – Medizin-, Orthopädie- und Rehatechnik
Orthopädieschuhmachermeister*in
Chirurgiemechanikermeister*in
Handwerkliche Gesundheitsberufe insgesamt
Fachwirt*in für Prävention und Gesundheitsförderung
1.807
351
Zahnmedizinische*r Fachangestellte*r
1.459
Fachwirt*in für ambulante medizinische Versorgung
59
3.676
Verwaltende Berufe im Sozial- und Gesundheitswesen
Berufe bei der Krankenversicherung – Spezialist*innentätigkeit
Administrative Gesundheitsberufe insgesamt
*
*
Führungskräfte – Krankenpflege, Rettungsdienst, Geburtshilfe
* *
*
2010
*
2009
Berufe in der Altenpflege – Spezialist*innentätigkeiten
Gesundheits- und Pflegeberufe
2
Tab. 3 Fortbildungsabsolvent*innen außer- und innerhalb BBiG/HwO im Gesundheitsbereich1 2009 bis 2018 (Anzahl)
136 MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
3.2
Akademische Ausbildung an (Fach-)Hochschulen: Studienabschlüsse in den Therapieberufen und den Gesundheitswissenschaften
Mit der gewachsenen Zahl der Studienangebote (vgl . Abschnitt 2 .2) ist in den letzten Jahren auch die Absolvent*innenzahl deutlich gestiegen . Dies lässt sich mit Daten der Hochschulstatistik in einer Zeitreihe seit 2008 zeigen . Insgesamt schlossen im Prüfungsjahr 2018 mehr als 12 .200 Personen einen Studiengang im Studienbereich „Gesundheitswissenschaften allgemein“ ab (im Folgenden kurz als Gesundheitswissenschaften bezeichnet); 2008 waren es nur etwa 3 .300 (Tab . 4) . Unter ihnen sind 8 .765 Erstabsolvent*innen, von denen die Mehrheit einen Bachelorabschluss erworben hat (Tab . 4); nur noch ca . 5 % schließen mit einem Fachhochschuldiplom ab .16 Die Erstabsolvent*innen stehen für die neu hinzukommenden akademisch qualifizierten Fachkräfte in den gesundheitswissenschaftlichen Fachrichtungen . Das starke Wachstum der zum Studienbereich Gesundheitswissenschaften gehörenden Studienfächer17 wird vor allem im Vergleich zur Zahl der Erstabschlüsse insgesamt ab 2012 erkennbar (Abb . 3) . Inzwischen machen gesundheitswissenschaftliche Abschlüsse knapp 3 % aller Erstabschlüsse aus; gegenüber 2012 hat sich der Anteil verdoppelt . Innerhalb des Studienbereichs Gesundheitswissenschaften entfallen mehr als die Hälfte der Absolvent*innen auf das Studienfach Gesundheitswissenschaften und Gesundheitsmanagement . Die nichtärztlichen Heil- und Therapieberufe, darunter Logopädie, Physiotherapie, Ergotherapie oder das Hebammen-/Entbindungspflegewesen, stehen für ein Fünftel der Abschlüsse . In ihrem deutlichen Wachstum seit 2013 schlägt sich die Schaffung zahlreicher neuer Studienangebote an den Hochschulen nieder (Abb . 3) . Die deutlichste Zunahme seit 2012 innerhalb des Studienbereichs Gesundheitswissenschaften ist allerdings für das Fach Pflegewissenschaft/-management festzustellen (+124 %), das auch etwa ein Fünftel der Abschlüsse ausmacht . Den kleinsten (Tab . 4) und am wenigsten wachsenden Bereich bilden Studiengänge, die der Gesundheitspädagogik zugeordnet werden . In seinen Empfehlungen zur hochschulischen Qualifikation des Gesundheitspersonals hat der Wissenschaftsrat (2012, S . 85) für den Bereich der Pflege- und Therapieberufe sowie das Hebammen-/Entbindungspflegewesen eine Akademisierungsquote von 10 bis 20 % vorgeschlagen . Ein solcher Anteil eines jeden Jahrgangs müsste demnach einen hochschulischen Abschluss erwerben . Bezogen auf die TheIn der Pflegewissenschaft spielt der Diplom-Fachhochschulabschluss mit 15 % in den letzten Jahren noch eine etwas größere Rolle . 17 Die Definition von Studienbereichen unterscheidet sich zwischen der Hochschulstatistik und dem Hochschulkompass . Im Hochschulkompass werden den beiden Studienbereichen Gesundheitswissenschaften und Therapien insgesamt 15 „Studienfelder“ zugewiesen . Die Hochschulstatistik hat den Studienbereich „Gesundheitswissenschaften allgemein“, zu dem vier Studienfächer gehören: Gesundheitspädagogik, Gesundheitswissenschaft/-management, Nicht-ärztliche Heilberufe/Therapien sowie Pflegewissenschaft/-management . 16
137
575 635
Pflegewissenschaft/-management
1.150
385
1,1 %
875
2.745
Nicht-ärztliche Heilberufe/Therapien
Gesundheitswissenschaft/-management
Gesundheitspädagogik
Darunter:
Anteil der Gesundheitswiss. an allen Erstabschlüssen
Davon: Bachelor
Gesundheitswissenschaften insgesamt
520
Fachhochschulen privat
180 1.875
Universitäten privat
Fachhochsch. öff./kirchl.
750
3.325
Universitäten öff./kirchl.
Darunter:
Gesundheitswissenschaften insgesamt
2008
605
815
1.635
330
1,2 %
1.465
3.385
820
2.100
135
1.160
4.230
2009
2011
1.690
2.330
140
1.235
5.395
610
760
1.905
380
1,2 %
2.240
3.650
640
815
2.375
410
1,4 %
3.125
4.245
Erstabschlüsse
1.205
2.170
140
1.165
4.685
Abschlüsse insgesamt
2010
785
935
2.230
460
1,4 %
3.595
4.410
1.405
2.800
160
1.555
5.920
2012
945
760
2.625
480
1,6 %
4.185
4.810
1.740
2.875
170
1.750
6.535
2013
1.175
1.170
3.145
440
1,9 %
5.345
5.935
2.415
3.350
255
1.870
7.890
2014
1.335
1.325
3.705
475
2,2 %
6.305
6.840
2.925
3.845
290
2.250
9.315
2015
1.645
1.550
4.280
495
2,5 %
7.420
7.975
3.155
4.770
355
2.400
10.680
2016
1.715
1.565
4.835
460
2,8 %
8.025
8.570
3.920
4.890
345
2.200
11.360
2017
Tab. 4 Hochschulabsolvent*innen in den Gesundheitswissenschaften 2008 bis 2018 nach Art der Hochschule, Trägerschaft, Art des Studiums, Abschlussart und Studienfächern
1.755
1.800
4.630
580
2,9 %
8.070
8.765
3.995
4.970
640
2.615
12.220
2018
138 MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
30
60
40
80
60
60
645
2011
65
75
790
100
1,5 %
40
895
1.035
140
55
860
100
1,4 %
30
990
1.150
Folgeabschlüsse
2010
170
135
1.080
130
1,5 %
55
1.235
1.510
2012
130
205
1.255
140
1,4 %
40
1.480
1.725
2013
220
140
1.375
225
1,3 %
55
1.595
1.960
2014
205
210
1.815
245
1,5 %
80
2.090
2.475
2015
170
210
2.040
285
1,5 %
95
2.230
2.705
2016
175
315
2.020
275
1,5 %
115
2.260
2.785
2017
Quelle: Statistisches Bundesamt, Hochschulstatistik, Recherche in DZHW-ICE (Werte auf ein Vielfaches von 5 gerundet), eigene Berechnungen
30
Pflegewissenschaft/-management
445
1,7 %
45 1,2 %
670
845
2009
420
580
Nicht-ärztliche Heilberufe/Therapien
Gesundheitswissenschaft/-management
Gesundheitspädagogik
Darunter:
Anteil an allen Folgeabschlüssen
Promotion
Master
Davon:
Gesundheitswissenschaften insgesamt
2008
290
405
2.455
310
1,8 %
140
2.935
3.455
2018
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
139
MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
250
Indexwerte 2012 = 100
140
200
150
100
50
2008
2009
2010
2011
2012
2013
2014
2015
2016
2017
2018
Erstabsolvent*innen insgesamt (alle Fächer)
Absolvent*innen Gesundheitswissenschaften allgemein
Absolvent*innen Gesundheitspädagogik
Absolvent*innen Gesundheitswissenschaft/-management
Absolvent*innen nicht-ärztliche Heilberufe/Therapien
Absolvent*innen Pflegewissenschaft/-management
Abb. 3 Erstabschlüsse im Studienbereich Gesundheitswissenschaften allgemein und den zugehörigen Studienfächern 2008 bis 2018 sowie Erstabschlüsse insgesamt (Index 2012 = 100)1) 1) Das Basisjahr 2012 entspricht dem Erscheinungsjahr der Empfehlungen des Wissenschaftsrats. Quelle: Statistisches Bundesamt, Hochschulstatistik, Recherche in DZHW-ICE, eigene Berechnungen
rapieberufe scheint dieser Wert inzwischen erreicht zu sein . Stellt man für eine Annäherung die Zahl der Bachelorabschlüsse im Prüfungsjahrgang 2018, die einen therapiewissenschaftlichen Studiengang absolviert haben (1 .800), den 8 .722 beruflichen Abschlüssen bei den Physio- und Ergotherapeut*innen sowie Logopäden bzw . Logopädinnen gegenüber, so ergibt sich ein Anteil von 21 % .18 In der Pflegewissenschaft liegt das Ziel jedoch noch in weiter Ferne . Auf mehr als 43 .000 berufliche Abschlüsse im Jahr 2018 kommen nur 1 .750 Bachelorabschlüsse (4 %) . Eine Ursache für die verhaltenere Entwicklung der Absolvent*innenzahlen im Bereich der Pflegestudiengänge könnte darin liegen, dass Pflegeverbände eine Akademisierung der Pflegeberufe zunächst abgelehnt haben, während Berufsverbände der Hebammen/Entbindungspfleger und Therapeut*innen dieser Entwicklung deutlich offener gegenüberstanden (Bollinger & Gerlach, 2015, S . 95) . Um die für eine konsequente Akademisierung erforderliche „wissenschaftliche Disziplinbildung“ gerade auch in der Pflege und den Therapiewissenschaften voranzutreiben, ist eine eigenständige Forschung sowie der Aufbau eines forschenden und lehrenden akademischen Personalbestands von großer Bedeutung (Wissenschaftsrat, 2012) . Nicht zuletzt ist aber auch ein weiterführendes Studienangebot für die Qualifizierung berufspädagogischer Lehrkräfte von großer Bedeutung . Betrachtet man daher die Zahl der Masterabschlüsse und Promotionen seit 2008 (Tab . 4), gibt es zwar
Doppelzählungen durch Bachelorabschlüsse, die bereits vorher einen beruflichen Abschluss erworben haben, dürften den Wert nur unwesentlich beeinflussen .
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Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
einen kontinuierlichen Anstieg von Folgeabschlüssen in den Gesundheitswissenschaften (2018 waren es insgesamt 3 .455) . Allerdings gibt es hier deutliche Unterschiede nach dem Studienfach: Dominierend sind die Abschlusszahlen im Fach Gesundheitswissenschaften/-management mit einem Anteil von über 70 % im Jahr 2018; dieser ist noch größer als bei den Erstabschlüssen . In diesem Bereich führen Masterabschlüsse nicht nur auf eine wissenschaftliche Laufbahn, sondern eröffnen auch berufliche Optionen in der Leitung und im Management von Gesundheitseinrichtungen . Die nach wie vor geringe Anzahl an Folgeabschlüssen bei den Heil- und Therapieberufen sowie der Pflegewissenschaft zeigt auf, dass hier Professionalisierungsprozesse noch am Anfang stehen . Während annähernd 50 % der Bachelorabsolvent*innen des Studienfachs Gesundheitswissenschaften/-management in ein Masterstudium wechseln, liegt die Übergangsquote bei den nicht-ärztlichen Heil- und Therapieberufen und der Pflegewissenschaft mit ca . 20 bzw . 15 % deutlich darunter .19 In der Folge gibt es bislang auch kaum Promotionen in diesen Fächern . Von den 140 Promotionen im Jahr 2018 wurden 110 in den Gesundheitswissenschaften/-management abgelegt, 25 in der Pflegewissenschaft und weniger als 5 in den nicht-ärztlichen Heil- und Pflegeberufen . Seit 2010 haben in den nicht-ärztlichen Heil- und Pflegeberufen insgesamt nur 7 Personen promoviert, in der Pflegewissenschaft/-management waren es 153, in Gesundheitswissenschaft/-management 479 . 4.
Diskussion
Die Ausbildung des Fachpersonals in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen ist sehr heterogen und vielgestaltig . Auf der einen Seite kann der berufliche Abschluss in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen auf Basis einer beruflichen Ausbildung erfolgen, für einige Berufe ist dies jedoch (auch) über ein grundständiges Studium möglich . Beide Wege basieren auf völlig unterschiedlichen Rechtsgrundlagen und institutionellen Strukturen, was Konsequenzen für die berufstheoretische und berufspraktische Qualifizierung mit sich bringt . Gleichermaßen ist aber auch innerhalb der beiden Ausbildungssysteme eine erhebliche Bandbreite in den institutionellen, organisatorischen und curricularen Strukturen auszumachen . Für den Bereich der beruflichen Ausbildung zeigt sich dies insbesondere zwischen Ausbildungsberufen des dualen und Schulberufssystems sowie innerhalb des Schulberufssystems für die verschiedenen Gesundheitsfach- und Heilberufe . Im Hochschulsystem ist dies an den unterschiedlichen Studienmodellen, die ein „nicht mehr eindeutig zu definierendes Qualitäts- und Qualifikationsprofil“ (Walkenhorst, 2011, S . 6) mit sich bringen, zu sehen . Es handelt sich um Studienmodelle
Für eine Näherung an die Übergangsquote vom Bachelorabschluss ins Masterstudium wurde die Zahl der Masterabschlüsse zeitversetzt um zwei Jahre auf die Bachelorabschlüsse bezogen .
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mit eigenen inhaltlichen Standards der beteiligten Bildungseinrichtungen, bei denen ein Studium mal nahtlos an eine Ausbildung anschließt (additives Modell), mal in Kooperation zwischen Hochschule und Praxiseinrichtung (praxisintegrierendes duales Studium) oder Berufsfachschule (ausbildungsintegrierendes duales Studium) stattfindet, mal als Vollzeitstudium oder auch berufsbegleitend . Angesichts gravierender Umwälzungen in Demografie, Technologie, Medizin, Gesundheitswissenschaft und Gesundheitsökonomie wundert es kaum, dass die berufs- und bildungsbezogenen öffentlichen und Fachdebatten zu Berufsprofilen, institutioneller Einbettung entsprechender Bildungs- und Qualifizierungsangebote, zur curricularen, organisatorischen Ausgestaltung von Ausbildungs- und Studienangeboten sowie zur Sicherung der Qualität der Ausbildung noch lange nicht abgeschlossen sind . Dies spiegelt sich auch in den hier dargestellten Informationen zu Ausbildungsund Studiengängen und in den Daten über die Entwicklung von Ausbildungs- und Studienabsolvent*innen wider . In unserer Analyse konnten wir ein sehr dynamisches Feld aufzeigen, das nach Berufs- bzw . Studienschwerpunkten und in Abhängigkeit vom spezifischen Tätigkeitsfeld ganz unterschiedliche Entwicklungslinien erkennen lässt: Es zeigt sich vor allem, dass Fragen der Fachkräftesicherung in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen nur hinreichend diskutiert werden können, wenn der berufliche und der hochschulische Sektor zusammen betrachtet werden . So lässt sich etwa der Rückgang in den Absolvent*innenzahlen bei den vollzeitschulischen Therapieberufen durchaus mit der Zunahme von Studienabsolvent*innen in diesem Feld zumindest partiell erklären . Bezüglich der beruflichen Qualifizierung des Fachpersonals zeichnen sich allerdings Unterschiede ab: Während sich die Hebammen-/Entbindungspflegerausbildung und die nicht-ärztlichen therapeutischen Berufe in Richtung einer vollständigen akademischen Ausbildung entwickelt haben bzw . entwickeln, erfolgt in pflegenden Berufen die Qualifizierung auf sehr unterschiedlichen Niveaus . Grundsätzlich wird in den nächsten Jahren genauer zu beobachten sein, welche Impulse vom Ausbau der Studienangebote ausgehen, sowohl was ihre Wirkung auf das Ausbildungs- und Studieninteresse betrifft, als auch hinsichtlich der zukünftigen Kompetenzprofile in den Pflegeberufen (Reiber & Remme, 2009) . Dies vor allem auch deshalb, da zunächst die Entwicklung von Studiengängen im Gesundheits- und Pflegebereich vor allem durch sozialwissenschaftliche Fachbereiche an Fachhochschulen getrieben wurde, während in den letzten Jahren vermehrt auch an medizinischen Fakultäten Pflegestudiengänge zu finden sind (Kälble, 2013) . Trotz der Empfehlung des Wissenschaftsrats (2012) die pflege-, therapie- und hebammenwissenschaftlichen Studiengänge an den medizinischen Fakultäten zu etablieren, ist die Beteiligung bisher allerdings noch gering; inwiefern das neue Pflegeberufegesetz der Entwicklung einen neuen Schub gibt, bleibt abzuwarten . In mehr oder minder enger Verbindung dazu gilt es auch im Blick zu behalten, welche Ausbildungs- und Studienmodelle sich als zielführend für die quantitative und qualitative Fachkräftesicherung erweisen .
Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
Die zunehmende Akademisierung des nicht-ärztlichen Gesundheitspersonals wirft darüber hinaus auch Fragen der Abgrenzung von Aufgabenprofilen zwischen beruflich und akademisch ausgebildeten Fachkräften und damit verbunden den späteren Beschäftigungschancen von Personen mit unterschiedlichem Qualifikationsprofil auf . Zudem werden Fragen der Durchlässigkeit zwischen beruflicher und akademischer Ausbildung sowie der sozialen Öffnung von Hochschulen virulent . So zeigt sich, dass mehr als ein Drittel der Bachelorstudiengänge in den Gesundheitswissenschaften heute an privaten Hochschulen angesiedelt ist, die mit ihrem Studienangebot zwischen einem Drittel (Pflegewissenschaft) und mehr als 50 % (Gesundheitsmanagement) der Studienanfänger*innen anziehen . Auch wenn private Hochschulen damit kein Ausbildungsmonopol besitzen, so kann eine Verstärkung dieser Tendenz doch insbesondere Bestrebungen nach offenem Hochschulzugang konterkarieren, da der Zugang zu diesen Studiengängen maßgeblich durch sozioökonomische Hintergrundfaktoren der Interessent*innen bestimmt wird . Insofern ist aus einer bildungspolitischen Perspektive zu prüfen, welche Studienangebote dies besonders betrifft und ob eine solche Entwicklung mit dem Ziel von Chancengerechtigkeit und Teilhabe an beruflicher (Aus-) Bildung vereinbar ist . Die aufgeführten Herausforderungen weisen darauf hin, dass die Diskussion über Professionalisierung der beruflichen und akademischen Ausbildung in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen sich nicht allein auf fachliche Perspektiven beschränken darf . Vielmehr ist eine Erweiterung des Diskussionshorizonts bei der Begründung und Entwicklung von Ausbildungsmodellen, institutionellen Zugangsregeln, Curricula etc . dringend geboten, die auch übergreifende Zieldimensionen von Bildungsprozessen wie Persönlichkeitsentwicklung, gleichberechtigter sozialer Teilhabe und herkunftsunabhängige Zugänge in Ausbildung oder Studium einschließen . Schließlich ist in die Diskussionen der Fachkräftesicherung und der Weiterentwicklung von Ausbildungs- und Studienmodellen auch das Bildungspersonal, insbesondere hinsichtlich der Frage, wie künftig der Bedarf an fachlich und pädagogisch qualifiziertem Lehrpersonal quantitativ und qualitativ sichergestellt werden kann, einzubeziehen . So ist die Professionalisierung des Bildungspersonals in den nichtärztlichen Gesundheitsberufen sehr uneinheitlich: Zwar bestehen universitäre Studienangebote für das Lehramt an beruflichen Schulen, die den KMK-Standards entsprechen, mehrheitlich erfolgt die Ausbildung der Lehrkräfte in den nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen jedoch an Fachhochschulen bzw . Hochschulen für Angewandte Wissenschaften (Reiber et al ., 2017) . Dies hat Konsequenzen für die fachlichen, fachdidaktischen und berufspädagogischen Kompetenzen der Lehrkräfte . Denn während die allgemeine Lehramtsausbildung zweiphasig (Studium an der Universität, anschließend Vorbereitungsdienst/Referendariat) erfolgt, findet die Lehrer*innenbildung an Fachhochschulen vorrangig einphasig ohne Absolvierung eines Vorbereitungsdienstes bzw . Referendariats statt (Reiber, 2018) . Damit fehlt der Lehrkräftequalifizierung an Fachhochschulen die berufsbegleitende fachdidaktische Ausbildung in der Phase der Berufseinmündung . Auch die vielfältigen Wege des Erwerbs einer entsprechen-
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den Lehrbefähigung, heterogene Studienangebotsstrukturen, Kompetenzprofile, Abschlussniveaus und Abschlussbezeichnungen (Friese, 2018) und damit die Fortsetzung des Sonderwegs der Lehrer*innenbildung können mit Deprofessionalisierungstendenzen einhergehen (Reiber et al ., 2019, S . 48), wenn dadurch die Entwicklung der professionellen Handlungskompetenz der Lehrkräfte erschwert wird . Nicht zuletzt aus diesem Grund fordert der Vorstand der Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik eine Standardisierung der hochschulischen Curricula an den Vorgaben der KMK sowie die Implementierung verbindlicher fachwissenschaftlicher, fachdidaktischer und bildungswissenschaftlicher bzw . berufspädagogischer Standards (Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik der DGfE, 2021) . Gleichfalls könnten damit auch Fragen von Statusunterschieden, sowohl was den Verdienst als auch den Zugang zu einer Beschäftigung an öffentlichen beruflichen Schulen betrifft, angegangen werden . In unserem Beitrag haben wir den Schwerpunkt auf die quantitativen Entwicklungen der Absolvent*innen in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen gelegt . Gleichfalls müssen sich die unterschiedlichen Ausbildungswege jedoch auch an qualitativen Aspekten der Fachkräftesicherung – wie die unter unterschiedlichen institutionellen Ausbildungsbedingungen erworbenen Kompetenzen – messen lassen . Um künftig nicht nur die quantitativen Entwicklungen in nicht-ärztlichen Ausbildungen und Studienangeboten abzubilden, sondern diese perspektivisch auch mit Fragen der Qualität und der in Ausbildung und Studium erlangten Kompetenzen zu verbinden, bedarf es jedoch einer ausreichenden Forschungsinfrastruktur . Dass diese noch nicht hinreichend etabliert ist, liegt zum einen darin begründet, dass das Schulberufssystem seit jeher einen in der berufspädagogischen Forschung stark vernachlässigten Bereich darstellt (Friese, 2011) . Zum anderen sind die Ursachen aber auch in dem nach wie vor unzureichenden Ausbau der Berufspädagogik im Berufsfeld Gesundheit und Pflege und damit verbundenen Lehrer*innenbildungsstrukturen zu suchen . Literatur
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Volker Baethge-Kinsky, Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Soziologischen For-
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3.023
Notfallsanitäter*in/Rettungsassistent*in
Orthoptist*in
51
333
1.252
Masseur*in/medizinische/r Bademeister*in
Podologe/Podologin
1.191
Logopäde/Logopädin 726
3.631
Ergotherapeut*in
Diätassistent*in
7.658
14.842
Physiotherapeut*in
Therapeutische und präventive Gesundheitsberufe
580
1.678
Gesundheits- und Krankenpflegehelfer*innen
Hebamme/Entbindungspfleger
4.526
12.134
Altenpflegehelfer*innen
Altenpfleger*innen
Pflegeberufe 17.372
39.313
Gesundheitsberufe insgesamt
Gesundheits- und (Kinder-)Krankenpflege
2008 90.992
Berufe
30
402
693
1.164
1.285
3.516
7.243
14.333
577
2.008
2.489
4.624
11.845
17.827
39.370
89.052
2009
45
388
684
1.020
1.251
3.341
7.060
13.789
596
3.241
1.578
4.659
12.376
18.032
40.482
90.243
2010
53
433
549
848
1.217
2.870
6.597
12.567
627
3.266
1.600
4.802
12.832
17.387
40.514
89.045
2011
25
551
485
926
1.160
2.706
6.361
12.214
632
3.676
1.626
5.146
13.756
18.864
43.700
90.160
2012
33
437
435
725
1.063
2.539
6.038
11.270
583
3.576
1.873
5.247
15.530
19.032
45.841
91.906
2013
38
450
397
611
1.138
2.599
5.868
11.101
578
3.672
2.079
5.671
14.096
18.620
44.716
89.910
2014
Tab. 1A Absolvent*innen der Gesundheitsberufe nach Berufsbereichen und Berufen 2008 bis 2018 (Anzahl)*
Anhang
2015
29
439
339
434
1.105
2.550
5.531
10.427
627
3.126
2.112
5.447
15.351
18.373
45.036
88.999
2016
27
439
386
477
1.003
2.606
5.218
10.156
585
995
2.151
4.939
17.062
18.620
44.352
87.920
2017
33
408
419
446
986
2.487
5.525
10.304
562
961
2.368
4.853
16.376
18.173
43.293
85.494
2018
28
368
418
471
1.010
2.444
5.268
10.007
597
1.765
2.278
4.903
15.444
18.034
43.021
86.600 Zum Wandel von Ausbildung und Studium in nicht-ärztlichen Gesundheitsberufen
149
183
167 4.062
Operationstechnische Assistenz
Handwerkliche Gesundheitsberufe
54
174 48
Orthopädieschuhmacher*in
224
905
1.820
1.994
9.035
12.015
25.993
309
399
201
913
1.837
1.865
9.210
12.681
26.707
54
171
267
477
1.116
1.563
3.648
215
2.090
3.312
5.617
2010
528
1.017
1.781
1.735
9.006
12.646
26.713
51
195
264
552
1.254
1.659
3.975
338
1.888
3.050
5.276
2011
243
1.117
1.614
1.787
8.119
12.016
24.896
51
156
255
672
1.248
1.728
4.110
304
1.854
3.082
5.240
2012
596
1.198
1.356
1.702
8.400
12.193
25.445
48
165
294
759
1.401
1.677
4.344
352
1.813
2.841
5.006
2013
541
1.277
1.343
1.714
8.434
11.765
25.074
51
168
297
696
1.362
1.842
4.416
395
1.696
2.512
4.603
2014
469
1.370
1.085
1.794
8.527
11.651
24.896
45
186
291
651
1.335
1.716
4.224
348
1.750
2.318
4.416
2015
410
1.505
1.128
1.944
8.449
11.454
24.890
39
171
576
627
1.233
1.608
4.254
460
1.676
2.132
4.268
2016
149
1.524
1.137
1.745
7.194
11.412
23.161
51
219
411
738
1.146
1.569
4.134
415
1.757
2.430
4.602
2017
371
1.628
1.104
1.712
8.283
11.754
24.852
42
186
426
894
1.206
1.746
4.500
416
1.589
2.215
4.220
2018
Quelle: Statistische Ämter des Bundes und der Länder, Schul- und Berufsbildungsstatistik, eigene Berechnungen
* Die Erhebung an Schulen des Gesundheitswesens erfolgt zum Teil auf freiwilliger Basis, sodass von einer Unterschätzung der Anfänger:innenzahlen auszugehen ist. Ohne Schulen des Gesundheitswesens in Hessen, da für diese erst seit 2012 Daten vorliegen. 1 Die medizinisch-technischen Assistent*innen setzen sich zusammen aus den Assistent*innen für Labor, Radiologie und Funktionsdiagnostik. 2 Zu den sonstigen administrativen Gesundheitsberufen zählen verwaltender Beruf im Gesundheitswesen, Medizinische Dokumentationsassistenz, Desinfektor*in und Gesundheitsaufseher*in.
899 244
2.175
Pharmazeutisch-kaufmännische/r Angestellte/r
Sonstige administrative Gesundheitsberufe2
2.093
Sozialversicherungsangestellte/r Krankenversicherung
Kaufmann/Kauffrau im Gesundheitswesen
8.864
12.851
Zahnmedizinische/r Fachangestellte/r
Medizinische/r Fachangestellte/r
Administrative Gesundheitsberufe
27.126
261
Orthopädietechnik-Mechaniker*in
Chirurgiemechaniker*in
174
462
Hörakustiker*in
1.407
1.824
Zahntechniker*in
1.449
1.293
Augenoptiker*in
3.792
2.035
2.174
3.346
3.308
5.564
2009
Medizinisch-technische Assistenz (MTA)1
5.649
Medizinische und pharmazeutische Gesundheitsberufe
Pharmazeutisch-technische Assistenz (PTA)
2008
Berufe
150 MARIA RICHTER / VOLKER BAETHGE-KINSKY / CHRISTIAN KERST / SUSAN SEEBER
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit als Folge technologischer Entwicklungen im Gesundheitswesen REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
Opportunities for Professional Development through Changes that emenate from new Technologies at Work in Healthcare Kurzfassung: Die Digitalisierung im Gesundheitswesen führt zu Veränderungen in der Arbeit . Un-
klar ist, wie diese Veränderungen aussehen, welche Möglichkeiten aktuelle technologische Entwicklungen in Gesundheitsberufen für Professional Development eröffnen und wie diese genutzt werden . Zur Beantwortung dieser Fragen stellen wir einen konzeptionellen Rahmen für Professional Development vor, der als Basis für eine explorative Studie mit Methodentriangulation, bestehend aus einer systematischen Literaturübersicht (N = 11) und einer Interviewstudie mit Pflegefachpersonen in der ambulanten Pflege (N = 9), dient . Die Ergebnisse zeigen unter anderem, dass die Einführung neuer Technologien als Auslöser für Lernaktivitäten aller drei für Learning Professionals wichtigen Kategorien Elaboration, Expansion und Externalization dient . Schlagworte: Professional Development, Gesundheitsberufe, Technologie, Lernaktivitäten, Auslöser, Einflussfaktoren Abstract: Digitization in the healthcare sector leads to changes in work . Unclear is what the exact
changes are, what opportunities current technological developments in healthcare professions are opening up for professional development and how these are being used . To get insight into these issues, we present a conceptual framework for professional development that serves as the basis for an exploratory study with method triangulation, consisting of a systematic literature review (N = 11) and an interview study with nursing professionals in outpatient care (N = 9) . The results show, for instance, that the introduction of new technologies serves as a trigger for learning activities in all three categories of learning activities that are important for learning professionals: Elaboration, Expansion, and Externalization . Keywords: Professional development, Healthcare, Technology, Learning activities, Trigger, Determinants
152
REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
1.
Einleitung
Aktuelle technologische Entwicklungen durchdringen Gesellschaft und Arbeit umfassend . Technologien, definiert als elektrische, digitale oder mechanische Objekte, die die Ausführung von Arbeit ersetzen oder ergänzen, werden kontinuierlich weiterentwickelt und sind zentral in der Diskussion über Digitalisierung und Industrie 4 .0 (Botthof & Hartmann, 2015) . Die Digitalisierung hat auch im Gesundheitswesen Einzug gehalten, auch wenn Deutschland im internationalen Vergleich deutlich hinterherhinkt (Bertelsmann Stiftung, 2019) . Von mechanischen Werkzeugen (wie etwa Aufsetz- und Hebehilfen) bis hin zu autonomen Systemen (wie vollautomatisierte Insulinpumpen) ist ein breites Spektrum an Technologie im Gesundheitswesen zu verzeichnen . Aus gesellschaftlicher Sicht sind viele Erwartungen und Befürchtungen mit dem Thema Technologie verbunden . Zwar werden zahlreiche Potenziale für das Gesundheitswesen gesehen, wie beispielsweise eine bessere Vernetzung und leichtere Informationssammlung oder der Abbau körperlicher Belastungen . Demgegenüber stehen jedoch auch Befürchtungen, wie der Verlust an Patientenzuwendung und Arbeitsplätzen (Berufsgenossenschaft für Gesundheitsdienst und Wohlfahrtspflege [BGW], 2017) . Neben dem Verlust des Arbeitsplatzes kann sich auch die Befürchtung vor sich verändernden Umständen negative Auswirkungen auf Stresserleben, die Work-Life Balance oder die Arbeitszufriedenheit haben (DeWitte et al ., 2010) . Es existieren wenig empirische Belege für die Veränderungen, die neue Technologien tatsächlich in der Arbeit anstoßen (BGW, 2017) . Konkret betrifft das beispielsweise Merkmale der Arbeit, wie Autonomie oder Verantwortung (Hackman & Oldham, 1976) . Es gibt Hinweise, dass neue Technologien in verschiedenen Domänen die Realität des beruflichen Alltags durchdringen und damit auch Arbeitsergebnisse, wie etwa die Qualität der Arbeit oder die Leistung und Gesundheit der Angestellten, beeinflussen (Mulder & Beer, 2020) . Angesichts dieser Veränderungen und den damit zusammenhängenden Befürchtungen ist es wichtig, dass sich Mitarbeiter*innen an die sich ständig verändernden gesellschaftlichen Anforderungen anpassen können oder sogar proaktiv handeln . Das erfordert Professional Development . Als Professional Development wird ein fortwährender, kontextgebundener und dynamischer Prozess der Weiterentwicklung von Kompetenzen verstanden . Wissen ist dabei notwendig, aber nicht hinreichend (Tietgens, 1988) . Es geht darüber hinaus um Fähigkeiten und Einstellungen . Zusätzlich wird die ständige Weiterentwicklung der nicht per se mit dem Beruf verbundenen, aber für die Arbeit relevanten Kompetenzen zu Professional Development gezählt (Messmann, Mulder, & Gruber, 2010; Simons & Ruijters, 2004) . Aspekte der Weiterentwicklung und des Lernens im Zuge technologischer Entwicklungen in der Arbeit sind in der Forschung bislang nicht berücksichtigt (Beer
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
& Mulder, 2020) . Unklar ist daher, wie Mitarbeiter*innen die Veränderungen ihrer Arbeit für die eigene Weiterentwicklung, die Weiterentwicklung des Berufs und die Entwicklung der Arbeitskontexte nutzen . Um diese Forschungslücken zu schließen, ist das Ziel dieses Beitrags, einen Einblick in die Effekte neuer Technologien auf die Arbeitsmerkmale von Gesundheitsberufen sowie in die Nutzung des Lernpotenzials dieser Veränderungen in Form konkreter Lernaktivitäten zu erlangen . Zu diesem Zweck wird folgende Forschungsfrage beantwortet: Welche Möglichkeiten für Professional Development eröffnen Veränderungen in der Arbeit als Folge von neuen technologischen Entwicklungen in Gesundheitsberufen? Konkret wird geklärt: (a) Welche Effekte Technologien auf die Arbeitsmerkmale und Arbeitsergebnisse von Gesundheitsberufen haben, (b) welche Möglichkeiten es gibt, diese Veränderungen für Professional Development nutzbar zu machen (Auslöser), (c) wie diese genutzt werden (Lernaktivitäten) und (d) welche individuellen und kontextuellen Faktoren Professional Development fördern (können) . Zur Beantwortung der Fragestellung wird eine explorative Studie mit Methodentriangulation bestehend aus zwei Teilstudien durchgeführt: Eine systematische Literaturübersicht und eine Interviewstudie mit ambulanten Pflegefachpersonen . 2.
Konzeptioneller Rahmen
2.1
Professional Development
Die Notwendigkeit für Professional Development entsteht aus der Dynamik, die im beruflichen Kontext stattfindet (Messmann, Mulder, & Gruber, 2010) . Es bedarf der kontinuierlichen Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen, damit eine Anpassung an sich verändernde Kontexte sowie die Mitgestaltung von Veränderungen möglich wird . Neue Technologien und die sich daraus ergebende Digitalisierung sind ein konkretes Beispiel für Veränderungen, die neue Anforderungen mit sich bringen und eine Anpassung der Kompetenzen erfordern (Beer & Mulder, 2020) . Dafür ist Professionalität erforderlich . Professionalität beschreibt die Fähigkeit der Anwendung eines breiten Spektrums wissenschaftlich vertiefter und abstrahierter Kenntnisse unter Berücksichtigung ihrer Passung und Relevanz für die konkrete Anwendungssituation (Simons & Ruijters, 2004; Tietgens, 1988) . Ein Professional ist demnach jemand, der über das zur Berufsausübung relevante Wissen verfügt (Messmann, Mulder, & Gruber, 2010) . Der Wissensbegriff schließt berufsspezifisches Wissen, metakognitives Wissen – also Wissen über das eigene Funktionieren und Lernen – sowie Wissen über den Arbeitsplatz und die Organisation ein . Ein Teil dieses Wissens ist für die handelnde Person bewusst zugänglich . Es muss jedoch nicht unbedingt bewusst vorhanden sein, um angewendet werden zu können . Wissen ist eine Voraussetzung für professionelles Handeln .
153
154
REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
Die Voraussetzung für eine professionelle Wissensanwendung sind konkrete Fähigkeiten und Fertigkeiten . Beispielsweise ist die Fähigkeit, das für die Lösung eines vorliegenden Problems relevante Wissen zu identifizieren, wichtig . Das erfordert eine Diagnose der Situation anhand der Kontextmerkmale sowie die Entscheidung für das Wissen, das innerhalb des spezifischen Kontexts am besten geeignet ist (Tietgens, 1988) . Die Vorgehensweise bei der stimmigen Verbindung von beispielsweise Diagnose und Entscheidung ist bei Professionals von einer einzigartigen Methodik bestimmt (Simons & Ruijters, 2004) . Einer individuellen Vorgehensweise gehen persönliche Überzeugungen voraus . Professionals verfügen über eine Vision ihrer Arbeit – also Überzeugungen darüber, wie ein Beruf auszuüben ist, welchen Beitrag er für die Gesellschaft leistet und wie sich dieser Beruf in Zukunft entwickeln sollte (Simons & Ruijters, 2004) . Eine Vision ist als zentrale Komponente fundamentaler, persönlicher Einstellungen eine Notwendigkeit für professionelles Handeln . Die Vision entfaltet sich in Form von Ideen darüber, wie man bestimmte Aufgaben zu erledigen und Anforderungen zu erfüllen hat (Argyris & Schön, 1974) . Was einen Professional ausmacht, sind jedoch nicht die einzelnen Aspekte (wie Wissen, Fähigkeiten oder Vision), sondern die individuelle Kombination und Verbindung dieser Aspekte sowie deren ständige Weiterentwicklung . Dies erfordert ein breites Spektrum an Kompetenzen . Kompetenzen sind ein holistisches Konstrukt, definiert als „the potential capacity of an individual (or a collective) to successfully (according to certain formal or informal criteria, set by oneself or by somebody else) handle certain situations or complete a certain task or job“ (Ellström, 1997, S . 267) . Kompetenzen werden als persönliches Merkmal aufgefasst und umfassen Wissen, Fertigkeiten, Fähigkeiten und Einstellungen (Dispositionen), die miteinander und dem Beruf in Beziehung stehen (Mulder & Baumann, 2005) . Sie sind eine notwendige Voraussetzung für Performanz und werden durch das berufliche Handeln in einem spezifischen Kontext sichtbar . Der Prozess von Professional Development beschreibt den fortwährenden Entwicklungsprozess, den sogenannte Learning Professionals (Simons & Ruijters, 2004) mithilfe von drei verschiedenen Kategorien von Lernaktivitäten – Elaboration, Expansion und Externalization – steuern und vollziehen . Um die ursprüngliche Bedeutung der Begriffe zu erhalten, werden nachfolgend die englischen Originalbegriffe verwendet: Elaboration bezeichnet alle Handlungen, die zur fortlaufenden Weiterentwicklung der eigenen Kompetenzen durch Lernen aus und während der Arbeit führen (ebd .) . Das Lernen erfolgt beispielsweise durch die Reflexion des eigenen Handelns oder des Berufs und kann durchaus auch implizit stattfinden . Gegenstand der Entwicklung können der Beruf, Arbeitsaufgaben oder die eigenen Kompetenzen sein . Expansion bezeichnet alle Handlungen, die das theoretisch-konzeptuelle Wissen erweitern . Lernen erfolgt anhand systematisch-methodischen Arbeitens . Der aktive Vergleich der eigenen Arbeitstheorien und -hypothesen mit alternativen Erklärungen
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
(Argyris & Schön, 1974) oder das Hinterfragen fundamentaler Überzeugungen und Werte sind konkrete Lernaktivitäten, die als Expansion bezeichnet werden können . Kennzeichnend ist hierbei, dass – aus Sicht der handelnden Person – neue, bisher unbekannte Erkenntnisse aus beispielsweise Forschung oder Gesprächen mit Kolleg*innen in die eigene Wissensbasis integriert werden . Gegenstand der Entwicklung können neben den Visionen, auch Arbeitstheorien oder die eigenen Kompetenzen sein . Externalization bezeichnet alle Handlungen, durch die eine Explikation des Wissens erfolgt, um einen Beitrag zur Weiterentwicklung des Berufs, bestehender Teams oder Organisationen zu leisten . Externalization zum Zwecke der Weiterentwicklung des Berufs oder des sozialen Kontexts geht dabei immer mit der eigenen Kompetenzentwicklung einher . Solche Handlungen oder Lernaktivitäten sind Bestandteil des Professional Developments und notwendig in Folge von technologischen Entwicklungen der Arbeit . 2.2
Veränderung der Arbeit durch neue Technologien
Technologien dienen im beruflichen Kontext dazu, die Ausführung von Arbeitsaufgaben zu ergänzen oder zu ersetzen (McOmber, 1999) . Die Vielfalt von Technologien im Gesundheitswesen macht eine Kategorisierung notwendig, anhand derer die verschiedenen Tools, Systeme und Geräte systematisiert werden können . Da neue Technologien zunehmend autonomer werden und die Steuerung per Hand überflüssig machen (Autor, Levy, & Murnane, 2003), ist das Maß des manuellen Eingreifens ein wichtiges Unterscheidungskriterium . Wir unterscheiden hier zwischen drei Kategorien: Unterstützung, Autonomes Handeln und Kommunikation . Unterstützung bedeutet, dass die Technologie die Ausführung von Arbeitsaufgaben erleichtert beziehungsweise unterstützt, jedoch ohne eine intentionale Bedienung des Menschen keine Aktion ausführt . Die Interaktion zwischen Mensch und Maschine ist Basis für dessen Funktionalität . Autonomes Handeln bedeutet, dass die Technologie teilweise komplexe Funktionen zur Steuerung und Durchführung verketteter Prozesse (wie Diagnose – Entscheidung – Handlung) bereitstellt . Aktionen werden auf Basis der Interaktion zwischen Maschinen, aber auch zwischen Maschinen und materiellen oder digitalen Objekten, auch ohne das unmittelbare Zutun eines Menschen ausgeführt . Kommunikation bedeutet, dass die Technologie die Kommunikation und Interaktion zwischen Menschen ermöglicht . Kommunikationstechnologien nehmen damit eine Brückenfunktion ein, indem sie die synchrone und asynchrone Kommunikation sowie das Verbreiten von Informationen durch das Schaffen sozialer Räume ermöglichen . Das tatsächliche Objekt der Aktion von Technologien kann variieren . Zum einen geht es um das Sammeln, Abrufen und Speichern von Daten, definiert als aus Beobachtung oder Messung gewonnene, numerische Werte, die für darauf beruhende Diag-
155
156
REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
nosen und Entscheidungen interpretiert werden müssen . Zum anderen können Technologien auch die Ausführung und Koordination physischer Handlungen leisten . Das beinhaltet das Eingreifen in die materielle Welt beispielweise durch die Manipulation physischer Objekte . Die Unterscheidung des Objekts der Aktion lässt sich für alle drei Kategorien vornehmen . Tabelle 1 enthält einen Überblick zur bisherigen Argumentation, inklusive Beispiele . Tab. 1 Beispiele für Technologien nach Funktion und Objekt der Aktion Objekt der Aktion Funktion
Daten
Physische Handlungen
Unterstützung
Blutzuckermessgerät
Lifter
Autonomes Handeln
Vollautomatische Insulinpumpe
System zur automatisierten Medikamentenausgabe
Kommunikation
Digitale Tourenbegleiter, Telefon
Virtuelle Rollenspiele, Simulationen
Verschiedene Theorien aus unterschiedlichen Disziplinen – wie Soziologie, Psychologie oder den Wirtschaftswissenschaften – beschreiben die Veränderung zentraler Arbeitsmerkmale durch Technologie . Das beinhaltet beispielsweise den Umfang der Arbeitsrolle, das Ausmaß an Kontrolle und Privatsphäre, die Bedeutsamkeit und Komplexität der Arbeitsaufgabe, Möglichkeiten zur eigenen Weiterentwicklung, die Flexibilität und Autonomie der Beschäftigten, die Arbeitsmenge, den Zeitdruck und die Häufigkeit an Unterbrechungen, denen sie ausgesetzt sind, sowie die mentalen und physischen Anforderungen (Beer & Mulder, 2020) . 2.3
Lernpotenzial der Arbeit als Auslöser für Lernaktivitäten und Professional Development
Veränderungen und das darin liegende Lernpotential können genutzt werden und zur Erweiterung von Wissen, Fertigkeiten und Fähigkeiten führen, was wiederum Ergebnisse auf verschiedenen Ebenen positiv beeinflusst: Auf individueller Ebene (berufliche Leistung, Wohlbefinden, Motivation), auf Teamebene (Teamperformanz, Arbeitsklima) und auf organisationaler Ebene (Innovationen, Organisationsentwicklung) . Zum einen ist Lernpotential in den Merkmalen neuer Technologien vorhanden . Die Neuheit und die einzigartigen Anforderungen mancher Technologien machen es unumgänglich, sowohl einen produktiven Umgang mit, als auch die Einstellung gegenüber der Technologie zu fördern . Verschiedene Modelle zur Technikakzeptanz und -nutzung, die den Fokus beispielsweise auf die intentionale Nutzung ausgehend von der wahrgenommenen Nützlichkeit und Bedienbarkeit legen, verdeutlichen dies (Davis, 1989) .
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
Weiterhin ist Lernpotential in den Veränderungen der Arbeitsmerkmale als Folge von neuen Technologien enthalten . Wird dieses Lernpotential für Professional Development genutzt, kann es zentrale Ergebnisse der Arbeit beeinflussen . Das beinhaltet Aspekte der Performanz, der individuellen Lebenssituation, der Gesundheit sowie das Ausmaß an sozialer Interaktion und tatsächlicher Entwicklung am Arbeitsplatz (Mulder & Beer, 2020) . Damit das Lernpotential von Veränderungen im Sinne von Lernaktivitäten genutzt wird, bedarf es konkreter Auslöser, die aus der Wahrnehmung von Veränderungen resultieren . Veränderungen können als kognitive Konflikte wahrgenommen werden (Piaget, 1977), was zu Lernen führen kann (Marsick & Watkins, 1990) . Ebenso können in Folge der Arbeit mit Technologie Fehler oder kollegiales Feedback zu Lernen führen (Leicher & Mulder, 2016; Mulder, 2013) . Die Wahrnehmung dieser Auslöser hat das Potential, konkrete Lernaktivitäten – wie Reflexion, Experimentieren oder die Befragung eines externen Experten – zu veranlassen, die den drei Kategorien Elaboration, Expansion und Externalization zuzuordnen sind . Durch diese Lernaktivitäten kann ein Problem gelöst oder diesem proaktiv vorgebeugt werden . Es gibt fördernde und hemmende Faktoren (Tynjälä, 2013), die einerseits die Wahrnehmung eines Auslösers und andererseits die Ausführung einer Lernaktivität als Folge dieses Auslösers beeinflussen: auf der individuellen Ebene (z . B . Einstellung gegenüber Technik, Motivation), der Ebene der Arbeit (z . B . Nützlichkeit), der Teamebene (z . B . Verhalten von Kollegen, sozialer Druck), der organisationalen Ebene (z . B . organisationale Struktur und Kultur) oder der gesellschaftlichen Ebene (z . B . Datenschutzbestimmungen, politische Entscheidungen, globale Katastrophen) . Abbildung 1 zeigt die Verbindungen zwischen den Veränderungen der Arbeitsmerkmale als Folge von Technologie, das darin liegende Lernpotential mitsamt konkreter Auslöser, die darauffolgenden Lernaktivitäten als Teil von Professional Development und die daraus resultierenden Ergebnisse der Arbeit unter Berücksichtigung der hemmenden und fördernden Faktoren .
Abb. 1 Komponenten der Nutzung und Folgen von Veränderungen in der Arbeit (eigene Darstellung)
157
158
REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
3.
Empirische Studie mit Methodentriangulation
Zur Beantwortung der Forschungsfragen war eine explorative Studie mit Methodentriangulation erforderlich . Zwei verschiedene Datenquellen wurden dazu generiert und integriert . Die erste Datenquelle bestand aus einem Überblick empirischer Studien zu den Effekten neuer Technologien in Gesundheitsberufen (Teilstudie 1) . Die Ergebnisse dieser Teilstudie wurden vorrangig zur Beantwortung der Frage verwendet, welche Effekte Technologien auf Arbeitsmerkmale und -ergebnisse in Gesundheitsberufen haben . Eine qualitative leitfadengestützte Interviewstudie mit ambulanten Pflegefachpersonen (Teilstudie 2) war notwendig, um die gefundenen Belege innerhalb einer Domäne zu vertiefen und mögliche Erklärungen für identifizierte Verbindungen sowie das Fehlen von Verbindungen aufzudecken . Die qualitativen Daten ermöglichten es, sowohl einzelne als auch mehrere Verbindungen zwischen den Konstrukten aufzudecken und lieferten zudem konkrete Beispiele aus der Praxis . Vorrangig war dabei zu klären, welche Möglichkeiten es für Professional Development aufgrund von Veränderungen in der Arbeit gibt und wie diese Möglichkeiten in Form von Lernaktivitäten tatsächlich genutzt werden . Ambulante Pflegefachkräfte wurden ausgewählt, da sie in der aktuellen Forschung zu den Effekten von Technologien auf Gesundheitsberufe unterrepräsentiert sind . Zusätzlich stellen mobile Pflegedienstleistungen hohe Anforderungen an die Pfleger*innen, insbesondere durch verschiedene Arbeitskontexte mit entsprechender Variation technischer Geräte . 3.1
Teilstudie 1: Übersicht über die Literatur
Innerhalb von Teilstudie 1 wurden die Ergebnisse zweier systematischer Literaturübersichten in Bezug auf die Ziele des vorliegenden Beitrags gefiltert und synthetisiert . Diese beantworteten die Fragen, welche Effekte technologische Entwicklungen auf die Merkmale von Arbeit (Beer & Mulder, 2020) und Ergebnisse von Arbeit haben (Mulder & Beer, 2020), ohne sich jedoch auf Gesundheitsberufe zu beschränken . Die Einschlusskriterien der Studien innerhalb der systematischen Literaturübersichten beinhalteten Qualitätsmerkmale des Journals (Peer-Reviewing-Verfahren) sowie die Berichtlegung empirischer Ergebnisse zu den Effekten von Technologien auf Arbeitsmerkmale oder Arbeitsergebnisse . Um einen Überblick über Gesundheitsberufe zu erhalten, wurde die bestehende Datenbasis nach relevanten Studien mit Stichproben aus Gesundheitsberufen durchsucht . Das beinhaltete sowohl medizinisches Personal, als auch Ärzt*innen, pflegendes Personal, Therapeut*innen sowie pharmazeutische und technisch-pharmazeutische Berufsgruppen . Die damit gewonnene Auswahl an Einzelstudien und die darin berichteten quantitativen und qualitativen empirischen Belege wurden inklusive der Informationen zu Design und Stichprobe extrahiert, tabellarisch dokumentiert und
ZUBRYCKI/
5
11
CHAU/HU
OKSANEN
2002
2019
KAAKINEN/
TURJA/TAIPALE/
10
et al. 2012
CHOW
9
2012
CHANG/CHEN/LAN
8
2016
CHIANG/WANG
7
et al. 2005
STAHL
2016
6
GRANOSIK
et al. 2017
FINDLAY
4
et al. 2013
et al. 2013
JAMES
HOLDEN
3
2
2014
GOUGH/BALLARDIE/
1
BREWER
Studie
#
Querschnittliche Fragebogen Fragebogenstudie
Querschnittliche Fragebogen Fragebogenstudie
Pflegeroboter
Technologien für Telemedizin
Querschnittliche Fragebogen Fragebogenstudie
Querschnittliche Fragebogen Fragebogenstudie
IT System
IT System
Qualitative Interviewstudie
Interviews
Längsschnittliche Fragebogen Fragebogenstudie
SmartphoneKommunikationssoftware
Technologiegestützter Operationssaal
Qualitative Fragebogen Fragebogenstudie
Therapieroboter in der Autismustherapie
Interviews, Fokusgruppen
Fokusgruppen
Fallstudie
LangzeitFallstudie
Beobachtungen, Interviews
Interviews
Instrumente
System zur automatisierten Medikamentenausgabe
System zur automatisierten Medikamentenausgabe
Qualitativer Ansatz
Qualitative Interviewstudie
Klinische Technologien, IT System
System zur automatisierten Medikamentenausgabe
Design
Technologie
Tab. 2 Merkmale der eingeschlossenen empirischen Studien
Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen (N = 408)
Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen (N = 3800)
Pfleger*innen (N = 204)
Mitarbeiter*innen eines Krankenhauses (N = 283)
Pfleger*innen (N = 17)
Pfleger*innen Chirurg*innen, Anästhesist*innen (N = 175)
Therapeut*innen (N = 21)
Mitarbeiter*innen im Gesundheitswesen (N = 45)
Mitarbeiter*innen in der pharmazeutischen Industrie (N = 31)
Pfleger*innen (N = 45 für Interviews; N = 17 für Beobachtungen)
Pfleger*innen (N = 125)
Stichprobe
Hong-Kong
Finnland
Quantitativ
Quantitativ
Hong-Kong
Taiwan
Taiwan
Nordamerika
Polen
Quantitativ
Qualitativ
Qualitativ
Quantitativ
Qualitativ
Großbritannien
Großbritannien
Qualitativ
Qualitativ
Nordamerika
Australien
Ursprung
Qualitativ
Qualitativ
Daten
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
159
160
REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
im Hinblick auf die Forschungsfragen analysiert . Lücken und weitere notwendige Informationen wurden notiert und für das Design und die Durchführung der Interviewstudie berücksichtigt . Von den insgesamt 36 ausgewerteten Studien aus den systematischen Literaturübersichten beinhalteten 11 Studien Stichproben aus Gesundheitsberufen (30,56 %) und wurden in die Analysen eingeschlossen (siehe Tabelle 2) . Davon berichteten sieben Studien Zusammenhänge zwischen Technologie und Arbeitsmerkmalen oder -ergebnissen (Studien 1–8) und drei Studien Belege zu hemmenden und fördernden Faktoren (Studien 9–11) . 3.2
Teilstudie 2: Interviewstudie
3 .2 .1
Design, Instrument und Datenerhebung
Teilstudie 2 ist eine explorative Interviewstudie . Der Leitfaden wurde im Rahmen einer umfangreicheren Studie, deren Fokus Wissensentwicklung war, entwickelt und verwendet (Nährig, 2020) und beinhaltete neben Fragen zu den demographischen Daten (Alter, Berufserfahrung und Ausbildung) fünf Critical Incidents (Flanagan, 1954) . Für die vorliegende Studie sind die Critical Incidents zu Lernaktivitäten in der Arbeit mit neuen Technologien relevant . Der erste lautete: (1) Erinnern Sie sich bitte an eine Situation, in der Sie das erste Mal mit einer neuen Technologie bzw. einer neuen Software konfrontiert wurden. Im Bedarfsfall wurden den interviewten Personen Anschlussfragen gestellt, wie beispielsweise „Wie wurden Sie eingearbeitet?“ und „Welche Hilfsmittel standen Ihnen zur Verfügung?“ . Das zweite Ereignis betraf eine Situation, in der ein Fehler in Zusammenhang mit neuer Technologie gemacht wurde: (2) Versetzen Sie sich bitte in eine Situation, in der Sie einen Fehler im Umgang mit neuen Technologien gemacht haben. Die entsprechenden Anschlussfragen waren beispielsweise „Wie sind Sie mit der Situation umgegangen?“ und „Welche Konsequenzen konnten Sie für sich persönlich daraus ziehen?“ . Die halbstrukturierten, leitfadengestützten Interviews wurden im Sommer 2019 durchgeführt und dauerten zwischen 15 und 73 Minuten (M = 40, SD = 24) . Ein Interview wurde via Skype durchgeführt, die übrigen acht einzeln in den ambulanten Einrichtungen vor Ort . Während der Interviews wurden Audioaufnahmen gemacht und diese im Anschluss vollständig und wörtlich transkribiert . 3.2.2
Stichprobe
Im Zuge der Stichprobenakquise wurden insgesamt 40 Pflegedienste aus zwei umliegenden Landkreisen identifiziert . Von diesen wurden neun zufällig ausgewählte Pflegedienste per E-Mail und im Anschluss auch telefonisch kontaktiert . Von den kontaktierten Pflegedienste reagierten insgesamt sieben positiv auf die Anfrage . Die
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
Begründungen der übrigen Kontakte dafür, nicht an der Studie teilzunehmen, gingen auf Zeitmangel und zu hohe Arbeitsbelastung zurück . An der Studie nahmen insgesamt neun Pflegefachpersonen im Alter zwischen 20 und 56 Jahren (M = 39 .89, SD = 11 .93) teil, die ganz oder teilweise ambulant in Bayern tätig sind (siehe Tabelle 3) . Acht der neun interviewten Personen haben die staatlich anerkannte Ausbildung zur Gesundheits- und Krankenpfleger*in oder eine gleichwertige Pflegeausbildung absolviert . Eine Person war zum Zeitpunkt des Interviews in der Ausbildung zur examinierten Altenpfleger*in . Tab. 3 Soziodemographische Daten der interviewten Personen Interviewte Person
3.2.3
Geschlecht
Alter
Erfahrung (in Jahren)
Leitungsfunktion
Pflegedienst
1
w
47
9
Nein
überregional
2
w
28
6
Nein
regional
3
w
56
10
Nein
regional
4
w
32
3
Nein
regional
5
w
38
15
Nein
überregional
6
m
38
k. A.
Ja
regional
7
w
53
12
Ja
regional
8
m
47
12
Ja
regional
9
w
20
3
Nein
regional
Analysen
Die Analyse der verschriftlichten Interviews erfolgte anhand eines Kodiersystems . Dieses wurde zunächst deduktiv auf Basis des konzeptionellen Rahmens entwickelt . Diese Vorarbeit lieferte für die Komponenten Technologie, Veränderungen der Arbeit, Professional Development und konkrete Lernaktivitäten sowie hemmende und fördernde Faktoren passende Kategorien und Unterkategorien (siehe Tabelle 4) . Zur Validierung des Kategoriensystems wurde im ersten Schritt ein Interviewtranskript im Sinne einer Mehrfachkodierung von allen vier Forschenden einzeln analysiert . Relevante Textpassagen wurden dabei entsprechend der Kategorien markiert, gruppiert und bei Bedarf zusätzliche Unterkategorien induktiv herausgearbeitet . Die so erhaltenen Ergebnisse wurden anschließend verglichen und diskutiert, was durch die induktiv erhaltenen Unterkategorien zu einer Erweiterung des Kodierschemas führte . Entsprechend handelte es sich um ein kombiniert induktiv-deduktives Vorgehen . Die Komponenten und Hauptkategorien des Kodiersystems wurden dabei nicht verändert . Das finale Kodierschema mit allen Komponenten und Kategorien sowie exemplarischen Unterkategorien ist Tabelle 4 zu entnehmen .
161
162
REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
Tab. 4 Kodiersystem mit Komponenten und Kategorien Komponenten
Kategorien
Technologie
Unterstützung Autonomes Handeln Kommunikation
Veränderung der Arbeit
Arbeitsmerkmale Arbeitsergebnisse
Arbeitsmenge, Autonomie, Privatsphäre Gesundheit, Performanz, soziale Interaktion
Professional Development und Beispiele für konkrete Lernaktivitäten
Elaboration
Lernen aus Fehlern Reflektieren Einholen / Nutzen von Feedback
Expansion
Einholen / Nutzen von externer Expertise / Forschungsergebnissen Experimentieren
Externalization
Teamlernverhalten Publizieren Präsentieren
Auslöser
Veränderung – nach Einführung von Technologie – der Arbeitsmerkmale – in der Organisation – in der Gesellschaft
Hemmende / Fördernde Faktoren
Individuell Team Arbeit Organisation Gesellschaft
Beispiele für Unterkategorien
Vorwissen, Einstellung, Alter Teamklima, Führungsverhalten Zeritdruck, Ausstattung Finanzielle Ressourcen Netzausbau, Datenschutz
Mit Hilfe des endgültigen Kodierschemas wurden im nächsten Schritt vier weitere Interviewtranskripte von zwei der Forschenden kodiert und die Ergebnisse erneut verglichen . Hier zeigte sich eine gute Übereinstimmung der Kodierungen, was die Anwendbarkeit und Passung des Kodierschemas bestätigte . Zur statistischen Beurteilung der Übereinstimmung wurde Cohens Kappa über die vier parallel kodierten Transkripte der insgesamt neun Interviews berechnet . Hier zeigte sich mit einem Cohens Kappa von κ = 0 .651 (p < .001) ein substanzieller Grad der Übereinstimmung (Landis & Koch, 1977) . Abschließend wurden die verbliebenen vier Interviews von einer Forschenden analysiert und die Ergebnisse zur Sicherung der Validität mit den anderen Forschenden abgeglichen .
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
4.
Ergebnisse
4.1
Effekte von Technologien auf die Arbeitsmerkmale und Arbeitsergebnisse von Gesundheitsberufen
Zwei Studien der systematischen Literaturübersicht untersuchten Technologien aus der Kategorie Unterstützung . Bezüglich der Arbeitsmerkmale wurde eine Erhöhung der Arbeitsmenge, Komplexität und der Entwicklungsmöglichkeiten berichtet (1) . Bezüglich der Arbeitsergebnisse wurden negative Effekte auf Gesundheit bei kurzund langfristiger Arbeit in einer technologisch angereicherten Umgebung berichtet (6) . Vier Studien untersuchten Technologien, die sich der Kategorie Autonomes Handeln zuordnen lassen . Bezüglich der Arbeitsmerkmale wurde eine Erhöhung der mentalen Anforderungen und der damit verbundenen Arbeitsmenge (2), der physischen Anforderungen (3) sowie das Potential zur Unterstützung von Arbeitsabläufen berichtet, wobei Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt werden könnten (5) . Bezüglich der Breite der Arbeitsrolle (3, 4) und der Menge an Entwicklungsmöglichkeiten (4) variieren die Ergebnisse: Arbeitsrolle und Entwicklungsmöglichkeiten erweitern sich für das medizinische Personal, das in seinen Aufgaben direkt von automatisierten Systemen unterstützt wird (z . B . Ärzt*innen oder Pharmazeut*innen) und verringert sich für das medizintechnische Personal, dessen Aufgabe es ist, dem System zuzuarbeiten (z . B . Medizintechniker*innen oder Technisches Personal der Arzneiausgabe) (3, 4) . Bezüglich der Arbeitsergebnisse steigen oder verringern sich Zufriedenheit mit dem Job (3, 4), Aspekte der Lebenssituation (3), soziale Interaktionen (4) sowie die tatsächliche berufliche Entwicklung (4) in derselben Logik . Darüber hinaus wurde die Gefahr einer Beschränkung der sozialen Interaktion geäußert und keine Beeinflussung der generellen Lebenssituation berichtet (5) . Drei Studien untersuchten Technologien, die sich der Kategorie Kommunikation zuordnen lassen . Bezüglich der Arbeitsmerkmale wurde eine Verringerung der Arbeitsrolle und kein Effekt auf die Einschränkung der Privatsphäre berichtet (1) . Bezüglich der Arbeitsergebnisse wurde eine Verbesserung von Gesundheit, Performanz und sozialer Interaktion (7) sowie der Zufriedenheit mit dem Job (8) berichtet . Bevor die Ergebnisdarstellung der Interviewstudie folgt, werden zunächst die in diesem Rahmen erwähnten Technologien beschrieben (siehe Tabelle 6) . Die Verwendung von Technologie innerhalb der Pflegetätigkeit war je nach Person unterschiedlich ausgeprägt . In die Kategorie Unterstützung fallende Technologien waren vor allem domänenspezifische Geräte, beispielsweise zur Messung von Vitaldaten (z . B . Blutzuckermessgerät) oder zur Patientenversorgung (z . B . Lifter) . Auch die erwähnten Technologien der Kategorie Autonomes Handeln bezogen sich auf domänenspezifische Geräte (z . B . Continuous Glucose Monitoring-Systeme zur automatisierten Messung des Blutzuckers) . Aus der Kategorie Kommunikation fanden vor allem digitale
163
Autonomes Handeln Mentale Anforderungen (M) Arbeitsrolle (M)
Physische Anforderungen (M)
+
+/−
+
Gesundheit (E)
−
Arbeitsmenge (M)
Gesundheit (E)
−
Daten/ Physische Handlungen
Technologiegestützter Operationssaal
+
Entwicklungsmöglichkeiten (M)
+
Physische Handlungen
Komplexität (M)
+
Robotergestütztes System zur Verabreichung von Medikamenten via Strichcodes
Arbeitsmenge (M)
+
Daten
Klinische Technologien zur Messung und Überwachung von Vitalparametern
Unterstützung
Arbeitsmerkmale & Arbeitsergebnisse
Objekt der Aktion
Technologie
Kategorie
Erhöhung physischer Anforderungen für medizintechnisches Personal
Neue wertschöpfende Rollen für medizinisches Personal; Verringerung des Verantwortungsbereichs für medizintechnisches Personal
Erhöhung der kognitiven Anforderungen, da die Arbeit mit dem System neue Problemlösestrategien erfordert
Erhöhung der Arbeitsbelastung durch vermehrtes Problemlösen
Längerer Aufenthalt im Operationssaal (mehrere Monate) (UV) ist positiv mit emotionaler Erschöpfung (AV; B = 23.49*), und Entpersonalisierung (AV; B = 7.98*) korreliert, und nicht mit dem Gefühl persönlicher Errungenschaft (AV; B = -0.76) assoziiert
Wöchentliche Arbeitszeit im Operationssaal (UV) ist positiv mit emotionaler Erschöpfung (AV; B = 1.67*) und Entpersonalisierung (AV; B = 0.59*) korreliert
Erhöhte Chance für den Erwerb klinischen Wissens durch Konfrontation mit Vitaldaten
Erhöhte Komplexität durch Möglichkeit zur Versorgung komplexerer Krankheitsbilder
Erhöhung der Arbeitsmenge durch schnellere Patientenversorgung
Beschreibung Ergebnis
Tab. 5 Effekte von Technologien auf Arbeitsmerkmale und Arbeitsergebnisse in Gesundheitsberufen1
2013
JAMES
et al.
et al. 2013
et al.
