Hermeneutik des Gesichts: Das Bildnis im Blick aktueller Forschung 9783110403565, 9783110403442


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Hermeneutik des Gesichts: Das Bildnis im Blick aktueller Forschung
 9783110403565, 9783110403442

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HERMENEUTIK DES GESICHTS Das Bildnis im Blick aktueller Forschung

M NEM OSYNE . SCHRI F T E N  DE S I NT E RNAT I ON A L E N WA R B U R G - KO L L E G S

HERMENEUTIK DES GESICHTS Das Bildnis im Blick aktueller Forschung

HERAUSGEGEBEN VON UWE FLECKNER UND TITIA HENSEL

INHALT

IX Vorwort

1

Von Angesicht zu Angesicht Physiognomie einer schwierigen Gattung Uwe Fleckner

DAS I N D I V I D U U M I M BL ICK

25

Die Porträts Arent de Gelders Ein paradoxaler Umgang mit der Tradition Yannis Hadjinicolaou

47

Zooming in on the Artist Cover Photos for »Avalanche« Elise Noyez

65

The Un/Ease of Looking Reflecting on Pieter Hugo’s »Looking Aside« Bhavisha Panchia

81

What You See Is What You Get Das Porträt im Angesicht des Digitalen Daniel Becker

DAS B I L D N I S A L S P O LIT ISCHE S BIL D

103 Ein paränetisches Porträt Das Herrscherbild Ottos III. Johannes von Müller

123 »Das älteste selbstständige Bildnis der deutschen Kunst« A Reconsideration of the Portrait of Rudolf IV Mateusz Grze˛da

141 Bildnis eines politischen Systems Altichieros »Gruppenporträt« in der Jakobuskapelle des Paduaner Santo Simone Westermann

163 Kaiserin »à la mode« Franz Xaver Winterhalters »Bildnis der Elisabeth von Österreich in Balltoilette« Titia Hensel

183 Dispersing the Political Shadow Constructing and Deconstructing Authority in the Portraits of Cixi Teng Yuning

209 Allegory of Government Das Porträt im Werk von Clegg & Guttmann Nina Kalenbach

M AS K E   –   ROL L E  –  TYP US

227 Der Typus als Porträt »Ähnlichkeit« in José de Riberas »Bärtiger Frau« Sophia Kunze

245 Polyvalente Maskeraden Ovids Pomona-Mythos im »portrait historié« des frühen 18. Jahrhunderts Marlen Schneider

265 Respiration und Inspiration Jacques-Louis Davids Bildnis des Chemikers Antoine-Laurent Lavoisier und seiner Frau Marie-Anne Uwe Fleckner

291 Portraits of Teachers Rethinking the Role of Likeness in Tibetan Buddhist Art Rachel Q. Levy

311 Inhuman Portraits The Machine-Man in Modernist Portraiture Ashley Lazevnick

329 A Portrait of America Joel Sternfeld’s »Stranger Passing« as Ethnographic Research Jennifer Crowley

DAS IN S Z E N I E RT E I C H

349 Das Selbstporträt bei Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti Oder: Der »horror vacui« der Kunsthistoriografie Miriam Sarah Marotzki

373 Selbstinszenierung und inszenierte Genealogie Zu einem Selbstporträt aus dem Besitz der Theatermalerfamilie Quaglio Christine Hübner

391 »Mon masque appartient à tous« Die selbstdarstellerischen Praktiken Gustave Courbets Stephanie Marchal

411 Die Vitalität des Verschwindens Helene Schjerfbecks »Selbstporträt mit rotem Punkt« Annika Landmann

431 Register 439 Abbildungsnachweis

VORWORT

»Man ist niemals mit einem Porträt zufrieden von Personen, die man kennt«, schreibt Ottilie, Romanfigur aus Johann Wolfgang von Goethes Wahlverwandtschaften (1809), in ihr Tagebuch: »Deswegen habe ich die Porträtmaler immer bedauert. Man verlangt so selten von den Leuten das Unmögliche, und gerade von diesen fordert man’s. Sie sollen einem jeden sein Verhältnis zu den Personen, seine Neigung und Abneigung mit in ihr Bild aufnehmen; sie sollen nicht bloß darstellen, wie sie einen Menschen fassen, sondern wie ihn jeder fassen würde.« Und doch ist am Beginn des 19. Jahrhunderts das Porträt als Bildgattung populärer denn jemals zuvor. Trotz noch immer gültiger akademischer Gattungshierarchien, die das Bildnis auf einer niederen Stufe im Ranggefüge künstlerischer Aufgaben weit unterhalb des Historienbildes ansiedeln, boomt die bürgerliche Porträtindustrie: Jeder aufgeklärte Zeitgenosse möchte  –  wie Ottilie  –  seine Liebsten im Bildnis vergegenwärtigt sehen. Ihrer kunsttheoretisch durchaus reflektierten Notiz zufolge ist das Urteil über ein Porträt insbesondere davon abhängig, ob der Betrachter das darauf erfasste Modell »kennt«. Damit meint die Tagebuchschreiberin zweifellos nicht nur das Wissen um das Aussehen des Menschen, um seine äußere Hülle, sondern auch und vor allem, dass das Wesen des Dargestellten, sein Charakter, im Bildnis sichtbar werden möge. Doch wäre Ottilie vor Porträts unbekannter Personen tatsächlich anspruchsloser? Wahrscheinlich verlangte sie auch dort dasselbe »Unmögliche« vom Porträtmaler: Die Auffassung des Künstlers und die Wahrhaftigkeit in der Darstellung des Porträtmodells sollen in seinen Werken generell zu untrennbarer Einheit zusammen finden.

IX

Damit ist bereits ein wesentliches Merkmal des Porträts als Gattung des »Unmöglichen« benannt  –  sein Bezug zur außerkünstlerischen Wirklichkeit. Vor die ohnehin heikle Aufgabe gestellt, mit dem individuellen Menschen und seiner Charakterisierung einen strikt vorgegebenen Gegenstand zu erfassen, will das Porträt nicht nur als autonomes Kunstwerk, sondern gerade auch im Verhältnis zum realen Vorbild betrachtet werden. Auf die notwendige Differenz zwischen Mensch und Abbild, zwischen der lebendigen Erfahrung angesichts einer Person und ihrer visuell wahrgenommenen, im Kunstwerk festgehaltenen äußeren Gestalt, spielt Goethe an, wenn er Ottilie schließlich fordern lässt, im fertigen Bildnis solle der subjektive künstlerische Zugriff auf das Modell mit den Vorstellungen aller anderen Betrachter zu einer womöglich objektiven Zusammenschau synthetisiert werden. Der kunsttheoretische wie der kunstkritische Diskurs um das Porträt als Bildgattung bemüht  –  bis heute  –  Schlagworte wie Ähnlichkeit, Individualität und Authentizität. Dabei sind die von Epoche zu Epoche wechselnden Argumente eng verbunden mit den gesellschaftlichen und politischen Verhältnissen und wissenschaftlichen Erkenntnissen. Rasch können sich Porträtmoden ändern: Wird das Bildnis zu einer Zeit als Abbild des Menschen aufgrund bloßer Naturnachahmung zur rangniederen Gattung degradiert, kann zu anderen Zeiten der gleiche Befund physiognomischer Ähnlichkeit für ihre Popularität und Anerkennung sorgen. Das Aufkommen der Fotografie erweiterte im 19. Jahrhundert die Diskussion über den Wert abbildlicher Authentizität um neue Dimensionen, und äußere Ähnlichkeit geriet immer mehr zu einer Kategorie, von der sich ein Porträtist, wollte er als vollgültiger Künstler gelten, auf welche Weise auch immer zu befreien hatte: Typus oder Seelenschau, das Darstellen sozialer Rollen und sogar die Forderungen nach formaler Stilisierung und bildnerischer Abstraktion traten das Erbe eines mimetisch aufgefassten Menschenbildes an. Damit vollzog die Porträtgeschichte selbst einen Brückenschlag zurück zu ihren Anfängen, wo uns zwar oft namentlich gekennzeichnete Individuen im Kunstwerk begegnen, jedoch stets in mehr oder weniger schematisierter Figuration. Das Spannungsfeld zwischen dem Anspruch auf wahrhaftige, individualisierende Darstellung, zwischen Idealisierung und Typisierung und der Ambition, ein Meisterwerk eigenen künstlerischen Rechts zu schaffen, kennzeichnet die Gattung des Porträts als eine Kunstform der Widersprüche. Das Internationale Warburg-Kolleg Hermeneutik des Gesichts widmete sich 2012 und 2013 diesen Widersprüchen in all ihrer gattungstheoretischen wie methodischen Komplexität. Der zweistufige Workshop, durchgeführt im Hamburger WarburgHaus, umfasste Fallstudien vom Mittelalter bis zur Gegenwart, von der westlichen Kunst bis zu hin Beispielen der Kunst Afrikas und Asiens, ergänzt um einen Aufsatz zur politischen Ikonografie des Porträts in China, den Teng Yuning dankenswerterweise zur Verfügung gestellt hat. Geographische, thematische und methodische Vielfalt, das leitende Prinzip des Internationalen Warburg-Kollegs als besonderer Form wissenschaftlicher Nachwuchsförderung, bildete gerade bei einem so universalen Untersuchungsgegenstand wie der Kunst des Porträts einen unverzichtbaren polyperspektivischen Erfahrungs- und Wissenshorizont, der durch unterschiedliche nationale Forschungstraditionen die thematischen Schnittstellen

X   Vo rwort

aller Kollegbeiträge bereichert hat: Wie und in welchem Maße können Modell und Bild einander ähnlich sein? Was ist die spezifisch kunsthistorische Problematik der Ähnlichkeit als ästhetischer Kategorie? Garantiert (äußerliche) Ähnlichkeit im Kunstwerk die Authentizität bildnerischer Darstellung? Welche Formen und Funktionen porträthafter Darstellung gibt es? Welche Herausforderungen stellt das Porträt an Modell und Betrachter? Und wie ist das Bildnis von anderen, durchaus verwandten Bildformen abzugrenzen? Welches historische Wissen hilft uns, an einen bestimmten Adressatenkreis gerichtete Porträts zu verstehen? Und wie beeinflusst die kulturelle Prägung eines jeden Betrachters dessen Deutung visueller Informationen im Bildnis? Solche Fragen zu beantworten, haben sich die hier versammelten Aufsätze über ihre jeweils unterschiedlichen monographischen Ansätze hinaus zur Aufgabe gemacht: Sie wollen das Bildnis seit seinen Anfängen bis in die Gegenwart in seiner memorialen, politischen und ästhetischen Dimension erfassen, wollen es zugleich als wichtiges Mittel des Künstlers verstehen, sich selbst und seiner Kunstauffassung programmatisch Ausdruck zu verleihen, wollen das Porträt als eine Gattung betrachten, die Rückschlüsse auf das Repräsentationsbedürfnis der Dargestellten zulässt, auf die Ideale einer Gesellschaft und damit auch auf das Selbstverständnis ganzer Epochen. Die einzelnen Fallbeispiele machen darüber hinaus deutlich, wie stark die historisch unterschiedlichen Kategorien des Porträts voneinander abweichen können und dennoch eines gemeinsam haben: Sämtliche Bildnisformen sehen sich denselben ästhetischen Konflikten ausgesetzt, ihre Werke oszillieren  –  wenn auch in unterschiedlichem Maße  –  zwischen naturnaher Wiedergabe und bildnerischer Erfindung. Ottilies Mitleid mit den Künstlern war wohl kaum jemals in der Geschichte des Porträts wirklich gerechtfertigt. Die Kunstgeschichte hat gerade in dieser Gattung des »Unmöglichen« eine Fülle an ausgezeichneten Leistungen hervorgebracht und die Kulturen sämtlicher Kontinente mit faszinierenden Werken bereichert. Doch sind in einer Zeit, in der die digitale Menschendarstellung auf Facebook-Seiten oder die ubiquitäre virtuelle Zugänglichkeit von Selfies als einer abgesunkenen Form des Selbstporträts den visuellen Alltag weltweit bestimmen, die Fragen nach Künstler- und Autorschaft, nach authentischer Repräsentation und sozialer Präsentation, nach Ähnlichkeit und Charakterisierung neu zu diskutieren. Zahlreiche Veröffentlichungen der letzten Jahre aus Bereichen wie der Philosophie, den Kommunika­ tionswissenschaften und nicht zuletzt der Kunstgeschichte dokumentieren ein starkes Interesse an diesen Fragen und konzentrieren sich dabei ganz selbstverständlich auf das menschliche Gesicht als Quelle gesellschaftlicher und wissenschaftlicher Erkenntnis. Der vorliegende Band möchte daher aus aktuellen Forschungspositionen heraus einen neuen Blick auf die so wichtige wie widersprüchliche Gattung des Porträts werfen. Dass das Internationale Warburg-Kolleg auch bei diesem Thema ein großer Erfolg werden konnte, verdanken wir der Hamburger Aby-Warburg-Stiftung und dem Kunstgeschichtlichen Seminar der Universität Hamburg, insbesondere Eva Landmann und Margot Zimmermann, in deren bewährten Händen die administrative Durchführung des Kollegs lag. Unser Dank gebührt aber vor allem den Kollegiatinnen und Kollegiaten, die aus Südafrika und den

Vorwo rt

XI

USA, aus Polen, Frankreich, den Niederlanden und verschiedenen Städten Deutschlands angereist sind und für eben den lebendigen Austausch gesorgt haben, für den das Internationale Warburg-Kolleg nun schon seit fast zehn Jahren steht. Denn eines ist gewiss: Die Hermeneutik, verstanden im weitesten Sinne als Kunst der Deutung, ist gerade bei einem solchen Forschungsgegenstand wie dem Porträt auf die soziale wie intellektuelle Interaktion angewiesen, das wissenschaftliche Gespräch erweist sich als das einzig wahre Interface zum Verständnis nicht nur des künstlerisch erfassten Individuums. Hamburg, 17. März 2015

XII   Vorwort

Uwe Fleckner / Titia Hensel

VON ANGESICHT ZU ANGESICHT Physiognomie einer schwierigen Gattung UWE FLECKNER

»It’s written all over your face.« Beyoncé: Halo, 2009

Das Porträt und seine Aufgaben Bildnisse haben viele Aufgaben zu erfüllen. Sie zeigen die Köpfe berühmter Persönlichkeiten, Köpfe von Fürsten, Künstlern oder Wissenschaftlern, um deren Aussehen in der Öffentlichkeit bekannt zu machen und zugleich einen visuellen Eindruck ihres Ranges, ihrer Überzeugungen oder Errungenschaften zu vermitteln; sie dokumentieren die Genealogie eines Herrscherhauses, die Amtsfolge von Regierungschefs oder Bürgermeistern und vermittelten in der Vergangenheit durch diplomatischen Bildnisaustausch die Ehebündnisse zwischen ausländischen Dynastien; sie dokumentieren gesellschaftlichen Rang und bringen auf diese Weise soziale Distinktion zum Ausdruck; sie halten das Äußere geliebter Menschen fest, von Familienmitgliedern und Freunden, um diese in deren Abwesenheit gegenwärtig zu halten; sie entsprechen memorialen Anforderungen, damit nach dem Tod eines Menschen die Erinnerung an dessen gelebtes Leben nicht verblasst; in ihnen zeigen Maler, Bildhauer und Zeichner ihr eigenes Gesicht, zumeist verbunden mit programmatischen Hinweisen auf ihre künstlerischen Auffassungen; sie erscheinen auf Münzen, Geldscheinen und Briefmarken, auf Fotografien, Plakaten und Buchumschlägen; als Steckbrief, Fahndungs- oder Passfoto sowie mit Hilfe elektronischer Gesichtserkennung produzieren sie »objektive« Dokumente physiognomischer Existenz und dienen auf diese Weise polizeilichen Zwecken; sie erfüllen nicht zuletzt ästhetische Aufgaben, stellen den Künstler vor die Herausforderung,

1

ein von der Natur bereits vollkommen vorgegebenes Aussehen mit inventiven bildnerischen Prinzipien zu verbinden. Und all diese Funktionen münden in nur einer einzigen gattungskonstituierenden Gemeinsamkeit, die in der Geschichte des Porträts dennoch stets aufs neue zu faszinierenden Bildlösungen geführt hat: Die Darstellung eines Menschen ist allein dann ein Porträt, wenn sie  –  auf welche Weise auch immer  –  das charakteristische Bild eines spezifischen Individuums entwirft.1 Doch die Art und Weise, wie ein Bildnis eine oder mehrere dieser Funktionen zu erfüllen versucht, kann nicht Teil einer auch noch so komplex formulierten Definition des Porträts sein, denn Bildnisse weisen erhebliche künstlerische, kunstgeographische, politisch-soziale und religiös motivierte Unterschiede auf, sie sind von konkurrierenden Vorstellungen einzelner Künstler und Kunsttheoretiker sowie stilistischer Schulen geprägt und unterliegen insbesondere einem andauernden historischen Wandel. Die Gattung des Porträts, nach akademischer Auffassung bis weit ins 19. Jahrhundert hinein eine der niedrigsten Bildformen im Ranggefüge künstlerischer Aufgaben, zerfällt zudem in einzelne, oft nicht trennscharf voneinander abgegrenzte Binnengattungen: Neben unterschiedlichen Techniken der Malerei, Skulptur, Grafik oder Fotografie, neben unterschiedlichen Formaten vom Bildnis in Lebensgröße bis zur Porträtminiatur sowie unterschiedlichen Bildmodi wie Ganz- oder Halbfigur, Kniestück, Büste oder Bildniskopf gibt es Selbstporträts, Einzel- und Gruppenporträts, Familien-, Ehepaar- oder Freundschaftsbilder, Rollen- und Kompositporträts, Herrscherbild­nisse und Standesporträts, Dedikations- und Stifterbilder, posthume und apokryphe Porträts, Bildnisse in Assistenz sowie hybride Grenzphänomene wie das Einfigurenhistorienbild, das personale Denkmal, die Porträtkarikatur oder das Tierbildnis. Auch die Ausstellungs- und Wirkungsorte eines Porträts können, oft an spezifische Binnengattungen gebunden, stark voneinander abweichen: Bildnisse begegnen uns in Museen und Privatsammlungen, im öffentlichen Raum, in den Porträtgalerien von Schlössern und Rathäusern, aber auch in illuminierten Manuskripten und Fotoalben, in Publikationen und auf Facebook sowie in zahllosen anderen Kontexten. Und zumal in ihrer Darstellungsweise verfügen Bildnisse über eine ganze Fülle von Möglichkeiten: von der mimetisch-naturnahen Wiedergabe des Porträtmodells bis hin zu vollkommen abstrakten Kompositionsstrategien. Das gemeinsame Ziel aller nur denkbaren Formen des Porträts aber ist es, ein möglichst authentisches Bild des menschlichen Individuums hervorzubringen.

Der Mensch als Abbild seiner selbst Die Suche nach dem authentischen Bild eines Menschen hat in der künstlerischen Praxis jahrhundertelang zu intensiven Bemühungen geführt, das Porträtmodell möglichst naturnah zu erfassen. Bereits im 16. Jahrhundert veranlasste der Wunsch nach der vollkommenen Wiedergabe des menschlichen Antlitzes einige Künstler, etwa Hans Holbein, mechanische Hilfsmittel wie den Glastafelapparat für ihre Porträtaufnahmen einzusetzen |Abb. 1  |.2 Im 18.

2   F le ck ner

und 19. Jahrhundert angewendete rationalisierte Verfahren  –  Schattenriss oder Scherenschnitt so­ wie insbesondere das Profilzeichnen mit Hilfe des sogenannten »Physionotrace«   –  mündeten schließlich geradezu zwangsläufig in der Erfindung der Porträtfotografie.3 Doch der stets schwelende Urkonflikt des Porträts, die Versöhnung von »äußerem« und »innerem« Bild, wurde trotz immer perfekteren Nachahmungen des Modells keineswegs gelöst, was in der Geschichte des Porträts zu einer mehr und mehr auseinander klaffenden polaren Spannung von Abbild und Abstraktion führen musste. Und nicht selten wurde dieser Konflikt sogar innerhalb des Porträtwerks eines einzelnen Künstlers ausgetragen. Fotografische Verfahren erreichten schließlich selbst die Wiedergabe des natürlichen Kolorits, doch es blieben Zweifel, ob ausgerechnet die exakte Kopie seiner physiognomischen Erscheinung die verborgenen geistig-seelischen Eigenschaften eines Menschen im Porträt offenlegen könne. Auch die unkörperliche Zweidimensionalität aller fotografischen Bildnisse ist ja bereits mit einer grundsätzlichen  –  sagen wir: schattenhaften  –  Reduktion der natürlichen Er- 1  Hans Holbein: Porträt Lady Parker, um 1540, Kreide auf Papier, 29,8 × 20,8 cm, Windsor Castle, scheinung verbunden. Royal Collection Betrachten wir die jüngsten Errungenschaften in der technischen Anfertigung menschlicher Porträts, dann stellen wir fest, bis zu welcher physischen Übereinstimmung von Mensch und Bild die vereinten Möglichkeiten fotografischer und digitaler Aufnahme heutzutage vorgedrungen sind. Ein Spezialistenteam des Institute for Creative Technologies der University of Southern California und der Smithsonian Institution in Washington hat 2013 mit Hilfe einer aufwendigen Apparatur aus zahlreichen Kameras und Lichtquellen sowie eines mehrstufigen Scan-Verfahrens einen 3D-Druck Barack Obamas hergestellt |Abb. 2 |.4 Nach eigenen Aus­ sagen inspiriert von der Gipsmaske George Washingtons, die 1785 vom französischen Bildhauer Jean-Antoine Houdon abgenommen wurde, sowie zwei Masken Abraham Lincolns, die Leonard Volk 1860 (Washington, Smithsonian Institution) und Clark Mills 1865 (Washington, National Museum of American History) anfertigten, schufen die Wissenschaftler ein lebensgroßes Artefakt, das die Büste des US-amerikanischen Präsidenten zeigt: Obama ist in ruhiger, aufrechter Haltung zu sehen, seine Porträtzüge sind aufgrund des technischen Verfahrens nicht geschönt, sein körperliches Aussehen wurde ohne jede Veränderung registriert

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2  US-Präsident Barack Obama, 3D-Druck, 2013, gesintertes Nylon-Pulver, H. 48,3 cm, Washington, National Portrait Gallery

und zuletzt um einen konventionellen Sockel ergänzt, wohl um die Ingenieursleistung zum Kunstwerk zu nobilitieren. Und dennoch: Nicht allein das klinische Weiß der Figur, gerade auch die unerbittliche Kopie des Kopfes hat zu unpersönlicher Starre geführt; leblos, geradezu unbeseelt erscheint der Mann, sein Gesicht, seine Augen sind in allen Einzelheiten nachgebildet, doch kein Blick spricht den Betrachter an. Das kuriose Ergebnis dieses Darstellungsexperiments ist es, dass trotz aller erfolgreichen technischen Anstrengungen, jedes Detail exakt zu erfassen, das Porträt kaum ein authentisches Bild des charismatischen Mannes bietet, ja, es ist fraglich, ob wir es hier  –  streng genommen  –  überhaupt mit einem Porträt zu tun haben, ob die nahezu identische Effigies in der Lage ist, ein charakteristisches Bild zu liefern: »This isn’t an artistic likeness of the President, this is actually millions upon millions of measurements that create a 3D likeness of the President.«5 Vermutlich wird in naher Zukunft das technische Verfahren

4   F le ck ner

3  Jean-Antoine Houdon: Lebendmaske George Washingtons, 1785, Gips, bemalt, 23,4 × 18,8 cm, New York, The Morgan Library and Museum

4  Jean-Antoine Houdon: Porträtbüste George Washingtons, um 1785 – 1 790, Marmor, 48,6 × 33,7 × 19 cm, Los Angeles County Museum of Art

so weiterentwickelt sein, dass auch die Farben von Haut, Haar, Augen und Kleidung auf dem dreidimensionalen Druck fotografisch exakt erfasst werden können, und für die fernere Zukunft dürfte sogar die Wiedergabe tatsächlicher Bewegung nicht ausgeschlossen sein; doch mit wachsender Illusion wird gewiss auch die Enttäuschung zunehmen, dass solche Bilder der dargestellten Person zwar immer ähnlicher werden, aber nicht zu ihrem Wesenskern vordringen. Houdon jedenfalls wusste, dass er seine Abformung vom Gesicht des amerikanischen Präsidenten durch bildnerische Maßnahmen zu interpretieren hatte, als er aus ihr die Büste Washingtons und schließlich dessen Standbild (Richmond, Virginia State Capitol) entwickelte |Abb. 3 – 4 |.6 Historische Vorläufer der dreidimensionalen Fotografie Barack Obamas sind beispielsweise in den Toten- und Lebendmasken seit der Antike zu finden, in medizinischen Moulagen und Wachsfiguren oder  –  ganz konkret  –  in den kurzlebigen Versuchen der französischen

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5  Ron Mueck: Mask, 1997, Polyesterharz, Fiberglas, synthetisches Haar und Stahl, 145 × 137 × 106 cm, New York, Privatsammlung

6  Karin Sander: Valeria Liebermann 1:10, 2000, 3-D Bodyscan, Fused Deposition Modeling, Rapid Prototyping, AcrylButadien-Nityl-Styrol und Airbrush, H. 17 cm, Privatsammlung, Düsseldorf

photosculpture, die im 19. Jahrhundert, ausgehend von Aufnahmen rundum angeordneter Kameras, vollplastische Figuren mit fotografischer Genauigkeit hervorzubringen trachtete.7 In jüngster Zeit haben beispielswiese der australische Bildhauer Ron Mueck oder die deutsche Konzeptkünstlerin Karin Sander auf jeweils ganz unterschiedliche Weise hyperrealistische Strategien der Menschendarstellung durch Maßstabsvergrößerungen beziehungs­weise -verkleinerungen unterlaufen und damit unter anderem eine gattungsspezifische Kritik an den utopischen Versuchen absoluter mimetischer Darstellung formuliert |Abb. 5 – 6 |. Karin Sander überlässt bei ihren dreidimensionalen Bodyscans von Ausstellungsbesuchern oder Protagonisten der Kunstszene die Entscheidungen über Kleidung und Pose den Dargestellten selbst, nimmt demnach die Rolle der bildnerisch eingreifenden Porträtistin so weit zurück, dass sie die Abformungen der Modelle in einer interessanten begriffsgeschichtlichen Umkehrung als deren »Selbstbildnisse« bezeichnen kann.8

6   Fl e c k ner

7  Unbekannter Künstler: Porträt eines Mönchs als Buddha, 14. Jahrhundert, mumifizierte Leiche des 12. Jahrhunderts, Lack, Gold, diverse Materialien, Niederlande, Privatbesitz

8  Southwood Smith und Jacques Talrich: »Auto-Ikone« Jeremy Benthams, 1832 – 1842, Wachs, präpariertes Skelett, Haare, Kleidung, mumifizierter Kopf und diverse Gegenstände in Holzvitrine, 196 × 98 × 120 cm, London, University College

Der Drang, die bildnishafte Kopie menschlicher Modelle bis in die äußerste Spitze der Identität von Person und Bildnis voran zu treiben, führte in der Geschichte der Grenzbereiche des Porträts auch zu so erstaunlichen Phänomenen wie den buddhistischen 真身 (zhe ¯n she ¯n), den »wahren Körpern« chinesischer Geistlicher.9 Vor kurzem wurde beispielsweise im Kern einer Statue des 14. Jahrhunderts der Körper eines um 1100 verstorbenen Mönches entdeckt: Durch das asketische Ritual der Selbstmumifizierung im Augenblick des Todes in sitzender Meditationshaltung erstarrt, wurde sein Leib später  –  anders als die ansonsten oft lediglich mit einem konservierenden Überzug versehenen Körper solcher »Artefakte«  –  mit vergoldeten Lackschichten vollständig skulptural überformt, Mensch und Werk wurden auf faszinierende Weise eins |Abb. 7 |.10 Der britische Sozialreformer Jeremy Bentham ließ auf im Grunde vergleichbare Weise den eigenen Leichnam in einem Akt der »Auto-Ikonisierung« unmittelbar nach seinem Tode 1832 sezieren und dessen präparierte Relikte als »lebensech-

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9  Einbalsamierter Leichnam Mao Zedongs, 1976 – 1977, einbalsamierter Leichnam, Kleidung und Flagge in Kristallsarkophag, Peking, Gedenkhalle des Vorsitzenden Mao Zedong

tes« Monument ausstellen |Abb. 8 |. Sein Skelett wurde mit Kleidungsstücken und Gegenständen des Toten ausgestattet, der mumifizierte und dabei völlig deformierte Kopf musste allerdings, anders als geplant, in diesem ganz wörtlich zu nehmenden »Selbst«-Porträt durch eine Wachsabformung mit echten, selbstverständlich eigenen Haaren ersetzt werden (»a man who is his own image«).11 Mit den Versuchen, den Menschen zum Abbild seiner selbst zu machen, wird die Defini­ tionsgrenze des Porträts allerdings deutlich überschritten, wie  –  durchaus in der Tradition der »wahren Körper«  –  auch die konservierten sterblichen Überreste von Politikern wie Lenin, Ho Chi Minh, Mao Zedong oder Kim Jong-Il zeigen, deren Wunsch nach zumindest memorialer Unsterblichkeit dazu führte, ihre einbalsamierten Körper als auto-ikonische Denkmäler von höchster auratischer Strahlkraft zu konservieren und die metaphorische Präsenz des Menschen im Porträt durch reale Präsenz des allerdings toten Körpers zu ersetzen |Abb. 9 |.12 In der zeitgenössischen Kunst konnten autoreflexive sowie kunst- und gattungskritische Beweggründe ebenfalls zu Identitätsstrategien von Mensch und Objekt führen, und aus der Selbstdarstellung des Künstlers wurde, so 1961 bei Timm Ulrichs, dessen »Selbstausstellung«

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10  Timm Ulrichs: Timm Ulrichs, erstes lebendes Kunstwerk (Selbstausstellung), 1961, Hannover, Archiv des Künstlers

|Abb. 10 |.13 Doch bereits das 19. Jahrhundert, das Zeitalter des fotografischen Optimismus, musste erkennen, wie vergeblich die Sehnsucht nach dem absoluten Porträt, das Ähnlichkeit durch Identität zu ersetzen versuchte, letztlich war: »Wer hätte nicht von dem Streich jenes Porträtmalers gehört, der den Verleumdern seines künstlerischen Vermögens eine so reizende Lektion erteilt hat? Von der ungerechten Kritik aufgebracht, gab er vor, sein Werk von neuem zu beginnen, und rief eines Tages Familie und Freunde des Modells zusammen. Man traf ein, nahm im abgedunkelten Atelier vor einer reich gerahmten und vor dunklem Damast schön dargebotenen Leinwand Platz. Der eine findet das Porträt zu dunkel, der andere zu blass; dieser ist unzufrieden mit den Augen, jener mit der Frisur; das Modell scheint gealtert, sagen die einen; man hat es zu dick dargestellt, die anderen. Kurz, alle sind sich nur in einem Punkt einig: Die Ähnlichkeit ist unvollkommen. Aber plötzlich bricht das Porträt in Lachen aus, und der Kopf des Modells kommt aus dem Rahmen hervor, wo es als Trompe-l’œil arrangiert worden war.«14 Der französische Schriftsteller Francis Wey, der diese Atelieranekdote 1851 mitgeteilt hat, in der die Fabel von den Trauben des Zeuxis  –  bezeichnenderweise nach Erfindung der Fotografie  –  geradezu in ihr Gegenteil verkehrt wird, kommentiert den Sachverhalt auf zunächst paradox erscheinende, tatsächlich aber in den Kern des Problems vordringende Weise: »Meiner Ansicht nach hatten sie recht: Dieses Porträt war nicht ähnlich.«15 Das Ziel eines tatsächlich  –  wenn auch nicht unbedingt physiognomisch  –  ähnlichen Porträts liegt demnach nicht in der Überwindung der Grenze zwischen Mensch und Bild, nicht in der mimetischen Verdoppelung des Modells, sondern in der bildnerischen Interpretation des natürlichen Vorbilds durch den Künstler. Und diese unabweisliche Einsicht in die Grenzen des Porträts hat not-

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gedrungen eine  –  auf ganz unterschiedliche Weise mögliche  –  abstrahierende Abweichung von der Naturwahrheit zufolge: Erst dann, wenn Mensch und Bild nicht identisch sind, kann ein gelungenes Porträt wesentliche Ähnlichkeit generieren und damit hoffen, den wahren Charakter eines Menschen zu offenbaren.

Die unähnliche Ähnlichkeit gesichtsloser Porträts In der frühen Kunstgeschichte dieser so schwierigen Gattung verstanden es die bedeutendsten Porträtisten, Künstler wie Jan van Eyck, Dürer oder Tizian, Velázquez oder Rem­ brandt, das charakteristische Erfassen des Modells und seiner individuellen Züge mit den eigenen bildnerischen Ansprüchen zu verbinden und dabei in sich geschlossene Kompositionen zu erzielen. Erst seit Klassizismus und Romantik  –  und erst recht nach der Zertrümmerung des »unteilbaren« Individuums durch die psychologischen Modelle menschlichen Daseins des 19. und frühen 20. Jahrhunderts  –  führte dann eine radikal gewandelte Auffassung vom Menschen und seinen komplexen Persönlichkeitsstrukturen zu gravierenden Zweifeln daran, dass ein Bildnis allein im Modus empirisch gewonnener Abbildlichkeit hervorgebracht werden könne. Um 1800 zeichnete sich dementsprechend ein tiefgreifender Paradigmenwechsel ab, mit dem auch versucht werden sollte, die niedrige Rangstufe des Porträts innerhalb der Hierarchie der Gattungen durch bildnerische Autonomie zu überwinden: Bild und Modell, Form und Inhalt traten immer weiter auseinander, die Versöhnung der äußeren Gestalt eines Menschen mit einer künstlerischen Vision seiner Persönlichkeit sollte kaum noch einmal auf traditionelle Weise gelingen. Jean-Auguste-Dominique Ingres, als letzter Klassizist zugleich ein entscheidender Wegbereiter der Moderne, war schon früh an dieser ungeliebten Gattung verzweifelt, obwohl er gerade im Bildnis seine größten Leistungen vollbringen sollte.16 Zwar wurde schon bei seiner ersten Teilnahme am Pariser Salon 1806 der bildnerische Einsatz »bizarrer« Kompositionselemente in seinen Porträts scharf kritisiert, doch gerade mit zunehmender linearer Abstraktion konnte er den Herausforderungen ei11  Jean-Auguste-Dominique Ingres: Porträt nes zeitgemäßen Menschenbildes begegnen. So Ferdinand Duc d’Orléans, 1842, Öl auf Lein­wand, 222 × 158 cm, Paris, Musée du Louvre erfasste er beispielsweise die Porträtzüge des Her-

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12  Francisco de Goya: Selbstporträt mit Brille, um 1797 – 1800, Öl auf Leinwand, 63 × 49 cm, Castres, Musée Goya

13  Francisco de Goya: Selbstporträt, 1815, Öl auf Leinwand, 46 × 35 cm, Madrid, Museo Nacional del Prado

zogs von Orléans mit einer nahezu eigengesetzlichen, nicht länger vom Naturvorbild diktierten Konturlinie, die durchaus in der Nähe zur zeitgenössischen klassizistischen Karikatur anzusiedeln ist |Abb. 11 |.17 Die Darstellung der so eleganten wie offenbar arroganten Nob­ lesse des Thronfolgers erfolgt dabei durch »sprechende« Umriss- und Binnenformen, die das natürliche Vorbild deutlich deformieren: Der Dargestellte wird auf diese Weise nicht durch mimetische Adaption charakterisiert, sondern  –  ganz im Gegenteil  –  dadurch, dass Künstler und Betrachter den eigentlich abstrakten Linien dieses Porträts einen affektiven Erkenntniswert unterstellen.18 Mit gänzlich anderen bildnerischen Mitteln hat Francisco de Goya insbesondere in einigen privaten Bildnissen, aber auch  –  wenngleich weniger deutlich nachvollziehbar  –  bei offiziellen Porträtaufträgen die Nachahmung des Modells durch psychologische Irritationen gestört.19 Sein um 1797 – 1800 entstandenes Selbstporträt mit Brille sowie eine skizzenhafte Wiedergabe des eigenen Konterfeis von 1815 versenken die Erscheinung des Malers in ein undurchdringliches Dunkel opak-nervöser Pinselstriche; Kopf, Büste und Kleidung verlieren die korporeale Sicherheit eindeutiger Konturen, sie lösen sich im Bildraum auf, aus dem das Gesicht wie ein Schemen auftaucht |Abb. 12 – 13 |. Zwar sind die Gesichtszüge noch immer

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weitgehend dem natürlichen Vorbild verpflichtet, doch zusammen mit der Porträtkonvention wird auf bezeichnenderweise kleinem Format auch die anatomische und perspektivische Integrität des Modells aufgegeben. Gerade dort, wo das Motiv der Brille den »objektiven« Blick auf das Gesehene versprechen könnte, weist es auf die verstörend asymmetrische Deformation von Sehhilfe und Gesichtszügen hin: Goyas Blick in den Spiegel erreicht kaum noch das eigene Ich; jeder andere Betrachter findet keinen unmittelbaren Zugang mehr zur rätselhaften Existenz dieses sich offenbar selbst so fremden Selbst. Stilistisch denkbar weit voneinander entfernt, reagieren doch beide Maler, Ingres wie Goya, etwa zur selben Zeit auf das identische gattungstheoretische Problem: Sie haben erkannt, dass ein veritables Bildnis der eigenen oder einer fremden Person nur dann zu erreichen ist, wenn der Porträtist zur Preisgabe oberflächlicher Ähnlichkeit bereit ist. Und so markieren die Werke dieser Maler die beiden Extrempositionen einer radikal veränderten Porträtauffassung, ohne welche die Bildnisse 14  Pablo Picasso: Porträt Daniel-Henry Kahn­ nachfolgender Künstlergenerationen kaum zu denweiler, 1910, Öl auf Leinwand, 100,5 × 73 cm, ken sind: Vincent van Gogh, Paul Cézanne, AmeChicago, Art Institute deo Modigliani und Pablo Picasso, Max Beckmann, Otto Dix und Oskar Kokoschka, Helene Schjerfbeck, Francis Bacon und Lucian Freud sollten die Kunst des Porträts als eine Kunst der Widersprüche auffassen; als eine Kunst, in der die eindrucksvollsten Bildnisse die Spannung zwischen dem menschlichen Antlitz und dessen künstlerischer Interpretation bis zum Zerreißen vorangetrieben haben |Abb. 14 |.20 In letzter Konsequenz musste die unversöhnliche Kluft zwischen Sein und Aussehen dazu führen, dass einige Künstler die Wiedergabe mimetisch generierter Physiognomien weitgehend ablehnten und schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts versuchten, vollständig abstrakte Porträts zu schaffen.21 Motiviert wurden solche Bildnisexperimente durch die Hoffnung, die Funktionen des Porträts, vor allem anderen die individuelle Charakterisierung einer Person, auf diese Weise angemessener umsetzen zu können als im Bild ihrer äußeren körperlichen Hülle. Das »gesichtslose« Porträt führte zunächst zu einer ganzen Reihe hermetischer Kompositionen, bei denen, etwa im Werk von Marsden Hartley, Francis Picabia oder Constantin Brancusi, gegenständliche oder sogar ungegenständliche Indikatoren Auskunft über das Wesen des Porträt-

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modells geben sollten, ohne dass eine abbildende Wiedergabe auch nur angestrebt wurde.22 Hartley in seinen verschlüsselten Bildnissen Preußischer Offiziere des Ersten Weltkriegs und Picabia in seinen »Maschinenporträts« der Freunde und Weggefährten nutzten die Assoziationskraft individuell ausgewählter Gegenstände und Gegenstandsfragmente als Surrogate des Abbildlichen, ohne allerdings  –  wie beispielsweise Arcimboldo in seinen Kompositporträts des 16. Jahrhunderts  –  aus ihnen Körper und Gesichter zusammenzufügen. Brancu­ si hingegen entwarf eine denkbar radikale Konfiguration bloßer Linien, als er den Auftrag erhielt, das Porträt des Schriftstellers James Joyce als Frontispiz für eine von dessen Publikationen anzufertigen |Abb. 15 |. Auch wenn die abstrakte Grafik, die Brancusi 1929 schuf, gewiss auf das Prinzip der »circulation« als einer der typischen Denkbewegungen des Autors zurückgehen dürfte und die (unübersetzbare) »meandertale« der Joyceschen Prosa evoziert, haben wir es hier dennoch mit einem Porträt zu 15  Constantin Brancusi: Porträt des Schriftstellers tun, das nicht nur dem Modell, sondern auch  –  und James Joyce, 1929, Radierung auf Papier, vielleicht in größerem Maße  –  der Frage gewidmet 20,7 × 16,5 cm, Frontispiz aus James Joyce: Tales Told of Shem and Shaun, Paris 1929 ist, welche Grenzen der Gattung des Porträts überhaupt noch gezogen sind, wenn die Künstler ohnehin das Vertrauen in das mimetische Erfassen eines Menschen verloren haben. In der zeitgenössischen Kunst sind die Darstellungsmöglichkeiten abstrakter Bildnisse konsequent weiterentwickelt worden. Lässt Arman schon seit Ende der fünfziger Jahre seine Portraits-Robot (»Phantombilder«) durch eine Akkumulation von Gegenständen aus dem Besitz der Porträtierten entstehen, so spielt Tobias Rehberger am Ende des Jahrhunderts durch individuell entworfene und mit den jeweiligen Lieblingsblumen seiner Künstlerfreunde bestückte Porträt-Vasen auf die idealistische Vorstellung des »homo quasi vas« (»der Mensch ist wie ein Gefäß«) an |Abb. 16 – 1 7 |.23 Imi Knoebel wiederum hat in einer bedeutenden Werkserie das Bildnis andeutungsweise auf faciale Proportionsverhältnisse reduziert, wobei der mehrteilige körperliche Bildträger mit seinen Farbflächen zum eigentlichen Individuum wird, und Felix Gonzalez-Torres hat sowohl mit seinen candy spills, in denen sich allein die aequalitas des Gewichts ausgestreuter Bonbons auf das natürliche Vorbild bezieht, als auch mit seinen Schriftporträts, die bedeutende Ereignisse aus dem Leben des Porträtierten notieren, die Grenzen dessen verschoben, was als Porträt verstanden werden will |Abb. 18 – 19 |.24

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16  Arman: Premier portrait-robot d’Yves Klein, 1960, verschiedene Gegenstände, Plexiglas, 76 × 50 × 12 cm, Paris, Privatsammlung

17  Tobias Rehberger: Elizabeth Peyton, 1998, Keramik, Wachs, pinkfarbene Gerbera, H. 52 cm, Ø 15 cm, Stuttgart, Sammlung Landesbank Baden-Württemberg

18  Imi Knoebel: Katharina, 1994, Acryl auf Holz, 50 × 35 × 8 cm, Düsseldorf, Privatsammlung

19  Felix Gonzalez-Torres: »Untitled« (Self-portrait), 1989, Schrift auf Wand, Maße variabel, New York, Sammlung Andrea Rosen

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20  Hu Qingyan: One Breath  –  Portrait of the Rubell Family, 2011, Marmor, 33 × 50 × 36 cm, Miami, Rubell Family Collection

Und auch in der chinesischen Gegenwartskunst begegnen uns in den letzten Jahren nichtfigürliche Formen der Bildniskunst. Westliche Konzeptualisierung und östliche philosophische Traditionen miteinander verbindend, hat beispielsweise Hu Qingyan 2011 ein Porträt der US-amerikanischen Sammlerfamilie Rubell geschaffen, indem er die Mitglieder der Familie bei einem Besuch in seinem Pekinger Atelier darum bat, mit ihrem Atem einen Plastiksack zu füllen, den er verknotete und die auf diese Weise entstandene Form anschließend in weißem Marmor verewigte |Abb. 20 |.25 An die Stelle körperlicher Ähnlichkeit tritt hier die Materialisierung des immateriellen qì, des menschlichen Lebenshauches, wie ihn ein Teil des Werktitels ausweist: Mit je einem Atemzug, 一口气 (yı¯ ko ˇu qì), wird die Begegnung im Atelier festgehalten, die Interaktion des Künstlers mit seinen Sammlern und das Einfangen der energetischen Essenz der in dieser Skulptur memorierten Menschen stiften jenen individuellen Moment eines persönlichen Austausches, der als porträtwürdiger empfunden wird als die Wiedergabe äußerer Gesichtszüge. Anders als bei herkömmlichen Konterfeis gilt jedoch für all diese Werke, dass sie nur dann als Bildnisse wirksam werden können, wenn sie als solche ausgewiesen sind und die Identität des Nicht-mehr-Dargestellten durch einen entsprechenden Titel anzeigen, der damit zum integralen Bestandteil der Werkfaktur wird. Erreicht wird die unähnliche Ähnlichkeit abstrakter Bildnisse in jenem Augenblick, in dem zwischen Modell und Kunstwerk ein mehr gedankliches als visuelles Beziehungsgeflecht geknüpft wird, das an das Assoziationsvermögen

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21  Marc Quinn: Self 1991 (Detail), 1991, gefrorenes Blut, rostfreier Stahl, Acrylglas, Gefrier­ aggregat, 208 × 63 × 63 cm, Privatsammlung

22  Marc Quinn: Cloned D.N.A. Self Portrait 26.09.01 (2nd perspective), 2001, geklonte DNS, Bakterien auf Nährmedium, rostfreier Stahl, 26,2 × 20,5 × 2,7 cm, Sammlung des Künstlers

des Betrachters appelliert und ihn davon überzeugt, durch die bildnerische Gestaltung einen wie auch immer bestimmten Einblick in das Wesen des Porträtierten zu bekommen. Das abstrakte Bildnis ist selbstverständlich nur eine der möglichen Tendenzen des Porträts innerhalb der Gegenwartskunst, die alle nur denkbaren Annäherungs- und Entfernungsstrategien zwischen Mensch und Bild umfasst: Vom Hyperrealismus in Malerei, Fotografie oder Video bis zur journalistisch-narrativen Beschreibung, von der Röntgenaufnahme bis zur Spurensicherung, von der digital unterstützten Modellierung bis zu indexikalischen Formen porträthafter Repräsentation versuchen unterschiedliche Werklösungen, sich mit den Grundproblemen dieser so widerspruchsvollen Gattung auseinanderzusetzen. Im Werk Marc Quinns treffen die extremen Oppositionen zeitgenössischer Bildnisformen unmittelbar aufeinander. Der britische Künstler hat einerseits mit Self einen  –  alle fünf Jahre wiederholten  –  Abguss des eigenen Kopfes angefertigt, der als Skulptur aus dem gefrorenem Blut des Künstlers präsentiert wird, und zeigt andererseits mit dem Cloned D.N.A. Self Portrait ein wissenschaftliches Präparat seiner Erbinformationen |Abb. 21 – 22 |.26 Durch die naturnahe Form und das Material des eigenen Blutes versucht der Künstler in seinen Köpfen sowohl das Abbild seiner Person als auch die ganz besondere Essenz menschlichen Lebens einzufangen;

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in der zwar sehr konkreten, visuell aber wenig anschaulichen, ja, gestaltlosen Präsentation der eigenen Gene stellt er dementgegen aus, was ihn als Individuum tatsächlich unverwechselbar macht. Quinn nähert sich damit gleichsam von beiden Seiten dem Urkonflikt des Porträts und spiegelt in diesen Werken die gesamte gattungstheoretische Reflexion der Kunstgeschichte über den Problemkreis von Individualität und Identität, von »innerer« und »äußerer« Ähnlichkeit.

Eine Gattung der Differenz Die zentrale Aufgabe eines Porträts besteht also paradoxerweise keineswegs im Hervorbringen von Ähnlichkeit; jedenfalls dann nicht, wenn wir Ähnlichkeit als  –  möglichst weitgehende  –  visuelle Übereinstimmung von Mensch und Bild definieren. Und um die Leistungen eines Porträts zu erkennen, sind wir ebenso wenig auf den Vergleich des Kunstwerks mit dem Dargestellten angewiesen, wie Hans-Georg Gadamer im Hinblick auf figürliche Bildnisse formuliert: »Ein Porträt ist ein Porträt und wird es nicht erst durch die und für die, die in ihm den Porträtierten erkennen.«27 Ein unbezweifelbarer Beleg für diese zunächst so befremdlichen Befunde findet sich in der Tatsache, dass auch solche Darstellungen von Personen, deren tatsächliches Aussehen aus welchen Gründen auch immer unbekannt ist (beispielsweise weil sie vor Erfindung der Fotografie entstanden sind), als Porträts erkannt werden können. Am Porträtcharakter von, sagen wir, Jan van Eycks Mann mit rotem Turban von 1433 (London, National Gallery) oder Leonardos sogenannter Belle Ferronnière von etwa 1495 – 1 499 (Paris, Musée du Louvre) wird trotz vieler ungelöster Forschungsfragen niemand ernsthaft zweifeln wollen. Die Werke der Porträtkunst, und selbst jene, bei denen die Identität des Dargestellten durch keine außerbildlichen Dokumente gesichert ist, werden aber nicht nur als solche identifiziert, wir können sie darüber hinaus in aller Regel ohne weiteres von idealisierten, typisierten Menschendarstellungen unterscheiden. Wie aber kommt diese visuelle Überzeugung des Betrachters zustande? Wie ist die Tatsache zu begründen, dass wir es in diesen und anderen Fällen mit einem bestimmten Menschen zu tun haben? Und welche bildnerischen Strategien sind nötig, um diesen Sachverhalt zu erzielen? Kurz und gut: Was macht das Porträt zum Porträt? Das Porträt ist dann ein Porträt, wenn wir in ihm einer individuell erfassten Persönlichkeit begegnen. Individualität bezieht sich in diesem Zusammenhang also nicht nur auf den einzelnen Menschen als Modell des Porträts, sondern in gleichem Maße auf die unverwechselbare Art und Weise seiner Darstellung. Eine nicht-subjektive, rein maschinelle Wiedergabe der äußeren Gesichtszüge  –  davon überzeugt uns beispielsweise der Blick auf jene Fotografien, die ihren Weg aus den Passbild-Automaten in unsere Ausweise und Führerscheine finden  –  lassen wir ganz zurecht kaum als Bildnis (und keinesfalls als gelungenes Bildnis) gelten. Das Porträt ist daher immer auch selbst ein einzigartiger visueller  –  in abstrakten Bildnissen: intellektueller  –  Organismus, dessen Individualität der Betrachter unwillkürlich auf den in

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ihm evozierten Menschen überträgt.28 Damit aber ist zugleich die austauschbare Identität von Mensch und Bildnis ausgeschlossen, denn eine bloß mimetische Darstellung, so nah sie ihrem Modell auch immer zu kommen scheint, hätte keinen individuellen, sondern lediglich einen mechanischen, so trivialen wie gedankenlosen, ja, letztlich unweigerlich »blinden« Wiedergabemodus aufzuweisen. Darstellungsindividualität ist demnach nur durch ein Abweichen des Porträts vom natürlichen Vorbild zu erreichen: Das Geheimnis dieser für den Künstler  –  wie für den Betrachter  –  schwierigsten aller Bildgattungen liegt also gerade in der Differenz von Mensch und Bild. Um wesensmäßige, nicht aber (nur) visuelle Ähnlichkeit anzustreben, muss der Künstler diese mal größere, mal kleinere Differenz durch jeweils spezifische bildnerische Maßnah­ men ins Porträt tragen, muss der Rezipient sie im Akt des Bildbetrachtens durch Assoziation und Intuition, durch ästhetische und soziale Erfahrungen füllen, die zwar subjektiver, aber keineswegs willkürlicher Natur sind. Zugleich müssen sich beide, Künstler wie Betrachter, letztlich eingestehen, dass es ein vollkommenes Erfassen des Menschen im Porträt nicht ge­ ben kann. Die authentische Erkenntnis der eigenen wie einer fremden Person mag zwar das angestrebte Ziel aller Porträtkunst sein (wie andererseits das Ziel aller lebensweltlichen Auseinandersetzung mit dem Menschen), aber gerade in den Meisterwerken dieser Gattung wird immer auch die Nichtabbildbarkeit des Menschen zum alles entscheidenden Bildthema.29 Die Porträts, die Künstler wie Rembrandt und van Gogh, Picabia und Gonzalez-Torres von ihren Zeitgenossen angefertigt haben, verweisen gerade dadurch erfolgreich auf einen individuellen Menschen, indem sie dem Betrachter unmissverständlich deutlich machen, dass diese Person in der so unverwechselbaren wie unüberschaubaren Fülle und Komplexität ihrer Wesenszüge eben nicht restlos zu erfassen ist. Solche Bildnisse erscheinen uns als gelungen, weil sie unsere Assoziations- und Interpretationsleistung herausfordern, weil sie uns Kunstwerke vor Augen stellen, deren Individualität wir mit den von ihnen hervorgerufenen Vorstellungen über die porträtierte Persönlichkeit verbinden  –  ob das auf diese Weise gewonnene Bildnis dem »wahren« Menschen tatsächlich entspricht, wissen wir nicht.

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1  Die Literatur zur Gattung des Porträts ist unüberschaubar geworden; vgl. die Auswahlbibliographie der älteren Literatur in Andreas Beyer: Das Porträt in der Malerei, München 2002, S. 389 ff. Neben einigen wichtigen künstler- oder werkmonographischen Studien sind in jüngster Zeit auch wichtige systematische Publikationen zum Porträt erschienen; vgl. Porträt ohne Antlitz. Abstrakte Strategien in der Bildniskunst (hrsg. v. Dirk Luckow u. Petra Gördüren), Ausstellungskatalog, Kunsthalle zu Kiel 2004; Ulrich Pfisterer u. Valeska von Rosen (Hrsg.): Der Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 2005; Cynthia Freeland: Portraits and Persons. A Philosophical Inquiry, Oxford 2010; Werner Busch et al. (Hrsg.): Ähnlichkeit und Entstellung. Entgrenzungstendenzen des Porträts, Berlin u. München 2010; Hans Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München 2013; Petra Gördüren: Das Porträt nach dem Porträt. Positionen der Bildniskunst im späten 20. Jahrhundert, Berlin 2013 (Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 24); Marcia Pointon: Portrayal and the Search for Identity, London 2013; Sigrid Weigel (Hrsg.): Gesichter. Kulturgeschichtliche Szenen aus der Arbeit am Bildnis des Menschen, München 2013; Dominic Olariu: La genèse de la représentation ressemblante de l’homme. Reconsidérations du portrait à partir du XIIIe siècle, Bern et al. 2014. 2  Vgl. Heinrich Alfred Schmid: Hans Holbein der Jüngere. Sein Aufstieg zur Meisterschaft und sein englischer Stil, Basel 1945 – 1948, 3 Bde., Textbd. 2, S. 283 ff. 3  Vgl. Martin Kemp: The Science of Art. Optical Themes in Western Art from Brunelleschi to Seurat, New Haven u. London 1990, S. 186 f. 4  Vgl. Smithsonian Displays 3-D Portrait of President Obama, Presseerklärung der Smithsonian Institution, Washington, 2. Dezember 2014; http://newsdesk.si.edu/releases/smithsonian-display3-d-portrait-president-obama. 5  Adam Metallo, verantwortlicher Mitarbeiter des Digitalisierungsprogramms der Smithsonian Institution, in einem offiziellen Video des Weißen Hauses, Washington, 2. Dezember 2014, https:// www.whitehouse.gov/share/watch-first-ever – 3d-print-president. 6  Vgl. Jean-Antoine Houdon. Sculptor of the Enlightenment (hrsg. v. Anne L. Poulet), Ausstellungskatalog, National Gallery of Art, Washington / The J. Paul Getty Museum, Los Angeles / Musée et domaine national du château de Versailles 2003 – 2004, S. 263 ff., Kat.-Nr. 47. 7  Zu diesem Themenkomplex vgl. beispielsweise Julius von Schlosser: Tote Blicke. Geschichte der Porträtbildnerei in Wachs. Ein Versuch (hrsg. v. Thomas Medicus), Berlin 1993 (Acta humaniora. Schriften zur Kunstwissenschaft und Philosophie); Ebenbilder. Kopien von Körpern  –  Modelle des Menschen (hrsg. v. Jan Gerchow), Ausstellungskatalog, Ruhrlandmuseum, Essen 2002; Roberta Panzanelli: Compelling Presence. Wax Effigies in Renaissance Florence, in: dies. (Hrsg.): Ephemeral Bodies. Wax Sculpture and the Human Figure, Los Angeles 2008, S. 13 – 39; Waxing Eloquent. Italian Portraits in Wax (hrsg. v. Andrea Daninos), Ausstellungskatalog, Palazzo Fortuny, Venedig 2012; Marthe Kretschmar: Herrscherbilder aus Wachs. Lebensgroße Porträts politischer Machthaber in der Frühen Neuzeit, Berlin 2014; zur photosculpture vgl. Robert A. Sobieszek: Sculpture as the Sum of Its Profiles. François Willème and Photosculpture in France, 1859 – 1868, in: The Art Bulletin 62/1980, S. 617 – 630. 8  Vgl. Karin Sander. 1:8, Begleitpublikation zu Ausstellungen im Lehmbruck Museum, Duisburg (2008/2013) / K20 Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf (2010 – 2011), Köln 2013. Das Künstlerbuch versammelt die Abbildungen der Bodyscans, der Begriff des »Selbstporträts« findet sich in einem deskriptiven Text, der auf dem Umschlag der Publikation abgedruckt ist. 9  Vgl. Doris Croissant: Der unsterbliche Leib: Ahneneffigies und Reliquienporträt in der Porträtplastik Chinas und Japans, in: Martin Kraatz, Jürg Meyer zur Capellen u. Dietrich Seckel (Hrsg.): Das Bildnis in der Kunst des Orients, Stuttgart 1990 (Abhandlungen für die Kunde des Morgenlandes, Bd. L,1), S.  235 – 268; Michele Matteini: On the »true body« of Huineng. The matter of the miracle, in: RES.

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Anthropology and Aesthetics 55 – 56/2009, S. 42 – 60. Ich danke Julia Orell für den Hinweis auf die Gattung des chinesischen Mumienporträts. 10  Vgl. Erik Bruijn: Een heilige met kiespijn. Observaties bij een boeddhistische mummie uit China, in: Mummies. Overleven na de dood, Ausstellungskatalog, Drents Museum, Assen 2014, S. 104 – 115. 11  Jeremy Bentham: Auto-Icon; or, Farther Uses of the Dead to the Living [1840], in: James E. Crimmins (Hrsg.): Bentham’s Auto-Icon and Related Writings, Bristol 2002, S. 2; vgl. C. F. A. Marmoy: The »AutoIcon« of Jeremy Bentham at University College, in: Medical History 2/1958, S. 77 – 86; Ruth Richardson u. Brian Hurwitz: Jeremy Bantham’s self image: an exemplary bequest for dissection, in: British Medical Journal 295/1987, S. 195 – 198; David Bindman: The Skeleton in the Cupboard: Jeremy Bentham’s »AutoIcon«, in: The Old Radical. Representations of Jeremy Bentham (hrsg. v. Catherine Fuller), Ausstellungskatalog, University College, London 1998; S. 9 – 15; vgl. ibid., S. 51 f., Kat.-Nr. 31; Cathleen Chaffee: »Ist nicht Gleichheit der Ähnlichkeit vorzuziehen?«. Jeremy Benthams Auto-Ikone, in: Ebenbilder 2002, S. 125 – 130. 12  Zur Funeraleffigies sowie zum Verhältnis von Einbalsamierung und Porträt seit dem Mittelalter vgl. Kristin Marek: Die Körper des Königs. Effigies, Bildpolitik und Heiligkeit, München 2009, S. 29 ff.; Olariu 2014, S. 81 ff. 13  Vgl. Rollenbilder  –  Rollenspiele (hrsg. v. Toni Stooss u. Esther Ruelfs), Ausstellungskatalog, Museum der Moderne, Salzburg 2011, S. 114 f. 14  Francis Wey: Théorie du portrait, in: La Lumière 1/1851, S. 46 – 47 u. S. 50 – 5 1, S. 46. 15  Ibid., S. 46. 16  Vgl. Uwe Fleckner: Abbild und Abstraktion. Die Kunst des Porträts im Werk von Jean-AugusteDominique Ingres, Mainz 1995 (Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 5). 17  Vgl. Bernadette Collenberg-Plotnikov: Klassizismus und Karikatur. Eine Konstellation der Kunst am Beginn der Moderne, Berlin 1998. 18  Vgl. Fleckner 1995, S. 254 ff. 19  Zu Goyas Porträts vgl. Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahr­ hundert und die Geburt der Moderne, München 1993, S. 448 ff.; John J. Ciofalo: The Self-Portraits of Francisco Goya, Cambridge 2001; Werner Hofmann: Goya. Vom Himmel durch die Welt zur Hölle, München 2003, S. 261 ff.; Wolfram Pichler u. Ralph Ubl: Aus dem Porträt gefallen  –  Goyas unlesbare Gesichter, in: Goya. Prophet der Moderne (hrsg. v. Peter-Klaus Schuster, Wilfried Seipel u. Manuela B. Mena Marquéz), Ausstellungskatalog, Alte Nationalgalerie, Berlin / Kunsthistorisches Museum, Wien 2005 – 2006, S. 51 – 59. 20  Zu den Selbstbildnissen Helene Schjerfbecks vgl. den Beitrag von Annika Landmann im vorliegenden Band, S. 411 ff. 21  Vgl. Petra Gördüren: Gesichter, gesichtslos. Theorie und Geschichte des Porträts jenseits der Mimesis, in: Porträt ohne Antlitz 2004, S. 8 – 19. 22  Vgl. Uwe Fleckner: Das hermetische Porträt. Gesichtslose Bildnisse im Werk von Constantin Brancusi und Francis Picabia, in: Porträt ohne Antlitz 2004, S. 20 – 28; wiederabgedruckt in ders.: Der Künstler als Seismograph. Zur Gegenwart der Kunst und zur Kunst der Gegenwart, Hamburg 2012 (Fundus, Bd. 198), S. 15 – 53; zu Picabias »Maschinenporträts« vgl. auch den Beitrag von Ashley Lazevnick im vorliegenden Band, S. 311 ff.

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23  Zu den Porträts von Arman und Rehberger vgl. Petra Gördüren: Indizien eines gelebten Lebens. Die »Portraits-robot« von Arman fahnden nach dem Individuum, in: Porträt ohne Antlitz 2004, S. 84 – 85; Dörte Zbikowski: Verblümt. Tobias Rehbergers Blumen-Vasen-Porträts, ibid., S. 98 – 99. 24  Zu den Porträts von Knoebel und Gonzalez-Torres vgl. Gördüren 2013, S. 165 ff. u. S. 203 ff.; vgl. auch Petra Gördüren: Das Bildnis sieht sich ähnlich. Abstrakte Porträts im Werk von Imi Knoebel, in: Busch et al. 2010, S. 181 – 194; dies.: Felix Gonzalez-Torres. »Untitled«, 1989, in: Pfisterer u. von Rosen 2005, S. 184 – 185. 25  Vgl. 28 Chinese. 中华廿八人, Ausstellungskatalog, Rubell Family Collection/Contemporary Arts Foundation, Miami 2013 – 2014, S. 56 ff. 26  Vgl. Monika Wagner: Marc Quinn. Self, 1991, in: Pfisterer u. von Rosen 2005, S. 186 – 187; Gördüren 2013, S. 39 ff. 27  Hans-Georg Gadamer: Wahrheit und Methode. Grundzüge einer philosophischen Hermeneutik, Tübingen 1960, S. 139. 28  Vgl. Georg Simmel: Ästhetik des Porträts [1905], in: ders.: Aufsätze und Abhandlungen 1901 – 1908 (hrsg. v. Rüdiger Kramme, Angela Rammstedt u. Otthein Rammstedt), Frankfurt am Main 1995 (Gesamtausgabe, Bd. 7), S. 321 – 332; ders.: Das Problem des Porträts [1918], in: ders.: Aufsätze und Abhandlungen 1909 – 1918 (hrsg. v. Klaus Latzel), Frankfurt am Main 2000 (Gesamtausgabe, Bd. 13), S. 370 – 381. 29  Vgl. Max Imdahl: Relationen zwischen Porträt und Individuum, in: Manfred Frank u. Anselm Haverkamp (Hrsg.): Individualität, München 1988 (Poetik und Hermeneutik, Bd. 13), S. 587 – 598.

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DAS INDIVIDUUM IM BLICK

DIE PORTRÄTS ARENT DE GELDERS Ein paradoxaler Umgang mit der Tradition YA N N I S H A DJ I N I COL AOU

Spontaneität versus Einheitlichkeit Die Bildnisse des Ehepaares van der Burgh und van Blijenburgh sind mit der gekratzten Signatur Arent de Gelders versehen, mit der er, buchstäblich und metaphorisch, seine künstlerische Identität beglaubigt: Der Künstlername ist mit der Griffelspitze des Pinsels in die nasse Farbe eingeschrieben. Beide Bilder sind auf 1702 datiert und von gleichem Format |Abb. 1 – 2|. Die halbfigurigen Porträts sind jeweils oben rechts respektive links mit Wappen versehen und nehmen so in der klassischen Weise von Ehepaarbildnissen aufeinander Bezug: Der Mann erscheint links, damit befindet er sich genealogisch gesehen auf der wichtigeren, vom Bild aus gesehen rechten Seite seiner Frau, die ihm zugewandt ist.1 Johan van der Burgh trägt eine Perücke und fixiert mit seinem Blick den Betrachter, während er seine geschlossene linke Hand auf eine Tischfläche stützt. Die Rechte stemmt er im schattierten Bereich seines Bauches in die Seite. Sein Gesicht wird beleuchtet, wobei der untere Teil im Schatten liegt. Charlotte Elisabeth van Blijenburgh blickt den Betrachter an. Sie lässt ihre rechte Hand auf einer Balustrade ruhen und hält mit der linken einen grauen Schal vor der Brust zusammen. Zu ihrer linken Seite ist ein brauner Stoff erkennbar, der farbig im Einklang mit ihrem braun-rötlichen Gewand steht. Die linke Schulter ist durch den Lichteinfall und ihre Position im Raum hervorgehoben, wobei die rechte, wie bei ihrem Mann  –  nur in entgegengesetzter Richtung  –  anatomisch nicht korrekt wiedergegeben ist und mit dem Hintergrund

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1  Arent de Gelder: Porträt des Johan van der Burgh, 1702, Öl auf Leinwand, 68 × 59 cm, Dordrecht, Museum Mr. Simon van Gijn

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2  Arent de Gelder: Porträt der Charlotte Elisabeth van Blijenburgh, 1702, Öl auf Leinwand, 68 × 59 cm, Dordrecht, Museum Mr. Simon van Gijn

Die P o rtr äts Aren t de G elders

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verschmilzt. Die linke Schulter formt sich durch einen pastosen Farbauftrag  –  ein dunkles senfgelbes Kolorit, das eher für eine Palette des 18. Jahrhunderts spricht  – , der am Ende des Werkprozesses stattgefunden haben mag. Dadurch entsteht ein warmer farbiger Kontrast. Ihre Halskette sowie der Ohrring werden durch weiße Punkte markiert und können als Ganzes erst mit Abstand vom Betrachter richtig erfasst werden. Der Ring an ihrer rechten Hand, der aus gekratzten Linien besteht, ist ebenfalls erst in gewissem Abstand vom Bild als solcher erkennbar. Im Bereich des Daumens ist die Farbe möglicherweise mit den Fingern aufgetragen worden. Andere Partien sind dünn gemalt und die Grundfarbe wird darunter sichtbar, zum Beispiel im Bereich des Schals auf dem linken Arm. Die Malweise weist viele Schattierungen auf, wie zum Beispiel innerhalb der gesamten rechten Hälfte des Körpers. Bei Betrachtung des lockig gemalten Haares und der dunklen, faltigen Haut kann von einer Idealisierung der weiblichen Figur nicht die Rede sein. Die Frau offenbart durch ihren Gesichtsausdruck einen starken und entschlossenen Charakter. Beide Porträts haben eine ähnliche formale Erscheinung, jedoch finden sich im Bildnis der Frau weniger sichtbare Pinselstriche als im Porträt des Mannes, in welchem mehr Kratzer festzustellen sind. Ein zu den beiden Bildern aus Dordrecht zeitnah entstandenes Porträt aus der Eremitage wurde als Selbstporträt des Malers, aber auch als Bildnis des Sammlers und Freundes de Gelders Jacob Moelaert gedeutet |Abb. 3|.2 Mit verklebtem, langem Haar und den Anzeichen eines sprießenden Bartes macht der Dargestellte einen ungepflegten Eindruck. Er hält ein Blatt mit einer Radierung in den Händen, lehnt sich an einen mit kostbarem Teppich bedeckten Tisch, der die typischen de Gelderschen Muster aufweist, und wendet sich dem Betrachter zu. Sein Mund ist leicht geöffnet, so als spräche er den Betrachter direkt an: »Schau mal, was ich für eine Radierung habe!« Zugleich lässt sich auf seinem Gesichtsausdruck leichte Überraschung ablesen. Das Gesicht ist zur Hälfte schattiert. Der auf dem Tisch liegende Hut scheint fast aus der Leinwand herauszuragen. Die Krempe ist womöglich viel zu breit, doch fügt sie sich durch ihre bildfüllende Größe gut in die Komposition ein. Von der Schulter des Mannes fällt ein mit Knöpfen besetzter olivgrüner Mantel herab. Der Kopf wendet sich über die Schulter, während sein Körper im strengen statuarischen Profil verharrt, was durch die Andeutung der weißen Spitze an der Brust unterstrichen wird. Der Mantel weist einen üppigen Faltenwurf auf, welcher eine skulpturale Präsenz vermittelt und darin im Einklang mit dem Stich steht. Der Schatten des Mannes fällt auf den Tisch, die linke Hand bleibt vollkommen im Dunkeln. Anatomische Genauigkeit war offensichtlich kein verpflichtendes Ziel für den Maler, wie an der linken Hand erkennbar ist. Bei näherer Betrachtung stellt sich der abgebildete Stich als Rembrandts berühmtes Hundertguldenblatt heraus. Die Stellung und Komposition erinnern an Rembrandt und seine Porträts sowie Selbstporträts der dreißiger und vierziger Jahre, wobei der Rembrandtstich auf das Jahr 1649 datiert wird. Gleichzeitig ist die farbige Signatur de Gelders unverwechselbar. So wird innerbildlich zwar auf verschiedene formale Eigenschaften Rembrandts verwiesen, das Bekenntnis zum Meister und damit zur Chiaroscuro-Malerei ist markiert, jedoch keines-

28   Hadj in icolaou

3  Arent de Gelder: Porträt eines Mannes, um 1700–1705, Öl auf Leinwand, 80,3 × 65,5 cm, Sankt Petersburg, Eremitage

falls in blinder Verehrung, sondern als selbstverständliche Fortsetzung der Tradition der Hell-Dunkel-Malerei. Die Bilder des Ehepaares van der Burgh und van Blijenburgh sowie des Mannes aus der Eremitage unterscheiden sich trotz ihrer zeitlichen Nähe deutlich voneinander, obwohl deren Urheberschaft unbestreitbar ist. Die vorherrschende Farbe im Porträt der Eremitage ist olivgrün, der Farbauftrag einheitlicher und gedämpfter im Vergleich zu den Ehepaarbildern, was letztlich auch von den wenigen sichtbar aufgetragenen Pinselstrichen bekundet wird. Während Teile der Bildnisse des Ehepaares aus gekratzten Linien bestehen, wird beim Porträt des Mannes weitgehend auf das Kratzen verzichtet.3 Dort sind im Bereich der Schulter leicht sichtbare Pinselstriche erkennbar, jedoch sparsam dosiert und um der Farbigkeitskont-

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raste willen aufgetragen. Der Hut weist eine gelbe Farbigkeit aus recht kontrollierten Pinselstrichen auf. Der Hauptunterschied könnte zunächst mit den Stichworten »Spontaneität« (Dordrecht) versus »Einheitlichkeit« (Sankt Petersburg) beschrieben werden.

Anti-akademische Ironie Wie ist diese Vielfalt des künstlerischen Ausdrucks zu erklären? Unter welchen Bedingungen ist sie entstanden, und welche Faktoren haben dazu beigetragen? In der niederländischen Kunstpraxis des 17. Jahrhunderts wurde die Ausführung von Porträts als lukrative Tätigkeit angesehen. Rembrandt malte die meisten seiner Bildnisse in den Jahren 1631 – 1635 mit der Absicht, einen Auftraggeberkreis aufzubauen. Sobald er aber finanziell unabhängig war, fertigte er in der »Akademie« Hendrick van Uylenburghs keine Porträts mehr an.4 Und Nicolaes Maes verließ Dordrecht, weil die Stadt zwar, wie der Maler Arnold Boonen sagte, »einen fruchtbaren Boden habe, um Künstler hervorzubringen, aber keinen um sie dauerhaft zu ernähren«.5 Als Maes 1673, also nach dem Tode des Bildnismalers Bartholomeus van der Helst, nach Amsterdam übersiedelte, wo ein Mangel an Porträtisten bestand, widmete er sich vorwiegend der Porträtmalerei.6 Er malte ursprünglich im Stil Rembrandts, stand aber ab 1660 unter dem Einfluss der »Mode« van Dycks. Um 1670 gab er seine Rembrandt-Manier zugunsten einer idealisierenden Malauffassung auf, wie Houbraken auf anekdotische Weise erzählt.7 Von einer vorwiegend »dunklen« Malweise verwandelte Maes seine Pinselführung beziehungsweise Farbigkeit in eine »hellere« Faktur, an der, wie Houbraken erwähnt, vor allem Frauen Gefallen fanden, und verschaffte sich somit viele Porträtaufträge. Vom »Naturalisten« wurde er zum »Idealisten« und markierte so auf mustergültige Weise den neuen gesellschaftlichen Umschwung der Niederlande und die entsprechende Neuformierung des Geschmacks.8 Innerhalb der Kunsttheorie wurde im 17. Jahrhundert das geringe Prestige der Gattung Porträt besonders hervorgehoben. Ihr wurde in den Abhandlungen generell wenig Raum konzediert, die Begriffe »Geldverdienst« und »Ähnlichkeit« stehen bei Karel van Mander, Samuel van Hoogstraten und Gerard de Lairesse mit dem Porträt in Verbindung. Unter »Ähnlichkeit« wurde die Fähigkeit des Künstlers verstanden, die physischen und psychischen Merkmale des Porträtierten so wirklichkeitsnah wie möglich wiederzugeben, was von der klassizistischen Kunsttheorie als kunstlose Naturnachahmung abqualifiziert wurde. So war das Porträt der Gattung der Historienmalerei untergeordnet, weil es das Ingenium des Künstlers nicht besonders herausforderte. Die Verbindung von Porträtmalerei und Geldverdienst wird auf dem Perspektivkasten van Hoogstratens  –  des ersten Lehrers de Gelders, bevor dieser zu Rembrandt ging  –  in der Londoner National Gallery malerisch kommentiert |Abb. 4|. Auf den drei Seiten des Kastens ist jeweils ein Putto mit entsprechender Schriftrolle zu erkennen, auf der die Worte »lucri causa«, »gloria causa« und »amori causa« zu lesen sind, womit auf die drei Gründe für die Aus-

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4  Samuel van Hoogstraten: Perspektivkasten (Ausschnitt mit »lucri causa«), um 1660, Holz, 58 × 88 × 64 cm, London, National Gallery

übung der noblen Kunst der Malerei verwiesen wird. Es ist kein Zufall, dass das Bild mit dem Schriftzug »lucri causa« (um des Verdienstes willen) einen gekrönten Putto mit Stab zeigt, der mit seiner linken Hand einen großen Sack hält, der mit kleineren Geldbeuteln gefüllt ist, aus denen er teilweise schon Münzen aus dem Wolkengebilde nach unten fallen lässt. Gleichzeitig ist im Hintergrund ein Künstler, der die Züge van Hoogstratens trägt, wie sie aus Selbstporträts bekannt sind, im Begriff, das Bildnis einer Frau auszuführen. Das Porträtieren wird mit wirtschaftlichem Verdienst in Verbindung gebracht, die »lucri causa« als der niedrigste Grund für die Ausübung der Malertätigkeit dargestellt. Wie lässt sich die Beziehung de Gelders zum Porträt charakterisieren? Primär ist festzustellen, dass sich die Porträtmalerei des Dordrechters als ein Paradoxon offenbart. Er hatte es als respektabler, wohlhabender Bürger sicherlich nicht nötig Bildnisse »lucri causa« zu produzieren. Trotzdem besteht sein Œuvre zu etwa zwanzig Prozent aus Porträts. Weyerman übertreibt sicherlich, wenn er erwähnt, dass de Gelder Hunderte von Bildnissen schuf.9 Dennoch ist es von Belang, dass er de Gelder für einen äußerst produktiven Porträtmaler hielt. Warum aber malt ein vermögender Künstler Bildnisse? Einerseits verbergen sich soziale Gründe dahinter  –  die später erläutert werden  – , andererseits gibt es einen kunstimmanenten Grund: Die Untersuchung des Frankfurter Selbstbildnisses des Künstlers von 1685 erlaubt, seine Be-

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5  Arent de Gelder: Selbstbildnis als Zeuxis, 1685, Öl auf Leinwand, 144 × 169 cm, Frankfurt am Main, Städelsches Kunstinstitut

ziehung zur Gattung des Porträts zu entschlüsseln, beziehungsweise es als eine Antwort auf die Praxis und Theorie der Malerei zu begreifen. Im geräumigen Inneren eines Ateliers sind im Vordergrund zwei Gestalten zu erkennen |Abb. 5|. Zum einen eine männliche Figur, bei der es sich um einen Maler mit seinen Werkzeugen handelt. Er ist im Begriff das Bildnis einer Frau anzufertigen und wendet sich dem Betrachter mit einem breiten Grinsen zu, das seine Zähne ansatzweise sichtbar werden lässt. Zum anderen ist eine betagte Dame zu sehen, die vornehm sitzend mit einer Orange in der Hand posiert und weitgehend im Profil in Richtung des Malers schaut, der ebenfalls eine Sitzhaltung eingenommen hat, jedoch jeden Moment aufstehen könnte. Darauf deutet die Kordel seines Gewandes hin, die wie vom Wind bewegt nach links weht. Abgesehen vom Maler scheint auch die porträtierte Dame auf der Leinwand als Bild im Bild den Betrachter anzublicken. Ihr Gesicht erscheint im Gemälde noch dunkler als beim Modell selbst. Im

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Gemälde erscheint sie mit ernsterem Ausdruck, und es ist fraglich, ob sie eine Frucht in der Hand hält. Hinter der Staffelei steht ein weiteres Bildnis, was den Künstler als produktiven Porträtmaler ausweist.10 Das signierte und datierte Bild Arent de Gelders wird von der Forschung einstimmig als Selbstbildnis als Zeuxis betrachtet; es gab außerdem den Anstoß zur Identifizierung von Rembrandts entsprechendem Selbstbildnis von etwa 1663 (Köln, Wallraf-Richartz-Museum und Fondation Corboud).11 Auf einem durch ein Stück Kreide beschmierten Tisch befinden sich diverse Farbt­öpfe sowie weitere Malutensilien.12 Doch der Künstler weist lediglich auf die Farbe hin.13 Es ist vorstellbar, dass es sich um eine Referenz auf das Malen mit den Fingern handelt (das fingere, formieren). Dies stellt seine eigene soziale Position in Frage. Das Bild gleicht einer Prinzipienerklärung: Attribute eines »humanistischen Künstlers« werden vergeblich gesucht.14 Interessanterweise ist auch das traditionelle Symbol für die abstrakt-theoretischen Aspekte der Kunst präsent, nämlich der Stech-Zirkel. Den Figuren fehlt anatomische Korrektheit im Sinne der klassischen Regeln. Der Zirkel ist an die Tischkante verbannt und findet keine Verwendung. Vielmehr geht es um den Vorzug der Farbe, worauf der Künstler aktiv hinweist. Nebst seiner Palette hält der Maler mehrere Pinsel und einen Malstock in seiner Linken, wovon einige in Richtung des Gemäldes im Bild weisen oder gar dessen Oberfläche zu berühren scheinen. Das Bild im Bild, das gerade jetzt vor unseren Augen entsteht, unterstreicht das prozessuale Werden der Form, eine zentrale Eigenschaft der de Gelderischen Praxis. Im Einklang mit der Palette de Gelders bestimmt die Szenerie ein rötlich-dunkel-angemischtes Kolorit, deren Farbenreihe nach dem Helldunkelwert angeordnet ist.15 Es ist bezeichnend, dass auch dort die erdigen Farben dominieren, denn dies ist das Charakteristikum der Rembrandtisten und dient als Unterscheidungsmerkmal zu den Klassizisten und ihrer regenbogenartigen Farbanordnung.16 Das Bekenntnis de Gelders zur anti-idealistischen Hell-Dunkel-Tradition hervorzuheben, ist, wie Albert Blankert gezeigt hat, wichtiger als lediglich sein Bekenntnis zu Rem­ brandt und zwar, weil es in einem größeren Zusammenhang steht. De Gelder steht für das »Malerische«. Im Frankfurter Bild weist er auf die Farbe hin und eben nicht auf den ohnehin unbenutzten Zirkel, das »Lineare« im Gemälde.17 Der Malerkittel de Gelders ist mit Farbe bespritzt, die wie Spuren seines Denkens auf der Leinwand verbleibt. Dies erscheint wie ein visuelles Argument bezüglich der Kritik Baldinuccis, die 1686 (ein Jahr davor entstand das Selbstbildnis als Zeuxis) nach einem Bericht von Bernhard Keil veröffentlicht worden ist und Rembrandt (»una faccia brutta e plebea«) als einen Bauern stilisiert, der die Gewohnheit hatte, sich während des Malens die Farbe von seinen Händen am Malerkittel abzuwischen. Dieser Habitus steht einem freien, »edlen« Künstler, nach Meinung Baldinuccis, nicht zu, sondern gehört eher dem Milieu eines Handwerkers an, wird also sozial niedriger konnotiert. Die Palette wird im Bild buchstäblich und metaphorisch zum Körper des Künstlers transformiert. Auch die Kleider des Malers und der Frau nehmen mit ihrer altmodischen Erscheinung Bezug auf die Malweise, die von den Zeitgenossen als »überholt« betrachtet wurde. Wie das Modell wird auch der Maler in keiner Weise idealisiert. Bekanntlich nahm de Gelder die Scherze über sein Schielen mit Gelassenheit und Humor an.18 Er trägt ein Künstlergewand

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aus dem 16. Jahrhundert, wodurch seine »altmodische« Malweise unterstrichen wird.19 Der Maler tritt somit in einen Dialog mit der Kleidung Rembrandts in seinen Selbstporträts. Ironisch ist das Motiv der Orange, die ein beliebtes Objekt im Œuvre des Künstlers ist und eher an femmes fatales, wie im Bild Vertumnus und Pomona, denken lässt. Die Orange steht häufig für Fruchtbarkeit und ist zumeist mit jungen weiblichen Schönheiten verbunden, was hier anhand der Zeuxis-Anekdote nochmals sarkastisch aufgegriffen wird. Wenn die Frucht ein Apfel ist, dann spielt die Dimension der Verführung eine Rolle sowie die Erinnerung an das Parisurteil. Die Hauptbotschaft wird dadurch jedoch nicht berührt.20 De Gelder verwendet für seinen ironischen Kommentar genrehafte Züge  –  dafür steht sein Grinsen sowie die ganze Ateliersituation  – , was in einer reinen Porträtmalerei nicht möglich wäre.21 Das Porträtieren wird hier mit Elementen eines Genre- und Historienbildes vermischt. Dadurch wird ihm ein spielerischer Charakter verliehen. Somit wird der Inhalt des Bildes zu einem Kommentar über die Praxis der Malerei überhaupt erhoben. Das Selbstbildnis als Zeuxis stellt eine Inszenierung der Chiaroscuro-Malerei dar und ist gleichzeitig ein ironischer Kommentar zu den Ausführungen van Hoogstratens über Rem­ brandt und Tizian sowie eine Vorwegnahme der viel schärferen, späteren Kritik von de Lairesse. Aber gerade in der Ironisierung liegt das Bekenntnis zum antiakademischen Stil. Ein weiteres Prinzip, welches hier durch das Bild angesprochen wird, ist dasjenige der Ähnlichkeit und der Naturtreue, die einen Kritikpunkt an Rembrandt darstellten, der schon im Jahre 1685 diskutiert wurde. Dies spiegelt sich, abgesehen von der Figur des Malers selbst, in der vermeintlichen Naturtreue des Porträts wider. Das »Bild im Bild« zeigt die Frau so unansehnlich wie sie in Wirklichkeit ausgesehen haben mag. Die leichte Schrägsicht wirkt verlebendigend. Durch die Lichtinszenierung wird ihre ledrige Haut besonders hervorgehoben und steht so in diametralem Gegensatz zum in dieser Zeit in Amsterdam üblicherweise hell gemalten Inkarnat der idealisierten Damen von Nicolaes Maes. Das fast vollendete Bildnis auf der Leinwand weist typische Kompositionsformen der Porträts de Gelders auf, nämlich die Betonung der einen gegenüber der anderen Körperseite mit der Hervorhebung der entsprechenden Schulter sowie der bildparallelen Haltung des Unterarmes. Wenn der Künstler Zeuxis darstellt, geht es nicht um eine »geschichtliche«, sondern um eine »zeitgenössische« Verkleidung, ein Rollenspiel, das mit Klischees dieser Figur spielt und de Gelder so Gelegenheit für einen Kommentar zur Kunst der Malerei bot. Zeuxis gilt in den Quellen als Affektmaler. De Gelder inszeniert sich in einer Interaktion zwischen Einfühlung und Distanz als ein solcher Maler von Affekten. Die Darstellung pendelt zwischen dem tödlichen Lachen des Zeuxis und dem Lachen über das Lachen von de Gelder als Zeuxis beziehungsweise des Betrachters über den Maler. Zeuxis wurde als bloßer Naturnachahmer charakterisiert, wie auch de Gelder neben Rembrandt in der klassizistischen Kritik aufgefasst wurde.22 Das Selbstbildnis als Zeuxis ist ein experimentelles Spiel mit der Porträtmalerei. Es stellt das Prinzip der Ähnlichkeit in Frage und somit den Bruch mit bestimmten Normen des Porträtierens. Das Selbstbildnis eröffnet aber noch eine weitere, abstraktere Dimension: Es ist ein bestimmter Habitus des Malens,

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der anhand des Gemäldes offenbart wird und nicht nur de Gelder sondern auch andere Rembrandtisten beschäftigt hat.

Bildnisse eines sozialen Organismus Wieso ist die soziale und ökonomische Situation einer Provinzstadt Hollands von Belang, um sich dem Problem des Porträtierens anzunähern? Im Bereich der Geschichtsforschung gibt es seit den siebziger Jahren den Versuch, die Mikrostrukturen einer Gesellschaft (zum Beispiel anhand der Lokalgeschichte) zu erfassen, um zu Makrostrukturen und allgemeinen Schlussfolgerungen gelangen zu können. Dies wird vor allem mit dem Namen Carlo Ginzburg und dem Begriff der microstoria verbunden.23 Die Methode hat ein sehr starkes Echo in den Geschichtswissenschaften hervorgerufen.24 In der Sozialgeschichte der Kunst spielen derartige Versuche, die sozialen Bedingungen und Strukturen einer Stadt zu erfassen, um das Verständnis der künstlerischen Produktion zu erhöhen, seit geraumer Zeit eine wichtige Rolle.25 John Michael Montias hat im Bereich der niederländischen Kunst mit seinem Buch über Delft die sozioökonomische Situation in ausführlichen Forschungen in den städtischen Archiven untersucht, ohne jedoch das Problem des Stils beziehungsweise der Form in Verbindung mit der ökonomischen oder sozialen Situation zu bringen.26 Der Untersuchung von Montias folgten zahlreiche Studien im Bereich der niederländischen Malerei und zwar zu einer Zeit, als die Sozialgeschichte der Kunst in eine Krise geraten war. Sicherlich ist eine solche Frage nicht einfach zu beantworten. Im Falle de Gelders könnte der Blick auf die Stadt, in der er fast sein gesamtes Leben verbracht hat, abgesehen von den zwei Jahren in Amsterdam bei Rembrandt, gewinnbringend sein. Die historischen Bedingungen im sozialen und ökonomischen Milieu Dordrechts, und die entsprechende Betrachtung der Position des Malers und seiner Auftraggeber bieten die Möglichkeit, die Basis zu untersuchen, auf der sich die Polyfokalität der künstlerischen Mittel entfalten konnte. Dordrecht war seit dem 13. Jahrhundert ein sehr wichtiges ökonomisches Zentrum. Dank seines Hafens, welcher an der Mündung der Flüsse Maas, Merwe und Waal liegt, erblühten unter anderem der Weinhandel, der Holzhandel und der Fischfang.27 Wegen der Expansion Amsterdams sowie der Übernahme des Haupthafens durch Rotterdam erlebte die Stadt, vor allem seit etwa 1620, einen ökonomischen Niedergang, der im 18. Jahrhundert seinen Tiefpunkt erreichte. Da die Stadt als älteste der nördlichen Niederlande sowohl das Recht auf eine Münzanstalt als auch auf die Wahl des Raadspensionaris (Staatssekretär von Holland und Zeeland) besaß, war die Bevölkerung von einer lokalpatriotischen Gesinnung und einer »Inselmentalität« geprägt. Dordrecht blieb jedoch eine Provinzstadt ohne den kosmopolitischen Charakter Amsterdams, Rotterdams oder Den Haags je erreicht zu haben. Der eher provinzielle Charakter zeigte sich auch am Festhalten an der Gildenorganisation, welche maßgeblich blieb und eine besondere politische Rolle spielte, zum Beispiel bei der Ernennung des Rates der Acht.28 Es ist bezeichnend, dass die Dordrechter Regentenklasse nicht spekulierte, sondern

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von ihrem alten Kapital lebte, was eine vorsichtigere Investitionspolitik mit sich brachte.29 Wollten die Maler mehr Geld verdienen, mussten sie in die größeren Finanzzentren der Niederlande gehen, zum Beispiel nach Amsterdam, wie es Maes getan hatte. Der Einfluss der Dordrechter Kunst beschränkte sich auf den lokalen Bereich, wobei dies nicht im Sinne einer lokalen Schule gemeint ist. Ein Charakteristikum jener Malerei war die Fixierung der Dordrechter Maler auf Rembrandt, was die holländische Kunst überhaupt kennzeichnet und bisher unterschiedlich interpretiert wurde.30 Bedeutende Künstler Dordrechts wie Ferdinand Bol, Samuel van Hoogstraten, de Gelder oder Maes, Jacobus Leveck oder Benjamin Cuyp folgten der Manier Rembrandts.31 Aus welchem Grund griffen sie mit unterschiedlichen Ausprägungen dessen Mal-Ideologie auf? Könnte dies durch eine lokale Vor­liebe für die Tradition erklärt werden, in der Rembrandt stand? Lag es daran, dass die Dordrechter als traditionsbewusste Holländer Rembrandt als denjenigen Künstler ansahen, der den entsprechenden Idealen am besten malerisch Ausdruck verlieh und den »mittleren Weg« der bürgerlichen Kunst verkörperte, wie de Lairesse sagen würde? Zugleich muss betont werden, dass es gewiss eine andere Entscheidung war, sich an einem Rembrandt der vierziger Jahre zu orientieren als an einem Rembrandt der sechziger Jahre. Ersteres hatte mit dem Erfolg Rem­ brandts in dieser Zeit zu tun, wovon auch Houbrakens Erzählung über Govert Flinck handelt. In den sechziger Jahren war dies nicht mehr der Fall, sondern eher eine prinzipielle Entscheidung, wie das Beispiel de Gelders zeigt. Der Tod des Porträtisten Leveck, der ab 1660 eine starke Affinität zum flämischen Stil Govaert Flincks entwickelt hatte, sowie der Umzug von Maes nach Amsterdam verschafften de Gelder, der in derselben Bürgerwache war, zusätzliche potentielle Auftraggeber.32 Wenn zwischen 1660 und 1729 der Bestand der Gattung des Porträts in den Sammlungen Dordrechts von 18,7 auf 23 Prozent stieg, so sank die Historienmalerei, beispielsweise im Rahmen alttestamentlicher Themen, von 7,2 auf 3,1 Prozent, wie John Anthony Loughman gezeigt hat.33 Beim Patriziat, dem hauptsächlichen Kundenkreis de Gelders, stieg der Anteil der Gattung des Porträts zwischen 1670 und 1709 sogar auf 27,3 Prozent.34 Die Orientierung an Dordrechter Malern, sogar an verstorbenen Künstlern  –  der erfolgreichste Maler Dordrechts dieser Zeit war Aelbert Cuyp, der 1691 starb  – , offenbart den schon erwähnten Konservatismus und Lokalpatriotismus der Dordrechter Sammler sowie ihre Orientierung an der traditionellen holländischen Kunst, der damaligen »klassischen Moderne«.35 Auch die Inventare bestätigen den traditionell orientierten Geschmack der Sammler.36 Nur von wenigen Sammlern ist bekannt, dass sie Werke de Gelders besaßen. Simon van Vugt, der ein Werk des Künstlers zu seiner Sammlung zählen konnte, besaß unter anderem auch ein Gemälde Gerbrand van den Eeckhouts und bekräftigt damit die vorhandene Vorliebe für die Rembrandtisten in Dordrecht.37 Das Verhältnis de Gelders zu seinen Auftraggebern, bei denen es sich zumeist um Freunde des Künstlers handelte, muss berücksichtigt werden, um seine Sonderstellung zu verdeutlichen und die Hypothese zu stützen, dass die Malerei in seinem Fall eher aus sozialen als aus ökonomischen Gründen entstand. Das gehobene Bürgertum Dordrechts verhielt sich gegenüber den Moden der neureichen Eliten anderer Städte (Klassizismus, Französisierung

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und höfische Tendenzen) zum Teil reserviert.38 So schien es konsequent, Maler wie de Gelder zu unterstützen, die in den Augen der Dordrechter an der Rembrandt-Tradition festhielten beziehungsweise diese fortsetzten. De Gelder war frei von finanziellen Sorgen. Sein Vermögen wurde anhand von Steuern auf 10.000 bis 20.000 Gulden geschätzt. Der als wohlhabend geltende Porträt- und Genremaler Godfried Schalcken verfügte über ein Vermögen, das zwischen 1.000 und 4.000 Gulden anzusiedeln ist, während ein durchschnittliches Künstlerkapital in Dordrecht unter 1.000 Gulden lag.39 De Gelders Vermögen belief sich auf ein zehnfaches des durchschnittlichen Künstlers, und dies spricht für seine Leidenschaft gegenüber der Malerei. Ferdinand Bol hingegen hörte auf zu malen, als er nach seiner zweiten Hochzeit zu Reichtum gelangte. In Quellen taucht de Gelder häufiger als »de Heer« und/oder als Kapitän und seltener als Maler auf. Das bedeutet, dass er Ansehen und Respekt genoss. So erwähnt Houbraken, dass de Gelder mehr Zeit im gesellschaftlichen Leben, in der Kirche und mit Freunden verbrachte, als er der Malerei widmete.40 Dies zeigt die nonchalante Art des Künstlers, stilisiert durch seinen Freund, was gewiss als Folge der ökonomischen Unabhängigkeit zu betrachten ist. Van Hoogstraten wird mit überzeugenden Argumenten von Celeste Brusati als ein Künstler bezeichnet, dem es gelungen sei, vom künstlerischen Milieu in das Dordrechter Patriziat aufzusteigen.41 Ähnliches war bereits dem Vater de Gelders gelungen, der innerhalb der Hierarchie der Westindischen Handelskompanie aufstieg. Viele der bekannten Auftraggeber de Gelders pflegten schon soziale Beziehungen zu seinem Vater beziehungsweise zur Familie, waren Nachbarn oder dienten in derselben Bürgerwehr. Anhand einer auf den Zeitraum zwischen 1640 und 1647 datierten Karte Dordrechts, die mit dem Insigne einer der wichtigsten ökonomischen Motoren der Stadt versehen ist, nämlich dem Wein, auf den Putti verweisen, wird deutlich, dass sich das gesamte Netzwerk de Gelders auf einige der vornehmsten Straßen (Voorstraat, Wijnstraat) des Stadtkerns beschränkte |Abb. 6|. Die These Walter Liedtkes, dass de Gelder allein aus Vergnügen für seine Freunde malte, ist ambivalent.42 Zwar werden mehrere Bilder in seinem Inventar als seine eigenen betrachtet, daraus kann aber nicht geschlossen werden, dass er ausschließlich ein Maler aus Leidenschaft war. Loughman zufolge werden in den Quellen viel mehr Bilder erwähnt als heute bekannt sind.43 Das bedeutet weder, dass de Gelder Kapital benötigte, noch dass er ein Amateur war, der nur aus Zeitvertrieb malte: Er bewegte sich offenbar auf einer Zwischenstufe. Als Künstler konnte er wegen seiner ökonomischen Unabhängigkeit mit seiner Malerei experimentieren, als »Heer« und Kapitän bewegte er sich in einem elitären Dordrechter Kreis, als »Gleicher« gegenüber seinen Freunden und Auftraggebern und stärkte offenbar durch die Kunst seine soziale Beziehungen. Ein sehr einflussreicher Freund de Gelders war der Amateurkünstler und Sammler Jacob Moelaert, der bei Maes gelernt hatte. Er hat de Gelder testamentarisch drei Alben mit Drucken und Zeichnungen hinterlassen, eines davon mit Rembrandt-Zeichnungen, was das gemein­ same Interesse und den Geschmack der beiden Männer bestätigt.44 Die zwei Freunde bewegten sich in einem ähnlichen sozialen Kreis, wie aus Dokumenten deutlich wird.45 Moelaert war der

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6 Anonym: Karte von Dordrecht, um 1645, kolorierter Kupferstich, Dordrecht, Stadsarchief, collectie Dordracum Illustratum

Inbegriff eines Kunstliebhabers: Er besaß eine eindrucksvolle Sammlung sowie eine große Bibliothek mit kunsttheoretischen Schriften. In dieser fanden sich Werke wie das Schilderboek van Manders, jenes von de Lairesse, De Schilder-konst der Oude von Franciscus Junius und die Inleyding tot de hooge schoole der Schilderkonst Samuel van Hoogstratens, ein besonderes Dokument, weil es vom ersten Lehrer de Gelders stammt.46 Nicht nur die Gespräche über Kunst und deren Praxis, sondern auch Moelaerts Sammlung müssen eine wichtige Inspirationsquelle für de Gelder gewesen sein. Außerdem besaß er selbst eine große Bibliothek, wie aus seinem Inventar deutlich wird, welches jedoch den Inhalt der Bibliothek nicht im Detail ausführt.47 Dies machte ihn zu einem erstaunlich belesenen Maler. Und dies steht wiederum im Kontrast zu seinem Selbstbildnis als Zeuxis, in welchem er sich zum Handwerker stilisiert.

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7  Arent de Gelder: Ernst de Beveren, 1685, Öl auf Leinwand, 128 × 105 cm, Amsterdam, Rijksmuseum

Mehrere bekannte Dordrechter Patrizier wurden von de Gelder porträtiert. Das signierte und auf 1685 datierte Porträt Ernst de Beverens zeigt den Dargestellten in einem Innenraum |Abb. 7|. Der aufrecht stehende Mann trägt langes Haar und schaut den Betrachter mit einer Mischung aus Freundlichkeit und Skepsis an. Er gestikuliert mit seiner rechten Hand, die die Grenze zum Betrachter zu durchdringen scheint, während die linke auf dem Tisch ruht. Diese Geste erinnert an die so genannten »sprechenden« Bildnisse Rembrandts. Sein Mund bleibt jedoch geschlossen. Die Falten des Teppichs auf dem Tisch und die haptische Präsenz der Hand machen deutlich, dass das Werk von einem gewissen Abstand aus gesehen werden soll, denn aus der Nähe sind die Hände durch den Teppich weniger erkennbar. De Beveren trägt einen üppigen olivgrünen Mantel, der den dominanten Farbton im Gemälde bildet, und

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darunter eine Tunika.48 Das Licht fällt, wie aus den entsprechenden Schattierungen zu schließen ist, von oben links in den Bildraum. Die Bekleidung, welche sich besonders an den Ärmeln den Regeln der Schwerkraft zu entziehen scheint, wirkt opulent. Die Pinselstriche sind hier zwar ebenfalls zum großen Teil sichtbar, jedoch in einer feineren Art und Weise aufgetragen als beim späten Rembrandt. Das willkürliche Spiel mit den Strichen ist vor allem im Bereich der Kleidung zu finden: Durch die Art und Weise des Farbauftrags entsteht eine Ornamentik, die eine starke Eigenständigkeit des Textils bewirkt. Vor allem an der Tunika sind vertikale, dünne Kratzer in Zick-Zack-Form zu erkennen, die für die Haptik und Materialität des Kleides sorgen. An manchen Stellen des Mantels und der Tunika verwendet de Gelder in einer »pointillistischen« Weise farbige Flecken aus Gelb und Weiß. Sie werden wiederum von den roten und schwarzen Umrisslinien des Mantels betont. Mit schwarzen und gelben Pinselstrichen entstehen scheinbar willkürliche Schattierungen, die mit einem leichten orangefarbenen Ton den Übergang zum Hintergrund markieren. Im Bild geht es um die Negation einer farblichen Symmetrie, was mit der spontanen Verwendung der Farbe in Zusammenhang stehen könnte. De Beveren, Herr von West-Ijsselmonde und Lindt, war ein Spross einer Dordrechter Familie eines alten Adelsgeschlechts, der es später bis zum Bürger- und Postmeister der Stadt brachte.49 Sein aus dem 16. Jahrhundert stammendes Kostüm stimmt nicht mit der Mode der Zeit überein, bekräftigt somit den altmodischen Geschmack der herrschenden Klassen der Stadt und korrespondiert mit der als »überholt« betrachteten Malweise de Gelders. Der Hintergrund weist eine starke Affinität zur so genannten Jüdischen Braut Rembrandts von 1667 (Amsterdam, Rijksmuseum) auf. Die Technik des Kratzens und der sichtbaren wie willkürlich hingeworfen erscheinenden Pinselstriche offenbaren eine Modernität, welche in der Zeit de Gelders wohl eher als »rembrandtesk« beziehungsweise »antikisierend« angesehen wurde. Die Porträts van Blijenburghs und van der Burghs befanden sich in der Ahnengalerie einer der ältesten und vornehmsten Familien Dordrechts, derjenigen der Charlotte Elisabeth van Blijenburgh, Vrouwe van Naaldwijk (siehe Abb. 1 – 2). Ihr Mann Johan van der Burgh war Schöffe und Mitglied des Ältestenrates von Dordrecht.50 Die Ahnengalerie ist um 1650 von einem unbekannten Maler begonnen worden und von weiteren bekannten (wie Adriaen Hanneman) fortgesetzt worden, die auf serielle Weise konservative aber auch idealisierende Port­ räts der Familie anfertigten |Abb. 8|. Hanneman verwendete Schwarz-Weiß-Kontraste und dunkle Kleider und malte zudem vergrößerte Augen. Die Serie wurde fortgeführt bis zum letzten Auftrag, welcher an de Gelder ging, da Charlotte Elisabeth van Blijenburgh die letzte Nachkommin der Familie war.51 Aufschlussreich ist, dass der erste unbekannte Maler der Serie den historischen Stil jeweils eklektisch adaptierte. Wahrscheinlich um die Vorfahren der Familie van Blijenburgh adäquat darzustellen, verweisen die ersten Porträts auf Lucas van Leyden. Die Wappen auf dem Ehepaarbildnis bekräftigen eine überholte beziehungs­weise konservative Porträtnorm.52 Die Erklärung, dass de Gelder den Auftrag erhielt, weil sein »etwas altertümlicher Malstil sich gut an die anderen Arbeiten der Ahnengalerie anschloß«, ist bloß zur Hälfte richtig.53 Die Kleider des Paares entsprechen keiner zeitgenössischen Mode

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8  Adriaen Hanneman (Umkreis): Porträt von Levina de Vrieze, 1653, Öl auf Holz, 69 × 59 cm, Dordrecht, Museum Mr. Simon van Gijn

und wirken somit »altertümlich«, obwohl der Mann einerseits mit seiner Perücke und andererseits dem Gewand aus dem 16. Jahrhundert »moderne« und »alte« Mode trägt. De Gelder, der Rembrandtschüler, distanziert sich, zumindest in Bezug auf das Porträt der Frau  –  sie erinnert eher an Goya  – , vom »Vorbild« seines Lehrers, obwohl seine Bilder in der ChiaroscuroTradition stehen und somit von seinen Zeitgenossen als »rembrandtesk« betrachtet wurden. Es ist in einem gewissen Sinne ein Experiment, das mit den Kategorien zeitgenössisch, historisch, aber auch ahistorisch spielerisch umgeht und einen unmittelbaren Zeitbezug somit obsolet macht. Ein Element des Privaten kennzeichnet viele seiner Porträts. Einige der Bildnisse können, etwa das Porträt eines Mannes (siehe Abb. 3), mit großer Wahrscheinlichkeit für Geschenke gehalten werden, als eine Bekräftigung der sozialen Beziehungen.54 Wie die Selbstbildnisse Rembrandts, in denen ebenfalls eine gestalterische Diversität feststellbar ist, als Studien für

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einen bestimmten Kreis von Kunstliebhabern anzusehen sind, so können auch die Porträts de Gelders als Gegenstand einer ausgeprägten Experimentierlust betrachtet werden.55 Sie markieren im hochrangigen Kreis der Freunde des Malers eine gewisse Exklusivität und bestätigen die soziale Position und ökonomische Unabhängigkeit des Künstlers. De Gelder stellt sich ja selbst als Zeuxis dar. Wie Plinius berichtet, arbeitete Zeuxis zum eigenen Vergnügen und gab seine Werke als Geschenke weiter, weil er sie für unschätzbar hielt.56

»Handeling«: Pinselführung als performativer Akt Jedes Porträt des Künstlers ist als Einzelfall, Ausnahme und unkonventionelles Unterfangen zu bezeichnen. Die Werke stammen von ein- und demselben Maler und dennoch ist ihre formale Diversität offensichtlich. Selbst das einzelne Porträt weist bewusst eingesetzte, unterschiedliche Malmodi auf. Die Handhabung des Pinsels und die damit einhergehende besondere Erscheinung der Farbe können als indirekter Ausdruck der gesellschaftlichen und ökonomischen Stellung des Künstlers in Dordrecht angesehen werden. Der Begriff des »Handeling« scheint ein geeignetes Wort zu sein um dieses Phänomen zu beschreiben. Er steht nicht auf einer Höhe mit dem Stilbegriff, sondern ist als dessen Vorstufe zu betrachten, als Äquivalent des Begriffes Manier. »Handeling« beschreibt einen aktiven Prozess, etwa im Sinne der Bildbehandlung beziehungsweise eines »Formakts« und ist zugleich unmittelbar mit der Hand und ihrer Motorik beim Farbauftrag verbunden: »Handeling« bedeutet im Holländischen zugleich Handlung. So wird die Pinselführung zu einem performativen Akt. Damit kann einerseits die Verbindung des Malers mit der künstlerischen Vergangenheit stärker hervorgehoben, andererseits seine besondere Arbeitsweise unterstrichen werden. De Gelder wollte wie Rembrandt etwas Neues schaffen, ohne zugleich Abstand von ihm zu nehmen; das bei Rembrandt Angelegte sollte nun radikalisiert werden. Der beobachtete »Archaismus« sowie das formale Aufgreifen des späten und weniger erfolgreichen Rembrandt  –  vor allem in den sechziger Jahren  –  mit dem gleichzeitigen Pflegen des motivischen Repertoires des Lehrers aus den dreißiger und vierziger Jahren  –  der erfolgreichsten Zeit des Künstlers  –  beruht auf dem Umstand der bestimmten Nachfrage in Dordrecht. De Gelder aktualisiert Rembrandt, als dieser aus der Mode war, und antwortet auf den modischen Klassizismus mit gleichzeitiger Beibehaltung seines charakteristischen »Handeling«. Er war von dem »altertümlichen« Stil Rembrandts fasziniert: Je »älter« dessen Formensprache war, desto »moderner« erscheint sie heute. Die beobachtete und beschriebene künstlerische Variabilität von Porträt zu Porträt ist als Resultat des »Handeling« zu verstehen und steht im unmittelbaren Verhältnis zur kunsttheoretischen Tradition in den Niederlanden.57

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1  Vgl. Berthold Hinz: Studien zur Geschichte der Ehepaarbildnisse, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 19/1974, S. 139 – 2 18. 2  Vgl. Arent de Gelder. Rembrandts Meisterschüler und Nachfolger, Ausstellungskatalog, Dordrechts Museum 1998, S. 220, Kat.-Nr. 42 (John Anthony Loughman). 3  Diesen Eindruck vermittelt die Reproduktion des Bildes. Leider war es dem Verfasser nicht möglich das Original in Sankt Petersburg zu betrachten. 4  Vgl. Friso Lammertse u. Jaap van der Veen: Uylenburgh & Son. Art and commerce from Rembrandt to de Lairesse 1625 – 1675, Zwolle 2006, S. 126 – 160. 5  Jan van Gool: De Nieuwe Schouburgh der Nederlantsche Kunstschilders en Schilderessen, Den Haag 1750 – 1 751, 2 Bde., Bd. 1, S. 299 (»Dordrecht vette kleigront wel goet is om kunstenaeren te queeken, doch niet om op den duur te voeden«), zitiert nach: John Anthony Loughman: Arent de Gelder und Dordrecht, in: Arent de Gelder 1998, S. 36 – 49, S. 37; englische Übersetzung bei id.: Paintings in the Public and Private Domain. Collecting and Patronage at Dordrecht 1620 – 1749, Phil. Diss., Typoskript, Courtauld Institute of Art, University of London, London 1993, S. 28. 6  Vgl. Leon Krempel: Studien zu den datierten Gemälden des Nicolaes Maes (1634 – 1693), Petersberg 2000. 7  Vgl. Alfred von Wurzbach: Arnold Houbraken’s Grosse Schouburgh der niederländischen Maler und Malerinnen [1880], Osnabrück 1970, S. 267 f.; vgl. Wayne Franits: Young women preferred white to brown. Some remarks on Nicolaes Maes and the cultural context of late seventeenth-century Dutch portraiture, in: Reindert Leonard Falkenburg (Hrsg.): Beeld en zelfbeeld in de Nederlandse Kunst 1550 – 1750, in: Nederlands Kunsthistorisch Jaarboek 46/1995, S. 394 – 4 15, S. 395. 8  Vgl. Hilbert Lootsma: Tracing a pose. Govert Flinck and the emergence of the van Dyckian mode of portraiture in Amsterdam, in: Simiolus 4/2007 – 2008, S. 221 – 236. 9  Vgl. Jacob Campo Weyerman: De levens-beschryvingen der Nederlandsche konst-schilders en konstschilderessen, Den Haag 1729, 4 Bde., Bd. 3, S. 43. 10  Vgl. Mirjam Neumeister: Holländische Gemälde im Städel Museum 1550 – 1800, Bd. 3, Petersberg 2010, S. 104. 11  Vgl. Jan Bialostocki: Rembrandt’s Terminus, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 28/1966, S. 49 – 60; Albert Blankert: Rembrandt, Zeuxis and Ideal Beauty, in: Joshua Bruyn (Hrsg.): Album Amicorum J. G. Van Gelder, Den Haag 1973, S. 32 – 39; Ekkehard Mai: Zeuxis, Rembrandt und De Gelder. Das Selbstbildnis als Kunstprogramm, in: Arent de Gelder 1998, S.  98 – 109; Arent de Gelder 1998, S. 174, Kat.-Nr. 22B (Ekkehard Mai), mit Hinweis darauf, dass de Gelder sich auf die Erzählung der Zeuxis-Anekdote des Marcus Verrius Flaccus bezieht, überliefert in Karel van Manders Schilderboeck von 1604; Ekkehard Mai: Rembrandt. »Selbstbildnis als Zeuxis«, Berlin 2002. 12  Vgl. Ernst van de Wetering: Rembrandt. The Painter at Work, Berkeley, Los Angeles u. London, 2. Auflage 2004, S. 143. 13  Vgl. Neumeister 2010, S. 109. 14  Vgl. ibid., S. 112. 15  Vgl. John Gage: Kulturgeschichte der Farbe. Von der Antike bis zur Gegenwart, Leipzig 2009, S. 182.

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16  Vgl. Neumeister 2010, S. 113. 17  Arent de Gelder 1998, S. 174. 18  Vgl. Weyerman 1729, Bd. 3, S. 44. 19  Marieke de Winkel: Fashion or Fancy. Dress and Meaning in Rembrandt’s Paintings, Amsterdam 2006, S. 162. 20  Vgl. Neumeister 2010, S. 108. 21  Vgl. ibid., S. 111. 22  Van Hoogstraten erwähnt die Trauben des Zeuxis und die Verführung der Vögel; vgl. Samuel van Hoogstraten: Inleyding tot de hooge schoole der Schilderkonst. Anders de Zichtbaere Werelt, Rotterdam 1678, S. 215. 23  Diese Methode ist schon in der kritischen Tradition der Schule der Annales verankert, zum Beispiel in der Auseinandersetzung mit dem Begriff der »Mentalität«. Es sei hier auf das klassische Buch verwiesen: Carlo Ginzburg: Der Käse und die Würmer. Die Welt eines Müllers um 1600 [1976], Berlin 2007. Speziell zur Methode vgl. id.: Mikro-Historie. Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß, in: Historische Anthropologie 1/1993, S. 169 – 192. 24  Exemplarisch sei hier verwiesen auf Jürgen Schlumbohm (Hrsg.): Mikrogeschichte, Makrogeschichte. Komplementär oder inkommensurabel?, Göttingen 2000. 25  Vgl. Aby Warburg: Bildniskunst und florentinisches Bürgertum, Leipzig 1902; Frederick Antal: Die Florentinische Malerei und ihr sozialer Hintergrund [1948], Berlin 1958; Michael Baxandall: Painting and Experience in fifteenth century Italy, Oxford 1972. 26  Vgl. John Michael Montias: Artists and Artisans in Delft. A socio-economic study of the seventeenth century, Princeton 1982. 27  Zum folgenden vgl. Loughman 1993, S. 21 ff. 28  Vgl. John Anthony Loughman: Een stad en haar kunstconsumptie: openbare en prive-verzamelingen in Dordrecht, 1620 – 1 719, in: De Zichtbaere Werelt. Schilderkunst uit de Gouden Eeuw in Hollands oudste stad (hrsg. v. Peter Schoon), Ausstellungskatalog, Dordrechts Museum 1992, S. 34 – 64, S. 36. 29  Vgl. Alan Chong: Arent de Gelder and the Art Scene in Dordrecht, in: Joachim von Moltke (Hrsg.): Arent de Gelder. Dordrecht 1647 – 1727, Dornspijk 1994, S. 9 – 18, S. 10. 30  Huizinga hat sich für eine nationale holländische Schule eingesetzt; vgl. Johan Huizinga: Holländische Kultur im 17. Jahrhundert [1941], München 2007. Auf diese Idee reagierend, plädierte Haak für das Vorhandensein von lokalen Schulen, und diese Idee hält sich bis heute; vgl. Bob Haak: Das Goldene Zeitalter der holländischen Malerei, Köln 1984; Wayne Franits: Dutch Seventeenth-Century Painting, New Haven u. London, 2. Auflage 2008. Eric Jan Sluijter und Marten Jan Bok machen die Resonanz von Künstlerpersönlichkeiten, wie zum Beispiel Rembrandt, dafür verantwortlich, dass die lokalen Schulen und deren Grenzen keine ausschlaggebende Rolle spielten. Dies würde nicht heißen, dass eine lokale »Kunstschule« keine Charakteristika hat, wie zum Beispiel die Leidener fijnschilderkunst, die mit den vorherrschenden Vorlieben und Bedürfnissen in jener Stadt zu tun haben mag; vgl. De Zichtbaere Werelt 1992; Loughman 1993, S. 31.

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31  Vgl. Alan Chong u. Marjorie E. Wieseman: De figuurschilderkunst in Dordrecht, in: De Zichtbaere Werelt 1992, S. 13 – 33, S. 13 u. S. 20; Loughman 1993, S. 32; Loughman 1998, S. 43. 32  Vgl. Chong 1994, S. 9 – 18, S. 16; Peter Schoon: Arent de Gelder (1645 – 1727), in: Arent de Gelder 1998, S. 10 – 18, S. 14. 33  Vgl. Loughman 1993, S. 262 f. 34  Vgl. ibid., S. 271. 35  Ibid. 36  Vgl. John Anthony Loughman: Aert Teggers, a Seventeenth Century Dordrecht Collector, in: Burlington Magazine 133/1991, S. 532 – 537; id. 1993, S. 298 ff. 37  Vgl. Loughman 1998, S. 43. 38  In diesem Zusammenhang möchte ich Rudi Ekkart für wertvolle Hinweise danken. 39  Vgl. Gabriel M.C. Pastoor: The Life of Arent de Gelder, in: von Moltke 1994, S. 1 – 8, S. 6. 40  Vgl. Wurzbach 1970, S. 370. Daher zweifelte Houbraken, ob de Gelder die Passionsserie vollenden würde. 41  Vgl. Celeste Brusati: Artifice and illusion. The art and writing of Samuel van Hoogstraten, Chicago 1995, S. XXII. 42  Vgl. Rembrandt / Not Rembrandt in The Metropolitan Museum of Art: Aspects of Connoisseurship (hrsg. v. Walter Liedtke et al.), Ausstellungskatalog, The Metropolitan Museum of Art, New York 1995, 2 Bde., Bd. 2, S. 31 f. 43  Vgl. Loughman 1998, S. 38, Anm. 9: »Von Moltke listet über 300, zumeist Auktionskatalogen entnommene Verweise auf Gemälde De Gelders auf, die keinem der erhaltenen Werke des Künstlers zugeordnet werden können«; vgl. von Moltke 1994, S. 119 ff. 44  Vgl. Schoon 1998, S. 16. 45  Vgl. Loughman 1998, S. 42. Zum Beispiel im Verfahren über die Zurechnungsfähigkeit des Goldschmiedes Anton von Vos (übrigens ein Neffe van Hoogstratens) wird es deutlich: Sowohl Moelaert wie de Gelder haben zusammen mit anderen Freunden als Bürgen gehaftet. 46  Vgl. Pastoor 1994, S. 6 f.; vgl. das Inventar von Jacob Moelaert in: Gemeente Archief Dordrecht, Oud Notarieel Archief 20.854, fol. 261 – 313 (4. August 1727). Moelaert besaß Werke unter anderem von Callot, van Hoogstraten, Houbraken, Lairesse, Maes, van Mander, Mignard, Raffael, Rembrandt, Rigaud und Tizian; vgl. Hans Jörg Czech: Im Geleit der Musen. Studien zu Samuel van Hoogstratens Malereitraktat Inleyding tot de Hooge Schoole der Schilderkonst. Anders de Zichtbaere Werelt (Rotterdam 1678), Münster 2002, S. 119 ff. 47  Vgl. Amy Golahny: Rembrandt’s reading. The artist’s bookshelf of ancient poetry and history, Amsterdam 2003, S. 216; Inventar Arent de Gelders, in: von Moltke 1994 S. 203: »Boven op de middelkamer: bibliotheecq[u]e, bestaande in twee kasten en een klijndere, met boeken«. 48  Vgl. Arent de Gelder 1998, S. 170, Kat.-Nr. 21 (Marieke de Winkel).

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49  Vgl. ibid. 50  Vgl. Arent de Gelder 1998, S. 202 ff., Kat.-Nr. 35 – 36 (Marieke de Winkel). 51  Vgl. M. R. de Vrij: De portretten van de familie Van Blyenburgh in het Museum Mr. Simon van Gijn in Dordrecht, in: Holland. Regionaal-historisch tijdschrift 26/1994, S. 113 – 1 24; John Anthony Loughman u. John Michael Montias: Public and Private Spaces. Works of Art in Seventeenth Century Dutch Houses, Zwolle 2000, S. 131. 52  Vgl. Loughman 1998, S. 40. 53  Arent de Gelder 1998, S. 203. 54  Vgl. Michael Zell: The Gift among friends. Rembrandts Art in the Network of his Patronal and Social Relations, in: Alan Chong u. Michael Zell (Hrsg.): Rethinking Rembrandt, Zwolle 2002, S.172 – 193, S. 181. 55  Vgl. Ernst van de Wetering: The Multiple Functions of Rembrandt’s Self Portraits, in: Rembrandt by himself (hrsg. v. Edwin Buijsen, Ernst van de Wetering u. Christopher White), Ausstellungskatalog, Den Haag, Mauritshuis / London, National Gallery 1999, S. 8 – 3 7. 56  Zell 2002, S. 192. 57  Zu den kunsttheoretischen Implikationen des Farbauftrags Arent de Gelders vgl. Yannis Hadjinicolaou: Malen, Kratzen, Modellieren. Arent de Gelders Farbauftrag zwischen Innovation und Tradition, in: Das haptische Bild. Körperhafte Bilderfahrung in der Neuzeit (hrsg. v. Markus Rath, Jörg Trempler u. Iris Wenderholm), Berlin 2013, S. 227 – 252.

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ZOOMING IN ON THE ARTIST Cover Photos for »Avalanche« EL I S E N OY E Z

A reaction against the traditional art press In the fall of 1970, a new art magazine hit the stands. It had a square format and was printed on glossy paper; on its cover stood a stark, frontal, black-and-white portrait of a man in a felt hat who was identified in the masthead as German artist Joseph Beuys |fig. 1|. The magazine’s price, two US-dollars, was printed in the bottom left corner of the cover page; opposite, in the top right corner, white Helvetica lettering spelled out its name: Avalanche. Inside this first issue, a table of contents mentioned only one article  –  evocatively titled Body Works. A precritical, non-definitive survey of very recent works using the human body or parts thereof  –  and did not list a single art or exhibition review.1 Instead, its content consisted of »Interviews«, »Documents«, »Portraits« and »Discussions«. Over the next seven years, up until the magazine’s disbandment in 1976, twelve more issues of Avalanche were published. They appeared on an irregular basis and changed format in 1973, when continuous financial struggles forced the glossy square format to be exchanged for a standard tabloid-sized publication on cheap paper stock, but their content remained consistent. Avalanche’s pages were invariably filled with interviews, discussions, artists’ writings and extensive photo-spreads. The latter surpassed the mere illustrational purpose photographs were usually attributed in art magazines and presented all kinds of images: »documentary photographs, works-in-the-making, art photographs, photographer photographs,

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1  Cover of »Avalanche« 1, fall 1970, cover photo of Joseph Beuys by Harry Shunk and János Kender

commissioned photographs, artists’ snapshots«.2 Reviews were fervently banned and after Body Works nothing resembling a traditional article ever appeared again: »Unlike traditional art publications«, poet Michael Andre remembers feeling, Avalanche »was in the business of discovering rather than evaluating.«3 The fruit of a chance meeting between independent curator Willoughby Sharp and underground magazine editor Liza Béar in 1968, Avalanche was indeed conceived as a reaction against the traditional art press.4 Whereas art critics had claimed all authority in the latter, their evaluations becoming the primary source of information for the public, Sharp and Béar aimed to give the floor back to artists themselves. They wanted to provide avant-garde artists from the United States and beyond  –  a group of artists then either ignored or misrepresented by the popular art press  –  with a platform for both elaboration and experiment. Avalanche was just that: more than just an art magazine, it was conceived as an »artist’s art magazine«.5 Up until today, this proximity to those who have become key figures of the late twentiethcentury art scene has earned Avalanche the status of a unique and unparalleled historical source. But that is not all the magazine is remembered for. As Liza Béar asserts in a 2010 interview, it »became known also for the now iconic portraits of an artist’s face on the cover«.

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2  Cover of »Avalanche« 5, summer 1972, cover photo of Yvonne Rainer by Gianfranco Gorgoni

Moreover: »This was considered totally revolutionary in an art magazine, and it was to highlight the fact that the focus was on the artist.«6 Up until late 1973  –  as long as Avalanche was published in its original square format  –  each issue featured an imposing black-and-white photo-portrait like that of Yvonne Rainer on its cover |fig. 2|. The portraits were posed and formal: austere frontal close-ups against a neutral black or white backdrop. Most photos show only the artist’s face, some also one of his hands. Clothing is discernible in only some of the portraits and mostly undistinguished. One artist wears a sturdy jacket, another a dark workers cap and Joseph Beuys, as mentioned, a felt hat. Apart from a parked car in one photograph and a cigarette in another, those are the only items to appear in the portraits. The photographs were printed full-bleed and shared the cover only with the magazine’s title, date and price. Their subjects were up-and-coming artists from New York, California and Düsseldorf; their makers an array of photographers  –  some professional, some amateurs and some artists themselves. Respectively, the covers of issues one to eight featured portraits of Joseph Beuys (by Harry Shunk and János Kender, Fall 1970), Bruce Nauman (by Gianfranco Gorgoni, Winter 1971), Barry Le Va (by Carol Sullivan, Fall 1971), Lawrence Weiner (by Doug Connor, Spring 1972), Yvonne Rainer (by Gianfranco Gorgoni,

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Summer 1972), Vito Acconci (by Van Schley, Fall 1972), the dog Man Ray (by William Wegman, Winter / Spring 1973) and Robert Smithson (by Nancy Holt, Summer / Fall 1973). Covers perform an important representative function in a magazine, as they basically determine first impressions. They are to simultaneously seduce and provide information on the issue’s content. In Avalanche, however, the covers’ representative function does not seem to limit itself to a particular issue. As Liza Béar’s statement implies, their distinctive look is to represent the magazine at large. If the covers were indeed to convey a particular interest of the magazine, at least three levels of correspondence should be considered. For one, the covers share the same basic format, namely that of a cover shot or cover portrait. Secondly, their subjects are artists affiliated with broadly the same artistic field. And finally, they employ similar-looking photographs in visually the same way. The general consistency with which these rules are applied suggests that they are the result of strategic decisions and, more importantly, generates particular impressions about Avalanche. By analyzing the implications and effects of those decisions, this paper examines what the covers of the first eight issues of Avalanche convey about the magazine and to what degree that corresponds to its supposed mission statement of being an »artist’s art magazine«.

Making the cover Avalanche is indeed known for its covers. There is not a single discussion of the magazine that does not mention its particular choice to put artists’ portraits on the cover as one of its most distinguishing and ground-breaking traits.7 Apparently, the public was not used to seeing artists’ faces on the covers of ARTnews and Artforum. Yet, while the cover portrait format was considered revolutionary in the art press, it was already a key strategy of more popular magazines. Rolling Stone and Interview, for instance, regularly featured portraits of music and film stars on their covers. In the 1970s the cover portrait was already strongly engrained in popular culture and the public was confronted with famous faces on a daily basis. By advancing the same format, it appears that Avalanche inscribed itself in pop culture: »While the stated goal of Avalanche was to empower the artist«, Gwen Allen has argued on this account, »its format echoed the cult of celebrity then sweeping American popular culture« and thus heralded »the contemporary art world’s fascination with the artist as star.«8 As it presented artists in the way that pop culture presented its stars, Allen suggests, Avalanche invited people to consider them in much the same way as celebrities, focusing on their public identities rather than their accomplishments. Avalanche’s use of cover portraits undoubtedly alludes to strategies of pop culture, but does not simply adopt them. Subjects of popular magazines’ covers, for instance, were usually attributed a privileged position in the magazine. They were not just the subjects of the cover, but also of the cover story. In Avalanche, the artists featured on the cover are not considered any differently than the other artists featured in the issue. They can be the subject of

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an interview or a photo-spread, or take part in a broader discussion. Their spread can range from two to twelve pages and can be published in the beginning, the middle, or the end of the issue. Only Vito Acconci, as a cover artist, is representative for the issue on which he appears, as Avalanche 6 is entirely dedicated to his work. A more significant distinction between Avalanche’s cover portraits and those of popular culture, of course, is the status of their subjects. While most of the featured artists are now considered key figures of the late twentiethcentury art field, they were relatively unknown in the 1970s. These were not the usual suspects of the art press of the day, but young avant-garde artists. Their artistic practices ranged from Conceptual Art to Performance Art, Land Art and photography. They were affiliated with small New York galleries and had yet to have their first solo show in the United States. By the time they made the cover of Avalanche, all of them had, however, figured in their work in one way or another. Some were dancers and performance artists (Rainer, Beuys, Le Va, Acconci), while others had appeared in filmic and photographic material inherent to their work (Nauman, Smithson, Weiner, Wegman).9 Nevertheless, their faces, unlike those of Michael Jackson or Andy Warhol, would not have meant anything to most people. Only those already familiar with their work may have recognized these artists. By featuring these particular and largely unknown artists, then, Avalanche explicitly set itself apart from the commercial art press’s constant rehashing of the same established artists. It highlighted its own focus on a specific emergent art scene and thus created for itself a distinctly avant-garde profile. In addition, seeing as only a handful of people would have recognized the featured artists, the covers acted as part of an inverted marketing strategy: instead of stimulating the sale of the magazine by referring to celebrity-artists, they claim for Avalanche a limited but very precise public. Both pop culture’s fascination with celebrities and a focus on the international avantgarde are associations validly drawn from Avalanche’s covers, but they definitely do not tell the whole story. What is missing in the above  –  and in most prior discussions of the Avalanche covers, for that matter  –  is a proper consideration of how the artists’ appearance on the cover is mediated. It is not simply avant-garde artists that appear on the covers of Avalanche, but professionally made portraits of these artists that were, moreover, specifically commissioned for the magazine. Given the consistent look of these portraits, one wonders whether it is just the artists that are representative of Avalanche, or the portraits as well. In order to determine more fully what the covers convey, then, the following will focus on and analyze the artists’ portraits themselves, also taking into account the way they are printed on the covers. Do the photographs present or represent the artists in any particular way? And if the covers highlight Avalanche’s focus on the artist, what kind of focus is it that they provoke?

The artist as subject of portraiture While it may have been unusual to encounter an artist on the cover of a magazine in 1970, people were definitely used to seeing portraits of artists. In fact, artists had long been popu-

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lar subjects of portraiture. Ever since the occasional representations of craftsmen from the Middle Ages were surpassed by a steady and strategic production of painted artists’ portraits in the Renaissance, it had become increasingly difficult to ignore the image of the artist.10 By the 1970s, photography dominated the genre and artists’ portraits were practically everywhere. They appeared in gallery adverts, exhibition catalogues and specialized journals, but just as much  –  or perhaps even more so  –  in popular fashion and lifestyle magazines. Vogue and Harper’s Bazaar had published photo-reportages on artists since the 1920s and 1930s, and the 1960s saw the publication of two influential photo-books on artists. Alexander Liberman’s The Artist in his Studio, an elaborate textual and visual account of the photographer’s visits to major French artists of the early twentieth century, was first published in 1960 and, due to popular demand reissued in a paperback edition in 1968.11 Ugo Mulas’s New York: The New Art Scene, published in 1967, had a more contemporary focus and collected photographs of those New York artists Avalanche would have considered »established«.12 Throughout the centuries, regardless of the different mediums in which they have been produced or the divergent characterizations of artists they have provided, most portraits of artists have maintained a certain representative function. They pronounce their subject’s role as artist and elaborate on what that role entails.13 Renaissance artists’ portraits, for instance, depicted numerous iconographical and symbolic attributes that identified the artist as intellectual, academic or virtuoso, while nineteenth-century paintings presented a more Romantic image of the artist in his studio. By the 1970s, a whole range of artistic identities was being represented, from the heroic worker to the fashionable producer or the pragmatic businessman. In all of these portraits, however, the subject’s role as artist was made explicit  –  either iconographically or by situating the portrait in a certain scene. For only if one is able to recognize the portrait’s subject and subject matter as being an artist, is it possible to consider the representation as pertaining to artistic identity. While the subjects of Avalanche’s cover portraits are, essentially, artists, it does not seem as if their role as artist actually acts as the portraits’ subject matter. Not a single object in the photographs seems to point to the fact that they are artists. There are no artistic tools, no artworks, no studio, not a single meaningful clue. The cover photos, in other words, do not explicitly represent a certain kind of artistic identity that could be deemed representative of Avalanche. What’s more, the fact that these artists are presented by way of such iconographically blank portraits limits Avalanche’s public even more. For if the subjects on the cover are not even recognizable as being artists, how is one to recognize a magazine entitled Avalanche as an art magazine at all? Moreover, if these photographs do not represent their subjects’ artistic identity, what is it that they do? What does the portraits’ consistent look convey? Do they, as Gwen Allen’s account suggests, strictly refer to these people’s actual identity, or are they, perhaps, to reveal something about their personality? While none of the cover photos depict any objects or attributes that explicitly assert their subject’s status as artist, not exactly all of them comply with the same visual format. One photograph in particular distinguishes itself from the others. Made by the artist’s wife Nancy

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3  Cover of »Avalanche« 8, summer / fall 1973, cover photo of Robert Smithson by Nancy Holt

Holt, the portrait of Robert Smithson that appears on the cover of Avalanche 8 is distinctly richer in visual information than the others |fig. 3|. Instead of a full-frontal, close-up portrait, it is a mid-length shot that situates the artist in the middle of an undulating, sandy landscape, a car parked in the distance behind him. The artist, who appears to be squatting down, wears a dark jacket and stares out of the picture frame. He appears absorbed in something, though not necessarily lost in thought.14 His look is not as much distracted as it is squinted, suggesting that he might be inspecting something in the far distance. In contrast to the portraits on Avalanche 1 to 7, this portrait seems to be taken directly »from life«. It depicts, if only fragmentally, a specific situation. It points to something that happens in front of, and perhaps also despite of, the camera and thus refers to a particular moment in time and space. As such, the portrait of Robert Smithson not only differentiates itself on account of being richer in detail, but also, and more importantly, because it has a different structure. It invites the viewer to become absorbed in the depicted situation, while the stark and frontal nature of the other cover photos does not allow for any story or situation to consider. If the Smithson portrait assumes what Michael Fried has termed an absorptive mode of address, which could be considered

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the most popular structure of artists’ portraits in those days, then the other cover photos, in which the artists openly pose, present a direct confrontation with the artists’ faces and thus incite a theatrical mode of address in which they explicitly acknowledge their own »to-beseenness«.15 These different structures of viewership, moreover, seem to be punctuated by the cover design, as that of Avalanche 8, again, differentiates itself. Instead of being printed full-bleed, like all other cover photos, Smithson’s portrait is printed smaller and in the centre of the cover page. It is extensively framed by a sequence of white, black and grey borders. Underneath the photograph, in the outer grey border, a caption reads »Robert Smithson 1938 – 1973«. Not only is it the only cover photo not to be printed full-bleed; it is also the only cover to actually mention the artist’s name. As such, it further formalizes the relation between the photo-portrait and the subject, which is a referential one. The photograph serves to point to and represent the person Robert Smithson, a sense that is further enhanced by the fact that it was taken by the artist’s wife  –  someone with a particularly personal connection to him. This does not seem to be a coincidence, as this Avalanche cover serves a reverential rather than a representative purpose. Complete with mourning band and epitaph, it functions as an obituary for the portrayed artist, who had died in a plane crash on July 20, 1973, not long before the issue went to press. Undoubtedly, the Smithson cover is the exception proving the rule. By presenting a clearly aberrant image in an equally atypical way, it underscores the consistency with which stark, posed portraits have defined Avalanche’s covers and shows that what the latter share most of all is the way in which they construct the relation between the viewer and the portrait’s subject. That those covers do not mention the represented artists’ names, moreover, affirms the suspicion that the photographs do not necessarily represent the artists themselves, who, in turn, would stand for the magazine, but that they themselves represent Avalanche. It also underscores the direct way in which the viewer is confronted with the photo-portraits. If what connects those photographs is a theatrical mode of address, what exactly are its effects and what does it convey about Avalanche as a magazine?

