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V&R
Studien zum Althochdeutschen Herausgegeben von der Kommission für das Althochdeutsche Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen Band 19
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Probleme der Edition althochdeutscher Texte Herausgegeben von Rolf Bergmann
Mit 17 Abbildungen
Vandenhoeck & Ruprecht in Göttingen
Geiordert mit Mitteln der Bund-Länder-Finanzierung Akademienprogramm
Die Deutsche Bibliothek -
CIP-Einheitsaufiiahme
Probleme der Edition althochdeutscher Texte / hrsg. von Rolf Bergmann. Göttingen : Vandenhoeck und Ruprecht, 1993 (Studien zum Althochdeutschen ; Bd. 19) ISBN 3-525-20334-9 NE: Bergmann, Rolf [Hrsg.]; GT
Der vorliegende Band enthält die Referate der Sektion Althochdeutsch der Fachtagung 'Methoden und Probleme der Edition mittelalterlicher deutscher Texte', die vom 26. bis 29. Juni 1991 mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft und des Bayerischen Staatsministeriums für Unterricht, Kultus, Wissenschaft und Kunst an der Otto-Friedrich-Universität Bamberg stattfand. Die Tagung wurde von der Kommission für mittelalterliche Texte der Arbeitsgemeinschaft für germanistische Edition getragen. Ziele der Tagung waren die umfassende Information über in Arbeit befindliche Editionsvorhaben und die Diskussion über theoretische und methodische Probleme der Edition. Beiden Zielen dienen auch die vorliegenden Beiträge zu Projekten und Problemen der Edition althochdeutscher Glossen und Glossare sowie der großen und kleineren althochdeutschen Textdenkmäler. Da eine geschlossene Publikation aller Vorträge und Referate der gesamten Tagung weder möglich noch zweckmäßig war, lag es nahe, die althochdeutsche Editionsprobleme behandelnden Referate geschlossen an einer dafür besonders geeigneten Stelle zu veröffentlichen. Der Kommission für das Althochdeutsche Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen ist daher für die Aufnahme des Bandes in die Studien zum Althochdeutschen sehr zu danken. Dem Kommissionsvorsitzenden Prof. Dr. Dr. h.c. Rudolf Schützeichel danke ich für seine Unterstützung und Förderung des Vorhabens sowie ganz besonders für die Bereitstellung seines Beitrags 'Zur Edition kleinerer althochdeutscher Denkmäler', da er den für die Bamberger Tagung vorgesehenen Plenarvortrag seinerzeit nicht hatte halten können. Zu danken ist auch allen anderen Autoren für die Beteiligung an der Sektion Althochdeutsch und für die Mitwirkung an dem vorliegenden Band. Schließlich danke ich besonders Dr. Stefanie Stricker für die umsichtige und selbständige redaktionelle Gestaltung des Bandes einschließlich der Anfertigung des Registers und Kerstin Meyer M.A. für die Herstellung der Druckvorlage.
Bamberg, im August 1992
Rolf Bergmann
Inhalt
Elvira Glaser: Edition und Dokumentation althochdeutscher Griffelglossen
9
Birgit Meineke: Zu einer Edition der sogenannten Glossae Salomonis
18
Stefanie Stricker: Editionsprobleme des Summarium Heinrici
38
Werner Wegstein: Zur Edition der 'Versus de volucribus'. Vorschläge für ein EDV-gestütztes Editions-Supplement
76
Wolfgang Kleiber: Zur Otfridedition
83
Wolfgang Milde: Faksimileausgabe und Edition des Codex Discissus (D) von Otfrids Evangelienbuch
103
Evelyn Scherabon Firchow: Althochdeutsche Textausgaben: Notker Teutonicus und seine Werke
110
Achim Masser: Der handschriftliche Befund und seine literarhistorische Auswertung
124
Rudolf Schützeichel: Zur Edition kleinerer althochdeutscher Denkmäler
135
Abkürzungen
140
Literatur
142
Register
163
Elvira Glaser Edition und Dokumentation althochdeutscher Griffelglossen I. Einleitung Mein Beitrag ist, wie im Titel schon angedeutet, den spezifischen Problemen gewidmet, die sich bei der Edition von Griffelglossen stellen. Da die Zahl der bisher vorgelegten Griffelglosseneditionen noch nicht sehr groß ist 1 und die Beschäftigung mit diesem Glossentyp erst am Anfang steht, lohnt eine prinzipielle Erörterung des Problemkreises. Meine Ausführungen basieren dabei auf mehrjähriger Erfahrung im Umgang mit einer größeren Anzahl althochdeutscher Griffelglossen aus Handschriften verschiedener Bibliotheken in der Bundesrepublik, der Schweiz, in Österreich, den Niederlanden und Italien. Die Arbeit anhand der vorliegenden Editionen hat dabei Mängel und Vorzüge deutlich gemacht, die nicht mit der Fähigkeit des Bearbeiters, sondern eher mit den Editionsprinzipien zusammenhängen, weshalb ich im folgenden auf diese eingehen will. Die im Anhang angeführten Beispiele entstammen einem auf Freisinger Provenienz beschränkten Handschriftenkorpus, dessen Edition demnächst publiziert wird 2 . II. Besondere äußere Bedingungen Griffelglossen, also Glossen, die mit Hilfe des stilus, des antiken und mittelalterlichen Schreibgriffels, ohne Farbe in das Pergament eingeritzt sind, werfen bei der Edition besondere Probleme auf. Im Unterschied zu Federglossen, die man, von verblaßten Formen abgesehen, als solche zunächst einmal klar erkennen kann, stellt sich bei Griffelglossen vor das Problem der eigentlichen Edition in besonderem Ausmaß das der Entzifferung, der Identifikation der Einzelbuchstaben. Gelegentlich anzutreffende Röteleintragungen sind je nach dem Erhaltungszustand der Farbe zu der einen 1
An Editionen, die eine größere Menge althochdeutscher Griffelglossen enthalten oder speziell Griffelglossen gewidmet sind, sind - in der Reihenfolge ihres Erscheinens insbesondere zu nennen B. Bischoff, PBB. 52 (1928); H. Meritt, AJPh. 55 (1934); J. Hofmann, PBB. 85 (Halle 1963); H. Mayer, Althochdeutsche Glossen; H. Mayer, Handschrift Ottob. Lat. 3295; K. Siewert, Glossenfunde. Für den Bereich des Altenglischen ist zu verweisen auf R.I. Page, Anglia 97 (1979), der sich auch mit anderen Editionen auseinandersetzt.
2
E. Glaser, Frühe Glossierung aus Freising.
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oder anderen Kategorie zu rechnen. Ist die Farbe gut erhalten, sind die Rötelglossen wie Federglossen lesbar und auch auf dem Mikrofilm erkennbar. Sind jedoch bei einer Eintragung mit einem harten Rötelstift kaum noch Spuren der Farbe vorhanden, wirkt die Rötelglosse wie eine Griffelglosse, da nur die Druckstellen im Pergament zurückbleiben 3 . Dann kann die Rötelglosse wie eine Griffelglosse auf Anhieb nur schwer zu erkennen und auf dem Mikrofilm überhaupt nicht zu sehen sein. Auch Griffelglossen sind nämlich nur ausnahmsweise im Mikrofilm zu erkennen, wenn sie etwa am Rand frei und gut eingedrückt stehen und das Licht beim Verfilmen in einem günstigen Winkel einfällt. Im übrigen bestehen nach meinen Erfahrungen auch mit Unterstützung sonstiger technischer Verfahren bisher nur sehr eingeschränkte Möglichkeiten einer Wiedergabe dieser Eintragungen. Zum einen sind den Behandlungsmethoden aus konservatorischen Gründen Grenzen gesetzt, zum anderen verursacht aber die natürliche Struktur des Pergaments auch ganz besondere Schwierigkeiten. Bei meiner Arbeit an den Freisinger Griffelglossen hat sich herausgestellt, daß sich die besten Ergebnisse bei Aufnahmen mit Schräglicht und Elektronenmikroskop erzielen lassen 4 , die aber dennoch die Lesungen mit den eigenen Augen an Qualität nicht übertreffen. Aufgrund des hohen technischen Aufwandes ist daher an eine vollständige fotografische Auswertung einer Handschrift kaum zu denken. Im Zusammenhang mit diesen Schwierigkeiten der Dokumentation führt die überdurchschnittlich häufige Notwendigkeit nachträglicher Korrekturen an der Lesung, die sich bei bereits vorliegenden Editionen immer wieder zeigt 5 , zu dem ersten Problemkomplex, der in folgender Frage zum Ausdruck kommt: Sollen die Schwierigkeiten der Entzifferung Eingang in die Edition finden? Ich möchte das ganz grundsätzlich bejahen, woraus sich die weitere Frage nach dem Wie einer Berücksichtigung ergibt. Die prinzipielle Zustimmung zur Berücksichtigung der Entzifferungsprobleme bedeutet, daß die Edition mindestens in minimaler Weise kommentierend sein muß. Ein solcher Kurzkommentar könnte die Besonderheiten der Schrift 3
Beide Sorten finden sich etwa im Clm 14364, beispielsweise auf fol. 154 v und 155 r . Die Glossen sind ediert bei B. Bischoff, PBB. 52 (1928) S. 160.
4
Zu früheren Versuchen einer fotografischen Wiedergabe vergleiche man etwa J. Spielt, PBB. 94 (Halle 1974) S. 79, wo die Eintragungen relativ günstig am Spaltenende stehen.
5
So sind die den Clm 6305 betreffenden Korrekturen bei K. Siewert, Glossenfunde, an der Edition H. Mayers, Althochdeutsche Glossen, teilweise erneut zu korrigieren. Auf fol. 66v, Z. 9 muß etwa H. Mayers Lesung biludi (S. 80), die von K. Siewert, S. 86, in fiuldi korrigiert wurde, erneut zu piludi verbessert werden. Man vergleiche dazu demnächst E. Glaser, Frühe Glossierung aus Freising. Umfangreiche Korrekturen mußte auch J. Page, Anglia 97 (1979), an Editionen altenglischer Glossen vornehmen. Korrekturen werden auch, wie die Autopsie gezeigt hat, zur Edition so ausgewiesener Autoren wie B. Bischoff, PBB. 52 (1928), etwa zum Clm 6277, sowie H. Meritt, AJPh. 55 (1934), etwa zu Clm 6293 und Clm 6272, notwendig sein.
Edition und Dokumentation althochdeutscher Griffelglossen
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ansprechen sowie eine Beschreibung der äußeren Umstände umfassen, unter denen der Editor gearbeitet hat. Das würde es ermöglichen, die Sicherheit der Lesungen und die Vollständigkeit der Auswertung besser zu beurteilen. Beispielsweise ist bei Lesungen, die nur auf einmaliger Autopsie beruhen, grundsätzlich Vorsicht angebracht. Das hängt damit zusammen, daß die Erkennbarkeit von Griffelglossen sehr stark abhängig ist von äußeren Verhältnissen, wie dem Einfall des natürlichen Lichts sowie von der Unterstützung durch Hilfsmittel wie Lampe und Lupe. Lesungen, die nur auf einmaliger Autopsie beruhen, sollten daher überhaupt nur in Ausnahmefällen ediert werden, da sie eine hohes Fehlerrisiko aufweisen, wie jeder bestätigen kann, der mit einem gewissen zeitlichen Abstand eigene Lesungen überprüft 6 . Außerdem ist nur bei einer zeitaufwendigen Prüfung Seite für Seite mit einigermaßen großer Sicherheit eine Aussage über das Vorkommen von Griffelglossen möglich. III. Kommentierung Neben der Beschreibung der allgemeinen äußeren Umstände sollte jedoch nach Möglichkeit auch ein im engeren Sinne paläographischer Kommentar Aufschluß über konkrete Unsicherheiten der Lesung geben. Die Ausführlichkeit oder auch das Fehlen eines solchen Kommentars sind natürlich von den Gegebenheiten des Einzelfalls abhängig. Konkrete Vorschläge unterschiedlicher Kommentartypen finden sich im Anhang (a bis c). Nur in besonders gelagerten Fällen halte ich fotografische Dokumentation oder faksimilierende Nachzeichnung7 für sinnvoll, etwa um sprachlich schwer zu beschreibende, komplexe Sachverhalte zu illustrieren, wie es im Anhang b) der Fall ist. Denkbar wäre auch die Dokumentation einer ausgewählten kleinen Zahl paläographisch charakteristischer Glossen, um einen grundsätzlichen Eindruck vom Charakter der Schrift zu vermitteln. Die Mehrzahl der Griffelglosseneditionen hat bisher bedauerlicherweise auf einen derartigen Kommentar zur Edition verzichtet, so daß die Sicherheit der Lesung oder eventuelle Alternativen nicht ohne erneute Prüfung am Original beurteilt werden können. Und selbst die Autopsie ist dadurch mühsam, daß bei Diskrepanzen zwischen der eigenen Lesung und derjenigen der Erstedition schwer zu beurteilen ist, wo die Fehlerquelle liegt. Diesbezüglich ist daher aus den bisher vorgelegten Editionen diejenige J. Hofmanns als Vorbild hervorzuheben, der natürlich auch nicht in allen Details zu folgen sein wird, die aber prinzipiell richtungsweisend ist in ihrer Unterscheidung sicherer und unsicherer Lesungen. Auf konkret zu befolgende Konventionen komme ich weiter unten zurück. 6
Man vergleiche die skeptischen Äußerungen H. Meritts, YAPhS. 1959 [1960] S. 544, zur Verläßlichkeit einiger seiner auf einmaliger Autopsie beruhenden Urteile.
7
So etwa J.-C. Muller, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 70.
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Elvira Glaser
Über die Anforderungen im paläographischen Bereich hinaus ist es wünschenswert, daß die Edition kommentierend in dem Sinne ist, daß unter Einbeziehung des lateinischen Textes eine Identifikation des Lemmas und eine grammatisch-semantische Bestimmung des Interpretaments vorgenommen wird. Auf diese Weise könnten die bei Griffelglossen häufigeren Fehllesungen schneller als solche erkannt werden und fänden erst gar nicht Eingang in die Edition und damit in die weitere Forschung. Eine solche Editionskonzeption erfordert aber natürlich eine längere Arbeitszeit und kann daher sicher nicht in allen Fällen verwirklicht oder auch nur gefordert werden. Eine dementsprechend erstellte Edition ist aber in jedem Fall einer bloßen Gegenüberstellung von vermutlichem Lemma und Interpretament überlegen. Die Übersichtlichkeit, die bei einem solchen kommentierenden Editionstyp eventuell verloren gehen kann, bleibt durch die mögliche Beigabe einer listenförmigen Aufstellung der Glossen gewährleistet. IV. Aufbau der Editionsartikel Als weiteren Problemkomplex möchte ich nun den konkreten Aufbau eines Editionsartikels einer kommentierenden Edition in dem geschilderten Sinne nennen. Hierbei sind auch Fragen der adäquaten Edition von Glossen überhaupt, beginnend etwa mit derjenigen der diplomatischen oder einer Edition folgenden Wiedergabe des lateinischen Textes der Handschrift, tangiert. Vorschläge für solche Editionsartikel, wie sie sich aus meiner Arbeit mit den Freisinger Griffelglossen ergeben, finden sich im Anhang unter a) bis c). Die angewandten Prinzipien, wie sie hauptsächlich anhand von Typ a) nachzuvollziehen sind, will ich im folgenden kurz benennen: Das semantische Lemma, also das lateinische Wort (oder die Wortgruppe), auf das sich die althochdeutsche Glosse semantisch bezieht, wird in seinem Kontext ediert und durch Kursivierung hervorgehoben. Das lateinische Textzitat folgt der Edition unter Angabe maßgeblicher Lesarten der Handschrift, wie bei b) und c), so daß der Bezugstext der Glosse ermittelt werden kann. Auf die anschließende Übersetzung ins Neuhochdeutsche folgt die Gegenüberstellung von graphischem Lemma und Interpretament, also des lateinischen Wortes, unter oder über dem die Glosse steht, und der Glosse selbst. Bei Marginalglossen, für die ich hier kein eigenes Beispiel anführe, erübrigt sich natürlich diese Gegenüberstellung, und es wird allein das Interpretament genannt. Gegebenenfalls sind die Angabe bisheriger Lesungen, so bei a), und ein paläographischer Kommentar, so bei a) bis c), hinzugefügt. Unsicher Gelesenes wird mit einem Punkt darunter versehen. Ein Punkt allein steht für einen nicht identifizierbaren Buchstaben. Ein Fragezeichen steht, wenn die Existenz eines weiteren Buchstabens fraglich ist. Das Zeichen ' |' dient zur Angabe der Zeilengrenze. Ohne besonderen Vermerk ist davon auszugehen, daß das Interpretament die Länge des graphischen Lemmas nicht überschreitet, aber
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auch nicht wesentlich unterschreitet. Der letzte Teil des Editionsartikels a) behandelt dann die grammatische und lexikalisch-semantische Identifikation des Interpretaments. Der geschilderte Aufbau ist auf Griffelglossen abgestimmt, die in mindestens einem morphologischen Bestandteil als althochdeutsch identifizierbar sind, so daß der konkrete semantische Bezug auf den lateinischen Text erörtert werden kann. Da das bei nicht morphologisch identifizierten Glossen nicht möglich ist, empfiehlt es sich, die identifizierten und die nicht identifizierten Glossen getrennt zu edieren. Bei letzteren entfallen dann die Übersetzung und die grammatisch-semantische Identifikation, wie in c) erkennbar. V. Anderssprachige und sonstige Griffeleintragungen Soweit zum Aufbau einzelner Editionsartikel althochdeutscher Glossen. Ein letzter Problemkomplex umfaßt Fragen, die sich zwar auch bei der Edition von Federglossen stellen können, die aber wiederum bei der Griffelglossierung einen besonderen Stellenwert besitzen. Gemeint ist die Berücksichtigung weiterer Einträge neben den als althochdeutsche Glossen bestimmten, also anderssprachige, insbesondere lateinische Glossierungen, sowie nichtsprachliche und sonstige sprachliche Griffeleintragungen. Im Falle lateinischer Griffelglossen, die möglicherweise aus demselben Glossierungsvorgang stammen wie die althochdeutschen, sollten, wenn nicht ohnehin eine Einbeziehung in die Edition geplant ist, auf jeden Fall die Stellen genannt werden, an denen sich diese befinden. Das ist zum einen aus praktischen Gründen wichtig, um nämlich einem späteren Bearbeiter der Handschrift bei der eventuellen Entdeckung weiterer, nicht in der Edition enthaltener Griffeleintragungen eine Orientierung zu geben, zum anderen aber auch, um die Gesamtbeurteilung der Funktion der Glossierung zu erleichtern. Letzteres gilt auch für die sonstigen Griffeleintragungen, die einen Hinweis auf den Zusammenhang der Glossierung geben können und die allgemein von Interesse sind im Hinblick auf die noch nicht endgültig gelöste Frage nach der Funktion der Griffelglossierung im Unterschied zur Federglossierung. Ich will mich hier auf die Frage beschränken, ob und wie solche Eintragungen in eine Edition einbezogen werden können. Als Minimum ist zu fordern, daß auf die Existenz weiterer, nicht zu den althochdeutschen Glossen zu rechnenden Griffeleintragungen hingewiesen wird. Möglichst sollten dazu auch, insbesondere aus den oben genannten praktischen Gründen, Stellenangaben gemacht werden. Diese Hinweise könnten der Edition beigegeben werden, ohne in sie direkt integriert zu sein. Zur Illustration, wie solche Eintragungen aber auch direkt in eine Edition einbezogen werden können, sind die Beispiele d) und e) im Anhang angeführt. Insbesondere bei möglicherweise zeitgleichen lateinischen Glossierungen ist eine den althochdeutschen Glossen entsprechende Behandlung
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auch deshalb wünschenswert, um funktionale Übereinstimmungen oder Unterschiede in der Glossierung erkennen zu können. Die Hinweise auf textkritisch motivierte Eintragungen, wie Verbesserungen von Lesarten und Fehlschreibungen, oder auf sonstige Eintragungen können in knapper Form gegeben werden 8 . Darüber hinaus können in Einzelfällen auch Angaben über Stellen, die keine Glossen enthalten, sinnvoll sein, dann nämlich, wenn diese Aussage Resultat einer genauen Prüfung einer 'verdächtigen' Stelle ist. VI. Zusammenfassung Bei der vorliegenden Erörterung der Probleme, die sich bei der Edition von althochdeutschen Griffelglossen stellen, ließen sich drei Sachbereiche unterscheiden, die Berücksichtigung der speziellen äußeren Umstände der Autopsie und Probleme der Entzifferung, der konkrete Aufbau der Editionsartikel sowie die Einbeziehung weiterer Eintragungen. Die Schlußfolgerungen, die sich aus meiner Sichtung der Editionsprobleme bei Griffelglossen ziehen lassen, seien im folgenden thesenartig zusammengefaßt: 1. Die besonderen Schwierigkeiten bei der Entzifferung von Griffelglossen erfordern spezielle Editionsverfahren. 2. Die Edition sollte grundsätzlich eine kommentierende Edition sein. Zum Überblick kann eine Liste mit Lemmata und Interpretamenten beigefügt werden. 3. Die häufige Notwendigkeit von Korrekturen bereits bestehender Editionen führt zu zwei Schlußfolgerungen. a) Außer in Ausnahmefällen sollten keine Lesungen, die nur auf einmaliger Autopsie basieren, veröffentlicht werden, b) Bei der Edition sollte stets angegeben werden, unter welchen Umständen der Editor gearbeitet hat, welche Hilfsmittel und wieviel Zeit ihm für die Autopsie zur Verfügung standen. 4. Beim Aufbau der Editionsartikel sollte unterschieden werden zwischen der Edition zumindest teilweise grammatisch und lexikalisch identifizierbarer und nicht identifizierbarer Glossen. Auch die Angabe der Stellen, die entgegen ursprünglicher Vermutung keine Glossen enthalten, ist wünschenswert, insbesondere aus der Sicht eines späteren Benutzers der Handschrift. 5. Falls die Handschrift auch lateinische Griffelglossen enthält, muß ausgehend von deren Zusammenhang mit den althochdeutschen Glossen entschieden werden, ob nicht auch diese zu edieren sind. In jedem Fall sollten als Minimum die Stellen angegeben werden, an denen Glossen als lateinisch identifiziert wurden. Das verhindert Doppelarbeit bei einer erneuten Autopsie durch andere Personen, ist aber auch wichtig für die Gesamtbeurteilung der Funktion der Glossierung. 8
So verfährt etwa im Bereich des Altenglischen R.I. Page, Anglia 97 (1979) S. 44.
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6. Der Edition soll ein Überblick über alle Griffeleintragungen beigegeben werden, aus dem hervorgeht, welche weiteren Eintragungstypen neben althochdeutschen Glossen noch vorliegen. Die Beachtung dieser Grundsätze würde meines Erachtens zu einer deutlichen Steigerung des Wertes der Editionen als Grundlage für weitere wissenschaftliche Arbeiten mit Griffelglossen führen. Anhang a) Identifizierte althochdeutsche Glosse (Clm 6300, fol. 90ra, Z. 11) Quia ergo tot rerum causas quas fingit tolerat (PL.75, 668A; CCh.143, S. 202,50) 'weil er also die Umstände so vieler Dinge, die er sich vorstellt, erduldet' fingit -fogit (M. S. 76,27: fotot) Die Lesung H. Mayers ist erklärlich als Fehl interpretation eines vor g befindlichen Pergamentknitters als t und in der Folge einer Zusammenlesung des gebogenen Oberteils von g mit i als o. fogit·. 3. P. Sg. Ind. Präs. sw. V.fffgen 'sich vorstellen'. - AWB. III, Sp. 1334-1336; SchW. S. 121; GSp. III, Sp. 421; StWG. S. 183; RSV. I, S. 46f. Die Wörterbücher kennen als Bedeutung nur 'zusammenfügen' oder ähnliches. Die vorliegende lateinisch-althochdeutsche Entsprechung ist, soweit zu sehen, noch nicht belegt. Die Wahl des althochdeutschen Verbs ist erklärlich unter der Annahme, es liege eine Übertragung auf ein geistiges 'Zusammenfügen' vor. Der nicht gedeutete Eintrag fotot im Leipziger Wörterbuch (AWB. III, Sp. 1198) ist somit zu streichen. Das gilt auch für die als fraglich gekennzeichnete Zuordnung zu faton 'füttern' im Glossenwörterbuch (StWG. S. 807). b) Teilweise identifizierte Glossierung (Clm 6300: fol. 42va, Z. 20) si unum sacrae Scripturae testimonium ad utraque probanda proferamus (PL.75, 625D; CCh.143, S. 148,13: adprobanda; Hs. Scribtum, testimoniom, pferam1) 'wenn wir ein einziges Zeugnis der Heiligen Schrift anführen, um beides zu erweisen' [pbandapferam7\
- zapiji(a..mel (Neufund)
Die Eintragung reicht bis über r und weist keine Abtrennungen auf. Sie ist insgesamt schwer lesbar. Die zwischen i und / erkennbare Lücke ist durch die Oberlänge von nd verursacht. Statt m ist vielleicht auch nur η zu lesen, und der davor erkennbare Schaft gehört dann zum vorausgehenden
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Buchstaben. Ob die Eintragung mit e endet oder ob noch ein Schaft zu identifizieren ist, ist nicht sicher zu entscheiden. Wegen der mehrfachen paläographischen Unsicherheiten sei hier die Transliteration beigefügt: a. za: Präp. za 'um zu' oder 'zu'. - SchW. S. 305; GSp. V, Sp. 572-575; StWG. S. 759f. Die Glossierung des Gerundivs durch ein Syntagma mit za kann als formenkongruent betrachtet werden. Ein Bezug auf das in der Zeile vorher stehende ad ist kaum wahrscheinlich. Für das folgende Wort ließe sich so eine Flexionsform des Infinitivs vermuten, die aber paläographisch nicht gestützt werden kann. Es kann auch die zu einem Substantiv gehörende, zum Ausdruck des Zweckes dienende Präposition vorliegen. b. pifila..mel: Dat. Sg. st. M. oder N. (?)pi[ ]. - Die Segmentierung eines Präfixes bleibt ohne Identifikation des Restes ungesichert. Im Zusammenhang der Bestimmung des ersten Glossierungsteils kann an das Vorliegen einer nominalen Dativform gedacht werden, was aber ohne Identifikation des Grundmorphems fraglich bleiben muß.
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c) Nicht identifizierte Glossierung (Clm 6300, fol. 52va, Z. 11) Nunc enim dormiens silerem, et somno meo requiescerem (PL.75, 635A; CCh.143, S. 160, 64f.; Hs. silirem) \silireml & - nistla.... (Neufund) Die an sich noch deutliche Eintragung ist wegen der vielen Pergamentknitter teilweise kaum mehr identifizierbar. Die als ni identifizierten Striche am Anfang könnten eventuell auch alle drei verbunden und damit als m zu lesen sein. Bei dem folgenden Buchstaben ist die obere Krümmung des Schafts nicht gesichert, so daß vielleicht auch i vorliegen könnte. Zwischen t und α ist ein überlanger Strich zu erkennen, der wahrscheinlich nicht sprachlich ist. Hinter α wird die Eintragung sehr undeutlich. Es sind nach einem gänzlich unlesbaren Buchstaben ein Halbbogen und mindestens vier halbhohe Schäfte erkennbar, was den Eindruck von vier Buchstaben erweckt.
Edition und Dokumentation althochdeutscher Griffelglossen
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d) Lateinische Glossierung (Clm 6305: fol. 46v, Z. 7) si omissis seriis de rebus friuolis loquamur (PL.26, 84D; CCh.77, S. 96, 540; II, 12, 36; Hs. series, frjbolis) 'wenn wir, ernste Dinge beiseite lassend, von nichtigen sprechen' frjbolis - miseris Zu lat. miser 'elend' (GH. II, Sp. 942). Kontextuell sind die beiden Adjektive wohl weitgehend synonym. e) Nicht zur Glossierung gehörende Eintragungen Clm 6312: fol. 53v, Z. 2 (XLVI,7; CSEL. 50, S. 87,2) Über concessum ist das in der Handschriftengruppe X ausgelassene non geritzt. Clm 6312: fol. 140v, Z. 15 (CV,2; CSEL. 50, S. 231,16) Über & ist u superskribiert, was bedeutet, daß die Lesart der Handschriftengruppe X sowie der Handschrift Ν durch diejenige der übrigen Handschriften ersetzt wird.
Birgit Meineke Zu einer Edition der sogenannten Glossae Salomonis Nach der Überlieferung ist seit dem zwölften Jahrhundert der Name Salomos III. 1 , ab a.890 Bischof von Konstanz und Abt von St. Gallen, mit einem alphabetisch geordneten lateinisch-lateinischen Kompendium verbunden, das durch volkssprachige Glossen in einer Reihe von Textzeugen vom Ende des elften bis zum 15. Jahrhundert vor allem seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts das Interesse der Germanisten auf sich gezogen hat. Eine Sichtung der bislang bekannten Überlieferung anläßlich einer neuen Edition der sogenannten althochdeutschen Glossae Salomonis hat verschiedene Erkenntnisse zu Einzelfragen der Entstehung des volkssprachig glossierten Werkes erbracht, die hier im Vorfeld einer überlieferungsgebundenen Ausgabe zu skizzieren sind. I.
Eine Publikation volkssprachiger Glossen, sieht man von dem Inkunabeldruck aus den Jahren 1473/14742 ab, legt erstmalig Martin Gerbert 3 a.1765 vor, indem er die Glossen der Handschrift 1 der Zwettler Stiftsbibliothek 4 veröffentlicht. Diese erste Veröffentlichung von althochdeutschen Glossen bietet allerdings noch keine Identifizierung der Handschrift als Textzeugen des andernorts Salomo zugeschriebenen Werkes. Während M. Gerbert 5 nach Bibliotheksbesuchen in St. Gallen, 1
Zu Salomo III. sieh allein mit weiteren Hinweisen Helvetia Sacra, III, 1, 2, S. 11951198, 1280-1282; J. Duft, Die Abtei St. Gallen, II, S. 68-72; Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, IV. Heft, S. 412; VI. Heft, S. 751f., 755-759; K. Langosch, VL. IV, Sp. 21-29, zum Werk Sp. 25f.; R. Düchting, VL. VIII, Sp. 526-530; H.U. Schmid, VL. VIII, Sp. 542-544; H. Thoma, Reallexikon, I, S. 584.
2
Zum Druck mit weiteren Hinweisen R. Schmidt, Reichenau und St. Gallen, S. 89-92; dazu B. Meineke, BNF. NF. 22 (1987) S. 220-223; zur Inkunabel sieh auch weiter unten.
3
Iter Alemannicum ... Glossaria Theotisca, S. 109-135.
4
Zur Handschrift StSG. IV, S. 677, Nr. 660; J. Rössl, Erste Ergebnisse, S. 1-8; J. Rössl, Handschriftenbeschreibung, S. 99f.
5
Iter Alemannicum, S. 108f. (St. Gallen, Ochsenhausen), 213f. (Ochsenhausen), 236 (Weingarten).
Zu einer Edition der sogenannten Glossae Salomonis
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Ochsenhausen und Weingarten ausdrücklich Exemplare des mit Salomos Namen verbundenen Werkes erwähnt, stellt er für die Zwettler Handschrift, die selbst ja keinen expliziten Hinweis auf Salomo hat, eine entsprechende Verbindung nicht her. Unter der Überschrift Glossarium Theotiscum gibt M. Gerbert die volkssprachigen Glossen nach ihrem jeweiligen lateinischen Bezugswort wieder, teilt neuhochdeutsche Übersetzungen dazu mit und gibt einzelne Anmerkungen 6 . Bezeichnend ist die Einschätzung des publizierten Materials, die in einer ersten Anmerkung gemacht wird: Glossarium a semibarbaro quodam tyrone confectum1. Die Konzentration auf Glossarartikel mit althochdeutschen Glossen suggeriert zumindest, daß es sich um ein durchgehend zweisprachiges Glossar handle und nicht um zwei alphabetisch geordnete im Kern lateinisch-lateinische Glossare, in denen vereinzelt althochdeutsche Interpretamente zu lateinischen Wortartikeln auftreten. Der Abdruck, der sich eben nur auf die volkssprachigen Anteile konzentriert, vermittelt also nicht den tatsächlichen Umfang des Kompendiums. Nach Bernhard Friederich Hummel 8 a.1777, Trudpert Neugart 9 a.1803 und Bernhard Joseph Docen 10 a.1809 ist es erst August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 11 , der durch ein Inkunabel exemplar des Werkes in der Königlichen und Universitäts-Bibliothek Breslau auf das Wörterbuch aufmerksam wird und a.1824 Eberhard Gottlieb Graff eine erste Studie mit Glossen aus der Inkunabel dazu widmet. Bereits zwei Jahre später, a.1826, publiziert A.H. Hoffmann 12 eine weitere Abhandlung unter der Überschrift Glossae Salomonis, in der er auf der Grundlage der Ausgabe von M. Gerbert eine alphabetische Umsortierung der volkssprachigen Interpretamente vornimmt und diese im Druck den beigegebenen lateinischen Bezugswörtern voranstellt. Dabei moniert er insbesondere die von Johann Jakob Spreng stammenden Angaben in dem Abdruck M. Gerberts und sucht sie vor allem nach dem ihm vorliegenden Inkunabeldruck und dem a.1809 aus dem Clm 23496 von B. J. Docen 13 publizierten Material zu korrigieren. A.H. Hoffmann hatte die Zwettler Handschrift bis dahin (das Vorwort datiert vom 7. Februar 1826) selbst noch nicht gesehen. Für den Sommer des 6
M. Gerberti Iter Alemannicum ... Glossaria Theotisca, S. 109, passim.
^ Ebenda. 8
Neue Bibliotheck, II, 7. Stück, S. 334-351, insbesondere S. 341-345.
9
Episcopatus Constantiensis Alemannicus, I, 1, S. 164, 165 u. A. a). Miscellaneen, I, S. 188, 199 (Sigle D.), 201-246 (Glossar, passim); [Anhang] Zusätze, S. 23-25.
10
11
Mein Leben, II, S. 25f.
12
Althochdeutsche Glossen, S. XX-XXVI, XXXV; Sp. 25-55; dazu die Besprechung von J. Grimm, Kleinere Schriften, IV, S. 407f., mit Einzelkorrekturen.
13
Miscellaneen, I, S. 188, 199 (Sigle D.), 201-246 (Glossar, passim).