HOLDEN
2005
STAHL
2014
BREWER
BALLARDIE/
GOUGH/
Quelle
3
2
6
1
Nr.
164 REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
Autonomes Handeln (Forts.)
Kategorie
Technologie
Objekt der Aktion Erweiterung der Rolle erhöht Zufriedenheit für medizinisches Personal; Verringerung der Rolle senkt Zufriedenheit für medizintechnisches Personal
Zufriedenheit mit Job (E)
Lebenssituation (E)
Entwicklungsmöglichkeiten (M)
Arbeitsrolle (M)
Zufriedenheit mit Job (E) Soziale Interaktion (E)
Entwicklung (E)
+/−
+/−
+/−
+/−
+/−
+/−
+/−
Erweiterung von Fertigkeiten und Selbstbewusstsein für medizinisches Personal; weniger berufliche Entwicklung bei medizintechnischem Personal
Mehr sozialer Austausch für medizinisches Personal; Weniger Austausch für medizintechnisches Personal
Neuartige und herausfordernde Aufgaben für medizinisches Personal; Erhöhte Monotonie für medizintechnisches Personal
Erweiterung der Rollen für medizinisches Personal; Verringerung der Rollen für das medizintechnische Personal
Jobrotation erhöht Möglichkeiten für interdisziplinäres Lernen für medizinisches Personal; weniger Jobrotation und neue Aufgaben für medizintechnisches Personal
Weniger Zeit- und Leistungsdruck führt zu mehr Ausgeglichenheit für medizinisches Personal; Mehr Zeitdruck führt zu weniger Ausgeglichenheit für das medizintechnische Personal
Beschreibung Ergebnis
Arbeitsmerkmale & Arbeitsergebnisse
2017
FINDLAY
Quelle
et al.
4
Nr.
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
165
Daten
Daten
IT System zur Kommunikation und Verwaltung von Patientendaten
SmartphoneSoftware für ambulante Pflege
Kommunikation
Gesundheit (E) Performanz (E)
Soziale Interaktion (E)
+ +
+
Privatsphäre (M)
Lebenssituation (E)
o
o
Soziale Interaktion (E)
−
Arbeitsrolle (M)
Entwicklungsmöglichkeiten (M)
−
−
Potential zur Erleichterung von Arbeitsabläufen und Verminderung von Unterbrechungen durch Automatisierung repetitiver Aufgaben
Prozessunterstützung (M)
+
Daten/ Physische Handlungen
Therapie-Roboter zur Überwachung und Unterstützung der tatsächlichen Therapiearbeit
Autonomes Handeln (Forts.)
Beiläufige und einfache Kommunikation erleichtert das Zeigen von Emotionen und verbessert die Beziehungen zu Patienten
Instant-Kommunikation mit Patienten und Teammitgliedern erhöht Effizienz und reduziert potentielle Fehler
Software erleichtert Arbeitsabläufe und verringert Arbeitsbelastung und Stress
IT System führt nicht zu gefühlter Überwachung durch das Management
Weniger Arbeitsinhalt, da administrative Arbeit mit dem System viel Zeit beanspruchen
Keine Erwartung, dass die Zusammenarbeit mit Robotern die Work-Life-Balance beeinflussen könnte
Möglicherweise hinderlich für die Verbesserung der Arbeitsbeziehung mit dem Vorgesetzten durch die Zusammenarbeit mit Robotern
Möglicherweise hinderlich für Möglichkeiten zur Aufwertung der Therapiearbeit und der professionellen Entwicklung von Therapeuten
Beschreibung Ergebnis
Arbeitsmerkmale & Arbeitsergebnisse
Objekt der Aktion
Technologie
Kategorie
WANG
2016
CHIANG/
2014
BREWER
BALLARDIE/
GOUGH/
2016
GRANOSIK
ZUBRYCKI/
Quelle
7
1
5
Nr.
166 REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
IT System zur Kommunikation und Verwaltung von Patientendaten
Kommunikation (Fortrs.)
Arbeitsmerkmale & Arbeitsergebnisse Performanz (E)
Zufriedenheit mit Job (E)
+
+
Objekt der Aktion Daten
Systemqualität (UV) ist positiv mit Arbeitszufriedenheit (AV; PK = 0.32*) korreliert
Systemqualität (UV) ist positiv mit Servicequalität (AV; Zuverlässigkeit, Reaktionsfreudigkeit; PK = 0.55*) und Leistung (AV; Arbeitsleistung, persönlicher Einsatz; PK = 0.47*) korreliert
Beschreibung Ergebnis
(2012)
CHEN/LAN
CHANG/
Quelle 8
Nr.
Anmerkungen. 1Selektion und Analyse relevanter Ergebnisse der systematischen Literaturübersichten aus BEER und MULDER (2020) sowie MULDER und BEER (2020); + = Positiver Zusammenhang; − = negativer Zusammenhang; o = explizit kein Zusammenhang; M = Arbeitsmerkmal; E = Arbeitsergebnis; UV = Unabhängige Variable, AV = Abhängige Variable; B = Unstandardisiertes Beta, PK = Pfadkoeffizient
Technologie
Kategorie
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
167
168
REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
Tourenbegleiter Erwähnung, d . h . also Smartphones oder Tablets mit spezieller Software zur Pflegedokumentation und -organisation . Tab. 6 Verwendete Technologie der interviewten Pflegefachpersonen Objekt der Aktion Funktion
Daten
Physische Handlung
Unterstützung
Blutdruckmessgerät Blutzuckermessgerät Kamera (Smartphone/Tablet) Navigationsgerät Online-Kartendienst mit Navigationsfunktion Pulsoximeter Thermometer
Kranken-/Pflegebett Lifter Pumpe für parenterale Ernährung Wechseldruckmatratze
Autonomes Handeln
CGM-System (Continuous Glucose Monitoring) Insulinpumpe
Kommunikation
Insulinpumpe
Computer Digitale Tourenbegleiter Freisprechanlage Hausnotruf Instant Messenger Kartenlesegerät (für Tablet) Laptop (Tabellensoftware) Smartphone (privat/dienstlich)
Aus der Interviewstudie konnten Belege für Veränderungen der Arbeitsmerkmale und -ergebnisse gefunden werden . Bezüglich der Arbeitsmerkmale wurden Entwicklungsmöglichkeiten nur im Kontext formeller Weiterbildungen angesprochen (P3, P6, P8) . Aspekte der Überwachbarkeit der Arbeitsabläufe und der Privatsphäre wurden mehrfach angesprochen, insbesondere die Kontrolle der Touren und Arbeitszeiten durch einen digitalen Tourenbegleiter . Eine Führungskraft entkräftet die Befürchtung der übermäßigen Kontrolle der Mitarbeiter*innen und wies auf die Vorteile zur Koordination und Organisation hin: Das heißt, ich kann jetzt sehen wo die Mitarbeiter sind. Hab das aber jetzt eigentlich nicht als Kontrolle, sondern einfach, weil es bequem ist. Ich kann jetzt den Tourenplan ändern und schreib’ dann einfach drauf „Bitte aktualisieren“. Und dann sieht das der Mitarbeiter sofort. (P7)
Probleme bei der Bewältigung der Arbeitsmenge und der Unterbrechungen des Arbeitsablaufs durch die digitale Dokumentationsarbeit wurden mehrfach angesprochen . Also du kannst nichts mehr schieben. Du bist eigentlich so voll getaktet. Also richtig getaktet. Noch getakteter wie wir eh schon sind. Also da sind nicht so irgendwie mal fünf Minuten Spielraum, sondern das Tablet gibt das halt voll vor. (P2)
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
Dabei wurde oftmals erwähnt, dass die Dokumentationsarbeit auf die Zeit nach der Arbeit verschoben wird, da es während der Tour zu aufwendig und fehleranfällig wäre (P3) . Darüber hinaus erhöht sich die Arbeitsmenge aufgrund administrativer Dokumentationsarbeit, da neben der digitalen Dokumentation von anderen Akteur*innen (z . B . Krankenkassen) eine separate, schriftliche Dokumentation gefordert werde (P2, P6) . Auf der anderen Seite können unterstützende Technologien aufwendige administrative Abläufe erleichtern: Konkret wurde hier ein Kartenlesegerät zum automatischen Einlesen der Krankenkassenkarte erwähnt (P6) . Möglichkeiten zur sozialen Interaktion werden durch den Tourenbegleiter auf zweierlei Wege eingeschränkt: Zum einen wurde erwähnt, dass die Kommunikation mit den zu pflegenden Personen und deren Angehörigen erschwert wird, weil die digitale Dokumentation intransparent sei (P8) . Die digitale Dokumentation teaminterner Informationen verringert zudem die soziale Interaktion zwischen den Mitarbeiter*innen: Es gibt keine Übergabe mehr eigentlich. Es gibt keine. Es steht alles im Handy drin. (P8)
Zu der in der Literaturübersicht häufiger erwähnten Erweiterung oder Verringerung der Arbeitsrolle sowie einer Beeinflussung der Arbeitsergebnisse gesundheitlicher oder leistungsbezogener Aspekte wurden keine Informationen in den Interviewdaten gefunden . 4.2
Möglichkeiten zur Nutzbarmachung von Veränderungen für Professional Development (Auslöser)
Mit Hilfe der Interviewstudie ließen sich verschiedene Auslöser identifizieren . Besonders häufig stellte die Einführung einer neuen Technologie den Auslöser für eine Lernaktivität dar: Sie wurde von allen Proband*innen mindestens einmal und in 26 Fällen von insgesamt 40 kodierten Lernaktivitäten genannt . Darüber hinaus waren Fehler, die bei der Arbeit mit Technologie gemacht wurden (P1, P8, P9) sowie Probleme, die während der Arbeit mit der Technologie auftauchten (P2, P3, P8) Auslöser für Lernaktivitäten . Beim folgenden Beispiel zeigt sich, dass eine Kombination von hemmenden bzw . fördernden Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen – hier sowohl individuelle, als auch Teamebene – eine bedeutende Rolle für die Durchführung der Lernaktivität spielen kann: Ich glaube, dass die / also war meine Art und ich glaube, dass die anderen Kollegen das auch machen, dann zusammenschauen und zu sagen: „Mensch, weißt du wies geht?“. Oder Zeit umstellen, weil man verdrückt sich mal, man muss die Zeit korrigieren. Oder Leistungen einpflegen. Also da helfen wir uns eher gegenseitig. Und ja, die Jüngeren tun sich natürlich viel leichter als wie die Älteren. (P1)
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REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
Darüber hinaus wurden noch die Konfrontation mit fremder Technologie bei Patient*innen (P2) sowie das Verhalten von Kolleg*innen als Auslöser genannt (P7) . 4.3
Die Lernaktivitäten, die auf die Veränderung in der Arbeit folgen
In den Interviews konnten Lernaktivitäten aus allen drei Kategorien für Professional Development identifiziert werden . Aus der Kategorie Elaboration wurde besonders häufig Experimentieren (P1, P2, P6, P7) genannt: Einfach, ja, spielen. Einfach rumfummeln, mal hinsetzen und wirklich mal fünf Minuten gekuckt, wie funktionier es. (P1)
Auslöser war dabei ein Fehler, der während der Arbeit mit der Technologie gemacht wurde . Auch die Einführung einer neuen Technologie in der Organisation wurde als Auslöser erwähnt . Anzumerken ist, dass fast alle Lernaktivitäten aus der Kategorie Elaboration mit digitalen Tourenbegleitern in Zusammenhang standen (in 14 von 15 Fällen), in einem weiteren mit einem Blutzuckermessgerät . Weiterhin wurde aus dieser Kategorie Reflexion als Lernaktivität identifiziert: Und ich muss sagen, ich hab’ dieses Digitalisierung eigentlich / ich hätt’s von mir aus wahrscheinlich nicht gemacht, aber ich hab’ eine junge Kraft und die treibt das an. Und das war der Grund wo ich gesagt hab’, okay dann muss ich halt mit der Zeit gehen. (P7)
Ein anderes Beispiel aus der Kategorie Elaboration ist das Fragen von Kolleg*innen (P1, P3, P5, P7, P9) . Im nachfolgenden Beispiel wurde die Lernaktivität durch aufkommende Probleme bei der Verwendung der Technologie ausgelöst: Wir können immer fragen. Ich geh auch öfter mal ins Büro und sag’: „Erklär das mal nochmal für ganz Doofe.“. Wo ich dann immer Schwierigkeiten hab’, wenn wieder neu aufgestellt wird, wenn wieder aktualisiert wird über das Samsung. (P3)
In diesem Interviewauszug zeigen sich Verbindungen zwischen den Komponenten, denn sowohl auf individueller, als auch auf Teamebene spielten hemmende und fördernde Faktoren eine Rolle für die Lernaktivität . Aus der Kategorie Expansion wurde insbesondere das Einholen externer Informationen als Lernaktivität genannt (P2, P3, P4, P5, P6, P7, P8, P9) . Dabei wurden diese Informationen teils von unterschiedlichen Quellen bezogen, wie zum Beispiel Expert*innen (P8), Handbüchern (P6) oder Messen (P2) . Im nachfolgenden Beispiel wurde die befragte Person vor Ort mit einem für sie fremden Blutzuckermessgerät konfrontiert und musste nötigte Informationen zunächst im Internet recherchieren: Und vor kurzem hatten wir einen Patienten, der hat das in Mol / also die Einheit musste man in Mol umrechnen. Und das mussten wir dann auch eigentlich alle miteinander googeln, weil das
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
Gerät, das zwar eigentlich automatisch gemacht hätte, aber da musstest dich halt auch durch diese ganzen Menüs dich durchklicken. Und ich mein, wenn du so ein Teil noch nie bedient hast / ich mein, die gehen alle anders. Also beim einem musst die Taste drücken, beim anderen die. Und es gibt halt so viele verschiedene Geräte mittlerweile am Markt, also find ich zumindest, dass ich da jetzt nicht jedes auf Anhieb bedienen kann. (P2)
Eine weitere oft genannte Quelle neuer Informationen waren Schulungen (P2, P3, P4, P5, P6, P7, P8, P9) . Das folgende Beispiel zeigt dabei die Relevanz individueller Faktoren, wie Technikaffinität und Vorwissen: Da haben wir eine Einführung bekommen am Abend. Das war eine Fortbildung, wobei wir haben vorher schon ein bisschen damit gearbeitet. Und dann haben wir eine Einführung bekommen. Wir wussten natürlich schon ein bisschen Bescheid. Also für mich ist das wichtig, ich muss dazu sagen, ich bin sehr ungeduldig und ich bin nicht so technikaffin. (P3)
Technologien, die in Zusammenhang mit Lernaktivitäten der Kategorie Expansion standen, waren wieder digitale Tourenbegleiter bzw . Softwareupdates selbiger, aber auch spezielle Pumpen zur parenteralen Ernährung und Wechseldruckmatratzen . Auch für die Kategorie Externalization wurden verschiedene Lernaktivitäten identifiziert . Dabei handelte es sich in mehreren Fällen um das Einarbeiten von Kolleg*innen (P1, P4, P5): Das erste Mal konfrontiert worden bin ich hier im Praktikum und da hat mich eigentlich die Kollegin, mit der ich mitgefahren bin, sehr gut eingewiesen. Also, die hat mir das alles erklärt (P1)
Auch diese Lernaktivität stand wieder in Zusammenhang mit digitalen Tourenbegleitern und wurde durch die erstmalige Verwendung dieser neuen Technologie ausgelöst . Weiterhin wurde hier die Weiterentwicklung der Organisation (P8) sowie die Wissensteilung unter den Kolleg*innen (P1, P2, P6, P9) genannt . Im folgenden Beispiel stand die Lernaktivität in Zusammenhang mit einem Blutzuckermessgerät: Also wir machen das dann schon, dass wir uns die Geräte von den Leuten dann halt / dass wir uns irgendwann mal die Zeit nehmen und versuchen / also wenn jetzt einer wirklich ein neues Gerät kriegt, was halt so kompliziert ist, dann schreiben wir uns da gegenseitig so Übergabezettel, wo wir dann drauf schreiben „Ja, da musst du jetzt das und das drücken“ und versuchen uns halt da gegenseitig mehr oder weniger einzuarbeiten. Weil ich mein’, was willst du machen. Ich komm jetzt zu dem auch wieder erst in – was weiß ich – wie viel Wochen dann hin. Also ich fahr’ ja nicht regelmäßig. Und durch das sind eigentlich die Übergaben dann das wichtigste, dass du dann irgendwann dann reinkommst. […] Weil, wenn du das immer dem anderen weitergibst, dann wissen es irgendwann alle. (P2)
Bei genauerer Betrachtung zeigt sich hier, dass der Lernaktivität Wissensteilung eine weitere vorausging, nämlich Elaboration in Form von Experimentieren . Auslöser war
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REGINA H. MULDER / PATRICK BEER / KATHRIN SCHIERL / L. ROMINA BORNHAUPT
dabei die Konfrontation mit fremder Technologie und die dadurch fehlende Routine im Umgang mit dieser . Weitere Auslöser für Lernaktivitäten der Kategorie Externalization waren Probleme (z . B . durch fehlerhafte Technologie) und Fehler, die bei der Arbeit mit der Technologie gemacht wurden . 4.4
Hemmende und fördernde Faktoren
Insgesamt drei Studien der systematischen Literaturübersicht berichteten quantitative Belege zu möglichen Einflussfaktoren, alle in Form individueller Merkmale . Demnach ergab eine Untersuchung zur Akzeptanz von Pflegerobotern (10) einen negativen Zusammenhang zwischen normativen Ansichten über negative Auswirkungen technologischer Entwicklungen auf den Arbeitsmarkt und der Bereitschaft, sich mit Pflegerobotern am Arbeitsplatz zu beschäftigen (r = - .40, p < .01) . Tatsächliche Erfahrung im Umgang mit Pflegerobotern ist dagegen positiv mit dieser Bereitschaft korreliert (r = .10, p < .01) . Untersuchungen zur Akzeptanz von Telemedizin (11) und einem IT System (9) ergaben, dass die Wahrnehmung der Nützlichkeit der Technologie positiv mit förderlichen Einstellungen zusammenhängt (Pfadkoeffizient = .45, p < .01 bei 11; r = .64, p < .01 bei 9) . Die Wahrnehmung der Bedienbarkeit ist positiv mit Kontrollüberzeugungen (Pfadkoeffizient = .11, p < .05; 11) und förderlichen Einstellungen und Akzeptanz (r = .43, p < .01) korreliert . Innerhalb der Interviews wurden Einflussfaktoren genannt, die sowohl mit technologiebezogenen Lernaktivitäten in Verbindung standen als auch mit der allgemeinen Verwendung von Technologie . Erwähnt wurden auf individueller Ebene ebenfalls die Einstellung (P1, P2, P3, P4) und hier insbesondere Technikaffinität (P3, P6), die Motivation der betroffenen Person (P1, P3, P6, P7) sowie ihr Vorwissen (P1, P2, P3, P4, P5, P6, P7, P9) . Darüber hinaus fanden bezogen auf die Verwendung einer Technologie noch individuelle Fähigkeiten (z . B . die Fähigkeit schnell zu tippen; P3) und persönlichkeitsbezogene Eigenschaften (z . B . Ungeduld; P3) Erwähnung . Als fördernder Faktor wurde ferner auch hier die wahrgenommene Bedienbarkeit der Geräte genannt (P1, P2, P5, P8) . Darüber hinaus fand das Alter Erwähnung (P1, P3, P5, P7) – hier wurde insbesondere ein jüngeres Alter als förderlich und ein höheres Alter der Pflegefachpersonen als hinderlich genannt . Daneben konnten Faktoren auf Teamebene identifiziert werden: Und dann mittags – ja, sie kommen versetzt zurück. Aber auch da treffen sie aufeinander, wo der eine dem anderen sagt: „Mensch, das ist mir passiert. Ich hab’ das so und so gelöst. Hast du das auch schon mal gehabt?“. Also, doch die Kommunikation funktioniert eigentlich in dem Team ganz gut. (P1)
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
Ebenfalls wurden Faktoren, wie die Fehlerkultur (P1, P3, P6, P8, P9), das Führungsverhalten (P7) und das Klima innerhalb des Teams (P1, P2, P3, P4) auf dieser Ebene erwähnt . Auf Ebene der Arbeit wurden Zeitdruck (P3, P9) sowie unterschiedliche Geräte bei der Pflege vor Ort (P2, P8) als hemmende Faktoren genannt . Dagegen wurde es als fördernder Faktor genannt, wenn stets die gleichen Geräte zur Verfügung standen (P5) . Hinsichtlich der Ebenen Organisation und Gesellschaft wurden ausschließlich Faktoren in Verbindung mit der Verwendung von Technologie identifiziert . In Bezug auf Ersteres wurden insbesondere finanzielle Ressourcen (P1, P8) genannt . Bezogen auf Letzteres wurden der Fortschritt der Digitalisierung in der Domäne (P6), der Netzausbau (P1, P2, P3, P6) und der Datenschutz (P1) sowie die Kooperationsbereitschaft von Ärzten und Ärztinnen (P7, P8) erwähnt . 5.
Integration und Diskussion der Ergebnisse
Das Ziel dieser explorativen Studie war, einen Einblick in die Möglichkeiten für Professional Development als Folge von Veränderungen in der Arbeit durch technologische Entwicklungen in Gesundheitsberufen zu erhalten . Nachfolgend werden die Ergebnisse unter Berücksichtigung der daraus abgeleiteten Forschungshypothesen zu den Zusammenhängen zwischen Technologie, Lernaktivitäten und Arbeitsergebnissen, der Berufsspezifität der gefundenen Effekte, der Zusammenhänge zwischen Lernaktivitäten und Technologie im Detail, der Abhängigkeit der Lernaktivitäten von verschiedenen Veränderungen sowie der Effekte fördernder und hemmender Faktoren auf unterschiedlichen Ebenen zusammengefasst . Die systematische Literaturübersicht zeigt empirische Belege zu diversen Effekten von Technologie auf die Merkmale und Ergebnisse von Arbeit . Unterstützende Technologien sind in der Lage, Arbeitsmenge, Komplexität und Entwicklungsmöglichkeiten zu erhöhen . Bei andauernder Nutzung unterstützender Technologien sind jedoch negative Auswirkungen auf die Gesundheit möglich . Technologien, die über autonome Handlungsbereiche verfügen, können Arbeitsrollen und Entwicklungsmöglichkeiten erweitern oder verringern, was wiederum die Lebenssituation oder das tatsächliche Ausmaß an Entwicklung und sozialer Interaktion beeinflusst . Technologien, die die Kommunikation fördern, können den Umfang der Arbeitsrolle verringern, sind jedoch auch in der Lage, Performanz, Gesundheit und Zufriedenheit zu fördern . Aus diesen Ergebnissen lässt sich die Hypothese ableiten, dass die verschiedenen Kategorien von Technologie einen Zusammenhang mit verschiedenen Lernaktivitäten haben, was wiederum mit Ergebnissen der Arbeit, wie Performanz, Gesundheit und Zufriedenheit zusammenhängt . Die qualitativen Interviewdaten beleuchten diese Ergebnisse im Detail . Bezüglich der Arbeitsmerkmale wurde eine Erhöhung der Arbeitsmenge aufgrund zusätzlicher
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Dokumentationsarbeit, die Befürchtung der Kontrolle durch mobile Technologien zur Zeiterfassung sowie die Einschränkung sozialer Interaktionen angedeutet . Mögliche Erklärungen liefern die Charakteristika der Stichprobe, der genutzten Technologie sowie der Interaktion zwischen beiden . Eine wichtige Voraussetzung für die Rechnungslegung mobiler Dienstleistungen ist die genaue Erfassung der Arbeitsleistung . Dass dies oft mit einem Gefühl der Kontrolle einhergeht, bestätigen auch empirische Beleg aus anderen Branchen (Tranvik & Bråten, 2017) . Interviewdaten einer Führungskraft entkräften die Idee der Kontrolle und heben Aspekte der Erleichterung administrativer Prozesse in den Vordergrund, wenn es um die Dokumentation von Arbeitszeit und -leistung mit digitalen Technologien geht . Von den interviewten Pfleger*innen werden digitale Tourenbegleiter vor allem zur Dokumentation von Arbeitsleistung und Kommunikation mit dem Team verwendet . In einer Studie mit vergleichbarer Stichprobe aus der Literaturübersicht geht diese Technologie mit einer Verbesserung der Beziehung zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen einher (7) . Im vorliegenden Fall wurde dementgegen eher eine Einschränkung der Beziehung mit Angehörigen aufgrund einer gefühlten Intransparenz der digitalen Dokumentation sowie ein Mangel an interpersonellem Austausch innerhalb des Teams erwähnt . Es zeigt sich, dass es immer noch Freiheitsgrade dafür gibt, wie Kommunikationstechnologien verwendet werden . Die Abhängigkeit von Effekten aufgrund organisationaler und berufsspezifischer Praktiken ist bekannt (Beer & Mulder, 2020), verdeutlicht aber die Wechselwirkung zwischen der Logik der Arbeit (mobile Arbeit), den intendierten Effekten von Technologie (Erleichterung der Dokumentation) sowie den tatsächlichen Effekten (Einschränkung sozialer Interaktion) . Wenn nun ein Zusammenhang zwischen den Effekten von Technologie, Auslösern und Lernaktivitäten besteht, dann sind Konsequenzen für Professional Development die Folge . Soziale Interaktion kann beispielsweise als Voraussetzung für Feedback gesehen werden . Im Umkehrschluss bedeutet eine Einschränkung der sozialen Interaktion also beispielsweise die Hemmung eines wichtigen Auslösers für Professional Development . Die qualitativen empirischen Belege mit dem Fokus auf Pflegefachpersonen und den diversen Ergebnissen aus der Literaturübersicht lassen die Hypothese zu, dass die Zusammenhänge berufsspezifisch sind und zwischen verschiedenen Gesundheitsberufen variieren können . Welche Möglichkeiten es gibt, technologiebedingte Veränderungen der Arbeit nutzbar zu machen ist weniger eindeutig . Insbesondere die Einführung neuer Technologien selbst kann ein Auslöser für Lernaktivitäten sein . Dies ist kongruent mit der Annahme, dass Veränderungen selbst ein gewisses Lernpotential beinhalten (Bauer & Gruber, 2007) und erscheint insofern plausibel, da neues Wissen, Fähigkeiten und Fertigkeiten Voraussetzungen für die Verwendung einer neuen und zumindest teilweise unbekannten Technologie sind . Weiterhin erfordert die Einführung einer neuen Technologie unter Umständen eine Anpassung des Verhaltens an veränderte Arbeitsmerkmale .
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
Ebenso beinhalten konkrete Arbeitssituationen in Zusammenhang mit Technologie ein gewisses Lernpotential in Form von Fehlern und Problemen . Diese konkreteren Auslöser wurden jedoch selten ausdrücklich erwähnt . Fraglich ist an dieser Stelle, ob die gefundenen und wenig expliziten Ergebnisse möglicherweise in Verbindung mit der Erhebungsmethode stehen . Um gute Hypothesen zu formulieren, geben die aktuellen empirischen Belege zusammengefasst noch zu wenig Informationen über technologiebedingte Auslöser für Lernaktivitäten . Demgegenüber konnten jedoch zahlreiche Beispiele dafür gefunden werden, wie das durch neue Technologien entstandene Lernpotenzial in der ambulanten Pflege genutzt wird . Demzufolge lässt sich die Hypothese aufstellen, dass Technologie zu Lernaktivitäten aus allen Kategorien von Professional Development – Elaboration, Expansion und Externalization – führen kann . Grundsätzlich wurden konkrete Lernaktivitäten aus allen drei Kategorien von Professional Development gefunden . Dabei wurden bestimmte Lernaktivitäten auffallend häufig identifiziert . So spielte innerhalb der Kategorie Elaboration insbesondere das Experimentieren eine Rolle . Dies mag auf die Unbekanntheit der neuen Technologie und den damit verbundenen, geringeren Erfahrungs- und Wissensstand im Umgang mit dieser zurückzuführen sein . Aus der Kategorie Expansion wurde insbesondere das Einholen von Informationen mithilfe unterschiedlichster Quellen genannt . Neues Wissen und Erkenntnisse wurden dabei sowohl über formelle Lerngelegenheiten generiert (wie Schulungen und Messen) als auch über informelle (wie beispielsweise Gespräche mit Kolleg*innen oder Recherchen im Internet) . Die genannten Lernaktivitäten der Kategorie Externalization zeigten eine weniger starke Gewichtung zugunsten einer bestimmten Lernaktivität . Hier wurden vor allem das Einarbeiten von Kolleg*innen, die Organisationsentwicklung durch Weitergabe von Informationen an höhere Stellen sowie die Wissensteilung unter Kolleg*innen genannt . Ein großer Teil der genannten Lernaktivitäten scheint spontan aus der (Arbeits-) Situation heraus entstanden zu sein . Dabei ging es oft darum, ad hoc Lösungen zur Bewältigung einer Situation oder eines Problems zu finden und weniger offensichtlich um die intendierte, individuelle und berufliche Weiterentwicklung . Fraglich ist, welche Rolle diese im Zusammenhang mit Technologie für die untersuchte Domäne spielt und ob es hier Unterschiede zwischen der Wahrnehmung und Wertung von technologiebezogenen Kompetenzen einerseits und fachlich-medizinischen andererseits gibt . Angesichts dieser Ergebnisse lässt sich die Hypothese ableiten, dass es auch innerhalb eines Berufs unterschiedliche Lernaktivitäten als Folge auf Veränderungen geben kann . Beispielsweise könnten Lernaktivitäten der Kategorien Elaboration und Expansion tendenziell häufiger auftreten, weil sie sehr nah an den Arbeitsaufgaben sind, während Lernaktivitäten der Kategorie Externalization mehr Expertise und Ressourcen benötigen und daher nicht die erste Reaktion auf Veränderungen darstellen . Weiterhin ist auffällig, dass der überwiegende Teil der Lernaktivitäten in Zusammenhang mit Kommunikationstechnologien (z . B . digitalen Tourenbegleitern) steht .
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Hier stellt sich die Frage, ob dies möglicherweise in Verbindung mit einer besonderen Präsenz und Aktualität der Technologie in der untersuchten Domäne steht . Die Ergebnisse ermöglichen die Hypothese, dass grundsätzlich alle Kategorien von Technologie Auslöser für Lernaktivitäten sein können . Die genauen Zusammenhänge zwischen der Technologie und der jeweiligen Lernaktivitäten muss jedoch zukünftige Forschung systematisch untersuchen . Wie sich sowohl in der Literaturübersicht als auch in der Interviewstudie gezeigt hat, spielen hemmende und fördernde Faktoren eine wichtige Rolle bei der Arbeit mit neuen Technologien sowie beim Lernen in Zusammenhang mit diesen . Insbesondere individuelle Faktoren (wie das Vorwissen, die Einstellung gegenüber Technologie und die Motivation) wurden als relevant identifiziert . Auffällig ist, dass hinsichtlich der Lernaktivitäten eher individuelle Faktoren sowie solche auf Team- und Arbeitsebene eine Rolle zu spielen scheinen, während Faktoren auf Organisations- und Gesellschaftsebene relevanter für die Nutzung der Technologien sind . Daraus lässt sich die Hypothese ableiten, dass insbesondere Faktoren auf individueller Ebene und Teamebene Lernaktivitäten und Professional Development positiv oder negativ beeinflussen und weniger Faktoren auf organisationaler oder gesellschaftlicher Ebene . 5.1
Limitationen und weitere Forschung
Eine Einschränkung dieser explorativen Studie ist die Repräsentativität der generierten Daten . Dies geht nicht zuletzt auf die Erhebungsmethode der Interviewstudie und einem damit verbundenen Dilemma zurück . Die Critical Incidents-Methode kam in erster Linie zum Einsatz, um sozial erwünschte Antworten oder eine zu starke Fokussierung auf bestimmte Teilaspekte zu vermeiden . Dadurch blieben möglicherweise – zum Beispiel aufgrund einer begrenzten Reflexion oder wenig Bewusstsein für die interessierenden Aspekte – Informationen ungesagt . So gibt es Hinweise in den Daten, dass bestimmte Informationen für die Proband*innen so selbstverständlich waren, dass sie diese ohne gezielte Aufforderung nicht erwähnt hätten . Weiterhin konnten die Forschungsfragen mit dieser Studie noch nicht vollständig beantwortet werden . Hier sollten zukünftige Studien mit ergänzenden Methoden und alternativen Forschungsdesigns ansetzen, um ein tieferes Verständnis über die Zusammenhänge zu generieren . Darüber hinaus stellt die ambulante Pflege gegenüber anderen Gesundheitsberufen eine Besonderheit dar, da die Pfleger*innen mobil sein müssen und bei der Pflege vor Ort teilweise unterschiedliche Geräte angetroffen werden . In der stationären oder Intensivpflege dagegen können größere, stationäre Gerätschaften zum Einsatz kommen und werden vermutlich täglich ähnliche oder gar die gleichen Modelle verwendet . Außerdem wurden überwiegend Pfleger*innen von regionalen Pflegediensten interviewt . Ein Unterschied im Vergleich zu überregionalen Diensten bezüglich Ressour-
Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
cen und Ausstattung ist denkbar . Zukünftige Studien sollten mögliche Unterschiede empirisch sichtbar machen . Mit technologischen Entwicklungen verbundene Aspekte der beruflichen Weiterentwicklung und des Lernens sind bislang unterrepräsentiert (Beer & Mulder, 2020) . Um aus pädagogischer Sicht diesen Veränderungen Rechnung tragen zu können, ist ein vertieftes Verständnis der Einflüsse auf die Arbeit in verschiedensten Domänen vonnöten . Mit dieser Arbeit wurde ein erster Schritt in diese Richtung getan . Aufgrund noch ungeklärter Fragen bedarf es jedoch weiterer Forschung, einerseits in anderen Domänen (z . B . dem Finanzsektor oder der Industrie) und andererseits hinsichtlich verschiedener Gesundheitsberufe: Unterschiede zwischen ambulanter und stationärer Pflege sind ebenso denkbar, wie Unterschiede zwischen verschiedenen medizinischen Professionen . Wichtig wäre es, dass diese Hypothese zusammen mit den anderen bereits illustrierten Hypothesen von zukünftiger Forschung systematisch überprüft werden . Ebenso sollte zukünftig ein detaillierterer Blick auf die verschiedenen technologischen Kategorien – Unterstützung, Autonomes Handeln und Kommunikation – geworfen werden, um ein tieferes Verständnis für die Auswirkungen dieser auf die Arbeitswelt zu erhalten, mögliche technologiespezifische Effekte aufzudecken (z . B . der Robotik) und zu klären, inwiefern sich Lernaktivitäten unter Umständen in Abhängigkeit von der Technologieart unterscheiden . Da es, wie an der Literaturübersicht zu sehen, keine erschöpfende empirische Systematisierung und Aufarbeitung von Technologien gibt, lassen sich viele mögliche Effekte verschiedener Technologien auf Lernaktivitäten am Arbeitsplatz nicht ausreichend diskutieren, ohne dabei das Risiko der Spekulation einzugehen . Wichtig ist, dass zukünftige Forschung versucht, dieser Problematik Rechnung zu tragen . 5.2
Implikationen für die Praxis
Die vorliegende Studie hat gezeigt, dass durch neue Technologien bewirkte Veränderungen der Arbeit in Gesundheitsberufen zahlreiche Möglichkeiten für Professional Development bieten . Grundvoraussetzung dafür ist jedoch, dass diese Veränderungen von allen Beteiligten als Chance verstanden werden . Dazu ist es notwendig, dass Organisationen und Führungskräfte Möglichkeiten für ihre Mitarbeiter schaffen, dieses Lernpotential zu nutzen – sowohl auf formeller als auch auf informeller Ebene . Spezifisch für die berufliche Bildung bedeutet das, dass in den Arbeitsalltag integrierbare sowie an den Lernbedarf angepasste Schulungen und Einarbeitungsphasen angeboten werden sollten . Auf informeller Ebene dagegen braucht es ausreichend Zeit und Gelegenheit, um sich innerhalb des Teams auszutauschen, Fragen zu stellen und gemeinsam Lösungen zu finden . Dabei sind ein gutes Klima innerhalb des Teams und der Organisation sowie eine offene Fehlerkultur Grundvoraussetzung, um das Lernpotential nutzen zu können .
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Auf individueller Ebene sind vor allem förderliche Einstellungen gegenüber technologischen Entwicklungen und Motivation für Professional Development nötig . Dies kann ebenso durch die Führungsebene unterstützt werden, indem beispielsweise Ängste vor Überwachung und Kontrolle genommen werden und die Akzeptanz gegenüber neuen Technologien der Mitarbeiter*innen gestärkt wird . Literatur
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Möglichkeiten für Professional Development durch die Veränderung von Arbeit
in den verschiedenen beruflichen Domänen u . a . Professional Development, Team Learning, Lernen aus Fehlern, Lernen durch Feedback, Informelles Lernen, Organisationales Lernen, Effekte neuer Technologien auf Arbeit, Entwicklung und Evaluation beruflicher Aus- und Weiterbildung . E-Mail: regina .mulder@ur .de Kathrin Schierl, M. A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Pädagogik II an der Fakultät für Humanwissenschaften der Universität Regensburg . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Wissensentwicklung und Lernen in Organisationen im Kontext neuer Technologien im Gesundheitssektor . E-Mail: kathrin .schierl@ur .de
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Zum Einsatz digitaler Technologien Veränderungen beruflicher Aufgaben des Pflegepersonals MARISA KAUFHOLD / JOSCHA HEINZE
On the Use of Digital Technologies Changes in Professional Tasks of the Nursing Staff Kurzfassung: Der Einsatz digitaler Technologien in der Pflege wird mit vielfältigen Entwicklungs-
potentialen verbunden, aber auch kritisch beäugt . Die Qualifikation des Pflegepersonals entscheidet, inwiefern die mit einem Technikeinsatz verbundenen Potentiale genutzt werden . Die bisher nur punktuelle Berücksichtigung digitalisierungsbedingter Entwicklungen in der Aus- und Weiterbildung ist daher kritisch zu bewerten . Diese begründet sich u . a . dadurch, dass bisher wenig Erkenntnisse dazu vorliegen, wie solche Entwicklungen Arbeitsprozesse und Kompetenzanforderungen verändern . Der Beitrag setzt sich mit den Konsequenzen des Einsatzes digitaler Technologien in der Pflege auseinander und stellt ausgehend vom Entwicklungsstand bisherige Erkenntnisse bezüglich veränderter Aufgaben und Kompetenzanforderungen heraus . Am Beispiel einer Pilotuntersuchung in der stationären Altenpflege werden Auswirkungen des Technikeinsatzes exemplarisch aufgezeigt . Abschließend werden damit einhergehende Konsequenzen für die Berufsbildung beleuchtet . Schlagworte: Digitalisierung, Einsatz digitaler Technologien, Veränderung von Arbeitsprozessen, digitalisierungsbezogene Kompetenzanforderungen, Pflege Abstract: The use of digital technologies in nursing is deemed to offer great potential for develop-
ment, but it is also met with some scepticism . How much of that potential can be realised is determined by the degree of qualification of nursing staff . Therefore, it must be seen critically that digitalisation-related developments have so far only been taken into account selectively in vocational training and further education . This is due, among other things, to the fact that there is little knowledge as yet about how such developments change work processes and competence requirements . The contribution deals with the consequences of the use of digital technologies in nursing and, based on the current state of development, highlights previous findings regarding changed tasks
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MARISA KAUFHOLD / JOSCHA HEINZE
and competence requirements . It goes on to demonstrate the effects of the use of technology by the example of a pilot study in inpatient care for the elderly . Finally, it examines the consequences for vocational training . Keywords: digitalisation, use of digital technologies in nursing, tasks and competence requirements of nursing staff, care
1.
Problemhintergrund
Die zunehmende Digitalisierung führt auch im Gesundheitssystem zu „einem fundamentalen Veränderungs- und Innovationsprozess […], der die Rollen, Kompetenzen und Kooperationen in allen Gesundheitsberufen massiv verändert“ (Kuhn et al ., 2019, S . 2) . Die Implementierung digitaler Technologien im Gesundheitswesen und der Erfolg ihres Einsatzes werden wesentlich dadurch bestimmt, welche Haltung die Beschäftigten diesbezüglich entwickeln und über welche Kompetenzen sie verfügen, um den Digitalisierungsprozess angemessen begleiten und mitzugestalten zu können . Damit kommt der beruflichen Bildung eine zentrale Rolle im Digitalisierungsprozess zu (Kruppe et al ., 2019, S . 37) . Bedenklich stimmt, dass entsprechende Qualifizierungs- und Kompetenzentwicklungsbedarfe der Beschäftigten bislang kaum in Ausund Weiterbildungsprozessen Beachtung finden (Buhtz, Paulicke, Hofstetter, & Jahn, 2020; Kuhn et al ., 2019; Roland Berger GmbH, Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e . V ., & Philosophisch-Theologische Hochschule Vallendar, 2017) . Um die Berufsbildung so auszurichten, dass sie Auszubildende und Beschäftigte auf die digitalisierungsbedingten Veränderungen im Berufsfeld vorbereitet, ist zunächst eine Auseinandersetzung mit den sich im Arbeitsbereich ergebenden aufgabenbezogenen Veränderungen und daraus resultierenden Konsequenzen in Bezug auf benötigte Kompetenz- und Qualifikationsprofile der Beschäftigten erforderlich . Des Weiteren bedarf es einer Auseinandersetzung darüber, wie eine zeitgemäße Berufsbildung zu gestalten ist, um die arbeitsbezogenen Entwicklungen durch den zunehmenden Einsatz digitaler Technologien sowohl bei der Ausformung der Curricula als auch bei der didaktischen Gestaltung der Berufsbildung berücksichtigen zu können (Weyland, Kaufhold, & Koschel, 2020; Gerholz & Dormann, 2017) . Bisherige Arbeiten zur Digitalisierung im Gesundheitsbereich konzentrierten sich auf die Sondierung der technischen Entwicklungen . Fragestellungen, die sich damit auseinandersetzen, inwiefern der Einsatz digitaler Technologien sich auf die vorherrschenden Arbeitsprozesse und damit verbundene Kompetenzanforderungen an Beschäftigte auswirkt, standen bislang weniger im Fokus der Auseinandersetzung . Diese für die Gestaltung von Berufsbildung relevanten Fragen greift der vorliegende Beitrag auf, in dem er sich mit den Auswirkungen des Einsatzes digitaler Technologien auf die beruflichen Aufgaben und Kompetenzanforderungen des Pflegepersonals auseinan-
Zum Einsatz digitaler Technologien
dersetzt . Dies erfordert zunächst eine Betrachtung der Spezifika des Pflegeberufs1 und daraus resultierenden Anforderungen an den Einsatz digitaler Technologien, des aktuellen Entwicklungsstands digitaler Technologien im Kontext pflegerischer Versorgung sowie des Diskurses zum Einsatz digitaler Technologien . Im Weiteren wird eine berufswissenschaftlich orientierte Pilotuntersuchung in der stationären Altenpflege vorgestellt, die im Rahmen des Projektes HumanTec2 umgesetzt wurde und anhand derer digitalisierungsbedingte Veränderungen identifiziert und damit einhergehende Konsequenzen abgeleitet werden können . Der Beitrag schließt mit einem Ausblick, der sowohl weitere Forschungsbedarfe als auch Konsequenzen für die Berufsbildung in den Blick nimmt . 2.
Einsatz digitaler Technologien im Kontext des Pflegeberufs
2.1
Herausforderungen im Zusammenhang pflegespezifischer Besonderheiten
Pflegearbeit zeichnet sich durch einige spezifische Charakteristika aus, die einen besonderen Blick auf den Einsatz digitaler Technologien werfen und auch zu kontroversen Einschätzungen bezüglich der Möglichkeiten und Grenzen führen (FuchsFronhofen et al ., 2018; Bräutigam et al ., 2017, S . 15; Hülsken-Giesler, 2010) . So ist das berufliche Handeln in der Pflege vor allem durch die Arbeit am und mit Menschen geprägt . Die beruflichen Handlungsfelder in der Pflege sind im Vergleich zu anderen Berufsfeldern in besonderem Maße durch Interaktionsarbeit geprägt (Fuchs-Frohnhofen et al ., 2018; Hielscher, Nock, & Kirchen-Peters, 2016, S . 7 f . u . S . 16; Böhle, Stöger, & Weihrich, 2015), die durch die Beziehung zwischen den zu Pflegenden und der Pflegekraft gekennzeichnet ist und Aspekte der Kooperation, Emotion sowie des subjektiven Arbeitshandelns umfasst (Hielscher et al ., 2016, S . 7 f .) . Darüber hinaus wird professionellem pflegerischen Handeln eine doppelte Handlungslogik zugeschrieben, die darin besteht, einerseits auf Basis von wissenschaftlich basierten Erkenntnissen und Regelwissen zu handeln und andererseits die Logik des Einzelfalls des zu pflegenden Menschen und dessen individuelle Situation zu beachten (Darmann-Finck & Muths, 2016, S . 193; Remmers, 2000) . Die Be-
Aufgrund der Breite und Komplexität des Gesundheitsbereiches, der bezüglich Digitalisierung zudem sehr unterschiedlich entwickelt ist, wird im Beitrag eine Fokussierung auf die Pflege vorgenommen . Für diesen Bereich liegen aufgrund von Schwerpunktsetzungen in Forschungsarbeiten die bislang meisten Erkenntnisse vor . 2 Im Rahmen des Verbundprojektes „HumanTec – Berufsbegleitende Studienangebote zur Professionalisierung beruflichen Bildungspersonals im Humandienstleistungs- und Technikbereich“ wurden berufsbegleitende Studienangebote zur Qualifizierung und Professionalisierung betrieblichen Bildungspersonals entwickelt . Das Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Zuge des Bund-Länder-Wettbewerbs „Aufstieg durch Bildung: offene Hochschulen“ gefördert . 1
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rücksichtigung des Einzelfalls und das darauf ausgerichtete pflegerische Handeln bleiben auch im Kontext der Digitalisierung bestehen . Dies stellt eine besondere Herausforderung hinsichtlich des Einsatzes digitaler Technologien in diesem Berufsfeld dar, mit der spezifische Anforderungen an digitale Lösungen und an Beschäftigte einhergehen (Weyland et al ., 2020) . So sind beispielsweise standardisierte digitale Lösungen nur für Bereiche von Interesse, in denen ein relativ hoher Standardisierungsgrad erreicht werden kann . Dies betrifft am ehesten administrative Prozesse der Planung und Dokumentation . In vielen Bereichen der Pflege besteht jedoch auch bei der Nutzung digitaler Technologien die Notwendigkeit, flexible situative Entscheidungen in Abhängigkeit von der spezifischen Versorgungssituation treffen zu können . Daraus resultiert auch, dass Kompetenzen zur Bewertung bzw . Abschätzung des Technikeinsatzes in der jeweiligen Situation erforderlich sind und Kompetenzen zur Anwendung der digitalen Technologie allein nicht ausreichend sind (vgl . 3 .2) . Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass die Gruppe der Nutzer*innen digitaler Technologien in der Pflege heterogen und nicht eindeutig definiert ist (Buhtz et al ., 2020) . Buhtz et al . (2020, S . 4) beschreiben die Nutzer*innen „als Triade in einem Beziehungsdreieck aus Pflegeempfängern, Angehörigen und Pflegefachpersonen“ . Da gerade in der Pflege die Nutzer*innen über die Akzeptanz technologischer Entwicklungen im Versorgungsprozess und damit auch über die tatsächliche Nutzung mitentscheiden, sind deren Interessen und Bedürfnisse in Bezug auf digitale Unterstützungssysteme sowohl für die Entwicklung als auch für die spätere tatsächliche Nutzung von hohem Interesse (Dockweiler, 2016) . Die Heterogenität der Akteursgruppen lässt unterschiedliche Interessen in Bezug auf digitale Technologien in der Pflege vermuten und erklärt die Mannigfaltigkeit der Entwicklungen sowie des Diskurses, die die digitalisierungsbezogenen Herausforderungen in der Pflege mitbestimmen . 2.2
Zur Anwendung und Nutzung
Die Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Technologien in der Pflege sind durch zahlreiche und differente Entwicklungen geprägt, die Behandlungs- und Versorgungsprozesse verändern (Daum, 2017; Merda, Schmidt, & Kähler, 2017; Rösler, Schmidt, Merda, & Melzer, 2018; Becka, Evans, & Hilbert, 2017) . Soweit auf Basis der aktuellen Datenlage abschätzbar, ist der tatsächliche Verbreitungsgrad einzelner digitaler Technologien in der Pflege sehr unterschiedlich . So kann der Einsatz im Kontext von Dokumentation, Planung und Organisation durchaus schon jetzt als Normalität angesehen werden (auch wenn nicht-digitale Umsetzungen auch weiterhin verbreitet sind) . Technische Assistenzsysteme, wie etwa Notfallerkennungs-, Ortungs- oder Monitoringsysteme, werden dagegen bisher deutlich seltener verwendet, wohingegen Anwendungen aus dem Bereich Telecare und besonders die (pflegena-
Zum Einsatz digitaler Technologien
he) Robotik kaum zum Einsatz kommen3 (Merda et al ., 2017; Kuhlmey, Blüher, Nordheim, & Zöllick, 2019; Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung, 2018) . Im Vergleich zu anderen Branchen lässt sich konstatieren, dass die digitalen Möglichkeiten im Gesundheitsbereich bislang eher zurückhaltend genutzt werden (Landrock & Gadatsch, 2018, S . 3) . Dies wird auf den ohnehin vorhandenen Innovationsstau, einem sehr hohen Kostendruck sowie den Umstand, dass nicht alle Beteiligten technologische Entwicklungen rechtzeitig erkennen und umsetzen, zurückgeführt (ebd .) . Darüber hinaus seien vor allem Aspekte der Akzeptanz sowie datenschutzrechtliche Bedenken Hindernisse bezüglich der Nutzung vorhandener Möglichkeiten (ebd .) . Weiter lässt sich als Tendenz festhalten, dass digitale Technologien in der Pflege derzeit insbesondere abseits patientennaher Pflegedienstleistungen genutzt werden . In Bezug auf die zukünftige Verbreitung der benannten Anwendungen sehen aktuelle Einschätzungen in den kommenden 5–10 Jahren vor allem die digitale Erfassung und Dokumentation von Daten, aber auch Anwendungen aus dem Bereich Telecare sowie Assistenz- und Monitoring-Systeme als relevant an (Glock et al ., 2018; ter Jung & Bleyer, 2017; Daum, 2017) . Hinsichtlich der aus der Digitalisierung resultierenden Konsequenzen für das Berufsfeld und die Beschäftigten gibt es kontroverse Auffassungen . Gegenstand der Diskussion sind dabei Fragen in Bezug auf die Substituierbarkeit von Arbeit (Kehl, 2018; Dengler & Matthes, 2015, 2018; Becka et al ., 2017; Daum, 2017), die Gestaltung von Arbeitsprozessen (Fuchs-Fronhofen et al ., 2018; Becka et al ., 2017; Bräutigam et al ., 2017; Roland Berger GmbH et al ., 2017), die Diskussion um Professionalisierung oder Deprofessionalisierung von Arbeit als Folge zunehmender Digitalisierung (Kehl, 2018; Roland Berger GmbH et al ., 2017), rechtliche Fragestellungen und Fragen der Datensicherheit (Seifert & Ackermann, 2020; Strametz, 2018) sowie die Etablierung erforderlicher ethischer Standards (Deutscher Ethikrat, 2020; Kehl, 2018; Remmers, 2016; Schlauch & Spellerberg, 2016; Manzeschke, 2014; Manzeschke, Weber, Rother, & Fangerau, 2013) . Die aufgezeigten Entwicklungen und Diskurse unterstreichen die Veränderungsdynamik, die sich auf die Gestaltung der pflegerischen Versorgungsprozesse auswirkt . Diese Veränderungsdynamik wird bislang weder in der Ausbildung noch in der Fortund Weiterbildung hinreichend berücksichtigt (Buhtz et al ., 2020; Kuhn et al ., 2019; Roland Berger GmbH et al ., 2017) . Dies zeigt sich beispielsweise in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung der neugeregelten generalistischen Pflegeausbildung (PflAPrV), in dessen Rahmen die Digitalisierung nur im Kontext der Dokumentation
Im Zuge der aktuellen „Corona-Krise“ werden in allen Bereichen der Gesellschaft digitale Kommunikationsmittel deutlich stärker als zuvor genutzt, um die Anzahl an persönlichen Kontakten möglich gering zu halten . Dies betrifft auch die Nutzung von Televisiten, für die die geltenden Begrenzungsregelungen bzgl . der Fallzahl und der Leistungsmenge vorübergehend durch die KBV und den GKV-Spitzenverband außer Kraft gesetzt wurden (https://www .kbv .de/html/1150_44943 .php) .
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von Pflegemaßnahmen bzw . der Nutzung von Pflegedokumentationssystemen zur Legitimation von Pflegeentscheidungen thematisiert wird (Buhtz et al ., 2020, S . 5; PfAPrV Anlage 1 zu § 7 Abs . 2; Anlage 2 zu § 9 Absatz 1 Satz 2) . Eine etwas stärkere Verankerung lässt sich für die Rahmenlehr- und Rahmenausbildungspläne konstatieren, wobei auch diese häufig „punktuell und stellenweise optional“ (Mohr, Riedlinger, & Reiber, 2020, S . 177) bleiben . Die zunehmende Durchdringung digitaler Technologien im Berufsfeld führt jedoch zu der Notwendigkeit, die Beschäftigten für eine situationsspezifische kritische Einschätzung sowie zur Bewältigung der veränderten Anforderungen im Versorgungsprozess zu qualifizieren (Buhtz et al ., 2020; Cluster „Zukunft der Pflege“, 2020) . Vor dem Hintergrund der Zielsetzungen beruflicher Bildung wäre zudem die Befähigung zur partizipativen Mitwirkung hinsichtlich zukünftiger Entwicklungen im fortschreitenden Digitalisierungsprozess als weiteres Qualifizierungsziel zu nennen . Voraussetzung für die Gestaltung einer solch zukunftsgerichteten, am Berufsfeld orientierten Berufsbildung ist die Auseinandersetzung mit digitalisierungsbedingten Veränderungen der Arbeitsprozesse und daraus resultierenden Kompetenzanforderungen an das Pflegepersonal . 3.