Facing the artist In contrast to the absorptive mode, the theatrical mode of address explicitly acknowl­edges the viewer and centres on the confrontation between image and viewer rather than on that which is represented. Portraiture, then, seems particularly capable of exemplifying that relation. Yet, while »it is hard to think of another motif [than the frontal portrait] that is capable of thematizing facingness with comparable force and explicitness«, Michael Fried notes, »more often than not, the idea of facingness is subordinated to other concerns: in the case of painting and photography to a ›making present‹ of the social, psychic, or indeed physical being of the sitter or sitters«.16 One series of portraits that he does find to thematize »facingness«,

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how­ever, are the photo-portraits made by German artist Thomas Ruff between 1981 and 1991 |fig. 4|. These colour portraits show people with blank expressions posing in front of a neutral backdrop. Both the photographer and the sitters were subjected to a severe protocol, leaving no room for personal expression. According to Dirk Lauwaert, it is expression that installs subject-positions, while »likeness reduces the face to an object«.17 If »the uniqueness of the face as material object« is usually hidden behind »the universal body-language of expression,« as Lauwaert explains, Fried argues that Ruff’s portraits »systematically seek to frustrate the viewer’s empathic or projective or identificatory impulse ›to draw conclusions about the lives of the people‹ portrayed in them.«18 Like the photo-portraits of Ruff   –  several subjects of which, moreover, were also artists  –  Avalanche’s cover photos are frontal portraits set against a neutral backdrop.19 The artists, devoid of any distinguishing attributes, stare straight into the camera. Yet, while this format acknowledges the portraits’ »to-be-seenness«, they do not seem 4  Thomas Ruff: Porträt (Pia Stadtbäumer), 1990, Fotografie (chromogener Farbabzug mit to adhere to a protocol quite as strict as Ruff’s. And Diasec Dace kaschiert), 159 × 119 cm, Berlin, even though some portraits seem to match the ob- Hamburger Bahnhof  –  Museum für Gegenwart jectivity of the latter’s photographs, slivers of expression remain: Lawrence Weiner’s slight tilt of the head, for instance, or Yvonne Rainer’s casually parted lips. Some, moreover, show more than just slivers. The portrait of Vito Acconci, that is, seems particularly expressive. His face is slightly turned, but his defiant gaze remains tightly fixed on the camera. His right hand enters the bottom of the picture, as he puts a cigarette to his lips. The artist’s somewhat aggressive and creepy pose is highlighted by the portrait’s dramatic lighting. Instead of appearing against a white backdrop, like most other artists, Acconci seems to emerge from a pitch-black darkness. The contrast between his lit-up face and the dark shadows punctuating his eye-sockets complete the portrait’s theatrical effect. Acconci’s pose is obviously dramatized. It presents itself not so much as a reflection of his personality, but as a pose he takes on in direct relation to the viewer. As Dirk Lauwaert attests, »being yourself in photography is projecting yourself in another’s question«.20 By way of the artist’s explicit pose and the photographic mise-en-scène, the relation between Acconci and the public is punctuated in terms of aggression, defiance and confrontation  –  terms that are

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particularly pertinent to his artistic practice. After devising numerous »experiments« to test the physical and mental boundaries of his own body, Acconci had gone on to play tricks on others in the late 1960s. He followed unsuspecting people around (Following Piece, 1969), swung metal pipes at those entering the basement in which he had taken up (Claim, 1971) and masturbated under the floorboards of a gallery space to the sound of people walking around above him, where his utterances were then broadcasted (Seedbed, 1972), to name but a few of his performances. Instead of documenting or visualizing the artist at work, this portrait incites a slightly unsettling confrontation between viewer and artist similar to that in the latter’s work. If Acconci, in Van Schley’s portrait, is playing a role, then, he is performing that of himself as a subject in his works.

The face as material object Acconci’s portrait presents one end of the spectrum of expressiveness pegged out by the cover photos. At the other end, one finds Gianfranco Gorgoni’s portrait of Bruce Nauman, published on the cover of Avalanche 2 |fig. 5|. This photograph takes the concept of »facingness« beyond a mere lack of expression and really focuses on the »uniqueness of the face as material object«. It shows the artist’s face in an extreme close-up so that it fills almost the entire photograph and, consequently, the cover page. The left half of Nauman’s face is shrouded in darkness; the right half bathes in light. As a consequence, the facial traits that are clearly visible in the left half of Nauman’s face appear flattened in the other half; in contrast, though, the dark half of the photograph does articulate the artist’s pores and wrinkles and thus draws attention to the surface of his skin. The optical precision with which the latter is rendered allows for a detailed scrutiny of the true materiality of Nauman’s face. The epidermis, as evidenced by the bureaucratic use of fingerprints, forms a most precise and unique source of identification, but stops short of distinguishing the subject. While the left half of the portrait may still invite some kind of empathic impulse, the black shape covering Nauman’s face flattens any and all expression and thus impedes the installation of subject-positions. The portrait, in other words, wavers between presenting Nauman as object and presenting him as subject. The simultaneous presentation and denial of his subjectivity was a central concern in Nauman’s artistic practice. In a 1988 interview with Joan Simon, who asked him about his recurrent interest in masking, he explained that there is a need to present yourself: »To present yourself through your work is obviously part of being an artist. If you don’t want people to see that self, you put on make-up. [...] You spend all of this time in the studio and then when you present the work, there is a kind of self-exposure that is threatening. It’s a dangerous situation and I think that what I was doing, and what I am going to do and what most of us probably do, is to use the tension between what you tell and what you don’t tell as part of the work.«21

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5  Cover of »Avalanche« 2, winter 1971, cover photo of Bruce Nauman by Gianfranco Gorgoni

Nauman’s reference to make-up points to the original subject of Simon’s question: a series of four films entitled Art Make-Up that Nauman made over the course of 1967 and 1968 in which he transforms the act of putting on make-up  –  an act usually completed prior to filming and hidden from sight  –  into the represented activity itself |fig. 6|. The films show the artist from the waste up, naked, applying stage paint to his face and body. In each film he applies a different colour, one on top of the other. He starts out with white, adds red, then green and, finally, black. He gradually effaces his self. There is a strong visual resemblance between Gorgoni’s portrait and the fourth Art MakeUp film, as the black surface  –  a shadow  –  is easily mistaken for make-up. This is no coincidence: »He was sitting by the window«, the photographer recalls, »and while I was photographing I noticed the shadow. Knowing his work, I moved until the shadow divided his face in two.«22 The Avalanche cover photo, in other words, is strongly indebted to Nauman’s artistic practice, both visually and conceptually. It resembles and elaborates on the particular mode of self-presentation that the artist stages in his work. What’s more, it calls into question the cover portrait’s status. Seeing as Art Make-Up was presented both as a series of films and in the form of photographic stills, the portrait does not just refer to the work, but could

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6  Bruce Nauman: Art Make-Up, No. 3 (Green) and No. 4 (Black), 1967, 16 mm films, color, silent, 10 min

perhaps be mistaken for it. Seemingly entering the regime of the artwork, the portrait further complicates the relation between the artist’s role as object (in his work) and as subject (in the portrait).

The artist and/as photographer To those familiar with Nauman and his work, the use of Gorgoni’s portrait on Avalanche’s cover may have visually upset the straightforward interpretation of the cover photos as portraits of artists. The masthead, however, would have soon provided a decisive answer on the matter: this was indeed a portrait of Bruce Nauman by Gianfranco Gorgoni, an Italian photographer who specialized in artists’ portraits. But while the terms of its production and publication still situate Nauman’s portrait outside of his œuvre, the portrait that appears on Avalanche 7 renders the confusion in high definition |fig. 7|. Surprisingly, this photograph

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7  Cover of »Avalanche« 7, winter / spring 1973, cover photo of Man Ray by William Wegman

shows not a human face, but a dog’s head. The portrait’s focal point lies in the dog’s left eye; everything around it is blurred in circular movement. This portrait would definitely not have been recognizable as artist’s portrait to a general public. And yet the photograph is credited in the masthead as »Man Ray«, photographed by William Wegman. The dog’s name, in other words, is a reference to the surrealist artist-photographer of the historical avant-garde. In actuality, though, it is William Wegman that takes up the function of artist-photographer. He is most known for his films and photographs of Weimaraner dogs, and Man Ray, the dog, was the first of them to appear in his work in the early 1970s. Wegman was featured as artist in Avalanche on several occasions, including in issue 7, in which an interview with Wegman  –  not Man Ray  –  was published. In that interview, Wegman compared his dog to an object that you could look at and then use in a certain way.23 The dog was manipulable, he stated, but at the same time asserted a certain presence of his own. Yet, as Man Ray, the dog, became central to Wegman’s work, he started to attain a status of his own. In 1982, the dog was named The Village Voice’s »Man of the Year.«24 Both Wegman and Man Ray, the dog, occupy dual and fluctuating positions. Wegman is artist and/or photographer; Man Ray object and/or subject and/or referent. Their uncer-

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tain roles disrupt the clear-cut identification of the cover photo as an artist’s portrait and raise pressing issues regarding its status. Who is represented by whom, and in what function? The particular way in which the dog is photographed may suggest that this cover photo is not an artist’s portrait at all, but actually one of Wegman’s artworks. Meanwhile, however, the masthead is pretty clear on identifying Man Ray as subject and Wegman ›merely‹ as photographer, not artist. Is it, then, a portrait of Man Ray, the dog, as performer and true star  –  a precursor maybe to his 1982 appearance on the cover of The Village Voice? Or is it a portrait of the Surrealist artist Man Ray by way of the dog? A role portrait of Man Ray, the dog, as Man Ray, the artist? Or, given the dog’s consistent appearance in Wegman’s work, does he act as an iconic representative of Wegman, the artist? Like the dog’s movement in the photograph, the portrait defies focus and incites confusion. If anything, it points to the fact that artworks and photographs, in the 1970s, can operate within the same regime and that the division between art and other areas of production as well as between objects and subjects has blurred. Of course, to those unfamiliar with Wegman’s work, the cover would show little more than a fancy photograph of a dog.

Focusing on the artist From 1970 to the end of 1973, eight issues of Avalanche were published. All of these issues featured a photographic portrait on their cover. Disregarding a few exceptions, the covers present a more or less consistent series. They correspond in terms of overall format, represented subjects, visual structure and general layout. As such, they act as representatives not only of the issue on which they appear, but also, as a group, of Avalanche as a magazine at large. This paper has outlined the different effects and implications of the covers’ shared traits, paying particular attention to the visual content and structure of the cover photos. If Liza Béar, in 2010, stated that the covers were to highlight the magazine’s focus on the artist, this paper elaborates on that claim. It has shown that, by way of the chosen subjects, the covers point not simply to a focus on the artist, but to an interest in a very specific, international group of avant-garde artists. By doing so and by using such bare photographs to represent the artists, moreover, Avalanche claimed a very specific public. Only those already familiar with that artistic scene would have been able to deduce from the covers that the focus was indeed on artists and not, for instance, on bankers or labourers. To those in the know, however, the cover photos would have been of great interest, as they relate to the artists’ work and raise questions with regard to their own status. While artists’ portraits have historically revolved around representations of the artist as artist, the central concern throughout Avalanche’s cover photos is not necessarily the artists’ identity, nor the characterization of their artistic identity. What the portraits share above all, is a visual structure that highlights the photographs’ own role as a place of confrontation between artist and public. Presenting frontal portraits in which the artists stare straight into the

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camera, the covers construct and draw attention to a particular way of looking at or considering the artist. Rather than defining that relation as an interest in the artist as celebrity, the cover photos highlight a concern with the artist that oscillates between his role as subject and as object. The covers, in other words, do not just highlight a focus on the artist, but a particular kind of focus. Namely, one that considers the artist in terms of his work and the objective and subjective roles he performs within. In doing so, the covers express the magazine’s concern with a specific kind of art: not with the production of paintings or objects that happens within the confines of the studio, but with works that operate on the verge of media and the visual arts. The portraits of Nauman and Man Ray, above all, are representatives of Avalanche’s role as »gallery-without-walls«  –  a role it fulfilled by repeatedly addressing matters of presentation and representation and, more specifically, by prominently featuring large amounts of photographs that document performances or function as artworks in their own right. Overall, however, regardless of whether one knows and recognizes the represented artists, the Avalanche covers continue to raise more questions than they provide, be it about their own or the artist’s role.

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This work is part of the author’s Ph.D. research project Picturing the Visual Artist. Formations of Artisthood in Photographic Portraits of Artists, financed by the Netherlands Organisation for Scientific Research (NWO) and executed at VU University, Amsterdam. The analyses are based on the facsimile edition of the magazine’s entire run, published in 2010 by Primary Information. 1  Willoughby Sharp: Body Works. A pre-critical, non-definitive survey of very recent works using the human body or parts thereof, in: Avalanche 1/1970, pp. 14 – 1 7. 2  Liza Béar in conversation with Christophe Cherix, Chief Curator, Department of Prints and Illustrated Books, The Museum of Modern Art, about Avalanche at Artists Space, New York City, 2010. For a video registration of the talk see Specific Object: Liza Béar on Avalanche at Artists Space, 2010, in: Vimeo, 2010, http://vimeo.com/1904377 (December 1, 2013). 3  Michael Andre, quoted in: Liza Béar and Willoughby Sharp: The Early History of Avalanche, London 2005, p. 6. 4  For the story of Sharp’s and Béar’s first meeting in New York and the subsequent foundation of Avalanche see ibid., p. 2 and Liza Béar and Hans Haacke: Artist in Residence. Liza Béar and Hans Haacke on Willoughby Sharp (1936 – 2008), in: Artforum 7/2009, pp. 57 – 60, p. 57. 5  Willoughby Sharp in: Survey of Contemporary Art Magazines, in: Studio International 192/1976, pp.  145 – 186, p. 158. See also Amy Ballmer: Avalanche Magazine. In the Words of the Artist, in: Art Documentation. Journal of the Art Libraries Society of North America 1/2011, pp. 21 – 26, p. 21 and Béar and Sharp 2005, pp. 2 ff. 6  Mary Ann Miller: An Interview with Liza Béar, in: NYFA Current, 2010, http://www.nyfa.org/nyfa_ current_detail.asp?id=272&fid=1&sid=17&curid=856 (September 28, 2012). 7  See, among others, Ballmer 2011, pp. 21 ff.; Gwen Allen: Artists’ Magazines. An Alternative Space for Art, Cambridge and London 2011, pp. 91 ff.; id.: In On the Ground Floor. Avalanche and the SOHO Art Scene, 1970 – 1976, in: Artforum 3/2005, pp. 214 – 222; Ashley Belanger: Avalanche and FILE. The Politics of Alternative Art Magazines in the Field of Cultural Production 1968 – 1976, M.A. Diss., University of British Columbia, Vancouver 2009. 8  Allen 2011, p. 91. 9  To many of the represented artists, their own appearance in their work was central. Others, like Lawrence Weiner or Robert Smithson, appeared only by exception. 10  The sudden onset of artists’ portraits during the Renaissance has to be considered within the context of the artists’ emancipation. The artist’s portrait served as a strategic vehicle in that emancipation, highlighting the artist’s role as distinguished intellectual; see, for instance, Hans-Joachim Raupp: Selbstbildnisse und Künstlerporträts, ihre Funktion und Bedeutung, in: Selbsbildnisse und Künstlerporträts. Lucas van Leyden bis Anton Raphael Mengs (ed. by Rüdiger Klessmann), exhibition catalogue, Herzog Anton Ulrich Museum, Braunschweig 1980, pp. 7 – 35. 11  Alexander Liberman: The Artist in his Studio, New York 1960. Liberman’s book was republished several times and in several languages, including an extended edition in 1988. 12  Ugo Mulas: New York. The New Art Scene, New York 1967. Mulas’ book is considered a visual account of the 1960s art scene, featuring important artists of Pop and Performance Art, as well as Colour Field Painting. It includes photo-series on Andy Warhol, Roy Lichtenstein, Robert Rauschenberg and Frank Stella.

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13  As Hans-Joachim Raupp explains, the earliest artists’ portraits could be considered emblems of artisthood. At that point, the portrait’s reference to a particular artist mattered only if it supported exemplary proclamations about the artist’s role. From the seventeenth and eighteenth century onwards, though, artists’ portraits became more involved with the singular artist represented. Rather than providing an emblematic image of artisthood, the modern artist’s portrait characterizes a particular individual’s role as artist; see Raupp 1980, p. 28. 14  Historically, the artist’s averted look has designated melancholy or contemplation; see, for instance, Michael Klant: Künstler bei der Arbeit  –  von Fotografen gesehen, Ostfildern-Ruit 1995, pp. 23 ff. 15  The dialectic between absorptive and theatrical modes of address is a key issue in the writings of art critic and historian Michael Fried. The theatrical mode is further connected with what Fried calls »to-beseenness« and »facingness«, pointing to the image’s open acknowledgment of being made for presentation purposes. Fried first raised the dialectic in his famous 1967 essay Art and Objecthood and has since elaborated on it in numerous publications; see, most importantly, Michael Fried: Art and Objecthood [1967] in: Gregory Battcock (ed.): Minimal Art. A Critical Anthology, New York 1968, pp. 116 – 1 47; Michael Fried: Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Berkeley, CA 1980; id.: Why Photography Matters as Art as Never Before, New Haven, MA and London 2008. While Fried has repeatedly employed the categories in a judgmental manner, this paper calls upon them strictly as analytical terms. A theoretical elaboration on the matter, moreover, is beyond the scope of this text. 16  Fried 2008, p. 149. 17  Dirk Lauwaert: Pose en Portret, in: id. (ed.): Artikels, Brussel 1996 (De Gelaarsde Kat), pp. 56 – 67, p. 62 (»Gelijkenis herleidt het gelaat tot een object, hanteert objectieve waarheid, maakt het individuele gelijk aan het dode.«). 18  Ibid., p. 61 (»De uniciteit van het gelaat als materieel object gaat achter de algemeen geldende lichaamstaal der uitdrukking verborgen.«); Fried 2008, p. 149. 19  The subjects of Ruff’s portraits were his friends, colleagues and fellow-students from the Düsseldorfer Kunstakademie. Within Ruff’s project, however, their (artistic) identity becomes entirely meaningless. 20  Lauwaert 1996, p. 63 (»Zichzelf zijn in fotografie is juist niet samenvallen met jezelf, maar je integendeel projecteren in de vraag van de ander.«). 21  See Joan Simon: Breaking the Silence. An Interview with Bruce Nauman [1988], in: Janet Kraynak: Please Pay Attention Please. Bruce Nauman’s Words. Writings and Interviews, Cambridge and London 2005 (Writing Art), pp. 317 – 338, pp. 326 f. 22  Gianfranco Gorgoni: Beyond the Canvas. Artists of the Seventies and Eighties, New York 1985, p. 194. 23  Liza Béar: Man Ray, Do You Want To... An Interview with William Wegman by Liza Béar, in: Avalanche 7/1973, pp. 40  – 5 1. 24  The title was attributed to the dog in the year of his death. One of the perks of his title was a place on the cover of The Village Voice.

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THE UN/EASE OF LOOKING Reflecting on Pieter Hugo’s »Looking Aside« B H AV I S H A PA N C HIA

Seeing and being looked at The look can assault and appease. It can be an act of interrogation and confrontation. We look, we select and we edit to construct narratives. The act of looking is political; it is something we do actively. We exercise choice in the objects we look at, and in the objects we choose not to look at. Looking is one way that we negotiate relationships and meanings, as discussed in seminal texts such John Berger’s Ways of Seeing and Jean-Paul Sartre’s chapter »The Look« in his treatise Being and Nothingness.1 Berger’s insight into the complexities of the gaze that particular images evoke, recalls that there are different ways of seeing and being looked at. For Sartre, the other as a subject is known through a disruption of oneself. Sartre argues that one apprehends the other as a subject as one becomes an object for the other, or to put it differently, through the other’s effect on oneself.2 Sartre furthermore argues that it is this sense of becoming an object for another that destabilizes the egocentric to open a space between people where dialogue becomes possible. Sartre’s description of the encounter with the other via the look, and the ways in which the other is apprehended is useful in examining the ways in which Pieter Hugo’s series Looking Aside destabilizes its viewers’ gaze through confrontation. The visual mastery of certain images can invoke curiosity, intrigue, shame and pleasure to bring about shifts of affect as well as alter perceptions and subjectivities. South African pho-

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tographer Pieter Hugo (born 1976) is an artist whose mastery of the photographic portrait has received much interest, veneration and critique from the art world both locally and internationally. Hugo’s interest in photography is found in the margins of society as he looks to those who lurk in the shadows, those who have been cast aside and neglected, socially, politically and economically. The core of Hugo’s practice lies in his resolve to make visible aspects of the world that are rarely seen or taken cognisance of. His current visual and political preoccupation is rooted within Africa, evident in projects such as »Gadawan Kura«  –  The Hyena Men (2005 – 2007), Wild Honey Collectors, Techiman District, Ghana (2005), Judges, Botswana (2005), Boyscouts, Monrovia, Liberia (2006), and Taxi Washers, Durban (2005). These bodies of work are also revealing of his reinterpretation of documentary and portrait photography that traverse varying social and cultural boundaries. Looking Aside, a series of photographic portraits that depict albinos, the blind and the old, is an on-going project of Hugo’s that can be traced back to earlier projects such as Margin and The Albino Project that Hugo began as early as 2002, which initially only included portraits of albinos.3 During a residency at Fabrica (Benetton’s Research and Communication Centre) from 2002 – 2003 Hugo began to further explore this project, photographing albinos living in South Africa, Brazil, Greece, Malawi and the United Kingdom. Some of these portraits were exhibited at Fabrica Features in Lisbon and at the Museum of Contemporary Art in Rome. His photo essays on albinism later won him a Merit Prize at the Absa L’Atelier Art Competition in 2004. Since then Hugo’s career has seen a steady escalation in both local and international art scenes having been the recipient of a number of local and international awards including the first prize in the Portrait Section of the World Photo Press Competition (2006), Standard Bank Young Artist Award for Visual Arts (2007), and the Discovery Award at the Les Rencontres d’Arles Photography (2008). More recently, Hugo was the recipient of the Seydou Keita Award at the 9th Rencontres de Bamako African Photography Biennial (2011) and was shortlisted for the Deutsche Börse Photography Prize (2012). All these awards and recognition in the field of visual arts has led to a hyper-visibility of his work that attests to the far-reaching circulation of his œuvre. Two of his more widely known bodies of work are Nollywood and Hyena & Other Men, the latter of which is in its third reprint due to high demand. The reception of Hugo’s practice is mostly polarised leaving some viewers seduced into the pleasure of looking at his images, and others more critical of them as exploitative and pessimistic.4 These works have also raised a number of critiques and debates on the representation of the African body.5 Yet where both bodies of work have received significant amount of scholarly attention, very little has been written on the series Looking Aside and few scholars have sustainably engaged with these portraits.6 In response to this neglect, this essay seeks to build on from these existing texts to examine the complexities of looking invoked by the series Looking Aside. By reading these portraits as texts that are in dialogue with Sartre’s account of the look and drawing on discourses relating to difference and shame, I will reflect on the ways in which difference is foregrounded as a way to comment on social divisions in contemporary South Africa. In short,

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I will read this body of work as a photographic metaphor that raises important questions of intersubjectivity in contemporary South Africa.

Steven Mohapi, Monde Dlamini and Sheila Ward Smith Looking Aside is comprised of a series of large format photographic portraits of South African albinos, the blind and the elderly. These are studio portraits for which a great quality of attention has been paid by both the photographer and the subject. The photographic rendering of these subjects is done in an objective manner reminiscent to that of Thomas Ruff’s project Portraits (since 1981).7 In like manner, Hugo’s subjects are uniformly photographed; they all assume a frontal pose and directly face the camera, expressionless in their conventional framing and pose. The framing of each subject echoes the formalistic convention notable with the ID photograph and mug shot. Hugo establishes a fixed distance and angle of observation for each portrait. Each face is sharply focused and bathed with a neutral palette. Carefully lit studio lighting intensifies the clinical and objective rendering of their faces to accentuate the surface of each.8 It is the face that not simply occupies, but equally dominates the visual domain of the majority of these portraits. If Silvan Tomkins is correct in his contention that the »face and the eyes are where the self lives«, then one could go as far to argue that Hugo, through his particular illumination of his subjects, finds a »balance between dignity and vulnerability«.9 Each portrait is accompanied by a caption that discloses the name of the individual, the year the photograph was taken and the location of their residence, however neither subject in the series is differentiated as albino, blind or old. Bronwyn Law-Viljoen succinctly captures Hugo’s photographic resolve when she asserts that Hugo »retains the portraitist’s incurable, even romantic, interest in faces, in what they hide and reveal, and an ethnographer’s inveterate curiosity about society and subcultures«.10 Emphasis is placed on the veracity of the image through Hugo’s quasi-typological approach. His magnification of the ordinariness of the subject renders the image extra-ordinary in its aesthetic banality and objectivity. These portraits are visually striking in their methodical composition and constructed stillness. In this way Hugo creates a particular set of meanings through his choice of photographic conventions, an approach that oscillates between portrait and typology, between the individual and the collective. The standardised format of these portraits also facilitates a comparative analysis between each afflicted group, so that these portraits become »descriptions of individuals as much as they are inscriptions of social identities.«11 That said, the portrait is a site for a number of interactions: aesthetic, cultural, sociological and psychological. In taking such a typological or taxonomic approach to the photographic rendering of these subjects, Hugo locates them ambiguously both as individuals and part of a larger collective that lies within the social and cultural margins of South Africa today.

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Looking Aside displays subjects that are physically disabled, visible in their red, clouded and disfigured eyes, unusually pale hair and sagging, wrinkled skin. I have selected three portraits from the series, Steven Mohapi, Monde Dlamini and Sheila Ward Smith, which I will briefly discuss as a way to explore the broader implications of occupying the social and cultural periphery within contemporary South Africa. Steven Mohapi is a young boy living with albinism |fig. 1|. His skin is pale and his hair is yellow, both markers of his albinism. His eyebrows and eyelashes are as light as his skin, leaving them barely visible. Mohapi’s pale complexion together with the grey backdrop against which the portrait is taken also contrasts with the black T-Shirt he is wearing. His glassy eyes are greenish-brown in colour and his gaze is piercing and sharp, almost questioning. Mohapi looks straight ahead at the viewer with a look that exhibits a mixture of attitudes that is at once threatening, innocent and calculating. Albinism is the result of a congenital absence of melanin, or in simpler terms, it is a pigmentation defect that is visible in the skin, hair and eyes. This absence of melanin leaves albinos vulnerable to sun exposure, often resulting in varying levels of vision impairment, by which albinism is in fact determined. There are two types of albinism: oculoctanous albinism, which refers to the case where melanin pigment is missing from the skin, hair and eyes, and ocular albinism which describes the case when the melanin pigment is missing from the eye. The albinos that Hugo photographs are marked as different not only by the colour of their hair and skin, but also by their impaired vision. The genealogy of the word »albino« can be traced back to 1777 during Portugal’s colonial expansion in Africa, where it was used to describe »white-spotted« West Africans that were encountered.12 In Africa the albino body continues to be persecuted physically. Often called isishawa (a Zulu word for a person who is cursed) and inkawu (a Nguni word for »white«), albinos have been the target of numerous ritual sacrifices and mutilations in Tanzania, Burundi and other East and Central African countries as where they are believed to be supernatural with mystical powers and healing properties.13 This brutal plight of African albinos has led Malian musician Salif Keita, who himself was born with albinism, to establish The Salif Keita Global Foundation that aims to raise awareness and funds for the fair treatment and the social integration of albinos in African societies. Keita has also supported projects such as Filhos da Lua or Sons of the Moon, a photographic exhibition and publication undertaken by Mozambican photographer Solange dos Santos and Dominique Andereggen. The book with a foreword written by Keita includes portraits and interviews with albinos living in Mozambique that narrates their personal stories, and in so doing, gives them a platform to challenge conventions of what is considered strange and normal. In South Africa there are about 10.000 individuals affected by albinism. Considered »unnatural« and »cursed«, albinos in South Africa face stigmatisation, discrimination and social marginalisation, and many without access to sunscreen protection are significantly more vulnerable to developing skin cancer.14 Holistic support that encompasses both medical and social aspects to this pigmentation disorder is limited but provided by a few organisations such as The Albinism Society of South Africa that advocate for needs, recognition and social

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1  Pieter Hugo: Steven Mohapi, Johannesburg, 2003, archival pigment on cotton rag paper, 112 × 93 cm, Johannesburg, Pieter Hugo and Stevenson Cape Town

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2  Pieter Hugo: Monde Dlamini, Dur­ban, 2005, archival pigment on cotton rag paper, 112 × 93 cm, Johannesburg, Pieter Hugo and Stevenson Cape Town

acceptability of people with albinism and their families through educational programmes, and by engaging communities through workshops in the hope to dispel myths and misconceptions on albinism. A second portrait shows Monde Dlamini, a blind man whose right eye is afflicted |fig. 2|. This eye is turned inwards towards his tear ducts while his left eye looks straight ahead at the viewer. We cannot be sure of the level of Dlamini’s visual acuity or impairment, leaving the viewer uneasy and uncertain as to which eye they should look into. Five percent of the South African population are disabled, with the highest disability related to sight, leaving nearly one million blind or partially sighted. Financial resources and medical care for the blind, especially for those who are poverty stricken, is particularly limited. The blind that look into Hugo’s lens pose an array of questions regarding the power of looking and being looked at, to further complicate the existing implications of photography.15

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3  Pieter Hugo: Sheila Ward Smith, Sea Point, 2006, archival pigment on cotton rag paper, 112 × 93 cm, Johannesburg, Pieter Hugo and Stevenson Cape Town

The third marginal group that Hugo presents to us is the old with their sagging skin, sunspots, wrinkled eyes and greying hair, exemplified in the portrait of Sheila Ward Smith an ageing frail woman whose body has been weathered by time |fig. 3|. Her face is covered with make-up; mascara and eyeliner define her eyes more clearly; her greying eyebrows have been pencilled in with a darker shade and her cheeks are made rosy with blush. Her face is covered with concealer; while her neck and shoulders are bare exposing her freckled sun worn skin. It is clear that Sheila Ward Smith prides herself in her appearance. Her thin pink lips are pursed tightly together revealing the wrinkles just below her mouth. This portrait reveals Ward Smith’s blemishes, sunspots, wrinkles and greying hair, reminding us that ageing is an inevitable and unavoidable truth of time’s effect on the human body. These sitters no longer hold the exuberance of youth. At an age when they can no longer actively contribute to society, the elderly are cast aside and are often considered to be burden-

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some to their families and loved ones. The elderly have however seen the past in ways that we can only imagine, carrying with them wisdom and stories of a world past. It is easy to forget that these frail, obsolete and sensitive faces were once active youths who contributed to society. More prone to chronic illness and disability at their age, very many old people are no longer be able to live independently and require care. Such a need leads to changes in living arrangements and financial strain. What all three groups, the albinos, the blind, and the aged have in common is their compromised vision. It is through sight, the ability to look, or rather the lack of ability to look, that the albino, the blind and the aged are brought together in Looking Aside. Not forgetting, these are portraits of South Africans: albino South Africans, blind South Africans, old South Africans. Where prejudice has for decades been inscribed through typologies of difference, and in the case of South Africa, through race, Looking Aside uses sight as a marker of difference that raise questions of prejudice and discrimination through the act of looking and being looked at. Difference, particularly in South Africa, has largely been inscribed by race. The occupation of the margins on a social, political and economic level has in the main been dictated along racial lines that can be dated back to early colonialism in the nineteenth century and apartheid.

Photographing difference in South Africa The photograph in South Africa has played a significant role in establishing racial classification, and can be traced back to the photographic portraits of Alfred Martin DugganCronin whose anthropological photographic portraits of the Bantu peoples of Southern Africa are symptomatic of the history of colonialism. These portraits are inherently tied to the practice of classification and the ethnographic mode of understanding that accompanied the growth of colonialism in Africa. Through the eye of the conqueror photography was the ideal tool to purport pathologies of difference in a scientific tradition. Images such as these would later be used to further apartheid’s ideologies of separation along racial and ethnic lines.16 Apartheid’s division marked accordingly by racial difference was also entrenched by the ID photograph of the passbook or dompas that black South Africans were forced to carry, a photographic convention that Hugo appropriates in Looking Aside.17 Accompanied by its owner’s fingerprints and information, the ID photograph in the dompas became a way for the apartheid government to identify, classify and monitor the movement of black South Africans. In this context the ID photograph became a means to distinguish identity through difference for the enforcement of apartheid polices. During apartheid the photograph was also utilised as a tool for activism against the government, turning the camera into a weapon. Atrocities of apartheid were documented and disseminated to raise awareness of rising human right violations and as a way to challenge the government’s doctrines.

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Ernst Cole, Santu Mofokeng, Alf Khumalo, Peter Magubane, David Goldblatt and Omar Badsha are a few seminal photographers who made visible the effects of apartheid’s heinous policies both locally and internationally.18 The approach of the aforementioned photographers, whose practice lies within the more traditional class of documentary photography, is markedly different from that of Hugo’s whose photographs often inhabit an ambiguous stylisation that lingers between documentary and studio photography. Not operating within the same social and politically charged context of these predecessors, Hugo’s photographic rendering of his subjects does not typically fit within the same modus operandi of documentary, resistance and activism as Cole’s or Goldblatt’s do. His stint as a photojournalist was brief, realizing that he could not go unobserved because his physical presence. Acknowledging his physical awkwardness, Hugo proclaims: »I am six foot tall. I have blond hair and blue eyes. I stick out like a sore thumb in the locations I visit. I quickly realised that the traditional photojournalistic approach of capturing a fleeting moment wasn’t going to work for me. Firstly, my reflexes are too slow, and secondly, I am not a fly on the wall, I have a presence.«19 Shooting with medium to large format cameras, Hugo’s photographic process is far slower when compared to the practice of documentary photography. These large format cameras require more time to set up and compose, leaving Hugo with pictures that are carefully constructed images. In his defence of his accused voyeurism, Hugo protests: »For a start, 90 per cent of the time in the places I work, I am an outsider. Often I am intently observed as the people I photograph. I am the novelty factor, not the other way around.«20 Hugo’s proclamation of himself as an »outsider« has been referenced in a number of articles, all of which have accepted this self-declared position with little to no criticality.21 Hugo’s physical appearance, his white skin and tall stature, does render him different from his chosen subjects, and his relationship with his subjects resonate with Sartre’s argument that one apprehends the other as a subject as one becomes an object for the other.22 Looking Aside makes visible not only the figures in these portraits but also renders Hugo as objects for the other through a renegotiation of the gaze. Here, the portrait »oscillates from the event of making the self visible to the gaze of another« leaving the object and the subject, the insider and the outsider inseparable, yet interchangeable.23 In the words of Tamar Garb: »Where taxonomies and typologies diminish and destroy difference, portraiture foregrounds and celebrates it.«24 In the case of Looking Aside, each portrait foregrounds the individuality of the subject, however, difference is paradoxically marked, not destroyed. That said, this series of portraits operate in multiple ways that are revealing through their paradoxical embodiment of the gaze.

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Shock, shame and alterity The act of looking is a social, reciprocal practice that is constitutive of being intersubjective, hence looking is fundamental to the relationship between the self and the other. Berger’s influential text Ways of Seeing outlines looking and seeing as a cognitive process through which meaning is determined. Berger’s note that »the photographer’s way of seeing is reflected in his choice of subject« speaks directly to Hugo’s distinctive eye that seeks the margin and the obsolete.25 Berger also stated that »we never look at just one thing; we are always looking at the relation between things and ourselves«.26 In this way, the portraits in Looking Aside affirm alterity or the state of otherness. The relational dynamic that alterity signifies is separation that can entail difference as well similarity.27 The candid portraits of this series are reflexive in that they are essential to not only constructing the identities of the outsider/other but also the insider/self. As such, Looking Aside highlights the estrangement of the viewer from the subject to reveal the familiar and the foreign. The act of looking becomes a way to index difference, which can also lead to discrimination and prejudice. The contention that the self’s fundamental relation with the other is inherently conflicted is mapped out by Sartre in Being and Nothingness. In »The Look«, part three of the treatise, Sartre makes the argument that the self comes into awareness and certainty of existence of the other through the experience of looking and being looked at by the other.28 Here the gaze of the other takes cognizance of and confirms the presence of the self. In other words, the awareness of being seen leads to an awareness of the presence of someone else. The presence of another and the look that they place on us, as Sartre’s argues, threatens the order and the arrangement of the world as we conceive of it.29 This threat comes in recognizing that there is another point of view to seeing the world, a point of view that you could never occupy. That is, where the world was once relative to you and referred to your particular point of view, it is now ordered around another. Shock arises through the recognition of similarities and differences. It is in that moment of shock in discovering the other in the self that leads to a shift or a fracture through which cognition is also uncovered. The shock of recognition that manifests in that moment, and the feeling of shame that accompanies it, may result in the diversion of the onlooker’s gaze away from the subject. In this case, it is the act of looking aside, not the act of looking that is exposing and telling. Defined by David Benin and Lisa Cartwright, shame »is at the basis of a set of intersubjective, emphatic processes of identification that are constitutive of both an individual sense of being and a sense of community and belonging in the world«.30 The shamed subject may look down or away, whereas in the act of shaming another through staring, a physical and visible response may be elicited in the body of the one who is the object of the stare.31 The physical response of looking away is suggested by Benin and Cartwright to be the result of »an imagined moral injunction for respect in the form of a right to the visual privacy of the depicted subject, or of imagining that the person depicted in the photograph suffers or has experienced some misfortune, and pity or compassion on the individual’s behalf is

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expressed«.32 The argument above implies that the act of looking away is elicited through feelings of intrusion, violation and empathy for the afflicted individual whose misfortune can only be imagined. Moreover, the context of disability places one’s seeing in a moral context through a projection of judgment and a passing of values in the moment that the look is exchanged. However, do these portraits in fact shame the viewer through their brazen stares and do Steven, Monde and Sheila through their disarming and disquieting gaze render those who gaze upon them as uncomfortable intruders? The text that accompanies Looking Aside on Hugo’s website inscribes the viewer within a particular position and directs their behaviour and direction of their gaze: »In this intimate and unsettling series of images, created between 2003 – 2006, the artist points his lens at those people whose appearance makes us look aside.«33 In this regard, this series of portraits is immersed within a didacticism that instructs the viewer’s gaze in a very particular and moral way. The artist’s intention not only invites the viewer to look at the image, but also prompts the viewer to look aside by invoking an unease, to create what Susan Sontag refers to as a »moral theater«.34 The title informs its viewers of the pre-existing intention and structures the way in which they look upon these portraits. The portraits also call into question the possessor of the gaze, or protagonist when viewing this series: Is it the viewer who gazes upon these subjects that are now objectified through the medium of photography, or does the protagonist lie within the portrait? The photographic metaphor that Hugo elicits enables us to consider that which is »not spoken, what remains unstated but is nonetheless performed and perceived when we react to the look of the image« and »the manner in which it interpellates us«.35 These portraits interpellate the viewer constituting them into a position of privilege and moral crisis. Sartre aptly relates this point when he writes: »It is shame or pride, which reveals to me the Other’s look and myself at the end of that look«.36 In his words, »shame is shame of oneself before the Other; these two structures are inseparable«.37 Sartre goes on to note that »shame is by nature, recognition«. Therefore: »I recognize that I am as the Other sees me.«38 In recognizing the strange as that which is other to ourselves, or those »who are not one’s own«, we are also recognizing ourselves, in both difference and similarity to others.39 In the accompanying text for the photo essay book Looking Aside. South African Studio Portraits 2003 – 2006 poet Antjie Krog reflects on the complex relationship between subjects in the form of captions wherein she points out, »these pages are filled with other people«: »Strange people […] People who are not one’s own.« Here Krog highlights the complexities of looking, being seen and being looked at. This is further articulated by Tamar Garb when she writes: »Picturing a world from outside may invoke desire, empathy or identification, but it always entails difference, enshrined in the gaze of the stranger.«40 The dynamic relationship of the photographer and his subject, as Garb notes, speaks directly to Hugo’s concern with the marginal. Hugo seeks out those who lurk in the shadows, the outcasts. His eye desires that which is foreign, strange and different, yet he is also able to identify with these outsiders as an outsider himself. Even though Hugo is the stranger that straddles between both the inside and

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the outside, he will never be able to occupy the position of the outside or to see as the outsider does. Diane Arbus is a well-suited example of another photographer who claimed to identify with the status of »outsider«. Arbus’s documentation of disabled bodies, like Hugo’s, also transgressed the boundaries of portraiture and documentary photography, and her fascination with the unusual, including disabled bodies, the mentally handicapped and sideshow performers has been interpreted as insatiable voyeurism, but also as a way of shedding new light on the margins.41 Arbus’s motives aside, her photographs, like Hugo’s Looking Aside, can be read within what Susan Sontag asserts is »based on distance, on privilege, on a feeling that what the viewer is asked to look at is really other«.42 For empathy to be experienced it is not necessary to »see« from the position of the other, but rather that the experience is a result of the viewer’s reciprocal acknowledgement that »I recognize the feeling I perceive in its expression«.43 Shame and empathy is experienced when we imagine ourselves to feel and see as others feel. Hugo’s photographs explore the relationship between those who see and those who are seen, and their paradoxical intimacy and unfamiliarity. It is also important to recognize Looking Aside as an important body of work that functioned as a catalyst for Hugo’s later projects, wherein the dichotomy of centre/margin is further explored. These dichotomies are not rigid in their difference, nor are they irreducible in their established polarity. Hugo’s photographic undertaking, I would argue, is more concerned with that which lies between these dichotomies, the interstices, the murky, grey area where resolve is demanded through effort  –  an effort of looking, seeing and considering. Hugo’s mastery of transgressing the boundaries of photographic portraiture results in images that evoke and oscillate between shame and desire, and truth and fiction to reveal the familiar and the foreign. Yet it is in these interstices that Hugo’s portraits raise important and difficult questions of truth, fiction and alterity. David Levi Strauss notes that the best politically effective images work in the »fissures, the wounds, of the social«.44 Law-Viljoen also relays this sentiment when she describes the critical zone in Hugo’s œuvre as that which lies between the lens and the subject. For Law-Viljoen, it is in this established distance where the photographic metaphor that Hugo is so cognizant of, is created. It is within this distance or interruption that Hugo’s portraits become effective in their engagement and negotiation of what Strauss calls the »the wounds of the social«.

Looking forward Looking Aside questions attitudes towards otherness and furthermore foregrounds the limitations of looking. These portraits therefore become texts through which we, as viewers, are able to read and relate to the other and ourselves. Locating these practices of looking within South Africa today further complicates the politics of looking, given the social fractures and spectres of colonialism, ethnography and apartheid. Notwithstanding the strides South

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Africa has made since the country came into democracy in 1994, there is still a significant amount of intolerance in the country, ranging from xenophobia, homophobia, racism and gender related violence. Hugo’s body of work brings to our attention the margins of society, blind, people with albinism and the elderly; margins of society that each face their own very distinct challenges, prejudices and discrimination. As a way to confront the viewer and the broader community of their prevailing preconceptions and prejudices, Looking Aside subtly calls into question the way South Africans, and those living beyond South Africa and Africa, relate to those who are different. Using sight as a metaphor and as a marker of difference, Looking Aside interpellates its viewers into an unease of looking and shame. Of importance is that these portraits in fact render visible the socially invisible. Hugo brings to the fore society’s »blindness« in recognizing and acknowledging subjects that are »other«, and in the case of Looking Aside, acknowledging albino, the blind and the old as participating members of society. Where the English language is inundated with metaphors for vision, the idiom »out of sight out of mind«, resonates strongly with this series of portraits in that they beckon the viewer to look, and through the act of looking, become consciously aware of others or those whom our eyes meet and our minds disregard. Hugo increases the visibility of these subjects and raises awareness of their compromised position in society, bringing to the fore that which is »out of mind«. Pieter Hugo’s images are in fact calling for self-reflexivity whereby we look at others through looking at ourselves.

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1  See John Berger: Ways of Seeing, London 1972; Jean-Paul Sartre: Being and Nothingness, New York 1956. 2  Sartre 1956, p. 259. 3  Margin, an early project that dealt with people living on the margins of society in South Africa, took place in 2002 at The Cold Room Photographic Gallery in Cape Town; see Ed Young: Pieter Hugo, in: www.artthrob.co.za (01.04.2006); http://www.artthrob.co.za/06apr/artbio.html (02.04.2013). 4  See Chika Okeke-Agulu: Pieter Hugo’s »Nollywood« and it Nigerian critics, in: www.ofodunka.com (25.06.2010); http://chikaokeke-agulu.blogspot.com/2010/06/pieter-hugos-nollywood-and-itsnigerian.html (05.06.2013); Andrea Stultiens: What Pieter Hugo’s photographs stand for or what they can and cannot tell, in: www.africaisacountry.com (15.04.2012); http://africasacountry.com/what-pieterhugos-photographs-stand-for (07.11.2013); Orlando Reade: Pieter Hugo on »Political Correctness«, in: www.africaisacountry.com (30.05.2012); http://africasacountry.com/pieter-hugo-on-political-correctness (07.11.2013). 5  See Mgcineni »Pro« Sobopha: Re-presenting the body. In search of a postcolonial moment, in: Visual Century, vol. 4 (ed. by Mario Pissarro, Thembinkosi Goniwe and Mandisi Majavu), Johannesburg 2011, pp. 92 – 117; Ashraf Jamal: No Apology, in: Art South Africa 8 – 2/2009, pp. 52 – 56. 6  See Sean O’Toole: Blank, in: Art South Africa 3 – 1/2004, pp. 50 – 53; id.: The Outsider, in: Creative Review 5/2005, pp. 44 – 47, p. 47. 7  Ruff’s Portraits (from 1981 to the present) presented his subjects with a very particular background and lighting so as to focus on particular details of the sitter. These portraits are rendered with technical precision with a presumed neutrality of physiognomic study. 8  See Bronwyn Law-Viljoen: Pieter Hugo. The Critical Zone of Engagement, in: Aperture 186/2007, pp. 20 – 29, p. 20. 9  See Silvan Tomkins: Affect  –  Imagery  –  Consciousness, quoted in: David Benin and Lisa Cartwright: Shame, Empathy and Looking Practices. Lessons from a Disability Studies Classroom, in: Journal of Visual Culture 4 – 2/2006, pp. 155 – 1 71, p. 167; Law-Viljoen 2007, p. 26. 10  Ibid. 11  See Okwui Enwezor and Octavio Zaya: Colonial Imagery, Tropes of Disruption. History, Culture and Representation in the Work of African Photographers, in: In/Sight. African Photographers. 1940 to the Present, exhibition catalogue, New York 1996, pp. 17 – 47, p. 32. 12  O’Toole 2004, pp. 50 ff. 13  See Albino’s lonely call for recognition, in: http://mg.co.za/article/2012 – 05 – 1 7-albinos-lonely-callfor-recognition (07.11.2013). 14  For information on the challenges faced by South African albinos see Shirley Gunn and Zukiswa Puwana: Looking Inside. Five South African Stories of People Living with Albinism, Cape Town 2009; Mongezi Ngidi: Black Or White: »Does it Matter?« My Journey with Albinism, Kwazulu-Natal 2005. 15  See Susan Sontag: On Photography, New York, 2005.

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16  John Peffer provides a short history of photography in South Africa where he reviews the social and political shifts of the country through the photographic image; see id.: Art and the End of Apartheid, Minneapolis 2009, pp. 241 – 280. 17  The dompas was introduced in 1950 under the Population Registration Act by the apartheid regime to impose restrictions on movement of black South Africans within South Africa. The pass book was used to provide information in order to prove that a black South African person had been authorised to live, move or even work in a certain area that were specified for white South Africans. The ID photographs were used to identify and restrict black South Africans access and movement to and within certain areas, and became an important way to monitor the black South African population. 18  For more information on the role of photography during apartheid see Okwui Enwezor and Rory Bester (eds): Rise and Fall of Apartheid. Photography and the Bureaucracy of Everyday Life, Munich, London and New York 2013. 19  See Pieter Hugo in discussion with Sean O’Toole, in: id. 2005, p. 47. 20  Quoted in Sean O’Toole: The Big Picture, in: Sunday Times Lifestyle, 14 November 2004, p. 5. 21  See Monique Pelser: Looking in from the outside, in: Mail and Guardian, 6 July 2007, p. 3; Raffella Della Donne: The eye spies images not many want to see, in: Sunday Independent, 30 March 2008, p. 10; Miles Keylock: The uncomfortable gaze, in: Mail and Guardian, 28 March 2008, p. 6. 22  Sartre 1956, p. 259. 23  Okwui Enwezor: Events of the Self. Portraiture and Social Identity. A Conceptual Framework in Contemporary African Photography from the Walther Collection-Events of the Self and Social Identity, Göttingen 2010, p. 25. 24  See Tamar Garb: Figures and Fictions. Contemporary South African Photography, exhibition catalogue, Victoria and Albert Museum, London 2011, p. 21. 25  See Berger 1977, p. 10. 26  Ibid., p. 9. 27  Esther Peeren and Silke Horstkotte: Introduction. The Shock of the Other, in: id. (eds): The Shock of the Other. Situating Alterities, Amsterdam 2007, pp. 9 – 2 1 , p. 10. 28  See Sartre 1956, pp. 252 – 302. 29  Ibid., p. 241. 30  Benin and Cartwright 2006, p. 157. 31  In the essay Shame, Empathy and Looking Practices. Lessons from a Disability Studies classroom Benin and Cartwright use the concept of shame to understand the practice of looking at photographs that represent bodies with visual disabilities. Benin and Cartwright explore the moment of the first look at photographs of people with visible physical disabilities and the responses from the viewers when held in a public space; see ibid., p. 159. 32  Ibid., p. 157. 33  See http://www.pieterhugo.com/looking-aside (07.11.2013).

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34  See Sontag 2005, p. 28. 35  Ibid., p. 158. 36  Sartre 1956, p. 71. 37  Ibid., p. 198. 38  Ibid. 39  Antjie Krog: South African Studio Portraits 2003 – 2006, in: Looking Aside. South African Studio Portraits 2003 – 2006, New York 2006, s. p. 40  See Garb 2011, p. 27. 41  See Ann Millet: Exceeding the Frame. The Photography of Diane Arbus, in: Disability Studies Quarterly 24-4/2004, in: http://dsq-sds.org/article/view/881/1056, 2004 (12.12.2013). 42  See Sontag 2005, p. 27. 43  Benin and Cartwright 2006, p. 165. 44  David Levi Strauss: Between the Eyes. Essays on Photography, New York and London 2003, p. 32.

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WHAT YOU SEE IS WHAT YOU GET Das Porträt im Angesicht des Digitalen DA N I E L B E C K E R

»Lord Henry came over and examined the picture. It was certainly a wonderful work of art, and a wonderful likeness as well. ›My dear fellow, I congratulate you most warmly,‹ he said. ›It is the finest portrait of modern times. Mr. Gray, come over and look at yourself.‹«1 Oscar Wilde: The Picture of Dorian Gray, 1891

Die Korrelation mit dem Subjekt Das gemalte Bildnis des Dorian Gray im gleichnamigen Roman von Oscar Wilde oszilliert zwischen Ideal und Imitation, denn es ist nicht die Darstellung der individuellen Charakteristika, die Dorians Mentor Lord Henry beim ersten Anblick des Bildes fasziniert, sondern das absolut Identische, die Perfektion des Ebenbilds, das geradezu Dorian selbst ist. Doch gerade mit dieser Thematisierung von Ähnlichkeit bedient sich Wilde des klassischen Porträttopos, der gemeinhin ein genuines Motiv der Bildenden Kunst ist. Da das Bildnis des jugendlichen Dandys im Laufe der Erzählung grässliche Züge annimmt, verschiebt sich jedoch die porträtspezifische Relation von Bild und Vorbild von einer rein äußerlichen zu einer intrinsischen.2 Es ähnelt schließlich nicht mehr der äußeren Erscheinung Grays, sondern zeigt die Folgen seiner subjektiven Handlungen, wird geradezu davon gezeichnet und porträtiert so gleichsam seinen dekadenten Lebensstil. Für die Kunstgeschichte hob dagegen Jacob Burckhardt die äußerliche Beziehung zwischen Person und Porträt zu gleicher Zeit noch hervor. In seinem 1885 gehaltenen Vortrag über Die Anfänge der neuern Porträtmalerei beschreibt er die Historie des Porträts als die »Geschichte der Ähnlichkeit, des Vermögens und des Willens, dieselbe hervorzubringen«.3 Burckhardt erklärt damit die Entwicklung der Gattung als diejenige eines autonomen Porträts, indem er dieses an den neuzeitlichen Subjektbegriff des Individuums knüpft und von

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der Idealisierung abgrenzt. Die Frage nach den Grenzen der Ähnlichkeit wird hier evident, weil bei Wilde die literarische Ekphrasis zu etwas im Stande ist, was in der Realität nicht gegeben ist: Sie kann Bild und Person als vollkommen identisch darstellen.4 Mit dieser geradezu unheimlichen Wirkung des Bildnisses bringt Wilde einen zentralen Topos der Porträttheorie ins Wanken, der hingegen in der Bildenden Kunst erst im 20. Jahrhundert wirklich in Frage gestellt werden sollte.5 Erst die mechanomorphen Porträts der futuristischen, dadaistischen oder surrealistischen Avantgarde, wie Francis Picabias grafisches Porträt Ici, c’est ici Stieglitz von 1915 (New York, The Metropolitan Museum of Art, Alfred Stieglitz Collection), die Pars-pro-toto-Objekte des Nouveau Réalisme, etwa Armans Portrait d’Yves Klein von 1960 (Paradise Valley, Arizona, Rotraut Moquay-Klein Collection), oder die geometrisch abstrakte Malerei, wie Frank Stellas Serie Purple Paintings von 1963, negieren solche Ansätze, die das Porträt als anthropomorph definieren.6 Dennoch wird die einschlägige Forschung zum künstlerischen Porträt nicht müde, das Figurative und die Wiedererkennbarkeit, insbesondere des Gesichts, zu betonen. So konstatiert auch Rudolf Preimesberger: »Für das Porträt ist die Konzentration auf das Gesicht bekanntlich eine Grundbedingung und zu einer die Gattung konstituierenden Tatsache geworden: Das gesichtslose Porträt gibt es nicht. Wird es versucht, so stürzt es seinen Erzeuger wie seinen Interpreten in eine Reihe philosophischer und ästhetischer Dilemmata.«7 Anders als Preimesberger hier behauptet, ist Ähnlichkeit jedoch nur eine äußere und visuelle Form der Referenz des Porträts auf den Porträtierten, die durch eine andere Form, sofern wirkungsäquivalent, ersetzt werden kann. Die Auflösung der Ähnlichkeit ist daher keineswegs ein Dilemma, sondern insistiert viel mehr auf das, was für das Porträt eigentlich konstitutiv ist, die Korrelation mit dem Subjekt.8 Denn im Gegensatz zu einem acheiropoíeton zeichnet sich das Porträt nicht durch eine tatsächliche Verbindung, sondern einzig durch die semiotische Referenz auf eine subjektive Vorstellung aus, und darin ist es eben auch Ausdruck einer kontingenten historischen Anschauung von Subjektivität.9 Dementsprechend soll es in diesem Text darum gehen, das Porträt konzeptuell zu begreifen und es eben nicht zu erkennen, sondern als solches zu benennen und jene Relation herzustellen, die es erlaubt, beispielsweise auch Robert Rauschenbergs This Is a Portrait of Iris Clert if I Say So von 1961 als gattungsgenuines Porträt zu verstehen |Abb. 1|.10 Dabei sind es jedoch fast ausschließlich Selbstporträts, die behandelt werden, denn gerade hier wird die Differenz von Vorstellung und Herstellung, das Supplementäre der Züge (»traits«)  –  im ambivalenten Sinne von Gesichtszügen, (Pinsel-) Strich und auch Bindeglied (Jacques Derrida)  –  deutlich.11 Erst in dieser Hinsicht wird der Topos des Porträts für die zeitgenössische Kunst noch produktiv. Die Ausstellung Ich ist etwas Anderes  –  Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts etwa reflektierte im Jahr 2000 solche Tendenzen der zeitgenössischen Kunst, die zwar mit der Thematisierung von Persönlichkeit und dem sozialen Status des Subjekts ein klassisches Porträtmotiv aufgreifen, gleichzeitig aber den Anspruch einer individuellen Darstellung negieren.12 Den dort gezeigten Arbeiten  –  unter anderem Fotografien von Cindy Sherman, Lynn Hershman Leesons Alter Ego Roberta Breitmore oder Porträtarbeiten von Julian Opie  –  war gemein-

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1  Robert Rauschenberg: This Is a Portrait of Iris Clert if I Say So, 1961, Telegramm, Chexbres, Sammlung Ahrenberg

sam, dass sie das Verhältnis von Äußerlichkeit und Selbstbild hinterfragen, indem sie sich der Strategien von Rollenspiel, Maskerade, Travestie oder Archivierung bedienen, um teils fiktive Personen zu porträtieren |Abb. 2|. Die Ausstellung Porträt ohne Antlitz von 2004 ging in dieser Hinsicht sogar noch weiter, da das Gesicht hier gar nicht mehr als notwendiger Bestandteil eines künstlerischen Porträts verstanden wurde.13 Und dennoch, es zeugen solche kulturellen Phänomene wie die biometrischen Gesichtsund Iris-Scans, das soziale Netzwerk facebook und die normativen Schönheitsbilder der Werbeindustrie und plastischen Chirurgie davon, dass das Gesicht heute noch von hoher Bedeutung für die Gesellschaft ist.14 Dementsprechend vergegenwärtigen auch künstlerische Auseinandersetzungen wie Marnix de Nijs’ Physiognomic Scrutinizer (2008 – 2012), der auf die Problematik der Gesichtserkennung rekurriert, dass das Gesicht trotz allem präsent ist, und wir, so wird andernorts behauptet, geradezu in einer »facialen Gesellschaft« leben |Abb. 3|.15 Bei de Nijs’ Installation handelt es sich um eine Sicherheitsschleuse, wie sie an Flughäfen oder bei Einlasskontrollen zu finden ist. Man kann die Schranke erst passieren, sobald eine Kamera das Gesicht des Benutzers gescannt und die biometrischen Daten bestimmt hat. Diese Daten werden nun mit einer Datenbank abgeglichen, in der sich die Porträts einiger

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2  Lynn Hershman Leeson: Roberta Breitmore. Construction Chart #1, 1975, Fotografie, 101,6 × 76,2 cm, Brüssel, Galerie Waldburger / New York, Bitforms Gallery

berüchtigter Verbrecher, Politiker und Künstler befinden, und, je nach Ähnlichkeit, wird dem Benutzer eine dieser Identitäten zugeordnet und erscheint auf den Monitoren hinter der Schleuse. Der Besucher wird so aufgrund seines Aussehens mit einer Vita verknüpft, die zunächst irritiert, da er durch sein Äußeres als eine exzentrische, wenn nicht sogar dubiose Persönlichkeit charakterisiert wird. Hierin kritisiert de Nijs den Umgang mit der digitalen Systematisierung von Gesichtsmerkmalen, wie sie sich, in analoger Form, schon in Johann Caspar Lavaters Untersuchung Physiognomische Fragmente von 1775 – 1 778 findet. Indem de

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3  Marnix de Nijs: Physiognomic Scrutinizer, 2008, Installation, Ausstellungsansicht, Rotterdam, V2 – Institute for the Unstable Media, 2009

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4  Robert Morris: I-Box (geschlossener und offener Zustand), 1962, bemalte Holzkiste mit Metallbeschlag und Fotografie, 48,3 × 32,4 × 3,5 cm, New York, Leo Castelli Collection

Nijs diese Kategorisierung jedoch ad absurdum führt, verweist er darauf, dass bei der Identität eines Subjekts zwischen Erscheinung und Eigenschaft zu unterscheiden ist, und macht darin eine Differenz sichtbar, die man in Hinblick auf das Thema der Kontrollen sehr treffend als die Differenz von »ID« und »entity« bezeichnen kann.16 Denn das Verhältnis zwischen Porträt und faktischer Person ist immer abhängig von den immanenten Bedingungen bildlich-medialer Formgebung  –  wie hier den normativen Anforderungen an ein (Identifikations-)Dokument  –  und den eigentlichen Charakteristika der Person. Aus dieser Spannung erwächst das Subjekt des Porträts, sein Gesicht hat so immer zwei Gesichter: Es ist Ausdruck einer Person und zugleich Objekt eines fremden Blickes, es changiert demnach immer zwischen Exhibitionismus und Voyeurismus.17 Aus diesem Grund nimmt nicht nur das Gesicht, sondern auch der Blick im Porträt eine zentrale Stellung ein, geht es dort eben um das »Sehen« und »Gesehen-werden«.18 Gerade dieses Verhältnis problematisiert auch Robert Morris mit seiner I-Box von 1962 |Abb. 4|. Bei

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der Arbeit handelt es sich um einen Metallkasten mit einer aufklappbaren, i-förmigen Tür, hinter der eine Aktfotografie des Künstlers zum Vorschein tritt. Die augenfällige Gleichsetzung des Wortes »I« mit dem ungeschönten, nackten Körper lässt sich schwerlich als performativer (Bild-)Akt im Sinne von »Ich bin nackt, also bin Ich das« verstehen, denn trotz ihrer Ähnlichkeit sind Körperkontur und Zeichenform in ihren Denotationen disparat. Ob das »Ich« so nackt und unbeschrieben ist wie die Fotografie von Morris, oder aber der nackte Körper so semantisch besetzt ist wie das Personalpronomen, bleibt unbestimmt. Der äußerliche Reiz, die Box zu öffnen und das wahre Selbst des Künstlers zu sehen, entpuppt sich als oberflächliches Lockmittel, der dem Blick zwar die sprichwörtliche »nackte« Wahrheit preisgibt, aber außer dem Körper sehen wir nichts; in den minimalistischen Worten Frank Stellas: »What you see is what you see«.19 Auch das »I« selbst, das bei geöffneter Tür gleichsam verdoppelt wird, indem es als Positiv (Tür) und als Negativ (Kontur der Öffnung) zweifach vorhanden ist, verweist auf das Diffizile des »I«. Ebenso impliziert die phonetische Dimension des »I« eine semantische Ambivalenz von dem für das Auge (»eye«) sichtbaren Äußeren und der Individualität des Selbst (»I«). Die I-Box schafft so gesehen mehr Unklarheiten, als dass sie die Person des Künstlers Morris zeigt und negiert den vermeintlich authentischen Blick in »the box«, die umgangssprachlich eben auch als Fernseher, Bildschirm oder allgemein Apparat verstanden werden kann.

Das Porträt und das Interface In Anknüpfung an Robert Morris stellt sich die Frage, inwiefern so etwas wie ein »Ich« in der heutigen Gesellschaft des Digitalen und der Omnipräsenz von mobile devices noch körperlich ist. Oder porträtieren iPod und iPhone nicht weitaus besser ihre Nutzer? In dieser Hinsicht zeigt Lynn Hershman Leesons Porträt iPhone Crack ein metaphorisch gebrochenes Verhältnis von Gesicht und Apparat, indem die Risse im Glas das Gesicht entstellen |Abb. 5|. Ist es noch der sichtbare Körper, an den das Subjekt gebunden ist, oder zeichnet es sich primär nicht vielmehr durch seinen Datenkörper aus?20 Gerade dieses problematische Verhältnis zwischen Porträt und Technologie wird bereits in einer frühen Hochphase der digitalen Medien in dem interaktiven Environment Liquid Views  –  Der virtuelle Spiegel des Narziss von 1993 / 2007 der Künstler Monika Fleischmann und Wolfgang Strauss augenfällig |Abb. 6|. Obgleich die Installation von Liquid Views über die Jahre variiert und sich den technischen Neuerungen angepasst hat, ist es wichtig, sie im Diskurs der frühen neunziger Jahre zu verstehen.21 Im Zentrum der Arbeit steht die psycho-physische Interaktion des Besuchers mit einem Monitor. Eingebettet in einen schwarzen Quader zeigt der Bildschirm eine Echtzeitanimation der Kameraaufnahme des Besuchers, die ihn spiegelbildlich auf einer Wasseroberfläche erscheinen lässt. Doch der Monitor ist zugleich ein sensitiver Touchscreen, der jede Berührung sogleich registriert und augenblicklich in animierte Wellen übersetzt, die sein Gesicht zerfließen lassen. Nun wird klar, dass es sich hier nicht um eine einfache closed-

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circuit-Installation handeln kann, sondern dass in dem Bruchteil einer Sekunde, der vom Betrachter als Echtzeit wahrgenommen wird, ein aufwendiger Rechenprozess stattfindet, bei dem die Kameraaufnahme digitalisiert, gespiegelt, mit dem Bild des Wassers zusammenfügt und bei jeder Berührung des Touchscreens durch Wellen animiert wird. Die Intimität der dialogischen Situation, die durch den gesamten Vorgang des Erkundens, Sich-Näherns und der akustischen Begleitung mit Wasserplätschern geradezu immersiv ist, wird hingegen mit der Projektion des Monitorbildes an die Wand aufgehoben, sodass die Interaktion für jeden Besucher sichtbar und öffentlich ist. Dieser Gegensatz von Öffentlichkeit und Intimität wird hier  –  genau wie bei der I-Box von Morris  –  wesentlich für das Selbstbild des Subjekts.22 Mit dem Narzissmotiv knüpft Liquid Views wiederum an einen kunsthistorischen Topos an, der seit der Renaissance präsent ist. Bereits Leon Battista Alberti fordert 1435 in seinem Traktat Über die Malkunst vom Künstler ein dialogisches Bildverständnis ein, indem er das substituierende Potential der Malerei betont:

5  Lynn Hershman Leeson: iPhone Crack, 2012, Digitaldruck, 86,4 × 47 cm, San Francisco, Paule Anglim Gallery / Brüssel, Galerie Waldburger

»In der Tat, sie birgt eine geradezu göttliche Kraft in sich und leistet nicht nur, was man der Freundschaft nachsagt  –  dass sie Abwesende vergegenwärtigt   –  ; vielmehr stellt sie auch Verstorbene erkennbar vor Augen, sogar noch denen, die viele Jahrhunderte später leben. Das aber trägt dem Künstler Bewunderung ein und verschafft den Betrachtern Lust.«23

Dem malerischen Porträt kommt hier das Potential des Stellvertreters zu  –  ein Epitaph in effigie  – , indem es den Porträtierten nicht nur repräsentiert, sondern gleichsam an seine Stelle tritt und über den Tod hinaus noch verkörpert. Alberti betont darin die medialen Qualitäten des Bildes, weil es ihm um die Fixierung des Momentanen geht, denn durch die von ihm postulierte Perspektivlehre ist die Malerei nun in der Lage, auch die Körperlichkeit von Personen abzubilden und festzuhalten, indem die Perspektive einen virtuellen Raum hinter

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6  Monika Fleischmann u. Wolfgang Strauss: Liquid Views. Der virtuelle Spiegel des Narziss, 1993/2007, interaktives Environment, Karlsruhe, Zentrum für Kunst und Medientechnologie (Dauerleihgabe der Künstler)

dem aperta fenestra konstruiert.24 Diesen Aspekt der Virtualität pointiert er schließlich in der rhetorischen Frage: »Geht es schließlich beim Malen um etwas anderes als darum, mit der Kunst jene Oberfläche des Quellteichs zu umarmen?«25 Mit der Betonung des Dialogischen hebt Alberti Aspekte des Bildes hervor, die eben auch für das künstlerische Porträt zentral sind. Dementsprechend bezieht er sich auf den NarzissMythos  –  ein Motiv, das sich keiner Epoche sui generis zuschreiben lässt  –  denn es handelt sich gleichsam um den Archetyp der Rezeptionssituation eines Bildnisses. An seinen unterschiedlichen Bearbeitungen, etwa Caravaggios oftmals als homoerotische Selbstdarstellung verstandenem Narziß von 1594 – 1596 (Rom, Galleria Nazionale d’arte Antica), kristallisieren sich die historischen Episteme heraus, die an das Bild des Selbst und die Konzeption des Subjekts angelegt werden.26 Daher dient der Spiegel  –  oder die spiegelnde Wasseroberfläche im Mythos  –  Alberti nicht nur als technisches Hilfsmittel oder Werkzeug zur Anleitung des Malprozesses, sondern mit diesem ist auch der Anspruch an eine objektive, nämlich auf den wissenschaftlichen Gesetzen der Optik und Geometrie basierende Malerei verbunden. Der Spiegel, somit als Medium verstanden, ist demnach nicht mehr nur Attribut mit langer ikonografischer Tradition, sondern wird gleichsam zu einem Akteur mit eigenem Handlungscharakter. Er ist epistemologisch zu verstehen, indem das (Ab-)Bild nicht nur seinen Gegenstand darstellt, sondern gleichzeitig auch die historischen Paradigmen umfasst. Die Fixierung der Bildoberfläche und der Augenpunkt der Perspektivlehre verkörpern bei Alberti eben auch das humanistische und anthropozentrische Ideal der Renaissance.27 Liquid Views affirmiert diese Grundsätze des Bildnisses in inhaltlicher wie auch technischer Hinsicht. Nicht nur das Narziss-Motiv und die Spiegelung, sondern auch das intuitive Interface in Form des Touchscreens sowie der Rechenprozess im Arbeitsspeicher (random access memory) des Computers greifen die Aspekte des Sehens, der Berührung und des Memorierens auf und setzen sie in Beziehung zu den gegenwärtigen technischen Bedingungen. So lässt sich auch bei Alberti das Subjekt in einem historischen Sinne fassen, doch ist es hier

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noch nicht individuell und autonom, denn in der Renaissance wurde es in einem Aristotelischen Sinne verstanden und war damit nicht auf tatsächliche Personen bezogen, sondern als ein substanzieller Gegenstand definiert, der durch das Prädikativ einer äußeren ontologischen Instanz bestimmt wird. Im Medium des Porträts wird damit eine Medialisierung, in Hinblick auf Liquid Views sogar eine Formatierung des Subjekts sichtbar, die aber erst in der modernen Spannung von autonomem Selbst und normativem Anspruch wirklich zur Blüte kommt. Denn beginnend mit René Descartes’ »denkendem« und später mit Immanuel Kants »selbstbezüglichem« Subjekt, wandelt sich die Subjekt-Konzeption dahingehend, dass das moderne Subjekt sich durch die einheitliche Verbindung von Denk- und Handlungsfähigkeit bestimmt, die durch ein Selbstverständnis motiviert ist. Erst durch diese Autonomisierung löst sich das Porträt von seiner rein repräsentativen Funktion und erlaubt dem menschlichen Subjekt, sich in seinem Selbstverständnis abzubilden. Bereits Georg Simmel spricht dementsprechend von einem Dualismus der Äußerlichkeit und des Innenlebens des Menschen, dessen Synthese durch Ausdruck und Form die Aufgabe des Porträts ist: »Der Beschauer steht nicht einem vollen Leben, sondern einem Nebeneinander von Farbenflecken gegenüber, der bloßen Form und Farbe einer Oberfläche. Und nun erhebt sich eben die Frage: Wie kann diese Erscheinung auf der Leinwand, diese Abstraktion, dennoch die Vorstellung eines Innenlebens, einer Seelenhaftigkeit und ihres bestimmten Charakters hervorrufen?«28 Simmel versteht die (Bild-)Oberfläche nicht als Reproduktion der äußerlichen Erscheinung des Porträtierten, sondern die Oberfläche dient hier als Medium zwischen einem Inneren und Äußeren. So gesehen ist es gerade nicht die Referenz der Ähnlichkeit, die das Porträt als Porträt charakterisiert, sondern die Differenz von Vor- oder Abbild; es zeichnet sich durch seine eigenständige und genuine Medialität aus, durch seine mediale Ausdrucksfähigkeit das Unscheinbare zu veranschaulichen.29 Wenn Morris sich in seiner I-Box in exhibitionistischer Pose präsentiert, spielt er eben mit diesem Verhältnis, denn obwohl der Betrachter seinen Körper nun gänzlich kennt, kann er doch durch die bloße Anschauung nichts über dessen Person erkennen. Die Unvereinbarkeit von Vorstellung und (visueller) Begegnung kulminiert im Akt der Öffnung der Tür, die keinen Blick auf das Innere des »Ich« eröffnet, ebenso wenig wie mit der Berührung des Screens in Liquid Views etwas über die innere Beschaffenheit hervortritt; stattdessen tritt nur die Oberflächlichkeit und die Fremdheit des Gegenübers zu Tage.30 Was so in der zeitgenössischen Kunst evident wird, ist eben nicht die Ähnlichkeit, die nach der Komplementierung des Subjekts im und durch das Porträt sucht, sondern eine Chiralität des Porträts, beschreibt dieser aus der Chemie entliehene Begriff doch ebenso eine deckungsungleiche Form im Gefüge des Porträts. Doch gleichzeitig verneint die Chiralität eine identische Selbstabbildung, indem die reale rechte Hand nie die porträtierte rechte Hand berühren kann, selbst wenn sie wie in Liquid Views animiert ist. Weil hier im Moment der

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Berührung das vermeintlich perfekte Gegenüber zerfließt, wird dem Betrachter die Exogenität seines Abbildes bewusst, die in der Medialisierung des Porträts begründet liegt.31 Diese demarkierende Funktion nimmt im Mythos des Narziss die Wasseroberfläche als Spiegel ein, indem sie zunächst als verbindendes Glied zwischen dem Ur- und Abbild von Narziss und dementsprechend als Medium zu betrachten ist. Es ist jene Zwischenstellung, die schon von Ovid in seinen Metamorphosen rhetorisch durch ein Antitheton hervorgehoben wird: »Und daß wachse mein Leid: nicht das Meer, das gewaltige trennt uns, / Nicht eine Straße, kein Berg, keine Wand mit verschlossener Pforte, / Nur ein winziges Wasser!«32 Die Wasseroberfläche ist hier schon nicht nur ein relationales Glied, sondern sie markiert auch die Differenz zwischen dem Bild und seinem Abbild, zwischen dem Porträt und dem Porträtierten und ist so ein Dazwischen oder, im wörtlichen Sinne, ein Inter-Face.

Zwischen den Gesichtern Bereits die zunehmende Präsenz der analogen Medien führte zu einer Krise des Subjekts, wie sie in der Kunst seit den sechziger Jahren zum Ausdruck kommt, und die Michel Foucault mit seiner so häufig zitieren Schlussfolgerung pointiert, »daß der Mensch verschwindet wie am Meeresufer ein Gesicht im Sand«.33 Doch anders als die Künstler der Pop Art oder der Happening-Kunst, die mit den Inszenierungen ihrer Selbst als Andere zwar die vorherrschende Subjektdefinition kritisierten, zugleich aber auch deren Ordnungssystem affirmierten, wird in Liquid Views das Gegenüber als virtuelles Double demaskiert, weil die prozess­uale und performative Dimension in den Fokus rückt.34 Die Installationsgrafik von Liquid Views skizziert diese Gegenüberstellung, indem sie die beiden unterschiedlichen Realitätsebenen der Installation darstellt: Auf der einen Seite zeigt sie den eigentlichen Installationsraum, auf der anderen Seite  –  durch die Projektion beziehungweise die Bildschirmoberfläche verbunden und zugleich verborgen  –  sieht man das anatomische Innenleben der black box in Form von Rechner und anderer Hardware |Abb. 7|. Dieses Konzept der räumlichen und zeitlichen Trennung sowie der Fokalisierung des Blicks, wie sie auch in der I-Box von Morris und im Physiognomic Scrutinizer von Marnix de Nijs vorkommt, kann bis zu den close-circuit-Installationen der siebziger Jahre zurückverfolgt werden. Dan Graham und Bruce Nauman etwa lassen den Besucher ihrer Installationen ein Gefühl der Unbehaglichkeit erfahren, indem sie Spiegel und zeitversetzte oder versteckt aufgenommene Kameraaufnahmen einsetzten und ihn damit konfrontierten. Weil die Kontrolle über Privates und Öffentliches, über »Sehen« und »Gesehen-werden« nicht mehr im Auge des Betrachters liegt, sondern dem technischen Kameraauge zukommt, werden Aspekte von Macht, Überwachung und Kontrolle offengelegt, die den gängigen Sehgewohnheiten inhärent sind. Damit einher geht eine kritische Perspektive auf den gouvernementalen Charakter des Blicks, wie ihn Michel Foucault für die Ausbildung des Subjekts in der Moderne beschreibt.35 Anhand von Jeremy Benthams Panopticon aus dem späten 18. Jahrhunderts führt Foucault

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7  Monika Fleischmann u. Wolfgang Strauss: Liquid Views. Der virtuelle Spiegel des Narziss, 1997, schematische Darstellung

aus, wie sich das Modell der Machttechnik der parzellierenden Disziplin hier architektonisch manifestiert. Das Panopticon charakterisiert sich durch isolierte Zellen, die ringförmig um einen zentralen, uneinsehbaren Turm angeordnet sind, wodurch alle Insassen von einem einzigen Punkt aus zur gleichen Zeit gesehen werden können, zugleich aber nicht sehen können, ob sie im Moment gesehen werden: »[...] vom Standpunkt des Aufsehers aus handelt es sich um eine abzählbare und kontrollierbare Vielfalt; vom Standpunkt der Gefangenen aus um eine erzwungene und beobachtete Einsamkeit.«36 Es ist dieses moderne Paradigma des auf bloße Information reduzierten Subjekts, dem sein fragmentarisches und verknapptes Sein sichtbar gemacht wird, das sich noch in den gesichtslosen Porträts von Picabia oder Arman findet, indem Personen durch ein markantes Surrogat porträtiert werden; und es ist dieses moderne Paradigma, das die Forschung mit dem Begriff der Ähnlichkeit affirmiert, mit einer punktuelle Relation, die nach der Komplementierung des Subjekts sucht.37 Demgegenüber geht es in Liquid Views nicht um dieses bürgerlich-moderne Konzept von Ähnlichkeit, denn das Porträt auf dem Bildschirm ist keine prothetische Kompensation, sondern ein digitaler Klon des Betrachters, dessen Referenz nicht wechselseitig ist, sondern einzig im Hinblick auf das Systematische des Visuellen besteht. So wird ihre Differenz auch nicht durch ein visuelles, sondern durch ein taktiles Moment offenbart, denn die Chiralität des Porträts zeigt sich an der medialen Schnittstelle, die hier entsprechend ein Touchscreen ist.38

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Wie Walter Benjamin eine tiefgreifende Neuordnung des Apperzeptionsapparats in der Moderne, insbesondere durch den Film, mit dem Begriff der »Chockwirkung« charakterisiert, so lässt sich dies auch für die Digitalisierung und Computerisierung beobachten, denn die Geschwindigkeit der filmischen Bilder wird durch den diskontinuierlichen Hypertext und die rhizomatischen Netzwerke noch übertroffen.39 Der Rechenprozess, der zwischen der Kameraaufnahme und Bildschirmausgabe stattfindet, wird von dem Benutzer als Echtzeit hingenommen, doch erst mit der Berührung des Screens wird überhaupt erkenntlich, dass ein solcher Prozess stattfindet. »What you see is what you see«, diese modernistische Position Frank Stellas wird damit abgelöst. Stattdessen tritt das digitale Monitorbild an die Bildschirmoberfläche, dessen Bildgenese das Ergebnis eines komplexen Rechenprozesses ist. Das Subjekt ist nicht mehr jenes, welches wir sehen, obgleich man Gefahr läuft  –  wie der mythologische Narziss  –  der digitalen Macht über das Visuelle zu verfallen. Stattdessen wird in Liquid Views evident, dass die Konstitution des Subjekts in der Intervention des Prozesses liegt, gleich dem technischen Diktum: »What you see is what you get«.40 Liquid Views situiert sich in einer Zeit der technischen Komplexität, in der die Dystopien der Cyberpunk-Kultur der achtziger Jahre technisch mehr und mehr realisiert werden konnten. Diese technische Perfektion der Cyborgs wird als digitales und virtuelles Gegenüber im Environment nun offenbar wirklich; es scheint endlich das Desiderat der perfekten Ähnlichkeit einzulösen, doch nicht zur Gänze, denn die Blicke treffen sich nicht zwischen Person und virtuellem Spiegel, sondern zwischen Betrachter und Kameraauge. Der Blickkontakt, der so wesentlich für die Beziehung zwischen der Person und dem Porträt ist, findet daher nie zwischen körperlichem Auge und Monitor statt, sondern ist abhängig von der technischen Konfiguration der Schnittstelle und manifestiert so augenscheinlich die Chiralität des Porträts. Schon Theodor W. Adorno schreibt über das sehende Subjekt in Werken der Kunst: »Kunstwerke, die in manchen Phasen über den geschichtlichen Augenblick hinaus­ schießender Befreiung brüderlich mit dem Weltgeist sind, verdanken ihm Atem, Frische, alles, wodurch sie Zurichtung und Immergleichheit übersteigen. In dem Subjekt, das in solchen Werken die Augen aufschlägt, erwacht Natur zu sich, und der geschichtliche Geist selber hat Anteil an ihrer Erweckung.«41 Auch wenn das Sehen für Adorno wesentlich ist, distanziert er sich hier von einer rein repräsentativen Kunst und beschreibt mit der Metapher der Lebendigkeit eher die Einschreibung diskursiver Episteme in die Kunst. In einem wörtlichen Sinne bezeugen solche Werke wie Oscar Wildes Das Bildnis des Dorian Gray oder Julian Opies animiertes Selbstporträt Julian Opie (»Julian with T-shirt«) von 2005 eine derartige Anthropomorphose, die durch eine zeitliche Veränderung  – hier durch Altern, dort durch Atmen  – dem Porträt und dessen teleologischer Singularität einen ambivalenten Charakter von Autonomie und zugleich ephemerem Sein zuspricht |Abb. 8|. Das Porträt, folgt man Adorno, konstituiert sich so nicht nur durch den Por­ trätierten und den Porträtisten, sondern vor allem durch den und im Moment der Begegnung.42

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In Liquid Views ist dieser Moment vergleichsweise leer, denn die close-circuit-Installation produziert nichts, sondern, gleich einem analogen Spiegel, reflektiert nur das vor ihr Stehende, indem sie es auf dem Monitor abbildet: »Diese Neutralität des Binären, ist der digitale Schein, insofern wir die Information mit dem Sinn verwechseln.«43 Doch dementgegen basiert der Algorithmus, der die Wellenbewegung errechnet, auf einem der Medizin entliehenen Programm zur Darstellung des Herzschlags und unterstreicht damit den kognitiven Wirklichkeitsanspruch. Diese technischrhythmische Animation zerstört so viel weniger das Porträt auf dem Monitor, als dass es dessen Leblosigkeit sichtbar macht. In diesem Sinne ist Liquid Views kein Porträt en face, denn auch wenn es ein Gesicht zeigt, so zeigt es doch auf nichts, denn die Züge des Gesichts haben keine Signifikanz, weil sie Ergebnis eines maschinellen Rechenprozesses sind. Dieses Bild verliert so seine Eigenständigkeit und treibt solchermaßen ziellos auf der Wasseroberfläche, à la surface, des Teiches.44 Getäuscht von der perfekten und zugleich form- und bedeutungslosen Illusion  –  eben der In-formation  –  der Monitoroberfläche, betrachtet sich der Benutzer in narzisstischer Faszination gleichsam blind vor Liebe; erst die Interaktion des Besuchers lädt die Situation auf.45 Jacques Derrida bemerkt, »der Blinde 8  Julian Opie: Julian Opie (»Julian with T-shirt«), ist zunächst der Täuschung unterworfen, er ist das 2005, LCD-Screen mit integrierter Software, 110,2 × 65,8 cm, London, National Portrait Subjekt der Täuschung«; so gesehen ist das Subjekt Gallery in Liquid Views im engeren Sinne nicht eine reale Person oder der Nutzer, sondern die Täuschung, der Schein, der unsichtbare digitale Datenfluss und der Prozess der medialen Interaktion.46 Die Individualität so negierend, bricht Liquid Views mit einem Element der klassischen Porträtgattung und dennoch, indem es die Unsicherheit und die Gefahr der medialen Unerfahrenheit erfahren lässt, thematisiert es ein Grundproblem des Porträts, »die zur Schau gestellte Angst, das Sich-gesehen-Sehen-ohne-gesehen-zu-werden, Gaukelei und Neugier, Exhibitionismus und Voyeurismus: Das sujet des Selbstporträts wird die Angst, es macht sich (zur) Angst.«47 Dem auf diskrete Einheiten reduzierten Datenkörper wird die Sensualität entgegengehalten, indem sie der unheimliche Prozess in Liquid Views förmlich greifbar werden

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lässt und so mit der immersiven und intimen Situation des Dialogs gerade in dem Moment gebrochen wird, wenn er durch die Berührung des Touchscreens am intensivsten ist. Wie Dorian Gray schließlich auf sein Bildnis einsticht und sich damit selbst tötet, zerstört der Akt der Berührung das Porträt auf dem Monitor; es ist sozusagen ein »taktiler Chock«, wie man es in Anlehnung an Walter Benjamin formulieren könnte.48 Thematisierten die Arbeiten von Francis Picabia oder Robert Morris das Subjekt als Objekt des Anderen, der Technik oder der fremden Blicke eines Voyeurs, so wird in Liquid Views das Subjekt vielmehr zum Anderen. Gleichsam wie ein digitaler Flaneur streift der Nutzer durch den immersiven Raum, bis das Bild auf dem Touchscreen zerfließt, und er sich der Exogenität und Autarkie seines Gegenübers bewusst wird.49 Seismografisch, um auf Aby Warburg anzuspielen, verweist Liquid Views damit auf die Potenzen der digitalen Technik, wie sie erst zu Beginn des 21. Jahrhunderts omnipräsent wurde, wenngleich sich ihre kulturellen Konsequenzen zur Gänze auch jetzt nur andeuten, wie Bronac Ferran und Alessandro Ludovico für das Porträt schreiben: »Aber das gesamte Konzept des digitalen Porträts steht infrage. In den Online-Netzwerken sieht man fast täglich neue Techniken, die unsere Auffassung eines kohärenten, individuellen Ichs oder die Idee des Zustandekommens unseres Bilds und Selbstbilds erschüttern.«50 Diese Position scheint auch Lynn Hershman Leeson in iPhone Crack einzunehmen, denn hier geht mit der Zerstörung des Apparats auch die Zerstörung des Selbst einher. Menschliches Subjekt und Apparat sind untrennbar miteinander verbunden, indem sich die Risse der zersplitterten Glasscheibe in den Linien ihrer Hand fortsetzen; ihr Blick ist genauso starr und eingefroren wie der kaputte Bildschirm. In Liquid Views verflüssigt sich dagegen diese Beziehung, weil mit dieser Abhängigkeitsrelation durch die Unberechenbarkeit der Interaktion gebrochen wird. Das Potential des Digitalen führt das Porträt so wieder auf seine Grundzüge zurück, indem es sich mit der Aura des Unscheinbaren oder Virtuellen umgibt, indem es, wie Alberti schreibt, »das Abwesende vergegenwärtigt«.51 Ein solcher Interaktionsprozess lässt die Begegnung mit dem Datenkörper zu, er verlebendigt die digitalen Informationen, sodass etwas an dem Porträt passiert, durch das auch der Begriff der Ähnlichkeit wieder fruchtbar wird: Von Ähnlichkeit in seiner referentiellen Bedeutung kann hier nicht mehr gesprochen werden, denn der Begriff fordert hier nichts ein, sondern muss so verstanden werden, dass er sich selbst voraussetzt, indem sich eine Beziehung zum Porträt als ständiger Abgleich verstehen lässt, für den eine doppelte Anwesenheit konstitutiv sein muss.52 Es ist das Moment des Werdenden, des Unabgeschlossenen und des Eventuellen in Form der Chiralität, das in Hinblick auf Liquid Views und das Potential des Digitalen zum Merkmal eines Porträts wird. Darin bricht Liquid Views mit einem cartesianisch geprägten Konzept, in dem der Geist gegenüber dem Körper privilegiert wird. Stattdessen lässt es die Begegnung, Erfahrung und die Kritik des medialisierten oder formatierten Selbst sichtbar werden. Das Subjekt des Porträts ist so kein fixes mehr, es ist instabil, liquide und letztlich ein work-in-process.53

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1  Oscar Wilde: The Picture of Dorian Gray, London 1891, S. 32. 2  Wie das englische »likeness« ist Ähnlichkeit ein konjunktionaler Begriff und für die Porträtforschung so zentral, da er dort die Referenz von realer Person und Abbild bezeichnet; zur Kategorie der Ähnlichkeit vgl. Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985, S. 25. 3  Jacob Burckhardt: Die Anfänge der neuern Porträtmalerei [1885], in: id.: Gesamtausgabe (hrsg. v. Emil Dürr), Bd. 14, Berlin u. Leipzig 1933, S. 316 – 330, S. 316 f. 4  In der Theorie wird bei der Unterscheidung von bildlichem und literarischem Porträt hingegen meist nur die klassische Differenz von räumlicher und temporaler Darstellung hervorgehoben, vgl. Georg Simmel: Aesthetik des Porträts [1905], in: id.: Gesamtausgabe (hrsg. v. Otthein Rammstedt), Bd. 7, Frankfurt am Main 1995, S. 321 – 333, S. 324; Wendy Steiner: Postmodernist Portraits, in: Art Journal 46/1987, S. 173 – 1 77, S. 173. 5  Zum Begriff des Unheimlichen vgl. Sigmund Freud: Das Unheimliche [1919], in: id.: Gesammelte Werke, Bd. 12, London 1947, S. 227 – 268, S. 237 ff. u. S. 262 f.; zur Entwicklung des Porträts im frühen 20. Jahrhundert vgl. Boehm 1985, S. 10. In Hinblick auf die Abstraktion der modernen Kunst, in der dem Bild ein autonomer Status zugesprochen wird, versucht auch Imdahl das Porträt mit dem Begriff der »Nicht-Ähnlichkeit« zu begreifen. Dabei knüpft er an eine klassische Definition an, indem er die Vergegenwärtigung des Porträts als konstitutiv für die Gattung erachtet und die »Nicht-Ähnlichkeit« der Moderne durch eine imaginäre Präsenz der Person argumentiert; vgl. Max Imdahl: Relation zwischen Porträt und Individuum [1988], in: id.: Gesammelte Schriften (hrsg. v. Gottfried Boehm) , Bd. 3, Frankfurt am Main 1996, S. 591 – 616, S. 602. Ebenso wird das Ähnlichkeitsverhältnis in der neueren Forschung mit dem von Walter Benjamin entlehnten Begriff der »entstellten Ähnlichkeit« gefasst; vgl. Werner Busch et al. (Hrsg.): Ähnlichkeit und Entstellung. Entgrenzungstendenzen des Porträts, München 2010. 6  Erst im 20. Jahrhundert werden Dingen oder abstrakten Formen der Status eines autonomen Porträts zugesprochen, gleichwohl gibt es Vorläufer dieser Tendenzen. De Chapeaurouge verweist darauf, dass bereits im 19. Jahrhundert dem »leeren Zimmer« und den »toten Dingen des täglichen Lebens« gelegentlich ein Bildnischarakter zugesprochen wurde, sie gleichsam porträthafte Züge bekamen und ebenso das Menschenbild des 19. Jahrhunderts visualisierten; vgl. Donat de Chapeaurouge: Das Milieu als Porträt, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 22/1960, S. 137 – 158, S. 154. Zur früheren Diskussion über Ausdruck und Aufgabe des Porträts siehe auch Antoine-Joseph Pernety: Dictionnaire portatif de peinture, sculpture et gravure, Paris 1757, S. 475. Zum Porträt in der Avantgarde, insbesondere zu Picabia, vgl. Uwe Fleckner: Das hermetische Porträt. Gesichtslose Bildnisse im Werk von Constantin Brancusi und Francis Picabia, in: Porträt ohne Antlitz. Abstrakte Strategien in der Bildniskunst (hrsg. v. Petra Gördüren u. Dirk Luckow), Ausstellungskatalog, Kunsthalle zu Kiel 2004, S. 20 – 28; vgl. auch den Aufsatz von Ashley Lazevnick in diesem Band, S. 311 ff. 7  Rudolf Preimesberger: Einleitung, in: id., Hannah Baader u. Nicola Suthor (Hrsg.): Porträt, Berlin 1999 (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 2), S. 13 – 64, S. 15. Den Stellenwert des Gesichts hob Seidl jüngst noch hervor; vgl. Lexikon Kunstwissenschaft. Hundert Grundbegriffe (hrsg. v. Stefan Jordan u. Jürgen Müller), Stuttgart 2012, s. v. »Porträt« (Ernst Seidl), S. 266 – 269, S. 266: »Das Porträt soll neben der physischen Ähnlichkeit auch die Persönlichkeit, die subjektive Empfindung oder die konkrete psychosoziale Situation des wiedergegebenen Menschen charakterisieren. Deshalb erfährt das Gesicht des Individuums im Porträt besondere Beachtung.« 8  Vgl. Richard Brilliant: The Authority of the Likeness, in: id.: Portraiture, London 1991, S. 23 – 4 4. 9  Vgl. Allison Blizzard: Portraits of the 20th Century Self. An Interartistic Study of Gertrude Stein’s Literary Portraits and Early Modernist Portraits by Paul Cézanne, Henri Matisse and Pablo Picasso, Frankfurt am Main 2004, S. 30.

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10  Vgl. Jacques Derrida: Memoiren eines Blinden, in: Aufzeichnungen eines Blinden. Das Selbstporträt und andere Ruinen, Ausstellungskatalog, Paris, Musée du Louvre 1997, S. 9 – 1 27, S. 67; zum Konzeptuellen des Porträts vgl. Susanne Düchting: Konzeptuelle Selbstbildnisse, Essen 2001. 11  Vgl. Derrida 1997, S. 10: »Es gibt in dieser Gabe [dem Augenlicht/der Blindheit] eine Art Ent-zug [re-trait], zugleich das Dazwischenstellen eines Spiegels, die unmögliche Wiederaneignung oder Trauer, das das Dazwischentreten eines paradoxen Narziß, mitunter verloren en abyme, kurz, es gibt darin einen spektakulären Rückzug in sich selbst [repli]  –  und einen supplementären Zug.« 12  Vgl. Ich ist etwas anderes. Kunst am Ende des 20. Jahrhunderts, Ausstellungskatalog, Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Düsseldorf 2000. 13  Vgl. Porträt ohne Antlitz 2004. Dieser Neubestimmung des Porträts widmet sich auch die neuere Forschung zum Thema Porträt, vgl. Martina Weinhart: Selbstbild ohne Selbst. Dekonstruktionen eines Genres in der zeitgenössischen Kunst, Berlin 2004; Kunstforum International 216/2012 (Themenheft »Gesicht im Porträt / Porträt ohne Gesicht«); sowie jüngst Petra Gördüren: Das Porträt nach dem Porträt. Positionen der Bildniskunst im späten 20. Jahrhundert, Berlin 2013. 14  Vgl. Bronac Ferran u. Alessandro Ludovico: Porträts im 21. Jahrhundert. Was macht die Kunst mit Gesichts(v)erkennungssoftware?, in: Springerin. Hefte für Gegenwartskunst 1/2013, S. 8 – 9. 15  Vgl. Ästhetik & Kommunikation 94 – 95/1996 (Themenhaft »Medium Gesicht: Die faciale Gesell­ schaft«, hrsg. v. Gerburg Treusch-Dieter u. Thomas Macho). Zu jüngeren kulturgeschichtlichen Auseinandersetzungen mit dem Gesicht vgl. Sigrid Weigel (Hrsg.): Gesichter. Kulturgeschichtliche Szenen aus der Arbeit am Bildnis des Menschen, München 2013. Zum Verhältnis von Gesicht und digitaler Technik vgl. Anna Munster: Materializing new media. Embodiment in information aesthetics, Hanover, NH u. London 2006, S. 117 – 1 49; zur Problematik von Identität und digitaler Technik vgl. Caroline Bassett: Identity Theft, in: Caroline A. Jones (Hrsg.): Sensorium. Embodied experience, technology, and contemporary art, Cambridge, MA 2006, S. 154 – 155, S. 154. 16  Allison Blizzard spricht hier von einem dialektischen Verhältnis des Portraits; vgl. Blizzard 2004, S. 40. 17  Zu dieser Ambivalenz auf semantischer Ebene vgl. Deutsches Wörterbuch (hrsg. v. Jacob Grimm u. Wilhelm Grimm), Bd. 4, I.2, Leipzig 1897, Sp. 4087 – 4099, s. v. »Gesicht«. Dass mit dieser Dichotomie die Signifikanz und Subjektivierung des Gesichts erfasst werden kann, nicht aber »die abstrakte Maschine zur Erschaffung des Gesichts«, darauf verweisen Gilles Deleuze u. Félix Guattari, vgl. das Kapitel »Das Jahr Null. Die Erschaffung des Gesichts«, in: id: Kapitalismus und Schizophrenie. Tausend Plateaus, Berlin 1992, S. 229 – 263. 18  Vgl. Boehm 1985, S. 231 f. 19  Zitiert nach Bruce Glaser: Questions to Stella and Judd, in: Gregory Battcock (Hrsg.): Minimal Art. A critical anthology, Berkeley et al. 1995, S. 148 – 165, S. 158. 20  Vgl. Sybille Krämer: Verschwindet der Körper? Ein Kommentar zu virtuellen Räumen, in: Rudolf Maresch u. Niels Weber (Hrsg.): Raum Wissen Macht, Frankfurt am Main 2002, S. 49 – 68, S. 50. 21  Diese Thematisierung der Beziehung und Interaktion von Realität und Virtualität, von menschlichem Individuum und Welten digitaler Technik war eine Leitfrage der Medienkunst zu Beginn der neunziger Jahre, die daher auch Gegenstand der Ars Electronica 1990 (Digitale Träume, virtuelle Welten), 1992 (Endo Nano) und 1993 (Genetische Kunst, künstliches Leben) war. Es ist wichtig, sich bewusst zu sein, dass zu dieser Zeit der Internet-Hype der neunziger Jahre noch bevorstand, dass Computer, obwohl schon Massenware, noch sehr weit von dem technischen Stand und der Omnipräsenz heutiger

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Tage entfernt waren, und dass sie dementsprechend technisch wie ästhetisch nur einer kleinen Gruppe gänzlich zugänglich waren. In nuce war der künstlerisch-technische Anspruch von Liquid Views ein völlig neuer, da solche Echtzeitsimulationen bis dahin nur von Spezialisten geleistet werden konnten und so der breiten Masse völlig unbekannt waren. 22  Zur Bedeutung des öffentlichen Zugangs für die Darstellung bei technischen Bildmedien vgl. Walter Benjamin: Das Kunstwerk im Zeitalter seiner technischen Reproduzierbarkeit [1935], in: id.: Gesammelte Schriften (hrsg. v. Rolf Tiedemann u. Hermann Schweppenhäuser), Bd. I.2, Frankfurt am Main 1974, S. 431 – 469, S. 451. 23  Leon Battista Alberti: Die Malkunst [1435], in: id.: Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei (hrsg. v. Oskar Bätschmann u. Christoph Schäublin), Darmstadt 2000, S. 194 – 315, S. 235, § 25. Auch Steiner greift diese Gattungsdefinition auf, betont dabei aber die medialen Aspekte; vgl. Steiner 1987, S. 173. 24  Zur Verbindung von Virtualität und Räumlichkeit siehe Krämer 2002, S. 52. 25  Alberti [1435], S. 237, § 26. 26  Zum ikonografischen Wandel dieses Motivs siehe Narcissus Reflected, Ausstellungskatalog, Fruit Market Gallery, Edinburgh 2011. 27  Vgl. Boehm 1985, S. 19. 28  Georg Simmel: Das Problem des Porträts [1918], in: id.: Gesamtausgabe (hrsg. v. Otthein Rammstedt), Bd. 13, Frankfurt am Main 2000, S. 370 – 381, S. 374. 29  Der Begriff des Unscheinbaren verweist auf jene notwendige Illusion, die Kant als »transzendentalen Schein« beschreibt, der hier jedoch nicht natürlich, sondern technisch-digital ist; vgl. Immanuel Kant: Kritik der reinen Vernunft [1781], in: id.: Werkausgabe (hrsg. v. Wilhelm Weischedel), Frankfurt am Main 1968, Bd. 3/4, S. 308 f. Auch Flusser theoretisiert diese Täuschung, bezeichnet sie allerdings als »digitalen Schein«; vgl. Vilém Flusser: Digitaler Schein [1991], in: id.: Schriften (hrsg. v. Stefan Bollmann u. Edith Flusser), Bd. 1, Mannheim, 2. Auflage 1993, S. 272 – 285, S. 273: »Die alternativen Welten sind keine Gegebenheiten (Daten), sondern künstlich Hergestelltes (Fakten). Wir mißtrauen diesen Welten, weil wir allem Künstlichen, aller Kunst mißtrauen. »Kunst« ist schön, aber Lüge, was ja mit dem Begriff »Schein« gemeint ist.« 30  Vgl. Maurice Merleau-Ponty: Das Auge und der Geist, in: id.: Das Auge und der Geist. Philosophische Essays (hrsg. v. Hans Werner Arndt), Hamburg 1984, S. 13 – 43, S. 24: »Sein ›Abbild‹ [des Cartesianers] im Spiegel ist eine Wirkung der Mechanik der Dinge; erkennt er sich in ihm wieder, findet er es »ähnlich«, so stellt sein Denken diese Verbindung her. Das Spiegelbild dagegen ist nichts von ihm.« 31  Der Begriff der Exogenität erscheint mir sehr treffend, weil er, anders als die sozial- und kulturwissenschaftlich konnotierten Begriffe des Anderen, Fremden, Exotischen oder Umweltlichen, der informationswissenschaftlichen Endoästhetik entliehen ist; zur Endoästhetik vgl. Claudia Giannetti: Ästhetik des Digitalen. Ein intermediärer Beitrag zu Wissenschaft, Medien- und Kunstsystemen, Wien 2004, S. 177 ff. 32  Publius Ovidius Naso: Metamorphosen. Epos in 15 Büchern (hrsg. v. Hermann Breitenbach), Zürich 1958, Buch 3, 4.448 ff.: »Quoque magis doleam, nec nos mare separat ingens / Nec via nec montes nec clausis moenia portis: / Exigua prohibemur aqua!«

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33  Michel Foucault: Die Ordnung der Dinge. Eine Archäologie der Humanwissenschaften, Frankfurt am Main 1974, S. 462; zur Krise des Subjekts in der Kunst vgl. Lucy Lippard: New York Pop, in: id. (Hrsg.): Pop Art, London 1966, S. 69 – 138, S. 70. 34  Vgl. Foucault 1974, S. 384. 35  Vgl. Michel Foucault: Überwachen und Strafen. Die Geburt des Gefängnisses, Frankfurt am Main 1976, S. 167. 36  Ibid., S. 258. 37  Diese Konzeption findet sich auch in der Psychoanalyse Lacans wieder; vgl. Jacques Lacan: Das Spiegelstadium als Bildner der Ichfunktion. Wie sie uns in der psychoanalytischen Erfahrung erscheint, in: id.: Schriften (hrsg. v. Norbert Haas), Bd. 1, Olten et al. 1973, S. 60 – 70. 38  Diese Kritik des modernen Blickregimes beschreibt Foucault dementsprechend als asymmetrische Überwachung im Panopticon; vgl. Foucault 1976, S. 259. Auch Lacoue-Labarthe verweist mit dem Begriff Alloporträt auf den differenten Charakter des Porträts, wenn er das Lacansche Spiegelstadium auf das Selbstporträt bezieht; vgl. Philippe Lacoue-Labarthe: Künstlerporträt, allgemein. Eine Studie zu Urs Lüthis »Just another story about leaving«, Dudweiler 1980, S. 24. 39  Vgl. Benjamin 1974, S. 464. 40  Mit dem Akronym WYSIWYG (What you see is what you get) werden in der Informatik Dokumente bezeichnet, die bei ihrer Bearbeitung auf dem Bildschirm genauso erscheinen wie bei ihrer späteren Ausgabe durch andere Soft- oder Hardware. 41  Theodor W. Adorno: Ästhetische Theorie, Frankfurt am Main 1973, S. 310. Auch Benjamin betont, allerdings für die Fotografie, die Bedeutung von Sehen und Lebendigkeit; vgl. Walter Benjamin: Über einige Motive bei Baudelaire [1940], in: Benjamin 1974, S. 605 – 653, S. 646 f. 42  Merleau-Ponty versteht die Bewegung als eine Weiterentwicklung des Sehens. Die daraus resultierende Begegnung und Verbundenheit lässt das Subjekt letztlich seine Körperlichkeit erfahren; vgl. Merleau-Ponty 1984, S. 16 f. 43  Holger van den Boom: Digitaler Schein. oder: Der Wirklichkeitsverlust ist kein wirklicher Verlust, in: Florian Rötzer (Hrsg.): Digitaler Schein. Ästhetik der elektronischen Medien, Frankfurt am Main 1991, S. 183 – 204, S. 193. 44  Zur symbolischen Dimension und der kulturellen Ausformung der Frontalität im Porträt vgl. Meyer Schapiro: Words and Pictures. On the literal and the symbolic in the illustration of a text, Den Haag u. Paris 1973, S. 37 ff. 45  Information stammt zwar von dem lateinischen »informare« (Auskunft geben), dem Begriff ist aber eine Ambivalenz inhärent, denn das Präfix »in« bedeutet einerseits »in, hinein« (also das Innere der Form, deren Gehalt), andererseits aber auch »nicht, ohne« (also das, was ohne Form ist). 46  Derrida 1997, S. 95. 47  Ibid., S. 73. 48  Mit dem Schock benennt Benjamin die Wirkung des Apparats auf die Entwicklung der Wahrnehmung; vgl. Benjamin 1974, S. 466: »Aber nichts verrät deutlicher die gewaltigen Spannungen unserer Zeit, als daß diese taktile Dominante in der Optik selber sich geltend macht. Und das eben

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geschieht im Film durch die Chockwirkung seiner Bilderfolge.« Das Supplementäre der Berührung im Selbstporträt hebt wiederum Derrida mit dem Begriff »trait« hervor. Durch die Doppeldeutigkeit von »trait« als Gesichtszug sowie Pinselzug oder -strich verweist er auf die Bedeutung der Taktilität für die Bildung eines Selbst im Porträt; vgl. Derrida 1997, S. 10. 49  Vgl. Caroline A. Jones: Introduction, in: Jones 2006, S. 1 – 4, S. 1: »New form of subjectivity were theorized, from cyborgs to digital flâneurs to networked hive-minds.« 50  Ferran u. Ludovico 2013, S. 8. Warburg bezeichnet sich in einem Brief an Gustav Pauli aus dem Jahr 1929 selbst als »psychischen Seismographen«; zitiert nach Aby Warburg: »... ein phaenomenaler Scheinwerfer«. Ein Brief an Gustav Pauli aus dem Jahr 1929, in: Michael Diers (Hrsg.): Porträt aus Büchern. Bibliothek Warburg und Warburg Institute. Hamburg 1933 London, Hamburg 1993, S. 82 – 8 4, S. 83. 51  Vgl. Alberti 2000, S. 235, § 25. 52  Ähnliche Überlegungen finden sich in einer allgemeineren Form bei Brian Massumi: Semblance and Event. Activist Philosophy and the Occurrent Arts, Cambridge, MA u. London 2011. 53  Bauman beschreibt den Begriff »liquide« beziehungsweise die Verflüssigung des Subjekts als eine »Schlüsselmetapher der Moderne«; vgl. Zygmunt Bauman: Flüchtige Moderne, Frankfurt am Main 2003, S. 7 ff.

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DAS BILDNIS ALS POLITISCHES BILD

EIN PARÄNETISCHES PORTRÄT Das Herrscherbild Ottos III. JO H A N N E S VO N M ÜL L E R

Zwischen Bildtyp und Porträt Das Frontispiz des Aachener Evangeliars hält eines der enigmatischsten Herrscherbilder des Mittelalters bereit. Im Zentrum der oberen Bildhälfte thront eine Gestalt |Abb. 1|. Auf ihrer Brust liegt ein geschwungenes, weißes Band, gerafft an den vier Punkten, an denen es von den apokalyptischen Wesen gehalten wird. In dunklen Schattierungen artikulierte Falten evozieren die daraus folgende Bewegung. Die vier Wesen sind um den Thronenden angeordnet. In ihrer Mitte, am Scheitelpunkt der Komposition, die einem den Bildgrund schließenden Bogen folgt, prangt ein blauer Zirkel. Er ragt ebenso über die bildinterne, in dunklem Rot gestaltete Rahmung hinaus, wie er selbst an seiner Unterseite durchbrochen wird von dem spitzen Ende einer Mandorla. Diese umkränzt die gekrönte Gestalt. Von der mandelförmigen Glorie verstärkt, reicht ihr Kopf bis in die blau umfangene Sphäre. Aus der Mitte des Zirkels, vor einem griechischen Kreuz, greift eine Hand herab. Sie berührt das Haupt an der Stirn. Jenseits des besagten Bandes, das auf der Brust liegend die Büste mitsamt dem blauen Zirkel vom restlichen Bildgeschehen isoliert, breitet der Thronende, angetan mit einem roten Mantel und gekleidet in eine weiße Tunika, seine Arme aus. Die Bewegung imitiert die Form des über ihm schwebenden Kreuzes, sodass die Hände auf den Umrisslinien der Mandorla zu liegen kommen; in der rechten Hand die Himmelskugel, die linke geöffnet. Die gepolsterte Thronbank wird von einer knienden Gestalt getragen, mehr noch: in die Höhe gestemmt. Zu

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1  Aachener Evangeliar Ottos III., Widmungsblatt und Frontispiz, fol. 15v u. 16r, Ende des 10. Jahrhunderts, Miniaturen, je 29,8 × 21,5 cm, Aachen, Domschatz

beiden Seiten dieses Kraftaktes, dem Thronenden zugewendet, steht jeweils eine gekrönte Gestalt mit gesenktem Haupt. Die beiden Figuren sind in geringerer Größe ausgeführt als die in ihrer Mitte. Eine jede trägt auf der dem Betrachter zugewandten Schulter eine Lanze mit rotem Wimpel. Das Fundament dieser Szene bilden im ganzen vier Figuren: zwei durch ihre Bewaffnung ausgewiesene Krieger, zwei an ihrer Tonsur erkennbare Geistliche. Das Frontispiz des im Aachener Domschatz überlieferten Codex, welcher der Forschung als das Aachener Evangeliar oder auch Liuthar-Evangeliar geläufig ist, wird mittlerweile einhellig auf das ausgehende 10. Jahrhundert datiert.1 Diese zeitliche Eingrenzung bestimmt denjenigen Otto, den die Beischrift im Widmungsblatt ohne Ordnungszahl nennt, als den dritten Kaiser dieses Namens (980 – 1002). Die illuminierte Handschrift ist im Kloster Reichenau entstanden als eine Schenkung an den Kaiser, dem sie auch gewidmet ist. Der Anlass dieser Schenkung ist nicht bekannt.2 Die 256 Pergamentblätter, heutzutage in schlichtes Leder gebunden, sind im Laufe der Zeit erkennbar beschnitten worden.3 Die Maße von

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29,8 Zentimeter in der Höhe sowie 21,5 Zentimeter in der Breite können demnach nicht als die ursprünglichen gelten. Neben einunddreißig ganzseitigen Miniaturen, die zumeist einen Bildraum von 14 Zentimetern Höhe beanspruchen, zählen zum Bilderschmuck der Handschrift einundzwanzig die Evangelien begleitende Illuminationen, vier Bildseiten mit den Darstellungen der Evangelisten, ein Widmungsblatt und nicht zuletzt das hier zu untersuchende Frontispiz. Die Betrachtung eines Herrscherbildes jener Zeit im Kontext der Bildgattung des Porträts mag ungewöhnlich anmuten. Ein Beispiel der Gründe für etwaige Irritationen gibt Hartmut Hoffmann, der in seiner grundlegenden Studie zu Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich unter anderem die Wissenschaftsgeschichte der Identifizierung jener Kaiser und Kö­nige referiert, die in den Herrscherbildern der betreffenden Codices des 10. und 11. Jahrhunderts dargestellt sind. Paläografischer und kunsthistorisch-stilistischer Datierung zum Trotz habe sich das Unterfangen als außerordentlich schwierig erwiesen: »Dieser misslichen Lage hat man dadurch entgehen wollen, dass man die Herrscher jeweils auf einen Kopftyp festlegte (im wesentlichen geht es dabei um den Bart, ob vorhanden oder nicht und gegebenenfalls von welcher Form).« Hoffmann problematisiert ein solches Vorgehen: »Aber setzte man damit nicht eine Porträtgenauigkeit voraus, die die damaligen Künstler noch nicht gekannt haben?« Und fährt, selbst die Antwort gebend, fort: »Was die Zeit davon hielt, zeigt vielleicht am besten die Wiederverwendung der Augustusgemme am Lotharkreuz: Ein antikes Porträt konnte als Bildnis eines mittelalterlichen Kaisers dienen! Wer solche Aneignungen guthieß, für den war Ähnlichkeit kein dringendes Problem.«4 Der Bildtyp des Porträts wird im Zusammenhang mittelalterlicher Herrscherbilder demnach zwar erwähnt, aber nicht um letztere der Gattung zuzusprechen. Sie werden im Gegenteil über die Abgrenzung zum Porträt begriffen: Eine »Porträtgenauigkeit«, Hoffmann meint physiognomische Ähnlichkeit, würden sie nicht aufweisen; die in der Wortwahl vorgenommene Differenzierung von »antikem Porträt« und »Bildnis eines mittelalterlichen Kaisers«, so ist zu vermuten, hat daher weniger stilistische als gattungstheoretische Gründe. 1929 bestimmte Hermann Deckert das Porträt als »die ähnliche Darstellung eines bestimmten Menschen«.5 Zu Beginn des 21. Jahrhunderts verzichtet Martin Büchsel in seiner Definition hingegen auf den Begriff der Ähnlichkeit. In seiner Einleitung der Publikation zum Porträt vor der Erfindung des Porträts  –  der Titel sei ein Bonmot, wie Büchsel zugibt, insofern es das Porträt immer gegeben habe  –  heißt es, das Porträt allgemein sei ein Bild, »unter dem der Name eines bestimmten Menschen stehen kann oder stehen könnte«.6 Damit sind nur zwei Pole stellvertretend für ein breites Spektrum variierender Auffassungen des Gegenstandes genannt.7 Ob Ähnlichkeit nun aber als gattungsbestimmendes Kriterium geltend gemacht wird oder nicht, Rudolf Preimesberger jedenfalls hält den Begriff für den »gattungstheoretische[n] Stolperstein jeder Beschäftigung« mit dem Porträt. Und dennoch sei er aller mit ihm verbundenen Schwierigkeiten zum Trotz für die Porträtforschung »wohl kaum entbehrlich«.8 Inwieweit nun erweist sich der Ähnlichkeitsbegriff bezüglich eines Herrscherbildes wie das Ottos III. im Aachener Evangeliar als nützlich? Hierfür soll noch einmal ein Blick auf

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das Lotharkreuz geworfen werden, das wie das betreffende Evangeliar im Aachener Domschatz überliefert ist. Der Stein, in den das Profil des Augustus geschnitten ist, hatte durch seine Anbringung in der Vierung des wahrscheinlich von Otto III. gestifteten Kreuzes eine Umwidmung erfahren: Fortan vertrat er im Bilde den Ottonen und die sich auf ihn berufenen Nachfolger.9 Der Name, der, um mit Büchsel zu sprechen, unter dem Bild »stehen könnte«, ist lediglich verändert worden.10 Nach Hoffmann, der in seinem Verständnis des Porträts Deckert folgt, lasse eine derartige Übertragung einen Umgang mit dem Bildnis erahnen, auf den Ähnlichkeit nicht anzuwenden, der mit dieser Kategorie nicht zu erfassen sei. Sicher gilt dies für Ähnlichkeit im Sinne von »Porträtgenauigkeit«, also physiognomischer Ähnlichkeit. Völlig zu recht zieht Hoffmann daher auch den erkenntnistheoretischen Nutzen einer Suche nach physiognomischen Übereinstimmungen in Zweifel. Doch beschränkt sich das Verständnis von Ähnlichkeit längst nicht mehr auf die Physiognomie.11 Vielleicht, so der optimistische Impetus des vorliegenden Beitrages, werden damit Möglichkeiten begünstigt, bisherige Positionen zu einem so zentralen Forschungsfeld der Kunst- und Geschichts­ wissenschaften, wie es die Herrscherbilder des frühen Mittelalters sind, zu überdenken und gegebenenfalls zu ergänzen. Wird, wie im Folgenden, die hier zu beobachtende Ähnlichkeit eben nicht als eine Kategorie der Identität sondern gegenteilig als eine der Differenz begriffen, erschließen sich bislang nicht wahrgenommene Wirkungsweisen des Bildes.

Die »Christusähnlichkeit« Ottos III. Die im Lotharkreuz zu beobachtende Übertragung des Augustus-Porträts auf Otto III. gerät in Konflikt mit einem zwar modernen, doch nicht mehr umfassenden Begriff von Ähnlichkeit. Eben dieser wirkt auch in der neuzeitlichen Wahrnehmung der Darstellung desselben Kaisers im Aachener Evangeliar: »Kühn«, nennt sie bereits Wilhelm Vöge, der 1891 in seiner Arbeit zur deutschen Malerschule neben anderen auf die Illuminationen des fraglichen Codex eingeht.12 Ein Urteil, das sich beharrlich behauptet. Es sind eben jene Worte Vöges, die in Hoffmanns Begeisterung für das Herrscherbild nachklingen, das »von unerhörter Kühnheit« sei. Schließlich habe der Künstler oder der Auftraggeber »das Äußerste gewagt, was dem Mittelalter an Christusähnlichkeit gerade noch erlaubt erschienen sein mag«.13 Diese empfundene »Christusähnlichkeit« ist konsequent begriffen worden als visuelle Entsprechung einer Qualität oder Funktion des Herrschers, in der dieser dem Heiland gleicht. Seit den Anfängen der wissenschaftlichen Beschäftigung mit dem Frontispiz im 19. Jahrhundert hat eben diese Auffassung entschieden dazu beigetragen, die Darstellung immer wieder als eine Apotheose zu deuten. Bereits Hubert Janitschek erkennt in seiner Geschichte der deutschen Malerei eine Vergöttlichung Ottos III.14 Spätestens mit Ernst H. Kantorowicz’ richtungweisender Monografie The King’s Two Bodies, in der die Darstellung als Repräsentation eines »christozentrischen Königtums« behandelt wird, hat sich die apotheotische Lesart als eine der gängigen Deutungen etabliert.15 Obgleich umstritten, inspirierte vor

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allem Kantorowicz’ Interpretation Generationen von Kunst- und Geschichtswissenschaftlern, »das Herrscherbild im Kaiser-Evangeliar des Aachener Domschatzes als erstrangige Quelle für die Ideengeschichte des abendländischen Königtums« auszuwerten.16 Und auch dreißig Jahre nach Kantorowicz zeigt sich Ernst Günther Grimme in seiner Untersuchung des Evangeliars andächtig und ergriffen: »Die Pracht seiner Bildseiten, die feierliche Schönheit seiner Schrift, vor allem jedoch die von der Verherrlichung des Herrschertums als eines Amtes von Gottes Gnaden zeugende Miniatur der ›Apotheose Ottos‹ geben dem Kodex den Rang einer Insignie.«17 Bis in die jüngste Zeit hinein wird das Frontispiz konsequent begriffen als »eindrucksvollstes Dokument der Herrschersakralisierung«, wie etwa Henning Ottmann in seiner Geschichte des politischen Denkens schreibt.18 Im Mittelpunkt der Deutung Kantorowicz’ steht die »mysterious white banderole or scarf-like drapery which so obtrusively demands the attention of the spectator«.19 Die Überlegungen, die Kantorowicz diesbezüglich anstellt, gründen auf dem Studium verschiedener Textquellen sowie einem kunsthistorisch versierten Bildvergleich.20 So kommt der Historiker zu dem Schluss, »based on the oldest eastern traditions« stelle das Band jenen Schleier dar, der das Allerheiligste im Tempel verhänge, sich zwischen Himmel und Erde spanne und Zeitlichkeit und Ewigkeit voneinander scheide. Der Kopf Ottos, oberhalb des Schleiers, rage in den überzeitlichen Himmel, der Leib, unterhalb desselben, verharre in irdischer Zeitlichkeit. Indem Kantorowicz voraussetzt, der ottonische Herrscher sei als vicarius Dei auch christomimetis, also Darsteller Christi, kann er die zwei Wesenheiten des Gottmenschen auf den Kaiser übertragen; ein politisch-theologischer Transfer, den das Frontispiz in einem Zirkelschluss bezeugen soll: Das Band muss mit dem Schleier identisch sein. Andernfalls würde es den Leib Ottos nicht in zwei Hälften scheiden, könnte die Darstellung nicht mehr als einer der »Präzedenzfälle« auftreten, in denen Kantorowicz Vorläufer jener mystischen Vorstellung vermutet und die von den englischen Kronjuristen der Tudorzeit schließlich als »the King’s two bodies« expliziert werden soll. Kantorowicz vertritt bekanntlich die These, dass die vormodernen Herrscher über zwei Körper verfügten: einen zeitlichen, indem sie geboren werden, anfällig sind für Krankheiten und schließlich sterben, und einen überzeitlichen, den jeder einzelne Souverän gemeinsam mit seinen Vorgängern und Nachfolgern bildet. Kraft dieses Kontinuums kann er der ebenfalls nicht vergänglichen, weil transindividuellen Gemeinschaft, über die er herrscht, überhaupt vorstehen. Eine solche Verdopplung des herrscherlichen Körpers deute sich in dem in zwei Hälften geteilten Bildnis Ottos an. Dreh- und Angelpunkt dieser Lesart, die vor allem der weiteren Argumentation der Studie dient, ist die Auffassung des Bandes als Schleier. Dieses Vorgehen hat vielstimmige Kritik hervorgerufen.21 Apostrophieren lässt sie sich mit Ludger Körntgen, der Kantorowicz nicht zu Unrecht vorwirft, die Bildquelle in ein »ideengeschichtliches Raster« einzupassen und durch ein so »stringentes Deutungsmuster wie dem des christozentrischen Königtums« eine verfälschte Aussage aufzuzwingen.22 Körntgen mahnt, eine Darstellung wie das Herrscherbild im Aachener Evangeliar unmittelbar auf eine »politische Ideologie« zu beziehen, bedeute schließlich, sie aus dem »Gesamtpanorama

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2  Egbert-Psalter, Ms. 136, erstes Widmungsbild (Ruodprecht), fol. 16v, Ende des 10. Jahrhunderts, Miniatur, 14,1 × 18,4 cm, Cividale del Friuli, Museo Archeologico Nazionale

der Ausstattung liturgischer Bücher und aus dem Zusammenhang der ikonografischen, stilgeschichtlichen und liturgischen Entwicklungen« zu isolieren.23 Zumal ein möglicher Stiftungskontext außer Acht gelassen worden sei, obwohl das Herrscherbild »dem Betrachter in einem dezidierten und besonders ausgeprägten Stiftungszusammenhang entgegentritt«.24 Derartige Einwände haben zu einzelnen Korrekturen geführt, eine Veränderung der Sicht auf das Bildprogramm als Ganzes aber ist bislang ausgeblieben.

Das Stifterbild Liuthars Tatsächlich übersieht Kantorowicz  –  wie auch manch anderer Betrachter des Frontispizes  –  das der betreffenden Darstellung unmittelbar gegenüber liegende Widmungsblatt.25 In dem Folio ist die Gestalt eines Geistlichen zu erkennen, die in ihren Ausmaßen der des Kaisers in nichts nachsteht. Das Bildfeld ist ebenfalls durch einen in Rot gezogenen Rahmen von der Seite abgehoben, obgleich nicht ausgefüllt. Auf dem nackten Pergament umschließt eine rautenförmige Vignette die Figur des Mönchs, die über den Einband hinweg dem Kaiser zu­ gedreht ist. Anders als der in Frontalansicht dargestellte, statisch wirkende Otto wendet sich der Geistliche in einer leichten Körperdrehung dem rechten Bildrand zu und mag in dieser

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3  Egbert-Psalter, Ms. 136, erstes Widmungs­bild (Egbert), fol. 17r, Ende des 10. Jahrhunderts, Miniatur, 14,1 × 18,4 cm, Cividale del Friuli, Museo Archeologico Nazionale

Bewegung ungleich dynamischer erscheinen. In seinen Händen hält er einen Codex. Oberund unterhalb geben goldene Majuskeln auf rotem Grund in jeweils zwei sich reimenden leonischen Hexametern die Gestalt als den Mönch Liuthar zu erkennen: »Hoc auguste libro / tibi cor d[eu]s induat Otto / quem de Liuthario te / suscepisse memento« (Damit Otto sich seiner erinnere, bringe Liuthar dem Kaiser die Schrift dar, mit der Gott sein Herz bekleiden möge). Dass es sich bei Liuthar um den ausführenden Buchmaler handele, wie lange Zeit angenommen, kann mittlerweile ausgeschlossen werden. Autonome Darstellungen des tätigen Künstlers lassen sich in der Buchmalerei erst für das 12. Jahrhundert belegen.26 Vielleicht darf in ihm der Leiter des Skriptoriums vermutet werden. Allem Anschein nach tritt er als Stifter der Handschrift auf und dürfte hierfür durch den Abt des Klosters Reichenau bevollmächtigt worden sein. Ein solches Verhältnis lässt sich anhand des sogenannten Egbert-Psalters expli­ zieren, der ungefähr zeitgleich mit dem Liuthar-Evangeliar und ebenfalls auf der Reichenau entstanden ist.27 Der Handschrift vorangestellt künden Miniaturen von ihrer Dedikation durch den Mönch Ruodprecht an Egbert, Erzbischof von Trier (um 950 – 993). Wie aus dem Aachener Codex bekannt, entspinnt sich auch hier die Buchübergabe zwischen zwei gegenüberliegenden Blättern und den entsprechend ausgerichteten Figuren |Abb. 2 – 3|. Doch wird das Programm auf der folgenden Doppelseite noch einmal wiederholt. Nun aber ist Egbert an

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4  Egbert-Psalter, Ms. 136, zweites Widmungsbild (Egbert), fol. 18v, Ende des 10. Jahrhunderts, Miniatur, 14 × 18,2 cm, Cividale del Friuli, Museo Archeologico Nazionale

die Stelle Ruodprechts getreten und bringt den Psalter Petrus dar, der an Stelle des Bischofs auf dem Thron Platz genommen hat |Abb. 4 – 5|. Mit der Funktion Ruodprechts innerhalb des ausführlicher geschilderten Stiftungsgefüges des Egbert-Psalters lässt sich die Rolle Liuthars als bevollmächtigter Stifter zumindest in Ansätzen erläutern. Wichtiger als die letztlich unmögliche Klärung der Identität Liuthars und seiner möglichen Position innerhalb des Konvents erscheint die Aussage, die sich anhand des Widmungsblattes und vor allem seiner Beischrift über den Charakter der »mysterious white banderole« machen lässt. Der Schleier auf der Brust Ottos entpuppt sich vor dem Hintergrund der hier formulierten Fürbitte als ein Schriftband, und dieses stellt demzufolge das Evangelium dar. Schließlich wird der Rotulus, als der das weiße Band jetzt getrost bezeichnet werden kann, auch von den vier apokalyptischen Wesen gehalten, in denen immerhin die Evangelisten selbst auftreten. Auf dieser Interpretation des Bandes beharrt bereits Wilhelm Messer mit dem Hinweis auf Vöge kurz nach Erscheinen von The King’s Two Bodies.28 Als EvangelistenRotulus liegt das weiße Band auf der Brust des Kaisers, nimmt im Bild also die Erfüllung der formulierten Fürbitte vorweg, Gott möge das Herz Ottos mit dem Evangelium bekleiden. Wolfgang Christian Schneider zeigt in diesem Zusammenhang bedeutsame Bezugspunkte zwischen den Darstellungen Liuthars und Ottos auf: Beim Schließen des Codex kommt das in den Händen des Überbringers dargestellte Buch just unterhalb der Füße des Adressaten

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5  Egbert-Psalter, Ms. 136, zweites Widmungsbild (Petrus), fol. 19r, Ende des 10. Jahrhunderts, Miniatur, 14 × 18,2 cm, Cividale del Friuli, Museo Archeologico Nazionale

zum Liegen, dem für ein Geschenk angemessenen Ort also. Gleichzeitig bedeckt das Kürzel »d[eu]s«, das in den Hexametern der Beischrift Gott bezeichnet, exakt die Stelle, an der das Herz des Kaisers zu vermuten ist, an der sich der Rotulus befindet und sich das erflehte Geschehen vollziehen soll.29 Derartige bittende Beischriften, erklärt wiederum Hagen Keller hinsichtlich ottonischer Herrscherbilder, ließen darauf schließen, dass etwas dargestellt werde, »was der Herrscher sein bzw. erreichen soll«. Keller schlussfolgert dementsprechend, in diesen Herrscherbildern werde »die Einbeziehung des Herrschers in die Sphäre Christi […] nicht als Faktum gezeigt«.30 Vor diesem Hintergrund kann die »Christusähnlichkeit« Ottos in dem Herrscherbild des Aachener Evangeliars als Figuration einer sinnlich nicht erfahrbaren, unsichtbaren, aber deswegen nicht weniger faktischen Realität als nicht länger haltbar erachtet werden. Der unmittelbare Zusammenhang mit einer solchen Fürbitte legt vielmehr die Vermutung nahe, dass das Herrscherbild in ein Programm gefasst ist, das Otto wortwörtlich vor Augen führt, »was er sein bzw. erreichen soll«.