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Jahres war aber eine Reise durch österreichische Bibliotheken geplant, die ihm jedoch nicht bewilligt wurde 14 . Erst im folgenden Jahr 1827 konnte er eine solche Reise am 26. Juni antreten. Auf dem Rückweg von Wien verbrachte A.H. Hoffmann fünf Tage in der Stiftsbibliothek Zwettl, wo er auch die Handschrift 1 eingesehen hat 15 . E.G. Graff 1 6 antwortet erst a.1829, also fünf Jahre später, auf die ihm seinerzeit a.1824 dedizierte Abhandlung A.H. Hoffmanns mit einem an Wilken gerichteten Nachtrag. Unterdessen hatte A.H. Hoffmann mit der Aufarbeitung seiner Funde auf der Österreichreise begonnen. In den 'Fundgruben für Geschichte deutscher Sprache und Litteratur' 17 findet sich zu den Quellen seines mit Wilhelm Wackernagel zusammen erstellten Glossar fllr das XII.-XIV. Jahrh. der Hinweis auf die durch A.H. Hoffmann inzwischen erfolgte Autopsie des Zwettler Codex, und es werden Korrekturen gegenüber M. Gerbert angekündigt. Dabei wird auch mitgeteilt, daß A.H. Hoffmann in Prag [a.1827] in der Bibliothek der Gesellschaft des vaterländischen Museums eine weitere Handschrift mit deutschen und böhmischen Glossen gesehen habe, mit deren Ausgabe damals Väclav Hanka 18 beschäftigt war. E.G. Graff 19 greift einige von A.H. Hoffmann angesprochene Fragen zur Entstehung des Werkes und seiner Funktion auf. Bemerkenswert ist, daß E.G. Graff bereits eine Differenzierung der ihm damals bekannten Textzeugen vornimmt, indem er den Text der Handschriften und der Inkunabel mit zwei alphabetisch geordneten Glossaren nicht 'als das ursprüngliche glossarium Salomonis', sondern nur in dem ersten größeren das ursprüngliche Glossar sehen will. Auch hinsichtlich der Beurteilung der Funktion und des Alters der volkssprachigen Glossen kommt er zu einer Unterscheidung von Alter der Glossen und Alter der Abfassung des ursprünglichen Werkes ohne Glossen. Die Glossen beurteilt er als 'Zusatz späterer Zeit, weßhalb 14
Mein Leben, II, S. 32f.
^ Ebenda, S. 43-56, insbesondere S. 56; zur Abschrift A.H. Hoffmanns sieh auch StSG. IV, S. 677, Z. 39f. 16
Diutiska, III, S. 411-421.
17
Fundgruben, I, S. 352, Anmerkung 1. 18 Di e Publikation der 'alttschechischen' Glossenfälschungen erfolgt a.1833 ([V. Hanka,] Zbjrka neydawnfigSjch slownjkö latinsko-tfeskych, S. 3-24); dazu sieh etwa die Stellungnahmen von Bartholomäus Kopitar im Briefwechsel mit Jacob Grimm bei M. Vasmer, B. Kopitars Briefwechsel, S. XIII, XXVIII-XXXI; Briefe Nrn. 51, 53, 65, 87, 94f., 101, 116, 119f. - Zu der Begegnung mit V. Hanka sieh die Notizen A.H. Hoffmanns, Mein Leben, II, S. 56 (10./11. September 1827), 234-240 (25. März - 18. April 1834). Zur Beschäftigung V. Hankas mit der Prager Handschrift sieh auch E.G. Graff, Diutiska, III, S. 413f. - Zur Handschrift und den tschechischen Glossen insbesondere A. Baum - A. Patera, Casopis Musea kralovstvi Ceskeho 51 (Prag 1877) S. 120-149, 372-390, 488-513; StSG. IV, S. 605f., Nr. 528; sieh ferner E. Skäla, Festschrift für Herbert Kolb, S. 692f. 19
Diutiska, III, S. 411-421.
Zu einer Edition der sogenannten Glossae Salomonis
21
sich auch aus den Sprachformen dieser deutschen Glossen nicht auf die Zeit der Abfassung des ursprünglichen Werkes' schließen lasse. Wie A.H. Hoffmann nennt auch E.G. Graff eine Reihe von Textzeugen, wobei er einige erstmals benennt, darunter die Prager Handschrift, die damals a.1829 A.H. Hoffmann allerdings schon bekannt war. Seiner Studie fügt er dann aus dem Buchstabenkomplex Α des ersten Salomonischen Glossars volkssprachige Glossen an. Die Glossen des Zwettler Codex werden nach dem Abdruck M. Gerberts geboten, da E.G. Graff die Handschrift nicht gefunden hat. Auch aus der Prager Handschrift teilt E.G. Graff einige wenige althochdeutsche Glossen mit und kündigt eine Publikation von V. Hanka 20 oder J. Dobrovsky (gest. 6.1.1829) an. Die volkssprachigen Glossen der Handschriften München, BSB. Clm 17152 (Sal. 1), Clm 13002 (Sal. 2), Clm 22201 (Sal. 3), Cgm 187 (Sal. 6), Prag, KNM. X A 11 (Sal. 4), Zwettl, StiftsB. 1 (Zw.) und der Inkunabel (Sal. 5) sowie des Clm 23496 nach B.J. Docen hat E.G. Graff 21 dann in seinem ab a.1834 erschienenen Althochdeutschen Sprachschatz berücksichtigt. Inzwischen waren insbesondere in München Handschriften mit volkssprachigen Glossen bekannt geworden. Nach ersten Nachrichten von B.J. Docen 22 hat Johann Andreas Schmeller23 einige Glossenhandschriften kollationiert und für sein Bayerisches Wörterbuch verwerten können. II. Während das Salomo zugeschriebene Werk im 19. Jahrhundert vor allem von Seiten der lateinischen Philologie im Zusammenhang anderer lateinischer Glossare Beachtung gefunden hatte 24 , markiert in der germanistischen Forschung des althochdeutschen Glossenbestandes, nach den genannten frühen Veröffentlichungen und einer Reihe weiterer Einzelpublikationen und Hinweisen auf Glossen 25 , schließlich die bislang nicht über20
Sieh oben A. 18.
21
GSp. I, S. LXII, LXXIII.
22
Übersicht bei StSG. IV, S. 697; sieh auch oben A. 10 u. 13.
23
Dazu sieh J.A. Schmeller, Bayerisches Wörterbuch, S. 19; S. X-XII; StSG. IV, S. 690f.
24
Dazu sieh etwa H. Usener, RhM. NF. 22 (1867) S. 442-446; RhM. NF. 23 (1868) S. 223f., 676-680; RhM. NF. 24 (1869) S. 382-391; A. Wilmanns, RhM. NF. 24 (1869) S. 362-382, insbesondere S. 379; G. Loewe, Prodromus, S. 222-253, insbesondere S. 234f.; G. Goetz, Abhandlungen, XIII, S. 211-288, insbesondere S. 244-248; G. Goetz, Paulys Real-Encyclopädie, XIII, Sp. 1448f., 1454-1458; CGL. I, S. 166-172, § 48.
25
Sieh oben A. 10 und A. 13; a. 1841 Hoffmann von Fallersleben, Verzeichniss der altdeutschen Handschriften, S. 372, Nr. CCCXCVIII; ferner W. Wattenbach, AGG. 10 (1851) S. 596; J.H. Bornums, Compte rendu, Deuxieme Serie. Tome Sixieme, 1854, S. 85-158; Catalogue of Additions, 1868, S. 105; Α. Baum - A. Patera, £asopis Musea kralovstvi Ceskeho 51 (Prag 1877) S. 120-149, 372-390, 488-513; CGL. IV, S.
22
Birgit Meineke
holte Ausgabe von Elias Steinmeyer und Eduard Sievers 26 einen Einschnitt. Die Ausgabe erscheint a.1898 im vierten Band der 'Althochdeutschen Glossen' unter der Überschrift Glossae Salomonis sowie mit einem Nachtrag im fünften Band a. 1922. Die Edition des hier vielfach erstmals publizierten Glossenmaterials der damals bekannten Textzeugen beruht auf Vorarbeiten von E. Sievers 27 , der auf Glossenerhebungen durch E. Steinmeyer oder für E. Steinmeyer - so etwa von A. Schönbach im Fall der Handschrift Admont, StiftsB. 3 2 8 und von R. Priebsch im Fall der Handschrift London, BMMss. Add. 18379 29 , zurückgreifen konnte. Zum damaligen Zeitpunkt sind 12 vollständige Handschriften 30 , sieben Handschriftenfragmente oder kleinere Exzerpte 31 und die Inkunabel mit volkssprachigen Glossen einer Überlieferungstradition bekannt. Mit der Veröffentlichung von E. Steinmeyer und E. Sievers werden die Textzeugen zum ersten Mal nach fünf Gruppen sortiert. Frühere Publikationen, etwa von A.H. Hoffmann, E.G. Graff, R.v. Raumer 32 oder P. Piper 33 , hatten die ihnen bekannten Textzeugen im wesentlichen nur nach Textzeugen mit und Textzeugen ohne deutsche Glossen unterschieden. Die Unterscheidung in der Ausgabe von E. Steinmeyer und E. Sievers differenziert auch nach Bestand und Umfang der lateinischen Glossarartikel,
XXXV; M. Petschenig - E. Schröder, ZDA. 35 (1891) S. 407-411; J. Sorn, MMR. 5 (Laibach 1892) S. 110-117. 26
StSG. IV, S. 27-174; V, S. 45.
27
StSG. IV, S. V.
28
Ebenda; ferner S. 374, Nr. 1; dazu sieh auch Wilhelm Scherer/Elias von Steinmeyer. Briefwechsel, S. 15 (Brief vom 11.6. 1873), 118 (Brief vom 20. 7. 1877).
29
StSG. IV, S. V, 492f., Nr. 268; dazu sieh auch Robert Priebsch - Elias von Steinmeyer. Briefwechsel, S. 17 (Brief vom 4. 11. 1892; irrtümlich Add. 18,380 statt 18,379), 20 (Brief vom 16. 2. 1893), 33 (Brief vom 10. 2. 1894), 48 (Brief vom 26. 3. 1897), 49 (Brief vom 12. 4. 1897); sieh ferner StSG. IV, S. 677 (Einzelkontrollen am Codex Zwettl 1 durch B. Hammerl). E. Steinmeyer hat den Codex a.1873 selbst in Zwettl kollationiert, dazu sieh Wilhelm Scherer/Elias von Steinmeyer. Briefwechsel, S. 12 (Brief vom 25. 5. 1873).
Brüssel, BR. ms. IV, 622, n e 9 (früher Brüssel, Archives Generates du Royaume o. Nr.); München, BSB. Cgm 187 (e 2 ), Clm 29660/1 (früher im Clm 29121), Clm 29660/6 (früher im Clm 29121), Clm 29660/5 (früher im Clm 29121); Ljubljana, Archiv SR Slowenien (früher Laibach Städtisches Archiv); Innsbruck, UB. 711.
32
Die Einwirkung des Christenthums, S. 129f.; so auch A. Baum - A. Patera, Öasopis Musea krälovstvi ieskeho 51 (Prag 1877) S. 122f. mit Verweis auf die vorgängige Literatur.
33
Die Sprache und Litteratur Deutschlands, I, S. 61 f.
Zu einer Edition der sogenannten Glossae Salomonis
23
ordnet innerhalb der Textzeugen mit zwei alphabetischen Glossaren 34 und kann so eine relative Nähe oder Ferne durch entsprechende Siglevergabe anzeigen. In dieser ersten Gruppe A 3 5 sind die Textzeugen erfaßt, die zwei alphabetisch geordnete Glossare mit althochdeutschen Interpretamenten tradieren. Von den damals bekannten 20 Textzeugen mit volkssprachigen Glossen finden sich allein 16 Zeugen in dieser Gruppe, darunter auch die Inkunabel (Sigle k). Eine zweite Gruppe vertreten nach E. Steinmeyer und E. Sievers 36 die Fragmente aus Ljubljana (Laibach). Die enge Verbindung dieser Fragmente mit einer dritten Fassung, wie sie die Londoner Handschrift Add. 18379 darstellt, wird bei E. Steinmeyer und E. Sievers 37 noch nicht sichtbar. Erst Herbert Thoma 38 hat a. 1951 die beiden handschriftlichen Zeugen als Repräsentanten einer Fassung erkannt, die nur zwei verschiedene Stufen der Kompilation zeigen. Eine weitere Bearbeitung 39 ist durch eine Handschrift vertreten, die allein durch die deutschen Glossen in den hier genannten Glossierungszusammenhang gestellt worden ist, vom lateinischen Artikelbestand her aber dazu keine besondere Affinität zeigt. Eine Handschrift aus Kaisheim 40 schließlich überliefert nur ein größeres Exzerpt einer unbekannten Handschrift der oben genannten Gruppe A. Damit gehören die meisten Textzeugen zur Gruppe Α mit zwei alphabetisch geordneten Glossaren unterschiedlichen Umfangs. Die Relation der einzelnen Zeugen dieser Gruppe wird in der Ausgabe von E. Steinmeyer und E. Sievers durch eine Sigle-Vergabe von a bis q implizit angedeutet. Grundlage für die so gekennzeichneten Relationen ist aber allein der althochdeutsche Glossenbestand und nicht etwa der umgebende lateinische Glossartext. So wird der für einzelne Textzeugen nach einer vollständigen Kollation feststellbare Glossenverlust unter Beibehaltung des lateinischen Lemmas oder des sonstigen lateinischen Glossarartikels nicht sichtbar. Die Handschrift Heiligenkreuz, Stiftsbibliothek 17 steht zum Beispiel mit der Sigle ρ am Ende der Zeugenreihe der Gruppe A, da dieser Codex einen relativ hohen Verlust an volkssprachigen Glossen aufweist, worauf in der kurzen Handschriftenbeschreibung bei E. Steinmeyer und E. Sievers 41 34
StSG. IV, S. 27-123 (MCLXXV al. a2). Diese Textzeugen im folgenden als Gruppe A benannt.
35
StSG. IV, S. 27-123.
36
StSG. IV, S. 124-128 (MCLXXV b).
37
StSG. IV, S. 128-166 (MCLXXV c).
38
PBB. 73 (1951) S. 226. Ein erster Hinweis auf den gemeinsamen althochdeutschen Glossenbestand bei J. Sorn, MMK. 5 (Laibach 1892) S. 102.
39
StSG. IV, S. 166-173 (MCLXXV d).
40
StSG. IV, S. 173f. (MCLXXV e).
41
StSG. IV, S. 466, Nr. 236.
24
Birgit Meineke
auch aufmerksam gemacht wird. Tatsächlich aber gehört der Codex aufs engste mit der Zwettler Handschrift 1 zusammen, die am Anfang der Zeugenreihe die Sigle a erhalten hat 42 . Signifikant für die große Nähe der beiden Handschriften ist zudem gerade, daß da, wo die Zwettler Handschrift interlineare Glosseneinträge zeigt, in der Heiligenkreuzer Handschrift überproportional viele Ausfälle von Interpretamenten festzustellen sind oder offensichtliche Korrekturnachträge in roter Tinte erfolgt sind. Die Glossen, die in der Zwettler Handschrift im fortlaufenden Kontext stehen, sind auch in der Heiligenkreuzer Handschrift zumeist erhaltet 3 . Die Konzentration auf die Glossarartikel mit volkssprachigen Interpretamenten entspricht dem sonstigen Verfahren der Ausgabe von E. Steinmeyer und E. Sievers. Gemessen an den tatsächlichen Verhältnissen im Fall der sogenannten Glossae Salomonis vermittelt aber auch dieser Abdruck noch mehr als 100 Jahre nach M. Gerbert zumindest ein schiefes Bild von der Überlieferung. Die mit volkssprachigen Glossen versehenen Glossarartikel machen nämlich insgesamt nur einen Bruchteil des ganzen Kompendiums aus. Diese Beobachtung hat schon früh zu der Feststellung geführt, daß die deutschen Glossen überhaupt als ein insgesamt späterer Zusatz zu einem früher rein lateinischen Werk anzusehen seien 44 . Der weitere Rahmen der Genese des Werkes mit den beiden alphabetisch geordneten und volkssprachige Glossen tragenden Glossaren kommt damit in den Blick, was unten näher zu beleuchten ist. III. Eine Kollation aller bei E. Steinmeyer und E. Sievers berücksichtigten Textzeugen, die nach Mikrofilmen oder durch Autopsie durchgeführt worden ist, hat für eine neue Edition der volkssprachigen Glossae Salomonis bei fast allen Handschriften und auch für die Inkunabel Korrekturen und Neufunde erbracht. Gerade im Fall der von E. Steinmeyer selbst nicht gesehenen Admonter Handschrift 3 etwa konnten über 100 volkssprachige Glossen gegenüber der Ausgabe von E. Steinmeyer und E. Sievers nachgetragen und zahlreiche Korrekturen zu den bislang publizierten mitgeteilt werden 45 . Eine Kollation der Londoner Handschrift hat a.1951 bereits H.
42
StSG. IV, S. 677, Nr. 660; zum engen Verhältnis dieser und weiterer Handschriften sieh B. Meineke, Althochdeutsches, S. 56f.
43
Zum Beispiel StSG. IV, S. 28, 1.4.12.13; S. 32, 5.11.47.60.61; S. 33, 47.48; S. 35, 52; S. 36, 23.24; S. 39, 12.13.15.23.24.25.27; S. 63, 14.15.52.53; S. 66, 6; S. 76, 10.12.
44
So etwa E.G. Graff, Diutiska, III, S. 412; H. Usener, RhM. NF. 24 (1869) S. 388f.
45
Eine erste Mitteilung darüber bei R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 42f.; sieh jetzt auch R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (III), S. 125f.
Zu einer Edition der sogenannten Glossae Salomonis
25
Thoma 46 durchgeführt und dabei ebenfalls eine beträchtliche Zahl von Neufunden und Korrekturen gegenüber der von R. Priebsch für E. Steinmeyer unternommenen ersten Erhebung der Glossen feststellen können. Nach der Ausgabe von E. Steinmeyer und E. Sievers ist aber inzwischen auch auf weitere bis dahin unbekannte Textzeugen an verschiedenen Stellen hingewiesen worden. Alle Textzeugen gehören zu der ersten Gruppe A. Im Jahre 1951 hat H. Thoma 47 einen noch bei E. Steinmeyer und E. Sievers 48 als Papias erfaßten Teil der Handschrift London, BMMss. Harl. 2610 mit Textfragmenten aus dem Buchstabenkomplex S als Zeugen des volkssprachig glossierten sogenannten ersten Salomonischen Glossars identifizieren können. A.1974 hat B. Ryba 49 Fragmente einer Hohenfurter Handschrift mitgeteilt. Von E. Scherabon Firchow und W. Winter 50 werden volkssprachige Glossen in Fragmenten publiziert, die heute in Lawrence/Kansas aufbewahrt werden. Neben einem weiteren Doppelblatt mit volkssprachigen Glossen in der Bayerischen Staatsbibliothek München, das dort unter der Signatur Clm 29660/2 erfaßt ist 51 , konnte schließlich a.1988 eine vollständige Handschrift der Stiftsbibliothek Lilienfeld als Textzeuge der sogenannten Glossae Salomonis identifiziert werden, deren volkssprachige Glossen zu über 400 lateinischen Glossarartikeln in den bekannten zwei alphabetischen Glossaren inzwischen publiziert worden sind 52 . IV. Das germanistische Interesse konzentrierte sich zwangsläufig auf die Textzeugen mit althochdeutschen Glossen. Daneben sind aber bereits in frühen Publikationen von A.H. Hoffmann 53 , E.G. Graff 5 4 oder P. Piper 55 immer auch Handschriften genannt worden, die keine volkssprachigen Interpretamente bieten. Auch diese rein lateinischen Textzeugen waren bei einer Sichtung der Überlieferung für eine Edition der althochdeutschen Glossen 46
PBB. 73 (1951) S. 208-225.
47
Ebenda, S. 264.
48
StSG. IV, S. 497, Z. 7f.
49
Studie ο Rukopisech 13 (Prag 1974) S. 19-25; sieh dazu auch V. Bok, Acta Universitatis Carolinae - Philologica 1. 1980. Germanistica Pragensia VIII (Prag 1980) S. 23-29.
50
ABÄG. 25 (198[7]) S. 1-27.
51
B. Meineke, Sprachwissenschaft 15 (1990) S. 226-233.
52
B. Meineke, Althochdeutsches, insbesondere S. 24-41.
53
Althochdeutsche Glossen, S. XX-XXVI.
54
Diutiska, III, S. 413-415.
55
Die Sprache und Litteratur Deutschlands, I, S. 61f.; sieh auch A. Baum - A. Patera, Casopis Musea krälovstvi ieskeho 51 (Prag 1877) S. 122f.
26
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Glossen zu berücksichtigen, was schließlich Erkenntnisse zur Genese des Werkes mit althochdeutschen Glossen erbrachte und Konsequenzen für ihre Ausgabe hat. Die Berücksichtigung der rein lateinischen Textzeugen führte zudem zu einer Klärung des Verhältnisses von rein lateinischen Handschriften und Textzeugen mit althochdeutschen Glossen. Im letzten Jahrhundert ist die Diskussion um den lateinischen Text des Kompendiums und seiner Quellen durch Untersuchungen von Georg Goetz 56 zum Liber glossarum 57 weiter vorangebracht worden. G. Goetz konnte zeigen, daß das sogenannte Glossarium Salomonis den Hauptanteil seiner Artikel aus der epitomierten Fassung des Liber glossarum bezieht, die ein St. Emmeramer Codex, der Clm 1442958 von einer irischen Hand aus der zweiten Hälfte des neunten Jahrhunderts 59 , tradiert. In dieser Handschrift sah G. Goetz 60 seinerzeit das 'directe Quellenexemplar des Salomo'. Diesem Befund hat John Alexander McGeachy61 im Jahre 1938 widersprochen, indem er aufzeigte, daß das Glossarium Salomonis in weitaus größerem Umfang dem Liber glossarum entspreche, ja, bis auf relativ geringfügige Komprimierung der einzelnen Artikel nahezu mit diesem Werk der Karolingerzeit identisch sei und eben nicht bloß eine Epitome des Liber glossarum enthalte. Der vermeintliche Gegensatz zwischen dem Befund von G.Goetz und den Ergebnissen von J. A. McGeachy hebt sich tatsächlich auf, wenn beachtet wird, auf welcher Textgrundlage die beiden zu ihren Ergebnissen gekommen sind. Ihre Beobachtungen zum lateinischen Text des sogenannten Glossarium Salomonis werden nämlich auf der Basis ganz verschiedener Textzeugen gemacht. Während G. Goetz 62 für das Glossarium Salomonis die Handschriften Clm 13002, Clm 17152, Clm 17403 und die Inkunabel heranzieht, also Vertreter mit zwei alphabetischen Glossaren und volks56
Abhandlungen, XIII, S. 211-288, insbesondere S. 244-248. Glossaria Latina, I; zum Liber glossarum sieh auch H. Usener, RhM. NF. 24 (1869) S. 382-391; M. Manitius, Geschichte der lateinischen Literatur des Mittelalters, I, S. 133f.; T.A.M. Bishop, Medieval Scribes, Manuscripts & Libraries, S. 69-86; J.A. McGeachy, Speculum 13 (1938) S. 309-318; B. Bischoff, Mittelalterliche Studien, III, S. 67, 231, 235; D. Ganz, Corbie in the Carolingian Renaissance, S. 49-54, 143.
58
Zur Handschrift G. Goetz, Abhandlungen, XIII, S. 227; StSG. IV, S. 540, Nr. 389; Das irische Palimpsestsakramentar, passim, insbesondere S. 16*f. B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen, I, S. 243; J. Autenrieth, Die Iren, S. 906f. - Der Liber glossarum dieser Handschrift enthält keine althochdeutsche Glosse, dazu B. Meineke, BNF.NF. 22 (1987) S. 222.
60
Abhandlungen, XIII, S. 245.
61
Speculum 13 (1938) S. 309-318.
62
Abhandlungen, XIII, S. 245-247.
Zu einer Bdition der sogenannten Glossae Salomonis
27
sprachigen Glossen, wählte J.A. McGeachy 63 mit dem Sangallensis 905 64 aus dem zehnten Jahrhundert eine Handschrift, die nur ein alphabetisches Glossar ohne deutsche Glossen bietet. Diese Handschrift tradiert in der Tat nur einen relativ geringfügig komprimierten Liber-glossarum-Text, der erheblich umfangreicher ist als die stark kürzende Epitome des Clm 14429. Das Ergebnis von J . A . McGeachy hat im Grunde nur das bestätigt, was G. Goetz 6 ^ in der genannten Studie für den Sangallensis schon bemerkt hatte, indem er die Handschrift unter die Textzeugen des Liber glossarum einreihte. Der Befund von G. Goetz, wonach der Liber glossarum in der epitomierten Fassung des Clm 14429 in die mit dem Namen Salomos verbundene Kompilation gewandert sei, gilt aber weiterhin, nur eben für d i e von G. Goetz herangezogenen Textzeugen. Das sind aber gerade Zeugen mit zwei alphabetisch geordneten Glossaren unterschiedlichen Umfangs und den volkssprachigen Glossen der Gruppe A. Für die Genese dieser Kompilation bleiben die Beobachtungen von G. Goetz und damit die Relevanz des Clm 14429 weiter wegweisend. y. In der Forschungsgeschichte des sogenannten Glossarium oder Vocabularium Salomonis oder der sogenannten Glossae Salomonis ist es im Grunde immer der Name Salomo gewesen, der die Vorstellung von e i n e m Werk implizierte, das dann allenfalls gegenüber seiner ursprünglichen Gestalt eine Umarbeitung, Kürzung oder in Teilen auch sekundäre Erweiterung um volkssprachige Glossen in einem Zweig der Überlieferung erfahren habe 66 . Auch der schon früh 6 7 geäußerte Zweifel, ob Salomo überhaupt als Verfasser des Werkes in Frage kommen kann oder nicht vielleicht eher an seinen berühmten Lehrer Iso 68 (gest. a.871) zu denken wäre, hat an der Vorstellung eines Werkes, von dem verschiedene
63
Speculum 13 (1938) S. 310f., 313-318.
64
Zur Handschrift sieh insbesondere G. Scherrer, Verzeichniss, S. 321-323; H. Usener, RhM. NF. 24 (1869) S. 386; G. Goetz, Abhandlungen, XIII, S. 226f.; J. Duft, Die AbteiSt. Gallen, II, S. 71, 116.
65
Abhandlungen, XIII, S. 226f.
66
So etwa E.G. Graff, Diutiska, III, S. 412; H. Usener, RhM. NF. 24 (1869) S. 388; J.A. McGeachy, Speculum 13 (1938) S. 314; E. Skala, Festschrift für Herbert Kolb, S. 692f.
67
Dazu sieh J. Duft, Die Abtei St. Gallen, II, S. 115f.
68
Zu Leben und Werk mit weiteren Hinweisen J. Duft, Die Abtei St. Gallen, II, S. 73117. Sieh ferner zur erwogenen Verbindung mit Pacificus (gest. 23. 11. 844) Wattenbach-Levison, Deutschlands Geschichtsquellen im Mittelalter. Vorzeit und Karolinger, IV. Heft, S. 412.
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Textzeugen allenfalls nur unterschiedliche Redaktionen überlieferten, nichts geändert. Selbst wenn Salomo mit guten Gründen nicht als Verfasser in Frage kommen kann, so blieb zunächst immer noch die Möglichkeit, daß er das Werk in Auftrag gegeben haben könnte. Zur Klärung der Frage, wie das Werk mit dem Namen Salomos verbunden worden ist, sind hier die betreffenden Überlieferungsträger nach einem solchen Hinweis zu befragen. Der von J. A. McGeachy und anderen 69 für das Glossarium Salomonis immer wieder in Anspruch genommene Sangallensis 905 ist im großen und ganzen eine reine Liber-glossarum-Handschrift. Nach alter St. Galler Bibliothekstradition wird in dieser Handschrift aber das Exemplar gesehen, das Salomo hergestellt habe oder herstellen ließ. Paläographisch ist die Handschrift, die von mehreren Händen geschrieben worden ist, erst in das 10. Jahrhundert zu datieren. Sie ist zudem wohl nicht in St. Gallen entstanden 70 . Der Codex trägt selbst keinen zeitgenössischen Hinweis auf Salomo. Die Handschrift ist allerdings am Anfang und am Schluß defekt, so daß etwa ein früheres Incipit verloren gegangen sein kann. Die Verbindung der Handschrift mit Salomo stammt, wie jüngere bibliotheksgeschichtliche Erkenntnisse erbracht haben, erst aus der Zeit um a. 1460, wenngleich die Handschrift im fragmentarisch erhaltenen Bibliothekskatalog von Ulrich Rösch aus dem Jahre 1461 nicht erscheint 71 . Die Verbindung hängt nämlich allein an einem Titelschildchen auf dem vorderen Einbanddeckel, das bislang immer in das 12. Jahrhundert 72 datiert worden ist, tatsächlich aber wohl erst im 15. Jahrhundert im Zuge einer Bibliotheksrevision in St. Gallen dort angebracht worden ist. Aus dem letzten Viertel des 12. Jahrhunderts stammt dann eine Einsiedler Handschrift, deren erster Teil, der heutige Codex 293 (47) 73 , ein zeitgenössisches Incipit mit dem Namen Salomos trägt, das in der Tran69
Speculum 13 (1938) S. 310f., 313-318; so noch [F.] Weidmann, Geschichte, S. 15 u. A. 39; dazu kritisch bereits H. Usener, RhM. NF. 24 (1869) S. 386f. Ein auf p. 7 des Sangallensis 905 am oberen Rand nur schwer lesbarer Eintrag (Tituly hui9 libri Lexicon Salomonis Epi ConstanQ et At>t> S. Galli olim [J) könnte nach freundlicher Auskunft von Prof. Dr. J. Duft und Prof. Dr. P. Ochsenbein von der Hand des Bibliothekars Hermann Schenk um a.1700 stammen.
70
J. Duft, Die Abtei St. Gallen, II, S. 116.
71
Nach freundlicher Mitteilung durch Herrn Prof. Dr. J. Duft und Herrn Prof. Dr. P. Ochsenbein. Zum weiteren Zusammenhang sieh auch J. Duft, Die Abtei St. Gallen, I, S. 134f.; der Katalog von Ulrich Rösch in MBK. I, S. 101-118.
72
G. Scherrer, Verzeichniss, S. 321.
73
A. Bruckner, Scriptoria medii aevi Helvetica, V, S. 182 b , Abb. Tafeln XXXIX und XL; G. Meier, Catalogus, I, S. 267, 330. Weitere Fragmente eines zweiten Teiles der Handschrift in St. Paul im Lavanttal, Archiv des Benediktinerstiftes Cod. 979/0 ( = 29.4.9), Einsiedeln, StiftsB. 365 (220), p. 137-146 und Einsiedeln, StiftsB. 631 (Fragment im Einband ?).
Zu einer Edition der sogenannten Glossae Salomonis
29
skription lautet: Incipiunt glossy iussu Salomonis Constantiensis episcopi de diversis auctorabilibvs libris deflorate et in vnvm uolvmen dilvcide studioseque digestefeliciter. Eine Kollation mehrerer Ausschnitte des Glossartextes hat gezeigt, daß es sich bei dieser Handschrift ebenfalls um einen Textzeugen des Liber glossarum handelt. Die Handschrift mit einem alphabetischen Glossar bietet zudem keine durchgehende volkssprachige Glossierung. Eine bei der Kollation festgestellte versprengte interlineare althochdeutsche Glosse bilisa auf p. I l l , Sp. 1, Z. 29 kann von der älteren Vorlage der Handschrift abgeschrieben worden sein, zumal sie wohl von der umgebenden Texthand stammt 74 . Die Glosse steht jedenfalls nicht in Verbindung mit den althochdeutschen Glossen der anderen Textzeugen, die ein solches Interpretament zum Lemma Calicularis mit dem weiteren Isidor-Artikel75 nicltt zeigen:
herba . a latinis
Summarium Heinrici Summarium Heinrici < , S. 82f.
3
® BV. Nr. 694; sieh auch W. Wegstein, Studien zum >Summarium HeinriciSummarium Heinrici < , S. 209-217.
37
StSG. V, S. 37f.
38
HSH. II, S. XL.
46
Stefanie Stricker
In beiden grundlegenden Editionen wird der Codex St. Florian, StiftsB. XI 588 (F1) zwar erwähnt, jedoch wegen der zahllosen jüngeren Zusätze39 beziehungsweise aufgrund des freien Umgangs mit dem Summarium-Text40 beiseite gelassen. Nach Erscheinen der Textausgabe des Summarium Heinrici von R. Hildebrandt erschien im Jahre 1985 die Neuedition der Darmstädter Handschrift 6, die Werner Wegstein41 durchführte. Die Handschrift, die Teile der Urfassung (aus den Büchern III-VI, IX, X) sowie ein alphabetisches Glossar von dem Buchstaben Α bis zu dem Buchstaben D überliefert, bei dem es sich um eine stark überarbeitete Fassung des elften Buches handelt, ist bereits in beiden umfassenden Summarium-Editionen42 berücksichtigt worden. Die individuelle Textgestaltung ist jedoch erst durch die separate Darstellung vollends sichtbar geworden. Eine Neuedition erschien dem Verfasser aus diesem Grund auch gerechtfertigt43. Die Langfassung von Buch XI des Summarium Heinrici wird darüber hinaus von einer Kölner44 (Sigle n) und zwei Baseler Handschriften45 (Siglen o, p) tradiert. Die Handschriften sind erst in den letzten Jahren aufgefunden worden46 und waren bei Anfertigung der vorhergehenden Editionen noch nicht bekannt. Die Glossen dieser Handschriften sind inzwischen publiziert47. Insgesamt sind mithin von 43 Handschriften zumindest die volkssprachigen Glossen ediert. Von zahlreichen Handschriften liegt der vollständige Text veröffentlicht vor. Eine Ausnahme bildet allein die St. Florianer Handschrift, die bewußt aus den Editionen ausgeklammert wurdö*8.
39
StSG. III, S. 710.
40
HSH. II, S. XL.
41
Studien zum >Summarium Heinrici < , S. 155-217.
42
StSG. III, S. 58-171, 173ff., 349f.; Berücksichtigung der Sachbücher bei HSH. I, S. 117-371; II, S. XL.
43
W. Wegstein, Studien zum >Summarium Heinrici < , S. 141.
44
Köln, Historisches Archiv W* 91; BV. Nr. 345a.
45
Basel, ÖBU. Β IX 31 und Basel, ÖBU. Β X 18; BV. Nr. 34c und 34d.
46
U. Thies, Graphematisch-phonematische Untersuchungen der Glossen einer Kölner Summarium-Heinrici-Handschrift, S. 25; R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 34; St. Stricker, Die Summarium-Heinrici-Glossen der Handschrift Basel OBU. Β X 18, S. 21.