Aufgaben und Kompetenzanforderungen im Zuge des Einsatzes digitaler Technologien in der Pflege
Die durch den Einsatz digitaler Technologien bedingten Veränderungen von Arbeit sowie damit verbundene Anforderungen an die Kompetenz von Beschäftigen spielten in bisherigen Arbeiten zur Digitalisierung in der Pflege nur vereinzelt eine Rolle bzw . wurden nur am Rande thematisiert . Arbeiten, die diese Perspektive berücksichtigt haben, entstammen unterschiedlichen disziplinären Kontexten und lassen sich angesichts ihres Zugangs differenzieren . Eine Gruppe der Arbeiten bezieht sich auf Aspekte der Berufs- und Qualifikationsforschung und geht der Frage nach den jeweils erforderlichen Qualifikationen und Kompetenzen in der Pflege nach (Kuhn et al ., 2019; Glock et al ., 2018; Kaufhold et al ., 2017; Heinze et al ., 2016; Schüler, Klaes, Rommel, Schröder, & Köhler, 2013; Klaes, Köhler, Rommel, Schüler, & Schröder, 2011; Hülsken-Giesler, 2010; Klein, Gaugisch, & Stopper, 2008) . Dieser wird vereinzelt auch aus einer anderen fachwissenschaftlichen Perspektive nachgegangen, wie beispielsweise der Informatik (Bendig et al ., 2017; Hübner et al ., 2017) . Einen anderen Zugang zur Thematik wählen Arbeiten mit einem eher arbeitssoziologischen und arbeitswissenschaftlichen Hintergrund (Becka et al ., 2017; Bräutigam et al ., 2017; Daum, 2017; Merda et al ., 2017; Hielscher, KirchenPeters, & Sowinski, 2015; Hielscher et al ., 2016) . Hier stehen Fragen bezüglich Folgewirkungen des Technikeinsatzes für Arbeit und Beschäftigung in der Pflege im Vordergrund, beispielweise im Hinblick auf Arbeitsplatzentwicklung, Arbeitsbe- und
Zum Einsatz digitaler Technologien
-entlastung sowie Qualifikation und Partizipation des Personals . Darüber hinaus gibt es eine Reihe von Arbeiten, die sich mit den im Zuge von Digitalisierung erforderlichen Kompetenzen ohne konkreten Berufsbezug auseinandersetzen (Aepli et al ., 2017; Carretero, Vuorikari, & Punie, 2017; Dengler & Matthes, 2018; KMK, 2017; Rohs & Seufert, 2018) . 3.1
Aufgabenbezogene Veränderungen
Trotz der spezifischen und differenten Zugänge lassen sich Aufgaben benennen, die für das Pflegepersonal im Zuge der Digitalisierung insgesamt zunehmend als relevant erachtet werden . Diese sind auf einer allgemeinen übergeordneten Ebene zu verstehen und belegen noch keinen direkten Bezug zu konkreten beruflichen Handlungsfeldern . Als eine zukünftige Aufgabe für das Pflegepersonal lässt sich die Vermittlung der Techniknutzung in der pflegerischen Interaktion herausstellen . Diese umfasst die Information und Aufklärung der zu pflegenden Person und gilt als eine zentrale Voraussetzung für die Mindestakzeptanz von Technik bei Pflegebedürftigen und Angehörigen, die den Technikeinsatz überhaupt erst ermöglicht (Hielscher et al ., 2016, S . 16) . Der Einsatz digitaler Technologien wird zudem noch stärker als bisher eine interdisziplinäre Kommunikation und Kooperation erfordern (Kuhn et al ., 2019; Klaes et al ., 2011; Klein et al ., 2008) . So werden beispielsweise ermittelte personenbezogene Daten von unterschiedlichen Berufsgruppen genutzt und innovative Versorgungskonzepte, wie im Bereich Telecare, lassen neue Formen der Interaktion und Zusammenarbeit zwischen Ärzt*innen und Pflegepersonal entstehen . Die Berücksichtigung des spezifischen Einzelfalls im beruflichen Handeln in der Pflege gilt auch hinsichtlich der Nutzung digitaler Technologien, weshalb eine kontextspezifische und einzelfallorientierte Reflexion des Einsatzes digitaler Technologien unter Berücksichtigung ökonomischer und ethischer Aspekte als eine zentrale zukünftige Anforderung anzusehen ist (Kuhn et al ., 2019; Klein et al ., 2008) . Eine entscheidende Bedeutung wird dem kritischen, planvollen und kontextspezifischen Umgang mit (personenbezogenen Gesundheits-)Daten und damit der Wahrung von Datenschutz und Datensicherheit zugesprochen (Bendig et al ., 2017; Daum, 2017; Klein et al ., 2008) . Die Dokumentation und der Umgang mit weiter zunehmenden personenbezogenen Daten wird wichtiger Bestandteil der beruflichen Anforderungen und setzt ein Verständnis für die dahinterliegenden und anknüpfenden Arbeits- und Verwendungsprozesse sowie die etwaigen Gefahren in Folge von Unachtsamkeit oder mangelnder Sorgfalt bei den Beschäftigten voraus . Auch Beratungsdienstleistungen hinsichtlich der Techniknutzung sind eine bedeutsamer werdende Anforderung an Beschäftigte (Klein et al ., 2008) . Die Entscheidung für die Nutzung einer digitalen Technologie zur Unterstützung oder Sicherstellung der eigenen Versorgung oder der von Angehörigen kann nur auf Basis ausreichender
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Information über die damit verbundenen Möglichkeiten und Einschränkungen (z . B . Einsicht Dritter in Vitalwerte oder Aufenthaltsort) erfolgen . Eine Einweisung in die sachgerechte Nutzung ist ebenfalls Voraussetzung für einen gelingenden Einsatz und die Erreichung der beabsichtigten Ziele . Die hier herausgestellten Aufgaben folgen alle dem Ziel, digitale Technologien sinnvoll in das professionelle Handeln Pflegender zu integrieren (Mohr et al ., 2020) . 3.2
Kompetenzbezogene Veränderungen
Aus Perspektive der Berufsbildung drängt sich nun die Frage auf, welche Kompetenzen erforderlich sind, um die benannten Aufgaben adäquat bewältigen zu können . Da Prozesse von Digitalisierung und digitaler Transformation keineswegs einheitlich verlaufen, sondern vielmehr „widersprüchlich, gegenläufig und ungleichzeitig“ (Gössling et al ., 2019, S . 549) und zudem durch branchen- und betriebsspezifische Unterschiede in der Nutzung digitaler Technologien geprägt sind, sind veränderte Kompetenzanforderungen schwer bestimmbar . Im Ergebnis bislang vorliegender Arbeiten (Aepli et al ., 2017; Rohs & Seufert, 2018; Carretero, Vuorikari, & Punie, 2017; KMK, 2017) zeigt sich, dass allein die Herausbildung technischer Kompetenzen nicht ausreichend ist . Das Augenmerk ist vielmehr auf die mit der Digitalisierung einhergehenden veränderten Arbeitsweisen, wie beispielsweise dem zunehmenden Arbeiten in virtuellen oder interprofessionellen Teams, zu richten und nicht ausschließlich auf die Technikanwendung selbst . Dabei wird deutlich, dass Querschnittskompetenzen, wie soziale Kompetenzen, Kooperationsbereitschaft, Kommunikationsstärke, Selbstmanagement oder Empathie, bedeutsamer werden (Dengler & Matthes, 2018, S . 11) . Für konkrete Aussagen bedarf es jedoch spezifischer Betrachtungen eines Handlungsfeldes, da die hinsichtlich der Digitalisierung zu erwartenden Entwicklungen innerhalb einzelner Branchen und Berufe stark variieren und zudem mit den betrieblichen Entwicklungen und den dort jeweils verfolgten Visionen zusammenhängen dürften (Aepli et al ., 2017, S . 38) . Für die Pflegeberufe zeigt sich auch aus früheren technikgetriebenen Veränderungsprozessen, dass die Vermittlung des erforderlichen Wissens und der Fertigkeiten nicht ausreichen, sondern vor allem die Haltung der Mitarbeitenden zu berücksichtigen ist (Kuhn et al ., 2019, S . 20) . Mit Blick auf die Pflegearbeit kennzeichnenden Charakteristika, wie Interaktionsarbeit und doppelte Handlungslogik (vgl . 2), begründen sich auch die für die Pflege als bedeutsam herausgestellten Aspekte wie Kommunikation und Kooperation mittels digitaler Medien, rechtliche, ethische und ökonomische Rahmenbedingungen sowie Selbstkompetenz und Reflexionsfähigkeit bzgl . des Technikeinsatzes, die in Hinblick auf den Kompetenzerwerb zu berücksichtigen wären (Becka et al ., 2017, S . 25; Bendig et al ., 2017) . Darüber hinaus wurde die Bereitschaft, sich auf Technik einzulassen, die Fähigkeit zu analytischem und vernetztem Denken, aber
Zum Einsatz digitaler Technologien
auch die Kommunikation mit unterschiedlichen Akteuren in interdisziplinären Teams und den Nutzer*innen technikgestützter Pflege als relevant herausgestellt (HülskenGiesler, 2010) . Konkrete Kompetenzanforderungen werden in einem Arbeitspapier der Careum Stiftung formuliert, wobei instrumentell-technische Kompetenz (sicherer und fachgerechter Einsatz digitaler Anwendungen), kognitiv-inhaltliche Kompetenz (Durchschauen komplexer Funktionszusammenhänge, wie z . B . Datenfluss, Datenschutz, Datensicherheit), sozial-kommunikative Kompetenz (digital gestützte interprofessionelle Zusammenarbeit oder Kommunikation), emotionale Kompetenz (Emotionsregulation im Umgang mit Systemen) sowie reflexive Kompetenz (Abwägung des Einsatzes digitaler Medien unter Berücksichtigung ethischer und ökonomischer Aspekte) für die Anwendung digitaler Technologien im Gesundheitsbereich als zentral herausgestellt werden (Kuhn et al ., 2019, S . 21) . Beim Kompetenzerwerb komme es zudem auf eine grundlegende und aktive Auseinandersetzung mit den Kernthemen der digitalen Transformation und übergeordneten Fertigkeiten an . Angehörige verschiedener Gesundheitsfachberufe müssten Kompetenzen besitzen, um den Veränderungsprozess zu verstehen und die neuen digitalen Behandlungskonzepte einordnen zu können . Dabei sei es relevant, die eigene veränderte Rolle zu reflektieren, nützliche Entwicklungen in der Praxis anzuwenden, Fehlentscheidungen zu erkennen und zu vermeiden (Kuhn et al ., 2019, S . 22) . Angesichts der eingangs skizzierten Heterogenität der Nutzergruppe digitaler Technologien in der Pflege und der unterschiedlichen Anforderungen an Digitalisierung in den verschiedenen Einsatzfeldern der Pflege (z . B . ambulante Altenpflege vs . stationäre Akutversorgung im Krankenhaus), sind je nach Perspektive unterschiedliche Konsequenzen hinsichtlich der Nutzung digitaler Technologien zu erwarten, die wiederum Einfluss auf Arbeitsprozesse und Kompetenzanforderungen nehmen (Aepli et al ., 2017) . 3.3
Forschungsdesiderata
Die Betrachtungen ermöglichen eine erste Orientierung bezüglich der im Zuge zunehmend digitalisierter Arbeitsprozesse in der Pflege benötigten Kompetenzen des Pflegepersonals . Dabei ist zu berücksichtigen, dass in etwa der Hälfte der betrachteten Arbeiten kaum hinsichtlich der unterschiedlichen Technologien und/oder der verschiedenen Anwendungsgebiete differenziert wird . Für konkrete berufliche, hier pflegerische, Handlungssituationen besitzen solche übergreifenden Betrachtungen daher nur bedingt Aussagekraft, weil in den verschiedenen Tätigkeitsfeldern der Pflege unterschiedliche Bedarfe und Entwicklungen bestehen (z . B . Akutversorgung im Krankenhaus vs . Langzeitbetreuung in der stationären Pflege) . Darüber hinaus beruhen aufgrund des bisher noch geringen Verbreitungsgrades digitaler Technik in der
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Versorgungspraxis die bisherigen Erkenntnisse nur in Teilen auf arbeitsbezogenen beruflichen Erfahrungen und gründen überwiegend auf Einschätzungen bezüglich zukünftiger Entwicklungen . Zu berücksichtigen ist auch, dass einige der themenbezogenen Arbeiten bereits etwas älter sind (Schüler et al ., 2013; Klaes et al ., 2011; Hülsken-Giesler, 2010; Klein et al ., 2008), so dass die Erkenntnisse nicht auf dem aktuellen Entwicklungs- und Durchdringungsgrad der Technik basieren . Es ist anzunehmen, dass weitere Entwicklungen stattgefunden haben bzw . stattfinden, die noch nicht hinreichend berücksichtigt werden konnten . Die Ausführungen verweisen allerdings auf vielfältige, innovative Entwicklungen im Bereich digitaler Technologien in der Pflege . Für die nächsten Jahre sind sowohl weitere neue Entwicklungen als auch Weiterentwicklungen bzw . Optimierungen bereits vorhandener Technologien zu erwarten . Dahingehend, inwiefern diese digitalen Technologien in der Versorgungspraxis in der Breite zum Einsatz kommen, lassen sich keine eindeutigen Prognosen festhalten . Hier sind vielmehr unterschiedliche Entwicklungen in Bezug auf die Technologien als auch hinsichtlich der Einsatzfelder zu erwarten (Daum, 2017; ter Jung & Bleyer, 2017) . Somit bleibt aufgrund der hohen Entwicklungs- und Anpassungsdynamik die Entwicklung der digitalen Technologien selbst sowie deren Einsatzmöglichkeiten in der Versorgungspraxis weiterhin ein zentrales Forschungsfeld . Aufgrund der Spezifika des Berufsfeldes und der für die Nutzung erforderliche Akzeptanz der beteiligten Akteure wäre eine weniger technikorientierte und stärker an der Professionslogik anknüpfende Forschung wünschenswert (Mohr et al ., 2020, S . 179) . An den Entwicklungsstand und die Einsatzmöglichkeiten schließt sich die Frage nach den Bedingungen für eine gelingende Implementierung in die beruflichen Handlungsprozesse an . Die aufgezeigte Heterogenität der Nutzer*innen digitaler Technologien in der Pflege sowie die verschiedenen Anforderungen der jeweiligen Einsatzbereiche bedingen Unterschiede hinsichtlich der Konsequenzen für Arbeitsprozesse sowie der Anforderungen an Beschäftigte . Die Auseinandersetzung damit, „wie sich Arbeitsanforderungen, Kompetenzprofile und Berufsbilder in diesem Feld wandeln“ (Hielscher, 2014, S . 37), wird auch für den gelingenden Einsatz von digitalen Technologien in der Pflege als notwendig erachtet und sollte in weiteren empirischen Studien untersucht werden (ebd .) . Die Bedeutsamkeit um das Wissen etwaiger Effekte durch den Technikeinsatz wird auch bei Bräutigam et al . (2017, S . 53) herausgestellt, die aus dem teilweise unterschiedlichen Antwortverhalten der Befragten einer Studie zur Digitalisierung im Krankenhaus schlussfolgern, „dass sich die Fragestellungen in Folgeuntersuchungen eher auf konkrete Technologien beziehen sollten, um deren Effekte exemplarisch differenziert untersuchen zu können . Auf diese Weise ist es möglich, die Auswirkungen der Digitalisierung z . B . auf einzelne Berufe, Arbeitsbereiche und konkrete Arbeitsprozesse hin zu betrachten“ (ebd .) . Somit sind also weitergehende Arbeiten als notwendig einzustufen, die Differenzierungen in Bezug auf digitale Technologien und Einsatzfelder berücksichtigen und stärker kontextspezifische, an konkreten beruflichen
Zum Einsatz digitaler Technologien
Handlungsfeldern anknüpfende Aussagen bezüglich Technikeinsatz und Kompetenzanforderungen ermöglichen (Bräutigam et al ., 2017; Hielscher et al ., 2015; Hielscher, 2014) . Ein solcher Ansatz ist vor allem aus Perspektive der Berufsbildung von Bedeutung, da hierüber zentrale Erkenntnisse hinsichtlich der sich stellenden beruflichen Aufgaben und den damit verbundenen Kompetenzanforderungen gewonnen werden können, die für die Gestaltung der Curricula in Aus-, Fort- und Weiterbildung von Relevanz sind . Der Umstand, dass Digitalisierung in den Bildungsprozessen kaum hinreichend berücksichtigt ist und Kompetenzanforderungen stark normativ und wenig über empirische Zugänge zu konkreten beruflichen Handlungssituationen bestimmt sind, unterstreicht die Notwendigkeit solch differenzierter, am beruflichen Handeln ansetzenden Betrachtungen . Dieses Desiderat wird im BMBF geförderten Verbundprojekt „Berufsbegleitende Studienangebote zur Professionalisierung beruflichen Bildungspersonals im Humandienstleistungs- und Technikbereich – HumanTec“ der Fachhochschule Bielefeld und der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster im Rahmen einer Pilotuntersuchung mit zwei betrieblichen Einzelfallstudien in der stationären Altenpflege aufgegriffen (vgl . 4) . 4.
Pilotuntersuchung: Betriebliche Einzelfallstudien in der stationären Altenpflege
4.1
Zielsetzung
Ziel der Pilotuntersuchung war es, einen ersten empirischen Zugang zum beruflichen Handeln von Pflegepersonal unter dem Einsatz digitaler Technologien zu schaffen und erste Hinweise auf konkrete Veränderungen durch den Einsatz digitaler Technologien in Arbeitsprozessen des Pflegepersonals zu gewinnen . Es wurden zwei betriebliche Einzelfallstudien zum Einsatz von zwei verschiedenen digitalen Anwendungen in der stationären Altenpflege durchgeführt . Dabei wurde der jeweilige durch digitale Technologien unterstützte pflegerische Arbeitsprozess sowohl in Hinblick auf die mit diesen verbundenen beruflichen Tätigkeiten als auch in Hinblick auf die dazu benötigten Kompetenzen betrachtet . Das Erkenntnisinteresse orientiert sich damit an den Fragestellungen berufswissenschaftlicher Forschung, die u . a . das Ziel verfolgt, berufliche Arbeitsaufgaben und Arbeitsprozesse systematisch zu erschließen, um Qualifikationsbedarfe frühzeitig zu erkennen und Ansätze zur Gestaltung beruflicher Bildungsprozesse ableiten zu können (Becker & Spöttl, 2015; Fischer, 2020) .
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4.2
Methodisches Vorgehen
4 .2 .1
Studiendesign
Zur Realisierung des Erkenntnisinteresses wurden betriebliche Einzelfallstudien entsprechend eines qualitativen Forschungsparadigmas gewählt . Eine Einzelfallstudie stellt einen Forschungsansatz dar und wird insbesondere dann angewandt, wenn es darum geht, ein ganzheitliches Bild zu zeichnen und verschiedene Facetten und Perspektiven zu berücksichtigen (Lamnek, 2010, S . 272 ff .) . Vor dem Hintergrund eines berufswissenschaftlichen Forschungsinteresses geht es darum, „die für einen Sektor relevanten Arbeitszusammenhänge, -aufgaben und -prozesse sowie die Organisationsstrukturen“ zu erschließen (Becker & Spöttl, 2015, S . 88) . Die Umsetzung dieses Anspruchs erfordert eine Methodentriangulation, die verschiedene Zugänge zum Forschungsgegenstand und damit zu verschiedenen Facetten und Perspektiven ermöglicht, dem durch eine einzelne Methode nicht entsprochen werden kann (Lamnek, 2010, S . 272 ff .) . Die Kombination verschiedener Methoden erlaubt in der Untersuchung einen breiten Zugang zu einem relativ neuen und komplexen Forschungsgebiet und gewährleistet gleichzeitig ein auf das spezifische Untersuchungsfeld angepasstes methodisches Vorgehen (Lamnek, 2010) . Der Einsatz einer digitalen Technologie in einem konkreten Anwendungsfeld in der Pflege stellt einen komplexen Prozess mit verschiedenen handelnden Akteuren dar . Eine Einzelfalluntersuchung erlaubt die Betrachtung der jeweils spezifischen betrieblichen Situation sowie die damit verbundenen Ziele und Arbeitsabläufe . Auf diese Weise können exemplarisch berufliche Handlungssituationen zum Einsatz digitaler Technologien in der Pflege konkretisiert und sich verändernde Arbeitsaufgaben und -prozesse identifiziert werden, die für die Gestaltung einer zukunftsgerichteten Berufsbildung von Interesse sind . Ein Fall kann sich dabei auf einen „bestimmten Arbeitsprozess, eine berufliche Aufgaben- oder Problemstellung“ (Becker & Spöttl, 2015, S . 89) beziehen . Er sollte Merkmale aufweisen, die ihn als typisch bzw . besonders relevant für das verfolgte Untersuchungsziel ausweisen . In dieser Pilotuntersuchung werden zwei verschiedene betriebliche Einzelfälle untersucht, in denen ein Arbeitsprozess betrachtet wird, in dem jeweils eine andere digitale Technologie zum Einsatz kommt . Dadurch können exemplarisch zwei sich durch den Einsatz digitaler Technologien verändernde Arbeitsprozesse betrachtet und die Verschiedenartigkeit der damit verbundenen Konsequenzen untersucht werden . Im Rahmen weiterer Untersuchungen könnte durch die Betrachtung eines Samples (mehrere Fälle zum Einsatz einer digitalen Technologie im gleichen Anwendungsfeld) die Fallzahl erhöht werden, um so die empirische Absicherung der Ergebnisse zu erhöhen . Das Forschungsdesign zur Untersuchung des jeweiligen betrieblichen Einzelfalles umfasste im Sinne der angeführten Methodenpluralität neben Literaturrecherchen zum
Zum Einsatz digitaler Technologien
Anwendungskontext der digitalen Technologie leitfadengestützte (Experten-)Interviews, teilnehmende Beobachtungen sowie Workshops mit dem Pflegepersonal (s . Tabelle 1; Flick, Kardoff, Keupp, Rosenstiel, & Wolff, 2012; Lamnek, 2010) . Tab. 1 Design der Fallstudien Methode
Zugang
Fokus
leitfadengestütztes (Experten-)Interview
Leitungspersonal der Einrichtung
Betriebliche Kontextfaktoren, Leitungsperspektive
teilnehmende Beobachtung
Pflegepersonal der Einrichtung
Arbeitsprozess
Workshop
Pflegepersonal der Einrichtung
Arbeitsprozess, Perspektive des Pflegepersonals
Die leitfadengestützten (Experten-)Interviews mit dem in der jeweiligen Einrichtung zuständigen Leitungspersonal dienten zur Generierung von Erkenntnissen über die Ziele, Strategien, Einstellungen und Erfahrungen bezüglich der Einführung und Nutzung der digitalen Technologie . Darüber hinaus wurden Informationen über die Konsequenzen des Technikeinsatzes für den Versorgungsprozess und für die Arbeitsprozesse ermittelt . Um einen Einblick in die neuartigen und innovativen Arbeitsabläufe und die damit einhergehenden beruflichen Handlungsprozesse des Pflegepersonals im realen betrieblichen Umfeld zu bekommen, wurden teilnehmende Beobachtungen umgesetzt . Gegenstand dieser war die Durchführung des ausgewählten Arbeitsprozesses unter Einsatz der ausgewählten digitalen Technologie durch eine Pflegekraft . Workshops mit dem am jeweiligen Arbeitsprozess beteiligten Pflegepersonal erfolgten mit dem Ziel, den betrachteten Arbeitsprozess durch das Pflegepersonal beschreiben zu lassen . Diese umfassten eine Gruppenarbeit zur Beschreibung des betrachteten Arbeitsprozesses sowie vertiefende Gruppendiskussionen im Plenum . Aufgabe der Teilnehmenden war es, den Arbeitsablauf anhand von Teilarbeitsschritten zu systematisieren und zu erläutern . 4 .2 .2
Fallauswahl
Angesichts der vielfältigen digitalisierungsbedingten Entwicklungen in der Pflege bestand die Herausforderung bezüglich der Fallauswahl darin, innovative Anwendungen digitaler Technologien zu identifizieren, die auch in Zukunft relevant sind, die in der Praxis bereits umgesetzt werden und zu denen ein betrieblicher Zugang hergestellt werden kann . Der Auswahlprozess orientierte sich daher an Anwendungsfeldern, denen auch für die Zukunft eine Relevanz bescheinigt wird (Merda et al ., 2017; ter Jung & Bleyer, 2017) und die zudem von Experten*innen des Projektnetzwerkes als zukunftsrelevant eingeschätzt wurden . Ausgewählt für die Betrachtung im Rahmen der Fallstudien wurde die Nutzung von Televisiten zur Wundbegutachtung sowie die Nutzung
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einer mobilen elektronischen Pflegedokumentation im Kontext von Vitalwertkontrollen . Damit erfolgte jeweils eine weitere Fokussierung hinsichtlich des Technikeinsatzes, die aus dem in der Einrichtung forcierten Anwendungszweck der Technologienutzung resultiert . Darüber hinaus war relevant, dass die beiden digitalen Anwendungen in den Einrichtungen kontinuierlich genutzt werden und einer Beobachtung zugänglich sind . Tab. 2 Einordnung der betrachteten Fälle Fall 1
Fall 2
Arbeitsprozess und angewandte digitale Technologie
Televisite zur Wundbegutachtung
mobile elektronische Pflegedokumentation im Kontext der Vitalwertkontrolle
Anwendungsfeld
Telecare
elektronische Pflegedokumentation
betrieblicher Kontext
stationäre Altenpflegeeinrichtung in NRW, ca. 150 stationäre Pflegeplätze in sieben Wohneinheiten, rund 90 Pflegekräfte
stationäre Altenpflegeeinrichtung in NRW, getragen von einer öffentlichen Stiftung, ca. 80 stationäre Pflegeplätze in sechs Wohneinheiten, rund 80 Personen mit Pflegeaufgaben
4 .2 .3
Durchführung der Untersuchung
Die Durchführung der betrieblichen Einzelfallstudien erfolgte zwischen Oktober 2018 und Juni 2019 . In Anschluss an erste Literaturrecherchen zum Anwendungskontext wurde jeweils ein (Experten-)Interview mit den zuständigen Leitungskräften geführt . Die Leitfäden enthielten erzählgenerierende Impulsfragen sowie Impulsfragen für eine ggf . notwendige thematische Vertiefung zu den oben benannten Aspekten . Durchgeführt wurden die 60 bis 90-minütigen Interviews von zwei Mitarbeiter*innen des Projektes, in Räumlichkeiten der beteiligten Einrichtungen . In den etwa 60-minütigen teilnehmenden Beobachtungen wurde jeweils eine Pflegekraft bei der Umsetzung des durch digitale Technologien unterstützten Arbeitsprozesses4 beobachtet . Soweit in der spezifischen Situation möglich und angemessen, wurden der Pflegekraft in der Handlungssituation Nachfragen gestellt oder diese beschrieb ihr Handeln selbst . Zur Dokumentation diente ein Beobachtungsprotokoll, in dem die Handlungsschritte, die verwendeten Arbeitsmittel und -methoden sowie Interaktionsprozesse zwischen den beteiligten Personen dokumentiert wurden . Diese teilnehmenden Beobachtungen erfolgten primär mit dem Ziel, einen ersten Einblick in die digitalisierten Arbeitsprozesse zu erhalten, deren Abläufe Gegenstand der Workshops mit dem Pflegepersonal waren .
4
Der beobachtete Arbeitsprozess umfasste sowohl Vorbereitung, Durchführung als auch Nachbereitung .
Zum Einsatz digitaler Technologien
Abschließend wurde in jeder Einrichtung ein Workshop mit drei bzw . sieben Vertreter*innen des Pflegepersonals durchgeführt, die den beobachteten Arbeitsprozess in ihrem Arbeitshandeln umsetzen . Die Workshops ermöglichten eine intensive Auseinandersetzung des Pflegepersonals mit dem Arbeitsprozess, die im Rahmen von Einzelinterviews nicht hätte erreicht werden können . Die durch Vertreter*innen des Projektteams moderierten Workshops fanden in Räumlichkeiten der beteiligten Einrichtungen statt und dauerten ca . vier Stunden . In den Workshops wurde zunächst in Kleingruppen ein idealtypischer Ablauf des betrachteten Arbeitsprozesses beschrieben, der im Anschluss in der Gruppe vorgestellt und weiter konkretisiert wurde . Dabei wurden auch Veränderungen in Bezug auf vorherige Abläufe betrachtet . 4 .2 .4
Auswertungsplan
Die Auswertung des erhobenen Datenmaterials durch das Team erfolgte fallbezogen und unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Perspektiven (Leitungspersonal; Pflegepersonal) mittels qualitativer Inhaltsanalyse (Mayring, 2010) . Das Datenmaterial umfasste jeweils die Transkripte der Interviews und Workshops, die Beobachtungsprotokolle sowie die Ergebnisse aus den Gruppenarbeiten im Rahmen der Workshops . Angelehnt an das Erkenntnisinteresse und die fokussierten Fragestellungen wurden deduktiv drei thematische Kategorien festgelegt . Die erste Kategorie betrieblicher und anwendungsbezogener Kontext umfasst Aussagen zum Anwendungskontext und Einsatz der digitalen Technologie . Die zweite Kategorie Arbeitsprozess bezieht sich auf Aussagen und Beobachtungen zu Akteuren und Rahmenbedingungen, zum Ablauf und zu Veränderungen in Bezug auf den betrachteten Arbeitsprozess . Die dritte Kategorie Konsequenzen für die pflegerische Arbeit nimmt die Konsequenzen des Technikeinsatzes für Arbeitsprozesse sowie Rolle und Kompetenzen der Pflegekräfte in den Blick .5 Die Auswertung umfasste eine kontextbezogene Fallbeschreibung, die auf den jeweiligen Versorgungskontext (z . B . stationäre Altenpflege), die eingesetzte digitale Technologie (z . B . Televisite) sowie den Bereich, in dem die Technologie angewandt wird (z . B . Wundbegutachtung), Bezug nimmt . Im weiteren Auswertungsprozess wurde das erhobene Datenmaterial anhand der festgelegten Kategorien mittels der Auswertungssoftware MAXQDA ausgewertet . Die Ergebnisdarstellung in diesem Beitrag konzentriert sich auf eine verdichtete Fallbeschreibung, die Schilderung des Arbeitsprozesses sowie die Rolle und Kompetenzen des Pflegepersonals im betrachteten Arbeitsprozess . Für ein breiteres Untersuchungsfeld wären diese im Auswertungsprozess induktiv durch weitere Unterkategorien (z . B . durch benannte Aufgaben- und Kompetenzbereiche) zu verfeinern . Für den hier ersten pilothaften Zugang wurde darauf verzichtet .
5
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4.3
Ausgewählte Erkenntnisse aus den Fallstudien
Im Folgenden werden die beiden betrieblichen Einzelfallstudien beschrieben und ausgewählte Ergebnisse hinsichtlich des Einsatzes digitaler Technologien in der pflegerischen Arbeit dargestellt . 4 .3 .1
Televisite im Kontext der ärztlichen Wundbegutachtung (Fallstudie 1)
In einer stationären Altenpflegeeinrichtung wird das Verfahren der Televisite zur ärztlichen Visite bei der Wundversorgung der Bewohner*innen genutzt . In dieser holt der behandelnde (Fach-) Arzt/die behandelnde (Fach-)Ärztin über die Pflegefachkräfte per Videotelefonat Informationen über den Zustand und den Heilungsprozess der Wunde ein und legt ggf . Änderungen in der Wundtherapie fest . Die hierfür in der Einrichtung verwendete Technik besteht aus einem Endgerät (Tablet oder Laptop) und einer Handkamera, die an das Endgerät angeschlossen wird . Eingeführt wurde die Televisite in der Altenpflegeeinrichtung im Rahmen eines Pilotprojektes ca . zweieinhalb Jahre vor Durchführung der Einzelfallstudie . Das beteiligte Pflegepersonal hatte demnach bereits weitreichendere Erfahrungen bezüglich der Nutzung .
Arbeitsprozess Durch die Einführung der Televisite zur ärztlichen Wundbegutachtung haben sich in der Einrichtung weitreichende Veränderungen bezüglich des Arbeitsprozesses ergeben . Die Wunde der Bewohner*innen wird (mittels digitaler Technologien) von der behandelnden Ärztin bzw . dem behandelnden Arzt begutachtet, ohne dass diese*r vor Ort sein muss . Die ärztliche Visite wird i . d . R . von zwei Pflegefachkräften der Einrichtung unterstützt . Eine Pflegefachkraft kommuniziert mit dem Arzt/der Ärztin und unterstützt diese*n bei der Wundbegutachtung . Die andere Pflegefachkraft übernimmt die Versorgung, die zur Begutachtung erforderliche Positionierung sowie die Kommunikation mit dem/der Bewohner*in . Die Einführung der Televisite wird für das Pflegepersonal der Einrichtung mit Entlastungen auf verschiedenen Ebenen verbunden und betrifft beispielsweise die Reduzierung der zu organisierenden und zu begleitenden Fahrten zum Arzt/zur Ärztin6, aber auch die Vermeidung von Unruheund Verwirrungszuständen bei dementen Bewohner*innen, die durch die Arztfahrten hervorgerufen werden können .
In diesem Kontext entfallen aufwendige Absprachen mit den Angehörigen, die Organisation des Arzttermins und des Krankentransports sowie die Begleitung des/der Bewohner*in in die Arztpraxis .
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Zum Einsatz digitaler Technologien
Rolle und Kompetenzen Einer Pflegefachkraft der betrachteten Einrichtung, die im Rahmen der Televisite mit dem Arzt/der Ärztin interagiert und kooperiert, kommt in zweifacher Hinsicht eine neue Rolle zu . Zum einen agiert sie als Informationsgeber für den Arzt/die Ärztin, indem sie z . B . auf Anweisung die Wunde filmt und diese anhand von diagnostisch bedeutsamen Parametern beschreibt sowie über den Wundverlauf berichtet . Zum anderen handelt sie als Wundexperte, indem sie ihre Erfahrungen über den Wundverlauf und den Zustand des Bewohners/der Bewohnerin sowie ihre Kenntnisse über bisher verwendete Wundmaterialien und angewandte therapeutische Maßnahmen in den Austausch einbringt . Sie übernimmt somit Verantwortung im Rahmen des Begutachtungsprozesses, z . B . durch die Beschreibung des Wundgeruchs, der eine Basis für die ärztliche Diagnostik darstellt . Dieser neue Prozess ermöglicht nach Einschätzung der beteiligten Akteure eine Kommunikation ‚auf Augenhöhe‘ zwischen Arzt/Ärztin und Pflegefachkraft . Die zur Zusammenarbeit benötigten Kompetenzen beziehen sich vor dem Hintergrund der dargestellten Aufgaben und Rollen vor allem auf die Wundbegutachtung (z . B . Fähigkeit, olfaktorische Reize beschreiben zu können) sowie die Kommunikation und Kooperation (interdisziplinäre/-professionelle Zusammenarbeit) . Die Interaktion mit den Bewohner*innen und mit der unterstützenden Pflegefachkraft wird während des Begutachtungsprozesses aufrechterhalten und erfordert kommunikative Kompetenzen sowie Kompetenzen für die Vermittlungsleistung in Bezug auf das Vorgehen bei der Televisite sowie die Einbeziehung des/der Bewohner*in in den Begutachtungsprozess . Für die adäquate Bedienung der Technik sowie für die Schaffung angemessener Rahmenbedingungen für die Nutzung der Technik werden zudem entsprechende Anwendungskompetenzen benötigt . In diesem betrieblichen Einzelfall ändern sich auch die Anforderungen in Bezug auf die Versorgung von Wunden . So werden von den an der Pilotierung beteiligten Pflegefachkräften weitere Kompetenzen im Bereich der Wundversorgung als sinnvoll erachtet . Damit könnte die Digitalisierung auch als Treiber von Weiterbildung in anderen Bereichen betrachtet werden . Zudem trägt nach Einschätzung der beteiligten Akteure die enge Zusammenarbeit zwischen Arzt/Ärztin und Pflegefachkraft zu einem höherem Kompetenzerleben der Pflegefachkräfte in Bezug auf die Wundversorgung bei .
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Mobile elektronische Pflegedokumentation (Fallstudie 2)
Die mobile Pflegedokumentation mittels Tablets in einer stationären Altenpflegeeinrichtung ermöglicht eine ortsflexible Dokumentation sowie einen ortsflexiblen Zugriff auf ermittelte Daten und wird im Rahmen der zweiten betrieblichen Einzelfallstudie betrachtet . Die Tablets werden im Rahmen der Pflegedokumentation für verschiedene Kontexte und Tätigkeiten eingesetzt, wie beispielsweise die Vitalwertkontrolle, die Begleitung von Arztvisiten, die Durchführung der Strukturierten Informationssammlung (SIS) oder die Umsetzung von Pflegeberichtseinträgen . Im Rahmen der hiesigen Betrachtungen steht die Vitalwertkontrolle via Tablets, die die Dokumentation ermittelter Vitalwerte sowie das Feststellen kritischer Wertverläufe umfasst, im Fokus . Zum Zeitpunkt der Durchführung befand sich die Nutzung der mobilen Pflegedokumentation via Tablets noch im Einführungsstadium, so dass sich das beteiligte Pflegepersonal bezüglich der Techniknutzung noch in einer Gewöhnungs- und Lernphase befand .
Arbeitsprozess Die Einführung der Tablet-Nutzung im Prozess der Pflegedokumentation ist eine Ergänzung zu den weiterhin vorhandenen PC-Arbeitsplätzen und erlaubt eine örtliche und zeitliche Verschiebung der Dokumentationstätigkeit im Prozess der Vitalwertkontrolle . So findet die Dokumentation nicht mehr nach dem Abschluss der bei mehreren Bewohner*innen durchzuführenden Messungen im Dienstzimmer oder im Dokumentationsraum statt, sondern direkt in Anschluss am Ort der Messung (z . B . im Wohnbereich, im Bewohnerzimmer oder direkt angrenzend, z . B . im Flur) . Dies führt dazu, dass die aktuellen Daten dem Pflegeteam unmittelbar nach der Messung zur Verfügung stehen . Grundlegend wird der Tablet-Einsatz von den hier beteiligten Akteuren als nützlich und mit Entlastungspotentialen einhergehend eingeschätzt . So entfällt z . B . ein ‚Zwischennotieren‘ oder ein ‚Merken‘ der ermittelten Daten und ggf . fehlerhafte oder vergessene Daten müssen nicht erneut ermittelt werden . Für das Pflegepersonal ist der Tablet-Einsatz in der aktuellen Einführungsphase aber auch mit einigen Herausforderungen verbunden . So wird z . B . die Navigation in der verwendeten App als ungewohnt und zeitaufwendig beschrieben, was zu Stressempfinden und in Teilen (trotz anderslautender Vorgabe) zum Ausweichen auf die Nutzung der gewohnten PC-Software führt . Darüber hinaus führen auftretende Technikprobleme, wie beispielsweise Synchronisations-Probleme oder Datenverluste nach automatischen Log-Outs7, zu Einschränkungen und zusätzlichen Aufwänden . Die physischen Eigenschaften der verwendeten Geräte (hohes Gewicht, große Abmaße) führen beim Pflegepersonal teilweise zu Unsicherheiten in der Handhabung und der Sorge vor sturzbedingten Schäden der Geräte . Aus Datenschutzgründen aktiviert sich nach einer gewissen Zeit ohne Bedienung automatisch erneut der Anmelde-Dialog . Bis dahin noch nicht gespeicherte Dokumentationsdaten können dabei verloren und nach einer erneuten Anmeldung nicht mehr zur Verfügung stehen .
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Zum Einsatz digitaler Technologien
Rolle und Kompetenzen Die Rolle des Pflegepersonals ändert sich im Rahmen der mobilen Pflegedokumentation kaum . Kompetenzen, die sich für die Tablet-Nutzung im Rahmen der Vitaldatenkontrolle als relevant erwiesen, beziehen sich vor allem auf die adäquate Bedienung der Technik . Dadurch, dass die technikgestützte Dokumentation im Beisein der Bewohner*innen direkt nach der Erfassung erfolgt, sind darüber hinaus weitere Kompetenzen, wie z . B . die Vermittlung der Techniknutzung gegenüber dem/der Bewohner*in notwendig . 4 .3 .3
Erkenntnisse aus den betrieblichen Einzelfallstudien
Aus den beiden Einzelfallstudien lassen sich hinsichtlich der Veränderungen der Arbeitsprozesse sowie der benötigten Kompetenzen bereits erste Erkenntnisse ableiten, die im Folgenden zusammenfassend festgehalten sind . In Bezug auf die Arbeitsprozesse zeigt sich, dass im Rahmen der Televisite ein neuer Prozess entsteht, der für das Pflegepersonal mit neuen Abläufen und Aufgaben verbunden ist . Der Einsatz von Tablets zur mobilen Pflegedokumentation ist hingegen eher als Erweiterung und Optimierung des bestehenden Prozesses zu betrachten . Deutlich wird zudem die unterschiedliche Verbreitung der betrachteten Prozesse im beruflichen Handeln des Pflegepersonals . So stellt die Televisite eher eine spezifische Anwendungssituation dar, die bislang nur von wenigen Pflegefachkräften bewältigt werden muss, wohingegen der Tablet-Einsatz eher in stetigen Routinesituationen erfolgt, die vom Pflegepersonal insgesamt zu bewältigen sind . Hinsichtlich des Arbeitsaufwandes ist erkennbar, dass die Nutzung der Televisite mit einer Entlastung für das Pflegepersonal einhergeht . Diese betrifft nicht nur zeitliche Aspekte, sondern auch emotionale Belastungen, die durch die Vermeidung von schwierigen Situationen für die zu Pflegenden, wie z . B . ein Krankentransport, reduziert werden können . Für die betrachtete mobile Pflegedokumentation kann dies aufgrund des Umsetzungsstadiums noch nicht abschließend festgehalten werden . Aber auch hier werden Entlastungspotentiale sichtbar, die in der betrachteten Einführungsphase allerdings noch durch die Herausforderung der Umgewöhnung und technische Schwierigkeiten überschattet werden . Durch die neuen Aufgaben und die direkte Zusammenarbeit mit einem Arzt/einer Ärztin im Rahmen der Televisite übernehmen die Pflegefachkräfte in dieser spezifischen Einrichtung eine stärkere Mitverantwortung für die Wundversorgung, was bei den Pflegefachkräften zur Steigerung ihres Kompetenzerlebens beiträgt . Eine vergleichbare Entwicklung lässt sich für den Prozess des Tablet-Einsatzes zur Pflegedokumentation nicht ausmachen . Ein Blick auf die erforderlichen Kompetenzen durch den Einsatz digitaler Technologien zeigt, dass in beiden Einzelfallstudien sowohl fachliche und kommunikati-
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ve Kompetenzen bezüglich des Umgangs mit verschiedenen im Prozess beteiligten Akteuren, eine Vermittlungskompetenz im Rahmen der Interaktionsarbeit in Bezug auf die anzuwendende Technik sowie technische Kompetenzen in Bezug auf die Nutzung der angewandten Technologie als notwendig erachtet werden . Es zeigt sich aber auch, dass eine Operationalisierung der benannten Kompetenzen bezogen auf die berufliche Handlungssituation erforderlich ist, da jeweils unterschiedliche Aspekte die Handlungssituation und deren Komplexität bestimmen, wodurch verschiedene Operationalisierungen und Ausprägungsgrade in Bezug auf die benannten Kompetenzen erforderlich werden . Die Unterschiede liegen also nicht primär in den erforderlichen Kompetenzen selbst, sondern vielmehr in der Spezifizierung auf berufliche Kontexte sowie im Ausprägungsgrad . Damit bestätigen die hier betrachteten Einzelfallstudien, dass sich die Veränderungen durch den Einsatz digitaler Technologien in ihrer Tragweite in Bezug auf Arbeitsprozesse und Kompetenzanforderungen in Abhängigkeit der jeweiligen beruflichen Handlungssituation unterscheiden . Solche Differenzierungen sind bei der Entwicklung von Ansätzen für die Qualifizierung des Pflegepersonals im Kontext von Aus-, Fort- und Weiterbildung zu berücksichtigen . 4 .3 .4
Grenzen des Vorgehens – Kritische Reflexion
Das hiesige Vorgehen stellt einen explorativen fallbezogenen Zugang zu einem bislang wenig beachteten Forschungsfeld dar . Die skizzierten betrieblichen Einzelfallstudien zum Einsatz digitaler Technologien in der stationären Altenpflege erlauben einen Einblick in Veränderungen auf Arbeitsprozessebene in konkreten Anwendungssettings und sensibilisieren damit für die kontextspezifische Komplexität und Varianz hinsichtlich digitalisierungsbedingter Veränderungen . Durch den spezifischen situativen Feldzugang über betriebliche Fälle lässt sich allerdings nur ein Ausschnitt des beruflichen Handelns des Pflegepersonals betrachten und die Erkenntnisse sind nicht per se auf die Nutzung anderer digitaler Technologien in anderen Anwendungssettings übertragbar . Für eine weitere Fundierung der Erkenntnisse hinsichtlich digitalisierungsbezogener Veränderungen in der Pflege bedarf es einerseits der Betrachtung mehrerer Fälle eines vergleichbaren Settings (z . B . Pflegedokumentation via Tablet in der stationären Altenpflege) sowie der Ausweitung der Betrachtung verschiedener Anwendungssettings (z . B . Pflegedokumentation via Tablet in der ambulanten Altenpflege oder im Akutkrankenhaus) . Letzteres ergibt sich insbesondere aus der Vielfalt der Möglichkeiten des Einsatzes digitaler Technologien . Der hiesige Pilotansatz zeigt jedoch, dass über die Betrachtung konkreter beruflicher Handlungen dezidiertere Erkenntnisse über digitalisierungsbezogene Veränderungen generierbar sind .
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5.
Ausblick
Die aufgezeigten Entwicklungen hinsichtlich des Einsatzes digitaler Technologien in der Pflege sowie die damit verbundenen Veränderungen verdeutlichen, dass sich das berufliche Handeln des Pflegepersonals in fast allen Bereichen verändert . Es wird damit zunehmend bedeutsamer, das Pflegepersonal mit den Entwicklungen sowie den damit verbundenen Konsequenzen zu konfrontieren und für etwaige Folgen bzgl . der Versorgungsprozesse und des eigenen beruflichen Handelns zu sensibilisieren . Somit sollte es weiterhin Ziel sein, mehr über die digitalisierungsbedingten Veränderungen auf Ebene des konkreten Arbeitshandelns zu erfahren . Die hier vorgestellte Pilotuntersuchung stellt einen Ansatz dar, der dies ermöglicht . Allerdings ist eine Ausweitung des Ansatzes auf weitere Fälle, sowohl quantitativ (mehrere Fälle mit dem gleichen Hintergrund) als auch qualitativ (Ausweitung auf unterschiedliche Fälle), erforderlich . Neben dem Erkenntnisgewinn hinsichtlich der arbeitsbezogenen Veränderungen bieten die Einzelfallstudien auch die Möglichkeit, die sich konkretisierenden Fallbeschreibungen im Rahmen der didaktischen Gestaltung beruflicher Lehr-/Lernprozesse zu nutzen (z . B . Fallarbeit) . Die hier im Beitrag mit Blick auf den Pflegeberuf aufgezeigten digitalisierungsbedingten Veränderungen auf Ebene des beruflichen Handelns unterstreichen die Anpassungsnotwendigkeit auch auf Seiten der beruflichen Bildung . Auf curricularer Ebene lassen sich für die Pflegeberufe folgende Impulse festhalten: Von hoher Bedeutung für die Bewältigung neuer bzw . veränderter Arbeitsprozesse scheint eine um digitalisierungsbezogene Aspekte erweiterte Fachkompetenz zu sein . Die Auseinandersetzung mit der Thematik zeigt, dass dies insbesondere die Aufgaben zur Vermittlung der Techniknutzung im Rahmen der Interaktionsarbeit mit zu Pflegenden und/oder Angehörigen, die kritische Einschätzung und Reflexion des Technikeinsatzes unter Berücksichtigung rechtlicher, ökonomischer und ethischer Aspekte sowie die im Zuge der Digitalisierung entstehenden Beratungsprozesse hinsichtlich des Einsatzes digitaler Technologien betrifft . Des Weiteren verweisen die Betrachtungen auf eine steigende Komplexität von Abläufen und Strukturen im Zuge von Digitalisierung . Dieser kann seitens der Berufsbildung damit begegnet werden, dem Wissen über Arbeitsprozesse sowie bestehenden Zusammenhängen zu angrenzenden Arbeits- und Tätigkeitsfeldern eine größere Bedeutung zuzuschreiben (Windelband, 2019; Schirmer, 2020; Wittmann & Weyland, 2020) . Für die vermehrte Arbeit in interdisziplinären Kontexten, die Vermittlung der Techniknutzung, die Beratungen hinsichtlich bestehender digitaler Möglichkeiten sowie die kritische Einschätzung und Reflexion etwaiger Nutzung digitaler Technologien kann ein solches übergreifendes Prozesswissen als unerlässlich betrachtet werden . Als besonders beachtenswert erweist sich die Herausbildung kommunikativer Kompetenzen, die im Kontext von Digitalisierungsprozessen neu zu justieren sind . Darüber hinaus lassen sich Hinweise ableiten, die im Zuge der didaktischen Gestaltung der beruflichen Lehr-Lernprozesse zu berücksichtigen sind . So werden bereits
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bestehende Prinzipien beruflicher Bildung, wie die Handlungsorientierung und die damit verbundene Orientierung an Arbeits- und Geschäftsprozessen sowie die Kompetenzorientierung, im Zuge digitalisierungsbedingter Anforderungserfordernisse in ihrer Bedeutung bestätigt und bekräftigt . Aus der steigenden Bedeutung des Prozesswissens in Bezug auf Arbeits- und Tätigkeitsfelder und deren Schnittstellen lässt sich schließen, dass didaktische Ansätze, wie beispielsweise der in der Pflege häufig herangezogene situationsorientierte Ansatz, die auch Zusammenhänge zwischen den Prozessen in den Blick nehmen, weiter an Bedeutsamkeit gewinnen dürften . Im Zuge der voranschreitenden Digitalisierung bedeutet dies, dass die veränderten digitalen Arbeitsprozesse aufgegriffen und zum Lerngegenstand gemacht werden sollten . Unter dem Blickwinkel digitaler Transformation besteht die Herausforderung darin, dass häufig noch wenig über die tatsächlich auf der Ebene des konkreten beruflichen Handelns entstehenden Änderungen bekannt ist bzw . die hiesigen Entwicklungen sehr dynamisch verlaufen und weiterhin mit schnellen Änderungen zu rechnen ist . Es geht also einmal mehr darum, die im Kontext der Digitalisierung bestehenden Arbeitsprozesse als Gegenstand beruflichen Lernens aufzugreifen und gleichzeitig den Blick auf zukünftige noch unbekannte Entwicklungen zu weiten und auch die Entwicklung von Kompetenzen zum Umgang mit sich ändernden Anforderungen anzubahnen . Dies unterstreicht noch einmal die Notwendigkeit einer stärkeren Beachtung von Digitalisierungsprozessen und damit einhergehenden Veränderungen in den berufsbezogenen Curricula von Aus- und Weiterbildung . Digitale Technologien stärken und fördern zudem das ortunabhängige Lernen und ermöglichen berufliches Lernen noch stärker direkt an konkrete Arbeitsprozesse anzubinden . Insbesondere Ansätze des flexiblen und mobilen Lernens erlauben es, berufliche Handlungssituationen direkt am Ort des Geschehens zum Lerngegenstand werden zu lassen . Konzepte des agilen Lernens, die ein handlungsorientiertes und mediengestütztes Lernen im Arbeitsprozess ermöglichen (Höhne, Bräutigam, Longmuss, & Schindler, 2017; Koschel, Weyland, & Kaufhold, 2021) sind hier besonders hervorzuheben . Der bislang insgesamt unzureichende Erkenntnisstand hinsichtlich mittel- und langfristiger Konsequenzen digitalisierungsbedingter Veränderungen betrifft auch das berufliche Bildungspersonal, welches sich zunächst mit den Veränderungen vertraut machen müsste, um diese als Lerngegenstand aufgreifen und adäquate Konzepte für die Aus-, Fort- und Weiterbildung entwickeln zu können . Die Anstrengungen hinsichtlich dessen Qualifizierungen konzentrierten sich angesichts der zunehmenden Digitalisierung bislang auf die Integration von digitalen Medien in die Gestaltung beruflicher Lehr-/Lernprozesse . So entstanden verschiedene Anforderungskataloge hinsichtlich der zu erlangenden Kompetenzen (KMK, 2017; Härtel et al ., 2018) als auch verschiedene Qualifizierungsangebote (Geiser, Greiwe, & Seeber, 2019) . Die Auseinandersetzung mit der Digitalisierung im Berufsfeld, womit Digitalisierung stärker auch zum Gegenstandsfeld beruflicher Bildung avancieren würde, ist hingegen deutlich
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unterrepräsentiert . So weisen auch Wittmann und Weyland (2020, S . 275 f .) darauf hin, dass bisherige Konzeptualisierungen vordergründig auf medienpädagogische Aspekte abzielen und „digitale Transformationen von Arbeit, Berufs und Gesellschaft“ (ebd ., S . 275) weitestgehend unberücksichtigt lassen . Dabei bleibt unbeachtet, dass für das berufliche Bildungspersonal „dieselben Anforderungen, wie für den Mitarbeiter der Zukunft“ (Gössling, Hagemeier, & Sloane, 2019, S . 555 f .) bestehen . Die Qualifizierung des Bildungspersonals ist somit noch stärker in den Blick zu nehmen, um dies darin zu unterstützen, die Komplexität der digitalisierungsbedingten Veränderungen sowie daraus resultierende Handlungsanforderungen zu erkennen und zu verstehen . Dies ist Voraussetzung dafür, dass die zur Bewältigung erforderlichen Kompetenzen identifiziert und im Rahmen adäquater und die veränderte berufliche Realität aufgreifender Lehr-/Lernszenarien angebahnt werden können . So bleibt abschließend festzuhalten, dass die eingangs als notwendig erachtete Entwicklung adäquater Konzepte für die Aus-, Fort- und Weiterbildung nur dann gut gelingen kann, wenn zunächst eine intensivere Auseinandersetzung mit digitalisierungsbedingten Veränderungen auf Ebene konkreter beruflicher Handlungen sowie eine Sensibilisierung und Qualifizierung des beruflichen Bildungspersonals erfolgt . Literatur
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Zum Einsatz digitaler Technologien
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III.
Herausforderungen im Kontext von Fachkräftesicherung
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität im Kontext des Fachkräftemangels JUTTA MOHR / ISABELLE RIEDLINGER / KARIN REIBER
The Practical Nursing Training – On the Development of Professional Identity in the Context of the Skills Shortage Kurzfassung: Berufliche Identitätsbildung ist ein Prozess, der während der Pflegeausbildung eine
richtungsweisende Prägung erfährt . In diesem Zusammenhang ist der Lernort Praxis von zentraler Bedeutung . Gleichzeitig ist die betriebliche Ausbildungspraxis gekennzeichnet durch einen anhaltenden Fachkräftemangel . Dieser Beitrag beleuchtet den Ausbildungsalltag im Kontext der Fachkräftesicherung anhand empirischer Daten . Es zeigt sich eine Diskrepanz zwischen beabsichtigter und tatsächlicher Ausbildungspraxis . Konsequenzen für die Entwicklung beruflicher Identität werden abgeleitet . Über die berufliche Identität einen nachhaltigen Berufsverbleib zu fördern, kann über die Ausbildung eines professionellen Pflegeverständnisses gelingen . Hierzu bietet die Pflegeberufereform eine Chance . Schlagworte: Berufliche Pflege, Pflegeausbildung, praktische Ausbildung, Fachkräftemangel, berufliche Identität, Identitätsbildung Abstract: Professional identity formation is a process that is shaped during nursing education in
a trend-setting manner . In this process practical training plays a relevant role . At the same time, in-company training practice is characterized by a persistent shortage of skilled workers . This article uses empirical data to shed light on day-to-day training in the context of securing skilled workers . There is a discrepancy between intended and actual training practice . Consequences for the development of professional identity are derived . Promoting retention through professional identity can be achieved through the development of a professional understanding of nursing . The current reform offers an opportunity to do so . Keywords: nursing profession, nursing training, practical training, skills shortage, professional identity, identity formation
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JUTTA MOHR / ISABELLE RIEDLINGER / KARIN REIBER
1.
Problemaufriss
Die berufliche Pflege sieht sich aktuell mit einem Fachkräftemangel konfrontiert, der seit langem zu spürbaren Engpässen in der stationären und ambulanten Versorgung führt . Die Bundesagentur für Arbeit spricht trotz steigender Beschäftigungszahlen von einem manifesten Fachkräfteengpass sowohl in der Alten- als auch Gesundheits- und Krankenpflege (Bundesagentur für Arbeit, 2020, S . 16 f .) . Darüber hinaus ist zukünftig von einem wachsenden Bedarf an Pflegefachpersonen auszugehen (bspw . Flake, Kochskämper, Risius, & Seyda, 2018, S . 32; Schwinger, Klauber, & Tsiasioti, 2020, S . 11 ff .) . Bedingt durch den demographischen Wandel gründet dies auf einen quantitativen Anstieg an Menschen mit Pflegebedarf . Gleichzeitig ist davon auszugehen, dass durch die zunehmende Multimorbidität der Pflegeempfänger*innen auch die Komplexität der Versorgungssituationen zunimmt (Frank & Babitsch, 2018, S . 563; Isfort et al ., 2018, S . 57) . Eine der zentralen Strategien der Personalgewinnung besteht in der Ausbildung in der eigenen Einrichtung (bspw . Lux, 2013, S . 1099) . Die Auszubildenden langfristig an die eigene Einrichtung zu binden, benennen laut des ersten Ergebnisberichts zum Pflege-Panel des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) 89,5 Prozent der Ausbildungsbetriebe als Motivation für die Ausbildung im eigenen Unternehmen (Hofrath, Peters, & Dorin, 2021, S . 29) . Die Beteiligung an beruflicher Qualifizierung als Ausbildungsbetrieb hat zum einen den Vorteil, durch die Übernahme von Ausbildungs-Absolvent*innen Personalfluktuation zumindest teilweise kompensieren zu können . Zum anderen ist bei den Auszubildenden nach dem Examen eine kürzere Einarbeitungszeit erforderlich, da sie betriebsspezifische Strukturen, Prozesse und Abläufe bereits kennen (Lux, 2013, S . 1102) . Die Ausbildung im Hinblick auf die spezifischen Anforderungen des auszubildenden Betriebs formulieren 93,1 Prozent der Leitungspersonen als Motivation, im eigenen Unternehmen auszubilden . Gleichzeitig geben jedoch auch mehr als zwei Drittel der Befragten als Hauptmotivation an, die Auszubildenden produktiv einsetzen zu können (Hofrath et al ., 2021, S . 29) . Inwiefern die Ausbildung einen langfristigen Verbleib im Pflegeberuf nach sich zieht, hängt maßgeblich davon ab, wie die Ausbildung subjektiv erlebt wird (Buchegger-Traxler, 2014, S . 342; Küpper, 2020, S . 101 f .; Reiber, Küpper, & Mohr, 2021, S . 188 ff .) . Einen Ansatzpunkt hierfür bietet das Konstrukt der beruflichen Identität . Studienergebnisse weisen darauf hin, dass eine starke berufliche Identifikation von Pflegefachpersonen mit erhöhter Zufriedenheit, geringerem Stressempfinden und längerem Berufsverbleib einhergeht (Fitzgerald, 2020, S . 469; Huber, 2019, S . 187) und somit zu einer nachhaltigen Fachkräftesicherung beiträgt . Ein wesentlicher Baustein für die berufliche Identitätsbildung wird während der berufspraktischen Ausbildung gelegt . Gerade im Kontext des aktuellen Fachkräftemangels steigt somit die Relevanz der Identitätsbildung in der Pflegeausbildung (Huber, 2019, S . 186 f .) . Während die Ausbildungszahlen steigen, treffen Auszubildende am Lernort Praxis auf eine angespannte Realität, die sich in dem Spannungsfeld von Professionalisierung,
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
Ökonomisierung und Fachkräftemangel bewegt (Mohr et al ., 2020) . Dies hat weitreichende Folgen für die Ausgestaltung und das Erleben der praktischen Ausbildung . In diesem Beitrag wird die Fachkräftesicherung durch Ausbildung unter den aktuellen Bedingungen im Hinblick auf die berufliche Identitätsbildung am Lernort Praxis erörtert . Hierzu wird folgenden Fragen nachgegangen: Wie stellt sich die betriebliche Pflegeausbildung im Kontext des Fachkräftemangels dar? Welche Konsequenzen für die Ausbildung beruflicher Identität der Auszubildenden lassen sich schlussfolgern? Zunächst wird das Konzept der beruflichen Identität erläutert . Der in der Literatur formulierte Zusammenhang zwischen berufspraktischer Ausbildung, beruflicher Identitätsbildung und Berufsverbleib wird aufgezeigt . Zur Illustration werden empirische Daten vorgestellt, die im Rahmen eines Projekts zur Fachkräftesicherung in der Pflege erhoben wurden . Vorgestellt wird die Diskrepanz zwischen der Wahrnehmung von Leitungspersonen hinsichtlich der strukturellen und konzeptionellen Ausrichtung der berufspraktischen Ausbildung in Einrichtungen beruflicher Pflege und der Beschreibung der Situation im beruflichen Alltag aus Sicht von Praxisanleiter*innen, Fach- und Leitungspersonen . Unter Bezugnahme auf diese Ergebnisse werden mögliche Konsequenzen für die berufliche Identitätsbildung der Auszubildenden abgeleitet und reflektiert . Der Beitrag endet mit Überlegungen, wie die praktische Pflegeausbildung zur beruflichen Identitätsbildung beitragen und hierüber der Berufsverbleib gefördert werden kann . 2.
Zur Situation der berufspraktischen Pflegeausbildung
Die berufspraktische Pflegeausbildung findet überwiegend in Akutkrankenhäusern, Einrichtungen der Langzeitpflege und in der ambulanten Pflege statt (Bader, 2021, S . 36) . Dabei unterscheiden sich die ausbildenden Einrichtungen nach Trägerschaft (öffentlich, frei-gemeinnützig und privat) und Größe (Hofrath et al ., 2021, S . 14 ff .) . Bis 2019 konnte eine Ausbildung in Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheitsund Kinderkrankenpflege und Altenpflege absolviert werden . Seit dem Jahr 2020 erfolgt die Pflegeausbildung nach dem Pflegeberufegesetz (PflBG) . Seither ist eine generalistische, d . h . die Versorgungsbereiche und Altersstufen übergreifende Ausbildung, zur/m Pflegefachfrau/-mann möglich .1
Gleichzeitig ermöglicht das Pflegeberufegesetz weiterhin Abschlüsse in Altenpflege und Gesundheitsund Kinderkrankenpflege . Auf die Problematik, die sich hieraus ergibt, wird an dieser Stelle nicht weiter eingegangen . Eine weitere Besonderheit der Pflegeausbildung liegt in ihrer Verortung jenseits des Berufsbildungsgesetzes (BBiG) . Zwar kann die Ausbildung ebenfalls als dual organisiert bezeichnet werden, jedoch unterscheiden sich auch die Schulformen und deren Trägerschaft (Friese, 2018, S . 25) .
1
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JUTTA MOHR / ISABELLE RIEDLINGER / KARIN REIBER
2.1
Ausgangslage
Eine Ausbildung in der Altenpflege begannen im Jahr 2019 insgesamt 27 .309 Personen . In der Gesundheits- und Krankenpflege nahmen im selben Jahr 26 .628 Personen eine Ausbildung auf, in der Gesundheits- und Kinderkrankenpflege 3 .081 (Statistisches Bundesamt, 2020) . Damit stieg die Zahl der Auszubildenden im ersten Schuljahr im Vergleich zum Ausbildungsjahr 2012/2013 in der Altenpflege um 15,5 Prozent und in der Gesundheits- und Krankenpflege um 1,9 Prozent (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2020, S . 183) . An der Ausbildung beteiligen sich fast zwei Drittel der Betriebe . Die Ausbildungsbetriebsquote in den Pflegefachberufen beträgt 64,6 Prozent (Hofrath et al ., 2021, S . 10) . Ab dem zweiten Ausbildungsjahr werden Auszubildende grundsätzlich auf Pflegestellen angerechnet . In Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen beträgt das Verhältnis 9,5 auf eine ausgebildete Pflegefachperson, bei ambulanten Pflegediensten ist das Verhältnis 14 zu eins (§ 27 Abs . 2 PflBG) . Dies stellt zwar eine Verbesserung gegenüber der vorherigen Gesetzeslage dar, da vor der Pflegeberufereform Auszubildende bereits im ersten Ausbildungsjahr auf den Stellenplan angerechnet wurden . Dennoch bedeutet es, dass Auszubildende nach wie vor anteilig als Arbeitskräfte in die Stellenbesetzung eingerechnet werden und zur Bewältigung des Versorgungsauftrags beitragen (müssen) . Die komplexen Anforderungen, die in den Rahmenausbildungsplänen der Fachkommission nach § 53 des Pflegeberufegesetzes entwickelt wurden, stellen einen anspruchsvollen Rahmen für die praktische Ausbildung dar (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020) . Dazu trägt auch die erstmalige Verankerung von vorbehaltlichen Aufgaben entlang des Pflegeprozesses im Pflegeberufegesetz bei (§ 4 Abs . 2 PflBG) . Der Aussage, das die Ausbildungsinhalte anspruchsvoller geworden sind, stimmen 67,7 Prozent der ausbildenden Einrichtungen zu (Hofrath et al ., 2021, S . 23) . Die Praxisanleitung erfährt im PflBG eine Aufwertung, während der praktischen Ausbildung muss ein Anteil von 10 Prozent verpflichtend in Form von Praxisanleitung durch Praxisanleiter*innen mit Zusatzqualifikation nachgewiesen werden (§ 4 PflAPrV) . In dem durch den Personalmangel geprägten Arbeitsalltag findet Praxisanleitung jedoch oftmals spontan und unstrukturiert statt (Bader, 2021, S . 66 f .) . Frühere Erhebungen zeigen, dass Praxisanleitung häufig dem Personalmangel ganz zum Opfer fällt . Bspw . ergab eine Befragung des Landespflegerats Baden-Württemberg im Jahr 2014 unter Praxisanleiter*innen aller Pflegeausbildungsgänge in Bezug auf die geforderten Praxisanleitungs-Stunden, dass bis zu zwei Drittel der gesetzlich vorgeschriebenen Anleitungen nicht stattfanden, u . a . aufgrund chronischer Unterbesetzung, fehlender Freistellung oder einer zu geringen Zahl an Praxisanleiter*innen (Landespflegerat Baden-Württemberg, 2014, S . 15 f .) . Während in der aktuellen Ausbildung ein Anteil von 10 Prozent an Praxisanleitung nachgewiesen werden muss, ist der überwiegende Anteil der berufspraktischen Ausbildung auch nach der Pflegeberufereform ungeregelt (Twenhöfel, Machl, & Memmel, 2020, S . 108) . Er findet häufig in der
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
Begegnung und Zusammenarbeit mit Pflegefachpersonen sowie durch deren beiläufige Anleitung statt, die dabei keine ausgewiesene Rolle innehaben und keine berufspädagogische Qualifikation aufweisen (Dielmann, 2021, S . 349) . Flaiz (2018) kommt in ihrer australisch-deutschen Vergleichsstudie zu dem Ergebnis, dass sich die unterschiedlichen ökonomischen Voraussetzungen, die sich in Deutschland in einer wesentlich niedrigeren nurse-to-patient Relation zeigen, auch im Pflegeverständnis widerspiegeln . So formulieren Pflegefachpersonen in Deutschland eher eine „Orientierung an Abläufen“ (ebd ., 2018, S . 333), die sie unter den aktuellen normativen und strukturellen Vorgaben verinnerlicht haben .2 Dieses Verständnis lässt sich auch in den Beurteilungen von Auszubildenden am Ende ihrer Praxiseinsätze wiederfinden . So wird bspw . eher die Schnelligkeit der Arbeit bewertet als der aktuelle Lernstand oder das Pflegeverständnis (Balzer, 2019, S . 191) . Die Diskrepanz zwischen der geringen Lernunterstützung und enttäuschten Erwartungen an die Auszubildenden nach ihrem Examen stellte Cassier-Woidasky bereits 2007 fest (Cassier-Woidasky, 2007, S . 354) . 2.2
Ausbildungserleben aus Sicht der Auszubildenden
Im Arbeitsalltag fühlen sich Auszubildende dem Widerspruch zwischen dem pflegefachlichen Anspruch und der Sicherung der Arbeitsabläufe ausgesetzt (bspw . Kersting, 2016, S . 23 ff .) . Sie entwickeln eine sogenannte „Chamäleonkompetenz“ (Balzer, 2019, S . 192), die sie befähigt, sich den jeweiligen Anforderungen „flexibel, kreativ, schnell und oftmals unauffällig“ (ebd ., S . 334) anzupassen . Kühme beschreibt als eines der zentralen Elemente des Lernens im Pflegealltag, „Hierarchien und Riten“ (Kühme, 2015, S . 175) zu erkennen und das eigene Handeln daran auszurichten (ebd .) . Gleichzeitig werden Arbeitspensum und Zeitdruck von den Betroffenen durchgängig als hoch eingeschätzt . Diese erlebte Diskrepanz zwischen gewünschter und erlebter Belastung zeigt sich relativ früh in der Ausbildung und vergrößert sich im weiteren Ausbildungsverlauf (Mir, Kada, Brunkel, Kohlmann, & Kohlmann, 2016, S . 86) . Dabei ordnen „die Auszubildenden (…) ihr schulisches Wissen von methodisch-reflexiver Arbeit in der Pflege dem unter (…), was ihnen durch das Vorbild der Pflegenden vermittelt wird“ (Kühme, 2015, S . 116) . Ebenso spüren Auszubildende eine mangelnde Übereinstimmung zwischen gewünschter und wahrgenommener Zusammenarbeit in Bezug auf die soziale Unterstützung durch die ausgebildeten Fachpersonen . Insgesamt äußern 42,6 Prozent der Auszubildenden, dass sie sich in ihrer
Im Gegensatz hierzu zeigt sich bei den australischen Pflegefachpersonen eine Begründung des pflegerischen Handelns aufgrund einer gemeinsamen professionellen Identität, die zwar auf eine hochschulische Ausbildung, jedoch auch auf andere Rahmenbedingungen, wie bspw . eine wesentlich höhere nurse-to-patient Relation (Flaiz, 2018, S . 336), zurückzuführen ist . Die Diskussion um die Notwendigkeit einer hochschulischen Verortung der Pflegeausbildung kann an dieser Stelle nicht geführt werden .
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berufspraktischen Ausbildung (überwiegend) nicht gut angeleitet und auf die Anforderungen des Berufes vorbereitet fühlen (ver .di, 2015, S . 33) . Lediglich 33,4 Prozent der Auszubildenden geben an, nie an einen Ausbildungsabbruch zu denken . Letztlich äußern nur 5,8 Prozent der Befragten, sich vorstellen zu können, bis zum Rentenalter im Pflegeberuf zu verbleiben (Küpper, 2020, S . 79, 97) . Dabei gibt es einen hochsignifikanten Zusammenhang zwischen dem arbeitsbezogenen Kohärenzgefühl, gemessen anhand dem Erleben von Sinnhaftigkeit, Verstehbarkeit und Handhabbarkeit der Tätigkeiten, und dem geplanten Berufsverbleib (Küpper, 2020, S . 86) . Die Strategien der Auszubildenden, im Arbeitsalltag zurecht zu kommen, reichen von „(offenbar) unreflektierte[r] Anpassung an Stationsroutinen“ (Balzer, 2019, S . 199) und „bewusster fehlerhafter Durchführung“ (ebd .) bis hin zur „konsequenten Durchführung ‚schulischer Pflege‘“ (ebd .) . 3.