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Das Herrscherbild Ottos III. als Fürstenspiegel Ein solches an den Herrscher gerichtetes erzieherisches Anliegen ist nicht ungewöhnlich. Durch das gesamte Mittelalter hindurch bis in die Frühe Neuzeit ist es bekannt aus einem anderen Medium: der literarischen Gattung der Fürstenspiegel. Der Begriff lehnt sich an die Formel speculum regum an, die zwar erst seit dem 12. Jahrhundert immer wieder entsprechenden Traktaten vorangestellt wurde, von der Forschung aber auch auf ältere Textzeugnisse angewandt wird. Zu ihnen zählen jene Texte, die in »paränetischer Absicht« verfasst, »an einen König, Fürsten oder Regenten jeweils als Person oder an einen (fiktiven) Amtsträger als Repräsentanten einer sozialen Gruppe« gerichtet sind.31 Für den ostfränkischen Raum und vor allem für die Zeit der Ottonen, in der das Frontispiz entstanden ist, sind kaum entsprechende Zeugnisse bekannt. Doch gelten westfränkische Schriften wie die Via regia, ein Traktat des Smaragd von Saint-Mihiel aus dem 8. Jahrhundert, und De institutione regia des Jonas von Orléans aus dem 9. Jahrhundert als frühste Zeugnisse der Gattung.32 Die Forschung ist sich einig, dass in den frühen westfränkischen Schriften bereits vereinzelt Vorstellungen vorliegen, die in die Zeit des ottonischen Herrschertums verweisen; insbesondere bezüglich der Herrscherethik.33 Zudem ist eine Abschrift des Traktates von Jonas aufgeführt in einem Bibliotheksverzeichnis aus dem 9. Jahrhundert des Klosters Reichenau, wo das Liuthar-Evangeliar und mit ihm das fragliche Frontispiz entstanden sind, unter dem Titel Admonitio Ionae episcopi ad Pippinum (Ermahnung des Bischofs Jonas an Pippin).34 Die Schrift und das Herrscherbild Ottos sind bislang nicht in Verbindung gebracht worden. Jonas verwendet bereits die Metapher des speculum, des Spiegels: Pippin I. von Aquita­ nien, dem er den Traktat widmet und den er auch direkt anspricht, könne »ständig […] gleichsam wie in einem Spiegel betrachten […], was Ihr zu sein, zu tun und zu meiden habt«.35 Jonas wage dies nur, weil er auf die »großartige Gesinnung« Pippins vertraue. In der Widmung des Traktates lesen wir: »Denn eingedenk des Satzes, in dem es heißt: ›Wer sein Ohr verhärtet, damit er das Gesetz nicht höre, dessen Rede wird verflucht sein‹, verzichtet Ihr auf königlichen Hochmut, erweist Eurem Schöpfer Eure Dienergesinnung und leiht dessen heilbringenden Vorschriften das Ohr Eures Herzens […].«36 Als Autor des Traktats versteht sich Jonas vor allem als Vermittler der für den König und seine Herrschaft relevanten Stellen der Heiligen Schrift. So zitiert er beispielsweise aus dem Deuteronomium, dem alttestamentlichen »Königsgesetz«: »Im Buch Deuteronomium ist zu lesen, wie der König sein und was er meiden muss: […] ›Wenn er sich auf den Thron des Reiches gesetzt hat, soll er sich eine Abschrift dieses Gesetzes schreiben lassen, in einem Band, wofür er ein Exemplar von den Priestern vom Stamme Levi erhält; und dieses soll er alle Tage seines Lebens bei sich tragen und es lesen […].‹«37

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Wenn Jonas zuvor metaphorisch angewiesen hat, er solle dem göttlichen Gesetz »das Ohr des Herzens leihen«, wird nun deutlicher, was diese Metapher ganz selbstverständlich bedeuten soll: Der Herrscher solle die »heilsbringenden Vorschriften« seines Schöpfers kennen; er solle sie »alle Tage seines Lebens bei sich tragen und […] lesen«. Schließlich stünde hier geschrieben, »wie der König sein und was er meiden muss«. Die Abschrift dieser Gesetze aber erhalte der König von den »Priestern vom Stamme Levi«, die ihm ein Exemplar überbringen. Die Erbin der alttestamentlichen Priester ist die Kirche. Sie ist es, die den Herrschern das göttliche Gesetz, das Evangelium, vermittelt, auf dass es diese bei der Ausübung ihrer Pflicht anleite. Und als ihr Vertreter kommt Jonas nur seiner Pflicht nach, wenn er den König im Sinne der göttlichen Vorschriften und Gesetze zu rechtschaffenem Tun ermahnt. Denn das Evangelium allein reicht als Anleitung nicht aus. Die Priester (und Jonas als einer von ihnen), in der Deutung der Heiligen Schrift geschult, wirken als eine Art Kontrollorgan. Es sei angemerkt, dass Jonas als Autor der Akten des Pariser Konzils von 829 diente. Hier wurde die Position des priesterlichen Primats über die weltlichen Herrscher vertreten, die auch in der nur wenig jüngeren Schrift des Jonas noch durchscheint. Die Priester, heißt es hier, seien schließlich nicht nur »für das Seelenheil auch der Herrscher verantwortlich«, sondern müssten für diese dereinst sogar Rechenschaft ablegen. Deshalb sei es auch nur richtig, »ja nötig, dass wir [die Priester] stets um Euer [Pippins I. beziehungsweise der Herrscher] Heil besorgt sind und Euch in beständiger Wachsamkeit mahnen, nicht vom Willen Gottes, was fern sein möge, noch von dem Amt, das er Euch anvertraut hat, abzuirren«.38 Zum einen also rechtfertigt Jonas sein eigenes Handeln als Autor einer erzieherischen Schrift, die sich an seinen König richtet. Zum anderen betont er im gleichen Zug die verbindliche Bedeutung der Heiligen Schrift für die Ausübung einer gerechten Herrschaft, deren verpflichtender Quell sie ist. Das Bildgeschehen der vermeintlichen Apotheose Ottos erscheint in Kenntnis von Jonas’ erzieherischer Schrift, auch nur der wenigen beispielhaft angeführten Stellen, in anderem Licht. Auffällig ist, dass Liuthar und Otto in sich ungefähr entsprechenden Dimensionen ausgeführt sind, die Darstellung des Ersteren sogar die des Letzteren an Dynamik übertrifft. Liuthar, so ließe sich auf der Grundlage dieses Befundes argumentieren, tritt auf als die agilere und handlungsfähigere Person. Zumindest zeugt seine Erscheinung, verglichen mit der des im Egbert-Psalter in verwandter Funktion agierenden Ruodprecht, von gefestigtem Selbstbewusstsein. Anders als der bis auf eine leichte Neigung des Hauptes in aufrechter Haltung dargestellte Liuthar spiegelt Ruodprechts Körpersprache augenscheinlich den Rangunterschied, der zwischen ihm und dem ihm gegenüber thronenden Erzbischof besteht. Die ungleiche Bewegtheit beider Mönche könnte natürlich auf stilistische Eigenheiten der ausführenden Hände zurückzuführen sein.39 Doch fällt bereits innerhalb des Dedikationsprogramms des Aachener Codex auf, dass im Gegensatz zu Liuthar etwa die zwei Figuren, die zu beiden Seiten des Kaisers gemeinhin als ihm untergebene reguli verstanden werden, deutlich erkennbar Schulter und Kopf neigen. Wie auch die weltlichen Krieger am Fuße des Blattes sich zwar Auge in Auge mit den Vertretern des geistlichen Standes befinden, ihnen

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gegenüber aber in der Krümmung ihrer Oberkörper untertänig wirken. Zumal der Befund einer kompositorisch bedeuteten Ebenbürtigkeit Ottos und Liuthars verstärkt wird durch die Feststellung einer formalen Nähe vom blauen Himmelszirkel, in den das Haupt des Kaisers stößt, und jenem Winkel, der zu einem kreisrunden Knoten verdickt den geschorenen Kopf des Stifters hinterfängt. Die Darstellung entspricht der Stellung Liuthars, der dem Kaiser insofern ebenbürtig ist, als dass er als Kleriker die Verantwortung für das Seelenheil Ottos trägt. Im Zuge dieser Verantwortung überbringt er ihm, gleich den alttestamentlichen Priestern vom Stamme Levi, eine Abschrift des göttlichen Gesetzes: das Evangeliar, das er in seinen Händen trägt und dem das Frontispiz vorangestellt ist. Ganz so wie Jonas, der darauf vertraut, dass Pippin den göttlichen Vorschriften das Ohr seines Herzens schenken werde, bittet Liuthar, dass Gott das Herz des Kaisers mit dem Evangelium bekleide. In beiden Fällen meint dies, dass der Herrscher das göttliche Gesetz verinnerlichen und sich vor allem fortan danach richten möge. Während Jonas in seinem Traktat ausgewählte Stellen aus dem Alten und Neuen Testa­ ment anführt, erläutert und diese in Bezug auf die Ausübung von Herrschaft deutet, folgt auf das Frontispiz gleich der gesamte Text der Heiligen Schrift. Auch Otto soll sich in dem Evangeliar, das ihm durch Liuthar überbracht wird, »spiegeln« und somit erkennen, »was er zu sein, zu tun und zu meiden hat«. Davon spricht das an ihn adressierte Dedihationsbild. In diesem Sinne ist es selbst ein Fürstenspiegel. Im Bild ist artikuliert, wie der Herrscher das Evange­lium verinnerlichen soll, zugleich wird ein Anreiz hierfür geschaffen. Denn Otto erscheint durchaus als ein christomimetes. Kantorowicz irrt nicht, wenn er schreibt: »The image shows the emperor in the maiestas of Christ, on the throne of Christ, holding his open and empty left hand like Christ, with the mandorla of Christ, and with the animal symbols of the four Gospels which are almost inseparable from the images of Christ in Majesty.«40 Nur ist diese Darstellung nicht Repräsentation eines sakralen Herrschaftsanspruchs, sondern Verheißung, genauer: ein Heilsversprechen. Auch Jonas stellt Pippin Vergleichbares in Aussicht: »Er [Pippin beziehungsweise der Fürst] soll sich […] gehorsam den heilsamen Vorschriften Christi unterwerfen […]; so soll er handeln, damit er einst nach dieser irdischen Pilgerschaft der Gemeinschaft der heiligen Könige teilhaftig werde, die bei Gott durch ihren aufrichtigen Dienst Gefallen gefunden haben.«41 Bezeichnenderweise wird in Gestalt der »Gemeinschaft der heiligen Könige« ein Kontinuum beschworen, das sich mit Hilfe der Zwei-Körper-Theorie beschreiben ließe. Es ist zu erwägen, ob Kantorowicz nicht zu recht einen »zweiten Körper« im Aachener Herr­ scherbild vermutet, ihn lediglich aus fraglichen Motiven heraus entwickelt und daher letztlich charismatisch deutet  –  zu Ungunsten seines eigentlich ethischen Wesens.42

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Das appelative Bildnis Die oben angestellten Überlegungen müssen Vermutungen bleiben. Sicher ist es optimistisch anzunehmen, mit dem Fürstenspiegel des Jonas eben den Text dem Zufall der Überlieferung abgerungen zu haben, der das zweifelsohne rätselhafte Bildgeschehen des Aachener Dedikationsprogramms vollends zu entschlüsseln vermag. Zumal dies bedeuten würde, in dem Bild nicht mehr als eine Übertragung, eine Illustration des Textes anzunehmen. Außerdem darf nicht der Fehler begangen werden, das Bild aus der ihm eigenen Tradition in die eines anderen Mediums zu überführen. Die angestellte parallele Betrachtung von Text und Bild kann daher nur dazu beitragen, die Hypothese einer spezifischen Wirkungsweise des Bildes zu formulieren.43 Diese gilt es, im Bild selbst zu überprüfen. Auf der linken Seite des sich über zwei Blätter spannenden Bildgeschehens tritt Liuthar auf. Er überbringt dem Kaiser den Codex, den er in seinen Händen hält. Die Bedeutung, die der bildlichen Darstellung des Textes, in dem der gestiftete Gegenstand besteht, an dieser Stelle zukommt, ist nicht zu unterschätzen. Liuthar hält eben jenes Buch, das im selben Augenblick aufgeschlagen vor dem Betrachter liegt, in seinen Händen. Zwischen den Deckeln des Buches ist das Bild, welches das Buch zeigt, stofflich verbunden mit dem Gegenstand, auf den es verweist. Diese Beziehung konstituiert ein unzweifelhaftes Verhältnis von Darstellung und Dargestelltem: Das Bild deutet auf ein gegenständliches Sein. Dem entspricht die Weise, in der das Buch, das sein Stifter trägt, sich präsentiert: Buchdeckel und Seitenschnitt geben den Gegenstand unmissverständlich als Codex zu erkennen.44 Ein letztes Mal soll der Egbert-Psalter zu Rate gezogen werden. Das Buch, das der Überbringer in Händen hält, ist hier noch detaillierter ausgeführt: Neben dem goldenen Einband und dem farblich abgesetzten Buchblock finden sich sogar die einzelnen Schnallen. Wie bereits erläutert wurde, reicht auf der folgenden Doppelseite Egbert das von Ruodprecht erhaltene Buch weiter an Petrus. Die Form des Buches ist beibehalten, nur scheint sich seine Materialität auf dem Weg zum Heiligen zu verändern: Wo Ruodprecht ein differenziert wiedergegebenes Buch in Händen hält, trägt Egbert einen vollständig vergoldeten Quader. Beide Darstellungen verweisen offensichtlich auf unterschiedliche Wesensarten ein und desselben Buches. Auch im Aachener Codex tritt das Evangeliar zweimal auf: als Codex in Liuthars Händen sowie als der Rotulus auf der Brust Ottos. Es verändert demnach seine Gestalt. Der Unterschied, der zwischen den beiden Darstellungsweisen des Textkörpers besteht, ist ein grammatikalischer  –  ein bildgrammatikalischer zwar, doch hilft die Beischrift, ihn zu verstehen. Hier heißt es »tibi cor d[eu]s induat«. »induat« (von »induere«) ist ein Konjunktiv; die Formulierung drückt einen Wunsch, ein Sollen aus. Der Text in den Händen Liuthars ist, der Text auf der Brust Ottos aber soll sein. Er stellt keinen faktischen Zustand dar. In der über den Einband hinweg zu konstatierenden Verwandlung des Codex zum Rotulus vollzieht sich eine Veränderung der Bildmodi: Eine indikativische Darstellungsform geht über in eine konjunktivische.

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Immer wieder ist in den Rotuli eine mittelalterliche Bilderfindung vermutet worden, die es ermöglicht habe, das gesprochene Wort gegenüber dem geschriebenen kenntlich zu machen.45 Der hier unterbreitete Vorschlag, in dem Rotulus die Formulierung einer idealen Wirkung des Textes zu erkennen, widerspricht dieser Annahme nicht. Denn ein Anliegen der Darstellung ist es, die Bedeutung des Textes des Evangeliums für die Ausübung der Herrschaft hervorzuheben. Um diesbezüglich seine Wirkung zu entfalten, muss der Text aber »das Herz bekleiden«. Mit Jonas ist diese Formel entschlüsselt worden als Ermahnung, den Text zu lesen; im Mittelalter weder eine stille noch intime Handlung.46 Den Text zu verinnerlichen, heißt ihn lesen. Ihn lesen aber heißt ihn sprechen. So fallen die Aufforderung, den Text zu lesen, und der konjunktivische Bildmodus zusammen. Er führt die etwaige Wirkung des Textes vor Augen, entwirft ein Ideal, das keinen gegenwärtigen Zustand beschreibt, sondern Zukünftiges verspricht.47 Die Verheißung ist zusätzlich an Bedingungen gebunden: Nur wenn Otto der in die Fürbitte gekleideten Aufforderung nachkommt, nur wenn er das Evangelium liest und verinnerlicht, kann er das Sollen in ein Sein verwandeln. Das aber liegt außerhalb des Bildes, das liegt in ihm selbst. Das Bild weist ihm nur die Richtung, stößt ihn auf die Mittel, derer er hierzu bedarf: die Offenbarung Gottes, der er Folge zu leisten hat. Der Betrachter schaut also keine Apotheose, keine Vergöttlichung einer absoluten Macht des Kaisers, wie sie Kantorowicz attestiert hat. Ihm zeigt sich ein Appell, der die Macht des Kaisers gerade umgekehrt zu binden sucht mittels der Norm des göttlichen Gesetzes. Die »unerhörte Kühnheit« des ottonischen Herrscherbildes, das zum »eindrucksvollsten Dokument der Herrschersakralisierung« erklärt worden ist, besteht, so darf daher festgestellt werden, im Blick des modernen Betrachters allein.48 Keinesfalls hat ein Künstler oder Auftraggeber »das Äußerste gewagt, was dem Mittelalter […] gerade noch erlaubt erschienen sein mag«.49 Die »Christusähnlichkeit« Ottos, die seit dem 19. Jahrhundert soviel Staunen hervorgerufen hat, darf nicht als Ausdruck einer Vergöttlichung des Kaisers verstanden werden. Diese Deutung beruht auf der Übersetzung der augenfälligen, im Bild manifesten und nicht zu leugnenden imitatio mit einem Ähnlichkeitsbegriff, den Vorstellungen wie »Port­ rätgenauigkeit« im Sinne »physiognomischer Ähnlichkeit« dominieren. Deckert leitet aus ihm den »Abbildcharakter des Bildes« ab und betont seine »Nicht-Fiktionalität«.50 Von einem derartigen Verständnis geprägte Erwartungen an das Bild lassen die Christusnähe Ottos unweigerlich als ein Faktum erscheinen. Demgegenüber steht ein weiter gefasstes und zugleich differenzierteres Verständnis von Ähnlichkeit und den in ihr wirkenden Mechanismen. Johannes Endres hat unlängst erklärt: »Zwei Objekte […] sind sich ähnlich, wenn für sie ein Drittes, ein tertium comparationis, angenommen werden kann. Dieses tertium comparatio­ nis kann eine gemeinsame Eigenschaft […] sein.«51 Über die Beigabe der Insignien Christi, die mit Endres gesprochen als tertium comparationis agieren, tritt Otto im Bild ein in eine Ähnlichkeitsbeziehung zu Christus. Jedoch werden die beiden durch sie nicht gleich. Dass das Herrscherbild kein Sein sondern ein Sollen artikuliert, konnte zuvor ausführlich anhand des Zusammenhangs mit der fürbittenden Beischrift

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sowie des bildinternen Gegensatzes zu dem Stifterbild Liuthars beschrieben werden. Otto und Christus werden nicht gleich­, sie werden vergleichbar. Damit beginnt ein wechselsei­ tiges, schillerndes Spiel: Den Vergleich evoziert die Ähnlichkeit; gleichzeitig wird diese überhaupt durch ihn geschöpft. Denn Ähnlichkeit, erläutert Endres, sei insofern subjektiv, als dass mit ihrer Feststellung »immer auch Ähnlichkeit generiert« werde. Der Vergleich, heißt es weiter, bewirke, »wenn Ähnlichkeit ein Resultat ist, zugleich eine Angleichung des Ver­ glichenen«. So könne der Schluss gezogen werden: »Die Feststellung von Ähnlichkeit impliziert daher nicht nur eine Erkenntnisleistung bezüglich der Wirklichkeit, sondern ist auch mit einer Gestaltung derselben verbunden.«52 Anders als Hoffmann annimmt, lässt sich der Ähnlichkeitsbegriff in diesem Sinne sogar auf ein »wiederverwendetes« Bildnis wie die Augustusgemme in der Vierung des Lotharkreuzes anwenden.53 Das tertium comparationis besteht dann in der kaiserlichen Würde, die als gemeinsame Eigenschaft Otto III. und Augustus verbindet. Diese wiegt umso mehr, da seit Otto I. die ottonischen Kaiser den Augustustitel führten, dementsprechend sogar eine nominelle Übereinstimmung bestand.54 Derartige Programme sind selbstverständlich bestimmt von legitimatorischen Absichten. Um seine Herrschaft in die Tradition des römischen Kai­ sertums zu stellen, bedient sich Otto seiner Insignien. Doch lassen sie sich nicht aufrufen, ohne dass sie eine verpflichtende Wirkung entfalten würden. Mit dem kaiserlichen Profil wird ein Bild aktiviert, das nicht Otto zeigt. Gleichwohl ist er ihm verbunden und muss ihm daher nur umso mehr entsprechen. In der Augustusgemme wirkt das Imperium als Axiom. Das Lotharkreuz verfügt über normative, das Aachener Herrscherbild über appellative Züge. In beiden Fällen kann hinsichtlich ihrer handlungweisenden Intentionen von Paränese gesprochen werden. Im Frontispiz des Liuthar-Evangeliars wird der Vergleich, den die Ähnlichkeit hervorruft, innerhalb des Bildes zwischen Otto und Christus angeregt. Angestellt aber wird er zwischen Otto und seinem Bildnis. Denn hier erst entfaltet der Vergleich seine Wirkung: Er führt zu einer Angleichung. Das in diesem Sinne »paränetische« Porträt versteht es, die Differenz, die zwischen ihm und dem Modell herrscht, bewusst auszudrücken. Es ist am Modell, sie auszugleichen. Oder anders: Die imitatio kann sehr wohl evoziert werden im Bild. Vollzogen aber wird sie allein vor dem Bild. Damit nun kehrt sich das Verhältnis zwischen Referent und Bild, zwischen Urbild und Abbild um; und mit ihm auch die Erwartung des Betrachters an ein Porträt mitsamt seinem Anspruch von Ähnlichkeit: Das Bild, das sich nach einem Gegenstand richtet, dem es in seinem Wesen zu entsprechen sucht, ist der Dargestellte in persona, der sich in effigie betrachtet.

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1  Vgl. Wilhelm Messerer: Zum Kaiserbild des Aachener Ottonencodex, in: Nachrichten der Akademie der Wissenschaften in Göttingen. Erste philologisch-historische Klasse, Göttingen 1959, S. 27 – 36; Wolfgang Christian Schneider: Imperator Augustus und Christomimetes. Das Selbstbildnis Ottos III. in der Buchmalerei, in: Alfried Wieczoreck et al. (Hrsg.): Europas Mitte um 1000, Stuttgart 2000, S. 798 – 808; id.: Imago Christi. Mirabilia Mundi. Kaiser Otto III. im Aachener Evangeliar, in: Castrum Peregrini 35/1986, S. 98 – 153. Zum Codex vgl. Stephan Beissel: Die Bilder der Handschrift des Kaisers Otto im Münster zu Aachen, Aachen 1886; Clemens Beyer: Untersuchungen zum ottonischen Evangeliar der Aachener Domschatzkammer. Datierung, Empfänger, Stiftung, in: Aachener Kunstblätter 54 – 55/1986 – 1987, S. 33 – 46; Odilo Gatzweiler: Die liturgischen Handschriften des Aachener Münsterstifts, in: Zeitschrift des Aachener Geschichtsvereins 46/1924, S. 36 – 43; Ernst Günther Grimme: Das Evangeliar Kaiser Ottos III. im Domschatz zu Aachen, Freiburg et al. 1984; Ulrich Kuder: Die Ottonen in der ottonischen Buchmalerei, in: Gerd Althoff (Hrsg.): Herrschaftsrepräsentation im ottonischen Sachsen, Sigmaringen 1998, S. 137 – 234. 2  Neben anderen sind die Thesen aufgestellt worden, es handele sich um eine Gabe anlässlich der Krönung Ottos oder aber in Folge der angeblichen Erhebungen des ungarischen und polnischen Herzogs durch Otto zu Königen; vgl. Johannes Fried: Otto III. und Boleslaw Chrobry. Das Widmungsbild des Aachener Evangeliars, der »Akt von Gnesen« und das frühe polnische und ungarische Königtum, Stuttgart 1989. 3  Der Einband ist nicht zu rekonstruieren; vgl. hierzu Grimme 1984, S. 85. 4  Vgl. Hartmut Hoffmann: Buchkunst und Königtum im ottonischen und frühsalischen Reich, Stuttgart 1986 (Monumenta Germaniae Historica, Bd. 30,I), S. 12. 5  Hermann Deckert: Zum Begriff des Porträts, in: Marburger Jahrbuch für Kunstwissenschaft 5/1929, S. 262. 6  Martin Büchsel: Einleitung, in: id. u. Peter Schmidt (Hrsg.): Das Porträt vor der Erfindung der Porträts, Mainz 2003, S. 9. 7  Zur Geschichte der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem Porträt vgl. Daniel Spanke: Porträt, Ikone, Kunst. Methodologische Studien zum Porträt in der Kunstliteratur. Zu einer Bildtheorie der Kunst, München 2002; zum Porträt vgl. unter anderem Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985; Andreas Beyer: Das Porträt in der Malerei, München 2002. 8  Caius Plinius Secundus d. Ä.: Ähnlichkeit, in: Rudolf Preimesberger, Hannah Baader u. Nicola Suthor (Hrsg.): Porträt, Berlin 1999 (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 2), S. 127 – 133, S. 128 (Kommentar von Rudolf Preimesberger). 9  Zum Lotharkreuz und insbesondere zur Augustusgemme vgl. Josef Deér: Das Kaiserbild im Kreuz. Ein Beitrag zur politischen Theologie des frühen Mittelalter, Bern 1955 (Schweizer Beiträge zur Allgemeinen Geschichte, Bd. 13), S. 48 – 110. 10  Genaugenommen trifft nicht einmal das zu, denn Otto III. führte selbst den Titel »Augustus«, wie es die Kaiser seines Hauses seit seinem Großvater Otto I. zu tun pflegten; vgl. Johannes Fried: Otto der Große, sein Reich und Europa. Vergangenheitsbilder eines Jahrtausends, in: Otto der Große. Magdeburg und Europa (hrsg. v. Matthias Puhle), Ausstellungskatalog, Kulturhistorisches Museum, Magdeburg 2001, S. 537 – 562. 11  Vgl. Johannes Endres: Unähnliche Ähnlichkeit. Zu Analogie, Metapher und Verwandtschaft, in: Martin Gaier, Jeanette Kohl u. Alberto Saviello (Hrsg.): Similitudo. Konzepte der Ähnlichkeit in Mittelalter und früher Neuzeit, München 2012, S. 29–51, S. 31 f.

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12  Vgl. Wilhelm Vöge: Eine deutsche Malerschule um die Wende des ersten Jahrtausends. Kritische Studien zur Malerei in Deutschland im 11. und 10. Jahrhundert, Trier 1891, S. 282 f. 13  Hoffmann 1986, S. 20 f. 14  Vgl. Hubert Janitscheck: Geschichte der deutschen Malerei, Berlin 1886, S. 73. 15  Vgl. Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957, S. 61 ff. 16  Ludger Körntgen: Königsherrschaft und Gottesgnade. Zu Kontext und Funktion sakraler Vorstellungen in Historiographie und Bildzeugnissen der ottonisch-frühsalischen Zeit, Berlin 2001, S. 178 f. 17  Grimme 1984, S. 6. 18  Hennig Ottmann: Geschichte des politischen Denkens. Das Mittelalter, Stuttgart 2004, S. 64. Bezeichnenderweise erscheint hier auf mehr als 300 Seiten die Reproduktion des Frontispizes als einzige Abbildung. 19  Kantorowicz 1957, S. 66. 20  Zu Kantorowicz’ kunsthistorischen Qualitäten vgl. Hans Belting: Images in History and Images of History, in: Robert L. Benson u. Johannes Fried (Hrsg.): Ernst Kantorowicz. Erträge der Doppeltagung Institute for Advanced Study, Princeton / Johannes Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt, Frankfurt am Main u. Stuttgart 1997, S. 94 – 103, S. 94. 21  Vgl. Alain Boureau: Kantorowicz. Geschichten eines Historikers, Stuttgart 1992, S. 182; vgl. Körntgen 2001, S. 320. 22  Körntgen 2001, S. 162 u. S. 299. 23  Ibid., S. 320. 24  Ibid., S. 180. 25  Ob es Kantorowicz bewusst verschweigt, es für wenig bedeutsam hielt oder aber schlicht das Folio in der ihm in den USA zugänglichen Reproduktion nicht berücksichtigt war, ist nicht zu klären. Einzig das Frontispiz zeigt beispielsweise Adolph Goldschmidt: Die ottonische Buchmalerei, Florenz u. München 1928 (Die deutsche Buchmalerei, Bd. 2), Taf. 1. 26  Beispielsweise der »pictor Hildebertus« auf dem Autorenbild einer Handschrift in der königlichen Bibliothek Stockholm, um 1140 (Ms. A.144, fol. 34r) oder in Augustinus’ De civitate Dei im Prager Metropolitan-Kapotel (Ms. A.XXI/1, fol. 135r); vgl. Hoffmann 1986, S. 78 f. 27  Vgl. Thomas Labusiak: Die Ruodprechtgruppe der ottonischen Reichenauer Buchmalerei. Bildquellen, Ornamentik, stilgeschichtliche Voraussetzungen, Berlin 2009 (Denkmäler Deutscher Kunst), S. 52 ff. 28  Messerer 1959, S. 27 mit dem Hinweis auf Vöge 1891, S. 282 f. 29  Schneider 1986, S. 136, folgert bezeichnenderweise: »Damit erhält beim Schließen des Buches Otto zweimal das Buch […].« 30  Hagen Keller: Grundlagen ottonischer Königsherrschaft, in: id.: Ottonische Königsherrschaft. Organisation und Legitimation königlicher Macht, Darmstadt 2002, S. 22 – 33, S. 31.

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31  Hans Hubert Anton: Einleitung, in: id. (Hrsg.): Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters, Darmstadt 2006, S. 3. 32  Zur Via regia vgl. Otto Eberhardt: Via regia. Der Fürstenspiegel Smaragds von St. Mihiel und seine literarische Gattung, München 1977 (Münstersche Mittelalter-Schriften, Bd. 28). 33  Vgl. Anton 1999, S. 81. Zu westfränkischen Fürstenspiegeln im Allgemeinen vgl. id.: Fürstenspiegel und Herrscherethos in der Karolingerzeit, Bonn 1968 (Bonner historische Forschungen, Bd. 32). 34  Vgl. Anton 2006, S. 14; Paul Lehmann (Hrsg.): Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutschlands und der Schweiz, Bd. 1, München 1918, S. 265; Hs B fol. 29r. Im 9. Jahrhundert besaß die Reichenauer Klosterbibliothek an die 400 Bände, in den beiden darauffolgenden Jahrhunderten wuchs diese Zahl auf über 500; es ist daher anzunehmen, dass für diesen Zeitraum kaum Verluste zu verzeichnen sind. 35  Jonas von Orléans: De insitutione regia, in: Fürstenspiegel des frühen und hohen Mittelalters, S. 67 u. 69. 36  Ibid., S. 49. 37  Ibid., S. 65 ff. 38  Ibid., S. 59. 39  Labusiak 2009, S. 57 ff., geht näher auf die stilistische Bedingung von Gestik und Haltung der Figuren des Egbert-Psalters ein. 40  Kantorowicz 1957, S. 64. 41  Jonas von Orléans, S. 63 ff. 42  Eine solche Überlegung verlangt nach einer eigenständigen Bearbeitung, die unter anderem im Rahmen des Dissertationsprojektes Herrscherbild und Fürstenspiegel des Autors erfolgen wird. 43  Zu diesem besonders diffizilen Verhältnis vgl. Johannes von Müller: Spieglein, Spieglein an der Wand. Das Frontispiz des Aachener Evangeliars Ottos III. als Beispiel piktorialer Fürstenspiegel, in: Renate Kroll et al. (Hrsg.): Wie Texte und Bilder zusammenfinden. Literarische und piktorale Sinnkonstruktionen in ihrer Wechselwirkung und Verschränkung (vom Mittelalter bis zur Gegenwart), Berlin 2015, S 49–58. 44  Grimme 1984, S. 85, geht soweit, ausgehend von der Darstellung des Buches Rückschlüsse auf den verlorenen Einband zu ziehen, und vermutet, dass es »die ihm gemäße Fassung hatte, die es als Symbol des verklärten Wortes des verherrlichten Christus auswies«; das heißt, vergoldet und mit Gemmen verziert war. 45  Vgl. Karl Clausberg: Metamorphosen am laufenden Band. Ein kurzgefasster Problemumriss der Sprechblase, in: Michael Hein, Michael Hüners u. Torsten Michaelsen (Hrsg.): Ästhetik des Comics, Berlin 2002, S. 17 – 36. An dieser Stelle sei Judith Ostermann für den Hinweis gedankt. 46  Wieder bei Jonas von Orléans, S. 54 f. heißt es: »Wenn Ihr [Pippin] sie [die von Jonas angeführten Punkte] unter dem Beistand Gottes lesen oder von einem anderen vorlesen lassen wollt, kann nicht annähernd gesagt werden, wie nützlich sie Euch sein werden.« 47  Das verheißende Wesen der Darstellung lässt sich erläutern mit der durch Jonas aufgerufenen »Gemeinschaft der heiligen Könige«, der am Ende »dieser irdischen Pilgerschaft« teilhaftig zu werden der Regent anstreben solle; vgl. Jonas von Orléans, S. 63 ff.

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48  Ottmann 2004, S. 64. 49  Hoffmann 1986, S. 20 f. 50  Deckert 1929, S. 263; vgl. Spanke 2003, S. 371 ff. 51  Vgl. Endres 2012, S. 31 ff. 52  Endres bezieht sich vor allem auf Nelson Goodman: Seven Strictures on Similarity, in: Lawrence Foster u. Joe William Swanson (Hrsg.): Experience and Theory, Massachusetts 1970, S. 9 – 29. 53  Hoffmann 1986, S. 12. 54  Vgl. Fried 2001, S. 537 ff.

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»DAS ÄLTESTE SELBSTSTÄNDIGE BILDNIS DER DEUTSCHEN KUNST« A Reconsideration of the Portrait of Rudolf IV M AT E U S Z G R Z E˛ DA

The portrait’s history and »fortuna critica« The portrait of Rudolf IV, held at the Cathedral Museum of the Archdiocese of Vienna, can be included among the chief works of medieval art. Since its appearance in art historical discourse at the beginning of the twentieth century, this small panel has been described as the first extant autonomous portrait in German art. Paradoxically, this canonical positioning has been established with a limited range of secure references to the painting and in many respects resembles the situation of the famous portrait of Jean le Bon at the Louvre.1 Furthermore, despite the fact that it remains at the center of scholarly interest, there are still many important issues connected with the panel requiring much more attention than has been paid to it up to now. This essay attempts to distinguish what we really do know about this mysterious panel and to ask whether it says anything about the reasons for which autonomous painted portraits emerged in the late Middle Ages. The painting depicts the head and fragment of the shoulders of the Archduke Rudolf IV of Austria |fig. 1|. His identity is confirmed by the black gothic-type inscription written on a white background on the red frame: »Rudolfus  –  Archidux  –  Austrie  –  et cet[era]«.2 Additionally, the archduke is identified by a kind of crown, the so-called »Erzherzogshut« consisting of a »pointed coronet« made from a series of triangles (»Zackenkrone«) and a jeweled arch with a small cross. Rudolf’s head is shown against a dark background in half-profile. There are some

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1  Unknown Bohemian painter: Portrait of Rudolf IV, c. 1359 – 1365, tempera on un-grounded parchment mounted and expanded on panel, 45 × 30 cm (including the frame), Vienna, Dom- und Diözesanmuseum

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awkward elements of the composition: irregularly arranged eyes and a nose shown as if in profile, the rest of the head being positioned in half-profile. Its setting in three-dimensional space is, however, strongly perceptible, stressed by strong shading. Rudolf’s face is extracted from the darkness of a brown background by a yellow light illuminating his forehead, nose and right cheek. Other parts of the head, for example the temple, chin and lateral parts of the face are covered by shadings of various degrees of intensity. Noticeable are also the halfopened mouth and the rather sparse and short beard with curly hair that seems to reflect the light vividly. The high spaciousness of the head contrasts with the flatness of the »Erzherzogs­ hut«. This impression is intensified by the presence of ornament decorating the headgear. The first record about the portrait is a short notice made by Thomas Ebendorfer (1388 – 1 464), an Austrian historian and canon of St. Stephen’s Church in Vienna. As he wrote in his Chronica austriae, »Ipsius [Rudolf IV] alias apud suum mausoleum physionomiam in picture conspexi« (I saw his [Rudolf IV’s] painted face near to his mausoleum).3 The portrait, as seen by Ebendorfer, hung in the choir of Vienna’s Cathedral up to the seventeenth century. In 1685 another Stephansdom’s canon, Johann Mathias Testarello della Massa, in his description of the church mentioned two lost marble epitaphs with inscriptions commemorating Frederic, the younger brother of Rudolf who died in 1362 and the archduke himself. These epitaphs were to be placed near the »alte Thürre zur Schatz- oder Heilthumkammer«.4 Testa­ rello della Massa writes: »Unter diesen Inschriften war des genannt Rudolph Bildniß angeheftet, das jetzt in Heilthumkammer vehrwahrt ist.«5 The portrait was held in the cathedral’s treasury, and subsequently in its archive, up to 1933 when it was moved to the newly established Diocesan and Cathedral Museum in Vienna.6 It was the Viennese art historian Johannes Wilde who introduced the panel to a broader art historical discourse.7 In attempting to explain the unusual form of the image, art historians have tried to solve the question of its function. Karl Oettinger, Gustav Künstler and Kurt Bauch emphasized its commemorative character.8 Also Jochen Luckhardt saw the portrait as a posthumous epitaph of Rudolf IV meant to be hung above his tomb in the Stephansdom thus reflecting both the political and physical body of the Archduke and fulfilled the theory of »the two bodies of the king« put forth by Ernst Kantorowicz in his highly-regarded 1957 study.9 Then again, Rupert Feuchtmüller who dated the painting to 1364 – 1365, close to Rudolf IV’s death, considered the painting as closely connected with the Stephansdom.10 An important reconsideration of the painting was proposed by Herman Fillitz who pointed out its strong political meaning. Noting its propagandistic character, he dated it back to 1359 – 1360, a time closer to the fabrication of the so-called Privilegium maius.11 Caroline Horch placed the panel in the context of her study on memoria and the visual arts in the Middle Ages and emphasised its connections with the lost epitaph of Rudolf IV in the Stephansdom’s choir.12 Thus it is generally accepted that the Vienna panel was executed during Rudolf’s lifetime as a kind of pendant to his tomb in the Stephansdom.13 Last but not least, it should be noticed that stylistic affinities with the Prague artistic milieu (especially with mural paintings at Karlštejn castle and works of Master Theodoric) have never been questioned.14

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The direction of hitherto research on the portrait seems to deny to some extent or omit the particular characteristics of this painting. Scholars dealing with the portrait of Rudolf IV concentrated mainly on the individual represented in it.15 While thoroughly investigating the function of the portrait they neglected its basic physical qualities. So, before we question the role of the Viennese portrait in the visual representation of the Archduke of Austria we should consider its basic technical and artistic features.

Technical and artistic observations The portrait is painted in tempera on un-grounded parchment mounted and expanded on a pine panel, measuring 39 by 22 centimeter, respectively 45 by 30 centimeter including the original frame. Technical investigation conducted in 1933 revealed that both panel and frame are integral (only the lower portion of the frame was later replaced). Recent restoration, however, revealed that the construction of the frame is not clear; diagonal cuttings in every corner of the frame led to the conclusion that either the frame was put on the panel or it was once dismantled.16 Importantly, the reverse and lateral sides of the panel had been covered by an additional layer of wood which was removed during the 1933 restoration.17 The panel’s modest dimensions let us suppose that it was not meant to be held or hung at one particular place. The portrait was easily portable if was not part of any larger ensemble of pictures (its frame does not bear any traces of hinges suggesting it was part of a diptych for instance). This lets us suppose that the present state of the panel’s preservation does not fully resemble its original character. Unlike most early modern paintings, especially those executed on canvas, medieval panel paintings must be interpreted as three-dimensional, material objects that were not intended to be hung against a wall but rather to be placed on, for example, an altar. Such images were usually cult objects and so they were presented with reverence to the audience gathered in the church; they were touched and even kissed. As material artifacts, they were three-dimensional; a painted surface, therefore, also appeared on the reverse and lateral sides.18 However, we cannot be certain about the appearance of the reverse of Rudolf’s portrait |fig. 2|. Probably sometime in the nineteenth century its reverse was glued and covered by wood which was removed in 1933. As Wilde has written: »Diese fast aufgeleimte Holzfassung war nicht nur überflüssig und ästhetisch störend, sondern auch gefährlich«.19 Presently, the portrait’s reverse lacks any traces of paint.20 Nonetheless, it seems highly unlikely that the backside of a fourteenth century panel would have originally remained bare.21 Worth recalling in this context are several fourteenth-century Czech (hence technically close to the portrait under review) panel paintings that preserve their original polychrome on the reverse. The most impressive is the Most Madonna in the National Gallery in Prague (c. 1340 – 1350) which has painted on its back an illusionistic window, providing a symbolic reference to the paintings’ subject (the window as symbol of the Virgin Mary appears often, e.g. in early medieval patristic literature) |fig. 3|.22 Other panels have on

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their reverse sides painterly imitations of precious materials  –  marbles or porphyries. A few cases are also known in which the reverse of the painting is covered by foil or silver. Importantly, painted backs with marbling, coats-of-arms, emblems and mottos relating to the represented individual are often found in early portraits, as e.g. on a panel showing presumably Guillaume Fillastre painted by an anonymous member of Rogier van der Weyden’s Workshop (c. 1430) at the Courtauld Gallery, London.23 The common fourteenth-century practice of decorating a panel’s reverse lets us suspect that the portrait of Rudolf IV proved no exception. It is plausible, indeed, that it also had marbling on its reverse, perhaps in a red tint, harmonizing with the original color of the frame. The portrait’s frame also deserves attention. Its present color is a reconstruction made in the 1980s based on residual traces of original paint discovered under layers of over-paint.24 Thus, in spite of the fact that the frame’s original polychrome virtually does not exist, we can assume that its color as seen today is in fact close to the original one. A red frame, contrasting strongly with the dark background of the painting, is a component of the 2  Unknown Bohemian painter: Portrait of portrait’s composition, defining it as a material and Rudolf IV, c. 1359 – 1365, backside, tempera on un-grounded parchment mounted and expanded independent object, and isolating the image from on panel, 45 × 30 cm (including the frame), the viewer. At the same time, however, the red Vienna, Dom- und Diözesanmuseum frame (and supposedly also the panels’ backside) might have provided some associations related to the individual of Rudolf IV. The red color might have played a role in the archduke’s visual representation. The cenotaph of Rudolf IV and his wife, Katherine of Bohemia, was executed partly in red marble and originally placed in the main choir of the Stephansdom (founded by Rudolf himself, probably around 1359 – 1365).25 Furthermore, Rudolf’s seals were usually imprinted in red wax.26 Finally, the similarity of the portrait’s inscription with inscriptions above lost paintings of emperors discovered in Prague royal castle should be brought into the discussion. If much attention has been paid to the famous genealogy of Charles IV representing both his real and fanciful ancestors executed c. 1356 – 1357 in Karlštejn castle, another series of portraits has been mentioned only in passing.27 In 1360 Charles IV adorned his throne hall in Prague castle with

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an impressive gallery of rulers.28 This ensemble, consisting of more than one hundred portraits was destroyed during a fire in 1541. It represented all of Charles’ predecessors on the emperor’s throne beginning with four mythical monarchs of antiquity, through byzantine emperors, and ending with those ruling the Roman-German Empire.29 Every figure was identified by an inscription with black letters on a white background (as is also the case in the portrait of Rudolf IV) placed separately on plaster above every panel |fig. 4|.30 If the Karlštejn paintings visualized the ancient lineage of the Luxemburg family (that begun with Noah, Jupiter and Priamus), the cycle at Prague castle symbolized persistence of imperial office and associated Charles IV with his predecessors thus representing the idea of translatio imperii.31 In addition to the typeface of the black gothic letters on white background, the inscription’s position over the image of Rudolf IV is also similar to the lost portraits in Prague castle. In fact, it is highly plausible that it was the Prague series of panels rather than the Karlštejn genealogi3  Unknown Bohemian painter: The Most cal paintings which might have provided a compoMadonna, c. 1340 – 1350, backside, tempera on panel, 53 × 40 cm, Prague, Národní galerie sitional model for the anonymous author of Rudolf’s portrait and adapted to the form of a small and portable panel. At this point, one more, rather unusual feature of the Viennese portrait must be noticed, namely, the presence of parchment mounted on panel as a support. This rare technical solution is found mainly in early portrait painting. It is difficult to find a certain reason for using parchment for Rudolf’s portrait. If for sixteenth-century portraits such a choice might be connected with their supposedly personal character, for earlier paintings, especially those executed in Germany and Central Europe, the tradition established by workshop practice must have been crucial. Roots of this technique are likely to be in the tradition of byzan­ tine painting and its examples in the West are present already in early panel paintings, e.g. in Italy (the twelfth and thirteenth centuries) and in Germany (mid-thirteenth century).32 In the fourteenth century a few paintings on parchment mounted and expanded on panel are found in various European countries. In the Czech milieu this particular technical solution is attainable in the fourth quarter of the fourteenth century and after 1400.33 It can, there­ fore, be regarded as an infrequent but known means of preparing the support. In the case of Rudolf’s portrait the reason for such a choice is supposedly of a practical nature. The fact that

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this technical solution goes hand in hand with the small dimensions of the picture (anticipating a tendency noticeable in the fifteenth and sixteenth centuries) lets us suppose that its author was particularly concerned about the panel’s resistance and the smoothness of its surface. Additionally, as Christof Metzger has emphasised, the smooth structure of the surface, flesh-colored tint and half-transparency of the un-grounded parchment was particularly suitable for achieving more credible impressions of a face’s incarnadine.34 Parchment might also have been considered particularly suitable for making precise under-drawings, which were discovered through infrared investigation under Rudolf’s hair and beard.35 The unusual support for Rudolf’s portrait goes hand in hand with a dark-brown background, equally unparalleled for medieval paintings. Setting the archduke’s head against such a background instead of the then traditionally used gold (as is the case with the portrait of Jean le Bon in the Louvre) might result from an attempt to lend the impression of three-dimensionality. Rudolf’s head in fact looks as though appearing from the darkness 4  Inscriptions above lost portraits of rulers, c. 1360, Prague, castle by means of the light shining on his forehead, nose and cheek. Such an effect has been achieved through laying tempera on a thin stratum of lead white  –  a technique characteristic of Italian and Czech fourteenth century painting, and for the circle of the workshop of Master Theodoric in particular.36 We should thus seek the reasons for this unusual mode of representation in contemporary aesthetic preferences. Indeed, there are many examples of special interest in the illusion of three-dimensional space in late medieval visual art and, not coincidentally, a milieu in which the demand for an illusion of space became one of the most important artistic tasks was mid-fourteenth century Prague, the origin of the anonymous author of Rudolf’s portrait. This demand for three-dimensionality in paint can be seen not only in the en trois quarts positioning of Charles IV ancestors in the emperors’ palace at Karlštejn castle (usually mentioned in the context of the Viennese portrait) but also in mural paintings in the Lower and Great Tower of the same castle (c. 1360) as well as those in the cloister of the Emmaus Monastery in Prague (executed presumably after 1365).37 Particularly illuminating, however, is the comparison of Rudolf’s portrait with drawings preserved on the walls of the Holy Cross

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Chapel in the Great tower at Karlštejn castle (c. 1360). These drawings representing the Virgin Mary with Child and half-figures of saints were executed with black charcoal on lime plaster.38 All of the figures were suggestively represented in half-profiles, their strong plasticity and three-dimensionality is, however, accomplished by means of light and shade  –  as seen for example on a drawing of St. John the Baptist. The remarkable chiaroscuro effect of these drawings was achieved by contrasting dark lines of charcoal with white chalk, accentuating illuminated parts of the face.39 The Karlštejn drawings, interpreted in older literature as preliminary drawings, were, in fact, rather a kind of model-drawing, close in function to late medieval pattern books presented by artists to patrons before proceeding to the work in order to establish its iconography as well as manifest the artists’ own talent and artistry.40 Of similar purpose to the Karlštejn drawings were those representing the philosopher and astronomer made with brush on parchment (c. 1360 – 1370) in the collection of the Erlangen University Library, artistically close to both the Karlštejn drawings and Rudolf’s portrait.41 Additionally, these drawings provide us with the illusion of three-dimensionality achieved by deep shading and positioning the figures en trois quarts. Thus, the high plasticity of Rudolf’s head and its positioning in half-profile within darkness, as if opposite to the light, seems to be rooted in its author’s artistic experience. The unusual choice of a dark brown color for the painting’s background served supposedly to intensify this visual effect. All this lets us suppose that the author of Rudolf’s portrait did not limit himself to fulfill the needs of the patron, but rather was active in conceiving of the work and was capable of submitting (probably by means of drawings similar to those preserved in Erlangen) his own compositional solutions. It also seems that it is the same context of artistic practice and aesthetic conditions in which a possible resemblance of the features represented on the panel parallels those of Rudolf, the real individual. Rupert Feuchtmüller addressing the issue of mimesis in the portrait, compared it to the archduke’s skull preserved in his grave distinguished by »particularly big eye sockets« and an »unusually protruding jaw«.42 The author noticed also that Rudolf appears to be much older on the portrait than he really was (the archduke died at 26 years old), explaining this through a possible illness that lead the ruler to an early and unexpected death.43 For Arthur Saliger is »das gemalte Rudolfs-Porträt, als einem stilbedingten Kopftypus gehorchend, mit angedeuteten individuellen Merkmalen behaftet«, pointing out such motifs as the half-opened mouth, characteristic eyes and short, curly beard.44 In considering the portrait’s mimetic-correctness both scholars stepped out of the contradictory categories of realistic portrait (Feuchtmüller) and type (Saliger), categories in fact often used while investigating late medieval portraits.45 Such a categorisation however does not fully expose the essentials of Rudolf’s painted likeness. Considering the Viennese portrait as a precise likeness to such an extent that it even reproduced Rudolf’s ostensible illness seems simply too naïve. On the other hand, the individuality of the represented person as well as the then nascent significance of physical resemblance that can be traced in many contemporary paintings and sculptures let us interpret

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this portrait as something more than a conventional, physiognomic type duplicated on an independent panel. It is hardly possible that the author of the painting retraced the archduke’s face from life. The Viennese portrait should be understood rather as a result of a kind of artist’s strategy using various accessible sources in order to achieve a credible likeness. Thus, while working on the portrait, its author might have been using the image of the archduke as it appeared in his memory (of course, if he had the opportunity to see him), the contents in his sketch-book and other available images of Rudolf. It is in this context that some common features between the panel portrait and other likenesses of the archduke should be observed. The portrait is, in fact, similar to the sculpted figures representing Rudolf IV that are to be found in the Stephansdom; i.e. the figure on his tomb and two statues standing in the portals leading to the corpus of the Stephansdom, the so-called Singertor and Bischofstor (all presumably executed in the 1360s). Especially intriguing (and until now hardly noticed) is the similarity between the portrait and the head of a statue situated in the Singertor  –  particularly the decoratively arranged headdress. Common features also include the general shape and proportions of the face, the half-opened mouth and the characteristically as if a bit swollen areas above the eyes. All of these features, although more conventionally represented, are also noticeable on the archduke’s cenotaph. It must therefore be emphasized that the »portrait like« character of the panel portrait is closely related to the activity of the highly qualified workshop of sculptors (the so-called Ducal Workshop or »Herzogswerkstatt«) working at this time on the Stephansdom’s refurbishment, for which the leading master (or masters) derived, as Gerhard Schmidt has shown, from northwestern Europe (England, France, the Netherlands).46 At the same time it should be stressed, that the final form of the portrait is presumably also the result of using drawings and models that must have been in the author’s possession. The style of the painting and the presence of a particularly »Czech« means of artistic expression leave no doubt that these drawings had to be close to those held in Erlangen.

The portrait in a political context and a question of its function Similarly to the form of the painting, its meaning does not reveal relations with any particular place. The likeness of Rudolf IV is identified by an inscription (Rudolfus  –  Archidux  –  Austrie  –  et cet[era]) and the ceremonial headgear (»Erzherzogshut«). As the meaning of the portrait reflects the sitter’s political aspirations it must therefore be analyzed in the context of his political endeavors.47 The title of Archduke of Austria (Archidux Austriae) was invented by Rudolf IV himself. Its origins are not perfectly clear. Earlier, only the dukes of Brabant used a similar title. In the series of forged privileges issued by Rudolf’s chancellery and commonly known as Privilegium maius the title appears only once, referring to the electors of the German Reich (Kurfürsten).48 Historians agree that the main purpose of Rudolf’s adopting the title

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of Archduke was to strengthen the position of the Habsburgs in the German Reich. It should also be noticed that initially the invented title was Palatinus Archidux (Pfalzerzherzog) that equalized the dukes of Austria with the most privileged rulers in the Holy Roman Empire: the counts of the Palatinate (Pfalzgrafen) and the dukes of Saxony (Herzöge von Sachsen). This title was, however, considered illegal by Charles IV in 1360 and from this time Rudolf called himself simply Archidux (Erzherzog).49 Equally unusual as the inscription written on the frame of the portrait is Rudolf’s »Erzherzogshut«. As Ursula Begrich has observed its particular form is remarkably different from other contemporary crowns. If crowns of other Central European rulers used the then popular motif of the fleur-de-lis, the »Erzherzogshut« exploits a crown type anachronistic for the fourteenth century called »Zackenkrone«. This type of crown is to be found on many coins representing for instance Merovingian rulers and later also Salian and Staufen emperors. The »Zackenkrone« as it appears on Rudolf’s portrait derives presumably from the antique »Strahlenkrone« which was well known in Rudolf’s time through late Roman coins easily accessible across the Holy Roman Empire. There is no question that introducing the motif of the »Zackenkrone« Rudolf aimed to emphasize the ancient origins of the office of archduke of Austria. In this context we should once again turn to the Privilegium maius reflecting Rudolf’s political ambitions. This set of five documents was to certify the rights of the dukes of Austria that were given to them by famous emperors, among others Henry IV, Frederick I Barbarossa and Frederick II. What is of special interest, the oldest of the forged documents quoted spurious texts of two privileges given to the first rulers of Austria by Roman emperors, Julius Caesar and Nero.50 Another extraordinary element of the »Erzherzogshut« is the arch crowned by a small cross. According to one of the fabricated privileges, Frederick Barbarossa gave the first duke of Austria the right to have by his miter a »certum pinnitum« (tin diadem). Another privilege was the authentic bestowal from emperor Henry VII to Austrian duke Leopold VI »coronae nostrae regalis diadema«, and finally Frederick II endowed duke Frederick II Babenberg with a »crucem nostri diadematis«.51 The type of closed crown with a cross depicted on Rudolf’s portrait illustrates quite precisely the descriptions from the Privilegium maius. Since the time of the Staufen this type of closed crown was considered ceremonial headgear of higher rank than an open crown and for this reason it was traditionally attributed to the office of the emperor. The closest to the »Erzherzogshut« are the crowns of the kings of Bohemia (the St. Wenceslaus Crown, once held in the chapel of St. Wenceslaus at St. Vitus’ cathedral and now in the cathedral’s treasury) and the royal crown of Charles IV (the »Karlskrone«, held in Aachen cathedral’s treasury).52 As Begrich has written: »Wenn meine Vermutung über das Vorbild der Zackenkrone richtig ist […], dann ist die Zierde auf dem legitimen Fürstenhut die naive Kombination von antiker, imperialer Strahlenkrone und hochmittelalterlichem, kaiserlichem Kronenbügel, und somit selbst ein sichtbarer Ausdruck dessen, wie abstrus man die Antike verstand und in die eigene Zeit aufnahm.«53 A particular predilection for the antique can, in fact, be observed in the visual representation of the Habsburgs and Rudolf IV. In his first personal seal that was executed in 1356,

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hence before taking the office of the duke of Austria, an ancient gem was included |fig. 5|.54 Late antique gems were also used in the seal of the chapter established through Rudolf’s endeavors in 1365 and on the frontal side of the Melkerkreuz founded by Rudolf for Benedictine abbey in Melk.55 As Robert Suckale has noticed, the idea of emphasizing the ancient tradition of the Habsburg family might have appeared already before Rudolf took power: within the last years of his father’s life, Albrecht II, who as is known 5  First personal seal of Rudolf IV, 6  Personal seal of Charles IV as a Holy Roman Emperor and a king of Bohemia, collected ancient gems. The result of this 1356, Vienna, Diözesanarchiv c. 1355, Frankfurt am Main, Stadtarchiv interest might also be the activity around 1350 of the so-called Master of the figures from St. Michael’s church or the »Michaelermeister«  –  an outstanding sculptor deriving from Tuscan tradition, probably from the Pisan workshops of Andrea Pisano, whose works are easi­ly distinguishable because of their unequivocal antiquating style.56 Followers of this master worked in Vienna also for Rudolf IV that can be testified by a Man of Sorrows dated to 1367 standing near to the St. Eligius’ chapel in the Stephansdom and a figural keystone of the vault in the same chapel, accomplished in 1365.57 In analyzing the iconographic message of the portrait we can follow Herman Fillitz who has written that the image has to be understood as »Postulat auf die Würde des Erzherzogs«.58 But is the painting in question really such an ordinary late medieval image that it stands »in einer langen Reihe der mittelalterlichen Herrscherporträts, die nicht im Sinne des letztlich erst mit dem Humanismus zu verbindenden unabhängigen Porträts verstanden werden dürfen, sondern als politische Aussagen gewissermassen als Dokumente dienten«?59 I believe that neither the category of Renaissance humanism nor medieval effigy fully defines the particularity of Rudolf’s portrait. On a simple iconographic level, it does indeed constitute a political message drawing from a long medieval tradition of the visual representation of rulers. At the same time, however, it cannot be denied that the very form of an autonomous panel representing a living individual was something new in the fourteenth century. For this reason, the interpretations proposed by Fillitz, Luckhardt and, more recently, by Horch among others appear to be incomplete. The presumably portable character of the portrait, as well as its precise political message let us suppose that its function was of diplomatic character, perhaps similar to four portraits representing John II the Good, Charles IV of Luxemburg, Edward III and Charles V of France that in 1380 were held at the Hôtel de St. Pol, the castle belonging to the latter. These portraits were presumably connected, forming a quadriptych and were executed undoubtedly

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in connection with Charles V’s diplomatic activity.60 The later reception of these works (they belonged in time to Charles VI and Jean, Duke of Berry) demonstrates their purpose to be viewed privately, within a small circle of people close to the king.61 What is more, in Prague, the existence of another early independent panel portrait can be traced. A personal seal or »secret seal« of Charles IV executed probably around 1355, that is, at the time of his imperial coronation, represents the Holy Roman Emperor in a quite unusual way: the individualised head of the ruler is shown in profile, congruent to the tradition established by his predecessors, but it is also encompassed by a rectangular frame, thus making the impression of the individual panel painting »pasted« on a seal |fig. 6|.62 This, as Milada Studnicˇková has pointed out, should perhaps be associated with an interesting account from the sixteenth century about an illuminator in Prague called Pavel, who in 1533 was in a possession of four panel portraits, one of which representing Charles IV.63 It is plausible indeed, that also in imperial Prague independent portraiture existed as a new form of representation, the one which, as Andrew Martindale has put it »had little function once painted and delivered«.64 As such small, portable portraits did not have another function than to memorialize an important event (as, for example, a political alliance or coronation), perpetuate distinguished person by means of his or her likeness and, simply engage curiosity. Nothing therefore indicates that the portrait of Rudolf IV would have been originally a kind of epitaph. Both the ceremonial headgear and the inscription identifying Rudolf as »Erzherzog«, a title that had not been in use after his death, support the panel’s execution during Rudolf’s lifetime. The fact that in the fifteenth century the painting hung close to Rudolf’s tomb does therefore not provide evidence about its original purpose. Similarly, the relationship of the painting with Rudolf’s epitaph mentioned by Testarello della Massa in his 1685 account should also be considered as secondary.65 In short, it is hardly possible that Rudolf’s portrait was from the beginning meant to be hung above his cenotaph (or under his epitaph). It seems far more likely that it was placed here only after his sudden death in 1365 as a kind of artifact and reminder of the Archduke. Thus, the portrait became part of a tradition that maintained the posthumous memory of the Archduke as founder of both the collegiate chapter and the Stephansdom. This tradition had however nothing in common with the panel’s primary function.

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The title is a quotation from the first scholarly article devoted to the portrait; see Johannes Wilde: Das Bildnis Herzog Rudolfs IV., in: Kirchenkunst, Österreichische Zeitschrift für Pflege religiöser Kunst 5/1933, pp. 36 – 4 1, p. 36. I would like to express my gratitude to Dr. hab. Marek Walczak for all his insightful comments and to Albert J. Godycki for revising the English version of this text. 1  On the Jean le Bon portrait in the Louvre and the origins of portraiture in general see Stephen Perkinson: The Likeness of the King. A prehistory of portraiture in Late Medieval France, Chicago and London 2009, pp. 1 ff. and pp. 278 ff. 2  The red color of the frame, as seen today, is a reconstruction, made on the basis of scantly preserved traces of polychrome. The condition of the painting including its state of preservation will be discussed below; for the latest description of the painting including its technical examination see Arthur Saliger: Dom- und Diözesanmuseum Wien, Wien 1987, pp. 3 f. 3  Thomas Ebendorfer: Chronica Austriae, Berlin and Zurich 1967 (Scriptores rerum Germanicarum, Nova Series, t. 13), p. 289: »Ipsius alias apud suum mausoleum physonomiam in pictura conspexi: latam faciem partim lividam habere ex colera, oculos grandes, os mediocre, mentum et genas nigra barba suffusas licet rara – que quid designent, pronostico medicorum committo.« 4  Johann Mathias Testarello della Massa: Kurze doch Eigentliche Beschreibung darinnen gründlich angeführt wird auf was weisse die kayserliche Residenz: vnd haubtsatt Wienn in Osterreich Anfänglich zum christlichen Glauben bekkert (1685), in: Wiener Dombauvereins-Blatt 9 – 1/1889, pp. 6 – 8, p. 6 (ma­nuscript held in Österreichische Nationalbibliothek, cod. 8277, fol. 177 – 451); see also Karl Weiß: Die älteste Beschreibung der Metropolitan-Kirche zu St. Stephan, in: Wiener Dombauvereins-Blatt 1 – 6/1881, pp. 21 – 22; Josef Zykan: Das Grabmal Rudolfs des Stifters, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 6/1952, pp. 21 – 31, p. 28, note 21; Caroline Horch: Der Memorialgedanke und das Spektrum seiner Funktionen in der bildenden Kunst des Mittelalters, Königstein im Taunus 2001, p. 204 f. The text on Rudolf’s epitaph reads as follows: »Anno Domini MCCCLXV, post festum Jacobi Apostoli Dominica proxima obit in Mediolano Dominus Rudolphus IV Dux Austraie, Styriae, Carinthiae, Carniolie Prinzeps illustrissimus, terrarumque suarum potentissimus, huius Praepositusrae fundator Qui Dominam Catharinam filiam Domini Caroli IV Imperatoris Gloriosissimi, habuit in Consortem. Iste enim Rudolphus Comitatum Tyrolensem augendo adjecit ad Austriae Principatum«. 5  Testarello della Massa 1889, p. 6; see Antje Kosegarten: Parlerische Bildwerke am Wiener Stephansdom aus der Zeit Rudolfs des Stifters, in: Zeitschrift des Deutschen Vereins für Kunstwissenschaft 20/1966, pp. 47 – 78, p. 49, note 9; Kurt Bauch: Bildnisse des Jan van Eyck, in: id.: Studien zur Kunstgeschichte, Berlin 1967, pp. 79 – 1 22, pp. 102 f.; Horch 2001, p. 207. 6  See Wilde 1933, p. 36; Rupert Feuchtmüller: Rudolf der Stifter und sein Bildnis (mit Restaurierbericht von P. Halbgebauer), Wien 1981 (Schriftenreihe des Erzbischöflichen Dom- und Diözesanmuseums Wien, Neue Folge, Bd. 7), pp. 9 – 42, p. 24; Saliger 1987, p. 3; Horch 2001, p. 207. 7  See Wilde 1933, p. 36. The portrait in question was known earlier, it was mentioned by Hans Tietze: Wien. Berühmte Kunststätten, Bd. 67, Leipzig 1918, p. 94, ill. 41, and displayed in the 1926 exhibition Gotik in Österreich; see Gotik in Österreich (ed. by Ludwig Baldass et al.), exhibition catalogue, Österreichisches Museum für Kunst und Industrie, Vienna 1926, p. 14, cat. no. 2. Nevertheless, only after Wilde’s article the panel started to be viewed as »the first« in a long list of early portraits; see Harald Keller: Die Entstehung des Bildnisses am Ende des Mittelalters, in: Römisches Jahrbuch für Kunstgeschichte 3/1939, pp. 227 – 356, p. 348; Ernst Buchner: Das deutsche Bildnis der Spätgotik und der Frühen Neuzeit, Berlin 1953, pp. 24 f.; Bauch 1967, pp. 101 ff. 8  See Karl Oettinger: Wiener Hofmaler um 1360 – 1380. Zur Entstehung des ersten deutschen Porträts, in: Zeitschrift für Kunstwissenschaft 6/1952, pp. 137 – 154; Bauch 1967, pp. 101 ff.; Gustav Künstler: Das

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Bildnis Rudolfs des Stifters, Herzog von Österreich, und seine Funktion, in: Mitteilungen der Österreichischen Galerie 16/1972, pp. 5 – 15. 9  See Ernst H. Kantorowicz: The King’s Two Bodies. A Study in A Study in Mediaeval Political Theology, Princeton 1957; Jochen Luckhardt: Das Porträt Erzherzogs Rudolf IV. von Österreich bei seinem Grabmal. Versuche zur Deutung eines dualistischen Grabbildes, in: Anton Legner (ed.): Die Parler und der schöne Stil 1350 – 1 400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern, Resultatband zur Ausstellung des SchnütgenMuseums in der Kunsthalle Köln, Köln 1980, pp. 75 – 86. 10  See Feuchtmüller 1981, pp. 24 f. 11  See Hermann Fillitz: Zum Porträt Herzog Rudolfs IV. von Österreich, in: Florens Deuchler (ed.): Von Angesicht zu Angesicht. Porträtstudien. Michael Stettler zum 70. Geburtstag, Bern 1983, pp. 99 – 103. 12  See Horch 2001, pp. 191 – 227. 13  See Gerhardt Schmidt: Die Malerei, in: Günter Brucher (ed.): Gotik, München, London and New York 2000 (Geschichte der bildenden Kunst in Österreich, vol. 2), pp. 466 – 489; Jirˇi Fajt and Robert Suckale: Die europäischen Dynastien. Nachahmung oder Konkurrenz, in: Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden. Kunst und Repräsentation des Hauses Luxemburg 1310 – 1 437 (ed. by Jirˇi Fajt), exhibition catalogue, Správa Prazského Hradu, Prague 2007, pp. 422 – 459, p. 431; Irma Trattner: Der Hof als kultureller Raum in Österreich. Rudolf IV. von Österreich und seine Stiftungen, in: Markéta Jarošová, Jirˇi Kuthan and Stefan Scholz (eds): Prag und die großen Kulturzentren Europas in der Zeit der Luxemburger (1310 – 1 437). Internationale Konferenz aus Anlass des 660. Jubiläums der Gründung der Karlsuniversität in Prag, 31.  März  –  5. April 2008, Prague 2008, pp. 313 – 3 44, p. 329; Stephan Kemperdick: Prager oder Wiener Meister. Erzherzog Rudolf IV., genannt der Stifter, in: Dürer, Cranach, Holbein. Die Entdeckung des Menschen. Das deutsche Porträt um 1500 (ed. by Sabine Haag et al.), exhibition catalogue, Kunsthistorisches Museum, Wien 2011, pp. 55 – 56, cat. no. 22. 14  See Wilde 1933, p. 36; Bauch 1967, p. 102; Künstler 1972, p. 7; Jirˇi Fajt: Magister Theodoricus. Court Painter to Emperor Charles IV., in: Magister Theodoricus. Court Painter to Emperor Charles IV. The Pictorial Decoration of the Shrines at Karlštejn Castle (ed. by id. and Jan Royt), exhibition catalogue, Národni Galerie, Prague 1998, pp. 271 – 2 72. 15  Claiming this I follow the methodological attitude proposed by George Didi-Huberman: The Portrait, the Individual and the Particular. Remarks on the Legacy of Aby Warburg, in: Nicholas Mann and Luke Syson (eds): The Image of the Individual. Portraits in the Renaissance, London 1998, pp. 165 – 188, p. 165 f. 16  See Franz Mairinger: Das Bildnis Herzog Rudolfs IV. des Stifters, technischer Aufbau des Bildträgers und Rahmens, in: Restauratorenblätter 19/1998, pp. 65 – 67. 17  See Wilde 1933, p. 38; Feuchtmüller 1981, p. 10. 18  See Hana Hlávacˇková: The Medieval Picture as an Object, in: Technologia artis 3/1993, in: http:// www.technologiaartis.org/english.html (08.01.2013). 19  Wilde 1933, p. 38. 20  See Mairinger 1998, p. 66. 21  See Hlávacˇková 1993.

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22  See Hana Hlávacˇková and Hana Seifertová: Mostecká Madona. Imitatio a Symbol, in: Umeˇní 34/1986, pp. 44 – 5 7; id.: La Madone de Most. Imitation et symbole, in: Revue de l’Art 67/1985, pp. 59 – 65. 23  See Lorne Campbell: Renaissance Portraits. European Portrait-Painting in the 14th, 15th and 16th Centuries, New Haven and London 1990, pp. 65 f.; Angelica Dülberg: Privatporträts. Geschichte und Ikonologie einer Gattung im 15. und 16. Jahrhundert, Berlin 1990, p. 223, cat. no. 154, for more examples and characteristics of the issue within the context of written sources, see ibid., pp. 31 ff. 24  See Saliger 1987, p. 4. 25  See Josef Zykan: Das Grabmal Rudolfs des Stifters, in: Österreichische Zeitschrift für Kunst und Denkmalpflege 6/1952, pp. 21 – 31; Kosegarten 1966, pp. 49 ff.; Grabmal Rudolfs des Stifters, Wien, um 1359 – 1366, in: Die Parler und der schöne Stil 1350 – 1 400. Europäische Kunst unter den Luxemburgern, exhibition catalogue, Schnütgen-Museum, Köln 1978, 3 vols, vol. 2, pp. 419 – 421 (Rupert Feuchtmüller); Grabmal Rudolfs IV. und seiner Gemahlin Katharina, in: Brucher 2000, pp. 357 – 358, cat. no. 101 (Lothar Schultes). 26  See Kosegarten 1966, pp. 59 – 62; Großes Standbildsiegel Herzogs Rudolf IV. von Österreich, in: Die Parler und der Schöne Stil 1978, vol. 3, p. 158 (Toni Diederich); Zweites großes Reitersiegel Herzog Rudolfs IV. von Österreich, in: Die Parler und der schöne Stil 1978, Bd. 3, p. 159 (Toni Diederich); Zweites Reitersiegel Herzog Rudolfs IV., in: Brucher 2000, pp. 585 f., cat. no. 326 (Franz Wagner). 27  See Josef Neuwirth: Der Bilderzyklus des Luxemburger Stammbaumes aus Karlstein, Prague 1897; Antonín Friedl: Mikuláš Wurmser, mistr královských portrétu ˚ na Karštejneˇ, Prague 1956; Jan Krofta: K problematice Karlštejnských maleb, in: Umeˇní 7/1958, pp. 2 – 30, p. 5; Karel Stejskal: Die Rekonstruktion des Luxemburger Stammbaums auf Karlstein, in: Umeˇní 26/1978, pp. 535 – 562; id.: Die Wandzyklen des Kaiser Karls IV. Bemerkungen zu Neudatierungen und Rekonstruktionen der im Auftrag Karls IV. gemalten Wandzyklen, in: Umeˇní 46/1998, pp. 19 – 4 1. 28  See Josef Neuwirth: Der verlorene Zyklus böhmischer Herrscherbilder in der Prager Königsburg, Prague 1896; Antonín Salacˇ: Zur Geschichte der Bautätigkeit Karls IV. auf der Prager Burg, in: Johannes Irmscher (ed.): Renaissance und Humanismus in Mittel- und Osteuropa. Eine Sammlung von Materialien, vol. 2, Berlin 1962 (Deutsche Akademie der Wissenschaften zu Berlin. Schriften der Sektion für Altertumswissenschaft, vol. 32), pp. 304 – 306; Evemarie Clemens: Luxemburg-Böhmen, WittelsbachBayern, Habsburg-Österreich und ihre genealogischen Mythen im Vergleich, Trier 2001, pp. 77 ff.; Marie Bláhová: Herrschergenealogie als Modell der Dauer des »politischen Körpers« des Herrschers im mittel­ alterlichen Böhmen, in: Andreas Speer and David Wirmer (eds): Das Sein der Dauer, Berlin and New York 2009 (Miscellanea Mediaevalia, vol. 34), pp. 381 – 397, pp. 393 ff. 29  Marie Bláhová has pointed out two interesting references that let us grasp more precisely the programme of the gallery: Aldo Francesco Massèra (ed.): Marcha di Marco Battagli di Rimini (1212 – 1354), Città di Castello 1912 – 1913 (Rerum Italicarum Scriptores vol. 16.3), Prohemium operis XXXV–XLVI, and the catalogue of emperors made by the Czech chronicler Oldrˇich Krˇíž of Telcˇ (1405/1406 – 1504); see Bláhová 2009, p. 394. 30  Inscriptions describing emperors Leo IV and Charles III were discovered during the extension of the Prague castle made at the turn of the 16th century. Other inscriptions were known to Petrus Appianus who cited them in his catalogue of old inscriptions published in 1534; see Salacˇ 1962, p. 304; Bláhová 2009, p. 393; Pražský Hrad ve Strˇedoveˇku (ed. by Edvard Beneš), exhibition catalogue, Pražský Hrad, Prague 1946, p. 24, ill. 10; Karel Stejskal and Jirˇí Kropácˇek: Malírˇství, in: Emanuel Poche (ed.): Praha strˇedoveˇká. Cˇtvero knih o Praze, vol. 1, Prague 1983, pp. 493 – 639, p. 572. 31  See Bláhová 2009, p. 394.

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32  See Alfred Stange: Deutsche romanische Malerei, in: Münchner Jahrbuch der bildenden Kunst 7/1930, pp. 125 – 181, pp. 131 ff.; Rolf E. Straub: Tafel- und Tüchleinmalerei, in: Hermann Kühn et al.: Reclams Handbuch der künstlerischen Techniken, vol. 1, Stuttgart 1984, pp. 131 – 259, pp. 147 f. 33  See Straub 1984, p. 148. 34  See Christof Metzger: Hans Schäufelin als Maler, Berlin 2002, p. 63; id.: Wie man den Menschen er­kennen soll? Neue Überlegungen zu den Charakterstudien Hans Schäufelins (mit einem technologischen Anhang von Monika Strolz), in: Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien 12/2010, pp. 8 – 39, p. 14. 35  See Saliger 1987, p. 3. 36  See ibid., p. 4; Mojmír Hamsík: On the Technique of Czech panel painting in the 14th Century, in: Technologia Artis 1/1991, in: http://www.technologiaartis.org/english.html (09.01.2013). 37  See Karel Stejskal: Work of the Court Painters in the Emmaus Monastery, in: Vlasta Dvorˇáková et al. (eds): Gothic Mural Painting in Bohemia and Moravia 1300 – 1378, London 1964, pp. 101 – 113, pp. 107 f.; Katerˇina Kubínová: Emauzský cyklus. Ikonografie strˇedoveˇkých násteˇnných maleb v ambitu kláštera Na Slovanech, Prague 2012, pp. 73 ff. 38  Hana Hlavácˇková: The Drawings on the Walls of the Chapel of Holy Cross in the Great Tower, in: Magister Theodoricus 1998, pp. 206 – 2 15, pp. 206 ff. 39  See ibid., pp. 484 f. 40  See ibid., p. 211. 41  See Zwei Blätter eines Musterbuches: a. Cicero (?) und Ptolemäus, b. Prophet, junger Mann und Noah (?), in: Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden 2006, pp. 119 – 1 20, no. 28a (Jirˇí Fajt and Robert Suckale); Böhmen, um 1370. Musterblatt mit einem Philosophen und einem Astronomen, in: 100 Meister-Zeichnungen aus der Graphischen Sammlung der Universität Erlangen-Nürnberg, exhibition catalogue, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg 2008, pp. 32 – 33, cat. no. 1 (Rainer Schoch). 42  Feuchtmüller 1981, p. 14. 43  Ibid., pp. 15 f.; similarly Alphons Lhotsky: Die Problematik der geschichtlichen Erscheinung Rudolfs IV., in: id.: Aufsätze und Vorträge, vol. 5 (ed. by Hans Wagner and Heinrich Koller), Wien 1976, pp. 127 – 1 42, p. 141. 44  Saliger 1987, p. 6. 45  See Helga Wammetsberger: Individuum und Typ in den Porträts Kaiser Karls IV., in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Friedrich-Schiller-Universität Jena 16 – 1/1967, pp. 79 – 93; Franz J. Ronig: Die Bildnisse Kunos von Falkenstein. Typ oder Porträt, in: Die Parler und die Schöne Stil 1978, vol. 3, pp. 211 – 2 14; Gerhard Schmidt: Porträt oder Typus. Zur Frage der Ähnlichkeit in den Darstellungen Kaiser Friedrichs III, in: Jahrbuch des Kunsthistorischen Museums Wien 8 – 9/2006 – 2007, pp. 33 – 47; Robert Suckale: Die Porträts Kaiser Karls IV. als Bedeutungsträger, in: Das Porträt vor der Erfindung des Porträts (ed. by Martin Büchsel and Peter Schmidt), Mainz 2003, pp. 191 – 204, p. 193. 46  See Gerhard Schmidt: Die Wiener »Herzogswerkstatt« und die Kunst Nordwesteuropas, in: id.: Gotische Bildwerke und ihre Meister, Wien 1992, pp. 165 – 1 74.

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47  The political meaning of the portrait was emphasized recently by Martin Warnke, see Handbuch der politischen Ikonographie (ed. by Uwe Fleckner, Martin Warnke and Hendrik Ziegler), Bd. 1, München 2011, s. v. »Herrscherbildnis« (Martin Warnke), pp. 481 – 490, pp. 481 f. 48  See Alfons Lhotsky: Privilegium Maius. Die Geschichte einer Urkunde, Wien 1957, p. 85. 49  See Eva Schlotheuber: Das Privilegium maius. Eine habsburgische Fälschung im Ringen um Rang und Einfluss, in: Peter Schmid and Heinrich Wanderwitz (eds): Die Geburt Österreichs. 850 Jahre Privilegium maius, Regensburg 2007, pp. 143 – 165. 50  See Jürgen von Ungern-Sternberg: Cäsar und Nero in der Vorstellungswelt des 14. Jahrhunderts. Zu den Privilegien Herzog Rudolfs IV. von Österreich, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 36/1976, pp. 103 – 115; Alexander Sauter: Fürstliche Herrschaftsrepräsentation. Die Habsburger im 14. Jahrhundert, Ostfildern 2003 (Mittelalterforschungen), pp. 170 f. 51  Ursula Begrich: Die fürstliche »Majestät« Herzog Rudolfs IV. von Österreich. Ein Beitrag zur Geschichte der fürstlichen Herrschaftszeichen im späten Mittelalter, Wien 1965 (Wiener Dissertationen aus dem Gebiete der Geschichte, vol. 6), pp. 24 f. 52  See Die Wenzelskrone, in: Karl IV. Kaiser von Gottes Gnaden 2007, pp. 90 – 9 4, cat. no. 13 (Karel Otavský); Georg Minkenberg: Der Aachener Domschatz und die sogenannten Krönungsgeschenke, in: Krönungen. Könige in Aachen. Geschichte und Mythos (ed. by Mario Kramp), exhibition catalogue, Krönungssaal des Aachener Rathauses, Domschatzkammer and Aachener Dom, Mainz 2000, pp. 59 – 68, pp. 63 ff. 53  Begrich 1965, p. 26. 54  See Gemmensiegel Herzogs Rudolf IV., in: Die Zeit der frühen Habsburger. Dome und Klöster 1279 – 1379 (ed. by Floridus Röhring and Gottfried Stangler), exhibition catalogue, Niederösterreichische Landesausstellung, Wien 1979, pp. 385 – 386, cat. no. 164 (Franz Gall). 55  The matrix of the seal is preserved in the Vienna Diocesan Museum; see Saliger 1987, pp. 1 f.; Siegel des Stiftes Allerheiligen (St. Stephan) in Wien, in: Die Parler und der schöne Stil 1978, vol. 3, pp. 160 – 161 (Toni Diederich); Das »Melker Kreuz«, in: Die Gotik in Niederösterreich. Kunst, Kultur und Geschichte eines Landes im Spätmittelalter (ed. by Fritz Dworschak et al.), exhibition catalogue, Krems an der Donau, Wien 1963, pp. 204 – 205 (Herman Fillitz); Siegelstempel des (Dom-)Kapitels zu St. Stephan in Wien, in: Brucher 2000, p. 586, cat. no. 327 (Franz Wagner). 56  See Robert Suckale: Eine unbekannte Madonnenstauette der Wiener Hofkunst um 1350, in: id.: Das mittelalterliche Bild als Zeitzeuge. Sechs Studien, Berlin 2002, pp. 225 – 251, pp. 244 f., see also Lothar Schultes: Der Wiener Michaelermeister, in: Wiener Jahrbuch für Kunstgeschichte 37/1984, pp. 41 – 66. 57  See Suckale 2002, p. 247. 58  Fillitz 1983, p. 102. 59  Ibid. 60  See Andrew Martindale: Heroes, Ancestors, Relatives and the Birth of the Portrait, Maarsden and The Hague 1988 (Gerson Lecture, vol. 4), p. 33. 61  See Perkinson 2009, p. 300; Julian Gardner: Stephen Perkinson’s The Likeness of the King. A Prehistory of Portraiture in Late Medieval France [review], in: Art Bulletin 94- 1/2012, pp. 132 – 134.

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62  Milada Studnicˇková: Prˇíspeˇvek k ikonografii císarˇe Karla IV. a Zikmunda Lucemburského, in: Umeˇní 37/1989, pp. 221 – 222; see also Otto Posse: Die Siegel der deutschen Kaiser und Könige, vol. 2, Dresden 1910, p. 5, plate 4, no. 6; Wilhelm Volkert: Die Siegel Karls IV., in: Ferdinand Seibt (ed.): Kaiser Karl IV. Staatsmann und Mäzen. Aus Anlaß der Ausstellungen Nürnberg und Köln 1978/79 in Zusammenarbeit mit dem Bayerischen Nationalmuseum und des Adalbert Stifter-Verein, München 1978, pp. 308 – 312, p. 310. 63  Karel Chytil: Vývoj miniaturního malírˇství cˇeského za doby králu ˚ rodu Jagellonského, Prague 1896, p. 65; Jaroslav Pešina: Podoba a podobizny Karla IV. Prˇispeˇvek k poznáný cˇeského portrétního realismu ve 14. století, in: Universitas Carolina. Philosophica 1/1955, pp. 1 – 60, p. 35; Studnicˇková 1989, p. 222. 64  Martindale 1988, pp. 33 – 3 4. 65  See Horch 2001, p. 212.

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BILDNIS EINES POLITISCHEN SYSTEMS Altichieros »Gruppenporträt« in der Jakobuskapelle des Paduaner Santo S I MO N E W E ST E R M ANN

»Ich kenne Dich: ich weiß genau, dass durch die Güte Deiner Natur, Du bereit wärest, mit anderen zu teilen, nicht nur die Macht, [sondern auch] das Leben […].«1 Francesco Petrarca an Francesco il Vecchio da Carrara, 28. November 1373

Wirklichkeitserfassung im Porträt Bereits in der Rezeption von Altichieros Werken vom 16. bis zum frühen 20. Jahrhundert wurde die Porträtmalerei als ein sein Œuvre definierendes Merkmal ausgewiesen. Giorgio Vasari berichtete in seinen Viten vom Frühwerk des Künstlers im Palazzo del Podestà in Verona, dass dieser dort »Medaillen« gemalt habe, »in denen man glaubt, dass Porträts nach der Natur von vielen berühmten Männern der Zeit und im Besonderen viele der Herrscher della Scala« zu sehen waren.2 Später bemerkte Jacob Burckhardt im Cicerone zu Altichieros Fresken der Jakobuskapelle in Padua, er habe »einen grossen Schritt über Giotto und seine Schule hinaus« getan und »den physiognomischen Ausdruck seiner einzelnen Gestalten nach Charakter und Moment bis ins Aeusserste« durchgeführt.3 Schließlich sah auch Julius von Schlosser in Altichieros Werken das »ins Quattrocento überleitende Wirklichkeitsstreben« als »stärksten Ausdruck, dessen das Trecento fähig war«.4 Dass die Wirklichkeitserfassung und damit verbunden die Gattung der Porträtmalerei für Altichieros Œuvre in der Kunstkritik der Renaissance und später bei Burckhardt und Schlosser hervorgehoben wurden, ist nicht weiter erstaunlich. Für Vasari war Naturnachahmung ein Parameter zum Messen der bravura eines Künstlers geworden und für Burckhardt besonders das Porträt ein Indiz für den Übergang vom Mittelalter zur Renaissance. Die Porträtmalerei wird dementsprechend auch in der jüngeren Forschung als wichtiger Aspekt in-

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1  Altichiero (und Jacopo Avanzi): Die Legende von Karl dem Großen, 1372 – 1379, Fresko, Padua, Basilika des Heiligen Antonius, Jakobuskapelle

nerhalb von Altichieros Gesamtwerk gewürdigt.5 Doch es verwundert, dass trotz vielseitiger Bemühungen in der Sekundärliteratur, einzelne Individuen in den Werken des Künstlers zu identifizieren, bis jetzt ein bedeutendes Moment von Porträtmalerei übersehen wurde: Im Freskenzyklus der Jakobuskapelle in der Basilika des Heiligen Antonius in Padua stellte Altichiero eines der ersten großformatigen Gruppenporträts dar, dessen Form und tiefergehende Bedeutung noch weitgehend ungeklärt geblieben sind.6 Gruppenporträts im Spätmittelalter wurden erstmals umfassend von Andrea von Hülsen-Esch untersucht, die sich vor allem mit Gruppen von Gelehrten auseinandersetzte. Die vorliegende Arbeit knüpft an Hülsen-Eschs Beobachtungen an, versucht aber anhand eines spezifischen Falls neue Erkenntnisse zu Gruppendarstellungen besonders im Veneto zu erlangen. Wie bei den von Hülsen-Esch erforschten Gelehrtengruppen kann auch bei Altichiero nicht von einem Gruppenporträt im Sinne Alois Riegls gesprochen werden, der das erste Bild dieser Form in das Jahr 1529 datiert, 150 Jahre nach Altichiero, und es zu einem typischen Ausdruck holländischen »Kunstwollens« deklariert.7 Es soll jedoch aufgezeigt werden, dass unser Verständnis von Altichieros Fresko durch selektive Übernahmen der von Riegl für das Gruppenporträt aufgestellten Stilmerkmale  –  dem Dualismus von Subjektivismus und Objektivismus, einer äußeren und inneren Einheit, Subordination und Aufmerksamkeit  –  an

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Tiefenschärfe gewinnt und nicht nur eine ganz spezifische Aussage bezüglich des geografischen und politischen Entstehungskontexts generiert, sondern auch als wegweisend für spätere Gruppenbildnisse im Veneto angesehen werden kann.

Das Konzil als Gruppenbildnis Die Jakobuskapelle in der Basilika des Heiligen Antonius, kurz Il Santo, wurde von Bonifacio Lupi, dem politischen Berater und Diplomaten der herrschenden Familie Paduas, der Carrara, 1372 als Andachtskapelle beim Bildhauer Andriolo de’ Santi und dem Maler Altichiero in Auftrag gegeben und unter die Leitung des Humanisten Lombardo della Seta gestellt, Sekretär und Freund Francesco Petrarcas.8 Schon zwei Jahre nach Beginn der Arbeiten wurde der Bau in eine Grabkapelle für den Auftraggeber und seine Frau Caterina de’ Francesi di Staggia umgewandelt.9 Die Fresken der Jakobuskapelle behandeln neben einer großen Kreuzigung vor allem das Martyrium, die translatio und Episoden aus dem Nachleben des Heiligen Jakobus. Der Teil des Nachlebens, der Gegenstand dieser Untersuchung sein soll, nimmt die gesamte untere Hälfte der Ostwand ein und ist in drei Segmente aufgeteilt, die jeweils eine Szene jener Narration zeigen |Abb. 1|. Die Fresken geben die Legende über den um 778 stattgefundenen Spanien-Feldzug Karls des Großen wieder und beruhen auf den Textgrundlagen der Historia Caroli Magni und der Entrée d’Espagne, eine Neu-Ausgabe der Historia Caroli Magni aus dem frühen 14. Jahrhundert.10 Die erste Szene zeigt die Erscheinung des Heiligen Jakobus im Traum Karls des Großen, der ihn beauftragt, sein Heer nach Galizien zu führen, um den toten Körper des Heiligen, der in der Nähe Pamplonas versteckt lag, von den dort lebenden Sarazenen zu befreien.11 Die folgende, zentrale Szene der Fresken stellt das Konzil Karls dar, in dem er mit seinen wichtigsten Beratern über den Auftrag des Heiligen Jakobus berät.12 Die dritte und letzte Szene der Erzählung gibt die Belagerung und Stürmung Pamplonas wieder, in der Jakobus den Truppen Karls zu Hilfe kommt, die Stadtmauern der nordspanischen Stadt zerstört und so den christlichen Truppen Einlass gewährt.13 Die zweite Szene, die Konzilsszene, stellt bildlich eine abgeschlossene Einheit dar; sie findet in einer Ädikula statt und erscheint derart architektonisch von der Narration separiert |Abb. 2|. Die Konzilsszene ist zentral positioniert und wirkt den beiden flankierenden Schauplätzen vorgesetzt, suggeriert durch die helle Farbgebung und den perspektivisch verkürzten Raum. Zentral thront ein König, eingerahmt von der mittleren Öffnung der Ädikula, die als Eingang dient und durch zwei Säulen abgegrenzt ist; eine Rahmung, die nur durch die Füße zweier ihn flankierender Teilnehmer des Konzils gebrochen ist. Generell ist die Komposition sehr symmetrisch angeordnet: In den zwei seitlichen Fensteröffnungen sind vom Betrachter aus links elf und rechts zwölf Figuren sichtbar, von denen jeweils sechs Personen sitzen. Die Figuren gestikulieren zum Teil deutlich miteinander, teilweise scheinen sie am Geschehen in abwartender Haltung teilzunehmen; die Konzentration aber ist auf den König gerichtet.

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2  Altichiero (und Jacopo Avanzi): Das Konzil von Karl dem Großen, 1372 – 1379, Fresko, Padua, Basilika des Heiligen Antonius, Jakobuskapelle

Elf der dargestellten, fast lebensgroßen Personen wurden anhand ihrer markanten Physiognomie und wiederholtem Auftreten innerhalb des Freskenzyklus als Porträts beschrieben, auch wenn über ihre Identität Unstimmigkeit herrscht.14 Als sicher gelten die Zuschreibungen der zwei Personen, die zur Rechten des Königs sitzen: Francesco Petrarca und Lombardo della Seta. Zur extremen Linken des Königs befinden sich Bonifacio Lupi, Auftraggeber der Kapelle, und, aus dem Bild herausschauend, wahrscheinlich seine Frau Caterina de’ Francesi.15 Die Figuren der stehenden Dreiergruppe zur Linken des Königs werden als Familienmitglieder der herrschenden Carrara angesehen, während auf der gegenüberliegenden Seite ein Notar oder Richter mit schwarzem Überwurf und hinter ihm sein Sohn dargestellt sind.16 Des Weiteren kann angenommen werden, dass in der heraldisch rechten unteren Hälfte mehrere Mitglieder der Familie Rossi gezeigt werden, deren Familiengrabmal sich ebenfalls in der Jakobuskapelle befindet.17

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Inwieweit kann nun diese Darstellung als Gruppenporträt aufgefasst werden? HülsenEsch untersuchte Repräsentationen von Gelehrten in Gruppen aus dem 14. und frühen 15. Jahrhundert als »Gruppenporträts vor der Erfindung des Gruppenporträts« und verwies auf die Übertragbarkeit der von Riegl aufgestellten Kategorien für das, was dieser als »echtes Gruppenporträt« bezeichnet.18 Riegl zufolge sollten die Individuen der Gruppe »zugunsten eines gemeinsamen zu erreichenden, praktisch-irdischen und dabei gemeinnützigen Zweckes« zusammengekommen sein.19 Weiter müsse das Gruppenbildnis weder in eine Historie eingebunden sein, noch dürfe unter den Figuren eine zu offensichtliche Subordination herrschen. Zuletzt ist das Moment der Aufmerksamkeit jeder Figur, innerhalb des Gruppenporträts und nach außen zum Betrachter hin gewendet, von besonderer Signifikanz, sodass, wie Riegl schreibt, eine »innere« und eine »äußere Einheit« gebildet werden können.20 Hülsen-Esch argumentiert, dass das, was Riegl als Aufmerksamkeit definiert, durch den Akt der Disputation oder die rhetorische Gestikulation untereinander ausgedrückt wird, und somit vielen derjenigen Gelehrtenbildnisse zu eigen ist, die die Kunsthistorikerin als Bei­ spiele anbringt, wie die Miniatur aus der Chronik De viris illustribus familiae Transelgardorum, die zwischen 1434 und 1440 in Padua entstand und einige Familienmitglieder der Transelgardi als eine Gruppe von Gelehrten darstellt |Abb. 3|.21 Obwohl dies einen wichtigen Punkt innerhalb Riegls Ausführungen ausmacht, so beschreibt er doch deutlich, dass die durch Gestik artikulierte Aufmerksamkeit eine rein »innere Einheit« im Bild erzeugen kann, während das hervorstechende Moment des Gruppenporträts die »äußere Einheit« darstellt, die Verbindung von Porträtierten und Betrachter, die in der obengenannten Miniatur schlicht unbeachtet bleibt. Hierin liegt beispielhaft ein Problem der strikten Übertragung von Riegls Termini auf frühere und nicht-holländische Gruppenporträts, das gleichsam, wie auch Hülsen-Esch erkennt, nicht allein steht.22 Riegls Ausführungen zum Gruppenporträt werden hier somit lediglich instrumentalisiert, ohne seine strenge Formanalyse gänzlich zu übernehmen. Altichieros Konzilsszene lässt sich anhand von mehreren von Riegl aufgestellten Stilmerkmalen eines Gruppenporträts untersuchen. Die strenge Symmetrie des Figurenaufbaus und das Subordinationsverhältnis zwischen dem thronenden König und den ihn umgebenen Personen lässt sich leicht im Fresko nachvollziehen. Einen symmetrischen Bildaufbau findet man in den meisten holländischen Gruppenporträts, etwa in Dirck Barendsz Bankett der Amsterdamer Armbrustschützengilde von 1566 |Abb. 4|. Das durch die Symmetrie geschaffene Zentrum zeigt oftmals die wichtigste Figur einer Gruppenporträtszene, etwa den Hauptmann der Schützengesellschaft, oder, wie bei Altichiero, den König, wodurch eine Subordination zwischen der zentralen Figur und den seitlich Beistehenden geschaffen wird.23 Obwohl sich Riegl eher negativ über Subordination äußert und sie als typisch italienisch deklariert, kann er selbst nicht umhin, sie für das 17. Jahrhundert und besonders für Rembrandt als bedeutenden Aspekt des holländischen Gruppenporträts anzusehen.24 Eine tragende Bedeutung innerhalb der Definition und Analyse des Gruppenporträts bekommt jedoch erst das Konzept der Aufmerksamkeit. Wie schon erwähnt, wird mit dem

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Begriff eine Art von Konzentration auf etwas Äußeres beschrieben: Die Figur schaut auf, aus ihrer Selbstvergessenheit hinaus, auf etwas anderes. Hierbei entstehen zwei formale Bildeinheiten. Interagiert die Figur im Bilde mit einer weiteren Figur durch Gestikulation oder Blickwechsel, so entsteht eine »innere Einheit«, die das Geschehen im Bild bindet, die Narration hervorhebt und letztlich vom Betrachter distanziert.25 Im holländischen Gruppenporträt bleibt es Riegl zufolge nie bei einer rein »inneren Einheit«, da die an der Narration teilnehmenden Figuren weder direkt miteinander kommunizieren, noch ein wahrer Blickwechsel untereinander stattfindet.26 Zwar wird der zentralen Figur in Barendsz’ Gruppenporträt von einer ihr zur Rechten sitzenden Person die Hand auf den Arm gelegt und somit ihre Aufmerksamkeit geweckt, doch interagieren die zwei Charaktere nicht wirklich miteinander, ihre Blicke treffen sich nicht, ihre Münder bleiben geschlossen. Die meisten der am Festmahl Teilnehmenden wenden sich zum Betrachter, nehmen mit ihm Blickkontakt auf und kommunizieren 3  Unbekannter Miniaturist: Eiusdem familie doctores et licenciati, aus Giovanni Francesco daher mit einer sich außerhalb des Bildes befindenCapodilista: De viris illustribus familiae den Realität, eine »äußere Einheit« hervorrufend.27 Transelgardorum Forzate et Capitis Listae, BP.954, 1434 – 1 440, fol. 33r, Padua, Biblioteca Einer Figur kommt eben diese Funktion in AltiCivica chieros Konzil zu. In der rechten unteren Hälfte der Szene blickt ein Konzil-Teilnehmer direkt aus dem Bild heraus und richtet sich an den Betrachter. Obwohl sich die Zuschreibung als Caterina de’ Francesi, die sich im Devotionsfresko auf der gegenüberliegenden Wand in der Kapelle befindet, nicht einstimmig bestätigen lässt und hier auch nicht thematisiert werden kann, ist diese Figur formal von großer Bedeutung.28 Sie befindet sich genau auf der Mittelachse der gesamten Ostwand und somit im visuellen Zentrum der Legende des Heiligen Jakobus. Es ist vorerst festzuhalten, dass in Altichieros Gruppenporträt zwei formale Ebenen zu Tage treten: eine innere, durch Gestikulation geschaffene Einbindung in die Narration und eine äußere, die den Kontakt zu einer äußeren Realität aufnimmt. Dieser formalen Oszillation zwischen bildimmanenter Narration und Außenbezug soll im Folgenden weiter nachgegangen und eine auf diesem formalen Dualismus beruhende, neue Bedeutungsebene erarbeitet werden.

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4  Dirck Barendsz: Bankett der Amsterdamer Armbrustschützengilde, 1566, Öl auf Holz, 120 × 295 cm, Amsterdam, Rijksmuseum

 as Bild im Plural: Der »valentior pars« und D die politische Ebene der Fresken Margaret Plant hat sich 1981 ausgiebig mit dem Freskenzyklus der Ostwand in der Kapelle des Heiligen Jakobus auseinandergesetzt und die politische Signifikanz der Fresken für ihren unmittelbaren Entstehungskontext in den siebziger Jahren des 14. Jahrhunderts hervorgehoben. Plant fokussiert ihre Argumentation auf die zentrale Person des Konzils, König Karl, und identifiziert ihn mittels des Emblems der fleur de lys sowie durch vergleichende Abbildungen als den ungarischen König Ludwig von Anjou, den Verbündeten der Carrara im Krieg der Grenzen, welcher im Dezember 1371 zwischen Padua und Venedig ausbrach und in zahlreichen zeitgenössischen Chroniken wiedergegeben wurde.29 Plant argumentiert nicht nur, dass Altichiero eine bewusste Ähnlichkeit im Bildnis Ludwigs schaffen wollte, sondern auch, dass dieses Porträt des Königs und die ihn umgebenden Personen auf das historische Kriegsereignis verweist.30 Durch den Bezug zu Karl dem Großen, zur Schlacht vom Pamplona gegen die Heiden und zum Krieg der Grenzen, in dem Padua gegen türkische Söldner der Venezianer antrat, wie in der Cronaca Carrarese lebhaft berichtet, interpretiert Plant den Freskenzyklus der Ostwand als »Crusader’s parable«.31 Plants Beitrag zu Altichieros Fresken ist wegweisend, doch fragmentiert sie die Konzilsszene in ihre Einzelteile, in die einzelnen, präsenten Charaktere, in eine Suche nach Porträtähnlichkeit. Eine Erklärung der Form des Konzils als eine abgeschlossene Einheit im Freskenzyklus bleibt ebenso offen wie die Ausarbeitung der nur angedeuteten Hypothese einer Verbindung des Freskos mit staatstheoretischen Schriften der Zeit.32

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Der Bezug der Karlslegende auf den Krieg der Grenzen wurde immer wieder in der Literatur hervorgehoben und konstituiert sicherlich eine bedeutende Aussage des Werks, das demnach nicht nur eine Memoria-Funktion des Sieges über die Venezianer innehat, sondern den Auftraggeber des Zyklus, Bonifacio Lupi, als einen Hauptakteur des Krieges sowie seine Beziehungen zu den Carrara und dem ungarischen König bezeugt. Warum braucht es hierfür jedoch ein so prominentes Konzil, eine Bildformel, die seinerzeit kein künstlerisches Standardrepertoire darstellt? Allein die referentielle Verbindung zwischen der Jakobuslegende und dem Krieg der Grenzen weist auf eine sehr komplexe Ikonografie der Fresken, welche letztlich dadurch erklärt werden kann, dass der Humanist und Notar Lombardo della Seta als Verantwortlicher über das Baugeschehen eine beratende Funktion im Ideationsprozess gespielt haben könnte.33 Betrachtet man demnach noch einmal die Wahl der Textquellen für die Narration, so unterstreicht dies nicht nur die Komplexität des Projekts, es führt auch direkt zu der Frage nach dem Konzil. Die Historia Caroli Magni, auch Pseudo-Turpin genannt, bildet die hauptsächliche Textquelle für die Karls-Legende in der Jakobuskapelle. Jedoch wird in dieser keine Ratsversammlung erwähnt, die eine derartig prononcierte Darstellung rechtfertigen würde. Deshalb wird angenommen, dass eine zweite Textquelle hinzugezogen wurde und zwar die Entrée d’Espagne, die sich heute in der Biblioteca Marciana befindet.34 Der Text basiert inhaltlich stark auf dem Pseudo-Turpin, darüber hinaus aber weist er eine fast exzessive Präsenz von Ratsversammlungen und Diskussionen auf, in denen sich Karl für jede Tat mit seinen Beratern absichert. Das Konzil zum Beschluss, in Galizien einzumarschieren, nimmt beispielsweise nicht weniger als 260 Zeilen ein.35 Für die Frage nach Altichieros Bildfindung ist von Belang, dass die Entrée d’Espagne um 1320 nur wenige Dekaden vor der Ausmalung der Jakobuskapelle und ebenfalls in Padua entstand.36 Könnte die Signifikanz des Konzils auf eine lokale Tradition verweisen? Betrachtet man den Entstehungskontext des Quellentextes, so wird dies mehr als wahrscheinlich. Um 1324 verfasste der Paduaner Marsilio Mainardini, auch als Marsilius von Padua bekannt, die politische Schrift Defensor Pacis, die von Ronald G. Witt als »doubtless the greatest work of political philosophy of the century« bezeichnet wurde.37 Marsilius konzipierte seinen Traktat wahrscheinlich in Paris, doch bezog er sich in seinen politischen Theorien auf das kommunale Staatssystem Paduas, das er aus seiner Jugend und frühen Studienzeit kannte.38 Obwohl Marsilius vor allem gegen die weltlichen Machtansprüche des Papstes argumentiert, ist sein »Verteidiger des Friedens« auch ein Pamphlet für die aristotelische Staatsform der Republik (politie) und für eine dezidierte Gesetzgebung und Partizipation von Seiten der Bürger (valentior pars), für deren Interesse jede Staatsform unter allen Umständen einstehen müsse.39 Die Staatstheorien des Marsilius stehen, wenn auch entfernt, da radikaler, im Zusammenhang mit einem weitaus größeren religionspolitischen Diskurs des Spätmittelalters: dem Konziliarismus.40 Die Idee des Konzils als Gewaltenteilung im Sinne eines Mitspracherechts des, wie Marsilius es bezeichnet, pars valentior oder, wie es in der Konzilsliteratur benannt wurde, pars potior oder pars idoneior, das heißt regierungsfähiger Bürger oder

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5  Altichiero (Werkstatt): Der Erlass des Gesetzes, um 1370, Fresko, Padua, Palazzo della Ragione

Kleriker, spielte eine sehr wichtige Rolle zur Zeit des Schisma.41 Das Konzil als Gegenmittel einer tyrannis und Vorsichtsmaßnahme oder Lösungsidee eines untragbaren politischen und religiösen Zustandes wurde im gesamten 14. Jahrhundert ausgiebig diskutiert. Die in Padua verfasste Entrée d’Espagne könnte somit, durch die extreme Hervorhebung von Konzilen in der Vita Karls des Großen, auf diesen Diskurs rekurrieren. Altichieros Fresken nehmen Bezug auf die Konzil-Problematik, die für Padua nicht von geringer Bedeutung war. Nach der Schreckensherrschaft von Ezzelino Romano im 13. Jahrhundert, die später von Albertino Mussato in seinem Ecerinis als Drama ausgearbeitet wurde, entwickelte sich Padua zu einer der wichtigsten und stärksten Kommunen Norditaliens.42 Erst die Familie der Carrara, die das kommunale Padua vor dominanten Nachbarn wie den Scaligern aus Verona und den Visconti aus Mailand beschützte, schaffte es, sich ab 1318 mit Unterstützung Venedigs langsam als autokratischer Herrscherclan durchzusetzen, und wurde schließlich ab 1337 unter Konsens der Serenissima als signori angesehen.43 Obwohl sich die Carrara zu Beginn noch stark an die kommunale Verfassung der Stadt vor 1318 hielten, veränderte schließlich Francesco il Vecchio ab 1362 die Statuten der Stadt im größeren Maße, ohne jedoch die äußere Fassade der früheren Gewaltenteilung aufzugeben. Konzile wurden somit weiterhin für jede größere Entscheidung abgehalten, nur nicht mehr mit dem marsilianischen pars valentior der Stadt, sondern mit von den Carrara eingesetzten familia-

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ris.44 Ein weiteres Zeugnis für die Bedeutung des Konzils in Padua legt das Fresko einer juristischen Versammlung an der Westwand des Palazzo della Ragione ab, das ebenfalls um 1370 im Umfeld Altichieros entstand |Abb. 5|.45 Wie in diesem säkularen und juristischen Kontext sind auch in Altichieros Fresko die Personen in bürgerlicher Kleidung dargestellt und nicht als Ritter eines »Kreuzzugs«.46 Das Konzil, als fester Bestandteil von Paduas politischem System und visualisiert im Palazzo della Ragione und in Altichieros Fresken, nahm somit unter Francesco il Vecchio eine neue Form an, bezog sich oberflächlich jedoch noch auf die kommunale Regierung der Stadt und auf Marsilius Konzept der Gewaltenteilung.

Das Konzil, Porträts und das »exemplum virtutis« Altichieros Konzil vermag schon durch eine Quellenanalyse eine politische Dimension zugeschrieben werden, die durch die Betrachtung der Funktion von Porträts in Padua weiter hervorgehoben werden kann. Zuletzt analysierte Peter Seiler die Aussagen des Petro d’Abano in seiner Expositio in problematibus Aristotelis über Abbildungen von Gesichtern in Bezug auf den Individuumsdiskurs der frühen Porträtmalerei.47 Auch wenn er eine Verbindung der Expositio zu letzterem in Frage stellt, sind einige Bemerkungen des Paduaner Gelehrten für die vorliegende Analyse von Interesse: »Warum machen [Menschen] Bilder vom Gesicht? Entweder weil es zeigt, was für Menschen bestimmte Leute sind, oder weil sie durch diese am besten erkannt werden können. […] Warum machen Menschen Bilder, die am meisten das Gesicht von Menschen darstellen; sie malen und skulptieren nämlich überwiegend diese, wie die Münzen zeigen, auf denen man die Gesichter der römischen Kaiser wie Cäsar, Nero oder solche dargestellt findet.«48 Das Bildnis eines Menschen, so Abano, soll den Menschen zu erkennen geben und etwas über ihn, beziehungsweise seinen Charakter, aussagen, während die formalen Inspirationsquellen für Bilder von Gesichtern, Abano zufolge, antike Münzenbildnisse waren. Die Verbindung von Charaktereigenschaften und antiken Münzen ist nicht ohne weiteres herzustellen, findet allerdings einen Ansatzpunkt bei Francesco Petrarca. Bekanntlich reichte der Humanist Kaiser Karl IV. bei einem Treffen in Mantua zwei antike Münzen mit dem Kopf des Augustus als Geschenk und riet ihm: »Strebe danach, ihnen zu gleichen und sie zu bewundern, gestalte dich nach ihrer Form und ihrem Bilde«.49 Petrarca behaftet die Münzenbild­ nisse demnach mit einem klaren Appell: Sie sollten in der Absenz des Humanisten dem Kaiser als Ermahnung zur guten Staatsführung und als rhetorisches Beispiel dienen, als exemplum virtutis. Kathleen Christian und Annegrit Schmitt haben überzeugend dargelegt, dass das rhetorische Stilmittel des exemplum virtutis, das von Petrarca wiederbelebt und propagiert wurde,

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6  Unbekannter Medailleur: Medaille von Francesco Novello da Carrara, um 1390, Padua, Museo Civico

die Wertschätzung von antiken Münzenbildnissen und Porträtskulpturen im 14. Jahrhundert förderte und eines der Ursprünge der großen Freskenzyklen von uomini famosi, antiker Helden und Imperatoren, gewesen ist.50 Ein hervorzuhebendes Beispiel von formaler Nachahmung des Münzbildes und inhaltlicher Anbindung an das exemplum virtutis ist die von Altichiero nur kurz vor der Ausmalung der Jakobuskapelle geschaffene Sala Virorum Illustrium, heute bekannt als Sala dei Giganti, im Palast der Carrara.51 Durch diesen, von Petrarcas monumentalem Werk De Viris Illustribus inspirierten Zyklus von Bildnissen berühmter römischer Imperatoren stellten sich die Carrara in eine politische Tradition von guter Staatsführung und zeigten gleichzeitig ihre Affinität für den gefeierten Humanisten, der seine letzten Lebensjahre an ihrem Hof verbrachte. Eine wirkliche Verbindung von zeitgenössischem Porträt und Münzenbildnis, wie es bei Abano und bei Petrarcas Appell an Karl IV. anklingt, entstand in Padua in den neunziger Jahren des 14. Jahrhunderts und bezeichnet für einige Wissenschaftler, wie Francis AmesLewis, den Beginn wichtiger »early stirrings of ›Renaissance‹ artistic life«: die Porträtmedal­ lien Francesco il Vecchios und Francesco Novellos da Carrara |Abb. 6|.52 Die Identifikation der Herrscher mit römischen Imperatoren, die Assimilation der Idee des exemplum virtutis mit der eigenen Person, zeigt den politischen und vor allem rhetorischen Gehalt der Porträtmalerei in Padua am Ende des Jahrhunderts. Dieser kann ebenfalls in der dynastischen Reihe von Porträts der Carrara erkannt werden, die einst an der Außenseite ihres Palasts zu sehen war und heute durch die Buchmalereien in Pier Paolo Vergerios De Principibus Carrarensibus rekonstruiert werden kann |Abb. 7|.53

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7  Altichiero (Werkstatt): Marsilio da Carrara, aus Pier Paolo Vergerio: Liber del principibus Carrariensium et gestis eorum, BP.158, Ende 14. Jh. (mit Einfügungen vom letzten Viertel des 15. Jh.), fol. 16v, Padua, Biblioteca Civica

Oszillation zwischen Narration und Rhetorik Die »äußere Einheit« des Konzils, welche von der aus dem Bild herausschauenden Cate­ rina aufgebaut wird, suggeriert einen Einbezug des Betrachters, des Bürgers der Stadt Padua.54 Das Konzil richtet einen Appell an den Betrachter und deutet auf die exemplarische Staatsform der Stadt, geführt von exempla virtutis, hervorragenden Politikern, nicht der antiken, sondern der »modernen« Zeit. So adressierte auch Petrarca Francesco il Vecchio 1373 in einem Brief an den Herrscher vom 28. November: »fosti modello ed esempio ai signori delle altre città«.55 Die Fresken zeigen demnach eine Ratsversammlung der Carrara, in der die dargestellten Figuren auf ihren Machteinfluss in der Stadt und auf ihre exemplarischen Handlungen verweisen, die durch den demonstrierten Sieg über die Venezianer Legitimität erhalten. Hierdurch erlangen sie offiziell das, was ihnen zu Beginn illegitim zugekommen war: politische auctoritas, Autorität.56

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Nehmen wir die formalen Einheiten von Riegls Theorie des Gruppenporträts an, so lässt sich die »innere Einheit« mit der religiösen Narration und dem Krieg der Grenzen gleichsetzen, die »äußere Einheit« mit der rhetorischen Geste zum Betrachter. Dieser Dualismus zwischen einer eher religiösen Ebene und einer säkularen, auf den Staat gerichteten Bedeutung in Kunstwerken der öffentlichen Sphäre Paduas wurde schon von Diana Norman erwähnt. Sie sieht im vermehrten Auftreten von bildimmanenten Porträts einen Kult des Individuums: »It seems, therefore, that within the extended ambience of the Carrara regime there was a sustained interest in the cult of the individual  –  an interest notably expressed by the frequent insertion of contemporary portraits within religious art.«57 Gerade das Konzil, gesehen als Gruppenporträt, zeigt jedoch, dass man hier keinesfalls von einem Individualismus im Sinne eines Jacob Burckhardt sprechen dürfte.58 Nicht nur formal gesehen, also mittels der Architektur, der rhetorischen Gesten, welche die Personen miteinander verbinden, sowie der Symmetrie der Darstellung, bildet diese Versammlung von Einzelpersonen eine geschlos­ sene Einheit, die in ihre Einzelteile getrennt an Bedeutung deutlich verlieren würde. Riegl beschrieb das holländische Gruppenporträt auch als »Korporationsporträt«, in der ein Individualismus zugunsten des gemeinnützigen Zwecks der Zusammenkunft zurückgenommen werden solle.59 Wie Brian Tierney zeigen konnte, orientiert sich Marsilius von Padua in seinem Defensor Pacis deutlich am Konzept und den juristischen Grundlagen der spätmittelalterlichen Korporation.60 Für ihn ist das Oberhaupt des Staates (pars principans) letztlich nichts anderes als der exekutive Teil (pars judicalis) einer Gemeinschaft (universitas civium), der folglich den Gesetzen der Gemeinschaft untersteht.61 Somit ist ein zu prononcierter Individualismus, auch im Herrschenden, eher negativ konnotiert.62 Altichieros Konzil nähert sich dem Gruppenporträt im Sinne von Riegls »Korporationsporträt« an, denn es beschreibt und zelebriert schließlich eine ganz spezifische Staatsform, die, wenn auch nur oberflächlich, eine Partizipation der (regierungsfähigen) Bürger erlaubt. In Altichieros Fresko kann demzufolge nachvollzogen werden, was Hans Belting bezüglich der Funktion von narrativen Zyklen im trecento treffend formuliert hat: »Narrative adopted an instrumental scope. It no longer told a story but served other ends: it became a way of arguing, of phrasing topics of general interest, a reading device.«63 Der Verismus im Konzil Altichieros agiert nicht als Strategie der Hervorhebung von Individuen, sondern eher als rhetorisches Mittel, um die Aussage über den Paduanischen Staat und den Sieg über Venedig zu intensivieren. Martin Büchsel hat die rhetorische Bedeutung von realistischen Darstellungen im Spätmittelalter schon länger hervorgehoben und diese als »Mittel der projektiven Imagination« bezeichnet, als ein künstlerisches Mittel, das sich an den Betrachter richtet.64 Ob die zeitgenössischen Betrachter wirklich alle heute identifizierten Charaktere des Konzils wiedererkannten, ist für das Bild letztlich nur bedingt von Belang. Doch die physische Präsenz der fast lebensgroßen Figuren, ihre bewegten Gesten, der Blickwechsel mit dem Betrachter, sind klare Strategien um das Konzil als reales Ereignis und Tatsache vor dem Betrachter erscheinen zu lassen. Der durch die »äußere Einheit« geschaffene Appell an den Betrachter lädt zur Teilhabe am Staatswesen unter Gottes Obacht ein. Es macht

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somit wenig Sinn, das Konzil in der Kapelle des Heiligen Jakobus im Santo zu fragmentieren und die einzelnen Charaktere zwanghaft zu identifizieren, vielmehr sollte es als eine Einheit, ein Gruppenporträt, oder vielmehr als das Bildnis eines politischen Systems betrachtet werden, dessen Erfolg letztlich im anschließenden Bildfeld zelebriert wird, das den Sieg Paduas über die Venezianer zeigt.

Möglichkeiten des Gruppenporträts Obwohl Riegl das Gruppenporträt als ausschließlich holländisch definiert, geht er in seinen Ausführungen auf eine italienische Ausnahme ein, die er ebenfalls als Bildnisse von Korporationen ansieht: die Repräsentationen von Gruppen in den venezianischen Scuole.65 Wie man beispielsweise in Vittore Carpaccios Abfahrt der Heiligen Ursula und ihres Verlobten von etwa 1495 für die Scuola di Sant’Orsola erkennen kann, befindet sich in der linken unteren Bildfläche eine zusammengeschlossene Gruppe von Personen, die nicht nur durch ihre Kleidung an zeitgenössische Venezianer erinnert, sondern der Narration leicht vorgesetzt und somit von der Legende formal abgetrennt ist |Abb. 8|. Die Personen, Mitglieder der Scuola, nehmen zwar, durch Gestikulation deutlich gemacht, an dem Geschehen teil, wenden sich jedoch partiell zum Betrachter. Auch wenn Riegl diese »Korporationsporträts« durch seine sehr restriktive Analyse nicht als wahre Gruppenporträts ansah, da sie in eine religiöse Historie eingeschrieben sind, können hier, wie für Altichieros Fresko, einzelne Aspekte von Riegls Theorie in die Interpretation aufgenommen werden. Die Ähnlichkeit mit Altichieros Konzilsszene, besonders bezüglich der Idee der »inneren« und »äußeren Einheit«, ist augenscheinlich. Beide Ebenen definieren eine Oszillation zwischen der Bedeutungsebene der religiösen Narration und der gleichsam sozialpolitisch motivierten Gemeinschaft der Scuole. Der Blick nach außen, an den Betrachter appellierend, fordert ihn nicht nur auf, der religiösen Narration zu folgen, sondern ebenfalls an der Gemeinschaft der Gruppe zu partizipieren. Die sozialpolitische Dimension der Scuole innerhalb Venedigs Gesellschaft sollte hierbei nicht unterschätzt werden.66 Die konstitutionelle Verbindung von Venedig und Padua im 14. Jahrhundert wurde von Benjamin Kohl hervorgehoben und vereinheitlichte sich nach der Eroberung Paduas durch Venedig 1405; das Konzil und die Korporation blieben zwei bedeutende Instanzen im Veneto des 15. und 16. Jahrhunderts.67 Altichieros Konzil in der Kapelle des Heiligen Jakobus könnte somit, formal und letztlich auch inhaltlich, als Vorbild für weitere großformatige und öffentliche Gruppenporträts im Veneto gedient haben. Da die Übernahme von Bildmotiven und -strukturen aus Altichieros Œuvre im Werk Carpaccios auch andernorts nachgewiesen werden kann, wie ein Vergleich der hier besprochenen Ostwand der Jakobuskapelle mit Carpaccios Fresko Die Übergabe des Heiratsantrages ebenfalls für die Scuola di Sant’ Orsola verdeutlichen würde, ist die Verbindung zu dem venezianischen Künstler nicht auszuschließen.

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8  Vittore Carpaccio: Abfahrt der Heiligen Ursula und ihres Verlobten, um 1495, Öl auf Leinwand, 260 × 611 cm, Venedig, Gallerie dell’Accademia

Die formale Betrachtung des Konzils in Altichieros Fresken der Jakobuskapelle als Gruppenporträt soll die individualistische Differenzierung der einzelnen Personen im Werk, deren Kleidung, Physiognomie und Haltung sichtlich divergiert, keinesfalls leugnen. Für die Bedeutung des Freskos ist es jedoch notwendig, die formale Darstellungsweise des Künstlers zu berücksichtigen. Die von Riegl vor mehr als einem Jahrhundert aufgestellten formalen Kategorien für das Gruppenporträt wurden hier instrumentalisiert, um überhaupt das erste Mal jenes wegweisende Konzilbild auf seine Struktur hin zu untersuchen. Hierbei wurde hervorgehoben wie der formale Appell an den Betrachter, in der Rieglschen Terminologie die »äu-

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ßere Einheit«, eine weitere Bedeutungsebene der Fresken eröffnet, die durch Quellenanalyse und kulturgeschichtliche Betrachtungen unterstützt werden kann. Wenn Hülsen-Esch, die allgemeine Ansicht negierend, feststellt, dass es auch vor der Renaissance politisch motivierte Gruppenporträts gegeben habe, die sie vor allem in Miniaturen belegen kann, so konstituiert Altichieros Konzil hierfür ein großformatiges und, selbst für ein breites Publikum, leicht zugängliches Beispiel.68 Altichieros Fresko zeigt, wie der Künstler durch veristische Darstellungen von Paduas Herrschern und Gelehrten eine Oszillation von Narration und rhetorischem Appell an den Betrachter schuf, die auch für spätere Gruppenbildnisse, besonders im Veneto, ausschlaggebend wurde. Der Sog des Blicks aus dem Bild avancierte hier zum ersten Mal zu einem Stilmittel, das nicht für eine Heiligenfigur zum Zweck einer spirituellen »Realitätserfahrung« instrumentalisiert wurde, sondern von einem Bürger Paduas an die Bürger Paduas gerichtet war.69 Altichieros Fresko zeigt demnach beispielhaft, wie die Oszillation von religiöser Narration und politischer Rhetorik formal ausgearbeitet werden kann und weist auf eine neue Funktionsebene von Gruppendarstellungen und Porträtmalerei hin, die besonders im Veneto ihre weitere Ausprägung finden sollte.

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Ich danke dem Forschungskredit der Universität Zürich (Candoc) und dem Fonds zur Förderung des Akademischen Nachwuchses (FAN) für die Unterstützung meines Dissertationsprojektes, in dessen Rahmen die Idee für diesen Artikel entstand. Gedankt sei auch Uwe Fleckner für die Einladung zum Warburg-Kolleg und meinen dortigen Kolleginnen und Kollegen für ihre kritischen Beobachtungen und hilfreichen Kommentare. 1  Francesco Petrarca: Al Magnifico Francesco di Carrara Signore di Padova [1373], in: Lettere Senili di Francesco Petrarca (hrsg. v. Giuseppe Fracassetti), Bd. 2, Florenz 1892, S. 333 – 381, S. 366. 2  Giorgio Vasari: Vita di Vittore Scarpaccia, in: id.: Le vite de’ più eccellenti pittori, scultori e architettori. Nelle redazioni del 1550 e 1568 (hrsg. v. Rosanna Bettarini u. Paola Barocchi), Bd. 3, Florenz 1971, S. 616 – 627, S. 620 (Übersetzung der Autorin). 3  Jacob Burckhardt: Der Cicerone. Eine Anleitung zum Genuss der Kunstwerke Italiens [1855], München 2001, S. 785. 4  Julius von Schlosser: Oberitalienische Trecentisten, Leipzig 1921, S. 9. 5  Vgl. Margaret Plant: Portraits and Politics in Late Trecento Padua. Altichiero’s Frescoes in the S. Felice Chapel, S. Antonio, in: Art Bulletin 3/1981, S. 406 – 425. 6  Vgl. ibid., S. 408. 7  Alois Riegl: Das Holländische Gruppenporträt, Wien 1931, S. 16 f. u. S. 40. 8  Vgl. Plant 1981, S. 406; Antonio Sartori: Archivio Sartori. Documenti di Storia e Arte Francescana (hrsg. v. Giovanni Luisetto), Bd. 1, Padua 1983, S. 456 ff. Für eine detaillierte Beschreibung der gesamten Kapelle vgl. John Richards: Altichiero. An artist and his patrons in the Italian Trecento, Cambridge 2000, S. 138, S. 145 f. 9  Vgl. ibid., S. 147 f. 10  Über die Ikonografie der Fresken wurde in der Literatur seit Paul Schubrings erster Monografie über Altichiero vielfach diskutiert. Er identifizierte in der dargestellten istoria die Legende von König Ramiro, der die Sarazenen im Kampf von Clavijo besiegte, und die in spanischen Manuskripten des 12. und 13. Jahrhunderts wiedergegeben ist (Codex Callistinus, Historia Compostellana, Historia de Rebus Hispaniae). Auch Ramiro erschien der Heilige Jakobus im Traum. Der Unterschied zwischen der Legende von Karl dem Großen und Ramiro liegt in der Aktion des Heiligen in den jeweiligen Schlachten. Bei der Schlacht von Clavijo erscheint er auf einem weißen Ross und tötet die Sarazenen direkt auf dem Schlachtfeld. Beim Kampf um Pamplona zerstört der Heilige die Stadtmauern Pamplonas, um den Weg für das christliche Heer Karls zu öffnen. Letztere Szene ist in den Fresken dargestellt. Nach einer Prüfung der Quellen und der Fresken wurde hier die Ikonografie von Karl dem Großen angenommen; vgl. Paul Schubring: Altichiero und seine Schule. Ein Beitrag zur Geschichte der oberitalienischen Malerei im Trecento, Leipzig 1898; Jeanne Cuenod: Les Apparitions de Saint Jacques et deux fresques d’Altichiero, in: Gazettes des Beaux-Arts 52/1910, S. 293 – 315; Plant 1981, S. 419 ff.; Richards 2000, S. 153; Alessandra Sibilia: L’Iconografia degli Affreschi della Cappella di San Giacomo al Santo. Analisi e Ipotesi Alternative, in: Il Santo 42/2002 (erschienen 2003), S. 349 – 359; Giovanna Valenzano: Fonti Iconografiche del Ciclo Giacobeo, ibid., S. 335 – 3 47. 11  Vgl. Anonym: History of Charles the Great and Orlando [12. Jahrhundert] (hrsg. v. Thomas Rodd), London 1812, S. 4 – 5. 12  Anonym: Entrèe d’Espagne [um 1320] (hrsg. v. Antione Thomas), Bd. 1, Paris 1913, Vers 57 ff.

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13  Anonym 1812, S. 5 f. 14  Hierüber herrschen diverse Meinungen; vgl. Giovanni Mardersteig: I Ritratti del Petrarca e dei suoi Amici di Padova, in: Italia Mediovale e Umanistica 17/1974, S. 251 – 280; Plant 1981, S. 408; Richards 2000, S. 148 f. u. S. 156 ff. 15  Vgl. ibid., S. 156 f.; Sibilia 2002 (2003), S. 356; Valenzano 2002 (2003), S. 335 ff. 16  Zu der Rolle von Juristen in Padua vgl. John Kenneth Hyde: Padua in the Age of Dante, New York 1966, S. 122. 17  Vgl. Richards 2000, S. 142 ff. 18  Vgl. Andrea von Hülsen-Esch: Gelehrte in Gruppen oder: Das Gruppenporträt vor der Erfindung des Gruppenporträts, in: Martin Büchsel u. Peter Schmidt (Hrsg.): Das Porträt vor der Erfindung des Porträts, Mainz am Rhein 2003, S. 173 – 189. 19  Riegl 1931, S. 40. 20  Vgl. ibid., S. 40 ff. 21  Hülsen-Esch 2003, S. 180 f.; id.: Gelehrte im Bild. Repräsentation, Darstellung und Wahrnehmung einer sozialen Gruppe im Mittelalter, Göttingen 2006, S. 367 f. 22  Hülsen-Esch 2003, S. 188; Hülsen-Esch 2006, S. 359, S. 375. 23  Riegl 1931, S. 43 f. 24  Vgl. ibid., S. 17 f., S. 43 f. u. S. 79. 25  Vgl. ibid., S. 2, S. 43 f. u. S. 112 ff. 26  Vgl. ibid., S. 95 f. u. S. 100 f. 27  Vgl. ibid., S. 107 u. S. 180: »Nichtsdestoweniger war das letzte Ziel von Rembrandts Streben die extreme Durchführung jener äußeren Einheit mit dem beschauenden Subjekt, in der wir die unentbehrliche Voraussetzung und eigentliche Raison d’etre aller Gruppenporträtmalerei erkannt haben.« 28  Vgl. Plant 1981, S. 408, Anm. 14. 29  Vgl. ibid., S. 412. Zu den Chroniken vgl. Nicoletto D’Alessio: La Storia della Guerra per i Confini [c. 1372 – 1373] (hrsg. v. Roberto Cessi), Bologna 1965 (Rerum Italicarum Scriptores, Bd. 17, I,3); Galeazzo Gatari u. Bartolomeo Gatari: Cronaca Carrarese [1318 – 1 407] (hrsg. v. Antonio Medin u. Guido Tolomei), Città di Castello 1931 (Rerum Italicarum Scriptores, Bd. 17, I), S. 43 – 1 28. 30  Vgl. Plant 1981, S. 412 ff. 31  Ibid., S. 419; vgl. Gatari u. Gatari 1931, S. 113 u. S. 117. 32  Vgl. Plant 1981, S. 421 f. 33  Vgl. Sartori 1983, S. 456 ff. 34  Vgl. Plant 1981, S. 418; Sibilia 2002 (2003), S. 349 ff.

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35  Vgl. Anonym 1913, Bd. 1, Vers 57 – 318. 36  Der Autor deutet seine Herkunft im Text der Entrèe d’Espagne an, enthält dem Leser jedoch seinen Namen vor; vgl. Anonym 1913, Bd. 2, Vers 10974 ff.: »Mon nom vos non dirai, mai sui Patavian, / De la citez qe fist Antenor le Troian, / En la joiose Marche del cortois Trivixan, / Pres la mer a .x. lieues, o il est plus proçan.« 37  Ronald G. Witt: »In the Footsteps of the Ancients«. The Origins of Humanism from Lovato to Bruni, Leiden 2000, S. 154; vgl. John Watts: The Making of Polities. Europe 1300 – 1500, Cambridge, Mass. 2009, S. 256 f. 38  Vgl. James M. Blythe: Ideal Government and the Mixed Constitution in the Middle Ages, Princeton 1992, S. 170. 39  Vgl. Marsilius von Padua: Der Verteidiger des Friedens [1324] (hrsg. v. Horst Kusch), Stuttgart 1971; Blythe 1992, S. 193 ff.; Witt 2000, S. 155; Watts 2009, S. 134. 40  Vgl. Heribert Müller: Die kirchliche Krise des Spätmittelalters, München 2012, S. 68 f.; Francis Oakley: The Conciliarist Tradition, Oxford 2003, S. 102 ff.; Brian Tierney: Foundations of the Conciliar Theory, Leiden et al. 1998; Remigius Bäumer (Hrsg.): Die Entwicklung des Konziliarismus. Werden und Nachwirken der konziliaren Idee, Darmstadt 1976; Brian Tierney: A Conciliar Theory of the Thirteenth Century, in: The Catholic Historical Review 36/1951, S. 415 – 4 40. 41  Vgl. Tierney 1998, S. 201 f. 42  Interessanterweise wird gerade der Heilige Antonius mit dem Widerstand gegen Ezzelino da Romano, gegen die tyrannis, in Verbindung gebracht. Eine politische Konnotation innerhalb des Santo, der Begräbnisstätte des Heiligen, ist somit nicht ausgeschlossen; vgl. Richards 2000, S. 137. 43  Vgl. Benjamin Kohl: Culture and Politics in Early Renaissance Padua, Aldershot 2001, S. 206 f.; id.: Padua under the Carrara, 1318 – 1 405, Baltimore u. London 1998. Zur Umwandlung der Städte von Kommunen in Signorien im 13. und 14. Jahrhundert in Italien vgl. Rudolf Lill: Zur politischen und sozialen Geschichte des Trecento, in: Paul Geyer u. Kerstin Thorwarth (Hrsg.): Petrarca und die Herausbildung des modernen Subjekts, Göttingen 2009, S. 31 – 4 4. 44  Vgl. Kohl 2001, S. 208 f.; zu Berichten von Konzilen in Padua vgl. Gatari u. Gatari 1931, S. 62 ff.; La »Ystoria de Mesier Francesco Zovene« di un »Familiare Carrarese«, in: Gesta Magnifica Domus Carrariensis (hrsg. v. Roberto Cessi), Bologna 1965 (Rerum Italicarum Scriptores, Bd. 17, I, 3), S. 175 – 226, S. 179. 45  Vgl. Hülsen-Esch 2006, S. 228; Diana Norman: »The glorious deeds of the Commune«. Civic patro­nage of art, in: id. (Hrsg.): Siena, Florence and Padua. Art, Society and Religion 1280 – 1 400, Bd. 1, New Haven u. London 1995, S. 133 – 153, S. 141 f.; Giampiero Bozzolato u. Alessandra Vedovato (Hrsg.): Il Palazzo della Ragione a Padova. Gli Affreschi, Roma 1992, S. 10 u. Abb. 43; Alberto Tenenti, Giampiero Bozzolato u. Enrico Berti (Hrsg.): Il Palazzo della Ragione a Padova. Dalle Pitture di Giotto agli Affreschi del ’400, Rom 1992, S. 51 f. 46  Vgl. Diana Norman: »Splendid models and examples from the past«. Carrara patronage of art, in: id. 1995, S. 155 – 1 75, S. 157. 47  Vgl. Peter Seiler: Giotto als Erfinder des Porträts, in: Büchsel u. Schmidt 2003, S. 153 – 1 72, S. 160 ff. 48  Zitiert nach ibid., S. 160 (Übersetzung der Autorin).

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49  Zitiert nach Annegrit Schmitt: Zur Wiederbelebung der Antike im Trecento. Petrarcas Rom-Idee in ihrer Wirkung auf die Paduaner Malerei. Die methodische Einbeziehung des römischen Münzbildnisses in die Ikonographie »Berühmter Männer«, in: Mitteilungen des Kunsthistorischen Institutes in Florenz 18 – 2/1974, S. 167 – 2 18, S. 167 (Übersetzung der Autorin); vgl. Petrarca 1892, S. 373. 50  Vgl. Schmitt 1974, S. 167 ff.; Kathleen W. Christian: Empire without End. Antiquities Collections in Renaissance Rome, c. 1350 – 1527, New Haven u. London 2010; Hildegard Kornhardt: Exemplum. Eine bedeutungsgeschichtliche Studie, Göttingen 1936, S. 8 ff. 51  Vgl. Theodor E. Mommsen: Petrarch and the Decoration of the »Sala Virorum Illustrium« in Padua, in: Art Bulletin 2/1952, S. 95 – 116. 52  Francis Ames-Lewis: The Intellectual Life of the Early Renaissance Artist, New Haven u. London 2000, S. 4 f. 53  Vgl. Marcantonio Michiel: The Anonimo [16. Jahrhundert] (hrsg. v. George C. Williamson), London 1903, S. 38. 54  Francesco il Vecchio wurde von Petrarca für seine Zugänglichkeit von Seiten aller Bevölkerungs­ schichten gelobt, vgl. Petrarca 1892, S. 337. 55  Ibid. (Hervorhebungen der Autorin). 56  Vgl. Kornhardt 1936, S. 72; Eckhard Kessler: Das Problem des frühen Humanismus. Seine philosophische Bedeutung bei Coluccio Salutati, München 1968, S. 193. 57  Norman 1995 (Splendid models), S. 169. 58  Vgl. Jacob Burckhardt: Das Porträt in der italienischen Malerei, in: id.: Beiträge zur Kunstgeschichte von Italien, Basel 1898, S. 187. 59  Riegl 1931, S. 2, S. 40. 60  Vgl. Tierney 1951, S. 417 ff. 61  Vgl. Marsilius 1971, S. 52 ff. u. S. 70; Tierney 1951, S. 426. 62  Vgl. Petrarca 1892, S. 373. 63  Hans Belting: The New Role of Narrative in Public Painting of the Trecento. Historia and Allegory, in: Herbert L. Kessler u. Marianna S. Simpson (Hrsg.): Pictorial Narrative in Antiquity and the Middle Ages, London 1970, S. 151 – 168, S. 154. 64  Martin Büchsel: Die wachsame Müdigkeit des Alters. Realismus als rhetorisches Mittel im Spätmittelalter, in: Artibus et Historiae 46/2002, S. 21 – 35, S. 32; vgl. id.: Realität und Projektion. Eine offene Methodendiskussion, in: id. u. Peter Schmidt (Hrsg.): Realität und Projektion. Wirklichkeitsnahe Darstellung in Antike und Mittelalter, Berlin 2005, S. 9 – 31, S. 11: »Eine realistische Darstellung muß nicht mit realistischen Konnotationen verbunden sein.« 65  Vgl. Riegl 1931, S. 36 f. 66  Vgl. Patricia F. Brown: Venetian Narrative Painting in the Age of Carpaccio, New Haven u. London 1988, S. 225 ff.; Peter Humfrey: Carpaccio, London 2005, S. 13; Deborah Howard: The Architectural History of Venice, New Haven u. London, 2. Auflage 2005, S. 111 f.

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67  Vgl. Kohl 2001, S. 216. 68  Vgl. Hülsen-Esch 2006, S. 356. 69  Vgl. Büchsel 2002, S. 21 ff.; id. 2005, S. 26.

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KAISERIN »À LA MODE« Franz Xaver Winterhalters »Bildnis der Elisabeth von Österreich in Balltoilette« TI T I A H E N S E L

»I have just returned from the Academy, where I think we shall have an amusing exhibition. There are Queens of all sorts and sizes, as you may suppose, good, bad, and indifferent.«1 Brief von Charles Robert Leslie an seine Schwester Anne, 30. April 1838

Repräsentationsverweigerung Die Zeilen des jungen Malers Charles Robert Leslie anlässlich der Ausstellung der Royal Academy ein Jahr nach der Krönung Victorias treffen die so manchen Kritiker amüsierende Vielfältigkeit der Porträts der englischen Königin im Kern. Victoria hatte bereits früh verinnerlicht, dass ihr öffentliches Image richtungweisend für das Renommee ihrer Herrschaft war und unterhielt daher eine lebhafte Bildproduktion.2 Anders als Queen Victoria ergriff die junge Kaiserin Elisabeth von Österreich nicht die Gelegenheit, auf solch professionelle Art ein bestimmtes Image von sich in der Öffentlichkeit zu etablieren.3 Trotz der großen Popularität der so jung durch ihre überraschende Hochzeit mit Franz Joseph an die Macht gelangten Person saß sie sehr ungern für Künstler Modell und lehnte derartige Sitzungen nach 1865 ganz ab, sodass die meisten Bilder von ihr Kopien oder Fotomontagen früherer Darstellungen sind. Der ähnlich wie bei Queen Victoria heterogene Eindruck, den Fotografien und Porträts Elisabeths vermitteln, ist nicht nur dem Unvermögen einiger Künstler zuzuschreiben, sondern vor allem jener gezielten Repräsentationsverweigerung. Fotografieren ließ sich Elisabeth nur bis zum Jahr 1868, und sie saß insgesamt lediglich vier Malern Modell.4 Der letzte, der sie während langer Sitzungen porträtieren durfte, war der ebenso erfolgreiche wie von der zeitgenössischen Kunstkritik verrissene und europaweit tätige Hofporträtist Franz Xaver Winterhalter.

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Ein für die Eigenvermarktung sowohl des Hofes als auch des Herrschers zweckmäßiges und bedeutendes Porträt sollte  –  um das obige Zitat zu bemühen  –  weder »bad« noch »indifferent« sein, sondern im besten Fall »good«. Doch welche Aspekte machten ein Herrscherbildnis Mitte des 19. Jahrhunderts zu einem guten Herrscherbildnis? Das Bildnis der Elisa­ beth von Österreich in Balltoilette von 1865 muss als ein solches verstanden worden sein, sonst wäre es kaum vom Kaiserhof als offizielles Staatsporträt genutzt worden. Grund genug zu untersuchen, inwiefern dieses Herrscherinnenporträt von vergleichsweise inoffiziellem Charakter als »good« hatte gelten können, inwiefern der Künstler am traditionellen Formenkanon eines Staatsporträts rüttelt, der Betrachter in das Bild eingebunden wird und welche Rolle dabei der seinerzeit hochmodischen und bildbestimmenden Robe zukommt.