47
U. Thies, Graphematisch-phonematische Untersuchungen der Glossen einer Kölner Summarium-Heinrici-Handschrift, S. 157-187; St. Stricker, Basel ÖBU. Β IX 31, S. 141-255; St. Stricker, Die Summarium-Heinrici-Glossen der Handschrift Basel ÖBU. B X 1 8 , S. 31-91.
48
Sieh StSG. III, S. 710; HSH. II, S. XL.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
47
2. Editionsverfahren. - a) Der lateinische Text. - In der Edition E. Steinmeyers werden die einzelnen Handschriften, die die sachlich geordneten Bücher enthalten, getrennt nach der ursprünglichen Fassung und der umgearbeiteten Fassung (jeweils mit mindestens einem Anhang) gemeinsam ediert, so daß die Varianten der Handschriften an einer Stelle aufzufinden sind. Bei der Edition des alphabetisch angeordneten elften Buches sind die beiden Handschriften, die die Kurzfassung repräsentieren, ebenfalls gemeinsam ediert. Die 21 Handschriften, die die Langfassung enthalten, sind gemäß ihrem redaktionellen Bearbeitungsstand auf 12 Kapitel49 aufgeteilt, wobei einmal fünf Handschriften, zweimal drei Handschriften, einmal zwei Handschriften sowie acht Handschriften jeweils einzeln behandelt sind. Bei einem Vergleich aller Handschriften zur Langfassung muß der Benutzer mithin an zwölf Stellen der Edition nachschlagen. R. Hildebrandt hat demgegenüber fast alle von ihm herangezogenen Textzeugen gemeinsam ediert. Die Handschrift Erlangen, UB. Erlangen-Nürnberg Β 23 (m), die das elfte Buch stark verkürzt tradiert, wird als einzige separat ediert und der Edition aller anderen Handschriften als Anhang angefügt 50 . R. Hildebrandt51 will damit exemplarisch 'verdeutlichen, wie wenig solche Hss. noch zur Textgestalt des Summariums beitragen können'. Die textliche Zusammenfügung aller 15 verwerteten Handschriften erleichtert einen Vergleich der verschiedenen Fassungen. An gemeinsamen Zusätzen und Auslassungen werden die Hauptgruppen unmittelbar sichtbar. E. Steinmeyer hat sich in seiner Edition des Summarium Heinrici auf die Wiedergabe der mutmaßlichen lateinischen Lemmata und ihrer volkssprachigen Interpretamente beschränkt52. Das bedeutet zunächst, daß die rein lateinischen Eintragungen, die im Summarium Heinrici bei weitem dominieren, gemäß dem auch sonst in der Edition üblichen Verfahren ausgelassen worden sind. Zu den volkssprachig glossierten Eintragungen bietet die Edition E. Steinmeyers in der Regel das jeweils erste Wort eines Eintrags als lateinisches Lemma. Weitere zu dem lateinischen Zusammenhang gehörende Wörter werden ausgelassen. Die Auslassungen werden jedoch häufig durch drei Punkte (...) als solche kenntlich gemacht.
49
StSG. III, S. 221-350; V, S. 37f.
50
HSH. II, S. 554-557.
51
HSH. II, S. XL.
52
Ein Abdruck des lateinischen Kapitelverzeichnisses sowie der beiden Prologe geht der Glossenedition voraus.
48
Stefanie Stricker
Beispielsweise ist die Glossierung Gymnasium amphiteatrum tympanum theatrum spilhus53 zu Gymnasium ... spilhutf4 verkürzt. Auslassungen lateinischer Synonyme oder Erklärungen sind demgegenüber in der Edition E. Steinmeyers in den Fällen nicht kenntlich gemacht, in denen sie der deutschen Glosse folgen. Aus der Edition wird beispielsweise nicht erkenntlich, daß die Glossierung Bubalus wisant55 in den Summarium-Handschriften noch durch carnibus / cornibus magnis bovi similifi6 ergänzt wird. In Folge der verkürzten Wiedergabe des handschriftlichen Eintrags werden Abweichungen hinsichtlich der Reihenfolge der lateinischen Wörter nicht erwähnt. Dieses Darstellungsprinzip E. Steinmeyers suggeriert, daß es sich bei dem Summarium Heinrici um ein mehr oder weniger gleichmäßig glossiertes Vokabular handelt. Die Tatsache, daß das Summarium Heinrici vorrangig ein lateinisches Werk ist, das über weite Strecken gar nicht oder nur geringfügig volkssprachig glossiert ist, wird dabei nicht deutlich. Mit der Neuausgabe von R. Hildebrandt werden demgegenüber außer den lateinischen Lemmata im engeren Sinne auch die lateinischen Erklärungen zu den Lemmata sowie der gesamte weitere lateinische Kontext mit Nachweis der zugrundeliegenden Quellen verfügbar. Erst mit der Veröffentlichung des Kontextes wird eine genaue Vorstellung über das Gesamtwerk möglich. Eine der wesentlichen Leistungen der Neuausgabe besteht darin, den Text des Summariums insgesamt zugänglich und die jeweiligen Quellen kenntlich gemacht zu haben. Umstellungen oder Ergänzungen einzelner Wörter oder ganzer Eintragungen sowie Varianten hinsichtlich der Wortwahl und der Lautung werden in dem Apparat zum lateinischen Text ausgewiesen. b) Die volkssprachigen Glossen. - In der Wiedergabe der Glossen unterscheiden sich die Editionen von E. Steinmeyer und R. Hildebrandt insofern, als E. Steinmeyer den handschriftlichen Befund in der Regel genauer wiedergibt als R. Hildebrandt. R. Hildebrandt hat in dem ersten Band der Textausgabe die Akzente weggelassen, im zweiten Band jedoch, 'Tiefenbachs Mahnung beherzigend, die Akzente, so weit es noch möglich war, berücksichtigt und wiedergegeben' 57 .
53
HSH. II, S. 3 2 0 (G 149.9)
5 4
StSG. III, S. 2 4 1 , 3 .
5 5
StSG. III, S. 224, 71-73.
5 6
HSH. II, S. 193 (B 100).
5 7
HSH. II, S. XIII.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
49
Zudem sind von R. Hildebrandt alle gängigen Abbreviaturen unmittelbar aufgelöst worden, während E. Steinmeyer die Glossen handschriftengetreu abdruckt. Eine Überprüfung der Auflösung von Abkürzungen ermöglicht also weiterhin nur die Ausgabe E. Steinmeyers. Unterschiede in der Groß- und Kleinschreibung bleiben, sofern sie sich nicht auf den Anlaut beziehen, grundsätzlich unberücksichtigt. Auf die oft abweichenden Lesungen von E. Steinmeyer wird in der neuen Textausgabe nicht Bezug genommen. Aufschluß gibt allein das dem zweiten Band angefügte Kapitel 'Steinmeyers Errata'^ 8 , in dem die Varianten aufgelistet sind. In dem ersten Band der Textausgabe werden mehrfach konjizierte Wörter, die keine Stütze in der tatsächlichen Überlieferung haben, im Text abgedruckt, 'dann nämlich, wenn bei einer mehrsilbigen Glosse eine konsequent althochdeutsche Form erst durch die Zusammenrückung von Silben aus verschiedenen Handschriften zustande kam' 59 . Die hinter diesem Prinzip stehende Absicht R. Hildebrandts ist es, eine Annäherung an den Archetyp zu erreichen 60 . Die durch dieses Verfahren aufgeworfenen Fragen, ob es Ziel einer Glossenedition sein sollte, einen (unbekannten) Archetyp zu rekonstruieren, und ob dieser durch die Schaffung sogenannter konsequent althochdeutscher Formen zu gewinnen ist, sind von H. Tiefenbach 61 kritisch besprochen worden. III. Probleme der Behandlung jüngerer Textzeugen vor dem Hintergrund der Gesamtüberlieferung Aus der sich über fünf Jahrhunderte erstreckenden Überlieferung des Summarium Heinrici, der dadurch bedingten Heterogenität der Textzeugen und dem sicher anzunehmenden Verlust mehrerer Überlieferungsträger ergeben sich Probleme hinsichtlich der Behandlung der verschiedenen Textfassungen. Das zeigt sich an der Neuausgabe von R. Hildebrandt beispielsweise, wenn R. Hildebrandt62 versichert, bei der Textgestaltung 'das philologisch irgend mögliche getan [zu haben], um einem Archetyp des Summariums relativ nahe zu kommen'. Neben Fragen der Textgestaltung und der Umsetzung des philologischen Gebots der historischen Treue gegenüber dem überlieferten Text 63 treten aber auch Fragen bezüglich der Berücksichtigung einzelner Textzeugen 58
HSH. II, S. 558-568.
59
HSH. I, S. XXXIV.
60
Ebenda.
61
BNF. NF. 10 (1975) S. 253ff.
62
HSH. I, S. XXXIV.
63
Dazu R. Schützeichel, Festschrift für Karl Bischoff zum 70. Geburtstag, S. 217-231.
50
Stefanie Stricker
auf. In der Edition E. Steinmeyers sind entsprechend der Zielsetzung des Werkes alle Handschriften berücksichtigt, die wenigstens zum Teil noch althochdeutsches Wortgut enthalten 64 . R. Hildebrandt 65 hat hingegen den Beitrag, den eine Handschrift noch zur ursprünglichen Textgestalt des Summarium Heinrici leisten kann, zum Auswahlkriterium für die Aufnahme in seine Edition gemacht. Da der Archetyp des Summarium Heinrici nicht bekannt ist, ist sowohl die an dem mutmaßlichen Archetyp orientierte Textgestaltung als auch die daran orientierte Auswahl der Textzeugen nicht unumstritten 66 . Eine Ausrichtung der Edition nach einem zugrundeliegenden Archetyp wirft auch noch weitere Probleme auf. Schließlich ist der Archetyp nicht nur nicht bekannt, sondern zudem ist es überhaupt zweifelhaft, ob es jemals eine derartige archetypische Urfassung des Werkes gegeben hat. Eine allmähliche Genese des Summarium Heinrici durch Einarbeitung interlinearer und marginaler Glossierungen und Aufnahme weiterer Quellentexte ist nicht von vornherein auszuschließen. Zumindest für das elfte Buch des Summarium Heinrici läßt sich mit Sicherheit erkennen, daß nach und nach verschiedene Quellen (zum Beispiel die Glossen der Sachbücher II bis X und die Versusglossen) eingearbeitet wurden und sich dadurch bereits zu einem frühen Zeitpunkt ganz verschiedene Redaktionen herausgebildet haben 67 . Das Vorliegen eines einheitlichen Archetyps ist somit keineswegs sicher. Bei der Auswahl der Textzeugen stellt sich die Frage, ob jüngere Handschriften, die das Summarium Heinrici in einer stark überarbeiteten Fassung enthalten, unberücksichtigt bleiben sollen, da sie von dem mutmaßlich angenommenen Archetyp am weitesten entfernt sind, oder ob sie nicht doch auch einen Beitrag zur Erforschung des Werkes leisten können. In einem zweiten Schritt ist dann zu fragen, wie der Text gegebenenfalls zu edieren ist, ob beispielsweise für das Mittellateinische ungewöhnliche Varianten zu emendieren oder in ihrer handschriftengetreuen Form zu respektieren sind. Der für das elfte Buch insgesamt weitgehend noch ungeklärte stemmatische Zusammenhang der Textzeugen sowie die nach wie vor bestehenden Unsicherheiten hinsichtlich der Entstehung des Werkes 68 stellen einen Editor vor besondere Probleme in bezug auf den Umgang mit Textvarianten aller Art in den lateinischen und volkssprachigen Bestandteilen. Für die Edition eines Textzeugen der Langfassung des elften Buches des Summa64
Man vergleiche StSG. III, S. 710.
65
HSH. II, S. XL.
66
Sieh H. Tiefenbach, BNF. NF. 10 (1975) S. 253ff.
67
Sieh HSH. II, S. XXXVIII-XLI; W. Wegstein, Studien zum >Summarium HeinriciSummarium Heinrici < , S. 7-18.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
51
rium Heinrici scheidet von vornherein ein Darstellungsverfahren aus, bei dem die Handschrift mit der Leithandschrift oder der nächstverwandten Handschrift direkt verglichen wird. Dieses Verfahren, das W. Wegstein 69 beispielsweise bei der Edition der Sachbücher der Darmstädter Handschrift Η anwandte, ist eben an die Existenz einer Leithandschrift gebunden. Das elfte Buch wird im Unterschied zu den Sachbüchern des Summarium Heinrici, die durch zwei Handschriftenklassen repräsentiert werden, von mindestens zwölf verschiedenen Überlieferungszweigen tradiert. Diese Überlieferungszweige bilden zwar nur zwei Hauptgruppen von Handschriften, sind jedoch insgesamt sehr heterogen. Keine dieser Handschriften kann die Funktion einer Leithandschrift beanspruchen. Die St. Florianer Handschrift F' steht der Grazer Handschrift Q näher als allen anderen Handschriften. Sie weist jedoch auch durchgehend so gravierende Abweichungen gegenüber der Handschrift Q auf, daß der alleinige Vergleich mit diesem Textzeugen als Editionsprinzip nicht anwendbar ist. Ein Vergleich der Varianten der Überlieferungsträger muß sich für das elfte Summarium-Buch auf jeweils alle Textzeugen und damit auf alle tradierten Varianten stützen. Im folgenden sollen einige dieser Editionsprobleme am Beispiel der Handschrift St. Florian, Stiftsbibliothek XI 588 (= F') aufgezeigt werden. Diese Handschrift eignet sich für eine derartige Betrachtung, da sie wegen ihrer jungen Zusätze und wegen ihrer 'Textentstellung' in den Editionen von E. Steinmeyer und R. Hildebrandt unberücksichtigt blieb und überhaupt wenig Beachtung fand 70 . Bislang liegt nur eine auszugsweise Veröffentlichung einiger Glossen aus dem Jahre 1828 vor 71 . Der rein lateinische Text ist dabei nicht veröffentlicht worden. Diese auszugsweise Glossenedition diente sowohl E. Steinmeyer als auch R. Hildebrandt als alleinige Grundlage für die Beurteilung der Handschrift 72 .
Studien zum >Summarium Heinrici < , S. 143f. 70
Sieh dazu S. Blum, BNF. NF. 25 (1990) S. 442.
71
Jahrbücher der Literatur 41 (1828) Anzeigeblatt, S. 16-26; die edierten Glossen haben Aufnahme gefunden bei DGLG. Nr. 100, S. XIX.
72
Die folgenden Ausführungen beruhen auf einer Autopsie der Handschrift, die mir Stiftsbibliothekar Professor DDr. Karl Rehberger freundlichst gestattete, sowie auf mehrmaliger Durchsicht der Handschrift anhand eines Mikrofilms. Den Mikrofilm stellte der Leiter des Forschungsunternehmens Althochdeutsches Wörterbuch, Professor Dr. Dr. h.c. Rudolf Schützeichel/Münster, dem Bamberger Projekt 'Katalog der althochdeutschen Glossenhandschriften' (sieh dazu Anmerkung 8) zur Verfügung.
52
Stefanie Stricker
IV. Die Handschrift St. Florian, Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstiftes XI 588 1. Überlieferung. - Die in der Bibliothek des Augustiner-Chorherrenstiftes St. Florian aufbewahrte Handschrift 73 ist wahrscheinlich auch in St. Florian entstanden. Sie tradiert von fol. l l r bis fol. 112v ein Bibelglossar des Guilelmus Brito Camber und nach mehreren leeren Seiten von fol. 115ra bis fol. 178v ein alphabetisches Bibelglossar des Alanus ab Insulis. Diese Hauptteile des Codex stammen aus dem 14. Jahrhundert. In den Codex sind vorne zehn Blätter eingebunden, die der Schrift nach noch im 13. Jahrhundert beschrieben worden sind und in verschiedenen Glossarteilen über 1.600 volkssprachige Wörter enthalten. Von fol. l r a, Z.l bis fol. 5 r b, Z. 39 wird unter der Uberschrift Vocabularius theutonicus ein von dem Buchstaben Α bis zu dem Buchstaben Ζ reichendes alphabetisch angelegtes Glossar überliefert, das gut 1.100 volkssprachige Glossierungen beinhaltet. Von fol. 5 r b, Z. 40 bis fol. 6 v c, Z. 23 schließen sich Teile des Summarium Heinrici an, und zwar Buch II, Kapitel 18 bis Buch IV, Kapitel 7. Das Summarium Heinrici wird in verkürzter Form überliefert, jedoch unter Wahrung der traditionellen Reihenfolge. Von fol. Z. 24 bis fol. 10 v c, Z. 35 folgt in verkürzter Form die Langfassung des alphabetisch angelegten elften Buches des Summarium Heinrici von dem Buchstaben Α bis zu dem Buchstaben S. Damit gehört die Handschrift neben dem Vindobonensis 2400 (A), dem Clm 2612 (B), der Grazer Handschrift 859 (Q) und (wegen der eigenwilligen Textbearbeitung in eingeschränkter Weise) der Darmstädter Handschrift 6 (H) als fünfter Textzeuge zu den Handschriften, die das elfte Buch noch in Anbindung an die Urfassung des Summarium Heinrici tradieren. Die Handschrift Q und die St. Florianer Handschrift verbindet darüber hinaus, daß sie beide die Sachbücher des Summarium Heinrici in der besseren Textfassung und das alphabetische Glossar in der Langfassung überliefern 74 . Die Handschrift enthält allein in ihren Summarium-Heinrici-Bestandteilen weit über 500 volkssprachige Wörter, die im ganzen eine enge Bindung an die Parallelüberlieferung aufweisen und schon allein eine Berücksichtigung der Handschrift bei der Beschäftigung mit dem Werk rechtfertigen. 2. Der lateinische Text. - a) Besonderheiten der Textfassung. - Der lateinische Summarium-Text der St. Florianer Handschrift ist im Vergleich zu dem Text der meisten Parallelhandschriften stark gekürzt. Die Kürzung betrifft zum einen ganze Glossareintragungen, die in der Handschrift fehlen, zum anderen einzelne Wörter innerhalb eines Eintrags. Diese Kürzun73
JL. 41 (1828) Anzeigeblatt, S. 16-26; A. Czerny, Die Handschriften der Stiftsbibliothek St. Florian, S. 199f.
74
StSG. III, S. 710; sieh auch weiter unten.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
53
gen teilt die Handschrift mit allen jüngeren Überlieferungsträgern 75 , zum Teil aber auch mit älteren Handschriften wie zum Beispiel der Kieler Handschrift c, die spätestens aus dem Anfang des 12. Jahrhunderts stammt. Die Kürzungen betreffen in gleicher Weise rein lateinische wie volkssprachig glossierte Eintragungen. Auffallender als die durchgängigen Textkürzungen ist ein anderes Merkmal, das nur in der St. Florianer Handschrift zu beobachten ist. Der Bearbeiter der vorliegenden Summarium-Fassung hat die für das Werk typische finite Verbform der 1. Person Singular Indikativ Präsens beziehungsweise das Partizip Präsens häufig durch den Infinitiv ersetzt. Die Umsetzung ist sowohl bei lateinischen als auch bei volkssprachigen Eintragungen erfolgt. Dafür seien einige Beispiele76 genannt: C 363 Conplodere hantslagen (fol. "Fe, Z. 9) / Conplodo üt zesamene slahe C 361 Condire salsire (fol. Tc, Z. 10) / Condio salio vel saporifico C 373 Comere streken (fol. f z , Z. 11) / Como exorno C 390 Compilare colligere (fol. Tc, Z. 15) / Compilo ... colligo C 431 Conflare smelzen . Gisen77 (fol. Tc, Z. 27) / Conflo ih zesameneblaso D 169 Distrahere vendere (fol. 7 v b, Z. 3) / Distraho vendo G 142 Gannire est volpiumphyfen (fol. 8 v a, Z. 10) / Gannio, -nis grino Ρ 415 Prostituere ad scortandum78 dare (fol. l ^ b , Z. 28) / Prostituo ad scortandum statuo Ρ 446 Propagare dilatare ger[mi]nare79 (fol. ΙΟΠί, Z. 36) /Propagans dilatans, fruetifleans Alle weiteren in der Handschrift singulär bezeugten Veränderungen des lateinischen Textes sind als Schreibvarianten oder Schreibversehen zu beurteilen, die sich aus der kopialen Überlieferung über mehrere Jahrhun75
Sieh zum Beispiel St. Stricker, Basel ÖBU. Β IX 31, S. 579-588.
76
Bei den im folgenden aufgeführten Eintragungen der St. Florianer Handschrift sind die gängigen Abbreviaturen im Bereich der lateinischen Lemmata unmittelbar aufgelöst. In den volkssprachigen Interpretamenten sind alle Abkürzungen belassen beziehungsweise adäquat stilisiert. Wechselweise auftretende «-Schreibungen mit und ohne Aufstrich sind einheitlich als i wiedergegeben. Verbesserungen des Textes erfolgen nur bei offensichtlichen Schreib versehen. Die Konjektur ist durch eckige Klammern kenntlich gemacht. Die Anmerkungen weisen die tatsächliche Lesart der Handschrift aus. Volkssprachige Wörter werden durch Fettsatz hervorgehoben. - Die Sigle am Anfang des Eintrags verweist auf die entsprechende Glossierung in der Edition von R. Hildebrandt. Hinter dem Schrägstrich steht jeweils eine Variante einer Parallelhandschrift.
77
Gisen] interlinear über -zen von smelzen.
78
scortandum] ger[mt\nare\
scortäcßu. ffnare.
54
Stefanie Stricker
derte ergeben und entsprechend in allen Handschriften in unterschiedlicher Anzahl und Ausprägung anzutreffen sind. b) Indizien für eine Gruppenzugehörigkeit. - Für eine überlieferungsgeschichtliche Einordnung der Handschrift sind besonders die Übereinstimmungen mit anderen Handschriften aussagekräftig. E. Steinmeyer 80 , der die Handschrift wegen ihrer jüngeren Zusätze nicht in seine Glossenedition aufnahm, wertete jedoch die Glossierungen der auszugsweisen Edition für seine stemmatischen Untersuchungen aus und kam aufgrund des Eintrags Diuorcium81 sundsunge82 (fol. 5 v a , Z. 21) zu dem Ergebnis, daß die Teile der Urfassung der zweiten und damit besseren Überlieferungsklasse angehören. Eine Auswertung aller Eintragungen bestätigt die Zuweisung der Sachbücher zu dem besseren Überlieferungszweig. Spezifizierungen im einzelnen sind durch weitere Untersuchungen noch zu erwarten. Dabei ist besonders der lateinische Text zu untersuchen, der bei kopialer Überlieferung konservativer tradiert wird als die volkssprachigen Glossen, die von den Schreibern weit eher in ihre Mundart umgesetzt oder durch ein ihnen geläufigeres Wort ersetzt werden. Beweiskräftige Indizien für die Filiationen von Handschriften sind beispielsweise gemeinsame Zusätze, gemeinsame grammatikalische Konstruktionen, Umstellungen oder Fehler des lateinischen Textes 83 . Nach Meinung E. Steinmeyers liegt das elfte Buch des Summarium Heinrici in der St. Florianer Handschrift in einer Fassung vor, wie sie die Grazer Handschrift 859 (Q), die Berliner Handschrift 8° 93 (a) sowie der Vindobonensis 160 (b) repräsentieren. Diese Einordnung des elften Buches ist nach den Ergebnissen einer Untersuchung des lateinischen Textes zu präzisieren beziehungsweise zu korrigieren 84 . Gemeinsame Umstellungen einzelner Glossareintragungen in den Buchstabenreihen Ο bis S stellen die St. Florianer Handschrift zu dem Überlieferungszweig der Handschriften A, B, Q, c, d, e, ο und in eingeschränkter Weise auch der Handschriften a und b. Umstellungen einzelner Eintragungen: Vor Ρ 473, fol. 10 r c, Z. 12, finden sich ebenso wie in den genannten Handschriften die folgenden Zeilen: 80
StSG. III, S. 710.
8
1 Diuorcium] DiuorciuM.
82
Man vergleiche HSH. I, S. 123, 104.
83
W. Wegstein, Studien zum > Summarium HeinriciC, S. 94f.
84
Im folgenden werden jeweils einzelne Beispiele aus der St. Florianer Handschrift F' angeführt. Eine vollständige Dokumentation wird hier nicht angestrebt.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
Ρ 259
55
Pessunda .as. perdo dispergo (fol. liFc, Z. 5); A, B, Q, d, e, ο Peruado. proterve invado (fol. KFc, Z. 6); A, B, Q, d, e, ο Pellicio .is. seduco (fol. lCFc, Z. 7); A, B, Q, c, d, e, ο Permulceo blandio vel blandior (fol. liFc, Z. 8); A, B, Q, c, d, e, ο Pinso .is. pisto. pistaspremo (fol. l i f e , Z. 9); A, B, Q, d, e, ο Profligo .as. percutio85 dissipo (fol. lO^c, Z. 10); A, B, Q, c, d, e, ο Preföco strangulo (fol. 10rc, Z. 11); A, B, Q, c, d, e, ο
Ρ 271 Ρ 278 Ρ 279 Ρ 319 Ρ 436 Ρ 444
Bestätigt wird diese Zuordnung noch durch gemeinsame Zusätze einzelner Zeilen in den Buchstabenreihen F, P, R und S und durch Zusätze einzelner Wörter. Ergänzungen einzelner Zeilen 86 : F 163.1 Ρ 230.1 R 176.2 S 230.1 S 246.1 S 325.1 S 356.1 S 357.1
Fasciolus bendel (fol. 8 r c, Z. 6); Q, b und e Paximaspanis (fol. 10ra, Z. 16); A, B, Q, d Repando .is. reflecto (fol. 10 v a, Z. 5); A, B, Q, d, e, ο Squalens inmundus (Toi. 10vb, Z. 1); A, B, Q, d, e, ο Spiculum spiez vel schos?7 (fol. 10 v b, Z. 5); A, B, Q, d, e Spinterfibula (fol. 10vc, Z. 2); d, e Scorpio™ scorb (fol. 10vc, Ζ. 11); c, d, e und ο Scorpius sagitta venenata (ιοί. 10 v c, Ζ. 12); d, e und ο
Ergänzungen einzelner Wörter: Ρ 15 Ρ 216
ioculator (fol. 9 v c, Z. 3); A, B, Q, a, b, c, d, e und ο marmor (fol. 10ra, Z. 8); A, B, Q, d, e
Die St. Florianer Handschrift scheint somit der gleichen Handschriftengruppe wie die Handschriften A, B, Q, c, d, e und ο anzugehören, wobei besonders die Handschriften d, e, ο und die St. Florianer Handschrift übereinstimmen. Durch signifikante Gruppenlesarten läßt sich die Zuordnung zu den genannten Handschriften noch erhärten.
or
OJ
percutio oder percucio.
86
JL. 41 (1828) Anzeigeblatt, S. 25.
87
Ebenda, S. 26. scorpio] vor -r- steht - ρ d a s durchgestrichen worden ist.
QO 00
56
Stefanie Stricker
C 410
D 208 Η 100 Μ 189
Ρ 211
xii (fol. 7 r c, Z. 20); a, b, c, d, e xii.dii Q xi f, i, k, 1 xi cam g habito (fol. 7 v b, Z. 14); A, B, Q, a, b, c, d, e, o; vivo f, g, i, k, 1 tremulus (fol. 8 v a, Z. 23); A, B, Q, a, b, d, e, o; tremens f, g, i, k, 1 congestvm (fol. 9 r c, Z. 23) congestum A, B, Q, a, b, d, e gestum f, g, i, k, 1 siccata (fol. 10ra, Z. 7); A, B, Q, c, d, e, f, g, o; sicca b, i, k, 1
Eine bemerkenswerte Eigenart ist den Handschriften Q, ο und der vorliegenden Handschrift F' gemein. In zahlreichen Fällen weisen diese Handschriften < y >-Schreibung auf, während alle anderen Überlieferungsträger die Schreibung < i > zeigen. Daraus lassen sich zwar keine weiteren Schlüsse ziehen, da viele mittellateinische Wörter sowohl mit der Graphie < y > als auch mit der Graphie < i > bezeugt sind. Die in den drei Handschriften anzutreffende Dominanz der < y > -Varianten ist aber dennoch zu beachten. Im folgenden seien einige Beispiele aus der Buchstabenreihe C genannt 89 : C 68.1 ansonsten C 191 ansonsten C 199 ansonsten C 381 ansonsten C 410 ansonsten
Cytropodes (fol. 7 r b, Z. 19) Citropodes Cyrcus vel cyclus90 (fol. Z. 27) cyclus Q Circus vel ciclus Cycuta91 (fol. 7 r b, Z. 29); Q Cicuta Cyrostringa92 (fol. 7 r c, Z. 12); Q, ο Cyrostringua c Cirostringa Cyati (fol. 7 r c, Z. 20); Q, c Ciati
89
Weitere Beispiele: D 29, D 40, Ε 21, Ε 45, Ε 54, Ε 52, Ε 58, Ε 59, Ε 60, F 72, G 62, Η 85, Η 86, I 47, Μ 30, Μ 31, Μ 62, Μ 92, Μ 97, Ο 22, Ο 24, Ρ 13, Ρ 56, Ρ 110, Ρ 122, R 65, S 105, S 120.
90
JL. 41 (1828) Anzeigeblatt, S. 25.
91
Ebenda.
92
Ebenda.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
57
Bemerkenswert ist, daß diese Klassenzugehörigkeit keineswegs so eindeutig ist, wie E. Steinmeyer sie formulierte und wie sie durch die oben genannten Beispiele suggeriert wird. Als Hinweise auf eine Zugehörigkeit zu der anderen Hauptgruppe 93 mit den Handschriften f, g, h, i, k, 1, η und ρ seien die folgenden Zeilenzusätze genannt: A 313.1 C 68.1 L 52.1
Aer spatium α terra ad lunam (fol. Tz, Z. 29); f, g, h, i, k, 1 Cytropodes vasa fictilisteumpedibus (fol. 7 r b, Z. 19); f, g, h, i, k, 1 Leuga unum et semis miliarium (fol. 8 v c, Z. 17); f, g, i, k, 1
Die St. Florianer Handschrift enthält auch mehrere Lesarten, die nur in dieser Handschriftengruppe auftreten: C 62
Cyclade (fol. 7 r b, Z. 18) Ciclade h, g Cyclades i, k, 1 Cicladis c, e Cycladis d
Ε 264
Excubie ... vigilie (fol. 8 r a, Z. 5) Excubig ... vigili§ i, k, 1 Excubia ... vigilia A, B, Q, a, b, c, d, e, f, g, ο
I 55
ydolorum (fol. 8 v a, Z. 30) idolorum A, B, f, g, i, k, 1, ο, ρ ydolorum vel deorum Q deorum a, c, d, e
I 197
Irretio (fol. 8 v b, Z. 33); f, g, i, k, 1 Irretior A, B, Q, a, b, c, d, e, ο Irrecior ρ
Μ 92
secretum (fol. 9 r b, Z. 29); A, B, f, g, i, k, 1 secreta e secretura Q, a, b, c, d, ο
93
HSH. II, s. XL.
58
Stefanie Stricker
Ρ 233
Patricus (fol. 10 r a, Z. 18) Patricius f, g, i, k, 1 Patritius g Patrimus A, B, Q, d, e, ο
Ρ 415
scortandum94 (fol. 10 r b, Z. 28); i, k, 1 scortum A, B, Q, C, d, e, f, g, ο
Dabei sind die Varianten in ihrer Aussagekraft sehr unterschiedlich. Gemeinsame Schreibvarianten sind zwar bemerkenswert, jedoch nicht so signifikant wie gemeinsame grammatische Konstruktionen, Divergenzen in Kasus, Numerus und Genus oder wie Textergänzungen. Aus dem Vergleich der Eintragungen geht hervor, daß die St. Florianer Handschrift eine Summarium-Fassung enthält, die Charakteristika der beiden Hauptüberlieferungszweige in sich vereinigt. Die Verbindung zu der Hauptgruppe mit den Handschriften f, g, h, i, k und 1 mußte E. Steinmeyer entgehen, da diese Eintragungen nicht ediert sind und ihm somit bei seiner Untersuchung nicht vorlagen. Die St. Florianer Handschrift ist der einzige Überlieferungsträger des elften Buches, der in zahlreichen Eintragungen eine Fassung des elften Buches aufweist, die auch in den Handschriften f, g, h, i, k, 1, η und ρ vorliegt und der ursprünglichen Fassung des elften Buches wohl am nächsten steht 95 , während andere Eintragungen Spezifika der Handschriften A, B, Q, (a, b,) c, d, e und ο aufweisen, die einen mittleren Bearbeitungsstand repräsentieren. Wann und auf welche Weise diese Vermischung der Hauptgruppen erfolgte, ist bislang unbekannt. Daß in der St. Florianer Handschrift eine Textfassung erhalten ist, wie sie vor der wohl bereits sehr früh erfolgten Herausbildung der Hauptgruppen bestanden haben mag, ist wenig wahrscheinlich, da das Glossar spezifische Zusätze der einzelnen Handschriftengruppen aufweist, diese mithin bei der Anfertigung des St. Florianer Glossars beziehungsweise einer Vorlagenhandschrift bereits existiert haben müssen. Denkbar ist jedoch, daß ein Redaktor zwei Fassungen des elften Buches zur Verfügung hatte, die er zu einem Glossar kompilierte. Das St. Florianer Glossar ist neben der Florentiner Handschrift f, in der ebenfalls verschiedene Fassungen kontaminiert sind 96 , der einzige Überlieferungsträger des elften Buches, der signifikante Merkmale der beiden Handschriftenzweige in sich vereinigt. Diese Sonderstellung ist bislang nicht gesehen worden, da eine vollständige Edition nicht vorliegt. 94
scortandum] scortäcPu.
95
HSH. II, S. XXXV.