Zum Prozess beruflicher Identitätsbildung
Wie Auszubildende ihren Arbeitsalltag am Lernort Praxis und ihre Anleitesituationen erleben, hat nicht nur Einfluss auf die Entwicklung ihrer Kompetenzen, sondern auch ihrer beruflichen Identität . In diesem Kapitel werden das Konstrukt der beruflichen Identität vorgestellt und die Identitätsbildung während der Ausbildung beleuchtet . Eine Erläuterung der Dimensionen beruflicher Identität erfolgt auf der Grundlage einer im internationalen pflegewissenschaftlichen Kontext entwickelten Operationalisierung . 3.1
Das Konstrukt beruflicher Identität in den Pflegeberufen
Berufliche Identität kann als eine konstruierte Teilidentität der eigenen Identitätsarbeit bezeichnet werden, die sich in der eigenen Wahrnehmung als Berufsangehörige*r äußert . Der Begriff der Identitätsarbeit weist darauf hin, dass sich die eigene Identität in der Auseinandersetzung mit der Umwelt und ihren „unterschiedlichen gesellschaftlichen Erwartungen und Möglichkeiten“ (Thiersch, 2015, S . 46) in einem stetigen Prozess herausbildet . Die berufliche Identität zeigt sich im eigenen Selbst- und Kohärenzgefühl und bedingt wiederum die eigene Haltung und Handlungsfähigkeit (Cassier-Woidasky, 2011, S . 176; Fischer, 2013, S . 107 ff .; Keupp, 1999, S . 128) . „Berufliche Identität meint dabei eine relativ dauerhafte, situationsübergreifende Motivation zur und innere Verbundenheit mit der spezifischen Tätigkeit und Arbeitsrolle, die aufgrund von Außenwahrnehmung und -anerkennung auch Teil sozialer Identität ist“ (Baethge, 2017, S . 46 f .) . Diese Definition deutet an, dass sich die eigene berufliche Identität in der Auseinandersetzung mit beruflichen Sozialisationsprozessen und als Teil der Persönlichkeitsbildung entwickelt (Flaiz, 2018, S . 364; Huber, 2019, S . 186; Johnson, Cowin, Wilson, & Young, 2012, S . 564) . Bezugnehmend auf die Defi-
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
nition von Sozialisation nach Hurrelmann und Bauer geht es um die Suche und das Bestreben, die „persönliche Individuation mit der gesellschaftlichen Integration in Einklang zu bringen, um die Ich-Identität zu sichern“ (Hurrelmann & Bauer, 2020, S . 97) . Kennzeichnend für berufliche Sozialisationsprozesse sind das „Lernen und Verlernen für und durch unmittelbar soziale Aspekte gesellschaftlich organisierter Ausbildung und Arbeit“ (Lempert, 2006, S . 414) . Sie finden nicht geplant statt, sondern als „Begleiterscheinungen anderer Lern- oder Arbeitsprozesse“ (ebd .) . Berufliche Identität kann somit als Outcome beruflicher Sozialisationsprozesse bezeichnet werden, während derer – neben der Entwicklung entsprechender Kompetenzen – Einstellungen, Werte und Verhaltensweisen internalisiert werden, die innerhalb der Berufsgruppe geteilt werden (Maginnis, 2018, S . 92) . Identitätsbildung ist ein dynamischer und offener Prozess . Sie beginnt bereits vor Eintritt in die Ausbildung (Johnson et al ., 2012, S . 564) und zieht sich durch die verschiedenen Phasen des Arbeitslebens und darüber hinaus (Huber, 2019, S . 184) . „Die alltägliche Identitätsarbeit sucht in spezifischen Identitätsprojekten situativ stimmige Passungen im Verhältnis von inneren und äußeren Erfahrungen zu entwickeln . Durch diese Passungen soll die individuelle Handlungsfähigkeit gesichert werden“ (Keupp, 2018, S . 650) . Dies hat Auswirkungen auf die Arbeitszufriedenheit . In einem unbewussten Prozess findet ein kontinuierlicher Ist-Soll-Vergleich zwischen den eigenen Erfahrungen und dem Verständnis der Situationen und Tätigkeiten statt, der sich in der wahrgenommenen Un-/Kontrollierbarkeit äußert und je nachdem zu einer beruflichen Zufriedenheit beiträgt (Büssing, Herbig, Bissels, & Krüsken, 2005, S . 139) . Kritisch am Konstrukt der beruflichen Identität ist „der hohe Abstraktionsgrad […] [anzumerken, Ergänzung der Ver .], der seine Konkretisierung in Bildungsprozessen und empirische Überprüfbarkeit erschwert“ (Thole, 2015, S . 6) . Es lässt sich eine Diversität der theoretischen Bezüge (ebd .), Definitionen und Dimensionen feststellen . Dies wird bei dem Versuch deutlich, dass Konstrukt berufsgruppenübergreifend zu fassen, da die Definitionen besonders innerhalb der unterschiedlichen Disziplinen divergieren (Kuscher, 2020, S . 26) . Auswirkungen lassen sich auch auf die forschungsmethodologischen Zugänge und die Untersuchung beruflicher Identität in der Domäne Pflege beobachten (bspw . Fischer, 2013; Flaiz, 2018; Gerlach, 2013) . Zudem lässt sich eine mangelnde Trennschärfe zwischen den Begrifflichkeiten/ Dimensionen von beruflicher und professioneller Identität feststellen .3 Aufgrund dieDies ist auch auf die internationalen Bezüge zurückzuführen, da im Ausland dem Pflegeberuf eine hochschulische Ausbildung zu Grunde liegt . Gerlach verbindet bei ihrer Untersuchung professionelle Identität, die im akademischen Kontext gebildet wurde, mit kollektiv geteilter Orientierung an pflegewissenschaftlichem Wissen (Gerlach, 2013, S . 120) . Fischer argumentiert mit den unterschiedlichen Logiken beruflicher und hochschulischer Ausbildung (Vermittlung von Kompetenzen vs . Vermittlung wissenschaftlichen Wissens; Fischer, 2013, S . 82) . Dennoch bestehen hier Unschärfen . Flaiz begründet die Verwendung von professioneller Identität mit dem internationalen Bezug ihrer Forschungsarbeit und der Integration der beruflichen und der hochschulisch Ausgebildeten in den Term professionell (Flaiz, 2018, S . 191) .
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ser begrifflichen Unschärfe in der Verwendung des Begriffs im deutschsprachigen Diskurs, wird in diesem Beitrag berufliche Identität im Sinne von professional identity mit der nachfolgend beschriebenen angloamerikanischen Konnotation genutzt . Fitzgerald identifizierte mittels einer Begriffsanalyse als Dimensionen der professional identity innerhalb der Domäne Pflege die Sozialisation bzgl . der Merkmale berufstypisches Handeln und Verhaltensweisen, Wissen und Kompetenzen sowie berufsimmanente Werte und berufsethische Grundlagen. Die Ausprägungen dieser Merkmale haben Einfluss auf Berufszufriedenheit und -verbleib (Fitzgerald, 2020, S . 449 ff .) .4 Berufstypisches Handeln und Verhaltensweisen beschreibt, wie Pflegefachpersonen als Pflegefachpersonen handeln . Dabei übernehmen sie kontextabhängig Handlungen, Kommunikation und Verhaltensweisen anderer Pflegefachpersonen (ebd ., S . 449, 467) . Wissen und Kompetenzen gründen auf einer geteilten Wissensgrundlage, Erfahrung und professionellem Lernen . Das schließt die Anwendung des Wissens ein (ebd ., S . 467) . Berufsimmanente Werte und berufsethische Grundlagen werden am stärksten mit professional identity in Verbindung gebracht . Sie entwickeln sich auf der Basis von Wissen und Kompetenzen, weisen jedoch darüber hinaus (ebd .) . Es geht somit um „kollektiv geteilte Vorstellungen, Verständnisse und Wissensformen der Profession Pflege“ (Flaiz, 2018, S . 191) . 3.2
Berufliche Identitätsbildung im Rahmen der Pflegeausbildung
Während der Pflegeausbildung werden wesentliche Grundsteine der beruflichen Identität als Pflegefachperson gelegt . Es vollzieht sich eine richtungsweisende Prägung hinsichtlich des Zugehörigkeits- und Kohärenzgefühls (Worthington, Salamonson, Weaver, & Cleary, 2013, S . 188), die sich trotz des prozessualen Charakters der Identitätsbildung im Verlauf des Berufslebens eher zu verfestigen scheint (Flaiz, 2018, S . 375) .5 Die berufliche Identitätsentwicklung während der Ausbildung ist primär geprägt durch das Erleben an den Lernorten Schule und Praxis . Besonders das im lernorganisatorischen Sinne arbeitsgebundene Lernen währen der praktischen Ausbildung „im realen Arbeitsprozess“ (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020, S . 17) bietet realistische Lernanlässe in ihrer Komplexität und Nicht-Standardisierbarkeit (ebd ., S . 17), die zur Identitätsbildung beitragen (Jürgensen & Dauer, 2021, S . 13) . Praxisanleiter*innen und Pflegefachpersonen in der praktiDaneben konnte im klinischen Setting ein Zusammenhang zwischen den Ausprägungen beruflicher Identität und Patient*innen-Outcomes sowie Patient*innensicherheit festgestellt werden (Fitzgerald, 2020, S . 469) . 5 Es wäre sicherlich interessant zu untersuchen, in wieweit sich im klinischen Kontext die beruflichen Identitäten von Pflegefachpersonen der unterschiedlichen Berufsbezeichnungen (Krankenschwester/Pfleger, Gesundheits- und Krankenpfleger/in, Pflegefachfrau/-mann) unterscheiden, da die Ausbildungsgänge jeweils auf unterschiedliche Gesetzesgrundlagen und Lernbedingungen gründen . 4
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
schen Ausbildung sind Vorbilder für Identitätsentwürfe (Maginnis, 2018, S . 94), die in ihrer Diversität einen Pool und ein Spektrum an Rollenvorbilden bilden . Sie können der Unterstützung bei der Bewältigung beruflicher Anforderungen dienen und zu einer Selbstpositionierung der Auszubildenden im kollegialen Team beitragen . Damit wird sowohl Praxisanleiter*innen als auch Pflegefachpersonen – neben dem schulischen Berufsbildungspersonal – eine prägende Rolle für die Ausbildung einer beruflichen Identität als Pflegefachperson zugeschrieben (ebd .; Worthington et al ., 2013, S . 190) . Somit erhält der Lernort Praxis eine zentrale Bedeutung in Bezug auf die Identitätsbildung . Dabei ist die Entwicklung von beruflicher Handlungskompetenz und Identität eng miteinander verbunden (Cassier-Woidasky, 2007, S . 105; Fischer, 2013, S . 109 ff .), bzw . kann berufliche Identität als Teil beruflicher Kompetenz betrachtet werden (Fischer, 2013, S . 110; Jürgensen & Dauer, 2021, S . 49) . Pflegeberufliche Identitätsbildung von Auszubildenden findet innerhalb der Antinomien beruflichen Handelns statt, die sich in Form von Dilemmata-Situationen abbilden (Kühme, 2020, S . 19 f .) . Dabei bewegt sich die Identitätsbildung in der Pflegeausbildung innerhalb diverser Spannungsfelder: (1) Auszubildende (und Pflegefachpersonen) balancieren in ihrer Alltagsbewältigung zwischen eigenen Vorstellungen, beruflichen Werten sowie normativen und sozioökonomischen Realitäten (Kersting, 2016, S . 22 ff .) . Das äußert sich bspw . darin, dass Auszubildende in der Gesundheits- und Krankenpflege ihre Arbeit als überdurchschnittlich sinnhaft, im Gegensatz hierzu jedoch als unterdurchschnittlich versteh- und handhabbar bewerten (Küpper, 2020, S . 81) . (2) Die berufspraktische Ausbildung steht in einem Spannungsfeld zwischen Ausbildungs- und Versorgungsauftrag (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020, S . 29 f .) . Die Diskrepanz zwischen dem Erwartungshorizont der Auszubildenden (Lernen in der Pflegesituation) und den Pflegefachpersonen (Lernen institutioneller Abläufe) kann zu unterschiedlichen Deutungen im Ausbildungsalltag führt (Kühme, 2020, S . 168) . (3) Die Entwicklung beruflicher Identität von Auszubildenden bewegt sich zwischen „Selbstständigwerden“ (Bohrer & Walter, 2015, S . 26), der eigenen „Position als Lernende“ (ebd .) unter dem Einfluss von „Modellpersonen“ (ebd .) . Dabei geht es um ein kontinuierliches Lavieren zwischen Anpassung und Abgrenzung . Modellpersonen und das konkrete Erleben der Alltagspraxis spielen hierbei eine zentrale Rolle (ebd .) . Identitätsentwicklung kann somit als Bildungsprozess beschrieben werden, der sich in der Selbstbehauptung äußert (ebd ., S . 30) . Auszubildende verfügen über eine sensible Wahrnehmung des erlebten Arbeitsalltags . Wenn der Prozess der beruflichen Identitätsentwicklung von Auszubildenden in der beruflichen Pflege über die gesamte Ausbildung analysiert wird, lässt sich feststellen, dass zu Ausbildungsbeginn bereits eine starke Ausprägung der beruflichen Identität vorliegt, diese sich aber während der Ausbildung nicht weiterentwickelt . Erst mit dem Eintreten in die Berufstätigkeit ist wieder ein Zuwachs zu verzeichnen (Fischer, 2013, S . 270) . Auch wenn der Prozess der Identitätsbildung nach der Ausbildung nicht
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abgeschlossen ist, werden hier relevante Weichen gestellt in Bezug auf die (Weiter-) Entwicklung des beruflichen Selbstverständnisses und der Berufsidentifikation (Bohrer & Walter, 2015, S . 30), die Einfluss auf die berufsbiographische Entwicklung haben (Reiber et al ., 2021, S . 192) . Rollenvorbilder und Bezugspersonen spielen hierbei eine wichtige Rolle (Fitzgerald, 2020, S . 469) . Zusammenfassend kann im Hinblick auf die berufliche Identitätsentwicklung konstatiert werden, dass der Grundstein beruflicher Identität als Teil der eigenen Identität über die gesamte Pflegeausbildung hinweg angelegt wird . Dies wird als kontinuierlicher, unbewusster Prozess beschrieben und hat Einfluss auf die berufliche Zufriedenheit und den Berufsverbleib . Dem Lernort Praxis kommt hierbei eine tragende Rolle zu . Die beschriebenen Spannungsfelder, in denen sich die berufspraktische Pflegeausbildung bewegt, werden nachfolgend anhand empirischer Daten diskutiert und mögliche Implikationen für die berufliche Identitätsbildung abgeleitet . Auf der Grundlage der Daten eines Forschungsprojekts zur Fachkräftesicherung wird zunächst in Kapitel 4 präsentiert, wie die praktische Ausbildung in den Einrichtungen aus Sicht von Leitungspersonen aktuell aufgestellt ist und sich die Ausbildungsrealität aus der Perspektive von Leitungspersonen und Pflegefachpersonen darstellt . 4.
Die berufspraktische Pflegeausbildung aus Sicht von Leitungspersonen, Fachpersonen und Praxisanleiter*innen
Die Herausforderungen, mit denen sich die berufspraktische Ausbildung aktuell konfrontiert sieht, treffen auf eine Realität, die diesen vermeintlich präpariert und gut strukturiert begegnet . Dennoch stößt deren adaptive Bewältigung immer wieder an Grenzen . Diese Disparitäten werden nachfolgend anhand empirischer Daten erläutert . Die hier präsentierten Ergebnisse wurden im Rahmen des Forschungsverbunds ZAFH care4care6 erhoben, der sich mit dem Themenkomplex der Fachkräftesicherung in der Pflege beschäftigt . An dieser Stelle sei darauf verwiesen, dass das primäre Ziel der hier vorgestellten Erhebung nicht in der Analyse beruflicher Identität lag, sondern das Konstrukt der beruflichen Identität dazu dient, die Auswirkungen des Fachkräftemangels auf die praktische Ausbildung und die Relevanz der Ausbildung beruflicher Identität vor dem Hintergrund der Fachkräftesicherung zu verdeutlichen . Ziel der ersten Phase des Verbundprojekts war es, Problemfelder der Fachkräftesiche-
Zentrum für angewandte Forschung an Hochschulen (ZAFH) care4care, gefördert durch das Land Baden-Württemberg unter Einbezug von EFRE-Strukturmitteln . Verbundpartner des ZAFH care4care sind die Hochschule Ravensburg-Weingarten und das Institut für Angewandte Wirtschaftsforschung e . V . Ziel der zweiten Förderphase ist es, Handlungsansätze zu entwickeln, die zur Gewinnung und Bindung von Fachpersonen in der Pflege beitragen . Weitere Informationen finden sich unter www .zafh-care4care .de
6
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
rung in der Pflege zu untersuchen . Dazu wurden von 2017 bis 2020 Spannungsfelder der Fachkräftegewinnung und -bindung in der Pflege multimethodisch analysiert . Die hier präsentierten Daten entstammen dem Teilprojekt der Hochschule Esslingen . Der Fokus des Teilprojekts lag auf der Analyse der betrieblichen Personalpolitik und Berufsbildung sowie des strukturellen und gesellschaftspolitischen Rahmens, in dem diese stattfindet . Es wurde u . a . untersucht, wie und in welcher Intensität im Rahmen der Fachkräftesicherung gehandelt wird, wie sich die Handlungsansätze auf unterschiedlichen Ebenen abbilden, welche Handlungs- und Zielkonflikte bestehen und welche Erfordernisse wahrgenommen werden . Dieser Beitrag beleuchtet Aspekte der betrieblichen Ausbildungspraxis . Somit wird nur ein kleiner Ausschnitt der Ergebnisse zur Illustration der Auswirkungen auf die berufliche Identitätsbildung berichtet . Ein weiterer Beitrag in diesem Heft nimmt Bezug auf einen anderen Ausschnitt der modifizierten Delphi-Befragung mit dem Fokus auf Fort- und Weiterbildung als Teil des Themenkomplexes Personalentwicklung . 4.1
Forschungsmethodisches Vorgehen
Zunächst fand zur Problematik der Fachkräftesicherung eine themenübergreifende Literaturrecherche in gängigen Datenbanken der Pflegewissenschaft und Pädagogik, wie bspw . CINAHL und Fachportal Pädagogik, statt . Dazu wurden die zwei Themenfelder Fachkräfte halten und Fachkräfte gewinnen, die Fokus der Teilprojekte in Verantwortung der Hochschule Esslingen waren, Fachkräfte halten und Fachkräfte gewinnen in vorläufige Themenbereiche operationalisiert, wie bspw . Arbeitsbedingungen oder Ausbildung . Ergänzt wurde die Datenbanksuche um eine Handrecherche nach dem Schneeballprinzip und eine Recherche aktueller Projekte, die zur Fachkräftesicherung beitragen . Um die Themen in ihrer Breite zu erfassen und keine relevanten Aspekte zu übersehen, folgten als nächster Schritt explorative Expert*innen-Interviews . Der Schwerpunkt der Erhebung der Hochschule Esslingen lag auf einer modifizierten, dreistufigen Delphi-Befragung und fokussierten multiperspektivischen Betriebsfallstudien, die durch validierende Expert*innen-Interviews ergänzt wurden . Nachfolgende Tabelle 1 gibt einen Überblick über das methodische Vorgehen . Die Datenerhebungen fanden vor der Ausbildungsreform im Jahr 2020 statt . Dennoch können die Ergebnisse als bedingungsrelevant angesehen werden, da sie die Handlungsintensität der Einrichtungen und deren Grenzen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels abbilden . Die Ausbildungsrealität ist sowohl Ausgangslage als auch Vorbedingung der Umgestaltung der Ausbildung . Die Umgebungsbedingungen, unter denen Ausbildung stattfindet, ändern sich hierdurch nicht, der Ausbildungsauftrag zeigt sich nach wie vor dem Versorgungsauftrag nachgeordnet (Jakobs & Vogler, 2020, S . 36) . In der durch den Gesetzgeber geforderten fachlichen Ausrichtung der Ausbildung am Pflegeprozess besteht eine Herausforderung (ebd ., S . 40) . Diese Aus-
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Tab. 1 Forschungsmethodisches Vorgehen Methode
Fokus
Sample
Datenerhebung
Datenauswertung
Explorative Expert*innenInterviews
– Exploration des Themenfeldes
n = 10 Interviews mit Fachpersonen unterschiedlicher Qualifikationen und Funktionen in der Pflegepraxis (Pflegefachperson bis zu Leitungsperson)
Semi-strukturierte Leitfaden-Interviews mit narrativen Erzähleinheiten
Anhand inhaltsanalytischer Elemente (KUCKARTZ, 2016, S. 101 ff.)
Modifizierte DelphiBefragung
– Handlungsintensität in Bezug auf die Fachkräftesicherung – Fördernde Rahmenbedingungen und Erfolgsfaktoren – Forderungen für die Rahmung von Pflege
n = 125 (26,8 %) pflegefachliche Schul- und Einrichtungsleitungen in der Region NeckarAlb (Vollerhebung)7 Teilnehmende der einzelnen Runden: Runde 1: n = 82 Runde 2: n = 75 Runde 3: n = 66
Teilstandardisierte Onlinebefragung in drei Wellen
Geschlossene Fragen: deskriptiv mit SPSS Offene Fragen anhand inhaltsanalytischer Elemente (KUCKARTZ, 2016, S. 101 ff.)
Fokussierte multiperspektivische Betriebsfallstudien
– Umgangsweisen mit dem und Lösungsideen hinsichtlich des Fachkräftebedarf(s) auf unterschiedlichen Akteursebenen – Rekonstruktion komplexer Wirkungszusammenhänge in den Einrichtungen
n = 20 Interviews – In jeweils zwei Kliniken und stationären Pflegeeinrichtungen – Einzelinterviews mit Leitungspersonen, Beschäftigtenvertretungen und Repräsentant*innen der Bereiche Kommunikation, Qualitätsmanagement und Pflegepädagogik – Zwei Gruppendiskussionen pro Einrichtung mit Pflegefachpersonen
Interviews mit semistrukturierten Leitfäden, Gruppendiskussionen
Vergleichend über die gleiche Hierarchieebene und kontrastierend zwischen den unterschiedlichen Hierarchieebenen eines Betriebes mittels Dokumentarischer Methode (AMLING & VOGD, 2017; NOHL, 2017)
Validierende Expert*innenInterviews
– Kommunikative Validierung der Ergebnisse
N = 6 Interviews, eines davon in Form einer Gruppendiskussion mit Expert*innen bspw. aus Politik, Verbänden, Hochschulen
Fokussierte leitfadengestützte Interviews
Anhand inhaltsanalytischer Elemente (KUCKARTZ, 2016, S. 101 ff.)
Die Mitwirkung an einer vorherigen Runde war keine Voraussetzung, um an den weiteren Befragungsrunden teilzunehmen . Weitere Informationen zum methodischen Vorgehen finden sich in Lämmel, Mohr, & Reiber (2019, S . 241 ff .) .
7
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
richtung stellt eine explizite Neuerung des Pflegeberufegesetzes dar, somit ist die Übertragbarkeit der präsentierten Daten diesbezüglich limitiert . Zu Beginn wurden die explorativen Interviews zu Schlüsselthemen verdichtet . Hierzu wurden zunächst in Einzelarbeit relevante Textstellen identifiziert und codiert, die Codes wurden Kategorien (Schlüsselthemen) zugeordnet . Die Ergebnisse wurden verglichen, widersprüchliche Zuordnungen gemeinsam diskutiert . In der Zusammenschau der Interviews wurden Subkategorien gebildet, Zusammenhänge zwischen den Subkategorien wurden analysiert (Kuckartz, 2016, S . 101 ff .) . Die Schlüsselthemen bildeten die übergeordneten Dimensionen für die modifizierte Delphi-Befragung und die fokussierten Betriebsfallstudien . Neben übergeordneten Themen, wie die Finanzierung von Pflegeleistungen, Migration und sektorenübergreifende Zusammenarbeit, wurden betriebliche Themen identifiziert, die im Gestaltungsbereich der Einrichtungen liegen . Eines dieser Schlüsselthemen ist der Themenkomplex Ausbildung.8 In der modifizierten Delphi-Befragung und den Betriebsfallstudien wurde neben den anderen Themen die Ausgestaltung der praktischen Ausbildung quantifiziert und konkretisiert . Die modifizierte, dreistufige Delphi-Befragung kann einem Typ 3-Delphi zur Ermittlung eines unsicheren Sachverhalts zugeordnet werden (Häder, 2014, S . 33) . Zu dem komplexen und mehrdimensionalen Sachverhalt Fachkräftesicherung liegen wenige Untersuchungen zu Handlungsintensität, Wissen, konkreten Maßnahmen der Einrichtungen in Bezug auf die Fachkräftesicherung und zur Abschätzung der Relevanz der Themenkomplexe in ihrer Bedeutung für die Fachkräftesicherung vor . Aus diesem Grund wurde in der ersten Runde der Befragung ein Vorgehen mit quantitativen (bspw . zu der Handlungsintensität) und qualitativen Anteilen (bspw . zu den angewendeten Maßnahmen) gewählt . In der zweiten Runde erfolgte eine Quantifizierung der Maßnahmen . Die erste und dritte Runde beinhalteten ein Ranking der identifizierten Themenbereiche in Bezug auf ihre Wirksamkeit hinsichtlich der Fachkräftesicherung . Die fokussierten multiperspektivischen Betriebsfallstudien beleuchteten betriebliche Lösungsideen, Maßnahmen und Strategien im Umgang mit dem Fachkräftebedarf auf unterschiedlichen pflegerischen Akteursebenen . Dabei wurden die verschiedenen Herausforderungen, Gelingensbedingungen und komplexe Wirkungszusammenhänge sowohl innerhalb des jeweiligen Betriebes als auch kontrastierend zwischen den unterschiedlichen Betrieben anhand identifizierter Kategorien analysiert . Die Kategorien wurden anhand der subjektiv gesetzten thematischen Schwerpunkte der interviewten Personen gebildet .
Daneben konnten die Ergebnisse den Themenbereichen Partizipation, Personalentwicklung, Arbeitsorganisation, Führung sowie intra- und interprofessionelle Zusammenarbeit zugeordnet werden .
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4.2
Ergebnisse: Strategische Verankerung der praktischen Ausbildung
Zunächst werden die Einschätzungen von Leitungspersonen in der modifizierten Delphi-Befragung hinsichtlich der strukturellen und konzeptionellen Ausrichtung der praktischen Ausbildung präsentiert . In der ersten Runde der modifizierten Delphi-Befragung wurden die Leitungspersonen nach ihrer Handlungsintensität bzgl . der praktischen Ausbildung gefragt . Die Antwortskala bildet unterschiedliche Intensitätsstufen des Handelns ab: Höchster Intensitätsgrad ist eine Strategie, die konsequent verfolgt wird, und die geringste Ausprägung wird mit der Antwortoption derzeit werden keine Maßnahmen angewandt markiert . Die Handlungsintensität in der Begleitung und Anleitung von Auszubildenden wird als durchgängig hoch eingeschätzt . Insgesamt geben 83 Prozent der Einrichtungsleitungen an, hierfür eine Strategie zu haben, 58 Prozent wenden ihre Strategie konsequent an (Abbildung 1) .9 57,9%
0,0%
10,0%
20,0%
30,0%
24,6%
40,0%
50,0%
60,0%
70,0%
80,0%
15,8%
1,7%
90,0%
100,0%
Wir haben eine Strategie und wenden diese konsequent an.
Wir haben eine Strategie und setzen diese teilweise um.
Wir ergreifen verschiedene Maßnahmen.
Wir ergreifen aktiv keine Maßnahmen.
Abb. 1 Handlungsintensität in der Begleitung und Anleitung von Auszubildenden (n = 57) (eigene Darstellung)
Im Anschluss an die Fragen zur strategischen Verankerung wurden die Leitungspersonen in einer offenen Frage nach konkreten Maßnahmen gefragt, die sie in ihrer Einrichtung umsetzen . Die offenen Antworten wurden thematisch geclustert . Hierbei wurde zunächst die Qualifikation von Praxisanleiter*innen und deren Freistellung für die Anleitung betont . Daneben fanden sich jedoch auch die Anerkennung des Status von Auszubildenden als Lernende und der Einbezug aller Pflegefachpersonen in die „Alltagsanleitung“ (Leitungsperson_1408) eine besondere Berücksichtigung . Die Wertschätzung der Auszubildenden äußert sich in der kollegialen Einbindung ins Team . Erforderlich hierfür ist, dass der Stellenwert der Ausbildung sowohl in den Leitungsebenen handlungsleitend ist als auch ein „Mittragen“ (Leitungsperson_1440) der mit der Ausbildung verbundenen Aufgaben durch die Pflegefachpersonen . Im Hinblick auf den Stellenwert von Ausbildung wird der Einrichtungsleitung eine entscheidende Rolle zugeschrieben .
Besonders in der langzeitstationären Pflege verfügen die Einrichtungen über eine Strategie für die praktische Ausbildung, dies geben 93 Prozent an . 71 Prozent berichten, diese konsequent umzusetzen .
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Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
In der zweiten Runde der modifizierten Delphi-Befragung (n = 75) wurde die Umsetzungshäufigkeit einzelner Maßnahmen abgefragt . Hierfür wurde eine Auswahl an Maßnahmencluster durch drei Expert*innen vorgenommen, die aus der Vielzahl an Nennungen anhand der Kriterien Originalität/Neuartigkeit des Vorschlages und Wichtigkeit der Diskussion des betreffenden Themas im Kontext der Fachkräftegewinnung und -bindung zu beurteilende Maßnahmen auswählten . Nicht berücksichtigt wurden in der weiteren Befragung Maßnahmencluster, die durch die Expert*innen als vorschriftsmäßig oder als Standard identifiziert wurden . Die in die zweite Befragungsrunde integrierten Maßnahmencluster können der konzeptionellen Ausrichtung der Ausbildung innerhalb der Einrichtung zugeordnet werden . Auch hier wird durchweg ein hoher Durchdringungsgrad berichtet (Abbildung 2) . Es gibt ein mit allen Ausbildungspartnern abgestimmtes Ausbildungskonzept über die gesamte Ausbildung.
82,7%
Die Rollen und Aufgaben der Auszubildenden sind definiert.
90,7%
17,3%
9,3%
Die Auszubildenden sind in die Qualitätsentwicklung der Ausbildung einbezogen.
84,0%
16,0%
Den Auszubildenden wird über die gesamte Ausbildung eine Bezugsperson zugeteilt.
84,0%
16,0%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ja
Nein
Abb. 2 Konzeptionelle Elemente der berufspraktischen Ausbildung (n = 75) (eigene Darstellung)
Sowohl ein mit allen Ausbildungspartnern abgestimmtes Ausbildungskonzept als auch die Elemente Definition von Aufgaben und Rollen der Auszubildenden, Einbezug der Auszubildenden in die Qualitätsentwicklung der Ausbildung und Zuteilung zu einer Bezugsperson über die gesamte Ausbildung werden in einem Umfang von mehr als 80 Prozent der befragten Einrichtungsleitungen als umgesetzt angegeben . Auch die strukturelle Verankerung der Praxisanleitung in den Einrichtungen weist einen hohen Umsetzungsgrad auf (Abbildung 3) . Lediglich die Bereitstellung eines Lern- und Übungszimmers (63,9 %) sowie die Freistellung der Auszubildenden für Lern- und Übungszeiten während ihrer Praxiseinsätze (76,4 %) erhalten Zustimmungsraten unter 80 Prozent . Auffällig an den Einschätzungen ist zweierlei: 93,2 Prozent der Befragten geben an, dass die Praxisanleiter*innen die Auszubildenden bei der Bewältigung der theoretischen Anforderungen unterstützen . Daneben äußern nur etwas über 80 Prozent, die Freistellung der Praxisanleiter*innen gewährleisten zu können (Abbildung 3) .
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Praxisanleiter*innen werden durch die übergeordnete Stelle unterstützt.
94,5%
Die Freistellung der Praxisanleiter*innen ist gewährleistet.
5,5%
80,8%
Für Anleitungen sind feste Zeiten (Stunden oder Tage) definiert und im Dienstplan festgelegt.
19,2%
84,9%
Lern- und Übungszeiten für Auszubildende sind fest eingeplant.
15,1%
76,4%
Ein Lern- und Übungszimmer wird zur Verfügung gestellt.
63,9%
Einsätze auf Ausbildungsstationen finden statt.
23,6%
36,1%
69,9%
30,1%
Die Auszubildenden werden bei der Bewältigung der theoretischen Anforderungen durch Praxisanleiter*innen unterstützt.
93,2%
6,8%
Die Auszubildenden erhalten bei der Bewältigung der praktischen Anforderungen ein strukturiertes Feedback.
91,8%
8,2%
0% 10% 20% 30% 40% 50% 60% 70% 80% 90% 100% Ja
Nein
Abb. 3 Elemente des Konzeptes für die Praxisanleitung (n = 75) (eigene Darstellung)
Auf die offene Frage in der abschließenden Befragungsrunde (n = 66), warum es manchen Einrichtungen besser als anderen gelingt, ihren Fachkräftebedarf zu decken, notierten die Leitungspersonen am häufigsten die Ausbildung in der eigenen Einrichtung als Erfolgsfaktor . Besonders betont wird die Notwendigkeit, sich darum zu bemühen, dass die Auszubildenden die praktische Ausbildung positiv erleben . Dies beinhaltet, dass sich die Auszubildenden wertgeschätzt fühlen und gefördert werden . Gleichzeitig wird der Thematik Ausbildung in der Gewichtung mit anderen Themenkomplexen wie Arbeitsbedingungen oder Unternehmenskultur für die Attraktivität als Arbeitgeber nur eine nachgeordnete Rolle zugeschrieben . Im Rahmen der Betriebsfallstudien wurde in allen vier untersuchten Einrichtungen die Ausbildung vor Ort als favorisierte Strategie für die Gewinnung von Fachpersonen diskutiert . Es wird in der Personalplanung davon ausgegangen, dass die eigenen Auszubildenden auch nach ihrer Ausbildung im Betrieb verbleiben: „Wir rekrutieren 85 Prozent unseres Personals aus der eigenen Ausbildung“ (Führungskraft, Klinik, Betrieb A, 11) . Als wichtiger Aspekt wird im Zuge dessen die Möglichkeit benannt, die Berufs- und Betriebssozialisation mitzugestalten und die einrichtungsspezifische Organisationskultur bereits während der Ausbildung zu vermitteln . Die
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
organisationale Sozialisation im Sinne dessen, dass Haltungen, Normen und Verhaltensvorschriften internalisiert werden, wird von den Einrichtungen für sehr wichtig erachtet . Sie ist Voraussetzung dafür, dass Ausbildungsabsolvent*innen nahtlos zu einem funktionierenden Betriebsablauf beitragen, was wiederum im Hinblick auf die angespannte Personalsituation als bedeutsam gewertet wird . Dabei wird in den Betriebsfallstudien auch die Qualität der Ausbildungsgestaltung als eine zentrale Bedingung dafür betrachtet, dass die Auszubildenden sich für ein Arbeitsverhältnis in der Ausbildungseinrichtung entscheiden . Die Antworten erwecken den Anschein, dass die berufspraktische Ausbildung strategisch, strukturell und konzeptionell gut aufgestellt ist . Beide Erhebungen verdeutlichen, dass sich die Leitungspersonen der Bedeutung der Ausgestaltung der praktischen Ausbildung bewusst sind . Entsprechende Konzepte sind in den Betrieben implementiert . Die Leitungspersonen betonen die Option, über eine entsprechende Sozialisation der Auszubildenden den eigenen Bedarf an Fachpersonen sicherstellen zu können . 4.3
Ergebnisse: Beschreibung der Ausbildungsrealität aus Sicht von Leitungspersonen, Pflegefachpersonen und Praxisanleiter*innen
Vor dem Hintergrund des eklatanten Fachkräftemangels (Isfort & Gessenich, 2019, S . 10) wird aber durchaus selbstkritisch bemängelt, dass der eigene Anspruch an die Ausbildungsqualität häufig aufgrund der existierenden Personalengpässe leidet, wie sich plakativ am Thema Praxisanleitung in den Betriebsfallstudien aufzeigen lässt: „Wenn Not am Mann ist, dann springen die halt in der Pflege ein, und zack ist der Anleitungstag gestrichen“ (Leitungsperson, Stationäre Langzeitpflege, Betrieb B, 88) . Entgegen den Daten in der modifizierten Delphi-Befragung, in der die überwiegende Mehrheit angibt, feste Anleitungszeiten in der Dienstplanung zu definieren und die Praxisanleitung zu gewährleisten, scheinen gerade die geplanten Anleitungen häufig der dünnen Personaldecke zum Opfer zu fallen . Lernen im geschützten Rahmen durch Begleitung und die Möglichkeit zum Nachfragen oder Vergewissern – inklusive der fachlichen Begründung der Pflegehandlungen – scheinen oftmals nicht gegeben . Die Anleitung im Alltag wird durch Fachpersonen als lückenhaft geschildert: „Heute sollen wir das auf Station auch noch mit erledigen, nämlich. Ich kann doch niemanden sagen, du legst jetzt einen DK [Dauerblasenkatheter, Anmerkung d . Verf .], ich zeige es natürlich erst. Aber wir müssen die Anatomie dazu noch gleichzeitig erklären, schaffe ich ja gar nicht. Wie denn?“ (Pflegefachperson, Klink, Betrieb D‘, Gruppendiskussion 1,19) . Dieses Zitat weist darauf hin, dass Fachpersonen ihre Anleitung aufgrund des Zeitdrucks als lückenhaft empfinden . Eine Praxisanleitung resümiert auf die Frage nach den Problemen der praktischen Ausbildung: „Na, die Schüler werden als Helfer verwendet. Wir
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haben wieder eine funktionale Organisation[10], (…) das Ausbildungsziel heißt [jedoch, Anmerkung d . Verf .] selbständige Betreuung einer Patientengruppe.“ (Praxisanleitung, Klinik, Exp10, 377) . Den Auszubildenden wird die Rolle als Hilfsperson zugewiesen, die Bewältigung des Arbeitsalltags und die Aufrechterhaltung der Abläufe stehen im Vordergrund . Dies wird als konträr zu den Ausbildungszielen benannt . Darüber hinaus gehen durch die zeitoptimierte Pflege komplexe Pflegesituationen als Lernanlässe verloren: (…) oder auch mit der Nahrungsaufnahme, wenn jemand eine Schluckstörung hat, und der muss halt gründlich kauen und der wird halt langsam schlucken. Dann ist natürlich die wirtschaftliche Leistung, man legt ihm eine PEG [Perkutane endoskopische Gastrostomie, Anmerkung d . Verf .] oder eine Sonde und lässt es reinlaufen, statt wir brauchen jetzt eine halbe, dreiviertel Stunde jemand und nicht nur eine Hilfskraft, weil es halt eine komplexe Situation ist, was ist, wenn er aspiriert oder so, der ihn hier betreut. (…) Und natürlich finde ich auch, dass die Kompetenz natürlich abnimmt, auch der frisch Examinierten. (Praxisanleitung, Klinik, Exp10, 174)
Verbunden damit ist die Befürchtung, dass auf Dauer die Pflegequalität abnimmt und der Fachkräftemangel ohne entsprechende Gegenmaßnahmen eine schleichende DeProfessionalisierung der Pflege nach sich zieht . „Und das ist für mich schon hart am Ende meiner beruflichen Karriere. Also (…) ich hätte irgendwie unter besseren Bedingungen gerne aufgehört. Nachdem was wir eigentlich schon erreicht haben, wir haben ja kein Wissensdefizit, wir haben ja ein Anwendungsproblem.“ (Praxisanleitung, Klinik, Exp10, 188) . Als Konsequenz wird in den Gruppendiskussionen der Pflegefachpersonen ein Mangel an pflegefachlicher Kompetenz am Ende der Ausbildung festgestellt . Dieser Umstand wird darauf zurückgeführt, dass relevante pflegefachliche Inhalte in der Praxis nicht mehr konsequent vermittelt werden (können): „Ich habe ganz anders gelernt wie die Schüler lernen. (…) Eine Schülerin im Examen sollte Examen machen, konnte keine Transfusion herrichten – hatten wir ihr eh erst beibringen müssen. Und das ist so sehr schlecht.“ (Pflegefachperson, Klinik, Betrieb A, Gruppendiskussion 1, 46) . Im Zitat der Pflegeperson wird angedeutet, dass auch Anwendungswissen und Fertigkeiten der Auszubildenden im Laufe der Zeit abgenommen haben und das Examen keine Garantie für berufliche Handlungskompetenz bietet . Dementsprechend wird darauf verwiesen, dass aus Sicht der Leitungspersonen nach absolvierter Ausbildung häufig weitere Qualifizierungsbedarfe bestehen: „Ich habe am Ende dieser Jahre auf dem Papier Pflegefachkräfte, die aber natürlich nicht so qualifiziert und kompetent sind, wie ich sie ei-
Diese Aussage bezieht sich auf die Arbeitsorganisation in Form von Funktionspflege . Hierbei werden Pflegehandlungen in Arbeitsschritte/Einzeltätigkeiten zerlegt, die an Personen unterschiedlicher Qualifikation als Teilaufgaben delegiert werden . Im Gegensatz hierzu steht die Bereichspflege, bei der eine Fachperson die Verantwortung für eine Gruppe und alle anfallenden Tätigkeiten in ihrem Versorgungsbereich übernimmt (bspw . Menche, 2011, S . 29 f .) .
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gentlich bräuchte. Das heißt, ich muss dann auch gucken, wie gestalte ich deren Arbeitsalltag so, was die Aufgaben anbelangt, dass sie Fuß fassen können als Pflegefachkraft“ (Leitungsperson, stationäre Langzeitpflege, Betrieb C, 21) . Im angeführten Zitat beschreibt die Leitungsperson, dass die Nachwuchsfachpersonen schrittweise in den Beruf eingeführt werden und Kompetenzen, die während der Ausbildung nicht erworben und entwickelt wurden/werden konnten, in der Phase des Berufseinstiegs gefördert werden müssen, um als Fachperson einsatzfähig zu sein . Die Orientierung an der Aufrechterhaltung des Arbeitsalltags im Zeichen des Fachkräftemangels hat u . a . zur Folge, dass die berechtigten Ansprüche der Auszubildenden auf eine hohe Ausbildungsqualität nicht eingelöst werden können: „Dass viele Schüler einfach das Gefühl haben, dass sie ausgenutzt werden. Dass, ja, sie eigentlich gar nicht das erlernen oder irgendwas erlernen vom Heim. Sondern einfach irgendwie bloß so, ja, mach mal, irgendwie im Stich gelassen werden. Und da schon viele Schüler gar keine Lust mehr auf den Job haben“ (Pflegefachperson, stationäre Langzeitpflege, Betrieb C, Gruppendiskussion 1, 71) . Beschrieben wird im Zitat nicht nur der Mangel an Lernerfahrungen, praktischer Anleitung und Begleitung, sondern auch mögliche Auswirkungen auf die Motivation der Auszubildenden . Während die bisherigen Ergebnisse mit Faktoren in Verbindung gebracht werden können, die dem Zeitdruck durch den Fachkräftemangel geschuldet sind, werden hierbei auch Aspekte der Wertschätzung relevant . Dies berichtet eine Pflegefachperson am Beispiel eines Erlebnisses in ihrer erst kurz zurückliegenden Ausbildung: „(…) ich war sechs Uhr dreißig da. Komme ins (…) Dienstzimmer rein, sage: ‚Guten Morgen, hallo‘. Kommt nichts zurück, setze ich mich hin. Werde ich angeguckt und werde gefragt, ob ich das Geräusch kennen würde. Dann sage ich: ‚Ja, das ist die Klingel‘. Ja, warum ich hier noch so blöd rumsitzen würde …“ (Pflegefachperson, Klinik, WE01, 464) . In dem Zitat werden Verhaltensweisen und Werte vermittelt, die eine Hierarchie markieren, in der Auszubildenden die Rolle als Hilfspersonen zugesprochen wird . Anerkennung und Wertschätzung der Auszubildenden durch die Integration ins Team und der Umgang auf Augenhöhe werden dabei vorenthalten . Anhand der präsentierten Daten konnten innerbetriebliche Widersprüche aus Sicht der Leitungs- und Pflegepersonen vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels aufgezeigt und gegenübergestellt werden . Einerseits sieht sich der Großteil der Einrichtungen strategisch und konzeptionell im Hinblick auf die praktische Ausbildung und Anleitung gut aufgestellt . Auf der anderen Seite spiegelt sich das im Ausbildungsalltag nicht durchgängig wider . In einem Arbeitsalltag, der durch den Fachkräftemangel nachhaltig geprägt ist, lässt sich eine Umsetzungsproblematik konstatieren . Dies ist den Leitungs- und Fachpersonen durchaus bewusst und bezieht sich sowohl auf die Ausbildung von Fachlichkeit als auch auf die alltäglichen Erfahrungen der Auszubildenden . Bei der Betrachtung der Daten sind einige Limitationen zu beachten . Bei der modifizierten Delphi-Befragung kann eine Positivauswahl oder soziale Erwünschtheit der Antworten bzgl . einer strategischen Ausrichtung nicht ausgeschlossen werden . Zudem
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sind aufgrund der niedrigen Fallzahl und der unterschiedlichen Teilnahmezahlen in den einzelnen Runden die Ergebnisse vorsichtig zu interpretieren . Auch die Betriebsfallstudien stellen möglicherweise durch die Bereitschaft, Einblicke in die internen Betriebsabläufe zu gewähren, eine Positivauswahl dar . Darüber hinaus wurden die Daten nicht explizit mit Fokus auf die berufliche Identität erhoben . Dennoch ermöglichen die Daten Einblicke in die beschriebene Ausrichtung und Umsetzung der Ausbildungspraxis unter den aktuellen Ausbildungsbedingungen . Diese werden im folgenden Kapitel bezogen auf die Merkmale beruflicher Identität diskutiert: Die Aneignung von Wissen und Kompetenzen, die Übernahme berufstypischer Verhaltensweisen im Pflegealltag und die Vermittlung berufsimmanenter Werte und berufsethischer Grundlagen . 5.
Berufliche Identitätsbildung im Spiegel der aktuellen Ausbildungspraxis
Die vorgestellten Ergebnisse verdeutlichen die aktuell schwierige Situation der Auszubildenden in der Pflegepraxis . Die empirischen Daten weisen darauf hin, dass die Mehrzahl der Leitungspersonen nicht nur die Relevanz der Ausbildung für die eigene Fachkräftesicherung erkennt, sondern auch die Bedeutung der Ausgestaltung der berufspraktischen Ausbildung, um die Auszubildenden im Beruf und der eigenen Einrichtung zu halten . Die inkongruenten, kontrastierenden Ergebnisse decken jedoch die Diskrepanz zwischen der strategischen-konzeptionellen Ausrichtung und deren Umsetzungspotenzialen im Pflegealltag unter den aktuellen Arbeitsbedingungen auf . Auch wenn es daneben sicherlich viele positive Beispiele einer gelungenen Ausbildungspraxis gibt, scheint in der praktischen Ausbildung häufig die Praxis des Muddling-Through im Sinne einer situativen Alltagsbewältigung jenseits einer Gesamtstrategie zu überwiegen . 5.1
Konsequenzen der aktuellen Ausbildungspraxis auf den Prozess beruflicher Identitätsbildung
Die Daten weisen wie ein Brennglas auf die Auswirkungen der Ausbildungspraxis auf die berufliche Identitätsbildung hin . In Bezugnahme auf die Merkmale des Konstrukts von professional identity (Fitzgerald, 2020, S . 449 ff .) lassen sich folgende Zusammenhänge formulieren: Wissen und Kompetenzen: Der Ausbildungsalltag im Kontext des Fachkräftemangels fördert die Ausbildung von Kompetenzen in der Bewältigung von Routinetätigkeiten . Durch die funktionale Arbeitsteilung werden den Auszubildenden Hilfstätigkeiten übertragen, in denen sie bereits Fertigkeiten erlangt haben . Daneben findet Anleitung im Arbeitsalltag durch die Pflegefachpersonen stets unter Zeitdruck statt . Fertigkeiten können über Demonstration und Imitation zwar vermittelt werden, wichtige ergänzende Erläuterungen haben jedoch keinen Raum . Zusätzlich werden aufwändige Pflegesituati-
Die berufspraktische Pflegeausbildung – Zur Entwicklung beruflicher Identität
onen im Arbeitsalltag oftmals gänzlich vermieden . Dies hat zur Konsequenz, dass nicht, wie in den Rahmenausbildungsplänen beschrieben, „multidimensionale, authentische Arbeitsanforderungen bzw . Pflegesituationen den Lernanlass“ (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020, S . 17) und „der Pflegebedarf der zu pflegenden Menschen die Lernmöglichkeiten der Auszubildenden“ (ebd .) darstellen, sondern das Ordnungsprinzip des zeitlich Machbaren Lernanlässe und -möglichkeiten bestimmt . Die schwierigen Rahmenbedingungen, unter denen die berufspraktische Ausbildung leidet und den Umgang der Praxisanleiter*innen damit, beschreibt Kersting (2016) in ihrer Coolout-Studie . Sie fordert von Praxisanleiter*innen die Reflexion der widersprüchlichen Anforderungen und deren Thematisierung in Anleitesituationen . Dies beinhaltet stets die Einsicht und Kritik an den strukturellen Bedingungen (ebd ., S . 179 ff .) . Berufstypisches Handeln und Verhaltensweisen: Von den Auszubildenden wird erwartet, dass sie die Rolle als Hilfspersonal unhinterfragt ausfüllen . Hierbei steht die „Sozialisation als Arbeitskraft“ (Cassier-Woidasky, 2007, S . 354) im Vordergrund . Auch dessen sind sich die befragten Pflegefachpersonen, Praxisanleiter*innen und Leitungspersonen bewusst . Und sie nehmen wahr, dass dies den Auszubildenden vermittelt wird . Gewohnheiten und eingetretene Pfade der Pflegepraxis werden so von den Auszubildenden unbewusst internalisiert (Wackerhausen, 2009, S . 462) . Das ist erforderlich „to feel at home in“ (ebd ., S . 470) . Damit diese Pfade der Alltagspraxis nicht zum Ideal der beruflichen Praxis und der eigenen beruflichen Identität werden, ist es erforderlich zu lernen „how to become an occasional stranger to the habits and established practice of his profession, i . e ., to see and question the rationality of the trails of everyday practice“ (ebd ., S . 470) . Berufsimmanente Werte und berufsethische Grundlagen: Auszubildende lernen von Beginn an, der Aufrechterhaltung von Versorgungsabläufen Vorrang vor professionellem Handeln nach einem professionellen Pflegeverständnis einzuräumen . Sie lernen, sich ungefragt in den Versorgungsalltag einzubringen und die Notwendigkeit, nach dem Ordnungsprinzip der Effizienz zu handeln . Bereits während der Ausbildung wird erfahrbar, dass die Berufsausübung mit einem Abstrich an Pflegequalität einhergeht und damit im Widerspruch zu erlernten Standards und fachlichem Anspruch stehen kann . Die intrinsische Motivation, die der Berufswahl zu Grunde liegt, wird durch den Arbeitsalltag konterkariert, die Auszubildenden erleben Diskrepanzen zwischen ihren Idealen und der Berufsrealität (Fitzgerald, 2020, S . 470) . Anstatt die Person mit Pflegebedarf in den Fokus des Lernens zu stellen, richten sich Anleitung und Lernen an den organisational dominierten Handlungsabläufen aus . Was gelernt wird, orientiert sich an institutionellen Vorgaben, die entscheidend das Pflegeverständnis prägen (Kühme, 2020, S . 174 f .) . Kühme formuliert im Zuge dessen die Notwendigkeit, Bildungsprozesse über differenztheoretische Deutungen von individuellen Fallsituationen auszulösen . Darunter versteht er, die in der Praxis erlebten Antinomien im Unterricht aufzuarbeiten – nicht, da sie lösbar wären, sondern um hierüber Bildungsprozesse anzustoßen (ebd ., S . 309 f .) .
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5.2
Implikationen für die berufspraktische Pflegeausbildung
Die Ausführungen weisen auf Zusammenhänge zwischen der aktuellen Ausbildungspraxis und der Ausbildung beruflicher Identität hin . Fachkräftesicherung über Nachwuchsgewinnung gelingt, wenn Auszubildende dabei unterstützt werden, eine berufliche Identität zu entwickeln, die sie dazu befähigt, zu selbstbewussten Pflegefachfrauen und -männern zu werden . Dabei geht es darum, die eigene berufliche Identität nicht im Vollzug des Arbeitspensums zu sehen, sondern sich ein professionelles Pflegeverständnis zu eigen zu machen und zu lernen, im Berufsalltag (und darüber hinaus) dafür einzustehen . Dafür ist es notwendig, sowohl Wissen als auch Können und Haltung (Hülsken-Giesler, 2015, S . 170 ff .) zu entwickeln, und darüber die Fähigkeit zu erlangen, aus Sicht einer professionellen Pflegefachperson und der Pflegebedürftigen und Patient*innen und nicht aus der Systemlogik heraus zu argumentieren . Über diese Argumentationslinien können Pflegebedarfe begründet und – wenn es aufgrund des Arbeitsaufkommens und Personalmangels nicht möglich ist, die Bedarfe decken zu können – die Konsequenzen des Handelns unter dem leitenden Prinzip Gewährleistung des Ablaufs aufgezeigt werden . Diese Fähigkeit kann durch eine reflexive Ausbildungspraxis angelegt werden . Dazu ist von allen Beteiligten ein ehrlicher, reflexiver Umgang mit den Widersprüchen und Spannungsfeldern in ihrer stellenweisen Unauflösbarkeit notwendig, in denen sich berufliche Pflege derzeit bewegt . Um die Entwicklung der eigenen beruflichen Identitätsbildung zu unterstützen, bedarf es der gezielten Anleitung und Begleitung durch pädagogisch geschultes Bildungspersonal sowie der Reflexion erlebter Pflegesituationen im geschützten Rahmen am Lernort Schule (Fischer, 2013, S . 286 ff .; Kersting, 2016, S . 261 ff .) . Für die schulische Ausbildung und die Praxisanleitung formuliert Kersting in diesem Zusammenhang die „Befähigung zum Denken in Widersprüchen“ (Kersting, 2016, S . 248) als Ansatz, um der Desensibilisierung und einem Coolout entgegenzuwirken (ebd .) . Huber (2019) fordert an dieser Stelle „Wertereflexionen und -diskussionen“ (ebd ., 2019, S . 256) unter dem Blickwinkel der Care-Ethik und die Befähigung der Auszubildenden zur Wertereflexion (ebd ., S . 256 f .) . Mögliche Ansatzpunkte und Vorgehensweisen, um Rollenkonflikte zu erkennen und zu benennen, lassen sich im Umgang mit ethischen Konfliktsituationen finden . Ein erster Schritt ist die Identifikation (ethisch) reflexionswürdiger Situationen . Irritationen können offengelegt werden, indem Fragen an die Situation nach der Ursache der Irritation, den eigenen und organisatorischen Anforderungen, Werten und Begründungen des Handelns gestellten werden (Linde, 2018, S . 60) . Dies ermöglicht die Reflexion der Diskrepanz bzw . Kontroversen, die in Bezug auf das eigene professionelle Pflegeverständnis deutlich werden, und einer Ausbildung „für eine an anderen Gesetzmäßigkeiten ausgerichtete klinische Versorgungspraxis“ (Giese, 2013, S . 74) . Zusätzlich ist es jedoch notwendig, einen lernförderlichen und identitätsstiftenden Arbeitsalltag zu gestalten . Ein Grundstein hierzu liegt darin, die Relevanz der praktischen Ausbildung in den Einrichtungen zu verdeutlichen . Dazu ist eine Verankerung
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des Stellenwerts der Ausbildung im Unternehmen auf allen Ebenen erforderlich . Auszubildende in ihrem Status als Lernende anzuerkennen, trägt zur Wertschätzung der Ausbildung und der Auszubildenden bei . Implementierte Strategien sind ob ihrer Umsetzung zu prüfen . Sie werden wirksam, wenn sie operationalisiert und auf allen Ebenen implementiert sind . Damit dies gelingen kann, sind die Widersprüchlichkeiten der Handlungslogiken bewusst wahrzunehmen und zu kommunizieren . Dies erfordert besonders auf der Pflegemanagementebene eine reflexive Haltung, in der die Handlungslogik Pflege auf Grundlage eines professionellen Pflegeverständnisses neben dem „Orientierungsrahmen Pflege der Organisation“ [Kursivierung d . Verf .] (Wolf & Ostermann, 2016, S . 178)11, wahrgenommen, diskutiert und die jeweiligen Konsequenzen in Entscheidungen eingebracht und mitgedacht werden . Die Ausführungen in diesem Beitrag beinhalten grundsätzliche Überlegungen und Zusammenführungen, die weiterer Forschung bedürfen . Zunächst ist der hier formulierte Zusammenhang zwischen der Ausbildungspraxis und der Ausbildung beruflicher Identität empirisch zu prüfen . Weitere Forschungsdesiderate zeigen sich entlang der unterschiedlichen Merkmale der beruflichen Identität, bspw . wie die betriebliche Ausbildungspraxis im Arbeitsalltag gestaltet werden kann, um berufsförderliche Normen und Verhaltensweisen zu vermitteln . Aus der Perspektive der Berufspädagogik ist bspw . zu fragen, welche Prozesse in der berufspraktischen Pflegeausbildung positive Schlüsselmomente der beruflichen Identitätsbildung darstellen, und wie sich diese pädagogisch unterstützen lassen, um die Identitätsbildung zu fördern . Der Arbeitskontext der berufspraktischen Pflegeausbildung unter den aktuellen Rahmenbedingungen ist höchst störanfällig . Dies lässt sich durch das innerbetriebliche Handeln einzelner Einrichtungen und Personen zwar stellenweise beeinflussen, aber dennoch nicht auflösen . Um die Ausbildungsbedingungen zu verbessern, sind grundlegende Änderungen notwendig, die es für alle Beteiligten ermöglicht, Pflege auf der Grundlage ihres professionellen Pflegeverständnisses zu gestalten . Für die Ausbildung bedeutet dies, dass bspw . eine Personalausstattung notwendig ist, die Freiräume für die praktische Ausbildung im Arbeitsalltag ermöglicht . Zudem ist es erforderlich, wie es auch von den Leitungspersonen in der durchgeführten Befragung gefordert wird, dass Auszubildende über die gesamte Ausbildung nicht auf den Stellenplan angerechnet werden . Dennoch gilt es, neben der Forderung nach Änderungen der Rahmenbedingungen, das Augenmerk auf die innerbetriebliche Situation der Ausbildung zu legen . Die Pflegeberuferefom mit der Einführung der generalistischen Ausbildung ist hierbei als Chance zu begreifen . Die Neuausrichtung der Pflegeausbildung wird zu Veränderungen der beruflichen Identität führen . Diese sind durchaus intendiert, wie eine gemeinsame Identifikation als Pflegefachfrau und -mann jenseits der ZuDer von Wolf und Ostermann in ihrer Analyse von Managementhandeln rekonstruierte Orientierungsrahmen Pflege der Organisation zeigt sich in der Ausrichtung an einem „reibungsarmen Funktionieren der Organisation“ (Wolf & Ostermann, 2016, S . 178) .
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ordnung als Gesundheits- und (Kinder)Krankenpfleger*in oder Altenpfleger*in und die Entwicklung eines gemeinsamen generalistischen Pflegeverständnisses . Wie sich die Ausweitung der Versorgungsbereiche auf die Ausbildung beruflicher Identität im Ausbildungsalltag auswirken wird, wird sich in Zukunft zeigen müssen . Die Pflegeprozessverantwortung als Vorbehaltsaufgabe kann als Rückbesinnungsmoment auf eine professionelle Pflege Wirkung entfalten . Die Kultivierung einer fachlich-professionellen Pflege entlang eines professionellen Pflegeverständnisses bringt eine Veränderung der Sozialisationsumgebung mit sich . Dies kann durchaus als Beitrag zu einer nachhaltigen Fachkräftesicherung verstanden werden . Literatur
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Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung Die Perspektive zukünftiger Nutzer*innen pflegerischer Leistungen im Alter FLORIAN FISCHER / CLAUDIA BOSCHER / LEA RAIBER / JOHANNES STEINLE / ANITA RÖLLE / MAIK H.-J. WINTER
Implications for a Future-Oriented Nursing Education The Perspective of Future Users of Elderly Nursing Care Kurzfassung: Pflegerische Versorgung stellt eine personenbezogene soziale Dienstleistung dar .
Daher setzt qualitativ hochwertige Pflege eine Bedarfs- und Bedürfnisorientierung voraus . Obwohl Befunde zu Erwartungen der Bevölkerung an die pflegerische Versorgung vorliegen, wurden sie bislang nur am Rande in die Pflegeausbildung integriert . Vor diesem Hintergrund werden Erwartungen und Sorgen zukünftiger Nutzer*innen pflegerischer Leistungen im Alter aufgezeigt und daraus Implikationen für die Ausgestaltung der Pflegeausbildung in Zeiten des Fachkräftemangels abgeleitet . Die Ergebnisse weisen auf die Erfordernisse einer konzeptionellen Weiterentwicklung und eines Systemwandels in der Versorgung pflegebedürftiger alter Menschen hin, um eine neue Kultur der Langzeitpflege zu implementieren . Schlagworte: Altenpflege; Ausbildung; Nutzer*innenorientierung; Bedürfnisorientierung; Akademisierung; Digitalisierung Abstract: Nursing care is a personal and social service . Therefore, high-quality care has to be orien-
tated at demands and needs . Although findings on population’s expectations related to nursing care are available, they have so far only been marginally integrated into nursing education . Against this background, expectations and concerns of future users of elderly care services are highlighted and implications for nursing training in times of skilled workers shortage are derived from them . The results point to the need for further conceptual developments and system changes in elderly care in order to implement a new culture of long-term care . Keywords: elderly care; training; education; user orientation; academization; digitalization
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F. FISCHER / C. BOSCHER / L. RAIBER / J. STEINLE / A. RÖLLE / M. H.-J. WINTER
1.
Einleitung
Der demografische Wandel führt in mehrfacher Hinsicht zu Herausforderungen für die pflegerische Versorgung: Da immer mehr Menschen ein hohes Alter erreichen, zeigt sich ein Anstieg des Versorgungsbedarfs (Nowossadeck, 2013) . Durch Multimorbidität und die steigende Zahl demenziell Erkrankter nimmt zugleich die Komplexität der Versorgung zu (Gurtner et al ., 2018; Reiber & Winter, 2018) . Darüber hinaus machen Konzepte und Typologien soziologischer Generationen deutlich, dass der soziokulturelle Wandel – bedingt durch wirtschaftliche und soziale Ereignisse – die Gestalt einer Alterskohorte entscheidend beeinflusst (Leisering, 2000) . Daher ist davon auszugehen, dass sich die Ansprüche und Erwartungen jener Personen, die zukünftig pflegerische Unterstützung benötigen, von den Vorgängergenerationen deutlich unterscheiden werden (Kramer & Pfaffenbach, 2007) . In den kommenden Jahren werden vor allem Mitglieder der als „Wirtschaftswundergeneration“ (Parment, 2013) oder „Nachkriegsgeneration“ (Hodapp & Peusser, 2014) bezeichneten Alterskohorte – d . h . die zwischen 1945 und 1955 Geborenen – auf pflegerische Versorgung angewiesen sein . Diese Generation ist durch den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg, Vollbeschäftigung, das Wachstum Mitte der 1960er Jahre und die 68er-Bewegung geprägt . Sie ist als „Macher-Generation“ zukunftsorientiert und legt hohen Wert auf Freiheit und Selbstbestimmung (Boscher, Steinle, & Winter, 2018; Bruch, Kunze, & Böhm, 2010; Preuss-Lausitz, 2010) . Diese soziokulturellen Veränderungen zukünftiger Pflegebedürftiger sollten in der Pflegeausbildung adressiert werden, um den Anspruch an eine bedarfs- und bedürfnisorientierte pflegerische Versorgung einlösen zu können . Im Zuge des demografischen Wandels steht dem steigenden Bedarf an pflegerischer Unterstützung im Alter zudem ein Fachkräftemangel in der Pflege gegenüber (Bonin, 2019) . Dieser Fachkräftemangel war bereits lange vor der Corona-Pandemie eine virulente Herausforderung – und wird es auch darüber hinaus bleiben (Fischer et al ., 2020c) . Die im langfristigen Vergleich rückläufigen bzw . in den letzten Jahren stagnierenden Geburtenzahlen haben dazu geführt, dass die Anzahl der Erwerbstätigen – die potenziell in der Pflege tätig sein könnten – sinkt (Fuchs, 2013) . Dennoch lässt sich in absoluten Zahlen ein Beschäftigungszuwachs in der Pflege in den vergangenen Jahrzehnten erkennen, wobei dieser jedoch in erster Linie auf einer Ausweitung von Teilzeitbeschäftigungsverhältnissen basiert (Simon, 2011; Statistisches Bundesamt [Destatis], 2020) . Folglich reichen die in der professionellen Pflege tätigen Personen bereits heute nicht aus, um den Bedarf an Beschäftigten zu decken, der zur Sicherstellung der pflegerischen Versorgung zukünftig notwendig wäre (Schwinger, Klauber, & Tsiasioti, 2019) . Bedingt durch die insgesamt hohe Beschäftigungsquote in Pflegeberufen (Bundesagentur für Arbeit, 2020a) lassen sich freiwerdende Stellen nach wie vor nur schwer besetzen . So kamen im Juli 2020 auf 100 offene Stellen in der Gesundheits- und Krankenpflege 60 und in der Altenpflege lediglich 29
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
als arbeitssuchend gemeldete Pflegefachpersonen (Bundesagentur für Arbeit, 2020b) . Zeitgleich gewinnt die Zeitarbeit in der Pflegebranche an Bedeutung (Riedlinger et al ., 2020) . Um die Belastungen von Pflegekräften zu senken und diese vor Überforderung zu schützen (Fischer et al ., 2020b) sowie die Attraktivität der Pflegeberufe zu erhöhen (Schmucker, 2019), hat die Konzertierte Aktion Pflege konkrete Maßnahmen in fünf Handlungsfeldern benannt, wobei die Ausbildung und Qualifizierung des Pflegepersonals ein zentrales Schwerpunktthema darstellt (Bundesministerium für Gesundheit, 2019) . 1.1
Aktuelle Entwicklungen in der Pflegeausbildung
Die Reform der pflegeberuflichen Ausbildung (Pflegeberufegesetz – PflBG) sowie der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe soll die Ausbildung entlang veränderter Pflegebedarfe und daraus resultierender Anforderungen in der Pflegepraxis modernisieren und trat zum 01 .01 .2020 in Kraft . In diesem Kontext wird das Berufsbild wie folgt dargestellt (§ 5 Abs . 2 PflBG): Pflege umfasst […] präventive, kurative, rehabilitative, palliative und sozialpflegerische Maßnahmen zur Erhaltung, Förderung, Wiedererlangung oder Verbesserung der physischen und psychischen Situation der zu pflegenden Menschen, ihre Beratung sowie ihre Begleitung in allen Lebensphasen und die Begleitung Sterbender . Sie erfolgt entsprechend dem allgemein anerkannten Stand pflegewissenschaftlicher, medizinischer und weiterer bezugswissenschaftlicher Erkenntnisse auf Grundlage einer professionellen Ethik . Sie berücksichtigt die konkrete Lebenssituation, den sozialen, kulturellen und religiösen Hintergrund, die sexuelle Orientierung sowie die Lebensphase der zu pflegenden Menschen . Sie unterstützt die Selbstständigkeit der zu pflegenden Menschen und achtet deren Recht auf Selbstbestimmung .