Die Kaiserin in neuester Kreation Gerade ist die junge Frau im wogenden Tüllkleid zwischen den Säulen hervorgetreten und blickt sich um. Verträumt sucht sie ihren Weg aus einem Palast zu einem ruhigeren Ort. Sie findet diesen draußen, auf der Schwelle zum Park. Es scheint, als habe sie gerade einen lärmenden Hofball verlassen, um einen kurzen Moment ihren Gedanken nachhängen zu können |Abb. 1|. Die Porträtierte wäre damals nicht ohne weiteres als Kaiserin von Österreich zu identifizieren gewesen, hätte ihr Konterfei zur Entstehungszeit des Bildes nicht schon außergewöhnlich große Popularität genossen. Denn entgegen der Tradition verzichtet der Maler auf den zeremoniellen Pomp eines klassischen Herrscherporträts und zeigt die achtundzwanzigjährige Elisabeth in eleganter Balltoilette ohne die üblichen Regalien. Mehr als lebensgroß malt Winterhalter die Herrscherin, stehend auf einer Palastterrasse und sich für einen Moment über die Schulter in Richtung des Betrachters drehend. Sparsam eingefasst wird die Figur von zwei am rechten Bildrand angeschnittenen Säulen mit taillenhohem Postament und blühendem Oleanderbusch. Bis an den Horizont erstreckt sich die Landschaft zu ihrer Linken. Das schöne Gesicht zieren glänzende Augen unter ausdrucksstarken Brauen, zwischen einer geraden Nase und einem energischen Kinn lächelt ein schmaler roter Mund. Lebensnah wirkt der liebliche Gesichtsausdruck unter geröteten Wangen. In aufwändigem Geflecht zu einer Krone gelegt und zu luxuriös geschwungenen Zopfgebilden gewunden, fällt Elisabeths legendäres kastanienbraunes Haar über den Rückenausschnitt des Kleides. Dekoriert ist es mit Diamantsternen. Dieser der Öffentlichkeit seinerzeit bekannte und einzigartige Schmuck wird ergänzt von schwarzen Samtbändchen, die in Schlaufen enden und die üppige Frisur optisch über die Taille hinaus verlängern.5 Die Kaiserin ist wie von einem Schlaglicht ausgeleuchtet, das Licht scheint von oben aus einem Fenster der im Bereich des Betrachters liegenden Hofburg zu kommen und wirkt zugleich, als falle es vom mondbeschienenen Firmament. Ihren Körper wendet sie vom Betrachter ab, das Gesicht ihm jedoch zu, und Drehpunkt der bewegten Pose ist ihre schlanke Taille. Die proportional leichte Überhöhung des schmalen Körpers und dessen erhöhte

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1  Franz Xaver Winterhalter: Bildnis der Elisabeth von Österreich in Balltoilette, 1865, Öl auf Leinwand, 255 × 133 cm, Wien, Hofburg, Sisi-Museum

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2  Johann Jaunbersin: Audienzsaal in der Wiener Hofburg, um 1920, Öl auf Leinwand, 68 × 105 cm, Paris, Musée du Louvre

Position versetzen den Betrachter in eine deutliche Untersicht; eine Perspektive, von der das elegante Ballkleid profitiert. Elisabeths Abendrobe ist à la mode. Europas seinerzeit begehrtester Modedesigner entwarf das Modell, der in Paris ansässige Charles Frederick Worth, »Begründer der Haute Couture«.6 Locker fallende, hauchdünne Tüllbahnen veredeln die Robe aus schimmernder weißer Seide. Gehalten von einer Krinoline, läuft sie in einer Schleppe aus, die vom Bildrand angeschnitten wird. Eine transparente Lage aus Tüll umschlingt die Taille wie eine luftige Stola, mit Silberlahn gestickte Sternchen reflektieren das Licht, verstärken den filigranen Effekt des Stoffes, den Worth in den sechziger Jahren des 19. Jahrhunderts unter dem Namen tulle étoilé entwickelt hatte.7 Geraffte Puffärmel des über einem Korsett getragenen Kleides geben die zarten Schultern und Arme frei. In den Händen hält die Kaiserin einen mit pastellfarbenen Blumen ornamentierten Fächer, ein kostbares Accessoire, das seit dem 18. Jahrhundert als Instrument der Koketterie eine Blütezeit erlebte.8 Modezar Worth probierte seine phantasievollen Kreationen Kleiderpuppen an und setzte sie  –  verschiedene Ballsaalbeleuchtungen imitierend  –  aufwändigen Lichtexperimenten aus.9 Winterhalter profitierte von seinem Wissen um eine solch professionelle Lichtregie und ließ das eigens in Elisabeths Lieblingsfarbe gewählte Kleid entsprechend edel wirken. Ihre glatte Haut, die grazile Figur und das Modellkleid selbst werden durch eine raffinierte

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Ausleuchtung bühnengerecht in Szene gesetzt. Dabei bleibt die Farbpalette unaufdringlich, sodass sie von der bildmittig stehenden Herrscherin und ihrer Robe nicht unnötig ablenkt. Noch heute zieht das Ölbildnis Besucher aus aller Welt an. Kaum ein Herrscherinnenporträt ist prominenter, keines wurde im Spielfilm und vor allem in Form von Souvenirs mehr vermarktet als dieses Bildnis der als »Sisi« bekannten Kaiserin.10 Das Gemälde hängt im 2004 eröffneten Sisi-Museum innerhalb der Wiener Hofburg und zwar als ganzfiguriges Pendant neben dem gleichformatigen Porträt Franz Josephs I., des seinerzeit herrschenden Kaisers von Österreich und Gatten Elisabeths.11 Während die Bildnisse heute im ehemals hauptsächlich privat genutzten Trakt der Hofburg zugänglich sind, wurden die Auftragswerke der damaligen aristokratischen Gesellschaft im Leopoldinischen Trakt der Hofburg gezeigt. Dieses in der Literatur bisher unberücksichtigte Faktum ist bedeutsam für die Funktionsbestimmung der Porträts: Dort lagen die Ballsäle und das kaiserliche Zeremonialappartement. Zu jedem öffentlichen Anlass durchschritt Europas High Society, vom Ballhausplatz hinaufkommend, die repräsentativen Räume. Als Höhepunkt wurden die Gäste im Empfangssaal dann mit den offiziellen Staatsporträts von Franz Xaver Winterhalter konfrontiert.12 Ein in diesem Zusammenhang bislang nicht genanntes Gemälde des Interieurmalers Johann Jaunbersin dokumentiert die Position der Porträts, die wahrscheinlich derjenigen zu Lebzeiten des Kaiserpaares entspricht |Abb. 2|. 2012 wurden beide Gemälde restauriert und erstrahlen seitdem »in neuem Glanz«.13 Hatte vorher ein gelbstichiger Firnis die Frische des weißen Kleides und des Himmels überdeckt und für weichere Konturen und Farbschattierungen gesorgt, so erscheinen beide Porträts heute farblich klarer und kühler.

Individuelle Ikonografie ersetzt traditionellen Pomp Um das Neuartige dieses Gemäldes fassbar zu machen, sei zunächst betrachtet, inwiefern Winterhalter sich an ganzfigurigen, das Herrscherhaus repräsentierenden Darstellungen orientierte, denen ein offizieller Auftrag voraus gegangen war. Der Künstler fertigte seit seiner Ausbildung Herrscher- und Herrscherinnenbildnisse, und sein sich rasch einstellender Erfolg erlaubte ihm Einblick in sämtliche Ahnengalerien und Porträtsammlungen europäischer Herrscherhäuser.14 Er selbst sah sich keiner nationalen Bildtradition verpflichtet, sondern er entwickelte einen eigenen Malstil, der europaweit an den Höfen Anklang fand. Ohne auf ein bestimmtes Vorbild Bezug zu nehmen, greift Winterhalter für das Gemälde der Kaiserin Elisabeth auf eine traditionelle Kompositionsform zurück. Eher an Traditionslinien der Nachfolge van Dycks denn am pomphafteren französischen Formenkanon orientiert, platziert der Künstler die Kaiserin in bewegter Pose vor eine weite Landschaft; die als einziges Bilddetail ihren Rang demonstrierenden Palastsäulen lässt sie hinter sich. Die Komposition des Modells ist als Dreiecksfigur konzipiert, wie sie Herrscherbildern lange zu Grunde lag.15 Einseitig gerahmt durch Säulen an der rechten Bildseite steht Elisabeth in nobler Haltung im Bildzentrum. Raffinierte Licht- und Schattenführung kreiert einen rahmen-

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den Hell-Dunkel-Kontrast und hebt insbesondere ihren Oberkörper klar vom Hintergrund ab. Die Schatten auf Kleid, Boden und Säulen sowie die bewegten Wolken zeichnen ein Oval, das die Figur auch intern rahmt und zusammen mit den übrigen dominierenden Kompositionslinien Bildruhe und Halt suggeriert. Konzipiert für eine hohe Hängung sorgt die starke Untersicht für vornehme Distanz zwischen Dargestellter und Betrachter. Ihr Mienenspiel allerdings wirkt wie »der unmittelbare Reflex einer momentanen Stimmung« und zeigt keine übliche Amtsmiene.16 Auch ihre Körperhaltung weicht von traditionell unbewegter Herrscherpose ab: Elisabeth ist in einer situativen Momentaufnahme erfasst und nicht in einer Überzeitlichkeit indizierenden Situation. Würdezeichen wie Draperie und Säule waren spätestens seit der Renaissance unverzichtbarer Bestandteil eines portrait d’apparat. Die Beständigkeit und Staatsstütze symbolisierenden Säulen schmälerte Winterhalter und minderte durch ihre Bildfunktion als reales Architekturelement ihre ursprüngliche Symbolkraft. Das Symbol für den Hauch Gottes, der gebauschte Vorhang, fehlt, doch ist das Kleid von derart voluminöser Stofffülle, dass es vom diesbezüglich versierten Betrachter als Zitat desselben verstanden werden darf. Die Öffnung hin zur Parklandschaft ist angelehnt an den Ausblick klassischer Herrscherporträts; dass indessen der gesamte Bildhintergrund ausgiebig Natur zeigt, ist für ein solches ganzfiguriges Herrscherporträt eher ungewöhnlich. Zum ikonografischen Bildvokabular von Herrscher- und Herrscherinnendarstellungen gehören Regalien wie Krone oder Zepter, doch sind solche Insignien in diesem Bildnis nicht vorhanden; der schwerlastige Pomp eines portrait d’apparat ist von Winterhalter entschlackt und um verbindliche weibliche Bildzeichen ergänzt worden. Elisabeths natürliches Haar ersetzt die Krone, der Fächer das Zepter. Herrschaftliches Ornat ist modischer Haute Couture gewichen und, arrangiert zwischen Säule und Figur, prangt ein Strauch Oleander, eine exotische Pflanze, die zum Formenkanon des italienischen Genrebildes gehörte. Für das ganzfigurige offizielle Porträt einer Kaiserin werden diese Blumen hier erstmalig als Insigne sinnlicher Betörung und Extravaganz genutzt. Bis dahin beispiellos ist auch die individuell auf die Kaiserin abgestimmte, teilweise vielleicht nur zu Lebzeiten der Dargestellten in ihrer ganzen Bedeutung fassbare Ikonografie. Besondere Wünsche der Herrscherin hat Winterhalter dabei sicher nicht außer Acht gelassen, beide haben, wie Winterhalter in einem Brief an die französische Kaiserin Eugénie erwähnt, während der Sitzungen lange und »interes­ sante Gespräche« geführt.17 Dass Elisabeth für ein Staatsporträt unkonventionell legère gekleidet ist, lässt sich mit dem Ort der Bildaufhängung vereinbaren: Davon ausgehend, dass das Porträt vor vornherein für eines der Zimmer im Leopoldinischen Trakt der Hofburg konzipiert war, tritt sie bildlich in dem Kleid auf, in dem sie sich auch unter ihre Gäste mischte. Bildadressat war demnach in erster Instanz ein erlesenes Publikum innerhalb des höfischen Zirkels und nicht eine größere Öffentlichkeit. Zwischen Kaiserpaar und Gästen bestand ein spezielles Untertanenverhältnis; durch gleiche Umgangsformen gesellschaftlich miteinander verbunden, inszenierte sich die kaiserliche Hoheit mit entsprechenden Bildnissen.18 Das Porträtpaar wurde trotz bezie-

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hungsweise gerade wegen der unorthodoxen Darstellungsweise der Kaiserin äußerst populär. Der Ruhm der Gemälde drang bis Mexiko vor: Die Originale wurden von Winterhalter und seiner Werkstatt einmalig in Öl kopiert und dem mexikanischen Kaiserpaar geschenkt.19 Außerdem fertigte Louis Jacoby Kupferstiche beider Porträts an, welche unter anderem noch 1873 auf der Wiener Weltausstellung reüssierten. Winterhalter skizzierte Elisabeth 1864, nachdem diese einen persönlichen Wandlungsprozess beendet hatte. Es wird kein Zufall sein, dass dieses Porträt einen Einschnitt in ihrer Ikonografie markiert. Ein neues Bildnis sollte ihr neues Ich zeigen. Zu Beginn ihrer Herrschaft hatte das österreichische Volk die nur fünfzehn Jahre alte kaiserliche Braut zur Ikone erhoben. Die Politik Franz Josephs war vor der Eheschließung zentralistisch und außenpolitisch von großen Niederlagen geprägt gewesen. Nun wurden seitens des Volkes liberale Reformen auf den Einfluss Elisabeths zurückgeführt.20 Dem strengen, soldatischen Monarchen wurde als Gegenpol die Vorstellung von einer weichen, fürsorglichen Elisabeth als »Mutter des Volkes« entgegen gesetzt.21 Elisabeth aber enttäuschte bald alle derartigen Erwartungen. Ihre öffentlichen Aufgaben und Pflichten, der Mangel an Freiheit überforderten sie. Erkrankt und durch den Tod ihrer ältesten Tochter 1857 gezeichnet, suchte sie schließlich 1860 in südlichem Klima wieder zu Kräften zu kommen. Die Abwesenheit bei Hofe, die neue Freiheit, genoss sie so sehr, dass sie trotz schneller Genesung erst nach fast drei Jahren nach Wien und damit in die Öffentlichkeit zurückkehrte. Im Februar 1863 erschien Elisabeth erstmalig wieder auf einem Ball. Zeitgenossen schilderten sie als hübsch, charmant, lächelnd.22 Hatte vorher ihre Schönheit unter ihren Sorgen gelitten, festigte sich jetzt ihr Ruf als schönste Frau Europas.23 Als Winterhalter 1864 nach Wien reiste, begegnete ihm diese selbstbewusste Frau. Allein deshalb besitzt das Ganzkörperporträt der Kaiserin, dem einige Skizzen und zwei Gemälde Elisabeths für Franz Josephs Privatgemächer vorausgingen, innovativen Wert. Nur durch eine Illustration ihrer herausragenden Schönheit hätte die Wirklichkeitsnähe des Bildes, das Franz Joseph mit den privaten Kniestücken als die »ersten ähnlichen Porträts von ihr« bezeichnete, kaum gelingen können.24 Erst der inszenierte Einblick in ihr Wesen erhöht die Faszination des Porträts. Das Gemälde Winterhalters hat die Art der Außendarstellung der Kaiserin von Österreich fortan geprägt. Die Haarkrone, die legendär werden sollte und ihr Image bis heute bestimmt, wurde erstmals von ihm in Öl festgehalten. Sie wird Elisabeths Markenzeichen und erscheint ab 1865 auf Fotoserien und Gemälden. Auch eine Fotografie Elisabeths als Königin von Ungarn dokumentiert die Relevanz des Porträts: Auf der offiziellen Aufnahme der frisch Gekrönten aus dem Jahr 1867 trägt sie ebenfalls ein Kleid von Worth zu Haarkrone und Fächer, einzige Regalie ist die neue ungarische Krone.25

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Das Pendantbildnis des Kaisers Franz Joseph I. von Österreich Dass derselbe Künstler zu zwei sehr unterschiedlichen Ergebnissen in einer zusammengehörenden Herrschaftsdarstellung kommen kann, zeigt ein  –  in der Forschungsliteratur merkwürdigerweise fehlender  –  Vergleich des Gemäldes der Kaiserin mit dem Pendantbildnis ihres Ehegatten |Abb. 3|.26 Das im gleichen Jahr signierte Porträt zeigt Franz Joseph in weiß-roter Uniform. Wie die Kaiserin nobilitieren auch ihn leicht in die Länge gezogene Proportionen. Er steht nach dem Vorbild von Werken van Dycks in Ausfallschritt und ordendekorierter Galauniform eines österreichischen Feldmarschalls im Bildzentrum, und sein kurzes braunes Haar sowie Backen- und Oberlippenbart entsprechen der zeitgenössischen Mode. In der rechten Hand, der geballten Faust, hält der Kaiser einen weißen Handschuh, die Linke liegt am Degen. Ein erhobener Kopf und die Amtsmiene prägen Franz Josephs Blick. Die Zugehörigkeit zur Gattung des Uniformporträts wird durch die kräftige rote Farbe der Kleidung hervorgehoben. Machtinsignien wie Krone oder Zepter fehlen auch hier, doch ist die starke Binnenrahmung eine Konzession an das portrait d’apparat. Malerisch sind beide Gemälde von sehr hoher Qualität. Die Figuren ähneln sich in der Lebendigkeit des Augenausdrucks, und auch die Bildhintergründe mit Parklandschaft und Himmel sind  –  losgelöst von den Figuren betrachtet  –  von vergleichbarer Stimmung. Und doch scheint das männliche Konterfei ein altmodischeres Persönlichkeitsbild zu zeichnen als das weibliche: Nicht zuletzt der Bildaufbau, dem auch geschuldet ist, dass die Architektur in beiden Gemälden nicht übergreifend weitergeführt wird, lässt den in Uniform ohnehin sein Amt betonenden Kaiser streng gerahmt wirken. Säulenpaare auf beiden Seiten tragen ebenso dazu bei wie ein niedriges Mäuerchen, das ihn von der Parklandschaft geradezu abschirmt. Der hinter ihm stehende Polstersessel schafft zusätzlich Distanz zum Außenbereich; Möbel und Figur wirken collagenhaft in die Bildkonstruktion eingefügt. Franz Joseph steht bewegungslos und en face im Rauminneren. Der statische Eindruck der kaiserlichen Figur wird noch unterstrichen durch die steife Uniform mit ihren markanten Farbkontrasten, die  –  anders als die Robe der Kaiserin  –  definitionsgemäß keine darstellerischen Variationen erlaubt. Im Gegensatz dazu bietet Elisabeths Umfeld ihr wesentlich mehr Freiraum. Nur auf einer Seite wird die Frau von grazilen Säulen begleitet, Natur und Himmel liegen weit vor ihr; die doppelt gedrehte Pose, ihre luftig-helle Designerrobe evozieren ein Gefühl von Schwerelosigkeit. Zielen in diesem Porträt die Art der Darstellung von Park und Hintergrund darauf, seinerzeit vorherrschende Natursehnsüchte im Betrachter zu wecken, so spiegelt der Hintergrund des Kaisers das Überzeitliche eines traditionellen Herrscherporträts. Momentaneität ergibt sich in seinem Porträt allein aus der peripheren Unordnung des flüchtig über das Möbel geworfenen Kleidungsstücks. Es wirkt, als hätte Winterhalter dergestalt versucht, eine Korrespondenz zwischen beiden Bildern herzustellen. Denn für die Bildstimmung von Elisa­ beths Porträt ist das Momenthafte essentiell. In dem Porträt der Kaiserin appellieren haptische Reize an den Betrachter und bestimmen einen fundamentalen Teil der Bildwirkung. Ihre Schulter scheint plastisch, Perlen-

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kette und Diamantsterne sind wie zum Anfassen ausgearbeitet. Und die  –  wie der Betrachter weiß, betörend duftenden  –  Oleanderblüten gewinnen ebenso wie die wogenden Stoffbahnen synästhetische Qualität. Franz Josephs Bildnis erreicht keine ebenbürtige Appellfunktion. Das liegt zum einen an den weniger sinnlich konnotierten Bildzutaten, zum anderen an der geschlossenen Bildkonstruktion. Winterhalter charakterisiert Elisabeth damit wesentlich zeitgemäßer und individueller als den Kaiser. Der Maler lässt in ihrem Porträt ein für ganzfigurige Staatsporträts neues politisches Programm durchscheinen und bricht mit bis dahin gültigen Darstellungskonventionen. Dass eine Reduzierung des klassischen Pomps zugunsten individuellerer Ikonografie besonders im weiblichen Porträt möglich war, erklärt ihre Rolle als Herrschergattin, der eben nicht die Regierung oblag. Im männlichen Herrscherporträt schien der Zwang zur Einhaltung der Gattungstradition sehr viel stärker gewesen zu sein: Der Kaiser als amtierender Regent musste seinen Stand, und vor allem seinen militärischen Status, auch bildlich demonstrieren.27 Derart legitimiert das Uniformbildnis zugleich den inoffizielleren Charakter seines Pendants. Nicht außer Acht gelassen werden darf auch 2  Franz Xaver Winterhalter: Kaiser Franz die ungleiche Lebensrealität der beiden Partner, die Joseph I. von Österreich, 1865, Öl auf Leinwand, Winterhalter sicherlich nicht entgangen ist. Elisa- 255 × 133 cm, Wien, Hofburg, Sisi-Museum beths Gesinnung war sehr liberal, wenn nicht sogar progressiv. Dem entsprach auch die fortschrittliche Einrichtung ihrer Wohnräume. Franz Joseph hingegen war bekannt für eine altmodische Lebensweise und strenge Amtsausübung, technischen Neuerungen gegenüber war er skeptisch.28 Vielleicht entsprach Winterhalters differenzierte Darstellung der Ehepartner auch schlicht solchen Tatsachen. Franz Joseph jedenfalls bewertete sein Bildnis als »außerordentlich«.29 An dieser Stelle hilft ein Vergleich der Ölbilder mit den oben erwähnten Kupferstichen, die hier extrahierten Ergebnisse nicht unangemessen zu gewichten, da die größere Öffentlichkeit nicht die Ölbilder sondern die Stiche sah. Auf den Blättern sind die Hinweise »Franz Winterhalter pinxit. Louis Jacoby sculpsit« zu lesen. Sie trugen maßgeblich zur Verbreitung der (neuen) kaiserlichen Außendarstellung bei. Der Stich des Kaiserbildes verändert die Bild-

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aussage nicht stärker als es wohl stets der Fall ist, wenn das Medium von Ölbild auf Stich wechselt. Doch der Stich des Elisabeth-Porträts trägt ein anderes Image weiter als das Original Winterhalters |Abb. 4|. Der stofflich begründete Appell an den Betrachter geht verloren. Das schöne Gesicht und das liebliche Mienenspiel der Kaiserin sind entstellt von herber Physiognomie. Dennoch ist eindeutig die Kaiserin dargestellt: Die individuelle Ikonografie zeigt ihre Wirkung. Ihre einzigartige Frisur mit klar erkennbarem Sternenschmuck und die im Stich deutlich voluminöser wirkenden Säulen stärken den Wiedererkennungswert der Dargestellten. Zur Sicherheit finden sich in der Bildunterschrift Titel und Wappen. Den Effekt der Pose kann auch der Stich kaum schmälern, doch die Inszenierung des Sentimentalen ist geschwächt.

» Romantische« Inszenierung einer Kaiserin Besondere Beachtung verlangt die für ein Herrscherinnenporträt unübliche Pose. Das durch diese Positur entstehende Bewegungskonzept sperrt den Betrachter nicht länger aus, sondern lädt ihn ein, an der Körperbewegung und im übertragenden Sinne auch an dem, was die Dargestellte see4  Louis Jacoby: Kaiserin Elisabeth in Balltoilette, um 1865 – 1870, Kupferstich, 61 × 41 cm, Wien, lisch bewegt, teilzunehmen.30 Im ganzfigurigen Österreichische Nationalbibliothek, Bildarchiv Herrscherinnenbildnis des 19. Jahrhunderts ist dieses betonte Kopfwenden samt Drehung über die Schulter neu. Wie bis jetzt in der Forschung fälschlicherweise angenommen, war eine solche Pose im Staatsporträt aber keine Innovation Winterhalters.31 Die Kopfdrehung aus der Rückenansicht bewegt bereits in einem Porträt des amerikanischen Malers Thomas Sully die junge Queen Victoria |Abb. 5|. Winterhalter hatte dieses 1839 gefertigte Porträt am englischen Hof sicher gesehen. Es handelt sich um ein ganzfiguriges Bildnis, das die zwanzig Jahre junge Königin zeigt, wie sie lässig ein paar Stufen zum Thron hinaufsteigt, sich dabei umwendet und dem Betrachter direkt in die Augen schaut. In den zeitgenössischen Künstlerkreisen Londons, und vor allem in den USA, genoss Sullys Porträt großen Erfolg. Auch Victoria selbst mochte das Bild, das sie als attraktive junge Frau

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zeigt.32 Vom viktorianischen Königshof aber sind konservativere Porträts zur Vermarktung der britischen Herrschaft genutzt worden. Eine untertänig bewundernde oder distanzierte Stimmung möchte beim Betrachten von Sullys Bildnis der Königin nicht aufkommen: Ist wirklich die Herrscherin eines Weltreiches dargestellt oder nicht vielmehr eine junge Kammerzofe beim heimlichen Anprobieren der königlichen Garderobe? Kurz gesagt: Sullys Gemälde erfüllte offenbar keine ausreichende »Legitimationsfunktion«.33 Im Porträt Winterhalters ist das anders. Die bewegte Pose lädt das Bild inhaltlich auf, adelt die Dargestellte und informiert den Betrachter. Elisabeth steht nicht in einem Thronraum, sondern auf der Schwelle zwischen der zum Innen gehörenden Terrassenfläche und der Außenlandschaft. Die Positionierung der Figur lenkt die Aufmerksamkeit auf Elisabeths affektive Wesenszüge. Sie entfernt sich räumlich vom Palast und damit, wenn man so will, auch von dessen Etikette und ihrer öffentlichen Rolle; sie wird sich im nächsten Augenblick der Weite der Landschaft zuwenden, die ihr in diesem Fall als »Rückzugs- und Fluchtort« dient.34 Die Position spiegelt den Zwiespalt zwischen ihren höfischen Pflichten und ihrer persönlichen Freiheit. 5  Thomas Sully: Königin Victoria, 1838, In diesem Zusammenhang grenzt es allerdings Öl auf Leinwand, 239 × 144 cm, New York, an Ironie, dass Elisabeths bildliches Ich im Emp- Metropolitan Museum of Art fangssaal auf jene Gesellschaft blickt, vor der sie zu flüchten scheint. Winterhalters Porträt problematisiert mit bildlichen Mitteln subtil einen Spagat zwischen Repräsentationsnähe und -distanz, der die Kaiserin tatsächlich lebenslang beschäftigte. Zu solchen Überlegungen animiert den Betrachter der narrative Charakter jener bewegten Pose. Winterhalter stellt Elisabeth im »fruchtbarsten Augenblick« dar: »Allein fruchtbar« sei, so Gotthold Ephraim Lessing, »was der Einbildungskraft freies Spiel lässt.«35 Die zeitlich direkt vor und nach dem von Winterhalter eingefangenen Augenblick liegenden Momente lassen sich vom Betrachter in Gedanken mühelos ergänzen: Elisabeth hat gerade erst die Terrasse betreten, gleich wird sie sich vom Betrachter abwenden und entfernen. Ihr Innehalten ist Höhe- und Wendepunkt zugleich. Den bewegt gestalteten Himmel vermag der Betrachter,

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im Rahmen »ästhetischer Reflexion« nachmalend, auf die Gemütslage der Dargestellten zu übertragen.36 Und Elisabeths versonnener Gesichtsausdruck möchte offenbar den Eindruck erwecken, als sei ein Einblick in das Gefühlsleben der Regentin möglich. Eine durch ihre Position traditionell im Grunde unnahbare Figur wird vom Künstler damit psychologisiert. Anders ausgedrückt: Winterhalters Herrscherinnenporträt ist von einer bürgerlichen Geschmacksvorstellung berührt. Eine Tendenz bildimmanenter Psychologisierung des Herrschers ist bereits ab dem 18. Jahrhundert auszumachen, doch im ganzfigurigen Porträt, dem repräsentativsten der Staatsporträts, bahnt sich eine psychologische Charakterschilderung erst im 19. Jahrhundert an.37 Mit der Aufklärung musste sich eine Herrscherin in die sich »nun entwickelnden bürgerlichen Liebesvorstellungen und Königsbilder« einfinden, die im Übrigen auch von den seinerzeit für den deutschsprachigen Raum von den Gebrüdern Grimm niedergeschriebenen Märchen geweckt wurden. Elisabeths Liebesgeschichte genügte solchen Vor6  Franz Xaver Winterhalter: Kaiserin Elisabeth stellungen und »rührte« das Volk: »Ein Naturmit gelöstem Haar, 1864, Öl auf Leinwand, kind, aus dem Ländlichen kommend, in welches 158 × 117 cm, Wien, Kunsthistorisches Museum sich der Prinz auf den ersten Blick verliebt.«38 Dass ihre Diamantsterne der seltenen Edelweißblüte ähneln, einer Blume, die schon damals metaphorisch für »die heile Welt der Berge und Distanz zu den Konflikten der modernen Gesellschaft« stand, stützt diese These.39 Wohl als erster Künstler lud Winterhalter ein ganzfiguriges Offizialporträt solcherart psychologisch auf: Der »natürliche« Körper wird gleichsam zu ihrem politischen Körper.40 Eine solche Körperauffassung befriedigte die bürgerliche Idealvorstellung von einer Kaiserin und legitimierte zugleich ihren Rang. Die Wurzel dieser privaten Note im offiziellen Staatsporträt liegt in einem von Winterhalter ein Jahr zuvor gemalten Kaiserinnenporträt. Das 1864 angefertigte Bildnis von Elisabeth mit gelöstem Haar zeigt bereits grundlegendes Bildvokabular des späteren Staatsporträts in Balltoilette |Abb. 6|. Es schmückte zeitlebens das private Arbeitszimmer ihres Gatten, und die Öffentlichkeit erlangte angeblich erst nach Elisabeths Tod Kenntnis von ihm. Das private Kniestück präsentiert die Kaisergattin in ähnlich gedrehter Haltung. Ihr weißes krinolinenunterstütztes Schlafgewand gibt in einem erotischen Moment des Herunterrutschens

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ihre Schulter frei. Das Haar, auch hier ihr augenscheinliches Schönheitsattribut, fällt offen über ihren Rücken. Elisabeth steht  –  in ähnlicher Pose und hell beleuchtet wie im offiziellen Porträt  –  vor demselben dunklen Park. Der Körper ist diesem zugewandt, ihr unverkennbares Gesicht, hier rechts über die Schulter blickend, nur im Halbprofil zu sehen. Die Pose ist unbewegter als im offiziellen Porträt, in ihrer Wirkung kontemplativer. Wieder erweckt der Hintergrund, in diesem Bildnis mit Mondsichel, eine empfindungsvolle Bildstimmung. Das intime Bildnis scheint erotisch aufgeladen. Es vermittelt Privatheit und Sehnsucht, Werte eines bürgerlichen Tugendkanons.41 Ungewöhnlich ist, dass die Bildkomposition des erotischprivaten Porträts der des offiziellen Herrscherinnenporträts ähnelt und offenbar sogar dessen Vorlage darstellt. Winterhalter entwickelte die Bewegtheit der Pose weiter und fügte sie in ein für noble Distanz sorgendes Bildumfeld ein.42 Das Bildnis der Elisabeth von Österreich in Balltoilette ist von repräsentativem Charakter, doch scheint jene private Nuance noch durch: Es offenbart das veränderte Selbst- und Fremdverständnis einer Kaiserin im 19. Jahrhundert, individuell, sich nicht dem Hofzeremoniell unterwerfend.

Identifikationsfaktor Mode Das Kleid von Charles Frederick Worth und dessen minutiöse Malart scheinen fast mehr Aufmerksamkeit zu heischen als die Kaiserin selbst, derart wird die Wertigkeit der teuren Stoffe betont. Vollends zur Geltung kommt das Kleid durch die Drehung der Figur. Aktuelle Mode erlangt in diesem Bildnis eine weit größere Bedeutung als bis dahin in Herrscherinnenporträts üblich. Worth hatte die ursprünglich breiter angelegte Krinoline 1864 verschlankt und die ausladenden Stoffbahnen auf das Hinterkleid beschränkt.43 Elisabeth präsentiert diese »Worth-Silhouette«, und keineswegs ein »Staatskleid«, wie einer ihrer Biografen es taufte.44 Die Bildaussage ist darauf fokussiert, dass Elisabeth Pariser Mode trägt und eben kein speziell dem Kaiserhaus vorbehaltenes vestimentäres Zeichen. Stilbildend in Modefragen wurde im 19. Jahrhundert das Bürgertum: »Die vom Bürger instrumentalisierte Mode beeinflusste unweigerlich die Porträtkunst jenes Jahrhunderts. Mehr als jemals zuvor wurde die Kleidung und der damit verbundene Habitus zum bildbestimmenden Sujet.«45 Mit der Demokratisierung der Modewelt wurde es zunehmend eher eine Frage der monetären Mittel denn des Titels, sich ein solches Kleid bei Worth kreieren lassen zu können.46 Das bedeutet, allein an der Kleidung war Mitte des 19. Jahrhunderts die Standeszugehörigkeit einer Person nicht mehr unbedingt abzulesen. Dies galt besonders für die weibliche Garderobe. Körperposen, die durch Mode bestens in Szene gesetzt wurden, zierten damals zeitgenössische Modestiche und -zeichnungen, welche Winterhalter zweifellos bekannt waren. Eine Fülle frisch gegründeter Mode- und Frauenzeitschriften dirigierte die weibliche Welt ab Mitte des Jahrhunderts. Und in der Modefertigung sorgte die Industrialisierung für große Veränderungen: Die Massenproduktion von Stoffen wurde möglich, die Preise sanken, immer mehr Menschen konnten sich aktuelle Mode leisten und verewigten diese auf so ge-

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nannten cartes de visite.47 Diese kleinformatigen Fotokarten mit Abbildungen ihrer Besitzer oder bekannter Persönlichkeiten tauschte man aus und sammelte sie. Kaiserin Elisabeth war eine leidenschaftliche Sammlerin und besaß ein entsprechendes »Schönheitenalbum«.48 Auch sie selbst zierte derartige Fotografien, auf denen sie ohne Würdezeichen, aber in Krinoline, beispielsweise ein Fotoalbum durchblätternd, abgebildet ist |Abb. 7|. Beim Betrachten einer solchen carte de visite lässt sich feststellen, dass das Kleid die Fotografie dominiert: Die Mode, keinesfalls der gesellschaftliche Rang der Dargestellten, steht im Fokus. Man erinnere sich an Jacobys Stich von Winterhalters Gemälde, dessen Wirkung einer zeitgenössischen Modezeichnung gleicht.49 Winterhalters Staatsporträt stellt ebenfalls die Robe ins Rampenlicht. Elisabeth frönt damit dem zeitgenössischen Modegeschmack und wird zur Projektions- und Identifikationsfigur für ihr Volk. Das Bildnis war mit Sicherheit en vogue.50 Es entsprach dem seinerzeit verschmelzenden gemeinsamen Geschmacksideal von bürgerlicher Wirtschaftselite und Aristokratie. Das vorherrschende Modeideal galt nun für viele, und vor allem französische Modezeitschriften informierten euro7 Ludwig Angerer: Kaiserin Elisabeth von Österpaweit über jene Ideale und neuesten Kreationen, reich mit einem Fotoalbum, 1860, Carte-de-visiteman schrieb sogar darüber, welche Berühmtheit zu Fotografie, Köln, Museum Ludwig, Fotografische Sammlungen / Sammlung Lebeck welchem Anlass welches Designerstück getragen hatte.51 Was die Modewelt revolutionierte, spiegelte sich in der Bildenden Kunst: Malerei und Fotografie beeinflussten sich gerade in Bezug auf Modedarstellungen wechselseitig. Eine bürgerliche Repräsentationskultur festigte sich in der Porträtkunst, die einen höfischen Formenkanon adaptierte und von bürgerlichen Ideen infiltriert war.52 Und andersherum begann der europäische Hochadel, sich nach bürgerlichem Geschmack abbilden zu lassen. Auch Winterhalter überschritt innerhalb der Gattung Grenzen: Im Bildnis der Elisabeth von Österreich verband er den Formenkanon eines Herrscherinnenporträts mit dem Bildtypus der modernen Städterin, der im ganzfigurigen Porträt Anfang der sechziger Jahre in Paris aufkam. Er porträtierte nicht nur die Herrscherin Elisabeth; er porträtierte gleichzeitig einen modernen Frauentypus ihrer Zeit, indem er die modische Aktualität

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des Kleides neben der Pose zu einer extravaganten Bildwürdigkeit erhob. Dass ein großer Teil der Bildbeschreibung einer Modebeschreibung gleicht, ist charakteristisch für dieses Herrscherinnenbildnis, das zugleich als »Kleidporträt« bezeichnet werden könnte und somit den Anfang eines Auflösungsprozesses der traditionellen Porträtgattung markiert. Elisabeths Leben nach 1865 bildete nahezu einen Gegenentwurf zu dieser neuen, modernen Bildnisform. Sie nahm sich gewissermaßen selbst aus der Mode, indem sie keine aktuellen Porträts mehr von sich zuließ, schwarze Kleidung trug und ihr weiterhin äußerst gepflegtes Äußeres ab 1868 mit Hilfe von Fächern und Schleiern vor neugierigen Blicken zu schützen wusste.53 Dass Franz Xaver Winterhalter eine Kaiserin à la mode malte, provoziert die Annahme, die Kaiserin könnte aus der Mode kommen. Dies hat sich nicht bewahrheitet. Flaniert man heute durch Wien, hat besonders dieses Bildnis der Kaiserin von der Hand Winterhalters Kultstatus erreicht und ist präsent wie nie zuvor. Trotz des seinerzeit zeitgemäßen Habitus hat das Porträt den überzeitlichen Charakter eines herkömmlichen Staatsporträts nie verloren. Im Atelier Franz Xaver Winterhalters wurde das Bildnis der Elisabeth von Österreich in Balltoilette im Mai 1865 öffentlich ausgestellt.54 Es trug bereits vor seiner Reise von Paris nach Wien erheblich zum Ruhm von Elisabeths Schönheit bei. Winterhalter verewigte ein den Zeitgeschmack spiegelndes Kaiserinnenideal, das in der Zeit des aufstrebenden Bürgertums auch den bürgerlichen Geschmack aufwertete. Er inszenierte für das neugierige Volk zugleich ein neues Image der Habsburger Monarchie.

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Für anregende Diskussionen danke ich neben allen Kollegteilnehmern vor allem Antje Amoneit und Stephanie Marchal. Der Aufsatz ist im Zusammenhang mit dem Dissertationsprojekt der Autorin zu den Monarchinnenbildnissen Franz Xaver Winterhalters entstanden. 1  Zitiert nach Carrie Rebora Barratt: Queen Victoria and Thomas Sully, Princeton 2000, S. 5. 2  Vgl. Oliver Millar: The Victorian pictures in the collection of Her Majesty the Queen, Cambridge 1992. 3  Vgl. Andreas Köstler u. Ernst Seidl: Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption, Köln, Weimar u. Wien 1998. Es ist nicht zu beweisen, dass sie für die Veröffentlichung ihrer Bildnisse eine Auswahl getroffen hätte, wie zuweilen geschrieben; vgl. Burcu Dogramaci: Wechselbeziehungen. Mode, Malerei und Fotografie im 19. Jahrhundert, Marburg 2011, S. 75; vgl. Andreas Honegger: Die Blumen der Frauen. Blumensymbolik in Gemälden aus 7 Jahrhunderten, München 2011, S. 102. Später scheint sie sich insofern für ihr Image interessiert zu haben, als sie in ihrem Testament bestimmte, dass ihre poetischen Tagebücher 60 Jahre nach ihrem Ableben veröffentlicht werden sollten; vgl. Brigitte Hamann (Hrsg.): Kaiserin Elisabeth. Das poetische Tagebuch, Wien 1987. 4  Einige Künstler wie Georg Raab durften sie nur von weitem beobachten; vgl. Brigitte Hamann (Hrsg.): Elisabeth. Bilder einer Kaiserin, Wien u. München 1982, S. 7. 5  Die Schmucksterne wurden vom K.u.K. Hofjuwelier Jakob Heinrich Köchert gefertigt; vgl. Katrin Unterreiner: Sisi. Mythos und Wahrheit, Wien 2005, S. 40. 6  Armin Panter: Studien zu Franz Xaver Winterhalter (1805 – 1873), Karlsruhe 1996, S. 136. 7  Vgl. Aileen Ribeiro: La mode dans l’œuvre de Winterhalter, in: Franz Xaver Winterhalter and les Courts d’Europe de 1830 à 1870 (hrsg. v. Richard Ormond u. Carol Blackett-Ord), Ausstellungskatalog, Paris, Musée de Petit Palais, National Portrait Gallery, London 1987, S. 66 – 7 1, S. 70. 8  Vgl. Ingrid Loschek: Geschichte der Accessoires, in: Apropos. Der Charme der Accessoires (hrsg. v. Ursula Strate), Ausstellungskatalog, Hamburg, Museum für Kunst und Gewerbe 1999, S. 8 – 4 1, S. 16 ff. Die im 18. Jahrhundert gültige »Fächersprache« wird von Franz Xaver Winterhalter entweder ignoriert oder nicht gekannt. Der Fächer einer verheirateten Dame hätte im 18. Jahrhundert noch geschlossen sein müssen. 9  Vgl. Juliane Vogel: Die doppelte Haut. Die Moden der Kaiserinnen im 19. Jahrhundert, in: Regina Schulte (Hrsg.): Der Körper der Königin. Geschlecht und Herrschaft in der höfischen Welt, Frankfurt am Main u. New York 2002, S. 216 – 235, S. 228. 10  Zur Vermarktung der Kaiserin und besonders des Porträts von Winterhalter in Form von Souvenirs als Restauration eines ganzen Volksimages vgl. anonym: Sissimania. Si Sissi voyait ça, in: Figaro Madame, 20. August 1994, S. 72 – 75. 11  Sissi wurde die Kaiserin in Ernst Marischkas berühmten Filmen genannt; historisch belegt ist der Rufname Sisi; vgl. Unterreiner 2005, S. 12. 12  Die Bildnisse wurden 1865 im Rahmen einer Neugestaltung des Empfangssaals (Audienzzimmers) dort aufgehängt; vgl. Brief von Margarethe Poch-Kalous (Direktorin der Gemäldegalerie der Akademie der bildenden Künste in Wien) an Veronique Bouton, 25. Oktober 1971, Paris, Musée du Louvre, Service d’étude et de documentation. 13  Pressemitteilung der Nachrichtenagentur APA vom 06. April 2012; gleichzeitig ließ das Museum die vergoldeten repräsentativen Rahmen restaurieren. Ob Winterhalter die oben mittig mit Wappen und Krone verzierten Rahmen selbst ausgewählt hat, wie er es oft tat, ist in diesem Fall nicht überliefert. Das

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Kreuz auf dem Rahmen des Elisabeth-Porträts wurde nach der Restaurierung vergessen aufzusetzen (Auskunft des Sisi-Museums, Dezember 2012). 14  Zur Biografie Winterhalters vgl. Panter 1996. 15  Zum Bildvokabular in Herrscherdarstellungen vgl. Karin Stempel: Bildgattungen. I. Das Herrscherbild, Bestandskatalog, Landesmuseum für Kunst u. Kulturgeschichte, Oldenburg 1982, S. 1 – 32, S. 13 f. 16  Diese Umschreibung nutzt Schoch im Kapitel über das Staatsporträt des Absolutismus in anderem Zusammenhang; Rainer Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1975, S. 20. 17  Egon Conte Corti: Elisabeth. Die seltsame Frau, Salzburg 1934, S. 116. Conte Corti, als wissenschaftliche Quelle zunächst wenig ernst genommen, wurde von Brigitte Hamann rehabilitiert, da der Autor Einsicht in Originalquellen hatte, die mittlerweile verschollen oder nicht einsehbar sind; vgl. Hamann 1987, S. 16 u. S. 25; Panter 1996, S. 134 f. 18  Zum höfischen Verhalten vgl. auch Schoch 1975, S. 14. 19  Vgl. Angelina Pötschner: Die Porträts Kaiser Franz Josephs und Kaiserin Elisabeths. Anlässlich des hundertfünfzigsten Jahrestages der Thronbesteigung Franz Josephs und des hundertsten Todestages Elisabeths, in: Arx 20 – 2/1998, S. 15 – 22, S. 19. 20  Vgl. Peter Gathmann: Elisabeth. Bild und Sein, in: Elisabeth von Österreich. Einsamkeit, Macht und Freiheit (hrsg. v. Susanne Walther), Ausstellungskatalog, Historisches Museum, Wien 1987, S. 13 – 23, S. 21. 21  Pötschner 1998, S. 19. 22  Vgl. Conte Corti 1934, S. 108. Später sicherte sie sich, seinerzeit höchst ungewöhnlich, in einem Schreiben an ihren Ehemann Unabhängigkeit in der Kindererziehung und freie Wahl ihres Aufenthaltsorts; vgl. ibid., S. 121. 23  Vgl. Susanne Walther: Schönheit, in: Elisabeth von Österreich. Einsamkeit, Macht und Freiheit 1987, S. 219 – 231, S. 224 f. 24  Dies geht aus einem Brief hervor, den Kaiser Franz Joseph 1864 an seine Mutter schrieb; vgl. Hubert Mayer: Einführung, in: Die Künstlerfamilie Winterhalter. Ein Briefwechsel (hrsg. v. Hubert Mayer), Karlsruhe 1998, S. 9 – 31, S. 16. 25  Vgl. Hamann 1982, Abb. S. 86. 26  Die Katalogtexte deuten einen Vergleich lediglich an; vgl. Winterhalter and les Courts d’Europe 1987, S. 216 f. 27  Vgl. Theresia Hauenfels: Visualisierung von Herrschaftsanspruch. Die Habsburger und HabsburgLothringer in Bildern, Wien 2005, S. 297. 28  Sobald es möglich war, hatte Elisabeth elektrisches Licht, eine Toilette mit Wasserspülung und fließendes Wasser installieren lassen, der Kaiser hingegen verzichtete auf Elektrizität und ließ sich Waschschüssel und Badewanne in sein Schlafzimmer tragen. Die Einrichtung ist in der Wiener Hofburg erhalten.

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29  Zitiert nach Mayer 1998, S. 16. 30  Vgl. Uwe Fleckner: In voller Lebensgröße. Claude Monet und die Kunst des ganzfigurigen Portraits, in: Monet und Camille. Frauenportraits im Impressionismus (hrsg. v. Dorothee Hansen u. Wulf Herzogenrath), Ausstellungskatalog, Kunsthalle Bremen 2005, S. 42 – 5 1, S. 46. 31  Vgl. Petra Kreuder: Die bewegte Frau. Weibliche Ganzfigurenbildnisse in Bewegung vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, Weimar 2008, S. 209. 32  Vgl. Barrat 2000, S. 53 ff. 33  Werner Busch: Das sentimentalische Bild. Die Krise der Kunst im 18. Jahrhundert und die Geburt der Moderne, München 1993, S. 384. 34  Fleckner 2005, S. 46. 35  Vgl. Oskar Bätschmann: Laokoons Augenblick. Lessing installiert den fruchtbaren Betrachter, in: Thomas Kisser (Hrsg.): Bild und Zeit. Temporalität in Kunst und Kunsttheorie seit 1800, München 2011, S. 21 – 48, S. 27. 36  Thomas Kisser: Visualität, Virtualität, Temporalität. Überlegungen zur Zeitlichkeit in Bildkonzepten von Tizian, Rembrandt, Watteau und Friedrich, in: id. 2011, S. 87 – 136, S. 136. 37  Vgl. Schoch 1975, S. 31 ff. 38  Regina Schulte: Der Körper der Königin. Konzeptionelle Annäherungen, in: id. 2002, S. 9 – 26, S. 17. 39  Honegger 2011, S. 102. 40  Schulte 2002, S. 18. 41  Gabriela Christen schreibt, das private Bildnis sei ein Skandalbild gewesen, belegt dies aber nicht; vgl. id.: Die Bildnisse der Kaiserin Elisabeth, in: Juliane Vogel: Elisabeth von Österreich. Momente aus dem Leben einer Kunstfigur, Wien 1998, S. 164 – 190, S. 179. 42  Für das österreichische Herrscherhaus, nämlich für ein Porträt der Erzherzogin Sophie, Mutter des Kaisers, nutzte bereits Winterhalters Lehrer Joseph Stieler eine solche Pose; von diesem Gemälde existiert eine Zeichnung Winterhalters; abgebildet in Mayer 1998, S. 67. 43  Vgl. Dogramaci 2011, S. 74 f. 44  Conte Corti 1934, S. 116. 45  Dogramaci 2011, S. 9. 46  Vgl. ibid., S. 77. 47  Vgl. Henrike Holsing: Die carte de visite. Portraitfotografie im kleinen Format, in: Monet und Camille 2005, S. 238 – 2 47. 48  Conte Corti 1934, S. 104.

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49  Es zirkulierte übrigens auch eine Fotografie des Gemäldes (Wien, Österreichische National­ bibliothek, Bildarchiv); vgl. auch Solfrid Söderlind: Das verlorene Profil, in: Monet und Camille 2005, S. 248–253, S. 251. 50  Darüber gibt es leider keine Informationen, doch selbst die Frisur wurde Kult. Es gab sogar Perücken der »Elisabeth-Frisur«, auch »Steckbrieffrisur« genannt; vgl. Walther 1987, S. 224 f. 51  Vgl. Dogramaci 2011, S. 9. 52  Vgl. ibid., S. 54 ff.; Kreuder 2008, S. 213 ff. 53  Vgl. Hamann 1984, S. 9 ff. 54  Vgl. Panter 1996, S. 135.

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DISPERSING THE POLITICAL SHADOW Constructing and Deconstructing Authority in the Portraits of Cixi TE N G Y U N I N G

Gender, power and politics Feminist studies in China did not emerge as an isolated and automatic result of the country’s social evolution, but were encouraged and motivated by Western feminism. In the nation’s centuries of history, Confucianism  –  the dominant school of thought in feudal China  –  determined the standards of ethical criticism and the societal rules of conduct. Under this system, women were in a vulnerable social position and were subject to the rule of men. The turmoil of the late 1800’s to early 1900’s sparked China’s transformation from a traditional to a more modern society, affecting everything from politics to art to feminism. Western culture began to influence China, the last feudal empire fell, and the May Fourth Movement flooded the country with slogans denouncing feudalism and Confucianism. During this period, Western feminism began to influence China, and women’s rights studies expanded. Since Chinese feminism developed against a backdrop of great historical change, it has always been closely related to revolutionary goals. The May Fourth Movement and The Social Revolution, both rebelling against traditional thought, challenged the historically low status of women. As people proverbially said, »women hold up half of the sky.« In contrast to the post-revolutionary women, traditional Chinese women from the old regime are stereotyped as miserable creatures, suffering at the bottom of the feudal hierarchy:

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»The May fourth’s image of miserable Chinese women was strengthened by Kuomintang’s (Chinese Nationalist Party) and Chinese Communist Party’s political movement: if traditionally women did not live under pressure, the so-called Women’s Liberation Movement would not exist; if the movement did not exist, how could we construct the blueprint for a modern China?«1 The impetus of this study comes from a particular object: the portrait. A portrait is not only an expression of the individual’s exterior, but also a presentation of his or her inner character. In China, there was a complex evolution of the relationship between women and their portraits, a relationship that reflected the influence of feminist and of Western ideals. In traditional Confucianist culture, women were expressed as introverted, and their portraits were intended mainly as records or memorials. Starting from the end of the Qing dynasty (1644 – 1911), portraits painted by female artists, influenced by Western culture, began to display self-awareness and thus demonstrated a belief that women have the right to choose how to express their character, even though such a pictorial expression was still uncommon. However, these early self-portraits were restricted by the social climate and the demands of revolution, and did not achieve absolute control over self-expression.2 The portraits of empress dowager Cixi differ from those revolutionary female forms. These portraits demonstrate the complex relationship between gender, power and politics. Cixi was the last female ruler with supreme authority in Chinese feudal society. She wielded absolute power from the late 19th century to the early 20th. Since she wielded power within the system of feudal Confucianism, her legitimacy, authority and influence were established in an intense political struggle. The figure of Cixi, as an empress dowager with the actual power of an empress, is fundamentally opposed to the traditional female images constructed by the May Fourth Movement, which strived to portray the traditional women as downtrodden and disadvantaged. From the modern historical viewpoint of Chinese women, it is clear that Cixi represents an expression of female power within the traditional patriarchal society. However, during the May Fourth Movement and the Socialist Revolution, revolutionaries avoided any discussion of the importance of Cixi’s regency. Moreover, since the empress dowager lost wars, hindered the reformation, signed unfavorable treaties, and forfeited the sovereignty of her country, nearly all the portrayals of her in current Chinese historical studies are either negative or unfairly exaggerated. Amidst the confusing and clashing historical narratives surrounding Chinese women, and particularly this controversial empress, art history, and especially portraiture, serve as an effective method of understanding the paradoxical and contradictory evaluations of Cixi. In the history of Chinese feudal society, the empress’s portraits had extensive significance. The portraits of Cixi were not created on a whim or for mere pleasure or vanity, but represented the majesty of the empress and served as part of Cixi’s propaganda campaign to strengthen her regency. Nor did Cixi’s image disappear after her death. Her likeness is reproduced in artwork even today. Yet while Cixi may have used her portraits for political reasons

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during her life, she could not control her image forever. Her authority, so painstakingly established in the paintings, collapsed amidst the revisions and politicizing of a new regime. Now, more than a century later, her portraits are being evaluated by antagonistic social classes and political groups. The controversy over the symbolism, function and representation of Cixi’s image is not merely relevant to art history, but also illustrates the problems of constructing and deconstructing female authority in the historical political requirements of China’s modernization.

The portraits of the empress and its political requirements In her seventy-four years of life (1835 – 1908), Empress Dowager Cixi achieved the pinnacle of female power well really the pinnacle of any power in feudal society. Although she did not ascend the throne like the only female Chinese emperor Wu Zetian (625 – 705), Cixi remained in a position of political tutelage, 训 政 (xùn zhèng).3 Her attainment of this position was not a triumph of female self-consciousness, but rather a compromise and adjustment of feudal regime at a turbulent time, a time when fierce struggles in the royal court and the weakness of the juvenile emperor Tongzhi destabilized the country. Although Cixi’s rule did not transgress ancestral convention and conformed to the concessions of Confucianist matriarch theory, 母权 (mu ˇ quán), it was obvious that Cixi was hiding great ambitions under the notion of political tutelage. Cixi had explicit requirements and demands for shaping her image. Portraiture was a significant medium through which Cixi constructed the orthodoxy of her power; it not only represented political authority in the traditional sense, but also involved the female ruler’s individualized requirements for her gender. Cixi’s royal image was first established in traditional Chinese painting. In ancient China, royal paintings captured the images of emperors and empresses, creating realistic court paintings filled with court costume or everyday clothing. Considered to be monuments of the rulers’ status and achievement, these portraits were governed by strict criteria and conventions.4 A portrait of the empress in court costume, known as 容 (róng), as a formal portrayal of royalty, always employed stereotype methods: no background, no expression, no action.5 The ruler was abstracted: a sign without any distinctive character. The royal portraits were part of the traditions and ceremonies of the court, and were generally placed in the ancestral temple as a sacrifice after the emperor or empress died. Obeying the royal conventions, Cixi’s court costume portrait inherited these ceremonial features |fig. 1|. Cixi seems quite old in this portrait with her gray hair, thin cheeks and deep wrinkles. However, her firm character, power and sense of authority are highlighted in her portrait. In contrast to the more formal and regal paintings of court costume, Cixi’s everyday clothing expressed the regent’s leisurely and luxurious life. For instance, in one portrait young Cixi constructs a »female space« in the courtyard |fig. 2|.6 The empress was depicted brightly and vividly, a subtle smile adorning her face. Her portrait displays her beauty and elegance but

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1  Unknown Court Painter: Portrait of the Empress Dowager Cixi, c. 1908, watercolor on paper, 253 × 110,5 cm, Beijing, Palace Museum

2  Unknown Court Painter: Cixi playing Go, c. 1900, watercolor on paper, 235 × 144 cm, Beijing, Palace Museum

contains none of the sexual implications forbidden by the Qing dynasty’s court etiquette: »In Qing court, the concubine’s portrait was called Pleasure Figure (Xi Rong, 喜容) or Host Position (Zhu Wei, 主位), never called Beauty which just referred to idealized fictional beauty.«7 Thus, in the everyday dress portraits, Cixi had to convey her beauty with subtlety and implications, so as not to violate traditional convention. Chinese feudal society’s court regulations were strict. Cixi’s portraits carefully balanced between portraying the power of the ruler, and were also complying with convention in order to reinforce the legitimacy of the ruler’s reign. Although Cixi obeyed some of the regulations, she did not solely restrict herself to court conventions. She demonstrated great courage and creativity by importing new mediums and techniques of portraiture from the West. As an old woman of about seventy years, occupying the highest position in the Qing court and faced with the crisis of Western

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aggression, Cixi required her artists to employ new artistic techniques, such as oil paint and photography, to capture the royal subject. Through an analysis of the history background, one can see that Cixi’s portraits were not intended simply as entertainment or as play, despite what David Hogge concluded in his essay on the »Theatrical Images« of Cixi.8 Rather, her portraits were an effective method for engaging in domestic and diplomatic affairs, a method that displayed her individual will and reinforced her authority. In contrast to the socialist feminist movement, which created authority through emphasizing the masculine characteristics of women, Cixi crafted an image that highlighted her beauty and kindness. This female image did not weaken her authority as an empress, but rather reinforced her authority and helped her to achieve political purposes. In the early period of the Qing dynasty, Western civilization (and Western painting) entered China, and was slowly introduced into court by missionaries. With Western culture, came Western painting. During the reign of three kings  –  Kangxi, Yongzheng and Qianlong   –  all of whom had substantial interest in Western culture, foreign painters resided in the court painting academy and painted for the emperors. Nevertheless, Western oil painting was not accepted as official art form, and only some of its methods were integrated into Chinese traditional ink painting. Cixi seemed much more positive and open to new ideas and art forms, especially with regards to portraiture. She invited two foreign artists, Katharine Carl and Hubert Vos, to enter the Forbidden City to create oil paintings for her. Katharine Carl, an American portrait painter and author, was introduced to court by Sarah Pike Conger, the American ambassador’s wife, and painted three formal portraits for Cixi from 1903 to 1904. The largest one was important not just artistically, but also diplomatically. The painting was transported to the United States and exhibited at the Saint Louis Exposition |fig. 3|. After that, in accordance with Cixi’s wishes, this portrait was gifted to the American government. On January 15, 1905, President Theodore Roosevelt held a special ceremony to accept this portrait. The drafts of both this portrait and another are saved in the Forbidden City (Beijing, Palace Museum) |fig. 4|. Some other drafts were published in Carl’s book With the Empress Dowager in 1905.9 These portraits helped Cixi to achieve significant political goals during that period. For instance, in 1902, when Cixi returned to the Forbidden City after having fled from foreign troops to Xi’an during the Boxer Rebellion, the monarch was confronted with the hostility of other countries, who were angry with the Qing government for supporting the rebellion against Western and Japanese imperialism. Motivated by political considerations and diplomatic strategy, Cixi followed Sarah Pike Conger’s advice to invite Carl to paint oil portraits for her: »I had written to the artist, Miss Carl, and found that she was willing to cooperate with me. The day of the audience seemed to be the golden opportunity for me to speak. With intense love for mankind, and in justice to this Imperial woman, I presented my subject without a doubt or a fear. Her Majesty listened, was interested, and with a woman’s heart conversed with me. As the result of this conversation, the Empress Dowager gave consent

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3  Katharine Carl: Portrait of the Empress Dowager Cixi, 1903 – 1904, oil on canvas, 271 × 163 cm, Taipeh, National Museum of History

4  Katharine Carl: Portrait of the Empress Dowager Cixi, 1903 – 1904, oil on canvas, 164 × 97 cm, Beijing, Palace Museum

to allow her Imperial portrait to be painted by an American lady artist for the St. Louis Exposition. The work is to begin in August. Only think of it! That this portrait may present to the outside world even a little of the true expression and character of this misrepresented woman, is my most earnest wish. I do not, my dear girl, forget the dark days of the siege, the sufferings, the bloodshed, the sorrows; but I would not have this darkness bury in oblivion all the bright rays of sunshine. I have most earnestly wished that our home people could see Her Majesty as I have many times seen her. I well know that these departures are testing, but I always feel that the Empress Dowager can meet them successfully.

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Her intuitive ability to perceive and conceive is not easy to surpass, nor even equal, by man or woman.«10 Through these portraits, Cixi aimed to demonstrate the receptiveness of China’s hierarchy to Western culture. She also strived to combat the baleful criticisms and demonized representations that plagued Western opinion of China, and to replace them with a more positive image of the empress |fig. 5|. During the whole process, Sarah Pike Conger and Katharine Carl appreciated Cixi’s kind characteristics and described her with words like »elegant«, »gentle«, »benign«, »young«, and »charming«: »I scanned her person and face with all the penetration I could bring to bear, and this is what I saw: A perfectly proportioned figure, with head well set upon her shoulders and a fine presence; really beautiful hands, daintily small and high-bred in shape; a symmetrical, wellformed head, with a good development above the rather large ears; jet-black hair, smoothly 5  Unknown artist: Portrait of the Empress parted over a fine, broad brow; delicate, well- Dowager Cixi, from Le Petit Journal, 8 July 1900 arched eyebrows; brilliant, black eyes, set perfectly straight in the head; a high nose, of the type the Chinese call ›noble‹, broad between the eyes and on a line with the forehead; an upper lip of great firmness, a rather large but beautiful mouth with mobile, red lips, which, when parted over her firm white teeth, gave her smile a rare charm; a strong chin, but not of exaggerated firmness and with no marks of obstinacy. Had I not known she was nearing her sixty-ninth year, I should have thought her a well-preserved woman of forty. Being a widow, she used no cosmetics. Her face had the natural glow of health, and one could see that exquisite care and attention were bestowed upon everything concerning her toilet. Personal neatness and an excellent taste in the choice of becoming colors and ornaments enhanced this wonderfully youthful appearance, and a look of keen interest in her surroundings and remarkable intelligence crowned all these physical qualities and made an unusually attractive personality.«11

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All their impressions of the beauty and feminine temperament of the empress were represented in her portraits, created with Cixi’s consent and under her strict control. It is clear that the paintings did promote the policy of diplomacy and propaganda at that time. In contrast to Carl, the Dutch painter Hubert Vos was an academically trained artist whose skills and talents far surpassed those of his American colleague. The original intention of his creation implies an ethnographic interest. He wished to traveling around the world and depicting local people to »leave some evidence for scientific study of types of various races«.12 When Vos, who studied at the Académie Royale des Beaux-Arts in Brussels and was a member of the Royal Society of British Artists, first arrived in China in about 1899, he painted portraits of several Chinese ministers. Cixi saw one of these paintings after the artist had left the country and ordered the Ministry of Foreign Affairs to request that the Dutch ambassador should invite Vos, who was in the United States at that time, to come back to China to portray her.13 Vos painted two portraits of Cixi in 1905. The first portrait, showing the seventy years old Cixi as a much younger woman, is kept in the Summer Palace in Beijing |fig. 6|. In the painter’s diary, Vos mentioned that at the beginning he intended to finish this portrait in a realistic style, coming from his more objective background as painter of »ethnographic« portraits, but this idea was rejected by Cixi: »She looked at the painting, pointing to different parts and speaking. Wu Ting-fang translated for me, saying that the shadow around eyes must be deleted, the eyes should be enhanced, the mouth must be plump and upward, eyebrows must be straight, no shadow around the nose. In sum: NO shadow! No shadow! No shadow! No wrinkles either! ... (I redrew a new one and showed it to her.) The Empress said with a gesture that the eyes should be opened up a little and that the corner of eye should be more slim.«14 Due to Cixi’s interference, Vos could not realize his personal ideas in this portrait, but he still persisted. During the period he created portraits for Cixi, he continued to paint one for his private purposes with the techniques and aesthetics of oil painting, such as dealing with light and shadow |fig. 7|. The portrait was based on the realistic draft rejected by Cixi, as it represented more accurately her true figure. Secretly it was sent to France, where Vos had exhibited his painting at Paris Salon. Because of the empress’s demands, the two portraits finished by the same artist at the same time are quite different and reveal some of Cixi’s aesthetic criteria. Vos intended to depict the fortitude and merciful character of »the Goddess of four hundred million people« with realism and with respect.15 Thus, in the second painting, Cixi’s figure was set against a dark background and looks old, strong, masculine and authoritative, and »even the wrinkles are full of meaning«.16 However, Cixi did not recognize this expression: »She did not want herself to be painted as an old woman, but the Empress of China. For that reason, any traces of time passing by and sadness cannot be draw into the portrait. The entire composition was symbolic and allegorical. It was a historical memorial more than a portrait.«17 Cixi’s requirement for

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6  Hubert Vos: Portrait of the Empress Dowager Cixi, 1905, oil on canvas, 234 × 137 cm, Beijing, Summer Palace

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7  Hubert Vos: Portrait of the Empress Dowager Cixi, 1905 – 1906, oil on canvas, 169,6 × 123,2 cm, Cambridge, Harvard Art Museums, Fogg Museum

her portrait was not to express her strength, but to depict the feminine youth and beauty which were so essential to her imperial authority. Cixi’s requirements for portraiture reflected some changes in the process of Chinese modernization after being impacted by modern Western culture. Influenced by traditional Confucian concepts of etiquette, female images  –  especially the images of empresses and concubines in court paintings  –  must be entirely symbolic, not tainted by the depiction of real flesh and blood. The opposition of the symbolic Eastern concept to more sensual Western concepts is clearly expressed in Cixi’s portraits. Although she was influenced by the thought of female virtue in feudal culture, she had the absolute right and power to control the creation of her portraits. Therefore it was impossible that Cixi’s image hint at any sensual implications like in Western paintings, but the slight rendering of flesh and the construction of feminine character, which added some corporeal aspects to her portraits, were quite rare in Chinese feudal history. The new image of Cixi indeed satisfied the political requirements of domestic and diplomatic affairs.

Photography as propaganda for feminine politics At the same time when Katharine Carl created portraits for her, Cixi had another new preoccupation: she asked photographers to take pictures of her. In that period, photography was a rare novelty introduced from the West, but the empress accepted it quickly and was very attracted by it in her later years. According to the royal archive of Cixi’s portraits, 圣容账 (shèng róng zhàng), the earliest photos of her were taken for the celebration of her seventieth birthday in 1903. It is recorded that these photos could be divided into several categories and one of the pictures was printed more than one hundred times, and forty examples of Cixi’s photos survived in the collections of the Palace Museum. The function of photography is not only to represent figures, but also to convey complex and diverse social information. Cixi had some awareness of the influence of photography, so she constructed her figure with determined intentions. Her photos were all designed and ar-

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8  Yu Xunling: Portrait of the Empress Dowager Cixi, photography, colored, from L’Illustration, 20 June 1908

9  Yu Xunling: Portrait of the Empress Dowager Cixi, 1903 – 1904, photography, Beijing, Palace Museum

ranged with extraordinary detail: the composition, the environment, the expression and the posture. She cleverly utilized the new media as an important method to propagandize herself for political purposes. The largest numbers of Cixi’s photos are the single portraits standing or sitting in court costumes in front of diverse sets. These photos were the most satisfying ones selected by the empress herself. After amplification, coloring, mounting and other processes, they were hung in the palace or awarded to ministers during Cixi’s seventieth birthday celebration.18 One photo saved in the Nanchong archive was also from the same series and was inscribed with the English words »Empire daughter Tjihsi tai hao« (帝国女皇慈 禧太后), perhaps awarded to a foreigner (Nanchong, Sichuan Province Nanchong City Archives).19 In 1908, a colored photo of Cixi appeared in a French periodical |fig. 8|. So there is no doubt that for the empress, photography was a way of displaying and promoting her authority both inside and outside of China. Aside from the standard postures of sitting and standing, there were some special gestures Cixi used in photos to express her female characteristics. The most typical is the coquettish pose she adopted as she gazed into a mirror while placing a flower in her hair |fig. 9|. This

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10  Yu Xunling: Cixi with Sarah Pike Conger (to her left) and other ladies of the American legation, 1903 – 1904, photography, Beijing, Palace Museum

posture was understood as imitating Du Liniang, the protagonist of the Chinese drama 牡丹 亭 (The Peony Pavilion), who was considered as the ideal representation of beauty in traditional Chinese culture.20 It is uncertain whether the explanation is correct, but this uncommon gesture helped to construct an image of the empress as beautiful, feminine and ladylike. Even in another photo with her family, with the Empress sitting in the middle, she still used the posture deliberately (Beijing, Palace Museum). Taking photos was a part of politics in Cixi’s life. The pictures recorded some of her important moments, such as traveling outside the palace, interviewing imperial concubines and dealing with foreign affairs. A group portrait taken with Western ministers’ wives revealed the diplomatic policy through which Cixi was eager to rebuild good relations with the foreigners |fig. 10|. The empress held conversations with the ministers’s wives as early as 1899.21 One year later, Cixi was forced to escape from the Forbidden City due to the aggression of the foreign nations during the Boxer Rebellion. After 1902, when Cixi came back, she specially interviewed the ministers and arranged a special day to meet their wives and children.22 Such political measures resembled managing home affairs and had great feminine character; photography thus was part of the propaganda of Cixi’s feminine politics. Whether it was through painting or photography, during the process of achieving the orthodoxy of regency, Cixi had clear political requirements for her portraits: combining a sense

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of dignity and beauty to construct her authority. The expression of her figure must follow the traditional Confucianist guidelines on female virtue, however, Cixi’s portraits reflect her charm as a female ruler within these bounds. In the case of the imperial portraiture, pursuing and conveying a beautiful image did not weaken her power, but in fact helped to win her political support.

Construction of deity The suggestion of the divine adorns, created through Buddhist costume, adorns many of Cixi’s portraits, and even some of her photographs. A group of court paintings shows Cixi as Guanyin (观音), the Goddess of Mercy. In the pictures shot on the Zhonghai lake in the Imperial Garden, a piece of board on the table with the words »Putuo Mountain Goddess of Mercy«, relating to the famous Buddhist sanctuary of Guanyin, established clearly the relationship between Cixi and the Goddess (Beijing, Palace Museum). In another series of photos with Cixi dressed in Buddhist costume, the relationship was expressed more directly |fig. 11|. According to the archives of the Imperial Household Department, the Empress Dowager issued a programmatic directive for the photo shoot in 1903: »For the 16th day of the 7th month photo shoot on Zhonghai, prepare a boat that has no sail or roofing. Fourth daughter of Yikuang [Prime Minister of the Imperial Cabinet] shall dress up as Sudhana [an indian pilgrim seeking for Buddhist enlightement] in a Lotus costume and a Wu-Beng [a kind of trousers or long dress]. Li Lianying shall dress up as Skanda [guardian of the Dharma], perhaps with Skanda’s helmet and related paraphernalia. Deling [third daughter] and Rongling [fifth daughter] shall play punt fairies. They shall have the fisherman’s bonnets and wear the costume dresses of Bai Suzhen, who is a white snake that has taken on human form. Perhaps they should also have some paraphernalia, either red or green would work. Have the Garden Department prepare two paddles for the junk, and have San Shun who works at the Imperial Household Department prepare several bamboo rods with leaves. All items must be ready for my inspection on the 8th day of the 7th month.«23 From the costume to the paraphernalia, from the posture to the expression, Cixi strived to exactly mimic the Goddess of Mercy and her entourage. Then, based on the photos, she asked the court painters to create a line drawing for her portrait album.24 Explaining her decision to dress as the Goddess, Cixi remarked: »Whenever I have been angry, or worried over anything, by dressing up as the Goddess of Mercy it helps me to calm myself, and so play the part I represent. I can assure you that it does help me a great deal, as it makes me remember that I am looked upon as being all-

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merciful. By having a photograph taken of myself dressed in this costume, I shall be able to see myself as I ought to be at all times.«25 By identifying herself with the Goddess of Mercy, Cixi not only achieved greater peace and personal happiness, but also accomplished the political goal of employing religious symbolism to legitimize her reign. Cixi was not the only ruler in Chinese history to employ the image of the divine in such an artistic manner. As the first and only female emperor of China, Wu Zetian utilized Buddhist literature to maintain her regency; this was imitated by later empress consorts. In the Song dynasty, empress Liu (969 – 1033) concealed herself as a donor in the painting of an ideal Goddess to express that she is blessed by the Goddess for her virtue.26 Unlike the more metaphorical symbolism of previous rulers, Cixi emerged in the paintings and photos directly in the role of the Goddess, profoundly strengthening her authority. Following another court trend, Cixi also appeared in portraits dressed as Buddha, a common characteristic of emperor’s portraits. 11  Yu Xunling: The Empress Dowager Cixi in the guise of Guanyin, 1903, photography, Beijing, For example, in Yongzheng’s (1678 – 1 735) portraits, Palace Museum the emperor is dressed in odd costumes, playing a Lama, a Western noble, even an intellectual of the Han nationality, which was seriously forbidden in court. The portraits with different costumes represented the emperor’s aspirations for an ideal world. Cixi utilized this conceit continuously. In addition to expressing her aesthetic taste, the portrait was also a part of her political strategy. By sorting the portraits of Cixi into various life stages, one can clearly see how the conservatism of traditional Confucianism, the ostentation of supreme power and the invasion of Western culture influenced the empress and converted her image into a unique form of publicity for female-dominated politics in Chinese feudal society. When building her image, Cixi’s political ambition and personal will played a key role in determining and controlling the details as she tried to establish authority through a combination of female aesthetics and divinity. However, this image of Cixi is the opposite of how the traditional female image was depicted between the May Fourth Movement and the Socialist Revolution. During the revolution, women in imperial China were defined as the victims of class oppres-

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sion, objects of male gaze, watch and consumption. In order to overthrow the suppression and achieve »gender equality«, socialist feminists had initiated a »de-gendering« movement. However, the image of Cixi proved that female sexual characteristics are not synonymous with weakness. As holder of power of imperial China, instead of disguising her gender, Cixi chose to elaborate on female beauty to strengthen her status as »the motherly model of the nation«. Although Cixi’s great power and authority makes her a unique case, rather than a universal feminist phenomenon, her reign does demonstrate two important points, points neglected by social movements from the May Fourth to the Socialist Female Rights Movement: 1. Gender difference is not equivalent to class difference. Women can and do have access to power. When a female-dominated political regime was established, the Confucian culture managed to adjust itself to the new system. For example, the worship of maternity and divinity were strengthened to ensure the rightness of female rulers. 2. Gender symbols do not determine power relations. Even in a patriarchal society, Cixi did not have to disguise her gender when she seized the throne as a woman. Rather, she emphasized her pursuit of female aesthetics, and such expression can become a means of establishing authority, which expresses an opposite idea to the »de-gendering« of image expressed in the socialist female rights movement. Thus, power relations are not strictly determined by actual gender. Females can also rise to ultimate power. Female characteristics do not equal total »submission«. To Cixi, an image that emphasized female characteristics helped construct authority, rather than just suggesting submission or sexualization. A binary opposition of male versus female is too simplistic. In a sense, power itself is masculine; the oppressed one, whether it’s a person, class or nation, is feminine.27 Since Cixi had a nation to her command and occupied a »masculine« position, she did not have to suffer from any unfair treatment because of her actual gender, but underlined her feminine characteristics to underline her position.

Deconstruction of authority in posthumous films In politics, only winners have the right to speak, and such speeches profoundly influence a ruler’s image. When Cixi’s regime collapsed, her masculine political status was converted into suppressed »femininity«. Seen as a symbol of a defeated political regime, her image was mocked and attacked by her enemies. Her portraits, once used for expressing her aesthetics and authority, instantly became the laughingstock of her opponents. For example, the pictures embody the mockery directed towards Cixi by the Allied Army and by modern patriotic intellectuals |fig. 12|. Wu Fading painted his portrait of Cixi in 1919 and expressed in it an opposite idea of a motif given in a photo featuring the empress checking her reflection in the mirror |fig.  13|. In the painting, although Cixi’s gesture and expression are identical to those in the earlier photos, her divinity and elegance as empress are sabotaged by a monkey mimicking her body language on a throne. Even in a new era when many advocated for women’s rights, Cixi

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was not acknowledged for her achievements as a female power. The so-called new revolutionists and intellectuals claimed to be supporters of women’s rights; however, their attitude towards Cixi was full of sarcasm and irreverence. Such disrespect towards a woman, what we might call a psychological attack, epitomizes and perpetuates the patriarchal oppression. In the next part, the reshaping of the imperial portraiture by introducing film will be elaborated. With the help of plot and motion, editing and sound, film can achieve effects that are impossible in traditional graphical arts, creating more possibilities for shaping and judging characters. A film’s treatment of historical events, the historical characters played by actors and actresses, and the editing of footage all contribute to the subjective portrayal of history. Moreover, by watching motion pictures, the audience’s perception of history and characters are manipulated; historical films mirror the personal views of their creators, especially when they are used to publicize and advocate certain political ideologies. As a character in China’s historical movies, empress dowager Cixi can be found in film amidst different historical stages, among various cultural backgrounds, and representing diverse 12  Friedrich Erich Kleinhempel: Caricature different political purposes. Her image has been of the Empress Dowager Cixi, lithography (illustrated post card), from the series recreated and reshaped repeatedly, thus providing Der Krieg in China, c. 1900, private collection a perfect subject for research. The earliest film about Cixi was Zhu Shilin’s Sorrows of the Forbidden City of 1948, for which the Yong Hwa Film Company invested 80.000 HK Dollars. The company was the biggest private film enterprise in Hong Kong, and it achieved great success in Kuomintang China in the 1940s. Sorrows of the Forbidden City became the first film that the Communist regime forbid from screening in the New China. Twenty years later, Samuel Bronston Productions, a Western film company, produced Nicholas Ray’s 1963 film 55 Days at Peking. The film was set in China during 1900, but was shot in Spain. Although Chinese historians were consulted in the portrayal of Cixi, who was played by Flora Robson, a blond British actress.28 In the late 1960s, the Chinese Cultural Revolution broke out in the mainland and blocked the free creation of film. The development of film in Hong Kong was comparatively stable, and in the

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13  Wu Fading: Cixi, 1919, oil on canvas, 60 × 50 cm, 1919, private collection

1970s three films about Cixi were released there: Li Han-hsiang’s Empress Dowager (1975), his The Last Tempest (1976) and Chang Cheh’s Boxer Rebellion (1976). In the 1980s, ideological reform and changing policy brought the mainland greater freedom in literature and art. Six films concerning Cixi were made in this decade: Li Han-hsiang’s The Burning of the Imperial Palace (1983), his Reign Behind a Curtain (1983), Chen Jialin’s Tan Sitong (1984), Wang Xuexin’s Two Dowagers (1987), Bernardo Bertolucci’s The Last Emperor (1987), and Li Han-hsiang’s The Empress Dowager (1988). Except for Tan Sitong (1984), all films were co-productions with Hong Kong, Taiwan or foreign countries. Since the 1990s, the market economy has boomed in China and audience demand has sparked the proliferation of historically themed films and television shows. One can find Cixi’s figure appearing in many films, but only some of them could be called »serious creations«: such as Tian Zhuangzhuang’s Li Lianying  –  The Imperial Eunuch (1990), Bai Jingrui’s Forbidden Imperial Tales (1990) and Hu An’s Shadow Magic (1999). The latter film, a movie about the early history of Chinese

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films, depicts Cixi only briefly, although it contains a scene depicting the former ruler taking pictures in Buddhist costumes. Though Cixi is put in various contexts, all these modern movies have political standpoints antagonistic to the old regime she represented. In nearly all the films, she is portrayed as a villain. While the criticism of a political scheme is commonly extrapolated into criticism of certain historical figures, in Cixi’s case it is further exaggerated into a criticism of her image. The female aesthetics and divine authority constructed by Cixi through her portraits are dismissed or reviled, turned into a synonym of insanity and stupidity through the movies’ recreations. Deconstruction of authority is conducted through attacking gender characteristics. The constructive-deconstructive relationship between Cixi’s image in portraits and films will be analyzed from the following two perspectives: the reshaping of characters through the appearance and behaviors of the film actresses; and the narration and commenting of the portraits (or their duplicates) in the films. The female charisma and authority created by Cixi through portraits and photos have been undermined by different ideologies in the films, where attacks against her female aesthetics can be frequently observed. Since Cixi did not live to see the introduction of film cameras into her palace, all the characters are played by actresses. Acting is re-creation: as in any other historical movies, typecast actresses would be chosen to achieve image identification. For instance, nearly all the actresses in the films look identical to her photos or even portraits manipulated by Cixi, with some more feminine and some more masculine than the original. Despite this, some movies still hold negative views against her, while performances and camera languages based on such views turn out to be criticism of image aesthetics. Judging by all the characters in the movies, we can see some actresses playing young Cixi in a way that fits Katharine Carl’s description of the beautiful and vivid empress very well. Nevertheless, such beauty is no more than »skin deep«. As a result of the camera language, the audience sees lasciviousness, ruthlessness and cruelty instead of the elegance, femininity and decency Cixi had tried to convey through her portraits. To distort and sabotage the beauty of the empress in the films, actresses wear cruel and ferocious expressions to provoke the audience’s hatred. For example, these films always take close-ups of Cixi’s grin to show how sinister and cunning she was. However, in many of her photos, Cixi’s mouth is crooked to the left side, which makes the grin a more faithful rendition of historical fact. But the »grin« was in fact a symptom of ill health, rather than a result of unpleasant personality. According to royal medical records, in 1888, at the age of fifty-four, Cixi started to suffer from facial spasms, which became aggravated in 1902 when she was sixty-eight.29 Her medical record showed that the spasm in the left side of her face was serious enough to affect her eyesight. This condition was not alleviated until 1906. During the worst period, she took many photos and had lots of portraits painted, which proved to be faithful records of an aged patient. These images were studied by directors over and over again during the preparatory stages of making the movies. When a creator extracts such a feature from historical records and then highlights it in a film, he has fallen into »subjective misinterpretation«, a result of social and historical cognitive influence.30

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14  Flora Robson in the role of Cixi, from 55 Days at Peking, directed by Nicholas Ray, USA 1963

Another way to destroy aesthetics is to directly defile and demonize the image. The positive image Cixi established for herself was meant to serve political purposes. When such an image is completely denigrated in films, the authority behind the image is also sabotaged, something that frequently occurs in films depicting her final years. As Katharine Carl and Hubert Vos reflected, the seventy-year old woman was still in good shape, with an elegant demeanor, »full of love and pursuit of beauty«.31 Yet in the films, Cixi is mostly old, ugly and squeamish. Especially in The Last Emperor and 55 Days at Peking, both directed by Westerners, China is reimagined as a decadent empire, with Cixi a symbol of »feminized« Oriental culture that stands against the Western world.32 Nicholas Ray’s 55 Days at Peking tells a heroic fiction of a Westerner in China. As the leading villain of the story, Cixi is depicted as an evil, ruthless queen who loathes the West. Though actress Flora Robson tries her best to imitate Cixi through costume and makeup, Cixi appears as a harsh antagonist who does not smile once throughout the entire film |fig. 14|. At the end of the movie when China is defeated and Cixi has to flee west, she sadly wanders alone in the Hall of Golden Chimes dressed like a peasant. By crossing her arms and putting both hands in her sleeves, the actress shatters Cixi’s royal dignity with vulgar body language typical of lower social classes. In The Last Emperor directed by Bernardo Bertolucci, such political deterioration is even more exaggerated. Starring Lisa Lu Yan, the empress dowager only appears for four minutes in a scene where she passes her throne to Puyi, the Xuantong emperor (1906 – 1967) on her deathbed. Unlike the gorgeous, elegant empress covered with splendid jewels, Cixi in The

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Last Emperor is not very authoritative in the court. Bertolucci uses special lighting, camera positioning and motion to create a dark and ominous atmosphere, one in which Cixi is turned into a symbol of the doctrine of predestination.33 Compared to the insulting caricatures of the past, The Last Emperor seems to have inherited the Western world’s sense of sarcasm towards Cixi. As is mentioned above, in some of her photos, Cixi tried to imitate the Buddhist Goddess of Mercy, Guanyin, by replicating the deity’s clothes, expressions, body language, entourage and backdrop. In a country with numerous Buddhists and believers, Guanyin is the symbol of mercy, bringing salvation to the living and aiding the distressed. By comparing herself to Guanyin, Cixi tried to build a positive image as the predestined savior of her people. Moreover, by showing the photo and spreading its copies around the nation, her »divinity« was further emphasized. Some films mock such an endeavor and destroy the »holiness« Cixi’s portraits so carefully crafted. In The Empress Dowager, 1988, Cixi acting as Guanyin is not an integral part of the main story; instead, it is shown alongside the cast credits, in which Cixi seems to be having a great deal of fun, with little sense of the divinity accentuated in the portraits. Based on a real photo, Shadow Magic, filmed in 1999, recreates the whole process of Cixi »cosplaying« the Goddess of Mercy. To mirror the essence and authenticity of the blackand-white photo, the story was shot in color and converted into black-and-white. During the unfolding of the plot, the camera and camera man also appear in the scene, undermining the holy atmosphere Cixi intended to build. Such arrangements highlight the supposes hypocrisy of the »holiness« and turn the whole dramatic event into a satire for the audience. In general, the movie destroys the goddess-like composure and religious meaning created by Cixi, breaking the solemn atmosphere and subverting the intention of the original photo. While imitating the form of the original photo and establishing links with it by resorting to blackand-white images, both movies also accentuate the photo’s irony, albeit in different ways.

Reevaluation of the »filmed« portrait From the perspective of portraits, this essay explores the comments on characters in history. When it comes to Cixi, the direct introduction of static portraits into films bears a new meaning. When admiring actual portraits, audiences can move their eyes freely since no constraints are placed on the order of observation. However, the motion of the camera as it lingers on the portrait determines the order of audience’s observation, hence controlling the cognitive ordering of the picture in its parts and as a whole. The inclusion of a portrait into film means its integration into a context, which will be interpreted by the director of a film. The character is thus reevaluated: »Portrait gives up its authority to the camera man and producer.«34 Of all the films about Cixi, four employed oil paintings of hers, but with different functions. In The Empress Dowager and The Last Tempest, the paintings are actually portraits of

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the actresses. The main function of these portraits is to provide information on historical background or events (as in The Empress Dowager), or to replicate the setting when the portraits were painted or the photo was taken (as in The Last Tempest). It is fair to say that both movies regard the portraits as autonomous entities in the course of the stories. Another type of movie provides direct explanation for the portraits, and hence is more closely related to the question discussed in our essay. The Burning of the Imperial Palace and Two Dowagers deploy three portraits of the empress or their replicates to help introduce historical background or the life story of Cixi. Both the portraits and the explanations of their functions are important means of narrating and building characters. But the portraits, after being interpreted by motion pictures, serve to undermine the authority of Cixi, quite contrary to their original function. Portraits directly incorporated into the films thus become means of accentuating the director’s comments on the figure. While the motion picture manipulates how the audience is interpreting the figure, the off-screen voice shows the director’s comments on the figure directly. Li Han-hsiang’s The Burning of the Imperial Palace incorporates copies of two paintings by Hubert Vos. Compared with the original paintings, the copied versions highlight the fierceness of Cixi, and the movie elaborates on that through an off-screen voice |fig. 15|. As the camera moves, the face of the portrait is repeatedly interpreted in a pre-arranged order. The off-screen voice, accompanying the push, pull and shift of the camera, forces a negative impression upon the audience: »She seems solemn and noble«, the voice utters. »Her face suggests stunning beauty at young age«, the voice says. »Face contorted with anger«, the voice describes. Wang Xuexin’s Two Dowagers uses the portrait painted by Katharine Carl, which is now preserved in the Palace Museum. This film also presents the portrait with camera moving and merging the figure with the face of the actress Fang Shu who plays Cixi in this film by lap dissolves |fig. 16|. Combining frames, the off-screen voice renders against Cixi four harsh, negative judgments: »coquettish beauty«, »bloodthirsty demon«, »shrewd politician«, and »sinister dictator«. The aesthetics, holiness and authority established through her portrait are dissolved and destroyed by such comments. From the May Fourth Movement to the Socialist Reform, all the theories on female rights have placed emphasis on the oppressed position of women. When it came to Cixi, an historic figure of ultimate power, her gender did not win revolutionists’ acknowledgement or sympathy; instead, it was criticized and sneered at as evidence of political failure. To some extent, as a synonym of political power, what Cixi represented was not the »female« that needed to be rescued and acknowledged by revolution, but a variant of patriarchy. When the political regime crumbled, her image was fiercely attacked by revolutionary tendencies, turning her into the oppressed in the new power balance. In the new era, feminism and feminists dominated her just as patriarchy used to. To serve political interests, such political strategies were paradoxical. In conclusion, social status is determined by power rather than gender. Oppression exists between different power groups rather than different genders. The binary opposition

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15  Copy of the Hubert Vos’s portrait of Cixi, from The Burning of The Imperial Palace, directed by Li Han-hsiang, Hong Kong 1983

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16  Fang Shu in the role of Cixi and Katharine Carl’s portrait of Cixi, from Two Dowagers, directed by Wang Xuexin, China 1987

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between genders only exists because power manifests as »male», while the oppressed is »female«. This thesis endeavors to explain the following phenomenon: the construction and interpretation of image is driven by political pursuit, and when art becomes a means of political propaganda, it will undermine true history, no matter if it is painting, photography or historical film. What Cixi’s case reflects is the obstruction and misinterpretation of the status and self-consciousness of upper-class women in feudal society by revolutionary feminists from May Fourth to the Socialist Revolution. Unfortunately, similar practices still persist in today’s society.

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Author and editors would like to thank Brianne Felsher for her critical review of the English version of this essay. 1  Selections from Ching-ling Soong, Beijing 1966, quoted after Dorothy Ko: Teachers of the Inner Chambers. Women and Culture in Seventeenth-Century China, Stanford 1994, p. 2. 2  In the exhibition 自我画像:女性艺术在中国 (Self-Image. Woman Art in China) curated by Yao Daimei, Qi Peng and Teng Yuning, this clue of the development of Chinese female artists from 1920 – 2010 has been revealed; see Self-Image. Woman Art in China (ed. by Yao Daimei), exhibition catalogue, Art Museum of the Central Academy of Fine Arts, Beijing 2010. 3  See Lien-Sheng Yang: Female Rulers in Imperial China, in: Harvard Journal of Asiatic Studies 23/1960 – 1961, pp. 47 – 61. 4  See Boda Yang: The Development of the Ch’ien-lung Painting Academy, in: Alfreda Murck and Wen C. Fong (eds.): Words and Images. Chinese Poetry, Calligraphy, and Painting, Princeton 1991, pp. 333 – 356, p. 335. 5  See Wu Hung: The Double Screen. Medium and Representation in Chinese Painting, London 1996; Chinese edition (transl. by Wen Dan), Shanghai 2009, p. 187. 6  Ibid., p. 184. 7  Ibid., p. 182. 8  See David Hogge: Piety and Power. The Theatrical Images of Empress Dowager Cixi, in: Trans Asia Photography Review II – 1/2011 (online). 9  See Katharine A. Carl: With the Empress Dowager, New York 1905; Chinese edition: 慈禧写照记, Shanghai 1915. 10  Sarah Pike Conger: Letters from China. With Particular Reference to the Empress Dowager and the Women of China, London 1909, pp. 271. 11  Carl 1905, pp. 19 f. 12  Letter by Hubert Vos to his friend Curtis, 24 June 1899, in: Luke S. K. Kwong: 慈禧写照的续笔:华士· 胡博 (After Painting Portraits for Cixi: Hubert Vos), in: 故宮博物院院刊 (Palace Museum Journal) 1/2000, pp. 71 – 81, p. 73. 13  See ibid., p. 73. 14  Quoted after ibid., p. 79. 15  Quoted after ibid., p. 78. 16  Ibid. 17  Letter by Hubert Vos to an unknown recipient, 18 August 1905, ibid., p. 74. 18  See Jing Lin: 慈禧摄影史话 (The History of Cixi’s Photographs), in: 故宮博物院院刊 (Palace Museum Journal) 3/1988, pp. 82 – 89.

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19  See Ping Zuo and Lingfan Kong: 保存在档案馆的慈禧御照 (Cixi’s Photographs which are preserved in Nanchong City Archives), in: 四川档案 (Sichuan Archives) 5/2004, pp. 8 – 9. 20  See Hogge 2011: »Perhaps the most enduring yet enigmatic of Cixi’s photographic portraits is the coquettish standing pose as she gazes into a mirror while placing a flower in her hair. Standard interpretation suggests that she is somehow reliving her youth, when her beauty caught the eye of an emperor. A more convincing interpretation, however may be found in her enduring love of theater. In an early scene in the Ming dynasty play The Peony Pavilion (牡丹亭) the heroine Du Liniang gazes into a mirror as her attendant places a flower in her hair before descending to the garden where she receives a vision of her future lover. Images and sequences of the scene from the Kunqu (traditional opera) version of Peony Pavilion 1 are strikingly similar in pose.« 21  See Pike Conger 1909, p. 217. 22  See ibid., p. 217: »She [Cixi] said: I regret, and grieve over the late troubles. It was a grave mistake, and China will hereafter be a friend of foreigners. No such affair will again happen. China will protect the foreigner, and we hope to be friends in the future.« 23  See Beisi Liu: 实说慈禧 (The Empress Cixi), Beijing 2002, pp. 197 – 205. 24  See Jie Yuan: 妙相庄严入画图 (Miao Xiang Zhuang Yan in Painting), in: 紫禁城 (Forbidden City) 1/1995, pp. 37 – 38. 25  Princess Der Ling: Two Years in the Forbidden City, New York 1911, p. 225; Chinese edition: 清宫二年 记, in: 慈禧与我 (Cixi and me), Shenyang 1994, pp. 195 – 363. 26  See Hui-shu Lee: The Making of a New Paradigm. Empress Liu 969 – 1033 and the Sage-Mother Cult, in: Conference on Founding Paradigms Papers on the Art and Culture of the Northern Sung Dynasty, National Palace Museum, Taipei 2008, pp. 413 – 4 45. 27  See Rey Chow: Woman and Chinese modernity. The Politics of Reading Between West and East, Minneapolis 1991; Chinese edition (transl. by Qingsong Cai): 妇女与中国现代性——西方与东方之间的 阅读政治, Shanghai 2008. 28  See Dennis Stock: 高鼻子的慈禧太后 (A Cixi with Western Nose), in: 领导文萃 (Ling Dao Wen Cui) 2/2006, p. 102. 29  See Weiming Kong: 患面疾亦不忘养颜的慈禧 (The Disease of Cixi’s Face), in: 北京档案 (Beijing Archive) 10/2005, pp. 48 – 49. 30  See Lao Zhu (Zhu Qingsheng): 将军门神起源研究:论误解与成形 (The Origin of General Gate-God. Misinterpretation and Forming), Beijing 1998; see also Roland Barthes: La chambre claire. Note sur la photographie, Paris 1980; Chinese edition (transl. by Zhao Kefei): 明室, Beijing 2003, p. 55. 31  See Kwong 2000, p. 78. 32  Chow 2008, p. 49. 33  Some of Bernardo Bertolucci’s thoughts about The Last Emperor could be seen through an interview with him: Back from China, in: Interviews (ed. by Fabien Gerard, T. Jefferson Kline and Bruce Sklarew), Jackson 2002, pp. 188 – 199. 34  John Berger: Ways of Seeing, London 1972; Chinese edition (transl. by Dai Xingyue): 观看之道, Guilin 2005, p. 23.

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ALLEGORY OF GOVERNMENT Das Porträt im Werk von Clegg & Guttmann N I N A K A L E N B AC H

Entrückt, erhoben und edel Die Fotografie mit dem Titel Allegory of Government zeigt einen akkurat gekleideten Mann mittleren Alters |Abb. 1|. Er trägt einen dunkelblauen Anzug mit weißem Hemd und Kra­watte und steht aufrecht in der Nische einer holzvertäfelten Wand. Auf einem Beistelltisch zu seiner Rechten zieht eine Schale mit rot-grünen Äpfeln den Blick auf sich. Die Autoren des 2011 entstandenen Bildnisses, das Künstlerduo Clegg & Guttmann, bestehend aus Michael Clegg und Martin Guttmann, haben den Ausschnitt ihrer Fotografie derart gewählt, dass der Mann nahezu als Ganzfigur zentral im Bild und nur wenig aus der Mittelachse nach rechts gerückt zu sehen ist. Die ihn einrahmende Wandnische stößt dabei fast an den Bildrand. Mit seinen vor dem Rumpf übereinandergelegten Händen ist der Mann dem Betrachter frontal zugewandt, sein Antlitz im Dreiviertelprofil präsentierend. Er schaut an dem Betrachter vorbei, sein Blick scheint einen in weiter Entfernung liegenden Punkt zu fixieren. Das wissende Publikum erkennt in dem Dargestellten Klaus Wowereit, von 2001 bis 2014 Regierender Bürgermeister Berlins. Die lebensgroße Fotografie wurde erstmals im Rahmen der Ausstellung Based in Berlin im Sommer 2011 in der deutschen Hauptstadt gezeigt. Der Künstlerprojektraum After the Butcher war zur Teilnahme an der Ausstellung eingeladen und hatte das Porträt Wowereits bei Clegg & Guttmann in Auftrag gegeben, um es anschließend in den Räumlichkeiten der

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Kunst-Werke, KW Institute for Contemporary Art, auszustellen.1 Auftragsarbeiten wie diese zu fertigen, ist in der künstlerischen Arbeit von Clegg & Guttmann eine Praxis, die als commissioned portraits (accepted und rejected commissions), neben fictional portraits, collaborative portraits sowie corporate landscapes, eine eigene Werkgruppe im fotografischen Œuvre des Künstlerduos bildet.2 Beim Betrachten des überwiegend dunkel gestalteten Bildnisses wird der Blick durch die kontrastreichen Licht- und Schattenverhältnisse im Bildraum sowie wenige farbige Elemente auf Kopf und Hände gelenkt. Diese wirken durch das rötliche Inkarnat im Kontrast zu dem kühlen Dunkelblau und Weiß der Textilien besonders plastisch und werden zudem durch den grellweiß ausgeleuchteten Stoff von Hemdkragen und Manschetten deutlich von dem dunkelblauen Einreiher abgesetzt. Der Anzug erhält im Gegensatz dazu durch die akzentuierte Beleuchtung sowie durch seinen glatt fallenden Stoff eine fast zweidimensionale Wirkung. Beleuchtet wird die Szenerie schlaglichtartig von rechts vorn, so dass starke Schatten entstehen. Durch den Schatten des Mannes in der linken Ecke der Nische sowie die verschatteten Bereiche auf dem Türsturz und auf der rechten Hälfte der Laibung entsteht perspektivische Tiefe. Der Übergangsbereich von Wand und Boden bleibt durch die fokussierte Ausleuchtung im Dunkeln und der untere Bildabschnitt, in den auch die Enden der dunklen Anzughosen münden, wird zu einer nahezu schwarzen Fläche. Die Stelle, auf der die Füße Wowereits auf dem Fußboden stehen müssten, liegt außerhalb des Bildausschnitts. So wird der untere Bereich der Fotografie zu einem unbestimmbaren Bildraum und korrespondiert sowohl mit den verschatteten Flächen innerhalb der Nische als auch mit dem nur wenig Umraum zeigenden Bildausschnitt. Die Abwesenheit eines Verweises auf einen konkreten architektonischen Raum oder einen konkreten Anlass der Aufnahme verleiht der Darstellung einen ungeklärten und ortlosen Charakter. Die im Bild eingesetzten Kompositionsmittel wie der Kalt-Warm-Kontrast und die gegensätzliche Darstellungsart von Physiognomie (plastisch) und Bekleidung (flächig) sind tradierte bildnerische Mittel der Porträtgestaltung, mit denen die Abgebildeten als entrückt, erhoben und edel (im Sinne der Standesordnung sowie des Charakters) ins Bild gesetzt werden.3 Auch der Beistelltisch mit den Äpfeln und die Nische in der holzvertäfelten Wand exponieren den Dargestellten in seiner Umgebung. Der Einsatz von Kleidung, Mobiliar, Körperhaltung, Gesten, Styling sowie Lichtregie vermittelt auf den ersten Blick den Eindruck, es handle sich um ein repräsentatives Bildnis, das den Mann in ein angemessenes oder aufwertendes Licht rückt. Obwohl mit Klaus Wowereit ein Zeitgenosse porträtiert wurde und die Architektur der Nischen und die Kleidung ebenso zeitgenössisch sind, wirkt die Bildkomposition eher einem barocken Gemälde entliehen. Mit den vielen dunklen Bildstellen und dem Spiel von Licht und Schatten liegt es näher am tenebroso Caravaggios oder der Malerei Rembrandts, als dass es Ähnlichkeit zu denjenigen Politikerbildnissen aufweist, die wir heute aus der Medienwelt oder von offiziellen Kanzlerporträts kennen.4 Spätestens der Titel Allegory of Government verdeutlicht, dass diese Fotografie mehr als ein Porträt Klaus Wowereits ist. Als Allegorie, als Darstellung abstrakter Sinnzusammen-

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1  Clegg & Guttmann: Allegory of Government, 2011, C-Print auf Dibond hinter Plexiglas auf MDF-Rahmen, 210 × 176 cm, Berlin, Galerie Christian Nagel

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hänge im figürlich-gegenständlichen Bild, ist ihr ein verweisender Charakter immanent.5 Weist der Titel das Bild als eine Allegorie aus, dann schließt sich die Frage an, was für ein generelles Bild von Regierung hier dargestellt ist; im Rahmen der Präsentation der Allegory of Government in der Berliner Ausstellung von 2011 ist aber auch die Frage interessant, welches kon­krete Regierungsbild Wowereits als Regent im Besonderen angeboten wird. Klaus Wowereit als Bürgermeister, Kultursenator und Schirmherr der Ausstellung Based in Berlin wurde bereits im Vorfeld der Ausstellung von verschiedenen Kulturschaffenden kritisiert. Aufgrund der Diskussionen darüber in den Medien ist auch die Rolle des individuellen Politikers Wowereit in der Fotografie interessant. Zur Erörterung dieser Fragen und Aspekte werden im Folgenden Vergleiche zu verschiedenen Repräsentationsporträts und Medienbildern Wowereits unternommen.

Repräsentationsporträt oder individuelles Porträt? Die Bildmittel, wie die Anlehnung an die Ganzfigur und das lebensgroße Format, folgen der Grammatik des klassischen Repräsentationsporträts, besonders des höfischen Porträts, zu dem Brita von Götz-Mohr schreibt, es sei »eine Darstellung, die vor die Persönlichkeit, die Individualität eines Menschen, seinen Rang, seinen Status in den Vordergrund stellt«.6 Das Augenmerk solcher Porträts richtet sich folglich nicht auf die individuelle Persönlichkeit, sondern auf signifikante Bildelemente, wie Haltung, Kleidung und Beiwerk, die den beruflichen Rang oder sozialen Status der Person kennzeichnen. Der Eindruck, es handle sich bei Allegory of Government um ein auf Repräsentation abzielendes Porträt, ließ sich auch aus Rezensionen zur Ausstellung Based in Berlin vernehmen, wo die Darstellung als »majestätisch« bezeichnet wurde.7 Damit wurde die Wirkung sowohl der Fotografie als auch die ihrer Präsentationsart in der Ausstellung passend beschrieben. Nachdem der Besucher die unteren Etagen des ehemaligen Fabrikgebäudes der Kunst-Werke mit der Gruppenschau der anderen Ausstellungsteilnehmer passiert hatte, gelangte er nämlich im dritten Obergeschoss des Gebäudes in einen weitläufig geschnittenen Raum, die Ausstellungsfläche des Künstlerprojekts After the Butcher: Die Fotografie von Clegg & Guttmann war in diesem etwa 250 Quadratmeter großen, weiß gestrichenen Saal das einzige permanente Exponat.8 Der hochglänzende, farbbrillante C-Print auf Dibond hinter Plexiglas war an der dem Eingang weit entfernten Stirnwand mit seiner Unterkante etwa 40 Zentimeter über dem Boden montiert und bot sich dem Betrachter aus einer leichten Untersicht an. Einem Thron im Königssaal gleich war das Porträt das zentrale Ziel im Raum, zu dem sich der Besucher erst hinbegeben musste, ähnlich wie bei einer Audienz. Im Effekt vergleichbar mit der Rahmung eines Throns durch eine Apside war der lebensgroße Abzug auf einen vier Zentimeter starken Rahmen aus MDF aufgebracht, der bündig mit dem Bild abschloss und die Fotografie deutlich von der Wand abhob. Die zweidimensionale Fotografie wurde, wie es für die Fotoarbeiten von Clegg & Guttmann typisch ist, auf

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diese Weise mit einem massiv wirkenden Volumen versehen. Diese Körperlichkeit des Bildträgers unterstrich die Präsenz des Porträtierten zusätzlich. Wowereit wurde derart nicht nur durch die von Clegg & Guttmann adaptierte Porträtformel der lebensgroßen Ganzfigur als stellvertretendes Bild des Herrschers in das Setting eines traditionellen höfischen Repräsentationsporträts gesetzt, sondern die Fotografie wurde auch im Raum entsprechend ihrer stellvertretenden Funktion präsentiert.9 Neben den offensichtlichen Anleihen aus den Bildformeln des Repräsentationsporträts gibt es in der Fotoarbeit von Clegg & Guttmann allerdings Brüche und Verschiebungen im Vergleich zur Darstellungstradition. Besonders im Hinblick auf den Titel ist auffallend, dass in der Fotografie keine Attribute von der Aussagekraft aristokratischer Insignien (Krone, Zepter, Reichsapfel), kein Verweis auf die Ämter des Klaus Wowereit als Bürgermeister (Bürgermeisterkette, Stadtwappen) oder Kultursenator auszumachen sind. Lediglich die rot-weißroten Streifen der Krawatte lassen einen dezenten Bezug zur Landesflagge Berlins zu. Und auch die Äpfel auf dem Beistelltisch können wohl kaum als Verweis auf den Reichsapfel als Herrschaftszeichen verstanden werden. Aber auch ohne eine Bürgermeisterkette als eindeutiges Amtsattribut im Bild zu zeigen, ließen sich Ehrenzeichen oder Or- 2  Max Liebermann: Bürgermeister Carl Friedrich Petersen, 1891, Öl auf Leinwand, 206 × 119 cm, nat als Hinweis auf das hohe Amt vorstellen, wie Hamburger Kunsthalle es zum Beispiel Max Liebermanns ganzfiguriges Porträt des Hamburger Bürgermeisters Carl Friedrich Petersen aus dem Jahr 1891 vor Augen führt, das ihn in die so genannte »spanische Tracht« gekleidet präsentiert |Abb. 2|. Die für die damalige Zeit bereits ungewöhnliche und ursprünglich barocke Mode war die Amtstracht der Mitglieder des Hamburger Senats, so dass der Dargestellte als Mitglied dieser Gruppe identifiziert werden kann. Mit dem nur wenig vom beigefarbenen Ton des Vorhangs hervortretenden Stadtwappen in der oberen rechten Ecke des Gemäldes wird seine Zugehörigkeit zur Stadt Hamburg unmissverständlich ausgedrückt. Clegg & Guttmann nehmen mit dem grellweißen Hemdkragen, der wie eine Grenzmarkierung zwischen Individuum und Amt trennt, die gleiche Porträtformel aus Amtsbildnissen

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auf, die auch in Liebermanns Bildnis maßgeblich ist. Allerdings gibt das Beiwerk in ihrer Allegory of Government keine konkrete Auskunft über Amt, Rang oder Charaktereigenschaften des fotografierten Mannes. In den Vordergrund tritt die Attributlosigkeit des Dargestellten, die so zu seinem Attribut wird. Als mögliche bedeutungstragende Objekte des Bildinterieurs verbleiben die wenig aussagekräftigen Elemente der Wandnische, die Schatten, die Lichtreflexion, das kleine Schlüsselloch und die Schale mit den Äpfeln, die noch am ehesten an tradierte Herrscherinsignien erinnern können. Die Inkohärenz zwischen der repräsentativen Darstellungsart und der tatsächlichen Ausgestaltung erweckt den Eindruck, das Bild zeige einen namenlosen, universalen Repräsentanten, den Typus des Machtträgers schlechthin. Auch wenn hier ein individuelles Antlitz fotografiert wurde und der informierte Betrachter Klaus Wowereit erkennt, ist es durch das Bildsetting, das durch die Komposition von Interieur, Haltung, Gestik und Beleuchtung wie ein Schema wirkt, austauschbar und könnte auch mit einem anderen Modell als repräsentatives Personenbildnis überzeugen. Gesichter einflussreicher Machthaber der westlichen Welt, sei es aus den Bereichen Politik und Wirtschaft oder aus einem anderen institutionellen Kontext, ließen sich leicht in die Inszenierung dieses Porträts einfügen. Obwohl das Künstlerduo real existierende Menschen porträtiert und diese als Personen des öffentlichen Interesses je nach Bekanntheitsgrad und Ausstellungskontext wiedererkennbar sind, verraten die Titel ihrer Arbeiten in der Regel nicht den Namen der fotografierten Person.10 Mit der Benennung des Bildes als »Allegorie der Regierung« wird der visuell evozierte Eindruck, dass in der Fotografie ein mit unterschiedlichen Individuen besetzbarer Universalrepräsentant dargestellt ist, auch sprachlich formuliert. Anstelle des Abbildes eines bestimmten Repräsentanten kann mit dieser sprachlichen Setzung dem Betrachter vielmehr eine sinnbildliche Darstellung des abstrakten Begriffs »Regierung« vorgeführt werden.11 Wobei das allegorische Prinzip der Personifizierung mit dem Individuum Klaus Wowereit eingelöst wird, da er in seinem Amt als Regierender Bürgermeister Berlins ja das Regierungsoberhaupt ist, und damit zumindest die Regierung Berlins mit ihm personifiziert werden kann. Die Fotografie ermöglicht somit mehrere Lesarten, von denen hier zwei aufgegriffen werden sollen: Zunächst ergibt sich das Bildnis eines scheinbar anonymen Mannes, das durch die bildinszenatorischen Mittel glaubhaft macht, es handle sich um ein Repräsentationsporträt. Und ob der Betrachter nun den Titel kennt oder nicht, die Fotografie kann durch die deutlich sichtbare Adaption der Bildnistradition des Repräsentationsporträts Fragen nach den Codes der Repräsentation von Macht oder nach dem Erscheinungsbild des Typus des Machtinhabers aufwerfen. Mit dem Erkennen Klaus Wowereits entsteht hingegen eine weitere Lesart: In Kombination mit dem Titel der Arbeit wird ein anderer Bezugsrahmen angeboten, und die Frage, in welcher Art und Weise der individuelle Politiker Wowereit das Konzept »Regierung« verkörpert, kann in den Vordergrund treten. Mit dem Wissen um die Tatsache, dass Kommunalpolitiker in der heutigen Zeit ihr Image besonders in Zusammenhang mit »dramatischen« Einsätzen außerhalb der Amtsstube prägen, wie Georg Syamken konstatiert, wirkt das würdevolle, ja, steife Setting der Fotografie in seiner nahezu barocken Herrschafts-

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bildnismanier besonders ungewohnt für das Bild eines Landesministers der Gegenwart.12 Zu erwarten wäre demnach eher die Selbstinszenierung von Politikern »in Aktion«, wie Michael Diers formuliert, beispielsweise im Rahmen politisch wichtiger Handlungen, bedeutenden Vertragsabschlüssen oder der Bewältigung von Katastrophen.13

»Allegory of Government« als Bild von Regierung Widmet man sich dem von Clegg & Guttmann gezeichneten Bild eines kommunalen Regenten oder von Regierung ganz allgemein, dann fällt auf, dass die Aktionslosigkeit Wowereits und der nicht sichtbare Anlass der Fotografie keineswegs nur von der Darstellungstradition eines Kommunalpolitikers abweichen, sondern auch von anderen Bildformen, die das Konzept von Regierung für gewöhnlich visualisieren. Wolfgang Schild zeigt, dass die Darstellung von Herrschern oft an die Kombination der Porträts mit Ikonografien der Gerechtigkeit gebunden ist, die in den Bildern als »Qualität des dargestellten Individuums« zum Ausdruck kommt.14 Die Aufgabe eines Herrscherbildnisses, den »doppelten Leib« des Herrschers (Ernst H. Kantorowicz) darzustellen, wird dabei durch die »Spannung von Identität und Nichtidentität zum realen Aussehen des dargestellten Individuums« gestiftet.15 In Ambrogio Lorenzettis Sieneser Allegorie der Guten und Schlechten Regierung von 1337 – 1339 wird die Herrschaft der Stadt durch einen alten Mann personifiziert, dem die weibliche Figur der Gerechtigkeit an die Seite gestellt ist |Abb. 3|.16 Das Bild der Einheit von Herrschaft und Gerechtigkeit in der Figur des Thron-Paares, welches von (göttlicher) Weisheit und Liebe geleitet wird, repräsentiert gemeinsam mit dem übrigen Bildprogramm die gute, auf das Allgemeinwohl bedachte Staatsführung. Ist die Gerechtigkeit in diesem Bildprogramm als Personifikation anwesend, so ist sie andererseits beispielsweise in Hyacinthe Rigauds Bildnis Ludwig XIV. von 1701 (Paris, Musée du Louvre) als Symbol eingesetzt: »Als ein totes und steinernes Relief an der Säule« hinter dem Monarchen, wie Wolfgang Schild schreibt, ist Justitia als »Requisit […] selbstverständlicher Bestandteil des Herrschertums« und »zugleich ist Gerechtigkeit zur Säule des Staates geworden.«17 Spätestens vor dem Hintergrund solcher Bilder wird deutlich, dass die Allegory of Government kaum etwas über die Gestaltung von Gemeinwesen oder Herrschaft im tradierten Sinne vermittelt. Auf klassische Regalien kann in der Fotografie am ehesten noch die Schale mit den Äpfeln auf dem Beistelltisch verweisen. Doch die Ähnlichkeit zu einer alltäglichen Obstschale und ihre Platzierung außerhalb der Reichweite Wowereits lassen die Früchte im Bildzusammenhang einer »Allegorie der Regierung« eher wie eine ironische Beigabe wirken. Obwohl die einzelnen Äpfel gut ausgeleuchtet und Lichtreflexionen auf ihnen wie auch auf dem Fuß der Glasschale zu sehen sind, ist das Arrangement in einem narrativen Sinne sowohl als Ausstattung eines Bürgermeisterporträts als auch einer »Allegorie der Regierung« kaum sinnstiftend. Hingegen ist die Art und Weise, wie die Bildelemente zueinander in Beziehung gesetzt werden, hilfreich für ein Verständnis der Arbeit: Das Stilleben sieht aus wie das gemalte Ideal

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3  Ambrogio Lorenzetti: Allegorie der Guten und Schlechten Regierung, 1337 – 1340, Fresko, Ausschnitt (»Die Gute Regierung«), Siena, Palazzo Pubblico, Sala dei Nove

einer Schale mit Äpfeln. Weil es aber fotografiert wurde, tritt die Machart an sich in den Vordergrund und verdeutlicht vielmehr die Versiertheit der Urheber im Umgang mit ihrem Medium, der Fotografie, als dass es den Dargestellten attributiv beschreiben könnte. Auf das Medium der Fotografie verweist auch die Reflexion einer Fotolampe am rechten Bildrand und führt so dem Betrachter die Aufnahmesituation vor Augen. Der Umstand, dass Fotografien inszeniert werden, wie andere Bilder auch, und nicht einen bloßen Daseinszustand dokumentieren, wird so zu einem Thema dieser Fotografie. Auf der Suche nach einer Konkretisierung dessen, was mit diesem Bild über Klaus Wowereit und dessen Regierungsauffassung ausgesagt werden könnte, bliebe dem Betrachter daher allein die architektonische Umgebung der Aufnahme. In der holzvertäfelten Wand hinter dem Abgebildeten befindet sich die Nische, die durch die verschatteten Flächen nicht bestimmbar ist. Wir sehen kein Amtszimmer hinter einer Tür, keine Ländereien, nicht die Skyline einer Stadt und auch nicht das Logo eines Konzerns. Auch wenn die Wandnische als rahmende Architektur den Dargestellten hervorhebt, verweist dieses Motiv ebenfalls nicht auf einen konkreteren Regierungsbereich, der die Person beziehungsweise ihre Regierungsauffassung näher beschreiben und charakterisieren könnte. Kaum ein Betrachter wird anhand der Wandvertäfelung erkennen, dass das Bild im Berliner Roten Rathaus aufgenommen wurde. Ein Politikerbildnis vor dem Regierungssitz dagegen wäre eine bekannte Bildformel, wie zum Beispiel einige offizielle Porträts französischer Staatspräsidenten zeigen, die den jeweiligen Politiker, aufgenommen im Garten des Palais de l’Elysée, durch die attributive Kombination mit seinem Amtssitz charakterisieren.18

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4  Rainer Jensen: Altkanzler Gerhard Schröder und Bundeskanzlerin Angela Merkel vor der »Altkanzlergalerie« im Berliner Kanzleramt (mit Gemälden von Jörg Immendorff, Albrecht Gehse und Bernhard Heisig), 2007, Fotografie, Ausschnitt, Berlin, Deutsche Presse-Agentur

Schaut man sich unter dem Aspekt des Repräsentationsporträts unter den heute in Deutschland bei Künstlern in Auftrag gegebenen offiziellen Politikerbildnissen um, wie etwa den Bürgermeisterporträts für das Empfangszimmer des Hamburger Rathauses oder den Porträts in der Altkanzlergalerie im Bundeskanzleramt |Abb. 4|, dann fällt auf, dass dort ein anderer Bildtypus vorherrschend ist als derjenige, den die Allegory of Government präsentiert. Zum einen werden dort keine Ganzfiguren, sondern maximal Halbfiguren oder sitzende Kniestücke gewählt; zum anderen handelt es sich bei diesen Bildnissen um  –  offenbar als höherwertig angesehene  –  Gemälde und nicht um Fotografien. In Deutschland ist das offizielle, während der Amtszeit geltende fotografische Kanzlerporträt seit Konrad Adenauer fest an das Bildmotiv des Politikers hinter dem Schreibtisch gebunden. Dieses Sujet dient als Ausdrucksformel des bundesrepublikanischen Selbstverständnisses und will vermitteln, wie Frank Padberg konstatiert, dass im Arbeitsalltag der Regierung keine Audienzen abgehalten werden, sondern dass die demokratischen Kanzler als »erste Diener des Staates« für ihr Volk arbeiten.19 Dass Clegg & Guttmann mit der Allegory of Government vom offiziellen Politikerbildnis in Deutschland abweichen, zeigt sich vor diesem Hintergrund daher nicht nur in der an das höfische Staatsporträt angelehnten Porträtweise, sondern auch in der Wahl, Wowereit lebensgroß und beinahe ganzfigurig im Medium der Fotografie darzustellen.

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5  Oliver Helbig: Klaus Wowereit, Online-Pressebild, 2011, Fotografie, Düsseldorf u. Berlin, Agentur Butter

Vergegenwärtigt man sich die Bilder, mit denen Klaus Wowereit in den Medien in Erscheinung tritt, wird die Abweichung von Allegory of Government vom gewöhnlichen Darstellungsmodus noch klarer. Das ernsthafte, steife und distanzierte Bild, das Clegg & Guttmann von Wowereit anfertigten, steht im Widerspruch zu seinem öffentlichen Image.20 Die zeitgenössischen Bilder in den Medien und die Eigendarstellung auf der offiziellen Website des Berliner Bürgermeisters suggerieren einen legeren, menschlich-nahbaren Politiker. Unter den vier offiziellen Pressebildern, die zu Beginn des Wahlkampfes 2011 entstanden und sämtlich als Brust- oder Schulterbildnisse ausgeführt wurden, befindet sich eine Darstellung, die einen freundlich lächelnden Politiker auf der Straße zeigt, sowie eine Momentauf­nahme, auf der Wowereit vor einer Menschenmenge steht und Autogramme an Kinder verteilt |Abb.  5 – 6|. Beide charakterisieren den sozialdemokratischen Regierungsvertreter der Stadt Berlin und einen der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der SPD als zugänglich und damit volksnah. Michael Diers schreibt, Politik sei »vor allem ein Metier des gesprochenen oder geschriebenen Wortes« und das Halten von Reden eine wichtige Form politischen Handelns.21 Eine Darstellung im Kontext von Debatten, Beratungen und Interviews oder während der Beschäftigung mit Akten, Briefen und Abkommen, um nur einige der Tätigkeitsfelder des politischen Alltags zu nennen, wurde mit den offiziellen Kanzlerbildnissen am Schreibtisch seit der Bonner Republik in den Vordergrund gestellt. Eine solche Inszenierung bleibt in den Eigenbildern Wowereits aus. Sie zeigen ein jüngeres Politikerimage eines agieren-

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6  Oliver Helbig: Klaus Wowereit, Online-Pressebild, 2011, Fotografie, Düsseldorf u. Berlin, Agentur Butter

den, volksnahen Politikers, eine Reaktion auf »die Ära des Bildes und das Regiment der Bildmedien«.22 Die in der Fotografie von Clegg & Guttmann fehlenden bildimmanenten Referenzen auf die politische Funktion des Dargestellten oder eine Charakterisierung seiner Amtsausübung werden durch das Zusammenspiel von der Bekanntheit Wowereits, dem Titel der Arbeit, der Präsentationsart in der Ausstellung Based in Berlin und dem Entstehungskontext der Arbeit gerade für die dort inszenierte Selbstdarstellung der Stadt ersetzt. Als Regierender Bürgermeister personifiziert Klaus Wowereit mit seiner Person die Landesregierung, und selbst wenn der Betrachter den Politiker nicht erkennen sollte, realisiert er dennoch, dass die Fotografie eine Person zeigt, die eine Machtposition ausübt, und mag es befremdlich finden, dass der Regierungsvertreter nicht mit dem Betrachter kommuniziert. So liefert die Fotografie keinerlei Hinweise auf die Regierungsauffassung des Dargestellten, wie man es sonst von einem Herrscherbild erwarten könnte: Das Bild des kommunikationslosen Mannes als Sinnbild von Regierung erhält einen deutlich kritischen Akzent. Die Fotografie von Clegg & Guttmann im Kontext der Ausstellung Based in Berlin bietet eine Interpretation Klaus Wowereits in der Rolle einer »Allegorie der Regierung« und seiner Amtsführung als Berliner Bürgermeister. Sie kann durch die Einbindung der kontextbezogenen Bedingungen und die Präsentationsweise der Arbeit durchaus auch als ein Porträt des individuellen Politikers Klaus Wowereit aufgefasst werden. Durch die eingangs geschil­ derte inner- wie außerbildliche Analogie des stellvertretenden Repräsentationsporträts in

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der Fotografie selbst und ebenso in der Repräsentationsweise der Arbeit im Ausstellungsraum wurde dem Besucher ein Gegenentwurf zu dem Medienimage Wowereits dargeboten. Die Distanz zwischen dem Betrachter und dem Dargestellten, die durch die Beschaffenheit des Raums, durch Wowereits kommunikationslosen Blick sowie die leichte Untersicht des Ausstellungsbesuchers aufgebaut wurde, kann unter dem Aspekt, dass sich hier potentieller Wähler und Regierungsoberhaupt der Stadt Berlin begegnen, einen negativen Eindruck hinterlassen. Die herrschaftliche Wirkung der Fotografie im Ausstellungsdisplay könnte als Charakterisierung verstanden werden, die den Regierungsstil des im Bild präsentierten Bürgermeisters kommentiert. In diesem Zusammenhang werden gerade jene Bildelemente bedeutend, die mit der Grammatik des klassischen Repräsentationsbildnisses brechen: Die angeschnittenen Füße des Regenten oder der ins Leere laufende Verweis auf den Reichsapfel als traditionelle Insigne beschreiben Klaus Wowereit eher als einen von der Wählerschaft isolierten und aktionslosen Politiker. Ebenso ermöglichen die hier beschriebenen Brüche mit der Ausgestaltung des höfischen Repräsentationsporträts auch andere Interpretationsmöglichkeiten, wie etwa, es handele sich bei dem Dargestellten um einen Regenten, der so mächtig ist, dass er auch ohne die Beigabe klassischer Herrscherattribute auskommt. Die Initiatoren von After the Butcher haben durch ihren Porträtauftrag an Clegg & Guttmann den Schirmherrn der Ausstellung Based in Berlin in die Ausstellung selbst integriert und damit stellvertretend auch die kritische Debatte aus dem Vorfeld der Ausstellung thematisiert.23 Somit konnte das Bildnis Klaus Wowereits zum visuellen Stellvertreter der kritikreichen Diskussionen um das Projekt und zu einem selbstreflexiven Teil der Ausstellung werden. Den politisch Verantwortlichen so zu zeigen, bot die potentielle Möglichkeit zur Diskussion der Art und Weise seiner Amtsausübung. Der Kontrast zwischen dem von Clegg & Guttmann inszenierten Bildnis und dem von Pressebildern gezeichneten Medienimage Wowereits als volksnaher Politiker ist hierbei so deutlich, dass er dem Verfremdungseffekt des Brecht’schen Theaters gleich kommt: Clegg & Guttmann appellieren geradezu an den Betrachter, kritisch Fragen an das Dargestellte zu richten.

Ambiguität im Porträt Clegg & Guttmann sind für ihre vermeintlich repräsentativen, großformatigen Fotoporträts bekannt und können immer wieder Persönlichkeiten aus Politik, Wirtschaft und Kultur als Modelle für ihre Arbeiten gewinnen. Es ist für ihre Werke bezeichnend, dass porträ­tierte Personen allegorisch inszeniert werden. Das Spiel mit den gegenläufigen Informationen, die zum Beispiel durch das Darstellen von zeitgenössischen Personen im Modus des barocken Repräsentationsporträts entsteht, gehört dabei zu den augenfälligsten Elementen ihrer Gestaltungspraxis. Auch im Vergleich mit dem Group Portrait of Bundesminister aus dem Jahr 2000, das sechs Mitglieder des Ministerkabinetts unter der Regierung Gerhard Schröders zeigt, wird deutlich, dass »Ähnlichkeit« für Clegg & Guttmann nicht nur der Identifi-

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7  Clegg & Guttmann: Group Portrait of Bundesminister, 2000, Cibachrome hinter Plexiglas, 113 × 169 cm, Berlin, Galerie Christian Nagel

zierung der individuellen Persönlichkeit dient, sondern auch eine Kategorie ist, die aufzeigt, welchem Typus das Individuum zugeordnet werden kann |Abb. 7|.24 Indem die einzelnen Körper der dargestellten Minister auf dem Gruppenporträt mit dem dunklen Hintergrund fest verschmolzen sind, rücken Mimik und Gestik durch fokussierte Ausleuchtung in den Bildvordergrund. Das lässt darauf schließen, dass die individuellen Gesichtszüge im Fokus des Werkes stehen, doch dies ist nicht der Fall. Es wurden aus diesem Porträt und weiteren Einzelporträts der Senatoren Bildelemente ausgeschnitten und 2001 in der Ausstellung Minister und Senatoren. Politisch-physiognomische Fragmente der Berliner Galerie Christian Nagel nach einzelnen Körperteilen so arrangiert, dass eine Studie zur Körpersprache durch Gesichtszüge und Handgesten entstand. Die verschiedenen Bezugsmöglichkeiten in den fotografischen Porträts von Clegg & Guttmann führen zu einem Kippspiel von Bedeutungen. Mit dem Prozess des »IneinanderUmschlagen[s] von Nachahmung und Symbolisierung« betont dieser Ansatz das Potential von Darstellung an sich.25 Im Falle der Allegory of Government wird das Changieren zwischen gegensätzlichen Informationen dadurch evoziert, dass eine zeitgenössische Person, die durch die Abbildung im Medium der Fotografie den Anschein erweckt, ein Individuum zu sein, nicht als solches ausformuliert wird. Denn die Person ist in ein Setting gesetzt, das von der Bezugnahme auf die Formeln des öffentlichen, vormals höfischen Repräsentationsporträts genährt wird, allerdings ohne die klassischen Attribute eines möglichen Regenten oder Machtinhabers zu zeigen. Beide Informationsstränge spielen mit Gegensatzpaaren wie Typus und Individuum, Nähe und Distanz, Fiktion und Realität, Darstellung und Darsteller. Durch diesen dualistischen Kompositionsmodus erzeugen die Arbeiten von Clegg & Gutt-

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mann Irritationen, entstehend durch die Differenz zwischen der Erwartung an das Bild und dem, was die Darstellung dann einlöst: Die Allegory of Government ist weder repräsentatives Konterfei eines Staatsführers noch das Porträt einer individuellen Person. Die Anlehnung an höfische Repräsentationsporträts, die Clegg & Guttmann für ihr Bildnis des Bürgermeisters vornehmen, wirkt nicht nur unzeitgemäß, sondern ist auch gegenläufig zum bundesrepublikanischen Bildverständnis und unter dem Aspekt der Ähnlichkeit der dargestellten Person ein Gegenentwurf zu Wowereits Medienimage. Die Schemenhaftigkeit des in der Allegory of Government repräsentierten Universalmachthabers korrespondiert dabei allerdings mit seinen kontextlosen und universal einsetzbaren Public-Relations-Bildern. Nimmt man das Display der Fotografie in der Ausstellung Based in Berlin und ihren ortsspezifischen Kontext in den Fokus, kann allerdings doch ein persönliches Porträt Wowereits sichtbar werden. Mit gleichartigen Präsentationsstrategien des Porträtierten im Bild wie des Bildes im Raum ließ sich der Bildraum der Fotografie gleichsam in den Ausstellungsraum überführen und die zweidimensionale Fotografie erhielt so einen installatorischen Charakter. Bei Clegg & Guttmanns Allegory of Government wird die Ästhetik der Bildwirkung durch einen speziellen ortsspezifischen Kontext betont. In ihren Fotografien werden gesellschaftlich-kommunikative Prozesse in den Vordergrund gestellt; die Künstler stellen die Frage, wie und durch welche Mittel Macht hergestellt wird. Die Struktur ihrer Bilder und, daran anschließend, die Frage nach den Möglichkeiten von Repräsentation, wird dadurch zum vorrangigen Bildthema. Das Offenlegen der Bildstruktur als Konstrukt ermöglicht es, diese zu analysieren und das eigene wie das traditionelle Herrscherporträt zu dekonstruieren. Durch ihre umfangreiche Auseinandersetzung mit dem Problemkreis von Präsentation und Repräsentation, Bildentstehung, Bildwahrnehmung und Bildvorstellung formulieren Clegg & Guttmann einen institutionskritischen Ansatz im Medium der Fotografie.

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1  Für nähere Informationen zur Ausstellung und den Arbeiten der über 80 teilnehmenden Künstler vgl. Based in Berlin (hrsg. v. Kulturprojekte Berlin), Ausstellungskatalog, KW Institute for Contemporary Art et al., Berlin 2011; www.basedinberlin.de (18.10.2015). 2  Zu den Fotoporträts vgl. Clegg & Guttmann. Modalities of Portraiture (hrsg. v. Markus Bosshard, Jürg Trösch u. Tobias Bezzola), Zürich 2013; Clegg & Guttmann. Portraits and Other Cognitive Exercises, 2001 – 2012 (hrsg. v. Christine Kintisch), Ausstellungskatalog, BAWAG Contemporary, Wien 2012; zu biografischen Informationen und zum Zusammenschluss des Künstlerduos in New York Ende der siebziger Jahre vgl. Brigitte Huck: Recontextualised Portraits, Libraries and Cognitive Exercises, ibid., S. 3 – 9, S. 3. 3  Vgl. zum Beispiel auch das Bildnis Herzog Rudolfs IV., um 1360 von einem unbekannten Künstler gefertigt: Die individuelle Person und das Amt werden hier durch unterschiedliche Darstellungsmodi kontrastiert; das Gesicht ist vollplastisch gearbeitet, wohingegen Kleidung und Krone, Ornat und Insigne durch die flächigere Malweise und das nahezu identische Ornament zu einer Einheit gefasst sind; vgl. Handbuch der politischen Ikonographie (hrsg. v. Uwe Fleckner, Martin Warnke u. Hendrik Ziegler), München 2011, 2 Bde., Bd. 1, S. 481 – 498, S. 481, s. v. »Herrscherbildnis« (Martin Warnke); vgl. im vorliegenden Band, S. 123 ff. 4  Vgl. Hajo Düchting: Licht und Schatten. Vom Hell und Dunkel in der Kunst, Stuttgart 2011, S. 69 f. 5  Vgl. Lexikon der Kunstwissenschaft. Hundert Grundbegriffe (hrsg. v. Stefan Jordan u. Jürgen Müller), Stuttgart 2012, S. 41 – 43, S. 41, s. v. »Allegorie« (Monika Wagner). 6  Brita von Götz-Mohr konstatiert für das Repräsentationsporträt in der europäischen Porträtmalerei des 18. Jahrhunderts im Gegensatz zum bürgerlichen Porträt, dass es »den Porträtierten in einen von außen her bestimmten Interpretationszusammenhang integriert«; sie zitiert zudem Schochs Definition des französischen portrait d’apparat, »eine demonstrative äußere Schaustellung, die keinerlei Spontaneität, Lebendigkeit oder Gemütsbewegung zuläßt«; Brita von Götz-Mohr: Porträtmalerei. Höfisches und bürgerliches Porträt, in: Darmstadt in der Zeit des Barock und Rokoko, Ausstellungskatalog, Institut Mathildenhöhe, Darmstadt 1980, 2 Bde., Bd. 1, S. 23 – 28, S. 23; vgl. Rainer Schoch: Das Herrscherbild in der Malerei des 19. Jahrhunderts, München 1975, S. 19. 7  Vgl. Kito Nedo: Based in Berlin. Zum Ausschlachten freigegeben. Der Mythos von der Kreativstadt Berlin, 8. Juni 2011, in: www.art-magazin.de/szene/43006/based_in_berlin_ausstellung (15.01.2013); Helen Whittle: Majestätisch grüßt Klaus Wowereit, in: www.freitag.de/autoren/hwhittle/ majestatisch-grusst-klaus-wowereit (18.10.2015). 8  Im gleichen Raum fanden an verschiedenen Tagen noch Performances und Interventionen von sechs anderen Künstlergruppen aus dem Umfeld von After the Butcher statt; vgl. www.after-the-butcher. de/30A_based_in_berlin/de/basedinberlin.html (18.10.2015). 9  Vgl. Uwe Fleckner: In voller Lebensgröße. Claude Monet und die Kunst des ganzfigurigen Portraits, in: Monet und Camille. Frauenportraits im Impressionismus (hrsg. v. Dorothee Hansen u. Wulf Herzogenrath), Ausstellungskatalog, Kunsthalle Bremen 2005, S. 42 – 5 1, S. 44. Zu Franz Xaver Winterhalters Bildnis der Elisabeth von Österreich in Balltoilette als Beispiel für ganzfigurige Porträts in überlebensgroßer Darstellung vgl. im vorliegenden Band, S. 163 ff. 10  Eine Ausnahme bildet die Gruppe der collaborative portraits, die im Titel den Namen der Künstler enthalten, mit denen zusammengearbeitet wurde. 11  Im politischen Sinne bezeichnet der englische Begriff government die Verfassungsorgane eines Staates, die insgesamt das Regierungssystem bilden, also Parlament und Regierung; vgl. Kleines Lexikon der Politik (hrsg. v. Dieter Nohlen), München, 2. Auflage 2002, S. 427 – 430, S. 427, s. v. »Regierung /

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Regierungsorganisation« (Axel Murswieck). Im weiteren Sinne ist neben der Bedeutung als Regierung oder Staatsgewalt auch Leitung oder (Geschäfts-)Führung möglich. 12  Vgl. Handbuch der Politischen Ikonographie 2011, Bd. 1, S. 201 – 207, S. 201, s. v. »Bürgermeister« (Georg Syamken). 13  Michael Diers: Handzeichen der Macht, in: id. (Hrsg.): Schlagbilder. Zur politischen Ikonographie der Gegenwart, Frankfurt am Main 1997, S. 179 – 202, S. 187. Für den Gebrauch von (inszenierten) Bildern zur Imagebildung von Politikern siehe weiterführend auch die umfangreichen Studien Engelfrieds zum Medienimage Vladimir Putins, beispielsweise Alexandra Engelfried: Zar und Star. Vladimir Putins Medienimage, in: Osteuropa 5/2012, S. 47 – 67. 14  Wolfgang Schild: Das Portrait des gerechten Herrschers, in: Andreas Köstler u. Ernst Seidl (Hrsg.): Bildnis und Image. Das Portrait zwischen Intention und Rezeption, Köln, Weimar u. Wien 1998, S. 65 – 8 4, S. 65. 15  Ibid. 16  Ibid., S. 77. 17  Ibid., S. 83; vgl. die Abbildung im vorliegenden Band, S. 272. 18  Vgl. Ernst Seidl: Das Paradox und sein Bild. François Mitterrands Staatsportrait, in: Köstler u. Seidl 1998, S. 335 – 3 49, Abb. S. 348. 19  Vgl. Frank Padberg: Die Kanzler und ihre Arbeitszimmer, in: Macht zeigen. Kunst als Herrschafts­ strategie (hrsg. v. Wolfgang Ullrich), Ausstellungskatalog, Deutsches Historisches Museum, Berlin 2010, S. 106 – 109, S. 106 f. 20  Der Begriff des Image umfasst die »Ganzheit aus Informationen, Vorstellungen und Wertungen, die mit einem Gegenstand oder einer Person verknüpft werden«; Andreas Köstler: Das Portrait. Individuum und Image, in: Köstler u. Seidl 1998, S. 9 – 1 4, S. 14. 21  Diers 1997, S. 187. 22  Ibid. 23  Zur Kritik an der Ausstellung Based in Berlin sowie an Wowereits politischem Handeln im Hinblick auf das Zusammenspiel von Kulturförderung und Stadtvermarktung in Berlin vgl. Jörg Heiser: Words & Deeds, in: Frieze 144/2012, http://www.frieze.com/issue/article/words-deeds (18.10.2015); vgl. auch die Literatur in Anm. 7 u. 8. 24  In der Fotografie Group Portrait of Bundesminister sind von links nach rechts Bundesarbeitsminister Walter Riester, Bundesverkehrsminister Reinhard Klimmt, Kulturstaatsminister Dr. Michael Naumann, Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke, Bundesbildungsministerin Edelgard Bulmahn und Bundesinnenminister Otto Schily porträtiert. 25  Siehe zum Begriff des Kippspiels Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Stuttgart u. Weimar 2000, 7 Bde., Bd. 1, S. 831 – 875, s. v. »Darstellung« (Dieter Schlenstedt), S. 873 f.