96
R. Hildebrandt, Medioevo e Rinascimento Annuario, II, S. 10-16; St. Stricker, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (III), S. 298-308.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
59
Für eine stemmatische Einordnung einer Handschrift ist mithin in jedem Fall die vollständige Summarium-Fassung eines Textzeugen heranzuziehen. Der alleinige Verlaß auf einzelne Auszüge, die den rein lateinischen Text ganz ausklammern, führt leicht zu Fehl Interpretationen. c) Besondere Lemma Varianten. - An den bisherigen Überlegungen wurde deutlich, daß eine auszugsweise Edition keine ausreichende Grundlage für die überlieferungsgeschichtliche Einordnung eines Textzeugen sein kann. Vielmehr muß die vollständige Fassung zum Ausgangspunkt gemacht werden, um voreilige Fehleinschätzungen zu vermeiden. Für die St. Florianer Handschrift bleibt dennoch die Frage bestehen, ob sie einen Beitrag zu dem Verständnis des Gesamtwerkes oder zu einzelnen Eintragungen anderer Handschriften leisten kann und mithin bei Untersuchungen des Forschungskomplexes beachtet werden sollte. Einen solchen Beitrag leistet eine Handschrift besonders dann, wenn sie grammatische Konstruktionen, Lesarten oder andere Besonderheiten der Feinstruktur des Textes gemeinsam mit einer anderen Handschrift oder mit einigen wenigen Handschriften aufweist, so daß diese Übereinstimmungen einerseits stemmatisch auswertbar sind und andererseits gegebenenfalls eine neue Bewertung seltener Varianten ermöglichen. Im folgenden seien einige Beispiele für Lesungen lateinischer Lemmata angeführt, die die St. Florianer Handschrift nur mit einer weiteren Handschrift des Summarium Heinrici oder mit wenigen Handschriften gemeinsam aufweist. C 265
Controuersio (fol. 7 r b, Z. 33); Controversio a, ρ Controversia A, B, Q, b, d, e, f, g, i, k, 1
Die Lesung controversio haben außer der St. Florianer Handschrift ausschließlich die Handschriften a und p. Alle anderen Handschriften überliefern die zu erwartende Form controversia97, die im Mittellateinischen überhaupt vorherrscht. Bemerkenswert ist, daß controversio nicht singular bezeugt ist, sondern im Summarium Heinrici von immerhin drei Handschriften tradiert wird. Die Lesung ist damit nicht leichthin als verschriebene oder verderbte Form aufzufassen. Doch selbst dann, wenn der Ursprung dieser widersprüchlichen Lesarten in Textverderbnissen gesehen wird, ist die Lesart bei einer stemmatischen Untersuchung zu berücksichtigen. Vor allen Dingen ist sie zu beachten, wenn sie in Handschriften vorliegt, die sich anhand anderer Kriterien als einem gemeinsamen Überlieferungszweig angehörend erwiesen haben. Eine Lesart, die eindeutig fehlerhaft ist, sollte in einer Textedition emendiert und in einem textkritischen Apparat behandelt werden. Zudem ist sie in einem überlieferungskritischen 97
GH. I, Sp. 1638-1640; DGLG. S. 147.
60
Stefanie Stricker
Apparat zu berücksichtigen, besonders dann, wenn die Lesart auch in der Parallelüberlieferung vorkommt. In vielen Fällen zeigt die St. Florianer Handschrift F' graphische Textveränderungen, die im Mittellateinischen als Varianten bezeugt sind. Β 77
Brauium (fol. 7 r b, Z. 6) Brauion h Brabion A, B, a, b, c, d, e, f, g, i, k, 1 Brabyon Q Barion ο
Ε 200
Ebetudo (fol. 7 v c, Z. 19); Q Ebitudo A, B, a, b, d, e, ο
Für stemmatische Fragen sind derartige Varianten nur dann aussagekräftig, wenn sie gehäuft in nahe verwandten Handschriften vorliegen. Schwieriger ist die Beurteilung von Textveränderungen, die über den im Mittellateinischen üblichen Variantenbereich hinausgehen. Ρ 133
Phronosis (fol. 9 v c, Z. 24); e Phronesis A, B, Q, a, c, d, i, k, 1, ο Pronesis f
C 351
Clutella (fol. 7 r c, Z. 8) Cutella b Clitella A, B, Q, a, d, e, f, g, i, k, 1, ο
Die Variante phronosis findet sich außer in der St. Florianer Handschrift F' noch in Handschrift e. Ansonsten tritt im Mittellateinischen die auch im Summarium Heinrici dominierende Form phronesiP8 (neben phronisis) auf. Ebenso ist die Form clutella (F') [wie auch cutella (b)] im Mittellateinischen nicht üblich. Allerdings sind in spätmittelalterlichen Glossaren zahlreiche Varianten vertreten": clitella, clittella, cliptella, cletella, cretella, critella, cirtella, citella, citralla, citrella, citrilla. Der Buchstabe u in cutella ist möglicherweise aus Ii verschrieben. Die Variante clutella der Handschrift F', die aus den Schreibungen der anderen Handschriften kontaminiert ist, kann als weitere Textverderbnis angesehen werden. Da die Vorlagenhandschriften und deren Lesungen nicht bekannt sind, ist die Beurteilung einer im Mittellateinischen unüblichen Schreibung 98
DGLG. S. 248.
99
DGLG. S. 127; GH. I, Sp. 1210; MW. II, Sp. 728; OLD. S. 337.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
61
einerseits als weitere mögliche Variante, andererseits als Schreibfehler oder Textverderbnis nicht ohne weiteres möglich. Entsprechend ist es auch für die Edition des Textes fraglich, ob eine im Variantenbereich des Mittellateinischen nicht vertretene Form zu emendieren ist oder nicht. Da auch das zugrundeliegende Original wahrscheinlich bereits verderbte Stellen enthält 100 , ist zudem nicht sicher zu entscheiden, auf welche Weise eine Form gegebenenfalls zu emendieren ist. Für eine philologisch genaue Edition bleibt in jedem Fall das Erfordernis bestehen, die tatsächlich überlieferte Schreibung auszuweisen und eine etwaige Textkorrektur als solche kenntlich zu machen. In den angeführten Beispielen ist die ungewöhnliche Lesung der Handschrift F' fast ausnahmslos noch in einer weiteren Summarium-Handschrift anzutreffen. Diese Beobachtung ist zunächst bei stemmatischen Untersuchungen zu beachten. Der besondere Wert der Parallele liegt jedoch darin, daß eine Form, die bisher als singulär bezeugt angesehen werden mußte und folglich leicht als Verschreibung aufgefaßt wurde, durch die gleiche Lesung in einer anderen Handschrift gestützt wird. Die Beispiele der St. Florianer Handschrift zeigen sogar, daß die parallelbelegten Lemmavarianten keineswegs in jungen Handschriften mit 'entstellten' SummariumFassungen auftreten, sondern eher in guten Textzeugen. Für einen Editor stellt sich bei jeder Lemmavariante die Frage, ob eine im Mittellateinischen übliche Variante vorliegt, ob es sich um eine verschriebene Form handelt, oder ob schließlich eine Variante bezeugt ist, die für das Mittellateinische zwar ungewöhnlich ist, jedoch im Summarium Heinrici von mindestens einer weiteren Handschrift überliefert wird. Auch junge Textzeugen des Summarium Heinrici sind dabei heranzuziehen. Wie die Beispiele der St. Florianer Handschrift zeigen, kann auch eine gekürzte und überarbeitete Textfassung Lesungen beisteuern, die für eine text- und überlieferungskritische Beurteilung einer Form einer anderen Handschrift hilfreich sind. Im folgenden soll anhand von zwei Beispielen gezeigt werden, daß bei der Beurteilung eines Lemmas als mögliche Variante oder als verderbte und somit gegebenenfalls zu emendierende Form neben den Zeugnissen der Parallelhandschriften des Summarium Heinrici auch die weitere mittelalterliche Glossographie zu berücksichtigen ist. A 95
100
Alfatum bitumen ertlim (fol. Z. 30) Asfaltwn ... A, B, c, d, f, g, h, i, k, 1 Affaltum ... Q, a, e Alfaltum... b Aspaltum ... ρ
Man vergleiche W. Wegstein, Studien zum > Summarium Heinrici < , S. 96.
62
Stefanie Stricker
F 174
Fatidyci ydolatre bescerere101 (fol. 8 r c, Z. 8) Fatici... Q, b, c, e, f, g, ο Fanatici... A, B, k, 1
Ein Vergleich der Lemmata alfatum und fatidyci mit den entsprechenden Lemmata der Parallelhandschriften führt zunächst zu der Vermutung, daß die Formen der St. Florianer Handschrift verderbt sind. Ein Vergleich mit Eintragungen anderer spätmittelalterlicher Glossare zeigt demgegenüber, daß für die Lemmata im Mittellateinischen überhaupt viele Varianten auftreten und die vorliegenden somit in anderem Licht erscheinen. Sie sind keineswegs von vornherein zu emendieren. Neben alfatum und den vier Varianten in der Parallelüberlieferung zum elften Summarium-Buch verzeichnet L. Diefenbach 102 beispielsweise noch die folgenden Formen: asphaltum, assaltum, aspeltum, assatum, affatum, arfaltum, affalcion. Neben fatidycus (Plural fatidyci) ist im Mittellateinischen noch fatilicus103 bezeugt. Die Formen der St. Florianer Handschrift sind zwar im Summarium Heinrici singular vertreten. Sie haben aber entweder Parallelen in der weiteren Überlieferung spätmittelalterlicher Zeit (so bei fatidyci), oder es handelt sich um Formen, die überhaupt in zahlreichen Varianten bezeugt sind (so bei alfatum). Schließlich sei noch auf einen Eintrag der St. Florianer Handschrift hingewiesen, der verdeutlicht, daß der Redaktor des Glossars auch Textbesserungen gegenüber verderbten Eintragungen der Vorlagenhandschrift vornahm. Ineptus non aptus (fol. 8 v b, Z. 13)
I 106
Der Eintrag lautet in den Parallelhandschriften: Indeptus adeptus, acquisitus A, B, b, c, d, e, ο, ρ Indiptus adeptus, acquisitus a Indeptus adeptus f, g, i, k, 1 Ineptus adeptus acquisitus Q Das Lemma indeptus (zu indipiscor10*) der Parallelhandschriften hat die Bedeutung 'ergriffen, erfaßt' und wird durch die entsprechenden Synonyme adeptus105 und acquisitus106 glossiert. Die Grazer Handschrift Q weist als 101 bescerere hochgesetzt über -atre von ydolatre. 102
DGLG. S. 55.
103
DGLG. S. 227.
104
GH. II, Sp. 200.
105
GH. I, Sp. 115.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
63
Lemma ineptus auf, das im Mittellateinischen ansonsten nicht als Variante für indeptus bezeugt ist. Vielmehr ist ineptus107 die durch das Präfix inangezeigte Negation von aptus 'passend, geeignet, tauglich' 108 . Der Eintrag der Handschrift Q, in dem ineptus durch adeptus acquisitus wiedergegeben wird, ist so folglich nicht korrekt. Das Lemma ist als verderbt aufzufassen. Der Eintrag der Handschrift Q gibt zu der Vermutung Anlaß, daß die Vorlage der Handschrift F' ebenfalls die entstellte Form ineptus aufwies. Der Bearbeiter beziehungsweise aufmerksame Schreiber des St. Florianer Glossars hat das Lemma übernommen, die in bezug auf das geänderte Lemma fehlerhafte Glossierung jedoch durch die korrekte Erklärung non aptus ersetzt. Die Entstehung dieser im Summarium Heinrici singulär bezeugten Eintragung läßt sich durch das verschriebene Lemma der Handschrift Q noch nachvollziehen. An diesem Beispiel wird deutlich, daß auch verschriebene und entstellte Eintragungen (hier der Handschrift Q) dazu beitragen können, Eintragungen anderer Handschriften zu verstehen. In einer Edition dürfen die Varianten, gleichgültig wie sie im einzelnen zu beurteilen sind, keineswegs stillschweigend emendiert werden, da Gemeinsamkeiten einzelner Handschriften dann verdeckt und die Texte nicht in ihrer historisch bezeugten Gestalt respektiert würden. Bei dem vorliegenden Beispiel müßte in einem überlieferungskritischen Apparat der Edition darauf aufmerksam gemacht werden, daß Handschrift Q die Lesung ineptus aufweist. Angesichts der Parallelüberlieferung ist diese Form als entstellt zu betrachten. Sie führt zu einer Glossierung, die fehlerhaft ist, durch einen Vergleich mit der Parallelüberlieferung jedoch durchschaubar bleibt. Ebenso müßte die Glossierung der St. Florianer Handschrift erklärt werden, und zwar ausgehend von der nächstverwandten Handschrift Q. Ohne Kenntnis der Parallelüberlieferung sowie speziell der Handschrift Q und der Verwandtschaftsverhältnisse der beiden Handschriften müßte der Eintrag der St. Florianer Handschrift als korrekte, aber summariumfremde Ergänzung des Glossars aufgefaßt werden. Daß die St. Florianer Handschrift in vielen Glossierungen gerade keine verderbte Form des Lemmas enthält, sondern im Gegensatz zu den sogenannten echten Textrepräsentanten die im Lateinischen übliche Variante aufweist, kann an dem folgenden Eintrag gezeigt werden.
106
GH. I, Sp. 87.
107
GH. II, Sp. 219; DGLG. S. 295.
108
GH. I, Sp. 521.
64
Stefanie Stricker
Ο 140
Oriflciwn sprinc (fol. 9 v b, Z. 22) Oriflgium A Oriflum B, Q, a, b, d, f Orisium e, i, k, 1, m
Im klassischen Latein und auch noch im späteren Mittellatein herrscht die Form orificium109 (oriflgium) vor. Demgegenüber ist die Variante oriflum110 in jüngeren Glossaren bezeugt und orisium schließlich nur noch bei den fünf Summarium-Handschriften anzutreffen. Die angeführten Beispiele mögen ausreichen, um zu zeigen, daß auch verkürzte und überarbeitete Fassungen des Summarium Heinrici einen wichtigen Beitrag zur Erforschung des gesamten Überlieferungskomplexes leisten können. Einerseits können sie die Ergebnisse einer stemmatischen Untersuchung spezifizieren. Die St. Florianer Handschrift ist dabei schon allein deshalb beachtenswert, da sie in die Nähe der Grazer Handschrift Q zu stellen ist, über die bislang als einzige kein sicherer Aufschluß hinsichtlich der stemmatischen Einordnung zu gewinnen war 1 1 1 . Andererseits können einzelne Lesungen dazu beitragen, Lemmata anderer Handschriften in ihrer eigenwilligen Schreibung zu stützen und gegebenenfalls zu erklären. 3. Die volkssprachigen Glossen. - a) Mundart und Alter. - Die Mundart der Glossen der St. Florianer Handschrift ist bislang noch nicht untersucht worden 1 1 2 . Insgesamt scheint ein Nebeneinander fränkischer und oberdeutscher Merkmale vorzuliegen, das sich möglicherweise aus der Abschrift und teilweisen Umsetzung einer fränkischen Vorlage durch einen aus St. Florian oder der näheren Umgebung stammenden Schreiber erklärt. Auf den fränkischen Raum weisen neben der Verschiebung von postvokalischem ρ 1 1 3 , f 1 1 4 und &115 sowie f 1 1 6 an allen anderen Stellen die unverschobenen knl im Anlaut, in postkonsonantischer Stellung sowie in der
109
GH. II, Sp. 1398.
110
DGLG. S. 400.
111
W. Wegstein, Studien zum >Summarium Heinrici < , S. 97. Im folgenden werden in den Anmerkungen jeweils einige Beispiele angeführt. Eine vollständige Untersuchung ist nicht durchgeführt worden. sqf, fol. 8 v c, Z. 20.
112
113 114
wazzerstek, fol. 6Π5, Z. 36.
115
enspctfe, fol. 7 v b, Z. 27; hSrmectfe, fol. 9 r a, Z. 31; wech/fe, fol. 10 r b, Z. 9.
116
cazze, fol. 5 v c, Z. 36; smelzen, fol. 7 r c, Z. 27; zwillinc, fol. 7 v a, Z. 12. corbelin, fol. 8 r a, Z. 31; crowel, fol. 8 ^ , Z. 3; store, fol. 6 r c, Z. 2; tfke, fol. 6 v b, Z. 11; stocc, fol. 7 r b, Z. 31 (interlinear).
117
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
65
Gemination, die vorwiegend erhaltenen fc118 und dn9 sowie vereinzelt unverschobene ρ 1 2 0 im Anlaut. Zur fränkischen Mundart stimmen zudem die Schreibungen < e > 1 2 1 und < ο > 1 2 2 für ei (aus germ, ai) und ou (aus germ, au) sowie die Schreibung < g > für c/i 123 , der die fränkische Aussprache des g als Reibelaut zugrunde liegt. Diese Erscheinungen treten alle auch in mittelfränkischen Glossen 124 auf. Die Entwicklung von hs zu ss, wie sie in egedesse, fol. 6 r a, Z. 13, vorliegt, ist wegen der ursprünglich weiteren Verbreitung gerade in jüngeren Glossen als mittelfränkisches Kennzeichen 125 zu bewerten. Die Schreibung < k > 1 2 6 für germ, g kann sowohl im Fränkischen wie im Oberdeutschen auftreten. Die daneben beispielsweise graphisch ausgewiesenen Verschiebungen von ρ ί 2 Ί im Anlaut, in postkonsonantischer Stellung und in der Gemination sowie von £ 1 2 8 , b129 und d130 im Anlaut sind hingegen eher für das Ober118
breme, fol. 6 r c, Z. 11; sveboge, fol. 8%, Z. 7.
119
aUFane, fol. 5 r c, Z. 34; zwiualds, fol. 6 r c, Z. 13; strid, fol. 7%, Z. 33; radfrage, fol. 7 r c, Z. 13; mPredich, fol. 10 r c, Z. 23; sieh dagegen rethic, fol. 10 r c, Z. 24.
120
plancen, fol. 6 v a, Z. 13; plübom, fol. 6 v b, Ζ. 1.
121
J. Franck - R. Schützeichel, Altfränkische Grammatik, § 31.2, S. 40; R. Bergmann, Mittelfränkische Glossen, S. 120, 140, 159, 218, 232, 243, 306, 308; ref, fol. 7 r b, Z. 27; wegescede, fol. 7 r c, Z. 34; enspctfe, fol. 7 v b, Z. 27; engesmelze, fol. 7 v b, Z. 32; stengeiz, fol. 8 v a, Z. 19; vcfscheden, fol. 8 v b, Z. 9; emer, fol. 10 v b, Z. 7 (interlinear).
122
BEG. § 46, Α. 3, S. 47; J. Franck - R. Schützeichel, Altfränkische Grammatik, § 32, S. 42; R. Bergmann, Mittelfränkische Glossen, S. 148, 308; hunthobet, fol. 5 v b , Z. 28; mulbom, fol. 6 v a, Z. 31; mispelbom, fol. 6 v a, Z. 37; plübom, fol. 6 v b, Ζ. 1; milebom, fol. 6 v b, Z. 2; vllebom, fol. 6 v b, Z. 4 (und weitere Baumbezeichnungen).
123
J. Franck - R. Schützeichel, Altfränkische Grammatik, § 103.2, S. 133; R. Bergmann, Mittelfränkische Glossen, S. 160, 193, 212, 229, 236, 308; halsthug, fol. 7 r c, Z. 19; jeweils das Personalpronomen ig, zum Beispiel fol. 7 v b, Z. 17; fol. 8 r a, Z. 8; fol. 8 r a, Z. 24; fol. 8 r c, Z. 13; fol. 9 r a, Z. 17; fol. 10 v c, Z. 29.
124
R. Bergmann, Mittelfränkische Glossen, passim.
125
Ebenda, S. 118, 321.
126
R. Bergmann, Mittelfränkische Glossen, S. 175, 230, 286, 289; BEG. § 148 Α. 1, S. 139; hakenböm, fol. 9 v a, Z. 32; henke, fol. 10 r b, Z. 4.
127
BEG. § 131, S. 120; phanne/smak, fol. 8 r c, Z. 9 (smalc übergeschrieben); pftut, fol. 8 v c, Z. 18; rohtphelel, fol. 9 v b, Z. 18; phawe, fol. 10 r a, Z. 17; harphe, fol. 5 r c, Z. 1; pardisapphel, fol. 6 v c, Z. 3; clephel, fol. 71·, Z. 12; glaszecohp, fol. 81), Z. 14; crepphelen, fol. 9 r a, Z. 24; errapphel, fol. 10 r a, Z. 25; naph, fol. 10 r b, Z. 2; dagegen carpe, fol. 6 r a, Z. 36.
128
BEG. § 144, S. 132f.; ig cho/re, fol. 9 r a, Z. 17.
129
BEG. § 136, S. 125; hagepottedorn, fol. 10 r a, Z. 9; puckel, fol. 10 r b, Z. 2; plezec, fol. 10*1), Z. 14 (interlinear).
130
trene, fol. 6 r c, Z. 10; tumhere, fol. 9 r c, Z. 25.
66
Stefanie Stricker
deutsche typisch und gehen somit vielleicht auf einen bairischen Kopisten zurück. Als wortgeographisches Indiz für den mitteldeutschen Sprachraum ist die Glosse schemp 'Spiel', fol. 7 r b, Z. 22, zu bewerten 131 , die in der St. Florianer Handschrift anstelle von spil der Parallelhandschriften 132 bezeugt ist. Während die meisten Summarium-Handschriften ein Nebeneinander von älteren und jüngeren Formen aufweisen und damit repräsentativ sind für die Übergangszeit vom Spätalthochdeutschen zum Frühmittelhochdeutschen, dokumentieren die St. Florianer Glossen nahezu ausnahmslos mittelhochdeutschen Sprachstand. Die Datierung des Summarium-Teils des Codex in das ausgehende 13. Jahrhundert ist bei dieser Handschrift auch für die Glossen anzunehmen. Das bedeutet, daß der Schreiber entweder ein zeitgenössisches Glossar zur Vorlage hatte oder die Glossen seiner Vorlage selbst hinsichtlich des Sprachstandes modernisierte. Die in etwa übereinstimmende Datierung der Entstehung der Handschrift und des Sprachstandes der Wörter ist in der Glossenüberlieferung keineswegs selbstverständlich, für das Summarium Heinrici sogar ungewöhnlich. Die SummariumHandschriften, die aus dem 14. und 15. Jahrhundert stammen und damit jünger als die St. Florianer Handschrift sind, tradieren ausnahmslos noch zum Teil in althochdeutsche Zeit hinabreichende Formen 133 . b) Gemeinsamkeiten mit anderen Handschriften. - Die beweiskräftigsten Indizien für die Verwandtschaft von Handschriften sind dem lateinischen Text zu entnehmen, da dieser in der Regel konservativer tradiert wird als die volkssprachigen Glossen. Aussagekraft für ein Stemma hat im Bereich der Glossen am ehesten die gemeinsame Neueinführung von Glossen. Dabei ist jedoch in keinem Fall sicher auszuschließen, daß die zusätzlichen Glossen unabhängig neu eingeführt wurden 134 . Die Glossen der St. Florianer Handschrift entsprechen vorwiegend dem traditionellen Bestand des Summarium Heinrici. Der Ersatz einzelner Glossen, wie er bei schemp für spil der Parallelhandschriften beispielsweise vorliegt, ist vor dem Hintergrund der räumlichen und zeitlichen Verhältnisse der Entstehung der Handschrift im einzelnen zu untersuchen. Im folgenden sollen einige Beispiele für die gemeinsame Neueinführung beziehungsweise die gemeinsame Überlieferung einer Glosse angeführt werden.
131
LH. II, Sp. 744.
132
HSH. II, Sp. 216, C 150.
133
Für die aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts stammende Baseler Handschrift ο sieh zum Beispiel St. Stricker, Basel ÖBU. Β IX 31, S. 466-473.
134
Man vergleiche W. Wegstein, Studien zum >Summarium Heinrici< , S. 94.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
67
Eine nur in wenigen Handschriften enthaltene Zweitglosse liegt bei dem folgenden Eintrag vor: A 197
Attacus hehse vel humele (fol. Ta, Z. 19)
Während hehere (oder eine Variante) in den Handschriften A, B, Q, a, b, c, d, e, f, g, h, i, k, 1, η, ο und ρ vorliegt, haben nur die der ursprünglichen Langfassung am nächsten stehenden Handschriften f, g, h, i, k, 1, η und ρ die Zweitglosse humbel. Auch der folgende Eintrag hat ein Glossenwort, das hauptsächlich in dieser Handschriftengruppe vorkommt: F 126
Flabrum wedel (fol. 8 r b, Z. 25) wadel A, b urndel f wale g (wohl verschrieben) wedel k, 1 wagel η winda c, d, e winde Q, ο
Eine Zweitglosse, die nur von der St. Florianer Handschrift und den Handschriften i, k und 1 tradiert wird, enthält der folgende Eintrag: Ρ 251
Pedica stric vel druhc (fol. 10% Z. 3)
Die Glosse stric steht in den Handschriften A, B, Q, i, k und l 1 3 5 , während die Handschriften i, k und 1 zusätzlich das Wort druch aufweisen. Demgegenüber ist die Glosse des folgenden Eintrags ein Zusatz, der ansonsten ausschließlich in den Handschriften d und e belegt ist: R 151
Rotula conuoluta cartula vel roddal (fol. 10 v a, Z. 2 interlinear) rodel d, e
Dabei ist beachtenswert, daß gerade die junge Handschrift F' die Glosse mit althochdeutschem Lautstand aufweist, während rodel136 der Handschriften d und e die für spätere Zeit typische Vokalabschwächung bezeugt. In der frühen Zeit ist das Wort überhaupt nur ein weiteres Mal überliefert, und zwar in den Marienfelder Glossen der Handschrift Berlin, StBPK. Ms. 135
HSH. II, s. 409.
136
GSp. II, Sp. 492; StWG. S. 490.
68
Stefanie Stricker
lat. 2° 735 137 , die aus dem 12./13. Jahrhundert stammt138: Thomus rothal139. Die Glosse der St. Florianer Handschrift ist somit einer der frühesten Belege des Wortes. Eine Gemeinsamkeit mit den Handschriften d und e zeigt sich auch bei der folgenden Glossierung: S 246.1
Spiculum spiez vel schos (fol. lCPb, Z. 5)
Der Eintrag wird überhaupt nur von den Handschriften A, B, Q, d und e überliefert. Eine vergleichbare Zweitglosse haben nur die Handschriften d (scoz) und e (soz). Die Handschriften Α und Β tradieren gischoz und geschoz. In Handschrift Q fehlt die Glosse ganz. Auf eine Nähe zu dieser Handschriftengruppe weist auch der Eintrag Opyomachus auis otho/bere, fol. 9 v a, Z. 24f. Während die Handschriften 140 a, b, c, d, g, i, k, 1 und ο den Eintrag ohne volkssprachige Glosse aufweisen, tradieren die Handschriften A (udebero), Β (vdebero), Q (vdebero) und e (odebero) Parallelen zu der in der Handschrift F' bezeugten Glosse. Handschrift f weist demgegenüber die Glosse storich auf. Mehrfach weist die St. Florianer Handschrift zwei volkssprachige Wörter auf, während alle anderen Handschriften nur ein Wort tradieren. Bei dem folgenden Beispiel stehen beide volkssprachigen Wörter in der Tradition des Summarium Heinrici. Ν 97
Neo. nes. vi. spTne (fol. 9 v a, Z. 12) Filo vedeme (fol. 9 v a, Z. 13) spinno i, k, 1 spinne A, g spinnen Β fademon a, c, d vadem Q fadimo f fadimo η nagen b
Der Redaktor der Handschrift F1 hat aus ursprünglich einem Eintrag (Neo, nes nevifllo, -las spinno / fademon / nagen)141 zwei Glossierungen
137
BV. Nr. 49.
138
StSG. IV, S. 412f., Nr. 81; E. Rooth, Zu den Bezeichnungen für 'Eiszapfen', S. 22f.
139
StSG. III, S. 716, 45.
140
HSH. II, S. 384, Ο 24.
141
HSH. II, S. 381.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
69
gemacht, und zwar ungeachtet der falschen alphabetischen Einordnung von Filo. Nicht selten wird in der Handschrift ein volkssprachiges Wort durch ein anderes ersetzt: C 150 C 363 D 159 F 70 Ρ 253
schemp (fol. 7 r b, Z. 22) (ansonsten spil und Varianten) hantslagen (fol. 7 r c, Z. 9) (ansonsten zesameneslahe und Varianten) borte (fol. 7 v a, Z. 24) (ansonsten urtderbant und Varianten) sehe (fol. 8 r b, Z. 6) (ansonsten getisen und Varianten) henke vel riegel (fol. 10% Z. 4) (ansonsten dremel, grindel, sloz und Varianten).
Beachtenswert ist die Veränderung des folgenden Eintrags: Ρ 282
Pedissequs camser (fol. 10% Z. 9)
Der Eintrag lautet in den Parallelhandschriften142: Ρ 282
Pedissequa vel pedissequus pedes matrone vel domini sequens kamerwib
Die volkssprachigen Glossen der Handschrift unterstützen insgesamt die an dem lateinischen Text gemachten Beobachtungen. Auch im Bereich der Glossen zeigt sich eine Kontaminierung zweier Fassungen des elften Summarium-Buches, die in keiner anderen Handschrift auf gleiche Weise vorliegt. Das Wortgut entspricht in der Hauptsache dem traditionellen Summarium-Bestand. Vereinzelt treten Glossen auf, die ansonsten nur von der einen oder der anderen Handschriftengruppe überliefert werden. Zudem werden mehrere Wörter durch andere, zum Teil jüngere oder lokal gebundene, Bildungen ersetzt. Dieses Phänomen teilt die Handschrift mit nahezu allen anderen Handschriften des Summarium Heinrici 143 . Wenngleich die Handschrift mittelhochdeutschen Sprachstand aufweist, ist in einzelnen Fällen auch noch mit sprachhistorisch frühen Belegen eines Wortes zu rechnen. c) Erweiterung der Glossierung. - Als weitere Besonderheit der St. Florianer Handschrift, die zumindest für die Rezeption des Summarium Heinrici von Bedeutung ist, kann die durchgehende Erweiterung der volksspra142
HSH. II,S. 411.
143
Sieh zum Beispiel St. Stricker, Basel ÖBU. Β IX 31, S. 534-545.
70
Stefanie Stricker
chigen Glossen angesehen werden. Ein auffallendes Beispiel dafür findet sich in Buch III, in den Kapiteln 19, De vocibus animalium, und 20, De vocibus avium, die mit dem Eintrag Equus hinnit144 beginnen und mit ferrum striditus enden. Die Kapitel werden von acht Handschriften des Summarium Heinrici überliefert. Abgesehen von einer Glosse in Kapitel 20, die von vier Handschriften bezeugt ist, sind die Kapitel nicht volkssprachig glossiert. In der St. Florianer Handschrift weist Kapitel 19 acht volkssprachige Glossen und Kapitel 20 zwei Glossen auf [(fol. 6 r c, Z. 16) Equs hinnit - wiet; Asinus rudit acat - lofttjit; (Z. 17) Ovis balat - biet; porcus grunnit - granseth; (Z. 18) Canis latrat - bellit; Leo fremit vel rugit - luot; (Z. 19) Vrsus seuit b[ru]nU146; Aper frendit - graset (?)...; (Z. 25) Gallus canit - cretul; (Z. 26) Gallina crocuat - clokert]. Diese Glossen gehörten der Vorlage der Handschrift nicht an und sind eine Zutat des Schreibers beziehungsweise des Redaktors der Handschrift. Das wird an der interlinearen Plazierung der Glossen sichtbar. Alle Glossen der Handschrift, die zum allgemeinen Bestand des Summarium Heinrici gehören, stehen im Kontext und sind mithin gleichzeitig mit dem lateinischen Text eingetragen worden. Das trifft auch für die volkssprachige Glosse cret in Kapitel 20 zu, die in vier weiteren Summarium-Handschriften vorliegt 148 . Die Interlinearglossen sind offensichtlich nachgetragen worden, jedoch von dem Schreiber des Glossars unmittelbar nach Abschrift der Vorlage. Hier wie auch an anderen Stellen der Handschrift ermöglicht die Art der Eintragung eine Unterscheidung der traditionellen Summarium-Eintragungen und der später ergänzten summariumfremden Eintragungen. Diese unterschiedliche Art der Eintragung läßt den Schluß zu, daß die ergänzten Eintragungen von dem Glossator der St. Florianer Handschrift stammen, in der Vorlagenhandschrift hingegen noch nicht vorhanden waren. Eine genaue Untersuchung dieses summariumfremden Wortgutes kann möglicherweise Aufschlüsse über die Quelle der Wörter geben. Da der lateinische Text nicht ergänzt wurde, ist jedoch am ehesten damit zu rechnen, daß es sich um originäre Eintragungen handelt, die der Schreiber im Zuge der Niederschrift des Glossars nach eigener Kenntnis eintrug.
144
Fol. 6 r c, Z. 16; man vergleiche HSH. I, S. 169, 787.
145
Fol. 6 r c, Z. 28; man vergleiche HSH. 1, S. 169, 805. b[ru]mt] Nasalstrich über -r-. Kontextglosse.
148
Es handelt sich dabei um die Handschriften Trier, StadtB. 1124/2058 (kragit), Einsiedeln, StiftsB. cod 171 (kragit), Erfurt, Wissenschaftliche Allgemeine. F 81 (krewit) und Erlangen, UB. Erlangen-Nürnberg Ms. 396 (*kewut); sieh HSH. I, S. 169, 799.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
71
Diese Erweiterung der Glossierung ist bislang unbemerkt geblieben, da die Glossen in der auszugsweisen Edition aus dem Jahre 1828*49 ausgelassen wurden. Eine andere Art der Erweiterung der volkssprachigen Bestandteile begegnet in der Langfassung des elften Buches des Summarium Heinrici. An zahlreichen Stellen sind Lemmata des traditionellen Bestandes volkssprachig übersetzt worden. A 323 D 149 Ε 75 Ε 201 Ε 205 F 149 F 198 1154 Μ 114 Ρ 27 Ρ 330 R 105 S 356.1
Agonize grizwarte (fol. 7 r a, Z. 31) Diuersorium gasthuz150 (fol. 7 v a, Z. 32) Ergastulum werchus151 (fol. 7 v c, Z. 9) Exosus hasic152 (fol. 7 v c, Z. 20) Exterus vremede153 (fol. 7 v c, Z. 21) Falanx schare (fol. 8 r b, Z. 30) Ferculum sidele vel mushuz154 (fol. ffc, Z. 16) Incola aduena elende (fol. 8 v b, Z. 24) Magi diuini warzag5e (fol. 9 r c, Z. 3) Pastoforium camse (fol. 9 v c, Z. 5) Polenta wizmele vel semtgr[e]c155 (fol. KFb, Z. 16) Reditus gelt (fol. lCc, Z. 25) Scorpio156 scorb (fol. 10vc, Ζ. 11)
Bei diesen Beispielen ist das volkssprachige Wort an die Stelle der lateinischen Glosse getreten. Diese Glossen sind wahrscheinlich schon in der Vorlagenhandschrift vorhanden gewesen. Darüber hinaus weist die Handschrift oft volkssprachige Glossen auf, die dem lateinischen Interpretament hinzugeschrieben wurden. C 292 L 105 L 104
Citer infra disehalb (fol. 7 r c, Z. 3) Lara scutella libra schale (fol. 9 r a, Z. 4) Lances vasa in quibus sacrificatur / schalen (fol. 9 r a, Z. 5-6)
149
JL. 41 (1828) Anzeigeblatt, S. 24.