Darüber hinaus werden in dem Gesetz erstmals Vorbehaltsaufgaben für Pflegefachpersonen definiert . Diese beziehen sich erstens auf die Feststellung des individuellen Pflegebedarfs, zweitens auf die Organisation, Gestaltung und Steuerung des Pflegeprozesses und drittens auf die Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität in der Pflege (§ 4 PflBG) . Diese Vorbehaltsaufgaben sind, analog zum grundsätzlichen Charakter der pflegeberuflichen Neuausrichtung, generalistisch geprägt (Weidner, 2019) . Die generalistische Pflegeausbildung führt die Aufgabenbereiche der Gesundheits- und Krankenpflege, Gesundheits- und Kinderkrankenpflege und Altenpflege zusammen, um dadurch unter anderem mehr Flexibilität und somit einen Wechsel des Personals zwischen den Versorgungsbereichen zu ermöglichen . Neben dem generalistischen Abschluss als „Pflegefachfrau“ bzw . „Pflegefachmann“ kann im dritten Ausbildungsjahr nach wie vor eine Spezialisierung mit dem Abschluss
245
246
F. FISCHER / C. BOSCHER / L. RAIBER / J. STEINLE / A. RÖLLE / M. H.-J. WINTER
„Altenpfleger*in“ oder „Gesundheit- und Kinderkrankenpfleger*in“ erfolgen (§ 60 f . PflBG) . Ergänzend hierzu sollen im Rahmen primärqualifizierender Pflegestudiengänge, in denen das Pflegeexamen Bestandteil eines akademischen Studienabschlusses auf Bachelorebene ist, neue Zielgruppen für eine Ausbildung in der Pflege angesprochen und zusätzliche Qualifizierungswege eröffnet werden (Reiber & Winter, 2018) . Während die Zahl der Schüler*innen in der dreijährigen Gesundheits- und Krankenpflegeausbildung zwischen 2011/12 (59 .857) und 2017/18 (63 .707) um 6 % gestiegen ist, lässt sich im selben Zeitraum ein noch deutlicherer Anstieg (22 %) der Auszubildendenzahl in der Altenpflege feststellen (55 .966 in 2011/12 und 68 .236 in 2017/18) . Dennoch reicht dieser Zuwachs nicht aus, um die Lücke zwischen Angebot und der ungleich schneller wachsenden Nachfrage nach Fachkräften im Bereich der Altenpflege zu decken (Slotala, 2019); zumal fast ein Viertel der Lernenden die Ausbildung ohne Abschluss beendet (ver .di, 2018) . Darüber hinaus zeigt sich, dass die Eingangsqualifikationen und somit auch Kompetenzen der Auszubildenden zurückgehen (MAGS, 2018) . Dies wirkt sich negativ auf die Möglichkeiten zur Sicherstellung und Weiterentwicklung einer qualitativ hochwertigen pflegerischen Versorgung aus . Somit ist festzuhalten, dass nicht nur ein quantitatives, sondern auch ein qualitatives Problem hinsichtlich des Fachkräftemangels besteht . Mit Beginn des ersten Jahres der generalistischen Pflegeausbildung konnten viele Pflegeschulen mehr Bewerber*innen als Ausbildungsplätze verzeichnen (DBfK, 2020) – und dies trotz (oder vielleicht auch aufgrund) der Corona-Pandemie, welche die Pflege als systemrelevantes und krisenfestes Berufsfeld verstärkt in den öffentlichen Diskurs gebracht hat . Es ist jedoch kritisch zu betrachten, dass die teilweise verwendeten Narrative eines „Heldentums“ von Pflegekräften im Umgang mit der Corona-Pandemie negative Auswirkungen auf die Professionalisierung der Pflege haben kann, da hier die Bedeutung fachlicher Expertise nicht oder nur unzureichend gewürdigt wird (Stokes-Parish et al ., 2020) . Ungeachtet der steigenden Zahlen Pflegeauszubildender zeigt eine repräsentative Befragung von 1 .532 Schüler*innen zwischen 14 und 18 Jahren in Deutschland, dass sich nur 6 % vorstellen können, später in einem Pflegeberuf tätig zu sein . Speziell für die Altenpflege waren es sogar nur 2,6 % der Befragten (Eggert, Schnapp, & Sulmann, 2019) . Trotz der zuletzt angestiegenen Zahlen der Ausbildungsanfänger*innen in der Pflege weisen die Daten auf ein ausgesprochen schlechtes Berufsimage der Altenpflege hin, welches sich auch auf überdurchschnittlich hohe psycho-physische Beanspruchung, in Verbindung mit Zeitdruck und Arbeitsverdichtung, zurückführen lässt (Höhmann, Lautenschläger, & Schwarz, 2016; Schmucker, 2019) . Obwohl den Pflegeberufen seitens der Bevölkerung eine hohe Wertschätzung und ein hohes Vertrauen zugesprochen werden (Forsa, 2017), bestehen negative Einstellungen der (Alten-)Pflege gegenüber . So halten die mit dem Beruf verbundenen Belastungsfaktoren sowie die tradierte Vorstellung von Pflege als aufopfernde und selbst-
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
lose Tätigkeit (Stefani, 2017) Schüler*innen vielfach vom Erlernen des Berufes ab (Bomball et al ., 2010; Görres et al ., 2015) . Eine medizinnähere Versorgung sowie die Pflege jüngerer Patient*innen werden insgesamt attraktiver bewertet als die gerontologische Versorgung (Bomball et al ., 2010) . Dies lässt sich darauf zurückführen, dass vor allem die stationäre Altenpflege am Ende der Versorgungskette steht und somit eine große Nähe zum Tod aufweist (Winter, 2008), viele der Pflegebedürftigen unter demenziellen Veränderungen leiden (Ders ., 2004) und sich insgesamt die genuin sozialpflegerischen Anteile aufgrund der veränderten Bewohner*innenstruktur in der Langzeitpflege zunehmend reduzieren (Steinle, Rölle, & Winter, 2020) . 1.2
Nutzer*innenorientierung in der Pflege
Berufliche Pflege ist als personenbezogene soziale Dienstleistung durch ein hohes Maß an Interaktion und Beziehungsarbeit zwischen Pflegenden und zu Pflegenden einschließlich ihrer An- und Zugehörigen gekennzeichnet (Pohlmann, 2006) und leistet einen essentiellen Beitrag zur präventiven, kurativen, rehabilitativen sowie palliativen Versorgung der Bevölkerung (Ammann, 2020) . Dabei orientiert sie sich vorrangig an den bio-psycho-sozialen Bedarfen, Bedürfnissen, Anliegen, Interessen und dem Erleben der zu Pflegenden und ggf . ihrer Angehörigen (Brandenburg, Güther, & Proft, 2015; Brandenburg & Baranzke, 2017) . Diese Charakteristika begründen wiederum vielfach die Berufswahl (Böker, 2010; Nadj-Kittler & Stahl, 2016) und bilden das Fundament für das pflegeberufliche Selbstverständnis . So sinkt beispielsweise die Motivation Pflegender, wenn ihre fachlichen und wertebezogenen Arbeitsmotive konterkariert werden (Bauer, 2007) . Zudem werden Pflegeberufe nur dann als sinnstiftend (Ehresmann & Badura, 2018; Wassermann et al ., 2014) – und somit auch als attraktiv – von Pflegekräften sowie bei der Wahl der Berufsausbildung wahrgenommen, wenn die Zufriedenheit und das Wohlergehen Pflegebedürftiger gewährleistet sind . Mit Blick auf Pflegeausbildung und -praxis ist jedoch zu konstatieren, dass die viel beschworene Orientierung des beruflichen Handelns an den ganzheitlichen individuellen Bedarfen sowie Bedürfnissen der zu Pflegenden bereits heute einen vielfach rein appellativen Charakter besitzt . In der Versorgungsrealität wird diese pflegeberuflich-identitätsstiftende Orientierung zwar nicht gänzlich ignoriert; häufig jedoch überlagert bzw . deutlich relativiert durch andere Determinanten der pflegefachlichen Leistungserbringung (z . B . Verfügbarkeit finanzieller, institutioneller sowie personeller Ressourcen) – auch zum Leidwesen der beruflich Pflegenden (Ehrentraut et al ., 2019) . Dies ist jedoch keineswegs ein pflegetypisches Phänomen, sondern lässt sich ebenso beispielsweise in der Medizin identifizieren . Es führt gleichwohl aber immer häufiger zu Konflikten zwischen Leistungserbringenden und -empfangenden (Glaser & Höge, 2005) .
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248
F. FISCHER / C. BOSCHER / L. RAIBER / J. STEINLE / A. RÖLLE / M. H.-J. WINTER
Bedarfs- und Bedürfnislagen, Erwartungen sowie Wünsche und Präferenzen im Fall von Pflegebedürftigkeit sind wesentlich auch biografisch und soziostrukturell geprägt, sodass sie einem beständigen Wandel unterliegen (Amann & Kolland, 2014) . Dieser Wandel muss bei der konzeptionellen Ausrichtung des Leistungsangebotes und -geschehens berücksichtigt werden, wenn Pflege (und auch Medizin) sich nicht dem Vorwurf einer rein somatischen Ausrichtung aussetzen will (Hoffer, 2017) . Insofern steht in vielen Pflegesettings, allen voran in der stationären Langzeitpflege, eine konzeptionelle Weiterentwicklung dringend an, da prinzipiell nicht davon ausgegangen werden kann, dass mit den Konzepten von heute die Bewohner*innenschaft von morgen hinreichend betreut und gepflegt werden kann . Eindrückliches Beispiel dafür ist die Frage nach der Verfügbarkeit moderner Informations- und Kommunikationstechnologie in den Heimen, die einerseits in der Corona-Pandemie und der mit ihr einhergehenden sozialen Kontaktbeschränkungen immer deutlicher thematisiert wurde (BAGSO, 2020; Deutscher Ethikrat, 2020; Fischer et al ., 2020a) . Andererseits wird der Bedarf nach solchen Technologien in den nachfolgenden Generationen sicher steigen (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend [BMFSFJ], 2020) . Obwohl Befunde zu den Erwartungen der Bevölkerung an eine pflegerische Versorgung vorliegen (Hajek et al ., 2018; Kuhlmey et al ., 2010), wurden diese bislang nur am Rande in die Gesetzgebung und Ausgestaltung der Pflegeausbildung integriert, sodass die Regelungen zur Ausbildung vor allem die professionelle und institutionelle Sicht abbilden . Vor diesem Hintergrund werden in diesem Beitrag die Erwartungen und Sorgen bezogen auf eine pflegerische Versorgung in Verbindung mit der Ausbildung in der Pflege gebracht . Wir wagen die These, dass individuelle Erwartungen von Personen, die bereits oder potenziell zu einem späteren Zeitpunkt pflegerische Unterstützung benötigen – obwohl oder insbesondere weil sie subjektiv und zukunftsgerichtet sind –, wichtige Implikationen für die Ausgestaltung der Ausbildung in den Pflegeberufen mit sich bringen . 2.
Methodik
Die Ausarbeitung der Implikationen für die Pflegeausbildung aus Sicht (potenzieller) Leistungsnutzer*innen beruht auf den Ergebnissen einer repräsentativen Bevölkerungsbefragung von 65- bis 75-Jährigen in der Region Bodensee-Oberschwaben, bestehend aus den drei Landkreisen Bodenseekreis, Ravensburg und Sigmaringen . Repräsentativ für diese Region ist das Sample hinsichtlich der Merkmale Alter, Geschlecht und der Raumkategorie des Wohnorts (ländlicher Raum/Randzone/Verdichtungsraum) . In Abhängigkeit von der räumlichen Struktur erfolgte die Stichprobenziehung auf Basis von Daten der Einwohnermeldeämter . Dabei wurden zwei
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
Stichprobendesigns kombiniert, um insgesamt 2 .500 Kontaktdaten zu erhalten: Für die Gemeinden aus den eher städtischen Bereichen (Verdichtungsraum und seiner Randzone) wurde die Auswahl mittels eines einstufigen Ziehungsverfahrens, einer proportional geschichteten Zufallsstichprobe, getroffen . Es wurden Adressdaten aus allen Gemeinden gezogen . Die proportionale Schichtung basierte auf den Merkmalen Alter und Geschlecht . Bei den dem ländlichen Raum zugeordneten Gemeinden erfolgte ein zweistufiges Auswahlverfahren in Form einer Klumpenstichprobe . Hierfür wurden in einem ersten Schritt Gemeinden zufällig nach dem Schichtungsmerkmal Landkreis ausgewählt und in einem zweiten Schritt die proportional geschichtete Adressauswahl vollzogen . Es wurde eine standardisierte schriftlich-postalische Befragung durchgeführt . Das empirische Vorgehen wurde zuvor durch die Ethikkommission der Deutschen Gesellschaft für Pflegewissenschaft geprüft und erhielt ein ethisches Clearing (AntragNr . 18–006) . Die Befragung fand in einem Zeitraum von vier Wochen im Sommer 2019 statt und führte zu einem Rücklauf von 25,0 % (n = 625) . Die Auswertungen erfolgten deskriptiv mithilfe von absoluten und relativen Antworthäufigkeiten sowie bei metrisch-skalierten Items über Mittelwerte (M) und Standardabweichungen sowie Varianz . Stratifizierte Analysen werden nicht dargestellt, denn obwohl Wünsche und Erwartungen an Pflege individuell verschieden sein können, zeigen die Ergebnisse ein vergleichsweise einheitliches Bild hinsichtlich der sich daraus ergebenden Implikationen für die Ausbildung in der Pflege . Aus der Befragung wurden jene Variablen ausgewählt, aus denen sich Implikationen für die Ausbildung in den Pflegeberufen ableiten lassen . Das bedeutet, dass die Fragen keinen expliziten Bezug zur Ausbildung haben mussten, sich jedoch aus einem Prozess der Synthese der dargestellten empirischen Ergebnisse mit in der Literatur beschriebenen Befunden Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung ableiten ließen . Es waren keine systematischen Verzerrungen hinsichtlich der soziodemografischen Merkmale Alter und Geschlecht im realisierten Sample zu erkennen . Die Region Bodensee-Oberschwaben lässt sich aufgrund ihrer Einordnung in sowohl ländliche als auch urbane Räume nicht eindeutig einer Raumkategorie zuordnen (Danielzyk, Köhler, & Friedsmann 2017, S . 188) . Die Befunde sind demnach weder in der Region noch darüber hinaus vollständig verallgemeinerbar . Bei der Prüfung auf Konsistenz musste ein Fragebogen aufgrund inkonsistenter Angaben ausgeschlossen werden, sodass sich das Gesamtsample auf 624 Personen beläuft . Hinsichtlich des Risikos systematischer Verzerrungen durch Non-Response ist anzumerken, dass keine signifikanten Unterschiede im Bildungsstand der an der Befragung Teilnehmenden mit der Bevölkerung Baden-Württembergs im vergleichbaren Alter bestehen (Statistisches Landesamt Baden Württemberg, 2020) . Die soziodemografischen Merkmalen der Stichprobe sind in Tabelle 1 stratifiziert nach Geschlecht dargestellt . 53,8 % der Befragten sind weiblich . Das Durchschnitts-
249
250
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Tab. 1 Soziodemografische Charakteristika des Samples (n = 624) Frauen n
netto
= 624
Geschlecht
Absolute Häufigkeit
Männer
Relative Häufigkeit
Gesamt
Absolute Häufigkeit
Relative Häufigkeit
Absolute Häufigkeit
Relative Häufigkeit
336
53,8 %
288
46,2 %
624
235
69,9 %
241
83,7 %
476
76,3 %
Geschieden
34
10,1 %
28
9,7 %
62
9,9 %
Verwitwet
11
14,6 %
11
3,8 %
60
9,6 %
8
5,4 %
8
2,8 %
26
4,2 %
Keine Kinder
56
16,7 %
45
15,6 %
101
16,2 %
1 Kind
59
17,6 %
52
18,1 %
111
17,8 %
195
58,0 %
165
57,3 %
360
57,7 %
26
7,7 %
26
9,0 %
52
8,3 %
Familienstand Verheiratet/in fester Partnerschaft
Ledig Kinder
2 bis 3 Kinder 4 Kinder oder mehr
Allgemeinbildender Schulabschluss Hochschulreife/Abitur
74
22,0 %
125
43,4 %
199
31,9 %
Realschulabschluss/ Mittlere Reife
111
33,0 %
61
21,2 %
172
27,6 %
Haupt-/ Volksschulabschluss
148
44,1 %
100
34,7 %
248
39,7 %
Anderer/ kein Schulabschluss
3
0,9 %
2
0,7 %
5
0,8 %
Akademischer Abschluss
59
17,6 %
121
42,0 %
180
28,9 %
Abschluss als Meister/ Techniker
37
11,0 %
63
21,9 %
100
16,0 %
Betriebliche oder schulische Ausbildung
199
59,2 %
96
33,3 %
295
47,3 %
Kein Berufsabschluss / keine Angabe
36/5
10,7/1,5 %
6/2
2,1/0,7 %
42/7
6,7/1,1 %
17
5,1 %
14
4,9 %
31
5,0 %
Beruflicher Abschluss
Pflegebedürftigkeit
alter beträgt 69,2 (± 2,9) Jahre . Die durchschnittliche Kinderzahl liegt bei 1,9 (± 1,2), mit einer Spannweite von keinen bis zu sieben Kindern . Für die Erhebung wurden standardisierte Instrumente und eigenständig entwickelte Fragen, größtenteils in Form geschlossener Fragen und Hybridfragen, genutzt . Die erhobenen Themenfelder umfassten neben soziodemografischen Angaben Aspekte
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
rund um das Wohnen im Alter, Pflegevorerfahrungen, Vorstellungen zur pflegerischen Versorgung im Alter, Erwartungen an Pflege(-personal), sowie Angaben zum sozialen Umfeld und zur Gesundheit . Die Pflegeausbildung war nicht zentraler Bestandteil der Befragung . Daher werden im Folgenden ausgewählte Ergebnisse deskriptiv dargestellt, aus denen sich Implikationen für die Ausgestaltung der Pflegeausbildung ergeben . Diese Ergebnisse werden hinsichtlich ihrer Relevanz und Auswirkungen auf die Pflegeausbildung vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels und auch im Hinblick auf die Professionalisierung diskutiert . 3.
Ergebnisse und Implikationen für die Pflegeausbildung
3.1
Pflegebezogene Erfahrungen, Informationen und Erwartungen
Die Ergebnisse machen deutlich, dass sich Pflege inzwischen zu einem gesellschaftlich weit verbreiteten Phänomen entwickelt hat: Fast die Hälfte der Befragten (45,5 %) war bereits an der Pflege einer ihr nahestehenden Person beteiligt . Zudem gab ein Großteil der Befragten an, sich auch schon zum Thema „Pflege im Alter“ informiert zu haben (86,4 %) . Trotz des aktiven Informationsverhaltens fühlen sich insgesamt 30,3 % der Befragten eher schlecht bzw . schlecht über pflegerelevante Themen informiert . Als Informationsquellen werden insbesondere der informelle Austausch im persönlichen Umfeld (72,9 %) sowie Medien (55,3 %) genutzt . Somit bringen die potenziell zukünftig Pflegebedürftigen eine gewisse Expertise mit, von der bislang unklar ist, inwieweit diese im Pflegeprozess berücksichtigt wird und wie sie sich auf die Interaktion zwischen Pflegenden, Pflegebedürftigen und ihrem Umfeld auswirkt . Obwohl im Pflegeberufegesetz die Beratung als Bestandteil des Berufsbildes Pflege definiert ist (§ 5 Abs . 2 PflBG), hat die Nutzung von professionellen Beratungs- und Betreuungsangeboten nur eine geringe Bedeutung (25,6 %) . Dies deutet unter Umständen darauf hin, dass es sich hierbei um ein neues – bzw . bislang noch unzureichend ausgebildetes – Tätigkeitsfeld für Pflegende handelt oder aber das Feld der Beratung in der Pflegeausbildung noch gestärkt werden müsste . Dabei geht es nicht zwingend um mangelnde Beratungskompetenzen von Pflegenden, sondern vor allem um die Frage, wie sich Pflege in der Öffentlichkeit präsentiert . Bislang hat Pflege offensichtlich noch nicht die richtigen Wege gefunden, um ihre Beratungsangebote so zu präsentieren, dass sie wahrgenommen würden . Dementsprechend sollten in der Ausbildung entsprechende Konzepte vermittelt werden (Horst, 2006), in welchen es um die Darstellung der Aufgaben und der Professionalität der Pflege geht (ten Hoeve, Jansen, & Roodbol, 2014) . Neben diesen eher im Bereich der Öffentlichkeitsarbeit einzuordnenden Aspekten ist auch die Weiterentwicklung kommunikativer Kompetenzen von Bedeutung . Dies gilt insbesondere in Bezug auf die direkte Interaktion mit Pflegebedürftigen und deren Angehörigen (Gatterer, 2009), da sich tradierte Erfahrungen mit Pflege
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häufig auf konkrete Erfahrungen mit einzelnen Pflegenden, ambulanten Pflegediensten und Pflegeeinrichtungen beziehen . Die Befragten messen einer qualitativ hochwertigen Pflege eine große Bedeutung zu . Dies wird unter anderem an der insgesamt hohen Zahlungsbereitschaft deutlich: So sind 34,5 % der Befragten bereit, die gesamten finanziellen Ersparnisse einzusetzen (Abb . 1a) und 31,5 % würden die Eigentumswohnung oder das Eigenheim veräußern, um sich gute Pflege leisten zu können (Abb . 1b) b)
a)
Um mir gute Pflege leisten zu können, wäre ich dazu bereit, Um mir gute Pflege leisten zu können, wäre ich dazu bereit, meine Eigentumswohnung oder mein Eigenheim zu veräußern. meine gesamten finanziellen Ersparnisse einzusetzen. 23,0 %
8,0 %
10,0 % 33,6 %
23,5 %
24,5 %
42,6 % Stimme voll und ganz zu
34,9 % Stimme eher zu
Stimme eher nicht zu
Stimme überhaupt nicht zu
Abb. 1a) Bereitschaft zur Aufwendung des Ersparten für die eigene Pflege (n = 601); Abb. 1b) Bereitschaft zur Veräußerung des Eigenheims für die eigene Pflege (n = 578) (eigene Darstellung)
Die Bereitschaft zur Erbringung einer finanziellen Eigenleistung weist auf hohe Erwartungen und Ansprüche an die pflegerische Versorgung hin . Unter Berücksichtigung der sich zudem wandelnden – und stärker auf Individualisierung und Autonomie ausgerichteten – Vorstellungen an eine pflegerische Versorgung, sind Auszubildende darauf vorzubereiten, dass die Pflege der Zukunft im Wesentlichen durch eine ausdifferenzierte Nachfrage geprägt sein wird . Diese muss den individuellen – und somit heterogenen – Versorgungspräferenzen der Pflegebedürftigen entsprechen können (Mazzola & Hasseler, 2017) . Zudem sind Empathie und entsprechende kommunikative Kompetenzen erforderlich, um auf der einen Seite den Erwartungen gerecht zu werden und auf der anderen Seite auch potenziellen Konflikten adäquat begegnen zu können . Jede Pflegebeziehung stellt eine kommunikative Beziehung dar . Somit sind in der Pflegeausbildung Grundfragen des Selbstverständnisses über Beziehungsarbeit zu thematisieren, um Beziehung auch als ein pflegetherapeutisches Element nutzen zu können (Höwler, 2018) .
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
3.2
Soziale Kompetenz und Fachkompetenz: Divergenz oder Konvergenz?
Die Befragten sollten zwei Aspekte auswählen, die aus ihrer Sicht die wichtigsten Merkmale bzw . Eigenschaften einer Pflegekraft darstellen . Zur Auswahl standen hierbei Höflichkeit, gute deutsche Sprachkenntnisse, Studium/akademische Ausbildung, Zugehörigkeit zum eigenen Kulturkreis, fachliches pflegerisches Können, Verlässlichkeit/Pünktlichkeit (z . B . das Einhalten von Betreuungszeiten), Respektieren der Wünsche bzw . Achtung der Person und gleiches Geschlecht von zu Pflegenden und Pflegekraft . Die Ergebnisse zeigen deutlich, dass für die meisten Befragten mit Abstand das fachliche pflegerische Können (81,3 %) sowie das Respektieren der eigenen Wünsche bzw . die Achtung der Person (73,0 %) die wichtigsten Erwartungen an eine Pflegekraft sind . Dies zeigt, dass Fachkompetenzen und soziale Kompetenzen Pflegender für (potenzielle) Leistungsnutzer*innen gleichermaßen von hoher Bedeutung sind . Erst mit deutlichem Abstand wurden weitere Aspekte, wie z . B . Höflichkeit (30,4 %), Verlässlichkeit/Pünktlichkeit (28,8 %) und gute deutsche Sprachkenntnisse (19,2 %) gewählt .
Höflichkeit
30,4 %
Gute deutsche Sprachkenntnisse Studium / Akademische Ausbildung Zugehörigkeit zu meinem Kulturkreis
19,2 % 0,6 % 5,5 %
Fachliches pflegerisches Können
81,3 %
Verlässlichkeit / Pünktlichkeit
28,8 %
Respektieren meiner Wünsche bzw Achtung meiner Person Gleiches Geschlecht wie ich Sonstige Merkmale
73,0 % 6,6 % 3,9 %
Abb. 2 Benennung der beiden wichtigsten Merkmale bzw. Eigenschaften einer Pflegekraft aus Sicht der Leistungsnutzer*innen (n = 619) (eigene Darstellung)
Die Bedeutung sozialer Kompetenzen zeigt sich auch darin, dass das Bild der Pflege in der Gesellschaft weiterhin noch stark historisch, christlich-nächstenliebend geprägt und weiblich konnotiert ist (Steinle et al ., 2020) . Eine Definition der Handlungsfachlichkeit der Pflege – die außerhalb allgemeiner christlicher Werte und der Unterstützung bei Alltagsaktivitäten liegt – wird selbst innerhalb der Berufsgruppe in Teilen
253
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weiterhin diskutiert (Friesacher, 2008) . Obwohl die Pflege sehr vielfältige Kompetenzbereiche beinhaltet (Benner, 2017), kann die Diskussion um den Kern pflegefachlichen Handelns zugleich zu einer Abwertung einzelner Aspekte des pflegerischen Handelns führen . Dies geschieht insbesondere dann, wenn eher medizinnahe Tätigkeiten, also die sogenannte „Behandlungspflege“, als höherwertige Aufgaben definiert werden und in der Folge die patient*innennahen Interaktionen eine geringere Wertigkeit zugesprochen bekommen (Friesacher, 2015) . In diesem Zusammenhang weist Marianne Friese (2010) darauf hin, dass Pflege eine Arbeit am Menschen darstellt, die somit besondere Spannungsfelder für die Professionalisierung von Care Work mit sich bringt: Care ist sowohl ein Beziehungsangebot als auch eine Pflegetätigkeit, die entsprechender Standards beruflicher Tätigkeiten bedarf . Dabei ist die Abgrenzung zwischen Fach- und Sozialkompetenz nicht trennscharf zu ziehen bzw . sind soziale Kompetenzen gleichsam Bestandteil der Fachkompetenzen (Friese, 2010) . In der Befragung wurden die größten Sorgen in Zusammenhang mit Pflegebedürftigkeit auf einer Skala von 0 (keine Sorge) bis 10 (sehr starke Sorge) erhoben . Auch hier zeigt sich die nahezu gleichwertige Bedeutung sozialer und fachlicher Kompetenzen Pflegender, da die Einschränkung privater Interessen und Vorlieben durch Pflegebedürftigkeit (M = 6,80) und eine schlechte Qualität der Pflege (M = 6,62) als die größten Sorgen benannt wurden (vgl . Tabelle 2) . Der Umgang mit eben diesen Sorgen ist ein zentrales Aufgabenfeld der Pflege, in welchem es um die Unterstützung der Selbstständigkeit und Achtung der Selbstbestimmung (§ 5 Abs . 2 PflBG), um Helfen, Beraten und Betreuen, aber eben auch um Organisation, Zusammenarbeit und die Integration von Expertenstandards in den Pflegeprozessen geht (Benner, 2017; Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020) . Basierend auf diesen Ergebnissen lässt sich subsummieren, dass es einer Agglomeration sozialer und fachlicher Fähigkeiten zur Ausübung des Pflegeberufs bedarf, die im Rahmen der Ausbildung erlernt oder verstärkt werden sollten . Die sozialen und fachlichen Fähigkeiten sind hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Pflegebedürftigen, z . B . hinsichtlich der Sorge vor einer schlechten Qualität der Pflege, auch nicht trennscharf, da sie sich wechselseitig bedingen und gemeinsam auf die Ausübung pflegerischer Tätigkeiten auswirken . Tab. 2 Sorgen im Zusammenhang mit einer möglichen Pflegebedürftigkeit Schlechte Verletzung Einschränkung Qualität der privater der Pflege Privatsphäre Interessen und Vorlieben n
601
Langeweile
Verein- Verschlechterung Schutzlosigkeit samung der Beziehung zu und Angehörigen Gewalt
598
601
598
599
598
597
Mittelwert
6,62
6,12
6,80
5,83
6,20
5,03
5,61
Standardabweichung
2,40
2,70
2,21
2,70
2,76
2,81
2,95
Varianz
5,75
7,30
4,87
7,31
7,64
7,91
8,72
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
3.3
Diversifizierung individueller Bedarfslagen
Die Ergebnisse der repräsentativen Bevölkerungsbefragung zeigen – kongruent zu vorangegangenen Befragungen (Hajek et al ., 2018; Kuhlmey et al ., 2010) – eine deutliche Präferenz für eine häusliche Versorgung . Dabei ist eine Unterstützung durch verschiedene Akteur*innen (z . B . häusliche Pflege durch ambulanten Pflegedienst [92,9 %], häusliche Pflege in Kombination mit Tagespflege [82,5 %], häusliche Pflege durch eine Kombination aus Angehörigen und ambulantem Pflegedienst [75,4 %], Pflege durch eine private Pflegekraft [67,9 %]) überwiegend (eher) gut vorstellbar . Eine häusliche Pflege allein durch Angehörige wird dagegen weniger stark präferiert (46,7 %) und lediglich 37,4 % der Befragten können sich eine pflegerische Versorgung in einem Pflegeheim (eher) gut vorstellen . Zudem zeigt sich eine hohe Akzeptanz innovativer Versorgungskonzepte, wie der Pflege im betreuten Wohnen (76,6 %), im Mehrgenerationenwohnen (62,6 %) und in einer Wohngemeinschaft für ältere Menschen (57,6 %) . Entsprechend dieser individuellen Erwartungen an die pflegerische Versorgung, die neben der Pflege zu Hause insbesondere den Wunsch nach einer Pflege durch professionelle Pflegekräfte aufzeigen, bedarf es zugleich einer kontinuierlichen und evidenzbasierten Weiterentwicklung pflegerischer Versorgungskonzepte, um den Anforderungen gerecht zu werden . Die starke Präferenz für eine Versorgung im häuslichen Umfeld stellt besondere Anforderungen an die ambulante Pflege, die in der Ausbildung zu adressieren sind . Dies gilt z . B . im Hinblick darauf, dass in der Befragung der kommenden Generation potenziell zukünftiger Pflegebedürftiger 27,0 % angaben, nicht barrierefrei zu wohnen und weitere 25,5 % ihre Wohnsituation als eher nicht barrierefrei einschätzten . Erforderlich sind dahingehend bspw . vertiefte Kenntnisse von Pflegenden zu technischen Unterstützungssystemen, die Risiken durch bestehende Barrieren oder drohende Vereinsamung in der Häuslichkeit reduzieren bzw . ggf . kontrollieren lassen . Aus den Ergebnissen der Befragung der (potenziellen) Leistungsnutzer*innen lässt sich eine hohe Bereitschaft zur Nutzung digitaler Technologien erkennen: Der überwiegende Teil der Befragten (93,1 %) kann sich den Einsatz unterstützender Technologien vorstellen, wenn dadurch ein Verbleib im häuslichen Umfeld ermöglicht wird . Daher sollten die Anwendung und Einsatzmöglichkeiten digitaler Technologien sowie deren Chancen und Risiken und ethische Gesichtspunkte bereits in der Ausbildung reflektiert werden (Fuchs-Frohnhofen et al ., 2018) . Da Pflegende zunehmend in der Häuslichkeit der Patient*innen mit entsprechenden Unterstützungssystemen konfrontiert werden, bezieht sich der Schulungsbedarf nicht nur auf Informations- und Kommunikationstechnologien mit direktem Bezug zur Patient*innenversorgung, sondern auch auf weitere Applikationen, welche die Autonomie Pflegebedürftiger stärken (Eggert, Sulmann, & Teubner, 2018) . Die Einführung und Nutzung eben solcher Technologien sollte nach der Ausbildung in pflegerische Arbeitszusammenhänge eingeordnet, beurteilt, reflektiert und ggf . an Dritte vermittelt werden können
255
40%
50,5%
37,1%
23,8%
Gar nicht vorstellbar
27,5%
75,2%
44,3%
51,9%
100%
14,8%
13,5%
15,7% 7,6%
18,3%
14,4%
8,6%
7,4%
6,2%
15,1%
17,3%
80%
23,6%
43,1%
38,1%
60%
34,1% 35,7%
41,1%
19,5%
Eher nicht vorstellbar
Abb. 3 Welche pflegerische Versorgungsform könnten Sie sich für Ihre eigene Versorgung vorstellen? Mehrfachnennung (eigene Darstellung)
Eher vorstellbar
20,6%
Pflege in Wohngemeinschaften für ältere Menschen (n = 568)
Gut vorstellbar
21,5%
26,1%
5,7% 17,1%
Pflege im Mehrgenerationenwohnen (n = 562)
Pflege im Betreuten Wohnen (n = 578)
Pflege im Ausland (n = 545)
25,6%
30,6%
Häusliche Pflege in Kombination mit Tagespflege (n = 507)
Pflege in einem Pflegeheim (n = 551)
32,3%
11,8%
49,8% 41,3%
27,2%
20%
Häusliche Pflege durch eine private Pflegekraft (n = 513)
H. Pflege durch Angehörige und amb. Pflegedienst (n = 543)
Häusliche Pflege durch einen amb. Pflegedienst (n = 548)
Häusliche Pflege durch Angehörige (n = 522)
0%
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Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
(Fuchs-Frohnhofen et al ., 2018) . Insofern wird das Aufgabenspektrum von Pflegefachkräften um die Rolle als „Technikvermittler*innen“ erweitert (Hielscher, Kirchen-Peters, & Sowinski, 2015) . Bislang hat dieser Themenbereich jedoch eine – wenn überhaupt – untergeordnete Rolle in der Qualifikation von Pflegekräfte eingenommen (Steinle et al ., 2017) . Die steigende Komplexität der Pflegesituationen, in Verbindung mit einem zunehmenden Bedarf an psychosozialer Unterstützung sowie der Individualität der Pflegebedürftigen (Gurtner et al ., 2018), erfordern ein umfangreiches Spezial- und Erfahrungswissen der Pflegenden (Dangendorf & Sander, 2017; Dunkel, 2005) . Zum Umgang mit hochkomplexen und diffusen Pflegesituationen benötigen vor allem Altenpfleger*innen eine hermeneutische Fallkompetenz (Ertl-Schmuck & Altmeppen, 2018) . Daher ist innerhalb der Ausbildung zunächst auf der Basis theoretischer Grundlagen ein möglichst umfassendes Verständnis für die Situation Pflegebedürftiger zu schaffen und die Entwicklung von Kompetenzen in konkreten Fallsituationen zu erlernen . Dies ist kongruent mit der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung in der generalistischen Pflegeausbildung, in welcher ein fallbezogenes Lernen (unter Berücksichtigung der Heterogenität Pflegebedürftiger hinsichtlich Alter, sozialem und kulturellem Umfeld und verschiedener Versorgungsbereiche) explizit gefordert wird . Gemäß der von Benner (2017) beschriebenen Kontextfaktoren der Expertisenentwicklung kann die pflegerische Expertise jedoch nicht ausschließlich im Rahmen der Ausbildung vermittelt werden . Stattdessen bedarf es der praktischen Erfahrung, die sich erst im Arbeitsfeld entwickelt . 3.4
Akademisierung und Professionalisierung
Für die Studienteilnehmer*innen der repräsentativen Befragung scheint es keine Rolle zu spielen, ob die Qualifizierung über ein Studium oder eine berufliche Ausbildung erfolgt: Nur vier von 625 Befragten (0,6 %) benannten eine akademische Ausbildung als eine der beiden wichtigsten Anforderungen an Pflegekräfte (vgl . Abb . 2), während fachliches Können von 81,3 % der Befragten gewählt wurde . Dies weist auf eine Ergebnisorientierung der zukünftigen (potenziellen) Leistungsnutzer*innen hin . Demnach sind weder der Ort noch die Art der Vermittlung der Ausbildung von Bedeutung, solange sowohl die sozialen als auch fachlichen Kompetenzen bei Pflegekräften vorhanden sind und somit die Qualität der Pflege gegeben ist . Gleichzeitig muss bei der Beurteilung dieses Ergebnisses berücksichtigt werden, dass bislang kaum Erfahrungen von Pflegebedürftigen oder ihren Angehörigen mit akademisch ausgebildeten Pflegekräften bestehen, da noch zu wenige von diesen in der direkten Pflegearbeit erlebt oder aber eindeutig als solche erkannt werden . Auswirkungen der Akademisierung der Pflege wurden bislang vor allem hinsichtlich der Arbeitsmarktperspektiven und des Berufsverbleibs dargestellt (Winter, 2005) . Zu-
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258
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dem liegen Einschätzungen aus Sicht von Pflegekräften (Mertens et al ., 2019) und aus dem internationalen Kontext vor, in welchem die Akademisierung der Pflege teilweise deutlich früher als in Deutschland begonnen hat (Moers & Schaeffer, 1993) . Wie jedoch Leistungsnutzer*innen die Bedeutung der Akademisierung in der Pflege wahrnehmen und bewerten, kann erst dargestellt werden, wenn eine gesicherte Erfahrungsgrundlage besteht . Neben dieser externen Zuschreibung der Bedeutung der Akademisierung durch die Bevölkerung bedarf es aber auch einer Klärung des Berufs(handlungs)verständnisses in der Pflege selbst (Breuckmann, 2018; Kälble & Pundt, 2016) . Dabei vermag die Akademisierung dazu beizutragen, dass Pflegekräfte den Herausforderungen der anspruchsvollen Arbeit hinsichtlich der individuellen Gestaltung des sozialen Kontextes einer jeden Pflegesituation kompetenter gegenüberstehen (Darmann-Finck & Reuschenbach, 2018) . Die Akademisierung kann dazu führen, dass Pflegende eher in der Lage sind, das individuelle Handeln zu reflektieren sowie den Rahmenbedingungen kritisch gegenüber zu stehen und diese auch selbst zu gestalten (Dallmann & Schiff, 2016), z . B . in Form einer berufspolitischen Interessenvertretung über Pflegekammern (Schwinger, 2016) . Derzeit lässt sich nicht nur eine Erweiterung der pflegerischen Handlungsfelder im Rahmen einer horizontalen Differenzierung beobachten . Durch die Akademisierung und Spezialisierung kommt es auch zu einer vertikalen Differenzierung (Rixe, Löhr, & Schulz, 2017), die es zunächst von den Pflegeeinrichtungen im Sinne einer Aufgabenteilung zugunsten der Pflegenden zu bewältigen gilt . Dadurch entstehen neue Handlungsfelder, sodass Tätigkeiten neu zugeordnet werden müssen und Pflegende insgesamt eine größere Handlungsautonomie erhalten (DBfK, 2013) . Auf Basis des Pflegeberufegesetzes wird dies nun durch die Definition der Vorbehaltstätigkeiten sowie durch die erweiterten Ausbildungsziele der hochschulischen Pflegeausbildung (§ 37 PflBG) angegangen . Darin lassen sich wichtige Schritte zur Verbesserung der Versorgungsqualität und Stärkung des Berufsbildes der Pflege erkennen (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020) . Gemäß dem Konzept der Stufen zur Pflegekompetenz (Benner, 2017) ist der Umgang mit den Herausforderungen einer nutzer*innenorientierten Gestaltung des sozialen Kontextes für Neulinge noch schwierig zu bewerkstelligen . Aus diesem Grund müsste es Ziel innerhalb der Pflegeinstitutionen sein, Expertise in der eigenen Einrichtung zu halten bzw . die Aufgaben der pflegerischen Versorgung entlang des Qualifikationsgrades aufzuteilen (Qualifikationsmix/Skill-Grade-Mix) (Reiber, 2017) . Insofern gelten die hier abgeleitete Implikationen nicht nur für die berufliche Erstausbildung (sei es im beruflichen oder hochschulischen Bildungswesen), sondern auch für die Weiterbildung im Pflegebereich . Die Professionalisierung der Pflege ist dabei über die gesamte Berufslaufbahn der Pflegefachkräfte zu fördern . Ein ausdifferenzierter Skill-Grade-Mix wird Umstrukturierungen der Verantwortlichkeiten und Tätigkeiten erforderlich machen (Heyelmann, 2015) . Auch das spricht für umfassende Bildungskonzepte, wie sie sich aktuell in den Empfehlungen
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
zur Musterweiterbildungsordnung für Pflegeberufe (Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe, 2020) finden lassen . Zudem macht die vertikale Differenzierung das Erfordernis deutlich, nicht nur Maßnahmen zur Fachkräftegewinnung umzusetzen, sondern auch gezielt Fachpersonalsicherung zu betreiben . Somit würde nicht (immer) nur aus dem quantitativen Aspekt des Mangels an Fachkräften heraus gehandelt, sondern ebenso sehr aus dem qualitativen Blickwinkel mit Fokus auf die Qualifikation heraus . Bezogen auf weitere Sorgen (potenzieller) Leistungsnutzer*innen zeigen sich Vereinsamung (M = 6,20) und Verletzung der Privatsphäre (M = 6,12) als relevante Entitäten (vgl . Tab . 2) . Diese Sorgen unterstreichen die Relevanz einer humanistisch geprägten professionellen Identität in der Pflegeausbildung . Teilweise werden in der Literatur Sorgen geäußert, dass die Akademisierung zu einer Entmenschlichung und einer Vergrößerung des Machtgefälles zwischen beruflichen Pflegenden und zu Pflegenden beitragen kann, Leistungsnutzer*innen „von oben herab“ behandelt werden oder nur Theoriewissen vermittelt wird und dabei die Handlungspraxis zu kurz kommt (Schünemann, 2020) . Dies widerspricht aber den Intentionen, die in einem Kerncurriculum Pflegewissenschaft für pflegebezogene Studiengänge festgehalten sind . Dort wird akademische Pflege als Praxisdisziplin definiert, die befähigt ist, mit dem Spannungsverhältnis zwischen Theorie und Praxis umzugehen . „Beziehungsarbeit“ ist dabei konstitutive Domäne handlungsbezogener Kompetenzen (Hülsken-Giesler et al ., 2010) . Zudem sind die Rahmenlehrpläne auf die Vermittlung sozialer und reflexiver Kompetenzen in der akademischen Pflegeausbildung ausgelegt (Fachkommission nach § 53 Pflegeberufegesetz, 2020) . Somit ist fraglich, ob es durch die Akademisierung zu einer Verstärkung des Machtgefälles bzw . der asymmetrischen Beziehung zwischen Pflegenden und Pflegebedürftigen kommen wird (Dreissig, 2008) . Abzuwarten bleibt, welche Effekte die Akademisierung auf die Machtstrukturen und Hierarchien in der Pflege haben wird und inwieweit sich dies ggf . indirekt auf Leistungsnutzer*innen auswirken wird . 4.
Fazit
Eine qualitativ hochwertige und zugleich nutzer*innenorientierte Ausbildung stellt eine Voraussetzung dar, um auf der einen Seite die Erwartungen der Pflegebedürftigen erfüllen zu können und auf der anderen Seite die Attraktivität des Pflegeberufs zu steigern und damit dem Fachkräftemangel zu begegnen . Grundsätzlich ist jede pflegerische Tätigkeit situativ bedingt, sodass sich angemessene Handlungsweisen erst in Abhängigkeit der individuellen (pflegebezogenen) Bedürfnisse ergeben (Brater, 2016) . Im Zuge der Professionalisierung und somit auch der Ausgestaltung der Ausbildung in der Pflege sollten daher Pflegebedürftige im Mittelpunkt stehen . Obwohl die befragte Gruppe der 65- bis 75-Jährigen durchaus heterogen ist, z . B . hinsichtlich der Vor-
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erfahrungen mit pflegerischer Versorgung oder aber den Möglichkeiten professionelle Pflege in Anspruch nehmen zu können, lassen sich doch zentrale Tendenzen in Bezug auf Erwartungen an die Pflege aufzeigen, welche wiederum wichtige Implikationen für eine (Neu-)Ausrichtung der Ausbildung von Pflegefachkräften mit sich bringen . Kommende Generationen junger Menschen können für eine Aufnahme eines Pflegeberufs nur dann gewonnen werden, wenn sie einen Sinn in der Tätigkeit sehen und die Rahmenbedingungen der Ausbildung sowie die Arbeitsgestaltung verbessert werden – auch hierfür bietet die Perspektive (potenzieller) Leistungsnutzer*innen zentrale Ansatzpunkte, um Veränderungsprozesse in Gang zu setzen . Es bedarf insgesamt einer konzeptionellen Weiterentwicklung und eines Systemwandels in der Versorgung alter Menschen, um eine neue Kultur der Langzeitpflege zu implementieren (Brandenburg & Schulz-Nieswandt, 2015; Brandenburg, Bossle, & Winter, 2021) . Auszubildende in der Pflege könnten als Change Agents fungieren, um Veränderungen umzusetzen, die durch die Ausbildung angeregt werden . Dadurch kann eine Veränderung des Versorgungssystems aus sich heraus geschehen und die Professionalisierung der Pflegeberufe gefördert werden . Der Wandel der Pflegeberufe bedingt durch die generalistische Ausbildung sowie die Akademisierung wurde vielfältig diskutiert (Darmann-Finck & Reuschenbach, 2018; Kälble & Pundt, 2016) – auch hinsichtlich seiner Auswirkungen auf die Professionalisierung (Kälble, 2005; Moses, 2015) . Dennoch kommen viele Veränderungen – die auch mit der Pflegeausbildung angestoßen wurden – beispielsweise nicht in der Altenpflege an . Die Pflege alter Menschen ist bislang kein Innovationsmotor . Auf der einen Seite zeigt sich dies in der Befürchtung, dass die Altenpflege durch die Generalistik – und eines damit verbundenen abgesenkten Anforderungsprofils sowie einer geringeren Profilierung und Differenzierung (Hoppe, 2009; Kriesten, 2014) – zu einer Pflege zweiter Klasse wird (Knigge-Demal, 2018) . Auf der anderen Seite wird kritisch gesehen, dass an der ambitionierteren – weil generalistisch angelegten – Ausbildung mehr Auszubildende scheitern werden, die bislang die klassische Altenpflege-Ausbildung absolviert haben . Darüber hinaus besteht die Vermutung, dass generalistisch ausgebildete Pflegekräfte aufgrund ihrer Flexibilität eher die Altenpflege meiden bzw . verlassen werden, da diese als nicht attraktiv bewertet wird . Daher bedarf es langfristiger und tragfähiger Konzepte, die an verschiedenen Ebenen (systemisch, institutionell, nutzer*innenorientiert) ansetzen und bereits in der Ausbildung thematisiert werden sollten . Entsprechende Innovationen müssen dabei die Erwartungen, Bedarfe und Bedürfnisse potenziell zukünftig Pflegebedürftiger berücksichtigen .
Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
Literatur
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Förderung
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Implikationen für eine zukunftsorientierte Pflegeausbildung
Claudia Boscher, M. A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gerontologische
Versorgungs- und Pflegeforschung (IGVP) an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Pflegerische Versorgung älterer Menschen, Fachkräftesicherung in der Pflege, Public Health . E-Mail: claudia .boscher@rwu .de Florian Fischer, Dr., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gerontologische Versorgungs- und Pflegeforschung (IGVP) an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Versorgungsforschung, Public Health, Digitalisierung im Kontext von Gesundheit und Pflege . E-Mail: florian .fischer@rwu .de Lea Raiber, M. A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gerontologische Versorgungs- und Pflegeforschung (IGVP) an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Pflegerische Versorgung älterer Menschen, Fachkräftesicherung in der Pflege, Public Health . E-Mail: lea .raiber@rwu .de Anita Rölle, B. A., wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Gerontologische Versorgungs- und Pflegeforschung (IGVP) der Hochschule Ravensburg Weingarten (RWU) . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: (Technikgestützte) Innovationen für Leben und Pflege im Alter, Pflegeausbildung (inkl . Einsatz digitaler Medien) . E-Mail: anita .roelle@rwu .de Johannes Steinle, M. A., wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Gerontologische Versorgungs- und Pflegeforschung (IGVP) an der Hochschule Ravensburg-Weingarten (RWU) . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: (Technikgestützte) Innovationen für Leben und Pflege im Alter, Digitalisierung und Alter(n) . E-Mail: johannes .steinle@rwu .de Maik H.-J. Winter, Prof. Dr., Professur für Gerontologische Pflege, Direktor des Instituts für Gerontologische Versorgungs- und Pflegeforschung (IGVP) und Studiendekan des ausbildungsintegrierenden Pflegebachelorstudiengangs an der Hochschule RavensburgWeingarten (RWU) . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: (Technikgestützte) Innovationen für Leben und Pflege im Alter, Professionalisierung und Fachkräftesicherung in der Pflege, Digitalisierung in der pflegerischen Versorgung und Pflegebildung . E-Mail: maik .winter@rwu .de
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Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege als Beitrag zur Professionalisierung auf individueller Ebene JUTTA MOHR
Systematic Continuing Education and Training in Nursing as a Contribution to Professionalization at the Individual Level Kurzfassung: Die Professionalisierung beruflicher Pflege in Deutschland wird meist auf makro-
perspektivischer Ebene verhandelt . In diesem Beitrag wird die Notwendigkeit beruflicher Fortund Weiterbildung nicht-hochschulisch ausgebildeter Pflegefachpersonen erörtert und hierfür der Fokus auf den individuellen Prozess der Professionalisierung gerichtet . Basierend auf empirischen Daten wird der Status Quo betrieblicher Fort- und Weiterbildung in Einrichtungen beruflicher Pflege diskutiert . Leitungspersonen berichten von Strategien und Ansätzen individueller Personalentwicklung . Dennoch bestehen Entwicklungsbedarfe, die individuelle Professionalisierung der Pflegefachpersonen systematisch zu fördern . Davon können sowohl Pflegefachpersonen als auch Einrichtungen und der Pflegeberuf profitieren . Schlagworte: Pflegeberufe, Pflegefachpersonen, Fortbildung, Weiterbildung, berufliche Weiterbildung, Professionalisierung Abstract: In Germany, professionalization of nursing care is mostly negotiated from a macro per-
spective . This article discusses the need of continuing education and training for non-university educated nurses . For this purpose, it shifts the focus to the individual process of professionalization . Based on empirical data, the status quo of in-company training and continuing education in institutions of professional care is discussed . Managers report on strategies and approaches for individual personnel development . Nevertheless, there is a need for enhancement to promote the individual professionalization of nursing professionals systematically . This could benefit nursing professionals, institutions and the nursing profession . Keywords: nursing profession, nurses, continuing education, professional development, in-service training, professionalization
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JUTTA MOHR
1.
Problemaufriss
In dem im Jahr 2020 in Kraft getretenen Pflegeberufegesetz wurde erstmalig die Pflegeprozessverantwortung als Vorbehaltsaufgabe von Pflegefachfrauen und-männern verankert (§ 4 PflBG) . Dies kann auf die Professionalisierungsbestrebungen beruflicher Pflege und die Beschreibung ihrer berufsimmanenten Expertise zurückgeführt werden, die in den letzten Jahrzehnten stattgefunden hat (Hundenborn & KniggeDemal, 2018, S . 237) . Die Pflegeprozessverantwortung erfordert die Ausbildung spezifischer Kompetenzen, deren Grundlegung, wie im Pflegeberufegesetz beschrieben, in der Erstausbildung erfolgt . Gleichwohl ist dieser Prozess nach der Ausbildung nicht als abgeschlossen anzusehen . Die komplexen Versorgungssituationen verbunden mit bspw . Multimorbidität (bspw . Isfort et al ., 2018, S . 57), die Weiterentwicklung (nachbar-)disziplinspezifischen Wissens, berufsethische Entscheidungsfindungen (bspw . Riedel & Linde, 2018) und der Umgang mit begrenzten Ressourcen machen eine konsequente Fort- und Weiterbildung diesbezüglicher Kompetenzen erforderlich . Professionelles Pflegehandeln bedarf einer kontinuierlichen Entwicklung, die nur „durch ein integriertes System aus systematischer Erstausbildung, Berufseinstiegsmaßnahmen und kontinuierlicher beruflicher Fort- und Weiterbildung“ (Kaiser, 2005, S . 245) gewährleistet werden kann . In diesem Zusammenhang rückt die Bedeutung der Einrichtungen beruflicher Pflege in den Fokus . Aus dieser Perspektive lässt sich Fort- und Weiterbildung als Bestandteil von Personalentwicklung definieren (Sailer, 2016, S . 347), die zur Personalgewinnung und -bindung beiträgt (Stockinger, 2014, S . 6) . Auf Prozessebene sollen Mitarbeitende dazu befähigt werden, in ihren spezifischen Einsatzfeldern situationsbezogen und problemlösend selbständig handeln zu können (Sailer, 2016, S . 359) . Gleichzeitig wird Professionalisierung in der beruflichen Pflege meist nicht auf individueller Ebene, sondern makroperspektivisch im Zusammenhang mit Akademisierung verhandelt . Im europäischen Vergleich ist eine hochschulische Ausbildung zwar Standard (Lehmann et al ., 2016, S . 410), in Deutschland hingegen ist aktuell nur ein geringer Teil Pflegefachpersonen mit hochschulischem Abschluss beschäftigt . Im Jahr 2017 waren es in der stationären Altenpflege 0,45 Prozent aller Beschäftigten (Deutscher Bundestag, 2019, S . 3) . In der ambulanten Pflege verfügten 0,34 Prozent (ebd .) und an den Universitätskliniken im Jahr 2015 1,7 Prozent der Pflegefachpersonen (Tannen, Feuchtinger, Strohbücker, & Kocks, 2017, S . 3 f .) über einen hochschulischen Abschluss . Das bedeutet im Umkehrschluss, dass in der Pflegepraxis nach wie vor der Großteil der Pflegefachpersonen ohne hochschulischen Abschluss beschäftigt ist . Umso mehr steigt die Relevanz, die Professionalisierung der nichthochschulisch ausgebildeten Pflegefachpersonen in den Blick zu nehmen . In diesem Beitrag wird betriebliche Fort- und Weiterbildung von nicht-hochschulisch ausgebildeten Pflegefachpersonen zu den Professionalisierungsbestrebungen beruflicher Pflege in Beziehung gesetzt . Es wird herausgearbeitet, warum es aus
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
betrieblicher Perspektive indiziert ist, die Fort- und Weiterbildung der Pflegefachpersonen systematisch zu unterstützen, um hierüber den Prozess der Professionalisierung auf individueller Ebene zu fördern . Zunächst wird als Bezugsrahmen der Fokus von der makroperspektivischen Sichtweise der Professionalisierung beruflicher Pflege auf den individuellen Prozess der Professionalisierung verschoben . Anschließend wird als Gegenstand der Ausführungen Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege erläutert . In einem nächsten Schritt wird zur Illustration der Ausführungen der Beitrag von Einrichtungen beruflicher Pflege als Orte des Angebots, Bedarfs und der Steuerung beruflicher Fort- und Weiterbildung anhand empirischer Daten beleuchtet . Aus der Zusammenschau wird abschließend die Notwendigkeit systematischer Fort- und Weiterbildung als Beitrag zur Professionalisierung von Pflegefachpersonen auf individueller Ebene skizziert . Der Beitrag endet mit Ansatzpunkten für inner- und überbetriebliche Gelingensbedingungen . 2.
Bezugsrahmen: Professionalisierung mit dem Fokus auf die individuelle Ebene
Professionalisierung kann auf zwei Ebenen differenziert werden: Einerseits beschreibt Professionalisierung den gesellschaftlichen und kollektiven Prozess einer Berufsgruppe in dem Bestreben, sich zu einer Profession hin zu entwickeln und als solche anerkannt zu werden . Auf der anderen Seite bezeichnet sie auf individueller Ebene die Entwicklung der professionellen Handlungskompetenz der Mitglieder einer Berufsgruppe . In der beruflichen Bildung finden hierfür die Begrifflichkeiten formale und funktionale Professionalisierung Anwendung (Lempert, 2010, S . 20 f .), wie sie bspw . im Zusammenhang mit der Qualifizierung betrieblichen Bildungspersonals diskutiert wird (Fasshauer, 2017) . Für die berufliche Pflege formuliert Hülsken-Giesler die Unterscheidung zwischen äußerer und innerer Professionalisierung (Hülsken-Giesler, 2016, S . 167 ff .) . 2.1
Professionalisierung der Berufsgruppe: äußere Professionalisierung
Professionalisierung wirkt innerhalb der beruflichen Pflege wie ein „Zauberwort“ (Kälble, 2017, S . 27), verbunden mit der Hoffnung, eine Aufwertung zu erreichen . Seit den 1990er Jahren ist die Professionalisierung des Pflegeberufs „ein zentrales Ziel der beruflichen Pflege und ihrer Berufsverbände“ (ebd ., S . 28) .1 In der Diskussion werWenn man den Blick über die berufliche Pflege hinaus weitet, lässt sich jedoch feststellen, dass der Professionalisierungs-Diskurs außerhalb der Pflegeberufe eine nachrangige Rolle spielt und hauptsächlich innerhalb der (akademisierten) Pflege geführt wird (Seltrecht, 2016, S . 499) .
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den je nach Fokus und Intention aus der Makroperspektive heraus unterschiedliche Begründungszusammenhänge betont . Dabei wird Professionalisierung zumeist mit Akademisierung und Selbstverwaltung in Zusammenhang gebracht . Hier zeigt sich die Geschichte der Verwissenschaftlichung und Selbstorganisation beruflicher Pflege, die seit den 1990er Jahre in Deutschland vorangetrieben wurden . Die Entwicklungen gründen in der seinerzeit diskutierten Definition einer Profession über indikationstheoretische Kategorisierungsmerkmale, wie bspw . wissenschaftliche Ausbildung, Selbstverwaltung und Handlungsautonomie (Hülsken-Giesler, 2014, S . 386 ff .) . Diese makrotheoretischen Ansätze in der Professionalisierungsgeschichte der Pflegeberufe können als „äußere Professionalisierung“ (Hülsken-Giesler, 2016, S . 167) beschrieben werden . Bedingt durch eine zunehmende Realisierung der Kriterien merkmalstheoretischer Professionstheorien ist ein Fortschreiten der Professionalisierung beruflicher Pflege mittlerweile unstrittig . Dies zeigt sich bspw . an einer stetig steigenden Anzahl hochschulischer Ausbildungsangebote für die Pflege (Kälble, 2017, S . 33) . So ist seit 2020 im Pflegeberufegesetz nun erstmalig eine primärqualifizierende Pflegeausbildung an Hochschulen verankert (§ 37–39 PflBG) und der Anteil an fachspezifischer hochschulischer Erstausbildung und Weiterqualifizierung als Ergänzung der nicht-hochschulischen Ausbildung für eine Tätigkeit in der direkten Versorgung wächst kontinuierlich (Reiber & Winter, 2018, S . 13) . Darüber hinaus wird berufliche Pflege zunehmend als Profession benannt, adressiert und als solche gefordert (bspw . Robert Bosch Stiftung, 1992; Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen, 2014) . Sowohl Professionalität als auch die Anerkennung als Profession bedürfen eines Gegenübers . Somit wohnt beidem auch eine „Inszenierungsleistung“ (Geissler, 2013, S . 31) inne . Gleichzeitig kann eine Abkehr von den kriterienbezogenen Professionstheorien beobachtet werden, da sie sich als nicht haltbar erwiesen (Hülsken-Giesler, 2014, S . 387) . Bspw . folgerte Rabe-Kleberg bereits 1997, dass auch als originär betitelte Professionen keine unabhängigen Berufe darstellen, sondern in Organisationen eingebettet sind und somit Effizienz- und Kontrollprinzipien unterliegen (Rabe-Kleberg, 2016, S . 291) . Professionalisierung ist als Prozess zu verstehen, ein Berufsfeld zu entwickeln (Mieg, 2016, S . 30) . Genauso wenig, wie es eine einheitliche Professionstheorie gibt bzw . geben kann (Kälble, 2017, S . 37) und unterschiedliche (gesellschafts-)theoretische Ansätze diskutiert werden (Pfadenhauer & Sander, 2010, S . 361), divergieren Professionalisierungswege je nach berufsinternen Bezügen und externen Bedingungen in Form eines dynamischen Prozesses vielgestaltiger Modalität (Kälble, 2017, S . 36) . Die Bestrebungen nach Professionalisierung beruflicher Pflege sind eng mit der Einführung des Pflegeprozesses in den 1980er Jahren als konstitutives Merkmal professionellen Handelns verknüpft . Durch das Bestreben, Pflegearbeit sichtbar zu machen und rechtlich abzusichern, wurden Teilschritte definiert, die einem Problemlösungsprozess entsprechen . Der Pflegeprozess hat unbestritten dazu beigetragen, pflegeri-
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
scher Arbeit ein Gesicht zu verleihen, indem die einzelnen Handlungsschritte abbildbar, kommunizier-, lern- und vermittelbar wurden . Kritisiert wird, dass letztendlich ein Abbild beruflicher Pflege konstruiert wurde, das dokumentationsfähig und abrechenbar wird . Die Bedeutung von Standardisierbarkeit wuchs, damit verbunden gewannen funktionalistische Aspekte an Bedeutung (statt erfahrungsbasiertem Pflegehandeln) und die Komplexität wurde zugunsten formalen Wissens reduziert (Lange, 2020, S . 175 ff ., 197) .2 Was abgebildet werden kann, sind normierte Wissensbestände in Form standardisierbarer Fragmente . Somit werden bestimmte vordefinierte Aspekte pflegerischen Handelns bspw . in der Dokumentation sichtbar, wohingegen andere Inhalte und Pflegende selbst unsichtbar bleiben (Heartfield, 1996, S . 102) . Verstärkt durch den Prozess der Digitalisierung mit der ihr innewohnenden „Maschinenlogik“ (Hülsken-Giesler, 2008, S . 366) nehmen Quantifizierung und Berechenbarkeit und somit auch ordnungsrechtliche Vorgaben weiter zu (ebd ., S . 368 ff .) . Pflegefachpersonen arbeiten in genau diesem, dem Pflegeprozess innewohnenden Spannungsfeld zwischen geregelten Prozessen und der Orientierung an den individuellen Bedürfnissen der Pflegebedürftigen und Patient*innen (Lange, 2020, S . 175) . Hier zeigt sich deutlich die Notwendigkeit der Rückbesinnung auf das „Körper-Leib-Wissen“ (Hülsken-Giesler, 2008, S . 411) und ein reflexiver Umgang mit Wissensbeständen (ebd ., S . 325, 412) . Gleichzeitig steigt auch die Relevanz der Ausbildung professionellen Handelns auf individueller Ebene . 2.2
Professionalisierung auf individueller Ebene: innere Professionalisierung
Professionalisierung auf individueller Ebene kann als die Ausbildung und Praxis von Handlungskompetenz bezeichnet werden (Kälble, 2017, S . 37) . Professionelles Handeln entsteht nach Abbott (2010) zwischen Handlungsanlass und ergriffener beruflicher Handlung, der Inferenz (Abbott, 2010, S . 48 ff .) . In der beruflichen Bildung findet für die Aneignung entsprechender Kompetenzen und Qualifikationen in ihrer Verbindung von sowohl systematisierendem, theoretischen Lernen als auch fallbezogener Sozialisation die Begrifflichkeit der funktionalen Professionalisierung Anwendung (Lempert, 2010, S . 20 f .) . Für die berufliche Pflege beschreibt HülskenGiesler das Ableiten einer entsprechenden Handlung in einer konkreten Situation im Sinne professionellen Handelns als Ergebnis „innerer Professionalisierung“ (Hülsken-Giesler, 2016, S . 169) . Diesem Handeln liegt eine „doppelte Handlungslogik“ (ebd ., S . 169) zu Grunde, da das momentane Erleben der Situation, Bedarfe und Bedürfnisse der Betroffenen als „hermeneutische Fähigkeit“ (Weidner, 2011, S . 328)
In seiner Konsequenz beinhaltet das für Lange eine implizite Umdeutung des eigentlichen Wesens von Professionen (Lange, 2020, S . 178) .