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MASKE  –  ROLLE  –  TYPUS

DER TYPUS ALS PORTRÄT »Ähnlichkeit« in José de Riberas »Bärtiger Frau« SOPHIA KUNZE

Krankheitsbild und niedere Schaulust Der venezianische Botschafter in Neapel berichtet in seiner Korrespondenz vom 11. Februar 1631 von einem Besuch beim spanischen Vizekönig: »Im Zimmer des Vize befand sich ein berühmtester Künstler, der ein Bild anfertigte, von einer Frau aus den Abruzzen, verheiratet und Mutter vieler Kinder, welche ein vollkommen männliches Gesicht hatte, zusätzlich einen Handbreiten schwarzen wunderschönen Bart, und die Brust ganz haarig. Seine Exzellenz fand persönlich Gefallen daran, sie mir zu zeigen, weil es eine so wundersame und wahre Sache ist.«1 Die historische Textquelle verweist auf José de Riberas Porträt der Magdalena Ventura, der sogenannten »bärtigen Frau«, von 1631 |Abb. 1|. Der erste Blick lässt den Betrachter verwirrt zurück. Wer oder was ist überhaupt dargestellt? Sehen wir einen stillenden Mann oder eine bärtige Frau? Der zweite und genauere Blick führt uns auf die Spur: Dargestellt wird scheinbar eine Familie, der Ehemann im Hintergrund, seine Frau mit einem Säugling im Arm davor. Die frontal dargestellte ältere Frau ist als solche kaum zu erkennen, ihre gesamte Physiognomie wirkt derb und verhärtet, der Haaransatz, der unter ihrer Kappe hervorlugt, ist weit zurückversetzt, sie hat eine beginnende Glatze, die Augenbrauen sind lang und zerzaust, im

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1  José de Ribera: Die bärtige Frau (Magdalena Ventura), 1631, Öl auf Leinwand, 196 × 127 cm, Toledo, Hospital de Tavera

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Gesicht laufen die Koteletten zu einem Vollbart zusammen. Im Gegensatz zur Physiognomie steht die weibliche Bekleidung und offensichtlich die entblößte Brust, die unnatürlich zen­ tral und nach oben versetzt angeordnet scheint. Hinzu kommt der weibliche Akt des Stillens, der hier anscheinend dargestellt wird. Begleitend zur Darstellung findet sich im Bild eine Sandsteinstele mit füllender Inschrift, die uns den Entstehungshintergrund berichtet und die Szene verortet: »Oh großes Naturwunder! Magdalena Ventura aus der Stadt Acumuli bei Samnites, wie es gemeinhin heißt, aus den Abbruzzen im Königreich Neapel, die 52 Jahre alt ist. Was ungewöhnlich ist, wurde sie, als sie 37 war, ganz haarig und ihr wuchs ein langer dicker Bart wie der eines Gelehrten, nicht wie bei einer Frau, die bereits drei Kinder von ihrem Ehemann Felici dei Amici bekommen hatte, den Du hier siehst. Jusepe de Ribera, Spanier, Träger des Ordens des Kreuzes Christi, ein Appelles seiner Zeit, von Ferdinand II., Fürst von Alcala und Vize von Neapel, beauftragt, malte diese wunderbar vom Leben ab am 16. Februar im Jahre 1631.«2 Die Hintergründe sind also bekannt. Es handelt sich um das Porträt einer historisch nachgewiesenen Frau, die der Künstler im Auftrag des amtierenden Vizekönigs von Neapel für dessen Sammlung anfertigte. Ausgehend vom spektakulären Inhalt könnte man vermuten, dass es unzählige Bearbeitungen durch Kunsthistoriker gibt, dies ist jedoch nicht der Fall. Lediglich ein Aufsatz beschäftigt sich explizit mit dem Gemälde, allerdings hauptsächlich in Bezug auf stil- und kunsttheoretische Auseinandersetzungen des Künstlers.3 Ansonsten wird das Bild zwar in jeder Werkausgabe erwähnt, dann aber lapidar abgetan mit der Verortung als zeitgenössisch übliche Kuriositätendarstellung, wie es sie zum Beispiel im Rahmen der Wunderkammern gab. Entsprechend einseitig verhält es sich mit den bisherigen Erkenntnissen der Forschung. So schreibt Elizabeth du Gué Trapier 1952: »The duke of Alcalá, when at Naples, commissioned Ribera to paint a subject which helped to earn for him the reputation of a painter of abnormality and ugliness.«4 Und James Clifton postuliert 1993: »It has been rightly argued that the subject fits comfortably into a Spanish tradition of representations of dwarves and social misfits.«5 Gleichermaßen wird im italienischen Werkverzeichnis des Künstlers auf den Zusammenhang zur spanischen Kuriositätendarstellung verwiesen, besonders in Hinblick auf Phillip IV., »che amava collezionare ritratti di nani e di persone deformi«.6 Im Katalog Civiltà del Seicento a Napoli wird die Dargestellte als »klinischer Fall« deklariert, »però la maestria dell’artista ha potuto trasformare questo ›caso clinico‹, anormale e quasi ripugnante, in una superba opera d’arte.«7 Die Einordnung als naturalistische Darstellung eines Krankheitsbildes wird bereits von der Kunstgeschichte bis zur medizinischen Analyse getrieben, so spricht zum Beispiel Nadeije Laneyrie-Dagen im Sammelband L’invention du corps über »des femmes souffrant d’une hypersécrétion des glandes surrénales ou de l’hypophyse«.8 Wenig verwunderlich ist es entsprechend, dass auch die Medizingeschichte in dem Gemälde einen Anreiz und eine Quelle findet, Krankheitsbefunde nachzuweisen. So räso-

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niert der Schweizer Kinderarzt Ottmar Tönz: »Eine völlig virilisierte Frau mit Vollbart und Stirnglatze scheint hier ihr Kind zu stillen. Ist das denn möglich? Es muss doch angenommen werden, dass bei einer so schweren Virilisierung die Gonadotropine völlig supprimiert sind, so dass Empfängnis und Schwangerschaft schlichtweg undenkbar erscheinen.«9 Eine ausführliche medizinische Analyse liefert der spanische Endokrinologe Juan Falen Boggie, dessen Bildbeschreibung sich wie eine Krankenakte liest.10 Anhand der beobachteten Symptome erörtert er abwägend die der Darstellung zugrunde liegenden möglichen Krankheiten. Die Literatur spricht bei der Bildfindung von einer Zuwendung zu »pathologischen« oder »klinischen« Fällen, das Porträt sei eine »naturalistische Darstellung einer durch Krankheit vermännlichten Frau«.11 Mit seinem Interesse für die naturalistische Darstellung des menschlichen Körpers steht Ribera in der Tradition der italienischen Realisten, zumal die anatomische Betrachtung als Wissenschaft in ihrer Verknüpfung mit den anatomischen Studien der Künstler in ihrer Entwicklung bereits sehr weit vorangeschritten war.12 Zusätzlich steht er am Beginn der Entwicklung der modernen Medizin als wissenschaftlicher Disziplin, also am Anfang einer bis in die aktuelle Gegenwart reichenden Kategorisierung und Kanonisierung. Bereits in der Mitte des 16. Jahrhunderts und in der Folge im Barock war es üblich, »wunderliche« Menschen wie Kleinwüch­ sige, Haarige, Fettsüchtige, Hermaphroditen, also all diejenigen, deren Physiologie vom normativen Körper der Zeit abweichen, an den Höfen zu beherbergen. Die Anwesenheit körperlich hervorstechender Menschen an den Höfen wird im Kontext der Sammlungsbestrebungen von Exotica und Curiosa im Rahmen der Wunderkammern gesehen, die im 16. Jahrhundert etabliert wurden.13 Klassische Ästhetik oder Schönheitsideale spielten eine untergeordnete Rolle, das Exotische konnte seinen Wert gerade aus seinem fremden oder verstörenden  – »wunderlichen«  –  Charakter gewinnen.14 Im Zusammenhang dieser Gattung ist beispielsweise Riberas Gemälde Klumpfüßiger Junge von 1642 (Paris, Musée du Louvre) zu nennen, auch hier folgte die Forschung lange Zeit der Auffassung, dass es sich um eine diffamierende Darstellung von Behinderung und Armut handle, was allerdings nie auf eine Bildanalyse gestützt wurde. Edward Sullivan kam in seinem 2008 publizierten Aufsatz nach einer ausführlichen Bildanalyse und Kontextualisierung zu einem gegenteiligen und überzeugenderen Ergebnis.15 Der Blick auf die Forschung hat gezeigt, dass sich dem Bild in der Regel unter der Fragestellung genähert wird, welche »Krankheit« Magdalena hatte, und ob heute kanonisierte Krankheiten mit alten Krankheitsbildern gleichzusetzen sind. Axiom dieser Fragestellung ist die Idee der naturalistischen Darstellung; in diesem Fall impliziert dies ein Abbilden der Realität nach modernem, naturwissenschaftlichem Standard und mit dem damit einhergehenden Objektivitätsanspruch. Man geht also davon aus, dass das Dargestellte mit  –  ahistorisch gesprochen  –  fotografischer Genauigkeit seinen Bildgegenstand erfasst. Doch dieser ahistorische Vergleich führt uns bereits auf das Problem, denn bekannterweise ist auch die scheinbar realitätsabbildende Fotografie einerseits der mechanischen und materiellen Umsetzung des Apparates selbst, andererseits der subjektiven Auswahl des Fotografen in Bezug auf Bildausschnitt und Komposition unterworfen.

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In der Folge möchte ich erläutern, wie es zur bisherigen Einordnung gekommen ist, und aufzeigen, welchen diskursiven Bedingungen sie unterliegt. Dazu werde ich kurz einige Beispiele aus der Kulturgeschichte bärtiger Frauen zeigen, um zu verdeutlichen, dass der zeitgenössische Bewertungsrahmen über eine bloße Kuriositätendarstellung hinausgeht.16 Ausgehend von meiner derart erarbeiteten These, dass wir nicht pauschal von einem »abwertenden« Porträt, das niedere Schaulust ansprechen soll, ausgehen können, wende ich mich in der Folge wieder Riberas Gemälde zu, an dem ich verdeutlichen werde, wie brillant der Künstler hier bildstrategisch Glaubwürdigkeit erzeugt. Zentral und abschließend soll die Frage nach dem Status des Porträts reflektiert werden: Zu fragen ist, welcher Bildbegriff dieser Darstellung angemessen wäre, schwankt sie doch, wie sich zeigen wird, zwischen dem Porträt einer realen Person und einer Typusdarstellung.

Der kulturgeschichtliche Rahmen 2  Bolognino Zaltieri: Venere con la barba, Holz­

Bereits in der Antike war der Topos der bärti- schnitt, aus Vincenzo Cartari: Le imagini dei dei de gli antichi, Venedig: Antonio Zaltieri 1571 gen Frau bekannt, wie wir von Vincenzo Cartari erfahren. In seinen 1556 in Venedig erschienenen Imagini degli dei degli antichi berichtet er von einer bärtigen Venus, die in Zypern verehrt wurde: »Man kannte bei den Zypriern eine Venus, von der Alessandro Napolitano berichtet, welche ein Gesicht wie ein Mann hat, aber gekleidet ist wie eine Frau.«17 Die erste illustrierte Fassung der Imagini von 1571 mit Holzschnitten von Bolognino Zaltieri zeigt die von Cartari beschriebene bärtige Göttin in weiblicher Gewandung und weiblicher Körperform, ihr Gesicht ist jedoch bärtig |Abb. 2|.18 In der rechten Hand hält sie einen Kamm. Cartari berichtet, der Kult um die Bärtige sei wahrscheinlich entstanden, nachdem die Göttin die Frauen der Insel vor einer grassierenden Flohseuche geschützt hatte, der alles Kopfhaar zum Opfer fiel, so dass sie keinen Bedarf nach Kämmen mehr hatten.19 Nach der Heilung errichteten ihr die Anhängerinnen eine Statue, die sie mit Bart und Kamm zeigte. Cartari berichtet weiter, sie hätte die Merkmale beider Geschlechter vereint, um zu verdeutlichen, dass sie der Entstehung aller Geschlechter vorstehe, entsprechend sei die obere Körperhälfte männlich und die untere weiblich.20

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Neben der antiken profanen Mythologie finden wir bärtige Frauen auch im Bereich christlich kanonisierter Heilslehre. So wird in der Legenda aurea, die im 13. Jahrhundert als Sammlung überlieferter Märtyrerlegenden entstand, die Legende der Heiligen Galla zu Rom berichtet, die früh verwitwet, sich aber nicht neu vermählen, sondern in der Folge ein Büßerleben im christlichen Sinne führen will. Auf dieses Vorhaben hin erklärt ihr der Priester, »sie bekomme einen Bart, wenn sie sich dauerhaft den Liebkosungen eines Mannes entzöge«.21 Einen anderen, wenn auch inhaltlich verwandten Grund für den weiblichen Bartwuchs finden wir bei der Heiligen Paula, die in spanischsprachigen Ländern als Sancta Barbuta verehrt wird. Diese flüchtet vor einem Verfolger mit offensichtlich finsteren Absichten in eine Kirche und fleht um Beistand, woraufhin ihr Gott einen Bart schenkt, der  –  wie die Geschichte berichtet  –  jegliche attraktive Ausstrahlung auf ihren Verfolger zunichte macht. Die typologische Nähe zum Ovid’schen Verwandlungsmythos liegt hier auf der Hand. Eine populäre und vielfach in der Kunst, besonders im Rahmen des Volksglaubens, rezipierte 3  Unbekannter Künstler: Centuria II, Emblema Legende bildet die der Heiligen Kümmernis, die 64, Holzschnitt, aus: Sebastián de Covarrubias: Emblemas morales, Madrid: Luis Sánchez 1610 regional abhängig unter verschiedenen Namen auftaucht, wie zum Beispiel Ontkommer, Wilgefortis oder Liberata. Quellen weisen darauf hin, dass sich diese Legende wahrscheinlich erst im 14. Jahrhundert manifestiert hat. Berichtet wird von einer portugiesischen Königstochter, die als Heidin heimlich zum Christentum konvertiert war und nun von ihrem Vater in eine heidnische Ehe gezwungen werden soll. Wie die Heilige Paula bittet auch sie Gott um Beistand und bekommt einen Bart, ihr Vater vermutet allerdings Hexerei und lässt sie kreuzigen. Der Mythos ist besonders im Bereich der Volksfrömmigkeit von großer Bedeutung und bis Anfang des 20. Jahrhunderts verbreitet. Ein weiteres Beispiel für die bildliche Verarbeitung der bärtigen Frau, das ich aufgrund seiner kulturhistorischen Relevanz erwähnen möchte, bilden im 16. Jahrhundert die Emblemtraktate, hier als Beispiel die Emblemata morales von Sebastian de Covarrubias, um 1600 entstanden |Abb. 3|.22 Der entsprechende Holzschnitt zeigt eine Bärtige in weiblichem Gewand, um sie herum flattert ein Spruchband mit der Aufschrift »ne[u]trumque et utrumque«,

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ein Zitat aus Ovids Metamorphosen von exakt jener Stelle, in der sich die Verschmelzung von Hermaphrodit und der Nymphe Salamakis vollzogen hat und nun ein zweigeschlechtliches Wesen entstanden ist, das eben »neutrumque et utrumque« (»keines und doch beides«) ist. Wie üblich visualisiert das Emblem den beigefügten moralisierenden Text, der in diesem Fall besagt: »Soy hic, et hec, et hoc. Yo me declare / Soy varón, soy muger, soy un tercero / Que no es uno ni otro / ni está claro Qual destas cosas sea / Soy terrero De los que como a mostro horrendo y raro / Me tienen por siniestro y malaguero / Advierta cada qual que me ha mirado / Que es otro yo si vive afeminado.«23 Es wird also vor geschlechtlicher Uneindeutigkeit gewarnt; hier interessanterweise explizit vor weibischen Männern, obwohl das Bildbeispiel klar die bärtige, also virilisierte Frau zeigt. Bei diesem inneren Widerspruch handelt es sich um einen gattungstypischen Bruch, der, wie Schöne und Henkel herausgearbeitet haben, die moralische Funktion über die dadurch erzeugte Reflexion zu vermehren sucht.24 Covarrubias erklärt im angehängten Textteil, dass er seine moralisierende Absicht neben dem bildimmanenten sprachlichen Verweis auf Ovid aus Ciceros Tusculanae Disputationes bezieht, der da sagt: »Non est turpis, aut necquius efaeminato viro« (»nichts ist so schmählich, wie der effeminierte Mann«). Zudem verweist er darauf, dass es sich bei dem Holzschnitt um eine Darstellung der Doña Brigida handelt. Ribera ist durchaus nicht der Erste, der eine bärtige Frau als klassisches Porträt wiedergibt. Bereits 1590 fertigte der ansonsten für seine Stilleben bekannte spanische Künstler Juan Sánchez Cotán ein Porträt der ebenfalls historisch belegten Doña Brigida del Rio an |Abb. 4|. Im Gegensatz zu Riberas Gemälde ist die Bärtige nur im Halbporträt wiedergegeben, leicht gedreht und ohne zusätzliche Bildelemente. Sie trägt geordnete schlichte Kleidung und blickt den Betrachter an. Wie Riberas Bärtige Frau hat Doña Brigida eine beginnende Glatze und einen mächtigen Vollbart. Auch hier ist dem Bild eine erklärende Bildinschrift beigegeben, welche Herkunft, Alter und Namen der Dargestellten übermittelt. Im direkten Vergleich beider Bilder wird sofort die assoziative Qualität in Riberas Komposition deutlich, auf die ich später noch weiter eingehen werde. Das Porträt von Sánchez Cotán ist uneindeutig, es ist schlechter ausgeführt und erweckt eher den Eindruck von Travestie, denn den einer bärtigen Frau. Ähnlich uneindeutig verhält es sich bei dem Porträt der Frau mit Bart (Elisabeth Knechtlin aus Appenzell) eines anonymen Künstlers |Abb. 5|. Als Bestandteil der Kunstkammer Kaiser Ferdinands II. auf Schloss Ambras wird es neben anderen Exotica 1717 im Inventar genannt: Ein »Weibs-Bild mit einem Barth, nebst der Beschreibung wo solches gewesen«.25 Das Gemälde zeigt die Bärtige im Halbporträt und regionaler Tracht, am unteren Rand finden wir erneut eine erklärende Inschrift: »Wahre Abbildtung Elisabeth Knechtlin, eines Bäurens Tochter nechst Apazell in der Schweiz gebo: 1629. ist 8. Jahr verheyrat geweßen, u: in 84 Jahr ihres Alters unoch im Leben abgemahlet worden.«

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4  Juan Sánchez Cotán: Doña Brigida del Rio (La Barbuda de Peñaranda), 1590, Öl auf Leinwand, 102 × 61 cm, Madrid, Museo del Prado

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5  Unbekannter Künstler: Frau mit Bart (Elisabeth Knechtlin aus Appenzell), 1713, Öl auf Leinwand, 70 × 60 cm, Gotha, Schlossmuseum

Die vorgestellten Beispiele haben auf die kulturhistorische Vielfalt des Themas in der frühen Neuzeit verwiesen. Als entscheidendes Ergebnis steht allerdings die Einsicht, dass der weibliche Bart nicht per se negativ bewertet werden kann. In der Folge möchte ich ausgehend von einer genaueren Analyse des Gemäldes Riberas im Zusammenhang mit den letztgenannten Beispielen historischer Bartträgerinnen auf den Status des Porträts zu sprechen kommen. Handelt es sich überhaupt um ein Porträt oder handelt es sich um eine Typendarstellung?

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Riberas Authentizität Der Blick auf die Literatur bringt, wie einleitend bemerkt, eine ungewöhnliche Klarheit in Hinblick auf die Realität des Dargestellten, ansonsten ließe sich schwerlich eine medizinische Anamnese legitimieren. Augenscheinlich tragen dazu primär Format und Genre bei; formal bedient die Darstellung alle klassischen Elemente des höfischen spanischen Porträtgemäldes, vergleichbar mit den königlichen Porträts von Velázquez.26 Zudem handelt es sich um eine Abbildung im lebensechten Maßverhältnis, was die Genauigkeit der Naturnachahmung betont. An dieser Stelle sei auch darauf verwiesen, dass allein aufgrund der Größe des Gemäldes und der Tatsache, dass Ribera bereits ein anerkannter und somit teuer zu entlohnender Künstler war, hier von einem immensen Interesse am dargestellten Thema ausgegangen werden muss. Neben der historischen Belegbarkeit der Porträtierten trägt dazu hauptsächlich die Bildinschrift bei. Der offensichtliche Antrieb hinter der Entstehung des Bildes ist zunächst einmal der wertneutrale Wunsch, dieses Kuriosum festzuhalten. Zentral zu beachten ist allerdings, dass nicht eine überlieferte Geschichte visualisiert, sondern eine reale Person porträtiert wird. Das entscheidende Indiz für die bisherigen Überlegungen der Forschung zum Realismus der Darstellung gibt die Wendung »ad vivum mire depinxit« am Ende der Inschrift.27 Das bloße »nach dem Leben gemalt« wird demnach durch die adverbiale Ergänzung »wunderbar« erweitert, was meines Erachtens neben dem genauen Naturstudium auf den schöpferischen Einfluss des Künstlers verweist. Erinnern wir uns an den eingangs zitierten Bericht des venezianischen Botschafters. Der Besuch fand im Laufe des Werkprozesses statt, und es wird aus der Beschreibung nicht ganz klar, ob Magdalena anwesend war.28 In jedem Fall fehlt die Erwähnung der Familie, die im Bild festgehalten ist. Laut Datierung erfolgte der Besuch drei Tage vor Fertigstellung des Bildes. Die Betonung des exakten Datums im Gemälde ist ungewöhnlich, üblich wäre allenfalls ein Verweis auf das Jahr.29 In diesem Fall suggeriert die exakte Datierung die Authentizität des Dargestellten: Ein historischer Augenblick wird festgehalten. In Anbetracht des Werkprozesses, der bei einem Ölgemälde dieser Größe Wochen oder Monate angedauert haben wird, könnte man sich fragen, ob sich die Datierung auf den Tag der Fertigstellung oder auf den Tag bezieht, an dem der Künstler die Porträtierte gesehen hat. Sicherlich gab es Studien und Vorzeichnungen, die eventuell »nach dem Leben« angefertigt wurden. In jedem Fall behauptet der Künstler, Magdalena Ventura selbst so gesehen zu haben.30 Es ist dem Porträt als Gattung immanent, einen in steter Veränderung begriffenen Zustand abzubilden. Die im Bild überlieferte Vita Magdalenas betont den zeitlichen Verlauf ihrer Veränderung, die exakte Datierung beweist damit zudem die konservierende Kraft des Künstlers. Der Vergleich mit dem Œuvre des Künstlers, dessen Gemälde oft die Verhärmten und vom Leben Gezeichneten thematisieren, legt zudem die Vermutung nahe, dass Ribera die Physiognomie Magdalena Venturas zugunsten der Wirkung überzeichnet hat. Mit Sicherheit ist davon auszugehen, dass die Darstellung nicht den Status einer wissenschaftlich naturalistischen Abbildung im mimetischen Sinne hat. Ganz im Gegenteil hat

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Ribera eine Auswahl bezüglich des Realismus und der Komposition der einzelnen Elemente getroffen. Besonders die Brust scheint hier von geradezu ikonologischer Bedeutung. Sie hängt vereinzelt und entblößt prall aus der Mitte ihres Ausschnitts, anatomisch ist dies nicht zutreffend. Der Vergleich mit anderen Werken des Künstlers, wie zum Beispiel mit dem der Heiligen Maria Aegyptiaca, zeigt, dass dies nicht dem mangelnden künstlerischen Vermögen geschuldet sein kann |Abb. 6|. Bedenkt man, wie das Bild aussehen würde, entspräche es der Beschreibung des Botschafters, dann wird die Problematik deutlich: Magdalena Ventura wäre nicht mehr als Frau zu erkennen. Bildkompositorisch ordnet Ribera die einzelne Brust und den Vollbart auf einer Achse an. Damit werden die beiden Körperteile, die beim Betrachter aufgrund ihrer scheinbaren Unvereinbarkeit erst den Zuordnungskonflikt auslösen, bildlich untereinander gesetzt und direkt miteinander kontrastiert. Der Bart wird durch die Erwähnung in der Inschrift zusätzlich betont, denn es handelt sich nicht um einen 6  José de Ribera: Heilige Maria Aegyptiaca, 1641, gewöhnlichen, sondern um den eines Gelehrten Öl auf Leinwand, 133 × 106 cm, Madrid, Museo del Prado (»magistri barbati«). Die Brust wird noch ergänzt und in Hinblick auf ihre Funktion verstärkt durch die mütterliche Haltung und das scheinbar trinkende Kind. Bei genauem Hinsehen wird allerdings deutlich, dass das Kind nicht an die Brust angelegt ist. Die femininen Attribute werden also der ansonsten maskulinen Konzeption des Körpers, insbesondere der des Gesichtes, entgegengesetzt. Dies wird besonders deutlich, bedenkt man, dass das Kind mit Sicherheit nicht ihr eigenes ist.31 Die Inschrift überliefert, dass Magdalena Ventura ihre drei Kinder im Alter von 37 Jahren bereits zur Welt gebracht hatte, als der Bart zu wachsen begann. Die Darstellung zeigt sie im Alter von 52 Jahren, also jenseits des verbreiteten gebärfähigen Alters. Für die Bildaussage spielt dies keine Rolle, das Kind ist ohnehin nur im Bild, um die Weiblichkeit im Kontrast zum Bart zu unterstreichen. Offen bliebe die Frage, warum es dann nicht trinkt. Meines Erachtens kann man von einem bewussten Bruch ausgehen, der die Reflexion zum Thema anregen soll. Auszuschließen ist meiner Meinung nach, dass die drei Personen dem Künstler der abgebildeten Szene entsprechend Porträt gesessen haben. Die Komposition, die sofort an Darstellungen der Heiligen Familie erinnert, ist Teil der künstlerischen Interpretation.32 Es gibt kaum eine andere Szene in der Motivik der Kunstgeschichte, in der innerhalb einer Famili-

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endarstellung der Ehemann derart in den Hintergrund rückt. Bestätigt wird dies durch die missmutige Haltung Felicis, die wir sonst von Josef kennen. Diese kompositorische Analogie wiederholt sich auch inhaltlich, wie Josef ist Felici unbeteiligt am »wunderbaren« Geschehen.33 Der Bezug zur Heiligen Familie wird durch die entblößte Brust und das angelegte Kind verstärkt, entspricht doch alles der klassischen Darstellung einer Maria Lactans. Über den Vergleich zur Maria Lactans erklärt sich auch die anatomisch abwegig platzierte Brust; ein Merkmal dieses Bildtypus, bei dem die Funktion der Brust im Sinne ihrer Nährfunktion als Ausdruck der Eucharistie gedeutet wird.34 Auch hier dominiert die Symbolfunktion die Anatomie. Bei Magdalena Ventura entfällt der heilsgeschichtliche Hintergrund, der profane Charakter der Darstellung führt zu einer Fokussierung auf die Fähigkeit des Stillens als körperlich weibliche Disposition. Die ungewöhnliche Position und der daraus resultierende Übergang vom Körperteil zum Objekt mit Attributfunktion erklärt sich zudem im Zusammenhang mit der spanischen und neapolitanischen Darstellungskonvention: Exponierte Brüste waren rar und allenfalls im Kontext von Mariendarstellungen vertreten, innerhalb eines Porträts würden sie jeden moralisch-sittlichen Rahmen sprengen.35 Es stellt sich die Frage, welche Funktion die kompositorische Angleichung an eine christliche Ikonografie in Bezug auf die Bildaussage hat. Die Profanisierung eines religiösen Themas muss eine Aufwertung für die Dargestellten bedeuten, zumal Magdalena durch ihre starre Frontalität etwas Monumentales hat. Andererseits fehlt ihr das Sakrale, sodass die Analogie vielleicht weniger auf einer idealisierenden, denn auf einer assoziativen Ebene wirkt. Zum einen verdeutlicht sie die Familienstruktur, dem Betrachter wird über die Anordnung Magdalenas Rolle als Frau im Rahmen der üblichen Beziehungsstruktur bewusst. Zum anderen fungiert die Übernahme des tradierten Bildtypus der Maria Lactans als Kennzeichen biologischer Weiblichkeit, dem Betrachter wird deutlich gemacht, dass es sich um eine Frau handelt. Darstellungen ohne Beiwerk laufen immer Gefahr falsch verstanden zu werden, wie das Beispiel von Sánchez Cotán zeigt. Insgesamt erwecken Magdalena und ihr Mann einen leicht abgelebten Eindruck, die Kleider sind trotz ihrer edlen Ausgangsbasis mittlerweile schmutzig und zerschlissen, was auf eine niedere soziale Schicht schließen lässt. Ribera steckt seine Protagonisten zwar in Kleidung, die auf ein höfisches Porträt verweist  –  edle Spitze, aufwendige Stoffe  –  lässt diese aber derart verwahrlosen, dass erneut ein Bruch entsteht. Meines Erachtens ist dies ein weiterer Versuch, über einen scheinbar schonungslosen Realismus der Darstellung Glaubwürdigkeit zu erzeugen. Des Weiteren deutet die vorhandene Inschrift auf ein Bewusstsein für die entstehende Einordnungsproblematik hin. Künstler und/oder Auftraggeber waren sich klar, dass sich der Bildinhalt ohne Erklärung nicht eindeutig bestimmen lassen würde oder vielleicht unglaubwürdig wäre. Die gesamte Bildkomposition deutet also auf eine bewusste Konzeption des Künstlers hin. Es gibt keinen konkreten Bildraum, dennoch steht am Rand die Stele, die, obwohl Ribera behauptet nach dem Leben gezeichnet zu haben, mit ihren Verwitterungserscheinungen und ihrer Monumentalität wie eine jahrhundertealte Inschrift daherkommt,

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also ahistorisch in Bezug auf die Dargestellte ist. Neben der Wahrhaftigkeit einer in Stein gemeißelten Aussage wird zusätzlich der Eindruck wilder Natürlichkeit über die naturalistisch nachempfundenen Verwitterungszeichen evoziert. Natürliche Prozesshaftigkeit wird suggeriert und ein Gefühl taktiler Wahrheit erzeugt. Ebenso kompositorisch bewusst angeordnet, fast wie ein Stilleben, erscheinen Spindel und Rocken auf der Säule; ikonografisch unterstreichen sie in ihrer Funktion als weibliche Attribute den Bildinhalt |Abb. 7|.36 Es sei zudem darauf verwiesen, dass beide Objekte in Darstellungen mit trans­sexueller Allusion häufig auftreten. Wie im Beispiel des Mythos um Herkules und Omphale findet man bereits in der antiken Skulptur die Ge- 7  José de Ribera: Die bärtige Frau genüberstellung der Protagonisten mit vertauschten Insignien, Herkules in (Magdalena Ventura), Detail, 1631, Öl auf Leinwand, 196 × 127 cm, Frauenkleidern mit Spindel und Rocken, Omphale mit dem Umhang aus Toledo, Hospital de Tavera Löwenfell und Keule.37 Die Rezeption lässt vermuten, dass die bärtige Frau die Blicke auf sich gezogen hat. Aber wie wird das Schauen im Bild umgesetzt? Beide Eheleute blicken den Betrachter an. Die Literatur bestätigt Magdalena in der Regel ein trauriges oder enttäuschtes Gesicht, Felici eher einen resignierten Blick.38 Die Analyse der Mimik zeigt meines Erachtens bei Magdalena keine Zeichen von Traurigkeit, sie ist allemal starr und unbewegt. Das Ausfransen der Augenbraue führt eher noch zur Assoziation eines herausfordernden Hochziehens derselben. Ihre Körperhaltung bestätigt diese Wahrnehmung  –  harte Frontalität, Bewegungslosigkeit und Starre. Auch das Kind liegt eher wie eine leblose Puppe da, so eingewickelt, dass es sich nicht bewegen könnte. Felicis Ausdruck kann tatsächlich als resigniert gewertet werden, seine Augenbrauen sind abgesenkt und zwischen ihnen bildet sich eine kritische Stirnfalte. Seine Haltung mit den hängenden, vornübergebeugten Schultern erscheint missmutig, er wirkt zwar dynamischer, dennoch von geringerer Körperspannung als Magdalena. Die Lebensumstände des Paares sind ungewiss, allerdings ist anzunehmen, dass sich beide innerhalb ihres sozialen Rahmens beständig den Blicken der Umwelt ausgesetzt sahen. Magdalena war eine Berühmtheit und lebte davon, ihren Bart zu zeigen, so gelangte sie auch an den Hof des Vizekönigs.39 Alberto Manguel überliefert das Gerücht, Magdalena habe den Bart zum Ärger ihres Gatten in der Hochzeitsnacht bekommen.40 Eine resignierte Haltung des Ehemanns wäre, glaubte man dieser Überlieferung, also durchaus nachvollziehbar. Ohne Spekulation lässt sich allerdings sagen, dass er in dieser klassischen Aufstellung, die verdreht wurde, plötzlich unterlegen ist. Er ist nur Statist als Beleg für die Authentizität der Geschichte seiner Frau. Aufgrund seines Status als Naturwunder war der Bart Magdalenas allerdings ein nicht zu vernachlässigender ökonomischer Faktor. Welches Wechselspiel entsteht nun zwischen den Blicken der Dargestellten und dem Blick des Betrachters? Felici blickt den Betrachter an, während dieser Magdalena bestaunt. Der Betrachter wird selbst zum Betrachteten. Ein Topos des Bildes ist also das Anschauen selbst, die Schaulust beim Betrachten eines Kuriosums. Eine grundlegende Funktion der

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Darstellung muss meines Erachtens die pure Freude am ungewöhnlichen und somit reißerischen Sujet sein. Offen bleibt hingegen die Bewertung: Handelt es sich um eine Darstellung, die, wie Walter K. Lang seine Ausführungen überschreibt, »die Faszination des Häßlichen« bedient?41

Ähnlichkeit als Element des Typus Der Bart sprengt in seiner frühneuzeitlichen Bewertung die Geschlechterrolle, was einer­ seits zu Unbehagen führt, andererseits aber durchaus im Rahmen fließender Geschlechts­ vorstellungen liegen kann.42 Die starre Kategorisierung als Krankheit allerdings entspricht, so meine These, unserem zeitgenössischen Blick als Folge einer biologischen Determinanz der Geschlechtskörper. Der Künstler, der selbst mit der Inschrift auf seinen Status als »alter Apelles« hinweist, hat, wie die Vergleichsbeispiele zeigen, brillant das dargestellte Thema umgesetzt und zeigt uns ein Naturwunder (»en magnu natura miraculum«). Und dies so glaubwürdig, dass in der Folge angenommen wird, Magdalena Ventura hätte  –  im Sinne einer naturalistischen Nachahmung ihres Körpers, eines realistischen Abbildes  –  tatsächlich so ausgesehen: Das Gemälde wäre dann also ein Porträt größter Ähnlichkeit? Dabei handelt es sich tatsächlich um eine reale Person, die der Künstler behauptet gesehen zu haben, die nur niemals so Modell gesessen hat. Erinnern wir uns an die angeführten Vergleiche der Doña Brigida und Elisabeth Knechtlin. Alle diese Bilder liefern die biografischen Eckdaten, die zusätzlich überraschend ähnlich sind: Man erfährt immer den Namen, das Alter zum Zeitpunkt der Anfertigung des Porträts sowie den Ort. Es wird zumeist erwähnt, dass das Bild »wahr« sei, alle drei Frauen sind jenseits des gebärfähigen Alters, waren oder sind verheiratet und haben einen Vollbart. In der Summe ergibt sich das Bild eines Typus, der wiederum nur aufgerufen werden kann, wenn er bestimmten Regeln folgt. Auch die Darstellung bärtiger Frauen folgt also einer bestimmten Bildtradition. Interessanterweise allerdings befördert die Bildstrategie, besonders bei Ribera, gerade den gegenteiligen Ausdruck, indem ein stark individualisiertes und absolut ähnliches Porträt präsentiert wird. Wir haben es also mit der Darstellung eines Typus zu tun, der als solcher inszeniert und idealisiert wird und seine Authentizität erst über die Inszenierung als Porträt gewinnen kann. Wenn die Abbildung nicht erwarten ließe, dass es sich um ein ähnliches Porträt handelt, würde sie ihre Wirkung verlieren, dann wäre sie unglaubwürdig und damit als Kuriosum wertlos. Die einseitige Rezeption als »naturalistische Darstellung einer kranken Frau« zeigt, wie subtil und überzeugend José de Riberas Inszenierung bis heute funktioniert.

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1  Zitiert bei Giuseppe de Vito: Ribera e la »svolta« degli anni Trenta, in: Ricerche sul ’600 napoletano 1983/84, Neapel 1984, S. 43 (»Nelle stanze de V. Re stava un pittore famosissimo facendo un ritrato de una donna Abruzzese maritata e madre di molti figli, la quale hala faccia totalmente virile, con più di un palmo di barba nera bellissima, ed il petto tutto peloso, si prese gusto sua Eccellenza di farmela veder, come cosa meravigliosa, et veramente e tale.«). 2  »En magnu natura / miraculum / Magadalena Ventura ex / oppido Acumuli apud / Samnites vulgo el A / bruzzo regni Neapoli / tani annorum 52 et / quod insolens est cum / annum 37 ageret coe / pit pubescere eoque / barba demissa ac pro / lixa est ut potius / alicuius magistri barbarti / esse videatur / quam mu / lieris quae tres filios / ante amiserit quos ex / viro suo felici dei amici / quem adesse vides ha / buerat / Iosephus de Ribera his / panus Christi Cruce / insignitus sui tem / poris alter Apelles / iussu Ferdinandi II / ducis III de Alcala / Neapoli proregis ad / vivum mire depinxit / XIII calend mart / anno MDCXXXI (anno CIDDCXXXI)«; vgl. Civiltà del Seicento a Napoli (hrsg. v. Silvia Cassani), Museo di Campodimonte, Neapel 1984, S. 409. Die Kalenden waren der jeweils erste Tag eines Monats, danach wird rückwärts gezählt bis zu den Iden; »XIII calend mart« ist demnach der 16. Februar, da 1631 kein Schaltjahr war. 3  Nach Abschluss dieses Textes erschien ein weiterer Aufsatz, der sich explizit mit Riberas Gemälde auseinandersetzt, den Bildtopos aber größtenteils kunsttheoretisch versteht; vgl. Diane Kracht: »Wem es gut geht, der soll sich nicht bewegen«. Der Spanier José de Ribera in Neapel, in: Uwe Fleckner, Maike Steinkamp u. Hendrik Ziegler (Hrsg.): Der Künstler in der Fremde. Migration  –  Reise  –  Exil, Berlin 2015 (Mnemosyne. Schriften des Internationalen Warburg-Kollegs), S. 47 – 64. 4  Elizabeth du Gué Trapier: Ribera, New York 1952, S. 71. 5  James Clifton: Ad vivum mire depinxit. Toward a reconstruction of Ribera’s art theory, in: Storia dell’arte 83/1993, S. 112. 6  Alfonso E. Péréz Sánchez u. Nicola Spinosa: L’opera completa di Ribera, Mailand 1981, S. 100. 7  Civiltà del Seicento a Napoli 1984, S. 410. 8  Nadeije Laneyrie-Dagen: L’invention du corps. La représentation de l’homme du Moyen-Age à la fin du XIXe siècle, Paris 1997, S. 174 f. (»Frauen, die unter einer Überfunktion der Nebennieren oder der Hypophyse [Hirnanhangsdrüse] leiden«). 9  Ottmar Tönz: Curiosa zum Thema Brusternährung. Von stillenden Vätern, bärtigen Frauen und saugenden Greisen, in: Schweizerische Ärztezeitung 81/2000, S. 1058 – 1063, S. 1059. 10  Vgl. Juan Falen Boggie: En torno a la mujer barbuda de José de Ribera, in: Revista Peruana de Pediatría, Lima 2007, S. 1024 – 1035. 11  Du Gué Trapier 1952, S. 74. 12  Vgl. Civiltà del Seicento a Napoli 1984, S. 410; Boris Röhrl: History and bibliography of artistic anatomy. Didactics for depicting the human figure, Hildesheim 2000; Jonathan Sawday: The Body Emblazoned. Dissection and the Human Body in Renaissance Culture, London 1995. 13  Vgl. Stephanie Nestawal: Monstrosität, Malformation, Mutation. Von Mythologie zu Pathologie, Frankfurt am Main 2010, S. 247. 14  Vgl. Thomas Richter: Die Wunderkammer. Kunst, Natur und Wissenschaft in Renaissance und Barock, Zürich 2005, S. 25.

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15  Vgl. Edward J. Sullivan: Ribera’s Clubfooted Boy. Image and symbol, in: Marsyas 19/1977 – 1978, S. 17 – 2 1. Dort heißt es, Ribera sei »a highly original, highly innovative creator who employed earthbound naturalism for spiritual motives« (ibid., S. 21). 16  Für ein angemessenes Verständnis des Gemäldes müsste zudem ein ausführlicher Blick auf das gender-crossing Magdalena Venturas gelegt werden, was in diesem Rahmen nicht geleistet werden kann; vgl. Susanne Thiemann: Sex trouble. Die bärtige Frau bei José de Ribera, Luis Vélez de Guevara und Huarte de San Juan, in: Geschlechtervariationen. Gender-Konzepte im Übergang zur Neuzeit (hrsg. v. Judith Klinger u. Susanne Thiemann), Potsdam 2006, S. 47 – 82. 17  Vincenzo Cartari: Imagini delli dei de gl’antichi, Venedig [1647], Mailand 2004, S. 283 (»[...] statoa era adorata in Cipro per Venere, come risercisce Alessandro Napolitano, la quale di faccia e di aspetto pareua huomo, ma poi haueua intorno vesti di donna«). Die illustrierte Ausgabe von 1647 gleicht im Wortlaut der Erstausgabe von 1556. 18  Vgl. Vincenzo Cartari: Le imagini dei dei de gli antichi, Venedig 1571; in Hinblick auf die Illustrationen vgl. Robert McGrath: The old and new illustrations for Cartari’s Imagini dei Dei degli Antichi. A study of paper archaeology in the italian Renaissance, in: Gazette des Beaux-Arts 59/1962, S. 215 – 226. 19  Vgl. Cartari 1963, S. 284 (»Perche già venne alle donne Romane certo male, che cadevano loro tutti i capelli, come spesso ancora intraviene a’ tempi nostri, onde più non era loro bisogno di adoprar pettine.«). 20  Vgl. ibid. (»la faceuano in forma die maschio & dal resto in giu era di femina«). 21  Jacobus de Voragine: Legenda aurea (hrsg. v. Richard Benz), Heidelberg 1955, S. 438 f. 22  Vgl. Sebastian de Covarrubias: Emblemas morales, Madrid [1610], Madrid 1978; vgl. John Landwehr: French, Italian, Spanish and Portuguese Books of Devices and Emblems 1534 – 1827, Utrecht 1976, S. 76. 23  Sebastián de Covarrubias: Emblemas morales, Madrid: Luis Sánchez 1610, Emblema 64 (»Ich bin dies und das und jenes, ich gebe es zu / ich bin ein Mann, eine Frau und ein Drittes, / das weder das eine noch das andere ist, / es ist unklar, was ich bin. Ich bin Schrecken derer / die mein furchtbares und seltsames Gesicht sehen und / mich für hinterhältig und schlecht halten. / Sei gemahnt jeder der mich gesehen hat, / das er wie ich ist, wenn er weibisch ist«). 24  Vgl. Arthur Henkel u. Albrecht Schöne (Hrsg.): Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des XVI. und XVII., Stuttgart 1967, S. XLII. 25  Zitiert nach: Anatomie. Gotha geht unter die Haut (hrsg. v. Bernd Schäfer u. Uta Wallenstein), Schloss Friedenstein, Gotha 2010, S. 56, Kat.-Nr. 70. 26  Vgl. Velázquez’s fables. Mythology and sacred history in the Golden Age (hrsg. v. Javier Portús), Ausstellungskatalog, Museo del Prado, Madrid 2008, S. 87 ff. 27  Vgl. Clifton 1993, S. 113. 28  Zu argumentieren wäre, dass die Form »farmela veder« sich nur auf »la donna« und nicht auf »il ritrato« beziehen kann, entsprechend wäre Magdalena Ventura anwesend; vgl. Anm. 1. Dies ist zudem zu vermuten, da ihr Aufenthalt am neapolitanischen Hof auch über andere Quellen nachgewiesen ist. 29  Das Datieren von Gemälden über Signatur oder Inschrift verbreitet sich im Zusammenhang mit der Verbreitung der Druckgrafik; die Forschung verweist dabei auf die Entwicklung des Künstlerstatus. Als Vorreiter gilt Dürer, der über die Datierung seiner Erzeugnisse seine künstlerische Vita zu betonen suchte; vgl. Tobias Burg: Die Signatur. Formen und Funktionen vom Mittelalter bis zum 17. Jahrhundert, Berlin 2007, S. 473 ff.

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30  Clifton führt plausibel aus, dass die Nennung des exakten Datums besonders im Bereich der Porträtdarstellung auftritt; vgl. Clifton 1993, S. 114 f.: »Artists indicate their closeness to the model, and hence the truthfulness of their artistic product, as a means of validation of their work.« 31  In der Forschung wird der Säugling als leibliches Kind beschrieben und Magdalena als gebärfähig; vgl. Victor I. Stoichita u. Anna Maria Coderch: Goya. Der letzte Karneval, München 2006, S. 57. Lang vermutete bereits, dass es sich aufgrund des Kontextes nicht um ihr Kind handeln kann; vgl. Walter K. Lang: Grausame Bilder. Sadismus in der neapolitanischen Malerei, Berlin 2001, S. 261. 32  Vgl. Michael Scholz-Hänsel: Jusepe de Ribera 1591 – 1652, Köln 2000, S. 49. 33  Ich gebe zur Unterstützung dieser Analogie zu bedenken, dass bei beiden Geschichten eine eindeutig geschlechtliche Komponente im Spiel ist: Josef ist ausdrücklich nicht der Erzeuger des Kindes und Felici sieht sich mit einer Frau konfrontiert, die mehr Mann ist als er selbst. 34  Vgl. Margaret Miles: The Virgin’s One Bare Breast. Nudity, Gender, and Religious Meaning in Tuscan Early Renaissance Culture, in: The Expanding Discourse. Feminism and Art History (hrsg. v. Nathan Broude), New York 1992, S. 27 – 53. 35  Vgl. Clifton 1993, S. 125. Diese Tatsache wird auf die moralische Strenge der spanischen Inquisition zurückgeführt; vgl. Charlene Villaseñor Black: The Moralized Breast in Early Modern Spain, in: The Material Culture of Sex, Procreation, and Marriage in Premodern Europe (hrsg v. Anne L. McClanan u. Karen Rosoff Encarnación), New York 2001, S. 191 ff. 36  Vgl. Dorothea Forstner: Die Welt der Symbole, Innsbruck 1961, S. 445. Das vordere Objekt ist eindeutig als Spindel zu erkennen, während man beim hinteren aufgrund der Ausführung Schwierigkeiten hat, die exakte Objektstruktur auszumachen. Gedeutet wurde es lange Zeit als Muschel oder Schnecke, dies schien logisch aufgrund der attributiv zugeschriebenen Zwitterhaftigkeit dieser Tiere und der scheinbar entsprechenden Analogie zum Bildthema; vgl. du Gué Trapier 1952, S. 74; Civiltà del Seicento a Napoli 1984, S. 410. Vor dem Original lässt sich allerdings erkennen, dass es sich um Spindel und Rocken handelt. Der Rocken hält die zu verarbeitenden Rohfasern zusammen, im Bild sieht man die einzelnen Fäden heraushängen; korrekt beschrieben bei F. Benito Domenech: Ribera 1591 – 1652, Madrid 1991, S. 87. 37  Vgl. Stoichita u. Coderch 2006, S. 38 f. 38  Vgl. du Gué Trapier 1952, S. 74; Clifton 1993, S. 114. 39  Vgl. Scholz-Hänsel 2000, S. 44. 40  Vgl. Alberto Manguel: Bilder lesen. Eine Geschichte der Liebe und des Hasses, Hamburg 2002, S. 112 f. Es ließ sich nicht klären, woher Manguel diese Information nimmt; mir scheint, er leitet dies ab aus analogen Jungfrauenmythen, in denen der Bart vor sexuellen Übergriffen schützt. Zweifel an der Glaubwürdigkeit dieser Aussage bei Thiemann 2006, S. 53. Ich pflichte Thiemann bei, da die Inschrift von einer Ehe mit drei Kindern berichtet, bevor der Bart zu wachsen beginnt. 41  Lang 2001, S. 256. 42  Vgl. Thomas W. Laqueur: Auf den Leib geschrieben. Die Inszenierung der Geschlechter von der Antike bis Freud, Frankfurt 1992. Nach Laqueur etabliert sich, stark verkürzt gesprochen, die Dichotomie der Geschlechter erst mit dem Verschwinden der Säfte-Lehre als medizinisch-anatomisches Funktionsprinzip. Auf Basis der alten Lehre sei ein Überschreiten des biologischen Geschlechts (sex) und somit auch des sozialen Geschlechts (gender) möglich gewesen und keineswegs per se negativ behaftet.

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POLYVALENTE MASKERADEN Ovids Pomona-Mythos im »portrait historié« des frühen 18. Jahrhunderts MARLEN SCHNEIDER

Mythos und Maskerade Als Besucher der großen Ausstellung der Pariser Académie royale de peinture et de sculpture, die 1704 in der Grande Galerie des Louvre zu sehen war, konnte man ein Porträt bewundern, das laut dem begleitenden Livret »Mme la Duchesse d’Orléans & M. le Comte de Toulouse en Vertumne & Pomone« zeigte.1 Der knappe Vermerk in der Ausstellungsbroschüre klärte den zeitgenössischen Betrachter darüber auf, dass sich hinter den im Bild zu sehenden, antikisierend gekleideten Figuren zwei bekannte Persönlichkeiten befanden. Den heutigen Leser macht er darüber hinaus auf ein Phänomen aufmerksam, das für die französische Porträtmalerei des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts überaus charakteristisch war: Zahlreiche Angehörige des Hochadels  –  in diesem Fall zwei der legitimierten Kinder Ludwigs XIV. und Madame de Montespans  –  ließen sich mit Vorliebe in portraits historiés darstellen.2 Gleich mehrere dieser Bildnisse waren in der Akademieausstellung von 1704 zu sehen und spiegelten dabei nicht nur aktuelle künstlerische Tendenzen, sondern auch den höfischen Geschmack wider: Die Duchesse du Maine zeigte sich als Venus, Mademoiselle de Villefranche präsentierte sich als Psyche, der gesamte Hof von Sceaux schließlich wurde in einer Szene aus Vergils Aeneis im historisierenden Gruppenporträt festgehalten.3 Es handelte sich bei all diesen Gemälden um Bildnisse, welche die Porträtierten in Anlehnung an die Historienmalerei wiedergaben, also unter Verwendung einer historischen oder mythologi-

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schen Ikonografie. Dabei wurde der formale Bezug zum zugrunde liegenden Mythos auf unterschiedlichste Weise hergestellt; während in manchen Darstellungen Kleidung, Dekorum und auch Handlung die Historie im Porträt evozieren, finden sich in anderen Bildern nur einfache Attribute, die den Porträtierten zur Seite gestellt wurden. In allen Fällen zeichneten sich die Bildnisse jedoch dadurch aus, dass sie das zeitgenössische Modell mit einer fiktiven Figur verschmelzen ließen, deren charakterliche und physische Eigenschaften vom Porträtierten gleich einer idealisierenden Maske in Anspruch genommen wurden. Wie gezeigt werden soll, entsprachen die portraits historiés mit dieser bildimmanenten Verkleidung einem zentralen Topos des politischen, kulturellen und gesellschaftlichen Lebens im Ancien Régime: der Maskerade.4 So hatte der Höfling bei Hof seine Maske  –  hier im übertragenen Sinn  –  zu wahren, das heißt seine Gefühlsregungen strategisch zu verbergen, um seine soziale Stellung zu behaupten. Im Theater und auf dem Maskenball dienten Maskeraden der unterhaltenden Illusion und Täuschung, in Literatur und Kunst waren sie ein beliebtes rhetorisches Mittel, um über die Kostümierung schmeichelnde Vergleiche oder ironische Kommentare anzubringen. Diese kulturellen Tendenzen schlugen sich auch in der Porträtmalerei nieder. Um 1700 hatte das portrait historié bereits eine entscheidende Entwicklung vollzogen, die es von früheren Erscheinungsformen des Bildtypus wesentlich unterschied. Ursprünglich war der aus der Herrscherikonografie stammende und der überhöhenden Charakterisierung dienende Darstellungsmodus ausschließlich dem Fürsten und den Ranghöchsten der Gesellschaft vorbehalten.5 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts lässt sich jedoch eine thematische Ausdifferenzierung des Porträttypus beobachten, der immer seltener dem politisch motivierten, typologischen Vergleich im Sinne eines exemplum virtutis verschrieben war, als vielmehr der Referenz auf aristokratische Galanterie. Herrschaftlich konnotierte Ikonografien wie die Darstellung als Minerva machten zunehmend bukolischen Sujets Platz, die aus der Literatur, dem Ballett und der Oper stammten.6 Im Fall des 1704 ausgestellten Doppelporträts der Duchesse d’Orléans und des Comte de Toulouse wurde die Darstellung als Vertumnus und Pomona gewählt. Die Erzählung aus Ovids Metamorphosen, die bereits inhaltlich mit entscheidenden Prinzipien des Bildtypus  –  Verwandlung und Maskerade  –  korrespondierte, ermöglichte dadurch zugleich die Reflexion über die kulturelle Praxis der Verkleidung im Bild.7 Anhand der Pomona-Ikonografie, die im portrait historié des frühen 18. Jahrhunderts wiederholt aufgegriffen wurde, sollen an dieser Stelle wesentliche Charakteristika des hybriden Bildtypus erläutert werden. Dieser war durch das Changieren zwischen Bildnis und Historie bestens geeignet, die fiktive Welt höfischer Unterhaltungsformen mit den individuellen Repräsentationsansprüchen der Porträtierten zu verbinden, sah sich wegen einer solchen Nähe zu aristokratischen Praktiken und Normen aber auch zunehmend der ablehnenden Haltung der Moralisten und der Kunstkritik ausgesetzt. Spätestens seit Ende des 17. Jahrhunderts zählte der Mythos von Vertumnus und Po­ mona zu einem beliebten Thema der Bildenden Kunst und auch auf der Bühne hatte der Stoff Erfolg: Eine der ersten Opern in französischer Sprache, die Pastorale Pomona, die 1671 ur-

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aufgeführt wurde und auf große Begeisterung stieß, basierte beispielsweise auf der Erzählung.8 Zudem integrierten zahlreiche Ballettstücke die beiden zentralen Figuren, die um die Jahrhundertwende auch zum Kanon aristokratischer Maskeraden auf Bällen und Gartenfesten gehörten.9 Ovids Dichtung handelt von der jungen Nymphe Pomona, die sich ganz der Pflege ihres Obstgartens widmet, in welchen sie sich aus Scheu vor Männern zurückgezogen hat. Ihr wird von Vertumnus nachgestellt, dem Gott der Verwandlung, der sich Hals über Kopf in die zurückhaltende Schönheit verliebt hat und seine Täuschungskünste nutzt, um Pomona für sich zu gewinnen. Er nimmt die unterschiedlichsten Gestalten an, erscheint einmal als Soldat mit Schwert, ein anderes Mal als Fischer und schließlich als alte Greisin, um das Vertrauen der Nymphe zu gewinnen. Dieses Ziel erreicht er mit dem letzten Kostüm, in welchem er den Garten Pomonas betreten darf. Hier setzt er die Rolle der alten Frau ein, um seine Angebetete in einem gewandten Diskurs davon zu überzeugen, Vertumnus  –  also ihn selbst  –  zu erhören. Mithilfe der Verkleidung und seines rhetorischen Geschicks gelingt ihm schließlich die Verführung: In dem Moment, in welchem er die Maske vom Gesicht nimmt und sich zu erkennen gibt, verliebt sich Pomona in ihn. In der Literaturwissenschaft ist bereits darauf hingewiesen worden, dass es sich bei den zentralen Topoi von Vertumnus und Pomona um die Verwandlung und das Hybride handelt, was auf den Großteil der Erzählungen aus Ovids Metamorphosen zutrifft. Auch im Hinblick auf die sprachliche Form der Texte sind die Doppeldeutigkeit und das Wandelbare der Worte charakteristisch.10 So ist Pomona zurückhaltend und erscheint zugleich als Objekt der Be­ gierde, das es wie eine schöne Frucht (poma) zu pflücken, zu erobern gilt. Vertumnus, Meister der Verwandlung, gelingt die Annäherung mit Hilfe eines Wechselspiels aus Maskerade und geschickter Rhetorik. Beides sind Motive, die in der galanten Konversationskultur des späten 17. und frühen 18. Jahrhunderts weit verbreitet waren und die auch in der Historienmalerei aufgegriffen wurden, wie ein prominentes Gemälde von Jean Ranc vor Augen führt |Abb. 1|.11 Dabei hält sich der Maler stark an die Vorgaben des Textes von Ovid: Er zeigt das Paar im Garten Pomonas, der Obstkorb und die Sichel darin verweisen auf die Tätigkeit der Nymphe, welche schützend ihre Hand auf die gepflückten Früchte gelegt hat. Der schmachtende Vertumnus ist im Begriff, seine überzeugenden Worte zu formulieren, und ergötzt sich an der Nähe zu seiner Angebeteten. Als wollte Ranc auf die täuschende Maske in seinem Bild aufmerksam machen, taucht er das Gesicht der alten Frau in dunklen Schatten, der mit der strahlenden Erscheinung Pomonas kontrastiert.

Zwischen Porträt und Historie Aktuellen Tendenzen der Historienmalerei folgend, griffen auch zahlreiche portraits historiés den Pomona-Mythos auf, wobei die Beliebtheit dieser Ikonografie in den Bildnissen zudem ästhetisch bedingt war. Wie eingangs bereits hervorgehoben, korrespondierte das charakteristische Changieren des Porträttypus zwischen den Gattungen formal mit dem Inhalt

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1  Jean Ranc: Vertumnus und Pomona, um 1710, Öl auf Leinwand, 170 × 120 cm, Montpellier, Musée Fabre

der Erzählung, die ebenfalls das Hybride und die Metamorphose zum Thema hat. Tatsächlich ist das Spiel mit der Identität des Modells und mit der Wahrnehmung des Betrachters ein wesentliches Anliegen der portraits historiés. Ähnlich wie in anderen kulturellen Praktiken der höfischen Gesellschaft, den Maskeraden, Bällen, Opern- und Ballettaufführungen, wird in diesen Bildnissen die täuschende Verkleidung als entscheidende Inszenierungsstrategie

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2  Jean Ranc: Porträt einer jungen Dame als Pomona, um 1710, Öl auf Leinwand, 94 × 83 cm, Stockholm, Nationalmuseum

eingesetzt. Doch folgt auch das portrait historié immer jenem repräsentativen Anspruch, der für die Gattung des Porträts im Ancien Régime konstitutiv ist und voraussetzt, dass der Dargestellte erkannt werden kann oder zumindest der Bildnischarakter des Gemäldes offenbar wird.12 Das Historienbild Jean Rancs soll als Vergleichsfolie dienen, um die verschiedenen künstlerischen Strategien aufzuzeigen, die im portrait historié angewandt wurden. Durch Annäherung an die Historie sollte die gewünschte illusionistische Wirkung erzielt, gleichzeitig aber der Porträtanspruch der Bilder gewahrt werden. Ein zur selben Zeit entstandenes, ebenfalls dem Pomona-Mythos gewidmetes portrait historié aus dem Atelier Rancs beispielsweise reduziert die Historie auf bloßes Beiwerk, das dem Bildnis kompositorisch untergeordnet wird |Abb. 2|.13 Wie im Historienbild wird Po-

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mona in hellem Sonnenlicht in Szene gesetzt, Obstkorb und Sichel sind ihr als Attribute zur Seite gestellt worden und auch Kleidung und Draperien der Hauptfiguren ähneln einander. Doch im Gegensatz zum größeren Gemälde ist Pomona in den Bildmittelpunkt gerückt. Nicht mehr die Konversation mit dem getarnten Vertumnus ist Thema der Darstellung, sondern die Inszenierung der porträtierten Dame in der Rolle der schönen Nymphe. Vertumnus ist als attributiver Verweis auf die mythologische Erzählung an den Rand des Gemäldes gedrängt worden. Die Fokussierung auf die Porträtierte, die fast die gesamte Fläche ausfüllt, und der Blick der jungen Frau, der nicht etwa Vertumnus gilt, sondern aus dem Bildraum heraus schweift und den Kontakt zu einem möglichen Betrachter sucht, kennzeichnen das Bild eindeutig als Porträt, das wie keine andere Gattung der Kommunikation zwischen Künstler, Modell und Rezipient dient.14 Hier liegt auch der entscheidende Unterschied zum ersten Gemälde, in welchem die Handlung zwischen den beiden Hauptfiguren thematisiert wird. Sie treten durch Blicke, Gesten und Körperhaltung zueinander in Beziehung, die Konzentration liegt auf der Interaktion der beiden Akteure, die sich in einem hermetischen Raum befinden. Diese Darstellung ist zweifellos als Historienbild konzipiert. Der Vergleich der beiden Gemälde zeigt, wo die Grenzen zwischen den zwei Gattungen im portrait historié verlaufen können, jedoch geschieht dies von Fall zu Fall auf unterschiedliche Weise: Mal dominieren Prinzipien der Porträtgattung die Komposition, mal die der Historie.15 Das Bildnis von Ranc orientiert sich im Hinblick auf die Attribute, die Farbgebung und die Gewandbehandlung zwar an dem zuvor angefertigten Historienbild, doch verweist die Komposition eindeutig auf den Porträtcharakter des Bildes, ebenso wie die zeitgenössische Palastarchitektur, die im Hintergrund des Gemäldes zu erkennen ist und die Dame als Angehörige hoher aristokratischer Kreise ausweist.16 Anders ist dies bei dem 1704 ausgestellten Doppelbildnis der Duchesse d’Orléans und des Comte de Toulouse |Abb. 3|.17 In antikisierende Kleider gehüllt präsentieren sich die Prinzessin und ihr Bruder als Nymphe und Verwandlungsgott, die Attribute der Pomona sind im Bild ebenso zu sehen wie die täuschende Maske des Vertumnus. Dieser nimmt jedoch einen fast gleichrangigen Platz neben der porträtierten Dame ein und seine Gesichtszüge sind nicht wie im Historienbild Rancs durch die Maske der alten Frau unkenntlich gemacht, sondern wurden  –  dem Porträtanspruch des Bildes folgend  –  bereits den Blicken des Betrachters freigegeben. Der formale Bezug zur Historie ist in diesem Bildnis insofern konsequenter, als neben den Kostümen auch der architektonische Rahmen antikisierend gehalten ist und die beiden Figuren zudem von drei Putti begleitet werden, die ihnen als historisierende Staf­fage zur Seite gestellt wurden. Deren belebte Gestik bringt zusätzlich Bewegung in die Szene und unterstützt den narrativen Gehalt der Darstellung. Denn im Gegensatz zum Einzelporträt Rancs ermöglicht das Format des Doppelbildnisses die Integration von Handlung: Der porträtierte Herr hat sich in der Rolle des Vertumnus neben Pomona gekniet und ergreift, nachdem er seine Maske vom Gesicht genommen hat, ihren Arm. Das Werben um die schöne Nymphe ist Thema des Bildes, wobei die Duchesse d’Orléans im Mittelpunkt und ihr galanter Bruder an ihrer Seite die bei Ovid geschilderte Szene selbst ausführen. Es sind nicht

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3  Unbekannter Künstler: Der Comte de Toulouse und die Duchesse d’Orléans als Vertumnus und Pomona, um 1700, Öl auf Leinwand, 109,8 × 92,7 cm, Barnard Castle, The Bowes Museum

nur die antikisierenden Kostüme, sondern vielmehr ist es die gemeinsame, dem antiken Text zugrunde liegende Aktion, durch die die Darstellung historisiert wird und sich der illusionistische Gehalt des Bildes erhöht.

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Es handelt sich hierbei um eine spezifische Eigenschaft des portrait historié, das im Gegensatz zu einer einfachen Bildnismaskerade zwischen Porträt und Historie konzipiert ist und sich somit dem Dekorum der höherstehenden Gattung als bildimmanenter Maske bedienen kann.18 Nicht das Bühnenkostüm oder die für einen Maskenball bestimmte Festrobe sind hier zu sehen, sondern das narrative Setting einer Szene aus Ovids Pomona-Mythos, wie es dem Betrachter aus der zeitgenössischen Historienmalerei vertraut war. Eine solche Maskerade unterliegt der Bildlogik und den entsprechenden ästhetischen Konventionen der Historie. Die Porträtierten schlüpfen in das gemalte Kostüm der literarischen Figuren, die Täuschung erfolgt durch das Changieren zwischen Bildrealität und Porträtanspruch, der trotz der Verkleidung auf die Erkennbarkeit der Dargestellten abzielt. Dem Betrachter wird dies  –  unabhängig von der Wiedererkennbarkeit der heute meist anonymen Personen  –  oftmals durch Blickkontakt signalisiert oder zumindest durch einen Bruch mit der im Bild enthaltenen Narration. Im Fall des Doppelbildnisses geschieht dies zudem durch den Rückgriff auf zeitgenössische Frisuren, deren genaue Wiedergabe von Kunsttheoretikern wie Roger de Piles als wesentlicher Garant für die ressemblance, die Porträtähnlichkeit angesehen wurde: »[…] il est si constant que la manière dont on a accoutumé de se coiffer, sert à la ressemblance, que l’on a souvent hésité de reconnaitre les hommes parmi lesquels on était tous les jours, quand ils avaient mis une perruque un peu différente de celle qu’ils avaient auparavant. Ainsi il faut, autant qu’on le peut, prendre l’air des coiffures pour s’accompagner & faire valoir celui des visages […].«19 Gleichzeitig problematisiert de Piles die gängige Praxis der Porträtmaler, ihre Modelle in Phantasiekostümen zu malen und mit effektvollen, aber unrealistisch erscheinenden Draperien zu umgeben.20 Für Künstler, die sich dem portrait historié verschrieben hatten, stellte die Verwendung von zeitgenössischen Frisuren oder modischem Schmuck eine Möglichkeit dar, den Spagat zwischen idealisierender, narrativer Historie und wirklichkeitsbezogenem, repräsentativem Bildnis zu schaffen.

Kommentar zur galanten Praxis In einem anderen Doppelbildnis, das Pierre Gobert zugeschrieben wird, wurde die von de Piles geforderte Orientierung am Zeitgenössischen noch um einiges weiter getrieben |Abb. 4|.21 Auch hier handelt es sich um zwei Personen, die sich in den Rollen von Vertumnus und Pomona haben porträtieren lassen. Ort und Attribute basieren auf der Erzählung Ovids. Einem Historienbild entsprechend sind die beiden Figuren gleichrangig und inmitten einer Handlung gezeigt; das Werben des Vertumnus um Pomona ist wie im vorherigen Doppelbildnis das gewählte Darstellungsmoment. Wie dort blickt die Dame aus dem Bildraum heraus und der porträtierte Herr hat die Maske vom Gesicht genommen. Doch sind hier die Port-

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4  Pierre Gobert: Porträt einer Dame und eines Herren als Vertumnus und Pomona, um 1718, Öl auf Leinwand, 130 × 146 cm, Privatsammlung

rätierten nicht antikisierend gekleidet, sondern tragen neben zeitgenössischen Frisuren auch die aktuellste Mode: Das um die Taille gegürtete Kleid und die auf Armbeuge geschnittenen, spitzenbesetzten Ärmel weisen die Dame ebenso als wohlhabende Aristokratin aus, wie die Allongeperücke und der kostbar verzierte justaucorps den Herrn als hochstehende Persönlichkeit. Die formale Umsetzung ist derart in den zeitgenössischen Kontext gerückt worden, dass es sich kaum noch um eine Adaption nach Ovid, als vielmehr um die Schilderung eines galanten Treffens in einer Gartenlaube handeln könnte. Lediglich die Attribute sublimieren die gezeigte Szene zum historisierenden Bildnis und ermöglichen den Vergleich des Gesehenen mit den Figuren Ovids. In diesem portrait historié zeigen sich die Porträtierten nicht in mythologischer Verkleidung. Sie übernehmen stattdessen in ihren eigenen Gewändern die Rollen aus einem antiken Mythos, der bereits selbst die galante Praxis des Maskierens, der Täuschung und des Werbens um eine schöne Frau thematisiert. Das Doppelbildnis Goberts gerät durch dieses Nachspielen des Pomona-Mythos im zeitgenössischen Kontext zum Medium der höfischen Konversationskultur und bietet darüber hinaus die Möglichkeit, über die Praxis der Maskerade zu reflektieren. Zunächst einmal muss das Doppelbildnis als Ausdruck aristokratischer Galanterie verstanden werden, denn es greift eine rhetorische Technik auf, die sowohl in der galanten

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Dichtung als auch in performativen Ausdrucksformen der höfischen Gesellschaft von großer Bedeutung war: der mythologische Vergleich, der in der Dichtung mit Worten, aber auf dem Ball, im höfischen Fest und auch im Bild mithilfe von Maskeraden umgesetzt werden konnte. Wurde in Lobgedichten die Schönheit einer Prinzessin in Analogie zur Anmut von Venus und Diana gepriesen, so bot die mythologische Verkleidung auf einem Maskenball eine ähnliche Gelegenheit zum galanten Kompliment wie die bildimmanente Maskerade im portrait historié. Hier eignete sich Ovids Erzählung als ikonografische Grundlage für die Darstellung ganz besonders, da einerseits die Schönheit der Pomona bildrhetorisch auf die porträtierte Dame übertragen werden konnte und andererseits  –  im Fall des Doppelporträts  –  die Redegewandtheit des Vertumnus auf den Herren.22 Dieser kann dem Betrachter zudem als Identifikationsfigur dienen und ihn dazu anregen, die Haltung zu imitieren, die Vertumnus im Bild einnimmt: Gleich dem Porträtierten soll uns Bewunderung angesichts der hübschen Dame ergreifen und wie er sollen auch wir uns versucht fühlen, sie zu berühren. Bei dem durch Gestik und Mimik transportierten Appell an die Empfindsamkeit des Rezipienten handelt es sich um eine bildrhetorische Technik, die in der Historienmalerei der Zeit entwickelt wurde und auch im portrait historié Anwendung fand.23 Diese Konzipierung des Bildtypus im Kontext höfischer Konversationspraktiken lässt sich noch eindeutiger nachvollziehen, wenn zum Bild zusätzlich der literarische Kommentar tritt, so wie bei einem Porträt, das 1703 von Hyacinthe Rigaud in Öl gemalt und 1709 von Michel Dossier gestochen wurde |Abb. 5|.24 Das Bildnis zeigt Anne Varice de Vallière, Gattin des grand audiencier Jean Neyret de la Ravoye und somit Angehörige der noblesse de robe, ebenfalls in der Rolle der schönen Pomona. Die Komposition von Rigaud, der die Porträtierte in einem kostbar gestalteten Gewand und mit zeitgenössischer Haartracht zeigt, wird in der Grafik nicht nur um den Ausblick auf ein herrschaftliches Gebäude erweitert, bei dem es sich vermutlich um das Anwesen der Dargestellten und ihrer Familie handelt, sondern auch um eine Bildunterschrift. Das Gedicht, das aus der Feder des Poeten und Satirikers François Gacon stammt, ist als Kommentar zum Bildinhalt zu lesen: »Aux doux airs que le Peintre donne A la vieille de ce tableau Je croirois Vertumne et Pomone Le vray sujet de son pinceau. Par cette fable avec adresse Il prouve cette vérité: Rien ne charme plus la vieillesse Que la jeunesse et la beauté«. Gacons Verse thematisieren zwei grundsätzliche Wirkungsweisen, die für das portrait historié charakteristisch sind. Zum einen weisen sie auf die Irreführung des Betrachters hin, der nicht weiß, ob er es mit einem Porträt oder mit einem Historienbild zu tun hat, das der

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5  Michel Dossier (nach Hyacinthe Rigaud): Anne Varice de Vallière als Pomona, 1709, Kupferstich, 46,2 × 33,6 cm, Dresden, Kupferstichkabinett

Erzählung von Vertumnus und Pomona gewidmet ist. Der Autor kommt zunächst zu dem Schluss, dass es sich um letzteres handeln muss, da die Züge von Vertumnus so schmeichelhaft dargestellt sind, wie es nur in einem Historienbild der Fall sein kann; in den meisten Porträts wird vielmehr die Rolle der Pomona in Szene gesetzt. Doch dann äußert sich Gacon auf geschickte Weise zur Qualität des Porträts, indem er seine erste Beobachtung damit erklärt, dass die gelungene malerische Umsetzung der Schönheit und Jugend der porträtierten Dame

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die gefällige Erscheinung der Alten an ihrer Seite bewirkt. Sein schmeichelnder Kommentar, der im Gedicht zunächst Vertumnus gewidmet ist, wird somit umgekehrt und richtet sich stattdessen an die Porträtierte. Madame de Vallière zeigt sich in einer Rolle, der attraktive Eigenschaften zugeschrieben werden, und gibt somit Anlass zu vorteilhaften Vergleichen, die der Dichter und andere Betrachter anbringen können.

Maske und Distinktion Das Doppelbildnis Goberts ist im Kontext aristokratischer Galanterie zu verorten, zeichnet sich jedoch darüber hinaus durch eine reflexive Ebene aus. Indem die beiden Porträtierten in die Rollen von Vertumnus und Pomona schlüpfen, sich aber in zeitgenössischer Kleidung präsentieren und somit die Illusion aufheben, gerät das Bild zum Kommentar der höfischen Praxis der Täuschung und der Maskerade. Sichel, Obstkorb und Maske suggerieren die mythologische Verkleidung, die Abnahme der Maske sowie die aktuelle Mode führen jedoch zu ihrer Entlarvung. Indem Vertumnus die Maske gleich einem Symbol des Verkleidens in die Höhe hält, wird diese Metaebene des Bildes besonders deutlich gemacht. Über den ikonografischen Verweis auf den Pomona-Mythos hinausgehend, steht die Gesichtsmaske für die »charakteristische Dialektik des Zeigens und Verhüllens«, die jeder Maskerade zu eigen ist.25 Das Porträt als gemalte Maske unterliegt derselben Dialektik, da es Wesentliches über den Porträtierten verrät, jedoch nie mit ihm identisch werden kann. Im Fall von Goberts portrait historié wird der Betrachter Zeuge eines Enthüllungsvorgangs, der die Porträtierten zwar augenscheinlich von ihrer Verkleidung befreit: Es wurde auf historisierende Kostüme verzichtet und die Gesichtsmaske ist bereits abgenommen worden. Doch dabei weicht die täuschende Kleidung nur einer anderen Form von Maske, nämlich der sozialen Rolle des galanten Höflings, welche das Bildnis bestimmt.26 Gezeigt wird das höfische Selbstverständnis der beiden Porträtierten, verhüllt werden dadurch zwangsläufig ihr wahrhaftiges Antlitz und ihre aufrichtigen Gefühlsregungen. Neben dieser Reflexion über die Maskenhaftigkeit der Gattung Porträt scheint das Doppelbildnis in noch unmittelbarerem Bezug zu einem anderen zeitgenössischen Bildtypus zu stehen, der ebenfalls sehr in Mode war: das Porträt in Ballkleidung.27 Hier wird die Maske als Distinktionsmerkmal der höfischen Gesellschaft inszeniert, indem sie Angehörigen des Hochadels, die sich für den Ball vorbereiten, in die Hand gegeben oder zur Seite gestellt wird. Ein großformatiges Porträt aus dem Atelier Goberts zeigt so Mademoiselle de Blois im kostbar bestickten, mit schwarzem und weißem Pelz besetzten Ballkleid |Abb. 6|. Im Hintergrund sind ein standesgemäßer Vorhang und ein marmornes Säulenpaar angedeutet, welche den Bildraum als Inneres eines herrschaftlichen Prachtbaus ausweisen und Formeln des von Hyacinthe Rigaud geprägten portrait d’apparat zitieren. Doch das Wesentliche des Gemäldes verbirgt sich in zwei Details: in der schwarzen Samtmaske, die auf dem Tisch rechts hinter der Dame zusammen mit einem weißen Handschuh zu sehen ist, sowie im Handschuh,

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der von ihr bereits angezogen wird. Im formalen Bildmittelpunkt ist diese Geste des Anziehens festgehalten, die auf subtile Weise das Thema des Maskierens aufgreift. Die Prinzessin ist im Begriff, sich für einen Maskenball vorzubereiten, ihre Hände mit Handschuhen zu verhüllen und ihr Gesicht mit einer Maske zu verbergen. Das Prozesshafte des Verkleidens wird in Szene gesetzt, das Vorübergehende des Zustands, in welchem dem Dictionnaire der Académie française zufolge alles erlaubt ist: »Les masques ont beaucoup de liberté«, heißt es im Eintrag zur Maske im 1694 erschienenen Band.28 Auch wenn es sich bei diesem Gemälde von Pierre Gobert nicht um ein portrait historié handelt, so veranschaulicht es doch die gesellschaftliche Bedeutung der Maskierung, die ebenso exklusiver Teil der höfischen Kultur war wie das strenge Zeremoniell. Als gesellschaftliche Ereignisse, die gleich dem Ballett, dem Theater und der Oper sowohl unterhielten, als auch die Machtverhältnisse am Hof offenlegten, zogen Maskenbälle ein hohes 6  Pierre Gobert (Atelier): Porträt FrançoiseMaß an Aufmerksamkeit auf sich. Die Veranstal- Marie de Bourbon, Mlle de Blois, um 1720, Öl auf tungen hatten einen überaus exklusiven Charak- Leinwand, 138 × 114 cm, Versailles, Musée national des châteaux de Versailles et de Trianon ter und schon die bloße Anwesenheit stellte eine besondere Auszeichnung für den Höfling dar.29 Trat man in Maske auf, so betonte man seine aristokratische Herkunft, da diesem Milieu die Maskierung vorbehalten war. In Goberts Porträt der Mademoiselle de Blois zeigt sich diese repräsentative Konnotation in der Anordnung der Maske und des Handschuhs, die gleich Herrschaftsinsignien auf dem Tisch drapiert werden. Das portrait historié erfüllt dieselbe distinktive Funktion, denn auch die bildimmanente Verkleidung wurde ursprünglich vom Hochadel beansprucht.30 Mit Hilfe der Pomona-Ikonografie kann darüber hinaus das höfisch kodierte Accessoire der Gesichtsmaske, das aus den Bildnissen in Ballrobe bekannt war, unmittelbar im portrait historié zitiert werden. Schließlich wird die Verkleidung neben der bereits beschriebenen Bedeutung als soziales Distinktionsmittel und Bestandteil galanter Konversation auch zum Zweck des ironischen Kommentars eingesetzt, der nicht selten das Trügerische des äußeren Scheins anvisiert; die Schilderungen Saint-Simons oder Berichte von ausländischen Gesandten am Hof geben Einblick in den komplexen Umgang mit der Kostümierung.31 Auch zeichnete der unterhaltende Wert des Spiels mit verschiedenen Identitäten, wie er beispielsweise in wandelbaren Bildnisminiaturen zum Ausdruck kommt, für die Beliebtheit von Maskeraden im höfischen Fest

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und im Bild verantwortlich.32 Die vielschichtigen Konnotationen, die mit dem Thema der Maske im frühen 18. Jahrhundert in Verbindung zu bringen sind, werden im portrait historié aufgegriffen und auf unterschiedliche Weise reflektiert. Vorzugsweise werden dabei Ikonografien verwendet, die  –  wie es bei Vertumnus und Pomona der Fall ist  –  das Wechselspiel zwischen Realität und Illusion bereits inhaltlich aufgreifen. Dies gilt für das genannte Beispiel Rigauds ebenso wie für die Bildnisse Rancs und Goberts, insbesondere aber für dessen Doppelbildnis, da hier die Polyvalenz der bildimmanenten Maskerade am deutlichsten wird.

Maskenkritik  –  Porträtkritik Doch auch wenn die Maskerade den repräsentativen Bedürfnissen der Auftraggeber Folge leistet, so steht sie im Widerspruch mit der von zahlreichen Porträttheoretikern der Zeit geforderten vraisemblance, der Wahrhaftigkeit der Darstellung im Porträt, und nicht selten auch mit der ressemblance, der entsprechenden Ähnlichkeit.33 Eine wesentliche Aufgabe neuzeitlicher Porträtmalerei stellte das Festhalten der äußeren Erscheinung zeitgenössischer Personen für die Nachwelt dar, welche durch die Bildnisse über die Gesichtszüge, den Charakter, die gesellschaftliche Bedeutung, aber auch über die zeitgemäße Kleidung der Porträtierten aufgeklärt werden sollte. So fordert beispielsweise Jean de La Bruyère 1691 in seinen Caractères: »Nos pères nous ont transmis, avec la connaissance de leurs personnes, celle de leurs habits, de leurs coiffures, de leurs armes et des autres ornements qu’ils ont aimés pendant leur vie; nous ne saurions bien reconnaître cette sorte de bienfait qu’en traitant de même nos descendants.«34 Im portrait historié kann dieser Anspruch kaum eingelöst werden, da es allenfalls Auskunft über die Gesichtszüge der dargestellten Person und deren Frisur gibt, aber in der Regel nicht über ihre übliche Kleidung. Nur in Einzelfällen greift es auf zeitgenössische Mode zurück, häufiger jedoch auf historisierende Gewänder oder gar vom Maler entworfene Phantasiekostüme, die nur in der Bildrealität existieren.35 Auch der gesellschaftliche Status kann nur von demjenigen nachvollzogen werden, der mit dem Einsatz von mythologischer oder antikisierender Maskerade vertraut ist und ihn entsprechend zu entschlüsseln weiß; mit zunehmender Adaption des Bildtypus durch gesellschaftliche Parvenüs waren jedoch auch die Grenzen innerhalb der Stände im Bild durchlässig geworden. Allgemein lesbare Attri­ bute wie Standesinsignien fehlen ebenso wie die Einbettung in einen realen räumlichen Kontext, der Aufschluss über die Position des Porträtierten geben könnte. Zwar versuchten die Porträtmaler auf unterschiedlichste Weise den Ansprüchen der Gattung gerecht zu werden: Gemälde wie das Doppelbildnis Goberts sind als Reaktion auf die Forderungen der Porträttheorie nach zeitgenössischen Bezügen zu verstehen, sie stellen aber nicht den Regelfall des portrait historié dar. Außerdem darf nicht außer Acht gelassen werden, dass die Bildnisse für einen ganz bestimmten Rezipientenkreis geschaffen wurden: Während die auf einem gemeinsamen kul-

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turellen Kontext basierende Kodierung der portraits historiés im höfischen Umfeld funktionierte, reagierten Betrachter außerhalb dieses sozialen Milieus mit Irritation und Ablehnung. So finden sich von der Mitte des 17. Jahrhunderts bis zum Ende des Ancien Régime zahlreiche Stimmen von Seiten der Hofkritik, der Moralisten und später auch der Kunsttheorie und -kritik, die sich gegen die mythologische oder historisierende Verkleidung im Bild wenden.36 Diese Haltung liegt in einem generell verbreiteten Vorwurf der Porträtkritik begründet, die Gattung diene in erster Linie der Täuschung und sei nichts anderes als Maskerade, was insofern unumgänglich sei, als dass bereits die Modelle selbst Masken trügen, sich also verstellten.37 So schildert schon Charles Sorel in seiner 1659 erschienen Description de l’île de portraiture die Problematik, dass bereits die Klientel der Porträtmaler unaufrichtig sei und sich nur maskiert, also ohne ihr wahres Erscheinungsbild zu zeigen, malen lassen wolle: »Il y en avait aussi dont les masques étaient si bien faits, et si adroitement attachés ou collés, qu’on les prenait pour leur vrai visage.«38 Sorels daraus resultierende Gleichsetzung von Porträt und Maske, die zum einen die höfische Taktik der Verstellung anprangert, zum anderen die Distanz zwischen gemaltem Abbild und dem wahren Kern des Porträtierten unterstreicht, findet im portrait historié noch eine Steigerung.39 Der Bildtypus rückt daher verstärkt in den Mittelpunkt einer Kritik, die den Anspruch von Wahrhaftigkeit an die Porträtkunst heranträgt. Nicht zuletzt auch die sich wandelnde moralische Bewertung von Maskerade und Täuschung gibt Aufschluss über den ambivalenten Status des portrait historié. Im 17. Jahrhundert wurde die Kunst der Verstellung als Notwendigkeit bei Hofe angesehen und nur der Höfling, der seine Maskerade geschickt einzusetzen wusste, konnte es zu Ansehen bringen, wie Baldassare Castiglione bereits im 16. Jahrhundert in seinem Libro del cortegiano feststellt.40 Zieht man noch einmal den Dictionnaire der Académie française heran, so wird die Maske auch um 1700 noch im doppelten Sinn als karnevaleske Verkleidung und als gesellschaftliche Strategie der Täuschung definiert.41 Gegen Ende des 17. und im Laufe des 18. Jahrhunderts wird in Anknüpfung an die Kritiken von La Rochefoucauld und La Bruyère die Maske jedoch zunehmend als Leitmotiv der moralistischen Kritik eingesetzt; die Verstellungskunst als höfische Taktik wird nunmehr als verwerfliche Maskierung verstanden.42 Mit dem stärker in den Vordergrund tretenden Ideal der Aufrichtigkeit verliert konsequenterweise die Verkleidung als Darstellungsprinzip im Porträt an Bedeutung. Das portrait historié ist aufs Engste mit den kulturellen Praktiken und Konventionen eines gesellschaftlichen Milieus verbunden, das im Laufe des 18. Jahrhunderts mit kapitalen geistesgeschichtlichen und politischen Veränderungen konfrontiert wird. Die zahlreichen kritischen Äußerungen, die den Bildtypus vom Beginn seiner Blütezeit bis in die Kunstgeschichtsschreibung des 20. Jahrhunderts begleiten, müssen als Reaktion auf diesen unmittelbaren Zusammenhang zwischen aristokratischen Idealen und den Bildnissen verstanden werden.43 Vor dem Hintergrund eines sich neu herausbildenden, dem Humanismus und der Aufklärung verpflichteten Wertekanons lesen sich die Argumente der Moralisten und Kunsttheoretiker gegen diese Bildnisform vornehmlich als Gesellschaftskritik, die höfische Umgangsformen und Praktiken an den Pranger stellt.

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Gleichwohl zählte die Maskerade über mehrere Jahrzehnte hinweg zu den wesentlichen Strategien aristokratischer Repräsentation im Bild und entwickelte sich im ursprünglichen Rezipientenkreis der portraits historiés zu einem regelrechten Modephänomen. Es gab zwischen 1680 und 1740 kaum eine Prinzessin oder Herzogin, die sich nicht im mythologischen Kostüm hat malen lassen, zahlreiche Porträtmaler probierten sich in dieser Gattung aus oder spezialisierten sich fast ausschließlich auf portraits historiés. Durch die Kontextualisierung der Bildnisse in der höfischen Konversationskultur, deren spezifisches rhetorisches Prinzip der Vergleich war, können die portraits historiés als elementarer Bestandteil aristokratischer Inszenierung begriffen und somit ihr hohes Aufkommen erklärt werden. Erst mit der Entstehung eines Kunstpublikums und der Eigendynamik einer Kunstszene jenseits der höfischen Konventionen und Repräsentationsbedürfnisse ließ die Beliebtheit des Bildtypus allmählich nach.44 Auch die kritische Haltung der Kunsttheorie gegenüber dieser hybriden Gattung, die unbefangen die Grenzen zwischen der Historie und der Porträtmalerei überschritt, zeichnet für die Krise des portrait historié ab der Mitte des 18. Jahrhunderts verantwortlich. Doch im späten 17. und frühen 18. Jahrhundert war es gerade diese Eigenschaft der Bildnisse, die das Changieren zwischen Realität und Fiktion, zwischen Individualität und Maske ermöglichte und so auf ein gesellschaftliches Phänomen reagierte, das allgegenwärtig war.

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1  Exposition de 1704, in: Collection des livrets des anciennes expositions depuis 1673 jusqu’en 1800 (hrsg. v. Jules Guiffrey), Paris 1869, S. 5 – 46, S. 30. 2  Zum portrait historié im Ancien Régime vgl. Dominique Brême: Portrait historié et morale du Grand Siècle, in: Visages du Grand Siècle. Le portrait français sous le règne de Louis XIV. 1660 – 1715 (hrsg. v. Jean Aubert, Alain Daguerre de Hureaux u. Emmanuel Coquery), Ausstellungskatalog, Musée des BeauxArts, Nantes 1997, S. 90 – 104; Thomas Kirchner: Der epische Held. Historienmalerei und Kunstpolitik im Frankreich des 17. Jahrhunderts, München 2001, S. 78 ff.; Imola Kiss: Considérations sur le portrait historié, in: Frédéric Elsig, Laurent Darbellay u. Imola Kiss (Hrsg.): Les genres picturaux. Genèse, métamorphoses et transpositions, Genf 2010, S. 103 – 132; Hubertus Kohle: Hyacinthe Rigauds Porträt des Gaspard de Gueidan. Kunst und aristokratische Politik im Ancien Régime, in: Andreas Beyer u. Ulrich Schütte (Bearb.): Bildnis, Fürst und Territorium, Berlin u. München 2000 (Rudolstädter Forschungen zur Residenzkultur, Bd. 2), S. 249 – 266; Friedrich Polleroß: Alexander redivivus et Cleopatra nova. L’identification avec les héros et héroïnes de l’histoire antique dans le »Portrait historié«, in: Chantal Grell, Werner Paravicini u. Jürgen Voss (Hrsg.): Les princes et l’histoire du XIVe au XVIIIe siècle, Bonn 1998, S. 427 – 471. 3  Vgl. Exposition de 1704, S. 23, S. 29 u. S. 31. 4  Vgl. Wir sind Maske (hrsg. v. Sylvia Ferino-Pagden), Ausstellungskatalog, Kunsthistorisches Museum, Wien 2009; Hans Belting: Faces. Eine Geschichte des Gesichts, München 2013; Philippe Hourcade: Mascarades et ballets au Grand siècle (1643 – 1715), Paris 2002; Richard Weihe: Die Paradoxie der Maske. Geschichte einer Form, München 2004. 5  Zu traditionellen, der Herrscherikonografie verschriebenen Formen des portrait historié vgl. Françoise Bardon: Le portrait mythologique à la cour de France sous Henri IV et Louis XIII. Mythologie et politique, Paris 1974; Brigitte Walbe: Studien zur Entwicklung des allegorischen Porträts in Frankreich von seinen Anfängen bis zur Regierungszeit König Heinrichs II., Frankfurt am Main 1974; Friedrich Polleroß: From the exemplum virtutis to the apotheosis. Hercules as an identification figure in portraiture. An example of the adoption of classical forms of representation, in: Allan Ellenius (Hrsg.): Iconography, Propaganda, and Legitimation, Oxford et al. 1998, S. 37 – 62. 6  Zum Porträt in der Rolle der Minerva vgl. Francis H. Dowley: French Portraits of Ladies as Minerva, in: Gazette des Beaux-Arts 5 – 6/1955, S. 261 – 286; Die Galerie der Starken Frauen. Die Heldin in der französi­schen und italienischen Kunst des 17. Jahrhunderts (hrsg. v. Bettina Baumgärtel u. Silvia Neysters), Ausstellungskatalog, Kunstmuseum, Düsseldorf 1995. 7  Vgl. P. Ovidius Naso: Vertumnus und Pomona, in: id.: Metamorphosen, Buch 14, Vers 622 – 7 71. 8  Vgl. Daniela Dalla Valle: Le succès du premier opéra en français, in: Rainer Zaiser (Hrsg.): L’âge de la représentation. L’art du spectacle au XVIIe siècle, Tübingen 2007, S. 157 – 168, S. 160. 9  Vgl. Dictionnaire des théâtres de Paris. Contenant toutes les pièces qui ont été représentées jusqu’à présent sur les différents théâtres français et sur celui de l’Académie royale de musique (hrsg. v. François Parfaict, Claude Parfaict u. Godin d’Abguerbe), Bd. 4, Paris 1756, S. 218, s. v. »Pomone et Vertumne«; vgl. anonym: Suite des divertissemens de Seaux, contenant des chansons, des cantates et autres pièces de poësies, avec la description des nuits qui s’y sont données, et les comédies qui s’y sont jouées, Paris 1725, S. 154 – 157. 10  Vgl. Hélène Vial: Pomone et Vertumne ou le désir d’hybridité, in: Hélène Casanova-Robin (Hrsg.): Ovide. Figures de l’hybride. Illustrations littéraires et figurées de l’esthétique ovidienne à travers les âges, Paris 2009, S. 247 – 266; Roxanne Gentilcore: The Landscape of Desire. The Tale of Pomona and Vertumnus in Ovid’s Metamorphoses, in: Phoenix 2/1995, S. 110 – 1 20. 11  Vgl. Les Amours des dieux. La peinture mythologique de Watteau à David (hrsg. v. Colin B. Bailey), Ausstellungskatalog, Galeries nationales du Grand Palais, Paris 1991, S. 100 – 105; Chefs-d’oeuvre de la

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peinture. De Jean Cousin à Degas (hrsg. v. Thierry Bajou u. Valérie Bajou), Bestandskatalog, Musée Fabre, Montpellier 1988, S. 98. Zur galanten Kultur in Frankreich vgl. Alain Viala: La France galante. Essai historique sur une catégorie culturelle, de ses origines jusqu’à la Révolution, Paris 2008. 12  Vgl. Emmanuel Coquery: Le portrait français sous Louis XIV, in: Visages du Grand Siècle 1997, S. 15 – 18. 13  Zu Jean Ranc vgl. Stéphan Perreau: Les années parisiennes de Jean Ranc, in: L’estampille, l’objet d’art 475/2012, S. 38 – 47. 14  Bereits Roger de Piles sieht eine wesentliche Aufgabe der Porträtmalerei darin, den Kontakt zum Betrachter herzustellen, ihn anzusprechen und von bestimmten Eigenschaften des Porträtierten zu überzeugen, so dass der Maler als Mittler zwischen Modell und Betrachter fungiert; vgl. Roger de Piles: Cours de peinture par principes, Paris 1708, S. 279 f.; vgl. auch Lars Olof Larsson: »… Nur die Stimme fehlt!« Porträt und Rhetorik in der Frühen Neuzeit, Kiel 2012. Zur kommunikativen Eigenschaft und zur Bedeutung des Blicks als konstitutives Element der Porträtmalerei vgl. Jean-Luc Nancy: Le regard du portrait, Paris 2000, S. 32 – 33, S. 71 ff. 15  Adams erstellt in dieser Hinsicht eine Typologie der portraits historiés, die sie der narrativen Struktur der Bilder entsprechend als »observer portrait historié«, »attributive portrait historié« beziehungs­weise »performative portrait historié« bezeichnet; vgl. Ann Jensen Adams: The Performative portrait historié, in: Katlijne van der Stighelen, Hannelore Magnus u. Bert Watteeuw (Hrsg.): Pokerfaced. Flemish and Dutch Baroque Faces Unveiled, Turnhout 2010, S. 193 – 2 14. 16  Bei der Porträtierten handelt es sich möglicherweise um eine Prinzessin aus dem Hause Orléans; vgl. Gunnar W. Lundberg: Jean Baptiste Santerre. 1651 – 1717. Kring nåagra av Hans Tavlor i Sverige, in: Tidskrift för Konstvetenskap 1 – 2/1933, S. 28 – 48, S. 44. 17  Vgl. Danièle Véron-Denise: Vertumne et Pomone à la Banque de France. Nouvelles précisions sur une tenture brodée du comte de Toulouse, in: Bulletin de la Société de l’Histoire de l’Art français, Paris 2006, S. 83 – 100. Ich danke Emma House, Kuratorin am Bowes Museum, für die Hinweise zu diesem Porträt, das sich aktuell in der Sammlung des Museums befindet (B.M.274). Ihr zufolge wurde das Bild von Pamela Cowen 2003 als das 1704 ausgestellte Doppelbildnis der Duchesse d’Orléans und des Comte de Toulouse identifiziert. Auch Nicole Garnier, Kuratorin am Musée Condé in Chantilly, bin ich aufgrund ihrer Hilfsbereitschaft und wertvoller Hinweise zu Dank verpflichtet. 18  Der Begriff der Bildnismaskerade wurde von Trauth im Zusammenhang mit orientalisierenden Bildnissen eingeführt; vgl. Nina Trauth: Maske und Person. Orientalismus im Porträt des Barock, Berlin u. München 2009. 19  Roger de Piles: Cours de peinture par principes, Paris 1708, S. 266 f. 20  Vgl. ibid., S. 281 ff. 21  Das Gemälde ist zuletzt bei Sotheby’s London versteigert worden und befindet sich nun in Privatbesitz; vgl. Old master paintings, evening. 5th December 2007, Auktionskatalog, Nr. 64, Sotheby’s, London 2007. 22  Zur Einführung in den Begriff der Bildrhetorik siehe den Sammelband von Joachim Knape (Hrsg.): Bildrhetorik, Baden-Baden 2007; grundlegend für die Diskurse zur rhetorischen Kraft der Bilder im Ancien Régime ist Jacqueline Lichtenstein: La couleur éloquente. Rhétorique et peinture à l’âge classique, Paris 1999.

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23  Zum mimetischen Effekt der Nachahmung beziehungsweise des Nachempfindens, den die Ausdruckskraft der Figuren eines Bildes auf den Betrachter haben soll, vgl. Lichtenstein 1999, S. 213 ff.; Thomas Kirchner: L’expression des passions. Ausdruck als Darstellungsproblem in der französischen Kunst und Kunsttheorie des 17. und 18. Jahrhunderts, Mainz 1991, S. 51 ff.; Ulrich Rehm: Stumme Sprache der Bilder. Gestik als Mittel neuzeitlicher Bilderzählung, München, Berlin 2002, S. 114 ff. 24  Das Ölgemälde von Rigaud hat die Maße 108 mal 143 Zentimeter und befindet sich derzeit in Privatbesitz; vgl. Stéphan Perreau: Hyacinthe Rigaud. 1659 – 1743. Le peintre des rois, Montpellier 2004, S. 172 ff. 25  Weihe 2004, S. 13. 26  Vgl. Belting 2013, S. 120 u. S. 135 f. 27  Zur Ikonografie der Maske als Mittel der kunsttheoretischen Reflexion vgl. Eckhard Leuschner: Allegorische Diskurse. Bildsprachen der Maske in der europäischen Kunst der frühen Neuzeit, in: Wir sind Maske 2009, S. 305 – 315. 28  Le Dictionnaire des lettres et des sciences, par M. D. C., de l’Académie française (hrsg. v. Thomas Corneille), Bd. 2, Paris 1694, o. S., s. v. »masque«. 29  Vgl. Christian Quaeitzsch: »Une Société de Plaisirs«. Festkultur und Bühnenbilder am Hofe Ludwigs XIV. und ihr Publikum, Berlin 2010, S. 38 f. u. S. 89. Zur Bedeutung und zu den Funktionsweisen höfischer Maskeraden im deutschsprachigen Raum vgl. Claudia Schnitzer: Höfische Maskeraden. Funktion und Ausstattung von Verkleidungsdivertissements an deutschen Höfen der Frühen Neuzeit, Tübingen 1999. 30  Zur Adaption des Porträttypus durch das aufstrebende Bürgertum und die noblesse de robe während der zwanziger und dreißiger Jahre des 18. Jahrhunderts vgl. Kohle 2000, S. 249 ff. 31  Vgl. Hourcade 2002, S. 98 ff. 32  Vgl. Nina Trauth: Eine Maske für jede Gelegenheit. Kulturelle und geschlechtliche Selbstdarstellungen im Verwandlungsporträt des 17. Jahrhunderts, in: Annegret Friedrich (Hrsg.): Die Freiheit der Anderen. Festschrift für Viktoria Schmidt-Linsenhoff, Marburg 2004, S. 110 – 118. 33  Vgl. Kirchner 2001, S. 78 ff.; Philippe Riondet: Le portrait au XVIIe siècle. Concept de beauté et prin­ cipe de ressemblance, in: Histoire de l’art 37 – 38/1997, S. 55 – 68. 34  Jean de La Bruyère: Les caractères ou Les mœurs de ce siècle [6. Auflage 1691], in: id.: Œuvres complètes de La Bruyère (hrsg. v. Julien Benda), Paris 1998, S. 61 – 478, S. 397. 35  Auf die Notwendigkeit einer differenzierten Analyse der in Bildern dargestellten Kleidung verweist Philipp Zitzlsperger: Dürers Pelz und das Recht im Bild. Kleiderkunde als Methode der Kunstgeschichte, Berlin 2008. 36  Zum 17. Jahrhundert vgl. vor allem La Bruyère 1998, S. 61 ff.; Charles Sorel: Description de l’île de portraiture et de la ville des portraits [1659], in: id.: Description de l’île de portraiture (hrsg. v. Martine Debaisieux), Genf 2006, S. 63 – 119. Für das 18. Jahrhundert sind insbesondere die Kritiken von La Font de Saint-Yenne und Diderot zu nennen; vgl. Étienne La Font de Saint-Yenne: Réflexions sur quelques causes de l’État présent de la peinture en France, avec un Examen des principaux Ouvrages exposés au Louvre [1746], in: id.: Œuvre critique (hrsg. v. Étienne Jollet), Paris 2001, S. 43 – 9 4; Denis Diderot: Essais sur la peinture. Salons de 1759, 1761, 1763 (hrsg. v. Gita May u. Jacques Chouillet), Paris 2007. 37  Vgl. Édouard Pommier: Théories du portrait. De la Renaissance aux Lumières, Paris 1998, S. 260.

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38  Sorel 2006, S. 76. 39  Zur Maskenhaftigkeit des Porträts siehe auch Hannah Baader: Anonym: »Sua cuique Persona« Maske, Rolle, Porträt (ca. 1520), in: Rudolf Preimesberger, Hannah Baader u. Nicola Suthor: Porträt, Berlin 1999 (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 2), S. 239 – 2 46. 40  Vgl. Ursula Geitner: Die Sprache der Verstellung, Tübingen 1992, S. 18 – 19; zur Rezeption von Castigliones Cortegiano vgl. Peter Burke: The fortunes of the Courtier. The European reception of Castiglione’s Cortegiano, Cambridge 1995. 41  Vgl. Le Dictionnaire des lettres et des sciences 1694, o. S. 42  Vgl. Geitner 1992, S. 32. 43  Zu einer eher kritischen Position der jüngeren Kunstgeschichte vgl. Philippe Le Leyzour: Fables et Lumières. Quelques remarques sur la mythologie au XVIIIe siècle, in: Les Amours des Dieux 1991, S. XX– XXXI, S. XXIV. 44  Es ist bezeichnend, dass der Bildtypus in der Herrscherikonografie dann wieder aufgegriffen wurde, als zu Beginn des 19. Jahrhunderts Napoleon seinen umfassenden Herrschaftsanspruch zu legitimieren versuchte; vgl. Uwe Fleckner: Napoléon I. als thronender Jupiter. Eine ikonographische Rechtfertigung kaiserlicher Herrschaft, in: Idea. Jahrbuch der Hamburger Kunsthalle 8/1989, S. 121 – 134.

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RESPIRATION UND INSPIRATION Jacques-Louis Davids Bildnis des Chemikers Antoine-Laurent Lavoisier und seiner Frau Marie-Anne UWE FLECKNER

Bildfunktion und Gattungsdoktrin Bevor ein Künstler des 18. Jahrhunderts sein Porträtmodell in den Blick nehmen konnte, war bereits weitgehend festgelegt, welche spezifische Bildfunktion das entstehende Werk erfüllen, welche intime, private, öffentliche oder gar offizielle Präsentationsform es einnehmen würde. Und mit diesen Vorgaben waren gleichermaßen schon wesentliche künstlerische Entscheidungen getroffen, ohne dass auch nur ein einziger Kreide- oder Pinselstrich auf Papier oder Leinwand ausgeführt worden wäre. Die historischen Voraussetzungen unterschiedlicher Gattungen des Porträts, insbesondere der konstitutive Zusammenhang von akademisch-hierarchischem Status, Bildformat und sozialem Rang der dargestellten Person, können zeigen, in welch hohem Maße eine noch immer nachhaltig verpflichtende Tradition auf die jeweils konkrete Gestalt eines Bildnisses einwirken konnte. In entsprechendem Sinne geben die grundlegenden Daten eines Werkes dieser Gattung  –  seine Abmessungen und die gewählte Stilhöhe, seine motivische Ausstattung, seine Komposition und der Grad seiner handwerklichen Vollendung  –  darüber Aufschluss, in welche Entstehungssituation das jeweils einzelne Werk eingebettet gewesen sein muss; und dies auch dann, wenn der Betrachter über den Bildanlass oder die tatsächlichen Auftragsbedingungen eines Porträts durch keinerlei sonstige Quelle unterrichtet wird. Betrachten wir hingegen Davids Bildnis des Chemikers Antoine-Laurent Lavoisier und seiner Frau Marie-Anne, geborene Paulze, dann irritiert uns

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ein eklatanter Widerpruch zu diesen funktions- und gattungsgeschichtlichen Einsichten: Die Darstellung eines bürgerlichen Paares konnte aufgrund der vor der Französischen Revolution geltenden akademischen Gattungsdoktrin schwerlich so ohne weiteres mit dessen repräsentativen Bildmaßen von immerhin 286 auf 224 Zentimetern vereinbart werden; das lebensgroße Porträt mit ganzer Figur war bis dahin nahezu ausschließlich den Bildnissen des Herrschers, des hohen Adels oder Klerus vorbehalten |Abb. 1|. Jacques-Louis David hat sein Porträt 1788 in Öl auf Leinwand ausgeführt, signiert und datiert.1 Der Maler zeigt das Ehepaar in bürgerlicher Kleidung: Lavoisier im schwarzen Rock mit seidener culotte, spitzenbesetztem Hemd, schwarzen Strümpfen und ebensolchen Schuhen mit silberner Schnalle; Madame Lavoisier im hellen, gleichfalls spitzenbesetzten Musselinkleid, um das ein blaues Band geschlungen ist, auf dem Kopf trägt sie eine Perücke, die einige Strähnen als Ausweis aufgeklärter Natürlichkeit bis weit auf den Rücken fallen lässt. Der Chemiker sitzt an einem Tisch, bedeckt mit roter, faltenwerfender Samtdraperie, auf dem drei teils gefüllte Behältnisse aus Glas und Messing als Attribute seines Berufes zu sehen sind. Mit der rechten Hand setzt er schreibend eine Feder auf einige vor ihm ausgebreitete Blätter; aller Wahrscheinlichkeit nach soll es sich hier um das Manuskript seines bahnbrechenden Traité élémentaire de chimie handeln, den er nur wenige Monate später im April 1789 veröffentlichen wird.2 Zu seinen Füßen sind weitere Apparate zu einem zweiten Stilleben arrangiert, ein gläserner Rundkolben auf geflochtener Halterung, ein zylindrisch geformtes Gefäß aus Messing. Lavoisier schaut über seine rechte Schulter zurück, hebt Kopf und Blick zu seiner Frau, die seitlich und etwas hinter ihm steht und sich in leicht vorgebeugter Haltung einerseits auf den Tisch stützt, andererseits die Schulter ihres Mannes berührt. Ihr Blick ist auf uns, auf die Betrachter gerichtet und ruft uns als Zeugen der Bildsituation an. Hinter ihr ist am linken Bildrand ein Stuhl auszumachen, über den ein Tuch oder leichter Mantel geworfen wurde; auf ihm ein großes Portfolio, wie es Künstler zum Aufbewahren von Zeichnungen oder Graphiken benutzen. Das Beisammensein der Figuren, durch den Akt des Schreibens, durch Berührung und Zuwendung mit verhalten narrativen Elementen lebendig in Szene gesetzt, spielt sich in einem großen, saalartigen Innenraum ab, dessen lichte Höhe und überaus repräsentative Ausstattung mit aufragenden Pilastern und marmorner Wandtäfelung ebenso wenig zum bürgerlichen Habitus der Personen passen wollen wie der üppige rote Überwurf des Tisches, der weder zum Schreiben noch zum Hantieren mit chemischen Geräten taugen dürfte.3 Wir haben es hier also keineswegs mit einer authentischen Aufnahme der Wohnräume Lavoisiers oder gar seines Labors, keineswegs mit einem Blick in den Alltag des Chemikers zu tun, sondern vielmehr  –  wie wir noch sehen werden  –  mit einer durch und durch komponierten Anordnung aussagekräftiger Bildelemente.

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1  Jacques-Louis David: Bildnis des Chemikers Antoine-Laurent Lavoisier und seiner Frau Marie-Anne, 1788, Öl auf Leinwand, 286 × 224 cm, New York, Metropolitan Museum of Art

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2  Aerometer aus dem Besitz von Antoine-Laurent Lavoisier, 18. Jahrhundert, Mes­sing, Paris, Musée des arts et métiers

Ein Revolutionär der Wissenschaften Antoine-Laurent Lavoisier gilt  –  mit einigem Recht  –  als die Gründungsfigur der modernen Chemie. 1743 geboren und zunächst als Jurist ausgebildet, widmete er sich schon früh den Naturwissenschaften und wurde nach ersten Erfolgen 1768, im Alter von nur vierundzwanzig Jahren, in die Académie royale des sciences aufgenommen. Als königlicher Steuerpächter und Direktor der staatlichen Pulver- und Salpeterverwaltung des Arsenal kam er zu größtem Wohlstand, zu dem auch seine Ehe mit Marie-Anne Paulze beitrug, der Tochter eines reichen Steuerpächters und Direktors der französischen Ostindienkompagnie. Lavoisier richtete im Arsenal ein umfassend ausgestattetes Labor ein und revolutionierte die Grundlagen der Chemie durch empirische Forschungen, die insbesondere auf einer bis dahin unbekannten Präzision von meist selbstentworfenen Messinstrumenten und minutiös protokollierten Messverfahren beruhten. Experimentell entdeckte er unter anderem die chemische Zusammensetzung von Luft und Wasser, die zu dieser Zeit noch immer als Elemente galten, isolierte deren Bestandteile Sauerstoff und Wasserstoff, entwickelte seine Theorien zu Respiration und Oxidation, mit denen die seit Jahrhundertbeginn entwickelte Hypothese einer unzerstörbaren masselosen Substanz in allen brennbaren Stoffen, des sogenannten »Phlogiston«, hinfällig wurde; auch formulierte er das noch heute gültige Gesetz der Massenerhaltung und schuf eine vollkommen neue Nomenklatur chemischer Stoffe. Trotz zahlreicher wirtschaftlicher, fiskalischer und sozialpolitischer Reformen, die er vor und während der Revolution als einflussreiches Mitglied staatlicher Kommissionen betrieb  –  unter anderem förderte er die Einführung des metrischen Systems sowie die Humanisierung des Strafvollzugs  – , und trotz seiner Funktion als stellvertretender Abgeordneter des »Dritten Standes« wurde Lavoisier

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als Repräsentant der verhassten Steuerverwaltung während der Terreur vor ein Revolutionstribunal gestellt und im Mai 1794 auf der Guillotine hingerichtet. Die chemischen Geräte, die David 1788 in sein Gemälde aufnahm, evozieren einige der entscheidenden Entdeckungen Lavoisiers und markieren den wissenschaftshistorischen Bruch, den der Chemiker zu genau dieser Zeit in seinem Traité élémentaire de chimie auch publizistisch vorbereitete: Zu sehen ist rechts unten im Bild, und damit gleichsam zur Seite gelegt, ein Aerometer zur Bestimmung der Dichte von Gasen, wie ihn Lavoisier bereits seit den späten 1760er Jahren bei seinen Experimenten verwendete |Abb. 2|. Einige der dargestellten Apparate Lavoisiers haben sich im Musée des arts et métiers in Paris erhalten und wurden dort von Wissenschaftshistorikern katalogisiert und erläutert, was auch dem Kunsthistoriker die Identifizierung der ihm fremden Objekte erlaubt.4 Der Glasballon, der sich neben diesem Messingkolben 3  Nicolas Fortin (zugeschrieben): Gasometer aus befindet und von einem geflochtenen Ring gehal- dem Besitz von Antoine-Laurent Lavoisier, 18. Jahrhundert, Glas und Messing, H. 57 cm, ten wird, diente der Aufnahme und Gewichtsbe- Ø 14 cm, Paris, Musée des arts et métiers stimmung von Gasen. Beide Geräte liegen gekippt am Boden, scheinen also nicht mehr von aktuellem Nutzen zu sein, doch sie bilden gleichwohl einen Hinweis auf grundlegende experimentelle Voraussetzungen der Entdeckungen Lavoisiers, auf das Messen von Gasdichte und -gewicht, denn sie sind mit der Figur des Chemikers kompositorisch deutlich verbunden: Dessen Bein sowie die auffallende diagonale Falte der roten Draperie leiten unseren Blick vom Dargestellten auf die glänzenden Gegenstände und verbinden diese mit der Figur des Mannes sowie mit den übrigen Geräten auf dem Tisch. Dort, rechts vom Bildrand leicht überschnitten, ist eine hohe, teils mit Wasser gefüllte Glasglocke zu sehen, die unter anderem der Bestimmung des Sauerstoffverbrauchs bei Verbrennung oder menschlicher Atmung diente. Links daneben befindet sich ein schlichtes Objekt, dessen geschlossenes Glasrohr teilweise mit Quecksilber gefüllt ist und dem Chemiker erlaubte, bei Oxidationsversuchen freigesetzten Wasserstoff zu isolieren; eine simple Anordnung, mit der Lavoisier 1784 die Zusammensetzung von Wasser aus zwei gasförmigen Bestandteilen belegen konnte. Und schließlich erregt der prominenteste Gegenstand auf dem Tisch  –  zugleich ein Meisterstück realistisch-empirischer Malerei  –  unsere Aufmerksamkeit, ein Gasometer aus Glas und Messing, versehen mit zwei Ventilen und zu etwa einem Viertel mit Quecksilber gefüllt,

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mit dessen Hilfe der Wissenschaftler Sauerstoff auffangen, messen und gezielt in seine diversen Versuchsanordnungen einleiten konnte |Abb. 3|.5 All diese Geräte, Fragmente komplexer Labor-Apparaturen, deren Auswahl und Arrange­ ment ohne Zweifel auf den Dargestellten selbst zurückgehen, schließen sich nicht zu einem funktionalen experimentellen Aufbau zusammen, sie verweisen im Gemälde vielmehr zeichenhaft auf verschiedene Stadien der Entdeckungsleistungen Lavoisiers im Bereich seiner Forschungen zu den chemischen wie pneumatischen Eigenschaften der Luft und der verschiedenen Gase sowie ihrer Rolle bei Verbrennung, Oxidation, pflanzlicher, tierischer oder menschlicher Atmung. Insbesondere seine Versuche zur Atmung, zur Respiration, revolu­ tionierten die chemischen Kenntnisse seiner Epoche, denn die antike Vorstellung des pneuma, des Atemhauchs als substantieller Lebenskraft, konnte in seinem Labor überwunden und erstmals als chemische Reaktion beschrieben werden.

Widerspruch von bürgerlichem Rang und repräsentativem Bildformat Doch die Aussageabsicht des Gemäldes ist damit bei weitem noch nicht erschöpft. Bereits die rein motivische Beschreibung des Porträts konnte zeigen, dass über den erkannten Widerspruch zwischen sozialem Rang und herrschaftlichem Format hinaus auch innerbildliche Besonderheiten unsere Rezeption des Gemäldes verunsichern. Der übergroße Saal erscheint seltsam leer; tatsächlich fehlt hier etwas, das uns noch beschäftigen muss. Und auch wenn das heutige, sagen wir »demokratische« Auge die Kluft zwischen bürgerlichem Auftreten und herrschaftlichem setting nicht mehr unmittelbar wahrnimmt, so belegt der kostümkundliche Sachverhalt der  –  wenn auch durchaus formellen  –  Garderobe der Eheleute Lavoisier eindeutig die Bürgerlichkeit der beiden Porträtmodelle, obschon die Standesgrenzen der bourgeoisie zumal im Fall eines reichen Funktionärs, einer prominenten Person des öffentlichen Interesses am Ende des 18. Jahrhunderts ebenso fragwürdig geworden sind wie die strikten Gattungsregeln akademischer Kunst. Die dokumentierte Auftragssituation des Gemäldes bestätigt ebenfalls die vorläufig erkannten Diskrepanzen: Der Künstler hat für sein Bildnis am 16. Dezember 1788 ein Honorar von 7.000 Livres quittiert, was einer heutigen Kaufkraft zwischen 85.000 und 90.000 Euro entsprechen dürfte; ein Preis, der in diesen Jahren ausschließlich für einige Historienbilder des Malers belegt ist; so erhielt David beispielsweise 1784 für seinen Schwur der Horatier (Paris, Musée du Louvre) aus der königlichen Schatulle die Summe von 6.000 Livres.6 Lavoisier kannte dieses Gemälde im übrigen aus dem Salon von 1785 und hat in seinem Exemplar der Ausstellungsbroschüre den bewegt-bewegenden Ausdruck des Bildes gelobt (»bien fortement exprimé«), vermeintliche Fehler in Perspektive und Anatomie hingegen recht scharf kritisiert.7 Das Porträt des Chemikers und seiner Frau wird also wie ein Historienbild honoriert und besitzt die Maße dieser Gattung, ohne jedoch ein Historienbild zu sein, es ist offenkundig ebenso wenig als Adelsporträt zu qualifizieren und bildet im bürgerlichen Porträtwerk von

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David eine ansonsten beispiellose Ausnahme. Das entscheidende Bildproblem ist und bleibt die soziale Unangemessenheit der bildnerischen Würdeformel ganzfiguriger Lebensgröße, die bis zum 18. Jahrhundert zumindest in der französischen Bildnismalerei ausschließlich dem adligen Standesporträt und innerhalb dieser Untergattung insbesondere dem prunkvollen portrait d’apparat zustand, dem herrscherlichen Repräsentationsporträt.8 Gewiss: Die strengen akademischen Vorgaben der Gattungshierarchie waren in den Jahren vor der französischen Revolution bereits brüchig geworden, und auch das bürgerliche Bildnis lebensgroßer Personen in ganzer Figur hatte gelegentlich schon Einzug in den Pariser Salon der achtziger Jahre gehalten, wenn Künstler wie Antoine Vestier oder Adélaïde Labille-Guiard einige wenige Selbst- und Künstlerbildnisse in entsprechend repräsentativen Formaten ausstellten und damit einen gesellschaftlichen Anspruch zum Ausdruck brachten, der sich mit ästhetischen Mitteln gegen die sozialen Konventionen der Porträtmalerei auflehnte.9 Doch gerade solche seltenen Vorstöße belegen, dass auch Davids Gemälde eine gewollte Verletzung überkommener akademischer Regeln betreibt, und sein Modell, der kultivierte Funktionär und reiche fermier général, muss sich dieser Überschreitung interner Gattungsgrenzen zweifellos bewusst gewesen sein. Eine mit Bedacht inszenierte Missachtung gattungstheoretischer bienséance wäre demnach in der bisherigen europäischen Porträtmalerei zwar keine absolute Ausnahme, bedarf gleichwohl einiger Erläuterungen, die für das Verständnis des Bildes entscheidend sein werden. Aufbauend auf antiken Herrscherdarstellungen verwies in den Kaiser- und Königsbildnissen etwa von Tizian oder Anthonis van Dyck und deren Nachfolgern bis zum Ende des 18. Jahrhunderts und teilweise noch weit darüber hinaus die aequalitas, die bildnerisch inszenierte Gleichheit oder Gleichförmigkeit von Modell und lebensgroßer Darstellung zumindest bildmetaphorisch auf die stellvertretende Funktion des Herrscherbildes im höfischen Zeremoniell oder bei der Beglaubigung juristischer Staatsakte.10 Als das geradezu klassische Exempel dieser Gattung in der französischen Malerei kann Hyacinthe Rigauds berühmtes Bildnis Ludwig XIV. von 1701 gelten, das den Monarchen, ausgestattet mit allen Insignien seiner Macht, im Thronsaal vor Säule und Vorhang zeigt |Abb. 4|. Das Werk ist mit 277 auf 194 Zentimetern übrigens sogar etwas kleiner als das Porträt der Eheleute Lavoisier. Dieses Bildmuster des Paradeporträts behielt das gesamte Jahrhundert hindurch seine unverrückbare Gültigkeit; und noch 1789, im Jahr der Revolution und in unmittelbarer zeitlicher Nähe zum Gemälde Davids, hat Antoine-François Callet den französischen König Ludwig XVI. nach bewährter, nun jedoch bereits bedrohter Bildformel gemalt |Abb. 5|.11 Betrachten wir kurz dieses Werk, das mit 246 auf 192 Zentimetern die nun schon bekannte Lebensgröße aufweist, dann finden wir in ihm alles, was ein solches portrait d’apparat auszeichnet: Krone, Szepter, Schwert und main de justice sind als Indikatoren der politischen, militärischen und juristischen Macht des Königs ins Bild eingefügt worden; eine mächtige Säule verweist emblematisch auf fortitudo, auf die staatstragende Stärke des Monarchen, sein Thron ist von einer gewaltigen Draperie überfangen, die  –  als Allusion auf das Gottesgnadentum seiner Herrschaft  –  vom hagion pneuma, vom heiligen Anhauch Gottes, dramatisch

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4  Hyacinthe Rigaud: Bildnis Ludwigs XIV., 1701, Öl auf Leinwand, 277 × 194 cm, Paris, Musée du Louvre

aufgeworfen wird. Stellen wir die nahezu zeitgleich und nahezu maßgleich entstandenen Bilder Davids und Callets einander gegenüber, dann sehen wir auch, was uns bislang an der Komposition des Lavoisier-Bildes verunsichern musste: Zwar folgte David grundsätzlich der formalen Tradition des adligen Standesporträts, doch seine bürgerlichen Modelle zwangen ihn aus Gründen bildnerischer Angemessenheit zu entscheidenden Abweichungen: Das Em-

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5  Antoine-François Callet: Bildnis Ludwigs XVI., 1789, Öl auf Leinwand, 246 × 192 cm, Clermond-Ferrand, Musée d’art Roger-Quillot

blem der Säule musste den Pilastern weichen, die in seinem Bild lediglich zur Ausstattung des Saales dienen und kompositorisch genutzt werden, mithin ausschließlich ästhetische, nicht aber politische Funktion erfüllen; und der barockisierende Vorhang fehlt im bürgerlichen Bildnis zwangsläufig, womit auch die irritierende Leere des oberen Bildbereichs erklärt ist. Zugespitzt ließe sich sagen: Das pneuma göttlicher Anwesenheit wurde durch den Verweis auf die pneumatischen Experimente Lavoisiers ersetzt, der Atemhauch Gottes durch seine Forschungen zur Respiration.

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Christliches und säkularisiertes Autorenbild Unser Ausgangsproblem ist damit allerdings keineswegs gelöst; vielmehr verschärft es sich zu der Frage, warum David im Porträt des bürgerlichen Paares überhaupt das Risiko einging, sein Gemälde an höheren Bildgattungen zu orientieren und damit dem Vorwurf der Unangemessenheit auszusetzen. Das Bildnis war überdies nicht allein für die Blicke eines rein privaten Betrachterkreises bestimmt, sondern sollte im Salon von 1789 zunächst öffentlich präsentiert werden und hätte sich dort auch dem Räsonnement über das Verhältnis von sozialem Stand und repräsentativem Format stellen müssen. Die Frage, ob die Salonkritik dem Werk einen gattungsbedingten Verstoß gegen die noch immer herrschende akademische Doktrin vorgeworfen hätte, muss hingegen unbeantwortet bleiben, denn aus politischen Gründen  –  Lavoisier wurde vorübergehend verdächtigt, aus dem Arsenal abtransportierte Pulverbestände den Feinden der Revolution in die Hände spielen zu wollen  –  wurde der Akademie nahegelegt, das Werk zurückzuziehen. Der Comte d’Angiviller, directeur général des Bâtiments du Roi, und als solcher zuständig für die Ausstellungen des Salons, ließ am 10. August 1789 dem Maler und Akademiepräsidenten Joseph-Marie Vien seine Besorgnisse angesichts der heiklen Situation mitteilen und kam dabei so diplomatisch wie deutlich auf das Bildnis von dessen Schüler David zu sprechen: »L’article des portraits laisse plus de facilité à se mettre en garde, car en général les originaux étant connus, on est en état de mesurer l’opinion

6  Jacques-Louis David: Paris und Helena, 1788, Öl auf Leinwand, 147 × 180 cm, Paris, Musée du Louvre

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publique et de ne rien hasarder; j’imagine à ce sujet que M. Lavoisier sera le premier à ne pas désirer l’exposition de son portrait. Ce n’est pas qu’il soit en aucun sens au rang de ceux qu’on peut mal voir; mais on peut l’en laisser juge.«12 Das nicht gerade bescheidene Format des Porträts dürfte gewiss seinen Teil dazu beigetragen haben, dessen Ausstellung im Salon angesichts der entfachten revolutionären Konflikte zu verhindern.13 Gezeigt hingegen wurde mit Davids Gemälde Paris und Helena von 1788 ein thematisch eigentlich unverdächtiges Historienbild |Abb. 6|, das allerdings ohne Hinweis auf seinen exilierten Besitzer präsentiert wurde, den verhassten Comte d’Artois und späteren König Charles X., und das in der politisch aufgeladenen Rezeption des Salons zu einer ironisch-satirischen Anklage aristokratischer Laster werden musste: Mit dem Bildnis des Chemikerpaares Lavoisier fiel demnach in der noch unsicheren historischen Situation des Herbstes 1789 ausgerechnet das aufklärerisch-bürgerliche Gegenstück zur antikisierenden Liebesszene aus dem Besitz der königlichen Familie der Zensur zum Opfer.14 7  Unbekannter Miniaturmaler: Johannes auf Die repräsentative Anlage des Porträts zeigt, Patmos mit dem Engel, englisch, um 1275, Apo­kalypse, Ms. 524, New York, Pierpont dass der Maler offenbar, wenn schon keine His- Morgan Library torie, kein Herrscherbild, so doch in jedem Fall mehr als ein bloß ähnliches Bildnis zu liefern beabsichtigte. Um Format und Ausstattung zu rechtfertigen, müsste es daher Züge eines portrait historié annehmen, müsste also durch eine emblematische oder allegorische Bildaussage gleichsam selbst nobilitiert werden. Die Forschungen, die bislang zum Porträt der Eheleute Lavoisier vorliegen, lassen uns bei dieser Frage weitgehend im Stich. Allein Joachim Gaus sah sich durch ein zeitgenössisches Gedicht, das Marie-Anne Lavoisier als »muse et secrétaire« ihres Gatten bezeichnet, dazu veranlasst, die Ikonographie der Muse auf das Gemälde Davids zu beziehen.15 Die Begegnung eines Dichters oder Philosophen mit seiner Muse hat in der Antike jedoch keine fest tradierte ikonographische Formel ausgebildet, und so lassen sich die entscheidenden motivischen Angaben zur Interaktion der beiden Protagonisten in Davids Bildnis des Ehepaars Lavoisier weder in antiken noch in neuzeitlichen Musendarstellungen wiederfinden. Allerdings begegnen sie uns in einer anderen Bildtradition, nämlich im christlichen Autorenbild, und dort insbesondere in der Darstellung der Evangelisten im Augenblick göttlicher Inspiration. Ein Traditionsstrang der hierbei ausgeprägten Ikonographie, die sich bis

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auf karolingische Miniaturen zurückführen lässt, weist eine erstaunliche sowohl formale als auch inhaltliche Nähe zum Porträt des Chemikers und seiner Frau auf.16 In einer englischen Darstellung von Johannes auf Patmos, entstanden um 1275, beugt sich der Engel über den Autor der heiligen Schrift, der einen kurzen Moment innehält, aufhorcht und mit leichter Kopfdrehung auf- beziehungsweise zurückblickt; er empfängt den Logos, das göttliche Wort, in genau diesem Augenblick, wie es die pointierende Geste andeutet, mit welcher der himmlische Bote seinen Finger auf die Schulter des Mannes legt |Abb. 7|. Die Torsion der Kopfdrehung, die in anderen Bildern dieser Art recht dramatisch in Szene gesetzt wurde, unterstreicht dabei die »ekstatische Bewegtheit« des Autors im inspirierenden Augenblick.17 Emblematisch konnte dieses Motiv zur Darstellung des furor poeticus beitragen, ja, gelegentlich wurde sogar die Allegorie der Kunst selbst durch eine beseelte Kopfwendung hin zur Quelle der Inspiration charakterisiert.18 8  Rembrandt: Matthäus mit dem Engel, 1661, In Rembrandts Gemälde des Evangelisten MatÖl auf Leinwand, 96 × 81 cm, Sankt Petersburg, thäus von 1661 hat die Ikonographie der Inspiration Eremitage ihre vielleicht intensivste Ausprägung gefunden, wobei der niederländische Maler in seinem Bild zugunsten einer beseelten Innenschau des Schreibenden auf das Motiv des Hoch- und Zurückblickens allerdings verzichtet hat |Abb. 8|. Bis ins 19. Jahrhundert wird das Gestaltungsmuster des christlichen Autorenbildes  –  gleichsam säkularisert  –  immer wieder in Porträts von Künstlern, Dichtern, Philosophen oder Musikern verwendet, in denen die Figur des inspirierten Mannes zumeist zwar isoliert dargestellt wird, die besondere Art von Kopfwendung mit verklärtem Blick und zur Seite gedrehten Augäpfeln  –  die ikonographisch entscheidende Gebärde des Evangelistenbildes  –  markiert aber noch immer den transzendenten Moment der Inspiration. So unterschiedliche Beispiele wie Jean-Honoré Fragonards sogenanntes »portrait de fantaisie« eines lange Zeit nicht identifizierten Mannes von 1769, auch bekannt unter dem Titel »L’Inspiration«, oder Elisabeth Vigée-Lebruns Porträt des Komponisten Giovanni Paisiello von 1791 zeigen, wie lebendig diese bildliche Überlieferung auch im Jahrhundert Davids geblieben ist |Abb. 9 – 10|.19 Der Maler hatte übrigens das Bildnis seiner damals bereits emigrierten Konkurrentin im Salon von 1791 gesehen und  –  so will es die offenbar gut erfundene Anekdote  –  dem eigenen Salonbeitrag, einem Bildnis Anne-Marie-Louise de Sorcy-Thélussons von 1790 (München, Alte Pinakothek), entschieden vorgezogen; gönner-

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9  Jean-Honoré Fragonard: Bildnis eines unbekannten Mannes (»L’Inspiration«), um 1769, 80,5 × 64,5 cm, Paris, Musée du Louvre

10  Elisabeth Vigée-Lebrun: Bildnis des Komponisten Giovanni Paisiello, 1791, Öl auf Leinwand, 130 × 100 cm, Versailles, Musée national du château et des Trianons

haft ließ er sich zu dem Lob herab: »›On croirait‹, dit-il, ›ma toile peinte par une femme et le portrait de Païsiello peint par un homme.‹«20 Wie aber ist nun die unabweisbare Anlehnung des Porträts der Eheleute Lavoisier an die Tradition des Evangelistenbildes zu verstehen? Wir wissen, dass David den ikonographischen Transfer christlicher Bildformeln auch in anderen Werken verwendet hat, etwa in seiner berühmten Porträthistorie des ermordeten Marat von 1793 |Abb. 11|, bei der in der Forschung lange darüber nachgedacht wurde, ob der Maler in seiner liegenden Figur den christlichen Sinngehalt der Pietà fruchtbar machen wollte oder eine sinnleer gewordene ikonographische Hülle lediglich formal genutzt hat: Die Übernahme der tradierten Bildform führt um 1800 zwar nicht mehr zwangsläufig zu einer Übernahme auch des religiösen Anspielungszusammenhanges  –  Marat ist nicht Christus  – , aber sie dient zweifellos einer Überhöhung des Dargestellten, im Falle Marats also etwa zur Bildstiftung eines Märtyrers der Revolution.