150
Ebenda.
151
Ebenda.
152
Ebenda.
153
Ebenda.
154
Ebenda. semelgr[e]c] -e- nicht sicher. Scorpio] vor -r- steht -p-, das durchgestrichen worden ist.
72
Stefanie Stricker
L 140 Μ 115 S 180 S 265 S 431
Laganum panis oleo frictus / crepphelen151 (fol. 9 r a, Z. 23-24) Malefici demonum cultores zob^e (fol. 9 r c, Z. 4 interlinear) Sophisma. callida locutio vel / circumventio trugene (fol. 10va, Z. 18f.) Situla vrna emer (fol. 10 v b, Z. 7 interlinear) Subrigo erigo strube (fol. 10vc, Z. 28 interlinear)
Diese Art der Eintragung, bei der der volkssprachigen Glosse außer dem lateinischen Lemma noch ein lateinisches Interpretament vorausgeht, ist für die St. Florianer Handschrift wie überhaupt für das Summarium Heinrici ungewöhnlich. Die Glossierungen bestehen in den meisten Fällen aus lateinischem Lemma und volkssprachigem Interpretament. Der Aufbau (lateinisches Lemma, lateinisches Interpretament, volkssprachiges Interpretament) mag ein Indiz dafür sein, daß die Vorlagenhandschrift diese volkssprachigen Ergänzungen nicht enthielt und sie auf den Schreiber der Handschrift F' zurückgehen. Somit läßt sich auch in dem elften Buch des Summarium Heinrici der St. Florianer Handschrift das Wortgut, das wahrscheinlich von dem Bearbeiter der Handschrift stammt, von demjenigen der Vorlage trennen. Diese aus dem dritten sachlich geordneten Buch (Redaktion A) und dem alphabetisch angelegten elften Buch (Langfassung) des Summarium Heinrici angeführten Eintragungen der St. Florianer Handschrift sind Beispiele dafür, daß die Tradition des Summarium Heinrici auch am Ende des 13. Jahrhunderts noch lebendig war, das Werk benutzt wurde, und zwar gerade wegen der volkssprachigen Glossierung, die hier (wie auch an anderen Stellen) noch erweitert worden ist. Aus der Erweiterung der Glossierung kann geschlossen werden, daß die Glossen nicht als altertümlich oder gar veraltet empfunden wurde, sondern gerade den Wert des Buches ausmachten. V. Zusammenfassung Die St. Florianer Handschrift ist hier als Beispiel einer besonders jungen Textfassung des Summarium Heinrici 158 unter dem Aspekt untersucht worden, ob eine so gekürzte und überarbeitete Fassung in einer Edition oder überhaupt bei der Beschäftigung mit dem Forschungskomplex berücksichtigt werden soll oder nicht, und was sie gegebenenfalls noch zu dem 157
Jahrbücher der Literatur 41 (1828) Anzeigeblatt, S. 25. Mit dem Alter der Textfassung ist das Alter des Bearbeitungsstandes gemeint. Dieses ist von dem Alter der Handschrift zu unterscheiden. Hinsichtlich der Datierung der Handschrift ist der St. Florianer Textzeuge nicht als besonders jung zu bezeichnen.
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
73
Verständnis des Werkes beitragen kann. Anlaß für die Untersuchung des St. Florianer Glossars war neben der besonders jungen Textfassung die bewußte Ausklammerung der Handschrift aus den grundlegenden Editionen von E. Steinmeyer und von R. Hildebrandt. An einzelnen lateinischen Lemmavarianten hat sich gezeigt, daß die Handschrift Formen anderer Handschriften enthält, die bisher als singulär bezeugt angesehen werden mußten. Diese Varianten können somit nicht ohne weiteres als Schreibversehen oder als entstellte Formen bewertet werden. In einer Edition sind sie in ihrer historisch überkommenen Form auszuweisen und nicht von vornherein zu emendieren. Eine Untersuchung aller Varianten sowie des lateinischen Textes überhaupt kann zudem dazu beitragen, die verwandten Handschriften stemmatisch genauer zu erfassen. In jedem Fall wird das Bild der bisherigen Überlieferung ergänzt und spezifiziert. Eine stemmatische Einordnung der Handschrift, die anhand einer auszugsweisen Glossenedition vorgenommen wurde, hat sich als Fehlzuordnung herausgestellt. Da die St. Florianer Handschrift der bislang stemmatisch nicht klar faßbaren Grazer Handschrift Q eindeutig am nächsten steht, verspricht eine vollständige Untersuchung des St. Florianer Textzeugen auch Aufschlüsse über die Handschrift Q. Schon allein die Verwandtschaft mit der Grazer Handschrift würde eine Berücksichtigung des hier betrachteten St. Florianer Glossars hinreichend rechtfertigen. Die volkssprachigen Bestandteile der Handschrift sind besonders für die Rezeption des Werkes aufschlußreich. Aufgrund des jungen Sprachstandes sind sie wohl nicht für das Althochdeutsche aussagekräftig, auch wenn für die Glossenüberlieferung die mit Notker Labeos Tod a.1022 für die althochdeutschen literarischen Denkmäler gesetzte Grenze nicht haltbar 159 ist, zumal wenn mit der Abschrift älterer Vorlagen durch einen Glossator zu rechnen ist 160 . Da die Handschrift eindeutig Teile des Summarium Heinrici enthält, und zwar in einer insgesamt nicht als verderbt zu bezeichnenden Fassung, ist sie bei Untersuchungen zu diesem Forschungskomplex auch zu berücksichtigen. Grundsätzlich gilt für alle Texte, daß bewußt vorgenommene Veränderungen wie Kürzungen, Ergänzungen, Wortersatz, Umstellung von Textteilen (und so weiter) einen Text nicht zu einem unechten Textrepräsentanten 161 machen, sondern zunächst einmal zu einem aus irgendeinem Grunde veränderten. Erst die Kenntnis des Abhängigkeitsverhältnisses des 159
Zu diesem Problem sieh R. Schützeichel, Festschrift für Ingeborg Schröbler, S. 35f.; R. Schützeichel, Studia Linguistica et Philologica, S. 159-163; R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (II), S. 48; R. Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch, S. 30; sieh auch B. Meineke, Althochdeutsches aus dem 15. Jahrhundert.
160
Für das Summarium Heinrici sieh W. Wegstein, ZDA. 101 (1972) S. 304f.
161
K. Ruh, Probleme der Edition mittel- und neulateinischer Texte, S. 36f.; man vergleiche dagegen HSH. II, S. XL.
74
Stefanie Stricker
Textzeugen von seiner Vorlage ermöglicht gegebenenfalls eine Wertung der eingetretenen Textveränderung. Junge Textzeugen dürfen nicht deshalb beiseite gelassen werden, weil sie von dem mutmaßlich angenommenen Archetyp zeitlich am weitesten entfernt sind. Das (zu geringe) Alter einer Handschrift, jüngere Zusätze sowie die bei kopialer Überlieferung über mehrere Jahrhunderte leicht eintretenden Veränderungen lateinischer und volkssprachiger Formen sind als solche genau festzustellen und vor dem Hintergrund der Parallelüberlieferung auszuwerten. Sie sind jedoch keine Kriterien, die den Ausschluß eines Textzeugen aus der Betrachtung der Gesamtüberlieferung erlauben. Die Frage der Berücksichtigung einer Handschrift in einer Edition oder bei einer Untersuchung des Forschungskomplexes ist dabei zu trennen von der Frage, ob jüngere Überlieferungsträger noch für das Althochdeutsche in Anspruch genommen werden sollen. Alle Einzelheiten der Überlieferung müssen so genau wie möglich in die Edition eingehen, wenn diese sich als Grundlage für eine sprachhistorische Auswertung eignen soll. Das genaue Abhängigkeitsverhältnis eines Textzeugen von seiner Vorlage oder das Verhältnis zu mittelbar beeinflußten Textzeugen muß durch die Edition so transparent wie möglich gemacht werden. Nur dann läßt sich bewerten, ob es sich um wortgetreue Übernahme eines Textes oder um Textveränderung handelt und ob die Textveränderung als Schreibfehler, sprachliche Umsetzung oder bewußte Bearbeitung aufzufassen ist. Durch die Einbeziehung des Gesamtspektrums der Überlieferung werden ansonsten unverständliche Eintragungen möglicherweise transparent und gerade ungewöhnliche grammatische Konstruktionen oder graphische Varianten zu wichtigen Anhaltspunkten für stemmatologische Untersuchungen. Eine genaue Analyse des Textzeugen und seiner Beziehung zur Parallelüberlieferung, das heißt eine möglichst exakte Ermittlung der Stellung einer Handschrift in dem Überlieferungszusammenhang, muß einer Edition vorausgehen und macht diese erst möglich. Erst umfassende Kenntnisse dieser Beziehungen erlauben es, die eingetretene Veränderung korrekt zu beurteilen und entsprechend zu edieren und zu kommentieren. Daß auch eine vorbildliche Edition nicht zu einer genauen Klärung der stemmatologischen Verhältnisse führen kann, ist für das Summarium Heinrici schon allein durch den anzunehmenden Verlust einiger Textzeugen im Laufe der Jahrhunderte bedingt. Die besondere Schwierigkeit, angesichts einer nicht geschlossenen Überlieferung die Filiation der Handschriften zu bestimmen, führt einerseits zu der Konsequenz, daß Textbestand und Vollständigkeit der Überlieferungsträger als Kriterien zur Erstellung des Stemmas ausscheiden, andererseits
Editionsprobleme des Summarium Heinrici
75
aber, daß nur eine vollständige und genaue Dokumentation des Überlieferten ausreichende Grundlage weiterer Forschung sein kann 162 .
162 D; e hier am Beispiel der St. Florianer Handschrift F' erfolgte Auseinandersetzung mit Problemen, die sich bei der Edition einer relativ jungen Textfassung des Summarium Heinrici stellen, soll das in meiner Untersuchung der Handschrift Basel, ÖBU. Β IX 31 (S. 144-255) angewandte Editions verfahren, bei dem der handschriftliche Befund möglichst genau wiedergegeben wurde, noch einmal verdeutlichen. Dieses Editionsverfahren ist von Reiner Hildebrandt in einer kürzlich erschienenen Rezension zu der Untersuchung der Baseler Handschrift (ZDA. 119, 1990, S. 470-483) in verschiedener Hinsicht kritisiert worden. Der vorliegende Beitrag versteht sich somit auch als prinzipielle Auseinandersetzung mit den von dem Rezensenten erhobenen Vorwürfen. Sieh dazu auch St. Stricker, in: R. Schützeichel, Addenda und Corrigenda (III), S. 269-297; St. Stricker, Sprachwissenschaft 16 (1991) S. 453-458; St. Stricker, ZDA. 120 (1991) S. 367.
Werner Wegstein Zur Edition der 'Versus de volucribus1 Vorschläge für ein EDV-gestütztes Editions-Supplement I. Werkbeschreibung Unter dem Werktitel 'Versus de volucribus bestiis arboribus piscibus canibus herbis membris humanis' faßt Elias Steinmeyer Verse zusammen, in denen die lateinische Terminologie zu diesen Sachgebieten in Form von Hexametern referiert wird. Hic volucres celi referam sermone fldeli beginnt die Sammlung von 22 Hexametern mit 72 nomina avium, mit dem Vers Nomina paucarum sunt hic socianda ferarum werden zwölf Hexameter mit 38 Tierbezeichnungen ('De nominibus ferarum') eingeleitet und unter Ecce stilo digna ponam campestria ligna sind 17 Hexameter mit 60 Baumbezeichnungen {'De nominibus lignorwn') vereinigt. Die Zahl der Hexameter über die Fischbezeichnungen schwankt. Ob sie und ebenso die 'Versus de canibus', die 'Versus de herbis' und die 'Versus de membris humanis' noch zum Kernbestand gehören oder ob sie dem bewährten Vorbild erst im Laufe der Überlieferung nachgebildet und hinzugefügt sind, muß erst noch geklärt werden. Die Glossen zu den 'Versus' hat E. Steinmeyer im dritten Band der 'Althochdeutschen Glossen' abgedruckt, seinem Editionskonzept entsprechend aufgelöst in die Einzelglossare Α (Versus de volucribus) bis Η (Versus de membris humanis) und beschränkt auf die glossierten Lemmata1. Durch die Breite und Variabilität der Überlieferung kommt den 'Versus'Glossen trotz ihres bescheidenen Umfangs eine besondere Stellung innerhalb der deutschen Glossographie zu. Julius Zacher zählt im Jahre 1880 bereits 26 Handschriften, Elias Steinmeyer berücksichtigt einschließlich der Nachträge 50 Handschriften, mir sind derzeit 85 Textzeugen bekannt, die einzelne oder mehrere 'Versus' in unterschiedlicher Konstellation, mit und ohne deutsche Glossen überliefern2. Intensive Suche und die fortschrei1
StSG. III, S.20-57; Nachträge S.713-715; IV, S.354-358; V. Ergänzungen und Untersuchungen.
2
Man vergleiche W. Wegstein, in: Studia Linguistica et Philologica, S. 285-294. - 22 Handschriften stammen aus dem zwölften Jahrhundert, 18 aus dem 13. Jahrhundert, 17 aus dem 14. Jahrhundert und 27 aus dem 15. Jahrhundert, ein Fragment ist nicht zuverlässig zu datieren.
Zur Edition der 'Versus de volucribus'
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tende Katalogisierung der Handschriftenbestände wird mit Sicherheit noch weitere Textzeugen zum Vorschein bringen, benötigen die 'Versus' doch selten mehr als ein Blatt in einer Handschrift und werden, wo sie nicht in der Masse verwandten Materials verschwinden, nicht in jedem Fall gleich identifiziert3. Die Verwandtschaftsverhältnisse der Handschriften zueinander sind noch nicht geklärt. In ihrer breiten zeitlichen wie räumlichen Streuung liefern sie dem Sprachhistoriker jedoch wichtiges Material für die historische Wortforschung, die Mitüberlieferung gewährt Einblick in die Gebrauchsbedingungen des Textes und mit den Formveränderungen, denen sie im Verlauf der Überlieferung unterliegen, belegen die Versus-Glossen paradigmatisch den Funktionswandel innerhalb der Glossographie: von der Interlinearglosse zwischen den lateinischen Verszeilen über die Kontextglosse in einer Glossensammlung - ohne die lateinischen Hexameter, aber noch in der Reihenfolge der Verse - zum alphabetisch geordneten Glossar, das nur im Idealfall - ohne größere Zusätze und Ergänzungen - noch die Basis der 'Versus' erkennen läßt. II. Datierung Zur Klärung der Entstehung, Datierung und Lokalisierung bleibt, da die Texte selbst zunächst kaum Ansatzpunkte bieten, nur der Rückgriff auf die Überlieferung. Die große Masse der Handschriften stammt aus dem oberdeutschen Sprachraum, doch strahlen die 'Versus' bis ins Niederdeutsche aus. Ein terminus post quem für die Datierung muß vorläufig offen bleiben. Es ist aber festzuhalten, daß bislang keine Handschrift auch nur mit einiger Sicherheit vor das Jahr 1100 zu datieren ist. Dies gilt auch für die zuletzt von Gertraud Müller4 für das elfte Jahrhundert reklamierten Handschriften: Keine dieser Handschriften mit Versus-Glossen ist datiert, die einzige paläographisch untersuchte Handschrift, Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 85, stammt, was den Teil mit den Versus-Glossen betrifft, eindeutig erst aus der ersten Hälfte des zwölften Jahrhunderts, vermutlich aus dem Benediktinerstift Lambach5. In dem Codex Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek Cod. theol. et phil. 2° 210 sind die Versus-Glossen unmittelbar nach den Beschlüssen des Konzils von Piazenca vom Jahr 1095 eingetragen und die Handschrift Augsburg, Bischöfliches Archiv 16, ist - soweit dies derzeit zu beurteilen ist - überlieferungs3
Man vergleiche etwa zur Handschrift Erlangen, Universitätsbibliothek 396 den Katalogeintrag bei H. Fischer, Die lateinischen Pergamenthandschriften der Universitätsbibliothek Erlangen, S. 474 beziehungsweise W. Wegstein, ZdA. 101 (1972) S. 309 A. 19 oder zu Schweizer Handschriften H. Hänger, Mittelhochdeutsche Glossare und Vokabulare in schweizerischen Bibliotheken bis 1500, S.23-25, 38f., 42, 50.
4
BEDSp. 6 (1986) S. 52.
5
Man vergleiche H.J. Hermann, Die deutschen romanischen Handschriften, II, S. lf.
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Werner Wegstein
geschichtlich der Stuttgarter Handschrift nachzuordnen. Zu den aus Tegernseer Handschriften stammenden Fragmenten München, Bayerische Staatsbibliothek Cgm 5250,28^, zwei beschnittenen Hälften eines Oktavblatts, die die 'Versus' aufgelöst in Kontextglossen überliefern, notiert schon E. Steinmeyer 6 'beide bll. haben stark gelitten und ließen sich auch mit hilfe von reagentien nur mangelhaft lesen'. Sie sollten für eine auf die Paläographie gestützte Datierung beiseite bleiben. Als Terminus ante quem bietet sich die Verwendung der 'Versus' und ihrer Glossierung in anderen Glossensammlungen an. So hat sich der Verfasser des 'Summarium Heinrici' der Versus-Glossen bedient, und zwar im Einzelfall mutmaßlich an all den Textstellen, wo die Abfolge der Exzerpte aus dem einschlägigen Kapitel XII,7 von Isidors 'Etymologien' durch Glossen ohne lateinischen Kontext unterbrochen wird, insbesondere wenn nomina und Glossen sonst nur noch für die 'Versus' belegt sind. Das Faktum insgesamt ist freilich nicht zu widerlegen, weil mindestens an einer Stelle - worauf schon E. Steinmeyer hingewiesen hat - eine ganze Verszeile, Vers 13 der 'Versus de volucribus' einschließlich der Glossen, vollständig übernommen ist 7 : Aurificeps, cupude sepicecula cruriculeque. An dem Auftreten dieser Lemmata beziehungsweise der zugehörigen Glossen, die nach Ausweis des Althochdeutschen Glossenwörterbuchs 8 singulär sind und geradezu als Signet der 'Versus de volucribus' gelten können, lassen sich die Spuren dieser 'Versus' - ob nun über das 'Summarium Heinrici' vermittelt oder direkt - noch in den Hildegard-Glossen 9 und dem Glossar Id. (Oxford, Bodleian Library Cod. Jun. 83) 10 weiterverfolgen. Das verläßlichste Datum liefern hier die Hildegard-Glossen, die aus der Zeit zwischen a. 1151 und a. 1158 stammen 11 . III. Überlieferungsgeschichtliche Fragen Fragen zur Entstehung der 'Versus' sind - soweit ich sehe - großenteils noch unbeantwortet: etwa die Frage nach der Werkeinheit, ob eine einzige Sammlung von Hexametern oder mehrere Gedichte, ob von Anfang an als Verbindung von lateinischem Vers und deutscher Glossierung oder ob erst 6
StSG. IV, S. 506.
7
StSG. III, S. 712; R. Hildebrandt, Summarium Heinrici, I, S. 166.
8
StWG.
9
StSG. III, S. 404: Asgiz isfogil 404,19, Waschiz roudil 404,28 und Viperiz warcgengel 404,37.
10
StSG. III, S. 365: Aurificeps hisuogel 365,17; (Pitonius) rudeline 365,22 Cruricula wargingel 365,23 und Sepitecula listera 365,25. Die Glossierung listera, die im 'Summarium Heinrici' durch begisterz/bechsterz ersetzt ist, spricht für unmittelbare Übernahme aus den 'Versus'.
11
VL. III, Sp. 1258.
Zur Edition der 'Versus de volucribus'
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nachträglich glossiert, wie überhaupt das Verhältnis Latein - Deutsch am Beispiel der Lexik genauer zu untersuchen bleibt, denn einige der lateinischen nomina zur Vogelbezeichnung erscheinen als vom Deutschen her motivierte Neubildungen, womöglich auch erst des 12. Jahrhunderts, da sie vorher nicht zu belegen sind 12 . Die Verwendung des Verses zur Vermittlung lateinischer Terminologie deutet auf schulische Zusammenhänge. Damit rücken die 'Versus' als früher Sproß in die Traditionslinie versgebundener lateinisch-deutscher Lexikographie 13 . Diesen Eindruck bestätigt ein Blick auf die 'Versus'-Rezeption. So hat einerseits der Compilator der 'Carmina Burana' zwei der 'Versus', die 'Nomina avium' ('Versus de volucribus') und 'De nominibus ferarum' ('Versus de bestiis') einschließlich der deutschen Glossen - als Lehrgedichte aus dem Schulalltag - in seine Sammlung (Nr. 133 und 134) aufgenommen und ihnen so mindestens den Rang von Gebrauchspoesie zuerkannt. Andererseits finden sich die 'versus'-typischen Vogelbezeichnungen aus Vers 13 der 'Nomina avium' als Aurificeps Ysvogel. Cruricula. Auis quedam. Cupuda. Auis quedam. Sepicecula vel sepiecula Auis, que vocatur lister wieder in den Wörterbüchern der beiden Straßburger Geistlichen Fritsche Closener und Jakob Twinger von Königshofen aus der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts14 und belegen, daß die 'Versus' auch noch in der versorientierten grammatisch-lexikographischen Literatur aus der Schulsphäre aufgegangen sind, die im 13. und 14. Jahrhundert besondere Produktivität entfaltet. IV. Editionsprinzipien Meine Vorschläge zur Textedition gründe ich hier nur auf die unter dem Titel 'Nomina avium' verbreiteten 'Versus de volucribus' und ihre Glossierung. Sie bieten ideale Bedingungen für eine überlieferungskritische Edition: vielfacher Gebrauch mit unterschiedlicher Zweckbestimmung, offene Überlieferungsform, zahlreiche Textveränderungen, wobei das editorische Interesse weniger dem Originaltext eines vermutlich ohnehin anonym bleibenden Autors gilt, sondern vor allem den Mechanismen der Tradierung und Veränderung des Textes - hier besonders der volkssprachlichen Glossierung - bei ihrer Verbreitung im Raum wie im Überlieferungsprozeß
12
W. Wegstein, in: Studia Linguistica et Philologica, S. 291f.
13
Grundlegend dazu D. Klein, in: Überlieferungsgeschichtliche Editionen und Studien zur deutschen Literatur des Mittelalters, S. 131-153.
14
Ich danke Priv.-Doz. Dr. Klaus Kirchert für die Nachweise aus seiner Closener/Twinger-Edition. Das Interpretament lister deutet darauf hin, daß auch hier die 'Versus' unmittelbar als Quelle dienten. Man vergleiche H. Suolahti, Die deutschen Vogelnamen, S.68.
80
Werner Wegstein
durch die Jahrhunderte hindurch 15 . E. Steinmeyer hatte die divergierenden Überlieferungsformen - Interlinearglossen, Kontextglossen und alphabetisch geordnetes Glossar - separat abgedruckt. Aber selbst innerhalb seiner Edition der Interlinearglossen ist die Überlieferung nur noch mühsam zu überblicken, die Abfolge der Interpretamente wechselt von Glosse zu Glosse. Der für die Erstellung eines Stemmas unverzichtbare lateinische Text und sein Strukturgerüst fehlen, Umstellungen von Versen sind kaum noch nachzuvollziehen oder gar in ihrer Genese zu durchschauen. Und mit der wachsenden Zahl der Handschriften wächst auch die Unübersichtlichkeit im Detail. Eine neue Edition ist daher nicht nur durch den Zuwachs an Textzeugen zu rechtfertigen. Meine Überlegungen setzen an bei den für eine überlieferungsgeschichtliche Edition notwendigen Arbeiten, wie sie Georg Steer 16 maßgebend dargestellt hat. Hierzu gehört neben der minutiösen Beschreibung der Textzeugen ('externe Überlieferungsgeschichte') zentral die Darstellung der 'internen Überlieferungsgeschichte', d.h. die Erschließung der Überlieferungswege, redaktionellen Umformungen, Tradierungsänderungen mit dem Ziel einer 'Textgenealogie', mithin die Ermittlung und Verwaltung einer Fülle von Detailinformation. Die Datenverarbeitung hat sich hierbei als ein wesentliches Hilfsmittel des Editors etabliert 17 . Bevor die überlieferungsgeschichtliche Edition jedoch von Variantenapparaten überwuchert wird, die kaum mehr jemand auf bestimmte Detailphänomene wird durchsuchen wollen, sollte überlegt werden, ob nicht die Übersicht und Benutzbarkeit solcher Editionen ohne Preisgabe der Detail information dadurch zu gewährleisten sind, daß man das Medium Datenverarbeitung auch in den Vermittlungsprozeß einbezieht. Die gedruckte Edition wird dadurch keineswegs überflüssig, sie wird ergänzt durch ein EDV-Supplement, das all die Detail Informationen in elektronisch kodierter und damit leicht verfügbarer Form zugänglich macht, die konventionell in gleicher Weise nicht zu handhaben sind. Dazu rechne ich beispielsweise im Falle der 'Versus' die Möglichkeit
15
Zu Ansatz und Prinzipien des Verfahrens vergleiche man K. Ruh, in: Probleme der Edition mittel- und neulateinischer Texte, S. 35-40; G. Steer, in: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung, S. 5-36; G. Steer, in: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung, S. 37-52.
16
In: Überlieferungsgeschichtliche Prosaforschung, S. 23-36.
17
W. Ott - H.W. Gabler - P. Sappler, EDV-Fibel für Editoren; W. Ott, in: H. Kraft, Editionsphilologie, S. 59-70.
Zur Edition der 'Versus de volucribus'
81
das Erscheinungsbild jeder einzelnen Handschrift rekonstruieren zu können, handschriftennah und detailgetreu, quasi eine 'elektronische Transkription' 18 , innerhalb einer Handschrift beliebig nach Lauten, Formen, Wörtern suchen zu können, von jeder einzelnen Handschrift aus einen Blick auf die Varianz der Überlieferung an jeder Stelle werfen zu können und das nicht nur in statischer Anordnung, sondern unter wechselnden, frei wählbaren Gesichtspunkten, also etwa sortiert nach stemmatischen Verhältnissen, nach Provenienz, nach der Chronologie, nach Wortvarianten oder nach der Mitüberlieferung. Alle editorische Kleinarbeit bleibt dadurch unverändert, nur verschwindet sie nicht in einer Anmerkung, im Variantenapparat oder gar im Zettelkasten des Editors, sondern bleibt unter verschiedensten Aspekten zugänglich und dynamisch verfügbar 19 . Der Aufwand für eine solche komplexe Kodierung darf nicht unterschätzt werden. Immerhin gibt es aber mit der Standard Generalized Markup Language (SGML) 20 seit einiger Zeit ein abstraktes Raster in Form einer Norm zur strukturellen Markierung von Texten, das nicht nur dazu geeignet ist, Texte über verschiedene Systeme hinweg austauschbar zu machen, sondern das auch ein Koordinatennetz bietet, in das die fachwissenschaftlich zu erarbeitenden Markierungen und Kodierungen einzutragen sind. Seit mehreren Jahren arbeitet schon eine Text Encoding Initiative, eine offene Arbeitsgruppe, getragen von mehreren philologischen Vereinigungen 21 , gezielt daran, Richtlinien zur Anwendung von Kodierungsverfahren für literarisch-linguistische Aufgaben, darunter auch Editionen, zu formulieren 22 . Lassen sich die vielversprechenden 18
Im Vergleich zum reinen Faksimile kann sie Lesungen des Editors buchstäblich dokumentieren. Denn kaum jemand wird sich intensiver mit den Schreibungen einer Handschrift auseinandersetzen können und müssen, als der Editor. Zugleich sind durch ein solches Transkript unterschiedliche Anforderungen bestimmter Benutzerkreise zu erfüllen, wie sie am Modell einer 'dynamischen Edition' diskutiert wurden. Man vergleiche Norbert Richard Wolf, in: Historische Edition und Computer, S. 375f.
19
Vergleichbare Überlegungen zur neuen Aufgabenverteilung zwischen gedruckten Registern und Quellenbanken diskuiert R. Härtel, in: Historische Edition und Computer, S. 67-84.
20
C.F. Goldfarb, The SGML Handbook.
21
Association for Computers and the Humanities, Association for Computational Linguistics, Association for Literary and Linguistic Computing.
22
Im Entwurf 1.1 der 'Guidelines for the Encoding and Interchange of MachineReadable Texts' ist als Beispiel für die Kodierung paralleler Textüberlieferung Psalm 23 in der King James Version, in Martin Luthers Ubersetzung von a.1534, in der Vulgatafassung und als moderner lateinischer Liturgietext kollationiert: C.M. SperbergMcQueen - L. Burnard (Ed.), Guidelines For the Encoding and Interchange of Machine-Readable Texts, Draft: Version 1.1, S. 218-233.
82
Werner Wegstein
Ansätze überzeugend in die Praxis umsetzen, würde dies bedeuten, daß Buchedition und EDV-Supplement ohne zusätzliche Anstrengungen praktisch aus der gleichen Quelle gespeist werden könnten, den EDV-Daten des Editors. EDV-Supplement muß dabei nicht bedeuten, daß nun jeder Edition eine Diskette beigelegt wird, oder gar eine CompactDisk, deren beträchtliches Speichervolumen auch noch für die Bildinformation zur handschriftlichen Überlieferung - in akzeptabler optischer Auflösung - ausreichen würde. Vielmehr erscheint es mir sehr bedenkenswert, das elektronische Supplement nur an einer Stelle zur Verfügung zu halten und allen interessierten Benutzern individuelle Recherchen über Datennetze zu ermöglichen, zum Beispiel über das Wissenschaftsnetz der Hochschulen, oder vergleichbare Einrichtungen wie das Mailboxsystem der Bundespost, das den Zugang zu elektronischen Daten über eine Telefonleitung erlaubt. Die Arbeit mit kritischen Editionen könnte dadurch jedenfalls eine neue Qualität gewinnen, weil sich der Leser quasi das Kollationsheft des Editors auf den Bildschirm oder den Schreibtisch holen kann. Umgekehrt gewinnt der Editor durch die Arbeitsteilung zwischen Buchedition und EDV-Supplement größeren Freiraum. Abgeschlossene Teile der Edition können noch während der Editionsarbeit der wissenschaftlichen Öffentlichkeit zur Diskussion gestellt werden, ein Verfahren, vergleichbar dem der 'Vorausedition' mit jährlich erscheinenden Faszikeln, das H. Schepers 23 seit vielen Jahren mit Erfolg für die Leibniz-Edition praktiziert. Und schließlich könnte auf diese Weise das EDV-Supplement auch nach Abschluß der Buchedition schrittweise noch durch phonologische, morphologische oder lexikalisch-etymologische Informationen ergänzt werden, ohne daß dadurch der Wert der Edition gemindert würde. Natürlich verursacht das vorgeschlagene EDV-Supplement auch Kosten. Ein Versuch damit könnte aber zeigen, ob der Ertrag den Aufwand lohnt.
23
G. W. Leibniz, Philosophische Schriften. 16 Jahre EDV-Erfahrung bei der Editionsarbeit, S. 2-4.
Wolfgang Kleiber Zur Otfridedition I. Einleitung 1. Vorbemerkungen1. - Edward Schröder 2 schrieb in der Vorrede zu seinem 1934 erschienenen kleinen Otfrid: 'Daß bei dem nicht nur für das literarische Deutschland aller Zeiten, sondern, wie ich annehmen möchte, innerhalb der gesamten Literatur des Abendlandes einzigartig guten und zuverlässigen Uberlieferungsstand, und gegenüber der hohen und gegenseitig abwägbaren Gewissenhaftigkeit von vier Herausgebern (Graff, Kelle, Piper, Erdmann) für den Wortlaut und die Lautform des Textes etwas wesentliches herauskommen würde, war von vornherein so gut wie ausgeschlossen'. Im folgenden möchte ich im Anschluß an frühere Arbeiten 3 und unter Offenhaltung neuerer Methoden der EDV-Technik 4 ausführen, warum eine 'nova recensio' notwendig ist und nach welchen Grundsätzen eine solche einzurichten sein wird 5 . Es kann sich nur um eine grobe Skizze handeln. Ich verzichte im folgenden auf die eingehende Charakterisierung früherer Editionen wie die von Eberhard Gottlieb Graff 6 , Johann Kelle 7 , Paul Piper 8 und Oskar Erdmann 9 . 1
Im folgenden wird der Bamberger Kurzvortrag vom 27. Juni 1991 unverändert wiedergegeben. Lediglich die Anmerkungen und die entsprechende Literatur wurden hinzugefügt. Weggefallen sind die seinerzeit als Anschauungsmaterialien gedachten Anwendungsbeispiele modemer Textverarbeitung (TUSTEP, s. A. 4).
2
Otfrids Evangelienbuch, S. X.
-5 4
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, München 1971; W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg, Darmstadt 1978. Sieh zum Beispiel Anton Schwöb - Karin Kranich-Hofbauer - Diethard Suntinger, Historische Edition und Computer. Überzeugende Anwendungsmöglichkeiten liegen im Bereich der Textkritik: automatische Kollation der Textzeugen, automatische Wortformenverzeichnisse, Reimverzeichnisse und anderes mehr. Herrn Kurt Gärtner danke ich für die Erstellung von einschlägigen Probeausdrucken für die Sitzung am 13.06.1991 in Bamberg; sieh auch Kurt Gärtner, Zur Bedeutung des Computers für die Edition altdeutscher Texte, S. 344-356.
5
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, bes. S. 338-340.
6
Krist; Johann Schilter, Otfridi Weißenburgensis volumen evangeliorum.
7
Otfrids von Weißenburg Evangelienbuch, I-III.
8
Otfrids Evangelienbuch, I-II.
84
Wolfgang Kleiber
II. Handschriftliche Überlieferung 1. Die vier Textzeugen V
Codex Vindobonensis, Österreichische Nationalbibliothek Wien Cod. 2687, theol. 345. Weißenburg zweite Hälfte neuntes Jahrhundert 10 . Codex Palatinus, Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. lat. 52. Weißenburg zweite Hälfte neuntes Jahrhundert 11 . Codex Frisingensis, München, Bayerische Staatsbibliothek Cgm 14. Freising Anfang zehntes Jahrhundert 12 . Codex Discissus13 - Wolfenbüttel, Herzog-August-Bibliothek Cod. Guelf. 131.1. Extravagantes. - Bonn, Universitätsbibliothek Cod. 499 (78). - Berlin, Preußische Staatsbibliothek Ms. germ, quart. 504 (Krakau, Bibliotheka Jagiellonska).