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stets neu analysiert, interpretiert und entsprechende, das Regelwissen und die aktuelle Evidenz einbeziehende Maßnahmen abgeleitet werden müssen. Erfahrene Pflegende entwickeln hierfür den „‚Pflegerischen Blick‘“ [Zeichen d. Verf.] (Friesacher, 2008, S. 236). Pflege-Arbeit als „subjektiviertes Arbeitshandeln“ geschieht somit „durch Transferleistungen an der Schnittstelle von System und Lebenswelt“ (HülskenGiesler, 2016, S. 170).3 Dies bedarf der Ausbildung entsprechender Kompetenzen, die während der beruflichen Erstausbildung jedoch nur angebahnt werden können. Einerseits ist es erforderlich, die in der Ausbildung angelegten Wissensbestände kontinuierlich zu aktualisieren und sich die Fähigkeit anzueignen, sich mit diesem interpretationsbedürftigen Wissen auseinanderzusetzen und es in die Arbeitsbündnisse einzubringen (Geissler, 2013, S. 29 f.). Hierzu sind bewährte Muster und gefestigte Deutungsmuster (Oehmen, 2016, S. 335 f.) zu hinterfragen. Darüber hinaus beinhaltet die Logik professionellen Handelns jedoch auch das Handeln in Ungewissheit inklusive der „Akzeptanz des Paradoxen und Unbestimmbaren“ (Friesacher, 2008, S. 265). Dazu bedarf es einer „Kunstfertigkeit und Könnerschaft“ (ebd., S. 265). Um diese auszubilden und weiter zu entwickeln, ist es notwendig, sich entsprechendes Wissen anzueignen, Fähigkeiten und Fertigkeiten in der Anwendung zu entwickeln und die Handlungslogik in situativen Arbeitskontexten bewusst zu machen und zu reflektieren. Über diese Schritte kann es gelingen, das eigene Handeln in Worte zu fassen und zu begründen. An dieser Stelle setzt Fort- und Weiterbildung an. Alltägliches Pflegehandeln geschieht in Kombination aus einer begründeten theoriegeleiteten und situationsspezifischen hermeneutischen Handlungslogik auf der einen und systemimmanenten Handlungserfordernissen auf der anderen Seite. Um das eigene Handeln begründen und kommunizieren zu können, sind sowohl Wissen, Können und Haltung (Hülsken-Giesler, 2016, S. 170 ff.) erforderlich. Sie tragen sowohl dazu bei, über eine reflektierte Versorgungspraxis die Pflegequalität zu verbessern als auch die berufliche Identität der Pflegefachpersonen zu stärken. Innere Professionalisierung zeigt sich in der Fähigkeit der Explikation des eigenen Pflegehandelns; Abwägungen über situative Handlungen werden kommunizierbar. Es geht also neben der Entwicklung einer entsprechenden Fachlichkeit um eine Ermächtigung zur Kommunikation. Um diese Kompetenzen im beruflichen Kontext (weiter) zu entwickeln, bedarf es entsprechender Angebote beruflicher und betrieblicher Fort- und Weiterbildung. Al-
Übrigens stellte Rabe-Kleberg bereits 1996 fest, dass Pflegen (und Erziehen) „Arbeit in Ungewißheit“ (Rabe-Kleberg, 2016, S. 294) bedeutet und begründet dies mit der Gleichzeitig und der Zielfindung im Arbeitsprozess selbst, die personalen Dienstleistungen eigen sind (ebd., S. 294). Dies lässt auf eine „geringe Standardisierung und unstetige Belastung“ (ebd., S. 295) schließen, für deren Bewältigung es eines Überschusses an „Qualifikationen in Reserve“ (ebd.) und einen ständigen Erwerb neuer Kompetenzen erfordert (ebd.).
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Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
lerdings gestaltet sich die Fort- und Weiterbildungslandschaft in der beruflichen Pflege durchaus heterogen . Auf diesen Aspekt wird im folgenden Kapitel eingegangen . Hierfür werden zunächst die Begrifflichkeiten skizziert, die Merkmale betrieblicher Fortund Weiterbildung erläutert und anschließend die Spezifika pflegerischer Fort- und Weiterbildung ausgeführt . 3.
Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
3.1
Begriffsbestimmung und -abgrenzung von Fort- und Weiterbildung
In Anlehnung an die Definition des Deutschen Bildungsrats aus dem Jahr 1970 schließt Weiterbildung im Kontext des lebenslangen Lernens als organisiertes Lernen an eine berufliche Erstausbildung an (Deutscher Bildungsrat, 1970, S . 197) . Sie kann als vierte Säule des Bildungssystems bezeichnet werden (Wittpoth, 2013, S . 107) . Es lässt sich feststellen, dass die Begrifflichkeiten sich nicht trennscharf definiert und voneinander abgegrenzt finden, wie nachfolgend beispielhaft ausgeführt wird . Während Wittpoth auf die häufig synonyme Verwendung von Weiterbildung und Erwachsenenbildung verweist (ebd ., S . 108), wird Erwachsenenbildung anderweitig als nichtberufliche Weiterbildung (in Form von allgemeiner und politischer Weiterbildung) definiert und von beruflicher Weiterbildung abgegrenzt (Arnold, Gonon, & Müller, 2016, S . 116; Baethge, Buss, & Lanfer, 2003, S . 88) . Im Kontext der Ordnungsgebung zieht Tutschner (2013) eine Trennlinie zwischen beruflicher und allgemeiner Weiterbildung . Im Gegensatz zu beruflicher Weiterbildung umfasst allgemeine Weiterbildung die Bereiche der kulturellen, politischen und gesellschaftlichen Bildung . Wissenschaftliche Weiterbildung ist hier querliegend zu beruflicher und allgemeiner Weiterbildung verortet (Tutschner, 2013, S . 12) . Unter den Sammelbegriff der beruflichen Weiterbildung kann Fortbildung (Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung), Umschulung und Lernen am Arbeitsplatz (in Form von formellem und informellem Lernen) gefasst werden (Arnold, 2016, S . 116; Baethge, 2003, S . 88; Tutschner, 2013, S . 12) . An der Trennung von beruflicher und nicht-beruflicher Weiterbildung wird kritisiert, dass es sich hierbei eher um eine künstliche Trennlinie handelt, die entlang von förderrechtlichen Bestimmungen gezogen wird und die sich in den Bezügen und Anwendungsmöglichkeiten so nicht widerspiegelt (Baethge, 2003, S . 88) . Berufliche Weiterbildung hat das Ziel einer beruflichen Qualifizierung oder Erweiterung der beruflichen Handlungskompetenz (Demary, Malin, Seyda, & Werner, 2013, S . 6) . Aus diesem Blickwinkel betrachtet kann berufliche Weiterbildung demnach sowohl individuell finanziert und absolviert werden als auch im betrieblichen Kontext stattfinden . Somit kann betriebliche Weiterbildung als eine Säule beruflicher Weiterbildung betrachtet werden . Betriebliche Weiterbildung wiederum beinhaltet alle Maßnahmen der Unternehmen „zur kontinuierlichen Qualifizierung ihrer Mitarbei-
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ter“ (Arnold et al ., 2016, S . 96) . Finanziert werden diese durch die Betriebe direkt, indem die Weiterbildungskosten durch den Betrieb getragen werden und/oder indirekt über Freistellung während der Arbeitszeit (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2019, S . 345) . Aus betrieblicher Perspektive dient Weiterbildung der Anpassung an sich verändernde Arbeitsorganisation (Becker, 2017, S . 399) . In Bezugnahme auf berufliche Weiterbildung stellen Arnold et al . fest, dass eine zunehmende Einbindung in betriebliche Entwicklungsprozesse im Sinne einer lernenden Organisation zu beobachten ist (Arnold et al ., 2016, S . 116) . Gemein ist beruflicher (und somit auch betrieblicher) Weiterbildung, dass sie in einem expliziten und institutionalisierten Rahmen (Wittpoth, 2013, S . 10) in inneroder außerbetrieblichen Einrichtungen der Fort- und Weiterbildung (Nuissl, 2018, S . 511) erfolgt . Als Organisationsformen beruflicher Weiterbildung können Fortbildung, Umschulung oder Lernen am Arbeitsplatz unterschieden werden (Arnold et al ., 2016, S . 116) . Im Berufsbildungsgesetz (BBiG) wird Fortbildung als Anpassungsoder Aufstiegsfortbildung definiert . Ersteres dient dazu, „die berufliche Handlungsfähigkeit (…) zu erhalten und [an sich verändernde Arbeitsanforderungen] anzupassen“ (§ 1 Abs . 4 BBiG) . Dahingegen dient eine Aufstiegsfortbildung mittels einer Höherqualifizierung dem beruflichen Aufstieg (ebd .) . Von Anpassungs- und Aufstiegsfortbildung grenzen Arnold et al . Lernen am Arbeitsplatz ab (Arnold et al ., 2016, S . 116), das zwar auch in organisierter Form (bspw . in Qualitätszirkeln) stattfindet, jedoch eher dem Lernen on-the-job zugeordnet werden kann (Vonken & Diettrich, 2011, S . 7; Wittpoth, 2013, S . 133 f .) . Im Kontext betrieblichen Lernens kann eine weitere Differenzierungslinie entlang der Unterscheidung von formalem, nicht-formalem und informellem Lernen im Betrieb gezogen werden . Formales Lernens lässt sich über folgende Merkmale charakterisieren (Dehnbostel, 2016, S . 349): Einen organisierten/institutionellen Rahmen, der Orientierung an „didaktisch-methodischen Kriterien“ (ebd .), formulierten Lernzielen und -inhalten und Lernergebnissen, die überprüft werden können, sowie durch die Begleitung und „pädagogische Interaktion“ (ebd .) . Nicht-formales Lernen findet ebenfalls geplant und organisiert statt, ist jedoch außerhalb des öffentlich-rechtlichen Bildungssystems organisiert (ebd ., S . 350) . Dahingegen führt informelles Lernen als „Lernen über Erfahrung“ (ebd .) zu einem Ergebnis, das im Vorfeld nicht bewusst intendiert war, aber dennoch zu „ein[em] Lernergebnis [führt], das aus Situationsbewältigungen und Problemlösungen in der Arbeit oder in Handlungen hervorgeht“ (ebd .) . Dabei überwiegen im Betrieb zwischenzeitlich Lernanteile in Form von informellem Lernen (ebd ., S . 347) . Der Ausbildung einer professionellen Handlungskompetenz liegen alle drei Lernformen zu Grunde (ebd ., S . 357) . Dennoch lässt sich auch hier konstatieren, dass die Unterscheidung der Begrifflichkeiten der Lernformen nicht trennscharf nachzuzeichnen ist (Rohs, 2020, S . 442 ff .; Dehnbostel, 2016, S . 347 f .) .
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
3.2
Zum Stellenwert betrieblicher Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
Analog der Pflegeausbildung, die jenseits des BBiG organisiert ist, nehmen Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege in der Weiterbildungslandschaft ebenfalls eine Sonderstellung ein . Es kann festgestellt werden, dass die begriffliche Benennung von Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege nicht der Systematisierung des BBiG entspricht . In den Pflegeberufen kommen die bereits berufsübergreifend nicht ganz trennscharfen Begriffe der Fort- und Weiterbildung in anderen Qualifikationszusammenhängen zur Anwendung (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e . V ., 2017, S . 46): Fortbildung wird hier meist verstanden als berufsbegleitendes Lernen zur Vertiefung bzw . Auffrischung bereits erworbener Kompetenzen, während die berufliche Weiterbildung dem Erwerb einer beruflichen, staatlich anerkannten Zusatzqualifikation mit neuer Berufsbezeichnung dient (Kamps, Ackermann, & Timmreck, 2018, S . 16) – und damit (eher) einer Aufstiegsfortbildung entspricht . Der Sonderweg der pflegeberuflichen Ausbildung in den Bildungslandschaften, der sich bspw . in den Rechtsgrundlagen, der curricularen Rahmung und der Professionalisierung des Berufsbildungspersonals zeigt (Reiber, Weyland, & Burda-Zoyke, 2017, S . 10 f .), zieht sich auch durch die berufliche Fort- und Weiterbildung . Es kann konstatiert werden, dass das System sich durch eine Heterogenität und Diffusität und durch mangelnde Anschlussfähigkeit an das Bildungssystem auszeichnet (Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe, 2020, S . 3; Kamps et al ., 2018, S . 16) . Dies bezieht sich sowohl auf die gesetzlichen landesrechtlichen Grundlagen als auch auf die Abschlüsse und curriculare Ausrichtung . Eine Recherche des Deutschen Instituts für angewandte Pflegeforschung e . V . im Auftrag des Deutschen Bildungsrats für Pflegeberufe im Jahr 2017 zeigt deutlich die Vielfalt und Diversität sowohl in den Bezeichnungen als auch in den Qualifikationsvoraussetzungen und -inhalten auf . Zwar werden die meisten Weiterbildungen modularisiert angeboten, fraglich sind jedoch bspw . die mangelnde professionstheoretische Fundierung und mangelhafte kompetenzorientierte Formulierung vieler Angebote (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e . V ., 2017, S . 8) . Die Konzeptualisierung, Einordnung in Referenzsysteme des Europäischen oder Deutschen Qualifikationsrahmens (EQR/DQR) und Anschlussfähigkeit lassen sich selten nachvollziehen (Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe, 2020, S . 13) . Eine Ausdifferenzierung pflegeberuflicher Tätigkeiten auf den unterschiedlichen Qualifikationsniveaus, wie sie für die Altenpflege vorgenommen wurde (Knigge-Demal, Eylmann, & Hundenborn, 2013) und die einen möglichen Bezugsrahmen darstellen könnte, findet sich in den angebotenen Weiterbildungen somit häufig nicht wieder . Hierdurch ist das System „in der Regel nicht anschlussfähig an bestehende Bildungsstrukturen“ (Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe, 2020, S . 3) . Ebenso mangelt es an strukturierter
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Berichterstattung, die Grundlage der Planung und Steuerung von Bildungsbedarfen ist (Lehmann & Behrens, 2016, S . 58 ff ., 67) . Der Deutsche Bildungsrat für Pflegeberufe sieht Betriebe im Kontext einer Wissens- und Innovationsgesellschaft in der Pflicht, lebenslanges Lernen zu ermöglichen und die dafür erforderlichen Rahmenbedingungen bereit zu stellen (Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe, 2020, S . 18) . In Deutschland liegt der Anteil der betrieblichen Weiterbildungen an Weiterbildungsmaßnahmen berufsübergreifend bei 77 Prozent, während die individuellen berufsbezogenen Weiterbildungen acht Prozent einnehmen (Autorengruppe Bildungsberichterstattung, 2018, S . 176) . Das Merkmal Fachkräftemangel, das auf die Pflegebranche in besonderem Maße zutrifft, scheint ein Antriebsmotor für betriebliche Weiterbildung zu sein . Der Anteil an Betrieben, die betriebliche Weiterbildung anbieten, liegt hier bei 71 Prozent im Gegensatz zu 47 Prozent, die nach eigenen Aussagen nicht unter Fachkräftemangel leiden (ebd ., S . 178) . Dabei trägt der Perspektivwechsel hin zu einer Fort- und Weiterbildungsnotwendigkeit im Kontext des demografischen Wandels und des Fachkräftemangels dazu bei, auch den Anteil an (weiblichen) Quer- und Wiedereinsteiger*innen zu erhöhen (Friese, 2018, S . 30) . Im Gesundheits- und Sozialwesen ist der Anteil an Betrieben mit Weiterbildung mit 82 Prozent überdurchschnittlich hoch (Bechmann et al ., 2015, S . 110) . Auch an der Förderung von Aufstiegsfortbildungen sind in gesundheitsbezogenen Einrichtungen mit 27 Prozent im Bundesvergleich überdurchschnittlich viele Betriebe beteiligt (Bundesinstitut für Berufsbildung 2019, S . 252) . In einer Befragung im Kontext der Weiterqualifizierung von Pflegehilfspersonen äußert knapp die Hälfte der Personalverantwortlichen die Überzeugung, dass lukrative Fort- und Weiterbildungsangebote ein adäquates Mittel der Personalbindung sind (Kamps et al ., 2018, S . 23) . Insgesamt liegt der Anteil der Beschäftigten mit Weiterbildung im Gesundheits- und Sozialwesen mit knapp der Hälfte und der Anteil an Betrieben mit Weiterbildung mit über 80 Prozent deutlich höher als in den anderen Branchen (Klempt & Klee, 2015, S . 7 f .) . Dabei wurden 93 Prozent der Weiterbildungen (zumindest teilweise) in der Arbeitszeit absolviert (ebd ., S . 12) . Über alle Branchen hinweg zeigt sich, dass Einrichtungen, die im Bereich der beruflichen Erstausbildung aktiv sind, häufiger Aufstiegsfortbildungen fördern als nicht-ausbildende Betriebe (Bundesinstitut für Berufsbildung, 2019, S . 353 f .) . Zertifiziert weitergebildete Pflegefachpersonen sind mittlerweile in Einrichtungen beruflicher Pflege „konzeptionell zur Conditio sine qua non“ (Weinhardt, 2017, S . 263) als Garant für die Versorgungsqualität bzw . der öffentlichen Dokumentation von Qualität geworden . Das bestätigt auch eine Delphi-Befragung unter Expert*innen aus Praxis, öffentlichem Bereich und Forschung . Hier wurde zu dem Ergebnis gelangt, dass alle Formen des Lernens im Kontext zukünftiger Weiterbildungsbedarfe zunehmen werden, das bedeutet – neben den informellen – sowohl interne als auch externe formelle Formen des Lernens (Glock et al ., S . 62) .
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
Wie eine Untersuchung an Universitätskliniken ergab, zeigt sich eine Diskrepanz in der tatsächlichen Umsetzung und der zugesprochenen hohen Zukunftsbedeutung von Personalentwicklung . Während der Personalentwicklung in den Leitbildern und der zukünftigen Ausrichtung ein prominenter Stellenwert zugewiesen wird, sind klinikumfassende Konzepte unterdurchschnittlich vertreten (Jung, 2010, S . 135 f ., 141) . Dies bezieht sich auch auf den Stellenwert für die Fachkräftesicherung . Über alle Branchen hinweg hat der Anteil an offenen Stellen keinen signifikanten Einfluss auf die Weiterbildungsquoten (Klempt & Klee, 2015, S . 29) . Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten werden jedoch durchaus eine attraktivitätssteigernde Wirkung zugesprochen (Schäfer & Loerbroks, 2013, S . 133) . Im Rahmen der Finanzierungsproblematik wird gefordert, einrichtungsübergreifend die Ausbildungsumlage zu einer Umlage für Personalentwicklung auszuweiten . Damit könnte, wie bei der Ausbildungsfinanzierung, die Weiterbildungsinitiative von Arbeitgebern auch finanziell honoriert werden (Hastedt, 2014, S . 16) . Aus Sicht der Beschäftigten wird bei einer Befragung im akutstationären Bereich die bessere Bewältigung der Arbeitsaufgaben als eines der wichtigsten Ziele von Fort- und Weiterbildung genannt (Bräutigam, Evans, Hilbert, & Öz, 2014) . Jedoch beschreiben 43,5 Prozent die Problematik, ihre beruflichen Qualifikationen im Arbeitsalltag nur teilweise, weniger oder gar nicht einsetzen zu können (ebd ., S . 31) . In Bezug auf die eigene berufliche Qualifikation äußerten weniger als ein Viertel der Pflegenden, von ihrem Arbeitgeber hierbei unterstützt zu werden . Ebenfalls gibt weniger als ein Drittel an, die notwendigen Fort- und Weiterbildungen überhaupt zu erhalten (ebd ., S . 35) . Die im Zuge der Konzertierten Aktion Pflege der Bundesregierung einberufenen Arbeitsgruppen sind bei der Thematik Fort- und Weiterbildung undeutlich geblieben . In der Arbeitsgruppe 2 (Personalmanagement, Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung) haben sich die Beteiligten zwar auf die Ziele verständigt, in den Einrichtungen Weiterbildungs- und Qualifizierungsmöglichkeiten zu schaffen und berufliche Karriereplanung als Teil der Unternehmenskultur zu etablieren . Die vereinbarten Maßnahmen spiegeln dies jedoch nicht wider (Die Bundesregierung, 2019, S . 58) . Die Arbeitsgruppe 1 (Ausbildungsoffensive 2019–2023) hat vereinbart, die Durchlässigkeit zwischen Bildungsgängen sowie zwischen Weiterbildung und Studium zu fördern . Die hierunter subsumierten Maßnahmen beziehen sich jedoch überwiegend auf die Qualifizierung von Pflegehilfspersonen (ebd ., S . 30) . In Arbeitsgruppe 3 (Innovative Versorgungsansätze und Digitalisierung) wird auf die Notwendigkeit einer grundsätzlichen Qualifizierungsstrategie für Pflegefachpersonen nach ihrer Erstausbildung hingewiesen, um die Vermittlung eines wissenschaftlich fundierten Pflegeverständnisses von personenzentrierter Pflege und die Ausbildung entsprechender Kompetenzen zu fördern . Was das konkret an Maßnahmen nach sich zieht, hierauf nehmen die Beteiligten keinen Bezug (ebd ., S . 97 ff .) . Im Kontext der Reform der pflegerischen Erstausbildung und erweiterter Bildungsbedarfe aufgrund sich verändernder Anforderungen an die pflegerische Versorgung
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sieht der Deutsche Bildungsrat für Pflegeberufe die Notwendigkeit, die pflegeberufliche Weiterbildung neu auszurichten und zu systematisieren . Dazu legte er zu Beginn letzten Jahres Empfehlungen für eine Musterweiterbildungsordnung für Pflegeberufe vor (Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe, 2020) . Er fordert eine „professionstheoretische Fundierung und Systematisierung der pflegeberuflichen Handlungsfelder sowie eine Orientierung an aktuellen Bildungsstandards“ (ebd ., S . 11) . Als neues Ordnungsmoment wurde eine berufsständische Systematisierung und Konkretisierung von Weiterbildung in der beruflichen Pflege im Jahr 2018 in Form einer verpflichtenden Weiterbildungsordnung auf Länderebene durch die Landespflegekammer Rheinland-Pfalz mit Genehmigung des Ministeriums für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz erlassen (Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, 2018) . Hiermit liegt nun erstmalig eine von der beruflichen Pflege für die berufliche Pflege entwickelte Weiterbildungsordnung vor . Es wurde ein pädagogisch-didaktischer Begründungsrahmen verfasst, der der Weiterbildungsordnung zu Grunde liegt . Hier finden sich u . a . als leitende Aspekte Wissenschafts- und Kompetenzorientierung (Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, 2017, S . 24 f .), nach denen die Weiterbildungen zu konzipieren sind . Als Kernelement pflegerischen Handelns wird auf die Fallbezogenheit in seiner doppelten Handlungslogik aus Regelwissen und hermeneutischem Fallverstehen Bezug genommen (ebd ., S . 26) . Dieses Grundverständnis bildet die Basis, das eigene Wissen zu aktualisieren, vertiefen, weiter zu entwickeln und sich zu spezialisieren (ebd ., S . 17) . Es ist unerlässlich für die Ausbildung reflexiver Deutungskompetenz, die auf (Deutungs-)Wissen gründet und aus der situationsbezogenen Reflexion der Wahrnehmungen und Handlungen entsteht, wie Darmann-Finck im Ausbildungskontext erläutert (Darmann-Finck, 2010, S . 66 ff .) . Damit wird die zentrale Bedeutung von Fort- und Weiterbildung4 in der beruflichen Pflege evident . Resümierend kann festgehalten werden, dass Fort- und Weiterbildung – jenseits der begrifflichen Unschärfen – sowohl aus beruflicher als auch betrieblicher und individueller Perspektive einen wesentlichen Beitrag zur Bewältigung der arbeitsbezogenen Anforderungen leistet . Darüber hinaus bietet sich hierüber die Möglichkeit der beruflichen Weiterentwicklung . Während in der Theorie zumindest die Bedeutung und Zielrichtung pflegeberuflicher Fort- und Weiterbildung vorgegeben scheint, stellt sich die Frage, mit welcher Intensität die Einrichtungen in Bezug auf betriebliche Fort- und Weiterbildung handeln und die individuelle Weiterentwicklung unterstützen . Einen Einblick geben Daten, die einer Befragung von pflegefachlichen Leitungen zu Handlungsfeldern der Fachkräftegewinnung und -bindung entnommen sind . Im Rahmen der Befragung wurden u . a . Strategien und Maßnahmen der Personalentwicklung exploriert . Aufgrund der dargestellten begrifflichen Unschärfen wird im Folgenden von Fort- und Weiterbildung beruflicher Pflege gesprochen . Gemeint sind hiermit Anpassungs- und Aufstiegsfortbildungen, die über die in den Pflegeberufen geforderten Pflichtfortbildungen, wie bspw . Notfallmanagement, hinausgehen .
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Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
4.
Die Handlungsintensität von Einrichtungen beruflicher Pflege im Kontext von Fort- und Weiterbildung
Für die Illustration der Ausführungen wird auf Daten zurückgegriffen, die im Rahmen des Teilprojekts der Hochschule Esslingen im Forschungsverbund Zentrum für angewandte Forschung (ZAFH) care4care5 erfasst wurden . Im Rahmen einer modifizierten, explorativen Delphi-Befragung wurden 2018/2019 in einer Region und einem Stadtkreis in Baden-Württemberg Einschätzungen zu Strategien und Maßnahmen im Hinblick auf Personalgewinnung und -bindung erhoben . Empirischer Bezugspunkt stellt der Themenbereich der Befragung dar, der sich auf Fort- und Weiterbildung bezieht . Die erhobenen Daten werden im Kontext der hier verhandelten Fragestellung interpretiert . 4.1
Forschungsmethodisches Vorgehen und Sample
Die modifizierte Delphi-Befragung hatte das Ziel, die Ansichten „einer Expertengruppe über einen diffusen Sachverhalt“ (Häder, 2014, S . 33) zu ermitteln und zu qualifizieren (ebd .) . Hierfür wurden anhand dreier aufeinander aufbauender Fragebögen mit geschlossenen und offenen Anteilen die Teilnehmenden nach ihren Strategien und Maßnahmen zur Fachkräftesicherung befragt . Anschließend wurde eine Auswahl der in der ersten Befragungsrunde genannten Maßnahmen quantifiziert . Im weiteren Verlauf wurden die Leitungspersonen um eine übergeordnete Einschätzung gebeten, welche Maßnahmen sie als Erfolgsfaktoren für die Fachkräftesicherung einschätzen und welche Wirkung sie den Strategien auf die Attraktivität des Pflegeberufs und als Arbeitgeber beimessen .6 Ein Schwerpunkt der Befragung lag auf der Ermöglichung beruflicher Perspektiven, diese Daten werden nachfolgend präsentiert . Die Teilnahme an der vorhergehenden Befragungsrunde war keine Voraussetzung für die Teilnahme an den weiteren Runden . Die Auswertung erfolgte deskriptiv, die offenen Antworten wurden thematisch geclustert . Insgesamt lag die Teilnahmequote bei 26,8 Prozent (n = 125), in den einzelnen Runden bei 17,6 Prozent (n = 82), 16,1 Prozent (n = 75) sowie 14,1 Prozent (n = 66) . Die Einrichtungen der Akutpflege, stationären und ambulanten Altenpflege haben im Durchschnitt 470 Mitarbeitende . Der Anteil an Pflegefachpersonen reicht von drei bis 2700 Personen (x̅ = 190 ± 496), die Teilzeitquote liegt bei 58 Prozent (± 24) . Die große Bandbreite ist auf die Diversität der Einrichtungen zurückzuführen . Ambulante Pflegedienste sind häufig klein mit wenigen Zentrum für angewandte Forschung (ZAFH) care4care, gefördert durch das Land Baden-Württemberg unter Einbezug von EFRE-Strukturmitteln . Weitere Verbundpartner sind die Hochschule Ravensburg-Weingarten und das Institut für angewandte Wirtschaftsforschung e . V . 6 Eine ausführliche Darstellung der Methode findet sich in Lämmel, Mohr, & Reiber (2019, S . 241 ff .) . 5
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Mitarbeitenden, wohingegen Krankenhäuser der Maximalversorgung viele Personen beschäftigen . Die teilnehmenden Einrichtungen unterscheiden sich signifikant nach ihrer Größe (p < .0017) und Rechtsform (p < .0017) . 4.2
Ergebnisse: Betriebliche Handlungsintensität im Kontext von Fort- und Weiterbildung
Um die Frage nach der Handlungsintensität der Einrichtungen im Hinblick auf berufliche Fort- und Weiterbildung zu beantworten, wurde das Themenfeld Ermöglichung von beruflichen Perspektiven im Pflegebereich in die Themenblöcke Personalentwicklung und Laufbahngestaltung, Einsatz weitergebildeter Fachpersonen und Definition von Tätigkeitsbereichen operationalisiert . Dies bezieht sich aus Managementperspektive darauf, den Bedarf an Qualifikationen in der eigenen Einrichtung zu decken . Dabei gilt es, steigenden Anforderungen und veränderten Aufgaben begegnen zu können (Stockinger, 2014, S . 7) . In der ersten Runde der Delphi-Befragung wurde die Handlungsintensität hierzu auf einer Skala der Bandbreite von Wir haben hierfür eine Strategie und wenden diese konsequent an bis hin zu Wir ergreifen hierfür aktiv keine Maßnahmen abgefragt . Abbildung 1 gibt einen Überblick über die Handlungsintensität in den drei Themenblöcken . Insgesamt geben weniger als die Hälfte der Befragten an, in Bezug auf Personalentwicklung, die Definition von Tätigkeitsbereichen und den Einsatz weiterqualifizierten Personals strategisch aufgestellt zu sein . In Bezug auf die individuelle Personalentwicklung und Laufbahngestaltung zeigt sich, dass 42 Prozent der pflegefachlichen Leitungen strategisch handeln, wobei 17,4 Prozent die Strategie konsequent und 24,6 Prozent diese teilweise umsetzen . Mehrheitlich ergreifen die Befragten diverse Maßnahmen, um eine individuelle Personalentwicklung zu gewährleisten (45 Prozent) . Eine strategische Herangehensweise an den Einsatz von Fachpersonen mit Weiterbildung geben 42,4 Prozent der Befragten an, dass die Strategie auch konsequent umgesetzt wird, nennen 22,7 Prozent der Befragten . Bei der Definition von spezifischen Tätigkeitsbereichen für unterschiedliche Abschlüsse überwiegen verschiedene Maßnahmen (48,3 Prozent), gefolgt von strategischer Herangehensweise (36,7 Prozent), die von 16,7 Prozent konsequent und von 20 Prozent teilweise umgesetzt wird . In einem zweiten Schritt wurde der Umsetzungsgrad für die in der ersten Runde explorativ erhobenen Maßnahmen erhoben . Aufgrund des Umfangs der gesamten Befragung wurde für die zweite Runde der Delphi-Befragung eine Auswahl an Maßnahmen getroffen . Die Auswahl der hier abgefragten Maßnahmen wurde durch drei externe Expert*innen anhand der Kriterien Originalität/Neuartigkeit des Vorschlages
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Fisher’s Exact Test
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
Welche der folgenden Aussagen trifft auf Sie zu, ...
… wenn es um die individuelle Personalentwicklung und Laufbahngestaltung Ihrer Pflegemitarbeiter*innen geht? (n=69)
17,4%
… um Pflegefachkräfte mit Weiterbildung entsprechend Ihrer erworbenen Qualifikationen einzusetzen? (n=66) … wenn es um spezifische Tätigkeitsbereiche für unterschiedliche pflegerische Abschlüsse in Ihrer Einrichtung geht? (n=60)
22,7%
16,7%
0%
24,6%
45,0%
19,7%
20,0%
20%
10,1%2,9%
41,0%
13,6% 3,0%
48,3%
40%
60%
10,0% 5,0%
80%
100%
Wir haben hierfür eine Strategie und wenden diese konsequent an. Wir haben hierfür eine Strategie definiert und setzen diese teilweise um. Wir ergreifen hierfür verschiedene Maßnahmen. Wir ergreifen hierfür selten/keine Maßnahmen.
Wir planen hierfür derzeit Maßnahmen, wenden aber im Moment noch keine Maßnahmen an.
Abb. 1 Handlungsintensität der Einrichtungen, um berufliche Perspektiven zu ermöglichen (eigene Darstellung)
und Wichtigkeit der Diskussion des betreffenden Themas im Kontext der Fachkräftegewinnung und -bindung unabhängig voneinander vorgenommen . Aus dem Themenbereich der Personalentwicklung wurde für folgende Maßnahmen deren Umsetzung erhoben (Tabelle 1) . In der Freistellung der Pflegefachpersonen für Fort- und Weiterbildungsmaßnahmen und deren Finanzierung, der frühzeitigen Darstellung von Entwicklungsmöglichkeiten sowie der Definition von Stellenprofilen und der entsprechenden Anpassung des Entgelts zeigt sich ein hoher Umsetzungsgrad . Hingegen haben weniger als zwei Drittel der teilnehmenden Einrichtungen ein Bildungskonzept eingeführt und weniger als die Hälfte nehmen eine Selbst- und/oder Fremdeinschätzung des Entwicklungspotentials der Mitarbeitenden vor, nach denen sie entsprechende Qualifizierungen planen . Als notwendige Voraussetzungen für das eigene betriebliche Handeln wurden am häufigsten finanzielle und personelle Ressourcen genannt, aber auch eine Bedarfsplanung und die systematische Erfassung der Qualifikationen der Mitarbeitenden . Daneben ist ein entsprechendes Engagement sowohl der Mitarbeitenden als auch der Führungspersonen erforderlich . Diese Aspekte spiegeln sich auch in den weiterführenden Ideen und Forderungen in Bezug auf betriebliche Personalentwicklung wider, nach
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Tab. 1 Umsetzung ausgewählter Maßnahmen (n = 65) Ja
Nein
– Die Freistellung für die Teilnahme an Fort- und Weiterbildungen wird garantiert.
98,5 %
1,5 %
– Entwicklungsmöglichkeiten werden bereits beim Vorstellungsgespräch besprochen.
95,4 %
4,6 %
– Es gibt spezielle Stellenprofile für weitergebildete Fachpersonen und verschiedene Qualifikationsniveaus.
86,2 %
13,8 %
– Ein Bildungskonzept/Karrieremodell liegt vor, das definierte Entwicklungswege von Pflegehilfe bis Führungskraft beinhaltet.
61,5 %
13,8 %
– Das Entwicklungspotential der Mitarbeiter*innen wird, evtl. mithilfe eines Fragebogens, eingeschätzt und passgenau geplant.
49,2 %
50,8 %
Berufliche Fort- und Weiterbildungen werden grundsätzlich bezahlt.
84,6 %
15,4 %
Finanzielle Unterstützungsmöglichkeiten, bspw. durch WeGeBau, werden in die Wege geleitet.
60,9 %
39,1 %
84,6 %
15,4 %
Ein Konzept zur Personalentwicklung wird umgesetzt. Bestandteile sind u. a.:
Finanzierung
Entlohnung Das Gehalt wird entsprechend der Qualifikation bzw. dem Einsatzort angepasst.
denen ebenfalls in der zweiten Runde der Delphi-Befragung gefragt wurde . Im finanziellen Kontext geht es auf der einen Seite um die Möglichkeit entsprechender Entgelterhöhungen und Sonderzahlungen, auf der anderen Seite um deren Refinanzierung in dem engen Korsett der Finanzierung von Pflegeleistungen . Zusätzlich richten sich die Forderungen auf eine Systematisierung mittels einer Weiterbildungsordnung und einheitliche Fort- und Weiterbildungsstandards . Im Zuge der Professionalisierung wird eine Ausweitung der Vorbehaltsaufgaben gefordert . In der letzten Runde der Befragung wurden die Leitungspersonen (n = 66) in einer offenen Frage konkret nach Erfolgsfaktoren gefragt, warum es manchen Einrichtungen gelingt, den Bedarf an Fachpersonen zu sichern, während andere von großen Problemen berichten . Hier wurden Personalentwicklung, die Anwendungsmöglichkeit erworbener Kompetenzen sowie einer leistungsgerechten Entlohnung eine hohe Relevanz zugesprochen . Dahingegen wurde die Ermöglichung von Karrieren im Ranking mit anderen Faktoren wie bspw . Unternehmenskultur und Führung als nachrangig für die Attraktivität als Arbeitgeber eingeschätzt . Für die Attraktivität des Pflegeberufs insgesamt wurden Entwicklungs- und Aufstiegsmöglichkeiten im Ranking mit bspw . Gehalt und Arbeitsbedingungen eher im Mittelfeld verortet . Im Zusammenhang mit der Erhebung sind einige Einschränkungen zu nennen . Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass der Fokus der Erhebung auf dem Sachverhalt Fachkräftesicherung lag und die vorgestellten Daten nur einen Teilaspekt hiervon dar-
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
stellten . In Bezug auf das Sample lassen sich die Teilnehmenden mehrheitlich dem städtischen Raum zurechnen . Dies könnte zu Verzerrungen führen, da in der beruflichen Pflege Fort- und Weiterbildungsangebote häufig von bspw . Berufsverbänden oder gewerkschaftlich orientierten Anbietern angeboten werden, die eher im städtischen Raum zu finden sind . Zudem überwiegen Einrichtungen mit Anbindung an einen freigemeinnützigen oder öffentlichen Träger . Diese verfügen häufiger über eigene Strukturen der Fort- und Weiterbildung (Deutsches Institut für angewandte Pflegeforschung e . V ., 2017, S . 9) . Insgesamt begrenzt die niedrige Fallzahl der einzelnen Runden der Befragung die Aussagekraft der erhobenen Daten . Dennoch weisen die vorgestellten Daten Tendenzen auf, auf die nachfolgend Bezug genommen wird . In der in diesem Beitrag präsentierten Befragung zeigen sich aus betrieblicher Perspektive im Hinblick auf individuelle Personalentwicklung und entsprechenden Einsatz in der Praxis Ansatzpunkte strategischen Vorgehens . Die hohen Zustimmungsraten zu einzelnen Bestandteilen eines Konzepts zur Personalentwicklung weisen in der Zusammenschau mit der Handlungsintensität darauf hin, dass einzelne Elemente in den Einrichtungen verankert zu sein scheinen, sich jedoch nicht in einer übergeordneten Strategie wiederfinden . Die wenig strategische Ausrichtung von Kompetenzmanagement und Personalentwicklung wird in der Literatur bestätigt (bspw . Stockinger, 2014, S . 7) . Demgemäß gibt es in den Einrichtungen durchaus Entwicklungspotential in der Verankerung von Personalentwicklung und der Ausdifferenzierung von Qualifikationsniveaus . Dies trägt nicht nur zur Profilierung der Einrichtungen bei, sondern Fachpersonen, Einrichtungen und die berufliche Pflege können davon gleichermaßen profitieren, insofern über Fort- und Weiterbildung der Prozess der inneren Professionalisierung gefördert wird . 5.
Implikationen und Fazit
Aus betrieblicher Perspektive trägt systematisches Fort- und Weiterbildungsmanagement dazu bei, die Wettbewerbsfähigkeit zu erhalten, die Bindung des Personals an die Einrichtung zu fördern und die Beschäftigungsfähigkeit zu erhalten (Paulsen & Kauffeld, 2019, S . 513 ff .) . Alle drei Aspekte sind in der beruflichen Pflege von zunehmender Relevanz: Der Fachkräftemangel, die Altersstruktur der Pflegefachpersonen und die Digitalisierung beruflicher Pflege unterstreichen die Notwendigkeit eines systematischen Fort- und Weiterbildungsmanagements . Anhand der vorgestellten Daten konnte aufgezeigt werden, dass die Einrichtungen beruflicher Pflege die Relevanz dieser Notwendigkeit (noch) nicht ausreichend in konkrete Strategien der Personalentwicklung konzeptualisiert haben . Bislang fördert die Sozialisation der Pflegfachpersonen innerhalb der Organisation, praktischem Wissen und der Aufrechterhaltung des organisationalen Systems Vorrang zu geben vor einer Verkomplizierung der Problem-
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lösung durch den Einbezug wissenschaftlichen Wissens (Starystach, Bär, Ernst, & Streib, 2018, S . 205 f .) . Im Hinblick auf die zukünftige Sicherung des Fachkräftebedarfs, einer weiteren Differenzierung der Qualifikationsniveaus und auf der Grundlage der generalistischen Ausbildung notwendigen Spezialisierungen – innerhalb der eigenen Einrichtung und des Pflegeberufs insgesamt – scheint ein konsequentes Handeln an dieser Stelle unerlässlich . Dies bezieht sowohl (nicht-)formale als auch informelle Angebote betrieblichen Lernens ein . Wie dies systematisch umgesetzt werden kann, wird beispielsweise in dem US-amerikanischen Magnet-Modell deutlich, dessen Ziel es ist, als Magnetkrankenhaus Pflege-Exzellenz gezielt zu fördern und dadurch u . a . Personal ‚magnetisch‘ anzuziehen und an das Unternehmen zu binden . Fortlaufende Fort- und Weiterbildung nimmt hier einen hohen Stellenwert ein . Ein Baustein der Magnet-Kräfte ist es, die persönliche Entwicklung der Mitarbeitenden zu fördern (Weeren, 2019, S . 266) . Wie die erhobenen Daten zeigen, wird dem Themenbereich der Personalentwicklung ein hoher Stellenwert zugesprochen, den eigenen Fachkräftebedarf zu sichern . Der Großteil der Einrichtungen hat Maßnahmen hierzu implementiert . Diese gilt es zu prüfen, zu strukturieren, systematisieren und in ein Gesamtkonzept einzubetten . Erforderlich ist die strategische Verankerung der Thematik Fort- und Weiterbildung in den Einrichtungen beruflicher Pflege . Eine Gelingensbedingung des Nutzens formaler Fort- und Weiterbildungsangebote ist die Anwendung der erlernten Kompetenzen im Arbeitsalltag (Behrens, 2016, S . 90) . Dies erfordert auf der einen Seite eine systematische Bedarfsanalyse unterschiedlicher Tätigkeitsbereiche und Definition von Aufgabenfeldern und hierzu erforderlicher Kompetenzen . Daneben ist der Arbeitsalltag so auszugestalten, dass die Kompetenzen nicht nur auf dem Papier existieren, sondern im Arbeitsalltag zur Anwendung kommen . Systematische Qualifikationsanalysen ermöglichen, die Entwicklungspfade der Mitarbeitenden entsprechend ihrer Bedarfe und Bedürfnisse zu gestalten, und sie entsprechend ihrer Kompetenzen einzusetzen . Auch diesbezüglich weisen die vorgestellten Befunde auf Entwicklungspotentiale in den Einrichtungen hin . Ein Ansatzpunkt für Fort- und Weiterbildungen, der im Hinblick auf die individuelle Professionalisierung relevant wird, ist die kritische Reflexion, d . h . „das theoriegeleitete Nachdenken und Begründen des eigenen Handelns (…) unter der Bedingung der Entlastung von unmittelbarem Handlungs- und Entscheidungsdruck“ (Fasshauer, 2017, S . 7) . „Reflektives Handeln“ (Olbrich, 2018, S . 187) stellt die Frage nach dem „Warum“ (ebd ., S . 187) . Die Reflexion sic! über das eigene Handeln dient dazu, das situative Handeln in Worte zu fassen . Darüber hinaus ermöglicht es, das eigene Handeln ethisch zu reflektieren und eine intra- und interprofessionelle Diskussion anzustoßen . Es trägt dazu bei, mögliche Konsequenzen, die bspw . eine aus ökonomischen Zwängen nicht durchführbare Handlung hat, zu formulieren und nicht zuletzt für die erforderlichen Ressourcen einzutreten, die für eine Pflege entlang eines professionellen Pflegeverständnisses erforderlich sind . Zudem fördert die Ausbildung von Reflexi-
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
vität auf individueller Ebene zugleich das organisationale Lernen und trägt hierdurch gleichzeitig zu dem Erhalt und der kritischen Reflexion von Erfahrungswissen bei (Dick & Weisenburger, 2019, S . 862) – auch wenn dies bedeutet, Divergenzen und Inkongruenzen in ihrer zeitweise bspw . durch Rahmenbedingungen bedingten Unauflöslichkeit aushalten zu müssen . Diese Effekte können durch Kommunikation, Reflexion und Diskussion von Begründungszusammenhängen entstehen . Wie eingangs formuliert, können diese Fähigkeiten in der Erstausbildung nur angebahnt werden . Sie bedürfen sowohl der Erfahrung als auch der systematischen Fort- und Weiterbildung . Auswirkungen lassen sich somit sowohl auf individueller als auch organisationaler Ebene feststellen . Tonhäuser erläutert in ihrem „Rahmenmodell zur Erklärung der Wirksamkeit und des Lerntransfers formalisierter betrieblich-beruflicher Weiterbildung“ (Tonhäuser, 2017, S . 17 ff .) drei Formen der Wirkungen der Weiterbildung . Sie beziehen sich auf die individuellen Veränderungen der Teilnehmenden im Hinblick auf ihre Fachlichkeit, den Transfer des Gelernten in den Arbeitsalltag und Wirkungen auf die Organisation, die sie bspw . mit einer Senkung von Kosten und Fehlerraten in Verbindung bringt (ebd ., S . 20) . Um diesem Anspruch gerecht werden zu können, ist es erforderlich, Weiterbildungen künftig auf der Basis von Curricula professionstheoretisch zu begründen, zu systematisieren und zu modularisieren . Hierzu bilden die Empfehlungen des Deutschen Bildungsrats eine Grundlage, die in den Bundesländern durch die Pflegeberufekammern, wie bspw . in Rheinland-Pfalz (Landespflegekammer Rheinland-Pfalz, 2019) in Form von Weiterbildungsordnungen realisiert werden können . Um den Prozess der inneren Professionalisierung der Fachpersonen der Domäne Pflege als Berufsgruppe zu lancieren, ist eine Vereinheitlichung und an Kompetenzen ausgerichtete Systematisierung der Fort- bzw . Weiterbildungen Voraussetzung . Offensichtlich wird in diesem Kontext, dass ein Organ der Selbstverwaltung notwendig ist, wie es auch als strukturtheoretisches Merkmal einer Profession gefordert wird, um überhaupt eine berufseigene ordnende Struktur zu erlassen . Es ist Aufgabe der Pflegeberufekammern, Rahmen und Struktur der Weiterbildungsangebote, die sich bislang durch Diffusität auszeichnen, landes- und bundesweit zu vereinheitlichen und eine entsprechende Qualität zu verfügen und zu prüfen .8 Deutlich wird ebenfalls die Notwendigkeit, eine wissenschaftliche Wissensgrundlage für das Pflegehandeln zu generieren und den Transfer in die Einrichtungen zu gewährleisten . Hierfür sind die entsprechenden hochschulischen und innerbetrieblichen Strukturen signifikant . Auf der anderen Seite ermächtigt eine innere Professionalisierung über die Formulierung von Begründungs-
Dies ist bis dato bundesweit nicht gelungen . Um eine bundesweit verbindliche Fort- und Weiterbildungsordnung zu etablieren, müsste die Selbstverwaltung respektive eine Pflegeberufekammer in allen Bundesländern auf den Weg gebracht werden . Dennoch kann eine rechtlich verbindliche Fort- und Weiterbildungsordnung auch in einzelnen Bundesländern wie auch die Musterweiterbildungsordnung des Deutschen Bildungsrats für Pflegeberufe als Blaupause für die anderen Bundesländer dienen .
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zusammenhängen dazu, entsprechende Strukturen einzufordern . An diesen Beispielen wird die Interdependenz zwischen innerer und äußerer Professionalisierung deutlich . In diesem Beitrag wurde herausgearbeitet, wie systematische betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege einen Beitrag zur Professionalisierung auf individueller Ebene leisten kann . An die Ausführungen schließen weitere Fragestellungen an: Zunächst wären die formulierten theoretischen Überlegungen empirisch zu prüfen . Darüber hinaus gibt es weitere Aspekte, die aus betrieblicher Perspektive im Kontext systematischer Fort- und Weiterbildung relevant werden . Hierzu gehören beispielsweise die Diskussion um die Ausgestaltung des Skill-Grade-Mix in der Arbeitsorganisation (wie können sich qualifikationsspezifisches Fachwissen und Kompetenzen im Arbeitsalltag zielführend ergänzen) sowie um Orte und Lernformate von Fort- und Weiterbildung, wie die Rolle (nicht-)hochschulischer Aus- und Weiterbildung in der Bildungslandschaft oder der Einsatz digital gestützter Lernformate . Mit der Neuausrichtung der pflegeberuflichen Erstausbildung gewinnt Fort- und Weiterbildung an Relevanz, da im Zuge der Reform hin zur Ausbildung von ‚PflegeGeneralist*innen‘ in der weiteren Berufslaufbahn eine Spezialisierung und im berufsbiographischen Sinne lebensbegleitendes Lernen unabdingbar sind (Deutscher Bildungsrat für Pflegeberufe, 2020, S . 4, 8) . Im Zuge der Akademisierung des Pflegeberufs sind Weiterbildungen an Hochschulen zu verorten . Erweiterte Angebote und Regelungen können dazu beitragen, eine wissenschaftliche Weiterbildung nicht-hochschulisch ausgebildeter Pflegefachpersonen zu fördern . Hierzu bedarf es flexibler, modularisierter Angebote an Hochschulen und eine entsprechende horizontale und vertikale Durchlässigkeit (Gold, Römer, & Dallmann, 2020, S . 353, 355) . Im Kontext von Digitalisierung verändern sich Lernformate und somit auch Lernorte . Lern-Management-Systeme und E-Learning-Plattformen werden im Fort- und Weiterbildungsbereich zunehmen . Zum jetzigen Zeitpunkt ist deren zukünftige Reichweite noch nicht abzuschätzen, sie wird auf jeden Fall wachsen und muss proaktiv gestaltet werden (Wald et al ., 2018, S . 187) . Dies erfordert von allen Beteiligten Flexibilität und Veränderungsbereitschaft . Aufbauend auf die (generalistische) Ausbildung kann Fort- und Weiterbildung über die Befähigung, das eigene Handeln auf Basis eines professionellen Pflegeverständnisses zu begründen, gerade an der Schnittstelle zwischen innerer und äußerer Professionalisierung zur Weiterentwicklung beruflicher Pflege einen Beitrag leisten . Dies erscheint auch im Hinblick auf die Fachkräftesicherung in den Pflegeberufen relevant .
Betriebliche Fort- und Weiterbildung in der beruflichen Pflege
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IV.
Anforderungen an das Bildungspersonal
Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege im Spiegel domänenspezifischer Anforderungen* KARIN REIBER
Subject-Specific Professional Knowledge of Teachers from the Professional Field of Nursing against the Background of Domain-Specific Requirements Kurzfassung: Der vorliegende Beitrag nimmt die mit dem neuen Pflegeberufegesetz angestoßene
Ausbildungsreform zum Anlass, die damit verbundenen Herausforderungen an die Lehrer*innen der beruflichen Fachrichtung Pflege theoretisch-systematisch zu analysieren und zu diskutieren . Vor dem Hintergrund bereits vorliegender Befunde und Richtlinien – bezogen auf Professionalität und Bildung von Lehrpersonen – wird der bisher für diese Domäne kaum rezipierte kompetenztheoretische Bestimmungsansatz als Ausgangs- und Bezugspunkt der nachfolgenden Argumentation genutzt . Dabei erfolgt eine Fokussetzung auf die fachlichen Anteile des fachbezogenen Professionswissens von Lehrer*innen der Pflegeausbildung, das mit Bezug auf domänenspezifische Anforderungen dieses Ausbildungsberufs konzeptualisiert wird . Die aus der Neuordnung im Zuge der Umsetzung des Pflegeberufegesetzes sowie aus berufswissenschaftlichen Forschungsbefunden abzuleitenden inhaltlichen Gegenstandsbezüge für das Handeln der Lehrpersonen werden hinsichtlich ihrer Implikationen für Forschung, Theorieentwicklung und Lehrpersonenbildung diskutiert . Schlagworte: Professionswissen, Pflegeberufegesetz, Berufswissenschaft, Berufsdidaktik Abstract: This paper takes the training reform initiated by the new Nursing Professions Act as an
opportunity to analyse and discuss the accompaning challenges for teachers in the field of nursing in a theoretical and systematic way . Against the background of already existing findings and guidelines – with regard to professionalism and teacher education – the competence-theoretical determination approach, that has so far made little impact on this domain, is used as a reference point for the
* In die Konzeption und Entwicklung des Beitrags sind wichtige Anregungen und Ideen von Ingrid Darmann-Finck eingeflossen, der ich hiermit sehr herzlich danke .
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KARIN REIBER
following argumentation . The focus is on the discipline-specific components of the professional knowledge of teachers in nursing educartion, which is conceptualized with reference to domain-specific requirements of this training profession . The content of the subject-matter references for the actions of teachers, resulting from the reorganization resulting from the implementation of the Nursing Professions Act as well as from professional research findings, will be discussed regarding their implications on research, theory development and teacher training . Keywords: Professional knowledge – Nursing Professions Act – Vocational science – Vocational didactics
1.
Anlass und Hintergrund
Die Lehrtätigkeit an pflegeberuflichen Schulen gewinnt analog zur pflegepraktischen Professionalität zunehmend an Bedeutung: Ein anspruchsvolles berufliches Tätigkeitssegment erfordert eine qualitativ hochwertige Berufsausbildung – was wiederum weitreichende Implikationen für die Anforderungen an die Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege hat . Um den Pflegeberuf und die Pflegeausbildung an die Veränderungen der Versorgungsstrukturen und -anforderungen sowie die Fortschritte in der Pflegewissenschaft und den Bezugswissenschaften anzupassen und dadurch zu modernisieren, wurde nach längeren fachpolitischen Diskussions- und Aushandlungsprozessen ein neues Pflegeberufegesetz (PflBG 2017) verabschiedet . Inzwischen liegen sowohl eine Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe (PflAPrV 2018) als auch Rahmenpläne für die theoretische und betriebliche Ausbildung vor (Fachkommission nach dem Pflegeberufegesetz, 2020) . Nicht nur die Qualifikationsprofile und Kompetenzanforderungen für die zukünftigen Pflegefachmänner und -frauen wurden neu definiert, sondern es wurden folgerichtig auch die notwendigen formalen Vorgaben für die in der Pflegeausbildung Lehrenden angepasst: Lehrer*innen der beruflichen Fachrichtung Pflege müssen zukünftig über einen pflegepädagogischen Master- oder einen vergleichbaren Abschluss verfügen (§ 9 PflBG) . Der durch das neue Pflegeberufegesetz angestoßene Reformprozess gibt Anlass, die Frage nach einer Professionalität der Lehrer*innen der beruflichen Fachrichtung Pflege neu zu diskutieren . Dies soll an dieser Stelle mit Blick auf die fachliche Kompetenzfacette der Lehrpersonen erfolgen, die mit dem Ausbildungsgegenstand und -ziel korrespondiert . Die formalen und realen Anforderungen der Pflegepraxis, die diesen Ausbildungsgegenstand definieren, werden nachfolgend als inhaltliche Bezugspunkte für die fachliche Seite der Professionalität von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege transponiert . Bezogen auf Qualifikationen und Kompetenzen von Lehrer*innen der beruflichen Fachrichtung Pflege gibt es bereits einen längeren einschlägigen Diskurs . Viele der Beiträge hierzu sind motiviert durch Anforderungen, die sich aus einer – im Vergleich mit der allgemeinen und beruflichen Lehrerinnen- und Lehrerbildung – verspäteten
Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege
Akademisierung der Lehrpersonenbildung dieser Domäne ergeben, und zielen auf formale Aspekte der Qualifikation ab . Fokussiert werden dabei strukturelle Fragen wie Orte, Formen und Abschlüsse sowie die curriculare Ausgestaltung lehrerbildender Studienprogramme (Reiber, 2018) . Unter dem Leitbegriff „Pflegedidaktik“ sind eine ganze Reihe von Arbeiten entstanden – häufig im Rahmen von Dissertationen –, deren Leitmotiv Ertl-Schmuck und Greb (2015) zusammenfassend beschreiben als die Suche „nach den inhaltlichen und strukturellen Besonderheiten, die Pflege als eine spezifische Form gesellschaftlicher Praxis kennzeichnen“ (S . 258) und die zum Teil für sich auch beanspruchen, Rückschlüsse auf Wissen und Können der Lehrpersonen zu erlauben . Darüber hinaus sind der Fachqualifikationsrahmen (FQR) Pflege für die hochschulische Bildung (Walter & Dütthorn, 2018), der Fachqualifikationsrahmen Pflegedidaktik sowie die von der Kultusministerkonferenz (KMK) (2018) vorgelegten Fachprofile für die beruflichen Fachrichtungen (hier: berufliche Fachrichtung Pflege) als weitere relevante Referenzen zu nennen . Der FQR Pflege – zunächst diskutiert als Kerncurriculum Pflegewissenschaft – „basiert auf einer theoretischen Rekonstruktion pflegewissenschaftlicher Kernthemen anhand der einschlägigen, insbesondere deutschsprachigen Diskurse“ (HülskenGiesler et al ., 2010, S . 220) und offeriert somit eine disziplinäre Struktur, in der das pflegewissenschaftliche Grundlagenwissen definiert wird . Mit seiner Fokussierung auf „den disziplinären Kern pflegewissenschaftlicher Argumentation“ (Hülsken-Giesler et al ., 2010, S . 230) verbindet der Qualifikationsrahmen das Anliegen, eine Orientierung für die weitere Entwicklung der Pflegewissenschaft als Disziplin und Bestandteil unterschiedlicher Studienprogramme bereitzustellen (Hülsken-Giesler & Korporal, 2013) . Der FQR Pflegedidaktik entstand im Rahmen eines mehrjährigen Arbeitsprozesses unter Beteiligung zahlreicher Fachkolleg*innen, verfolgt eine ähnliche Zielsetzung wie der FQR Pflege und adressiert auf der Basis eines dispositionalen Kompetenzverständnisses und der vier Prinzipien 1 . Innovations-, 2 . Wissenschafts-, 3 . Professions- sowie 4 . Bildungs-/Subjektorientierung die drei didaktischen Bezugsbereiche Makro-, Meso- und Mikroebene . Ausdifferenziert werden jeweils Kompetenzen bezogen auf Handlungs- und Reflexionsfelder als Zielperspektiven für pflegepädagogische Studienprogramme – in präskriptiver Absicht . Hinsichtlich fachspezifischer Anteile der Kompetenzen wird auf pflegedidaktische Wissensbestände, Ansätze, Theorien, Modelle und Konzepte verwiesen; sie werden im FQR Pflegedidaktik (Walter & Dütthorn, 2019) selbst nicht weiter inhaltlich ausdifferenziert . Die KMK (2018) rekurriert hinsichtlich der inhaltlichen Vorgaben für Fachwissenschaften und Fachdidaktiken für die berufliche Fachrichtung Pflege einerseits auf den grundlegenden pflege- und bezugswissenschaftlichen Wissenskanon und andererseits auf pflegedidaktische Theorien, Modelle und Konzepte (KMK, 2018, S . 88) . Explizit wird darüber hinaus auf den Handlungsbezug verwiesen, der sich aus der beruflichen Praxis der Auszubildenden ergibt . Als Bestandteile des fachbezogenen Kompetenz-
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KARIN REIBER
profils werden unter anderem die Fähigkeiten ausgewiesen, die „Spezifika der Pflegeberufe“ (ebd .) rekonstruieren sowie die Pflegepraxis analytisch erfassen können (ebd .) . Diese Ausführungen deuten bereits an, dass es Bezugs- und Referenzpunkte zum hier verhandelten Thema gibt, die sich auf disziplinäre Verständigungsprozesse (FQR Pflegedidaktik) oder Fachexpertise (FQR Pflege, KMK-Vorgaben) stützen . Zwar beziehen sich die skizzierten Arbeiten und Empfehlungen auf das berufliche Handlungsfeld „Pflege“, jedoch wird im vorliegenden Beitrag die aktuelle Ausbildungsreform auf Basis des neuen Pflegeberufegesetzes zum Anlass genommen, das fachbezogene Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege im Hinblick auf das Ausbildungsziel ihrer Schüler*innen zu diskutieren: das professionelle Pflegehandeln . In Anlehnung an die KMK wird dabei die berufliche Handlungskompetenz1 der Auszubildenden als Referenzpunkt für die fachspezifischen Anforderungen an die Lehrpersonen (KMK, 2018) aufgegriffen . Der nachfolgende Beitrag widmet sich der Frage, wie das fachbezogene Professionswissen mit Bezug auf die konstitutiven Fach- und Inhaltsbezüge des Ausbildungsgegenstands – auf den sich das Handeln der Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege richtet – zu bestimmen ist . Der Beitrag hat zum Ziel, die Bedeutung einer bisher – wie noch zu zeigen sein wird – im Diskurs unterbelichteten Facette von Professionalität der Lehrpersonen zu fokussieren, ihre Bezugspunkte zu identifizieren und zu entfalten sowie Ansatzpunkte für weiterführende Theorieentwicklung und Forschung aufzuzeigen . Daraus ergeben sich Aufbau und Struktur der hier zu entfaltenden Argumentation . Zunächst werden die Auswahl des Zugangs zur Professionalität von Lehrpersonen und die Fokussetzung auf die fachlichen Anteile des fachbezogenen Professionswissens begründet und der diesbezügliche Forschungsstand im Hinblick auf die berufliche Fachrichtung Pflege skizziert (Abschnitt 2) . Hierauf folgt im anschließenden Kapitel zunächst die berufsfelddidaktische Begründung für die Konzeptualisierung des fachlichen Professionswissens (Abschnitt 3 .1), welche dann rekurrierend auf die neuen Ordnungsgrundlagen des Pflegeberufs (3 .2) und empirischen Zugänge zu domänenbezogenen Anforderungen (3 .3) erfolgt . Diese inhaltlichen Referenzpunkte der Ausbildung werden dann hinsichtlich ihrer Implikationen für das fachbezogene Professionswissen – unter Einbezug ihrer disziplinären und fachdidaktischen Kontextuierung – entfaltet und diskutiert (Abschnitt 4) . Abschließend folgen eine kritische Würdigung des Beitrags bezüglich der Grenzen des gewählten Zugangs und der Fokussierung auf eine von mehreren Dimensionen des Professionswissens sowie ein Ausblick auf Potenziale hinsichtlich einer weiteren theoretisch-systematischen Differenzierung und empirischen Modellierung (Abschnitt 5) .