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11  Jacques-Louis David: Der Tod des Marat, 1793, Öl auf Leinwand, 165 × 128 cm, Brüssel, Musées royaux des Beaux-Arts

Gelehrte und Künstlerin Welcher Art also könnte die beabsichtigte bildnerische Überhöhung des Ehepaars Lavoisier sein, denn eine blasphemische Gleichsetzung mit Engel und Evangelist dürfte doch wohl ausgeschlossen sein? Kehren wir daher noch einmal zurück zu unserem Gemälde und zu seiner spezifischen Gestaltung. Madame Lavoisier spielt hier keineswegs eine untergeordnete, lediglich accessoirehafte Rolle, wie in der Literatur gelegentlich zu lesen ist; dafür spricht ihr Blick aus dem Bild, die dominante Präsenz ihrer stehenden Ganzfigur ebenso wie deren Akzentuierung durch den mittleren Pilaster.21 Der selbstbewusste Habitus, der kompositorische Anteil, den Marie-Anne Lavoisier am gemeinsamen Bildnis hat, entsprechen ihrer historisch überlieferten Persönlichkeit als femme savante, die wissenschaftliche Literatur aus dem Lateinischen, Italienischen und Englischen übersetzte, teils mit eigenen Kommentaren versah und diese, aber auch die Schriften ihres Mannes herausgab; sie unterhielt zudem eine weitverzweigte intellektuelle Korrespondenz und führte in Paris einen Salon, in dem regelmäßig internationale Wissenschaftler, Politiker und Künstler zu Gast waren.22 So notierte der

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britische Ökonom Arthur Young im September 1787 in das Tagebuch einer Pariser Reise den Eindruck, den er im gesellschaftlichen Umgang mit der Chemikergattin empfing: »Madame Lavoisier, a lively, sensible, scientific lady, had prepared a déjeuné Anglois of tea and coffee, but her conversation on Mr. Kirwan’s Essay on Phlogiston, which she is translating from the English, and on other subjects, which a woman of understanding, that works with her husband in his laboratory, knows how to adorn, was the best repast.«23 Darüber hinaus nahm sie an den Experimenten ihres Ehemanns Teil, protokollierte deren Ergebnisse, zeichnete und stach für Lavoisiers Traité élémentaire de chimie sämtliche dreizehn Kupferstichtafeln, auf denen die im Text beschriebenen wissenschaftlichen Apparaturen akribisch und in ihren realen Größenverhältnissen abgebildet sind |Abb. 12 – 13|.24 Tatsächlich hatte sich Marie-Anne Lavoisier zur Künstlerin ausgebildet, und gerade als solche ist sie von David auch charakterisiert worden, worauf uns ihre Zeichenmappe am linken Bildrand des Gemäldes zweifelsfrei hinweist. In der biographischen Literatur des 19. Jahrhunderts wird sie immer wieder  –  allerdings ohne Quellenangaben  –  sogar als Schülerin Davids bezeichnet. In der Tat belegen zwei 1786 entstandene Blätter, die sich ebenfalls im Pariser Musée des arts et métiers auffinden ließen, dass der klassizistische Meister ihr zeichnerischen Unterricht erteilt hat: Die Kopie eines Gipsabgusses nach dem kapitolinischen Antinous sowie eine académie d’homme, typisch für die Atelierpraxis dieser Epoche, können Madame Lavoisier durch lückenlose Provenienz mit einiger Sicherheit zugeschrieben werden |Abb. 14 – 15|.25 David hat auf ihnen seine doch recht schmeichelhaften Urteile notiert, die gewiss auf den privilegierten Status des Privatunterrichts zurückzuführen sind, den die Frau des Steuerpächters offenbar bei ihm genossen hatte: »Fort bien, fort bien, fort bien« ist auf der Kopfstudie zu lesen, und die in Rötel ausgeführte, anatomisch nicht unbedingt sichere Rückenansicht ist mit einer gleichfalls sehr lobenden Aufschrift versehen: »Jusqu’à présent je suis on ne peut plus content.«26 Nur wenige Werke von der Hand Madame Lavoisiers können heute noch als gesichert nachgewiesen werden, unter ihnen ein Bildnis Benjamin Franklins von 1787 |Abb. 16|, der in Paris zu den habitués ihres Salons gehörte und sich ebenfalls mit galanter Anerkennung über das eigene Konterfei äußerte: »It is allow’d by those who have seen it to have great merit as a picture in every respect; but what particularly endears it to me, is the hand who drew it.«27 Vor allem aber zwei lavierte Tuschfederzeichnungen zeigen die unverächtlichen künstlerischen Fähigkeiten Madame Lavoisiers. Um 1790 entstanden, dokumentieren diese Blätter eine Versuchsreihe des Chemikers, mit deren Hilfe der Sauerstoffverbrauch in der Atemluft eines Probanden im Ruhezustand und bei körperlicher Anstrengung gemessen werden sollte |Abb. 17 – 18|.28 Das Labor im Dachgeschoss des Arsenal, Lavoisier und seine Helfer, die mit einer hermetischen Atemmaske versehene Testperson, die zur Forschung notwendigen spirometrischen Geräte, all dies hat die Zeichnerin detailreich erfasst und durch die sprechende Gestik sowie durch lavierte Schatten in lebendige Szenen überführt. Sich selbst hat sie dabei auf beiden Blättern rechts ins Bild gesetzt, als Protokollantin der Experimente, die an einem kleinen Tisch offenbar die ermittelten Ergebnisse festhält; eine Figur der Augenzeugen-

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12  Marie-Anne Lavoisier: Tafel X aus Antoine-Laurent Lavoisiers »Traité élémentaire de chimie«, Paris 1789, Kupferstich

13  Marie-Anne Lavoisier: Tafel IV aus Antoine-Laurent Lavoisiers »Traité élémentaire de chimie«, Paris 1789, Kupferstich

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14  Marie-Anne Lavoisier: Studie nach dem Kopf des kapitolinischen Antinous, 1786, schwarze Kreide auf Papier, 52 × 35 cm, Paris, Musée des arts et métiers

15  Marie-Anne Lavoisier: Aktstudie, 1786, Rötel auf Papier, 61 × 85 cm, Paris, Musée des arts et métiers

schaft, mit der das Authentische sowohl der Versuche als auch deren bildlicher Darstellung unter Beweis gestellt werden soll. Und auch ihre Rolle beim Zustandekommen des Gemäldes von David dürfte erheblich größer gewesen sein, als bislang angenommen: Bereits im Frühjahr 1788 hatte sich MarieAnne Lavoisier bei befreundeten Wissenschaftlern Vorschläge für eine allegorische Darstellung erbeten, mit der sie die Überwindung der Phlogiston-Theorie durch ihren Mann thematisieren wollte. Jean-Henri Hassenfratz, der spätere Jakobiner und Freund Dantons, damals Assistent im Labor Lavoisiers, übersandte ihr ein Bildkonzept, das mit der Hilfe von Personifikationen zeigen sollte, wie der »génie de la chimie nouvelle« die überwundene Hypothese zu Boden schlägt:

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16  Marie-Anne Lavoisier: Bildnis Benjamin Franklin, 1787, Öl auf Leinwand, Maße unbekannt, Privatsammlung

»Comme la grande revolution que la chimie a eprouvée est due à l’idée heureuse et juste qu’a eu Mr Lavoisier d’en traduire les mesures exactes, on representeroit le génie habillé modestement et simplement. La figure belle et noble, tenant dans une de ses mains des balances, une toise, un thermometre et un barometre simboles de l’exactitude actuelle que l’on met dans les experiences de chimie et de l’autre un flambeau dirigé sur l’hypothese. L’hypothese serait à moitié renversée. Un bandeau sur les yeux, et un baton à la main pour le guider dans ses recherches, l’autre main serait dans l’action de déffaire son bandeau pour lui laisser appercevoir le flambeau de la nouvelle chimie qui l’eblouirait et le renverserait. A ses cotés seraient l’acidum pingué absolument mort et le phlogistique se soutenant à peine. Un nuage environnerait ces 3 personnages tandis que le genie de la chimie serait dans un beau jour. On verrait aux allentours du genie quelques appareils qui auraient rapport aux nouvelles decouvertes. Comme celles de l’oxidation des metaux, de la formation du gas acide carbonique, de la combustion de l’esprit de vin, etc. etc.«29

Madame Lavoisiers Vorhaben galt möglicherweise einem Frontispiz, mit dem sie ihre 1788 erschienene und kritisch kommentierte Übersetzung von Richard Kirwans umstrittenem Essay on Phlogiston ausstatten wollte, wahrscheinlicher jedoch einem eigenständigen allegorischen Gemälde.30 Auch wurde in diesem Jahr  –  dem Jahr, in dem David sein Doppelbildnis malte  –  im Arsenal eine szenisch-rituelle Exekution der bekämpften Phlogiston-Theorie aufgeführt, in der Marie-Anne Lavoisier selbst eine Hauptrolle übernahm. Ein anonymer Augenzeuge, dessen Bericht im Juni 1789 in Lorenz Crells Chemischen Annalen veröffentlicht wurde, hat die gespenstische Szenerie in einem so mokanten wie skeptischen Brief an deren Herausgeber geschildert, bei der die Hinrichtung der Personifikation des angeblich unzerstörbaren Phologistons, angeklagt durch die Figur des Sauerstoffs, sinnigerweise durch Verbrennung erfolgte: »Ich habe hier ein ganz besonderes Schauspiel erlebt, was mir, als einem Deutschen, sehr unerwartet war, und ungemein auffiel. Ich sah den berühmten H[er]rn Lavoisier im Arsenal ein förmliches Auto-da-fé über das Phlogiston halten, worinn seine Gattin (die

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17  Marie-Anne Lavoisier: Expériences sur la respiration de l’homme au repos, um 1790, Sepia in Feder und Lavierung auf Papier, 22 × 36 cm, Privatsammlung

18  Marie-Anne Lavoisier: Expériences sur la respiration de l’homme au travail, um 1790, Sepia in Feder und Lavierung auf Papier, 22 × 36 cm, Privatsammlung

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wirklich viele Kenntnisse in der Chemie hat, und verschiedene chemische Schriften übersetzte) die Opferpriesterin machte, [Georg Ernst] Stahl zur Vertheidigung desselben als Advocatus diaboli erschien; wo bey allem dem aber doch das arme Phlogiston, auf Anklage des Oxygen’s, zuletzt verbrannt wurde. Halten Sie dies nicht für eine scherzhafte Erfindung von mir; alles ist buchstäblich wahr. Ob nunmehr denn die Sache des Phlogistons unwiderruflich verloren sey, oder was ich sonst dabey dachte, darum fragen Sie mich nicht: aber das gestehe ich gern, ich freue mich, daß die Scene nicht in meinem Vaterlande war.«31 All diese Versuche einer visuellen Umsetzung der chemischen Revolution liefern uns den entscheidenden Hinweis zum Verständnis des Porträts der Eheleute Lavoisier, denn nach der vergeblichen Ideenfindung für ein programmatisches Bildmanifest, das letztlich allerdings verworfen wurde, dürfte auch das zur selben Zeit in Auftrag gegebene Porträtgemälde nicht ohne einen entsprechenden Subtext geblieben sein. Dort sollte offenbar an die Stelle einer klassischen Allegorie eine Allegorisierung des Bildnisses treten: Davids Porträt hat die zunächst beabsichtigte Personifikation des »génie de la chimie nouvelle« durch die Konterfeis ihrer Protagonisten ersetzt, die darüber hinaus durch die gezeigten Attribute als Vertreter von (weiblich konnotierter) Kunst und (männlich konnotierter) Wissenschaft erscheinen.32 Die stringente Komposition seines Gemäldes, die klare Gliederung durch das Motiv der korrespondierenden Pilaster verbindet Zeichenmappe und chemisches Gerät und weist Madame Lavoisier dabei eine sowohl zentrale als auch vermittelnde Funktion zu; überdies erscheint sie nun nicht länger als bloße Dokumentaristin der Versuche ihres Mannes, sondern ist selbst zur inspirierenden Kraft des Wissenschaftlers geworden. Als Künstlerin wie als Publizistin hatte die Frau des Chemikers intensiv über die Darstellungsmöglichkeiten eines bildlichen Transfers von wissenschaftlichen Erkenntnissen nachgedacht, und so lag eine Bildidee nahe, die einerseits ihre eigene Rolle als Illustratorin der Versuche ihres Mannes, und andererseits die generelle Rolle der Kunst, des visuellen Erfassens der Welt als Inspirationsquelle der chemischen Revolution reflektierte.

Durch die Sinne zum Intellekt Naturbeobachtung und eine feinmalerische Wiedergabe der Stoffe und Dinge, wie sie insbesondere im Stilleben der chemischen Apparate vorgenommen wurde, verweisen im Doppelporträt Davids auf das Gemeinsame des künstlerischen und wissenschaftlichen Zugriffs, vielleicht sogar auf ihre paragonehafte Konkurrenz; sie verweisen auf eine empirische Wahrheitsfindung, wie sie auch Lavoisier in seinen Forschungen, Madame Lavoisier in ihren Illustrationen angestrebt haben. Diese methodische Nähe von Kunst und Wissenschaft, im Gemälde sowohl in der Gegenüberstellung von Zeichenmappe und Laborgerät als auch im Beieinander der beiden Figuren inszeniert, kommt im übrigen ebenfalls in der für Lavoisiers

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19  Jean-Michel Papillon: Titelvignette aus Antoine-Laurent Lavoisiers »Traité élémentaire de chimie«, Paris 1789, wiederverwendeter Holzschnitt (gestochen vor 1776)

Traité élémentaire de chimie ausgewählten Titelvignette zum Ausdruck |Abb. 19|. Der Holzschnitt von der Hand Jean-Michel Papillons, einem Graphiker aus dem Kreis der Encyclopédie, zeigt bemerkenswerter Weise nicht nur wissenschaftliche Attribute, auch die Malerei ist durch die Wiedergabe von Pinsel, Palette und Camera Obscura  –  als Emblem unbedingter Naturtreue  –  bildlich vertreten; vielleicht haben wir es hier gleichermaßen mit einem Hinweis auf die inspirierende Funktion künstlerischen Abbildens für die wissenschaftliche Beobachtung zu tun. Das Verfahren empirischer Studien hat Lavoisier darüber hinaus ausdrücklich zum Leitprinzip seiner wissenschaftlichen Arbeit erklärt. In der Einleitung seines Traktats, mithin an prominenter Stelle, beruft er sich auf die sensualistische Anthropologie Etienne Bonnot de Condillacs und erläutert: »De même que dans l’enfant l’idée est un effet de la sensation, que c’est la sensation qui fait naître l’idée; de même aussi pour celui qui commence à se livrer à l’étude des sciences physiques, les idées ne doivent être qu’une conséquence, une suite immédiate d’une expérience ou d’une observation.«33 Mit Experiment und Beobachtung sind hier zudem jene Verfahren benannt, die sowohl in der Wissenschaft als auch in der Kunst den sensualistischen Erkenntnisprozess steuern: Zerfallen in der Theorie des französischen Philosophen die Phänomene in Wahrnehmungspartikel, die mittels sprachlicher Zeichen zu komplexen Denk- und Erinnerungsvorgängen verbunden werden, so verknüpft auch Lavoisier seine Suche nach den Elementarteilchen der Natur mit einer neuen chemischen Nomenklatur. Analog dazu setzt der Maler seine aus der Sinneserfahrung gewonnenen Bildelemente  –  im Gemälde betont durch die Beobachtung von Lichtbrechungen in den Gläsern, von Reflexen auf spiegelnden Oberflächen sowie durch die taktilen Qualitäten der wahrgenommenen Materialien  –  zu einem System visueller Zeichen kompositorisch zusammen; zu einem geschlossenen System, das solcherart den hermetischen Versuchsanordnungen der Gas- und Luftexperimente Lavoisiers entspricht. David kommt auf diese Weise zu grenzerweiternden Erkenntnissen über neue Ausdrucksmöglichkeiten der stets prekären Gattung des Porträts. Entstanden ist ein hybrides Gemälde zwischen Bildnis und Historie, ein visuelles Experiment, das im Werk des Malers einerseits singulär geblieben ist, andererseits jedoch

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beispielsweise in seinen Darstellungen der Revolutionsmärtyrer Marat und Le Pelletier de Saint-Fargeau  –  wenn auch auf jeweils ganz unterschiedliche Art  –  ebenfalls zu einem Aufbrechen und Durchmischen tradierter Gattungsformen geführt hat. Bereits die ansatzweise narrative Inszenierung der Personen  –  auf das »Rollenporträt« als Engel und Evangelist wird freilich nur angespielt, es blieb bislang dementsprechend erfolgreich verborgen  –  sowie die damit verbundene Gestaltung des Kopfes von Lavoisier als tête d’expression zeigen die beabsichtigte Grenzüberschreitung hin zum Historienbild, wodurch der Maler gewiss auch das ansonsten schwerlich sanktionierte Großformat seines Gemäldes gerechtfertigt haben dürfte. In der Einleitung zum dritten Teil des Traité élémentaire de chimie, der die Apparate und experimentellen Verfahren auch mit Hilfe der Kupferstiche seiner Frau beschreibt, zitiert Lavoisier sein wissenschaftliches Glaubensbekenntnis, das sensualistische Axiom »Nihil est in intellectu quod non prius fuerit in sensu« (»Nichts gelangt in den Intellekt, was zuvor nicht in den Sinnen war«), und diese »grande & importante vérité« gilt auch für ein Werk der Bildenden Kunst, dessen spezifische Gestaltung einerseits das Porträt des Chemikers und seiner Frau zeigt und dieses Porträt andererseits mit einer allegorisierenden Sinnschicht aufwertet, ohne jedoch gegen die Wahrhaftigkeit der Erscheinung zu verstoßen.34 Der Engel des Evangelisten überblendet ikonographisch das Bild der Malerin und Graphikerin, die ihre Kunst auf zweifache Weise in den Dienst der Wissenschaft stellt: Sie dokumentiert die Forschungen Lavoisiers und ist zugleich als inspirierendes Vorbild eines wahrheitsstiftenden Naturzugriffs inszeniert, ja, vielleicht hat Jacques-Louis David die kompositorisch unübersehbar dominierende Figur Marie-Anne Lavoisiers sogar dazu nutzen wollen, den Paragone von künstlerischer und wissenschaftlicher Welterfassung zugunsten seines Metiers zu entscheiden. Und so wie das pneuma göttlicher Anwesenheit barocker Provenienz im aufgeklärt-bürgerlichen Porträt durch den Verweis auf die Erforschung des Atmens als chemischer Prozess ersetzt wurde, so wird auch das christliche Autorenbild in dessen säkularer Interpretation durch David überwunden: An die Stelle göttlicher Inspiration tritt die Inspiration der Wissenschaft durch die Kunst, durch ästhetische Erfahrung im empirischen Blick auf die Welt.

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1  Vgl. Joachim Gaus: Ingenium und Ars. Das Ehepaarbildnis Lavoisier von David und die Ikonographie der Museninspiration, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 36/1974, S. 199 – 228; Jacques-Louis David. 1748 – 1825 (hrsg. v. Antoine Schnapper u. Arlette Sérullaz), Ausstellungskatalog, Musée du Louvre, Paris / Musée national du château, Versailles 1989 – 1990, S. 192 ff., Kat.-Nr. 84; Mary Vidal: David Among the Moderns: Art, Science, and the Lavoisiers, in: Journal of the History of Ideas 56/1995, S. 595 – 623; Marco Beretta: Imaging a Career in Science. The Iconography of Antoine Laurent Lavoisier, Canton, Mass. 2001 (Bologna Studies in Scientific Heritage, Bd. 1); Marie-Odile van Caeneghem: Les Lavoisier par Jacques Louis David. Un tableau prémonitoire, in: Sparsae. Histoire  –  Archéologie  –  Patrimoine  –  Arts et traditions 4/2009 (Sonderheft), S. 71 – 81; Pierre Fresnault-Deruelle: Lavoisier et son épouse: une image-machine, in: Christophe Genin (Hrsg.): Déconstruire l’image, Paris 2011 (Collection esthétique, Bd. 17), S. 65 – 73. Der vorliegende Aufsatz wurde vorab veröffentlicht in: Zeitschrift für Kunstgeschichte 77-4/2014, S. 545 – 564. 2  Zum Erscheinungsdatum vgl. Beretta 2001, S. 27. 3  Tatsächlich wiesen die Wohnräume der Lavoisier im »petit Arsenal« ein Dekor des 17. Jahrhunderts mit vergoldeten Boiserien auf; vgl. Jean-Pierre Poirier: Histoire des femmes de science en France. Du Moyen Age à la Révolution, Paris 2002, S. 281 – 325 (»Madame Lavoisier«), S. 283. 4  Zu den chemischen Instrumenten im Gemälde vgl. Beretta 2001, S. 30 ff. Dessen These einer konsequenten Chronologie der evozierten Forschungsergebnisse ist allerdings nicht haltbar; vgl. auch Horton A. Johnson: Revolutionary Instruments. Lavoisier’s Tools as Objets d’Art, in: Chemical Heritage 26/2008, S. 30 – 35. 5  Eine Kopie dieses Objekts haben übrigens die russischen Konzept-Maler Komar und Melamid 1982 als postmodernes Aperçu in ihr Gemälde Lenin Lived, Lenin Lives, Lenin Will Live intergriert, um das Bild des einbalsamierten Politikers auf diese Weise um einen Kommentar zur prätentiösen Wissenschaftlichkeit der Verewigung seines wächsernen Leichnams zu bereichern; vgl. Carter Ratcliff: Komar & Melamid, New York 1988, S. 130; Valerie L. Hillings: Komar and Melamid’s Dialogue with (Art) History, in: Art Journal 58/1999, S. 49 – 61, S. 54. 6  Vgl. Jacques-Louis David 1989 – 1990, S. 164; zu den Preisen Davids vgl. Antoine Schnapper: David et l’argent, in: David contre David. Actes du colloque international, 6 – 10 décembre 1989, Musée du Louvre (hrsg. v. Régis Michel), Paris 1993, 2 Bde., Bd. 2, S. 909 – 926, S. 913 ff.; Poirier kommt bei seinen Berechnungen sogar auf eine heutige Kaufkraft von über 200.000 Euro; vgl. Poirier 2002, S. 295. 7  Zitiert bei Edouard Grimaux: Lavoisier. 1743 – 1794. D’après sa correspondance, ses manuscrits, ses papiers de famille et d’autres documents inédits, Paris 1888, S. 380 (»La composition en est très simple; le sentiment qui anime ces trois fils est bien fortement exprimé. Ils sont tous les trois sur la même ligne, et jettent les bras en avant vers leur père qui tient trois épées, et qui se jette en arrière, ce qui fait un mouvement désagréable. Il y a une faute de perspective et de dessin; le bras d’un des frères ne peut exister tel qu’il est. L’abandon et la crainte de Camille sont bien exprimés«). 8  Zum Nachleben dieser Gattungsdoktrin vgl. Uwe Fleckner: In voller Lebensgröße. Claude Monet und die Kunst des ganzfigurigen Portraits, in: Monet und Camille. Frauenportraits im Impressionismus (hrsg. v. Dorothee Hansen u. Wulf Herzogenrath), Ausstellungskatalog, Kunsthalle Bremen 2005 – 2006, S. 42 – 5 1. 9  Vgl. Tony Halliday: Facing the public. Portraiture in the aftermath of the French Revolution, Manchester u. New York 2000, S. 60; zu den einzelnen Porträtgattungen um 1800 vgl. Portraits publics, portraits privés. 1770 – 1830, Ausstellungskatalog, Galeries nationales du Grand Palais, Paris / Royal Academy of Arts, London / Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2006 – 2007. 10  Vgl. Petra Gördüren: Bildnis, stellvertretendes, in: Uwe Fleckner, Martin Warnke u. Hendrik Ziegler: Handbuch der politischen Ikonographie, München 2009, 2 Bde., Bd. 1, S. 152 – 161.

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11  Vgl. Portraits publics, portraits privés 2006 – 2007, S. 68 f., Kat.-Nr. 3. 12  Brief von Charles-Etienne-Gabriel Cuvillier an Joseph-Marie Vien, 10. August 1789, zitiert nach Marc Furcy-Raynaud (Hrsg.): Correspondence de M. d’Angiviller avec Pierre, in: Nouvelles archives de l’art français XXII/1906 [1907], S. 263 – 265, S. 264; vgl. Charles Harrison, Paul Wood u. Jason Gaiger (Hrsg.): Art in Theory 1648 – 1815. An Anthology of Changing Ideas, Oxford 2000, S. 701 ff. 13  Die früheste publizierte Kritik des Bildes findet sich daher erst bei Pierre-Jean-Baptiste Chaussard: Le Pausanias français, ou description du salon de 1806, Paris, 2. Auflage 1808, S. 156 f.; wieder abgedruckt unter dem Titel Notice historique sur Louis David, peintre, in: Revue universelle des arts 18/1863, S.  114 – 1 28, S. 120 (»La philosophie indiqua à M. David un autre sujet: c’était le portrait du savant et à jamais regrettable Lavoisier; il le représenta à côté de son épouse. Ils étaient dignes l’un de l’autre par leurs vertus, leur union, leurs connaissances et leurs talents. Si Lavoisier était un des hommes les plus éclairés et l’un des plus grands génies de son siècle, sa femme était, de toutes les femmes, la plus capable de l’apprécier. Elle apprit à la fois la chimie, le dessin et la gravure, pour ne pas le quitter. C’est à elle que l’on doit les excellentes planches de l’ouvrage de Lavoisier sur la chimie. M. David, qui se pénètre de toutes les passions qu’il veut rendre, a exprimé leurs vertus et leurs qualités dans le tableau qu’il en a fait. Il a peint Lavoisier vêtu simplement, assis près d’une table, sur et auprès de laquelle sont des instruments, des objets de chimie. Ce savant paraît partager tout son être entre cette science et son épouse, qu’il regarde: elle est debout, elle s’appuie sur l’épaule de son mari; tout son attitude exprime son bonheur. La couleur générale de ce tableau est un peu grise; mais le dessin et la composition sont dignes et du sujet et de l’artiste«). 14  Vgl. Yvonne Korshak: »Paris and Helen« by Jacques-Louis David: Choice and Judgement on the Eve of the French Revolution, in: Art Bulletin 69/1987, S. 102 – 116; zur Opposition der beiden Gemälde vgl. Régis Michel: David. L’art et le politique, Paris 1988, S. 49 (»David portraiture en 1788 le chimiste Lavoisier et son épouse: version moderne et positive du couple bourgeois, qui est l’antithèse du Pâris et Hélène, peint pour le comte d’Artois«). 15  Vgl. Gaus 1974, S. 200; den Bezug des Gemäldes zur Musenikonographie übernimmt Gaus von Edgar Wind: The Sources of David’s »Horaces«, in: Journal of the Warburg and Courtauld Institutes 4/1941, S. 124 – 138, S. 136 ff. 16  Vgl. Gaus 1974, S. 210 f. u. Abb. 9; zu dieser besonderen Tradition des Autorenbildes vgl. Werner Weisbach: Die Darstellung der Inspiration auf mittelalterlichen Evangelistenbildern, in: Rivista di archeologia cristiana XVI/1939, S. 101 – 1 27, S. 103 ff. 17  Weisbach 1939, S. 104. 18  Vgl. Hans-Joachim Raupp: Untersuchungen zu Künstlerbildnis und Künstlerdarstellung in den Niederlanden im 17. Jahrhundert, Hildesheim et al. 1984 (Studien zur Kunstgeschichte, Bd. 25), S. 429 (Ripa, 1644) u. S. 432 (Adam van Noort, 1598). 19  Zur kürzlichen Identifikation des Porträtmodells von Fragonards »L’Inspiration« vgl. Carole Blumenfeld: Une facétie de Fragonard. Les révélations d’un dessin retrouvé, Montreuil 2013, S. 40 f.; zur ästhetischen Strategie des Bildes vgl. Uwe Fleckner: »Pourquoi une belle esquisse nous plaît-elle plus qu’un beau tableau?« Fragonard, Diderot et l’éloquence du pinceau dans quelques portraits du XVIIIe siècle, in: Thomas W. Gaehtgens et al. (Hrsg.): L’art et normes sociales en France au XVIIIe siècle, Paris 2001 (Passages / Passagen, Bd. 2), S. 509 – 533. 20  Elisabeth Vigée-Lebrun: Souvenirs (hrsg. v. Claudine Herrmann), Paris, 2. Auflage 1986, 2 Bde., Bd. 2, S.  249; vgl. Gerrit Walczak: Elisabeth Vigée-Lebrun. Eine Künstlerin in der Emigration 1789 – 1802, München u. Berlin 2004 (Passerelles, Bd. 5), S. 20 ff.

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21  Vgl. zum Beispiel Albert Boime: Art in the Age of Revolution, 1750 – 1800, Chicago 1987, S. 414 (»she is pictured mainly as a decorative adjunct to the scientific world of her husband«). 22  Vgl. Denis I. Duveen: Madame Lavoisier. 1758 – 1836, in: Chymia. Annual Studies in the History of Chemistry 4/1953, S. 13 – 29; Keiko Kawashima: Madame Lavoisier. The Participation of a Salonière in the Chemical Revolution, in: Marco Beretta (Hrsg.): Lavoisier in Persepctive. Proceedings of the International Symposium, München 2005, S. 79 – 9 4; Jean-Pierre Poirier: La Science et l’Amour. Madame Lavoisier, Paris 2004. 23  Arthur Young: Travels During the Years 1787, 1788, & 1789 […], London 1794, 2 Bde., Bd. 1, S. 78. Bei dem erwähnten Essay handelt es sich um Richard Kirwan: An Essay on Phlogiston and the Constitution of Acids, London 1787; vgl. auch die Übersetzung der Studie durch Marie-Anne Lavoisier: Essai sur le phlogistique et sur la constitution des acides, traduit de l’anglais de M. Kirwan, Paris 1788. 24  Zu den Tafeln und ihren Vorzeichnungen vgl. Duveen 1953, S. 17 ff. 25  Vgl. Madeleine Pinault Sørensen: Madame Lavoisier, dessinatrice et peintre, in: La Revue du Musée des arts et métiers 6/1994 (Sonderheft »Lavoisier, scientifique et homme des Lumières«), S. 23 – 25. 26  Die Aufschrift ist auf den 2. März 1786 datiert. Es erscheint fraglich, ob die Aktzeichnung vor dem lebenden Modell entstanden ist, da Künstlerinnen im 18. Jahrhundert in der Regel nicht zur Aktklasse zugelassen waren; denkbar wäre auch die Ausführung nach der académie d’homme eines anderen Künstlers aus dem Atelier Davids, wogegen wiederum die anatomischen Unsicherheiten des Blattes sprechen könnten, da der Meister gewiss kein fehlerhaftes Vorbild zur Verfügung gestellt hätte. Zu den Künstlerinnen im Atelier Davids vgl. Mary Vidal: The »Other Atelier«. Jacques-Louis David’s Female Students, in: Melissa Hyde u. Jennifer Milam (Hrsg.): Women, Art and the Politics of Identity in EigheenthCentury Europe, Aldershot 2003 (Women and Gender in the Early Modern World), S. 237 – 262; Margaret Fields Denton: A Woman’s Place: The gendering of genres in post-revolutionary French painting, in: Art History 21-2/1998, S. 219 – 2 46; dort auch der Hinweis auf die ausnahmsweise gestattete Teilnahme von Künstlerinnen am Aktzeichnen, wobei die Modelle jedoch mit Lendentüchern leicht verhüllt waren; ibid., S. 243, Anm. 11. 27  Brief von Benjamin Franklin an Marie-Anne Lavoisier, 23. Oktober 1783, zitiert nach Beretta 2001, S. 82. 28  Vgl. Beretta 2001, S. 48 f. u. S. 84, Kat.-Nr. 13 – 1 4; Johann Peter Prinz: Lavoisier’s Experimental Method in his Research on Human Respiration, in: Beretta 2005, S. 43 – 52, S. 47 ff.; zwei kürzlich aufgefundene Zeichnungen derselben Serie (London, Wellcome Library) sind vollkommen überzeugend ebenfalls der Hand Marie-Anne Lavoisiers zugeschrieben worden; vgl. Marco Beretta: Imaging the Experiments on Respiration and Transpiration of Lavoisier and Séguin: Two Unknown Drawings by Madame Lavoisier, in: Nuncius 27/2012, S. 163 – 191, S. 186 ff. 29  Brief von Jean-Henri Hassenfratz an Marie-Anne Lavoisier, 20. Februar 1788, in: Œuvres de Lavoisier. Correspondance (hrsg. v. Michelle Goupil), Bd. 5 (1787 – 1 788), Paris 1993, Nr. 945, S. 135 – 136, S. 135. Zum »acidum pingué« vgl. ibid., S. 136, Anm. 2. Hassenfratz stellte diesem Vorschlag zwei weitere allegorische Sujets voran, die er allerdings selbst als wenig zur Lösung des Bildproblems geeignet bezeichnet hat. Eine anonyme Gouache von 1807 weist vergleichbare allegorische Bildelemete auf; vgl. Beretta 2001, S. 46 u. S. 90, Kat.-Nr. 30. 30  Die bisherige Forschung nimmt einhellig an, dass die Bildideen von Hassenfratz einem Frontispiz galten, doch dessen Farbangaben (»une cocarde blanche« / »uniforms blancs« / »les carbonates avaient paremens noirs, les sulfates paremens jaunes, les phosphates legerement aurore« / »de couleurs differentes«) weisen eher auf eine gemalte Allegorie hin; vgl. Œuvres de Lavoisier. Correspondance 1993, S. 135.

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31  Vom H[er]rn E.** in Paris, in: Chemische Annalen / Chemische Versuche und Beobachtungen (hrsg. v. Lorenz Crell), Helmstedt u. Leipzig 1789, Bd. 1, Teil 6, S. 519 (Rubrik »Vermischte Bemerkungen aus Briefen an den Herausgeber«); zu diesem Autodafé vgl. Max Speter: Lavoisier und seine Vorläufer. Eine historisch-kritische Studie, in: Sammlung chemischer und chemisch-technischer Vorträge, Bd. 15 (hrsg. v. Walter Herz), Stuttgart 1910, S. 109 – 2 18, S. 151 f.; Alfred Nordmann: The Passion for Truth. Lavoisier’s and Lichtenberg’s Enlightments, in: Beretta 2005, S. 109 – 1 28, S. 112 ff. Bei dem im Bericht von 1789 erwähnten Georg Ernst Stahl (1659 – 1 734), Professor für Medizin in Halle und Leibarzt Friedrich Wilhelm I., handelt es sich um einen der Begründer der Phlogiston-Theorie. 32  Vgl. Vidal 1995, S. 595 ff.; deren Kernthesen, wenn auch bei anderer Einschätzung der Rolle der Frau, skizziert bereits Boime 1987, S. 413 ff. 33  Antoine-Laurent Lavoisier: Traité élémentaire de chimie, Paris 1789, 2 Bde., Bd. 1, S. VIII; vgl. Lothar Kreimendahl: Hauptwerke der Philosophie. Rationalismus und Empirismus, Stuttgart 1994, S. 119 ff.; Ulrich Ricken: Etienne Bonnot de Condillac. Aufklärung als sensualistische Anthropologie und Sprachphilosophie, in: Lothar Kreimendahl (Hrsg.): Philosophen des 18. Jahrhunderts, Darmstadt 2000, S. 171 – 188. 34  Lavoisier 1789, Bd. 2, S. 325; vgl. Aristoteles: De anima 207 b.

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PORTRAITS OF TEACHERS Rethinking the Role of Likeness in Tibetan Buddhist Art R AC H E L Q . L E V Y

Re-evaluation of Tibetan Buddhist portrait criteria Teachers are particularly revered in Tibetan Buddhism for their important role as the primary transmitters of Buddhist teachings. Commensurate with their role, portraits of religious teachers comprise one of the most significant genres of Tibetan Buddhist art. Previous scholars of Tibetan portraiture have focused primarily on the role of likeness, which they define as a close resemblance between the portrait and its subject conveyed through mimesis. Since Tibetan artists employ a variety of artistic conventions in order to reference the identity of the portrait subject, representations of Buddhist teachers range from veristic depictions to idealized types. Rather than taking this range as the foundation for classifying what is or is not a portrait, as previous scholars have done, I argue that such conventions are tools for representing the subject in accordance with Tibetan Buddhist conceptions of teachers. Using a set of seven nineteenth-century paintings depicting the First through Ninth Dalai Lamas as a case study, I will examine portraits of Dalai Lamas in detail, analyzing the different artistic conventions employed to reference the portrait’s subject. I contend that these choices point to a specific understanding of Tibetan Buddhist teachers as both enlightened beings and human figures. The seven-paintings set, currently in a private collection, comprises paintings that depict the First through the Ninth Dalai Lamas, as well as additional historical figures included in the incarnation lineage |fig. 1 – 7|.1 A representation of the Fifth Dalai Lama (1617 – 1682) occu-

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1 – 7  Unknown artist: Portraits of First through Ninth Dalai Lamas (seven-paintings set), 19th century, Tibet, mineral pigment and gold on cotton, 23,6 × 50 cm, private collection

P o rtraits o f T eac hers

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pies the central and most prominent position in this set |fig. 8|. The figure is shown frontally, seated cross-legged on a tiered throne with a blue throne-back. There is a red nimbus behind his head. The figure wears monastic robes of silk brocade and a pointed yellow hat that is characteristic of teachers in the Gelug tradition of Tibetan Buddhism. The treatment of the Fifth Dalai Lama’s facial features does not indicate an overt concern with portraying the subject’s individual physiognomy. The figure has a round face. His nose and chin are rendered with single curvilinear lines. There are an additional three curved lines at the neck. The figure’s eyes are almond-shaped. His lips are plump in the middle and attenuated at the corners. The figure has a mustache and a tuft of hair (mouche) beneath his lower lip. The figure has elongated earlobes, which are partially visible beneath his hat. The emphasis on rounded forms and the minimal use of modeling in the figure’s face give little indication of the subject’s unique physical attributes. Rather, the specific shape and proportions of the facial features resemble images of Buddha and bodhisattva figures from the Tibetan Buddhist pantheon. For this reason, previous scholars of Tibetan portraiture have classified this type of representation as an iconic image rather than a »true portrait«. This approach relies on a definition of portraiture in which »likeness« is equated with verisimilitude, such that the representation accurately transcribes the subject’s individual physical appearance. This definition is rooted in early modern western art historical conceptions of likeness and, as such, privileges scholars’ etic concerns. I propose a re-evaluation of Tibetan Buddhist portraits based on the premise that the defining characteristic is the recognizable relationship between portrait and subject. I argue that in a Tibetan Buddhist context this relationship cannot be conveyed by physical resemblance alone. Rather, in a Tibetan Buddhist context, the conception of »likeness« embodies both physical and spiritual qualities and, as such, is inextricably tied to Tibetan Buddhist understandings of how teachers manifest themselves in the world. Thus, the purpose of this study is twofold: first, to problematize previous scholars’ approaches that classify representations of Tibetan Buddhist teachers according to a definition of portraiture that equates »likeness« with physical resemblance; second, to highlight the artistic conventions whereby a portrait of a Tibetan teacher is rendered recognizable as such within a Tibetan Buddhist context. The Dalai Lama portraits in the seven-paintings set are well-suited for this study, because they range from the rounded, »idealized« forms, as in the Fifth Dalai Lama figure, to individualized depictions that convey physiognomic specificity. The inclusion of these different representational types within a single set of paintings challenges previous scholars’ approaches that conflate »likeness« with mimesis. As such, it provides an opportunity to re-examine the artistic conventions of Tibetan portraiture and investigate the conceptions of »likeness« within a Tibetan Buddhist context.

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8  Unknown artist: Portrait of Lobsang Gyatso, Fifth Dalai Lama, 19th century, Tibet, mineral pigment and gold on cotton, 23,6 × 50 cm, private collection

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State of research: between »true« portrait and iconic image To date, only one essay has been published on the seven-paintings set. In The Ninth Dalai Lama’s Set of Seven Lineage Thangkas, Per Sørensen focuses his study on the identification of the figures and their historical significance.2 Previous scholars of Tibetan portraiture have focused primarily on classifying images based on stylistic grounds. These scholars have relied on a definition of portraiture that equates likeness with mimesis, such that the representation accurately transcribes the subject’s physical appearance at a particular moment in time.3 This approach privileges scholars’ etic concerns, creating a false dichotomy between veristic representations and images that present the subject as an ideal type. This dichotomy was first posited by Giuseppe Tucci, one of the earliest scholars writing about Tibetan portraiture, whose work sets the foundation for subsequent scholarship. In his 1949 book Tibetan Painted Scrolls Tucci states that: »The typical features of each single master have early been established by artistic schools and handed down most faithfully: hence, while the schematic drawing and the hieratic fixity of these figures are such that they cannot be spoken of as portraits, undoubtedly the most representative figures of Tibet’s religious history have become unalterable types, and if other suggestions, like votive inscriptions, were lacking, it would not be difficult to recognize them. Tsongk’apa, the fifth Dalai Lama, the Panc’en dPal ldan ye šes, in all the tankas belonging to the most different schools, have so well-defined an individuality, that it is impossible not to recognize them: these types nearly always go back to portraits (sku a·bag) made in the times of the personages themselves, which have later become models for successive artists.«4 His use of the phrase »schematic drawing and hieratic fixity« refers to the Tibetan practice of depicting enlightened beings, such as Buddhas and bodhisattvas, according to strict iconometric guidelines and with standard iconographic features. Iconometry is a set of geometric rules, drawing guides, and measurements that dictate specific body proportions for the figures in the Buddhist pantheon. The purpose of these specifications is to represent the figure in an idealized form, such that their perfected outward appearance serves as a visual expression of their inner spiritual perfection. In addition, Buddha and bodhisattva images include iconographic features that visually reference the figure’s enlightened status. Many representations of Buddhist teachers utilize these iconometric guidelines and iconographic attributes. As a result, representations of teachers may resemble Buddha and bodhisattva fig´ ¯a kyamuni, the founder of Buddhism who lived in ures, particularly the historical Buddha S India in the sixth to fifth century BCE. According to Tucci, these representations are not »true portraits« because they follow iconometric and iconographic conventions, rather than depicting the figure’s individual physical characteristics.

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Three underlying assumptions of Tucci’s overall argument are significant here. First, representational images of teachers are only considered portraits if they are individualized and not »schematic« or »hieratic«, even in images where there is an identifiable relationship between the representation and its subject.5 Thus, for Tucci, it is not what characteristics of the subject are represented, but rather the style in which they are rendered that determines whether an image is a portrait or an idealized type. Second, he contends that portraits, which he defines as mimetic representations, were made during the subjects’ lives. This implies that Tibetan artists and/or patrons were concerned with depicting the subject’s individual physiognomy. Third, these veristic portraits served as prototypes for later, increasingly codified images. As such, Tucci’s approach posits a hierarchical and mutually exclusive relationship between portraits and idealized images that privileges the former. This dichotomy between portraits and iconic images is taken up nearly fifty years later by Jane Casey Singer.6 Singer contends that Tibetan portrait artists and patrons were not concerned with representing individual physiognomy.7 Rather, she argues that the main goal of portraits was to represent the subjects as accomplished Buddhists by visually equating them with Buddha and bodhisattva images. This is achieved through adherence to the iconometric guidelines and the use of iconographic attributes. Although Singer uses the term »portrait« when referring to this category of images, she argues that they are idealized representations, even if the depictions include certain individual physical characteristics, because of the manner in which they are represented. This follows Tucci’s argument that »schematic« and »hieratic« representations of teachers are not true portraits. Since Singer contends that the images are all idealized, then, according to her argument, there are no »true« Tibetan portraits. More recent scholarship by Heather Stoddard and David Jackson expand on Tucci and Singer’s dichotomous categorization by proposing a number of subsets in this range. Stoddard identifies four categories of portraiture that nuance the possible relationships between portrait and subject.8 The first is the »divine« portrait which represents the figure with a »human face and godlike life-size body«.9 The second is portraits »made from life«, which she defines as a veristic depiction of a teacher executed during his or her lifetime. The third category is the »iconic« portrait based on a fixed set of characteristics associated with a specific master and modeled after portraits made from life. In this category, she puts portrait in quotation marks to indicate that she does not consider these to be true portraits. The last category is »modern-style« portraits that use photographic images for the figure’s face and a stylized treatment of the body and robes. These categories diversify Tucci’s earlier system without questioning his underlying assumptions, ultimately perpetuating a hierarchy of images. David Jackson further refines Stoddard’s fourfold categorization. In his recent scholarship, he proposes five types of portraiture defined by the temporal relationship between the portrait and its subject.10 These include: mimetic representations made during the subject’s life; idealized depictions of the subject made shortly after their death; images created long after the subject’s death and based on oral or literary descriptions; images created long after the subject’s death, which are not based on specific models or descriptions and conform to

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standard artist conventions of lama portraits; and images created long after the subject’s death which appropriate earlier artistic models, produced according to the previous four approaches. Jackson’s model also perpetuates a hierarchy of images that differentiates between representations rendered in a realistic style made during the subject’s life and images that are not. Although Stoddard and Jackson have moved away from a binary categorization, their systems of classifications are still ultimately founded on the same dichotomous spectrum advanced by Tucci and Singer. This spectrum is dictated by proximity to an »original« source and the degree of resemblance to the physical appearance of the subject. Furthermore, Stoddard and Jackson reiterate the same chronology proposed by Tucci, wherein veristic portraits serve as artistic prototypes for later conventional images. In their work, these scholars rely on a definition of portraiture characterized by the transcription of the subject’s individual physical appearance as documented at a specific moment in time. Each of these scholars identifies mimesis as the primary means for conveying the relationship between a portrait and its subject. The extent to which the representation replicates a teacher’s physiognomy is thus taken as grounds for classifying the images according to the etic value systems of the scholars. This conflation of mimesis and likeness obscures emic Tibetan Buddhist conceptions of likeness.

Enlightened qualities of both Buddha images and Tibetan Buddhist teachers A comparison of Buddhist textual accounts and extant Buddha images provides a useful framework for reconsidering Tibetan Buddhist conceptions of likeness. I have shown that previous scholars’ classifications have differentiated between representations of teachers that resemble Buddha images through the use of iconometry and iconography and individualized portraits made from life. However, Indian and Tibetan narratives that describe early images ´ ¯a kyamuni made during his life consistently refer to these repreof the historical Buddha S sentations as being a likeness.11 The origins of Buddha images have been the subject of great ´ ¯a kyamuni depict the figure scholarly debate, but even the earliest known representations of S 12 as an idealized type with standard iconography. This iconography has remained virtually ´ ¯a kyamuni unchanged, regardless of differences in style, date, and provenance. The Jowo S sculpture at the Jokhang temple in Lhasa and its mythic origins is a particularly salient example because Tibetan Buddhists consider the image to be a portrait-likeness of the historical Buddha made during his life |fig. 9|.13 ´ ¯a kyamuni sculpture is one of the most venerated images among Tibetan BudThe Jowo S dhists. According to textual and oral histories, Mañjughos· a, a form of Manjus´ri, the bodhisat´ ¯a kyamuni allow for the creation of his representva of wisdom, repeatedly requested that S tational images, so that in his absence all sentient beings might acquire merit by way of their veneration. When at last he assented, a divine artist, Vis´vakarman, created three images of ´ ¯a kyamuni at ages twenty-five, twelve, and eight in the Buddha’s presence. These were then S

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9  Unknown artist: Jowo S´a¯kyamuni, 5th – 7th century BCE (restored version of the 20th century), Tibet, metal alloy with gilding, height 150 cm, Lhasa, Jokhang Temple

ritually consecrated by the Buddha himself. As a result, they were said to hold a great blessing, indistinguishable from that of the actual Buddha.14 ´ ¯a kyamuni is a Based on previous scholars’ arguments, it could be assumed that the Jowo S naturalistic depiction of the historical Buddha’s individual physical appearance, because the sculpture was made during the subject’s life by an artist who has seen him and is considered a likeness. Yet, visual analysis of the sculpture demonstrates that the subject is depicted in an idealized manner that follows the standard conventions of Buddha images.15 This indicates that likeness and mimesis are not synonymous within a Tibetan Buddhist context, as previous scholarship has suggested. Rather, likeness can also include the notion of an ideal. It is ´ ¯a kyamuni actually looked like, but according to textual sources, a Buddha’s unknown what S appearance is defined by thirty-two characteristics, typically referred to as »signs« (laks·an·a in Sanskrit) and eighty minor marks. Examples of these signs include smooth, soft skin, blue eyes, and the urn·a curl located between his eyebrows. These perfect characteristics of the Buddha’s outward appearance are a visual expression of his attainment of spiritual perfec´ ¯a kyamuni is depicted with smooth skin, blue eyes, and an urna curl between tion. The Jowo S · his eye brows; thus, in this context the notion of likeness refers not just to the subject’s in-

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dividual physical characteristics, but also to representing the subject in accordance with a Tibetan Buddhist understanding of how enlightened beings appear in the world. Portraits of Tibetan Buddhist teachers often include iconographic features appropriated from the standard conventions of Buddha images. The inclusion of these elements reinforces the figure’s enlightened qualities. However, the representations are not simply facsimiles of Buddha images, wherein the subject’s individual identity is effaced, as Singer suggests. Portraits of teachers necessarily include visual references to the subject’s identity as both an enlightened being and historical human figure, as it is this duality that renders teachers so significant in Tibetan Buddhist practice. Examining the idealized and individualized aspects of Tibetan portraits as complimentary components, rather than grounds for validating some images as portraits and excluding others, yields a better understanding of Tibetan portraits of teachers as a genre and Tibetan Buddhist conceptions of teachers. Rather than creating yet another classification system that privileges certain forms of portraiture while excluding or invalidating others, I propose using the same visual evidence to discuss how this range of images can successfully function as portraits, by bringing to the fore Tibetan understandings of Buddhist teachers. The Dalai Lamas belong to a lineage of Buddhist masters who have held religious and political authority in Tibet from the fourteenth century to the present.16 In Tibetan Buddhism, eminent Buddhist teachers, like the Dalai Lamas, are considered to be bodhisattvas. A bodhisattva is a fully enlightened being who chooses to be continually reborn in the world to teach Buddhism to others. Among the many different lineages of teachers in Tibet, the Dalai Lamas are particularly revered because they are believed to be emanations of Avalokites´vara, the bodhisattva of compassion, who holds special significance for Tibetan Buddhists.17 In addition to realized teachers who are considered to be bodhisattvas on earth, Buddhist texts also refer to celestial bodhisattvas who reside in heavenly realms that are part of Buddhist cosmology. Unlike the numerous celestial Buddhas and bodhisattvas who populate the Buddhist pantheon, Tibetan teachers, like the Dalai Lamas, are corporeally present in the world. These enlightened teachers remain accessible to Buddhist practitioners, not only during the period in which they live and teach in Tibet, but after their death as paradigms of the path toward enlightenment. This is a crucial factor in Tibetan Buddhism because religious teachings and practices are transmitted directly from teacher to student in a continuous lineage that can be traced back to a less-accessible celestial Buddha. Practitioners rely on the guidance and careful instruction of their teacher to advance on the path to enlightenment. However, before being qualified to instruct others, teachers must attain enlightenment themselves. Thus, as enlightened beings, the eminent teachers represented in portraiture have attained the knowledge necessary to help others on the path to spiritual awakening. As historical human figures living at a specific time and place, they are available to teach, interact with students, and be the focus of their veneration in order to facilitate other practitioners’ progress. As enlightened beings, the teachers are venerated as bodhisattvas. However, they are distinguished from other bodhisattvas specifically because they are human figures. This dual identity, as fully en-

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lightened being and human figure, is an integral component of how teachers are conceived of and venerated in Tibetan Buddhism. As such, Buddhist teachers, like the Dalai Lama lineage depicted in the seven-paintings set, are both fully enlightened beings, or bodhisattvas, and historical human figures, who are corporeally accessible to students and practitioners. This conception of teachers provides a necessary framework for analyzing Tibetan portraiture. Portraits of Buddhist teachers, such as the Dalai Lamas, include visual references to the subject’s dual identity as enlightened being and human figure. I contend that this is a deliberate effort by Tibetan artists to render the subject recognizable as a teacher within a specifically Tibetan Buddhist context. This is in contrast to previous scholarly approaches to Tibetan portraiture that view these visual references as criteria for determining whether or not an image is a portrait-likeness.

Portraits of the Dalai Lamas as sets of paintings The commissioning and viewing of portraits of teachers, like the Dalai Lamas, are considered meritorious acts, which facilitate a practitioner’s path to enlightenment. In addition to single images, portraits of the Dalai Lama were and are often commissioned as sets of paintings. These sets depict the lamas’ spiritual lineage, rather than an isolated portrait of a single figure. Such sets of portraits provide useful tools for considering earlier scholarship on portraiture, because it necessarily raises the issue of temporal proximity and its relationship to artistic conventions, which is the basis upon which previous scholars have built their arguments. The tradition of painting Tibetan Buddhist spiritual lineages dates to the twelfthcentury. The first Dalai Lama lineage sets were commissioned by the Fifth Dalai Lama in the seventeenth-century. The commissioning of Dalai Lama lineage sets has since become widespread practice, though few exist today in their entirety.18 The extant Dalai Lama lineage sets vary in number of paintings, number of incarnations represented, and composition. This indicates that there were no standard guidelines dictating the production of lineage sets. The seven-paintings set discussed here is the only known Dalai Lama lineage set that comprises this number of paintings. The other complete sets that survive intact include three, five, or thirteen paintings. In the seven-painting set, the paintings are grouped in pairs bracketing the central portrait, which in this case features the Fifth Dalai Lama. The arrangement of paintings into pairs flanking a centerpiece is typical of Dalai Lama lineage sets. In the center painting a large central figure is shown frontally, as is the standard convention in Dalai Lama lineage sets. The paintings which bracket the centerpiece depict multiple figures, one slightly larger than the rest, in an asymmetrical composition. The largest figure is placed off-center, with the others located diagonally above and below. Some of the figures’ faces are shown frontally, while others are in three-quarter profile. This asymmetrical composition with multiple figures of comparable size is unusual in Dalai Lama lineage sets.19

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In the seven-paintings set, the central figures in the pair of paintings immediately to the left and right of the central Fifth Dalai Lama portrait represent the seventh-century Tibetan king Songtsen Gampo and the eleventh-century Tibetan teacher Domtön, respectively (see fig. 3 and 5).20 These two historical figures are also understood to be manifestations of the bodhisattva Avalokites´vara and are included in the Dalai Lama lineage as previous incarnations. Songtsen Gampo was instrumental in the establishment of Buddhism in Tibet in the seventh-century. Domtön played a fundamental role in the revival of Tibetan Buddhism in the eleventh-century. Thus, their placement in this set, flanking the Fifth Dalai Lama, visually and conceptually links the Dalai Lamas to the early history of Buddhism in Tibet. Moving outward, the paintings to the left and right depict the First and Second Dalai Lamas respectively (see fig. 2 and 6). The outermost thangkas include portraits of the Third and Fourth Dalai Lamas (see fig. 1 and 7). The Sixth through Ninth Dalai Lamas are represented as small figures in the upper register of the central painting (see fig. 8).21 The centerpiece of the set is the previously discussed portrait of the Fifth Dalai Lama. This representation is the type that previous scholars have classified as an iconic image, rather than a »true portrait« because the treatment of the figure’s face corresponds to the iconometric guidelines and iconographic conventions of Buddha images. This is particularly evident in the rounded shaped of the figure’s face and the shape of his facial features. Other similarities to Buddha and bodhisattva images include the figure’s elongated ears, symbolizing his renunciation of the material world, and the nimbus behind his head, which represents the light that radiates from enlightened beings. These iconographic elements would be immediately recognizable to a Tibetan Buddhist viewer as markers of his enlightened status. The artistic conventions highlight the subject’s spiritual accomplishments by visually equating him with an enlightened being. Yet, several aspects of this image differentiate the figure from Buddha and bodhisattva types in that it references the figure’s identity as a historic figure generally and the Fifth Dalai Lama specifically. For example, in this portrait the figure is shown with a mustache that slopes downward at either side of his mouth, often referred to as a »walrus mustache« because of its shape. This distinctive mustache is not an element dictated by iconometry. It is a human attribute and it is the most common identifying characteristic found in representations of the Fifth Dalai Lama. Although many Buddhist teachers are depicted with facial hair, the »walrus mustache« is the attribute that most clearly differentiates the Fifth from other Dalai Lama incarnations, as well as Buddha and bodhisattva figures. The inclusion of other features in this portrait, unrelated to iconometry, also identifies the subject as the Fifth Dalai Lama and as a human figure. His identity as a Dalai Lama is indicated by the pointed, yellow hat that is worn by teachers in the Gelug tradition of Tibetan Buddhism. The Dalai Lama is the head of the Gelug tradition and, as such, is often represented with this specific attribute. In addition, the figure’s status as a Buddhist teacher is reinforced by his red and yellow monastic robe, which is worn by most eminent teachers of Tibetan Buddhism. His almond-shaped eyes also identify him as a human figure. The shape of a figure’s

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eyes is an iconographic convention that provides information about the subject. In Tibetan Buddhist art, almond-shaped eyes are typical of human figures, whereas Buddhas and bodhisattvas are shown with »bow-eyes«.22 In addition, small patches of hair are visible only at the center of the subject’s forehead and temples, indicating a receding hairline. This is an artistic device that conveys age and is associated with human figures, because Buddhas and bodhisattvas, as physically and spiritually perfected beings, are not subject to the aging process. The portrait of the Fifth Dalai Lama thus combines a range of artistic elements, both idealized and individualized. In this representation, the idealized features and specific iconography highlight the subject’s identity as an enlightened being, by visually equating him with Buddha images. Singer suggests that this is the main goal of Tibetan portraiture. However, the inclusion of iconography specific to human figures, teachers of the Gelug tradition, and the Fifth Dalai Lama himself, indicates a deliberate attempt to differentiate the subject from images of Buddhas and bodhisattvas, by simultaneously referencing his identity as an individual historical human figure. Singer’s model does not account for these additional elements, which play a crucial role in visually referencing the portrait subject.

Tibetan Buddhist concept of likeness Previous scholars have suggested that this kind of idealized image would have been based on veristic portraits of the subject made during his or her lifetime. One such example of a verisitic portrait is the bronze sculpture in the Boston Museum of Fine Arts, which is inscribed at the base as being made »from life« |fig. 10|. This sculpture dates to 1669 – 1670 when the Fifth Dalai Lama was still alive and more closely conforms to typical western conventions of portraiture. Although this image demonstrates a concern with the individual’s physiognomy, as other scholars’ arguments anticipate, it still utilizes iconographic conventions, similar to those in the portrait of the Fifth Dalai Lama in the seven-paintings set. This naturalism is evident in the figure’s softly modeled face, his heavy jowls, thick, furrowed eyebrows, creased forehead, downturned mouth, and wide eyes. He is not shown with the hat typical of other Dalai Lama portraits and is clean-shaven, which is surprising considering a mustache is the most common individual attribute of Fifth Dalai Lama portraits. Alongside this naturalism, the portrait includes attributes typically associated with the Fifth Dalai Lama that serve as a visual references to his individual identity and as markers of his enlightenment. He has a ritual dagger tucked into his belt, which, like the mustache, is specifically associated with the Fifth Dalai Lama. The dagger symbolizes his knowledge of a particular class of Tantric, esoteric practices. In addition, he is shown with elongated earlobes, which references his enlightened status. This comparison demonstrates two important points. First, the Boston sculpture and the painted portrait of the Fifth Dalai Lama do not adhere to the categories proposed by previous scholars. The Boston sculpture was made during the subject’s life and demonstrates

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10  Unknown artist: Portrait of Lobsang Gyatso, Fifth Dalai Lama, 1669 – 1670, Tibet, bronze, height 13 cm, Boston, Museum of Fine Arts

a greater concern for transcription of the figure’s individual physical appearance, and thus can be considered a »true portrait« according to Tucci’s definition. However, the figure is still shown with the iconographic markers of enlightenment, which Tucci deemed schematic, hieratic, and antithetical to realism. Conversely, while the Fifth Dalai Lama’s facial features in the seven-paintings set were rendered in an idealized manner that both Tucci and Singer discounted as a form of true portraiture, the subject was still depicted with visual markers of individual, human attributes. Although at first the two images of the Fifth Dalai Lama may seem to follow the dichotomous categories proposed by previous scholars, because of differences in style, it is significant that both representations included idealized and individualized attributes. These elements necessarily convey the subject’s identity as an enlightened being and historical human figure. The second point is that the two representations of the Fifth Dalai Lama have few attri­ butes in common, which contradicts the chronological development of portraits proposed by

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previous scholars. These scholars, beginning with Tucci, have suggested that veristic portraits made from life, such as the Boston sculpture, served as artistic precedents for later, conventionalized images such as the Fifth Dalai Lama in the seven-paintings set. However, there is little in this comparison to suggest that the latter served as a model for the former. Examining additional images of the Fifth Dalai Lama further problematizes this theory. A portrait of the Fifth Dalai Lama, in the collection of the Musée national des arts asiatiques Guimet, in Paris, was also made during his life, and is likely to have been commissioned by the Fifth Dalai Lama himself |fig. 11|.23 Previous scholars have argued that the representations made during a subject’s life were mimetic depictions of the figure’s physical characteristics. It is difficult to see the details of the figure’s face due to the painting’s condition, but this portrait more closely resembles the idealized style of the seven-paintings set than the attention to physiognomy of the Boston sculpture. In both the Guimet and set portraits, the figure is rendered with idealized facial features that correspond to iconometric guidelines for Buddhas and bodhisattvas. These include a round face, a nose depicted with a single, curvilinear line, lips that are wide at the center and thin at the corners, and the narrow »bow eyes«. It is not clear if the figure has a mustache because of the painting’s condition. He does wear the standard yellow hat, which identifies him as a teacher in the Gelug tradition. The only aspect of this painting specifically associated with the Fifth Dalai Lama is the ritual dagger in his belt. Although this portrait was made during the subject’s life, it does not evidence the concern for mimesis present in the Boston sculpture. This challenges previous scholars’ assumptions that portraits made during the subject’s life are more veristic representations of the figure’s physical appearance, or that idealized images indicate a lack of concern for the individual. The Boston sculpture and Guimet painting provide a particularly useful comparison, because they were both produced during the subject’s life and are executed in different styles. However, similar comparisons can be made for a number of other portraits and portrait subjects, in order to demonstrate the same conclusions. Namely, that the degree of mimesis of a portrait is not dictated by its date, as evidenced by the fact that both idealized and veristic images were made during the life of the Fifth Dalai Lama. Furthermore, there are various means through which a portrait subject can be made identifiable, including mimesis and iconographic attributes. The presence of iconographic or iconometric conventions does not preclude a knowledge the figure’s actual appearance. For example, the artist and/or patron of the Guimet painting could conceivably have emphasized his individual physical characteristics. Additionally, these portraits are all clearly identifiable as the Fifth Dalai Lama, regardless of whether this is accomplished through iconographic conventions or physiognomy. This implies that veristic images were not privileged over iconic images, nor that attention to physiognomy indicated temporal proximity and idealism indicated chronological distance. Although, I have focused my analysis on the portrait of the Fifth Dalai Lama, examining each of the portraits in the seven-paintings set supports the same conclusions. For example, some portraits in the set, such as that of the Second Dalai Lama, are idealized, and thus would be considered iconic types according to previous scholars’ classification. Conversely, portraits

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11  Unknown artist: Portrait of Lobsang Gyatso, Fifth Dalai Lama, late 17th century, Tibet, distemper on cloth, 30 × 19 cm, Paris, Musée national des arts asiatiques Guimet

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of the First, Third, and Fourth Dalai Lamas in this set are rendered in a naturalistic manner, similar to the Boston sculpture of the Fifth Dalai Lama. In each of these cases the naturalism does not imply greater resemblance to the subject’s physical appearance nor indicate that the image was made during the subject’s lifetime. For example, the portrait of the First Dalai Lama is one of the more individualized depictions in the set, despite the fact that there are no known examples of portraits made during his lifetime and this image was made nearly four hundred years after he lived. This analysis has demonstrated that there is not a causal relationship between the date a portrait is created and the emphasis on physiognomy, nor are mimesis and likeness synonymous in a Tibetan context. The Dalai Lama portraits examined here represent a broad spectrum of idealized and individualized depictions that do not neatly adhere to the categories proposed by previous scholars. However, each of the Dalai Lama figures was represented such that the portrait was neither completely idealized with no specific individual attributes, nor completely naturalistic, devoid of iconographic conventions. In these images, as in other portraits of teachers, artistic conventions like naturalism, iconometry, and iconography function as visual references that render the subject recognizable within the context of Tibetan Buddhism. Thus, the portraits’ referential function reveals a specifically Tibetan Buddhist conception of teachers as enlightened beings and historical human figures.

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1  For the identification of the figures, see Per Kjeld Sørenson: Ninth Dalai Lama’s Set of Seven Lineage Thangkas, in: The Dalai Lamas. A Visual History (ed. by Martin Brauen), Chicago 2005, pp. 242 – 257; based on the lineage established by the Fifth Dalai Lama, the current Dalai Lama is the sixty-third incarnation. For a list of all sixty-three incarnations, see Per Kjeld Sørenson: The Dalai Lama Institution. Its Origin and Genealogical Succession, in: Orientations 36-6/2005, pp. 53 – 60, p. 58. 2  See Sørenson 2005 (Ninth Dalai Lama’s Set), pp. 242 ff. 3  For scholarship that problematizes this approach to portraiture, see Richard Brilliant: Portraiture, Cambridge 1991; Padma Kaimal: The Problem of Portraiture in South India, circa 870 – 970 A.D. in: Artibus Asiae 59-1 – 2/1999, pp. 59 – 133. 4  Giuseppe Tucci: Tibetan Painted Scrolls, Bangkok 1999, 3 vols., vol. 1, p. 307. 5  This approach does not account for the referential function that is characteristic of portraiture; see Brilliant 1991, p. 7: »Fundamental to portraits as a distinct genre in the vast repertoire of artistic representation in the necessity of expressing this intended relationship between the portrait image and the human original.« 6  See Jane Casey Singer: Early Portrait Painting in Tibet, in: Function and Meaning in Buddhist Art. Proceedings of a seminar held at Leiden University, 21 – 2 4 October 1991 (ed. by Karel R. van Kooij and Henny van der Veere), Groningen 1995, pp. 81 – 99. 7  See ibid. 1995, p. 83. 8  See Heather Stoddard: Fourteen Centuries of Tibetan Portraiture, in: Portraits of the Masters. Bronze Sculptures of the Tibetan Buddhist Lineages (ed. by Donald Dinwiddie), Chicago 2003, pp. 59 – 60. 9  It is unclear what type of image this category refers to and Stoddard does not provide any examples that would clarify the issue. 10  See David P. Jackson: Patron and Painter. Situ Panchen and the Revival of the Encampment Style, New York, Seattle and London 2007, p. 17. 11  See Loden Sherap Dagyab: Tibetan Religious Art, Wiesbaden 1977, 2 vols., vol. 1, pp. 20 – 23; John C. Huntington: Origins of the Buddha Image. Early Image Traditions and the Concept of Buddha S´anapunya¯, in: Studies in Buddhist Art of South Asia (ed. by Awadh K. Narain), New Delhi 1985, pp. 23 – 63, pp. 31 ff. 12  For scholarship on the origins of the Buddha image, see Huntington 1985, pp. 23 ff.; Susan L. Huntington: Early Buddhist Art and the Theory of Aniconism, in: Art Journal 49-4/1990, pp. 401 – 408; Vidya Dehejia: Aniconism and the Multivalence of Emblems, in: Ars Orientalis 21/1991, pp. 45 – 66; Rob Linrothe: Inquiries into the Origin of a Buddha Image. A Review, in: East and West 43-1 – 4/1993, pp. 241 – 256. 13  See Dagyab 1977, p. 23; Gyurme Dorje: Jokhang. Tibet’s Most Sacred Buddhist Temple, London 2010, p. 127; Cameron David Warner: Re/Crowning the Jowo S´a¯kyamuni. Texts, Photographs, and Memories, in: History of Religions 51-1/2011, pp. 1 – 30, p. 1. 14  See Dorje 2010, p. 127. 15  The only exception is the crown and earrings, which were added by Tsongkhapa in the thirteenth´¯ century. For the political implications and controversy surrounding the crowning of the Jowo S akyamuni, see Warner 2011, pp. 1 ff.

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16  In March 2011, the Fourteenth Dalai Lama officially stepped down as the political leader of the Tibetan government-in-exile, but retained his role as the spiritual leader of the Tibetan people. 17  According to Tibetan Buddhist origin myths, the Tibetan people are descendants of the bodhisattvas Avalokites´vara and Ta ¯ra ¯. As progenitor of the Tibetan people, Avalokites´vara has played a protective and corrective role in the region’s state of affairs. For a narrative account of this myth, see Glenn H. Mullin and Valerie Shepard (eds.): The Fourteen Dalai Lamas. A Sacred Legacy of Reincarnation, Santa Fe 2001, p. 1. For a discussion of the origins of the belief that the Dalai Lama is a manifestation of Avalokites´vara, see Yumiko Ishihama: On the Dissemination of the Belief in the Dalai Lama as a Manifestation of the Bodhisattva Avalokites´vara, in: Acta Asiatica 64/1993, pp. 38 – 56. 18  In addition to the seven-paintings set, I have identified four other complete Dalai Lama lineage sets, eight sets that have survived partially intact, and thirteen individual paintings which I have identified as remnants of no longer extant Dalai Lama lineage sets because they are nearly identical to paintings in the extant sets in subject, iconography, composition, and style. For a complete list of Dalai Lama lineage sets and sources, see Rachel Levy: Portraits as Relic. A Set of Nineteenth-Century Tibetan Lineage Paintings of the Dalai Lamas, MA thesis, Virginia Commonwealth University 2012. 19  These paintings are executed in the Karma Gadri style (»Encampment Style of the Karmapa«), which is characterized by a marked use of Chinese stylistic elements. Prior to the fifteenth century, the standard composition for figural paintings followed Indic conventions of symmetry and hieratic scale, which includes a large, central figure with a row of small teacher figures in an upper register and protector deities and patrons in a lower register. In contrast, Chinese portraits, such as paintings of the arhats, often placed the figure off-center and set against a natural landscape. Portraits of arhats are typically produced as sets of paintings. It is possible that the artist used arhat paintings as a prototype for the seven-paintings set. 20  Each of the twenty-six figures represented in the seven-paintings set is identified by an inscription. 21  The inclusion of small scale Dalai Lama figures in the upper register of a painting that features a large, central Dalai Lama portrait is not uncommon in lineage sets. However, it is unusual that the Dalai Lama figures are represented on a smaller scale than the previous incarnations that lived prior to the First Dalai Lama. It is possible that the artist(s) modeled the seven-paintings set on one created during the Fifth Dalai Lama’s life that features him as the most recent and thus central figure, and added the subsequent Dalai Lama incarnations in the upper register so as not to disrupt the compositional layout. 22  Robert Beer: The Encyclopedia of Tibetan Symbols and Motifs, Boston 1999, p. 221. 23  See Kathryn Selig Brown: Handprints and Footprints in Tibetan Painting, PhD diss., University of Michigan 2000, pp. 163 f.

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INHUMAN PORTRAITS The Machine-Man in Modernist Portraiture ASH L E Y L A Z E V N I CK

Between human identity and mechanic anonymity In Guillaume Apollinaire’s 1913 Aesthetic Meditations, the eccentric critic remarked that »artists are men who wish to become inhuman«. And he continued: »They seek painfully the traces of inhumanity, traces which are never found in nature«.1 Apollinaire’s term »inhuman« is one we hardly associate with the genre of portraiture let alone art making. Yet, the inhuman and the unnatural were defining hallmarks of early twentieth-century modernist movements. Francis Picabia’s so called »portrait« of Alfred Stieglitz exemplifies Apollinaire’s insistence on the inhuman  –  both in its elimination of the human subject and in its meticulous execution |fig. 1|. During the Machine Age, the artist sought to become less emotional, and less human, while his pictorial subjects became more systematic. By the 1920s, the trend toward automatism was prominent in avant-gardes from Berlin Dada to French Purism and Russian Constructivism. These movements, while ideologically different, spurned human vitality and pictured, instead, a new race of humans shaped by the machine. The portrait of Stieglitz remains an important touchstone for these later technophilic movements. It was one of five machine portraits Picabia published in a 1915 issue of 291 magazine: a short-lived journal that was a more experimental offshoot of Stieglitz’s Camera Work. By naming them machine portraits, Picabia’s images rely on two discourses: the tradition of portraiture, on the one hand, and the rise of the machine aesthetic, on the other. As

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1  Francis Picabia: Ici, c’est ici Stieglitz Foi et Amour, 1915, lithograph cover for no. 5 – 6 (July–August 1915) of 291, relief print on paper, 38 × 22,8 cm, Princeton, Marquand Library of Art & Archaeology

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such, Picabia’s now-iconic image of Alfred Stieglitz will be the focus of this study. By way of context, we will consider one important precursor and one important successor to Picabia’s portrait. In all three, there is a new challenge to figuration and mimetic resemblance. But the significance of this challenge must be understood through the concurrent interest in the machine. Defining what early twentieth-century artists meant by the »machine« is a tricky task. This is partly because their own definitions lacked clarity and consistency and partly because the sophistication of machinery was changing rapidly from one year to the next. The cultural historian and art critic Lewis Mumford noted at least one important shift, however: a development from large-scale urban technology (such as factories, railroads, skyscrapers) to domestic goods such as kitchen appliances, typewriters, and, most importantly, automobiles. Mumford reflected back on the first thirty years of the century by noting: »[…] the machine ceases to be a substitute for God or for an orderly society; and instead of its success being measured by the mechanization of life, its worth becomes more and more measurable in terms of its own approach to the organic and the living.«2 Mumford’s impression that inanimate machines had become so powerful and prevalent that they determine the course of life inverts the status of the human creator. In following Karl Marx (who in turn follows Hegel), he distinguishes between the machine and the tool: »[…] the tool lends itself to manipulation, the machine to automatic action.«3 The machine’s automatism made it appealing to factory managers who wanted to expedite production. Some even followed Fredrick Winslow Taylor 1911 Principals of Scientific Management, envisioning workers that could become more mechanical themselves, like well-built cogs in the industrial machine. But what happened when this machine optimism, which emphasizes social and cultural transformation, is transposed onto artistic creation? Two studies that address this problem directly are Hal Foster’s analysis of European Dada in Prosthetic Gods and Christine Poggi’s assessment of Italian Futurism in Inventing Futurism.4 Each author uses psychoanalytic terms to break down the sublimated anxieties of the optimistic machine movements. This leads to the work of several feminists, including Amelia Jones and Barbara Zabel, who have opened up the questions of the instability of male subjectivity during this period.5 I depart from both the psychoanalytic and gender studies models. What concerns me, more importantly, is how these machine portraits inform a fundamental understanding of human identity during a historical moment of its immanent crisis. The harmonious relationship between an American pastoral ideal and modern industry that once buoyed nineteenth Romanticism had been destroyed.6 After World War I, it would become impossible to ignore the consequences of sophisticated machinery. Even beforehand, though, there are hints that this artistic optimism was already artificial.7 Portraiture, which situates itself between human identity and mechanic anonymity, will expose this artificiality.

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De Zayas’s absolute caricatures We may assume, with Apollinaire, that modernist movements are deeply against anthropomorphism. Consider Marcel Duchamp’s 1917 readymade object, an inverted urinal he entitled Fountain |fig. 2|. Duchamp, who famously remarked that the only good art in America was its »plumbing and its bridges«, brought that inhuman impulse to America.8 So animism, as it applies to art and to daily life, was anathema to modernists. Mumford, for one, considered modern society’s biggest challenge the »obstacle of animism«. In Technics and Civilization, he remarked that »for thousands of years animism had stood in the way of this development for it had concealed the entire face of nature behind a scrawl of human forms«.9 This refusal of animism in general, and anthropomorphism in particular, was aimed at creating a society that was hospitable for the dominance of the machine. Mechanomorphism, or the process of man becoming machine, was a radical attempt to remake the human into an invincible being.10 While mechanomorphism would be particularly important for such utopias later imagined by Russian Constructivists, it had informed writers and philosophers for centuries: from Aristotle to Samuel Butler, whose novel Erehwon (1872) takes place in a society ruled by machines. Thus, the »machine-man« was no recent phenomenon. By mimicking American and English industrialization, the Italian Futurists were the first to adopt mechanomorphism. Their leader Filippo Marinetti, who strove to be a machine impervious to harm, narrated a fictional car crash in which he was reborn as a hybrid machineman. According to Hal Foster, Marinetti attempted »to define the inorganic-technological as the epitome of the human«. Foster continues: »On the one hand, this is to accept a kind of death; on the other, it is to stake a new future for ›life‹ in a technology.«11 Indeed, Marinetti and his fellow futurists willfully confused the living and dead in their manifestos. As machine aestheticism spread back to America, modernists with quite different agendas assumed the task of defining Marinetti’s ideal. In March of 1915, the Mexican-American artist Marius de Zayas printed his own portrait of Alfred Stieglitz on the cover of 291’s first issue |fig. 3|. In de Zayas’s estimation, Stieglitz had »married Man to Machinery« through photography.12 Such a marriage was parodied in de Zayas’s cover portrait, which reduced the photographer to a series of geometrical lines. In coordination with his portraits, de Zayas devised three categories of caricature (separate from so called ordinary portraiture, which he aligned with photography): material caricature, relative caricature, and absolute caricature. While this systemization dated to an exhibition catalogue of 1913, they are defined most clearly by his friend and fellow art critic Paul Haviland in Camera Work the next year. Material caricature displayed the changeable or »morphological« traits of the sitter, »emphasizing those which are characteristics or reveal some personal trait of character«.13 Relative caricature was dependent on the particular mood or psychology of the subject at a given time. And, finally, absolute caricature »represents the person in his relation to the outside world, his place in the evolution, and his individual characteristic«, making this category of absolutism both the most macrocosmic and the most individualist of

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2  Alfred Stieglitz: Marcel Duchamp’s »Fountain«, 1917, gelatin silver print, 23,5 × 17,7 cm, Villiers-sous-Grez, Succession Marcel Duchamp

the three.14 De Zayas and Haviland believed that each of the three forms of caricature could capture different aspects of the »individual«  –  who was himself divided into three-part components. It was only absolute caricature, however, that could optimally represent the modern subject. This is clear from the abstract caricatures de Zayas made of the Stieglitz circle members Agnes Ernst Meyer, Francis Picabia, and Stieglitz, in which he had incorporated so called »algebraic symbols« and »geometrical equivalents«.15 By removing the visage of the human figure entirely, he thought that absolute caricature could show the stable, eternal qualities of the sitter, whereas material and relative caricature were subject to caprice and changes. The

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choice of the term »caricature«, instead of portraiture, indicates just how reduced the subject has become. Although »caricature« has the connotation of exaggeration and perversion, Haviland and de Zayas wanted to trace a different etymology. They start from the word »character«, which was defined as follows: »A pictorial representation, through emphasis of certain traits, of physical or mental characteristics, a representation of character through form«.16 Haviland used this systemization to explain how portraiture as a »representation of character through form« could be at once inhuman and descriptive. According to Haviland, the geometrical approach to »absolute caricature« finally rid itself of the intention of the artist; it was only invested in the »psychology of the subject«. He admits that this interest in the subject may seem oppositional to modernist abstraction (»Some of the modern workers consider portraiture outside the field of modern expression«) but finds that de Zayas resolves abstraction and portraiture by using »concrete form in his realistic caricatures and abstract form in his absolute caricatures, remaining logical in his use of the medium«.17 In short, an »absolute« depic3  Marius de Zayas: 291 throws back its forelock, tion can only occur when the form is appropriate 1915, lithograph cover for no. 1 (March 1915) of 291, ink, water color, cut-and-pasted printed to the content. So, in the case of de Zayas’s portrait paper on paperboard, 69,9 × 55,3 cm, Princeton, Marquand Library of Art & Archaeology of Stieglitz, the form of geometrical portraiture is a fitting one, since its function is to express the »absolute« (rather than relative) character of Stieglitz. Understood as an absolute caricature, de Zayas’s cover portrait of Stieglitz is meant to be abstract and objective, showing the exterior of the sitter alone. Stieglitz’s head is suggested only by two orbs of faintly colored red, surrounded by semi-circular black lines, which form the eyes. A series of intersecting lines create the profile of the chin, forehead, and cheeks. Parallel lines and a large, triangular outline are added above the forehead. The only shape that could refer to Stieglitz’s body is a slender, vertical triangle of solid black. It is supported almost magically by a thin line just above a solidly black, rectangular base. From the upper right, a faint red-coloring shines down on the figure like a pale spotlight and a portion of the coloring continues below the face, alongside the triangular body. De Zayas may have removed from this portrait the numbers and geometric symbolism that decorated his earlier works, but the

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abstract impulse is there. He minimalizes the human figure to its most basic geometric proportions: a series of lines and shapes.

Picabia’s mechanomorphs Although it does not contain mechanical elements, de Zayas’s portrait directly anticipates Picabia’s series that appear in the next issue of 291. A likely source for Picabia’s more mechanical subjects may have been Marcel Duchamp. Picabia, who came to America in 1913 for the New York Armory Show, quickly befriended his fellow ex-patriot and art historians today consider Duchamp and Picabia the pillars of New York Dada. Both artists shared a mutual interest in mechanomorphism. In 1917, Duchamp completed his monumental work A Bride Striped Bare by her Bachelor Even (Philadelphia Museum of Art), a paintingless image imprinted on glass, which created an elaborate, symbolized narrative of mechanized forms participating in a sexual pursuit. Although Duchamp completed the work after Picabia’s issue of 291, he had given Picabia a sketch of the work, via his friend Apollinaire, in 1912.18 All of this would be formative for Picabia when he designed the five portraits for 291. The portrayal of specific people as machines sets Picabia’s 1915 series apart from his predecessors. With one exception, each of Picabia’s pen-and-ink drawings represents a member of the 291 circle. The cover image, reproducing one of those drawings, shows Stieglitz as a camera with an automobile shift, the next shows Picabia himself as a car horn, followed by a young American girl as a spark plug, Marius de Zayas as an enigmatic assemblage of levers and pullies, and finally Paul Haviland as a lamp |fig. 4 – 5|. Formally, each portrait is systematic and linear, rendered in black and white save for the occasional blue or red accent. Graphic elements repeat themselves, creating a visual concatenation from the circular knob of Stieglitz’s picture to the rounded pedals of Picabia’s and de Zayas’s. On facing pages, the white and black contrasts of the car horn is carried over into the shading of the spark plug, while the thick black line around de Zayas’s portrait becomes the dark cord of Haviland’s lamp. Picabia is committed to depicting objects with simplicity and exactitude. A single, straightforward perspective renders the portrait subjects as technological objects. In this respect Stieglitz’s portrait is exemplary. Portions of the camera are rendered with the diagonal shading technique familiar to technical drawings; other portions, such as the camera’s bellows, are depicted, with minimal design, simply by alternating blocks of black and white spaces. Through this stark technique, Picabia exposes both interior and exterior parts of the camera. Shown with a top and a bottom but without its sides, the interior skeletallike mechanisms are revealed. To emphasize this play between the inner and outer person, which portraiture is meant to perform, the hinges of the camera create a series of Xs, visual puns that allude to the X-ray-like illustration of Stieglitz’s interior self. Just behind the camera’s body a gear-shift is positioned. Its ghost-like red outline somehow supports the camera without touching it. By transposing two different machines onto one another, Picabia as-

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4  Francis Picabia: Portrait d’une jeune fille américaine dans l’état de nudité, 1915, lithograph published in no. 5 – 6 (July-August 1915) of 291, relief print on paper, 44 × 86 cm, Princeton, Marquand Library of Art & Archaeology

5  Francis Picabia: Le Saint de saints, 1915, lithograph published in no. 5 – 6 (July-August 1915) of 291, relief print on paper, 38 × 22,8 cm, Princeton, Marquand Library of Art & Archaeology

sembles an amalgam of technological parts so that even those human qualities, such as the »eye« of the camera, are rendered completely objective. It is, in short, an embodiment of two of de Zayas’s categories for representation: the objective and the material. Like the objective caricature, it shows the surfaces of this body with technical precision; but, like the material caricature, it uses certain »morphological« traits (such as the camera and the gear shift) to identify this as Stieglitz. Art historians have interpreted these portraits in a predictable manner.19 They have remarked how the machines that Picabia has chosen visually mimic popular advertisements for cameras and lamps, a technique prefigured by his use of a radiometer or cathode ray tube in his 1913 machine drawing Mechanical Expression Seen Through Our Own Mechanical Expression.

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They also connect this body of work to the writings of Alfred Jarry and Remy de Gourmont, who each describe sexual activity as a mechanized process.20 In these readings, the pictures become blatantly ironic. Stieglitz, for instance, is pictured as a broken camera, with its bellows limp, suggesting a reference to Stieglitz’s sexual and professional impotence. Picabia’s inclusion of such innuendo allow scholars to question the sincerity of other elements, such as the word »Ideal« inscribed above the camera’s lens. No less sardonic, Picabia proclaims to be himself a »saint of saints«, embracing his infamous bombast by becoming a car’s horn. The only generalized portrait, that of a young American girl, is equally sexualized; she is a spark plug, we learn, burning with latent energy. But this whole business of irony relies on a certain association of words and images as well as iconographic content, for, without the caption Ici, c’est ici Stieglitz, we would simply be left with a drawing of a camera. Since it is labeled, however, we are encouraged to think that the camera is somehow appropriate to Stieglitz and not anyone else. If we can trust these words, then the machines are not arbitrary but rather attributional. Like the fashionable clothing and gestures of historical portraits, they function to indicate something about the specific person depicted. So these non-mimetic representations of people would still depend on traditional conventions of portraiture.21 This relationship between image and text is a challenge for Picabia who wrote in the following issue of 291: »In my work the subjective expression is the title, the painting the object. But this object is nevertheless somewhat subjective, because it is the pantomime  –  the appearance of the title«.22 By miming the title, the portraits are embodiments rather than analogues to the people named. There is a linguistic element to these pictures, but this is not (merely) the metaphorical association between the sitter and the mechanical object that appears on the page. Metaphors and symbols implicitly rely on the difference between two separate entities. Picabia wants to collapse these entities into one: hence the deictic proclamation that this is Stieglitz »ici«; »Voilà« we have Haviland; de Zayas appears with emphatic exclamation points. By asserting the insistent presence of these figures, Picabia affirms that man and machine have become one. What was dreamed up in the factory  –  the automated human  –  was accomplished through pictorial imagination. His greatest hope was make the machine-man come to life, as if he could conjure it into reality simple by depicting it in a drawing. There remains, in these portraits and Picabia’s statements, an unintentional irony. That irony is the vestiges of anthropomorphism that cling, almost romantically, to nonliving machines. Picabia once said in an interview: »[…] the machine is more than a mere adjunct of human life. It is really a part of human life  –  perhaps the very soul.«23 Picibia’s use of the term soul is important. As the machine-man became less of a metaphor and more of a reality, as Anson Rabinbach has claimed, »the automata no longer had to be denied a soul« since »the human body and the industrial machine were both motors that converted energy into mechanical work«.24 This issue of who, or what, possessed a soul, was in fact more problematic than Rabinbach suggests. In the Little Review, for instance, the theologian George Burman Foster ran a series of essays in 1914 and 1915 in which he bemoaned the loss of faith and reli-

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gion in modernity, complaining that »the soul lost its soul«: »Man ceased to be an artist who breathes his living soul into his life.«25 The soul, closely linked to artistic creativity and spiritual expression, was therefore commonly positioned in opposition to the machine. While there were certainly artists, such as Wassily Kandinsky, who embraced spiritualism and modernism together, there were just as many who believed the two were antinomies. Picabia tried to defeat the argument that humans were becoming soulless machines simply by inverting its logic. Modern man wanted to become a machine  –  an object  –  while that machine was always imagined as human  –  a subject.26 Although Picabia’s portraits remain ironic resemblances of the figures in them (which is, no doubt, in concert with Picabia’s own intentions), it is not this punning that makes them radical portraits. Machine portraiture is not attributional, prosthetic, or metaphoric: it imagines a real fusion of machine and man. It is, in short, metonymic. By putting these works more staunchly in dialogue with the machine-man discourse, I want to recover the paradoxes of their status as pictorial automata. It is, after all, no coincidence that this fusion can only take place through a web of anthropomorphic and animistic connections.

Or Picabia’s automata? As much as Picabia and later machine portraitists derided animism as an obstacle, their work implicitly demands that machines come to life. As J. M. Bernstein has recently claimed: »[…] art would appear to be the natural abode of anthropomorphism. Every artwork  –  of whatever media  –  could be considered as a moment in an endless effort to ascribe human form to the forever nonhuman, as if we could only make sense of our humanity by seeing it projected onto what is patently other than human«.27 This making sense of something other  –  something nonhuman  –  is precisely the point Picabia causes us to reflect on. With Bernstein’s invocation in mind, we will find that machine portraiture is therefore doubly animated, since both the machine and the work of art are conceived of as living beings. Paul Haviland wrote a description that reflects on Picabia’s portraits in the next issue of 291 magazine: »We are living in the age of the machine. Man made the machine in his own image. She has limbs which act; lungs which breathe; a heart which beats; a nervous system through which runs electricity. After making the machine in his own image, he has made his human ideal machinomorphic. But the machine is yet at a dependent stage. Man gave her every qualification except thought.«28 Haviland’s account clearly animates the machine; he equates machine pieces with human body parts. Humans, he believes, have control over animate machines since humans alone have thought. For that reason, there can be no confusion between man and machine, no matter how much they appear to look like one another.

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Retrospect offers a peculiar spin on Haviland’s remarks. After all, the twentieth-century has witnessed no shortage of creatures that have begun to look more and more like machine. While mechanical creatures have occupied popular imagination  –  from science fiction to amateur robotics  –  they also present real philosophical challenges. Scholars have been careful to identify the difference between mechanic amalgams, from automata and machine-men to cyborgs and robots. Each term approaches mechanomorphism from different ends. In the case of the machine-man, man adopts the qualities and characteristics of the machine (such as gears, levers, or prosthetics). While the machine-man was particularly important for Picabia, each of these processes were in play for him and his fellow Dadaists.29 Comparing man to machine was a rhetorical trend ever since René Descartes’s proclamation that man was a »machine made by the hand of God«.30 Descartes proposed that the body functioned like a machine, but the human mind, as a separate entity, elevated man above both machine and animal. Only a century later, however, the philosopher-physician Julien Offray de la Mettrie, with a touch of irony, proposed that the human being functioned totally as a machine. In his 1748 essay Machine Man, he writes: »Man is a machine constructed in such a way that it is impossible first of all to have a clear idea of it and consequently to define it. […] Hence it is only a posteriori, or by trying as it were to disentangle the soul from the body’s organs, that we can, not necessarily discover with certainly the true nature of man, but reach the greatest possible degree of probability on the subject.«31 In this quotation, de la Mettrie starts from the same assumption as Descartes, that »man is a machine«. Unlike Descartes, though, he needed to wrench the soul from the body in order to achieve the fullest understanding of the human subject, its »greatest possible degree«. The soul, by his account, is not a property of the body-complex of the subject. So even from the start, the mind-body dualism that has stood for the rational, Enlightenment subject was wrapped up with the machine. Only by likening the body to a machine could such philosophers conceive of this uncertain task of discovering the »nature of man«. If, during the Enlightenment, the machine is the model for the human being, then, after industrialism, the equation is reversed and the human body became the reference point for the tool and the machine. Recall Marx’s estimation that the »tool« acts as a prosthetic whereas the »machine« operates autonomously from (but analogous to) the human being. This has been the onus of Dona Haraway and other postmodernists who have tried to instigate a move to the posthuman. In the longue durée of modern history, we might position Picabia’s drawings between the waning of enlightenment philosophy and the dawn of the posthuman postmodernism; they take something from each but critique both. One figure who can help us understand this intervention is the American philosopher Stanley Cavell. An unconventional interlocutor of Ludwig Wittgenstein, Cavell has been

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writing for decades about these very issues: the ability to know other minds, how we relate to inanimate objects, how our personalities might be expressed through representation. My evocation of Cavell is strictly anachronistic  –  he is writing in 1979  –  but I use him nonetheless to provoke those questions closed off by Picabia and his associates. Cavell wonders, like Mumford, if it is ever possible to get away from anthropomorphic description: »Is this because the machine literally […] resembles (behaves like) a living human being? Or has one first to anthropomorphize the machine in order to have these descriptions called for? […] If so, then when someone thinks of them as applying metaphorically to human beings it will be because they have first automatized the human being.«32 If man wants to understand that which is truly other, he must first inscribe it with human attributes: the limbs, lungs, and heart that Haviland finds in Picabia’s portraits. But, whereas Haviland and Picabia believe that the machinomorph is an ideal, even logical, evolution for man, Cavell reveals that the very reference to a human being as automotive is what, paradoxically, allows him to think about machines as living beings. In other words, we treat machines as bodies only because we have come to think of the human body as a mechanical apparatus. When Cavell asks if we can ever escape an anthropocentric conception of the machine, he uncovers a fundamental impulse toward animism. But this impulse is not unidirectional. Haviland may think that machines are »living« but controllable things, but Cavell wonders whether clear distinctions can even be made between humans and things, between control and freedom. Humans, too, are automatized; they are created and controlled by machines through linguistic metaphors that become actualized. So when Picabia says that the machine is the very soul of human life, he only reveals that he must first imagine the machine as human  –  as possessive of a soul. The issue isn’t simply man becoming machine or machine being referred to as a man, but also the very limit of self-understanding, of knowing who (or what) possesses human-like qualities. Cavell’s reflection clearly emphasizes how these transformations play out through language. Picabia and his fellow optimists relied upon these rhetorical strategies, claiming that the machine had a »soul«, only to cover up their own artistic and humanistic anxieties. Such repression is evident in Picabia’s use of portraiture. Good portraiture, we might assume, shows us something deeper than a person’s skin, something of the inner-life of the sitter. Picabia believed that he was doing just that, especially when he showed the X-ray interior of Stieglitz’s camera. Instead of representing a person, Picabia believes that he has captured a more realistic depiction of the subject. By looking at Picabia’s portraits in relation to this discourse on human-machine hybridity, I am suggesting that the artist is still playing the same game. His insistence that the machine possesses a »soul« relies on a continued distinction between interior and exterior properties. Like »machine« and »man«, Picabia considered »interior« and »exterior« as two ontologically separate categories. In order for the machine-man to exist, even in the imagination, the two

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categories must be mutually dependent states. What the portrait shows is that interior properties can be just as false  –  or just as true  –  as superficial appearances. Neither one can accurately tell us who someone is, if he is a machine or a man. As we have seen, Picabia does not recognize this dependence in his own statements. Only the portraits themselves reveal this dependence. As autonomous works that critique their creator, they formally perform the exchange between appearance and essence, between soulfulness and soullessness, between pictorial animation and dead matter. In short, they expose the failure of Picabia’s intentions. The portrait is a metonym for Stieglitz but depends fundamentally on difference rather than hybridity.

Sheeler’s telephone After Picabia’s unconventional series in 291, there are very few examples of what we can call machine portraiture. Picabia himself only returns to mechanical drawings intermittently in the next decade. Other artists are inspired by Picabia’s model but resist the explicit conflation of machinery and portraiture.33 In America, machine aestheticism went in a different direction: Precisionism’s most famous artists incorporated American vernacular iconography in their work alongside paintings of cities, skyscrapers, and machines.34 At the same time, »object« portraiture continued to flourish even after Picabia left America. Marsden Hartley made elaborate symbolic portraits using emblems and numbers, e. g. his Portrait of a German Officer, 1914 (New York, Metropolitan Museum of Art); Charles Demuth famously composed »billboard« portraits of his fellow artists; Arthur Dove constructed assemblages of found objects in his 1920s portraits; Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven compiled feathers, wires, and fabric in her Portrait of Marcel Duchamp, c. 1920 (recorded in a photograph by Charles Sheeler). So, while machine portraiture did not continue in the same vein after Picabia’s 1915 series, there are a number of examples in America that share the same conceptual provocations. The Precisionists, however, take a different tact then their Dada predecessor. Consider the attempt of Charles Sheeler’s 1923 Self-Portrait |fig. 6|. Like his fellow avant-gardists, especially Marcel Duchamp whom he admired, Sheeler wanted to remove his authorial mark. Photography offered one possibility for such a pursuit. As it was for Stieglitz (and as it was mocked by Picabia), photography promised the most »automatic« and »inhuman« approach to art-making. Woven into the history of the medium was the belief that the photograph could all but remove the hand of the artist, converting physical work into a mechanical process. Practicing between photography and painting, Sheeler was often criticized for creating artwork that was unimaginatively realistic. His self-portrait complicates his relationship to photography, in particular, and machinery, in general. A tele­ phone, resting firmly on a white table, sits in front of a squarely geometric window. With the gesture of this quieted telephone, Sheeler seems to insert a proxy for the artist. And although the telephone occupies the subject position of the portrait with convincing self-assurance,

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6  Charles Sheeler: Self-Portrait, 1923, conté crayon, gouache, and pencil on paper, 50,1 × 65,2 cm, New York, Museum of Modern Art

there is a reflection of a man lingering in the windowpane. Presumably, it is the outline of Sheeler himself: his shoulders, neck, and chin are visible on the silvery surface of the window. Like the gear-shift in Picabia’s portrait, the shadow seems to support the telephone without ever touching it. Wires and a window cord snake around the telephone, entrapping it in an umbilical suffocation. These unsettling, animistic elements quite literally interfere with the telephone’s independence. The artist’s reflection maintains the physical, bodily presence of the sitter even while the telephone proposes to take its place. Which element is genuinely Sheeler then? The headless body or the limbless phone? Something of the human  –  if only shadowy  –  remains behind that machine object. The tele­ phone cannot stand alone, let alone stand for, the human since without the human it could never stand at all. Their mutual dependence has made it impossible to tell who is really in control. This palpable hesitation, which dramatically contrasts Picabia’s self-assurance, suggests the ambivalent direction the American Precisionists would take for the next few decades. Any number of historical and geographic contexts can be mobilized to suggest why Americans were more suspect  –  and more skeptical  –  than their European counterparts. The style of Precisionism, on the whole, takes on this melancholic aesthetic. In this, Sheeler is emblematic. On their painstakingly smooth surfaces of his paintings and drawings, within the depopulated cityscapes, or the disquieted barns, there remains a suspended animism. Like

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the shadowy reflection of Sheeler in the window, the writing cords of the telephone, there is a movement, a humanness, always behind the Precisionist stillness.

A cover for skepticism What is it that makes machine portraiture original? Is it a refusal to portray a mimetic resemblance? A use of irony? A celebration of the machine’s expressive qualities? Perhaps. But what the work of these artists indicates, above all, is a complicated human subjectivity: one that was always complicated but became exposed through machine metamorphosis. The problem of portraiture has, in part, always been the problem of knowing other minds  –  minds of humans as well as objects. Our conviction that we are unable to understand others is foundational for a post-Enlightenment division between a thinking self and an ulterior world. Machine-portraitists  –  from de Zayas to Picabia to Sheeler  –  tried to overcome this dualism by introducing the machine-man. But the machine-man only superficially mended a mind/body split. If, as they imagined, machine and man were indivisible, then so too were object and being, body and soul. Especially with Picabia, we find that in their desperation to materialize this fusion, artists needed to adopt a hyperbolic self-assurance. In this regard, the portraits stand apart from the words of their creators, for their concern is not what it means to be inhuman but what, fundamentally, is human. Stanley Cavell asks: »Is the cover of skepticism […] a denial of the human or an expression of it? For of course there are those for whom the denial of the human is the human.«35 By effacing the figure, these artists only re-inscribe it. In fact, the more powerfully they resisted anthropomorphism, the more aggressively it came back in portraiture.

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1  Guillaume Apollinaire: Aesthetic Meditations, in: id.: The Cubist Painters (ed. by Peter Read), Los Angeles 2004, pp. 1 – 82, p. 9. 2  Lewis Mumford: Technics and Civilization, New York 1934, p. 5. Mumford’s suggestion that the machine replaced God is an allusion to Henry Adams’s famous essay Dynamo and the Virgin in the Autobiography of Henry Adams (1900). 3  Mumford 1934, p. 10. 4  See Hal Foster: Prosthetic Gods, Cambridge (MA) 2004; Christine Poggi: Inventing Futurism. The Art and Politics of Artificial Optimism, Princeton 2008. 5  See Barbara Zabel: Assembling Art. The Machine and the American Avant-Garde, Jackson 2004; Amelia Jones: Equivocal Masculinity, in: Art History 25-2/2002, pp. 162 – 205; id.: Irrational Modernism. A Neurasthenic History of New York Dada, Cambridge (MA) 2004; Caroline Jones: The Sex of the Machine, in: id. and Peter Galison (eds): Picturing Science, Producing Art, New York 1998, pp. 145 – 180. 6  See Leo Marx: The Machine in the Garden. Technology and the Pastoral Ideal in America, New York [1964] 2000, pp. 145 ff. Marx argues that eighteenth- and nineteenth-century writers absorbed the Industrial Revolution into the pastoral ideal, especially in relation to the landscape. The birth of the »technological sublime« underscores the willingness, especially on the part of writers, to imagine the machine as a harmonious part of the American landscape. 7  I borrow the phrase »artificial optimism« from Poggi’s title (Poggi 2008), which itself quotes Marinetti’s 1911 essay Electrical War. 8  Quoted in Wanda Corn: The Great American Thing. Modern Art and National Identity, 1915 – 1935, Berkeley 1999, p. 49. 9  Mumford 1934, p. 33. 10  Mechanomorphism was a term first used by Gerald Heard in 1939. Tim Armstrong defines it as an »interface between the body and the machine« that includes »a fascination with organ-extension, organreplacement, sensory-extension«; see Tim Armstrong: Modernism, Technology, and the Body. A Cultural Study, New York 1998, p. 78. 11  Foster 2004, p. 123. 12  Marius de Zayas: [no title], in: 291, 5 – 6/1915, s. p. 13  Ibid. 14  See Paul Haviland: Marius de Zayas. Material, Relative and Absolute Caricatures, in: Camera Work 46/1914, pp. 33 – 3 4, reproduced in: Jonathan Green (ed.): Camera Work. A critical anthology, New York 1973, pp. 277 – 2 79, p. 278. 15  In his algebraic drawing of Stieglitz, de Zayas drew inspiration for the design from an anthological artifact found in the collection of the British Museum; see Willard Bohn: The Rise of Surrealism. Cubism, Dada, and the Pursuit of the Marvelous, Albany 2002, p. 32. 16  Haviland 1914, p. 33; Green 1973, p. 278. 17  Haviland, p. 34; Green 1973, p. 279.

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18  Pepe Karmel: Francis Picabia, 1915. The Sex of a New Machine, in: Sarah Greenough (ed.): Modern Art and America, Washington D.C. 2000, pp. 203 – 2 19, p. 206. 19  See William Camfield: Francis Picabia. His Art, Life, and Times, Princeton 1979, pp. 71 ff.; William Rozaitis: The Joke at the Heart of Things. Francis Picabia’s Machine Drawings and the Little Magazine 291, in: American Art 8/1994, pp. 42 – 59; Karmel 2000; Bohn 2001, pp. 51 ff. 20  Karmel 2000, p. 207. 21  See Uwe Fleckner: Das hermetische Porträt. Gesichtslose Bildnisse im Werk von Constantin Brancusi und Francis Picabia, in: Dirk Luckow and Petra Gördüren (eds): Porträt ohne Antlitz. Abstrakte Strategien in der Bildniskunst, exhibition catalogue, Kunsthalle zu Kiel 2004, pp. 20 – 28. 22  Francis Picabia: [no title], in: 291, 12/1916, p. 3. 23  French Artists Spur on American Art, in: New York Tribune, no. 4, 24 October 1915, p. 2. 24  Anson Rabinbach: Human Motor. Energy, Fatigue, and the Origins of Modernity, New York 1990, p. 2. 25  George Burman Foster: Art and Life, in: The Little Review 4/1914, pp. 19 – 2 4, p. 21. In the little magazines of the 1910s and 1920s, there were a number of writers, especially Foster, whose prognosis of modernity was heavily Nietzschian. Take Charles Caffin, who complained that »the idea of Soul and Spirit is banished from our schools and colleges« and Max Weber who famously announced that »the fate of our times is characterized by rationalization and intellectualization and, above all, by the disenchantment of the world«; see Charles Caffin: Of Verities and Illusions, in: Camera Work 12/1905, pp. 25 – 29, reproduced in Green 1978, p. 58, and Max Weber: Science as a Vocation (1917), quoted in: Joshua Landy and Michael Saler (eds): The Re-enchantment of the World. Secular Magic in a Rational Age, Stanford 2009, p. 1. 26  Katharine N. Rhoades’s poem Flip-Flap in the previous issue of 291 (4/1915, S. p.) shared the same sentiment: »Manufactured Soul-stuff for those who dare not create  –  / Come and have your emotions played upon!« 27  J. M. Bernstein: Notes from the Field. Anthropomorphism, in: Art Bulletin 94/2012, pp. 13 – 15, p. 13. 28  Paul Haviland: We Are Living in the Age of the Machine, in: 291, 7 – 8/1915, p. 1. 29  Of each of these terms, the one that has peaked philosophical interest of late is the cyborg. Donna Haraway’s Cyborg Manifesto (1983) marks at least one late-century attempt to understand the implications of postmodern technological hybrids. As Allison Muri has recently argued, however, this complication of human identity is hardly postmodern alone. In fact, as the title of her book Enlightenment Cyborg implicates, this hybridity has been with us (at least conceptually) since the eighteenth century. What the cyborg presents for each of these authors is the point at which the human and machine become inextricable. This inextricability moves away from the Marxist-Freudian model of prosthesis, in which human body parts are extended or exchanged for machine parts, to a more complete fusion of human mind or soul with the machine’s own »intellect«. As Muri has shown, even within the Enlightenment, this hybridity was a problem; see Donna Haraway: A Cyborg Manifesto. Science, Technology, and Socialist-Feminism in the Late Twentieth Century, in: id.: Simians, Cyborgs, and Women. The Reinvention of Nature, New York 1991, pp. 149 – 183; Alice Muri: The Enlightenment Cyborg. A History of Communication Control in the Human Machine, 1660 – 1830, Toronto 2007. 30  Quoted in Mumford 1934, p. 41. Descartes’s likening of the human body to a machine was only the most famous example of this early modern trope, which was in part made possible by the inseparability

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of science and philosophy during the seventeenth-century; see especially The Treatise on Man and Description of the Human Body, in: René Descartes: The World and other writings (ed. by Stephen Gaukroger), Cambridge 1998, pp. 99 – 169 and pp. 170 – 205. 31  Julien Offray de La Mettrie: Machine Man [1748], in: id. Machine Man and Other Writings (ed. by Ann Thomson), New York 1996, pp. 3 – 39, p. 5. 32  Stanley Cavell: Claim of Reason. Wittgenstein, Skepticism, Morality and Tragedy, New York 1974, p. 493. 33  In Europe, the automaton has an exceptional afterlife in a range of modernist movements: from Berlin Dada (especially the collages of Raoul Hausmann and Hannah Höch) to the robot characters in Russian Constructivist theater to the cylindrical mechanical figures of Fernand Léger and the Surrealist hybrids of Max Ernst. At the same time, European portraiture becomes increasingly conservative: it embraces a neo-classical aesthetic or such deadpan photography of Man Ray and August Sander; see Matthew Biro: The Dada Cyborg. Visions of the New Human in Weimar Berlin, Minneapolis 2009; Hal Foster: Compulsive Beauty [1993], Cambridge (MA) 1997. 34  See especially Corn 1999. 35  Cavell 1973, p. 493.

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A PORTRAIT OF AMERICA Joel Sternfeld’s »Stranger Passing« as Ethnographic Research JE N N I F E R C ROW L EY

The portrait and the landscape Joel Sternfeld, born 1944, is concerned with his home country, the United States of Ame­ rica. Since the 1960s he has worked in the tradition of photographers who travel and chronicle America through the photographic image. His continuous interest lies in landscape, man’s relationship to landscape, how both change, as well as utopias and dystopias. He treats both the American people and landscape as separate subjects, as well as combined in situ portraits. The artist’s work takes the form of distinct projects, most of which are published as photobooks, some in conjunction with exhibitions, some autonomously.1 Sternfeld refers to his projects as bodies of work that »talk to each other […]  –  my work is like a whole long sentence«.2 His early work of the 1960s and 1970s compiles atmospheric images taken in New York City or by the seaside that reflect a more spontaneous working tradition of Street Photography using a handheld 35 millimeter camera.3 Among the pioneers of New Color Photography, Sternfeld contributed to the establishment of color photography as an art medium in the 1960s and 1970s, which before had been mostly used for advertisements and amateur photography.4 The motifs and the dense color arrangements of his early work bring to mind the photographs of New Color Photography pioneer William Eggleston whose work Sternfeld became acquain­ ted with in 1974.5 In the following, he distanced his own work from Eggleston’s already more differentiated »poetic snapshot style«.6 Consequently, the carefully prepared and decelerated

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working process using an 8 by 10 inch large format camera became pivotal for Sternfeld’s artistic approach, correlating with an ambiguous image rhetoric which recalls documentary as well as constructed narratives. In what follows, I will explore Sternfeld’s project Stranger Passing (1987 – 2000) to consider how far his artistic approach resembles ethnographic practices and its relation to a sociological approach of August Sander: How far is an ethnographic approach mirrored not only in the project’s concept but within the single images? Can Sternfeld’s image rhetoric be related to an anthropologic photography tradition? Which artistic strategies refer to an ethnographic methodology of field research? Of importance will be an exploration of how Sternfeld uses color to treat the portrait and the landscape.

America sits for its portrait A Woman Selling the Sunday Papers, Boulder, Colorado, July 1999 is featured as one of the first images in the book Stranger Passing |fig. 1|.7 The scene is characterized by the simulta­ neous depiction of mobility and emptiness, leaving a large section of the image defined by the wide, multilane road. Flat buildings, probably shops, appear in the middle ground on the lefthand side of the horizon line; the right-hand side of the image is filled with trees. Scattered cars, traffic lights and signs along the road guide the viewer’s gaze into the far background. This vista of a typical American suburban landscape is disrupted by the unexpected emptiness of the street and a single figure whose outward appearance is in contrast with a place usually charged with movement and consumption. The woman holds a selection of newspapers and is positioned close to the front margin of the picture plane. She stands off center to the right of the image center, accompanied by two piles of papers that lie next to her on the traffic island; more papers wait for her at a traffic sign in the middle ground. This strong compositional positing is supported by the static framing of her body by the compositional lines of the traffic lights above and to the left of her, as well as by the traffic sign to the right. The almost fully frontal standing figure is not completely surrounded by the landscape, but overtops the horizon line with her bust as she is photographed from a lower angle perspective. A similar compositional approach is evident in A Woman with Mail, Chesterfield, Missouri, June 1999 |fig. 2|. This photograph depicts a woman on a sidewalk, positioned in the foreground of the image, slightly to the left of the horizontal line. She seems to stop walking along as her body is turned slightly. She is framed by the angles of two residential houses that are visible enough to reveal their suburban middle class origin with huge garage doors and driveways. Between the buildings and behind the woman, open country is visible. This bleak landscape with green bushes and trees on the horizon line is juxtaposed with the land of the housing development which the viewer imaginary adds to the picture referring to the style of the visible architecture. As such, the woman is not only framed by the houses but also by the ground covered in soil. Similar to the newspaper seller, the Woman with Mail is photo-

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1  Joel Sternfeld: A Woman Selling the Sunday Papers, Boulder, Colorado, July 1999, 1999, C-Print (color), 92,08 × 116,21 cm

graphed from a lower angle perspective, almost at eye level, leaving her bust to lie slightly above the horizon line that sticks out to the light grey sky. Stranger Passing is Joel Sternfeld’s first explicit portrait project where he »has America sit for its portrait«.8 The project culminated in a publication consisting of 60 photographic images that Sternfeld collected from 1987 to 2000, when he traveled from his hometown of New York to Missouri, Montana, New Mexico and California, amongst others.9 The result is a »sampling of what Americans looked like at the century’s end«.10 This geographic reach flanked by a temporal span is evinced in most of his projects, with man and cultural landscapes as his most prominent subjects. Sternfeld first elaborated this in detail through a body of work he is well acclaimed for: American Prospects (1978 – 1987).11 The American landscape is the most prominent subject of this book wherein he explores »how the social order is revealed through landscape«.12 In situ portraits are also included; these define the compositional and color schemes of Stranger Passing, the immediately following project. Both American

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2  Joel Sternfeld: A Woman with Mail, Chesterfield, Missouri, June 1999, 1999, C-Print (color), 92,08 × 116,21 cm

Prospects and Stranger Passing unite portraits, landscape images and in situ portraits, shifting emphasis from the landscape in American Prospects to the portrait in Stranger Passing. Paging through Stranger Passing, it becomes clear that the selection of photographs aims to be demographically concise as the portraits refer to different social groups, some of which include A Homeless Man with His Bedding, New York, New York, July 1994 or A Woman Selling the Sunday Papers, Boulder, Colorado, July 1999.13 Other images presented in the book show people from a middle class background: A Woman with Mail, Chesterfield, Missouri, June 1999, but also members of the American upper middle class such as Golfer Teeing Off, Picacho, Arizona, August 1999 |fig. 3|. There are men and women, young and old, and people from various ethnic backgrounds featured in this project. This demographic variety is echoed by a spectrum of landscapes from seemingly untouched areas, evident in A Man on the Banks of Mississippi, Baton Rouge, Louisiana, August 1985 to suburban developments which can be found in A Woman Out Shopping with Her Pet Rabbit, Santa Monica, California, August 1988 and

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urban landscapes with residential complexes as in Domestic Worker Setting the Table, New York, August 1993 |fig. 4|. With regards to the conceptual character of the project, two points of reference come to mind: a sociological approach which can be found in August Sander’s portrait project Menschen des 20. Jahr­ hunderts and a comparative approach of cultural anthropology with its photographic traditions of the 19th century.14 The description of August Sander’s project as sociological can be traced back to his first publication Antlitz der Zeit from 1929 which includes 60 motifs of his then only conceptually existing large portrait project.15 Menschen 3  Joel Sternfeld: Golfer Teeing Off, Picacho, des 20. Jahrhunderts was conceived around 1924 as Arizona, August 1999, 1999, C-Print (color), a representative catalogue of the social structure of 92,08 × 116,21 cm the Weimar Republic with its occupational and social types. It consists of seven groups: The Farmer, The Skilled Tradesman, The Woman, Classes and Professions, The Artists, The City and The Last People, which are further subdivided into forty-five portfolios. The explicit social categories of Sander’s project correspond with an academic understanding of sociology, based on empirical-theoretical research of society structures to describe and categorize it.16 At the beginning of the 20th century, identity was largely defined by one’s occupation, mirrored in Sander’s portfolio categories. Corresponding to divergent constructions of identity today, Sternfeld’s Stranger Passing does not include explicit 4  Joel Sternfeld: Domestic Worker Setting the categories of a typological approach to group the Table, New York, August 1993, 1993, C-Print portraits according to social status, profession, (color), 92,08 × 116,21 cm gender or age. The book presents each motif separately on every right page with its title in the lower margin of the corresponding left page. Still, the titles allude to objective classification as most of them follow the same scheme: gender, reference to activity or attribute, location and date: A Woman with Mail, Chesterfield, Missouri, June 1999, for example. Conventionally the title of a portrait marks the sitter’s identity, yet the schematization in Stanger Passing points to a typological approach, classifying the subjects with regards to their gender, activity and habitat.

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We soon realize that the titles do not reveal much about the subject. For example the title A Woman Selling the Sunday Papers, Boulder, Colorado, July 1999 discloses the subject’s occupation and A Woman with Mail, Chesterfield, Missouri, June 1999 reveals her current activity, but does not inform us about aspects of the subjects’ individual identity. Reviewing the images as a whole in the publication (or a selection of them presented in an exhibition), allows for a comparative consideration  –  as August Sander pointed out: »a mosaic […] that becomes a synthesis only when presented en masse«.17 The compositional scheme of Sternfeld’s portraits allows for a comparison that invokes »the objective methods of classical documentary […] signifying descriptiveness and taxonomic efficacy«.18 As the illustrations at hand show, large parts of the images are dominated by the foreground; the middle ground shows a developed site, often in a suburban residential area. These residential sites identify the kind of cultural landscapes Sternfeld’s subjects occupy. The subjects are often positioned similarly in the frame within a virtually constant distance to the camera, standing or sitting on the middle axis or slightly aside of it, close to the front margin and thereby close to the viewer. The perspective is predominantly at eye level or from a slightly low perspective. Nevertheless, some distance is introduced by the almost exclusive presentation as full figures and by allowing the landscape to occupy larger parts of the images, drawing the viewer’s attention to both the portrait and the landscape. The viewer might surmise that the subjects are presented in a specific manner: »[…] in situ, in the setting to which they might be considered indigenous, with nothing to suggest the photographer has in any way tampered with the evidential purity of the environment as found. Except for the arrangement of the poses, all else points to the happy discovery and preservation of a specimen uncovered in the field.«19 But in fact, the photographs merge the subject’s self-representation with the interpretation by the artist: the subjects gaze directly into the camera; this is one of Sternfeld’s few but essential stage directions, including his request for his subjects to stage a pose and his definition of the exact site of where the picture is taken.20 If this means that Sternfeld works in a directorial mode, following Allan D. Coleman, which »may be achieved by intervening in ongoing ›real‹ events or by staging tableaux  –  in either case, by causing something to take place which would not have occurred had the photo­ grapher not made it happen« or, if Sternfeld’s approach corresponds better with Coleman’s agnostic mode is not an easy question to answer. The author describes that in this second mode »the image-maker openly interprets the objects, beings, and events in front of the lens«, and concludes that a »certain amount of chance and accident is also accepted in this method, [but] the photographer is still presumed not to interfere with the actual event going on«.21 Coleman outlines a continuum with documentary and directorial photography at its ends, pointing out that »directorial elements have entered the work of a vast number of photographic imagemakers, including […] champions of documentary/straight/pure photography. Things are not always as they seem«.22 Also the artist himself rejects a binary division of photography into a documentary and a staged branch as »false distinction«.23 It can be argued that this ambiguity constitutes Sternfeld’s specific image rhetoric.

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»Stranger Passing« as ethnographic research A comparative approach is also pivotal for Cultural Anthropology whose epistemological interest is »the empirical, systematical and comparative study of different cultures«.24 The discipline developed from ethnography as the description of different cultures that resulted from the study of objects and information on societies, collected by travelers and explorers from their expeditions. Of importance is the methodological turn from this so-called armchair anthropology to the systematic approach of ethnographic field research. Here, a longterm stay for extensive participant observation of the culture’s inhabitants and their customs aims for an understanding of the culture as a whole. The balance of an emic perspective of an insider’s point of view and an etic perspective of a more distanced, analytical observer is accompanied by an oscillation between closeness and distance of the ethnographer.25 Since the 1980s artistic appropriation of ethnographic research methods and (photographic) documentation can be observed, accompanied by an orientation towards ethnographic issues relating to everyday life practices, the Other or Identity.26 The ethnographic turn in the visual arts introduced the notion of the »artist as ethnographer«, whose critical perspective is believed to inform his artistic examination of society, following Hal Foster’s elaboration of the term.27 Joel Sternfeld’s artistic practice to travel and document the diverse conglomeration of people and landscapes of his home country America, is comparable to ethnographic field research concentrating on the ethnographer’s (or artist’s) own culture. Throughout history, cultural anthropologists have been concerned with other cultures as well as their own; the approach of an »insider« Anthropology and related questions on the researcher’s perspective, if preferably from the outside or from within, has been extensively discussed in the 1970s especially by American anthropologists with regards to the decolonization of their discipline.28 The ethnographic dogma of an »outsider« perspective was critiqued as a Western point of view, and instead a »view from within« was called for, leaving the position of a distanced observer for a more dialogic approach to engaging with their subjects  –  without losing scientific objectivity by a constant reflection of ones actions. Another position considered important was to combine different perspectives to get close to an idea of reality.29 Sternfeld’s emic perspective from within is mirrored in the images by his predominant use of eye level perspective. This is balanced with the introduction of distance: the almost exclusive presentation of full figures and the occupation of large parts of the images by landscape ask for a distanced position of the observer’s perspective. As such, the camera is always located at a certain distance to the subjects. Photography and ethnography share some points of contact: Both are concerned with found reality, its representation and interpretation to examine and understand man, his (material) culture, social relations and individual experiences.30 Both are based on eyewitness accounts. In the 19th century, the introduction of photography appeared to be the visual concretization of the scientific credo for objectivity, as photographs were then perceived as depictions of reality. Ethnographers often used photography as a device for objective docu­

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5  Johann Stanislaus Kubary: Young girl, naked, full figure, Samoa Islands, ca. 1875, photograph, Hamburg, Museum für Völkerkunde

mentation to counteract the fundamental doubt of authenticity and objectivity of ethnographic observations.31 There are different approaches and terms to define ethnologic photography; in general, two branches can be identified: First, anthropologic photography as the dominant branch in the 19th and early 20th century with a focus on physiognomy, including anthropometric photography for the measurement of human bodies and type photography for »depicting an at most typical representative of a certain ethnic group«.32 And second, ethnographic photography which became more widespread with the development of systematic field research and participant observation in the first quarter of the 20th century and that lays focus on the documentation of material culture, but also the manifestations and expressions of human activity as mediated in their habitus (meaning traditional garment as well as posture), customs and traditions, as well as the influences of man on nature resulting in cultural landscapes.33 Physical Anthropology used photography as a scientific instrument for objective records, classification and typologization of man’s physical and cultural differences, according to evolutionary theories and colonial ideologies of the time. With regards to form, anthropometric photographs aimed to convey scientific objectivity using a neutral backdrop, a measuring stick and the subjects’ presentation as full figure, en face and/or in profile view, with an upright pose |fig. 5|. This image scheme was supposed to allow for the comparison of different types, or »races« (with the terminology of the time), supposed variations or deviations to those types were documented as well.34 These photographs did not represent individuals but objectified the subjects and perpetuated stereotypes of the Other. They contributed to the legitimization and propaganda of the colonial politics of the time as they pretended to »aim at the ›protection‹ of ›children of nature‹, the ›civilization‹ of ›savages‹«.35

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6  Arnold Schulze: Mpangwe woman at hairdressing, near Ebolowa, Southwest Cameroon, 1911, photograph, Hamburg, Museum für Völkerkunde

The methodological shift from armchair anthropology to systematic field research during the first quarter of the 20th century was accompanied by a shift of interest towards an understanding of the cultural context of ethnic groups and its manifestations, such as dress, objects, artifacts or habitual aspects such as their daily routines or rituals. These issues are associated with an ethnographic photography that aimed to further the understanding of the Other without the perpetuation of stereotypes |fig. 6|.36 In contrast to anthropologic photography that focused on the human body, these images include the surroundings as an informative part of contextualizing the image. Various artists have adopted ethnographic methods of field research and participant observation for (not only photographically) examining societal phenomena of their own and other societies.37 Both visual schemes of representation are visible: the comparability of an anthropologic image rhetoric can be found in the typology of August Sander’s Menschen des 20. Jahrhunderts or in contemporary art, evident in Rineke Dijkstra’s various portraits of adolescent boys and girls.38 Lothar Baumgarten’s one and a half year-long stay with the Yanomami in South America at the end of the 1970s is similar to participant observation, the resulting

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body of artistic images is close to the contextualizing approach of ethnographic photography.39 In these ways, photography may also be understood as ethnographic research.40 As such, Sternfeld’s Stranger Passing can also be referred to the branch of ethnographic photography as it focuses on the cultural context introduced by the site at which the portrait is taken, and for example, the subject’s garment and attributes. Sternfeld often captures people as they pause from an activity  –  similar to the habitual aspects of ethnographic photography and also to the work of August Sander. According to Sternfeld, an important point of departure for his approach to portraiture lies in August Sander’s Jungbauern (Young Farmers) from 1914 |fig. 7|.41 This photograph shows three young men in their best suits with hats and walking sticks as they walk along a path. The portrait is located in an unidentifiable landscape that appears out of focus and more as a background in comparison to Sternfeld’s specific landscapes that provide additional information to the portraits. The scene appears almost like a snapshot that captures the young farmers as if in motion, with their faces 7  August Sander: Jungbauern (Young Farmers), turned towards the camera. Sternfeld describes 1914, gelatin silver print, 23,1 × 16,9 cm, Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Sander’s strategy as a portrait mode that presents Kultur – August Sander Archiv, Köln the subjects as »in the middle of a circumstance«.42 This is pivotal to understand Sternfeld’s approach: the term circumstance has a temporal and a spatial connotation. On the one hand, the coining of this phrase gives strength to the momentariness of photographic portraits. Most portraits in Stranger Passing represent people as holding still for a moment to be photographed as evident in Sternfeld’s Woman With Mail that appears almost like a snapshot, as well, which captures the woman in mid-action. This impression is in contrast to the decelerated working process of Sternfeld’s (and also Sander’s) large format camera that requires detailed preparation and outline of the composition in advance. On the other hand, Sternfeld’s composition scheme reveals their non-snapshot character and leads to a relative static, even passive impression of the frontally still standing subjects. This is surely also due to the decelerated process of the large format camera, but brings to mind anthropologic photographs of the 19th century with its still standing subjects, as well.43 All of Sternfeld’s subjects are positioned almost centrally, presented en face or just slightly

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turned with an upright pose. Usually, this scheme enables the viewer to compare the subjects’ similarities and differences, the typical and the individual. In the 19th century, such a comparative consideration of photographic inventories aimed for a deeper understanding of the object. But Sternfeld’s approach is distanced to this objectifying photographic tradition by treating his subjects »as simultaneously singular and typical« and thereby simultaneously alluding to but not fulfilling the promises of this photographic tradition with his collection of portraits and landscapes in Stranger Passing.44 He does not instrumentalize his subjects for an ideology but is interested in investigating the relation of subject and surrounding, of (photographic) portraiture and its abilities by the means of color, composition and conscious allusion. The term »circumstantial portrait« also enhances the relevance of the site for the meaning of a photographic portrait. To look at the images again: in A Woman Selling the Sunday Papers, Boulder, Colorado, July 1999 the landscape is divided into three horizontal sections, not only by composition, but also by color; the foreground is dominated by the grey of the roadway, added by the traffic island’s light red. The middle ground is divided into two parts by the woman’s body with red accentuated buildings on the left and dark green vegetation on the right. Above appears a light grey sky, whose color is repeated by the road markings and newspapers. The surrounding’s colors are echoed by the newswoman; shades of red and grey are repeated by her clothing and the newspapers. The intense red of her centrally located T-shirt mirrors the traffic lights in the image’s middle ground. By such means, Sternfeld subtly intertwines the subject with the surrounding landscape. But there also appears a characteristically distinguishing feature of portrait and landscape: a contrast of saturation of the shirt’s strong red with the landscape’s muted range of colors. In this way, the focus of the image is set on the portrait. In A Woman with Mail, Chesterfield, Missouri, June 1999 the portrait and the landscape appear color-coordinated: The backdrop of the ground’s dominant earthy tones against the bright cream-white of the woman’s skirt marks a light-dark contrast that is echoed by the paint color of the houses and the light-grey sky. The dark tone of the subject’s sandals is repeated by the color of her hair, the sunglasses she is holding in her right hand, and by the houses’ dark grey roofs and lamps. Again, the shirt is the most intensely highlighted area, even though it’s blue is of a pastel hue. It is striking how Sternfeld associates and dissociates the subject and the landscape by means of composition and color, defined in a muted, pastel range of colors (in contrast to the vibrant chromaticity of 1950s color photography). According to Sternfeld, »the meaning of pictures arises through the use of color«, he often combines color-coordination and accentuated color-contrasts of the subjects within the landscape.45 As such, his photographs challenge any definiteness and oscillate between an enhancement of the subject’s individuality by the color-contrast and the suggestion of the subject’s association to the milieu as indicated by the color-coordination with the landscape. For example, the woman with mail is at once identified with the American middle class as Sternfeld locates her within a conventional middle class suburban landscape that appears to be her home. At the same time, the intense blue of

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her shirt prevents her from blending into the surrounding landscape. Similarly, the woman in A Woman Selling the Sunday Papers is positioned in a more inhospitable, consumerist part of suburbia which, together with her attire, suggests that she is of a lower class; here the connection of person and landscape is also signaled by the repeated use of red. At the same time, the incongruency of her class in relation to her surroundings becomes visible, but the strong red of her shirt, her upright pose and the slight low angle shot individualize and dignify the woman. Using color, Sternfeld’s portraits go beyond the typological practices of ethnologic or sociologic approaches and emphasize his artistic strategy. Also August Sander’s in situ portraits seem at first sight to be supported by the landscape. But as evident in Jungbauern, the landscape often appears out of focus or only partly visible and therefore functions more as an unspecific backdrop as in studio photography. By comparison, Sternfeld’s landscapes are largely in focus and identifiable, not only geographically, notable by the title of the images. Sternfeld’s portraits are mostly placed in cultural landscapes; his notion of landscape corresponds with Cultural Anthropology: Here landscape is understood as a cultural construction that emerges from the attribution of cultural meaning. The appearance of a landscape thereby depends on its context: the specific historical, spatial or social conditions. Thus, one can assume that a mutually significant relationship exists between man and landscape.46 Applied to portraits in landscapes, this would allow us to draw conclusions, or assumptions, from the context in which the subject is located. For example, the suburban housing complexes where A Woman with Mail is photographed are indicative of her belonging to that social milieu of the American middle class. On the other hand, the surroundings of Domestic Worker Setting the Table, New York, August 1993 on a terrace at New York’s Upper East Side do not identify the woman as belonging to the American upper class, as her clothing (and the title) point to her profession as a domestic worker who is portrayed at her workplace. Additionally, her skin color evokes America’s internal colonial history. Her presence also indicates the social identity of her absent employers. But as this social positioning only reflects one aspect of identity, this portrait, as well as the others presented in Stranger Passing, still raise questions. In the artist’s words: »What assumptions can we make, what assumptions do we make by seeing a person?«47 The interplay of allowing for and refu­ sing assumptions on the subjects’ identities is significant for Sternfeld’s in situ portraits: the »mechanisms of identification are in place, but the expected coincidence of image and reputation is voided«.48

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Encounters among strangers In this regard, some reflections on the project title Stranger Passing can be revealing. It is borrowed from a poem by Walt Whitman: To You Stranger! if you, passing, meet me, and desire to speak to me, why should you not speak to me? And why should I not speak to you?49 Here, the addressed other is the stranger. With regards to Sternfeld’s project, it is not quite obvious who the passing stranger is: the men and women captured by the photographs? The image titles allude to this, as they do not contain any information about the subjects’ individual identities. Or is it rather the artist himself who passes different places and people on his travels throughout his home country?50 In this case, perspectives are inversed and Sternfeld becomes the subject of the gaze on a passing stranger. On a reciprocal level, strangers are on both sides of the camera and the title refers to an estrangement of American society during the »bitter years« of the Reagan era and after.51 At first, the single portraits appear as individual portraits but their schematic titles do not support this impression as they do not supply any information about the subjects’ identity and therefore point to portraits of types. This assumption is strengthened by the publication of the project as a book with a sequential presentation of the portraits; an outline that suggests a comparative analysis of the images, that is similar to anthropologic typologies of the Other from the 19th century or the typological approach of August Sander’s Antlitz der Zeit or Menschen des 20. Jahrhunderts. But Stranger Passing does not include explicit categorizations. Its schematic titles and compositions might be described as quasi-typological or playing with a typological approach. This points to a critical attitude of the »artist as ethnographer« towards portraiture: the images question the ability of photographic portraits to reveal the subject’s identity with reference to the typologizing image rhetoric of anthropologic photography that was not interested in the individual but the typical. At the same time they take up the contextualizing approach of ethnographic photography, subtly intertwining the subject with the landscape as a presumable indicator of (social) identity. Here, Sternfeld’s poignant use of color-coordination often combined with color-contrasting of both elements suggests the social identification of the subjects with their surroundings.52 But Sternfeld’s phrase of the »circumstantial portrait« strengthens the presumptive character of the images and rejects any definiteness of interpretation. Therefore, the images are ambiguous between allowing the viewer to guess on their social identity and at the same time not revealing the subject’s individual identity.

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1  This essay will not elaborate on the attribution of Sternfeld’s publications to the genre of the photobook as artist’s book; this aspect is integrated in the dissertation of the author: Porträts in Landschaft von Joel Sternfeld. Die Fotobücher »American Prospects« und »Stranger Passing« (working title), supervised by Prof. Dr. Ursula Frohne, University of Cologne, Department of Art History. For an analysis of the relationship of artist’s book respectively photobook, (exhibition) catalogue and monograph see Liz Wells: Beyond the Exhibition. From Catalogue to Photobook, in: Patrizia Di Bello, Colette Wilson and Shamoon Zamir (eds): The Photobook. From Talbot to Ruscha and Beyond, London and New York 2012, pp. 129 – 1 43. 2  Joel Sternfeld: Artist’s Lecture, supporting program of the exhibition Joel Sternfeld. Farbfotografien seit 1970, Essen, Museum Folkwang, 16 July 2011. 3  See Joel Sternfeld. First Pictures, exhibition catalogue, Essen, Museum Folkwang et al. 2011. 4  The term New Color Photography is based on a publication by Sally Eauclaire: The New Color Photography, Amsterdam 1981. The same year, Eauclaire curated the exhibition The New Color. A Decade of Color Photography at the International Center of Photography in New York. Joel Sternfeld was featured in both the publication and the exhibition. For further reading see Kevin Moore (ed.): Starburst. Color Photography in America 1970 – 1980, exhibition catalogue, Cincinnati Art Museum 2010. 5  See Joseph Newland (ed.): William Eggleston. Democratic Camera. Photographs and Video 1961 – 2008, exhibition catalogue, Whitney Museum of American Art, New York / Haus der Kunst, Munich 2008. 6  Jessica May: Joel Sternfeld’s Early Pictures, in: Joel Sternfeld. First Pictures, exhibition catalogue, Essen, Museum Folkwang et al. 2011, s. p. 7  Joel Sternfeld. Stranger Passing, exhibition catalogue, San Francisco Museum of Modern Art 2001. 8  Douglas R. Nickel: Perfect Strangers, in: Joel Sternfeld. Stranger Passing 2001, s. p. 9  As Sternfeld works in distinct projects, Stranger Passing dates from 1987 to 2000 with 2001 as year of publication. In fact, the publication encloses one image from 1985 (A Man on the Banks of Mississippi, Baton Rouge, Louisiana, August 1985), taken while Sternfeld worked on his precedent project American Prospects (1978 – 1987). A second, revised edition of Stranger Passing was published at the German Steidl Verlag and includes one additional image: Gallup, New Mexico, August 1999, 61 images in total, see: Joel Sternfeld: Stranger Passing, Göttingen, 2. rev. ed., 2012, s. p. 10  Nickel 2001, s. p. 11  See American Prospects. Photographs by Joel Sternfeld, exhibition catalogue, Museum of Fine Arts, Houston 1987. In 2003 the Steidl Verlag (and simultaneously the American D.A.P. publishers) published a »first edition 2003« including some subtractions and additions of images, 60 in total compared to 55 in 1987. The recent and 4th edition of 2012 is described as »the definitive edition […] made from new printing plates and technology« and includes the »addition of one new image [the second frontispiece]«; see Joel Sternfeld: American Prospects, in: Steidl Verlag, www.steidl.de/flycms/en/Books/AmericanProspects/2122395759.html (03.04.2013). For a similar description of the 2012 edition at D.A.P., see: Joel Sternfeld: American Prospects, in: Artbook Distributes Art Publishers  –  D.A.P. Publishing, www.artbook. com/catalog--photography--monographs--sternfeld--joel.html (27.08.2013). 12  Nickel 2001, s. p. 13  See Joel Sternfeld: Artist Lecture, supporting program of the exhibition Joel Sternfeld. Retrospective, C/O Berlin, 10 November 2012.