Ρ F D
2. Zeitstellung, Provenienz, Abhängigkeitsverhältnisse. - VP sind im letzten Drittel des neunten Jahrhunderts in Weißenburg entstanden. V unter Aufsicht Otfrids, der tausende von Korrekturen angebracht, einzelne Kapitel und Verse nachgetragen, die Kapitelverzeichnisse ergänzt und die Akzente übergeschrieben hat 14 . In dem Korrektor ist Otfrid selbst zu erblicken. Seine Hand kehrt in acht Weißenburger Handschriften, vor allem in Katenenkommentaren zur Bibel wieder 15 . Ρ ist kurz nach Fertigstellung von V von den Haupthänden in V (V^ V 2 = Pj P 2 ) ungefähr in den gleichen Textabschnitten aber ohne Korrekturen Otfrids auf der Basis von V ' Otfrids Evangelienbuch. Johanna Belkin - Jürgen Meier, Bibliographie zu Otfrid von Weißenburg und zur altsächsischen Bibeldichtung, S. 14.
10
11
Ebenda, S. 14f.
12
Ebenda, S. 15.
13
Ebenda, S. 15f.
14
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 89-98.
15
Ebenda, S. 102-112; Katenenkommentare zur Bibel: Cod. Guelf. 26 Weiß. (Vier Evangelien), Cod. Guelf. 32 Weiß. (Jeremias); Cod. Guelf. 33 Weiß. (Jesaias); Cod. Guelf. 36 Weiß. (Zwölf Propheten); Cod. Guelf. 59 Weiß. (Actus Apostolorum); Cod. Guelf. 87 Β Weiß. (Genesis, als Otfrid-Autograph unsicher). Über weitere Autographe W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 102ff. Zur Autographenfrage sieh Bernhard Bischoffs Äußerung, zitiert in Ernst Hellgardt, Die exegetischen Quellen von Otfrids Evangelienbuch, S. 98ff. Zu Otfrids Bibelkommentaren sieh Bernhard Bischoff, Paläographie des römischen Altertums und des abendländischen Mittelalters, S. 159.
Zur Otfridedition
85
abgeschrieben worden 16 . Die Handschrift Ρ enthält in einzelnen Punkten eine konsequente Weiterfuhrung des Textes von V, ζ. B. was die Initialen betrifft 17 . Fehler und Auslassungen qualifizieren diese Textstufe jedoch etwas unter der Verläßlichkeit von V 1 8 . Auch DF ruhen auf V. F ist in Freising zu Anfang des zehnten Jahrhunderts19, D im letzten Drittel des zehnten Jahrhunderts in Fulda entstanden20. 3. Vollfaksimilia 21 . - Ein Faksimile von V, mit einer Einleitung von Hans Butzmann, erschien 1972 22 . Von D wird durch Wolfgang Milde ein Faksimile vorbereitet 23 . Von Ρ wäre wegen der textkritischen Bedeutung dieser Handschrift eine Faksimilierung ebenfalls sehr erwünscht 24 . Eine Faksimilierung von F scheint derzeit nicht vorgesehen 25 .
III. Zur 'nova recensio1 des 'über evangeliorum' 1. Begründung 26 . - a) Keine der bisher vorliegenden Ausgaben enthält den gesamten, jetzt bekannten Otfridtext. Dies gilt besonders für die neuen
16
Eingehende Untersuchungen zu den Schreibern von V und P, insbesondere zum Verhältnis Vi V 2 / Pi P2: W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 40-76. Zusammenfassung: S. 80-84.
17
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 53-67.
18
Ebenda, S. 84 u.ö.
19
B. Bischoff, FMSt. 5 (1971) S. 105.
20
Ebenda, bes. S. 104f. Schulgemeinschaft mit der Schrift des Fuldaer Sakramentars, das um a.975 datiert wird.
21
J. Belkin - J. Meier, Bibliographie, S. 17f. Weiteres W. Kleiber (Hrsg.), Otfrid von Weißenburg, S. 416.
22
Die Technik der Faksimilierung von V durch die Akademische Druck- und Verlagsanstalt in Graz (1972) weist bisher unbemerkte Mängel auf. Dies gilt besonders für die Abschattierungen der Farbtöne, welche unter anderem für die Händedifferenzierungen sowie für die chronologische Schichtung der Eintragungen wichtig sind. Ein besonders grober Fehler unterlief beispielweise fol. l l l r , wo Zeile 13-22 ( = Otfrid III 26, 47-56) rot faksimiliert wurden.
23
Sieh den folgenden Beitrag in diesem Sammelband. Herrn Wolfgang Milde, Wolfenbüttel, danke ich für freundliche Hinweise und die Überlassung einer Faksimileseite aus D.
24
Herrn Wilfried Werner danke ich für die mehrfach ermöglichte Autopsie des Originals von Cod. Pal. lat. 52 in Heidelberg.
25
Eine Anfrage bei der Bayerischen Staatsbibliothek, München, ergab nichts Konkretes. Der Bibliotheksverwaltung danke ich für die Anfertigung von einigen neuen photographischen Aufnahmen aus F.
26
Erste skizzenhafte Vorschläge für eine 'nova recensio' sieh W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 338-340. Dazu Werner Schröder, PBB. 96 (1974) S. 78 u.ö.
86
Wolfgang Kleiber
Bruchstücke des Discissus 27 . Die autographen Katenenkommentare Otfrids, die zu einem umfassenden Weißenburger Bibelwerk gehören 28 , die lateinischen und althochdeutschen Glossen 29 Otfrids sind zunächst von den Überlegungen zur Neuausgabe des Evangelienbuches zu trennen. Sie stellen eigene Darstellungsprobleme und erfordern besondere Methoden 30 . b) Keine der bisher vorliegenden Ausgaben erfüllt in befriedigender Weise die Grundforderung handschriftennaher Präsentation aller text- und formkonstitutiver Merkmale der Primärüberlieferung VP. Dies betrifft vor allem zwei Punkte: - Positionierung und Textkritik der Marginalien31 - Die Initialen 32 c) Trotz der hohen Zuverlässigkeit bisheriger Ausgaben hat die Autopsie und die Neukollationierung der Handschriften VPDF eine unerwartet hohe Zahl von Besserungen in den Textdetails ergeben, deren Berücksichtigung in einer neuen Edition erforderlich ist 33 . 2. Zielsetzungen. - a) Oberstes Ziel muß die möglichst genaue Wiedergabe des Handexemplars Otfrids, des Codex Vindobonensis 2687, in allen Phasen vom unfertigen Urexemplar bis zum fertig korrigierten und autorisierten Endexemplar sein 34 . 27
Heinrich Herbst, ZDGG. 2 (1936) S. 131-140, S. 147-152 (wiederabgedruckt: Otfrid von Weißenburg. Herausgegeben von W. Kleiber, S. 52-73); Heinrich Herbst, ZDA. 74 (1937) S. 117-125.
28
Sieh oben A. 15.
29
Eine erste Zusammenstellung der Otfrid-Glossen, verknüpft mit einer grammatischen Untersuchung sieh W. Kleiber, Althochdeutsch, I, S. 532-544.
3
® Die Hrabanschen Bibelkommentare bedürfen dringend einer neuen kritischen Edition, um die Text- und Überlieferungsgeschichte der autographen Otfridschen Katenenkommentare beurteilen zu können. Von besonderer Bedeutung ist der von Otfrid (im Cod. Guelf. 26 Weiß.) rezipierte Johanneskommentar Ercanberts, der seinerseits unter anderem auf dem Johanneskommentar Alcuins beruht und von dem bislang vier Handschriften aus dem neunten Jahrhundert bekannt sind: Emst Hellgardt, Die exegetischen Quellen von Otfrids Evangelienbuch, zu Ercanbert S. 229-255.
31
Sieh unten im Abschnitt III.3.a).
32
Sieh unten im Abschnitt III.3.b).
33
Zu nennen sind beispielsweise: Fehler in den Schriftzuweisungen, vor allem des Korrektors in V; zahlreiche fehlende, falsch oder unzulänglich identifizierte und beschriebene Rasuren, Abbreviaturen, Interpunktionszeichen, Diakritika, Neumen oder neumenartige Zeichen und so weiter (sieh unten, Abschnitt III.2. und III.3).
34
Die Otfridedition kann auf teilautographer, vom Dichter selbst autorisierter Originalüberlieferung aufbauen. Ein seltener Glücksfall. Werner Schröder, Sprachgeschichte. Erster Halbband, S. 684: Originale, vom Autor korrigierte und approbierte literarische Texte wie die Wiener Handschrift von Otfrids Evangelienbuch oder die Breslauer und die Ebersberger von Willirams Kommentar zum Hohen Liede haben im Mittelalter Seltenheitswert. In aller Regel besteht die Überlieferung aus Abschriften meist zweiten und dritten Grades'.
Zur Otfridedition
87
Alle Korrekturen (Rasuren) in V sind peinlich genau zu registrieren. Der Zustand vor der Korrektur ist zu rekonstruieren. Dies gilt nicht nur für die von Otfirid selbst herrührenden Korrekturen, sondern auch für alle anderen Korrektoreneingriffe in PDF. Ziel ist also nicht nur die genaue Reproduktion des Otfridschen Handexemplars in seiner Endfassung, sondern auch die Erschließung allfälliger interner Entstehungs- und Korrekturphasen. Das heißt, die textkritisch gesehen einzigartige Chance, mögliche Vorstufen von V im Spiegel der Korrektor-Eingriffe (= Otfrids) zu rekonstruieren, ist planmäßig zu nutzer? 5 . b) Zweites Ziel ist danach die systematische Darstellung der Überlieferungsgeschichte des Otfridtextes nach V. Die Lesarten von VPD sind im kritischen Apparat vollständig, in Auswahl von F, zu registrierer? 6 . c) Drittes Ziel wäre die unter pragmatischem Aspekt vorzusehende Aufspaltung in eine wissenschaftlich-dokumentarischen Zwecken dienende Großausgabe und eine praktischen Studienzwecken dienende Kleinausgabe 37 . Wünschenswert wären begleitende Kommentarbände (s. Abschnitt V). 3. Zur Textgestaltung im einzelnen. - a) Plazierung und Textkritik der Marginalien: Die lateinischen Marginalien finden, wie in den Handschriften, wo sie durch rote Schrift hervorgehoben sind, ihren Platz neben den betreffenden althochdeutschen Versen 38 . Sämtliche Text- und Positionsvarianten (PDF) sind im kritischen Apparat zu verzeichnen. Die verschiedenen Anteile der Schreiberhände, (von besonderer Bedeutung ist die Handschrift des Korrektors), sind graphisch kenntlich zu machen 39 . b) Strophenbau: Die äußere Anordnung der Strophen und Strophengruppen wird, wie in allen bisherigen Ausgaben auch, streng nach den HandDie Faksimilierung von V kann die erneute Autopsie des Wiener Originals nicht ersetzen. Dies gilt besonders für Lesarten der Rasuren und Korrekturen, welche mit Hilfe moderner Methoden (ultraviolettes Licht) zu überprüfen sind. Zur Handschriftenkunde grundlegend: B. Bischoff, Paläographie. 36
Beispiele unten im Abschnitt VI: Handschriften- und Editionsproben.
37
Anzuknüpfen wäre dabei an die bekanntlich seit a.1882 bestehende und bewährte funktionale Aufteilung der Otfridedition. ('Großer' versus 'Kleiner Otfrid'), sieh unten Abschnitt III.4.
q e
In den nach textkritischen Methoden gearbeiteten Gesamtausgaben von Johann Kelle, Paul Piper, Oskar Erdmann (und so weiter) sind seit a.1856 die Marginalien in den Apparat verbannt, dort teilweise untermischt mit Vulgataparallelen. Dieses Verfahren widerspricht völlig der den Marginalien von Otfrid offensichtlich zugedachten exegetischen und formalen Funktion. W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 82, 256f. u. A. 349 u.ö. Für die formale Funktion sieh neben Kapitel IV 11 auch II 16: Verf. W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 286ff. Sieh Abschnitt VI. Zur Marginalschrift sieh B. Bischoff, Paläographie, S. 107f. u.ö. 39
Zur Paläographie und Textkritik der Marginalien sieh W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 68, 69 u. A. 323; S. 81f.; S. 99 A. 480; S. 253; S. 343 u.ö. Marginalien des Korrektors: S. 97 u. A. 467; S. 104; S. 113; S. 116; S. 121; S. 344f.
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Wolfgang Kleiber
Schriften (VPD) dargeboten. Die Versteilungspunkte nach V werden übernommen. Die Besonderheiten von F sollen in die Einleitung verwiesen werden. Als sogenannte Kehrreimstrophen dürfen allenfalls diejenigen Strophen beziehungsweise Verse graphisch, etwa durch Einrückung, abgesetzt werden, die dafür in der handschriftlichen Überlieferung eine Stütze haben 40 . Die willkürlichen Einklammerungen O. Erdmanns entfallet 1 . c) Initialensystem: Die Initialentechnik in VP ist in einzigartiger Weise differenziert und hierarchisiert42. Graphisch sind zu unterscheiden: Kapitelinitialen (Großbuchstaben, Farbe rot), Stropheninitialen (Großbuchstaben, Farbe rot), Strophengruppeninitialen (Großbuchstaben, Farbe rot). Die Strophengruppeninitialen, sie begegnen nur in V und P, können durch folgende Distinktionsmittel gekennzeichnet werden: 1. Größe: Breite / Höhe 2. Einrückung (auch in Kapitelinitialen) 3. Folgemajuskeln (Zweit-, Drittmajuskeln verkleinert) 4. Wahl bestimmter Buchstaben aus dem Capitalis- oder Capitalis rusticaAlphabet. Diese Initialentechnik ist textkritisch zu behandeln, das heißt, die Abweichungen von V, es kommt nur noch Ρ in Frage, da DF keine Strophengruppeninitialen aufweisen, sind genau zu beschreiben. Selbstverständlich rein descriptiv-paläographisch, was bedeutet, daß interpretative, inhaltliche oder zahlensymbolische Kriterien keine Rolle spielen dürfen. In der Einleitung kann durch eine Matrixübersicht ein Gesamtbild über die Initialentechnik in VP vermittelt werden 43 . Zu den Kriterien sieh W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 225234 und S. 233f. Echte Kehrreimstrophen sind danach Schlußrefrains, sie stehen am Ende von Strophengruppen, wie zum Beispiel bei den Kapiteln II 1, V 1, V 19, V 23. Es handelt sich um zahlreiche, den Lesefluß störende Einklammerungen Oskar Erdmanns, die er meist zur Kennzeichnung angeblich 'persönlicher' Bemerkungen Otfrids verwendet. 42
Daß das Initialensystem in VP von allen bisherigen Herausgebern unbeachtet, das heißt in den Editionen unberücksichtigt geblieben ist, dürfte zu den zeittypischen Merkmalen der Editionspraxis des 19. Jahrhunderts gehören, als man eine allzu geringe Meinung von den 'ungebildeten Schreibern' und Kopisten mittelalterlicher Texte hatte. Die Integration des Otfridschen Initialensystems in eine künftige Groß- und Kleinausgabe halte ich für eine der vordringlichsten textkritischen Aufgaben im Hinblick auf die historisch-exegetische und formgeschichtliche Interpretation des Evangelienbuches. Offen bleibt vorläufig die Frage nach den direkten Vorbildern des dreistufigen Initialensystems Otfrids. Erfunden hat er es sicher nicht. Neu ist wohl die Anwendung auf vulgärsprachliche Texte. Auf eine ähnliche Initialenabstufung in den dreispaltigen Doppelkommentaren zum Hohelied Willirams von Ebersberg in der Ebersberger (zweites Viertel des 11. Jahrhunderts) und der Wiener Handschrift (zweites Viertel des 12. Jahrhunderts) weist mich freundlichst Kurt Gärtner (Trier) hin. Näheres, mit Abbildungen, Kurt Gärtner, Deutsche Handschriften 1100-1400, S. 1-34. Über Initialen B. Bischoff, Paläographie, S. 272ff., 280f., 285f. u.ö.
43
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 56; Verzeichnis der Strophengruppengliederung im Evangelienbuch ebenda, S. 195-210. Nach dem Erscheinen der Faksimileedition von V hat sich Werner Schröder in seiner Rezension von 1974,
Zur Otfridedition
89
Die Strophengruppeninitialen fassen inhaltliche Einheiten zusammen und müssen als von Otfrid gewollte Merkzeichen in der Edition, und zwar in der Groß- wie in der Kleinausgabe, graphisch hervorgehoben werderf*4. d) Die Hierarchie der Auszeichnungsschriften, in den Überschriften, Kapitelverzeichnissen und dergleichen auftretend, ist zeit- und schreibertypisch und muß beschrieben werden 45 . Dies gilt auch für die lateinischen und deutschen Nomina Sacra 4 6 . e) Die diakritischen Zeichen (Virgen, 'phonetische Zeichen', Neumen, Romanusbuchstaben u. a.) sind alle zu berücksichtigen47. Grundlage ist ( V P ) 1 + 2 . Da, wo, wie teilweise in V, vom Korrektor ( = Otfrid) die Virgen von den phonetischen Akzenten durch die Art (Länge) der Ausführung geschieden werden, ist dies zu verzeichnen 48 . f) Die originale Interpunktion der Handschriften soll im Text nur ausnahmsweise aufscheinen, in der Einleitung jedoch eine zusammenfassende Darstellung finden. Zugunsten einer leserfreundlichen Präsentation wird in der Ausgabe zur Verdeutlichung syntaktischer und inhaltlicher Zusammenhänge die moderne Zeichensetzung angewendet49.
PBB. 96 (1974) S. 66-75, mit den Strophengruppeninitialen auseinandergesetzt und Korrekturen an meiner 'Maximalliste' angebracht. Daß die Strophengruppeninitialen von Otfrid (Stadium VP) autorisiert sind, bestreitet er zu Unrecht. Eine Erklärung ihrer Funktion außer dem 'Abwechslungs- und Schmuckbedürfnis der Schreiber' (ebenda, S. 71) hat er nicht. 4 4
Ein Beispiel in W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 189-194 (Kapitel III 23). Zur Texteinrichtung sieh die im Abschnitt VI beigefügten Handschriften-, Transliterations- und Editionsproben.
4 5
W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 50, 80 u.ö.
4 6
Abbreviaturen, darunter von großer Bedeutung die der Nomina Sacra, wurden bislang nicht beachtet. Ihre Verwendung ist schreiberspezifisch, sieh W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 72-76. B. Bischoff, Paläographie, S. 118, 204, 206, 209.
4 7
Es handelt sich, wie unter anderem Ewald Jammers mehrfach dargetan hat (HJ. 1, 1957, S. 31-90; Tafeln zur Neumenschrift u.ö.) um musikalische Vortragszeichen, deren Häufung im Weißenburger Skriptorium auf erstaunliche, relativ frühe 'musikalische' Aktivitäten schließen lassen; sieh W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 234-242. Auf die sogenannten 'phonetischen' Akzente, die in Oskar Erdmanns Editionen ebensowenig Berücksichtigung fanden wie die 'Versteilungspunkte', kann nicht verzichtet werden. B. Bischoff, Paläographie, S. 229ff.
4 8
In Paul Pipers Ausgabe (Tübingen 1882) zum Teil minutiös beschrieben. Sieh auch die Editionsproben in Abschnitt VI. Auf die Bezeichnung der Vokallängen durch Zirkumflex-Diakrisen wird verzichtet.
4 9
Dies wäre eine meines Erachtens vertretbare 'Modernisierung'. Es soll jedoch darauf hingewiesen werden, daß in der Diskussion (Sektion Althochdeutsch am 27.06.1991) gegenüber dieser beabsichtigten Regelung Widerspruch erhoben und der Wunsch nach Berücksichtigung der originalen Interpunktion geäußert wurde.
90
Wolfgang Kleiber
g) Die Worttrennung erfolgt nach modernen Gesichtspunkten. In der Einleitung soll das Verfahren der einzelnen Handschriften beziehungsweise der Schreiber zusammenfassend beschrieben werden 50 . 4. Die Kleinausgabe. - Die Konzeption kann hier nur grob skizziert werden. Der 'Kleine Otfrid' ist vor allem für praktische Studienzwecke gedacht und orientiert sich an der bewährten Reihe der Altdeutschen Textbibliothek 51 . Text und Textanordnung der Großausgabe müssen beibehalten werden, während der Apparat einschneidend zu reduzieren ist. Auch die Einleitung ist auf das Wesentlichste zu beschränken. Das in der bisherigen Kleinausgabe im Anhang figurierende Otfrid-Wörterbuch kann wohl im Blick auf das sehr handliche Althochdeutsche Wörterbuch entfallen? 2 .
IV. Einleitung: Inhaltsübersicht 1. Geschichte des Klosters. - Ein Abriß der Klostergeschichte versteht sich von selbst. Die älteren Darstellungen sind überholt. Den Ergebnissen moderner prosopographischer Untersuchungen zur Geschichte karolingischer Konvente, beziehungsweise hervorragender Einzelpersonen (Grimald, Otfrid und andere), ist Rechnung zu tragen. Auf die Vita Otfrids fällt neues Licht 53 · Otfrids Evangelienbuch ist in die Geschichte des Weißenburger Skriptoriums und seiner Bibliothek einzuordnen. Der Standort des althochdeutschen 'liber evangeliorum' innerhalb des umfassenden lateinischen Bibelkommentarwerkes, das Otfrid als Magister Scolae aufgebaut hat, ist neu zu bestimmen 54 . Die Rolle des Althochdeutschen in Wei-
5
® Auch dies eine, allerdings von allen bisherigen Herausgebern stillschweigend vorgenommene 'Normalisierung'. Daß diese Praxis überhaupt erwähnt werden muß, zeigt die zunehmende Empfindlichkeit gegenüber editorischen Eingriffen, selbst wenn diese - höchst eingeschränkt - im wohlverstandenen Interesse des Lesers erfolgen. Die Grenze zwischen Edition und bloßem Textabdruck ist in jedem Fall doch auch vom primären Verwendungszweck der Edition zu bestimmen.
51
Die sechste Auflage des Evangelienbuches in dieser Reihe (ATB 49), besorgt von Ludwig Wolff, erschien 1973.
52
Rudolf Schützeichel, Althochdeutsches Wörterbuch.
53
Wolfgang Haubrichs, ZGORh. 118 (1970) S. 1-42; W. Haubrichs, ABÄG. 4 (1973) S. 42-112; W. Haubrichs, Eine prosopographische Skizze zu Otfrid von Weißenburg, S. 397-413; W. Schröder, VL. VII, S. 173-175.
54
Hans Butzmann , Die Weißenburger Handschriften; W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 123-160; E. Hellgardt, Die exegetischen Quellen; W. Schröder,VL. VII, S. 175-179.
Zur Otfridedition
91
ßenburg kann durch Einbeziehung der Glossen Otfrids schärfer beleuchtet werden 55 . 2. Handschriftenbeschreibungen. - Neue, möglichst vollständige und nach einheitlichen Kriterien erstellte Handschriftenbeschreibungen der OtfridÜberlieferung VPFD sind notwendig56. 3. Otfridforschung. - Zu schreiben ist ein Abriß der Geschichte der Otfridforschung unter besonderer Berücksichtigung der Bemühungen um den Otfrid-Text und seiner Erschließung unter Einbeziehung der Rezeptionsgeschichte 57 . 4. Vortragszeichen (Neunten und anderes). - Ein Abschnitt 'Otfrid und die Musik' hat die neuentdeckten Vortragszeichen, Neumen, Romanusbuchstaben und ähnliches in der Weißenburger Überlieferung textkritisch zu sichten und auf dem Hintergrund der neueren musikgeschichtlichen Forschung über den Vortrag mittelalterlicher Dichtung und speziell zum Otfrid-Vers (Accentus Moguntinus) zu interpretieren58.
55
H. Butzmann, PBB. 86 (1964) S. 388-402. W. Kleiber, Althochdeutsch, I, S. 532-544. W. Schröder, VL. VII, Sp. 179. Auf die Neueditionen der Weißenburger Traditionen (Anton Doli, Traditiones Wizemburgenses) und des Liber Possessionum durch Christoph Dette, Liber Possessionum Wizenburgensis, (dazu A. Doli, AMRhK. 41, 1989, S. 437-463) ist besonders hinzuweisen.
56
Neuere Handschriftenbeschreibungen von V liegen mehrfach vor: Hermann Julius Hermann, Die illuminierten Handschriften und Inkunabeln der Nationalbibliothek Wien N.F. 1, S. 126-131 (mit Abbildungen u. 2 Tafeln); Hermann Menhardt, Verzeichnis der altdeutschen literarischen Handschriften, I, S. 113-115 (S. lOf. Einleitung); H. Butzmann, Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppen Extravagantes, Novi und Novissimi, S. 1-30, bes. S. 15-24 (mit zwei Abbildungen). Die anderen Otfridhandschriften erfreuten sich geringeren Interesses. Von Ρ ist eine genauere Beschreibung durch Wilfried Werner, von D durch Wolfgang Milde zu erwarten. Zu F vergleiche man Erich Petzet, Die deutschen Pergament-Handschriften Nr. 1-200 der Staatsbibliothek in München, S. 24-26.
57
Neueres Interesse gewinnt die Verfolgung der Geschichte der Otfridhandschriften seit dem ausgehenden Mittelalter, man vergleiche H. Butzmann, Bibliotheca docet, S. 3944 (P); H. Butzmann, Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppen Extravagantes, Novi und Novissimi, S. 31-44; Rudolf Schützeichel, Codex Pal. lat. 52, (P). Zur frühen Rezeptionsgeschichte Otfrids und speziell zur Rolle des Sponheimer Abtes Johannes Trithemius jetzt: E. Hellgardt, ... nulli suo tempore secundus, S. 355-375. Trithemius-Texte bei W. Kleiber (Hg.), Otfrid von Weißenburg, S. 11-17.
58
Zur Überlieferung und zur Vortragsweise: W. Kleiber, Otfrid von Weißenburg. Untersuchungen, S. 234-250; E. Jammers, HJ. 1 (1957) S. 31-90; wiederabgedruckt von W. Kleiber (Hrsg.), Otfrid von Weißenburg, S. 114-192; Karl Heinrich Bertau - Rudolf Stephan, ZDA. 71 (1958/59) S. 57-73; wiederabgedruckt von W. Kleiber (Hrsg.) Otfrid von Weißenburg, S. 193-218; Christoph Petzsch, Euphorion 56 (1962) S. 397401; wiederabgedruckt von W. Kleiber (Hrsg.), Otfrid von Weißenburg, S. 219-228 (und so weiter).
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Wolfgang Kleiber
5. Graphetik / Graphemik. - Notwendig ist eine neue Otfrid-Grammatik unter besonderer Berücksichtigung der einzelnen Schreiberhände (VP)j, (VP) 2 ; V^ Otfrid = Korrektor (et cetera). Es soll versucht werden, die Besonderheiten der Schreiber anhand einer differenzierten Analyse graphetischer und graphematischer (auch lexikalischer) Merkmale herauszuarbeiten 59 . 6. Bibliographie. - Die bisherigen mehr oder minder vollständigen OtfridBibliographien60 müssen fortgeführt werden. In die Großausgabe gehört nur Neueres und Wesentliches.
V. Nichtberücksichtigtes 1. Quellennachweise. - Mit Rücksicht auf die derzeit ergebnisreiche, im Fluß befindliche Quellenforschung zu Otfrid 61 ist es geboten, Textpräsentation und Quellenangaben zu trennen. Dies umso mehr, als feststeht, daß eine einheitliche, 'direkte' Quelle Otfrids nach wie vor nicht auszumachen ist 62 . Hinweise auf einzelne exegetische Quellen oder Kommentare - mit ausführlichen Zitaten - sollten die künftige Groß- und Kleinausgabe nicht belasten 63 . Die Vulgataparallelen müßten, wenn man sie nicht ebenfalls in einen Kommentarband verweisen will, nach dem Otfridautograph Cod. Guelf. 26 Weiß, zitiert werden. 2. Kommentare. - Ein Desideratum wäre ein ausfuhrlicher Stellenkommentar, der das gesamte Werk sprachlich, formal, interpretatorisch zu erschließen hätte 64 .
Es fehlt eine neuere, zusammenfassende Untersuchung zu Otfrids Schriftdialekt unter planmäßiger Einbeziehung der Lexik beziehungsweise der Wortgeographie. Dazu jetzt einige Bemerkungen bei Rudolf Post, Pfälzisch, S. 58 u.ö. Zur Graphemik des Konsonantensystems sieh Franz Simmler, Die westgermanische Konsonantengemination, S. 111-408. Zur Otfrid-Syntax sieh Albrecht Greule, Valenz, Satz und Text. 6
® J . Belkin - J. Meier, Bibliographie; Ulrich Ernst, Annali. Sezione Germanica. Filologia Germanica, S. 317-325; W. Kleiber (Hg.), Otfrid von Weißenburg, S. 415429; W. Schröder, VL. VII, S. 190-193.
61
Rudolf Schmidt, ZDA. 96 (1967) S. 81-96; E. Hellgardt, Die exegetischen Quellen von Otfrids Evangelienbuch.
62
Zuletzt E. Hellgardt, Die exegetischen Quellen von Otfrids Evangelienbuch, S. 211 u.ö.
63
Die Hinweise in Oskar Erdmanns Groß- und Kleinausgaben sind vom heutigen Stand der Quellenforschung aus betrachtet überholt.
64
Gisela Vollmann-Profe, Kommentar zu Otfrids Evangelienbuch (Widmungen, Buch I, 1-11).
Zur Otfridedition
93
3. Wörterbuch (Index, Reimwörterbuch). - Der Otfirid-Wortschatz ist sehr gut erforscht. Jüngst kam ein Wortindex dazu. Es fehlt ein zureichendes Reimwörterbuch 65 . 4. Übersetzung. - Immer noch ermangelt das Evangelienbuch, von Teilübersetzungen abgesehen, einer modernen Übertragung 66 . Eine Übersetzung ins Englische 67 (B. Kissel) ist in Vorbereitung. Die Auswahlübersetzung von Gisela Vollmann-Profe sollte auf das ganze Werk ausgedehnt werden 68 .
VI. Anhang: Handschriften- und Editionsproben von Kapitel II 16 De VIII Beatitudinibus
Übersicht: Handschrift F fol. 38 v : II 16, 1-28 S. 94, Abbildung 1 Handschrift F fol. 39 Γ: II 16, 29-40; II 17, 1-16 S. 95, Abbildung 2 Handschrift F Transliteration fol. 38 v , 1 - fol. 39 r , 12 S. 96 Handschrift V fol. 65 Γ: II 15, 23-24; II 16, 1-18 Abbildung nach S. 96, Tafel 1 Handschrift V fol. 65 v : II 16, 19-39 Abbildung nach S. 96, Tafel 2 Handschrift V Transliteration fol. 65 r , 3 - fol. 6 6 Γ , 1 S. 97 Handschrift Ρ fol. 67 Γ : II 16, 1-19 Abbildung nach S. 96, Tafel 3 Handschrift Ρ fol. 67 v : II 16, 20-40 Abbildung nach S. 96, Tafel 4 Handschrift Ρ Transliteration fol. 66 v , 20 - fol. 67 v , 21 S. 98 Editionsentwurf: Text II 16, 1-40 S. 99, 100 Editionsentwurf: Apparat II 16, 1-40 S. 101, 102
65
Masahiro Shimbo, Wortindex zu Otfrids Evangelienbuch.
66
Die Übersetzung von Johann Kelle, Christi Leben und Lehre, besungen von Otfrid, ist unbrauchbar.
67
Hans A. Kissel bereitet eine Übersetzung ins Englische vor.
68
Auswahlübersetzung von G. Vollmann-Profe, Otfrid von Weißenburg.
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Wolfgang Kleiber
Abbildung 1: Handschrift F fol. 38 v : II 16,1 - 28 ? .
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Editionsentwurf: Apparat Π 1 6 , 1 - 40 Vorbemerkungen Der vorliegende Editionsentwurf besitzt, besonders was den Apparat betrifft, vorläufigen Charakter. Es kam darauf an, die äußere Textgestalt nach den Handschriften (VPD) hervortreten zu lassen. Tragende Elemente sind dabei: das Initialsystem und die Position der Marginalien. Sie werden, so gut es technisch zu verwirklichen war, nach VP wiedergegeben. Die Textkritik der Initialen, vor allem die Tradition von V zu P, wird später zusammenfassend in der Einleitung zur Großausgabe behandelt. Bewirkt durch den hervorragenden Uberlieferungsstand, sind auch für das Beispiel Kapitel II 16 gravierende Lesartendifferenzen der verschiedenen Herausgeber nicht vorhanden. Eine wichtige Ausnahme bilden die durch die Korrekturen in V (P) verursachten Akzentdifferenzen und dergleichen, welche P. Pipers Ausgabe genau registriert. Bevor die vollständige Neukollation aller Handschriften nicht abgeschlossen ist, müssen die Angaben P. Pipers, die viele Fehler enthalten, vorerst genügen. Die Schreibweise im kritischen Text verzichtet nicht völlig auf Normalisierung. Die moderne Worttrennung wird eingeführt. Die graphetischen Einheiten < a > , < ό > , < f > , < x > werden durch die modernen Entsprechungen transliteriert. Beibehalten bleibt jedoch die graphetische Opposition von < v > Φ < u > . Abkürzungen, zum Beispiel f p ü = spiritu werden aufgelöst. Die moderne Interpunktion wird eingeführt. Näheres darüber und weitere Einzelheiten dann in der Großausgabe. Die Einrichtung des Apparats erfolgt weitgehend nach traditionellen Mustern. Gezählt wird nach Langversen (Langzeilen), die durch Spatien getrennt sind. VIII· V.P. OCTO BEATITUDINIS F. 1 S (Kapitelinit.) V. (vierzeilig) P. 1. Halbvers: SALIG^BIRUT IR ARME· in Kapitalis Rustica P. 2. Halbvers zusätzlich: IN THIU THAZ MUAT UUOLLE· F. iz (fehlt) F. uuölle. P. Marg.: spiritu (fehlt) F. 2 thiu P. thio F. armüati F. mit (i auf Rasur: Piper) P. 3 iuer (über u Akzent getilgt) V. iiier P. uuer F. ίύ (Akzente von oben verkürzt) V. thz F. himirichi (1 über r mit Einschaltungspunkten hinzukorrig.) V. himilrichi P. himilrichi F. hoaz (h über a mit Einschaltungspunkt hinzukorrig.) F. (Halbversende Kolon) P. 4 uünna (v vor u mit Einschaltungspunkten hinzukorrig.) V. uuunna P. uunna F. manag (danach fehlt Versteilungspunkt) V. iuer (über u Akzent getilgt) V. iuer (zweiter Akzent größer, er auf Rasur: Piper) P. muat P. 5 S (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajuskel) SAlige P. mammunte. VP. mammunte F. Marg.: mitis F. 6 iro F. uuältent P. bruaderscäf F. 7 (Langzeile ohne Akzente) F. 8 biuuirbit P. (danach Kolon) P. fämer (Akzent über a getilgt und wieder hinzukorrig.: Piper) V. iämer P.F. nirstirbit P. nistirbit (letztes t auf Rasur: Piper) F. 9 S (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajusket) SXlig P. rozegemo (zwischen ο und ζ fehlt ein Buchstabe auf Rasur) F. 10 firdflot (t Uber d hinzukorrig.) V. firdflot P. firtflot F. Trost F. manäker F. 11 fr6uuit (gi vor f mit Einschaltungspunkten überkorrig.) V.