1
Siehe dazu Abschnitt 3 .2
Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege
2.
Stand der Theorie und Forschung zur Professionalität von Lehrpersonen
2.1
Professionsforschung zum Lehrberuf im Allgemeinen
Als Ausgangs- und Bezugspunkt für die Frage nach dem fachspezifischen Professionswissen werden hier zunächst kurz die drei Hauptrichtungen der Forschung zur pädagogischen Professionalität skizziert, um dann die kompetenztheoretische Fokussetzung für die weitere Argumentation näher zu beschreiben und zu begründen . Abzugrenzen ist die nachfolgende Darstellung vom Professionalisierungsdiskurs, der sich auf die berufliche Pflege bezieht . Während an dieser Stelle das Thema Professionalität im Kontext pädagogischen Handelns verhandelt wird, geht es in Beiträgen zur Professionalisierung des Pflegeberufs um die mit den steigenden berufspraktischen Anforderungen verbundenen Kompetenzen (z . B . Kälble, 2017; Friese, 2018) . Mit der Akademisierung der Pflege in Form von berufsqualifizierenden Studiengängen verknüpfen sich weitreichende Erwartungen an die weitere Professionalisierung, weshalb beide Begriffe – Akademisierung und Professionalisierung – häufig nahezu synonym genannt werden (z . B . Schroeter, 2019; Sander, 2017) . Nachfolgend geht es in Abgrenzung von diesem Professionalisierungsdiskurs – bezogen auf die berufliche Pflege – um die Professionalität der Lehrpersonen mit Fokus auf fachliches Professionswissen . In der Professionsforschung zum Lehrberuf werden drei Grundrichtungen unterschieden: der strukturtheoretische, der berufsbiographische und der kompetenztheoretische Ansatz (z . B . Bonnet & Hericks, 2016; Keller-Schneider & Hericks, 2011) . Der strukturtheoretische Ansatz bestimmt die Anforderungen an professionelles Handeln aus den Charakteristika des pädagogischen Auftrags; in Anlehnung an Oevermann (1996) ist dieser in der intergenerationalen Vermittlung von Wissen und Werten auf Basis eines Vertrauensverhältnisses und eines Arbeitsbündnisses mit unterschiedlichen Ausmaßen an Autonomie und damit korrespondierenden Antinomien zu sehen, z . B . zwischen Beziehungsarbeit und rollenkonformem Handeln (Helsper, 2011, S . 161) . Professionelles Handeln der Lehrpersonen bedeutet vor diesem Hintergrund den souverän-reflexiven Umgang mit diesen Widersprüchlichkeiten und den daraus resultierenden Unsicherheiten (Terhart, 2011) . Der strukturtheoretische Ansatz spielt im Diskurs über professionelles Handeln von Lehrpersonen in der beruflichen Fachrichtung Pflege eine herausragende Rolle . Unter dem Stichwort „doppelter Handlungsbezug“ wird die Frage verhandelt, welche Anforderungen sich daraus ergeben, dass sich die Antinomie der pädagogischen Situation in Form von pflegeberuflichem Unterricht auf das in der Grundstruktur ebenso widersprüchliche Handeln in der Pflegepraxis bezieht (Darmann-Finck, 2010; ErtlSchmuck, 2010; Seltrecht, 2015; Walter, 2015) . Pflegerisches Handeln oszilliert zwischen analytischer Problemlösung mit Anwendung von professionellen Standards
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und dem individuellen Fallverstehen mit personen- und situationsbezogener Handlungslogik . Unterricht mit dem Gegenstand Pflege bewegt sich in einem ähnlichen Spannungsverhältnis zwischen verallgemeinerbaren Handlungsroutinen und spezifischen situationsbezogenen Interventionen – eine doppelte Kontingenz . Auch für den FQR Pflegedidaktik ist diese Denkfigur eine grundlegende Basisannahme: „Dies kann zu komplexen Verstrickungen und zu einer Potenzierung paradoxaler Anforderungen führen“ (Walter & Dütthorn, 2018, S . 14) . Die mit ihr verbundenen Herausforderungen für das Handeln der Lehrpersonen werden hier mit Reflexivität adressiert . In der Perspektive des berufsbiographischen Ansatzes wird Professionalität als adaptive Bewältigung berufsbiographischer Entwicklungsaufgaben betrachtet . Durch die Erforschung von Entwicklungsphasen und -schritten lassen sich die beruflichen Aufgaben ermitteln, deren erfolgreiche Bewältigung die Professionalität der Lehrpersonen auszeichnet (Keller-Schneider & Hericks, 2011) . Ansatzweise ist dieser berufsbiographische Bestimmungsansatz von Professionalität mit seiner Fokussierung auf bedeutsame Phasen wie den Berufseinstieg auch in der Forschung zum Berufseinstieg in die Pflegepädagogik aufgegriffen worden (Reiber, Winter, & Mosbacher-Strumpf, 2015) . Im Rahmen einer Absolvent*innen-Befragung wurden typische Herausforderungen bei der Einmündung in den Lehrberuf vor dem Hintergrund sehr spezifischer und von der allgemeinen Lehrpersonen-Bildung abweichender Bildungswege untersucht . Die Ausgangsintention des kompetenztheoretischen Ansatzes von Professionalität der Lehrpersonen ist die Beschreibung und Systematisierung von Wissens- und Könnensdimensionen, die als professionelle Handlungskompetenz die Grundvoraussetzung für den Lernerfolg der Schüler*innen bilden (Baumert & Kunter, 2006) . Kompetenzen von Lehrer*innen werden hier „als die bei ihnen verfügbaren oder von ihnen erlernbaren kognitiven Fähig- und Fertigkeiten, die zur Lösung bestimmter Probleme und Aufgaben nötig sind“ (König, 2020, S . 163), verstanden . Die einzelnen Facetten dieser Handlungskompetenz werden in ein generisches Kompetenzmodell integriert (Baumert & Kunter, 2011) . Diese Kompetenzen werden „als Voraussetzungen der Lehrkräfte verstanden, um zentrale berufliche Anforderungen erfolgreich bewältigen zu können“ (König, 2020, S . 164) . Die Kompetenzdimensionen können einerseits als Ergebnis- und Zielgröße für die Lehrpersonenbildung im Sinne von Standards genutzt werden . Sie sind andererseits wiederum Ausgangspunkt für weitere Forschung – z . B . zum Zusammenhang zwischen professioneller Kompetenz der Lehrpersonen (im Sinne von Zusammenwirken der unterschiedlichen Facetten des Wissens und Könnens) und Lernfortschritten der Schüler*innen (Frey & Jung, 2011) . Das Modell unterscheidet das Professionswissen im engeren Sinne mit den Facetten Fachwissen und fachdidaktisches Wissen sowie pädagogisch-psychologisches Wissen von affektiv-motivationalen Voraussetzungen wie Überzeugungen, Motivation und Persönlichkeitsmerkmalen (Baumert & Kunter, 2011) . Professionelle Handlungs-
Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege
kompetenz ergibt sich aus dem interdependenten Zusammenspiel der einzelnen Facetten (Krauss, Lindl, Schilcher, & Tepner, 2017, S . 35) . Als „Kern der professionellen Kompetenz von Lehrkräften“ (Baumert & Kunter, 2011, S . 35) bezieht sich das fachliche Professionswissen auf die fachliche Expertise, die über den Kanon des jeweiligen Unterrichtsgegenstands hinausgeht und auch dessen Wissensbasis und -struktur umfasst . Eng und komplementär dazu wird fachdidaktisches Wissen und Können als die Kompetenz konzeptualisiert, fachbezogene Lernprozesse verstehen und unterstützen zu können . Komponenten der fachdidaktischen Kompetenz sind: – das Verständnis des Anspruchsgehalts von Aufgaben, – die Kenntnis darüber, auf welchem Vorwissen neues Wissen aufbaut, – das Verständnis der Struktur des Unterrichtsgegenstands im Fachkontext und – das Wissen über dessen Aneignungsformen, -chancen und -risiken seitens der Lernenden (Baumert & Kunter, 2011) . Die pädagogisch-psychologische Kompetenzdimension ergänzt das fachbezogene Professionswissen als „fachunabhängiges Wissen über die Gestaltung von Lehr- und Lern-Prozessen“ (Baumert & Kunter, 2011, S . 38) . Dazu gehören allgemeines Grundlagenwissen über Lernen und Bildung sowie Kenntnisse und Fertigkeiten zur Steuerung des Lernprozesses . Arrondiert wird das Professionswissen durch Beratungs- und Organisationswissen, um die Lernenden und ggf . weitere Beteiligte am Lernprozess adäquat unterstützen und das unterrichtliche Handeln sinnvoll in einen größeren Systemkontext einbinden zu können . Für die Nutzung des kompetenztheoretischen Ansatzes lassen sich mehrere Argumente anführen . Seine Eignung lässt sich mit der sehr konsequenten Kompetenzorientierung der Ausbildung begründen . Aussichtsreich erscheint diese Fokussetzung auch deshalb, weil sie im bisherigen Diskurs zur Professionalität von Lehrpersonen in der Domäne Pflege eine untergeordnete Bedeutung hat und somit eine Perspektiverweiterung hiervon zu erwarten ist . Zudem scheinen fachliche Bildung und Fachlichkeit im aktuellen Diskurs zur Professions-Unterrichtsforschung wieder an Bedeutung zu gewinnen (z . B . die beiden Sammelbände Hericks, Keller-Schneider, Meseth, & Rauschenberg, 2020 und Martens et al ., 2020) und werden derzeit auch im Hinblick auf Unterrichtsqualität verstärkt in den Blick genommen (z . B . Lindmeier & Heinze, 2020) . Fachlichkeit wird dabei als Ressource und als Teil des Habitus der Lehrperson ausgewiesen (Hericks, Keller-Schneider, & Meseth, 2020) . Das leitende Erkenntnisinteresse des hier gewählten Zugangs bezieht sich auf diese fachliche Seite der Professionalität von Lehrer*innen der beruflichen Fachrichtung Pflege . In idealtypisierender Absicht wird nachfolgend das fachliche Professionswissen gesondert betrachtet, wohl wissend, dass sich die Professionalität pädagogischen Handelns erst im orchestrierten Zusammenspiel aller Kompetenzbereiche und -facetten realisiert . Diese ausschnitthafte Betrachtung erfolgt zum einen, weil sich das fachbe-
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KARIN REIBER
zogene Professionswissen in Studien als besonders prädiktiv für den Lernerfolg der Lernenden erwiesen hat (Kunter & Baumert, 2011), zum anderen, weil sich diesbezüglich Forschungsdesiderata konstatieren lassen – wie im nächsten Schritt dargelegt wird . Auch im Hinblick auf die veränderte Wissensbasis der Ausbildung im Zuge der mit dem neuen Pflegeberufegesetz verbundenen Ausbildungsreform und aufgrund domänenspezifischer Anforderungen an die pflegeberufliche Handlungskompetenz lässt sich diese Fokussetzung begründen . 2.2
Zugänge zur Professionalität von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege
Sofern explizit auf die Professionalität von Lehrpersonen Bezug genommen wird, greifen Arbeiten der Pflegebildungsforschung vornehmlich auf den strukturtheoretischen und berufsbiographischen Ansatz zurück . Beide Perspektiven sind ebenso naheliegend wie anschlussfähig, weil sie mögliche Deutungsrahmen für zwei Besonderheiten bereitstellen: Der strukturtheoretische Ansatz erscheint adaptiv, weil die Betonung des reziproken beruflichen Handelns mit ambivalentem Charakter nicht nur für die professionelle Lehrtätigkeit, sondern auch für das professionelle Pflegehandeln zutrifft (vgl . Abschnitt 2 .1) . Die berufsbiographische Perspektive bietet Potenziale für das Verständnis der besonderen Berufsbiographie von Lehrer*innen, die in der Regel zunächst eine Berufsqualifikation und -sozialisation im Pflegeberuf durchlaufen, bevor sie ein lehrerbildendes Studium aufnehmen . Während es bereits einen einschlägigen Diskurs zu den fachdidaktischen Anteilen des fachbezogenen Professionswissens gibt2, existieren bisher erst vereinzelt Forschungsarbeiten, die Auskunft über die fachlichen Anteile des Professionswissens von Pflegelehrer*innen geben, bzw . Forschungsarbeiten, aus denen Rückschlüsse auf dieses abgeleitet werden können . In der quantitativen Verbleibstudie von Reiber et al . (2015) werden Absolvent*innen von Pflegepädagogikstudiengängen, die inzwischen als Lehrer*innen an Berufsfachschulen des Gesundheitswesens arbeiten, nach ihrem Selbstverständnis sowie den aus subjektiver Sicht bedeutsamen Komponenten der unterschiedlichen Ausbildungsphasen und den dabei erworbenen Kompetenzen befragt . Sowohl hinsichtlich des eigenen Selbstverständnisses als auch bezüglich der für wichtig erachteten Kompetenzbereiche und Ausbildungsbestandteile bewertet die große Mehrheit der Befragten die Pflegewissenschaft als nachgeordnet im Vergleich zu beispielsweise den in der vorausgegangenen Pflegeausbildung erworbenen beruflichen Erfahrungen oder den
Der aktuellste Überblick bezogen auf Stand der Theoriebildung und Forschung zur Pflegedidaktik findet sich in der Dissertation von Kuckeland (2020, S . 35 ff .)
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Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege
in Studium und Lehrtätigkeit erworbenen methodisch-didaktischen Kompetenzen . Die Befragten definieren die eigene berufliche Identität primär als „Experte*in für die Pflegepraxis“ oder schlicht als „Pädagoge*in“ und weniger als „Experte*in für Pflegewissenschaft“ . Im Rahmen dieser Selbstdefinitionen und -einschätzungen – bezogen auf das professionelle Handeln als Lehrer*in – nimmt die Pflegewissenschaft als fachlich-disziplinäre Grundlage einen eher marginalen Stellenwert ein . Simon (2019) untersucht mithilfe eines qualitativen Studiendesigns, auf welches Wissen Lehrende an Pflegeschulen im Rahmen ihrer Unterrichtsvorbereitung rekurrieren . Auf der Basis eines Grounded-Theory-Forschungsdesigns und anhand von problemzentrierten Interviews sowie Unterrichtsbeobachtungen und der dazugehörenden Planungsunterlagen analysiert die Autorin die von Pflegelehrenden bei der Unterrichtsplanung genutzten Daten- und Informationsquellen . Sie konstatiert eine „tendenzielle Vermeidung des Einbezugs pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse in die Unterrichtsplanung“ (Simon, 2019, S . 236), unterscheidet dabei die beiden Ausprägungen „Versuch des Einbezugs“ und „Nichteinbezug“ pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse (a . a . O ., S . 259) und ermittelt die jeweiligen Bedingungen, Einflussfaktoren, die damit verbundenen Handlungsstrategien sowie die Konsequenzen . Als Ursache und Begründung für diese „tendenzielle Vermeidung des Einbezugs pflegewissenschaftlicher Erkenntnisse“ (ebd .) seitens der befragten Lehrenden führt Simon an, dass diese die Wissensbestände gemäß der Nützlichkeit bzw . der Examens- und Praxisrelevanz für die Lernenden auswählen . Pflegewissenschaftliches Wissen wird demnach von den Lehrenden nicht als nützlich angesehen . Mit einer dezidiert fachdidaktischen Perspektive und Zielsetzung3 und im Hinblick auf generalistischen Unterricht untersucht Kuckeland (2020) auf Basis qualitativer Interviews u . a . auch das Fachwissen bezogen auf das Unterrichtsthema „Körperpflege“ . Unter Anwendung der Grounded-Theory-Methodologie leitet Kuckeland aus dem Datenmaterial generalistische Wissensbestände ab, d . h . Körperpflege-Wissen bezogen auf ein altersgruppenunabhängiges „einheitliches, übergeordnetes Pflegeziel“ (a . a . O ., S . 195) . Neben erfahrungsbasiertem identifiziert sie wissenschaftliches, generalistisches Körperpflegewissen im Sinne von (…) Wissen über Studien, fachwissenschaftliche Arbeiten und Forschungsergebnisse, die relevant für die Thematik Körperpflege sind, im Vordergrund . Insgesamt werden nur vereinzelte wissenschaftliche Arbeiten, die für den Unterricht zur Körperpflege hinzugezogen werden, von den Lehrenden angegeben . (a . a . O ., S . 201)
Kuckeland wendet das Modell zum Professionswissen in ihrer Studie in der Form an, dass sie das pflegewissenschaftliche, das pflegedidaktische und das pädagogische Wissen als drei Teilbereiche des pflegedidaktischen Professionswissens konzeptualisiert .
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Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass Lehrende wenig systematisch auf die ihnen zum Thema Körperpflege bedeutsam erscheinenden pflegewissenschaftlichen Studien rekurrieren (Kuckeland, 2020) . Diese Bestandsaufnahme zum fachlichen Professionswissen von Lehrer*innen der beruflichen Domäne Pflege ergibt wenige und eher partikulare Befunde . Die Untersuchungen von Reiber et al . (2015) und Simon (2019) sind an der grundsätzlichen Frage nach der Bedeutung von pflegewissenschaftlich fundiertem Wissen für das Handeln von Pflegelehrenden sowie seiner Nutzung für den Unterricht ausgerichtet und kommen zu dem Ergebnis, dass die Pflegewissenschaft in beiderlei Hinsicht eine eher untergeordnete Bedeutung aufweist . Die Befunde zum Selbstverständnis von Pflegelehrenden legen außerdem nahe, dass die fachwissenschaftliche Expertise in ihrer Bedeutung für die eigene Professionalität als nachrangig eingeschätzt wird (Reiber et al ., 2015; Reiber, 2018) . In etwas anderer Lesart analysiert Kuckeland (2020) das pflegewissenschaftliche Wissen, das Lehrende hinsichtlich ihres Unterrichts zur Körperpflege nutzen, mit dem Ergebnis, dass lediglich partiell Studien rezipiert werden . Eine systematische Bestimmung des fachlichen Professionswissens scheint für die professionelle Lehrtätigkeit in der Domäne Pflege ein Desiderat zu sein . Im nächsten Schritt werden deshalb Bezugs- und Orientierungspunkte für eine nähere Identifikation des fachbezogenen Professionswissens begründet und skizziert . 3.
Orientierungs- und Bezugspunkte für eine systematische Bestimmung des fachbezogenen Professionswissens
Während sich im Hinblick auf eine allgemeinbildende Schule und die dort unterrichteten Schulfächer das fachbezogene Professionswissen naheliegenderweise aus der dem Fach entsprechenden Disziplin herleiten lässt, ist dieser Fachbezug bei beruflichen Fachrichtungen etwas komplexer zu ermitteln . Berufliche Fachrichtungen weisen eine weniger eindeutige Entsprechung zu einer Disziplin auf (Spöttl, 2010); vielmehr haben sie neben einer leitenden Bezugsdisziplin vielfältige Querverbindungen zu einer beruflichen Domäne . Im Kontext der Berufs- und Wirtschaftspädagogik gibt es diesbezüglich unterschiedliche Zugänge . Um das Professionswissen (angehender) Lehrpersonen hinsichtlich des Fachwissens und fachdidaktischen Wissens empirisch untersuchen zu können, werden in der Wirtschaftspädagogik beispielsweise Tests zur Domäne Rechnungswesen eingesetzt (Seifried & Wuttke, 2015) bzw . Aspekte und Facetten der wirtschaftswissenschaftlichen Fachkompetenz operationalisiert (ZlatkinTroitschanskaia, Förster, Brückner, Hansen, & Happ, 2013) . Als leitende Bezugsdisziplin für die berufliche Fachrichtung Pflege wäre die Pflegewissenschaft ein Anknüpfungspunkt für die Modellierung des professionsbezogenen Fachwissens . Daneben werden in den ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die
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Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung der KMK (2019) als Studieninhalte für die Lehrpersonenbildung der beruflichen Fachrichtung Pflege gesundheitswissenschaftliche, medizinische und naturwissenschaftliche sowie weitere bezugswissenschaftliche Grundlagen genannt . Mit Blick auf die gewerblich-technischen Fachrichtungen wird argumentiert, dass trotz dieser Orientierung an einer mit der beruflichen Fachrichtung korrespondierenden Fachwissenschaft und weiteren Bezugswissenschaften das grundlegende Problem bestehen bleibe, dass „diese berufsbezogene[n] Inhalte nicht untersuchen und noch weniger aufarbeiten“ (Becker, Spöttl, & Windelband, 2019, S . 2), weil die Disziplinen eine eigenständige Fach- und Strukturlogik haben . Neben dem Rekurs auf die für die jeweilige berufliche Fachrichtung zentrale und bedeutsame Referenzwissenschaft „ist also auch der fachlich-berufliche Anspruch sicherzustellen, der aus der Bewältigung von Aufgaben der Facharbeit resultiert, wobei es Schnittmengen, aber auch eigenständige Wissensbestände gibt, die zu identifizieren, strukturieren und aufzubereiten sind“ (a . a . O ., S . 3) . Zwar konstatieren dieselben Autoren, dass der Bezug der Fachwissenschaft zu diesen berufswissenschaftlichen Anteilen – wie sie die mit beruflichen Arbeitsprozessen korrespondierenden disziplinären Inhalte bezeichnen – gerade im Falle der beruflichen Fachrichtung Pflege in den ländergemeinsamen inhaltlichen Anforderungen für die Fachwissenschaften und Fachdidaktiken in der Lehrerbildung der KMK (2019) bereits berücksichtigt sei (a a . O ., S . 7) . Dennoch wird hier der Frage nach den berufsbezogenen Anforderungen weiter nachgegangen, da diesbezüglich eine hohe Dynamik aufgrund sich verändernder Arbeits- und Geschäftsprozesse zu verzeichnen ist . Im Hinblick auf das Ziel der beruflichen Bildung, berufliche Handlungskompetenz anzubahnen, lassen sich auf Grundlage der Ausführungen von Becker et al . (2019) zwei Referenzpunkte ableiten: zum einen Ordnungsmittel, die die Berufsprofile inhaltlich bereits abbilden, zum anderen fachrichtungsbezogene berufswissenschaftliche Forschung (Becker et al ., 2019) . Während die Ordnungsmittel eine präskriptive Beschreibung von beruflichem Fachwissen darstellen, beansprucht berufswissenschaftliche Forschung einen empirischen Zugang zu den Anforderungen beruflichen Handelns . Beide Perspektiven können sich wechselseitig ergänzen und werden in der weiteren Argumentation als Bezugs- und Orientierungspunkte für die nähere Bestimmung des fachbezogenen Professionswissens von Lehrer*innen der beruflichen Fachrichtung Pflege dargestellt .
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Das neue Pflegeberufegesetz als Bezugspunkt des fachbezogenen Professionswissens
Um die neuen gesetzlichen Vorgaben als Bezugspunkte für das fachspezifische Professionswissen von Pflegelehrer*innen nutzen zu können, werden im Folgenden die Bereiche der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe dargestellt, in denen eine wesentliche Neuprofilierung und Weiterentwicklung der Pflegeausbildung realisiert wird . In den Anlagen der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung für die Pflegeberufe werden die berufsbezogenen Kompetenzen definiert, die nach den ersten zwei Ausbildungsdritteln bzw . nach Abschluss der Pflegeausbildung vorliegen sollen . Das neue Pflegeberufegesetz bringt zwei wesentliche Veränderungen mit sich: Zukünftig gibt es ein generalistisches Berufsprofil, das die bisherige Ausdifferenzierung in drei Berufe (Alten-, Gesundheits- und Kranken- sowie Gesundheits- und Kinderkrankenpflege) zunächst ergänzen, perspektivisch jedoch ablösen soll . Zusätzlich zu dieser berufsfachschulischen Ausbildung ermöglicht das Gesetz regelhaft eine hochschulische Ausbildung, was bisher nur in Modellprojekten möglich war . Im Folgenden wird Bezug genommen auf die mit dem neuen Pflegeberufegesetz eigentlich intendierte Ausbildungsform: die generalistische Pflegeausbildung . Die Ausbildungsziele und -inhalte sind in der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung anhand von fünf Kompetenzbereichen gegliedert . Die Kompetenzbereiche beinhalten jeweils zwei bis sechs Kompetenzschwerpunkte, die wiederum jeweils mehrere Kompetenzen umfassen . Die fünf Kompetenzbereiche lassen sich unterschiedlichen Ebenen zuordnen: – Mikroebene: Die Kompetenzbereiche eins (I) und zwei (II) beziehen sich auf die unmittelbare pflegerische Versorgung . – Mesoebene: Der Kompetenzbereich drei (III) benennt Ziele und Inhalte im Hinblick auf den institutionellen Rahmen des pflegeberuflichen Handelns sowie der Zusammenarbeit im Team . – Makroebene: Die Kompetenzbereiche vier (IV) und fünf (V) rekurrieren auf die beruflichen Anforderungen, die sich aus den gesellschaftlichen Kontextbedingungen und den fachlichen sowie ethischen Professionsstandards ergeben . Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die konsequent generalistische Pflegeausbildung und nicht auf die beiden Vertiefungsoptionen, die derzeit noch alternativ zur generalistischen Ausbildung mit dem Berufsabschluss in der Alten- oder Gesundheits- und Kinderkrankenpflege gewählt werden können . Der Kompetenzbereich I ist am Pflegeprozess als grundlegende Struktur pflegeberuflichen Handelns ausgerichtet . Die einzelnen Schritte dieses Problemlösungsprozesses werden in den Kompetenzbeschreibungen systematisch auf Pflegeanlässe, -interventionen und -ergebnisse bezogen . Als Handlungsmaxime wird dabei das Prinzip der
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Aushandlung zwischen professionellem Anspruch und dem Selbstbestimmungsrecht der Klient*innen zugrunde gelegt . Erkennbar wird weiterhin die intendierte pflegewissenschaftliche Fundierung des pflegeberuflichen Handelns, da die Kompetenzbeschreibungen hinsichtlich des Pflegeprozesses explizit auf die Anwendung wissenschaftlicher Erkenntnisse und die Anwendung pflegewissenschaftlich fundierter Instrumente verweisen . Die generalistische Ausrichtung zeigt sich im Kompetenzbereich I insbesondere bei der Nennung exemplarischer Pflegeanlässe bzw . -situationen, die den Ausgangs- und Bezugspunkt des pflegespezifischen Problemlösungsprozesses bilden: Sie stehen ebenso für die Bandbreite pflegerischer Versorgungssettings wie für die Pflege von Menschen aller Altersstufen und mit unterschiedlichen (drohenden) Gesundheitseinschränkungen sowie den damit verbundenen Herausforderungen für ihre Lebensgestaltung (PflAPrV 2018, S . 1580 f .; S . 1596 f .) . In Kompetenzbereich II werden kommunikative, beraterische und moralisch-ethische Kompetenzen auf- und ausgeführt, die mit der unmittelbaren Durchführung des Pflegeprozesses eng verbunden sind . Mit der Bildung eines eigenen Kompetenzbereichs werden diese Kompetenzen aufgewertet, sind aber in der curricularen Umsetzung mit den Kompetenzen des Kompetenzbereichs I zu verknüpfen; sie weisen auch bereits Überschneidungen auf . Konstitutiver Bestandteil dieses Kompetenzbereichs sind reflexive Kompetenzen . Die intendierte Fähigkeit zur Reflexivität bezieht sich sowohl auf die Ebene des individuellen Berufshandelns – wie beispielsweise gegenüber subjektiven Deutungs- und Handlungsmustern bezogen auf eine Pflegesituation – als auch auf die dieses Handeln kontextuierenden und mitunter limitierenden Rahmenbedingungen (PflAPrV 2018, S . 1580 f .; S . 1597 f .) . Kompetenzbereich III betont die Rolle und die Verantwortung der Pflegefachperson für die Organisation und Überwachung des Pflegeprozesses im qualifikationsheterogenen Team und definiert die dafür erforderlichen Kompetenzen . Dieser Kompetenzbereich weist für Pflegefachpersonen eine erweiterte Autonomie aus und benennt exemplarisch Pflegeanlässe, in denen Pflegefachpersonen eigenständig eine auf Basis der pflegefachlichen Einschätzung adäquate pflegerische Versorgung planen und durchführen (z . B . im Falle chronischer Wunden) . Mit diesem Kompetenzbereich wird an Stellungnahmen angeknüpft, die angesichts steigender qualitativer und quantitativer Herausforderungen der Gesundheitsversorgung in Deutschland für eine Erweiterung der Autonomie und Zuständigkeitsbereiche von Pflegefachkräften plädieren (Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen (svr), 2007; svr, 2014) . Infolgedessen zielt Kompetenzbereich III u . a . darauf ab, dass die Absolvent*innen auf „Augenhöhe“ mit anderen Berufsgruppen kommunizieren und „integrierte Versorgungskonzepte“ „koordinieren“ können (PflAPrV 2018, S . 1580 f .; S . 1598 f .) . Die Begründung und fortlaufende Überprüfung des eigenen beruflichen Handelns auf der Basis der von außen gesetzten Vorgaben ist Gegenstand des Kompetenzbereichs IV . Diese Vorgaben können sowohl Gesetze und Verordnungen als auch pro-
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fessionelle Leitlinien und Standards wie beispielsweise ethische Leitlinien sein, aber auch interprofessionelle Leitlinien . Der Zusatz „evidenzbasiert“ bei Standards und Leitlinien verweist ein weiteres Mal auf die Berücksichtigung des Stands der Theorie und Forschung . Hervorgehoben wird hier außerdem die Qualitätssicherung als Vorbehaltsaufgabe, zumindest soweit sich die „Analyse, Evaluation, Sicherung und Entwicklung der Qualität der Pflege“ (Igl, 2019, S . 78) unmittelbar auf den Pflegeprozess und die Pflegeergebnisse im Kontext einer spezifischen Pflegesituation beziehen (PflAPrV 2018, S . 1580 f .; S . 1599 f .) . Der hohe wissenschaftliche, berufsfachliche und ethische Anspruch kommt explizit im Kompetenzbereich V zum Tragen, in dem als Ziel formuliert wird, dass Pflegefachpersonen ihr pflegeberufliches Handeln an pflegewissenschaftlichen Forschungsergebnissen, Theorien und Modellen ausrichten . Zugleich bilden diese pflegewissenschaftlichen Bezüge den Reflexions- und Begründungsrahmen des pflegeberuflichen Handelns . Aufgrund der hohen Dynamik in der Berufspraxis und ihrer wissenschaftlichen Bezüge wird die Anforderung formuliert, das eigene Fachwissen kontinuierlich zu aktualisieren . Kompetenzbereich V nimmt darüber hinaus die Pflegefachperson selbst sowie ihre eigene Gesundheit und ihr Selbstverständnis in den Blick: Intendiert sind die Förderung der eigenen Gesundheit und die Entwicklung eines – durchaus auch politisch akzentuierten – beruflichen Selbstverständnisses (PflAPrV 2018, S . 1580 f .; S . 1600) . 3.2
Domänenspezifische Kompetenz als Referenz für das fachbezogene Professionswissen
Mit dem Ziel, die „domänenspezifische Struktur der pflegerischen Fachkompetenz anhand von systematischen Zusammenhängen zwischen Teilkompetenzen und Kompetenzbereichen“ (Döring et al ., 2016, S . 118) abbilden zu können, modellierte im Rahmen der ASCOT-Initiative der Projektverbund TEMA, exemplarisch für die Altenpflege, die für die Bewältigung von pflegespezifischen situativen Herausforderungen und Arbeitsprozessen erforderlichen Kompetenzen . Dieses Modell unterscheidet drei Kompetenzbereiche: die unmittelbar klientenbezogenen, die organisationsbezogenen sowie die selbstbezogenen Kompetenzen . Im ersten Kompetenzbereich, der sich auf die direkte pflegerische Versorgungssituation richtet, kommt der Pflegeprozess mit seinen diagnostisch-reflexiven, praktisch-technischen sowie interaktiv-kommunikativen Kompetenzen zum Tragen, ist aber nicht auf diesen begrenzt, da im Zuge dessen auch die Kontextbedingungen mit zu berücksichtigen sind . Hinsichtlich des organisationsbezogenen Kompetenzbereichs unterscheidet das Modell die Steuerungskompetenz, die erforderlich ist, um die pflegerischen Interventionen unter Einhaltung der Vorgaben und Berücksichtigung von Rahmenbedingungen sowie Organisationsabläufen durchzuführen, und die kooperative Kompetenz für die sozialorganisationale Einbindung des eigenen beruflichen Handelns in den professionellen
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wie interprofessionellen Kontext . Der selbstbezogene Kompetenzbereich wird über die Kompetenz zur eigenen Gesunderhaltung operationalisiert . Ziel dieser Modellierung ist die technologiebasierte Messung von Ausprägungen dieser Kompetenzen bei fortgeschrittenen Auszubildenden (Döring et al ., 2016) . Der Ausgangspunkt der Modellierung war hier eine theoretisch-systematische Auswertung pflegewissenschaftlicher und pflegedidaktischer Forschung und Theorieentwicklung sowie des berufspädagogischen Diskurses, woraufhin mithilfe einer „Reihe von Transformationsschritten“ (Wittmann et al ., 2014, S . 54) eine Operationalisierung und Validierung der Kompetenzen mit dem Ziel erfolgte, berufliche Realität möglichst authentisch in der Testung abbilden zu können . Der Zugang zur beruflichen Praxis wurde dann über berufliche Handlungssituationen realisiert, die sich auf unterschiedliche altenpflegespezifische Versorgungssettings bezogen (Wohngruppe, ambulant, langzeitstationär) und hinsichtlich der Pflegeanlässe sowie der betroffenen und beteiligten Akteure exemplarisch ausbuchstabiert wurden (Döring et al ., 2016) . Als zentral und relevant erwiesen sich als Charakteristika pflegeberuflichen Handelns dessen „kontextualisierte, stark situativ-fallbezogene Ausrichtung, pflegeprozessuales Geschehen sowie sozial-kommunikative und emotionsbezogene Aspekte“ (Döring et al ., 2016, S . 129) . Mit dem Ziel der Curriculumentwicklung und bereits mit Ausrichtung auf die generalistische Pflegeausbildung nutzen Schneider, Kuckeland und Hatziliadis (2018; 2019) eine Form der Berufsfeldanalyse, die sowohl die Identifikation von pflegespezifischen Arbeits- und Geschäftsprozessen als auch die Ableitung beruflicher Handlungssituationen erlaubt . Auf der empirischen Basis von Beobachtungen von erfahrenen Pflegefachpersonen sowie darauf bezogenen Interviews und Expert*innen-Workshops wurden pflegerische Kernaufgaben, Pflegeanlässe, herausfordernde Situationen und Konflikte sowie die Kommunikationsmerkmale untersucht . Als „den Kern allen pflegeberuflichen Handelns“ (Schneider et al ., 2019, S . 21) ließen sich die grundlegenden Aufgaben der prozesshaften Gestaltung der Pflege und das beziehungsorientierte Handeln empirisch als kennzeichnende Merkmale bzw . zentrale Komponenten pflegeberuflichen Handelns ermitteln . Alle weiteren Kernaufgaben beziehen sich auf das gesamte Spektrum der in einer Pflegesituation zu adressierenden menschlichen Bedürfnisse der Klient*innen (von der Nahrungsaufnahme und Ausscheidung über Bewegung bis hin zu sozialen und spirituellen Anteilen), die strukturelle und organisationale Einbindung des pflegeberuflichen Handelns bis hin zum Umgang mit unterschiedlichen Krisen . Ergänzend zu diesen Kernaufgaben als regulären Anforderungen wurden weiterhin herausfordernde Situationen hinsichtlich ihrer Komplexität und ihres Anspruchsgehalts identifiziert, die aus dem Verhalten bzw . der Lebenssituation der Klient*innen, den Arbeitsbedingungen oder eigenen Gefühlsreaktionen und Grenzen resultieren (Schneider et al ., 2018; 2019) . Für die weitere didaktische Aufbereitung dieser Kernaufgaben zu Lernsituationen im Sinne pflegeberuflicher Handlungssituationen wurden die Kernaufgaben darauf-
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hin analysiert, welcher Anlass ihnen zugrunde liegt (z . B . Diagnosen), welche Kommunikations- und Interaktionsstruktur sich mit ihnen verbindet und mit welchen konkreten Tätigkeiten und Herausforderungen sie verknüpft sind bzw . sein können, welche Konflikte dabei entstehen können und wie die Situation von den beteiligten Akteuren erlebt wird (Schneider et al ., 2019) . Zusammenfassend lässt sich auch hier das bereits vorab konstatierte Bild von Pflege als eine Tätigkeit abstrahieren, die als beziehungsorientierter Problemlösungsprozess den Anlass (drohender oder potenzieller) gesundheitlicher Einschränkung adressiert, dabei in rahmende Kontexte eingebunden ist, die es zu berücksichtigen gilt, bei der sowohl die Pflegefachperson mit allen ihren Persönlichkeitsanteilen beteiligt ist und bei der jederzeit vorhersehbare, aber auch unerwartete Widerstände oder Konflikte auftreten können, die es dann situationsorientiert zu bewältigen gilt . Diese Charakteristika einer Pflegesituation machen es nachvollziehbar, dass der strukturtheoretische Ansatz im bisherigen Diskurs zur Professionalität von Lehrer*innen der Domäne Pflege eine bedeutende Rolle spielt (vgl . Abschnitt 2) . Im Dienste der hier verfolgten Fragestellung und Zielsetzung werden in Abgrenzung dazu nachfolgend die fachbezogenen Angaben aus Ordnungsmitteln und berufswissenschaftlichen empirischen Zugängen als Bezugspunkte für das fachliche Professionswissen genutzt . 4.
Implikationen für das fachbezogene Professionswissen von Lehrpersonen im Spiegel domänenspezifischer Anforderungen
Mit dem neuen Pflegeberufegesetz (2017) und der Ausbildungs- und Prüfungsverordnung (2018) wird eine paradigmatische Weiterentwicklung der Wissensbasis nicht nur von Pflegefachpersonen, sondern auch des fachspezifischen Professionswissens der Lehrpersonen notwendig . Diese Anteile des Professionswissens von Lehrer*innen korrespondieren mit den zu unterrichtenden Inhalten, gehen aber weit über diese hinaus (Krauss et al ., 2017, S . 28) . Die beiden rezipierten empirischen Zugänge zu domänenspezifischer Kompetenz konturieren das Berufsprofil in Richtung eines voraussetzungsreichen und kontextgebundenen Problemlösungsprozesses, der technisch-praktische, reflexive und psycho-soziale Anteile umfasst, Routineabläufe ebenso wie unvorhergesehene Herausforderungen sowie Konflikte mit sich bringen kann und immer auch eine emotionale Beteiligung der in die Pflegesituation involvierten Personen beinhaltet, die zu berücksichtigen ist . Hervorzuheben sind die ausgewiesenen Pflegesituationen (Vorbehaltsaufgaben), die in der Verantwortung der Pflegefachkräfte liegen und von diesen gesteuert werden – auch mithilfe der Anleitung von Pflegepersonen auf Helfer*innen-Niveau oder ohne formale Qualifikation und unter Einbeziehung von Vertreter*innen anderer Berufsgruppen sowie ggf . der Beratung der Klient*innen und/oder ihrer Angehörigen . Die dabei zu berücksichtigenden Vorgaben und Bedingungen sind vielfältig und reichen von professionsbezogenen und ethischen
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Standards über rechtliche und institutionelle Bestimmungen bis hin zu den Anforderungen, die sich aus der konkreten Situation (z . B . abhängig vom Versorgungssetting) bzw . dem jeweiligen Anlass heraus ergeben . Hinzu kommen die Fähigkeit und Bereitschaft, das eigene Wissen stetig zu aktualisieren, für eigene Interessen einzutreten und damit zur Weiterentwicklung des Berufsfelds beizutragen sowie ein verantwortlicher Umgang mit der eigenen Gesundheit . Im kompetenztheoretischen Ansatz reicht das fachbezogene Professionswissen von Lehrpersonen qualitativ über das „im Unterricht übliche[n] Bearbeitungsniveau“ (Krauss et al ., 2011, S . 143) hinaus; dieses fundierte Fachwissen ermöglicht „Argumentationsweisen und das Herstellen von Zusammenhängen“ (ebd .) und bedarf dafür eines disziplinären Hintergrundwissens – ist aber nicht mit diesem kongruent . Vor diesem Hintergrund lassen sich die fachbezogenen domänenspezifischen Kompetenzen der Lehrpersonen entlang eines einerseits erweiterten, andererseits aber auch deutlich profilierteren pflegerischen Berufsprofils entfalten . Bezüge dafür sind der disziplinäre Theoriebestand sowie der aktuelle Forschungsstand bezogen auf den Pflegeprozess sowie seine methodischen, fachlichen und psycho-sozialen Facetten im Kontext interprofessioneller Zusammenarbeit und vor dem Hintergrund seiner rechtlich-ökonomischen und institutionellen Rahmung . Das mit Ausbildungsziel, -gegenstand und -inhalten korrespondierende fachwissenschaftliche Wissen der Lehrperson lässt sich somit als disziplinäre Expertise konzeptualisieren, die – bezogen auf den Pflegeprozess und seine vielschichtigen Zusammenhänge und Bedingungen – eine Variationsbreite an Zugehensweisen und Lösungswegen zu pflegerischen Problemstellungen eröffnet und somit die Voraussetzung für flexible Problemlösungen unter Berücksichtigung von multiplen Anlässen und Kontexten von Pflegesituationen ist . Dies umfasst die disziplinären Wissensbestände, die grundlegend sind für eine differenzierte Einschätzung und Bewertung von Pflegeanlässen und -bedarfen und die Anwendung von wissenschaftlichen Verfahren und Instrumenten, die eine passgenau auf Situation, Person und Setting abgestimmte Auswahl und Durchführung evidenzbasierten Handelns erlauben . Weiterhin ist ergänzend zu dieser fachwissenschaftlichen Expertise ein fundiertes Fachwissen bezüglich der institutionellen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen des Pflegehandelns auf der Meso- und Makroebene zu nennen . Im Hinblick auf die Mesoebene sind dies Theorien und Forschungsbefunde sowie evidenzbasierte Ansätze bezüglich der intra- und interprofessionellen Zusammenarbeit sowie der Steuerung und Gestaltung von Versorgungsprozessen über verschiedene Sektoren, Phasen der Versorgung und Professionen hinweg . Dazu zählt auch das für das Verständnis erforderliche Fachwissen hinsichtlich systemischer Strukturen und Abläufe in allen Settings, in denen berufliche Pflege realisiert werden kann . Auf der Makroebene sind Qualitätsentwicklung, ökonomische, rechtliche und ökologische Bedingungen theoretisch einzuordnen und zu begründen sowie fachlich im Rahmen ihres Entstehungs- und Begründungszusammenhangs und hinsichtlich ihrer
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Auswirkungen auf die pflegerische Versorgung einerseits, auf Genese, Stand und Perspektiven der Professionsentwicklung andererseits zu kontextuieren . Das fachbezogene Professionswissen der Lehrpersonen weist somit weit über den Unterrichtsgegenstand und die Ausbildungsinhalte hinaus; es ist inhaltlich rückgebunden an eine breite und fundierte disziplinäre Wissensbasis . Dieses fachliche Professionswissen ist Grundlage dafür, dass Ausbildungsinhalte in Beziehung gesetzt werden können zu disziplinären Wissensbeständen, -strukturen und -formen . Gegenüberstellung und Vergleich des erweiterten domänenspezifischen Wissens mit Leit- und korrespondierenden Disziplinen der Profession ermöglicht ein neues und verändertes Verständnis dafür, wie sich die Ausbildungsinhalte in der Arbeits- und Denklogik der Pflegewissenschaft und weiterer Bezugswissenschaften abbilden lassen und wie sie jeweils disziplinär kontextuiert sind . Diese Relationierung von domänenbezogenem Fachwissen zu seinen disziplinären Bezügen ist wiederum grundlegend für das fachdidaktische Professionswissen, die komplementär zum fachlichen Professionswissen eine Facette der Lehrenden-Professionalität darstellt . Die bisherigen Ausführungen dieses Kapitels machen deutlich, dass die Ausbildungsreform in der Pflege mit weitreichenden Anforderungen an die Lehrperson einhergeht . Der durch das Pflegeberufegesetz nun vorgeschriebene Master-Abschluss hat dazu geführt, dass zahlreiche neue lehrerbildende Masterprogramme eingerichtet wurden . Während schon viele der bisherigen Studienstandorte und -gänge nicht die sonst für die Lehrpersonenbildung üblichen Standards erfüllen konnten (Weyland & Reiber, 2013; Reiber, 2018), dürfte das für viele der nun neu hinzugekommenen Masterprogramme in besonderer Weise zutreffen . Im Hinblick auf das Professionswissen zukünftiger Lehrpersonen ist die ansonsten für die Lehramtsausbildung übliche Kombination von fachwissenschaftlichen, -didaktischen und bildungswissenschaftlichen Studienanteilen nach wie vor eine noch nicht eingelöste Entwicklungsperspektive (Reiber, 2018) . Die Sektion Berufs- und Wirtschaftspädagogik (BWP) hat deshalb eine Stellungnahme veröffentlicht, die auf Desiderata und Entwicklungserfordernisse der Lehrpersonenbildung aller personenbezogenen Fachrichtungen – und somit auch der beruflichen Fachrichtung Pflege – hinweist (Vorstand BWP, 2021) . Die nun neu hinzugekommenen Standorte und Programme für die Lehrerinnen- und Lehrerbildung verfügen häufig nicht über die ansonsten übliche Ausstattung mit fachwissenschaftlicher/-didaktischer und bildungswissenschaftlicher Expertise (Reiber, 2021) . Hinsichtlich der weiteren Professionalisierung von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege ist dies als besonders kritisch zu bewerten .
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5.
Fazit und Ausblick
Zunächst ist abschließend noch einmal zu betonen, dass die Schwerpunktsetzung dieses Beitrags – nämlich das fachspezifische Professionswissen der Lehrenden, bezogen auf domänenspezifische Anforderungen in der Pflege – zwar einen zentralen Anteil professioneller Handlungskompetenz abdeckt, aber zugleich auch Limitationen mit sich bringt . Zugunsten dieses fachspezifischen Professionswissens wurden die anderen Kompetenzdimensionen in diesem Beitrag ausgeblendet, wohl wissend, dass professionelle Handlungskompetenz sich erst im situationsbezogenen Zusammenspiel der unterschiedlichen Aspekte manifestiert (Krauss et al ., 2017, S . 35) . Eine weitere Einschränkung der Diskussionsergebnisse könnte sich aus der Tatsache ableiten lassen, dass die beim kompetenztheoretischen Ansatz genutzten Modelle aus einem rein empirischen Kontext stammen und auf klassische Schulfächer mit eindeutigem Domänenbezug bezogen sind, während eine berufliche Fachrichtung neben ihren originären disziplinären Referenzen weitere Bezugspunkte hat (Abschnitt 4) . Dem wurde in diesem Beitrag in der Form begegnet, dass das Fachwissen im Kontext domänenspezifischer Anforderungen, wie sie aus Vorgaben der Ordnungsmittel und berufswissenschaftlichen Erkenntnissen zum Arbeitsprozesswissen abzuleiten sind, konzeptualisiert wurde (Abschnitt 5) . Die hier vorgenommene idealtypische Trennung von fachwissenschaftlichen und -didaktischen Kompetenzanteilen begründet sich daraus, dass diese für den Lernerfolg der Auszubildenden bedeutsame Professionalitätsfacette in der bisherigen Forschung und Theorieentwicklung zur beruflichen Fachrichtung Pflege nach Ansicht der Verfasserin meist bereits in der fachdidaktischen Wendung diskutiert und erforscht wird und dabei mit der fachdidaktischen Kompetenzdimension gleichsam verschmilzt . Sowohl im Selbstverständnis der immer noch in eher unüblichen Strukturen ausgebildeten Lehrpersonen (Friese 2018; Reiber, Weyland, & Wittmann, 2019) als auch für das praktische Handeln – z . B . die Unterrichtsvorbereitung – scheint die pflegewissenschaftliche Expertise eine nachgeordnete Bedeutung zu haben (Reiber et al ., 2015; Simon, 2019) . Aus der Fokussierung auf das fachbezogene Professionswissen referenzierend auf domänenspezifische Anforderungen können sich weiterführende und neue Möglichkeiten für Forschung und Theorieentwicklung eröffnen, die für eine weitere Professionalisierung von Lehrpersonen der Domäne Pflege bedeutsam sind . Anknüpfend an die hier vorgenommene Fokussetzung und unter Hinzuziehung berufspädagogischer und bildungswissenschaftlicher Expertise ließen sich beispielsweise Kompetenzdimensionen und -facetten empirisch modellieren sowie damit zusammenhängende fachdidaktische Forschungsbezüge ableiten, um z . B . typische Lern- und Denkstrategien von Lernenden im Rahmen des Kompetenzerwerbs sowie Erklärungs- und Repräsentationsmöglichkeiten des Wissens identifizieren zu können . Da alle bisher existierenden inhaltlichen Bestimmungen zum neuen Pflegeberufegesetz (Ausbildungs- und Prüfungsverordnung; Rahmenlehrpläne) Ergebnisse
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theoretisch-systematischer Diskurs- und Konsensprozesse sind, erscheint es weiterführend, Forschung auch mit dem Ziel der empirischen Absicherung einer „Theorie des Fachgegenstands, seiner Wissensformen und seiner Wissensstruktur“ (Baumert & Kunter, 2011, S . 36) zu betreiben . Vor dem Hintergrund der eigenen Pflegeausbildung der Mehrzahl von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege (Weyland & Reiber, 2013) wären Forschungsbeiträge zu unterschiedlichen Formen von Wissen und Fachlichkeit im Vergleich von Ausbildungswissen und dem im Studium erworbenen fachspezifischen Professionswissen in ihrer Bedeutung für die Lehrtätigkeit unter besonderer Berücksichtigung epistemologischer Unterscheidungen von professionellem Handlungswissen und disziplinärem Wissen sowie der Reflexion dieser Unterschiede ertragreich . Literatur
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Fachspezifisches Professionswissen von Lehrpersonen der beruflichen Fachrichtung Pflege
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Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege Entwicklung und Erprobung eines fachdidaktischen Kategoriensystems BÄRBEL WESSELBORG / MARC KLEINKNECHT / ELLEN BÖGEMANN-GROSSHEIM / MATTHIAS HOENEN
Assessing the Cognitively Activating Potential of Tasks in the Vocational Training of Nursing Development and Testing of a Subject-Didactic Category System Kurzfassung: Eine qualitativ hochwertige Ausbildung kann die Auszubildenden in der Pflege
auf die komplexer werdenden Versorgungsbedarfe vorbereiten und zur Fachkräftesicherung beitragen . Als Indikatoren einer hohen schulischen Ausbildungsqualität gelten kognitiv-aktivierende Aufgaben . Bisher fehlt in der beruflichen Fachrichtung Pflege ein Analyseraster zur Einschätzung des kognitiv aktivierenden Potenzials von Aufgaben . Vor diesem Hintergrund richtet sich das Ziel der vorliegenden Studie auf die Entwicklung eines fachdidaktischen Kategoriensystems und auf die empirische Überprüfung der Messqualität . Die statistische Überprüfung des Instruments durch vier Rater*innen (n = 186 Aufgaben) zeigte gute Übereinstimmungswerte . Perspektivisch kann das Instrument in der Aus- und Weiterbildung von Lehrer*innen sowie in der Unterrichtsforschung der beruflichen Fachrichtung Pflege eingesetzt werden . Schlagworte: Unterrichtsqualität, Pflegeausbildung, Aufgaben, kognitive Aktivierung, fachdidaktisches Kategoriensystem, Messqualität Abstract: High-quality teaching can prepare nursing students for the increasingly complex care needs
and contribute to secure skilled labor in nursing . Cognitively activating tasks are considered indicators of high teaching quality . So far, there has been no category system for assessing the cognitively activating potential of tasks in the in the vocational training of nurses . Against this background, the aim of the present study is directed towards the development of a subject-didactic category system and the empirical verification of the rating quality . The statistical verification of the instrument by four raters
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(n = 186 tasks) showed good values . In the future, the instrument can be used in teacher education and further training as well as in instructional research in the vocational training in nursing . Keywords: Teaching quality, vocational training in nursing, tasks, cognitive activation, subject-didactic category system, rating quality
1.
Einleitung und Zielsetzung
Hochwertige Unterrichtsangebote sind für pflegeberufliche Ausbildungsgänge zur Bewältigung der steigenden Anforderungen im Gesundheitswesen von besonderer Bedeutung und können zur Fachkräftesicherung beitragen . Die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung wird zunehmend komplexer, da durch die demographische Entwicklung der Anteil älterer Personen an der Gesellschaft zunimmt . Dies geht mit epidemiologischen Veränderungen und vor allem mit Multimorbidität einher und erfordert individuell abgestimmte pflegefachliche Versorgungsprozesse (Nowossadeck, 2013; Scheidt-Nave et al ., 2010) . Die Qualität und Effizienz der Gesundheitsversorgung soll zukünftig in multi- und interprofessionellen Teams unter Mitwirkung von Pflegenden mit sektorenübergreifenden Konzepten und mit einer hohen Patient*innenorientierung gesichert werden (SVR, 2007; SVR, 2014) . Dabei sind Pflegende verantwortlich für den Pflegeprozess (PflBG § 4, Abs . 1, 2) und sollen dem Nachwuchsmangel begegnen, in dem sie für die Anleitung, Begleitung, Moderation und Kontrolle von Pflegeassistenzberufen Verantwortung übernehmen (DarmannFinck, Baumeister, & Greiner, 2016) . Die Befähigung zur Bewältigung dieser neuen Aufgaben kann in der pflegeberuflichen Ausbildung durch qualitativ hochwertige Unterrichtsangebote angebahnt werden . Dies kann zur Fachkräftesicherung beitragen, indem Pflegende auf die anspruchsvollen sowie eigenverantwortlichen Aufgaben und komplexeren Versorgungsbedarfe vorbereitet werden und der Verbleib im Beruf und Gesundheitssystem gestärkt wird . Im Zusammenhang mit einer hohen Unterrichtsqualität erfahren Aufgaben in der beruflichen und in der allgemeinen Bildung in den letzten Jahren eine zunehmende Aufmerksamkeit (u . a . Minnameier, Hermkes, & Mach, 2015; Nobiling et al ., 2020; Kleinknecht et al ., 2011) . Von besonderem Interesse sind komplexe und problemhaltige Aufgabenstellungen, die Lernende selbständig bearbeiten, da diese als besonderes Merkmal eines kognitiv-aktivierenden Unterrichts gelten (Klieme, 2019; Seifried & Wuttke, 2016) . Die kognitive Aktivierung von Lernenden stellt, neben den Merkmalen Klassenführung und einem positiven Lernklima, eine von drei Basisdimensionen eines lernwirksamen Unterrichts dar (Praetorius et al ., 2018; Klieme & Rakoczy, 2008) . Unter ‚kognitiver Aktivierung‘ ist ein mehrdimensionales Konstrukt zu verstehen, das „die Komplexität von Aufgabenstellungen und Argumentationen und die Intensität des fachlichen Lernens“ (Klieme, Schümer, & Knoll, 2001, S . 51) abbildet . Als kognitiv aktivierend gelten Aufgaben und Fragen, die zu einer elaborierten Auseinandersetzung
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
mit dem Lerngegenstand anregen (Lipowsky, 2015, S . 90) . Zur Einschätzung der Qualität und des Potenzials von Aufgaben zur kognitiven Aktivierung wurden fachdidaktische (u . a . Jatzwauk, 2007) und allgemeindidaktische Taxonomien entwickelt (z . B . Kleinknecht et al ., 2011; Blömeke et al ., 2006) . Bisher gibt es in der beruflichen Fachrichtung Pflege keine Taxonomien des kognitiv-aktivierenden Potenzials von Aufgabenstellungen . Dabei spielen in der Didaktik der beruflichen Fachrichtung Pflege, wie grundsätzlich in der beruflichen Didaktik, kognitiv-aktivierende Aufgaben für die Entwicklung anspruchsvoller berufsfachlicher Kompetenzen eine bedeutende Rolle . Die Didaktik der beruflichen Fachrichtung Pflege hat seit der Einrichtung von Studiengängen für das Berufsbildungspersonal in den 1990er Jahren differenzierte theoretische, fachdidaktische Modelle unterschiedlichen Abstraktionsniveaus hervorgebracht (u . a . Ertl-Schmuck & Fichtmüller, 2010) . Häufig favorisieren die Modelle didaktisch Fallarbeit1 (u . a . Darmann-Finck, 2010; Hundenborn, 2007) . Die Fallbeschreibungen sollen typische und zentrale Probleme des Berufsfeldes widerspiegeln, anhand derer sich allgemeine Strukturen, Widersprüche, und Zusammenhänge des Berufs aufzeigen und bearbeiten lassen . Die Fälle sollen eine authentische Situation aus der Pflegepraxis aufgreifen, mehrperspektivisch, unter Berücksichtigung der Sichtweisen verschiedener Akteur*innen, und deutungsoffen konzipiert sein, sodass mehrere Lösungen möglich sind (Darmann, 2004, S . 467) . Die Fallarbeit wird mit der Besonderheit pflegeberuflicher Anforderungssituationen begründet: Um qualitativ hochwertige Pflege zu sichern, müssen Lernende nicht nur wissenschaftlich fundiertem Regelwissen Rechnung tragen, sondern gleichwertig das Erleben, die Bedürfnisse, Verständnisse und Erwartungen der pflegebedürftigen Person in ihre Entscheidungen und Angebote mit einbeziehen . Pflegebedürftige Menschen werden in der humanen Dienstleistung ‚Pflege‘ nicht nur als Objekt des Handelns, sondern als Subjekte und Co-Produzenten pflegerischer Aufgabenbewältigung wahrgenommen . Das Handeln ist folglich der doppelten Logik sozialen Handelns unterworfen (Dewe, Ferchhoff, & Radke, 1992; Remmers, 2000) . Pflegehandeln kann als kommunikative Zusammenarbeit mit einer Vielzahl von Interaktionspartnern verstanden werden . Es setzt in besonderem Maß problemlösendes Handeln voraus, da im Falle divergierender Verständnisse, Interessen und Prioritäten Handlungsentscheidungen und „neue“ Lösungen mit den Interaktionspartnern ausgehandelt werden müssen . Methodisch werden für den pflegeberuflichen Unterricht alle Varianten von Fallarbeit (Hundenborn, 2007) wie die ‚Case-Incident-Methode‘, oder die ‚Case-Study-Methode‘ (Kaiser, 1983) vorgeschlagen . Insbesondere erfährt das Konzept des problembasierten Lernens (PBL), das ursprünglich im Rahmen der Ausbildung von Die Situationsorientierung, als zentrales berufspädagogisches Prinzip zur Strukturierung von Curricula und Lehrplänen (REETZ & SEYD, 2006), findet sich ebenfalls in den aktuellen gesetzlichen Vorgaben der Pflegeausbildung wieder (PflBG 2017; FACHKOMMISSION, 2020) . 1
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Mediziner*innen konzipiert wurde (u . a . Barrows, 1996), eine hohe Aufmerksamkeit (u . a . Schwarz-Govaers, 2013; Darmann-Finck & Boonen, 2008) . Ungeklärt ist, inwieweit das hier skizzierte hohe Anspruchsniveau im theoretischen Diskurs der Pflegedidaktik tatsächlich in der Ausbildungspraxis der beruflichen Fachrichtung Pflege Anwendung findet . Anders als in der Wirtschaftspädagogik (Achtenhagen, 2006; Minnameier et al ., 2015) fehlen in der beruflichen Fachrichtung Pflege empirisch fundierte Erkenntnisse zu Lehr-Lernprozessen . Forschung zur Unterrichtsqualität stellt ein Desiderat dar (Darmann-Finck, 2015; Nickolaus & Wuttke, 2010) . Unterrichtsprozesse wurden in der beruflichen Fachrichtung Pflege nur punktuell in qualitativen Designs (z . B . Darmann-Finck, 2010) oder deskriptivstatistisch (z . B . Reiber, 2010) untersucht . Pflegewissenschaftliche Erkenntnisse werden im Rahmen der Unterrichtsplanung von Pflegelehrer*innen kaum berücksichtigt (Simon, 2019) . Die bisherigen Untersuchungsergebnisse zur Aufgabenkultur in der beruflichen Fachrichtung Pflege zeigen einen hohen Anteil an lehrergesteuerten Methoden . Lernendenorientierte Arbeitsphasen2, die Auszubildende zur selbständigen kognitiv-aktivierenden Auseinandersetzung mit Lerngegenständen anregen können, haben einen deutlich geringen Anteil (Reiber, 2010, S . 122) . Vor dem Hintergrund dieses Problemaufrisses richtet sich das Ziel der hier vorgestellten Studie darauf, ein fachdidaktisches Kategoriensystem zu entwickeln, mit dem das kognitive Aktivierungspotential von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege eingeschätzt werden kann . Als Grundlage der Instrumentenentwicklung dient ein Kategoriensystem aus der Allgemeindidaktik . Für die berufliche Fachrichtung Pflege kann ein systematisch abgesichertes Raster von Qualitätskriterien zur Bewertung des kognitiven Anspruchsniveaus von Aufgaben einen zentralen Aspekt der theoretischen Modellierung von Unterrichtsqualität darstellen . Qualitätskriterien in Form von Taxonomien, die das Anspruchsniveau von Pflegeaufgaben kriteriengeleitet prüfen, könnten in der Aus- und Weiterbildung von Pflegelehrenden sowie in der Unterrichtsforschung eingesetzt werden . Ein solches Raster könnte konkrete Kriterien zur Konzeption qualitativ hochwertiger Aufgaben bieten, um zielgerichtet auf die komplexer werdenden Verantwortungsbereiche der Berufspraxis vorzubereiten . Zur empirischen Entwicklung der fachdidaktischen Taxonomie werden folgende Forschungsfragen bearbeitet: – Welche fachdidaktischen Modifizierungen sind bei einem allgemeindidaktischen Kategoriensystem zur Analyse des kognitiv-aktivierenden Potenzials von Aufgaben notwendig, um dieses mit dem Anspruch auf Validität in der beruflichen Fachrichtung Pflege einzusetzen? Grundsätzlich bleibt jedoch aufgrund mangelnder Unterrichtsforschung offen, inwieweit bei den Lernenden im pflegeberuflichen Unterricht eine kognitive Aktivierung stattfindet, da dies ebenso in einem diskursiv angelegten lehrerzentrierten Unterricht, der zu Begründungen auffordert, eingelöst werden könnte (Lipowsky, 2015, S . 90) .
2
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
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Führt die Anwendung des Instruments bei 186 Aufgaben aus der beruflichen Fachrichtung Pflege zwischen vier Rater*innen zu zuverlässigen Übereinstimmungen?
Der Artikel ist folgendermaßen aufgebaut: Zunächst werden Lernaufgaben und ihre Bedeutung zur kognitiven Aktivierung von Lernenden erörtert und Taxonomien zur Aufgabenanalyse vorgestellt . Anschließend wird das methodische Vorgehen bei der Instrumentenentwicklung und der Prüfung der Messqualität erläutert . Daraufhin werden das fachdidaktische Kategoriensystem zur Analyse des kognitiven Potentials von Aufgaben beschrieben und die Ergebnisse der Reliabilitätsüberprüfung dargestellt . Der Beitrag endet mit der Diskussion der Ergebnisse und einem Ausblick auf die weitere notwendige Validierung des Instruments in der beruflichen Fachrichtung Pflege . 2.