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14  See August Sander. Menschen des 20. Jahrhunderts. Ein Kulturwerk in Lichtbildern eingeteilt in sieben Gruppen (ed. by Die Photographische Sammlung / SK Stiftung Kultur), Munich 2002. 15  The preface written by Alfred Döblin describes Sander’s approach as »a kind of cultural history, better sociology of the last 30 years. […] How to write sociology without writing but by giving pictures, pictures of faces and not of traditional dress that is what this photographer’s gaze creates […].« (»Man hat vor sich eine Art Kulturgeschichte, besser Soziologie, der letzten 30 Jahre. Wie man Soziologie schreibt, ohne zu schreiben, sondern indem man Bilder gibt, Bilder von Gesichtern und nicht etwa Trachten, das schafft der Blick dieses Fotografen […].«); quoted from Alfred Döblin: Von Gesichtern, Bildern und ihrer Wahrheit, in: August Sander: Antlitz der Zeit. 60 Aufnahmen deutscher Menschen des 20. Jahrhunderts, Munich 1929, pp. 7 – 15, p. 13 f. 16  See Karl-Heinz Hillmann (ed.): Wörterbuch der Soziologie, Stuttgart, 4. ed. 1994, s. v. »Soziologie« (id.), pp. 821 – 824. 17  Letter from August Sander to Peter Abelen, 16 January 1951, in: Gunther Sander (ed.): August Sander. Citizens of the Twentieth Century. Portrait Photographs, 1892 – 1952, Cambridge/Mass. and London 1986, p. 58, n. 140, quoted from Nickel 2001, s. p. 18  Ibid. 19  Ibid. 20  Ibid.; Anne W. Tucker: American Beauty in Atypical Places, in: American Prospects. Photographs by Joel Sternfeld 1987, s. p.; Ute Eskildsen: Curator Tour, supporting program of the exhibition Joel Sternfeld. Farbfotografien seit 1970, Essen, Museum Folkwang, 20 July 2011. 21  Allan D. Coleman: The Directorial Mode. Notes Toward a Definition [1976], in: id.: Light Readings. A Photography Critics Writings 1968 – 1978, New York 1979, pp. 250 – 257, p. 250. 22  Ibid., p. 252. 23  Joel Sternfeld: Press Tour, supporting the exhibition Joel Sternfeld. Farbfotografien seit 1970, Essen, Museum Folkwang, 14 July 2011. 24  Hillmann 1994, p. 461, s. v. »Kulturanthropologie« (»die empir., systemat. u. vergleichende Erforschg. der verschiedenartigen Kulturen«). 25  See Bettina Beer (ed.): Methoden und Techniken der Feldforschung, Berlin 2003. 26  See Arnd Schneider and Christopher Wright: The Challenge of Practice, in: id. (eds): Contemporary Art and Anthropology, Oxford 2006, pp. 1 – 28, p. 15. 27  See Hal Foster: The Artist as Ethnographer, in: id.: The Return of the Real. The Avant-Garde at the End of the Century, Cambridge/Mass. and London 1995, pp. 171 – 204, p. 173. 28  See Hans-Jürgen Hildebrandt: Bausteine zu einer wissenschaftlichen Erforschung der Geschichte der Ethnologie. Zugleich eine empirische Anleitung für die Historiographie wissenschaftlicher Disziplinen, Munich 2003, pp. 148 ff. 29  See Sabine Schupp: Die US-Amerikanische Diskussion, in: id: Die Ethnologie und ihr koloniales Erbe. Ältere und neuere Debatten um die Entkolonialisierung einer Wissenschaft, Münster 1997, pp. 34 – 56, p. 48 ff.

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30  See Jennifer Crowley: Die Welt erfassen und verstehen. Photographie und Ethnographie, in: id.: Photographie als ethnographische Recherche. Der Blick auf das Fremde, Master thesis, University of Cologne, Department of Art History, Cologne 2007, pp. 17 – 25. 31  See Werner Petermann: Verkünder der Botschaft. Die britische Schule, Teil 2, in: id.: Geschichte der Ethnologie, Wuppertal 2004, pp. 911 – 9 47, p. 940. 32  See Juliane Kiepe: Bedeutung und Inszenierung der Photographie in der Ethnographie, in: id.: Ästhetische Inszenierungen in der Ethnographie. Bronislaw Malinowski im Spannungsfeld der Kulturen, phil. diss., Frankfurt am Main et al. 2005 (Europäische Hochschulschriften, series 14, vol. 66), pp. 121 – 137, pp. 126 f.; Thomas Theye: »Wir wollen nicht glauben, sondern schauen.« Zur Geschichte der ethnographi­ schen Fotografie im deutschsprachigen Raum im 19. Jahrhundert, in: id. (ed.): Der geraubte Schatten. Die Photographie als ethnographisches Dokument, exhibition catalogue, Münchner Stadtmuseum, Munich 1989, pp. 60 – 119, p. 90 and pp. 94 f. (»einen möglichst typischen Vertreter einer bestimmten Ethnie abbilden«). 33  See Theye 1989, pp. 99 ff.; Kiepe 2005, p. 127. 34  Theye 1989, p. 93 and p. 244. De facto, the goal of comparison was not achieved because the scalings of the measuring sticks were varying as well as the poses of the subjects were not always perfectly upright, and not least because of the blurred perspective of photographs; see Kiepe 2005, p. 125 and p. 127; Theye 1989, p. 90. 35  Jutta Beate Engelhard: Vorwort, in: id. and Peter Mesenhöller (eds): Bilder aus dem Paradies. Koloniale Photographie aus Samoa 1875 – 1925, exhibition catalogue, Rautenstrauch-Joest Museum für Völkerkunde, Cologne 1995, pp. 11 f. (»gab diese [die Fotografie] doch vor, den ›Schutz‹ von ›Naturkindern‹, die ›Zivilisierung‹ von ›Wilden‹ zu bezwecken«). 36  See Kiepe 2005, p. 133 and p. 137. 37  See Schneider and Wright 2006; Julian Stallabrass: What’s in a Face? Blankness and Significance in Contemporary Art Photography, in: October 122/2007, pp. 71 – 90. 38  See Rineke Dijkstra. A Retrospective, exhibition catalogue, San Francisco Museum of Modern Art / Guggenheim Museum, New York 2012. 39  See Jürgen-Konrad Zabel: Bilder vom Anderen. Kunst und Ethnographie bei Lothar Baumgarten, phil. diss., University of Bonn, Department of Art History, Bonn 2001. 40  See Crowley 2007. 41  See Sternfeld 2012. 42  Ibid., the coining of the phrase »circumstantial portrait« might refer to the »environmental portrait«, an approach Sternfeld rejects. 43  See Theye 1989, p. 101. 44  Nickel 2001, s. p. 45  Sternfeld 2011. 46  See Martin Rössler: The Anthropological Study of Landscape, in: Michael Bollig and Olaf Bubenzer (eds): African Landscapes. Interdisciplinary Approaches, New York 2009, pp. 297 – 326.

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47  Sternfeld 2011. 48  Nickel 2001, s. p . 49  Walt Whitman: To You, in: id.: Leaves of Grass, Boston, 3rd ed., 1860 – 1861, p. 403, http://whitmanarchive.org/published/LG/1860/whole.html (26 November 2013). The poem was first published in the 3rd edition. 50  Sternfeld’s acknowledgments say that he envisions himself as the stranger: »To all those who kindly lent their moments to this passing stranger, thanks« (Joel Sternfeld: Acknowledgements, in: id.: Stranger Passing, exhibition catalogue, San Francisco Museum of Modern Art 2001, s. p.). This is not mentioned in the 2012 edition. 51  Sternfeld 2011. 52  This reminds of the »portrait as milieu« where an indirect portrait is drawn by someone’s personal environment, assuming that the details of the environment reveal something of a person’s personality or character; see Donat de Chapeaurouge: Das Milieu als Porträt, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 22/1960, pp. 137 – 158, p. 138 and pp. 140 f., quoted from Petra Gördüren: Gesichter, gesichtslos. Theorie und Geschichte des Porträts jenseits der Mimesis, in: Dirk Luckow and Petra Gördüren (eds): Porträt ohne Antlitz. Abstrakte Strategien in der Bildniskunst, exhibition catalogue, Kunsthalle Kiel 2004, pp. 8 – 19, pp. 14 ff.

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DAS INSZENIERTE ICH

DAS SELBSTPORTRÄT BEI LEONARDO DA VINCI UND MICHELANGELO BUONARROTI Oder: Der »horror vacui« der Kunsthistoriografie M I R I A M S A R A H M AROT Z KI

Auf der Suche nach dem Selbstbild genialer Künstler Am 6. März 1925 publizierte der Mediziner Francesco La Cava zum 450. Geburtstag Michelangelo Buonarrotis seine Untersuchung Il volto di Michelangelo scoperto nel Giudizio finale. Un dramma psicologico in un ritratto simbolico. Hierin beschreibt er, wie er des Künstlers Antlitz das erste Mal im Monumentalfresko der Sixtinischen Kapelle entdeckt habe, und wird dabei im sprachlichen Modus der im Untertitel angekündigten Dramatik durchaus gerecht. La Cava schildert die Begegnung mit dem Gesicht in der Art einer mystischen Erfahrung: Ähnlich einer Erleuchtung, die nicht folgenlos bleiben kann, erblickt er plötzlich das zuvor unentdeckte Angesicht Michelangelos in der Haut des Heiligen Bartholomäus. Im Folgenden verschreibt sich La Cava zwei Jahre lang dem Studium der Quellen, um diese »Eingebung« belegen zu können. Dabei schildert er die Beziehung zum Gegenstand seiner Kontemplation als eine persönliche, fast komplizenhafte, die bei ihm durch Einfühlung mitleidenden Schmerz und Liebe evozieren würde, und benennt mit diesen Motiven wesentliche Elemente mittelalterlicher Mystik.1 Der vorliegende Beitrag beschäftigt sich neben den Selbstdarstellungen Michelangelo Buonarrotis mit denen Leonardo da Vincis.2 Diese Selbstdarstellungen beider Künstler haben nämlich eines gemein: Bei genauerem Hinsehen lässt sich kaum eine zweifelsfreie Selbstdarstellung finden. Darüber hinaus erscheint ihr »Auffinden« oft geheimnisumwittert, wunder-

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voll und eher von einer anderen als von dieser Welt. Im Falle Leonardo da Vincis reichen die als Selbstporträts diskutierten Beispiele vom bekannten Rötelporträt in Turin bis hin zu etwa der Figur des Jünglings in der rechten Ecke seiner Anbetung der Könige von 1481 (Florenz, Galleria degli Uffizi). Da das Rötelporträt aus Turin in der Regel das Vergleichsobjekt bei der Identifizierung weiterer Bildnisse stellt, werde ich diese Zeichnung intensiver diskutieren.3 Auch das Antlitz Michelangelo Buonarrotis wollen Forscher in vielen seiner Werke wie etwa den Darstellungen des Petrus und Paulus der Cappella Paolina oder aber der abgezogenen Haut des Heiligen Bartholomäus im Jüngsten Gericht erkannt haben (Vatikan, Palazzo Apostolico). Dieser erst 1925 in die Diskussion eingebrachte Vorschlag hat sich als paradigmatisches Selbstbild des Künstlers schnell behaupten können. Aus diesem Grund werfe ich einen zweiten Blick auf diese Selbstdarstellung. Dem »unabhängigen« Selbstporträt war spätestens zu Beginn des 16. Jahrhunderts ein medienübergreifender Durchbruch gelungen.4 Es bot Künstlern die Möglichkeit, das Sujet des eigenen Ich als bildwürdigen Gegenstand zu etablieren und Formeln der Präsentation der gewünschten sozio-kulturellen aber auch individuellen Rolle herauszubilden. Gerade Leonardo da Vinci und Michelangelo Buonarroti attestiert die Kunstgeschichtsschreibung einen entscheidenden Beitrag bezüglich der Emanzipation der Künstlerfigur und ihrer Anliegen. Gespannt auf einen produktiven Beitrag in der Geschichte des Genres des Selbstporträts, das so eng mit dem Wandel der sozio-kulturellen Rolle des Künstlers verbunden ist, nähert man sich also erwartungsvoll auch den Werken Leonardos und Michelangelos. Beim Sichten derselben kristallisiert sich in Bezug auf Selbstbildnisse allerdings ein in dieser Art nicht erwartetes Ergebnis heraus: Es ist eine Vielzahl von Zuschreibungen zu finden, für die es jedoch oft nur unscharfe Anhaltspunkte gibt. Auffällige Unsicherheiten der Forschung über das Vorhandensein von Selbstporträts im Œuvre Michelangelos und Leonardos zeigen sich umso deutlicher, betrachtet man sie vor der Folie der Geschichte des Selbstporträts. Die Objekte entstanden in einer Zeit, in der sich die Gattung des »unabhängigen« Selbstbildnisses gerade als exponiertes Mittel entwickelte, die eigene Rolle eindrucksvoll herauszustellen. Bei Albrecht Dürer etwa lässt sich wohl das erste »unabhängige« Selbstporträt im Medium des Tafelbildes, der Zeichnung und des Akts finden. Und auch in Italien lässt sich mit Leon Battista Albertis berühmter Bronzeplakette bereits Anfang der 1430er Jahre, spätestens aber mit Giorgiones Kryptoporträt als David von etwa 1510 (Braunschweig, Herzog Anton UlrichMuseum) ein »unabhängiges« Selbstporträt fassen. In diesem Beitrag interessiert mich die Scheu der kunsthistorischen Forschung, ihre Unsicherheiten bezüglich der Selbstbildnissituation bei Leonardo und Michelangelo zu formulieren und daraus Schlussfolgerungen abzuleiten. Im Gegenteil ist oft ein großes Bemühen auszumachen, Selbstbildnisse aufzuspüren und in manchmal abenteuerlichen Jagden neue zu präsentieren, wo vielleicht keine zu finden sind. Manche Kunsthistoriker der Moderne erinnern in ihrem Wunsch, die Gesichter der Genies von ihrer Hand zu sehen, an jene Zeitgenossen des Plinius, welche die Bibliotheken ihrer Zeit um die Porträts der in ihr enthaltenen Autoren angereichert haben sollen. Im 35. Buch seiner Naturalis historiae beschreibt Plinius

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den Umgang seiner Zeitgenossen mit fehlenden Porträtdarstellungen: »Sind keine Bildnisse vorhanden, so werden solche sogar erdacht und erwecken das Verlangen nach nicht überlieferten Gesichtszügen, wie es bei Homer der Fall ist. Wenigstens meiner Ansicht nach gibt es keinen größeren Beweis von Glückseligkeit, als wenn alle stets zu erfahren trachten, wie jemand ausgesehen hat.«5 Das Nichtvorhandensein eindeutiger Selbstporträts wird als ein solcher Missstand empfunden, dass ihn manchmal sogar Fiktionen beheben müssen. Das dementsprechend geleitete Forschungsinteresse verstehe ich als Ausdruck eines »Denkstils«.6 Es wird zu fragen sein, wie dieser »Denkstil« motiviert ist; vor allem aber wird zu untersuchen sein, welche Erkenntnisse sich aus ihm über die Gattung des Selbstporträts ableiten lassen. Deutlich möchte ich an dieser Stelle noch einmal darauf verweisen, dass es nicht Ziel des Beitrags ist, weitere Vorschläge im Sinne der gängigen Identifikationspraxis zu erarbeiten, sondern diese als »Denkstil« zu fassen und bezüglich ihrer Bedingungen und Wirkung auszuwerten.

Leonardos Turiner Rötelzeichnung und die Folgen Wie eine Erscheinung tritt das Angesicht eines Greises im Halbprofil aus dem fleckigen Papier heraus |Abb. 1|. Eine große und breite Nase, in deren Schatten ein schmaler Mund erkennbar wird, sticht zwischen den von buschigen Brauen überlagerten Augen hervor. Ihr Blick trifft nicht auf einen Betrachter, sondern scheint im Bild und in der Person zu verharren. Tiefe Falten zeichnen das von langem Haupthaar gerahmte Gesicht, das nahtlos in einen ebenso langen Bart übergeht. Das nicht ausgearbeitete Kinn forciert den Eindruck des unmittelbaren Überganges in die durch regelmäßig nebeneinander gesetzte Linien vegetabil strukturierte Bartpracht. Die linke Seite des Kopfbildes ist am stärksten ausgearbeitet. Das Antlitz wird hier deutlich als solches abgegrenzt, während auf der rechten Seite eine deutliche Konturierung nur noch im Mittelteil des Kopfes erfolgt. Im oberen und unteren Bereich lösen sich die Umrisse des Porträts bereits fast vollkommen auf. Die Rötelzeichnung, heute in der Biblioteca Reale in Turin zu finden, wird unterschiedlich datiert: Mit 1503, 1512 – 1516 oder 1517 – 1518, 1839 – 1840 oder 1845 seien lediglich einige Vorschläge genannt.7 Die Beischrift »Leonardus Vincius« in Rötel und weiter in Kreide »ritratto di se stesso assai vecchio« sei wohl, so vermutete schon Emil Möller, von Leonardos Schüler Francesco Melzi erstellt worden.8 Die Identität des Porträtierten sowie die Zuschreibung an Leonardo wurde in der Geschichte ihrer Erforschung oft angezweifelt. Bedenken bezüglich der Identität des Dargestellten werden im Wesentlichen durch die folgenden Diskrepanzen begründet: Erstens erschweren frühe Datierungen eine Identifizierung des Greises als Leonardo. Zweitens sei der Dargestellte viel älter als Leonardo es mit seinen 67 Jahren je geworden sei und zeige drittens nicht unerhebliche visuelle Differenzen zur abgebildeten Physiognomie eines Fremdporträts Leonardos auf Blatt RL 12726r (Windsor Castle, Royal Library).9

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1  Leonardo da Vinci: Selbstporträt oder Porträt eines unbekannten Mannes, 1503, 1512 oder 1517 – 1518, Rötel auf Papier, 33,3 cm × 21,3 cm, Turin, Biblioteca Reale

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2  Giuseppe Benaglia: Bildnis Leonardo da Vincis, aus: Giuseppe Bossi: Del Cenacolo di Leonardo da Vinci, Mailand 1810, Titelkupfer

Hans Ost stellte 1980 die Eigenhändigkeit des Turiner Porträts in Frage. Er kam zu dem Schluss, dass es sich um eine Fälschung Giuseppe Bossis aus dem 19. Jahrhundert handele. Bossi hatte 1810 Del Cenacolo di Leonardo da Vinci veröffentlicht und auf dem Titelkupfer einen Kopf im Halbprofil abbilden lassen, der die Turiner Zeichnung nahezu hundertprozentig imitiert |Abb. 2|. Die Argumentation Osts speist sich neben weiteren Argumenten aus der unklaren Provenienz der Zeichnung.10 Diese ist erst in den 1840er Jahren an die Öffentlichkeit getreten. Bossi gibt an, dass der von ihm abgebildete Stich Giuseppe Benaglias nach einer Kopie entstanden sei, die Raffaello Albertolli von dem Original angefertigt habe, von dem man nicht wisse, ob es noch existiere. Auf Grund einer Passage bei Giovanni Paolo Lomazzo sei er der Meinung, dass diese Darstellung Leonardo zeige.11 Carlo Pedretti bemerkte allerdings, dass Bossi bereits in der nächsten Ausgabe seines Werkes auf den erklärenden Zusatz verzichtete.12 Glaubt man Bossi nicht, muss er von Fremdbildnissen Leonardos inspiriert worden sein und die Turiner Zeichnung selbst erstellt haben. Nicht nur Ost stellte fest, dass das Turiner Rötelporträt deshalb so überzeugend sei, weil es der Vorstellung von Leonardo als mythischem Forscher und Genie in besonderem Maße

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entspreche.13 Auch Daniel Arasse spielte mit dem Gedanken, Bossi habe dem Helden Gestalt verliehen, den Giovanni Battista Venturi 1797 und Carlo Amoretti 1804 durch ihre Publikationen lebendig werden ließen. Seine Leistung bestünde darin, folgen wir diesem Gedankenspiel, die zeitgenössischen Fremdbildnisse Leonardos, die ihn stets im Profil zeigten, in ein Halbprofil zu wenden: »Dadurch«, resümiert Arasse, »gewinnt das Porträt unvergleichlich größere Präsenz als seine Vorbilder, und diese Präsenz begründet seinen Erfolg in einer Zeit, in der die Romantik das geschlossene Bild eines faustischen Leonardo entwarf.«14 Die Turiner Zeichnung trat das erste Mal leibhaftig in Erscheinung, als sie 1845 von Carlo Alberto gemeinsam mit weiteren Leonardo zugeschriebenen Werken von Giovanni Volpato di Riva di Chieri auf Vorschlag des Direktors der Biblioteca Reale erworben wurde.15 Wo Volpato seinerseits das Blatt erworben hatte, ist unbekannt; die ältere Provenienz vor 1845 lässt sich nicht eindeutig belegen.16 Vermutungen hierzu, die insbesondere in Beiträgen aus der Zeit des frühen 20. Jahrhunderts bestehen, bleiben Konjekturen.17 In der Forschungsliteratur wird die Zeichnung zuerst von Arsène Houssaye in seiner 1869 erschienen Histoire de Léonard de Vinci erwähnt.18 Erstmals reproduziert wurde das Turiner Blatt 1866 von Charles Clément als Holzstich und 1872 von Gilberto Govi als Lichtdruck.19 Mittlerweile darf die Abbildung dieser Zeichnung  –  so scheint es  –  in so gut wie keiner Leonardo-Publikation fehlen, und so hat sie sich durch ihre zahlreichen Reprints unauslöschlich in unser visuelles Gedächtnis gebrannt. Bereits Robert Herrlinger etwa beklagte sich 1953 darüber, dass man das Turiner Porträt »in jedem Roman und in jeder Biographie abgebildet« finde.20 Die Ausgangsfeststellung seines Aufsatzes, dass »es kein zweifelsfreies Selbstbildnis Leonardos gibt« hat jedoch auch nach dem von ihm präsentierten vermeintlichen Selbstbildnis ohne Bart noch Bestand.21 Gelenkstück in der Zuschreibung von Selbstbildnissen an Leonardo ist in der Regel die Turiner Rötelzeichnung, um deren Eigenhändigkeit und Datierung gestritten wurde. Gleichzeitig werden die Fragen nach der Datierung und dem Autor des Porträts wohl auch in Zukunft nur schwer eindeutig beantwortet werden können. Noch umstrittener sind vermeintliche Selbstdarstellungen Leonardos, deren Identifizierung unabhängig vom Rötelporträt geleistet wurde.22

Michelangelos »Hautantlitz« Betrachten wir nun die Situation bezüglich der Selbstbildnisse Michelangelos. Das Angesicht des Künstlers ist uns  –  einer eigenständigen ikonografischen Formel vergleichbar  –  geläufig, wurden doch schon zu seinen Lebzeiten Porträts von Kollegen angefertigt.23 Prominenteste in der kunsthistorischen Forschung diskutierte Selbstdarstellung ist das Antlitz in der Haut des Heiligen Bartholomäus im 1536 – 1541 für die Altarwand der Sixtina gefertigten Fresko Das jüngste Gericht |Abb. 3 – 4|.24 Rechts unterhalb der zentralen Gruppe aus Christus und Maria hält sich der (ursprünglich unbekleidete) Bartholomäus rittlings auf einer Wolke.25 Mit beiden Händen präsentiert er die Attribute seines Martyriums, in der Linken die abge-

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3  Michelangelo Buonarroti: Das jüngste Gericht, 1536 – 1541, Fresko, 13,75 m × 12,20 m, Rom, Vatikanische Museen, Sixtinische Kapelle, Altarwand

zogene Haut, in der Rechten das Messer, mit dem er geschunden wurde. Mit diesem deutet er auf die höher gelegene Christusfigur, die er mit dräuendem Blick ansieht. Bartholomäus präsentiert eine Ganzkörperhülle, deren Gesicht ihm wenig gleicht. Während bei dem in den Himmel aufgefahrenen Märtyrer nur noch wenige graue Haare, dafür aber ein opulenter Bart zu entdecken sind, ist die Haut bartlos, aber mit dunklem lockigem Haupthaar ausgestattet. Schon Zeitgenossen störten sich daran, dass die Züge der Haut und ihres ehemaligen Trägers nicht zusammenpassten. So beschwerte sich der Mönch Don Miniato Pitti de Monto-

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liveto 1545 in einem Brief an Vasari, dass die Haut keinen Bart trage und somit nicht die des Bartholomäus sein könne.26 Allerdings scheint es dem Zeitgenossen Pitti nicht in den Sinn gekommen zu sein, in diesen abweichenden Zügen Michel­ angelo zu erkennen. Und auch keine weiteren zeitgenössischen Quellen geben über eine solche Zusammenschau aus Künstler- und Hautantlitz Auskunft.27 Lediglich die Beischrift »Michael Angelus inventor« auf dem Kupferstich des Jüngsten Gerichts von Nicolas Beatrizet von 1562 könnte für eine solche Interpretation Zeugnis ablegen. Das Hautantlitz blickt direkt auf die Schriftzüge zu seiner Linken.28 Allerdings ist auch diese Quelle nicht so eindeutig, wie sie auf den ersten Blick scheinen mag, hat Beatrizet das Antlitz doch in einem völlig anderen Typus gestaltet, der weder der »Originalhaut«, noch den Fremdbildnissen Michelangelos ähnelt. Weitere zeitgenössische Drucke geben keine derartigen Hinweise.29 Als Anfang der 1920er Jahre La Cava und Ernst Heimeran etwa gleichzeitig, aber unabhängig von4  Michelangelo Buonarroti: Das jüngste Gericht, 1536 – 1541, Fresko (Detail mit Darstellung des einander, das Antlitz des Künstlers in der abgezoHeiligen Bartholomäus), 13,75 m × 12,20 m, Rom, genen Haut »entdeckt« haben wollten, spielte der Vatikanische Museen, Sixtinische Kapelle Kupferstich in ihrer Argumentation keine Rolle. La Cava, der zutiefst »la bellezza nuova e terribile« seiner Entdeckung fühlte, studierte nach ihrer überraschenden Beobachtung vor dem Original 1923 die Quellen, um dann zwei Jahre später seine Ergebnisse genau zum 450. Geburtstag Michelangelos zu publizieren.30 Damit kam er Heimeran einige Monate zuvor.31 Dieser wiederum betonte, dass er seine Forschungen bereits abgeschlossen hatte, als La Cava publizierte.32 Er gibt in den ersten Zeilen seines Vorwortes an, dass er die Beobachtungen 1921 an Ort und Stelle gemacht habe. Zum einen verweist er hiermit auf die Authentizität seiner Ergebnisse zum anderen inszeniert sich Heimeran zwischen den Zeilen als Urheber der Beobachtung.33 Dass ihn das Zuspätkommen seiner Publikation um drei Monate nicht zur Ruhe kommen lässt, zeigen seine das Büchlein abschließenden Zeilen, in denen er davon spricht, dass er »eine solche Pretention in der Wissenschaft nicht nötig [habe], wiewohl das Rechthaben auch hier eine süße Sache« sei.34 Beide Forscher hatten ihre Bobachtung vor Ort gemacht und diese durch den Vergleich mit Fremdbildnissen, im Falle Heimerans auch mit Beschreibungen des Aussehens Michel­ angelos, begründet. Sowohl der Mediziner wie auch der junge Kunsthistoriker waren sich der

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Situation bewusst, dass ihre Entdeckung neu war und die Ansicht revidieren würde, dass es keine Selbstdarstellungen des Künstlers gäbe. Umso besorgter zeigen sie sich auch bezüglich ihres methodischen Vorgehens: Heimeran stützt sich auf Autoritäten wie Heinrich Wölfflin, um die Erkenntnis, die aus reiner Bildbetrachtung entstanden war, methodisch abzusichern.35 Auch La Cava ist sich dieser Unsicherheiten bezüglich der eigenen Ergebnisse bewusst und formuliert die Notwendigkeit der Überprüfung, die bei ihm jedoch eher emotional als wissenschaftlich verläuft: »[M]a allora mi bastava volgere lo sguardo al viso irato e doloroso nella pelle di Bartolomeo, perchè ogni incertezza si dileguasse.«36 Die »sensationelle Entdeckung« wurde sofort begeistert aufgenommen und wenige Jahre später fast unwidersprochen akzeptiert. So schrieben Ernst Steinmann und Rudolf Wittkower, die Haut werde »zweifellos mit Recht als Selbstporträt Michelangelos bestimmt«.37 Allerdings bestätigte die nun folgende Forschungsgeschichte Heimerans Angst vor dem Zuspätgekommensein. Bis heute wird fast ausschließlich La Cava als Entdecker der neuen Selbstdarstellung gewürdigt.38 Die Mehrzahl der Forscher akzeptiert die Haut als Selbstdarstellung Michelangelos oder beschreibt sie ohne Umstände als Tatsache.39 Zudem wurde sie als Vergleich für weitere angebliche Selbstdarstellungen im Jüngsten Gericht herangezogen, mit denen sie gemeinsam eine Aussage formuliere.40 Zweifel wurden lediglich von wenigen Forschern geäußert. Diese führten im wesentlichen die Tatsache an, dass Michelangelos Zeitgenossen die Selbstdarstellung offenbar nicht erkannt hatten.41 Frank Zöllner fasst 2007 zusammen: »Gleichwohl ist die Ähnlichkeit des Hautbildes mit den zahlreichen überlieferten Bildnissen Michelangelos nicht von der Hand zu weisen.«42 Wir können also festhalten, dass die kunsthistorische Forschung die Haut des Heiligen erfreut und fast widerspruchslos als ein Kryptoporträt Michelangelos in assistenza akzeptiert hat. Dabei ist die aus reiner Beobachtung gewonnene und durch den Vergleich physiognomischer Merkmale abgesicherte Erkenntnis die Hauptmethode der Identifizierung. Weitere Argumente wie die Position der Haut in der Gesamtkomposition des Freskos und andere formale Überlegungen tragen nur ergänzend bei.43 Etwa de Tolnay bezieht sich auf historische Quellen wie die Anmerkung Pittis oder den Stich Beatrizets.44 Bezüglich der zeitgenössischen Quelle Beatrizet wurde von einigen Kritikern gefragt, warum sein Stich der einzige dieser Art blieb. Sehen wir uns die Physiognomie der Haut genauer an, muss die Frage gestellt werden, inwieweit dieses kaum erkennbare Gesicht überhaupt eindeutig bestimmt werden kann, und wenn überhaupt, ob dann vielleicht lediglich von einer Allusion auf die Physio­ gnomie Michelangelos gesprochen werden müsste. Bereits Bernadine Barnes verwies darauf, dass die Ähnlichkeit mit Fremdporträts Michelangelos zwar naheliegend sei, es jedoch ebenso beträchtliche Differenzen gäbe.45 An einer sicheren Identifizierbarkeit hängt jedoch die Hauptargumentation der hier diskutierten Zuschreibung.

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Unerträgliche Leerstellen der Forschung Festhalten lässt sich zunächst, dass das Kriterium der physiognomischen Übereinstimmung, das in beiden betrachteten Fallbeispielen letztlich den methodischen Schlüssel der Identifikationspraxis stellt, gerade in diesen Fällen nicht ausreichend für eine zwingende Argumentation ist. Für eine alle Zweifel ausräumende Beweisführung benötigte das hier beobachtete Vorgehen zusätzliche Quellen, die in beiden Fällen nicht in der erforderlichen Eindeutigkeit vorhanden sind. Die folgende Feststellung Joanna Woods-Marsdens scheint mit unserem an zwei Fallbeispielen evident gewordenen Ergebnis zu korrelieren: »My own regret is that Leonardo, for whom the artisans’ campaign for recognition as liberal artist was of such particular concern, and who played such a key role in its successful outcome, should have created no autonomous painted or sculpted self-portrait, despite his twenty years at the court of Milan. Neither did another éminence grise, Michelangelo, despite his many links to the courts of Florence and Rome.«46 Die Frage, warum Leonardo und Michelangelo vielleicht keine eindeutig zu identifizierenden »unabhängigen« Selbstporträts schufen, soll hier nicht aufgeworfen werden. Vielmehr interessiert der Umgang der Forschung mit diesem Sachverhalt. Die Äußerungen Woods-Marsdens sind hierzu in doppelter Hinsicht aufschlussreich. Zum einen wird das für die Autorin offenbar Unfassbare, dass gerade Leonardo und Michelangelo keine autonomen Selbstporträts geschaffen haben sollen, angesprochen; ganz im Gegensatz zu vielen Forschungspositionen, in denen sich diese Selbstbildnisse unabhängig von ihrer Belastbarkeit offenbar schnell als Topoi etabliert haben. Des weiteren spricht Woods-Marsden im Konjunktiv über die fehlenden Selbstporträts, ganz so, als könne die Möglichkeitsform den Tatsachen ein Schnippchen schlagen. Wenngleich sie durch den Einsatz von »did« im letzten Satz des Zitats die Möglichkeitsform deutlich relativiert. Bewusst wird hier eine Ungewissheit konstruiert. Aus diesen Zeilen sind wesentliche Charakteristika des hier vorherrschenden »Denkstils« extrahierbar: zum einen das Verlangen nach Selbstporträts gerade »großer« Meister und zwar insbesondere nach »unabhängigen« Bildnissen, zum anderen  –  erkennbar durch die Wahl der Möglichkeitsform  –  die Konstruktion einer Ungewissheit, die einer Existenz von möglichen Selbstporträts noch Raum bietet. Mit dieser Einstellung ist eine wesentliche Tendenz dieses »Denkstils« erfasst, die offenbar als Missstand und Mangel empfundene Quellensituation verändern zu wollen. Woods-Marsden unterscheidet sich an dieser Stelle lediglich von der Mehrheit der kunsthistorischen Forschung, wenn sie im Gegensatz zu dieser die Absenz des »unabhängigen« Selbstporträts bei Leonardo und Michelangelo benennt. Kunsthistorische Vertreter dieses »Denkstils« empfinden die Situation offenbar als Leerstelle, die gefüllt werden muss. Der letzte Stand der Forschung bezüglich der Selbstdarstellungen Michelangelos war, als La Cava und Heimeran das Hautantlitz im Jüngsten Gericht entdeckten, dass es keine Selbst-

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bildnisse des Künstlers gäbe.47 Begeistert nahm man ihre These auf und hinterfragte sie bis heute kaum. Sie verleitete etablierte Kunsthistoriker sogar zu einer, wie Steinberg bemerkte, überraschend emotionalen Entgleisung, indem sie die Phrase einer »sensationel discovery« schriftlich fixierten.48 Die Entdeckung dieses Bildnisses schien eine solche Attraktivität mit sich zu bringen, dass auch der etablierte Michelangelo-Forscher Charles de Tolnay an ihr nicht unbeteiligt sein wollte. Im letzten Band seiner großen Monografie zu Michelangelo merkt er noch 1960 nach der pflichtgemäßen Nennung des »Entdeckers« an, dass auch er diese Beobachtung unabhängig von La Cava im Winter 1924 – 1925 gemacht habe. Um den Wahrheitsgehalt dieser Aussage zu bestätigen, vermerkt er, dass er damals seine Freunde Graf Karl Wilczek, Johannes Wilde und Arnold Schoen darüber in Kenntnis gesetzt habe. Die Praxis zeigt darüber hinaus aber auch ein grundlegendes Problem der Gattung: Offenbar gibt es keine dem Selbstporträt immanenten Merkmale, nach denen es von einem Porträt geschieden werden kann. Philippe Lejeune fasst die Problematik treffend zusammen: »Perhaps painting is unable to use the ›first person‹«.49 Verfügten wir über eindeutige Kriterien, anhand derer wir ein Selbstporträt erkennen könnten, erübrigte sich die hier darge­legte schwierige Forschungsdiskussion.50 Stattdessen sind in den vorgestellten Diskussionen stark individualisierte Argumentationen erkennbar, die durch Phantasie, aber oft auch durch das vom Autor gewünschte Ergebnis geleitet werden. Bereits Paul Barolsky, der sich in einem Aufsatz damit beschäftigte, wie Kunstgeschichtsschreibung  –  gerade in der Unsicherheit vieler Interpretationen  –  funktioniere, zeigte an einigen Künstlerselbstdarstellungen auf, dass bestimmte Identifikationen durchgeführt werden und Erfolg haben, weil es den Betrachtern gefällt, die Künstler in dieser Rolle zu sehen. Er untersuchte in diesem Zuge auch die Identifikation der Haut des Bartholomäus als Selbstdarstellung Michelangelos und konstatierte, dass dieser Künstler in besonderem Maße zu solchen Identifizierungen einlade.51 Auch Martin Warnke hatte bereits 1979 in seinem kurzen Beitrag Leonardo-Legenden bemerkt, dass der Kult um Leonardo vielmehr einer von uns selbst geleisteten Konstruktion als den tatsächlichen Quellen entspring: »So ist die poetische Phantasie an der Entstehung unseres Urteils über Leonardo stets stärker beteiligt gewesen als die historische Erkenntnis.«52 Inwiefern die Nationalitäten der Forscher und ihre jeweilige Wissenschaftskultur sowie ihre Profession (La Cava war Mediziner) eine Rolle bei ihrer Herangehensweise und Argumentation spielen oder aber auch ihre leitenden Fragestellungen prägen, muss an dieser Stelle offen bleiben.53 Dem in diesem Beitrag untersuchten »Denkstil«, dessen Ziel die Identifizierung eines Selbstbildnisses durch physiognomische Übereinstimmung und eindeutiges Quellenmaterial ist, sind jedoch Grenzen gesetzt: Er ist an die Funde neuer Quellen gebunden. Solange diese nicht präsentiert werden können, stagnieren die Ergebnisse bezüglich der Objekte und das bisher Erreichte wird oft zum Topos. Nur ein neuer Zugriff auf die scheinbar verfahrene Situation führt zu neuen Ergebnissen. So entledigt sich etwa Arasse sowohl des Datierungsals auch des Zuschreibungsproblems des Turiner Porträts durch die These, es handele sich um eine Maske, die ein bestimmtes Rollenmodel verkörpere.54 Ein solcher Zugriff dokumentiert die historischen Veränderungen des »Denkstils«.

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Das Selbstporträt als »nova vera icon« Unsere Beobachtungen zeigen, dass die Annahme, Leonardo und Michelangelo hinterließen vielleicht keine Selbstdarstellungen, in der kunsthistorischen Forschung offenbar schwer denkbar war. Aus diesem Grunde präsentiert uns die Forschung vehement eine Vielzahl davon. Hieraus wiederum ergibt sich die Frage nach dem Grund für diese energische Suche. Warum ist es offenbar substantiell, über ein Selbstporträt eines seine Epoche prägenden Künstlers verfügen zu können?55 Was erhofft sich die Forschung von diesem Selbstporträt, und was wiederum sagt dieses unbedingte Interesse über die Gattung aus? Um diese Fragen verfolgen zu können, muss vorab auf einige Voraussetzungen eingegangen werden: auf das schaffende Subjekt, den Künstler, und seine soziale Situation um 1500 sowie auf das von ihm geschaffene Objekt, das Selbstporträt. Hierbei ist es erforderlich, bis zum kunsthistorischen »Vorläufer« dieser Gattung, bis zur Figur der vera icon, zurückzugehen. Wenden wir uns zunächst der sozio-kulturellen Situation des Künstlers zu. Bereits eine Generation vor Leonardo und Michelangelo wurde das Projekt der sozialen Aufwertung des Künstlers und seines Berufstandes nicht nur über den Versuch betrieben, das eigene Tun als ars liberalis zu nobilitieren. Eine weitere Strategie lässt sich in der postulierten Gottähnlichkeit des Künstlers finden.56 Bereits Alberti bezeichnete den Künstler als alter deus.57 Dieses führte nachfolgend zu auffälligen Sakralisierungen insbesondere bei den durch den Kanon als sogenannte »große Meister« postulierten Künstlern. Sie wären wohl nicht diejenigen, als die sie uns heute gelten, ließen sich solche Sakralisierungen nicht auch bei Michelangelo und Leonardo finden. Ascanio Condivi und Vasari etwa rücken Michelangelo in ihren Biografien in die Nähe des Heiligen und Göttlichen.58 Nicht zuletzt die von Vasari berichtete Anekdote über den unverwesten Leichnam Michelangelos illustriert das. Obwohl schon fünfundzwanzig Tage verstorben, sei der Leichnam Michelangelos, als er nach der Überführung von Rom nach Florenz begutachtet wurde, nicht verwest und auch »frei von jeglichem Gestank« vorgefunden worden; wesentliche Merkmale der Leichname Heiliger sind hiermit benannt.59 Viktor I. Stoichita fasste den Sachverhalt treffend zusammen: »Ein neuer Typus der Reliquie ist geboren und ein neuer Kult entsteht: der Künstlerkult.«60 Diese Reliquien lassen sich nicht nur ganz klassisch im physischen Körper der Verehrten finden, sondern ebenso in ihren Kunstwerken und den Abbildungen des Künstlers selbst. Vasari beschreibt Pietro Aretinos sehnlichen Wunsch, einer Handzeichnung Michelangelos habhaft zu werden. Dieses verweigert ihm der Künstler allerdings zu Lebzeiten. Als Aretino sich nun nach dem Ableben Michelangelos den Wunsch nach der Zeichnung erfüllen konnte, behandelte er sie wie eine Reliquie.61 Den Terminus »Reliquie« finden wir auch in der Beschreibung der memoria Leonardos wieder. Hier ist es Melzi, der, Vasari folgend, neben einem Corpus anatomischer Zeichnungen seines Lehrers ein Bildnis Leonardos besitze und diese Hinterlassenschaften wie Reliquien verehre.62 Eine solche Erwartungshaltung scheint auch bei den Kunsthistorikern der Moderne keine Veränderung erfahren zu haben, die Sprache der späteren kunsthistorischen Forschung ver-

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rät uns zwischen den Zeilen oft eine ähnliche Auffassung. So spricht Heimeran am Anfang seiner Untersuchung von der Pilgerschaft nach Michelangelos Bildnis, auf der man sich befinde, im letzten Satz davon, »einen ehemaligen Armsünderweg zu einem honetten Weg zu machen, auf dem es sich lohne, weiterzugehen.« Und er schließt: »Denn es beglückt, den Meistern nahe zu sein.«63 Heimeran, dem Sünder, wird durch die Pilgerschaft, die Suche und das Auffinden des Bildnisses, der Reliquie, Heil und Glück zuteil. In diesem Sinne verglich bereits Barolsky die Bildnisse von Künstlern mit den Reliquien der Heiligen: »Our impulse to find portraits of artists […] is similar to the desire in the Middle Ages and Renaissance to gather the relics of saints, only now the images of artists have become our relics. When we see the portraits of artists before our very own eyes, when we project them into works of art, we behold our cultural heroes as if they were present or, rather, as if we were in their presence.«64 Um den im Folgenden hergestellten Zusammenhang zwischen dem Selbstporträt der Frühen Neuzeit und der vera icon besser nachvollziehen zu können, muss die Figur der vera icon bezüglich ihrer Bedingungen und Wirkung an dieser Stelle skizziert werden. Gewissermaßen kann sie als »Grundstein« der Gattung Porträt bezeichnet werden. Gleichzeitig kann sie aber wohl auch als die für eine Bildwissenschaft interessanteste Form der Reliquie betrachtet werden: »Es führt ein Weg von den Modellen der imitatio Christi zur Mimesistheorie der Renaissance«, formulierte Gerhard Wolf 2002.65 Sein Anliegen war es, aufzuzeigen, wie sich die Entwicklung neuer Bildkonzepte in der Renaissance in der Auseinandersetzung mit der Figur der vera icon vollziehe. Der Terminus vera icon bezeichnet eine Bildgattung, die den Anspruch erhebt, das wahre Bild Christi zeigen zu können. Auf wundersame Weise habe sich ein Abdruck des Antlitzes Christi auf dem Schweißtuch der Veronika erhalten, das sie ihm auf dem Kreuzweg gereicht hatte. Ende der Spätantike tauchten Bilder auf, die den Anspruch erhoben, das authentische Aussehen Christi wiederzugeben.66 Als Beleg der Authentizität wird dieses auf einem gemalten Schleier oder einer die Stofflichkeit eines velums imitierenden Bilduntergrund wiedergegeben.67 Das »echte Bild« Christi ist nicht durch Menschenhand gemacht (acheiropoíeton). Es entsteht durch Wunder und tritt oft ebenso wunderbar in Erscheinung. Werke dieser Gattung zeugen durch eine doppelte Authentizität von ihrer Echtheit: zum einen durch den erfolgten Körperkontakt mit dem Bildträger, zum anderen durch die physiognomische Ähnlichkeit des Dargestellten, wobei der Kontakt mit dem Medium die notwendige Bedingung für ihre Echtheit stellt.68 Hans Belting beschäftigte sich nach Bild und Kult in seiner Studie Das echte Bild 2005 erneut mit dem Bedürfnis des Menschen nach dem wahren Bild und zeigte, wie die europäische Religionsgeschichte unsere Bildbegriffe und unser Bilddenken bestimmt: »Bildpraktiken begannen einmal als Glaubenspraktiken«, konstatierte er einmal mehr, um im Folgenden die Prägung abendländischen Bilddenkens durch die christliche Religion bis heute zu beleuchten: »Im Falle der Bilder stehen wir auch nach der großen Wende, die mit

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der Säkularisierung begann, immer noch im Banne von Bildbegriffen, Bildwünschen und Bildängsten, die in der Religion geboren wurden.«69 In diesem Sinne hatte bereits Wolf die Ergebnisse David Freedbergs aus The Power of Images gedeutet, wenn er davon spricht, dass die »anthropologisch verankerte Macht des Bildes nicht notwendig« durch die »mimetische Ordnung« gebrochen würde.70 Belting wiederum stellte einen Bezug zwischen verae icones und sekundären Reliquien her: »[Der] Abdruck vom lebenden Gesicht Jesu war deshalb so wichtig, weil er eine sichtbare Körperspur in sich trug. […] Durch den Abdruck eines echten Körpers auf einem Stück Stoff führten sich einige Bilder mit der gleichen Evidenz ein, wie sie damals ›Berührungsreliquien‹ der Heiligen besaßen, also sekundäre Reliquien, welche die Wunderkraft der Knochen auf einen Abdruck übertrugen. Auch Bilder Christi wurden ganz handgreiflich zu Reliquien, wenn sie gemäß der Überlieferung mit dem echten Körper Jesu ›Tuchfühlung‹ besessen hatten.«71 Wenn jedoch der Gegenstand des neuen Kultes, der Künstler, sich selbst in einem Bildnis zeigt, haben wir es mit einem der vera icon vergleichbaren Bild zu tun, das lediglich darin von ihr differiert, dass es nicht zwingend en face ausgerichtet sein muss. Diese Form der vera icon zeigt nicht mehr das Kultobjekt der christlichen Religion, sondern das des Künstlerkultes, den Künstler selbst: eine vera icon, die die »Körperspur« des malenden, zeichnenden oder skulptierenden Künstlers trägt und damit zur Reliquie wird. Ebenso lässt sich eine Parallele bezüglich des »In-Erscheinung-Tretens« in der Kunstgeschichte ausmachen. Auch »echte Bilder« treten ganz plötzlich und sehr viel später als sie eigentlich entstanden sind, an das Licht der Öffentlichkeit, wobei ihre vorherige Nichtexistenz verschleiert wird.72 Dieser Status des Selbstbildnisses, vergleichbar einem acheiropoíeton, mag nicht nur seine Attraktivität erklären, sondern auch die Frage beantworten, warum ein Fremdbildnis eines Künstlers nicht ausreichend ist, um das Bedürfnis des Betrachters zu befriedigen. Es muss ein eigenhändiges sein, denn nur die Eigenhändigkeit ist in der Lage die für eine Kontaktreliquie notwendige »Körperspur« zu erzeugen. Aus diesen Überlegungen heraus lässt sich die Beobachtung der imitatio Christi Dürers in seinem Selbstporträt von 1500 (München, Alte Pinakothek) noch einmal ganz anders begreifen. Zu diesem Schluss gelangte bereits Belting: Dem Maler »musste daran gelegen sein, das künstlerische Selbstbildnis, das er in der deutschen Kunst als Erster in Angriff nahm, als Suche nach einem Urbild auch theologisch zu begründen«.73 In dieser Art ließe sich meines Erachtens die Gattung des Selbstporträts nicht nur in der Entstehung ihres Bildkonzeptes, sondern in einer andauernden Auseinandersetzung mit der Figur der vera icon begreifen. So sind noch in Helene Schjerfbecks Selbstporträt mit rotem Punkt von 1944 in dem lediglich schemenhaft angedeuteten Gesicht mit seinen aufgebrochenen Konturen und dem wie ein Tuch wirkenden hellen Bildgrund Bezüge zum berühmten Antlitz auf dem velum zu finden.74 Dass der um den Kopf gelegte etwas dunklere Hintergrund diesen wie eine Aureole rahmt,

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verdichtet wiederum die Hinweise auf die vera icon. Mit dieser Idee spielte vielleicht auch Francis Picabia, als er 1915 sein Maschinen-Selbstporträt Le Saint des Saints nannte.75 Auch wenn es sich meines Erachtens bei dem hier geschilderten Zusammenhang zwischen Selbstporträt und vera icon um die stärkste Motivation ihrer »Entdeckung« handelt, spielen weitere Begehrlichkeiten bezüglich der Selbstporträts eine Rolle. Lejeune schildert das fast voyeurhafte Überraschen des Künstlers bei der Selbstbetrachtung als Möglichkeit der Fiktion direkter Zeitgenossenschaft und damit einer authentischen Erfahrung der Vergangenheit.76 Darüber hinaus lade die Gattung dazu ein, »Fabeln«  –  ein Begriff, den Barolsky für dieses Phänomen favorisiert  –  um den Künstler zu erfinden oder aber, wie Lejeune es formuliert, Selbstbildnisse »become for the onlooker the occasion to play psychologist, to compose little novels, to imagine dramas, to read the passage of time«.77 Diese Beobachtung widerspricht nicht unbedingt der These des Selbstporträts als nova vera icon, galt diese doch als »Modell von Geschichtlichkeit und Constituens« westlicher Kultur.78 Das Erfahren von Glücksmomenten durch Kenntnis des Aussehens einer Person schilderte bereits der eingangs zitierte Plinius.79 Und auch Heimeran sprach von dem Glück, »den Meistern nahe zu sein«.80 Dem Selbstporträt komme eine Schlüsselfunktion in der Erklärung des Œuvres zu, begründet er sein Untersuchungsziel: »Die Augen der Verehrung begehren nach dem Angesicht des Verehrten, und seine Werke wecken das Verlangen zu ihm selbst als dem Schlüssel alles von ihm Ausgehenden, alles in ihn Eingehenden.« Heimeran schreibt weiter:

»So sind zu Michelangelos Gestalt die Jahrhunderte auf der Pilgerschaft und sie wandern aus seinen sichtbar gewordenen Werken in seine Briefe und Gedichte und aus den Buchstaben der Archive in die Zeichen der Galerien, sein Bildnis aufzuspüren. Denn sie fühlen, dass ihnen alle Deutungen seines Werkes im Munde abgeschnitten werden, wenn sie nicht aus ihm heraus, mit seinen Augen sehen lernen, wenn sie nicht lernen seine Lippen nachzuformen um die Worte zu sprechen, als wären es seine Worte, wenn sie nicht nachspüren den Zugriff seiner Hand.«81 Das Bild des Künstlers wird hier gleichsam zur elementaren Verständnishilfe für das Œuvre. Ein »Penetrieren« der Seele Leonardos durch Kenntnis seines Aussehens, das Marco Carpiceci vorschwebte, oder aber Emil Möllers Annahme, Leonardos »ganz persönlichen Geist« in seinem Selbstporträt abgebildet zu sehen, hat ein Ziel, nämlich das Verstehen des Werkes.82 Mehr noch, über den abgebildeten Körper des Künstlers erhofft sich der Betrachter die Möglichkeit, in ihn hineinzuschlüpfen, mit ihm eins zu werden, selbst zum Künstler zu werden; eine unio mystica, auf die uns bereits die Annäherung La Cavas an seinen Untersuchungsgegenstand vorbereitete und die den argumentativen Zirkel zum Kultbild wieder schließt. Die Bemächtigung seines Blicks, seiner Sprache, seiner Hand sind existenziell: Der Betrachter meint, den Körper des Künstlers zu brauchen, um sich sein Œuvre aneignen zu können. Wenn sich uns die im Selbstbildnis gefühlte Realpräsenz des Künstlers entzieht  – 

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durch Zweifel an der Identifikation der Person, der Eigenhändigkeit und/oder aber der Erkenntnis, dass der Künstler hier self-fashioning betreibe und uns lediglich seine Maske anbiete  – , dann wird das Interesse der Forschung an diesem Werk meist geringer. Durch die Erkenntnis, das reale Gesicht des Künstlers wohl nicht greifen zu können, scheint das Porträt oft seine Wirkung zu verlieren: »Diese Spur soll hier nicht weiterverfolgt werden«, schreibt Arasse nach seiner Behauptung, das Turiner Porträt stelle eine Maske dar, und wendet sich anderen Themen zu.83 Das Eingestehen der Unmöglichkeit des Zugriffs auf die körperliche Realpräsenz des Künstlers beraubt das Porträt seiner Wirkung. Ein Selbstporträt, das den Wortteil des »Selbst« verloren hat, verschwindet aus dem Fokus des Interesses. Behandelt werden nun nur noch seine disparate Forschungsgeschichte und die Tatsache, dass es unser Bild des Künstlers geprägt hat. So findet es denn auch keinen Eingang mehr in Sammlungen bekannter Selbstporträts, wie sie vor einigen Jahren Ulrich Pfisterer und Valeska von Rosen herausgegeben haben: Des Selbst entzaubert, wird das Werk ausgespart.84

Selbstporträt und eigenhändige Zeichnung Neben Selbstbildnissen verspricht jedoch auch eine andere Gattung, dem Künstler in besonderer Weise nahe sein zu können. Es handelt sich hierbei um die Handzeichnung, der auch die in diesem Beitrag untersuchte Rötelzeichnung Leonardos zuzuordnen ist.85 Bereits Roger de Piles sprach Zeichnungen die Fähigkeit zu, etwas über den Charakter des Künstlers offenbaren zu können: »En faisant un Dessein, il s’abandonne a son génie, & se fait voir tel qu’il est.«86 Während des 19. Jahrhunderts erlebte die Kennerschaft ihre höchste Konjunktur, jener Zweig der Kunstgeschichte also, der sich unter anderem mit der Attribution von Kunstwerken, insbesondere Zeichnungen, beschäftigt. Die französische Revolution und die durch sie ausgelösten Ereignisse blieben auch für Kunstsammlungen nicht folgenlos. Zahlreiche Sammlungen wurden zwangsläufig aufgelöst und etliche Werke gingen verloren, viele zirkulierten hierdurch jedoch auch wieder frei, wurden begutachtet und identifiziert. Aber auch der »Aufstieg des Bürgertums, das Entstehen, aber auch das Zerfallen großer Vermögen haben damals dem Sammeln von Zeichnungen neue Impulse verliehen«.87 Gerade während des 19. Jahrhunderts bereisten die Kunstagenten der zumeist neu gegründeten Museen den Kontinent, immer auf der Suche nach interessanten Werken für ihre Sammlungen.88 Unter Berücksichtigung dieser Situation scheint es nun kein Zufall mehr, dass das Turiner Rötelporträt ausgerechnet in dieser Zeit in das Licht der Öffentlichkeit tritt. Beide Gattungen haben neben dem besonderen Versprechen, dem Künstler nahe sein zu können, ein weiteres tertium comparationis: den ökonomischen Vorteil. Bereits Walter Koschatzky listete den »rein materiellen Wert […] als Spekulations- und Gewinnchance« als ersten möglicher Gründe für das Interesse an der Gattung der Zeichnung.89 Wird eine Zeichnung einem den Kunstmarkt interessierenden Künstler zugeschrieben, steigt ihr Wert. Ebenso steigt die Attraktivität eines Porträts, wenn es nicht nur eigenhändig gefertigt wurde,

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5  Michelangelo Buonarroti: Sonett und Selbstdarstellung, vermutlich 1511 – 1512, Feder und Tinte auf Papier, 28,3 × 20,0 cm, Florenz, Archivio Buonarroti

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sondern den Urheber selbst zeigt, Autor und Sujet des Werkes also eine Personalunion bilden. Nicht ganz unerheblich für den Wert eines Werkes ist dabei der »Rang« eines Künstlers im kunsthistorischen Kanon; ganz abgesehen davon, dass bekannte Künstlernamen oft Grundlage von Sammlungssystemen sind und somit der Name ein Objekt gegebenenfalls für eine bestimmte Sammlung erst interessant macht.90 Bereits Alberti thematisierte den Zusammenhang zwischen den Preisen des Kunstmarktes und dem gottgleichen Rang des Künstlers.91 Und so kann auch diese Argumentationsfigur wieder bei der Annahme von Selbstporträts als Reliquien beendet werden; wie die Reliquien von Heiligen stets die Ökonomie ihrer Aufbewahrungsorte gefördert haben, zeigen die Fallbeispiele zahlreicher Pilgerstätten. Künstlerselbstdarstellungen, die keinen Inhalt für den Künstlerkult bieten, werden daher kaum als solche wahrgenommen. Zu Recht lässt sich fragen, ob sich der kunstinteressierte Mediziner La Cava von der skizzierten Selbstdarstellung, die Michelangelo neben eines seiner Sonette setzte, zu ebenso euphorischen Äußerungen hätte hinreißen lassen, wie von der abgezogenen Haut des Bartholomäus |Abb. 5|. Über die Bild-Text-Relation erschließt sich die Zeichnung als eine Illustration der Verszeilen und sichert gleichzeitig Identität und Eigenhändigkeit der Selbstdarstellung. Die lediglich aus Konturen bestehende Darstellung zeigt eine Figur, die sich in die Höhe reckt, um eine weitere Figur an die Decke zu zeichnen. Sie zeigt keinerlei individuelle Merkmale, nicht einmal ihr Geschlecht ist erkennbar. Obwohl sich uns der Künstler in einer Ganzkörperdarstellung zeigt und diesen Körper leer lässt, ihn uns also anbietet, um in ihn »hineinzuschlüpfen« und durch ihn nicht nur seine Kunst zu sehen, sondern hier gleichsam mit zu erschaffen, verweigert der Betrachter dieses Angebot. Ein »leerer« Künstler, der nur durch die Texterklärung als solcher erkennbar ist, zeichnet sich durch Absenz aus, er verspricht keine Ergebnisse, gibt keinen Grund zur Verehrung. Das »Strichmännchen« stellt sich schlicht und ergreifend als nicht ausreichend dar, das Bedürfnis zu befriedigen, auf das Antlitz der charismatisch aufgeladenen Persönlichkeit zu schauen. Darüber hinaus mag wohl auch das Kunstwerk, das die Porträtskizze uns zum »Miterschaffen« anbietet, wenig attraktiv und verstörend wirken. Zwar erkennen einige Interpreten in ihm die Gestalt Gottvaters der Sixtinischen Decke, der gerade Sonne und Mond erschafft, jedoch grenzt seine Form fast schon an eine Verletzung des decorums.92 Wie bereits Irving Lavin bemerkte, sei die Darstellung amateurhaft, fast kindlich grob gearbeitet, während die des Künstlers hingegen elegant gezeichnet wurde.93 Das »Strichmännchen« erstellt also gerade eine Kinderzeichnung. Eine Selbstdarstellung, die die eigene Kunst als wenig vielversprechende Kinderzeichnung präsentiert, zeugt von einem Höchstmaß an Ironie gegenüber dem eigenen Schaffen. All dies passt wenig in das Bild des Betrachters von einer Renaissance, bevölkert von großen Künstlergenies, in deren Mitte Michelangelo, il divino, residiert. In ein Bildgeschehen wie Michelangelo es auf dieser Zeichnung anbietet, möchte der Selbstbildnisjäger nicht hineingezogen werden und lässt den sich ihm in Form seines »Strichmännchens« anbietenden Künstler also einfach stehen. So ist denn wohl der horror vacui der Kunsthistoriografie sowie der Kult um das Bild vom Selbst dafür verantwortlich, dass diese Darstellung Michelangelos erst spät als Selbstdarstellung bezeichnet wurde.94

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1  Vgl. Francesco La Cava: Il volto di Michelangelo scoperto nel Giudizio finale. Un dramma psicologico in un ritratto simbolico, Bologna 1925, S. 1 u. S. 8 – 9. 2  Die von mir verwendete Terminologie für Selbstporträts orientiert sich an Gottfried Boehms Unterscheidung von Selbstdarstellungen und Selbstbildnissen. Während für ihn Selbstdarstellungen etwa Selbstporträts in assistenza bezeichnen, wird der Begriff Selbstbildnis von Boehm lediglich für »Selbstbildnisse im Sinne der Gattung« verwandt; vgl. Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985, S. 234. 3  Zur Identifizierung weiterer Selbstdarstellungen nach dem Turiner Porträt vgl. etwa Giorgio Nico­ demi: Il volto di Leonardo, in: Leonardo da Vinci. Mostra leonardesca di Milano, Ausstellungskatalog, Palazzo dell’Arte, Mailand 1939, S. 9 – 1 7, S. 12; Otto J. Brendel: The likeness of Leonardo da Vinci, in: Actes du 17me congrès international d’histoire de l’art, La Haye 1952, S. 311 – 314; Robert Herrlinger: Ein neues Selbstbildnis Leonardos?, in: Zeitschrift für Kunstwissenschaft 7/1953, S. 47 – 56; Susan V. Lenkey: An unknown Leonardo self-portrait. Revision of the authorship of the Alexander the Great Relief in the National Gallery of Art, Washington D.C., Stanford 1963; Johannes Nathan: Profilstudien, Charakterköpfe und groteske Köpfe, in: Frank Zöllner: Leonardo da Vinci. 1452 – 1519. Sämtliche Gemälde und Zeichnungen, Bd. 2, Köln 2011, S. 366 – 387, S. 366. 4  Entgegen dem gebräuchlichen Begriff des »autonomen« Selbstporträts nutze ich Stoichitas Terminus des »unabhängigen« Selbstporträts; vgl. Victor I. Stoichita: Das selbstbewusste Bild. Vom Ursprung der Metamalerei, München 1998 (Bild und Text), S. 235. Hierin folge ich Valeska von Rosen, die auf die problematische Semantik des »autonomen« Selbstporträts verweist; vgl. Valeska von Rosen: Selbstportrait. Der Künstler als alter deus, in: Handbuch der Bildtheologie, Band IV: Kunst und Religion (hrsg. v. Reinhard Hoeps), Paderborn (im Druck). 5  »[Q]uin immo etiam, quae non sunt, finguntur, pariuntque desideria non traditos voltus, sicut in Homero evenit. Quo maius, ut equidem arbitror, nullum est felicitatis specimen quam semper omnes scire cupere, qualis fuerit aliquis.« Plinus, Nat. hist., 35, 2,9 – 10; zit. nach C. Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde. Lateinisch  –  deutsch, Bd. 35 (hrsg. v. Roderich König u. Gerhard Winkler), Darmstadt 1978, S. 16 – 19. 6  Zum Begriff »Denkstil« (und dem damit unmittelbar verbundenen »Denkkollektiv«) vgl. Ludwik Fleck: Entstehung und Entwicklung einer wissenschaftlichen Tatsache. Einführung in die Lehre vom Denkstil und Denkkollektiv [1935] (hrsg. v. Lothar Schäfer u. Thomas Schnelle), Frankfurt am Main 2012. 7  Vgl. in der genannten Reihenfolge Robert Payne: Leonardo, New York 1978; Arthur Ewart Popham: The Drawings of Leonardo da Vinci, London 1946, S. 67; Emil Möller: Wie sah Leonardo aus?, in: Belvedere 9 – 10/1926, S. 29 – 46, S. 33; Giuseppe Dondi: Leonardo, il Piemonte e i piemontesi, in: Cronache economiche 7 – 8/1975, S. 13 u. Anm. 81; Hans Ost: Das Leonardo-Porträt in der Kgl. Bibliothek in Turin und andere Fälschungen des Giuseppe Bossi, Berlin 1980, S. 13 – 1 4; From Leonardo to Rembrandt. Drawings from the Royal Library of Turin (hrsg. v. Gianni Carlo Sciolla), Ausstellungskatalog, Biblioteca Reale Turin, 1990, S. 40 – 4 1, Kat.-Nr. 10 (Carlo Pedretti), S. 40. 8  Vgl. Möller 1926, S. 32. Auch Carlo Pedretti datiert die Inschrift in das 16. Jahrhundert; vgl. id. 1990, S. 40. 9  Vgl. bezüglich der Diskussion um das Alter des Porträtierten die ältere Forschung; Möller 1926, S. 33; Pedretti 1990, S. 40. Zur visuellen Differenz bezüglich des Windsor-Blattes vgl. Pedretti 1990, S. 40; Nathan 2011, S. 366. 10  Ost listet vierzehn Gründe auf, die seiner Meinung nach gegen die Authentizität des Turiner Blattes sprechen; vgl. Ost 1980, S. 123 ff. Zur Diskussion um Osts Schrift vgl. die Rezension Sylvia Ferino-Pagdens und den sich hieraus entwickelnden Disput zwischen Ost und ihr in verschiedenen Ausgaben der

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Kunstchronik im Jahr 1982; vgl. auch David Alan Brown: Leonardo’s »Head of an Old Man« in Turin. Portrait or Self-Portrait?, in: Miklós Boskovits: Studi di storia dell’arte in onore di Mina Gregori, Cinisello Balsamo 1994, S. 75 – 78, S. 78. Aufschlussreicher als dieser Austausch scheint mir jedoch für eine Beurteilung von Osts Ergebnissen die Feststellung zu sein, dass offenbar die Destruktion von Geniekult, beziehungsweise das »Enttarnen« bestimmter Werkkategorien als Konstruktionen der Kunst­historio­ grafie, leitendes Erkenntnisinteresse in Osts kunsthistorischem Œuvre gewesen ist. Diese Zielsetzung ist offenbar zuweilen so leitend, dass ihm nachweislich bekannte Fakten unterschlagen werden, damit die These wie gewünscht aufgeht; vgl. Valeska von Rosen: Mimesis und Selbstbezüglichkeit in den Werken Tizians. Studien zum venezianischen Malereidiskurs, Emsdetten u. Berlin 2001, S. 370 – 3 75, S. 373. 11  »TAVOLA PRIMA. Testa di vecchio calvo barbato con capelli e ciglia lunghe. Credo sia il ritratto di Leonardo per un passo di Lomazzo, che ho fatto incidere sotto di essa. Questa stampa, di mano del signor Giuseppe Benaglia, non fu presa dal disegno originale di Leonardo (che ora s’ignora dove esista), ma da una copia fattane dal signor Raffaello Albertolli.« Giuseppe Bossi: Del Cenacolo di Leonardo da Vinci. Libri Quattro, Mailand 1810, S. 263. 12  Vgl. Carlo Pedretti: Documenti e memorie riguardanti Leonardo da Vinci a Bologna e in Emilia, Bologna 1953, S. 116. 13  Vgl. Ost 1980, S. 69 u. S. 124 – 1 25. 14  Daniel Arasse: Leonardo da Vinci, Köln 2002, S. 31. 15  Vgl. Pedretti 1953, S. 116. 16  Vgl. id. 1990, S. 40. 17  Vgl. Beltrami 1919, S. 6 – 7; Möller 1926, S. 31, Anm. 1. u. S. 33 f., Anm. 1. 18  Vgl. Arsène Houssaye: Histoire de Léonard de Vinci, Paris 1869, S. 439. 19  Vgl. Charles Clément: Michel-Ange, Léonard de Vinci, Raphael avec une étude sur l’art en Italie et des catalogues raisonnés historiques et bibliographiques, Paris 1866; Gilberto Govi (Hrsg.): Saggio delle opere di Leonardo da Vinci […], Mailand 1872. 20  Herrlinger 1953, S. 47. 21  Ibid., S. 48. 22  Vgl. Giorgio Nicodemi: I »ritratti« di Leonardo da Vinci, in: Raccolta Vinciana 15 – 16/1934 – 1939, S. 3 – 2 1, S. 14 – 16. 23  Vgl. Ernst Steinmann (Hrsg.): Die Porträtdarstellungen des Michelangelo, Leipzig 1913. 24  Vgl. Bernard Berenson: The Drawings of the Florentine Painters, Bd. 1, Chicago u. London, 2. Auflage 1970, S. 221; Frederick Hartt: Michelangelo in Heaven, in: Artibus et historiae 13/1992, S. 191 – 209; Bernardine Barnes: Skin, Bones and Dust. Self-Portraits in Michelangelo’s »Last Judgement«, in: The Sixteenth Century Journal 35/2004, S. 969 – 986; Aileen June Wang: Michelangelo’s self-fashioning in text and image, Phil. Diss., The State University of New Jersey, New Brunswick 2005, S. 66. 25  Zur Nacktheit des Heiligen vgl. Rudolf Preimesberger: Michelangelo Buonarroti, in: Ulrich Pfisterer u. Valeska von Rosen (Hrsg.): Der Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 2005, S. 52 – 53, S. 52.

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26  Vgl. Karl Frey: Der literarische Nachlass Giorgio Vasaris, Bd. 1, München 1923, S. 148. 27  Vgl. Wang 2005, S. 64. 28  Die Beischrift wird von der kunsthistorischen Forschung oft als eine Art Legende oder alternative Signatur interpretiert; vgl. Charles de Tolnay: Michelangelo. The final period; last judgement; frescoes of the Pauline Chapel; last Pietàs, Princeton 1960, S. 119; Leo Steinberg: The Line of Fate in Michelangelo’s Painting, in: Critical Inquiry 6/1980, S. 411 – 454, S. 424; Bernardine Barnes: Michelangelo’s Last Judgement. The Renaissance Response, Berkeley et al. 1998, S. 155; Wang 2005, S. 64 f. 29  Vgl. Wang 2005, S. 65 u. S. 68. 30  Vgl. La Cava 1925, S. 1. 31  Vgl. Gaudia Incorpora: Il medico La Cava ed il volto di Michelangelo, in: Calabria sconosciuta 15/1992, S. 73 – 73, S. 73. 32  Vgl. Ernst Heimeran: Michelangelo und das Porträt, München 1925, S. 3 u. S. 88. 33  Vgl. ibid., S. 3. 34  Ibid., S. 103. 35  Vgl. ibid., S. 5 f. 36  La Cava 1925, S. 60 (»Aber dann genügte es mir, meinen Blick dem zornigen und leidvollen Gesicht in der Haut des Bartolomäus zuzuwenden, damit jede Unsicherheit verschwände«). 37  Ernst Steinmann u. Rudolf Wittkower: Michelangelo-Bibliographie. 1510 – 1926, Leipzig 1927, S. 213 (hier auch zur frühen Rezeption und zum einzigen Widerspruch gegen die »Entdeckung«); vgl. bereits Rudolf Wittkower: Ein Selbstporträt Michelangelos im Jüngsten Gericht, in: Kunstchronik und Kunstmarkt 35/1925 – 26, S. 366 – 367. 38  Vgl. Giuseppe Signorini: L’autoritratto e i ritratti di Michelangelo, in: Emporium 61/1925, S. 377 – 384. 39  Vgl. Barnes 2004, S. 974; Wang 2005, S. 66; Frank Zöllner: Michelangelo. 1475 – 1564. Das vollständige Werk, Köln 2007, S. 462. 40  Vgl. Barnes 2004. 41  Vgl. Alberto Tulli: Il volto di Michelangelo nella capella Sistina scoperta o illusione?, in: Per l’Arte Sacra 2/1925, S. 113 – 116; Carlo Angeleri: L’autoritratto di Michelangelo nel Giudizio universale. Lo videro i contemporanei?, in: Miscellanea 1942, S. 231 – 251; Anthony Hughes: Michelangelo, London 1997, S. 254. 42  Zöllner 2007, S. 464. Ein gutes Resumé früherer Literatur ist Michael Rohlmann: Michelangelo’s »Jüngstes Gericht« in der Sixtinischen Kapelle. Zu Themenwahl und Komposition?, in: id. u. Andreas Thielemann (Hrsg.): Michelangelo. Neue Beiträge, Akten des Michelangelo-Kolloquiums (Köln 1996), München u. Berlin 2000, S. 205 – 234, S. 231. 43  Vgl. Preimesberger 2005, S. 52; Wang 2005, S. 62 u. S. 98. 44  Vgl. de Tolnay 1960, S. 118 f.

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45  Vgl. Barnes 2004, S. 974 ff. Auf die unterschiedlichen Deutungen der Selbstdarstellung  –  es lassen sich hier drei Hauptrichtungen der Interpretation aufzeigen  –  soll in diesem Beitrag nicht eingegangen werden. Eine Zusammenstellung ist in Rohlmann 1999, Anm. 45, Barnes 2004 und Hub 2005, Anm. 53, zu finden; vgl. Zöllner 2007, S. 464. 46  Joanna Woods-Marsden: Renaissance self-portraiture. The visual construction of identity and the social status of the artist, New Haven 1998, S. 2. Sie zweifelt zwar nicht an gängigen Zuschreibungen von Selbstdarstellungen Michelangelos wie etwa der Haut im Jüngsten Gericht, sieht diese Darstellungen jedoch als selbstreferentielle Bildnisse nicht als Selbstporträts; vgl. ibid., S. 254. 47  Vgl. La Cava 1925, S. 5 – 8; Heimeran 1925, S. 5. 48  Vgl. Steinberg 1980, S. 449, Anm. 22. Zum Bild der »sensationellen Entdeckung« als Faktor von Selbstetablierung historischer Disziplinen vgl. Falko Schnicke: Die männliche Disziplin. Zur Vergeschlechtlichung der deutschen Geschichtswissenschaft 1780–1900, Göttingen 2015, S. 361 ff. Dieser kann eine parallele Entwicklung für die Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts nachweisen. 49  Philippe Lejeune: On Autobiography (hrsg. v. Jean Paul Eakin), Minneapolis 1989 (Theory and History of Literature, Bd. 52), S. 110. 50  In der Forschung diesbezüglich diskutierte Merkmale führt Cazzola auf; vgl. Fabiana Cazzola: Im Akt des Malens. Aspekte von Zeitlichkeit in Selbstporträts der italienischen Frühen Neuzeit, Paderborn 2013, S. 36 – 3 7. 51  Vgl. Paul Barolsky: Art History as Fiction, in: artibus et historiae 34/1996, S. 9 – 1 7. 52  Martin Warnke: Leonardo-Legenden, in: Heinrich Klotz (Hrsg.): Künstler, Kunsthistoriker, Museen. Beiträge zu einer kritischen Kunstgeschichte, Luzern u. Frankfurt am Main, 1979, S. 9 – 15. 53  Verschiedentlich wird La Cavas Profession als Grund dafür gesehen, dass er die Selbstdarstellung Michelangelos entdeckt habe, er sei auf Grund seiner Ausbildung als Mediziner frei von kunsthistorischen »Regeln«; vgl. Steinberg 1980, S. 423, Anm. 12. 54  Vgl. Arasse 2002, S. 30 – 32. 55  Dass die Positionierung Leonardos und Michelangelos in einer Hierarchisierung von Künstlern qua Bedeutung ebenfalls ein Produkt der Kunstgeschichtsschreibung ist, schmälert die Relevanz der hier gestellten Frage nicht, da diese versucht, weitere immanente Muster und Kategorien einer ebenso funktionierenden Kunstgeschichtsschreibung offen zu legen. Die Vermutung, dass das nicht vorhandene Selbstbildnis bei Leonardo und Michelangelo ein größeres Problem darzustellen scheint als bei anderen Künstlern, was sicherlich mit ihrer Stellung innerhalb des Künstlerkanons und dem Geniekult um beide in Zusammenhang steht, kann an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden. 56  Zu den beiden Bezugsrahmen frühneuzeitlicher Selbstporträts, dem humanistischen und dem christlich-religiösen, vgl. demnächst auch von Rosen (im Druck). 57  Vgl. Leon Battista Alberti: Della Pictura. Über die Malkunst (hrsg. v. Oskar Bätschmann u. Sandra Gianfreda), Darmstadt 2002, S. 25 u. S. 26, S. 100 – 105. Zum Topos des Künstlers als alter deus und dessen spezifischer Verbindung zum Selbstporträt vgl. von Rosen (im Druck). 58  Vgl. Ascanio Condivi: Das Leben des Michelangelo Buonarroti [1553] (übers. v. Rudolph Valdek), Wien 1874; Giorgio Vasari: Das Leben des Michelangelo [1568] (hrsg. v. Caroline Gabbert), Berlin 2009; Frank Zöllner: Leonardo und Michelangelo. Vom Auftragskünstler zum Ausdruckskünstler, in: Maren Huberty u. Roberto Ubbidiente (Hrsg.): Leonardo da Vinci all’Europa. Einem Mythos auf den Spuren,

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Berlin 2005 (Romanice. Berliner Schriften zur romanischen Kultur- und Literaturgeschichte, Bd. 22), S. 131 – 167, S. 158 – 159. 59  Vgl. Vasari 2009, S. 219 – 220; Zöllner 2005, S. 158 – 159; Stoichita 2008, S. 49. 60  Stoichita 2008, S. 49. 61  Vgl. Frey 1923, S. 35 – 39. 62  Vgl. Giorgio Vasari: Das Leben des Leonardo [1568] (hrsg. v. Sabine Feser), Berlin 2006, S. 219 – 220. Solche Sakralisierungen einzelner für die Disziplin relevanter Vertreter können auch in der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts beobachtet werden; vgl. Falko Schnicke: Rituale der Verkörperung. Seminarfeste und Jubiläen der Geschichtswissenschaft des 19. Jahrhunderts, in: Zeitschrift für Geschichtswissenschaft 63-4/2015, S. 327–358, S. 346 f. 63  Heimeran 1925, S. 5 u. S. 103. 64  Barolsky 1996, S. 14. 65  Gerhard Wolf: Schleier und Spiegel. Traditionen des Christusbildes und die Bildkonzepte der Renaissance, München 2002, S. XIX. 66  Vgl. Hans Belting: Das echte Bild. Bildfragen als Glaubensfragen, München 2005, S. 46. 67  Zum Schleier als Zeichen der Authentizität vgl. Wolf, S. IX. 68  Vgl. Belting 2005, S. 57. 69  Ibid., S. 7 u. S. 10. 70  Vgl. David Freedberg: The Power of Images. Studies in the History and Theory of Response, Chicago u. London 1989; Wolf 2002, S. XXI. 71  Belting 2005, S. 48. Zu Berührungsreliquien vgl. Bernhard Kötting: Peregrinatio religiosa. Wallfahrten in der Antike, Regensberg u. Münster 1950, S. 333 – 3 42; Hans Belting: Bild und Kult, München 1990, S. 72 – 7 6. 72  Dieses zeigt Belting am Fall des Abgar-Bildes auf; vgl. id. 2005, S. 61. 73  Ibid., S. 177. Zur Rolle des »echten Bildes« bei der Konstruktion eines Selbstbildes und des künstlerischen Selbstverständnisses vgl. Joseph Leo Körner: The Moment of Self-Portraiture in German Renaissance Art, Chicago u. London 1993. Zu Dürers Darstellung als alter deus vgl. von Rosen (im Druck). 74  Zu Schjerfsbecks Selbstporträt mit rotem Punkt vgl. den Beitrag von Annika Landmann in diesem Band, S. 411 ff. 75  Zu Picabias Maschinen-Porträts vgl. den Beitrag von Ashley Lazevnick im vorliegenden Band, S. 311 ff. 76  »The painting is like a sheet of glass without silvering: the painter is behind (on the other side in relation to me), and I surprise him in the act of looking at himself. Suddenly we become […] contemporaries. The self-portrait is the only pictorial genre that has given me the poignant feeling, which Barthes describes so well with regard to photography in La chambre claire (Camera Lucida), of having before my

Das S elbstpo rträt bei Leonardo da V inci und Mi chela n gelo B uon arroti

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eyes not an image of the past, but an impression directly inscribed by it.« Lejeune 1989, S. 115. Ähnlich äußerte sich Barolsky 1996, S. 14. 77  Lejeune 1989, S. 117. 78  Wolf 2002, S. XXV. 79  Vgl. Plinius, Nat. hist., 35, 2, 9 – 10. 80  Heimeran 1925, S. 103. 81  Ibid., S. 5. 82  »È possibile, infine, con l’ausilio di queste immagini, ›penetrare‹ almeno in parte l’animo di Leonardo-uomo«; Leonardo allo specchio. Ritratti e autoritratti (hrsg. v. Marco Carpiceci), Ausstellungskatalog, Centro Ricerche Leonardiane / Sala dell’ Ateneo di Brescia, Brescia 1984, S. 3; vgl. Möller 1926, S. 33. 83  Arasse 2002, S. 31. 84  Vgl. Pfisterer u. von Rosen 2005. 85  Vgl. David Rosand: Drawing acts. Studies in graphic expression and representation, Cambridge 2002, S. 18 ff. 86  Roger de Piles: Abrégé de la vie des paintres... [1699], Paris 1715, S. 66 f. 87  Walter Koschatzky: Die Kunst der Zeichnung. Technik, Geschichte, Meisterwerke, Salzburg 1977, S. 396. 88  Vgl. ibid., S. 395; The Dictionary of Art (hrsg. v. Jane Turner), Bd. 7, London 1996, S. 713 – 7 14, s. v. »Connoisseurship 1. Western World (I) Introduction« (Enrico Castelnouvo). 89  Koschatzky 1977, S. 400 f. 90  Zum Sammlungssystem Künstlername vgl. Koschatzky 1977, S. 389. Welchen Anteil wiederum der Kunstmarkt an der Wertschätzung einzelner Künstler hat, kann an dieser Stelle nicht weiter verfolgt werden; vgl. ibid., S. 390. 91  Vgl. Alberti 2002, S. 25, S. 101 f.; Wolf 2002, S. 214. 92  Vgl. Irving Lavin: Picassos Stiere oder die Kunstgeschichte von hinten, Berlin 1995, S. 31. 93  Vgl. ibid. 94  Vgl. Giovinezza di Michelangelo (hrsg. v. Kathleen Weil-Garris Brandt et al.), Ausstellungskatalog, Palazzo Vecchio, Sala d’Arme u. Casa Buonarroti, Florenz 1999, S. 417, Kat.-Nr. 76 (Kathleen Weil-Garris Brandt); Zöllner 2007, S. 537. Thomas Pöpper bezeichnet die Darstellung als das »einzige hundertprozentig verbürgte ›Selbstporträt‹« des Künstlers; vgl. id.: Die Sixtinische Decke. 1508 – 1512, in: Zöllner 2007, S. 520 – 537, S. 520.

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SELBSTINSZENIERUNG UND INSZENIERTE GENEALOGIE Zu einem Selbstporträt aus dem Besitz der Theatermalerfamilie Quaglio C H R I ST I N E H Ü B N E R

Zwei Jahrhunderte Familiengeschichte Im September 1836 widmet das Schorn’sche Kunst-Blatt der aus Laino im Val d’Intelvi am Comer See stammenden und in München ansässig gewordenen Künstlerfamilie Quaglio ein ausführliches Porträt.1 Dabei werden mehr als zwei Jahrhunderte Familiengeschichte, vom Stammvater Julius (Giulio) Quaglio bis zu den jüngsten Familienmitgliedern Simon Quaglio (1795 – 1878) und dessen »drei hoffnungsvollen Söhnen«, in den Kontext der Kunstgeschichte eingeordnet: »Es gehört wohl zu den seltensten Erscheinungen, daß in einer Reihe von Generationen die Söhne außer dem Namen auch das Talent des Vaters erben. Eigenthümlich ist dieses in der Familie Quaglio, in welcher das Talent für die Kunst gegen zweihundert Jahre ununterbrochen fortblüht.«2 Die Mitglieder der Familie waren im 18. und 19. Jahrhundert, mit Ausnahme von Domenico (1786 – 1837) und Lorenzo Quaglio (1793 – 1869), vor allem im Bereich der Theatermalerei tätig, also dem Entwerfen und Ausführen von Bühnendekorationen. Am Anfang der langen Ahnenreihe steht mit Giulio Quaglio ein Mann, an dessen Autorität als Künstler offenbar nicht zu zweifeln ist, war er doch im höchsten Fach tätig, der Historienmalerei: »Julius Quaglio war der erste der Familie, der sich als Künstler ausgezeichnet, Historienund Freskomaler. Er hielt sich zu der Schule des Tintoretto, in welcher schon sein Vater

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gebildet gewesen seyn soll. Die Familie bewahrt noch jetzt viele Zeichnungen und Entwürfe zu Altarblättern, Decken- und Wandmalereien, die zum Theil in Wien, Salzburg und Laibach ausgeführt wurden, doch ist mir nicht bekannt, was davon noch vorhanden.«3 Neben den heute nicht mehr nachweisbaren »Zeichnungen und Entwürfen« befand sich im Familienbesitz auch ein im Kunst-Blatt nicht genanntes Selbstporträt des Ahnherrn, der in der Literatur dynastisch als »Giulio I.« tituliert wird. 1842 vermerkt der Eintrag zu »Giulio Quaglio« in Naglers Künstler-Lexikon dieses Bildnis im »Besitze des Malers Simon Quaglio […], wo sich Giulio darstellte, wie er, 27 Jahre alt, 1628 seine Frau malt.«4 Ein weiteres Mal findet das gleiche Werk Erwähnung bei Thieme/Becker als »Selbstporträt, seine Frau malend, laut Inschr[ift] i[m] 27. Lebensjahr, 1628, i[m] Bes[itz] v[on] Prof. Eugen Quaglio, Berlin«.5 Das Gemälde war in der Zwischenzeit in der Familie weitervererbt worden und so von Simon (1795 – 1878) zu dessen Enkel Eugen (1857 – 1942) gelangt. Bei diesem in Berlin verliert sich die Spur des Bildes. Wolfgang Niehaus gibt in seiner Dissertation Die Theatermaler Quaglio an, das Gemälde sei im Zweiten Weltkrieg verloren gegangen und beruft sich dabei auf die Aussage von Angela Mannl, der Tochter Eugen Quaglios.6 Im Januar 2012 ist das Selbstbildnis Giulios I. Quaglio im Kunsthandel wieder aufgetaucht und fand schließlich Anfang Februar 2013 auf der Auktion Old Master & 19th Century European Art bei Sotheby’s in New York einen Käufer.7 Nach Aussage des letzten Eigentümers hatte dessen Mutter das Bild um 1961 in Berlin erworben. Wenig später ist die Familie in die Vereinigten Staaten ausgewandert, wo sich das Gemälde seitdem in Privatbesitz befand.8 Diesem Selbstporträt des Begründers der Künstlerfamilie Quaglio soll sich im Folgenden aus unterschiedlichen Perspektiven angenähert werden. Zum einen ist da die Frage nach der Selbstinszenierung des Künstlers und der ursprünglichen Intention, die dieser mit seinem Werk verfolgt hat; dem gegenüber steht die Funktion, die erst von den nachfolgenden Generationen an das Gemälde herangetragen wurde, und die es, wie zu zeigen sein wird, im 19. Jahrhundert zum Teil einer öffentlichkeitswirksamen »Image-Kampagne« der Familie Quaglio machen sollte. Dass der dabei um das Gemälde herum konstruierten Familienlegende mit Skepsis zu begegnen ist, wird der Abgleich der Überlieferung mit den familienhistoriografischen Quellen zeigen.

Ein »Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend« Das 93,4 mal 121,6 Zentimeter große Ölgemälde auf Leinwand zeigt einen Künstler, der gerade dabei ist, das Porträt einer jungen Frau zu malen |Abb. 1|. Vor einem dunkelbraunen Hintergrund hat er sich zum Malen auf einem Stuhl mit Rücken- und Armlehnen vor der auf einer Staffelei stehenden Leinwand niedergelassen. Diese nimmt beinahe die gesamte rechte Bildhälfte ein. Maler und Leinwand sind so nah an die vordere Bildebene herangerückt, dass die räumliche Disposition unbestimmt bleibt.

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1  Giulio (II.) Quaglio (zugeschrieben): Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend, um 1694 – 1695 (möglicherweise später überarbeitet), Öl auf Leinwand, 93,4 × 121,6 cm, Privatbesitz

Seinen Körper hat der Künstler seitlich nach rechts ausgerichtet, während das Haupt mit den aufmerksamen dunklen Augen dem Betrachter zugewandt ist. Der Maler befindet sich noch im jungen Mannesalter von etwa zwanzig bis dreißig Jahren. Das dunkle, fast schwarze Haar fällt in schweren Locken auf seine Schultern herab. Bis auf ein kleines, modisches Bärtchen, zwei wie hingetupft wirkende Pünktchen oberhalb der Lippe, ist das schmal geschnittene Gesicht mit dem kleinen Grübchen am Kinn und den hohen Wangenknochen glatt und bartlos. Er trägt einen knielangen roten Hausmantel, der am Kragen, an den Ärmeln und am Saum mit hellem Fell eingefasst ist. Am Ärmel blitzen aufwändig verzierte Manschetten und der Spitzenbesatz eines Untergewandes hervor. Um den Hals hat er ein helles Tuch geschlungen, dessen Enden vor der Brust in sich verdreht sind und im Ausschnitt des Hausmantels verschwinden. In seiner linken Hand hält der Künstler eine Palette sowie ein Bündel von fünf Pinseln. In seiner leicht erhobenen Rechten führt er einen in weiße Farbe getauchten Pinsel, den er gerade auf die vor ihm aufgestellte Leinwand setzt. Er hat kurz innegehalten, um mit wachem Blick sein Modell zu mustern, das vor ihm steht, und in dessen Position sich nun der Betrachter befindet. Die Leinwand, an der er gerade arbeitet, steht auf einer Staffelei. Die Au-

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ßenkante der auf einen Holzrahmen aufgezogenen Leinwand ist sichtbar, so dass die Materialität des Gemäldes im Bild erkennbar wird. Aus einem rotbraunen Hintergrund heraus wird hier das noch nicht vollendete Halbfigurenporträt einer jungen Frau entwickelt, die annähernd so alt wie der Maler selbst ist. Wie dieser blickt auch sie aus dem Bild im Bild und zugleich aus dem Gemälde heraus. Die Lichtreflexe in ihren etwas helleren Augen scheinen denselben Ursprung zu haben, wie die in den Augen des Malers. Ihr Oberkörper ist frontal ausgerichtet. Um den Hals trägt sie eine dreifach eng umgelegte Goldkette mit einem großen Anhänger. Um ihre Schultern ist ein weißes, spitzenbesetztes Tuch drapiert, dessen Enden vor der Brust in einem einfachen Knoten zusammengefasst sind. Ihre rechte Hand, in der sie ein cremefarbenes Tuch hält, hat sie vor die Brust genommen, ihre linke Hand ruht auf einer Art Mauervorsprung oder Gesims, so dass der goldene, mit einem Stein besetzte Ring an ihrem Ringfinger sofort ins Auge fällt. Dieses Element des »Bildes im Bild« ist in seiner räumlichen Disposition auffällig unklar belassen. Das Gesims und die darauf 2  Giulio (II.) Quaglio (zugeschrieben): Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend, liegende Hand scheinen die ästhetische Grenze ihDetail, um 1694 – 1695 (möglicherweise später res Bildraums zu durchbrechen und in die Realität überarbeitet), Öl auf Leinwand, 93,4 × 121,6 cm, Privatbesitz des Malers einzudringen. Nur ein kleiner, leicht zu übersehender Holzwinkel, dessen Aufgabe es ist, die Leinwand auf der Staffelei zu fixieren, hält die Ordnung der einzelnen Bildräume aufrecht. Durch die annähernd identischen Größenverhältnisse von Maler und gemalter Frau, die korrespondierenden Lichtreflexe in den Augen und die einheitliche Behandlung der Licht- und Schattensetzung werden beide Bildräume eng ineinander verwoben. Das Gemälde im Bild ist noch nicht vollendet. Es weist verschiedene Stadien des Werkprozesses auf: Während das Gesicht, die Hände und eine Schulterpartie schon detailliert ausgeführt sind und eine ruhige, geschlossene Oberfläche aufweisen, sind andere Bereiche des Gemäldes, wie etwa die Ärmel, erst in der Untermalung angelegt. Gerade ist der Künstler im Begriff, die noch fehlende linke Hälfte des Schultertuchs mit skizzenhaften Pinselstrichen alla prima direkt auf den rotbraunen Grund zu setzen. In der linken Bildhälfte ist, leicht verschattet im Rücken des Malers, ein Vanitas-Stilleben arrangiert |Abb. 2|. Auf einem grauen,

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unregelmäßigen Felsen wurde ein helles Tuch ausgebreitet, auf dem sich ein Stundenglas, ein liegender Torso sowie der Kopf einer Skulptur befinden. Auf der Front des Felsens ist mit einer in unregelmäßigen Zeilen verlaufenden, beinahe nachlässig wirkenden Antiqua in Majuskeln eine italienische Inschrift angebracht: »Givlio Qvaglio ei qvi se fè / d’ani ventisette sva figvra / e provò pvr con l’ombra di pitvra / fermar l’ombra fugace / che lvom è / 1628.«.

»Fermar l’ombra fugace«  –  Selbstinszenierung in antiken Topoi Wie das Stilleben im Rücken des Malers weist auch die Inschrift auf die Vergänglichkeit des Menschen hin: »Giulio Quaglio hat im Alter von 27 Jahren sein Abbild gemacht und bewiesen, dass der Schatten der Malerei es tatsächlich vermag, den flüchtigen Schatten festzuhalten, welcher der Mensch ist«. Die Malerei hat also die Macht, das Andenken an die Verstorbenen wachzuhalten: »In der Tat birgt sie eine geradezu göttliche Kraft in sich und leistet nicht nur, was man der Freundschaft nachsagt  –  dass sie Abwesende vergegenwärtigt  – ; vielmehr stellt sie auch Verstorbene erkennbar vor Augen, sogar noch denen, die viele Jahrhunderte später leben«, beschreibt Leon Battista Alberti die Wirksamkeit der Porträtmalerei.9 Während im ersten Teil der Inschrift der Künstler Giulio Quaglio eingeführt wird, der hier im Alter von 27 Jahren sein Selbstbildnis geschaffen habe (die Identität der porträtierten Frau als Bild im Bild bleibt unerwähnt), eröffnet der zweite Teil durch die doppelte Verwendung des Schattenbegriffs  –  als »ombra della pit[t]ura« sowie als »ombra fugace«  –  verschiedene Deutungsebenen und verweist zudem auf die Ursprungserzählung der Malerei. Die Legende der Tochter des Töpfers Butades, die den Schatten ihres Geliebten, der sie verlassen muss, durch Nachziehen des Umrisses an der Wand sichert, ist die Referenz für das aus Liebe geschaffene Porträt, wie es Giulio Quaglio als Bild im Bild erzeugt.10 Doch nicht nur hält dieser Künstler gerade das Abbild seiner jungen Frau im Medium der Malerei fest. Auch er selbst verhilft sich in seinem Porträt zu einem dauerhaften Andenken. Das Bild des Menschenlebens als ein flüchtiger, nicht fassbarer Schatten, findet sich im Alten Testament im Buch Hiob: »Der Mensch, vom Weib geboren, knapp an Tagen, unruhevoll, er geht wie die Blume auf und welkt, flieht wie ein Schatten und bleibt nicht bestehen.«11 Es liegt allein in der Macht des Bildes  –  so legt es die Inschrift nahe  – , den flüchtigen Schatten Mensch in der Blüte seiner Jugend festzuhalten und zugleich daran zu erinnern, dass der reale Maler und sein Modell der gnadenlosen Vergänglichkeit aller Dinge unterworfen sind. Auch das noch nicht vollendete, teilweise erst skizzenhaft angelegte Bild im Bild betont den Vanitas-Gedanken und legt im non finito zugleich den künstlerischen Werkprozess offen dar. Es ist dieselbe Ambivalenz, auf die auch Plinius verweist, der wiederholt von unvollendeten Bildern berichtet, die einerseits bewundert wurden, da »in ihnen die zurückgelassenen Skizzen und selbst die Überlegungen der Künstler« sichtbar blieben, zugleich aber auch an einen Künstler erinnerten, der während der Arbeit verstarb.12

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Giulio Quaglio verweist in der Offenlegung des Werkprozesses jedoch auch auf die Venezianische Schule, der er gemäß der Familienüberlieferung nahegestanden haben soll. Er nutzt die Leinwand im Bild um darauf zu zeigen, wie er alla prima das Schultertuch im Porträt seiner Frau mit schnell gesetzten Pinselstrichen skizziert. Er ist, wie an den bereits ausgearbeiteten Partien zu erkennen ist, bei weitem nicht so kühn wie Tintoretto, bei dem das Skizzenhafte auch im fertiggestellten Gemälde sichtbar bleibt.13 Indem Quaglio den malerischen Prozess selbst zum Bildthema macht, hat er ein Argument, die Skizze auf einem unfertigen Gemälde im fertigen Bild zu begründen. Wesentlich für Giulio Quaglios Selbstdarstellung als Künstler und ein erneuter Bezug auf antike Topoi sind auch die Farben, in denen er arbeitet. Die Palette hält der Künstler im Bild so, dass die darauf aufgetragenen Farbkleckse gut sichtbar sind. Es sind die Farben Weiß, Rot, Ocker und Schwarz  –  die Farben des Apelles.14 Durch die selbstauferlegte Reduktion der Palette stellt sich Quaglio somit in die Nachfolge des bedeutendsten Malers der Antike, der mit nur diesen vier Farben vollendete Werke zu schaffen vermochte.15 Er zeigt, dass auch er trotz dieser Beschränkung in der Lage ist, das Porträt seiner Frau zu malen, deren linke Hand  –  als Anspielung auf den von Plinius beschriebenen Naturalismus in Apelles’ Porträt Alexanders des Großen  –  aus der Fläche der Leinwand im Bild herauszugreifen scheint. Doch nicht nur der Maler im Bild hat sein Werk in den Farben des Apelles ausgeführt. Auch das gesamte Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend ist mit eben diesen Farben und den daraus möglichen Mischtönen entstanden. Der junge Maler Giulio Quaglio stellt sich in seinem Selbstporträt durch das raffinierte concetto und die deutlichen Referenzen an antike Topoi als intellektuell geschulter Künstler dar. Mit großem Selbstbewusstsein inszeniert er sich als neuer Apelles. Der knielange Hausmantel als Kleidungsstück verortet die Szene zwar in einem privaten Kontext, durch seine rote Farbe und die Pelzverbrämung verweist er jedoch zugleich auf eine gehobene gesellschaftliche Stellung des Künstlers. Auch die als Bild im Bild anwesende und somit selbst zum Kunstwerk erhobene junge Ehefrau trägt ihre goldenen Schmuckstücke als Beweis für den durch künstlerische Arbeit erlangten Wohlstand des Paares.16

Genealogie als Argument von Künstlerschaft Doch wer ist der Adressat dieser Selbstinszenierung? Wie aus der Provenienz des Gemäldes hervorgeht, befand dieses sich über Generationen hinweg in Familienbesitz und war so primär den Familienangehörigen, den Verwandten, Freunden und potentiellen Auftraggebern zugänglich. Es diente  –  wenn man den nicht zu übersehenden Vanitas-Aspekt in den Vordergrund stellt  –  zunächst der memoria. Für Giulio Quaglio mag der Tod der jungen Frau der konkrete Anlass dazu gewesen sein, dieses Bild zu malen. Durch sein ambitioniertes und repräsentatives Programm besitzt das Werk daneben auch einen Vorbildcharakter. Den nachfolgenden Generationen sollten so die künstlerischen und intellektuellen Fähigkeiten des

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Vorfahren sowie dessen durch künstlerische Arbeit erlangte gesellschaftliche Stellung vor Augen geführt werden.17 Für die Nachkommen, die als Künstler die Familientradition aufrechterhalten sollten, wurde der im Selbstporträt präsente Stammvater nicht nur zu einem persönlichen Vorbild. Ab dem 19. Jahrhundert wird die Person Giulios I. in der Außendarstellung der Familie gezielt instrumentalisiert und inszeniert. Das Selbstporträt dient in dieser »Image-Kampagne« als Bildbeweis für dessen reale Existenz und künstlerische Abstammung aus der »Schule des Tintoretto«. Die von Giulio selbst einst in den Vordergrund gestellte Memorialfunktion verliert für die nachgeborenen Generationen daher an Bedeutung. Die Bildfunktion hat sich im Einsatz des Gemäldes zur Konsolidierung der Familienlegende hin zum exemplum verlagert. Doch welche Motive haben die Quaglio letztendlich dazu bewogen, im 19. Jahrhundert die Person des Ahnherren und dessen Künstlerselbstporträt geradezu offensiv ins Interesse der Öffentlichkeit zu rücken? Die Theatermalerei als Hauptgebiet der Quaglio steht seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert zunehmend unter dem Verdacht des Handwerklichen. Meist als »professione senza arte«, als bloßer Brotberuf fern jeder Kunst tituliert, haben es die Theatermaler schwer, in den Augen der Öffentlichkeit als Künstler anerkannt zu werden: »Die Decorationsmalerei bedingt das Fügen des Künstlers in die verschiedensten Vorschriften, Aenderungen und Bedingungen der vorhandenen Mittel.«18 Dabei lässt sich »die lärmende Umgebung der nöthigen Gehülfen, das Unsaubere und Handwerksmäßige der technischen Mittel und die unhandbare Größe der Bilder, die oft bis zu 3.000 Quadratfuß umfassen«, nur schwer mit dem von der Romantik geprägten Ideal des Künstlers vereinen, der »in der Stille eines Ateliers seine ganze Liebe dem gewählten Gegenstande zuwendet«.19 Sowohl in der Selbst- als auch in der Außendarstellung der im 19. Jahrhundert am Münchner Hof- und Nationaltheater tätigen Quaglio stehen deshalb Argumente im Vordergrund, die den künstlerischen Anteil gegenüber der nicht zu leugnenden handwerklichen Komponente der Theatermalerei hervorheben. Neben der Betonung der immateriellen, intellektuellen Entwurfsleistung begründet sich bei den Quaglio Künstlerschaft primär aus der Genealogie heraus. Dabei steht besonders die lange Familientradition im Vordergrund, die zur Ausbildung einer eigenen »Schule der Familie Quaglio« im Sinne eines kollektiven Stils und Wissensschatzes geführt hat.20 Der Zug ins Dynastische wird bereits durch die Wahl der Taufnamen evident. Wie bei anderen Künstlerfamilien ist das Weiterführen der Namen berühmter Vorfahren über Generationen hinweg auch bei den Quaglio ein Mittel zur Verfestigung der Familientradition. In der männlichen Linie werden die Söhne wie ihre Väter und Onkel auf die Namen Giulio, Giovanni Maria, Domenico und Michelangelo beziehungsweise Michael Angelo getauft. Auch der eingangs zitierte zweiteilige Bericht im Kunst-Blatt kann als Teil einer sich an die Öffentlichkeit richtenden »Image-Kampagne« gesehen werden, welche die Künstlerfamilie Quaglio in ein positives Licht stellen soll. Dem Begründer der Dynastie, Giulio Quaglio, »Historien- und Freskomaler«, ausgebildet in der »Schule des Tintoretto«, wird dabei

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eine besondere Rolle zugewiesen. Es wird ganz bewusst nicht die Geschichte einer Familie erzählt, die sich aus dem Handwerk heraus zur Kunst hinauf entwickelt hat, so wie dies etwa bei der Familie Tischbein der Fall war.21 Dort ist der Ahnherr und Großvater Johann Heinrich Tischbein, »von dem alle Künstler dieses Namens abstammen«, ein Bäcker  –  ein Handwerker also  – , der sich jedoch in seinen Mußestunden dem Drechseln, Schnitzen und Vorzeichnen von Stickmustern widmete.22 Bei der Familie Quaglio steht am Anfang der langen Ahnenreihe ein Künstler, der sich in dem Metier übt, das in der Hierarchie der Gattungen an höchster Stelle steht: der Historienmalerei. Populäres name-dropping nennt den Ahnherrn dabei im selben Atemzug wie den großen Tintoretto. Auf diese prominente Schülerschaft wurde bereits 1831 hingewiesen: »Ein älterer Julius und Dominik Quaglio lernten noch bei Tintoret, und Paul Veronese, und bei den Bolognesern.«23 Giulio Quaglio wird ungeachtet aller zeitlichen Unstimmigkeiten zum Schüler der großen Namen der Venezianischen Schule befördert und die Familiengeschichte so fest mit der Kunstgeschichte verknüpft. Die eigene Genealogie in die Nähe großer Persönlichkeiten zu stellen, ist eine Strategie, der sich schon Giorgio Vasari bediente, der seine eigene Abstammung mit Hinblick auf sein Renommee als Künstler optimierte, indem er seine aretinische Herkunft über Spinello Aretino genealogisch mit Giotto verknüpfte, seinen Urgroßvater Lazzaro Vasari vom Sattler zum berühmten Maler und besten Freund Piero della Francescas erhob oder sich selbst als Schüler Michelangelos und Francesco Salviatis inszenierte.24 Die Worte »Groß ist fürwahr die Freude derer, welche finden, einer ihrer Vorältern, ein angehöriger ihrer eigenen Familie, sey im Beruf der Waffen, der Gelehrsamkeit, der Malerei oder sonst einer würdigen Beschäftigung ausgezeichnet und berühmt gewesen« eröffnen dann auch die Vita Lazzaro Vasaris.25 Dass im Fall Giulio Quaglios ausgerechnet Tintoretto und Veronese als Referenzfiguren herbeizitiert werden, ist kein Zufall. Beide Künstler stehen für die Beherrschung großer Flächen in schnellem malerischem Duktus sowie für das theatralisch-stimmungsvolle Kolorit der venezianischen Schule, malerische Tugenden, die auch einem Theatermaler gut zu Gesicht stehen. Als 1842 die weitgehend auf dem Artikel des Kunst-Blattes basierenden Einträge zu den Quaglio in Naglers Künstler-Lexikon erscheinen, wird erstmals das sich im »Besitze des Malers Simon Quaglio« befindliche Gemälde erwähnt, »wo sich Giulio darstellte, wie er, 27 Jahre alt, 1628 seine Frau malt«.26 Bemerkenswert ist, dass der Autor des Lexikonartikels das Gemälde mit eigenen Augen, wohl in der Münchner Wohnung Simon Quaglios, gesehen haben muss. Das Gemälde ist also nachweislich und aktiv von der Familie als Bildbeweis gebraucht worden, um die Verbindung des Ahnherrn mit der »Schule des Tintoretto« zu belegen. Der Einschub des Autors, dass die von der Familie behauptete Schülerschaft »aus dem oben erwähnten Bildnisse nicht unbestreitbar hervorgeht«, dokumentiert dessen Zweifel am Wahrheitsgehalt der Familienlegende.27 Diese von Skepsis geprägte Randbemerkung bleibt allerdings ohne Folgen. Zu anziehend ist im von Genie- und Künstlerverehrung geprägten 19. Jahrhundert die Faszination der großen Namen, die mit der in München ansässig gewordenen Künstlerfamilie in Verbindung gebracht werden. Der Eintrag in das Lexikon verleiht der Geschichte nicht zuletzt Autorität. Es erscheint in der Folgezeit kaum ein Artikel über

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einen Künstler der Familie Quaglio, in dem nicht auf die Wurzeln der Familie in der Schule des Tintoretto verwiesen wird. Ist zunächst noch von einer, die Nachfolger des 1594 verstorbenen Venezianers berücksichtigenden »Schule des Tintoretto« die Rede, wird der 1601 geborenen Stammvater der Quaglio wenig später sogar »Schüler Tintorettos« genannt.28

Familienhistoriografische Spurensuche Doch wie viel Wahrheit steckt hinter der Legende, die im 19. Jahrhundert auf so viele offene Ohren stieß? Um das beurteilen zu können, soll zunächst geklärt werden, wer dieser erste Giulio Quaglio war, der Stammvater einer Künstlerdynastie werden sollte, und dessen intellektuell anspruchsvolles Selbstporträt sich über Generationen in Familienbesitz befand. Die Quellenlage ist äußerst dünn und beschränkt sich noch heute weitgehend auf die Hinweise in Naglers Künstler-Lexikon (1842) und bei Thieme/Becker (1933). Giulio I. soll als »Altar-, Theater- u. Freskomaler« in Italien, Salzburg und Wien tätig gewesen sein und ebendort als Theatermaler 1651 die Dekorationen zur Opernaufführung von Il re pastore in Schloss Schönbrunn ausgeführt haben.29 Von Kaiser Leopold wurde er in den Adelsstand erhoben und »mit einer goldenen Kette und mit einem Becher beschenkt, an welcher vorzügliche Bilder des Künstlers in Relief dargestellt waren«.30 Heute ist jedoch keines der Werke des Malers gesichert und bei der Rückverfolgung der in den Artikeln angegebenen Quellen stößt man durchgehend auf Ungereimtheiten und falsch übertragene Quellen.31 Ein historischer Giulio I. Quaglio ist nicht nachweisbar; das Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend wäre demnach heute das einzige Werk, das ihm zugeschrieben werden kann. Die Sachlage wird jedoch durch ein für die Familiengeschichte bedeutendes Dokument komplizierter. 1733 verfasst der namensgleiche Maler Giulio (II.) Quaglio (1668 – 1 751) sein Testament, welches sich heute im Archivio di Stato di Como befindet.32 Er verfügt darin unter anderem, dass sein jüngster Sohn, der um 1714 geborene Maler Domenico das Haus der Familie in Laino als Fideikommiss erhalten solle. Außerdem werden einige Tafelbilder und Wertgegenstände genannt, die in der Primogenitur der männlichen Nachkommen des Domenico finite in infinitum in der Familie zu verbleiben haben. Darunter befindet sich auch ein Bild, dessen Beschreibung (»l’altro quadro ove vi è sopra il mio ritrato con quelo della fu signora Margarita Novi mia prima moglie«), erstaunlich gut auf das Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend passt.33 Wie lässt sich das erklären? Hat der jüngere Giulio (II.) das Selbstporträt seines Vorfahren imitiert und sich wie dieser selbst im Doppelbildnis mit seiner Frau dargestellt? Das würde bedeuten, dass irgendwo ein bislang noch unbekanntes zweites Selbstbildnis eines Quaglio mit Gattin existiert oder einst existiert hat. Oder ist unser Bild mit dem im Testament erwähnten Gemälde identisch? In der Konsequenz hieße das aber, dass das vorliegende Gemälde entgegen seiner Datierung erst rund zwei Generationen später gegen Ende des 17. Jahrhunderts entstanden ist und den 1668 geborenen Giulio mit dem Porträt seiner Frau Margarita Novi

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zeigt. Und inwiefern wäre das Selbstporträt, ausgehend von dieser Hypothese, der jüngere Giulio sei der Autor des Bildes, mit dessen Vita vereinbar? Giulio (II.) Quaglio wurde um 1668 in Laino im Val d’Intelvi geboren.34 Als sein Vater gilt Giovanni Maria Quaglio, ein Maler, von dem ebenfalls berichtet wird, er sei ein Schüler Tintorettos gewesen.35 Über den frühen künstlerischen Werdegang Giulios ist kaum etwas bekannt. Man geht davon aus, dass er zuerst vom Vater lernte und sich später zu Marcantonio Franceschini (1648 – 1 729) in die Ausbildung begab. Ioannes Gregorius Thalnitscher, Autor der lateinischen Chronik zum Neubau und zur Ausstattung der Kathedrale S. Nicolaus in Laibach (heute: Ljubljana) nennt den von 1703 – 1 706 dort mit der Ausmalung betrauten Künstler »Iulius Qualeus«, dessen Porträt er uns in der Chronik vorenthält, einen Schüler »Marci Antonii Franceschini Bononiensis« |Abb. 3|. Über dessen Weg nach der Ausbildung ist zu erfahren: »Parmae, Placentiae et Venetiis picturae studuit ad normam Corregii, Carazae et Tintoreti«; Quaglio hat sich demnach die oberitalienischen Künstler des 16. Jahrhunderts zum Vorbild genommen.36 Ab 1692 hält sich Giulio Quaglio in Udine auf, wo er mit der Ausstattung des Palazzo della Porta seinen ersten großen Auftrag ausführt.37 Er nutzt die Ge3  Unbekannter Zeichner: Nicht ausgeführtes legenheit um in dieser Arbeit seine künstlerischen Porträt des Giulio (II.) Quaglio, Feder und Bleistift, angelegt in: Ioannes Gregorius und intellektuellen Fähigkeiten unter Beweis zu Thalnitscher: Historia Cathedralis Ecclesiae stellen und Szenen aus der Mythologie in ein komLabacensis […] 1701 – 1714, fol. 265 plex gemaltes architektonisches Rahmensystem einzupassen. Darunter ist die Szene des seine Kinder verschlingenden Saturn, welche die gleichen Vanitassymbole aufweist, die auch im Stilleben des Selbstporträts erscheinen: Ein Putto im Melancholiegestus hält das Stundenglas, Saturn hat seinen Fuß auf den Torso der umgeworfenen steinernen Atlantenherme des architektonisch-skulpturalen Rahmensystems gestellt, deren abgeschlagener Kopf unterhalb der Sense im Gestrüpp liegt |Abb. 4|. Der damals vierundzwanzigjährige Giulio Quaglio demonstriert hier seine Kenntnisse der klassischen Mythologie, zeigt, dass er es versteht, seine Bilder zu komponieren und in ein dichtes Gewebe aus Referenzen und Allegorien einzubetten. In den folgenden Jahren bleibt Quaglio in Udine und schafft dort vorwiegend profane

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4  Giulio (II.) Quaglio: Saturn verschlingt seine Kinder, 1692, Fresko, Udine, Palazzo della Porta

Ausstattungen für private Paläste. 1694 heiratet er die erst fünfzehnjährige Margarita Novi, die ihm sieben Kinder schenkt und um 1716 verstirbt.38 Es ist die Frau, der er, wie aus dem Testament hervorgeht, auf einem Gemälde ein bleibendes Andenken gesetzt hat  –  eben jenes Bild, welches für ihn von so großer Bedeutung ist, dass er verfügt, es habe bis in alle Ewigkeit im Familien­besitz zu verbleiben. Das Gesamtbild ist durchaus schlüssig: Ein junger und bereits erfolgreicher Maler, der in seinen ersten Aufträgen seine Fähigkeiten unter Beweis stellen konnte, heiratet 1694 im Alter von 26 Jahren eine junge Frau, der er in Liebe verbunden ist. Als Ausdruck dieser Liebe fertigt er kurz nach der Hochzeit ein Doppelporträt von sich und Margarita Novi an, wobei er die Gelegenheit zu einer ambitionierten Selbstinszenierung als erfolgreicher und intellektueller Künstler nutzt. Der deutliche Vanitas-Aspekt, der durch die zweite Hälfte der Inschrift sowie durch das Stilleben im Rücken des Künstlers evoziert wird, kann so als eine spätere Ergänzung verstanden werden, durch die Giulio Quaglio nach dem Tod der geliebten Frau 1716 das concetto erweitert hat.

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Lebensläufe Das durch Quellen und Werke gesicherte Leben dieses jüngeren Giulio Quaglio weist nicht nur, was die Orte seiner Tätigkeit anbelangt, in vielen Details Parallelen mit der Vita des ersten Giulio Quaglio auf. Im Testament ebenfalls erwähnte Dankesgaben des Domkapitels von Laibach (»la bacileta e vaso d’argento sopra dorato con sopra l’inscritione donatomi dall’illustrissimo Capitolo di Lubiana per memoria di miei opere fate in quel Domo«) lassen an die goldene Kette und den Becher denken, die der ältere Künstler von Kaiser Leopold erhalten haben soll.39 Beide Lebensläufe sind über weite Strecken so deckungsgleich, dass der Verdacht im Raum steht, dass Giulio I. Quaglio nie gelebt hat und seine Existenz eine Kon­ struktion des 19. Jahrhunderts ist. Richten wir unsere Aufmerksamkeit daher noch einmal auf den anfangs erwähnten Artikel im Kunst-Blatt. Von Giulio Quaglio wird dort  –  auch wenn er mit der Schule Tintorettos in Verbindung gebracht wird  –  kein Geburtsjahr genannt. Auch das Selbstporträt findet 1836 noch keine Erwähnung. In der gesamten Familienaufstellung gibt es hier nur einen Giulio, der sich durch den Hinweis auf seine Tätigkeit in Laibach in seiner Vita mit dem historisch gesicherten, jüngeren und namensgleichen Maler aus Laino deckt. Erst mit dem Eintrag in Naglers Künstler-Lexikon wird das Selbstporträt 1842 der Öffentlichkeit bekannt gemacht. Aus der gut lesbaren Datierung und Signatur heraus wird die Existenz eines gut zwei Generationen älteren Vorfahren begründet. Erst von diesem Zeitpunkt an kennen und nennen die Lexika zwei Künstler mit Namen Giulio Quaglio und nahezu deckungsgleichen Lebensläufen. Solange nicht ein zweites Selbstporträt, diesmal des jüngeren Giulio Quaglio, seine Frau Margarita Novi malend, auftaucht, muss davon ausgegangen werden, dass die Datierung im Bild von späterer Hand verändert oder ergänzt wurde.40 Den terminus ante quem für diese Manipulation bildet die Erstnennung des Werkes in Naglers Künstler-Lexikon 1842. Eine Bekräftigung der These könnte in den Ergebnissen einer ausführlichen kostümkritischen Analyse des Bildes gefunden werden. Für den Giulio Quaglio des Selbstporträts sind das Kostüm aber auch die Frisur und die Barttracht Teil seiner Selbstinszenierung in einem privaten und zugleich repräsentativen Kontext. Gerade die bis auf einen fast nur angedeuteten Rest eines Oberlippenbarts vollzogene Glattrasur, das lange Haupthaar aber auch das in der Form einer steinkerque um den Hals geschlungene Tuch breiteten sich  –  wie sich im Vergleich mit einer Vielzahl von im 17. Jahrhundert entstandenen oberitalienischen Porträts nachvollziehen lässt  –  ausgehend vom stilbildenden französischen Hof Ludwigs XIV., erst in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts als eine europaweite Mode aus.41 Es ist die Häufung an Indizien  –  die Erwähnung eines vergleichbaren Bildes von der Hand Giulios (II.) Quaglio in dessen Testament, das Fehlen von Werken und Archivalien, die die Existenz des Ahnherrn belegen, die weitgehend deckungsgleichen Lebensläufe zweier namensgleichen Künstler und nicht zuletzt die Diskrepanz zwischen Kostüm und Datierung  –  die berechtigte Zweifel aufkommen lässt, ob ein 1601 geborener älterer Giulio Quaglio je existiert und das Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend geschaffen haben kann. Eine

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Datierung des Bildes in das letzte Jahrzehnt des 17. Jahrhunderts ist deshalb aus objektiven Gesichtspunkten weitaus konsistenter als die im Bild zu findende Jahreszahl 1628.42 Was bedeutet das nun für das Selbstporträt des Künstlers, seine Frau malend? Die vom Künstler intendierte Memorial-Funktion und die Bedeutung des Bildes als Beispiel für eine ambitionierte und intellektuelle Selbstinszenierung eines jungen Künstlers bleiben von der Manipulation unberührt. Für die von den Familienmitgliedern im 19. Jahrhundert an das Bild herangetragene Funktion als exemplum und Bildbeweis für die Existenz eines in der »Schule des Tintoretto« ausgebildeten Begründers der Familiendynastie ist die Vordatierung auf das Jahr 1628 bezeichnend. Es wurde demzufolge im 19. Jahrhundert  –  vermutlich im Vorfeld der Aufnahme der Künstlerfamilie Quaglio in Naglers Künstler-Lexikon 1842  –  das sich in Besitz Simon Quaglios befindliche Künstlerselbstporträt Giulio Quaglios mit einer Datierung versehen, die diesen in eine größere zeitliche Nähe zu dem verehrten (aber zu diesem Zeitpunkt bereits verstorbenen) Venezianer rückt und somit zumindest die Möglichkeit einer die Nachfolge Tintorettos berücksichtigenden Schülerschaft des Ahnherren belegen sollte.43 Bei einer den historischen Tatsachen entsprechenden Datierung auf die Jahre um 1694 – 1695 wäre sicher mit deutlich formulierten Zweifeln an der bereits im Kunst-Blatt verbreiteten Legende über den »Historien- und Freskomaler« Julius Quaglio zu rechnen gewesen. Das durch die Manipulation zum Bildbeweis für dessen Existenz aufgeladene Gemälde konnte nun jedem gezeigt werden, der Interesse an der Familiengeschichte hatte: Der Autor des Artikels in Naglers KünstlerLexikon sah es in der Wohnung Simon Quaglios in München, der Verfasser des Beitrags über Giulio Quaglio in Thieme/Becker, der italienische Quaglio-Forscher Piero Fontana, sowie der Historiker, Theologe und Kunsthistoriker Engelbert Hora konnten es im 20. Jahrhundert bei Eugen Quaglio in Berlin besichtigen.44 Bis auf den in einem Halbsatz vorgetragenen Hinweis, dass die prominente Schülerschaft »aus dem oben erwähnten Bildnisse nicht unbestreitbar hervorgeht«, hat keiner der Augenzeugen Zweifel an der Authentizität des Selbstporträts und der damit verbundenen Legende geäußert.45 Der geschickt arrangierte Schachzug der Quaglio, durch die Inszenierung des Ahnherren und der eigenen Künstlergenealogie von der geringen Reputation abzulenken, die der Theatermalerei anhaftete, war aufgegangen. Was sich jedoch ohne eine genaue Untersuchung des Originalgemäldes nicht beantworten lässt, ist die Frage, ob das Selbstporträt zum Zeitpunkt der Manipulation bereits eine Datierung aufwies, die ausgelöscht und durch die Jahreszahl »1628« ersetzt wurde. In diesem Fall hätte der Fälscher vorsätzlich gehandelt und wäre sich also darüber bewusst gewesen, dass er die Familiengeschichte durch sein Vorgehen manipuliert. Fehlte jedoch eine Datierung oder war diese unleserlich geworden, so ist zu fragen, inwiefern die Quaglio im 19. Jahrhundert selbst über gesicherte Kenntnisse ihrer eigenen Familienhistoriografie verfügten, oder ob sich hier nicht die über Generationen mündlich tradierte Erzählung mit ihrer Häufung wiederkehrender Taufnamen unbemerkt verselbstständigt hatte.46 Auch in diesem Fall ist das Hinzufügen der Datierung ein bewusster Eingriff, der jedoch ohne betrügerische Absicht geschah und nur das im Bild evident machen sollte, was man selbst schon lange für eine historische Tatsache hielt.

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1  Lucanus: Die Künstlerfamilie Quaglio, in: Morgenblatt für gebildete Stände / Kunst-Blatt (hrsg. v. Ludwig Schorn), Nr. 71, 6. September 1836, S. 294 f., fortgesetzt in Nr. 72, 8. September 1836, S. 299 f. 2  Lucanus 1836, S. 294 f. 3  Ibid., S. 294. 4  Neues Allgemeines Künstler-Lexikon oder Nachrichten von dem Leben und den Werken der Maler, Bildhauer, Baumeister, Kupferstecher, Lithographen, Formschneider, Zeichner, Medailleure, Elfenbeinarbeiter etc. (hrsg. v. Georg Kaspar Nagler), Bd. 12, München 1842, S. 135 f., s. v. »Quaglio, Giulio«. 5  Allgemeines Lexikon der bildenden Künstler von der Antike bis zur Gegenwart (hrsg. v. Ulrich Thieme u. Felix Becker), Bd. 27, Leipzig 1933, S. 494, s. v. »Quaglio, Giulio«. Mit Eugen Quaglio endet die Linie der als Theatermaler und Künstler tätigen Quaglio. Auch Piero Fontana will ein »autoritratto con moglie« im Besitz Eugen Quaglios gesehen haben; vgl. Giuseppe Bergamini: Giulio Quaglio, Tavagnacco 1994, S.  17 f. (unter Verwendung des unpublizierten Manuskripts von Piero Fontana: Giulio Quaglio (1669 – 1751) ed artisti di sua famiglia, 1938, Laino, Archivio Parrocchiale). 6  Vgl. Wolfgang Niehaus: Die Theatermaler Quaglio, Phil. Diss., Typoskript, Ludwig-MaximiliansUniversität München 1956, S. 87, Anm. 10. 7  Old Master & 19th Century European Art [...], Auktionskatalog, Sotheby’s, New York, 27. Januar 2012, Lot 433 (Giulio Quaglio I, Self Portrait of the Artist, painting his Wife, Öl auf Leinwand, 93,4 × 121,6 cm, signiert und datiert 1628, nicht verkauft); Old Master & 19th Century European Art, Auktionskatalog, Sotheby’s, New York, 1. – 2. Februar 2013, Lot 460, verkauft für 20.000 $. 8  Mitteilung vom 16.05.2012. Dass es sich dabei zweifelsfrei um das Bild aus dem Quaglio-Familienbesitz handelt, zeigt sich im Abgleich mit der Beschreibung des Selbstporträts bei Engelbert Hora: Die Künstlerfamilie Quaglio, Karlsbad o. J. (1932), [S. 1]: »Ein Selbstporträt dieses Julius, das noch im Besitze der heutigen Familie Quaglio in Berlin ist, stellt den Maler dar, wie er gerade an dem auf einer Staffelei stehenden Porträt seiner Frau malt. Auf dem zirka 120 Zentimeter breiten und 90 Zentimeter hohen Bilde ist in der linken unteren Ecke hinter der Stuhllehne in großen Buchstaben die Inschrift angebracht: Giulio Quaglio ei qui si fé d’anni ventisette sua figura e provo pur con l’ombra di pitura fermar l’ombra fugace che l’uomo é. 1628, d.h. Julius Quaglio, der im Alter von sieben und zwanzig Jahren sein Porträt malte und den Versuch machte, mit dem Schatten der Malerei den flüchtigen Schatten festzuhalten, der der Mensch ist. 1628.« 9  Leon Battista Alberti: De Pictura. Die Malkunst, 2. Buch, § 25, in: id.: Das Standbild. Die Malkunst. Grundlagen der Malerei (hrsg. v. Oskar Bätschmann u. Christoph Schäublin), Darmstadt 2000, S. 235. 10  Gaius Plinius Secundus d. Ä.: Naturkunde, Buch XXXV. Farbe Malerei Plastik (hrsg. v. Roderich König), München 1978, S. 108 f.; vgl. Nicola Suthor: Gaius Plinius Secundus d. Ä.: Trauerarbeit. Schatten an der Wand (77. n. Chr.), in: Rudolf Preimesberger, Hannah Baader u. Nicola Suthor (Hrsg.): Porträt, Berlin 1999 (Geschichte der klassischen Bildgattungen in Quellentexten und Kommentaren, Bd. 2), S. 117 – 1 26, S. 119; Robert Rosenblum: The Origin of Painting. A Problem in the Iconography of Romantic Classicism, in: Art Bulletin 39/1957, S. 279 – 290, S. 279 ff. 11  Hiob, 14, 1 – 2. 12  Plinius, Buch XXXV, S. 104 f. 13  Zur »Phänomenalität des Skizzenhaften« vgl. Nicola Suthor: Bravura. Virtuosität und Mutwilligkeit in der Malerei der Frühen Neuzeit, München 2010, S. 105 ff.

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14  Vgl. Plinius, Buch XXXV, S. 44 – 47: »Nur mit vier Farben, mit dem Weiß der Melos-Erde, mit dem Gelb des attischen Ockers, mit dem Rot der pontischen Sinope-Erde und mit dem Schwarz des atramentum, schufen die berühmten Maler, Apelles, Aëtion, Melanthios und Nikomachos, ihre unsterblichen Werke […].« 15  Vgl. ibid., S. 72 f. 16  Zum »Porträt der Ehefrau als Bild im Bild« vgl. Nicole Birnfeld: Der Künstler und seine Frau. Studien zu Doppelbildnissen des 15. – 17. Jahrhunderts, Weimar 2009, S. 122 f. 17  Vgl. Stefanie Marschke: Künstlerselbstbildnisse und Selbstporträts. Studien zu ihren Funktionen von der Antike bis zur Renaissance, Weimar 1998, S. 292 f.; Gabriele Hofner-Kulenkamp: Das Bild des Künstlers mit Familie. Porträts des 16. und 17. Jahrhunderts, Bochum 2002 (Selbstzeugnisse des Mittelalters und der beginnenden Neuzeit, Bd. 2), S. 208 f. 18  L. S.: Decorationsmalerei, in: Robert Blum, Karl Herloßsohn u. Hermann Marggraff (Hrsg.): Allgemeines Theater-Lexikon oder Encyklopädie alles Wissenswerthen für Bühnenkünstler, Dilettanten und Theaterfreunde, Bd. 2, Altenburg et al. 1839, S. 301 – 302, S. 301; vgl. Pietro Gonzaga: Information à mon Chef ou Eclaircissement convenable du décorateur théâtral Pierre Gohtard Gonzague sur l’exercise de sa profession, St. Petersburg 1807, italienischer Nachdruck in: Maria Ida Biggi (Hrsg.): La musica degli occhi. Scritti di Pietro Gonzaga, Florenz 2006 (Linea Veneta, Bd. 18), S. 45 – 96, S. 50. Pietro Gonzaga gibt in seiner autobiografischen Schrift die herabwürdigende Einschätzung anderer Künstler gegenüber der Theatermalerei wieder. 19  Allgemeines Theater-Lexikon, Bd. 2 (1839), S. 301. 20  Vgl. Brief von Simon Quaglio an König Ludwig I., 19. Juli 1827 (mit der Bitte um die definitive Aufnahme als Staatsdiener), München, Hauptstaatsarchiv, Intendanz Hoftheater, 706, Personalakte Simon Quaglio [12]. 21  Vgl. Johann Heinrich Wilhelm Tischbein: Aus meinem Leben [1861] (hrsg. v. Lothar Brieger), Berlin 1922. 22  Ibid., S. 24 f. Auch hier erfährt die genealogische Reihe eine ausdrückliche Betonung. Es wird impliziert, dass sich mit dem Namen auch das Talent vererbt. 23  Joseph Freiherr von Hormayr (Hrsg.): Taschenbuch für die vaterländische Geschichte 2/1831, S. 354. 24  Vgl. Philipp Jacks: The Composition of Giorgio Vasari’s Ricordanze, in: Renaissance Quarterly 45/1992, S. 739 – 784, S. 743. 25  Giorgio Vasari: Leben der ausgezeichnetsten Maler, Bildhauer und Baumeister. Von Cimabue bis zum Jahre 1567 (hrsg. v. Ludwig Schorn u. Ernst Förster), Bd. 2, Abt. 1, Stuttgart et. al. 1837, S. 355. 26  Naglers Künstler-Lexikon, Bd. 12 (1842), S. 135 f., s. v. »Quaglio, Giulio«. 27  Ibid. 28  So etwa in der Rezension der Münchener Inszenierung des Schauspiels Macbeth, zu der Simon Quaglio das Bühnenbild entworfen hatte, in: Münchener Punsch. Humoristisches Originalblatt, Nr. 11, 18. März 1855, S. 87. 29  Thieme/Becker, Bd. 27 (1933), S. 494, s. v. »Quaglio, Giulio von«.

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30  Naglers Künstler-Lexikon, Bd. 12 (1842), S. 135 – 136, s. v. »Quaglio, Giulio«. 31  Vgl. Albert Ilg (Hrsg.): Die Fischer von Erlach, Bd. 1. Leben und Werk Joh. Bernh. Fischer’s von Erlach des Vaters, Wien 1895, S. 263: »Im Jahre 1651 wurde im Schlosse sogar eine Oper, ›Il re pastore‹ aufgeführt, wozu der Theatralarchitekt Qualia (Quaglia) Arbeiten zu besorgen hatte.« Diese Quelle wird angegeben bei Thieme/Becker, Bd. 27 (1933), S. 494. Ilg selbst bezieht sich dabei auf Johann Evangelist Schlager: Materialien zur Österreichischen Kunstgeschichte, Wien 1850 (Archiv für Kunde österreichischer Geschichtsquellen, Bd. 5), S. 661 – 780; er bemerkt aber nicht, dass es dort zu einem Übertragungsfehler beim Jahr der Uraufführung der Oper (irrtümlich »1651« statt »1751«) gekommen ist; vgl. ibid., S. 698 u. S. 751. 32  Atti del Notaio Isidoro Carbevali di Lanzo, Como, Archivio di Stato, Notarile 3337, S. 3 – 19; abgedruckt in Bergamini 1994, S. 360 – 366. 33  Ibid., S. 365 (»das andere Bild, auf dem mein Porträt zusammen mit dem der verstorbenen Margarita Novi, meiner ersten Frau ist«). 34  Der Status animarum Paraetiae Layni et Confirm (Laino, Archivio parrocchiale, c. 2r) nennt 1733 einen »D. Julius de Qualeis Cap. Fam. ettatis suae annorum 64«; das Liber mortuorum I (Laino, Archivio parrocchiale, c. 15v) notiert den Tod des Künstler am 3. Juli 1751; vgl. Bergamini 1994, S. 359 u. S. 367. 35  Bergamini bezieht sich hier auf einen Hinweis aus unveröffentlichten maschinenschriftlichen Aufzeichnungen zur Familie Quaglio; vgl. Piero Fontana: Giulio Quaglio (1669 – 1751) ed artisti di sua famiglia, 1938, Laino, Archivio Parrocchiale; vgl. Bergamini 1994, S. 17. 36  Ana Lavricˇ (Hrsg.): Janez Gregor Dolnicˇar. Zgodovina Ljubljanske Stolne Cerkve. Ljubljana 1701 –  1714 / Ioannes Gergorius Thalnitscher. Historia Cathedralis Ecclesiae Labacensis. Labaci 1701 – 1714, Ljubljana 2003, S. 166. 37  Vgl. Bergamini 1994, S. 61 ff. 38  Vgl. ibid., S. 22 f. 39  Für die Erhebung eines Malers Quaglio in den Adelsstand durch Kaiser Leopold, sowie für die Auszeichnung mit Kette und Becher konnten in den Archivalien bislang keine Belege gefunden werden. 40  In Laibach hat sich Giulio Quaglio in der Szene des Brotwunders des Heiligen Nikolaus im Selbstporträt eingefügt. Da dieses bei einer Restaurierung des 19. Jahrhunderts stark verändert wurde, kann es hier zum Vergleich nicht hinzugezogen werden. Im heutigen Zustand sieht man den Künstler sich auf einen Steinquader aufstützend, der die Signatur trägt. In der linken Hand hält er ein halb abgerolltes Papier, welches als Entwurfszeichnung auf seine Invention verweist, mit seiner rechten führt er ein Bündel Pinsel, mit welchen er gerade mit mehreren Pinseln gleichzeitig  –  wohl ein Scherz des Restaurators  –  sein gestreiftes Obergewand malt; vgl. Bergamini 1994, S. 172 ff. (mit Abb.). Thalnitscher berichtet in seiner Chronik, wie dieses Selbstporträt einst entstand: »Prima Iunii, utpote die festo, cum templum ab omni strepitu vacaret, Iulius Qualeus sese eidem inclusit ac speculo usus ad latus chori se effigiavit ea arte, quâ pol[l]ebat, ut in effigie vivus spirare videatur. Inter[r]ogatus, cur in hac ex quatuor imaginibus maioribus sibi locum selegerit, respondit, se hac de causa eo posuisse, / ubi egentibus panis distribuitur, cum et is sat bonam portionem a Divo Nicolao thaumaturgo, huius Basilicae patrono, acquisiverit« (Lavricˇ 2003, S. 149). 41  Vgl. Grazietta Chiesa Butazzi: Riflessioni sulla moda maschile tra Seicento e Settecento a proposito di alcuni ritratti di Fra’ Galgario, in: Fra’ Galgario. Le seduzioni del ritratto nel ’700 europeo (hrsg. v. Francesco Rossi), Ausstellungskatalog, Accademia Carrara di Belle Arti, Bergamo 2003, S. 341 – 3 45. Das im Vergleich zur meist aus venezianischer Spitze bestehenden cravatta schlichte weiße Tuch aus Musse-

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lin ist der soldatischen Kleidung entlehnt. Nach der Mode der gegen die Engländer in die Schlacht von Steenkerke ziehenden französischen Adeligen wird es ab 1692 als steinkerque bezeichnet. Das lange Tuch wird um den Hals geschlungen, die beiden Enden in sich verdreht. Es handelt sich dabei um ein sehr modisches und zeitlich gut eingrenzbares Accessoire des ausgehenden 17. Jahrhunderts; vgl. dazu insbesondere die kostümkritischen Anmerkungen von Grazietta Chiesa Butazzi in: Il ritratto in Lombardia da Moroni a Ceruti (hrsg. v. Francesco Frangi u. Alessandro Morandotti), Ausstellungskatalog, Museo d’Arte Moderna e Contemporanea, Varese 2002, S. 236, Kat.-Nr. 92. 42  Mein Dank gilt Heiko Damm, der einen kritischen Blick auf das Gemälde geworfen und meinen anfänglichen Verdacht einer Datierung auf die zweite Hälfte des 17. Jahrhunderts bestätigt hat. 43  Möglicherweise spielt dabei auch ein bisher nicht berücksichtigter Aspekt eine Rolle: Bei einer Künstlerdynastie aus dem Bereich der Theatermalerei drängt sich unwillkürlich der Vergleich mit den Galli Bibiena auf. Die wohl bekannteste Künstlerfamilie auf dem Gebiet der Szenografie wird jedoch in der gesamten Selbst- und Außendarstellung der Quaglio mit keinem Wort erwähnt. Stillschweigend wird die Ahnenreihe der Quaglio durch die »Erfindung« eines 1601 geborenen Giulio Quaglio aber soweit in die Vergangenheit verlängert, dass sie schließlich vor den Galli Bibiena beginnt, die ihren Ursprung bei Giovanni Maria Galli Bibiena (1625 – 1665) haben. 44  Vgl. Naglers Künstler-Lexikon, Bd. 12 (1842), S. 135 f.; Thieme/Becker, Bd. 27 (1933), S. 494; Bergamini 1994, S. 17 f.; Hora 1932, S. 1. 45  Naglers Künstler-Lexikon, Bd. 12 (1842), S. 135 f. 46  Wahrscheinlich im Zusammenhang mit dem von den Nationalsozialisten geforderten Ariernachweis versuchen die im Deutschen Reich lebenden Nachfahren der Quaglio 1935 die Genealogie ihrer Familie zu rekonstruieren. Ein Brief Eugen Quaglios an seinen Vetter vom 12. März 1935 (Stadtarchiv München, Nachlass Adam, Nr. 814) zeigt, dass der Familie über die frühen Generationen keine gesicherten Informationen vorlagen: »Deine Schwester Irma bat mich gestern, Dir die Geburts-etc.-Daten von mir, meinem Vater und Grossvater zu übermitteln, was ich hiermit in der Anlage ausgeführt habe. Von meiner Grossmutter Pauline Q. weiss ich selber das Geburtsdatum nicht und weiter hinauf habe ich keinerlei genaue Daten.« In der beigefügten maschinenschriftlichen Anlage ist neben der Eltern- und Großelterngeneration einzig der »Ahnherr der Familie: Giulio Quaglio, geb. 1601 in Laino am Comersee« als Vorfahre mit bekanntem (und aus der Datierung auf dem Künstlerselbstporträt abgeleitetem) Geburtsjahr aufgeführt.