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gifreuuit P. (t auf Rasur, für e ?: Piper) gefreuuit (e aus ο korrig.: Piper) F. 12 firdflot (t über d korrig.) V. firtflot P . F . h e r z a P.F. 13 G (iStrophengruppeninit.) V. (mit Folgemajuskel) GVataliches P. vuältint F. thurst P. durst F. hungar P. dultent F. Marg.: et sitiunt iustitiam (fehlt) P. (nicht jedoch F.!) 14 ίό (Akzente korrig.) V. gingent F. 15 uuerdent F. etthesuuanne P. sites (ο über zweitem e mit Einschaltungspunkt überkorrig.) P. setes (Rasur: Piper) F. 17 S (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajuskel) SÄlig P. armherze P. armhörze F. armun P. armti F. 18 giganne F. se F. irbärme P. (sie irbärme P.) 19 (Rasur über io in scioro) V. sciöro (h über c mit Einschaltungspunkt eingetragen) F. not P. 20 filu Hobes (auf Rasur: Piper), F. giduat P. gitüat F. 21 I (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajusket) IV P. In thiu F. reinaz (z auf Rasur) F. iigit P.F. 22 öugon (Akzent über u anradiert: Piper) V. öügon P.F. dnihtinan P. tnihtin F. scouuön F. 23 (Die Akzente über ίό, sulichu, iuih mit feinerem Federstrich als über scülut, gigähen, nähen) V. gigähen (Akzent über i getilgt, radiert: Piper) V. sülichü (über und unter u Elisionspunkte) V. sulichu P. sulichu F. iuih (zwischen i-u und u-i Rasuren: Piper) V. Mih P.F. Mih nah (auf Rasur: Piper) F. 24 reinidon V.P. = redinon F. giniiagen P.F. truhtine F. druhtine iuih (Elisionspunkte unter und über dem e = §) P. iuih (Elisionspunkt unter dem u, Rasur vor ih) V. 25 Τ (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajusket) THie P. fridesame F. salig P. herzen F. ni eigun P. ni 0igun V.F. nih£inaz wig! (Folgezeile) P. wig (am Zeilenende Vers 24 mit Einschaltungszeichen übergeschrieben) V. 26 giuueizent P. giuueizzen F. heizen F. 27 gibit F. sconon F. 28 tuit F. namen (e aus ο korrig.) F. 29 S (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajuskel) SÄlig P. Punkt nach Salig V. arabeiti (über dem ersten i ein Zeichen wie ein liegendes Kreuz: Piper) F. 30 (Rasur zwischen then α man, a aus ο korrig.) P. bi iro (Rasur über dem ersten i) V. biro P.F. tuit F. uuidärmuati F. 31 uuerdent (r auf Rasur?) V. riche P.F. himilriche (zwischen h und i neumenartiges Zeichen, über m liegendes Kreuz?) V. 32 iögilicho (die zwei ersten Akzente durch Korrektur verkürzt) V. iögilicho F. firträgen F. frauualicho F. 33 Ν (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajusket) N i P. duet (e aus i korrig.) P. tuet F. ίύ (kleinere Akzente als im zweiten, cf. Verse 23, 34). thie liüti F. 34 iu (Akzent wie zweiter Vers 33) V. ίύ P. m6r P. sie P. ahten iuer (zwischen η und iuer t eingeschoben) V. ähtent P. iuer P.F. 35 zellen F. mih P. uiih P. iuih F. 36 iuih (feiner Akzent, cf. Vers 33 usw.) V.F. iuih P. sie äl (Elisionspunkte über und unter dem e) V. se äl P. liagent sie F. 37 Β (Strophengruppeninit.) V. (mit Folgemajusket) BLitlet iuih P. iuih (beidemale wie Akzente Vers 34) V. ih (auf Rasur) F. härto (Akzent anradiert) P. thes P. 38 iu (Akzent cf. Vers 34) V. ίύ P. garauuas (s oder t getilgt und ζ darübergeschrieben) V. garauuaz P. 39 Iro änon P. tatun F. färasagono P. förasagono V.F. Marg.: Sic enim persecuti sunt prophetas P. 40 ίύ (Akzente cf. Vers 34) V. ίύ P.
Wolfgang Milde Faksimileausgabe und Edition des Codex Discissus (D) von Otfrids Evangelienbuch I. Entdeckung von D Es dürfte keinem Zweifel unterliegen, daß die Faksimileausgabe nebst Transkription des Textes einer nur fragmentarisch erhaltenen althochdeutschen Handschrift, deren Teile heute an drei verschiedenen Orten aufbewahrt werden, mehrfachen Nutzen zu bringen verspricht: Einmal werden auseinandergerissene Teile wieder (und wenn auch nur im fotographischen Bild) zusammengefügt, zum anderen können einzelne Fragen textlicher, paläographischer oder buchkundlicher Art einfacher beantwortet werden. Das gilt auch dann, wenn wie im Fall der Handschrift D von Otfrids Evangelienbuch der textliche Befund der Stücke von geringerem Interesse sein dürfte, da eine gute Textgrundlage in der Wiener Otfridhandschrift V vorliegt. Dafür ist D aber für die Rezeptionsgeschichte von Otfrids Text wie für die Buchgeschichte überhaupt von umso größerer Bedeutung: Bekanntlich lassen sich Handschriften unter mehreren Aspekten betrachten, nicht nur unter textlichem. Im folgenden seien lediglich zwei dieser Aspekte, die für D relevant sind, näher herausgehoben: Einmal die Frage der Datierung und Lokalisierung von D und die sich daraus ergebenden Folgerungen und zum anderen die Frage der Bewertung von D in einzelnen Jahrhunderten beziehungsweise Zeitabschnitten, soweit diese Bewertung faßbar wird. Zuvor jedoch ist ein kurzer Abriß zu geben über die moderne Entdekkungsgeschichte der sich gegenwärtig in Bonn, Krakau und Wolfenbüttel befindlichen Fragmente des Codex Discissus, eine fast detektivisch zu nennende Geschichte, die streckenweise mit dem Namen des Wolfenbütteler Handschriftenbibliothekars Hermann Herbst (a. 1895-1944) verbunden ist auch wenn er fälschlicherweise D für die älteste Otfrid-Handschrift hielt. In der zuletzt (a.1936 beziehungsweise 1937) von H. Herbst minutiös dargestellten Geschichte des Auffindens beziehungsweise Wiederauffindens der Fragmente lassen sich chronologisch sechs Abschnitte unterscheiden: 1. Um die Mitte des 18. Jahrhunderts fand der Wolfenbütteler Konsistorialrat und Generalsuperintendent Franz Anton Knittel (a. 1721-1792) zwei Doppelblätter von D im Einband eines von ihm nicht näher genannten alten Druckes der Wolfenbütteler Bibliothek und veröffentlichte sie a.1762 zu-
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Wolfgang Milde
sammen mit den von ihm ebenfalls in Wolfenbüttel im Cod. Guelf. 64 Weiss, entdeckten Ulfilasfragmenten 1 . Diese beiden teilweise beschnittenen Doppelblätter gehören heute zum Cod. Guelf. 131.1 Extrav. 2. Etwa 50 Jahre später tauchten zwei weitere Doppelblätter im Nachlaß des Rektors, Theologen und Sprachforschers Johann Friedrich August Kinderling (a. 1743-1807) aus Kalbe an der Saale auf, dessen Sohn, Pastor in Templin, sie an Friedrich Heinrich von der Hagen weiterleitete, der sie als Teile der von F.A. Knittel bekanntgemachten Otfridhandschrift erkannte und a. 1811 veröffentlichte 2 . Wie diese ebenfalls für Bucheinbände zurechtgeschnittenen Doppelblätter in J.F.A. Kinderlings Besitz gelangten, ist unbekannt geblieben. Sie gehören heute zur Handschrift Ms. Germ. Quart. 504 der ehemaligen Preußischen Staatsbibliothek Berlin, einer Handschrift, die seit dem Jahre 1945 als verschollen (beziehungsweise als verloren) galt, sich derzeit aber als Depositum in der Jagellonischen Bibliothek Krakau befindet und seit Sommer des Jahres 1981 dort allgemein zugänglich ist. 3. Im Jahre 1812 veröffentlichte Friedrich Heinrich von der Hagen ein weiteres beschnittenes Doppelblatt von D, das aus dem Besitz des Handschriftensammlers und preußischen Diplomaten Heinrich Friedrich von Diez (a. 1751-1817) stammte3. Johann Kelle, der a.1856 die erste ausführliche Beschreibung der Fragmente gab und auf den die Bezeichnung 'Codex Discissus' zurückgeht 4 , ermittelte, daß dieses Stück aus dem Einbandmaterial von Handschriften des Thomas von Aquin herrührte. Heute befindet es sich ebenfalls in der Handschrift Ms. Germ. Quart. 504. 4. Im Jahre 1821 publizierte August Heinrich Hoffmann von Fallersleben 5 drei beschnittene Doppelblätter, die er in der Bonner Universitätsbibliothek in acht Einbanddeckeln von vier Handschriften mit Werken des Thomas von Aquin fand ('Summa theologiae' und 'Summa contra gentiles'). Sie bilden heute den Codex S 499 (78) der Universitätsbibliothek Bonn. Außerdem gibt es in Bonn auch die acht Holzdeckel, von denen drei mit den drei Doppelblättern, der vierte mit dem Diezschen Doppelblatt in Ms. Germ. Quart. 504, die übrigen vier mit anderen, nicht mehr erhaltenen Blättern von D beklebt waren, deren Spuren zumindest noch teilweise lesbar sind. Die Bonner Fragmente haben für die Überlieferung von D eine * F.A. Knittel, Ulphilae versionem Gothicam nonnullorum capitum epistolae Pauli ad Romanos venerandum antiquitatis monumentum, S. 484-495 (Otfrid). 2
F.H. von der Hagen - B.J. Docen - J.G. Büsching - B. Hundeshagen, Museum für altdeutsche Literatur und Kunst, II, S. 1-16.
3
F.H. von der Hagen - B.J. Docen - J.G. Büsching - B. Hundeshagen, Sammlung für altdeutsche Literatur und Kunst, I, S. 225-227; wiederabgedruckt in: F.H. von der Hagen, DM. (1824) 1. Heft, S. 1-5.
4
J. Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, I, S. 136-147.
5
Bonner Bruchstücke vom Otfrid nebst anderen deutschen Sprachdenkmaelern; sieh auch A.H. Hoffmann von Fallersleben, Mein Leben. Aufzeichnungen und Erinnerungen, I, S. 247-249.
Codex Discissus von Otfrids Evangelienbuch
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besondere Bedeutung, da ihre Fundstelle bekannt und nachprüfbar ist: eben die erwähnten Thomas-Handschriften, die a.1818 mit der Bibliothek der aufgehobenen Universität Duisburg nach Bonn gelangt waren. Sie gehörten vorher dem Kaufmann und Senior der Kirche zu Solingen Johannes Clauberg, der sie a.1657 der 'Hohen Schule zu Duisburg' geschenkt hatte (J. Clauberg schenkte fünf handschriftliche Thomas-Bände, von denen schon in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts einer fehlte, der vermutlich auch zwei Doppelblätter von D enthielt). 5. In den Jahren 1846/49 veröffentlichte Moriz Haupt 6 zwei weitere neuentdeckte Bruchstücke, die in derselben Weise wie die Kinderlingschen zerschnitten waren (zwei Doppelblätter und zwei Streifen). Sie gehörten dem Bonner Juraprofessor Eduard Böcking (a. 1802-1870), haben aber leider keine Beziehung zu den Bonner Thomashandschriften und befinden sich (über M. Haupt) in Ms. Germ. Quart. 504, derzeit Krakau 7 . 6. Hermann Herbst, als Handschriftenforscher wie als Einbandforscher bekannt, erkannte anhand der Einbandstempel der lederbezogenen Bonner Thomashandschriften, daß diese Einbände aus dem Augustiner-Chorherrenstift auf der Sülte bei Hildesheim stammten, wo sie circa a. 1470 angefertigt worden waren. Das heißt, Codex D ist um diese Zeit dort gewesen und von einem Buchbinder zerschnitten worden. H. Herbst kannte die Stempel von Einbänden aus Wolfenbütteler Beständen, so daß es ihm gelang, nicht nur den Band wieder aufzufinden, aus dem die Knittelschen Fragmente herausgelöst worden waren (16.1 Theol. 2°, eine Nürnberger Inkunabel von a.1470), sondern durch systematisches Suchen auch auf weitere, bisher unbekannte Otfrid-Stücke zu stoßen, und zwar in Cod. Guelf. 1.6. Aug. 2° mit dem Vocabularius des Huguccio, geschrieben a.1467 8 . Es kamen 33 Pergamentstreifen zum Vorschein (durchschnittlich 2 cm breit und 44 cm lang), die aneinandergefügt rund drei neue Doppelblätter ergaben. Auch sie gehören jetzt zu Cod. Guelf. 131.1 Extrav., der somit fünf Doppelblätter (= zehn Blätter) umfaßt 9 . Insgesamt besitzen wir heute von dem Codex Discissus rund 26 mehr oder weniger stark angeschnittene Blätter, zu denen noch einzelne Streifen sowie mehrere Abdrucke auf Einbanddeckeln in Bonn hinzukommen 10 . 6
Sitzungsberichte über die Verhandlungen der Königlich Sächsischen Gesellschaft der Wissenschaften zu Leipzig 1 (1846-1847) S. 55-60; wiederabgedruckt in: ZDA. 7 (1849) S. 563-568.
7
H. Degering, Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek, II, S. 90f.; sieh auch W. Milde, CM. 12 (1986) S. 85-89.
8
H. Herbst, ZDGG. 2 (1936) S. 131-152; H. Herbst, ZDA. 74 (1937) S. 117-135; M.J. Husung, St. Wiborada 4 (1937) S. 132f. (zu H. Herbst).
9
H. Butzmann, Die mittelalterlichen Handschriften der Gruppen Extravagantes, Novi und Novissimi, S. 79f. A. Klette, Catalogi Chirographorum in Bibliotheca Academica Bonnensi servatorum. Fase. 6,1, S. 150.
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Eingehende Übersichten über den Umfang der Stücke von D, geordnet nach der Reihenfolge des Textes, gaben a.1882 Oskar Erdmann 11 und a. 1936 Hermann Herbst^ (die von ihm entdeckten Verse betreffend; aber nicht ganz fehlerfrei).
II. Datierung und Lokalisierung Die Fragmente von D wurden jahrzehntelang in das neunte Jahrhundert datiert. H. Herbst hielt sie fälschlicherweise sogar für die Vorlage von V. Vor etwa 25 Jahren wurde durch Bernhard Bischoff eine Umdatierung vorgenommen: Aufgrund von paläographischen Kriterien setzte er D in das zehnte Jahrhundert, zuerst im Jahre 1966 ohne nähere Begründung in Hanns Fischers 'Schrifttafeln zum althochdeutschen Lesebuch' 13 , fünf Jahre später, im Jahre 1971, mit Begründung in seinem Aufsatz 'Paläographische Fragen deutscher Denkmäler der Karolingerzeit' 14 . Er charakterisierte die Schrift, eine karolingische Minuskel, als gedrungen und etwas steif mit ziemlich senkrechten Schäften und Oberlängen und Unterlängen. Besonders auffällig ist unter anderem der deutlich nach unten, das heißt über die untere Linie hinaus verlängerte Schaft des kleinen r. Wichtig war der Hinweis B. Bischoffs auf die Handschrift des Fuldaer Sakramentars 15 in der Universitätsbibliothek Göttingen: Er sprach sich für eine 'echte Schulgemeinschaft mit der Schrift' dieser Prachthandschrift aus, die von kunsthistorischer Seite um a.975 in Fulda angesetzt wurde und wird. Entsprechend vertrat B. Bischoff für D eine Datierung nach der Mitte des Jahrhunderts, wobei er hinzufügte: 'Für den Sprachzustand des Discissus ergibt sich damit, daß ein Denkmal bei einer rein buchmäßigen Tradition auch noch ein Jahrhundert nach seiner Entstehung gewissenhaft, in getreuer Wahrung des sprachlichen Charakters, kopiert werden konnte' 16 . Damit war den älteren Auffassungen (Entstehung im neunten Jahrhundert in Weißenburg beziehungsweise in der ersten Hälfte des zehnten Jahrhunderts in Mainz) der Boden entzogen. B. Bischoffs Datierung und Lokalisierung orientiert sich an der Kunstgeschichte. Bereits im Jahre 1910 hatte Ernst Heinrich Zimmermann aus Wolfenbüttel in seiner Untersuchung 'Die Fuldaer Buchmalerei in karolin-
11
Otfrids Evangelienbuch, S. XXXI-XXXV.
12
ZDGG. 2 (1936) S. 131-152.
13
Schrifttafeln, S. 21*: 'im 10. Jahrhundert, und zwar in Mainz geschrieben'.
14
B. Bischoff, FMSt. 5 (1971) S. 104f.
15
Vor dem Jahr 1000, S. 82-85.
16
B. Bischoff, FMSt. 5 (1971) S. 105.
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gischer und ottonischer Zeit' 1 7 eine Gruppe von zwölf Handschriften zusammengestellt, die zwischen a.970 und a.1025 zu datieren und als Fuldaer Erzeugnisse anzusprechen sind. Dazu gehören neben dem Göttinger Codex unter anderem der bekannte Codex Wittekindeus der Staatsbibliothek Berlin sowie prachtvoll ausgestattete Sakramentare in Bamberg, Vercelli, Udine und in der Vaticana. Zumeist handelt es sich bei diesen Fuldaer Handschriften um Sakramentare. Aufgrund von Stilanalysen ihrer Miniaturen ergibt sich nach E.H. Zimmermann, 'daß sich die Buchmalerei des Klosters Fulda in ottonischer Zeit in stilistischer wie ikonographischer Hinsicht in dem Rahmen einer stark retrospektiven Kunstrichtung bewegte, die für die Entwicklung der frühmittelalterlichen Malerei - mit Ausnahme von Hildesheim - ganz ohne Bedeutung blieb' 18 . In einer im Jahre 1990 abgeschlossenen, noch unveröffentlichten Pariser Dissertation von Eric Palazzo 'Les Sacramentaires de Fulda: Etude sur l'Iconographie et la Liturgie ä l'Epoque Ottonienne' 19 ist diese Gruppe nicht nur nach ikonographischen, sondern auch nach liturgiegeschichtlichen Gesichtspunkten untersucht worden, wobei drei Handschriften von E.H. Zimmermann ausgeschieden und andere hinzugefügt wurden. E. Palazzo konnte unter anderem feststellen, daß der in diesen Sakramentaren erkennbare Typ eine Kompilation von Sakramentartexten der vergangenen zwei Jahrhunderte darstellt (Gregor der Große und Gelasius), die in den kommenden Jahrzehnten zugunsten des gregorianischen Sakramentartyps ausgeschieden wurden. Wir begegnen hier liturgiegeschichtlich wiederum einer stark konservativen, auf die Vergangenheit gerichteten Haltung, die sich in diesen Sakramentaren, deren ältestes (das Göttinger) wohl für Fulda selbst bestimmt war, ausdrückt. Es ist sicherlich nicht zuviel gesagt, hierin eine Parallele zu unserer Handschrift D zu sehen, die rund hundert Jahre nach der Entstehung des Textes in Fulda in konservativer Manier, 'in getreuer Wahrung des sprachlichen Charakters' 20 kopiert wurde. Vergleichend heranzuziehen ist ferner die Vita der beiden Heiligen Kilian und Margareta in der Niedersächsischen Landesbibliothek Hannover, die um a.970 in Fulda entstand und in paläographischer Hinsicht mehrfach starke Ähnlichkeiten mit D aufweist, so daß auch hier von einer Schulgemeinschaft hinsichtlich der Schrift gesprochen werden kann.
E.H. Zimmermann, Die Fuldaer Buchmalerei. 18
Ebenda, S. 100.
19
E. Palazzo, Les Sacramentaires de Fulda.
20
B. Bischoff, FMSt. 5 (1971) S. 105.
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III. Zur Bewertung von D Gemeint sind hier Überlegungen, wie die Handschrift D in den verschiedenen Zeitabschnitten ihrer Geschichte von ihren jeweiligen Besitzern, Lesern oder Benutzern bewertet wurde, soweit dies feststellbar ist. Voraussetzung dafür ist die Herausarbeitung des jeweiligen geistigen, ökonomischen und räumlichen Umfeldes, denn eine isolierte Betrachtung, etwa nur des Textes oder nur des kodikologischen Befundes oder nur der Miniaturen wird einer Handschrift als Buch keinesfalls voll gerecht. In dieses Umfeld, gelegentlich auch als 'Wertsphäre' bezeichnet, das durchaus auch Veränderungen unterworfen sein kann, gilt es, den Discissus einzuordnen: Wodurch erhielt das Buch, und zwar gerade dieses, jeweils seinen spezifischen Wert? Diese Frage wird bei einem Fragment auf besonderes Interesse stoßen müssen. Entstanden ist D in der klösterlichen Gemeinschaft von Fulda in einer Zeit, als Literatur in Deutschland wieder fast ausschließlich lateinisch geworden war. Aber eben nur fast, denn in Fulda war zumindest eine Erinnerung an die althochdeutsche Tradition lebendig geblieben, als man das Werk seines ehemaligen Klosterzöglings gegen Ende des zehnten Jahrhunderts noch einmal genau kopierte. Kaum für den Zweck einer Dedikation, wohl eher zum Zweck einer Rückerinnerung, denn D ist eine gute Gebrauchshandschrift gewesen. Dieser konservative Zug Fuldas findet Parallelen im liturgiegeschichtlichen und kunstgeschichtlichen Bereich, sogar im paläographischen: Hier herrscht eine recht konservativ geprägte, ziemlich starre karolingische Minuskel. Dieser bewahrenden Haltung Fuldas in der zweiten Hälfte des zehnten Jahrhunderts verdanken wir D. Danach höreil wir nichts mehr von Otfrid und seinem deutschsprachigen Werk bis hin zu Johannes Trithemius, der als Abt von Sponheim Ende des 15. Jahrhunderts wieder auf Otfrid hinwies 21 . Zuvor hatte den Discissus jedoch um a.1470 sein Schicksal ereilt: Er ist ein Beispiel dafür, daß ein Buch dann zugrunde gehen kann, wenn das Interesse für seinen Inhalt aus sprachlichen, theologischen, politischen oder anderen Gründen geschwunden ist und es (wie in unserem Fall) nur noch ökonomisch einen Wert, das heißt den Materialwert darstellt. Das geistige Umfeld war zum ökonomischen geworden. Der Weg vom Fuldaer Kloster zum Hildesheimer Buchbinder war nicht allzu weit. Die moderne Entdeckungsgeschichte der Reste von D verlief in üblichen Bahnen: Dem Erstfund von F.A. Knittel, der im Ulfilas wie im Otfrid 'verehrungswürdige Monumente des Altertums' erblickte, folgten im 19. Jahrhundert erst die Sammler (J.F.A. Kinderling, H.F. von Diez, E. Bökking) und dann die historisch-philologisch orientierten Germanisten (F.H. von der Hagen, A.H. Hoffmann von Fallersleben, Moriz Haupt, Johann 21
Johannes Trithemius, De scriptoribus ecclesiasticis, fol. 46.
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Kelle). Erst im 20. Jahrhundert gerieten auch andere Aspekte der Bewertung von D in das Blickfeld, als H. Herbst die Fragmente mit der Einbandkunde in Zusammenhang brachte. D ist somit nicht nur als Quelle für die Sprachgeschichte und Literaturgeschichte anzusprechen, sondern ebenso für die Buchgeschichte und Rezeptionsgeschichte eines althochdeutschen Textes.
Evelyn Scherabon Firchow Althochdeutsche Textausgaben: Notker Teutonicus und seine Werke "Die theorik gehet aus der practik und die practik nit aus der theorik." (Theophrastus Bombastus von Hohenheim, genannt Paracelsus)
Die editio princeps von Notkers althochdeutschen Übersetzungen der Consolatio von Boethius, De nuptiis Philologiae et Mercurii von Martianus Capella und der aristotelischen Schriften De categoriis und De interpretation ist vor über 150 Jahren im Druck erschienen1. Der Herausgeber war Eberhard Gottlieb Graff, der Notkers Werke als Beispiele klassischer, spätklassischer und patristischer Literatur zu schätzen wußte, Notker aber vor allem als mittelalterlichen deutschschreibenden Schriftsteller bewunderte, dessen Übersetzungen literarische Nationalmonumente darstellten. Wohl aus diesem Grund hat E.G. Graff in dieser ersten Notkeredition die althochdeutschen Textteile aus dem lateinischen Kontext herausgeschält und einfach aneinandergereiht, so daß sie einen zusammenhängenden Text ergaben, den er dann als eigenständiges Ganzes druckte. Notker selbst wäre es niemals eingefallen, seine Texte derart zu rearrangieren, denn für den St. Galler Lehrer war gerade die Kombination der lateinischen und althochdeutschen Passagen ein integraler Bestandteil seiner Unterrichts- und Übersetzungsmethode: Beide Textversionen, die lateinische und die althochdeutsche, sollten gemeinsam und gleichzeitig gelesen und studiert werden. Dabei war auch der althochdeutsche Text nie als das Hauptziel des Studiums, sondern die althochdeutschen Übersetzungen sollten den Schülern als Hilfsmittel dienen, damit sie mit ihrer Hilfe die grammatikalischen und syntaktischen Lateinkonstruktionen erlernen und den Gedankengang der Texte leichter erfassen könnten. Die so erworbenen Textkenntnisse wurden dann für die biblische Exegese verwendet. 1
Eberhard Gottlieb Graff (Hrsg.), Althochdeutsche, dem Anfange des 11. Jahrhunderts angehörige Übersetzung und Erläuterung der von Boethius verfaßten 5 Bücher De Consolatione Philosophiae. E.G. Graffs Ausgaben der De nuptiis, Categoriae und De interpretatione erschienen ebenfalls im Jahr 1837. Sieh Evelyn S. Coleman, Germanic Studies in Honor of Edward Henry Sehrt, S. 65. Die Erstausgabe von Notkers Psalter war bereits a. 1726 in Schilters Thesaurus, II, erschienen.
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Notkers Übersetzungen waren jedenfalls von den frühen Wort-fur-WortÜbersetzungen der lexikalischen Glossen weit entfernt. In vielen Fällen handelt es sich dabei überhaupt nicht um direkte Übersetzungen, sondern nur um Paraphrasen des Originaltextes. Denn oft hat Notker ganze Textteile unübersetzt gelassen und hat an ihrer Stelle nur seinen eigenen Kommentar angeboten. Diese Kommentare, die entweder aus ein paar Wörtern oder aber aus ganzen Paragraphen bestehen können, hat er manchmal auf Latein, manchmal auf Althochdeutsch und gelegentlich sogar in einer Mischung aus beiden Sprachen abgefaßt. In der editio princeps hat E.G. Graff aber auch Notkers eigene lateinische Kommentare völlig weggelassen. Daher sind die althochdeutschen Übersetzungen in E.G. Graffs Ausgabe stellenweise kaum verständlich (sieh Anhang 3). E.G. Graff emendierte zum Teil Notkers lateinische Vorlagen und änderte ihre Wortfolge dahingehend, daß sie mit den Lesarten des damaligen textus receptus übereinstimmten. Er beachtete überhaupt nicht, daß Notker die Wortfolge seiner lateinischen Vorlagen aus didaktischen Gründen neu geordnet und an die sogenannte 'natürliche' Wortfolge angeglichen hatte, damit die lateinische Syntax seinen Schülern leichter verständlich werde. Den zusammenhängenden emendierten lateinischen Text schließlich druckte E.G. Graff - als Hilfsmittel für den darüberstehenden althochdeutschen Text - am Fuß jeder Seite ab. Da E.G. Graff noch keine Vorbilder hatte, nach denen er die Notkertexte edieren konnte - es gab damals ja noch keine eigentliche Notker-Philologie und er arbeitete auf völligem Neuland -, blieb ihm keine andere Wahl, als die althochdeutschen Texte so textgetreu wie möglich nach den Handschriften abzudrucken. Er fügte weder kodikologische, paläographische noch philologische Informationen hinzu, außer gelegentliche Anmerkungen über gelöschte Akzentzeichen und Hinweise auf die Schreiberhandwechsel und Rubrizierung. E.G. Graff getraute sich auch nicht, im Titel seiner Edition aus dem Jahre 1837 Notker Labeos Namen zu nennen, weil man zu dieser Zeit noch an das Bestehen einer Übersetzerschule in St. Gallen glaubte, aus der die Übersetzungen hervorgegangen sein sollten2. Seit E.G. Graffs früher Pionierarbeit sind eine Reihe von weiteren Ausgaben der Notkerschen Werke erschienen, und es ist deutlich zu sehen, daß sich die Prinzipien der Editionsmethoden von einer zur anderen Herausgebergeneration immer wieder geändert haben. So findet man in den vergangenen 150 Jahren sowohl semidiplomatische, 'modifiziert' diplomatische, aber auch kritisch-normalisierte Editionen von Notkers Werken (sieh die Beispiele im Anhang).
^ Für eine interessante Behandlung und Zusammenfassung dieser unhaltbaren Theorie sieh jetzt vor allem die Arbeiten von Ernst Hellgardt, Befund und Deutung, S. 169192; E. Hellgardt, PBB. 108 (1986) S. 193f.
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Die erste diplomatische Ausgabe veranstaltete Heinrich Hattemer3 zwischen a.1844 und a.1849 (sieh Anhang 4). In seinem Vorwort beschuldigte H. Hattemer E.G. Graff, daß er den althochdeutschen und lateinischen Text auseinandergerissen und separat abgedruckt, sowie die handschriftlichen Akzentzeichen ohne Sorgfalt behandelt habe. Daher edierte H. Hattemer die Notkerschen Texte nun erstmalig in der bis heute üblichen Form, das heißt, er druckte Notkers lateinisch/althochdeutsche Mischsprache genau so ab, wie sie in den Handschriften überliefert ist. Er änderte weder die Wortfolge der lateinischen Vorlage, noch ließ er Notkers eigene Kommentare weg, sondern beließ sie so, wie sie in den Handschriften aufscheinen. Es war seine Absicht, wie er schrieb, 'den karakteristischen ton der notkerschen werke' zu erhalten, und er ermunterte sowohl die Germanisten als auch die Latinisten, daß sie sich die Texte vom sprachwissenschaftlichen Standpunkt her genauer ansehen sollten4. Als erster veröffentlichte er jetzt auch die Übersetzungen unter Notkers Namen allein. Da E.G. Graff behauptet hatte, daß die Akzentzeichen vor allem in der Consolatio-Rmdschrift nahezu völlig erlöscht seien, so daß man sie nicht mehr erkennen könne, fertigte H. Hattemer eine völlig neue Abschrift der Handschriften an. Das Ergebnis war die erste moderne diplomatische Ausgabe der Notkerschen Schriften. Nach heutigen Maßstäben gemessen weist sie verständlicherweise eine Reihe von Mängeln auf: So hat H. Hattemer zum Beispiel entgegen dem jetzigen Gebrauch nur die Seitenzahlen, aber keine Zeilennummern aus den Handschriften angegeben; die Worttrennung in den Handschriften behandelte er nicht sehr konsequent, und man findet nur gelegentlich Bindestriche und Trennungsbogen, die uns die handschriftlichen Zwischenräume zwischen den Wörtern anzeigen sollen. H. Hattemers Edition war fast vierzig Jahre lang die maßgebliche Notkerausgabe, und sie wäre es nach den zwei ausführlichen Handschriftenkollationen von Elias von Steinmeyer (a.1874) und Paul Piper (a. 1881) wohl auch weiterhin geblieben, wenn sie nicht im Buchhandel vergriffen und damit unzugängig geworden wäre5. Ein schwerwiegender Nachteil der Ausgaben von E.G. Graff und H. Hattemer lag auch darin, daß sie nicht alle Werke Notkers ediert hatten. Diese große Arbeit wurde dann von Paul Piper6 in den Jahren 1882/3 geleistet. Obwohl P. Piper in seiner Ausgabe die editorischen Prinzipien nicht im Detail beschrieben hat, wollte er 'den Lesern einen gesicherten 3
Denkmahle des Mittelalters. St. Gallens altteutsche Sprachschätze, I-III (II-III. Notkers des Teutschen Werke). H. Hattemer gab außer den ldeineren Werken alle Notkertexte heraus.
4
H. Hattemer, Denkmahle des Mittelalters, III, S. 10.
5
Elias von Steinmeyer, ZDA. 17 (1874) S. 449-504; Paul Piper, ZDPh. 13 (1881) S. 305-337, 445-479.
6
Die Schriften Notkers und seiner Schule, I-III.