Theoretischer Rahmen
2.1
Aufgaben in der Unterrichtsforschung
Allgemein werden unter ‚Aufgaben‘ die Angebote im Unterricht verstanden, die Lernende zum Denken und Handeln anregen ( Jordan et al ., 2006, S . 12) und ein selbstständiges Erarbeiten oder Üben in Lernenden-Arbeitsphasen intendieren (u . a . Bohl & Kleinknecht, 2009; Jatzwauk, 2007; Neubrand, 2002) . Aus der Perspektive der Unterrichtsforschung sind Aufgaben wichtige Indikatoren bei der Untersuchung von kognitiv anregenden Lernumgebungen . In kognitionspsychologischen und konstruktivistischen Theorien des Lernens, die in der Tradition von Piaget stehen, wird davon ausgegangen, dass anspruchsvolle Aufgaben und eine diskursive Auseinandersetzung mit Lerngegenständen kognitive Konflikte auslösen . Dabei werden problemlösende sowie metakognitive Denkprozesse der Lernenden angeregt, die ein vertieftes Verständnis für fachliche Inhalte fördern (Klieme, 2019, S . 402) . Im Gegensatz dazu sind Aufgaben, die einfache Antworten ohne Begründung erfordern, für die kognitive Aktivierung der Lernenden und nachhaltige Wissenskonstruktionsprozesse unzureichend (Lipowsky, 2015, S . 90) . Da nicht direkt von Aufgabenmerkmalen auf die kognitiven Prozesse der Lernenden geschlossen werden kann, wird häufig vom Potenzial der kognitiven Aktivierung in Aufgabenstellungen gesprochen (Neubrand et al ., 2011) . Am Beispiel des Mathematikunterrichts konnte die Lernwirksamkeit der kognitiven Aktivierung empirisch nachgewiesen werden . So fand sich in der TIMS-Videostudie auf Basis von schriftlichen Befragungen, Testleistungen und Unterrichtsbeobachtungen ein positiver Zusammenhang zwischen kognitiver Aktivierung (u . a . erfasst über anspruchsvolle Übungsaufgaben und ein genetisch-sokratisches Vorgehen der Lehrperson) und der Leistung der Lernenden auf Klassenebene (Klieme et al ., 2001) . Ebenso zeigte sich im Projekt COACTIV die kognitive Aktivierung (erfasst durch
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Klassenarbeitsaufgaben und Rückmeldungen durch Lernende), als signifikanter Prädiktor für den Lernzuwachs (Baumert & Kunter, 2011; Voss et al ., 2011) . Empirische Befunde weisen aber deutlich auf die Notwendigkeit fachdidaktischer Absicherung des Konstrukts der kognitiven Aktivierung hin . Studien zeigen, dass die kognitive Aktivierung im Vergleich zu den zwei anderen Basisdimensionen, Klassenführung und soziale Unterstützung, weniger stabil ist . Es zeigte sich in Videoanalysen, dass die Ausprägung der Basisdimension ‚kognitive Aktivierung‘ von Unterrichtseinheit zu Unterrichtseinheit variieren kann und offenbar stärker von Merkmalen des zu unterrichtenden Inhalts abhängt (Praetorius et al ., 2014) . Daher kann geschlussfolgert werden, dass die Basisdimension ‚kognitive Aktivierung‘ inhaltsabhängig ist und in Abhängigkeit zur fachdidaktischen Kompetenz der Lehrenden steht . Dementsprechend wird bereits seit Längerem eine fachdidaktische Konkretisierung des Konstrukts kognitive Aktivierung gefordert (Lipowsky & Bleck, 2019; Klieme & Rakoczy, 2008) . 2.2
Aufgabentaxonomien und kognitiv-aktivierende Merkmale
Die fächerübergreifend angelegte Bloomsche Taxonomie kognitiver Lernziele (Bloom et al ., 1956) stellte über Jahrzehnte hinweg eine zentrale Referenzkategorie in den Unterrichtsplanungsmodellen der Allgemeinen Didaktik und der Fachdidaktiken dar . Auf ihrer Basis wurden neue Ansätze entwickelt . So wurde die Bloomsche Lernzieltaxonomie von Anderson und Krathwohl (2001) in ein zweidimensionales Schema erweitert und bezieht neben den sechs Stufen der Komplexität kognitiver Prozesse (erinnern, verstehen, anwenden, analysieren, evaluieren, kreieren) die an kognitionspsychologischen Konzepten orientierte Unterscheidung von Wissensarten (Faktenwissen, konzeptuelles Wissen, prozedurales Wissen, metakognitives Wissen) ein . Ebenso hat Marzano den Bloomschen Ansatz aufgegriffen und mit Blick auf zentrale Elemente des Lernens und der Phasen des Lernprozesses weiterentwickelt (Marzano & Kendall, 2007) . Blömeke und Kollegen (2006) haben ein allgemeindidaktisches Instrument zur Aufgabenanalyse entwickelt, das neben der Bewertung des Bildungsinhalts, die Ansprache der Bedürfnisse der Lernenden, die Förderung ihrer intellektuellen Fähigkeiten, den Neuigkeitswert, die Chance auf Bewältigung, das Potenzial zur inneren Differenzierung, die Förderung der Problemlösefähigkeit und die Erfordernis sozialer Interaktion einschätzt . Zur Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben haben Kleinknecht et al . (2011) ein allgemeindidaktisches Kategoriensystem entwickelt, das neben der Art des Wissens und kognitiver Prozesse, die Anzahl der Wissenseinheiten, den Lebensweltbezug, die sprachlogische Komplexität und die Repräsentationsformen der Aufgabenstellung als Merkmale kognitiv-aktivierender Aufgaben einbezieht .
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
Die Fachdidaktiken haben ausdifferenzierte Kategoriensysteme zur Aufgabenanalyse konzipiert, die sich auf domänenspezifische Lernprozesse konzentrieren . So unterscheidet z . B . das mathematikspezifische Konzept von Jordan et al . (2006) die Bereiche Modellierungskreislauf, Anzahl der Lösungswege, mathematisches Argumentieren und sprachlogische Komplexität . Das biologiespezifische Schema von Jatzwauk (2007) differenziert u . a . in sensomotorische und rezipierende Aufgaben und Exzerpieren und Darstellen ohne und mit Transformation (einen ausführlichen Überblick zu den unterschiedlichen allgemein- und fachdidaktischen Aufgabentaxonomien bieten Bohl et al ., o . J .) . Für die berufliche Bildung haben Seifried, Türling und Wuttke (2010) ein domänenspezifisches Analyseschema für Aufgaben im Wirtschaftsunterricht entwickelt, das vier Ebenen der Bearbeitung fachspezifischer Aufgaben (Erfassung der ökonomischen Realität, Repräsentation der ökonomischen Realität, Formalisieren und Mathematisieren, Reflektieren/Bewerten) unterscheidet . Zudem werden kognitiv-aktivierende Merkmale in der beruflichen Bildung im Zusammenhang mit schwierigkeitsbestimmenden Merkmalen im Kontext der Kompetenzforschung thematisiert . Dabei werden kognitionspsychologisch-taxonomische Merkmale, z . B . im Anschluss an Bloom, oder auch eigenständige kognitive Modellierungsanforderungen herangezogen (u . a . Gschwendtner, 2008; Achtenhagen & Winther, 2009; Nickolaus, Gschwendtner, & Abele, 2009) . Häufig wird die Komplexität einer Anforderung als schwierigkeitsrelevant ausgewiesen (Gschwendtner, 2008; Achtenhagen & Winther, 2009) und mathematische Anforderungen werden grundsätzlich als schwierigkeitsrelevant ausgewiesen (z . B . Seeber, 2008) . 3.
Forschungsmethodisches Vorgehen
Bei der Entwicklung des hier beschriebenen fachdidaktischen Instruments zur Aufgabenanalyse in der beruflichen Fachrichtung Pflege wurde auf das allgemeindidaktische Kategoriensystem von Kleinknecht et al . (2011) zurückgegriffen (siehe auch Wesselborg, Weyland, & Kleinknecht, 2019) . Es fokussiert auf objektive Qualitätsmerkmale kognitiv-aktivierender Lern- und Leistungsaufgaben (siehe Abb . 1) und differenziert nicht nach der unterrichtlichen Einbettung und Sequenzierung . Im Zentrum der Analyse stehen die Kategorien ‚Wissensart‘ und ‚kognitiver Prozess‘ . Das Instrument wurde mittels eines quantitativinhaltsanalytischen Vorgehens (Kleinknecht et al ., 2011) aus fachdidaktischen Kategoriensystemen zur Aufgabenanalyse entwickelt (u . a . Jordan et al ., 2006) . Bei seiner Entwicklung wurden die Analysekriterien der fachdidaktischen Instrumente auf ihre überfachliche Eignung geprüft und entsprechend modifiziert (Kleinknecht et al ., 2011, S . 238) .
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Dimensionen Wissensart Kognitiver Prozess Wissenseinheiten Offenheit Lebensweltbezug Sprachlogische Komplexität Repräsentationsformen
Kategorien Fakten
Prozeduren
Konzepte
Reproduktion
Naher Transfer
Weiter Transfer
Metakognition Problemlösen
Eine WE
Bis zu 4 WE
Mehr als 4 WE
Definiert/konvergent
Definiert/divergent
Ungenau/divergent
Kein
Konstruiert
Authentisch
Real
Niedrig
Mittel
Hoch
Eine
Integration
Transformation
Abb. 1 Basisinstrument: Das allgemeindidaktische Kategoriensystem zur Erfassung des kognitiven Potenzials von Aufgaben (Kleinknecht et al., 2011, S. 334)
Das Instrument wurde bereits von Expert*innen in unterschiedlichen Domänen zu fachdidaktischen Analysen eingesetzt (Kleinknecht et al ., 2013) . Das Kategoriensystem wurde als Basisinstrument gewählt, da es fachübergreifend auf objektive Merkmale kognitiver Aktivierung fokussiert . Daher kann davon ausgegangen werden, dass es sich für eine fachdidaktische Adaption eignet . Es verfolgt den Anspruch, Aufgabenanforderungen in unterschiedlichen didaktischen Settings, also Lern- sowie Leistungsaufgaben, zu erfassen (Kleinknecht et al ., 2011, S . 42), so dass es auch in der beruflichen Fachrichtung Pflege für Lern- und Leistungsaufgaben eingesetzt werden könnte . 3.1
Fachdidaktische Modellierung und empirische Weiterentwicklung des Instruments
An der Instrumentenentwicklung waren vier Expertinnen beteiligt: zwei Pflegedidaktikerinnen und zwei Fachlehrerinnen mit einem berufspädagogischen Studium der Fachrichtung Pflege . Voraussetzung waren vertiefte Kenntnisse zur Pflegedidaktik und zu pflegedidaktischen Modellen, Aufgabenkonstruktion und Erkenntnissen der Unterrichtsqualitätsforschung insbesondere hinsichtlich des Merkmals der kognitiven Aktivierung . Forschungsmethodisch orientierte sich die Instrumentenentwicklung an einem inhaltsanalytischen Vorgehen nach Bos und Tarnai (1999) (siehe auch Wesselborg et al ., 2019) . Um eine valide Analyse von Aufgaben aus der beruflichen Fachrichtung Pflege zu ermöglichen, prüfte die Expertinnengruppe theoriegeleitet die Analysekriterien des allgemeindidaktischen Instruments bezüglich pflegedidaktischer Relevanz und Eignung . Grundsätzlich wurden alle Dimensionen des Kategoriensystems auch für die Erhebung des Potentials von kognitiver Aktivierung in der beruflichen Fach-
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
richtung Pflege als geeignet eingeschätzt . Jedoch wurde die Dimension ‚Lebensweltbezug‘ in ‚Berufs- und Lebensweltbezug‘ modifiziert, da die Inhalte des Pflegeunterrichts auf die berufliche Arbeits- und Anforderungssituation der Lernenden und auf ihre persönliche Weiterentwicklung gerichtet sind (PFLBG § 5) . Anschließend wurden die Kategorien des allgemeindidaktischen Instrumentes vor dem Hintergrund pflegedidaktischer Modelle und Annahmen modifiziert und ausdifferenziert . Einer längeren Präzisierungsphase bedurfte die fachspezifische Modellierung der Dimension ‚Wissensart‘, die der kognitionspsychologischen Einteilung (Anderson & Krathwohl, 2001) in Faktenwissen, prozeduralem, konzeptuellem und metakognitivem Wissen folgt . Zur fachdidaktischen Ausdifferenzierung wurden zunächst die pflegeberuflichen Bildungskonzepte Regel-, Fall- und Meinungsorientierung der Interaktionistischen Pflegedidaktik (Darmann-Finck, 2010) hinzugezogen . Integriert werden konnte in der Dimension ‚Wissensart‘ die Forderung, dass allgemeine Handlungsregeln für typische Pflegesituationen evidenzbasiert bzw . wissenschaftlich fundiert begründet werden sollten (Darmann-Finck, 2010, S . 172) . Ein längerer Diskurs wurde bei der Kategorie ‚Prozedurales Wissen‘ geführt . ‚Prozedurales Wissen‘ wird z . B . im Fach Mathematik kodiert, wenn verschiedene Prozeduren angewandt werden müssen, wie die Berechnung von Flächen oder die Anwendung eines Dreisatzes . Analog wurde nach einem längeren Diskussionsprozess prozedurales Wissen in der beruflichen Fachrichtung Pflege den Aufgaben zugeordnet, die die Beschreibung pflegefachlicher Prozeduren und Handlungsabläufe erfordern . Bei den Dimensionen ‚Kognitiver Prozess‘ und ‚Berufs- und Lebensweltbezug‘ erwiesen sich die im pflegedidaktischen Diskurs bekannten Kriterien zur Konstruktion von Fällen bzw . problemorientierten Aufgaben (Darmann, 2004; Schwarz-Govaers, 2013) als hoch anschlussfähig . Unter der Kategorie ‚Problemlösen‘ der Dimension ‚Kognitiver Prozess‘ konnte das Spezifikum der „doppelten Handlungslogik“ in der beruflichen Fachrichtung Pflege (Remmers, 2000) integriert werden . Der Anspruch, berufliche Pflegeausbildung unter Einbezug authentischer Fallbeispiele, welche die Mehrperspektivität sozialer Situationen (Darmann, 2004) berücksichtigen, konnte in der Dimension ‚Berufs- und Lebensweltbezug‘ aufgenommen werden . Die pflegedidaktische Forderung Fallgeschichten ‚deutungsoffen‘ zu konzipieren, die mehrere Lösungen ermöglichen (Darmann, 2004), wurde dem Merkmal ‚Offenheit‘ zugeordnet . Anschließend wurden sämtliche Beschreibungen der Kategorien domänenspezifisch ausdifferenziert und Ankerbeispiele hinzugefügt . Nach dieser ersten Modifizierung wurde das Instrument anhand einer Aufgabenstichprobe (n = 60) von den vier Expertinnen unabhängig erprobt . Als zu analysierende Aufgaben wurden Denk- und Handlungsaufforderungen gewertet, die einen eigenständigen Operator oder eine einem eigenständigen Operator ähnliche Formulierung, enthalten . Dabei werden unter Operatoren Handlungsanweisungen in Form von Verben im Imperativ verstanden (z . B . „Nenne …“, „Beschrifte …“) (u . a . Jatzwauk, 2007, S . 82) . Die Einschätzung durch die vier Expertinnen erfolgte unabhängig voneinander und wurde unter Nut-
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zung des ersten modifizierten Kategoriensystems durchgeführt . Es konnte pro Dimension jeweils eine Einschätzung erfolgen . Als Untersuchungsmaterial dienten Aufgaben der schulischen Kinder-, Krankenund Altenpflegeausbildung, die von kooperierenden Pflegeschulen zur Verfügung gestellt wurden . Die ausgewählten Aufgaben repräsentieren einen Querschnitt an unterschiedlichen didaktischen Funktionen aus allen drei Ausbildungsjahren der Pflegeberufe: Leistungsaufgaben in Form von Klassenarbeiten oder Abschlussarbeiten sowie Lernaufgaben aus dem Unterricht . Weiterhin wurden Aufgaben aus pflegedidaktischen Veröffentlichungen und Lehrbüchern einbezogen (u . a . Vollmuth, Freudenberger, & Schuster, 1999; Bonse-Rohmann, Hüntelmann, & Nauerth, 2008; Derrer-Merk et al ., 2013) . Nach Kodierung der Hälfte der Aufgaben wurden die Ergebnisse verglichen und ausführlich von der Expertinnengruppe zur Überprüfung der Validität diskutiert . Beim Vergleich der Kodierungen durch die Expertinnen zeigten sich insbesondere bei den Kategorien ‚Kognitiver Prozess‘, ‚Sprachlogische Komplexität‘ und ‚Wissenseinheiten‘ differente Einschätzungen . Bei der Einschätzung der Kategorie ‚Kognitiver Prozess‘ zeigte sich in der Diskussion, dass das von den Expertinnen unterstellte angenommene Vorwissen der Lernenden, die die Aufgabe lösen sollten, die Bewertung beeinflusste . Ob bei einer Aufgabe ein ‚enger‘ oder aber ein ‚weiter Transfer‘ gefordert wird, ist auch abhängig vom bereits erworbenen Kenntnisstand . Die Arbeit mit Fachtexten setzt voraus, dass Lernende bereits fachliche Termini beherrschen . Die eindeutige Zuordnung zum Grad der kognitiven Aktivierung, setzt deshalb eine Bedingungsanalyse der konkreten Lerngruppe voraus . Dies gilt ebenso für die Kategorie ‚Sprachlogische Komplexität‘ . Die Expertinnengruppe einigte sich deshalb darauf, bei der Kodierung das für den jeweiligen Ausbildungsstand angenommene curriculare Wissen mit einzubeziehen . Schwierigkeiten bei der eindeutigen Zuordnung zur Kategorie ‚Wissenseinheiten‘ konnten überwunden werden durch die Entscheidung der Expertinnengruppe, ausschließlich nach der Anzahl der erwarteten Ergebnisse statt der Anzahl der schlussfolgernden Prozesse zu kodieren . Anschließend wurden die Kategorien differenzierter operationalisiert und mit weiteren Indikatoren und Ankerbeispielen hinterlegt . 3.2
Überprüfung der Reliabilität des Instruments
Nach Abschluss der Entwicklungsphase wurde evaluiert, ob die Anwendung des Instruments bei 186 Lern- und Leistungsaufgaben aus der beruflichen Fachrichtung Pflege zu zuverlässigen Übereinstimmungen zwischen vier Rater*innen führt . Die Überprüfung wurde wiederum von der Expertinnengruppe durchgeführt, da eine Schulung von neuen Rater*innen aus forschungspraktischen Gründen nicht realisiert werden konnte . Die Einschätzung durch die vier Expertinnen erfolgte unabhängig vonein-
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
ander und wurde unter Nutzung der Indikatoren und Ankerbeispielen des erstellten fachdidaktischen Kategoriensystems durchgeführt . Für die Überprüfung der Interraterreliabilität wurde Krippendorffs Alpha berechnet, der bei mehreren Rater*innen sowie unterschiedlichen Skalenniveaus angewendet werden kann (Hayes & Krippendorf, 2007) . Bei der Dimension ‚Wissensart‘ wurde von einem nominalskalierten Datenniveau, bei allen weiteren Dimensionen von einem ordinalskalierten mit einer Rangfolge ausgegangen (Kleinknecht et al ., 2011) . Alle statistischen Analysen wurden mit SPSS 25 (IBM Inc .) durchgeführt . Zur Berechnung von Krippendorffs Alpha wurde ein SPSS-Macro von Hayes und Krippendorff (2007) verwendet . Als Stichprobe dienten weitere Aufgaben aus Klassenarbeiten oder Abschlussarbeiten sowie Lernaufgaben aus dem Unterricht der Kinder-, Kranken- und Altenpflege aus allen drei Ausbildungsjahren, die von den kooperierenden Pflegeschulen zur Verfügung gestellt wurden . Weiterhin wurden Lern- und Leistungsaufgaben aus fachdidaktischen Veröffentlichungen hinzugezogen (u . a . Winter, 2015; Derrer-Merk et al ., 2013; Bonse-Rohmann et al ., 2008) . Dabei wurden Aufgaben mit und ohne Fallbezug ausgewählt, die einen repräsentativen Querschnitt über mögliche Aufgabenformate in der beruflichen Fachrichtung Pflege bieten . 4.
Ergebnisse
4.1
Ergebnisse zur fachdidaktischen Modellierung und Weiterentwicklung der Kategorien des Instruments
4 .1 .1
Wissensart
Die Dimension ‚Faktenwissen‘ bezieht sich in der Domäne Pflege auf verbalisierbares und evidenz- oder erfahrungsbasiertes (Regel-)Wissen, das in der Aufgabe isoliert abgefragt werden kann . Es kann als „Wissen, das …“ bezeichnet werden, da in der Aufgabe nach dem „was“ und „welche“ gefragt wird (Maier et al ., 2013, S . 29) . Dabei werden Fakten in der Form, in der sie gelernt wurden, abgefragt . Es ist keine Transferleistung notwendig . Faktenwissen kann in unterschiedlicher Komplexität erfragt werden, wie z . B . Wissen über das Vorhandensein verschiedener Bezeichnungen, z . B . „Nennen Sie die Lernorte der Pflegeausbildung!“ oder Klassifizierungen, z . B . „Welche Stadien des Dekubitus gibt es?“ . Auch wenn Aufgaben in Fallbeschreibungen eingebunden sind, ist es möglich, dass Antworten ausschließlich Faktenwissen voraussetzen . Unter ‚prozeduralem Wissen‘ wird mit Bezug auf die Lernpsychologie implizites, nicht verbalisierbares evidenz- oder erfahrungsbasiertes Handlungswissen verstanden, welches von basalen Verhaltensweisen bis zu komplexen Handlungsmustern reicht . Die Reproduktion prozeduralen Wissens in schriftlichen Aufgabenstellungen setzt voraus, dass dieses Wissen in deklaratives (verbalisierbares) Wissen umgewan-
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delt wird . Es kann als „Wissen, wie …“ bezeichnet werden, da nach dem „wie“ gefragt wird (Maier et al ., 2013, S . 29 f .) . Prozedurales Wissen bezieht sich auf pflegefachspezifische einschlägige Prozeduren, Algorithmen, Abläufe, Routinen, Fertigkeiten und Handlungen . Folgende Aufgaben aus der Pflegeausbildung setzen prozedurales Wissen voraus: „Beschreiben Sie die Durchführung einer subcutanen Injektionsgabe!“ oder „Wie ermitteln Sie, ob der Patient gefährdet ist, einen Dekubitus zu erleiden?“ . Auch die Aufgabe, besondere Techniken der Gesprächsführung bei einem Beratungsgespräch zu beschreiben, ist dem prozeduralen Wissen zuzuordnen . ‚Konzeptuelles Wissen‘ ist vielfach vernetztes Begriffswissen, welches verbalisiert oder implizit vorliegen kann . Es wird „in Form von Klassifikationen, Prinzipien, Kategorien, Modellen und Schemata sichtbar“ (Maier et al ., 2013, S . 30) und kann prinzipiell evidenz- oder erfahrungsbasiert vorliegen . Konzeptuelles Wissen ist grundlegend für ein bedeutungsvolles Verständnis pflegefachspezifischer Inhalte und den kumulativen Wissensaufbau innerhalb der Domäne . Pflegefachliche Aufgaben, die als konzeptuelles Wissen kodiert werden, erfragen Begründungswissen und damit die Beziehungen, Wechselwirkungen und Zusammenhänge zwischen den Wissenselementen, die pflegespezifische Situationen prägen . Dabei handelt es sich um eine systematische Organisation der Fakten, wie sie miteinander in Beziehung stehen oder miteinander funktionieren . Mögliche Aufgaben, die mit Hilfe konzeptuellen Wissens bewältigt werden, lauten: „Erklären und begründen Sie, welche Symptome bei einer Linksherzinsuffizienz des pflegebedürftigen Menschen auftreten! Nennen und erläutern Sie geeignete Maßnahmen, die Sie für diese Person berücksichtigen!“ . Aufgaben, die mit Hilfe konzeptuellen Wissens bearbeitet werden sollen, können auch in Fallbeispiele eingebettet sein, z . B .: „Formulieren Sie geeignete Maßnahmen zur Kontinenzförderung bei Frau Weber und begründen Sie Ihre Überlegungen!“ . ‚Metakognitives Wissen‘ beinhaltet das Wissen über die eigene Kognition, gesetzte Lernziele und präferierte Lerngewohnheiten (Kleinknecht et al ., 2011, S . 234) . Zudem zeigt es sich durch das gezielte Anwenden von Informationsverarbeitungs- und Problemlösestrategien zur Steuerung des eigenen Lernprozesses . Metakognitives Wissen wird gefördert, wenn dazu aufgefordert wird, die Ergebnisse einer Aufgabe selbstständig zu kontrollieren . Eine Frage, die explizit auf metakognitives Wissen bezogen ist, wäre: „Welche Aspekte der Aufgabenbearbeitung fielen Ihnen leicht, woran müssen Sie noch arbeiten?“ . Wird nicht explizit zur Reflexion des eigenen Lernprozesses aufgefordert, tritt die Metakognition bestenfalls als Zufallsprodukt auf . Die Kategorie ‚metakognitives Wissen‘ wurde nicht für die Domäne Pflege spezifisch definiert, da sie übergeordnet gültig ist . Bei der Arbeit mit dem problembasierten Lernansatz (PBL) werden das Vorgehen bei der Erarbeitung von Erkenntnissen und der Aufbau metakognitiver Kompetenz systematisch reflektiert und geschult .
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
4 .1 .2
Kognitiver Prozess
Bei der Dimension ‚kognitiver Prozess‘ lassen sich vergleichbar der Einteilung von Kleinknecht et al . (2011) auch in der Domäne Pflege die Kategorien ‚Reproduktion‘, ‚naher Transfer‘, ‚weiter Transfer‘ und ‚Problemlösen‘ unterscheiden . Insbesondere die Dimension ‚kognitiver Prozess‘ setzt in der Modellierung von Aufgaben den Einbezug des Vorwissens der Lernenden voraus (Kunter & Trautwein, 2013, S . 93), um zu entscheiden, inwieweit sich Aufgaben von bereits behandelten Aufgaben unterscheiden und damit kognitiv aktivierend sind . Reproduktionsaufgaben erfordern die Aktivierung und Reproduktion von Kenntnissen – unabhängig von der Wissensart – so wie sie beim Aneignungsprozess abgespeichert wurden (Anderson & Krathwohl, 2001) . In der Domäne Pflege wird z . B . eine Aufgabe, die mit Hilfe der Beschreibung von klientenzentrierten Gesprächstechniken bearbeitet wird, als Reproduktion kodiert, wenn die einzelnen Gesprächstechniken so wiedergegeben werden können, wie sie angeeignet wurden . Bei der Kodierung ‚naher Transfer‘ unterscheidet sich die Aufgabensituation nur geringfügig von bereits bekannten oder geübten Aufgaben bzw . Lernsituationen (Kleinknecht et al ., 2011, S . 235) . Für die Einschätzung der Schwierigkeit der Aufgaben sind verschiedene Hinweise denkbar . So können in der Aufgabenstellung Hinweise darauf gegeben werden, welche Wissensart verlangt wird . Folgendes Beispiel illustriert dies: „Frau Weber möchte nicht aufstehen und klagt über Beschwerden im Bein . Sie bemerken, dass das gesamte linke Bein geschwollen ist . Erklären Sie den möglichen Zusammenhang ihrer Beschwerden unter Berücksichtigung der Aspekte der Virchowschen Trias!“ (vgl . Derrer-Merk et al ., 2013, S . 159) . Bei der Kodierung ‚weiter Transfer‘ soll das vorhandene Wissen in einer neuen und noch unbekannten Situation angewandt werden (Kleinknecht et al ., 2011, S . 235) . In der Domäne Pflege wird für eine weite Transferleistung vorhandenes Wissen auf eine neue und unbekannte Situation angewendet und an sie angepasst . Die Aufgabenstellung verzichtet auf strukturierende Teilaufgaben, sodass nicht sofort ersichtlich ist, welches Wissen in welcher Form verlangt wird . Der Lernende wird dadurch in einen aktiven Entscheidungsprozess geführt, um abzuleiten, welche Wissenseinheiten für die Lösung der Aufgabe aktiviert werden müssen . Dementsprechend muss das vorhandene Wissen für die Aufgabenbearbeitung genau untersucht werden, es liegt allerdings in der abverlangten Form vor und ist abrufbar . An einem Beispiel kann dies veranschaulicht werden: Die Lernenden sollen ein Pflegeplanungskonzept für eine komplexe Patientensituation entwerfen . Dabei sollen sie nicht nur ihre bereits erworbenen Kenntnisse zur pflegerischen Versorgung eines Menschen mit einer Beinvenenthrombose einsetzen, sondern vielfältige, die komplexe Patientensituation betreffende, weitere Aspekte in ihrem Planungskonzept berücksichtigen, um der Gesamtsituation des Individuums Rechnung zu tragen . Für problemlösende Aufgabenstellungen müssen Lernende kreative, situationsspezifische Lösungen unter Berücksichtigung bereits vorhandener Wissenselemen-
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te erarbeiten . Damit besteht bei problemlösenden Aufgabenstellungen eine „Lücke“ zwischen dem vorhandenen Wissen und der Aufgabenstellung (Kleinknecht et al ., 2011; Schäfer & Wesselborg, 2021) . Bereits gelernte Standards, die angemessenes Handeln sichern sollen, bieten keine ausreichende Entscheidungsgrundlage und können die Erarbeitung adäquater Lösungen behindern (Maier et al ., 2013, S . 32 f .) . Pflegehandeln setzt häufig problemlösende Prozesse des Abwägens von Erfordernissen voraus, da im Falle möglicher verschiedener Verständnisse und Interessen Entscheidungen mit den beteiligten Personen ausgehandelt werden müssen und neue Lösungen erforderlich sind . Die Fähigkeit, heterogene Impulse für das Handeln in Hinblick auf unterschiedliche Perspektiven zu verstehen (im Sinne von Fallverstehen) und kreative Lösungen mit Pflegebedürftigen als Koproduzenten zu entwickeln (im Sinne der doppelten Logik des Pflegehandelns), kann mit Hilfe von komplexen Fallgeschichten eingeübt werden . Diese sollten deutungsoffen sein und zur Reflexion differenter Sichtweisen auf das situative Geschehen auffordern (Darmann, 2004, S . 467) . Weiterhin können Aufgaben, die mit Hilfe des Lernansatzes PBL bearbeitet werden, der Kategorie ‚problemlösende Aufgabe‘ zugeordnet werden, da im PBL Lernende ihren Lernbedarf im Medium von Fallgeschichten selbstständig erarbeiten, selbstorganisiert und zielgerichtet neues Wissen erwerben und im Anschluss die Tragfähigkeit ihrer erworbenen Erkenntnisse zur Lösung der Fallgeschichte evaluieren . 4 .1 .3
Wissenseinheiten
Die Dimension ‚Wissenseinheiten‘ kann nach Neubrand (2002) als ein Teilaspekt der Komplexität von Aufgaben gewertet werden . In dieser Dimension werden die zu aktivierenden fachspezifischen Wissenselemente aus der Sicht von Fachexperten analysiert . Wissenseinheiten können mit Lösungs- oder Modellierungsschritten gleichgesetzt werden oder auch mit der Menge der geforderten Inhalte (Maier et al ., 2013, S . 33 f .) . Wenn ein Konzept erfragt wird, bleibt es bei einer Wissenseinheit, z . B . „Definieren Sie den Begriff ‚Pflegekammer‘!“ . Aufgaben, die mit bis zu vier oder mit mehr als vier Wissenseinheiten kodiert werden, sind wenig anspruchsvoll, wenn sie sich auf der Ebene des Faktenwissens oder des prozeduralen Wissens bewegen, z . B . wenn die Aufgabe lautet: „Nennen Sie vier verschiedene Pflegetheorien!“ . Komplexer wird eine Aufgabe, wenn bei der Aufgabenbewältigung verschiedene Prozeduren und Konzepte kombiniert werden müssen, z . B . wenn die Aufgabenstellung zu einer umfassenden Fallgeschichte lautet: „Beurteilen Sie, unter welchen Voraussetzungen Frau Weber aus pflegerischer Sicht das Krankenhaus wieder verlassen kann .“
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
4 .1 .4
Offenheit
Bei dem Analysekriterium ‚Offenheit‘ wird eingeschätzt, inwieweit bei der zu lösenden Aufgabe, bezogen auf den Anfangs- und Zielzustand sowie den Transformationsprozess, Geschlossenheit oder Offenheit vorliegt (Kleinknecht et al ., 2011, S . 235) . Dabei wird zum einen berücksichtigt, ob die zu lösende Aufgabe klar definiert ist oder deutungsoffen ist . Zum anderen wird berücksichtigt, ob die Aufgabe eine richtige Lösung erfordert (konvergente Aufgabe) oder mehrere Lösungen erlaubt (divergente Aufgabe) . Hierbei wird die pflegedidaktische Forderung der ‚Deutungsoffenheit‘ bei Fallarbeit (Darmann, 2004, S . 467) integriert, die verschiedene Lösungen ermöglicht . Bei der Aufgabe „Zählen Sie die Bedürfnisse, die der Psychologe A . Maslow in einer Bedürfnispyramide ordnet, auf und erarbeiten Sie Beispiele zu den einzelnen Bedürfnissen!“, kann die erste Teilfrage als ‚definiert und konvergent‘ gewertet werden, da es nur eine richtige Antwort gibt . Die zweite Teilfrage kann der ‚Kategorie definiert und divergent‘ zugeordnet werden, da unterschiedliche Beispiele genannt werden können . Ungenau definierte und divergente Aufgaben beschreiben ein Problem oder eine Situation, ohne dass eine klare Frage oder ein eindeutiger Arbeitsauftrag formuliert werden . Die Handlungsaufforderung ist implizit in die Situationsbeschreibung integriert . Unterschiedliche Fragestellungen und Aufforderungen zur Bearbeitung sind möglich . Entsprechend sind mehrere Lösungen richtig . In der Domäne Pflege können Aufgaben ohne direkte Fragen, Lösungswege und eindeutige Zielsetzungen aus Fallsituationen aus der pflegeberuflichen Arbeitsrealität erstellt werden . Die Auszubildenden sind gefordert, selbständig das zu bearbeitende Problem der Fallsituation zu identifizieren und daran auszurichten, wie sie vorgehen können, um mit ihrer Arbeit die im Fall bestehende Anforderungssituation bewältigen zu können . Je höher das Maß an Offenheit in einer Fallaufgabe, desto komplexer und kognitiv anspruchsvoller wird die Bearbeitung des Falls (Darmann-Finck, 2010, S . 201) . Dabei ist jedoch wichtig, dass die Lernenden bei der Bearbeitung über Strategien verfügen, den Prozess systematisch und zielgerichtet zu gestalten . 4 .1 .5
Berufs- und Lebensweltbezug
Die Facette beschreibt, inwieweit in der Aufgabe eine Anbindung an die Lebenswelt der Lernenden erkennbar ist (Kleinknecht et al ., 2011, S . 235) . Dies schließt die didaktische und lerntheoretische Forderung ein, Lehrangebote auf die Alltags- und Lebenswelt der Lernenden auszurichten, damit es zu vertieften Elaborationsprozessen kommt (Renkl, 2015, S . 7) . Diese Dimension ist aus Sicht der Berufspädagogik insofern wichtig, als sie an das Konzept der beruflichen Handlungskompetenz im Kontext lernfeldorientierten Unterrichts anknüpft . Das Konzept erfordert die Einbindung der Lerngegenstände in authentische Handlungssituationen, welche sich durch situative Echtheit bzw . Glaubwürdigkeit auszeichnen (KMK, 1996/2018) .
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Die Zuordnung zur Dimension ‚Berufs- und Lebensweltbezug‘ setzt voraus, dass die Aufgabe erkennbar auf Anforderungen der Arbeits- und/oder Lebenswelt bezogen ist . Bei Verzicht auf einen Berufs- und Lebensweltbezug werden Lernende aufgefordert, theoretisches Wissen zu generieren . Ein Beispiel für eine Aufgabe ohne Berufsund Lebensweltbezug kann lauten: „Beschreiben Sie Maßnahmen zur Überprüfung der Lage einer nasal liegenden Magensonde!“ . Von einem konstruierten Berufs- und Lebensweltbezug kann gesprochen werden, wenn die Aufgabe in eine mögliche Arbeits- und Berufssituation eingebettet wird . Eine Aufgabe könnte z . B . wie folgt lauten: „Frau Maier wird durch eine Magensonde ernährt . Beschreiben Sie, wie Sie bei der Patientin die korrekte Lage der nasal liegenden Magensonde überprüfen können!“ . Dabei wird zwar für die Lernenden erkennbar, dass das zu erarbeitende Wissen für ihr berufliches Handeln von Bedeutung ist, dennoch bietet die Aufgabe keine Anregung, sich verstehend auf eine besondere Patientensituation einzulassen . Aufgaben, die einen authentischen Berufs- und Lebensweltbezug verwirklichen, fordern Lernende auf, komplexe Problemstellungen, die in Orientierung an beruflichen Handlungssituationen modelliert sind, zu bewältigen und bei der Lösung situative Aspekte und am Pflegeprozess beteiligte Personen einzubeziehen . Die geschilderte Situation ist durch ihre Komplexität und Multiperspektivität realitätsnah und nicht monokausal lösbar . Anregungen, authentische Fälle zu bearbeiten, werden fachdidaktisch insbesondere in der interaktionistischen Pflegedidaktik nach Darmann-Finck entfaltet (u . a . Darmann-Finck, 2010) . Bei einem realen Lebensweltbezug beziehen die Aufgaben die praktische Arbeitswelt ein . Beispielhaft hierfür ist ein Unterrichtsprojekt, das auffordert, die Durchführung eines Jahreszeitenfestes in einer Senioreneinrichtung zu planen, zu organisieren und zu realisieren . 4 .1 .6
Sprachlogische Komplexität
Die Dimension ‚sprachlogische Komplexität‘ analysiert die sprachliche Komplexität der Aufgaben, da die sprachliche Darstellung der Informationen wesentlich das kognitive Anforderungsniveau beeinflusst (Jordan et al ., 2006, S . 16) . Zudem wird analysiert, inwiefern Aufgabentexte und Bearbeitungsschritte strukturgleich sind (Kleinknecht et al ., 2011, S . 337) . In der Domäne Pflege wird die sprachlogische Komplexität von Texten als ‚einfach‘ kodiert, wenn die Aufgabe wenige Fachtermini in einfachen, kurzen Sätzen enthält und in einer sinnlogischen Reihenfolge vorgibt, wie die Lösung erarbeitet werden soll . Folgendes Beispiel kann dies veranschaulichen: „Erklären Sie den Unterschied zwischen einem medizinischen Thrombose-Prophylaxe-Strumpf (MTS) und Kompressionsstrümpfen!“ . Auch Aufgaben im Medium von Fallbeispielen können als ‚einfach‘ in ihrer sprachlogischen Komplexität gewertet werden, wenn die Aufgabenstellung bereits vorgibt, wie die Lösungsschritte aufgebaut
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
werden sollen, z . B .: „Für die im Fallbeispiel vorgestellte Patientin mit Fieber sollen Sie zur Fiebersenkung Wadenwickel anlegen . Welche Materialien benötigen Sie, wie gehen Sie bei der Maßnahme vor, wie prüfen Sie die Wirksamkeit Ihres Handelns?“ . Eine ‚mittlere sprachlogische Komplexität‘ wird kodiert, wenn die Lernenden mit Fachtexten und/oder Fallgeschichten arbeiten, die domänenspezifische Fachtermini enthalten und in einer elaborierten Sprache verfasst sind . Dabei sollen sie selbständig erschließen, welche Informationen für die Lösung ihrer Aufgaben von Bedeutung sind . Je nach Umfang, Detailreichtum, Sprach- und Abstraktionsniveau, Aufbau, ggf . unter Einsatz verschiedener Textformen (wissenschaftlich-systematische Ausführungen und berufspraktische Erzählungen), können Aufgaben einer ‚hohen sprachlogischen Komplexität‘ zugeordnet werden, wenn Lernende damit aufgefordert werden, den Aufbau von Arbeitsmaterialien sachlogisch nachzuvollziehen und komplexe Zusammenhänge sorgfältig zu analysieren . 4 .1 .7
Integration verschiedener Repräsentationsformen
Auch bei Repräsentationsformen wird der Komplexitätsgrad der Aufgabe analysiert . Dabei wird eingeschätzt, ob bei der Arbeit an Aufgaben Lernende verschiedene Repräsentationsformen (verbal oder bildhaft) einsetzen sollen und ggf . bei ihrer Lösung die Übertragung von Erkenntnissen in eine andere Repräsentationsform erwartet wird (Kleinknecht et al ., 2011, S . 237) . In der Domäne Pflege werden zum Austausch von Informationen unterschiedliche Repräsentationsformen eingesetzt, z . B .: Anamneseunterlagen, Fotodokumentationen, Kurvenblätter, Medikamentenpläne, anatomische Modelle, Tabellen oder Grafiken . Eingeschätzt wird bei diesem Analysekriterium, ob Lernende für die Arbeit an ihrer Aufgabe unterschiedliche Repräsentationsformen nutzen sollen oder aber ihre Lösungen in eine andere Repräsentationsform als die der Aufgabenstellung übertragen sollen . Ein Beispiel lautet: „Ermitteln Sie mit Hilfe der vorliegenden Fieberkurven, von welchem Fiebertyp der Patient betroffen ist und erarbeiten Sie Betreuungsangebote für die Patienten in Abhängigkeit zum besonderen Fiebertyp .“ Bezogen auf die Kategorie Repräsentationsform kann die Aufgabe als ‚Integration‘ kodiert werden, da die Lernenden ihre Aufgabenbewältigung unter Rückgriff auf die Fieberkurven (andere Transformationsform) leisten, selbst aber analog der Aufgabenstellung in sprachlicher Form ihre Ergebnisse präsentieren sollen . Bei einer Transformationsaufgabe sollen die Lernenden ihre Ergebnisse in eine andere Repräsentationsform überführen als in der Aufgabenstellung vorgegeben . Ein Beispiel im Rahmen einer Fallschilderung kann lauten: „Beurteilen Sie das Risiko für den in der Fallgeschichte vorgestellten Patienten, einen Dekubitus zu erleiden . Ordnen Sie Ihre Befunde entsprechend der Risikofaktoren der Medley-Skala und ermitteln Sie einen Punktwert, der den Grad an Gefährdung des Patienten ausdrückt .“
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Die Anwendung des Instruments bei einer Pflegeaufgabe im Medium einer Fallgeschichte, die dem Lehrbuch von Derrer-Merk und Kollegen (2013, S . 205) entnommen ist, wird in Abbildung 2 beispielhaft erläutert . Fallgeschichte: Minna Palmer ist 72 Jahre alt und lebt seit 2 Jahren allein in ihrem Haus, nachdem ihr Mann plötzlich verstarb . Außer ihrem Bluthochdruck, der medikamentös behandelt wird, fühlt sie sich für ihr Alter noch recht fit . Körperliche Anstrengung, z . B . bei der Gartenarbeit, fällt ihr zwar schwer und sie kommt schnell außer Atem, aber wenn sie sich genügend Zeit lässt, klappt es noch . Da sie nicht mehr so gut zu Fuß ist und schlecht sieht, hat sie sich über den Sozialdienst Essen auf Rädern bestellt . Zweimal in der Woche kommt auch eine Pflegerin vom Sozialdienst und hilft ihr beim Baden, da sie nach einer TEPOperation Probleme hat, alleine in die Badewanne zu steigen und vor allem alleine wieder herauszukommen . Außerdem stellt diese ihr die Medikamente für die ganze Woche . Ihr Arzt besucht sie gelegentlich zu Hause . Sie mag ihn zwar und freut sich immer, wenn er kommt, aber er ermahnt sie jedes Mal: „Sie dürfen nicht so viel Butter essen und verzichten Sie besser auf Ihr Frühstücksei! Nehmen Sie Ihre Medikamente bitte regelmäßig!“ Diese Dinge hört Frau Palmer nicht gerne . Jetzt ist sie so alt geworden und soll auf ihre geliebten Gewohnheiten verzichten? Nein, das ist wirklich nicht ihre Sache . Sie ist stolz darauf, dass sie schon so alt ist, da ihr Bruder und ihre Eltern alle recht früh gestorben sind . Ihre Mutter starb mit 49 Jahren an Brustkrebs, ihr Vater und ihr Bruder beide an einem Herzanfall . Ihr Vater war 57 und ihr Bruder gerade mal 42 Jahre . Bluthochdruck und hohe Fettwerte liegen bei ihnen in der Familie . Seit einiger Zeit verspürt Frau Palmer immer wieder Herzrasen, oder sie hat das Gefühl, ihr Herz stolpere oder verschlucke sich . Sie bekommt dann Angst, vor allem wenn es nachts passiert . Ihr ist dann häufig etwas flau in der Magengegend und sie verspürt ein Engegefühl in der Brust, als läge ein schwerer Stein auf ihrer Brust und hindere sie am Atmen . Neulich ist es ihr während der Gartenarbeit passiert und sie musste sich hinsetzen, da ihr richtig schwindelig wurde . Seit gestern geht es ihr nicht sehr gut . Sie fühlt sich schwach . Schon nach dem Aufstehen fühlt sie sich kurzatmig und muss sich dauernd hinsetzen . Gerade heute muss ihr das passieren, da doch gleich Pflegerin Angelika kommt, um ihr beim Baden zu helfen . Aber vielleicht tut ihr das Bad ja gleich gut und es geht dann wieder besser! Eine halbe Stunde später klingelt Pflegerin Angelika, die Frau Palmer im Sozialdienst betreut, an der Haustür . Frau Palmer erschrickt durch das Klingeln und ihr Puls fängt an zu rasen . Sie erhebt sich langsam vom Sofa . Sofort wird ihr schwindelig und ganz mulmig . Ihre Knie sind ganz weich und sie geht langsam und unsicher und dabei schwer atmend zur Tür . Sie beginnt zu schwitzen . Als sie die Tür öffnet, kann sie sich nur noch mit Mühe auf den Beinen halten . Die Übelkeit und die Atemnot werden stärker . Die Pflegerin fängt Frau Palmer gerade noch auf und fragt besorgt, was mit ihr los sei . Untergehakt begleitet Pflegerin Angelika Frau Palmer langsam zu ihrem Sofa, wo sich Frau Palmer erschöpft hinsetzt . Frau Palmer sieht blass und fahl im Gesicht aus, sie hat Schweißperlen auf der Stirn, ihr Augen sind geschlossen, sie atmet schwer und ihr Gesichtsausdruck wirkt beunruhigt . Aufgabenstellung: Wie beurteilen Sie die aktuelle gesundheitliche Situation von Frau Palmer?
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
Analyse des kognitiven Potentials der Aufgabe: Die Aufgabe fragt konzeptuelles Wissen ab . Um ein aussagekräftiges Urteil über die gesundheitliche Situation von Frau Palmer treffen zu können, ist evidenzbasiertes domänenspezifisches und verknüpftes Wissen notwendig . Die gegebenen Informationen müssen miteinander in Beziehung gesetzt werden, um Wechselwirkungen und Zusammenhänge zu erkennen . Die in dem Fallbeispiel beschriebenen Symptome (Kreislaufprobleme, Übelkeit, Dyspnoe, kalter Schweiß sowie eine fahle und blasse Gesichtsfarbe) müssen ebenso wie die familiäre Disposition für Herzerkrankungen und weitere Risikofaktoren durch Lebensstil und Vorerkrankungen erkannt und zu einem bestimmten Konzept, dem ‚Herzinfarkt‘, zugeordnet werden . Gleichzeitig bietet die Fallschilderung viele weitere Informationen zur aktuellen häuslichen Umgebung, zur sozialen Situation und Persönlichkeit von Frau Palmer, die für die Lösung dieser speziellen Teilaufgabe nicht von Bedeutung sind . Die Aufgabenstellung ist nicht strukturierend, die gegebenen Informationen müssen genau untersucht werden, um zu erkennen, welches Wissen zur Aufgabenbearbeitung wichtig ist . Daher wird von den Lernenden hier ein weiter Transfer verlangt . Um die aktuelle gesundheitliche Situation von Frau Palmer einschätzen zu können müssen drei Denkoperatoren angestrengt werden: Erkennen der relevanten Symptome, Deuten der geschilderten Vorkommnisse im Zusammenhang mit der individuellen Fallschilderung und Kombinieren der gefundenen Merkmale für einen Herzinfarkt . Somit handelt es sich um eine Aufgabe mit bis zu vier Wissenseinheiten . Die Offenheit der Aufgabe kann als definiert/konvergent charakterisiert werden . Der Arbeitsauftrag ist eindeutig formuliert und auch die gesuchte Lösung ist festgelegt . Bei Aufgaben, die mit Verben wie „beurteilen“ oder „einschätzen“ arbeiten, wird zum Teil eine höhere Offenheit der Aufgabenlösung suggeriert, die hier jedoch nicht vorhanden ist . Die Fallschilderung weist einen authentisch wirkenden Berufs- und Lebensweltbezug auf . Die präsentierte Situation ist komplex und nicht monokausal erschließbar, es werden über die reine Aufgabenlösung hinausgehende Informationen dargeboten, verschiedenen Perspektiven auf die Fallgeschichte werden angedeutet . (Frau Palmer, ihr Arzt, Pflegerin Angelika) . Die Aufgabenstellung knüpft an den Erfahrungen der Pflegelernenden an und weist eine klare berufliche Relevanz auf . Allerdings könnte die Authentizität optimiert werden, wenn im Fall offen gelegt würde, wer die Fallgeschichte erzählt, bspw . könnte Frau Palmer selbst als Ich-Erzählerin ihre Erfahrungen einer Bekannten berichten . Die sprachlogische Komplexität der Aufgabe beinhaltet nicht nur den reinen Aufgabentext, sondern ebenso das vorliegende Fallbeispiel . Sie kann daher unter die Kategorie mittlere sprachlogische Komplexität subsumiert werden . Zwar werden kaum domänenspezifische Fachtermini erfragt, die hinter den verwendeten Begriffen zugrundeliegenden Konzepte, wie Engegefühl in der Brust oder Herzstolpern, müssen dennoch erkannt und korrekt zugeordnet werden, um eine Aussage über den aktuellen gesundheitlichen Zustand von Frau Palmer zu treffen . Ebenso besteht die Aufgabe aus mehreren Haupt- und Nebensätzen, die ein mehrmaliges, gründliches Lesen notwendig machen . Die Aufgabe bewegt sich in einer Repräsentationsform, es werden weder Grafiken noch weitere Textformen integriert . Abb. 2 Dokumentation der Aufgabenanalyse „Pflege bei herzkranken Menschen“ (Derrek-Merk et al., 2013, S. 205)
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4.2
Empirische Überprüfung des fachdidaktischen Instruments zur Aufgabenanalyse
Im Folgenden werden die Ergebnisse der Prüfung der Qualität der Übereinstimmung vorgestellt . Tabelle 1 zeigt die Antworthäufigkeiten der Raterinnen in den einzelnen Kategorien . Die Raterinnen unterscheiden sich nicht in ihren Präferenzen für die Kodierung einer spezifischen Kategorie (siehe Chi-Quadrat-Tests in Tab . 1) . Tab. 1 Deskriptive Antworthäufigkeiten und Test auf Gleichverteilung der Antworthäufigkeiten pro Kategorie und Rater (Chi-Quadrat-Test)
χ2-Test
Antworthäufigkeiten Dimensionen Wissensart
Kategorie Faktenwissen
Offenheit
Berufs- und Lebensweltbezug
Repräsentationsformen
R4
χ
91
93
90
9
11
8
8
Konzeptuelles Wissen
78
79
81
84
4
5
4
4
Reproduktion
98
101
104
99
Naher Transfer
53
46
38
45
Weiter Transfer
28
29
37
35
7
10
7
7
Eine WE
43
45
42
40
Bis zu vier WE
75
72
76
76
Mehr als vier WE
68
69
68
70
128
125
126
124
Definiert divergent
Definiert konvergent
57
60
59
61
Ungenau divergent
1
1
1
1
Kein
107
107
103
103
Konstruiert
51
45
51
54
Authentisch
24
30
28
25
4
4
4
4
105
81
104
93
Mittel
79
101
80
90
Hoch
2
4
2
3
Real Sprachlogische Komplexität
R3
95
Problemlösen Wissenseinheiten
R2
Prozedurales Wissen
Metakognitives Wissen Kognitiver Prozess
R1
Niedrig
Eine
173
174
171
172
Integration
9
8
11
10
Transformation
4
4
4
4
df
p
1.26
9
.999 (asymp.)
5.39
9
.800 (asymp.)
0.49
9
.998 (asymp.)
.22
6
.998 (exakt)
1.85
9
.994 (asymp.)
8.58
6
.195 (exakt)
0.56
6
.999 (exakt)
2
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
Tabelle 2 zeigt die Reliabilitätskoeffizienten für die Einschätzung der Aufgabenaspekte . Die Interraterreliabilität wurde über Krippendorffs Alpha quantifiziert . Alle Dimensionen zeigen zufriedenstellende bis sehr gute Reliabilitäten . Die Reliabilitätskoeffizenten, mit Ausnahme der Dimensionen Komplexität (α > .800) und Repräsentation (α > .700) liegen bei α > .900 (siehe Tab . 2) . Zu beachten ist jedoch, dass einzelne Kategorien nur sehr selten vergeben wurden . So wurde bei ‚Wissensarten‘ die Kategorie ‚Metakognitives Wissen‘ nur sehr selten eingeschätzt . Dies zeigt sich ebenfalls in den höchsten Stufen der Dimensionen ‚Offenheit‘ (ungenau divergent), ‚Berufs- und Lebensweltbezug‘ (real), ‚Sprachlogischer Komplexität‘ (hoch) und ‚Repräsentationsformen‘ (Transformation) . Insofern können für diese Kategorien keine Aussagen zur Reliabilität getroffen werden . Tab. 2 Reliabilitätskoeffizienten der vier Rater. KI = unteres (U) und oberes (O) Konfidenzintervall Dimensionen
Krippendorffs α
95 % KI (U)
95 % KI (O)
.943
.924
.960
Wissensart Kognitiver Prozess
.910
.893
.927
Wissenseinheiten
.918
.894
.939
Offenheit
.921
.897
946
Berufs- und Lebensweltbezug
.954
.938
.969
Sprachlogische Komplexität
.700
.653
.737
Repräsentationsformen
.830
.765
.889
5.
Diskussion und Ausblick
Ausgehend von einem allgemeindidaktischen Kategoriensystem wurde ein fachdidaktisches Instrument zur Erhebung des kognitiv-aktivierenden Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege entwickelt . Die fachdidaktische Ausdifferenzierung erforderte eine intensive theoretisch-konzeptionelle sowie empirische Auseinandersetzung mit dem Instrument und seinen Kategorien . Dabei zeigten sich pflegedidaktische Ansätze im Kontext von Fallarbeit sowie problembasiertem Lernen für das Konstrukt der kognitiven Aktivierung als hoch anschlussfähig . Das Instrument ermöglicht mit seinen sieben Dimensionen eine differenzierte Einschätzung des kognitiven Potenzials von Aufgaben in einer übersichtlichen Weise und kann in der Aus- und Weiterbildung des Berufsbildungspersonals in der beruflichen Fachrichtung Pflege Anhaltspunkte bei der Formulierung von Aufgaben bieten . Das Instrument weist eine gute Reliabilität auf . Die Dimensionen und Kategorien können für eine differenzierte Aufgabenanalyse als geeignet gewertet werden, da die Raterinnen weitgehend übereinstimmende Ergebnisse erzielten . In einzelnen Kategorien sind die Ergebnisse nur eingeschränkt gültig, da diese kaum beobachtet wurden .
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Dies betrifft vor allem die höchsten Ausprägungen der Kategorien, wie z . B . die Kategorie ‚Metakognitives Wissen‘ der Dimension ‚Wissensart‘ . Dies könnte ein Indikator dafür sein, dass besondere Dimensionen der kognitiven Aktivierung im Lehr-Lernkontext bisher vernachlässigt werden . Perspektivisch sollten die in dieser Untersuchung nur selten kodierten Kategorien dazu auffordern, auch diese in Aufgabenstellungen einzubeziehen . Die Darstellung der deskriptiven Ergebnisse zeigt, dass nur wenige Aufgaben den Kategorien problemorientiert, authentisch und deutungsoffen zugeordnet wurden . Zwar konnte bei den insgesamt 186 Aufgaben bei 71 Aufgaben ein Berufs- und Lebensweltbezug kodiert werden . Der Berufs- und Lebensweltbezug führte allerdings in den Aufgabenstellungen häufig nicht zur Aufforderung, sich vertieft mit der Komplexität von Problemlagen in den praktischen Handlungssituationen auseinanderzusetzen . Bei den im Projekt analysierten Aufgaben mangelte es an Formaten, die auf die professionelle Urteilsfähigkeit und auf hermeneutische Kompetenz zielen, um Lernende zu befähigen, ihre Berufsarbeit als ein komplexes situationsbezogenes Interaktionsgeschehen zu begreifen . Bei der Dimension ‚Kognitiver Prozess‘ wurde häufig ausschließlich ‚Reproduktion‘ erwartet . Es mangelte an Aufgaben, die einen ‚weiten Transfer‘ oder ‚Problemlösen‘ verlangten . Fälle aus der Berufspraxis dienten teilweise nur der Einführung des Themas und die zugehörigen Aufgaben hatten nur einen eingeschränkten oder keinen Bezug zur Fallbeschreibung . Eine unzureichende Auseinandersetzung mit komplexen Fallgeschichten wird auch von Darmann-Finck (2010, S . 147) bestätigt . Sie kritisiert, dass im Unterrichtsalltag in der beruflichen Fachrichtung Pflege in der Regel nur idealtypische Fälle und Verläufe behandelt werden, die mit Hilfe von allgemeinen Handlungsregeln bearbeitet werden . Abhängig von den im Unterricht angestrebten Zielen können Aufgabenformate, die auf das Einüben von Routinen und die Vermittlung von Regelwissen ausgerichtet sind, wichtig sein . In der Entwicklung zeigten sich Unsicherheiten bei der Kategorie ‚Kognitiver Prozess‘ und ‚Sprachlogische Komplexität‘, da die Einschätzung voraussetzt, dass der jeweilige Ausbildungsstand der Lernenden mitberücksichtigt wird . Hier wurde über eine Verfeinerung des Instrumentariums die Passgenauigkeit verbessert, in dem das angenommene curriculare Wissen der adressierten Gruppe hinzugezogen wurde . Letztendlich ist es für die konkrete Unterrichtsplanung selbstverständlich, dass die Beurteilung der kognitiven Aktivierung von Aufgaben Kenntnisse zum Lernstand der Lerngruppe und zu den curricularen Vorgaben voraussetzt . Bei der pflegedidaktischen Weiterentwicklung des Instruments sollte insbesondere die Dimension ‚Wissenseinheiten‘ überdacht werden . Schwierigkeiten zeigten sich im Entwicklungsprozess bei der Entscheidung, wie viele Wissenseinheiten für die Bearbeitung einer Aufgabe erforderlich sind . Die Einschätzung konnte sich sowohl auf die Anzahl der Lösungen beziehen als auch auf die Anzahl notwendiger Denkoperationen . Für die Überprüfung der Reliabilität einigte sich die Forschergruppe, die Anzahl der Lösungen zu berücksichtigen . Fachdidaktisch ungeklärt blieb dabei, was in der Domä-
Analyse des kognitiven Potenzials von Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege
ne prinzipiell als logisch abgrenzbare Wissenseinheiten konsensfähig ist . Anregungen zur Weiterentwicklung kann das Konzept der beruflichen Handlungskompetenz bieten . Es untermauert die herausragende Bedeutung der Dimension der ‚Berufs- und Lebenswelt‘ in Kontexten der beruflichen Bildung und zielt auf die Einbindung von authentischen Handlungssituationen im Unterricht . Weiterhin fordert das Konzept der beruflichen Handlungskompetenz dazu auf, einen vollständigen beruflichen Handlungszyklus zu betrachten, so dass Auszubildende zum selbständigen Planen, Durchführen und Kontrollieren befähigt werden (KMK, 1996/2018) . So kann bei der Kategorie ‚Wissenseinheiten‘ die Anzahl der Schritte einer vollständigen Handlung geprüft werden, die unterschiedliche Anforderungen der Analyse von Handlungssituationen, der routinierten Bewältigung und der systematischen Bewertung von Handlungsergebnissen würdigt . Dabei kann auch geprüft werden, ob die personenbezogene Dienstleistung Pflege als kommunikative Zusammenarbeit mit pflegebedürftigen Menschen einer domänenspezifischen Verfeinerung des Handlungsablaufs bedarf, da der zu pflegende Mensch den Handlungsablauf mitgestaltet und kommunikativ mit einbezogen werden muss . Unter Rückgriff auf die Interaktionische Pflegedidaktik von Darmann-Finck (2010) wäre es auch möglich, eine Unterscheidung nach den von ihr konzeptualisierten Erkenntnisinteressen (technisches, praktisches, emanzipatorisches Erkenntnisinteresse) bei der Einschätzung von Lerneinheiten vorzunehmen . Allerdings fehlt es dieser Unterscheidung an Differenziertheit, um damit einen Mehrwert bei der Würdigung des kognitiven Aktivierungspotentials zu erzielen . Hier zeichnet sich weiterer Forschungsbedarf ab . Das fachdidaktische Raster zur Erhebung des kognitiven Potenzials von Aufgaben bietet konkrete Kriterien zur Konzeption qualitativ hochwertiger Aufgaben in der beruflichen Fachrichtung Pflege . Kognitiv-aktivierende Aufgaben können Pflegende in der Ausbildung auf die eigenverantwortlichen Bereiche und komplexeren Versorgungsbedarfe in der Berufspraxis vorbereiten und den Verbleib im Beruf stärken . Zugleich zeigten die Ergebnisse der Studie implizit die Notwendigkeit zur weiteren zu verstärkenden bzw . auszubauenden Professionalisierung des schulischen Bildungspersonals, dessen Vorbereitung auf ihre berufliche Tätigkeit lange Zeit in qualifizierungsbedingten Sonderwegen erfolgte (hierzu auch Weyland & Reiber, 2013; Reiber, Weyland, & Wittmann, 2019) .
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BÄRBEL WESSELBORG / MARC KLEINKNECHT / ELLEN BÖGEMANN-GROSSHEIM / MATTHIAS HOENEN
Förderung
Das Projekt wurde durch die interne Forschungsförderung der Fliedner Fachhochschule gefördert . Ellen Bögemann-Großheim, Dr., bis zu ihrem Ruhestand Professur für Pflegewissenschaft an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: pflegefachdidaktische Themen und Professionalisierung von Pflegelehrenden sowie Pflegefachpersonen . E-Mail: grossboe@t-online .de Matthias Hoenen, Prof. Dr., Professur für Wirtschaftspsychologie an der FOM Hochschule Essen und Psychologischer Psychotherapeut . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Resilienzfaktoren und Selbstwirksamkeitserwartung in Studium und Beruf . E-Mail: matthias .hoenen@uni-duesseldorf .de; matthias .hoenen@fom .de Marc Kleinknecht, Prof. Dr., Professur für Schulpädagogik und Schulentwicklung an der Leuphana Universität Lüneburg . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: unterrichtsvideobasierte Unterrichtsqualitätsforschung, fallbasierte Professionsforschung im Bereich der Lehrkräftebildung . E-Mail: marc .kleinknecht@leuphana .de Bärbel Wesselborg, Prof. Dr., Professur für Pflegepädagogik, Berufspädagogik der Gesundheitsberufe an der Fliedner Fachhochschule Düsseldorf . Arbeits- und Forschungsschwerpunkte: Aufgabenqualität im Pflegeunterricht, interprofessionelle Ausbildung in den Gesundheitsberufen, Lehrkräftegesundheit . E-Mail: wesselborg@fliedner-fachhochschule .de
Den Gesundheitsberufen wird aufgrund ihrer Bedeutung für die Prävention und den Erhalt von Gesundheit ein hoher gesellschaftlicher Stellenwert attestiert – angesichts des demographischen Wandels mit steigender Tendenz. In jüngster Zeit hat die Corona-Pandemie zudem eindrücklich deutlich gemacht, dass ein belastbares Gesundheitssystem von großer Bedeutung für die Bevölkerung ist. Dabei nehmen die Akteure der Gesundheitsberufe eine prominente Rolle ein. Fachliche Anforderungen und gesellschaftliche Erwartungen an die Gesundheitsberufe haben zu einer
ISBN 978-3-515-13286-2
9 783515 132862
Entwicklungsdynamik in der beruflichen Bildung geführt, die im wissenschaftlichen Diskurs verhandelt, mittels Theoriebildung und Modellierung analysiert und gestaltet sowie im Rahmen empirischer Zugänge erforscht wird. Der Band versammelt aktuelle Forschungsbeiträge zu den beruflichen Domänen Pflege und Gesundheit. Die jüngsten Herausforderungen im Kontext von Akademisierung, Digitalisierung und Fachkräftesicherung sind aktuelle Querschnittsthemen, denen sich die Autorinnen und Autoren in einzelnen Schwerpunkten ebenso widmen.
www.steiner-verlag.de Franz Steiner Verlag