Selbsti n sze n ieru ng u n d i nsze n ierte G e n eal ogie

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»MON MASQUE APPARTIENT À TOUS« Die selbstdarstellerischen Praktiken Gustave Courbets ST E P H A N I E M A RCHAL

Das Selbstporträt als Ausstellungsbild Ein junger Mann sitzt mit Zeichenmappe und Hund in seiner heimatlichen Landschaft, sein provokanter Blick streift uns; ein andermal schlummert er mit seiner Liebsten im Gras, unter ausladenden Baumkronen, um in der nächsten Szene, an einen Felsen im Wald gelehnt, Abschied von den Seinen, von seinen Jugendjahren auf dem Lande zu nehmen; ein Schritt, der ihm sichtlich schwer fällt. Ziel seines Aufbruchs ist Paris, wo er sich im Rollenspiel versucht – nach Goethe »die beste Art, die Menschen aus sich heraus und durch einen Umweg wieder in sich hinein zu führen«.1 Der junge Mann zeigt sich  –  in offensichtlicher Pose, bisweilen kostümiert und zumeist ganzfigurig  –  als Damespieler, Bildhauer und Cellist sowie in Zuständen äußerster Verzweiflung, vor Abgründen stehend, die Haare raufend; dramatisch auch die Präsentation als Verletzter, möglicherweise im Duell Geschlagener, mit geschlossenen Augen, Dolch und klaffender Wunde, im Grünen liegend, sowie als Walzertanzender mit Geliebter im Arm, erneut in der freien Natur und mit im Tanzrhythmus herausschnellenden Haarsträhnen |Abb. 1 – 3|. Für die Literatur, zumal für die Romanliteratur des 19. Jahrhunderts, stellen derartige Schilderungen alles andere als eine Besonderheit dar. Als bildliche Darstellungen, ja als Selbstdarstellungen sind sie hingegen bis heute ungewöhnlich. Wie kam der junge Gustave Courbet dazu, solche Autoporträts zu gestalten? 1839 von der Provinz nach Paris, die

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1  Gustave Courbet: Le Désespéré (Le Fou de peur), um 1845 – 1850, Öl auf Papier, aufgezogen auf Leinwand, 60,5 × 50,5 cm, Oslo, Nasjonalgalleriet

»Hauptstadt des 19. Jahrhunderts« (Walter Benjamin) umgesiedelt, um hier Karriere als Maler zu machen, sah der zwanzigjährige Courbet sich vor die Herausforderung gestellt, die Aufmerksamkeit einer anonymen Öffentlichkeit auf sich und seine Werke zu lenken. Unmittelbare Begegnungsstätte von Künstler und Publikum war der jährliche Salon, mittelbare Begegnungsstätte die Presse, in der Kunstausstellungen reflektiert wurden. Das Passieren der konservativen Salonjury allein war jedoch noch lange keine Gewähr dafür, wahrgenommen zu werden; zu immens war die Masse der Exponate. Es bedurfte zunehmend der Entwicklung von Strategien, um die Blicke auf sich zu ziehen.2 Auffallend an Courbets Versuchen, im Salon zu reüssieren, ist bei aller Breite seines eingereichten Gattungsrepertoires eine schon

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2  Gustave Courbet: L’Homme blessé, 1844 – 1855, Öl auf Leinwand, 81 × 97 cm, Paris, Musée d’Orsay

3  Gustave Courbet: Les Amants dans la campagne, sentiments du jeune âge, 1844, Öl auf Leinwand, 78 × 60 cm, Lyon, Musée des Beaux-Arts

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4  Gustave Courbet: La Rencontre, 1854, Öl auf Leinwand, 132 × 150,5 cm, Montpellier, Musée Fabre

von den Zeitgenossen als bemerkenswert konstatierte Kontinuität beim Ausstellen von Selbstbildnissen.3 Zwischen 1843 und 1851 reichte er mit jedem Werkensemble immer auch ein ihn in persona präsentierendes Autoporträt ein, und auf seinen Einzelausstellungen 1855 und 1867 war dieses Genre ebenfalls zahlenmäßig stark vertreten.4 Diese Präferenz ist auf den ersten Blick insofern erstaunlich, als das Bildnis im tradierten Gattungsverständnis eher niedrig rangierte und von vornherein wenig Aussicht auf Anerkennung verhieß. Courbet reagierte auf diesen Umstand, indem er über das hinausging, was man bislang gemeinhin unter einem Künstler(selbst)porträt verstanden hatte. Seine Autoporträts wurden auf die einführend skizzierte Weise szenenartig-situativ und lösten sich im Laufe der 1840er Jahre zusehends von dem auf einen privaten Rezeptionskontext hin angelegten »romantischen« Format.5 Wegen ihrer Größe und ihrer zum Teil irritierend appellativen Kompositionsstruktur wurden sie ebenso wie aufgrund ihrer regelmäßigen öffentlichen Präsentation und des Presseechos, das sie evozierten, auf ungewohnte Art aufdringlich. Vorrangig für den Salon konzipiert, das heißt weniger monologisch im Sinne Nietzsches als auf den Betrachter hin orientiert, waren sie als Kunst vor Zeugen intendiert.6 Für wie abnorm ein solches Vorgehen, Selbstdarstellungen zu »Ausstellungsbildern« zu stilisieren, empfunden wurde, seismografierten allem voran die diese Praxis spiegelnden Karikaturen.7 In ihrer Parodie auf

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Selbstporträts wie La Rencontre von 1854 (Montpellier, Musée Fabre) sensibilisieren sie bis heute für das die Zeitgenossen irritierende Moment, eine vorgeblich private, »zu persönliche« Begebenheit auf einem der Historie vorbehaltenen Format auszustellen |Abb. 4|.8 Courbet hatte Mitte des 19. Jahrhunderts eine Gratwanderung zu vollführen: Einerseits musste er dem gewachsenen Interesse an der Künstlerpersönlichkeit, der Person hinter den Werken, gerecht werden, wobei Authentizität und Ehrlichkeit seitens des neuen Adressatenkreises, der anonymen Öffentlichkeit, erwartet wurden. Andererseits lief diese Forderung nach »wahrer« Selbstenthüllung jedoch der Notwendigkeit zuwider, seine öffentliche Wahrnehmung strategisch zu lenken, sich aufzudrängen, um überhaupt registriert zu werden. Um im Konkurrenzsystem Kunstmarkt sichtbar und wiedererkennbar zu sein, bedurfte es somit eines konturierenden Image und zugleich einer Methode, dieses Image nicht als solches, das heißt als strategisches, werbewirksames Konzept erkenn- und durchschaubar zu machen; ein Selbstentwurf musste entwickelt werden, der für glaubwürdig befunden wurde und dessen Kommunikation über das Selbstporträt auch insofern nahe lag, als dieses Genre zusehends unter der Prämisse rezipiert wurde, eine im Selbstauftrag entstandene, authentisch-unmittelbare Äußerung des Künstlers zu sein.9 Neue Beurteilungskriterien und veränderte Präsentationsbedingungen wirkten demnach als rezeptionsästhetische Vorgaben auf das Kunstschaffen ein, wobei sich für die Selbstdarstellung nicht nur ein Wandel hinsichtlich Adressat, Funktion, Format, Habitus und Motivik konstatieren lässt. Der Künstler stellte sich bei der medialen Bekanntmachung seiner selbst auch breiter auf  –  etwa unter Verwendung von leichter reproduzierbaren Porträtfotografien  –  und ergänzte die bildliche Aussage durch performative Komponenten, wie zum Beispiel den instrumentarisierten Skandal.

Rollenspiele: Die Selbstporträts als Bildungsroman Die Beobachtung des zeitgenössischen Kritikers Maxime Du Camp, Courbet habe sich seinen Platz in der Presse selbst ausgesucht, gilt gleichermaßen für die soziale Verortung des Künstlers in der noch jungen bürgerlichen Gesellschaft.10 Deren Schranken wurden durchlässiger, das Gesellschaftsgefüge seit dem ausklingenden 18. Jahrhundert schrittweise flexibilisiert. Die Identität des Einzelnen war im Zuge dessen immer weniger durch die Zugehörigkeit zu einem Teilsystem, wie Familie oder Stand, festgelegt, sondern vielmehr durch die Partizipation an mehreren, zumeist selbst gewählten Subsystemen dem Individuum stärker selbst überantwortet.11 Der individuelle Lebensweg gestaltete sich folglich komplexer und wurde durch die Übernahme unterschiedlicher Rollen form- und experimentierbar. Popularisiert wurden solche Vorstellungen eines selbstbestimmten Bildungsprozesses insbesondere im Bildungsroman; ein von Goethe geprägtes, seinerzeit auch in Frankreich modernes Genre, das Courbet nicht nur Lektüre, sondern auch Reservoir an Topoi und Bildern für die Schilderung der eigenen Entwicklung gewesen zu sein scheint:

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Seine häufig genrehaft anmutenden, szenenartig-situativen Selbstporträts stehen dem Bildungsroman semantisch, motivisch und strukturell, nämlich in der Abfolge der thematisierten Bildungsetappen, näher als der zeitgleichen Malerei. Gleich ihm bediente sich der Maler einer Psychisches in äquivalente physische Beschreibungen transformierenden Zeichensprache: Thematisiert werden, wie bereits angedeutet, die provinzielle Herkunft sowie der Aufbruch in die Fremde (im französischen Bildungsroman nach Paris) beziehungsweise in eine die Heimat neu perspektivierende Erlebniswelt, in der es zu reüssieren gilt.12 Höhen und Tiefen prägen diesen Weg, der in Courbets Bildnissen durch Topoi wie Haareraufen, Abgrunderfahrung, Wunden und Duelle sowie erste Ausschweifungen und Liebesabenteuer, wie sie rauschhafte Tanzerlebnisse bieten, beschrieben wird.13 Identitätsfindung vollzieht sich in Rollenspielen, Gruppenzugehörigkeiten und initiatorischen Begegnungen, bis am Ende des Romans der 5  Gustave Courbet: L’Homme à la pipe, um 1849, Öl auf Leinwand, 46 × 38 cm, Montpellier, Protagonist ungefähr das dreißigste Lebensjahr Musée Fabre erreicht und seinen Platz in der Gesellschaft gefunden hat  –  ebenso wie Courbet sich 1855 in seinem die Selbstbildnisreihe beschließenden Gemälde L’Atelier du peintre (Paris, Musée d’Orsay) als Mitte Dreißigjähriger gesellschaftlich verortet und als Mensch wie als Künstler arriviert präsentiert.14 Das Selbstporträts gemeinhin zugesprochene Moment psychologischer Selbstergründung scheint vielen Bildnissen Courbets allerdings zu fehlen; nicht der Selbstbefragung indizierende Blick, sondern der Leib und seine Verortung, Subjektpositionierung und Selbstkonstitution im Rahmen jener gesellschaftlichen Räume, die dem Künstler und Menschen seinerzeit zur Verfügung standen, scheinen statt dessen zentral zu sein. Dass Courbet dergestalt Erwartungen an ein Selbstporträt unterlaufen hat, dass seine Selbstporträts irritiert haben  –  und immer noch irritieren  – , wird durch die Unsicherheit, einige dieser Werke als Darstellungen seiner selbst zu identifizieren, unterstrichen.15 Erschwerend kommt hinzu, dass vereinzelte Selbstbildnisse wie zum Beispiel das ausgehend von persönlichen Erlebnissen mehrfach überarbeitete und in seiner Genese komplexe Gemälde Der Verwundete von 1844 – 1854 (Paris, Musée d’Orsay) vom Maler selbst unter »tableaux« und nicht unter »portraits« rubriziert wurden; eine Rezeptionsvorgabe, die den Anspruch der Darstellung, über das bloße Abbild einer Person hinauszugehen, geltend zu machen versuchte.16

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Man könnte diesen Schritt als Reaktion auf das Dilemma des Salonporträts generell begreifen, das darin bestand, dass seine privat-memorierende Funktion sich nicht ohne weiteres mit seiner öffentlichen Verwendung als ästhetisch-autonomes Kunstwerk vereinbar zeigte.17 Herkömmliche Gattungsgrenzen wurden durch Gemälde wie Der Verwundete, die  –  von den Zeitgenossen durchaus identifiziert  –  zwischen Porträt und »Einfigurenhistorienbild« (Jennifer Montagu) changieren, in Frage gestellt, und Zweifel daran, ob es sich bei den dargestellten Gemütszuständen und Erlebnissen um diejenigen des Malers selbst handelt, schließen sich an.18 Als bildliche Konkretionen kollektiver, das heißt narrativer Muster identifizierbar, kann man sich des Eindrucks einer gewissen Äußerlichkeit der Selbstschilderungen Courbets nicht erwehren. Der »Kollektivitätsgrad«, wie ihn Georg Simmel 1916 für das italienische Renaissanceporträt in Abgrenzung zu Rembrandts Bildnismalerei beschrieben hat, und der aus einer (nach außen 6  Gustave Courbet: Autoportrait au col rayé, hin) vergleichbaren, transpersonalen »Idee des 1854, Öl auf Leinwand, 46 × 38 cm, Montpellier, Musée Fabre Menschlichen« resultiere, kann auch für die frühen Selbstdarstellungen Courbets festgestellt werden.19 Die Situationen und Gebärden des Lebens, in beziehungsweise mit denen er sich konterfeite, sind dabei auf einzelnen Werken, von Bildnis zu Bildnis, isoliert voneinander dargestellt. Erst im um 1849 gemalten L’Homme à la pipe sowie etwas später im Autoportrait au col rayé von 1854 (beide Montpellier, Musée Fabre) scheint Courbet dem nahe zu kommen, was Simmel als Essenz der Bildnisse Rembrandts hervorgehoben hat: Erst hier mutet die Bewegung weniger äußerlich als der Erscheinung immanent an |Abb. 5 – 6|. Courbet stellt nicht länger vereinzelte Aspekte und Momente seiner selbst, sondern stattdessen sich seiner selbst bewusst dar.20 Die Gesamtströmung des individuellen Lebens kondensiert sich in je einem Bildnis; äußerlich angebbare, anekdotisch-literarische Handlungsmomente sind einer potentiell enthaltenen inneren Dynamik gewichen.21 Die Zeitgenossen sahen Courbets Identität bezeichnenderweise ebenfalls in gerade diesen beiden  –  auf das Antlitz konzentrierten  –  Selbstbildnissen am überzeugendsten erfasst.22 Für die selbstbildnerische Entwicklung des Malers trifft folglich die Beobachtung Jules-Antoine Castagnarys zu, dass sich unsere Gesichtszüge erst im Alter von ungefähr vierzig Jahren definierten und sich eine »physionomie véritable« nur langsam herauskristallisiere.23 Derartige Gedanken prägen auch den Werdegang populärer Bildungsromanhelden, mit denen sich

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Courbet explizit verglich.24 1854 resümierte er gar, mit seinen Selbstbildnissen sein Leben »geschrieben« zu haben (»j’ai écrit ma vie«).25 Er suchte seinen Autoporträts dergestalt rückblickend einen Zusammenhalt, eine sich über die Diachronie ergebende Kohärenz zu verleihen. Die planmäßige Ausrichtung aller Selbstporträts auf eine entsprechende übergreifende Intention lässt sich selbstverständlich ebenso wenig behaupten wie eine bewusste Eins-zueins-Übernahme aus der Literatur oder eine Reduzierung seiner Selbstporträts auf bloße Illustrationen.26 Vielmehr scheint mir die Zusammensicht von Roman- und Selbstbildnisschaffen für eine angemessene Verortung Courbets im ideengeschichtlichen Kontext seiner Zeit aufschlussreich.

Veränderungen der Bildstruktur: Der Schritt zur Silhouette Aber nicht nur motivisch, sondern auch in ihrer Formgestalt sind die Selbstbildnisse Courbets, wie eingangs erwähnt, unkonventionell. Eine gestalterische Besonderheit vieler früher Selbstporträts stellt das Vordringen einzelner Körperteile aus dem Bild- in den Betrachterraum hinein dar, was Michael Fried, einer der wenigen Interpreten des Selbstbildniskorpus von Courbet, auf den Malakt, bei dem es Courbet um ein körperliches Sich-Hineinversetzen in seine Bilder gegangen sei, zurückzuführen sucht.27 Meines Erachtens wäre, was die Motivation eines solchen Vorgehens betrifft, auch zu überlegen, ob das suggerierte physische Überschreiten der Bildgrenzen sich auf die Präsentationsbedingungen zurückführen ließe? Eine Salon-Karikatur Grandvilles parodiert vergleichbare kompositorische Bildaufbrüche gegen den Betrachterraum, vermittels derer im Bildergewimmel der jährlichen Großausstellung um die Aufmerksamkeit der Salonbesucher gebuhlt wurde |Abb. 7|.28 Bemerkenswert ist nun, dass Courbet mit Einsetzen erster Erfolge, also ungefähr kurz nach Entstehung von L’Homme à la pipe, auch im Selbstbildnis neue Strategien der Publikumsadressierung entwickelt. In den die Selbstbildnisreihe beschließenden Großformaten La Rencontre und L’Atelier du peintre ist es das bildparallel inszenierte Sich-Zeigen, ein bühnenartig Zuschauer und Akteur voneinander trennendes Auftreten, dessen Courbet sich als kompositorisches Mittel bedient. Die in einigen frühen Selbstbildnissen ungeschickt und artifiziell anmutende Pose wird Mitte der fünfziger Jahre  –  entsprechend dieser veränderten Inszenierungspraktik  –  bildrhetorisch gezielt als Hyperbole eingesetzt: Sie macht Botschaften eindringlich, formelhaft verkürzbar und provoziert vorsätzlich die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit. Erklären lässt sich ihre Anwendung nicht zuletzt mit einer Kommunikationskrise der Kunst, mit der Befürchtung des Künstlers, die Botschaft seines Bildes könne den Empfänger auf einem anonymen Markt nicht erreichen oder verfehlen.29 In La Rencontre etwa, der Darstellung einer Begegnung des Künstlers mit seinem Mäzen Alfred Bruyas und dessen Diener, stellt sich Courbet seinem Gönner gegenüber nicht nur als gleichwertig, sondern  –  obschon de facto von dessen Aufträgen und Ankäufen abhängig  –  als überlegen dar, Geld und Genie neu hierarchisierend. Proportionale Verzerrungen, das Durchbrechen

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7  Jean-Jacques Grandville: Die Aufseher werden gut daran tun zu verhindern, dass die Besucher diesen Bildern zu nahe kommen, denn es könnte ein Unfall geschehen, Holzschnitt, in: Jean-Jacques Grandville: Un autre monde, Paris 1844, S. 86

der vorgeblich Gleichheit suggerierenden Isokephalie sensibilisieren für den empfundenen Missstand, die Übertreibung impliziert einen Revisionsversuch und nähert das Gemälde der Karikatur an beziehungsweise ermöglicht es den Karikaturisten, genau an diesen vermeintlichen »Brüchen« im Werk Courbets anzusetzen.30 Nicht nur vermittels der veränderten Relationssetzung von Bild- oder Bühnenraum mit dem Ich des Malers lässt sich die Tendenz erkennen, dass sich Courbet zusehends zu einem von außen gesehenen Objekt, zu einer sich dem Markt anbietenden »Maske« stilisiert.31 Die metonymische Ausweitung der selbstdarstellerischen Praxis Courbets ab Ende der fünfziger Jahre, im Zuge derer Stilleben und autopoetische Gestaltideen die traditionelle Selbstbildnisfunktion übernehmen, sowie das sich de facto  –  mit den Mitteln der Kamera  –  Von-AußenDarstellen-Lassen zielen gleichermaßen in diese Richtung.32

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Veränderung des Mediums: Der Schritt zur Fotografie Mitte der fünfziger Jahre verlagerte sich die Selbstpräsentation Courbets nämlich nicht nur in beschriebener Weise von einer frühen physisch-appellativen Direktheit hin zu einem bühnenhaft-megalomanen Auftritt, der die Pose bis zur Selbstparodie trieb und einfror; Courbet griff darüber hinaus auch zu den neuen Möglichkeiten einer vermeintlich dokumentarisch verbürgten Medienpräsenz, indem er sein sich in dieser Zeit entwickelndes, jedwede kulturelle Bildung programmatisch negierendes Arbeiterkünstlerimage vornehmlich über Lichtbildnisse seiner Person zu kolportieren suchte.33 Das Verhältnis der zahlreichen Porträtfotografien zu den gemalten Autoporträts ist für das Verständnis ihrer jeweiligen Funktion(en) aufschlussreich, zumal die Selbstdarstellung schließlich nahezu vollends der neuen Reproduktionstechnik überantwortet werden sollte. Auch hier von Selbstdarstellungen zu sprechen, scheint mir insofern zulässig, als briefliche Aussagen Courbets nahelegen, dass der Maler als Porträtregisseur an seinen Lichtbildnissen mitgewirkt und er seine Fotografen ganz gezielt, das heißt im Sinne seines Programms, ausgesucht hat |Abb. 8|.34 Ein möglicher Grund für den Rückgang der gemalten Selbstbildnisse ab 1855 ist, dass Courbet seinen Selbstfindungsprozess zu diesem Zeitpunkt abgeschlossen und sein fortan gültiges Image in so berühmten Gemälden wie La Rencontre oder L’Atelier du peintre gefunden zu haben schien; dieses Image musste in Folge nur noch perpetuiert, konsolidiert und medial aufbereitet werden. Der Rückgriff auf die bequeme, schneller anfertigbare Porträtfotografie lag deshalb nahe. In der gemalten Selbstdarstellungspraxis hatte sich ein solcher Medienwechsel bereits angekündigt; wir begegnen hier schon Mitte der fünfziger Jahre der Handhabe Courbets, Porträts seiner selbst, die er einmal in einer für ihn überzeugenden Weise fixiert hatte, zu reproduzieren und verschiedentlich verwendbar zu machen: Das Replizieren seines Kopfes mit gestreiftem Kragen aus dem Autoportrait au col rayé von 1854, seine nahezu schablonenartige Übertragung auf die genannten Großformate La Rencontre und L’Atelier du peintre indizieren allem voran Imagepflege und -festigung.35 Die »Marke« Courbet, unveränderlich des Wiedererkennungseffekts wegen, war geprägt und nun als Corporate Design multiplizierbar. Courbet ließ seine Porträtfotografien nicht nur über Fotografen vertreiben, sondern trug auch selbst zu deren Zirkulation und Verbreitung bei; zumeist abgezogen im beliebten Visitenkartenformat (etwa 10 auf 6 Zentimeter), bisweilen rückseitig mit einer Widmung ver­ sehen, verteilte er sie eigenhändig. Darüber hinaus wurden seine Porträtfotografien prototypisch in Vignetten, Radierungen und Lithografien verwendet, die andere Künstler von ihm anfertigten. Auch Zerrbilder griffen auf die Lichtbildnisse Courbets zurück, begünstigt durch die häufige Personalunion der Fotografen und Karikaturisten im Paris der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts.36 Während Courbet seine Porträtfotografien so, wie auch seine Korrespondenz bezeugt, unters Volk zu bringen versuchte, präsentierte er die oben vorgestellten frühen Selbstporträts weiterhin auf Ausstellungen. Konnten das (von ihm bevorzugt gezeigte) Selbstbildnis L’Homme à la pipe sowie das Autoportrait au col rayé einmal nicht von Alfred Bruyas, ihrem

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Besitzer, entliehen werden, trug der Maler sich mit dem Gedanken, an ihrer statt eigenhändige Repliken (»copies«) auszustellen.37 Im Katalog zu seiner Einzelausstellung von 1867 bot Courbet darüber hinaus an, die Exponate auf Wunsch in beliebiger Größe eigenhändig zu »kopieren«  –  so nahezu wie ein Fotograf, der unbegrenzt viele Abzüge von seinen Lichtbildern anfertigen und feil bieten kann, arbeitend.38 Und eine neue Dimension war schließlich erreicht, als er L’Homme à la pipe fotografieren ließ, um Reproduktionen des Bildes auf seiner Ausstellung zu verkaufen.39 Seine Fotografen suchte Courbet, wie erwähnt, gezielt aus. Er erachtete sie, wie er im Februar 1863 in einem Brief aus Saintes an den von ihm bevorzugten Etienne Carjat schrieb, als seine »Biografen«.40 Ablichten ließ er sich vorzugsweise mit »naturalisierten« Posen, die vor dem Hintergrund zeitgenössischer Glaubwürdigkeitscodes für authentisch gehalten und nicht in ihrer Strategie erkannt wurden. Es handelt sich dabei um vermeintlich intim-spontane Aufnahmen, um scheinbar 8  Etienne Carjat: Porträtfotografie Gustave Courbet (mit Widmung an Madame Dorian), »natürliche« Szenen, wie sie jedoch seinerzeit, das um 1861, fotomechanischer Nachdruck, heißt vor Erfindung der Schnappschussfotografie, 21 × 27 cm, Paris, Musée d’Orsay technisch de facto noch nicht möglich waren.41 Diese Posen standen in wohl bedachter Korrelation zur kräftig-pastosen peinture sowie zur gattungstechnisch niedrig rangierenden Motivik seiner Malerei (vornehmlich Tier- und Landschaftsbilder). Gemeinsam konstituieren Duktus, Sujet und Habitus  –  insbesondere auf solchen Fotografien, die den Maler bei der Arbeit zeigen  –  Courbets kohärentes Arbeiterkünstlerimage sowie sein Künstlertemperament. Die zeitgenössische Kritik bestätigte diesen Selbstentwurf; sie übertrug den kraftvollen Farbkörper auf die physische Konstitution des Künstlers und assoziierte die sauvagerie seiner Jagdszenen mit dessen Virilität.42 Sujet und Künstler wurden als authentisch und zueinander passend konzipiert und rezipiert, wie an einer Fotografie Carjats demonstriert werden kann, die Courbet beim Malen einer seiner Hirschszenen zeigt |Abb. 9|.43 Courbet drückt, indem er sich mit Jägerhut bei der Arbeit präsentiert, seine Vertrautheit mit dem Motiv des Waldtieres und der Jagd aus. Es handelt sich um eine der ersten Werkzustandsaufnahmen der Fotografiegeschichte und zugleich um eine der frühesten Künstlerporträtfotografien in nahezu verlorenem Profil, welches so gewendet ist, dass Bart und Pfeife als unmissverständliche Attribute des Künstlers noch zu erkennen sind. Der vermeintlich

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9  Etienne Carjat: Courbet beim Malen des »Hallali«, 1866 – 1867, Albuminabzug, 7,7 × 10,4 cm, Verbleib unbekannt (ehemals Paris, Sammlung André Jammes)

improvisierte Aufbau  –  Courbet sitzt vor der in Arbeit befindlichen Großleinwand auf einem Stuhl, der wiederum auf einer Kiste steht  –  ist Teil seiner unakademisch-legeren Selbstinszenierung.44 Die Arbeitsweise Courbets wird ebenfalls propagiert; seine freie, gegen das akademische fini gerichtete peinture, deren dunkle Untermalung er gleich einer Substruktur an der finalen Farbgestalt teilnehmen lässt, kann anschaulich nachvollzogen werden.45 Dieser Blick über die Schulter des arbeitenden Malers auf ein in Entstehung begriffenes Werk entspricht dem in den Gemälden Courbets bewusst sichtbar gelassenen, sich für das Betrachterauge manifestierenden Malvorgang; charakterliche und maltechnische franchise werden also gleichermaßen suggeriert und wurden von den Zeitgenossen entsprechend konstatiert.46 Die Glaubwürdigkeit des Mediums Fotografie tat ihr Übriges, den Eindruck »wahrer«, ehrlicher Selbstenthüllung zu bekräftigen. Nicht nur die oben angeführten pragmatischen Gründe sowie die Kritik anlässlich der Ausstellung seines Selbstbildnisses L’Homme à la pipe im Salon von 1850 – 1851, sich selbst im Gegensatz zu seinen übrigen Bildgegenständen (seiner sogenannten »Realismus-Trilogie«) idealisiert zu haben, dürften Courbet zur Nutzung der noch jungen Technik bewogen haben.47 Auch das innovative Biografien-Projekt Théophile Silvestres, bei dem der Kritiker zeitgenössische Künstler  –  und unter diesen als jüngsten Aspiranten auch Courbet  –  interviewen und so in einer Art unverfälschtem Selbstabdruck für die Nachwelt festhalten wollte, muss den jungen Maler, an den Silvestre Anfang der fünfziger Jahre herangetreten war, angeregt

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haben. Der Kritiker plante nämlich, einer jeden (Auto)Biografie ein Lichtbildnis des Präsentierten voranzustellen, fest davon überzeugt, dass, hätte er jeden Künstler um ein Selbstporträt gebeten, die Ähnlichkeit nicht garantiert gewesen wäre; die Künstler hätten sich, so Silvestres geäußerte Befürchtung, idealisiert und heroisiert.48 Seiner intendierten Darstellung des Künstlers und seines Charakters »wie er wirklich ist«, schien auf besondere Weise die gewissermaßen denotierte, für objektiv befundene Fotografie gerecht werden zu können.49 Dass das Kalkül seiner programmatisch Etude d’après nature untertitelten Studie aufging, belegt unter anderem das Lob Barbey d’Aurevillys: »[…] le sentiment de la réalité s’y produit avec tant de force, que l’esprit le moins sympathique à sa personne et à ses idées accepte ses portraits comme la vie […].«50 Courbet war dergestalt, so lässt sich resümieren, eine Art Schema der modernen Selbstdarstellungsmöglichkeit an die Hand gegeben worden, bei der es darauf ankam, dass die ihn zeigenden Fotografien stets »ähnlich« zu sein hatten; das heißt, sie mussten seinem legendär gewordenen Aussehen und Ruf entsprechen und mit der Identität übereinstimmen, die der Maler sich in der Öffentlichkeit zu geben wusste beziehungsweise die ihm von dieser zugesprochen wurde.51 Voraussetzung für ein derartiges Ähnlichkeitskonzept war ein spezifischer Bekanntheitsgrad, den Courbet nicht zuletzt über seine auf Widererkennbarkeit angelegten Selbstbildnisse, seine Skandalgemälde, Auftritte und Statements zuvor erlangt hatte, und auf dem seine Lichtbildnisse bestätigend aufbauen konnten. Die zahlreichen Karikaturen seiner Person haben die von Courbet bereit gestellten Anstöße bereitwillig aufgegriffen, sie haben an seine Selbstdarstellung angeknüpft, diese zugespitzt und so den Hype um seine Person mitbefördert.

Courbets Maske In Zusammensicht mit den immer aufdringlicher werdenden, sich verselbständigen Initialen und rot prangenden Bildsignaturen können die selbstdarstellerischen Praktiken Courbets als höchst theatralisch bezeichnet werden; eine Beobachtung, vor der Michael Frieds These, Courbets Versuch, mit seinen Bildern zu verschmelzen, sei eine antitheatrale Strategie, differenzierter betrachtet und gegebenenfalls modifiziert werden muss.52 Wenn Fried (im Sinne seiner Absorption-Theatralität-Polarisierung) konstatiert, Courbet wähle die »pastorale«, bei der der Maler beziehungsweise Betrachter nicht vor dem, sondern im Bild stehe, so trifft dies zweifelsohne für die Landschaftsmalerei Courbets zu.53 Bereits die Zeitgenossen fühlten sich Courbets Landschaften physisch ausgesetzt und sahen zugleich, wie erwähnt, den Maler selbst durch den Malduktus in sie eingeschrieben; eine Identifizierung, die durch die gemalte wie fotografische Selbstinszenierung Courbets im Akt des Landschaftsmalens nun bestätigt worden sein dürfte.54 Das Courbets Gemälden zugesprochene Potential, den Betrachter distanzminimierend zu affizieren, »to cancel or undo all distance not merely be­ tween image and picture surface but also, more importantly, between sitter and beholder,

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to close the gulf between them, to make them one«, kann bei dieser Gattung ebenso wie bei den zahlreichen weiblichen Akten anschaulich nachvollzogen werden.55 Während hier, motivisch legitimiert, Frieds Beobachtung, Courbets Gemälde seien geprägt von »merger rather than closure«, zuzutreffen scheint, gilt für die selbstdarstellerische Praxis zumindest ab Anfang der fünfziger Jahre das Gegenteil.56 Hier ist es die Maske, die Courbet sich kreiert, die ihn sich gegen die Betrachterwelt verschließen und unter der sich seine persönliche Unabhängigkeit in der von Timothy Clark beschriebenen Weise bewahren lässt57  –  und dies auch kompositorisch, indem Courbet sich in hermetisch geschlossenen Bühnen- beziehungsweise Kastenräumen (sowie im objektiv-distanziert wirkenden, strengen Profil) präsentiert. Durch neue Darstellungsformen und -mittel, indem er sich schließlich in Objektform und durch die Fotografie explizit »von außen« zeigt beziehungsweise zeigen lässt, wird das sich Anbieten als Objekt, unterstrichen; ganz im Sinne der Autorisierung Courbets gegenüber Fotografen und Karikaturisten: »Mon masque appartient à tous.«58 Was mit bildungsromanhafter Attitüde und dem darin implizierten Wunsch nach Selbstfindung begann, gipfelt so letztlich in der Konsolidierung eines Images.

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1  Johann Wolfgang von Goethe: Wilhelm Meisters Lehrjahre [1795 – 1 796], Frankfurt am Main 1980, S. 120, vgl. auch ibid., S. 26. 2  Vgl. Courbets strategische Überlegungen in Briefen an seine Eltern aus den vierziger Jahren, in: Petra ten-Doesschate Chu (Hrsg.): Correspondance de Courbet, Paris 1996, beispielsweise S. 46 f. (44-1), S. 53 (45-3), S. 54 (45-4), S. 55 (45-5). 3  Vgl. Théophile Gautier: Exposition universelle de 1855, Peinture. Sculpture, in: Le Moniteur Universel, 29. November 1855: »M. Courbet a une fort belle tête qu’il aime à reproduire dans ses tableaux […]«, zitiert nach id.: Courbet, le Watteau du Laid (hrsg. v. Christine Sagnier), Biarritz 2000, S. 54; vgl. Maxime Du Camp 1855 anlässlich von Courbets Einzelausstellung, zitiert nach Laurence des Cars: L’Invention de Courbet. Les premiers autoportraits, in: Gustave Courbet (hrsg. v. Pierre Vallaud), Ausstellungskatalog, Galerie du Grand Palais, Paris / Metropolitan Museum of Art, New York / Musée Fabre, Montpellier 2007, S. 91 – 93, S. 91: »Sauf trois ou quatre tableaux […] toutes les œuvres étaient la reproduction de M. Courbet par lui-même. Courbet saluant, Courbet marchant, Courbet arrêté, Courbet couché, Courbet assis, Courbet mort, Courbet partout, Courbet toujours […]«. Im Charivari spottete Taxile Delord am 4. Juli 1855, S. 2, und am 12. Dezember 1855, S. 1 f., darüber, dass Courbet sich beständig selbst und zum Zwecke der Eigenvermarktung zum Bildgegenstand wähle. 4  Die Selbstdarstellungen Courbets finden sich sämtlich abgebildet und untersucht in: Stephanie Marchal: Gustave Courbet in seinen Selbstdarstellungen, München u. Paderborn 2012. 5  Zum romantisch-intimen Künstler(selbst)bildnis vgl. Joanna Crown Stein: The Image of the Artist in France. Artists and Portraits and Self-Portraits around 1800, Phil. Diss., University of California, Los Angeles 1982, S. 17; Robert Kantz: Seelenhafte und symbolische Selbstportraits in der deutschen Romantik, in: Pascal Griener u. Peter Schneemann (Hrsg.): Images de l’Artiste. Künstlerbilder. Colloque du Comité International d’Histoire de l’Art, Université de Lausanne, 9. – 1 2.6.1994, Bern et al. 1998 (Neue Berner Schriften zur Kunst, Bd. 4), S. 41 – 5 7, S. 47. 6  Vgl. Friedrich Nietzsche: Die Fröhliche Wissenschaft, in: id.: Werke in drei Bänden (hrsg. v. Karl Schlechta), Bd. 2, München 1999, S. 7 – 2 75, S. 241 (Fünftes Buch. Wir Furchtlosen, 367). 7  Vgl. Matthias Fischer: Der junge Hodler. Eine Künstlerkarriere 1872 – 1897, Biel 2009 (Quellenstudien zur Kunst, Bd. 1), S. 84 ff. Ausstellungsbilder sind übergroß, sie spielen motivisch und maltechnisch mit der Empörung und den Emotionen des Publikums und gewähren dem Maler einen wirkungsvollen, imageprägenden Auftritt. 8  Brief von Gustave Courbet an Alfred Bruyas, 5. April 1855, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 127 (55-4). Die Karikaturen finden sich nahezu sämtlich zusammengetragen in: Charles Léger: Courbet selon les caricatures et les images, Paris 1920; Thomas Schlesser u. Bertrand Tillier: Courbet face à la caricature, Paris 2007. 9  Vgl. Oskar Bätschmann: Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997, S. 117. Stefan Borchardt hat die Imagestrategien Courbets näher untersucht und die griffige Formel vom »authentischen Image« geprägt; vgl. id.: Heldendarsteller. Gustave Courbet, Edouard Manet und die Legende vom modernen Künstler, Berlin 2007, S. 266. 10  Vgl. Alexandre Estignard: G. Courbet. Sa vie et ses œuvres, Besançon 1896, S. 40. 11  Vgl. Niklas Luhmann: Individuum, Individualität, Individualismus, in: id.: Gesellschaftsstruktur und Semantik, Bd. 3, Frankfurt am Main 1993, S. 149 – 258. Courbet selbst reflektierte Fragen der Persönlichkeitsentwicklung und Sozialisierung; vgl. Marchal 2012, S. 271 – 2 74.

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12  Vgl. zum Beispiel die folgenden Selbstbildnisse Courbets: Le Départ du Conscrit, um 1844, Aarau, Aargauer Kunsthaus; Courbet au Chien noir, um 1842 – 1844, Paris, Musée du Petit Palais; vgl. Marchal 2012, Kap. 2. 13  Vgl. zum Beispiel Le Désespéré, 1844 – 1845, Privatsammlung; Le Désespéré (Le Fou de peur), um 1845 – 1850, Oslo, Nasjonalgalleriet; L’Homme blessé, 1844 – 1854, Paris, Musée d’Orsay; Les Amants dans la campagne, sentiments du jeune âge, 1844, Lyon, Musée des Beaux-Arts. 14  Vgl. zum Beispiel Le Violoncelliste, 1847, Stockholm, Nationalmuseum; Coup de dames, 1844, Privatsammlung; La Rencontre, 1854, Montpellier, Musée Fabre. 15  Identifizierungsprobleme haben beispielsweise die folgenden Bilder Courbets in der Rezeptionsgeschichte bereitet: Une Après-dinée d’Ornans, 1848 – 1849, Lille, Palais des Beaux-Arts; Un Enterrement à Ornans, 1849 – 1850, Paris, Musée d’Orsay; Coup de dames, 1844, Privatsammlung; Guitarrero, 1845, New York, Privatsammlung; Le Retour au pays, um 1852 – 1854, Privatsammlung. Die frühesten Selbstbildnisse Courbets sind gesichtslos und werfen aus diesem Grund Fragen auf; seine Jägerfiguren der späten fünfziger und sechziger Jahre nähern sich Courbet an, können aber auch als generalisierte Projektionsfiguren begriffen werden; vgl. Marchal 2012, S. 13, S. 33 f., S. 82 u. Kap. V. 16  Vgl. Courbets Ausstellungsbroschüre von 1867, abgedruckt in: Charles Léger: Courbet, Paris 1929, S. 125. 17  Uwe Fleckner hat dieses Dilemma für die Bildniskunst von Ingres konstatiert und gezeigt, wie der Künstler darauf mit einer Semantisierung der Form reagierte; vgl. id.: Abbild und Abstraktion. Die Kunst des Porträts im Werk von Jean-Auguste-Dominique Ingres, Mainz 1995 (Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 5), S. 269 f. 18  Jennifer Montagu: Charles le Bruns Conferences Sur l’expression generale et particuliere, masch. Diss., London 1959, S. 201; zur Identifizierung des Verwundeten seitens der Zeitgenossen vgl. zum Beispiel die Werkkarikatur zu L’Homme blessé von Quillenbois in L’Illustration, 21. Juli 1855, mit der Bildunterschrift »M. Courbet blessé«, abgebildet in: Schlesser u. Tillier 2007, S. 70. Zum Handlungsmoment als Unterscheidungsmerkmal von Porträt und Historienbild vgl. Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Porträtmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985, S. 28 ff. 19  Georg Simmel: Rembrandt. Ein kunstphilosophischer Versuch [1916], Schutterwald 1999, S. 155. 20  Boehm spricht von einer Qualität des »ex se«; vgl. id. 1985, S. 22. 21  Vgl. Simmel 1999, S. 82; Boehm 1985, S. 22 ff., S. 43, S. 71 f., S. 99 u. S. 167. Courbet zeigt sich im Sinne Boehms nicht mehr »als« jemand, sondern gestaltet ein selbständiges, charakterlich autonomes Porträt. 22  Vgl. zum Beispiel Théophile Silvestre: Les Artistes français. Etudes d’après Nature, Paris 1878, S. 181 – 183 (es handelt sich um die erweiterte Ausgabe von: id.: L’Histoire des artistes vivants français et étrangers. Etudes d’après nature, Paris 1856). 23  Jules-Antoine Castagnary: La Philosophie du Salon de 1857, Paris 1858, S. 60. 24  Vgl. Pierre Courthion (Hrsg.): Courbet raconté par lui-même et par ses amis. Sa vie et ses œuvres, Bd. 1, Genf 1948, S. 37 (Zitat nach der Biografie Silvestres von 1856). 25  Brief von Gustave Courbet an Alfred Bruyas, 3. Mai 1854, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 114 (54-2). 26  Ein durchaus zeittypischer Versuch, das eigene Leben retrospektiv zu ordnen; vgl. Heinrich Heine: Zur Literatur, in: id.: Sämtliche Schriften (hrsg. v. Klaus Briegleb), Bd. 1, München 2005, S. 425: »Der

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Jüngling will eine Geschichte haben. Das ist die Bedeutung unseres Treibens in der Jugend; wir wollen was erlebt haben, wir wollen erbaut und zerstört, genossen und gelitten haben.« Goethe erläutert in seinem Vorwort zu Aus Meinem Leben. Dichtung und Wahrheit, dass er den Zusammenhang seiner oft unzusammenhängend erscheinenden Produktionen sowie seiner Bildungsstufen darzustellen beabsichtige; innere wie äußere Faktoren seien für seine Bildung entscheidend gewesen und müssten in deren Nachzeichnung gleichermaßen genannt werden; vgl. id.: Dichtung und Wahrheit [1811 – 1833], Frankfurt am Main u. Leipzig 1975, S. 11. 27  Vgl. Michael Fried: Courbet’s Realism, Chicago 1990, S. 67 u. S. 190. 28  Vgl. Werner Busch (Hrsg.): Verfeinertes Sehen. Optik und Farbe im 18. und 19. Jahrhundert, München 2008 (Schriften des Historischen Kollegs, Bd. 67), S. 43; vgl. auch Jean-Jacques Grandville: Un autre monde, Paris 1844, S. 85 (»Les gardiens feront bien d’empêcher les visiteurs d’approcher de ce tableau de peur d’accident«) u. S. 86 (Abb.). 29  Vgl. Klaus Herding: Isolation und Kommunikation als künstlerische Probleme im 19. Jahrhundert, in: Wissenschaftliche Zeitschrift der Humboldt-Universität zu Berlin 29/1980, S. 503 – 5 17, S. 512. 30  Ingres stellte vor Courbets Werken fest, dass es sich um »des exagérations, presque une parodie!« handele; zitiert nach Francis Wey: Notre Maître-Peintre Gustave Courbet (hrsg. v. Frédérique Desbuissons), La Rochelle 2007, S. 26. Angesichts des Begräbnisbildes sprach Franc¸ois Sabatier-Ungher von einer Annäherung an die Karikatur; vgl. id.: Salon de 1851, Paris 1851, S. 37. Die Karikaturen sind unter anderem abgedruckt in: Schlesser u. Tillier 2007. 31  Von der »Maske« Courbets sprach vor Timothy J. Clark bereits Julius Meier-Graefe; vgl. id.: Corot und Courbet. Ein Beitrag zur Entwicklungsgeschichte der modernen Malerei, Leipzig 1905, S. 203. Zu Courbets Autorisierung gegenüber dem Fotografen und Karikaturisten Nadar vgl. Brief von Gustave Courbet an Nadar, undatiert; zitiert nach ten-Doesschate Chu 1996, S. 544 (ND-3): »J’autorise Nadar à faire sur moi tout ce qu’il voudra.« 32  Gemeint sind hiermit zum Beispiel die Jägerfiguren der späten fünfziger und sechziger Jahre, Projektionsfiguren, die mit Courbet identifiziert, aber auch viel offener begriffen werden können; vgl. Marchal 2012, S. 299 ff. 33  Vgl. dazu sowie zu einer Auswahl von Fotografien id., S. 345 ff. 34  Courbets Mitwirken an und kritisch-bewusstes Umgehen mit der Pose ist zum Beispiel hinsichtlich der fotografischen Anfertigung eines Porträts von Pierre-Joseph Proudhon attestiert. Das ihn überzeugendste Lichtbild des Sozialtheoretikers, welches er auch als Vorlage für sein gemaltes Konterfei von Proudhon heranziehen sollte, sei, so Courbet, »selon ma pose« entstanden; vgl. Briefe von Gustave Courbet an Pierre-Joseph Proudhon, Mai/Juni 1863, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 200 (63-11) u. S. 203 (63-14); Brief von Gustave Courbet an Jules-Antoine Castagnary, 20. Januar 1865, ibid., S. 229 (65-3). Außerdem scheint Courbet selbst fotografische Porträts als Selbstbildnisse beziehungsweise als Teil seiner Autobiografie erachtet zu haben; vgl. Brief von Gustave Courbet an Alfred Bruyas, 3. Mai 1854, ibid., S. 114 (54-2). 35  Tatsächlich arbeitete Courbet bei der Erstellung des Atelierbildes 1854 – 1855 unter Zeitdruck, was ihn zur replizierenden Übernahme seines Porträtkopfes veranlasst haben könnte; vgl. Brief von Gustave Courbet an Jules Champfleury, November/Dezember 1854, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 122 (54-8). 36  Urheberrechte waren erst im Entstehen begriffen, beziehungsweise Courbet ging diesbezüglich, um die Imagebeförderung wissend, frei damit um; vgl. Brief von Gustave Courbet an den Chefredakteur von Le Hanneton, 17. April 1867, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 274 (67-8): »J’ai toujours trouvé souverainement ridicule qu’on me demande l’autorisation de publier mon portrait, de quelque façon que ce fût.

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Mon masque appartient à tous; c’est pourquoi j’autorise Le Hanneton à le publier  –  à condition cependant qu’il n’oublie pas de l’encadrer d’une belle auréole.«. Zur Wiederaufnahme einzelner Lichtbildnisse in der Karikatur vgl. Marchal 2012, S. 360. 37  Brief von Gustave Courbet an Jules-Antoine Castagnary, Ende Januar 1873, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 424 (73-7); Brief von Gustave Courbet an Alphonse Legrand, 16. Februar 1873, ibid., S. 429 (73-15). Einen Großteil seiner Selbstporträts veräußerte Courbet zeitlebens allerdings nicht. 38  Vgl. Brief von Gustave Courbet an Alfred Bruyas im Januar 1854, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 113 (54-1). 39  Vgl. zum Beispiel Brief von Gustave Courbet an Alfred Bruyas, 4. Juni 1855, worin er seinen Mäzen bittet, ihm unter anderem das Negativ von L’Homme à la Pipe zuzusenden, um Abzüge davon anfertigen und auf der Weltausstellung im selben Jahr verkaufen zu können, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 132 (55-7). Auch seine Eltern lässt er Anfang Mai 1855 wissen, Fotografien seiner Werke in seinem »palais de l’industrie« verkaufen zu wollen; vgl. ibid., S. 131 (55-6). 40  Brief von Gustave Courbet an Etienne Carjat, Februar 1863, in: ten-Doesschate Chu 1996, S. 197 (63-5). Mindestens 13 überlieferte Porträtfotografien Courbets stammen von Carjat, einem Gesinnungsgenossen Courbets; er unterstützte den Maler auch noch in der Zeit der Commune. Seine Klientel bestand hauptsächlich aus befreundeten Künstlern, Intellektuellen und republikanischen Politikern des Zweiten Kaiserreichs, nicht jedoch aus der Bourgeoisie. 41  Vgl. Roland Barthes: Die helle Kammer. Bemerkung zur Photographie [1980], Frankfurt am Main 1985, S. 43. 42  Vgl. zum Beispiel Théodore Duret: Courbet. Graveur et illustrateur, in: Gazette des Beaux-Arts 39/1908, S. 421 – 432, S. 421; Emile Zola: Ecrits sur l’art, Paris 1991, S. 50; Alexandre Estignard: G. Courbet. Sa vie et ses œuvres, Besançon 1896, S. 93. 43  Vgl. Théophile Thoré: Salon de 1866, in: id.: Salons de W. Bürger, 1861 à 1868, Bd. 1, Paris 1870, S. 278. 44  Vgl. Borchardt 2007, S. 145. 45  Vgl. Klaus Herding: Farbe und Weltbild. Thesen zu Courbets Malerei, in: Courbet und Deutschland (hrsg. v. Werner Hofmann), Ausstellungskatalog, Hamburger Kunsthalle u. Städtische Galerie im Städelschen Kunstinstitut 1978, S. 477 – 492, S. 482. 46  Vgl. Matthias Krüger: Das Relief der Farbe. Pastose Malerei in der französischen Kunstkritik 1850 – 1890, Berlin 2007 (Kunstwissenschaftliche Studien, Bd. 135), S. 88 f. 47  Bezogen auf L’Homme à la pipe hatte zum Beispiel Théophile Gautier im Salon de 1850 – 1851 kritisiert: »C’est une belle tête, très fière, très élégante, pour laquelle M. Courbet se départi de son système; il s’est idéalisé, embelli et traité d’un pinceau très fin et très adroit, selon les procédés ordinaires. La pipe culottée insérée dans la commissure de la lèvre n’est là que pour mémoire. M. Courbet a eu la coquetterie, et nous l’en félicitons, de ne pas s’appliquer sa méthode« (id. 2000, S. 28). 48  Vgl. Théophile Silvestre: L’Histoire des artistes vivants français et étrangers. Etudes d’après nature, Paris 1856, S. 272. 49  Vgl. Roland Barthes: Der entgegenkommende und der stumpfe Sinn [1971], Frankfurt am Main 1990, S. 18.

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50  Jules Barbey d’Aurevilly: Théophile Silvestre [1857], in: id.: Œuvre critique, 1. Serie, Bd. 2 (hrsg. v. Pierre Glaudes u. Catherine Mayaux), Paris 2006, S. 699 – 7 18, S. 705. 51  Vgl. Barthes 1985, S. 111. 52  Vgl. Fried 1990; vgl. auch die Rezension des Buches von Klaus Herding, in: Burlington Magazine 133/1991, S. 722 – 724. 53  Vgl. Fried 1990, S. 224 f.; id.: Absorption and Theatricality. Painting and Beholder in the Age of Diderot, Chicago 1980. 54  Vgl. Stephanie Marchal: Courbets Zweifel an der Verlässlichkeit des Sehsinns, in: Sehen, erkennen, entwerfen. Wahrnehmungsmodelle der Kunst, Wissenschaft und Kultur, in: kunsttexte.de 4/2010 (»Bild, Wissen, Technik«), 15 S. (www.kunsttexte.de/index.php). 55  Fried 1990, S. 61. Ziel sei neben der Aufhebung der Grenzen zwischen Repräsentations- und Realraum das Erlangen einer undifferenzierten Einheit, der »primordial perception«, die der Teilung von Subjekt (Sehendem) und Objekt (Gesehenem) vorausgehe; zumeist als Rückenfiguren gegeben, können die weiblichen Akte als Figuren einer zweifachen Immersion beschrieben werden: Einerseits tauchen sie in die Natur, oftmals in ein Gewässer, ein; andererseits scheinen sie sich selbst, begriffen als Naturwesen, als Projektionsfiguren körperlicher Verschmelzung anzubieten, nicht zuletzt im Mal- und ersten Betrachtungsakt. Zu Courbets Frauenbild vgl. Thoré 1870, Bd. 2, S. 184; Werner Hofmann: Courbets Wirklichkeiten, in: Courbet und Deutschland 1978, S. 589 – 613. 56  Fried 1990, S. 277. 57  Vgl. Timothy J. Clark: Image of the People. Gustave Courbet and the 1848 Revolution, London 1973, S. 24 – 29; Klaus Herding (Hrsg.): Realismus als Widerspruch. Die Wirklichkeit in Courbets Malerei [1978], Frankfurt am Main, 2. Auflage 1984, S. 12. 58  Brief von Gustave Courbet an den Chefredakteur von Le Hanneton, 17. April 1867, in: ten-Does­ schate Chu 1996, S. 274 (67 – 8); Gill schreibt in seinen Erinnerungen an Courbet von dessen »Maske eines assyrischen Idols« (André Gill: Corresponadance et Mémoires d’un caricaturiste (hrsg. v. Bertrand Tillier), Seyssel 2006 (Collection dix-neuvième), S. 306).

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DIE VITALITÄT DES VERSCHWINDENS Helene Schjerfbecks »Selbstporträt mit rotem Punkt« ANN I K A L A N D MA NN

Zwischen Figuration und Abstraktion Das Selbstporträt mit rotem Punkt der finnischen Künstlerin Helene Schjerfbeck von 1944 lässt nur schemenhaft das Gesicht einer Person erkennen |Abb. 1|. Gleich eines Totenschädels und in trister Farbigkeit wirkt es wie eine düstere und verstörte Rückschau auf ihr Leben. Dieses und andere Selbstbildnisse Schjerfbecks sind außerhalb der nordeuropäischen Länder kaum bekannt. Zwar werden sie vereinzelt in Überblickswerken erwähnt, vertiefende Analysen waren jedoch lange Zeit kaum zu finden. Erst in den letzten Jahren widmeten sich internationale Ausstellungshäuser dem Werk der Künstlerin.1 Die geringe Bekanntheit außerhalb Skandinaviens bildet einen bemerkenswerten Kontrast zu der nordeuropäischen Literaturlage.2 Insbesondere in ihrem Heimatland Finnland und in Schweden sind die etwa vierzig zwischen 1878 und 1945 entstandenen Selbstbildnisse fest im kunstgeschichtlichen Kanon verankert.3 Im ausgehenden 19. Jahrhundert zählte Helene Schjerfbeck zu jenen bekannten und sehr gut ausgebildeten nordeuropäischen Künstlerinnen, die einen Großteil ihrer Lehrjahre im Ausland verbrachten. Auf Studienreisen unter anderem nach Cornwall, Pont-Aven, Florenz und Rom sowie während längerer Lehraufenthalte in Paris entwickelte Schjerfbeck in den achtziger Jahren einen »realistischen« Stil. In den neunziger Jahren unternahm sie erneut längere Studienreisen nach Wien, St. Petersburg und Florenz. Diese Reisen und einige Kurauf-

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1  Helene Schjerfbeck: Selbstporträt mit rotem Punkt, 1944, Öl auf Leinwand, 45 × 37 cm, Helsinki, Ateneumin Taidemuseo, Suomen Kansallisgalleria

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enthalte in Schweden und Norwegen waren ihre letzten Auslandsaufenthalte bis 1944. Im ausgehenden 19. Jahrhundert zog sich Schjerfbeck zunehmend aus dem öffentlichen Kunstbetrieb zurück und begann einen eigenen Stil zu entwickeln, der zwar symbolistisch, aber ebenso expressionistisch geprägt ist und kaum einer Strömung oder Gruppierung der finnischen oder internationalen Kunst zuzuordnen ist. 1902 zog sie aus gesundheitlichen Gründen mit ihrer verwitweten Mutter von Helsinki in die Kleinstadt Hyvinkää.4 Mit diesem räumlichen Rückzug aus dem öffentlichen Kunstbetrieb geht auch ein stilistischer Wandel einher, der sich verallgemeinernd als Tendenz zur Abstraktion umschreiben lässt. Diese Entwicklung lässt sich besonders gut an ihren Selbstporträts nachvollziehen. Aus den Briefwechseln zwischen der Malerin und ihren Freunden geht hervor, dass es vor allem ihr Kunsthändler Gösta Stenman war, der seit den 1930er Jahren wiederholt Selbstporträts der Künstlerin anforderte.5 Seit 1938 stand Schjerfbeck unter Vertrag bei Stenman. Der genaue Inhalt des Vertrages ist bis heute nicht bekannt. In der aktuellen Forschung wird angenommen, dass dieser erst mit ihrem Tod endete, zwischen Schjerfbeck und Stenman jedoch wiederholt neue Absprachen getroffen wurden.6 Nach Kriegsausbruch musste die Künstlerin 1939 mehrmals aus ihrem damaligen Wohnort Tammisaari, einem kleinen Ort im Südwesten Finnlands, fliehen und wurde in unterschiedlichen Pflegeheimen untergebracht. 1944 entschied sich die unverheiratete und kinderlose Malerin nach wiederholter Aufforderung Stenmans, im Februar in das kriegsneutrale Schweden zu fliehen. In einem Kurhotel in der Nähe von Stockholm verbrachte sie ihre letzten Lebensjahre.7 Dort entstand auch das Selbstporträt mit rotem Punkt. Etwa die Hälfte Schjerfbecks bislang bekannter Selbstbildnisse entstand während ihrer letzten zwei Lebensjahre. Zwischen 1944 und 1945 malte oder zeichnete sie ungefähr zwanzig Selbstbildnisse. So findet an ihrem gesamten Œuvre gemessen seit 1944 eine eindeutige Zunahme der Selbstporträtproduktion statt. Die Selbstbildnisse scheinen die bisweilen leise, dann wieder aggressive Arbeit des Todes am eigenen Antlitz zum künstlerischen Dokument zu erheben. Das Prinzip der Wiederholung  –  Abigail Solomon-Godeau spricht von den Werken zugrunde liegenden »Prototypen«  –  wird schon beim schnellen Betrachten der Selbstbildnisse ersichtlich: Ein Gesicht en face oder im Dreiviertelprofil, aus wenigen Linien oder Pinselstrichen zusammengesetzt, meist mit geöffnetem Mund, große, dunkle Augenhöhlen und ein weitgehend leerer Bildraum sind die wiederkehrenden Elemente.8 Wird im Folgenden ein Selbstbildnis aus dieser Serie exemplarisch herausgegriffen, soll dies zeigen, dass die unterschiedlichen Nuancen der Bildnisse entscheidend sind. In ihnen verbergen sich die mal heiteren, mal erschreckenden Facetten der conditio humana. Im Selbstporträt mit rotem Punkt sind die Züge eines menschlichen Antlitzes nur schemenhaft wahrzunehmen. Das Gesicht, insbesondere die vom Betrachter aus gesehen linke Gesichtshälfte, und der den Kopf umgebende Hintergrund sind in denselben grau-braunen Ockertönen gehalten. Die weitgehende Monochromie von Gesicht und Hintergrund wird nur von wenigen Farbakzenten und leicht angedeuteten Konturen unterbrochen. Die rahmengebende dunkle Umrisslinie ist immer wieder aufgebrochen, so dass das Gesicht mit

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dem Hintergrund verschmilzt, der den Kopf wie eine Aureole umgibt. Die linke Augenpartie ist nur in ihrem Gesamtzusammenhang als solche zu erkennen. An ihrer Stelle scheint zuvor ein dunkles Auge angedeutet gewesen zu sein, dessen Farbe von der Malerin wieder abgetragen wurde. So lässt sich das Auge der linken Gesichtshälfte nur noch erahnen. Die rechte Gesichtshälfte hingegen hebt sich stärker ab. Das Auge wird durch einen schwarzen asymmetrischen Farbfleck dargestellt. Diese schwarze, nicht ganz kreisrunde Stelle wird durch das sie umgebende Weiß kontrastiert. Die rechte Gesichtshälfte ist plastischer dargestellt und im Gegensatz zur linken deutlicher als solche zu erkennen. Dennoch bleibt der Farbauftrag sehr dünn, so dass dort, ebenso wie im gesamten restlichen Bild, die weiß grundierte Leinwand zum Vorschein kommt. Durch diese Transparenz erhält die Stofflichkeit des Bildträgers eine gewisse Autonomie. Zum einen wird derart der Artefaktcharakter des Bildes betont, zum anderen weckt die sichtbare Materialität des Leinen im Kontext des Porträts die Assoziation an ein Grabtuch. Weitere Farbakzente werden durch schwarz-gräuliche Konturen um Gesicht und Oberkörper herum, den schwarzen Oberkörper selbst und durch den als schwarzen Punkt angedeuteten Mund erzeugt. Letzterer scheint geöffnet zu sein, was den Eindruck einer entspannten Gesichtsmuskulatur vermittelt. Der Farbauftrag oder vielmehr der Farbabtrag ist an dieser Stelle nicht gleichmäßig. Zur rechten Seite hin setzt sich die Mundpartie fort und ist leicht nach oben versetzt. Erst bei genauem Hinsehen bemerkt der Betrachter, dass sie nicht mehr dem Porträt en face, sondern einem ins Profil gesetzten, zweiten Antlitz innerhalb der rechten Gesichtshälfte anzugehören scheint. Richtet man den Blick auf diese Gesichtshälfte, so wird die Form eines knochigen, weißen Totenschädels sichtbar. Dieser erhält seine Ausformung durch das Abtragen und Abkratzen von Farbe. Hierdurch entsteht der Eindruck, als sei die Haut vom Schädel entfernt worden, bis nur noch das »Darunter« sichtbar ist. Kratz­spuren werden am Nasenrücken sichtbar, vermutlich mit einem Palettmesser erzeugt. Je genauer man das Gemälde betrachtet, desto deutlicher tritt der Malprozess in den Vordergrund und nimmt einen eigenständigen Rang ein. Der schädelgleichen Gesichtshälfte tritt ein zweites, nur angedeutetes Profil gegenüber. Aufgrund der Monochromie von linker Gesichtshälfte und Hintergrund kommt dieses allerdings erst bei genauem Hinsehen zum Vorschein. Die Stelle des dicksten Farbauftrags ist der als farblicher Akzent gesetzte rote Punkt unterhalb der schwarzen Mundöffnung. Auf einer figurativen Ebene betrachtet ist nicht deutlich zu erkennen, was er eigentlich darstellt. Ist er Teil der Unterlippe der Malerin, stellt er ihre Zungenspitze dar, oder ist er in einem formalistischen Sinne lediglich als Farbakzent zu deuten? Gerade das Spannungsverhältnis von Figuration und Abstraktion versetzt den Betrachter in eine Wahrnehmungssituation, in der sich Erkennen und die Ungewissheit über das Dargestellte beständig ablösen. Der obere Bereich des Bildes wird farblich durch den unteren kontrastiert. Er ist beinahe vollständig mit dem Oberkörper der Malerin ausgefüllt, der eine halbkreisförmige Fläche bildet. Der spitz zulaufende Ausschnitt des schwarzen Gewandes legt den Hals der Malerin frei. Was zunächst als Hals erscheint, könnte jedoch ebenso gut Teil des Oberkörpers sein. Die-

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ser wird vom schwarzen Gewand der Künstlerin umgeben, was den Eindruck erweckt, dass entweder der Kopf auf den Oberköper gesetzt wurde, oder dass die Schultern bis an das Kinn hochgezogen sind. Der flächig angelegte Oberkörper weist wie das Gesicht starke Bearbeitungsspuren auf. So sind beispielsweise am Kragen die groben Pinselstriche deutlich erkennbar. Die rechte Hälfte, wo sich Schulter und Arm befinden müssten, ist als Fläche markiert, die ihre Einheitlichkeit durch ein starkes Abtragen und Verwischen der schwarzen Ölfarbe erlangt. Das Wechselspiel von Farbauf- und Farbabtrag, das Schjerfbeck mit dem roten Punkt im wahrsten Sinne pointiert, ist eine zentrale Komponente dieses Selbstbildnisses und hat unterschiedliche Auswirkungen auf den Bildinhalt. Auf einer rezeptionsästhetischen Ebene werden vor allem durch den Farbabtrag Assoziationen von Entschwinden und Sterben wachgerufen. Ebenso lassen die teils wieder getilgten figürlichen Elemente, wie das Auge und die verwischten Konturen, die zum Beispiel den Kopf klar definieren würden, danach fragen, was eigentlich dargestellt wird, und was diejenigen Merkmale sind, die dieses Bildnis als Selbstporträt ausweisen. Die physiognomische Ähnlichkeit zur Künstlerin kann dafür nicht die Grundlage bilden. Auf einer produktionsästhetischen Ebene legt die starke Sichtbarkeit des Farbauf- und Farbabtrags die Prozesshaftigkeit des Malaktes frei. Sie bringt die körperliche Präsenz der Künstlerin ins Spiel. Entgegen des ersten Eindrucks einer fragilen, entschwindenden Figur zeugt diese bildliche Ebene von einem kraftvollen Umgang mit dem Material und einem vitalen Entstehungsprozess des Selbstbildnisses. Diese Ebenen münden  –  mal mehr, mal weniger offensichtlich  –  immer wieder in eine der Kernfragen des porträttheoretischen Diskurses: Die Darstellbarkeit der Dialektik von Innenleben und äußerer Erscheinung. Darüber, wie sich dies im Selbstporträt mit rotem Punkt niederschlägt, soll die folgende Untersuchung Aufschluss geben.

Vergehen und Verschwinden Vielen der späten Selbstbildnisse ist die Arbeitsweise des Wegwischens oder Abtragens der Farbe gemein. Von den Ölgemälden entfernte die Künstlerin die dickeren Farbschichten vermutlich mit einem Tuch oder Lappen, auf einigen Kohle- und Bleistiftzeichnungen scheint sie die Konturen direkt mit ihren Händen verwischt zu haben |Abb. 2|.9 Der dünne Farbauftrag und das Abtragen und Abkratzen von Farbe ist ein zentrales Merkmal von Schjerfbecks späterem Stil. Fast ausschließlich wendet sie diese Malweise in ihren Figurenbildnissen an. Ein Beispiel für ein Personenbildnis, in dem die dünne Farbschicht deutlich sichtbar ist, stellt das 1943 entstandene Bildnis Die Krankenschwester dar |Abb. 3|. Im Gegensatz zum Selbstporträt bleiben hier die klar definierenden Konturen des Gesichtes erhalten, und an vielen Stellen ist der Farbauftrag wesentlich dicker als im Selbstporträt mit rotem Punkt.

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Das gestalterische Mittel des Farbabtrags sowie des dünnen Farbauftrags ist insbesondere in den Selbstporträts der letzten beiden Lebensjahre der Künstlerin ausgeprägt. Naheliegend ist die oben genannte Interpretation, dass Schjerfbeck derart in ihren Selbstbildnissen ihre eigene Vergänglichkeit darstellt. Dies ist gewiss auch ein dominanter Bestandteil des Selbstporträts mit rotem Punkt: Die Assoziationen des »Vergehens« werden nicht nur durch das totenschädelartige Antlitz, sondern auch durch die ästhetische Wirkung der Materialbehandlung hervorgerufen. Immer wieder wurde und wird auf Parallelen zwischen Schjerfbeck und Edvard Munch verwiesen.10 Dabei wird insbesondere auf den Ausdruck des Schreckens in den Bildnissen eingegangen, seltener auf die Ähnlichkeiten in der Materialbehandlung der beiden Künstler.11 In Hinblick auf Schjerfbeck erscheint der Rückgriff auf Werke Munchs der 2  Helene Schjerfbeck: Selbstporträt, 1944, Kohle 1890er Jahre gerade bei der Analyse ihrer Malweise auf Papier, 20 × 18,5 cm, Privatsammlung und Technik sinnvoll. Die Künstlerin zog sich seit etwa 1902 zunehmend aus dem Kunstbetrieb zurück und besuchte nur noch sehr wenige Ausstellungen.12 Seit den dreißiger Jahren informierte sie sich verstärkt mit Hilfe der französischen Kunstzeitschrift L’Amour de l’Art über das aktuelle internationale Kunstgeschehen.13 Hin und wieder versorgte ihr Kunsthändler Gösta Stenman sie auch mit Originalwerken anderer Künstler. Gerade für Schjerfbecks technische Entwicklung stellte die Abgeschiedenheit ein Hindernis dar. So kann man davon ausgehen, dass zuvor Gesehenes bei Schjerfbeck stärker nachwirkte, als bei Künstlern, die aktiv am Kunstgeschehen teilnahmen und ständig von den Originalwerken anderer Künstler umgeben waren.14 Obwohl Schjerfbeck die Werke Munchs nicht besonders schätzte, äußerte sie sich in einem Brief an ihren langjährigen Freund und Vertrauten Einar Reuter positiv über seine Technik.15 Zum einen ist somit ein Vergleich zu Munchs Werken aufgrund der Wechselwirkungen sinnvoll, zum anderen, und dies erachte ich als den wichtigeren Punkt, gibt ein solcher Vergleich Aufschluss über die Bild­inhalte in Schjerfbecks Werken. Dieter Buchhart stellt für die Werke Munchs eine materialbasierte Modernität fest. Er verweist auf die schon sehr früh einsetzende intensive Materialbehandlung. Munch erzeuge zum Beispiel durch das Abkratzen von Farbschichten weitere bildliche Ausdrucksebenen, aber ebenso beziehe er den Zufall und die Natur in seinen Schaffensprozess ein. Als autonomen Bedeutungsträger hebt Buchhart dabei die Leinwand hervor.16 Klassische

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Beispiele hierfür sind das Selbstporträt mit Zigarette von 1895 und das kurz zuvor entstandene Porträt Stanisław Przybyszewski |Abb. 4 – 5|. Im Selbstporträt mit Zigarette macht insbesondere das Abtragen von Farbe die Leinwand zu einem integralen Bestandteil des Bildes. Munch macht am rechten Arm und an der Schulter sein eigenes malerisches Handeln rückgängig und rückt damit den Akt der Bildherstellung in den Vordergrund. Regine Prange interpretiert Munchs malerische Handlungen, die als Auseinandersetzungen mit dem Medium der Malerei zu begreifen sind, als eigentlichen Bildgegenstand seines Selbstbildnisses.17 Zugleich kann die Materialnegierung als memento mori, als Hinweis auf die eigene körperliche Vergänglichkeit verstanden werden. Trotz dieser Parallele zu Schjerfbecks Selbstporträt mit rotem Punkt macht das unversehrte Gesicht Munchs in dessen Selbstporträt mit Zigarette einen wesentlichen Unterschied aus. Im Gegensatz zu Munchs Selbstbildnis sind es in seinem Porträt Stanisław Przybyszewski völlig andere Techniken, die die Leinwand zum Bedeutungsträger werden lassen. Diese weist Rost- und 3  Helene Schjerfbeck: Die Krankenschwester, Verfallsspuren wie zum Beispiel Wasserflecken 1943, Öl auf Leinwand, 36,7 × 27,5 cm, Riihimäki, Riihimäen Taidemuseo auf, die Resultate von Munchs sogenannter »Rosskur« sind. Der Künstler setzte seine Gemälde der Witterung in der freien Natur aus und integrierte so den Zufall in das Endergebnis. Blickt man auf das Selbstporträt mit rotem Punkt, sind keine Witterungsspuren im Gemälde zu erkennen. Weshalb bietet sich ein Vergleich dennoch an? Helene Schjerfbeck beschrieb in ihren zahlreichen Briefen an befreundete Künstlerinnen und Künstler ihre Auseinandersetzung mit dem Malprozess. Immer wieder griff sie das intensive Abtragen von Farbe auf und zog es sogar in Erwägung, ein Gemälde in der freien Natur zu vergraben. Dieses Verfahren lehnte sie schließlich ab, da sie ihre Bildentstehung nicht dem Zufall überlassen wollte.18 Derartige Quellen zeugen von großer Reflexion über den Entstehungsprozess ihrer Werke und damit von einer sehr bewussten Wahl ihrer Arbeitsmittel und -methoden. Extern verursachte Werktransformationen wies Schjerfbeck zurück. So blieb stets sie selbst die alleinige Schöpferin ihrer Werke. Blickt man auf das Porträt Stanisław Przybyszewski, fallen insbesondere Parallelen bezüglich der Thematik auf. Die Vergänglichkeit des dargestellten Individuums nimmt in beiden

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4  Edvard Munch: Selbstporträt mit Zigarette, 1895, Öl auf Leinwand, 110,5 × 85,5 cm, Oslo, Nasjonalmuseet

Porträts eine zentrale Stellung ein, auch wenn sie auf ganz unterschiedliche Weise dargestellt wird. In beiden Gemälden findet eine Materialreduktion oder -transformation statt. Während im Bildnis Przybyszewskis das Gesicht des Porträtierten naturgetreu und weitestgehend unversehrt dargestellt ist, wird an anderen Stellen umso stärker auf dessen Vergänglichkeit verwiesen. Als deutlichster Hinweis auf die Begrenztheit der irdischen Existenz kann der im unteren Bildrand dargestellte Knochen verstanden werden. Weitaus komplexer muss die Erscheinungsform der Leinwand gedeutet werden. Die naturgetreue Darstellung ist hier aufgehoben. So scheint der Kopf des polnischen Dichters im Nichts zu schweben. Auf der den Kopf umgebenden Leinwand sind Spuren des Verfalls deutlich sichtbar. Sie sind durch die natürliche Witterung entstanden. Neben ausgewaschenen Farbpartien sind auch rotbräunliche Rostflecken sichtbar.19 Sie legen eine Vergänglichkeit des Dargestellten nahe, auf die er selbst keinen Einfluss nehmen kann. Die Leinwand vollzieht den natürlichen Verfallsprozess, dem der Körper des Dargestellten ebenfalls ausgesetzt ist. Diese »verwesende« Leinwand wird jedoch von einem nahezu unversehrten Gesicht überlagert. In diesem Sinne erfüllt das Porträt

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5  Edvard Munch: Porträt Stanisław Przybyszewski, 1893 – 1894, Tempera auf Leinwand, 75 × 60 cm, Oslo, Munchmuseet

seine klassische Funktion, indem es zu suggerieren scheint, dass es den Dargestellten auch über dessen Tod hinaus repräsentiert. Anders verhält sich das Selbstporträt mit rotem Punkt. Zwar wird das Vergehen, in diesem Fall das eigene, ebenfalls metaphorisch durch das Material dargestellt. Auch wird hier die malerische Oberfläche angegriffen und durch intensives Wegwischen revidiert. Doch im Unterschied zum Porträt Stanisław Przybyszewski ist es die Künstlerin selbst, die den Farbauftrag überarbeitet. Sie transformiert das Material und nicht die unkontrollierbare Witterung. Dadurch wird das Vergehen nicht allein auf einer physischen Ebene dargestellt, ebenso

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6  Roman Opalka: Aus der Serie Opalka 1965/1–∞. Autoportraits, je 31 × 24,6 × 3 cm, Schwarzweißfotografien

wird eine ästhetische Wirkung des Verblassens erzeugt. Wie diese effektvoll für die Darstellung der eigenen Vergänglichkeit genutzt werden kann, zeigt auch die wesentlich später entstandene fotografische Selbstporträtserie von Roman Opalka |Abb. 6|. Sie ist Teil seiner Zahlenserie 1965/1 – ∞, die er 1965 begonnen hatte und erst mit seinem Tod 2011 beendet wurde. Am Ende jedes Arbeitstages nahm der Künstler eine Fotografie vor einer seiner Zahlentafeln mit Selbstauslöser auf. In den Bildern ist er stets gleich gekleidet und ebenso bleibt der Bildausschnitt nahezu identisch. Die einzige Veränderung, die in den Porträts sichtbar wird, ist das alternde Gesicht des Künstlers und die zunehmende Helligkeit der Bilder, denn in jedem Porträt erhöhte er die Belichtung. Der Betrachter ist daher mit dem verblassenden Antlitz des Künstlers konfrontiert.20

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Die hier angeführten Beispiele weisen Parallelen zu Schjerfbecks Selbstbildnis auf, zugleich unterscheiden sie sich in wesentlichen Merkmalen: Munchs Porträt Stanisław Przybyszewski ist kein Selbstbildnis und Opalka arbeitete in einem anderen Medium. Wie also wirken sich spezifische Gattungsmerkmale des Selbstporträts und das Medium der Malerei auf den Inhalt von Schjerfbecks Selbstporträt aus?

»Comme c’est peu ressemblant!« Es griffe zu kurz, den Akt des Selbstporträtierens, wie er im Selbstporträt mit rotem Punkt sichtbar wird, als bloße Auslöschung des Ich oder als einen an sich selbst vollzogenen Alterungsvorgang zu verstehen. Gewiss sind dies Facetten, die in dem Bildnis enthalten sind. Zu einfach wäre es jedoch, das Selbstporträt auf diese Thematik zu reduzieren. Mit der Ästhetik des Verblassens und der diffusen Andeutung von Augen, Nase und Mund geht einher, dass Schjerfbeck mit einem zentralen Merkmal der Porträtgattung brach: der physiognomischen Ähnlichkeit zur äußeren Erscheinung der Künstlerin. Betrachtet man das Selbstporträt mit rotem Punkt dennoch als Selbstporträt, verlangt dies nach einer Präzisierung des Konzeptes der »Ähnlichkeit«. Aus Schjerfbecks Briefen geht hervor, dass ihr Ziel nicht die Darstellung der physischen Erscheinung oder gar von Schönheit sei.21 In einem weiteren Brief warf sie die Frage auf, ob es nicht immer um das Innenleben gehe, da das Äußere vom Bewusstsein ausgeschlossen bleibe.22 Das Selbstporträt mit rotem Punkt entstand in einer Zeit, in der die Vorstellung von der Einheit einer Person längst in Frage gestellt worden war. Begriffe wie das »Unbewusste« ließen die Identität eines Menschen zunehmend komplexer und ungreifbarer erscheinen.23 Die damit verbundene Frage nach der Darstellbarkeit des menschlichen Individuums stellt bis heute eine immense Herausforderung an den traditionellen Gattungsbegriff des Porträts dar.24 Marcel Proust griff eben diese Thematik in seinem Roman A la recherche du temps perdu auf, der zwischen 1913 und 1927 in sieben Teilen erschienen ist. Dort wird ein Porträt des Malers Elstir von seiner Geliebten Odette beschrieben. Zunächst wird Elstirs Fähigkeit hervorgehoben, in der Lage zu sein, hinter die Fassade von Odettes selbstinszenierter äußerer Erscheinung zu blicken. Das Ergebnis des Porträts entspricht in den Augen des außenstehenden Betrachters einem verfremdeten Bild ihrer Persönlichkeit. Über die äußere Erscheinung und Mimik Odettes heißt es dort: »Ce type, nous faisions tellement consister en lui, non seulement la beauté d’une Odette, mais sa personnalité, son identité, que devant le portrait qui l’a dépouillée de lui, nous sommes tentés de nous écrier non pas seulement: ›Comme c’est enlaidi!‹, mais: ›Comme c’est peu ressemblant!‹«25 Als Grund für dieses unähnliche Porträt wird die Nähe, die Intimität des Malers zu seinem Modell angeführt.26 Da Elstir ihr auch im wirklichen Leben nahe steht, nimmt er Odette anders wahr als ein Fremder es tun würde, und stellt sie dementsprechend aus subjektiver Perspektive dar. Ihre äußere Schönheit und ihre Physiognomie scheint für Elstir ihre Person keineswegs zu erfassen.

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Schjerfbeck nahm in ihren Briefen sehr häufig Bezug auf Prousts Roman, den sie in den dreißiger Jahren gelesen hatte. Insbesondere mit seinem Malertypus schien sie sich identifiziert zu haben. An Einar Reuter schrieb sie: »Dort ist etwas über den Maler, er malt nicht das, was er will, es wird etwas, ›das er in sich von früher findet‹  –  das ist so wahr«.27 Eben diese Nähe zum Modell sowie zum eigenen Inneren kommt in der Selbstwahrnehmung einer nahezu vollständigen Distanzlosigkeit zum Modell gleich. Porträtierende und Porträtierte, Subjekt und Objekt sind zur Einheit verschmolzen. Die subjektive Wahrnehmung, Teile ihres Selbst, ihre Innenerfahrung, die nur die Malerin wahrnehmen kann, sind wesentliche Bestandteile des Porträts.28 Dass dies zu einem Abweichen von physiognomischer Ähnlichkeit in der malerischen Darstellung führt, scheint die logische Konsequenz zu sein. Auf einer visuellen Ebene drückt sich das vielleicht nicht nur in der Unähnlichkeit des Selbstbildnisses aus. Vorstellbar ist auch, dass die aufgebrochenen Konturen des Gesichts auf das Verschwimmen der Grenzen von äußerer Ähnlichkeit und gefühlter Innenwahrnehmung hindeuten. In der Folge könnte dies darauf verweisen, dass der umliegende Bildraum eine Erweiterung des Ich darstellen würde. Somit wäre die das physiognomische Ich konstituierende Epidermis stellenweise aufgebrochen und der Zugang zu den Formen oder vielmehr den Unformen des Inneren geöffnet worden. Auch wenn Schjerfbecks späte Selbstbildnisse nicht vorrangig auf die Wiedergabe des Sichtbaren abzuzielen scheinen, bildet die kommunikative Funktion des Gesichts doch stets die Grundlage ihrer Selbstporträts. Dass diese Gesichter sich nur durch ein Minimum an äußerer Ähnlichkeit zum Referenten auszeichnen, schließt eine Identifikation Schjerfbecks mit ihrem Werk nicht aus. So kann auch die eigene Physiognomie immer nur durch die vermittelnde Instanz des Spiegels wahrgenommen werden. Beobachtet man sich im Spiegel, dann nimmt man ein Bild von sich wahr, das man unter anderen Umständen nicht sehen kann. Somit ist es sehr unwahrscheinlich, dass sich das Selbstbild im Spiegel mit der eigenen Innenerfahrung deckt. Wenn man dies und Schjerfbecks Aussage, das Innenleben als Kern des Seins zu verstehen, berücksichtigt, müssen Porträtkategorien wie physiognomische Ähnlichkeit radikal überdacht und in Frage gestellt werden. Die ein (Selbst)Porträt konstituierende Mimesis kann demnach trotz der äußeren Differenz zum Urbild bestehen bleiben oder diese sogar voraussetzen.29

Erkenntnisse des Unbewussten Als klassisches Selbstporträtkriterium wird häufig der konzentrierte Blick aus dem Bild genannt.30 Das ausgewischte linke Auge und das opake, schwarze rechte Auge im Selbstporträt mit rotem Punkt lassen kaum direkte Rückschlüsse auf einen intensiven oder konzentrierten Blick zu. Es lassen sich jedoch andere Hinweise finden, die die Konzentration der dargestellten Person suggerieren. Es gibt Interpretationen, die den geöffneten Mund als zu einem Schrei geformt oder nach Luft schnappend deuten.31 Andere sehen in ihm einen ge-

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genteiligen Gesichtsausdruck und interpretieren ihn als Zeichen der erschlafften Gesichtsmuskulatur, die eine Vorankündigung des Todes darstellt. Derart könnte der Tod als endgültiger Kontrollverlust des Geistes über den Körper verstanden werden.32 Würde man das Selbstbildnis auf diese Interpretation reduzieren, bliebe eine ebenso wichtige Bildebene ausgeklammert: Wir blicken auf ein Selbstbildnis der Malerin, die sich im Prozess der Bildherstellung zeigt. Vor diesem Hintergrund kann man den geöffneten Mund ebenso als Ausdruck von Konzentration und Versunkenheit deuten. Schjerfbeck selbst beschrieb ihren Schaffensprozess als einen Moment des Nicht-Denkens: »Das unbewusste Primitive in der Seele schafft die Kunst, der Gedanke schafft sie nicht  –  bei mir.«33 Dies kann ebenso als ein Moment verstanden werden, in dem das Nicht-Bewusste den Körper lenkt. Sowohl die Pinselführung als auch die Gesichtsmuskulatur wären davon betroffen. In einem Brief von 1937 führt Schjerfbeck diesen Gedanken weiter, indem sie unter Berufung auf Henrik Ibsen konstatierte, man selbst zu sein, bedeute sich selbst zu vergessen.34 Im Porträt Helena Westermarck von 1884 stellte Schjerfbeck ihre Malerkollegin ähnlich selbstvergessen dar |Abb. 7|. Man sieht Westermarck beim Malen  –  diese ist ganz in den Prozess der Bildentstehung eingetaucht, ihr Mund ist geöffnet, ihr 7  Helene Schjerfbeck: Porträt Helena WesterBlick vom Betrachter abgewandt.35 Diesen Moment marck, 1884, Öl auf Leinwand, 37,5 × 22,5 cm, Mänttä, Serlachiuksen Taidesäätiö beobachten wir ebenfalls in Schjerfbecks Selbstporträt. Es zeigt die Künstlerin beim Selbst-Sein und paradoxerweise Sich-Selbst-Vergessen. Doch auch der Moment des Sich-Selbst-Betrachtens ist inbegriffen. Was im Selbstporträt mit rotem Punkt auffällt, aber ebenso in vielen anderen Selbstporträts der Künstlerin, ist das kubistische Element. Beide Gesichtshälften deuten ein ins Profil gedrehtes Gesicht an, wodurch weitere Ansichten mit einbezogen werden. Diese Mehransichtigkeit ist seit den zwanziger Jahren ein wiederkehrender Bestandteil ihrer Selbstporträts, der in kaum einem ihrer zahlreichen Bildnisse anderer Modelle auftaucht. Dies legt nahe,

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dass die Künstlerin während oder vor der Bildentstehung mit Hilfe von Spiegeln ihr eigenes Profil studierte. Das Sich-Sehen wird durch die Frontalität und die sich selbst beobachtenden Profile zwar zum wichtigen Bestandteil der Darstellung, dennoch scheint es ein Paradoxon zur Darstellungsund Machart des Selbstporträts zu bilden: Das eine Auge ist ausgewischt, das andere eine schwarze Höhle; man blickt auf Augen, die anscheinend nicht zurückblicken können. Die Konturen sind verschwommen und auch sonst ist in dem Selbstbildnis nichts naturgetreu dargestellt. So mag der Blick in den Spiegel der (Selbst)Erkenntnis gedient haben und ein Ausgangspunkt für den Prozess der Bildentstehung gewesen sein. Das Ergebnis besticht jedoch durch seine Differenz zum Urbild. Gesteigert wird das Paradoxon des Sehens und zugleich Nicht-Sehens in einem noch später ent8  Helene Schjerfbeck: Selbstporträt, Licht und standenen Selbstporträt Schjerfbecks |Abb. 8|. Das Schatten, 1945, Öl auf Leinwand, 36 × 34 cm, 1945 gemalte Selbstporträt, Licht und Schatten zeigt Helsinki, Villa Gyllenberg ein ebenfalls mehrfach kodiertes Selbstbildnis, dessen vorherrschende Themen der Tod und die Introspektion sind. Auch hier findet sich die Doppelansichtigkeit wieder: Was auf den ersten Blick wie ein Selbstporträt en face erscheint, beinhaltet noch ein weiteres Bildnis im Profil. Diesmal allerdings nur in der vom Betrachter aus gesehen linken Gesichtshälfte. Der Aspekt der Introspektion ist nun noch weiter vorangetrieben. Die geschlossenen Augen und der geöffnete Mund scheinen auf den ersten Blick ein Entweichen der Lebensenergien darzustellen. Dies ist mit Sicherheit eine Ebene des Bildnisses; bedenkt man jedoch, dass es sich bei dem Porträt um ein Selbstporträt en face handelt, stolpert man unmittelbar über den vehement unterbrochenen Blick. Er scheint auf eine innere Abkehr der porträtierten Person hinzuweisen  –  eine Abkehr, deren Folgen auf der übrigen Leinwand hervorgekehrt werden. Durch die offensichtliche Differenz zur äußeren Erscheinung wird das dargestellte Subjekt teilbar, die Individualität wird im wahrsten Sinne des Wortes dividiert. Diese Aufspaltung des Ich wird durch das Spiel mit den geteilten Gesichtshälften noch verstärkt. Die Polyperspektivität des Antlitzes wirkt sich zugleich auf den Wahrnehmungsprozess des Betrachters aus. Sie lässt den Blick wandern, suchen und während des Betrachtens immer neue Gesichter erahnen. Das Betrachten wird zum Prozess des Erkennens und Sichtbarwerdens. In Bezug auf die übrigen Werkbestandteile setzt sich dieser Vorgang fort. Das beständige Changieren zwischen Figuration und Abstraktion versetzt den Betrachter in eine äußerst komplexe Wahrnehmungssituation. Daraus resultiert, dass der Blick nicht nur für das ver-

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meintliche Selbst der Künstlerin geöffnet wird. Die aktive Beteiligung des Betrachters und die Suche nach figurativen Anhaltspunkten mutiert zum Rorschachtest, die Selbstbildnisse werden zur Projektionsfläche für das Innerste des Betrachters.36

Materialdialoge Dem ersten Anschein nach vermitteln die Selbstbildnisse Helene Schjerfbecks ein körperlich passives Bild, in dem die Innerlichkeit betont wird. Blickt man jedoch auf die Materialität der Bildnisse, so eröffnet diese eine weitere inhaltliche Ebene. Denn gerade in der Materialbehandlung Schjerfbecks drückt sich eine starke körperliche Präsenz aus. Obwohl die das Bild dominierende Wisch- und Kratztechnik Ausdruck von Materialnichtung ist, die als Anspielung auf das Vergehen des dargestellten Subjekts verstanden werden kann, drückt sie zugleich Kraft aus. Anders als es die Transparenz der dünnen Bildoberfläche zunächst vermuten lässt, sind sie das Ergebnis von einer intensiven körperlichen Handlung am Bild. Diesen Prozess thematisierte Schjerfbeck in ihren Briefen. Aus ihnen geht hervor, dass die Oberflächenbehandlung eine symbolhafte Bedeutung einnimmt  –  sie soll Schjerfbecks Auffassung nach die Summe ihres Suchens darstellen: »Ich kratze alles ab, was gemacht wurde, denn es ist nicht so, wie ich es wollte  –  und wenn ich viele Male gekratzt habe, dann bleibt auf der Leinwand eine Andeutung all dessen übrig, wonach ich gesucht habe und was ich wollte, nur eine schwache Andeutung  –  oder nichts. Die Summe meines Suchens. So pflege ich immer zu arbeiten.«37 Es sind mitunter diese Techniken, die den Werkprozess offenlegen und neben der Zeitlichkeit auch die Körperlichkeit der Künstlerin zum Thema des Bildes machen. Der Produktionsästhetik muss eine inhaltliche Komponente zugesprochen werden; sie drückt im Selbstporträt mit rotem Punkt genau das Gegenteil von Altersschwäche aus. Die intensive Bearbeitung der Oberfläche sowie die scheinbar spontan und schnell aufgetragenen Umrisslinien von Gesicht und Oberkörper können auch als Ausdruck von Schaffenskraft und Energie verstanden werden. Farblich findet dies ein Pendant in dem roten Punkt unterhalb des Mundes.38 So wird durch die Offenlegung der Bildentstehung der Malakt an sich zum Thema des Bildes. In diesem Punkt erinnert das Selbstbildnis an das Selbstporträt mit Zigarette von Edvard Munch, in welchem ebenfalls das ständige Changieren zwischen Ab- und Auftrag des Farbmaterials sichtbar wird. Der Rezipient erhält den Eindruck, als könne er den aktiven Dialog der Malerin mit der Leinwand und ihrem Selbst nachvollziehen, als könne er an ihrer Suche teilhaben. Das Material gewinnt an Autonomie, wodurch der Eindruck erweckt wird, dass vielleicht gerade dort die eigentliche Mitteilung über das dargestellte Künstlersubjekt enthalten ist. Der ansonsten passive, geradezu abwesende Körper und insbesondere die Hände

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als ausführendes Organ, finden als Spuren im Material ihre Anwesenheit, die wesentlich authentischer wirken als es die rein äußere Ähnlichkeit zum Körper sein könnte. Die Wischspuren und schnell ausgeführten Pinselstriche suggerieren einen Dialog der Künstlerin mit ihrem Abbild, und mehr noch, sie scheinen Einblick in ein sonst unsichtbares Inneres zu geben. So könnten die Kratzspuren am Nasenrücken einerseits als Ausdruck von Wut auf das eigene Dahinschwinden interpretiert werden. Andererseits ist es die Künstlerin selbst, die durch die Materialnichtung ihr eigenes Vergehen zu forcieren scheint. Dieser offensichtliche Angriff auf das Gesicht kommt einem Tabubruch gleich. Ethisch stellt das menschliche Antlitz etwas Unantastbares dar.39 Dagegen wirkt Schjerfbecks Wischtechnik weniger aggressiv. Dennoch wird auch durch sie das Gesicht nahezu vollständig ausgewischt und deformiert. Diese Radikalität wäre bei einem Porträt einer anderen Person nahezu undenkbar gewesen. In der Moderne wird gerade diese schonungslose Ehrlichkeit in der Darstellung des menschlichen Antlitzes zu einem Erkennungsmerkmal des Selbstporträts.40 Zugleich drückt der schnelle Pinselstrich im Selbstporträt mit rotem Punkt eine Leichtigkeit und die Lust am Malen aus, im Sinne der klassischen sprezzatura. In diesem Zusammenhang kann auch der rote Punkt gesehen werden. Er befindet sich nahezu im Zentrum der Darstellung und entzieht sich einer figurativen Fixierung.41 Er verleitet dazu, Farbe als ein formalistisches Element zu verstehen, als auf sich selbst  –  als Farbe  –  verweisend, als kompositorisches Gegengewicht zu den düsteren Erdtönen des restlichen Bildes, als letzter Beitrag, der dem Bild sein finito verleiht. Zugleich ist es der rote Punkt, der dem Porträt zum Leben verhilft. Er lässt erkennen, dass wir nicht auf ein Leichentuch blicken, sondern auf das Abbild eines Menschen, durch dessen Adern noch Blut fließt. 42 Blickt man auf Schjerfbecks frühere Selbstporträts, so taucht die Farbe Rot als Leuchten der Wangen oder auch Lippen auf. Dies wurde mitunter als Zeichen innerer Anspannung oder Ausdruck von Leidenschaft gedeutet.43 Als solches kann es auch im Selbstporträt mit rotem Punkt verstanden werden. In seiner Semantik drückt sich durch eine scheinbar spontane, hastige Pinselführung die souveräne Schaffenskraft der Künstlerin aus. Auf einer figurativen Ebene bildet der Punkt eine weitere Schnittstelle von Innen und Außen. Er zeigt eine Stelle, durch die das Blut pulsiert, als Ausdruck der Vitalität, die mit dem künstlerischen Schaffensprozess verbunden ist. In Helene Schjerfbecks Selbstporträt mit rotem Punkt erhalten wir einen Einblick in die vielen Facetten des Sich-Selbst-Erkennens, Malens, Sehens, Vergessens, Alterns, Fühlens, Sterbens, Seins und nicht zuletzt des Sich-Veränderns, das ein ganzes Leben lang andauert und im Alter nicht plötzlich aufhört.

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1  Vgl. Helene Schjerfbeck. 1862 – 1946 (hrsg. v. Annabelle Görgen u. Hubertus Gaßner), Ausstellungskatalog, Hamburger Kunsthalle 2007; Helene Schjerfbeck (hrsg. v. Carolin Köchling u. Max Hollein), Ausstellungskatalog, Schirn Kunsthalle, Frankfurt 2014. Die Hamburger Ausstellung wurde ebenfalls im Gemeentemuseum Den Haag und dem Musée d’art moderne de la ville de Paris gezeigt. 2  Zum »Mythos Schjerfbeck« vgl. http://www.schirn-magazin.de/Helene_Schjerfbeck_Annika_ Landmann_Interview.html (16.02.2015). 3  Vgl. Leena Ahtola-Moorhouse: And nobody knows what I am like. Helene Schjerfbeck’s self-portraits, Helsinki 2002; Lena Holger: Helene Schjerfbeck. Liv och konstnärskap, Stockholm 1987; Riitta Konttinen: Oma tie. Helene Schjerfbeckin elämä, Helsinki, 2. Auflage 2012. 4  Vgl. Konttinen 2012, S. 217 ff. 5  Vgl. Brief von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 7. November 1936, Åbo, Akademis bibliotek. 6  Vgl. Camilla Hjelm: Modernismens förespråkare. Gösta Stenman och hans konstsalong, Helsinki 2009, S. 226 ff. 7  Vgl. Konttinen 2012, S. 393 f. 8  Vgl. Abigail Solomon-Godeau: Die Folie hinter dem Spiegel. Helene Schjerfbecks Selbstporträts, in: Helene Schjerfbeck 2014, S. 81 – 113, S. 83 f. 9  Vgl. Annabelle Görgen: »...und ich fürchte, ich begehre große, tiefe und wunderbare Dinge«. Helene Schjerfbeck. Beredte Stille, in: Helene Schjerfbeck 2007, S. 8 – 20, S. 16. Ich danke den Restauratorinnen der Finnischen Nationalgalerie Kirsi Hiltunen und Pia Hurri für ihre hilfreichen Hinweise zu Schjerfbecks Arbeitsweise. 10  Vgl. Uwe M. Schneede: »So offenbart der Maler seine Seele.« Die Selbstbildnisse, in: Helene Schjerfbeck 2007, S. 32 – 40, S. 38 f.; Ahtola-Moorhouse 2002, S. 57. 11  Vgl. Görgen 2007, S. 16. 12  Vgl. Konttinen 2012, S. 217 ff. 13  Vgl. Briefe von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 22. Juni 1930, 30. Dezember 1937 u. 12. Januar 1938, Åbo, Akademis bibliotek. 14  Vgl. Ahtola-Moorhouse 2002, S. 60 f. 15  Vgl. Brief von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 16. Juni 1916, Åbo, Akademis bibliotek. 16  Vgl. Dieter Buchhart: Edvard Munch. Zeichen der Moderne. Die Dualität einer materialbasierten Modernität, in: Edvard Munch. Zeichen der Moderne (hrsg. v. Dieter Buchhart), Ausstellungskatalog, Fondation Beyeler, Riehen 2007, S. 11 – 2 4, S. 12 ff. 17  Vgl. Regine Prange: Edvard Munch. Selbstporträt mit Zigarette, 1895, in: Ulrich Pfisterer u. Valeska von Rosen (Hrsg.): Der Künstler als Kunstwerk. Selbstporträts vom Mittelalter bis zur Gegenwart, Stuttgart 2005, S. 138 – 1 40, S. 138. 18  Vgl. Görgen 2007, S. 16. 19  Vgl. Buchhart 2007, S. 14 f.

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20  Vgl. Annabelle Görgen: Roman Opalka, Opalka 1965/1–∞, 1965, in: Monets Vermächtnis. Serie. Ordnung und Obsession (hrsg. v. Uwe M. Schneede), Ausstellungskatalog, Hamburger Kunsthalle 2001, S. 100. 21  Vgl. Brief von Helene Schjerfbeck an Dora Estlander, 1944, zitiert in Ahtola-Moorhouse 2007, S. 30. 22  Vgl. Brief von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 18.10.1925, zitiert in Ahtola-Moorhouse 2002, S. 7. 23  Vgl. Ulrich Pfisterer u.Valeska von Rosen: Vorwort, in: id. 2005, S. 11 – 2 4. 24  Vgl. Petra Gördüren: Das Porträt nach dem Porträt. Positionen der Bildniskunst im späten 20. Jahrhundert, Berlin 2013 (Berliner Schriften zur Kunst, Bd. 24), S. 9 ff. 25  Marcel Proust: A la recherche du temps perdu, Bd. 2, Paris 1988, S. 216 – 2 17; vgl. Marcel Proust: Auf der Suche nach der verlorenen Zeit. Im Schatten junger Mädchenblüte, Bd. 2, Frankfurt am Main 1995, S. 627 f.: »In diesem Typus aber hatte für uns so sehr nicht nur die Schönheit einer Odette, sondern auch ihre Persönlichkeit, ihre Identität bestanden, daß wir vor dem Porträt, in dem sie so gar nichts mehr davon hat, am liebsten nicht nur ausrufen möchten: ›Wie hässlich sieht sie hier aus‹, sondern auch: ›Wie unähnlich ist das Bild!‹« 26  Vgl. Barbara Wittmann: Gesichter geben. Édouard Manet und die Poetik des Porträts, München 2004, S. 9 f. 27  Brief von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 29. Januar 1938, Åbo, Akademis bibliotek: »Där är något om målarn, han målar inte det han vill, det blir något ›som finnes inom honom förut‹  –  det är så sannt« (Übersetzung der Autorin). 28  Vgl. Gottfried Boehm: Bildnis und Individuum. Über den Ursprung der Portraitmalerei in der italienischen Renaissance, München 1985, S. 234 f. 29  Vgl. Luiz Costa Lima u. Martin Fontius: Mimesis/Nachahmung, in: Karlheinz Barck et al. (Hrsg.): Ästhetische Grundbegriffe. Historisches Wörterbuch in sieben Bänden, Bd. 4, Stuttgart 2002, S. 84 – 1 21, S. 119. 30  Vgl. Boehm 1985, S. 231 f. 31  Vgl. Ahtola-Moorhouse 2002, S. 69. 32  Vgl. Schneede 2007, S. 37 ff. 33  Brief von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 7. März 1920, Åbo, Akademis bibliotek; zitiert nach Helene Schjerfbeck, 2007, S. 28. 34  Vgl. Brief von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 15. Mai 1937, Åbo, Akademis bibliotek. 35  Vgl. Riitta Konttinen: Suomalaisia naistaiteilijoita 1880-luvulta, Helsinki 1989, S. 94. 36  Vgl. Carolin Köchling: Sur/Faces. Menschen als Projektionsflächen. Bilder als Modelle, in: Helene Schjerfbeck 2014, S. 17 – 49, S. 22. 37  Brief von Helene Schjerfbeck an Einar Reuter, 29. Januar 1922, Åbo, Akademis bibliotek: »Jag skrapar ut allt som görs ty det är inte som jag ville  –  och när jag skrapat många gånger då är där kvar på duken en

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antydan av allt jag sökt och ville, en så svag antydan  –  eller intet. Summan av mitt sökande. Så arbetar jag alltid« (Übersetzung der Autorin). 38  Vgl. Marie Christine Tams: Silent Stir Within. On the Phenomena of Mood and Emotion in the Art of Helene Schjerfbeck, in: Helene Schjerfbeck. 150 Years (hrsg. v. Leena Ahtola-Moorhouse u. Anu Utriainen), Ausstellungskatalog, Finnische Nationalgalerie, Ateneum, Helsinki 2012, S. 61 – 72, S. 68. 39  Vgl. Alexandra Hennig: Francis Bacon. Porträtmalerei nach der Repräsentation, in: Francis Bacon und die Bildtradition (hrsg. v. Wilfried Seipel, Barbara Steffen u. Christoph Vitali), Ausstellungskatalog, Kunsthistorisches Museum, Wien / Fondation Beyeler, Riehen 2003, S. 215 – 221, S. 216. 40  Vgl. Tutta Palin: Modernin muotokuvan merkit. Kuvia 1800-ja 1900-luvulta Taidekoti Kirpilässä, Helsinki 2007, S. 106; Schneede 2007, S. 33 f. 41  Zur Farbe Rot in Schjerfbecks Gemälden vgl. Riikka Stewen: Helene Schjerfbeck. Itsen kieltämisen ja kukistamisen taide, in: Lena Holger (Hrsg.): Helene Schjerfbeck. Naisia, miehiä, omakuvia, maisemia ja asetelmia, Helsinki 1997, S. 33 – 4 1, S. 36. 42  Vgl. Tams 2012, S. 68. 43  Vgl. Ahtola-Moorhouse: Helene Schjerfbeck’s self-portraits, in: Helene Schjerfbeck (hrsg. v. Leena Ahtola-Moorhouse), Ausstellungskatalog, Finnische Nationalgalerie, Ateneum, Helsinki 1992, S. 64 – 82, S. 69.

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REGISTER

Abano Petro d’  150, 151 Acconci, Vito  50, 51, 55, 56 Adenauer, Konrad  217 Adorno, Theodor W.  93 Alberti, Leon Battista  88, 89, 95, 350, 360, 365, 377 Alberto, Carlo  354 Albertolli, Raffaello  353 Alexander der Große  378 Allen, Gwen  50, 52 Altichiero da Zevio  141–156 Ames-Lewis, Francis  151 Amici, Felici dei  229, 238, 239 Amoretti, Carlo  354 Andereggen, Dominique  68 Andre, Michael  48 Angerer, Ludwig  176 Antonius, Heiliger  143 Apelles  378 Apollinaire, Guillaume  311, 314, 317 Arasse, Daniel  354, 359, 364 Arbus, Diane  76 Arcimboldo, Giuseppe  13 Aretino, Pietro  360

Aretino, Spinello  380 Aristoteles  314 Arman, Armand Pierre Fernandez, gen.  13, 14, 82, 92 Augustus, Kaiser  106, 117, 150 Avalokites´vara  300, 302 Avanzi, Jacopo  142, 144 B Babenberg, siehe Friedrich II. Babenberg, Herzog Bacon, Francis  12 Badsha, Omar  73 Bai Jingrui  199 Bai Suzhen  195 Baldinucci, Filippo  33 Barbarossa, siehe Friedrich I. Barbarossa Barbey d’Aurevilly, Jules Amédée  403 Barbuta, Heilige  232 Barendsz, Dirck  145–147 Barnes, Bernadine  357 Barolsky, Paul  359, 361, 363 Bartholomäus, Heiliger  349, 350, 354–356, 359, 365 Bauch, Kurt  125 Baumgarten, Lothar  337

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Béar, Liza  48, 50, 60 Beatrizet, Nicolas  356, 357 Beckmann, Max  12 Begrich, Ursula  132 Belting, Hans  153, 361, 362 Benaglia, Giuseppe  353 Benin, David  74 Benjamin, Walter  93, 95, 392 Bentham, Jeremy  7, 91 Berger, John  65, 74 Bernstein, J. M.  320 Berry, siehe Jean de Valois, Herzog von Berry Bertolucci, Bernardo  199, 201, 202 Beuys, Joseph  47–49, 51 Beveren, Ernst de  39, 40 Beyoncé, Beyoncé Knowles-Carter, gen.  1 Blankert, Albert  33 Blijenburgh, Charlotte Elisabeth van  25, 27, 29, 40 Blois, Mademoiselle de, siehe Françoise-Marie de Bourbon Böhmen, Katharina von, siehe Katharina von Böhmen Bol, Ferdinand  36, 37 Boonen, Arnold  30 Bossi, Giuseppe  353, 354 Brancusi, Constantin  12, 13 Brecht, Bertolt  220 Breitmore, Roberta  82, 84 Brigida, Doña  233, 234, 240 Brusati, Celeste  37 Bruyas, Alfred  398, 400 Buchhart, Dieter  416 Büchsel, Martin  105, 106, 153 Burckhardt, Jacob  81, 141, 153 Burgh, Johan van der  25, 26, 29, 40 Burman Foster, George  319 Butades aus Sikyon  377 Butler, Samuel  314 Cäsar, Julius  132, 150 Callet, Antoine-François  271–273 Capodilista, Giovanni Francesco  146 Caravaggio, Michelangelo Merisi, gen.  89, 210 Carjat, Etienne  401, 402 Carl, Katharine  187–190, 192, 200, 201, 203, 205 Carpaccio, Vittore  154, 155 Carpiceci, Marco  363 Carracci, Annibale  382 Carrara, Francesco il Vecchio da  141 Carrara, Francesco Novello da  151 Carrara, Marsilio da  152 Cartari, Vincenzo  231 Cartwright, Lisa  74

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Casey Singer, Jane  297, 298, 300, 303, 304 Castagnary, Jules-Antoine  397 Castiglione, Baldassare  259 Cava, Francesco La  349, 356–359, 363, 365 Cavell, Stanley  321, 322, 325 Cézanne, Paul  12 Chang Cheh  199 Charles IV, siehe Karl IV., Kaiser Charles V, siehe Karl V., König von Frankreich Charles VI, siehe Karl VI., König von Frankreich Charles de Bourbon, siehe Karl X., König von Frankreich Chen Jialin  199 Chieri, Giovanni Volpato di Riva di  354 Christian, Kathleen  150 Christus, siehe Jusus von Nazaret Cicero, Marcus Tullius  233 Cixi, Kaiserinwitwe, Regentin von China  183–206 Clark, Timothy  404 Clegg, Michael  209–215, 217–222 Clément, Charles  354 Clert, Iris  82, 83 Clifton, James  229 Cole, Ernst  73 Coleman, Allan D.  334 Comte d’Angiviller, siehe Flahaut de La Billarderie, Charles Claude Comte d’Artois, siehe Karl X., König von Frankreich Comte de Toulouse, siehe Louis-Alexandre de Bourbon Condillac, Etienne Bonnot de  285 Condivi, Ascanio  360 Conger, Sarah Pike  187, 189, 194 Connor, Doug  49 Corregio, Antonio da  382 Cotán, Sánchez  238 Courbet, Gustave  391–404 Covarrubias, Sebastián de  232, 233 Crell, Lorenz  282 Cuyp, Aelbert  36 Cuyp, Benjamin  36 Danton, Georges  281 David  350 David, Jacques-Louis  265–267, 269–272, 274–279, 281, 282, 284–286 Deckert, Hermann  105, 106, 116 Deling, Prinzessin  195 Demuth, Charles  323 Derrida, Jacques  82, 94 Descartes, René  90, 321 Diana  254

Diers, Michael  215, 218 Dijkstra, Rineke  337 Dix, Otto  12 Dlamini, Monde  67, 68, 70, 75 Domtön, Lama  302 Dorian, Madame  401 Dossier, Michel  254, 255 Dove, Arthur  323 Du Camp, Maxime  395 Duchamp, Marcel  314, 315, 317, 323 Duchesse d’Orléans, siehe Françoise-Marie de Bourbon Duggan-Cronin, Alfred Martin  72 Du Liniang  194 Dürer, Albrecht  10, 350, 362 Dyck, Anthonis van  30, 167, 170, 271 Ebendorfer, Thomas  125 Eduard III., König von England  133 Eeckhout, Gerbrand van den  36 Egbert, Erzbischof von Trier  108–111, 113, 115 Eggleston, William  329 Elisabeth von Österreich, Kaiserin  163–177 Endres, Johannes  116 Ernst, Georg  284 Ernst Meyer, Agnes  315 Eugénie, Kaiserin  168 Eyck, Jan van  10, 17 Falen Boggie, Juan  230 Fang Shu  203, 205 Ferdinand II., Fürst von Alcalá  229 Ferdinand II., Kaiser  233 Ferran, Bronac  95 Feuchtmüller, Rupert  125, 130 Fillastre, Guillaume  127 Fillitz, Herman  125, 133 Flahaut de La Billarderie, Charles Claude, Comte d’Angiviller  274 Fleischmann, Monika  87, 89, 92 Flinck, Govert  36 Fontana, Piero  385 Fortin, Nicolas  269 Foster, Hal  313, 314, 335 Foucault, Michel  91 Fragonard, Jean-Honoré  276, 277 Francesca, Piero della  380 Franceschini, Marcantonio  382 Francesco I. da Carrara, gen. Francesco il Vecchio  141, 149–152 Francesi di Staggia, Caterina de’  143, 144, 146, 152 Françoise-Athénaïs de Rochechouart de Mortemart, gen. Madame de Montespan  245

register

Françoise-Marie de Bourbon, Duchesse d’Orléans  245, 246, 250, 251 Franklin, Benjamin  279, 282 Franz Joseph I., Kaiser, 163, 167, 170, 171 Freedberg, David  362 Freud, Lucian  12 Freytag-Loringhoven, Elsa von  323 Fried, Michael  53, 54, 398, 403, 404 Friedrich I. Barbarossa, Kaiser  132 Friedrich II. Babenberg, Herzog  132 Friedrich III., Bruder Rudolfs IV.  125 Gacon, François  254, 255 Gadamer, Hans-Georg  17 Gaius Plinius Secundus Maior, siehe Plinius der Ältere Galla, Heilige  232 Garb, Tamar  73, 75 Gaus, Joachim  275 Gehse, Albrecht  217 Gelder, Arent de  25–42 Ginzburg, Carlo  35 Giorgione, Giorgio da Castelfranco, gen.  350 Giotto di Bondone  141, 380 Gobert, Pierre  252, 253, 256–258 Goethe, Johann Wolfgang von  391, 395 Gogh, Vincent van  12, 18 Goldblatt, David  73 Gonzalez-Torres, Felix  13, 14, 18 Gorgoni, Gianfranco  49, 56–58 Götz-Mohr, Brita von  212 Gourmont, Remy de  319 Govi, Gilberto  354 Goya, Francisco de  11, 12, 41 Grace, Lady Parker  3 Graham, Dan  91 Grandville, Jean-Jacques  398, 399 Gray, Dorian  81, 93, 95 Grimm, Jacob  174 Grimm, Wilhelm  174 Grimme, Ernst Günther  107 Guanyin  195, 196, 202 Gué Trapier, Elizabeth du  229 Guttmann, Martin  209–215, 217–222 Hanneman, Adriaen  40, 41 Haraway, Dona  321 Hartley, Marsden  12, 13, 323 Hassenfratz, Jean-Henri  281 Haviland, Paul  314–317, 319–322 Hegel, Georg Wilhelm Friedrich  313 Heimeran, Ernst  356–358, 361, 363 Heinrich IV., Kaiser  132 Heinrich VII., Kaiser  132

433

Heisig, Bernhard  217 Helbig, Oliver  218, 219 Helena  274, 275 Helst, Bartholomeus van der  30 Henkel, Arthur  233 Herkules  239 Herrlinger, Robert  354 Hershman Leeson, Lynn  82, 84, 87, 88, 95 Hiob  377 Ho Chi Minh  8 Hoffmann, Hartmut  105, 106, 117 Hogge, David  187 Holbein, Hans  2, 3 Holt, Nancy  50, 52 Homer  351 Hoogstraten, Samuel van  30, 31, 34, 36–38 Hora, Engelbert  385 Horch, Caroline  125, 133 Houbraken, Arnold  30, 36, 37 Houdon, Jean-Antoine  3, 5 Houssaye, Arsène  354 Hu An  199 Hugo, Pieter  66–77 Hülsen-Esch, Andrea von  142, 145, 156 Hu Qingyan  15 Ibsen, Henrik  423 Immendorff, Jörg  217 Ingres, Jean-Auguste-Dominique  10, 12 Jackson, David  297, 298 Jackson, Michael  51 Jacoby, Louis  169, 171, 172, 176 Jakobus, Heiliger  143, 146, 147, 154 Janitschek, Hubert  106 Jarry, Alfred  319 Jaunbersin, Johann  166, 167 Jean de Valois, Herzog von Berry  134 Jean le Bon, siehe Johann II. der Gute, König von Frankreich Jensen, Rainer  217 Jesus von Nazaret  107, 114, 116, 229, 277, 354, 355, 361, 362 Johann II. der Gute, König von Frankreich  123, 129, 133 Johannes, Evangelist  275, 276 Johannes der Täufer  130 Jonas, Bischof von Orléans  112–116 Jones, Amelia  313 Josef von Nazaret  238 Joyce, James  13 Junius, Franciscus  38 Kahnweiler, Daniel-Henry  12

434   register

Kandinsky, Wassily  320 Kangxi, Kaiser  187 Kant, Immanuel  90 Kantorowicz, Ernst H.  106–108, 114, 116, 125, 215 Karl der Große  142–144, 147–149 Karl IV., Kaiser  127–129, 132–134, 150–151 Karl V., König von Frankreich  133, 134 Karl VI., König von Frankreich  134 Karl X., König von Frankreich  275 Katharina von Böhmen  127 Keil, Bernhard  33 Keita, Salif  68 Keller, Hagen  111 Kender, János  48, 49 Khumalo, Alf  73 Kim Jong-Il  8 Kirwan, Richard  279, 282 Kleinhempel, Friedrich Erich  198 Klein, Yves  14, 82 Knechtlin, Elisabeth  233, 235, 240 Knoebel, Imi  13, 14 Kohl, Benjamin  154 Kokoschka, Oskar  12 Körntgen, Ludger  107 Koschatzky, Walter  364 Krog, Antjie  75 Kubary, Johann Stanislaus  336 Kümmernis, Heilige, siehe Wilgefortis Künstler, Gustav  125 Labille-Guiard, Adélaïde  271 La Bruyère, Jean de  258, 259 Lairesse, Gerard de  30, 34, 38 Laneyrie-Dagen, Nadeije  229 Lang, Walter K.  240 La Rochefoucauld, François de  259 Lauwaert, Dirk  55 Lavater, Johann Caspar  84 Lavin, Irving  365 Lavoisier, Antoine-Laurent  265–275, 277–279, 281, 282, 284–286 Lavoisier, Marie-Anne  265–268, 270, 271, 275, 277–284, 286 Law-Viljoen, Bronwyn  67, 76 Lejeune, Philippe  359, 363 Lenin, Wladimir Iljitsch Uljanow, gen.  8 Leonardo  17, 349–354, 358–360, 363, 364 Leopold I., Kaiser  381, 384 Leopold VI., Herzog von Österreich  132 Leslie, Anne  163 Leslie, Charles Robert  163 Lessing, Gotthold Ephraim  173 Le Va, Barry  49, 51 Leveck, Jacobus  36

Levi Strauss, David  76 Leyden, Lucas van  40 Liberata, siehe Wilgefortis Liberman, Alexander  52 Liebermann, Max  213, 214 Liebermann, Valeria  6 Liedtke, Walter  37 Li Han-hsiang  199, 203, 204 Li Lianying  195 Lincoln, Abraham  3 Liu, Kaiserin  196 Liuthar  108–110, 113–115, 117 Lobsang Gyatso, 5. Dalai Lama  291, 294–296, 301–307 Louis-Alexandre de Bourbon, Compte de Toulouse  245, 246, 250, 251 Lomazzo, Giovanni Paolo  353 Lorenzetti, Ambrogio  215, 216 Loughman, John Anthony  36, 37 Louise Bénédicte de Bourbon, Duchesse du Maine  245 Luckhardt, Jochen  125, 133 Ludovico, Alessandro  95 Ludwig I. von Anjou  147 Ludwig XIV., König von Frankreich 215, 245, 271, 272, 384 Ludwig XVI., König von Frankreich  271, 273 Lupi, Bonifacio  143, 144, 148 Lu Yan, Lisa  201 Maes, Nicolaes  30, 34, 36, 37 Magubane, Peter  73 Mainardini, Marsilio  148, 150, 153 Mander, Karel van  30, 38 Manguel, Alberto  239 Mannl, Angela  374 Mao Zedong  8 Marat, Jean-Paul  277, 278, 286 Maria Aegyptiaca, Heilige  237 Maria von Nazaret  238, 354 Marie-Anne de Bourbon, gen. Mademoiselle de Blois  256, 257 Marinetti, Filippo  314 Marsilius von Padua, siehe Mainardini, Marsilio Martindale, Andrew  134 Marx, Karl  313, 321 Massa, Johann Mathias Testarello della  125, 134 Matthäus, Evangelist  276 Melzi, Francesco  351, 360 Merkel, Angela  217 Messer, Wilhelm  110 Mettrie, Julien Offray de la  321 Metzger, Christof  129 Michelangelo  349–361, 363, 365, 366, 380

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Mills, Clark  3 Minerva  246 Modigliani, Amedeo  12 Moelaert, Jacob  28, 37, 38 Mofokeng, Santu  73 Mohapi, Steven  67–69, 75 Möller, Emil  351, 363 Montagu, Jennifer  397 Montias, John Michael  35 Montoliveto, Don Miniato Pitti de  355–357 Morris, Robert  86–88, 90, 91, 95 Mueck, Ron  6 Mulas, Ugo  52 Mumford, Lewis  313, 314, 322 Munch, Edvard  416–419, 421, 425 Mussato, Albertino  149 Nagel, Christian  211, 221 Napolitano, Alessandro  231 Narziss  87–89, 91 Nauman, Bruce  49, 51, 56–58, 61, 91 Nero, Kaiser  132, 150 Neyret de la Ravoye, Jean  254 Niehaus, Wolfgang  374 Nietzsche, Friedrich  394 Nijs, Marnix de  83–86, 91 Norman, Diana  153 Novi, Margarita  381, 383, 384 Obama, Barack  3–5 Oettinger, Karl  125 Omphale  239 Ontkommer, siehe Wilgefortis Opalka, Roman  420–421 Opie, Julian  82, 93, 94 Orléans, Ferdinand Duc d’  10, 11 Orléans, Jonas von  112 Ost, Hans  353 Ottmann, Henning  107 Otto I., Kaiser  117 Otto III., Kaiser  103–117 Ovid  91, 232, 233, 245, 247, 250, 252–254 Padberg, Frank  217 Paisiello, Giovanni  276, 277 Papillon, Jean-Michel  285 Paris  274, 275 Parker, Lady, siehe Grace, Lady Parker Paula, Heilige  232 Paulus, Heiliger  350 Paulze, Marie-Anne, siehe Lavoisier, Marie-Anne Pedretti, Carlo  353 Petersen, Carl Friedrich  213 Petrarca, Francesco  141, 143, 144, 150–152

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Petrus, Heiliger  111, 115, 350 Peyton, Elizabeth  14 Pfisterer, Ulrich  364 Phillip IV., König von Spanien  229 Picabia, Francis  12, 13, 18, 82, 92, 95, 311–313, 315, 317–325, 363 Picasso, Pablo  12 Piles, Roger de  252, 364 Pippin I. von Aquitanien  112–114 Pisano, Andrea  133 Plant, Margaret  147 Plinius der Ältere  42, 350, 377, 378 Poggi, Christine  313 Pomona  34, 245–258 Prange, Regine  417 Preimesberger, Rudolf  82, 105 Proust, Marcel  421, 422 Przybyszewski, Stanisław  417–419, 421 Psyche  245 Publius Ovidius Naso, siehe Ovid Puyi, Kaiser  201 Qianlong, Kaiser  187 Quaglio, Domenico  373, 380, 381 Quaglio, Eugen  374, 385 Quaglio, Giovanni Maria  382 Quaglio, Giulio (I.)  373, 374, 377, 378–382, 384, 385 Quaglio, Giulio (II.)  375–385 Quaglio, Lorenzo  373 Quaglio, Simon  373, 374, 380, 385 Quinn, Marc  16, 17 Rabinbach, Anson  319 Rainer, Yvonne  49, 51, 55 Ranc, Jean  247–250, 258 Rauschenberg, Robert  82, 83 Ray, Man  60 Ray, Nicholas  198, 201 Reagan, Ronald  341 Rehberger, Tobias  13, 14 Rembrandt  10, 18, 28, 30, 33–37, 39–42, 145, 210, 276, 397 Reuter, Einar  416, 422 Ribera, José de  227, 228, 230, 231, 233, 235–240 Riegl, Alois  142, 145, 146, 153–155 Rigaud, Hyacinthe  215, 254–256, 258, 271, 272 Robson, Flora  198, 201 Romano, Ezzelino  149 Rongling, Prinzessin  195 Roosevelt, Theodore  187 Rosen, Valeska von  364 Rubell, Donald  15 Rubell, Mera  15 Rudolf IV., Erzherzog von Österreich  123–134

436   register

Ruff, Thomas  55, 67 Ruodprecht, Mönch  108–110, 113, 115 Saint-Fargeau, Le Pelletier de  286 Saint-Simon, Henri de  257 ´¯a kyamuni  296, 298, 299 S Salamakis  233 Saliger, Arthur  130 Salviati, Francesco  380 Sánchez Cotán, Juan  233, 234 Sánchez, Luis  232 Sander, August  330, 333, 334, 337, 338, 340, 341 Sander, Karin  6 San Shun  195 Santi, Andriolo de’  143 Santos, Solange dos  68 Sartre, Jean-Paul  65, 66, 73–75 Saturn  382, 383 Schalcken, Godfried  37 Schild, Wolfgang  215 Schjerfbeck, Helene  12, 362, 411–413, 415–417, 421–426 Schley, Van  50, 56 Schlosser, Julius von  141 Schmidt, Gerhard  131 Schmitt, Annegrit  150 Schneider, Wolfgang Christian  110 Schoen, Arnold  359 Schöne, Albrecht  233 Schröder, Gerhard  217, 220 Schulze, Arnold  337 Seiler, Peter  150 Seta, Lombardo della  143, 144, 148 Sharp, Willoughby  48 Sheeler, Charles  323–325 Sherman, Cindy  82 Shunk, Harry  48, 49 Silvestre, Théophile  402, 403 Simmel, Georg  90, 397 Simon, Joan  56, 57 Skanda  195 Smithson, Robert  50, 51, 53, 54 Smith, Southwood  7 Solomon-Godeau, Abigail  413 Songtsen Gampo, König von Tibet  302 Sontag, Susan  75, 76 Sorcy-Thélusson, Anne-Marie-Louise de  276 Sorel, Charles  259 Sørensen, Per  296 Stadtbäumer, Pia  55 Steinberg, Leo  359 Steinmann, Ernst  357 Stella, Frank  82, 87, 93 Stenman, Gösta  413, 416

Sternfeld, Joel  329–335, 338–341 Stieglitz, Alfred  82, 311–319, 322, 323 Stoddard, Heather  297, 298 Stoichita, Viktor I.  360 Strauss, Wolfgang  87, 89, 92 Studnicˇková, Milada  134 Suckale, Robert  133 Sudhana, Mönch  195 Sullivan, Carol  49 Sullivan, Edward  230 Sully, Thomas  172, 173 Syamken, Georg  214 Talrich, Jacques  7 Thalnitscher, Ioannes Gregorius  382 Theoderich von Prag  125, 129 Tian Zhuangzhuang  199 Tierney, Brian  153 Tintoretto, Jacopo  373, 378–382, 384–385 Tischbein, Johann Heinrich  380 Tizian  10, 34, 271 Tolnay, Charles de  357, 359 Tomkin, Silvan  67 Tongzhi, Kaiser  185 Tönz, Ottmar  230 Tsongk’apa  296 Tucci, Giuseppe  296–298, 304, 305 Ulrichs, Timm  8, 9 Ursula, Heilige  154, 155 Uylenburgh, Hendrick van  30 Vallière, Anne Varice de  254–256 Vasari, Giorgio  141, 356, 360, 380 Vasari, Lazzaro  380 Velázquez, Diego  10, 236 Ventura, Magdalena  227–230, 236–240 Venturi, Giovanni Battista  354 Venus  245, 254 Vergerio, Pier Paolo  151, 152 Vergil  245 Veronese, Paul  380 Veronika, Heilige  361 Vestier, Antoine  271 Victoria, Königin von England  163, 172, 173 Vien, Joseph-Marie  274 Vigée-Lebrun, Elisabeth  276, 277 Villefranche, Titia de  245 Vis´vakarman  298

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Vöge, Wilhelm  106, 110 Volk, Leonard  3 Vos, Hubert  187, 190–192, 201, 203, 204 Vrieze, Levina de  41 Vugt, Simon van  36 Wang Xuexin  199, 203, 205 Warburg, Aby  95 Ward Smith, Sheila  67, 68, 71, 75 Warhol, Andy  51 Warnke, Martin  359 Washington, George  3, 5 Wegman, William  50, 51, 59, 60 Weiner, Lawrence  49, 51, 55 Westermarck, Helena  423 Weyden, Rogier van der  127 Weyerman, Jacob Campo  31 Wey, Francis  9 Whitman, Walt  341 Wilczek, Karl  359 Wilde, Johannes  125, 126, 359 Wilde, Oscar  81, 82, 93 Wilgefortis  232 Winslow Taylor, Fredrick  313 Winterhalter, Franz Xaver  163–177 Wittgenstein, Ludwig  321 Wittkower, Rudolf  357 Witt, Ronald G.  148 Wölfflin, Heinrich  357 Wolf, Gerhard  361, 362 Woods-Marsden, Joanna  358 Worth, Charles Frederick  166, 169, 175 Wowereit, Klaus  209, 210, 212–220, 222 Wu Fading  197, 199 Wu Ting-fang  190 Wu Zetian, Kaiserin  185, 196 Yikuang, Prinz Qing  195 Yongzheng, Kaiser  187, 196 Young, Arthur  279 Yu Xunling  193, 194, 196 Zabel, Barbara  313 Zaltieri, Antonio  231 Zaltieri, Bolognino  231 Zayas, Marius de  314–319, 325 Zeuxis  9, 32–34, 38, 42 Zevio, Altichiero da, siehe Altichiero Zhu Shilin  198 Zöllner, Frank  357

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ABBILDUNGSNACHWEIS

Albrecht Gehse, Bernhard Heisig / © VG Bild-Kunst, Bonn 2015: 217; Amsterdam, Rijksmuseum: 147; Archiv des Autors / der Autorin: 8, 13, 14, 26, 27, 29, 31, 32, 38, 39, 41, 133, 155, 173, 176, 186, 188, 189, 191, 192–194, 196, 199, 201, 204, 205, 231, 232, 248, 249, 253, 255, 257, 382, 383, 416, 423; Assen, Drents Museum: 7; Barnard Castle, The Bowes Museum: 251; Berlin, Galerie Fahnemann: 14 (Foto: Nic Tenwiggenhorn); © Berlin und Wien, Clegg & Guttmann: 211, 221; © bpk – Bildagentur für Kunst, Kultur und Geschichte: 166; © Bruce Nauman / Artist Rights Society (ARS), New York: 58; Brüssel, Musées royaux des Beaux-Arts: 278; © Bundesimmobilienverwaltung (Foto: Gerald Schedy): 165, 171; Chicago, Art Institute / © Sucession Picasso: 12; © Comune di Padova – Assessorato di Cultura: 146 (Foto: Simone Westermann), 149, 151, 152; © Courtesy of Joel Sternfeld and Luhring Augustine, New York: 331–333; Florenz, Antonio Quattrone: 216; © Courtesy of Princeton University: 312, 316, 318; © Getty Images: 4; Gotha, Schlossmuseum: 235; Hamburg, Museum für Völkerkunde: 336, 337; Hamburger Kunsthalle / bpk Photo: Elke Walford: 213; Helsinki, Signe ja Ane Gyllenbergin säätiö, © VG Bild-Kunst, Bonn 2015: 424 Helsinki, Suomen Kansallisgalleria (Foto: Henri Tuomi), © VG BildKunst, Bonn 2015: 412; Jörg Immendorff © The Estate of Jörg Immendorff, Courtesy Galerie Michael Werner, Märkisch Wilmersdorf, Köln & New York: 217; © John C. Huntington, 2003: 292, 293, 295; Karin Sander / © VG Bild-Kunst, Bonn 2015: 6; © Köln, SK Stiftung Kultur, Fotografische Sammlung – August Sander Archiv / VG Bild-Kunst, Bonn 2015: 338; © Liza Béar and The Estate of Willoughby Sharp: 48, 49, 53, 57, 59; London, Royal Collection Trust: 3; London, Studio Marc Quinn: 16; Madrid, Museo del Prado: 234, 237; © 2014 Marcel Duchamp / Artists Rights Society (ARS), New York / ADAGP, Paris / Succession Marcel Duchamp: 315; © Marnix de Nijs: 85; © Monika Fleischmann + Wolfgang Strauss: 89, 92; New York, Metropolitan Museum of Art: 267; © New York, Sotheby’s: 375, 376; Padua, Centro Studi Antoniani / © Antonio Quattrone: 142, 144; Paris, Musée des arts et métiers: 268, 269, 281; Paris, Musée du Louvre / H. Bréjat: 10; © picture-alliance/dpa: 217; © Pieter Hugo / Cape Town and Johannesburg, Stevenson Gallery: 69–71; Riihimäki, Riihimäen Taidemuseo, Tatjana ja Pentti

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Wähäjärven kokoelma / © VG Bild-Kunst, Bonn 2015: 417; Rom, Musei Vaticani: 356; © SCALA / Art Resource, New York: 324; The Felix Gonzalez-Torres Foundation, courtesy of Andrea Rosen Gallery, New York: 14; © Timm Ulrichs, Wentrup Galerie, Berlin (Foto: Joachim G. Jung): 9; © Tobias Rehberger: 14; Toledo, Hospital de Tavera: 228, 239; © Tsem Tulku Rinpoche, 2011: 299; Universität Hamburg, Kunstgeschichtliches Seminar: 5, 6, 7, 11, 16, 55, 84, 88, 104, 108–111, 124, 127–129, 133, 198, 272–277, 280, 283, 285, 304, 306, 352, 353, 355, 366, 392–394, 396, 397, 399, 401, 402, 418–420; © VG Bild-Kunst, Bonn 2015: 83, 86, 94; Wien, Österreichische Nationalbibliothek: 172, 174; www.klaus-wowereit.de: 218, 219.

440   Abbildu n gs n achweis

ISBN 978-3-11-040344-2 e-ISBN (PDF) 978-3-11-040356-5 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-040361-9 Library of Congress Cataloging-in-Publication Data A CIP catalog record for this book has been applied for at the Library of Congress. Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2016 Walter De Gruyter GmbH, Berlin/Boston Einbandgestaltung: Gitti Krogel, Hamburg Satz: Satzstudio Borngräber, Dessau Roßlau Druck und Bindung: DZA Druckerei zu Altenburg GmbH, Altenburg ♾ Gedruckt auf säurefreiem Papier Printed in Germany www.degruyter.com