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113
handschriftlichen Text1 liefern, womit er einen auf den Handschriften basierenden, das heißt wohl einen diplomatischen Text meinte. Was er dann aber tatsächlich angeboten hat, war ein Text, der handschriftliche Lesarten und textkritische Verbesserungen unsystematisch durcheinandermischte und der die althochdeutschen Textteile stellenweise sogar normalisierte. Das Resultat dieser 'Methode' kann man bestenfalls semi-diplomatisch nennen (sieh Anhang 5). Die Ausgabe wurde von der Fachwelt allgemein ziemlich ablehnend aufgenommen, und zwar sowohl von den Anhängern der Lachmann-Schule als auch von ihren Gegnern. Erstere vermißten in der Ausgabe jegliche Systematik, letztere wendeten sich prinzipiell gegen jegliche neue Tendenz in der Textkritik. Rudolf Kögel und Friedrich Loofs zum Beispiel beschuldigten P. Piper, in seiner Edition die Handschriften fast völlig außer Acht gelassen zu haben, ja diese sogar fälschlich wiedergegeben zu haben 7 . Sie forderten einen verläßlichen, konservativen Text, der nur auf den handschriftlichen Lesarten basieren sollte. Gleichzeitig rügten sie das Fehlen jeglicher kodikologischen Information. Johannes Kelle und Richard Heinzel andererseits verlangten lautstark nach normalisierten Texten und wendeten sich gegen P. Pipers unverläßliche und unsystematische Verbesserungen 8 . Sie wollten eine gereinigte kritische Edition, die die Regelmäßigkeit der Notkerschen Sprache reflektieren und damit die 'ursprüngliche' Notkersprache wiederherstellen würde. Besonders vernichtend aber war J. Keiles Kritik: Er beschrieb P. Pipers Ausgabe als unwissenschaftlich und geradezu irreführend, weil sie kein deutliches editorisches Konzept aufweise. P. Piper habe zu schnell gearbeitet und seine Ausgabe sei daher völlig ungenau. Als Endkonsequenz besitze man nun weder einen verläßlichen diplomatischen, noch einen verläßlichen kritischen Text. J. Kelle beschuldigte P. Piper weiter, weder das Notkersche System der Akzentuierung noch das Anlautgesetz verstanden zu haben. Daher sei P. Piper auch nicht imstande gewesen, beide Systeme richtig und konsequent in seiner Ausgabe anzuwenden. Es läßt sich nicht leugnen, daß P. Piper schnell und flüchtig gearbeitet hat und daß viele der Fehler wahrscheinlich auf diese Eile zurückzuführen sind. Letztendlich aber hat das negative Urteil der Fachkollegen der Ausgabe wenig geschadet, denn die Piperschen Notkertexte wurden in der Folge bis weit in die dreißiger beziehungsweise fünfziger Jahre unseres Jahrhunderts hinein verwendet und sie werden es notgedrungen zum Teil sogar noch bis heute. Denn die 'kleineren Schriften' Notkers sind bisher überhaupt nur in der Piperschen Notkerausgabe zugängig und beide Notker-Wörterbücher, die wir besitzen, verweisen in ihren Ausgaben auf P. η
' Rudolf Kögel, Literaturblatt für germanische und romanische Philologie 11 (1884) S. 421; Friedrich Loofs, Theologische Literaturzeitung 8 (1884) S. 194-197.
8
Johannes Kelle, ADA. 9 (1883) S. 319; Richard Heinzel, ZOG. 35 (1884) S. 118.
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Pipers Textausgabe und sind praktisch nur mit Hilfe dieser Ausgabe verwendbar 9 . Es ist schade, daß J. Kelle, der von allen Philologen des neunzehnten Jahrhunderts Notkers Sprache zweifellos am besten kannte, selbst nie eine eigene Notkerausgabe veranstaltet hat. Trotzdem haben seine Forschungsergebnisse und Ansichten das Denken der folgenden Philologengeneration stark beeinflußt und es schien unmöglich, seine Beweisführungen und seine Vorstellung von einer völlig regelmäßigen und standardisierten Notkersprache zu übergehen. J. Keiles Ansichten einer 'idealen Notkersprache' haben dann die nächste Notkerausgabe ganz entscheidend mitgeprägt. Diese wurde von zwei amerikanischen Germanisten, Edward H. Sehrt und Taylor Starck, in Angriff genommen und erschien ab a.1932 in der Althochdeutschen Textbibliothek (sieh Anhang 6) 10 . E.H. Sehrt und T. Starck bereiteten kritische althochdeutsche Textversionen, die von ihnen sowohl in der Orthographie, Akzentuierung, Flexion als auch in der Interpunktion normalisiert wurden. Um die Gegner kritisch/normalisierter Texte zu beschwichtigen, boten die beiden Gelehrten neben kodikologischen Anmerkungen in ihrem Apparat auch vollständige Lesarten zu den Handschriften an, die sie allerdings oft mit den Bemerkungen 'vom Schreiber, verschrieben, Schreibfehler' versehen haben. Die morphologischen und orthographischen Entscheidungen trafen sie ganz nach den Grundsätzen, wie sie von J. Kelle als 'korrekte' Notkerformen bestimmt worden waren. Die Fachwelt lobte die genaue Arbeit der beiden Herausgeber und die Zügigkeit, mit der ihre Ausgabe voranschritt, doch blieb die Debatte über die der Edition zugrundeliegenden editorischen Prinzipien und Methoden weiterhin ungelöst. Von allem Anfang an meldeten sich nämlich eine Reihe von Stimmen, die mit der wissenschaftlichen Rekonstruktion einer idealen Notkersprache nicht einverstanden waren und die darauf hinwiesen, daß keine der überlieferten Notkerhandschriften eine so einheitliche und regelmäßige Sprache aufweist, wie die von E.H. Sehrt und T. Starck geschaffene Notkersche koine. Durch solche Kritiken sahen sich die Herausgeber dann auch veranlaßt, ihre Editionsprinzipien zumindestens teilweise abzuändern, wohl auch deshalb, weil sie im Laufe der Arbeit gelegentlich selbst ihre Meinung geändert hatten, vor allem aber jedoch, weil die Manuskripttradition von Werk zu Werk verschieden ist. E.H. Sehrt und T. Starck haben nicht alle Werke herausgegeben, die Notker übersetzt hat. So blieben die aristotelischen Schriften De categoriis und De interpretatione sowie die kleineren Schriften Notkers unediert. Diese 9
Edward H. Sehrt - Wolfram K. Legner, Notker-Wortschatz; E.H. Sehrt, Notker-Glossar.
10
Edward H. Sehrt - Taylor Starck, Notkers des Deutschen Werke. E.H. Sehrt und T. Starck haben gemeinsam De consolatio Philosophiae und De nuptiis Philologiae et Mercurii herausgegeben; E.H. Sehrt edierte Notkers Psalter allein.
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Arbeit wurde in der Folge von zwei ihrer Schüler übernommen, nämlich von James C. King und Petrus W. Tax. Die Neuausgabe erscheint jetzt seit a.1972 in der Altdeutschen Textbibliothek und soll die von E.H. Sehrt und T. Starck nicht edierten Texte ergänzen und die ganze Reihe 'auf den neuesten Forschungsstand' bringen, mit anderen Worten, die Ausgabe von E.H. Sehrt und T. Starck revidieren 11 . Sie verkörpert einerseits eine Rückwendung zum editorischen Ausgangspunkt des frühen 19. Jahrhunderts, als man die Notkertexte in der handschriftlich erhaltenen Form abdruckte, zum anderen aber ist sie auch Ausdruck der heutigen wissenschaftlichen Skepsis vis-ä-vis kritischen Textrekonstruktionen mittelalterlicher Texte (sieh Anhang 2). Schon im Jahre 1968 hatte ein Herausgebergremium theoretische Kriterien für die neue Notkerausgabe festgelegt: Demnach sollten die Texte nicht normalisiert, sondern diplomatisch wiedergegeben werden, was auch den Abdruck der Satzzeichensetzung und der diakritischen Zeichen betraf, und es sollten weder morphologische noch syntaktische Änderungen durchgeführt werden 12 . Im Laufe der praktischen Arbeit haben sich dann allerdings wieder eine Reihe von textlichen Änderungen ergeben, weil jedes einzelne Werk eigene Probleme mit sich bringt. Eine Anzahl von Modifizierungen, Emendationen und Verbesserungen wurden von den Editoren für nötig gefunden, und so nennen die beiden Herausgeber ihre Texte nun 'modifiziert diplomatisch'. Da beide Herausgeber an verschiedenen Orten leben und nicht als Team zusammenarbeiten - wie E.H. Sehrt und T. Starck es bei den ersten Bänden ihrer Ausgabe gemacht hatten -, sondern jeweils individuell für die einzelnen Texte verantwortlich zeichnen, ist die Methode der Editionstechnik von Herausgeber zu Herausgeber verschieden und ändert sich auch wegen der unterschiedlichen Texttradition von Band zu Band. Man darf diese letzte Notkerausgabe, die auf viele Jahre hinaus die maßgebliche Notkerausgabe bleiben wird, daher nicht als aus einem Guß entstanden betrachten, sondern man muß die einzelnen Texte separat bewerten. So hat zum Beispiel J.C. King im Jahre 1972 als ersten Text Notkers Übersetzung von De categoriis nach den beiden St. Galler Handschriften herausgegeben 13 . Für den ersten und längeren Teil dieses Textes verwen11
James C. King - Petrus W. Tax, Die Werke Notkers des Deutschen. Bisher wurden die folgenden Werke herausgegeben: De nuptiis Philologiae et Mercurii mit Notker latinus, Categoriae und De interpretatione mit Notker latinus, Psalter mit Notker latinus und De consolatione Philosophiae.
12
Das ursprüngliche Notker-Kuratorium, das a.1968 gegründet wurde, bestand aus den beiden Herausgebern James C. King und Petrus W. Tax, Hugo Kuhn, Bernhard Bischoff, Ingeborg Schröbler und Stefan Sonderegger. Die vom Herausgebergremium festgelegten Regeln für die Ausgabe findet man am Anfang der beiden ersten Notkerbände abgedruckt, die im Jahre 1972 erschienen sind: J.C. Kings Ausgabe der Categoriae (Band 73) und P.W. Taxs Notker latinus zum Psalter (Band 74).
13
Band 73 der Altdeutschen Textbibliothek.
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dete er beide überlieferten Handschriften, die jedoch sehr unterschiedliche Lesarten überliefern, und präsentierte einen textus compositus bis zu der Stelle hin, wo das Manuskript A (= St. Gallen 825) abbricht. Von da an druckte er dann das Manuskript Β (= St. Gallen 818) weiter allein ab. Bei seinem textus compositus handelt es sich um die übliche eklektische Methode der Auswahl der 'besten Lesarten' aus den beiden Handschriften, wobei die Varianten dann jeweils im Apparat verzeichnet werden. Warum J.C. King einen textus compositus herstellte, nachdem er eine 'modifiziert diplomatische' Ausgabe angekündigt hatte, wird nirgends erklärt. Man hätte sich aber in diesem Fall lieber den verläßlichen diplomatischen Abdruck einer Handschrift gewünscht, nicht nur in Hinsicht auf eine etwaige Faksimileausgabe in der hoffentlich nicht allzu fernen Zukunft, sondern auch, weil wir ja sowieso bereits mehrere Notkerausgaben besitzen, in denen wir mit editorisch 'behandelten' Texten konfrontiert werden. Die Lesarten, Anmerkungen und Verbesserungen zum Text hätte J.C. King besser vollständig in seinen Apparat verbannen sollen, denn dann hätten wir endlich eine genaue Abschrift der Handschriften des Notkerschen Textes vor uns gehabt. Ich kann hier nicht auf die Einzelprobleme in den verschiedenen Notkerbänden eingehen, über die ich an anderen Stellen schon ausführlich berichtet habe 14 . Hier nur noch einige Bemerkungen zu Petrus W. Taxs Ausgabe der althochdeutschen Consolatio, die vor kurzem beendet worden ist. Auch in diesem Text findet man leider verschiedene editorische Ungereimtheiten und innere Widersprüche: Es ist schade, daß der Herausgeber die im Textteil und in seinen beiden Apparaten enthaltenen Verbesserungen und Emendationen oft nicht genau voneinander trennt, sondern unsystematisch durcheinandermengt. So erscheinen in manchen Fällen Informationen im Textteil, die eigentlich in den Apparat gehören, oder man findet Lesarten aus den Manuskripten im Apparat, die in einer diplomatischen Ausgabe in den eigentlichen Text gehören. Es ist in dieser Consolatio-Ausgabe also oft schwierig zu wissen, ob das Gedruckte tatsächlich die handschriftliche Lesart oder eine korrigierte beziehungsweise normalisierte Form dieser Lesart darstellt. F.P. Pickering15 kritisierte seinerzeit die Ausgabe von E.H. Sehrt und T. Starck, daß sie das 'interessante' Material aus den Handschriften 14
Im Widerspruch zu E. Hellgardts Behauptung (PBB. 108, 1986, S. 190, Α. 1), daß keine ausführlichen Besprechungen zu dieser Edition erschienen sind, möchte ich auf folgende Beispiele verweisen: Jürgen Jährling, PBB. 96 (Tübingen 1974) S. 139-144; Kurt Ostberg, Medium Aevum 43 (1974) S. 154-158; Evelyn S. Firchow, Speculum 49 (1974) S. 568-573; E.S. Firchow, Monatshefte 67 (1975) S. 316f.; Jerold Frakes, ADA. 99 (1988) S. 123-132; E.S. Firchow - Alan Babcock - Thomas Potter, JEGP. 88 (1989) S. 60-62; E.S. Firchow, Res Publica Litterarum 11 (1988) S. 331f.; E.S. Firchow - Anna Grotans, JEGP. 89 (1990) S. 91-94; E.S. Firchow - A. Grotans, Res Publica Litterarum 13 (1990) S. 298-301; E.S. Firchow - A. Grotans, JEGP. (im Druck).
15
Medium Aevum 6 (1937) S. 67-69.
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obwohl es möglicherweise 'inkorrekt' war - in den Anmerkungen verstecke. Doch weiß man bei der Ausgabe von E.H. Sehrt und T. Starck immer, wo die gewünschte Information zu suchen ist, denn die Herausgeber verführen in dieser Hinsicht sehr konsequent. Im neuen Consolatio-Text ist das nicht immer der Fall. Hier spukt auch die Vorstellung einer 'idealen Notkersprache' noch sehr deutlich im Hintergrund der Ausgabe herum, und es scheint, daß man sich in diesem 'modifiziert-diplomatischen' Text noch immer nicht von der Idee einer perfekten Notkersprache hat lösen können. Der Herausgeber schreibt, daß seine Ausgabe das Notkersche 'sprachliche Idealbild lebendig erhalten und gegebenenfalls zur kritischen Herstellung gewisser Notker-Texte in authentischer Form [sie!] anregen' solle16. Das bedeutet aber nicht, wie uns versichert wird, 'daß der [handschriftliche] Text vollkommen ist und, sozusagen, 'Dudenperfekt'; dafür gibt es ... zu viele Abweichungen vom Ideal in zu vieler Hinsicht... Es bleiben genug Unsicherheiten und Zweifelsfälle; was 'echt' Notker ist, läßt sich öfter nicht entscheiden'17. Es scheint also, daß entweder die unverläßlichen mittelalterlichen Kopisten von Notkers Schriften entstellte Textzeugnisse hinterlassen haben oder aber, daß Notker selbst seine Meinung über sein eigenes Schreibsystem mehrere Male geändert hat oder vielleicht, daß er die Kontrolle über die Abschreiber seiner Übersetzungen verloren hat und seine Schreibregeln schließlich aufgeben mußte, weil ja 'viele Verbesserungen und vor allem Rasuren eine Handschrift normalerweise nicht verschönern'18. Es stellt sich daher die Frage, wie wir heute im Nachhinein überhaupt feststellen wollen, welche Formen nach Notkers Ansicht 'regelrecht' und welche 'fehlerhaft' gewesen sind, wenn die Manuskripttradition so verderbt ist, daß sich nicht einmal die Regeln des Anlautgesetzes und der Akzentuierung ohne große Schwierigkeiten und Meinungsstreitigkeiten unter den besten Philologen aus den überlieferten Texten ableiten lassen? Wäre es nicht logischer und ehrlicher, wenn wir endlich zugeben würden, daß Notkers Sprache in Wirklichkeit wahrscheinlich niemals so regelmäßig und einheitlich gewesen ist, wie ein Teil der Fachwelt bisher geglaubt hat. Denn das schöne Wunschbild einer idealen Notkersprache hätte längst als Wunschtraum neogrammatischen Denkens erkannt und zu Grabe getragen werden sollen.
16
P.W. Tax, Die Werke Notkers des Deutschen, Altdeutsche Textbibliothek 94, S. LIV.
17
Ebenda, S. LIII-LIV.
18
Ebenda, S. LV.
118
Evelyn Scherabon Firchow
Anhang
1. St. Gallen, Stiftsbibliothek 825, pag. 233 (Notkers Übersetzung von Boethius, De consolatione Philosophiae, liber 5, prosa 1)
Notker Teutonicus und seine Werke
119
Liber quintus (B88.8-20)
233 Λ233
Hfo autem etei
sunt perutilia
uerea sunt pauliaper
Stil 6uh tlse questicnes nüzze . ze^uulzenne. p1 Tarnen apropositi noetri. Sie br6chent täl eteuuAz aba άέπο uu&ge
cognitu.
α tramite
den lh färo. Uerendumque eat . ne fatigatua
. non poeeie
ten rehten uu6g . eretxlchen nejrCglst. De id inquam proreua fürhte du nleht chäd lh. Nam fuerit
do nehein zuluel ηartige sin. Cum ornne latus 10 bitata
aufficere
Unde s6rg£n lh . tSz tO rrßede uu&rtenSr . in^Suuekke . dära näh
rectum iter. 5
deuiia
ambigatur.
Unde dero äfterün rfe-
tue diaputationie
constiterit
indu-
Tänne die be^hSlbo uu&rtenen questicnes . 6r zejjulsheite ch&-
fide.
men sin. Idlest . ut incident.es questlones . qup a latere surgunt . prlus enodat£ . fidan tribuant reliquls a te propositis. Tum illa chäd sl . trägo lh tlnen slto. Simulque C A S U M 15
$ i
SINE
quidem inquit
tu . et nulla
C A U S A aliquia
conexione
sic orea eat.
F A L S U M
diffiniat
causarum.
inquit.
marem. NÖ
Tär mite fteng sl süs äna.
DICI.
3
casum esse produatum euentum temerario
mo-
Übe laian heizet casum .feinastüzzelin-
gun uu&rtena gesklht . ünde äne ällero dlngo mächunga. nihil casum esse confirmo.
Geram tibi
omnino
Sö chldo lh päldo . dSz casus nleht nesl. Et decerno proraue
nem uocem esee . preter
aignificationem
subiectf
rei.
ina-
Unde h&izo lh izfeinenhären nä-
20 men . Sne bezfeichennisseda. Causa 1st lo ccnexa zö dero euentu. F&ne diu . däz man chit temerario motu . ünde sine causa . älde sine conexione
äber däz? Uulr mügen iz sprachen . uulr neflndfin is lo nleht. Taneritas 1st ümbe-dencheda . ünde üngeuuSrehfeit . ünde gäscrecchi . ünde ün&rdenhafti . fräuali . ününderskMt . ünrihti. Temerarius . i . mentis preeeps 1st ter . der nerüoehet uuäz er tüot . ünde dfer Sne rät tQot . täz Imo mittun30 des üf uulrdet. T&n hfeizfri uulr rägare. Ffcne tsmaido 1st kesprtchen 4 "mQode S *T6s 8 *längst 10 fide., 12 te: t aus i rad. und verb. 14 FALSO 16/17 »stüzzelingOn 20 »bezeichennlsseda #züo 22 »ärdingfin 22/23 ündürftes: r aus £ rad. und verb. 24 »seibuukga 27 »ünbedencheda »gähscrecchi 27/28 *ün6rdenhSfti 28 »ünrihti
2. James C. King - Petrus W. Tax, Die Werke Notkers des Deutschen. Band 3. Boethius, De consolatione Philosophiae IV/V. Herausgegeben von Petrus W. Tax, Tübingen 1990, S. 233 (über 5, prosa 1)
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Evelyn Scherabon Firchow
b rech on t loh elcüua/. aba demo uticgP. den ih färo. Vndc sorgen ih. taz tu müede uuörtenir. in äuuekke. dara nah ten rehten üueg. crstricheh ne tnugist. Des ne furhte du nicht chad ill. Mir ist taz räuua. [nals miihi.] übe Ih keciseön müoz. les mih langet. Unde dero aftefun redo nehein zuiuel ne muge sin. Tanne die be halbo tjuortenen quesliones. £r ze guisheite chomen sin. Ν ύ chid si. trago ih tineri sito. Tär mite fieng ei 8us ana. CASUM SINE CAUSA FALSO DICL Ψ
Übe iomi»n heilet casum· eina iilüzzelingun uuortena geskiht. linde äne allero dingo machunga. So chido ih paldo. daz casus nieht ne s t Unde heizo Iii iz έίηεη baren ilamen. äne bezeichennisseda. [Causa ist 10 connexa zu dero euentü. Fone diu daz inan chit temerario motu, unde sine causa, aide sine conexione causaruAi. daz ist al ein. Taz chit all er. etuzzelingün. ärdingun.' uhdurftes. äne urhab. ane ürspring. ane sciilde. äne reda. Temerarius motus mag ouh cheden selbuuaga. iilde selbheui. ih meino. also daz ist. übe sih ieht fone imo selbemo erheuet· unde fone imo
propositi nostri tramite paullisper auersa eunt; uerendumque est, ne deuiis fatigatus ad emetieridum rectum iter eufficere non possis. > Ne id, inquam, prorsus uereare» Nam quietis mihi loco fuerit ea, quibus niaxime delector, agnoscere, simul cum omne disputationis tuäe latus indubitata fide Constiterit, nihil de seqüentibus ambi* gatur. Tum illä, morem, inqüit, geram tibi; simulque sie orsa est. Si quidem, inquit, aliquis euenliim temerario motu nul» Iaque causarum connexione produetum, casum esse definiat, nihil omnino casum esse confirmo, et praeter subieetac rci signiticationem inanem prorsus uocem esse decerno. Quis
3. Eberhard G. Graff, Althochdeutsche, dem Anfange des 11. Jahrhunderts angehörige Übersetzung und Erläuterung der von Boethius verfaßten 5 Bücher De Consolatione Philosophiae, Berlin 1837, S. 240 (liber 5, prosa 1)
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Notker Teutonicus und seine Werke
314 der . übe du casum füre teht haben uuellest. Et quidnam arbitrcre. V'nde uuäz tu in Ablotst. Tum illa inquit. To äntuuurta sl. Festino absolucre debitum promissiouis . l'h kahön raih zc-irlösenne mines keheizes. Et aperire tibi uiam . qua reuearis ad patriam . V'nde dir zegezeigönne d£n vuig . ΙέΓ dih beim bringe . Leid habet tih lines rav'otes elelenden gebin . ih uuile iz llen ze-stete gesezzen . mit änderro zilo. [233.] Haie autem et si sunt perulilia cognitu. Sin öuh Use questiones nuzze . zeuuizenne. Tarnen auersa sunt paulisper a tramite propositi nostri. Sie brechen! tcjh eteuuäz äba demo uuege din ih f l r o . Vercndumque est . ne fatigatus deuiis . non possis suflkere . ad emetiendum rectum iter . V'nde sörgin iti. tiz tü rauede uuörtcnär. in-duuekke . dara nrth ten rehten uueg. erstrichen nemugist. Ne id inquam prorsus ucreare. D&s nefurhte du nieht chüd ih. Nam fuerit mihi quiclis loco agnoscere ea quibus maxime delcclor. Mir ist taz rluua . näls miibi . übe ih keeiscön müoz . Iis mih länget. Simul de sequentibus nihil ambigatur. U'ode dero dfteriin redo nchein zuiuel nemtigo sin.
Cum omne latus tust! disputationis constiterit indubitata fide . Tanne die b e - h i l b o uuörtenen questiones . 4r ze_guishiite chdmen sin. Id e s t . ut incidentes questionis . qua) a latere surgunt . prius enodatx . fidem tribuant reliquis a te propositis . Tum illa inquit. Geram tibi mor e m . Nil chad s i . trägo ih tlnen sito. Simulque sie orsa e s t . fleng si stis äna.
T4r mite
CASVSI SINE CAVSA FALSO DICI . Si quidem inquit aliquis diffiniat casum esse produetum euentum temerario motu. et nulla conexione causarum. V'be loman heizet casum . £ina stiizzeiingun uuiirtena geskiht . linde Ane illero dingo machiinga. Nihil omninu casum esse confirmo. Sö chido ih paldo . diz casus nieht nesl. Et decerno prorsus inanem nocem esse . praeter signißeationem subjects rei. V'nde heizo ib iz einen baren ndmen . üne bezeichennisseda. Causa ist lo conexa zü dero euentu. Föne diu . däz man chlt temerario motu . linde sine causa. aide sine conexione causarum . däz ist 4l £in. Taz chit illez . stuzzelingiln . ärdingun . ün-
4. Heinrich Hattemer, Denkmahle des Mittelalters, III. Notker's des Teutschen Werke. Zweiter Band, St. Gallen 1848, S. 214 (liber 5, prosa 1)
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Evelyn Scherabon Firchow
305 äuuekke . daranäh ten rehten uueg . erstrichen nemugist. Ne id inquam prorsus uereare. Des nefurhte du nieht chad ih. Nam fuerit mihi quietis loco agnoscere ea quibus maxime delector. Mir ist täz räuua . δ nals miihi. übe ih keeiscon müoz . tes mih langet. Simul de sequentibus nihil ambigatur. Unde dero afterün redo nehein zuiuel nemiige sin. Cum omne latus tu$ disputationis constiterii indubitata fide. Tanne die behälbo uuortenen questiones . er ze guisheite 10 chomen sin. Id e s t . ut incidentes questiones . qu§ a latere surgunt. prius enodatg . fidem tribuant reliquis a te propositis. Tum illa inquit. Geram tibi morem. Nü chad s i . trago ih tinen sito. Simulque sie orsa est. Tärmite fieng si sus ana.
15
3. CASUM SINE CATTSA FALSO DICI.
Si quidem inquit aliquis diffiniat casum esse productum euentum temerario motu . et nulla conexione causarum. Übe ioman heizet casum . eina stuzzelingun uuortena geskiht. unde äne ällero dingo ma20 chunga. Nihil omnino casum esse confirmo. So chido ih päldo . däz casus nieht nesi. Et decerno prorsus inanem uocem esse . prefer significationem subiect§ rei. Ünde heizo ih iz einen baren nämen . äne bezeichennisseda. Causa ist io conexa zu dero euentu. Fone 25 diu . daz man chit temerario motu . unde sine c a u s a . aide sine conexione causarum . däz ist al ein. Taz chit ällez . stuzzelingun . ärdingun . undurftes . äne lirhab . äne Urspring . äne sciilde . äne reda. Temerarius motus mag ouh cheden selbuuaga . aide selb30 heui . ih meino . also däz i s t . übe sih ieht fone imo Notker e i Piper. I.
20
5. Paul Piper, Die Schriften Notkers und seiner Schule, I. Schriften philosophischen Inhalts, Freiburg/Tübingen 1882, S. 305 (Uber 5, prosa 1)
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Notker Teutonicus und seine Werke
332 deuiis . non possis sufficere . ad emetiendum rectum iter. Ünde sorgen ih . taz tu müode uuortener . in (305) äuuekke . dara-näh ten ruhten uueg . erstrichen nemügist. Ne id inquam prorsus uereare. Tea nefiirhte 5 du nieht chad ih. Nam fuerit mihi quietis loco agnoscere ea quibus maxime delector. Mir ist taz rauua . nals muhi . übe ih keeiscon müoz . tes mih langet. Simul de sequentibus nihil ambigatur. Ünde deio afterün redo nehein zuiuel nexniige sin. Cum (mine 10 latus tu$ disjnitationis constiterit indubitata fide. Tanne die be halbo uuortenen questiones . er ze guisheite chomen sin. Id est . ut incidentes questiones . que a latere surgunt . prius enodate . fidem tribuant reliquis a te propositis. Tum illa inquit. Geram tibi 15 tnorem. Nü chad si . trago ih tinen sito. Simidque sic orsa est. Tar-mite fieng si sus äna. 3. CASUM SINE CAUSA FALSUM DICI. Si quidem inquit aliquis diffiniat casum esse -preduetutn euentum temerario motu . et nulla conexione 20 causarum. Übe ioman heizet casum . eina stiizzelingun uuortena geskiht . ünde äne allero dingo machunga. Nihil omnino casum esse confirmo. So chido ih päldo . daz casus nieht nesi. Et decerno prorsus inanem uocem esse . preter significationem subiectq rei. 25 Ünde heizo ih iz einen baren nämen . äne bezeichennisseda. Causa ist io conexa züo dero euentu. Fone diu . daz man chit temerario motu . ünde sine causa . 2 müede 4 Des 7 länget. 10 fide., aus 3 korr. 17 FALSO 20 stüzzelingun zeichennisseda. 26 zü
14 te 25 be-
12 i. stabilitum fuerit hoc cum dispositione sententia nostra fuerit succis quaestionibus, quae ex latere possunt oriri R.
6. Edward H. Sehrt - Taylor Starck, Notkers des Deutschen Werke, I. 3. Boethius De consolatione Philosophiae, Halle/Saale 1934, S. 332 (über 5, prosa 1)
Achim Masser Der handschriftliche Befund und seine literarhistorische Auswertung i. Die Beschäftigung mit altdeutschen Texten impliziert in besonderer Weise die Beschäftigung auch mit den jeweiligen Überlieferungsträgern dieser altdeutschen Texte. Ohne die sorgfältigste Beachtung der jeweiligen Überlieferungsträger ist das Studium altdeutscher Texte nicht möglich. Dabei ist es vollkommen unerheblich, um welche Art von Text es sich fallweise handeln mag, ob es also beispielsweise Glossen sind, die untersucht werden sollen, ob es ein Stück kirchlicher Gebrauchsprosa ist oder ob man es mit einer kürzeren oder längeren Dichtung zu tun hat. Nun ist das natürlich nichts Neues, und es wird auch niemand sagen wollen, den Überlieferungsträgern altdeutscher Texte sei bislang keine Aufmerksamkeit geschenkt worden. Jeder weiß auch beispielsweise, wie wichtig es für die geistesgeschichtliche und kulturhistorische Bewertung eines Textes ist, daß man ihn - über seinen Überlieferungsträger! - in die Tradition eines bestimmten Skriptoriums einordnen kann. Um Derartiges soll es hier nicht gehen. In gebotener Kürze und anhand lediglich dreier Beispiele soll vielmehr auf das Problem hingewiesen werden, das in der Spannung zwischen literarhistorischer Aussage über einen Text und dem handschriftlichen Befund, auf den sich diese Aussage stützt, besteht. Der durchschnittliche Benutzer altdeutscher Texte bezieht in der Regel Auskünfte über diese Texte aus eventuellen Anmerkungen in den jeweiligen Textausgaben, im übrigen aber aus einschlägigen literaturgeschichtlichen Werken. Er vertraut darauf und er sollte das dürfen, daß die hier gemachten Angaben nicht nur zutreffend sind, sondern daß sie ihm auch nichts von dem, was für die Beurteilung des Textes wesentlich ist, vorenthalten. Er verläßt sich insonderheit darauf, daß es mit Primärinformationen, die augenscheinlich außer Streit stehen, seine Richtigkeit hat. Primärinformationen beispielsweise auch in bezug auf handschriftliche Befunde. Eine solche uneingeschränkte Zuversicht ist keineswegs berechtigt. Die nachfolgenden Beispiele sollen zeigen, daß bei der Beschäftigung mit althochdeutschen Texten eine unzutreffende oder zumindest ungenaue Erfassung des handschriftlichen Befundes zu entsprechend ungenauer oder gar unrichtiger Darstellung führt; daß diese ungenaue oder unrichtige Darstellung in der Folge wiederum Anlaß wird zu ungenauen oder falschen
Der handschriftliche Befund und seine literarhistorische Auswertung
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Interpretationen und Auswertungen des handschriftlichen Befundes, daß hier Fehlmeinungen und Fehlurteile entstehen und daß schließlich solche aufgrund ungenauer Erfassung eines handschriftlichen Befundes entstandenen Fehlmeinungen und Fehlurteile, sobald sie sich einmal eingenistet haben, beharrlich, aber ungeprüft weitergegeben werden. Die gewählten Beispiele sind das Hildebrandslied, der althochdeutsche Tatian sowie die sogenannten Gebete des Sigihart, die am Schluß der Freisinger Handschrift von Otfrids Evangelienharmonie stehen. Es sind also sehr bekannte Texte, und das ist Absicht. II. 1. Das Hildebrandslied1. - In seiner Kommentierung des Hildebrandsliedes, die auf den heutigen Leser zuweilen aphoristisch und sprunghaft wirkt, merkte Jacob Grimm im Jahre 1815 an, der Text sei wohl aus dem Gedächtnis aufgezeichnet worden, denn beim Vorhandensein einer schriftlichen Vorlage hätte der Schreiber gewiß 'vorausgemerkt, daß der enge, ihm offenstehende Raum von zwei Seiten nicht das vollständige Lied von Hildebrand würde fassen können' 2 . Er hätte sich dann wohl - so darf man die Überlegungen J. Grimms nachvollziehen - für die beabsichtigte Niederschrift von vornherein nach einem anderen Textträger umgesehen, nach einer Handschrift nämlich mit einer hinreichenden Anzahl von freien Seiten. Gut ein Jahrhundert später ist aus dieser Bemerkung Jacob Grimms bei Gustav Ehrismann in dessen Ausführungen zur handschriftlichen Überlieferung des Hildebrandsliedes folgende sehr präzise Formulierung geworden: 'Der Text bricht kurz vor dem Ende des Liedes ab, da kein Raum mehr zum Weiterschreiben vorhanden war' 3 . Und schließlich in der Literaturgeschichte von Helmut de Boor: 'In einen ursprünglich fuldischen Codex ... ist das Hildebrandslied auf der ersten und letzten Seite durch zwei Schreiber zu Anfang des 9. Jahrhunderts eingetragen, soweit der Raum reichen wollte' 4 .
1
Kassel, LB und Murhardsche Bibliothek 2° Ms. theol. 54, fol. l r und 76 v . Ausgabe des Textes: Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, Nr. I, S. 1-15.
2
J. Grimm, Altdeutsche Wälder, II, S. 112.
3
G. Ehrismann, Geschichte der deutschen Literatur bis zum Ausgang des Mittelalters, I, S. 122: 'Das Gedicht steht auf der Vorderseite des ersten und auf der Rückseite des letzten Blattes der Handschrift. Es ist um 800 eingetragen, und zwar von zwei Schreibern, deren erster den größten Teil abfaßte, während der zweite, auf der Rückseite des letzten Blattes beginnend, nur die 7 1/2 (fortlaufend geschriebenen) Zeilen von v. 30 (Hiltibraht) bis v. 41 (du) beitrug. Der Text bricht kurz vor dem Ende des Liedes ab, da kein Raum mehr zum Weiterschreiben vorhanden war'.
4
H. de Boor, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung, S. 62.
126
Achim Masser
Ich erspare mir weitere Belege für diese ebenso schlichten wie unkomplizierten und den fehlenden Schluß des Hildebrandsliedes einleuchtend erklärenden Angaben. Allerdings sind diese Angaben nicht zutreffend, wie jeder weiß, der sich einmal die Handschrift oder ein Faksimile von ihr angesehen hat 5 . Der nach dem Textabbruch freigebliebene untere Rand der Seite ist so breit, daß unter Beibehaltung des auf dieser Seite üblichen Zeilenabstandes noch vier Schriftzeilen unterzubringen gewesen wären. Noch breiter ist der linke Rand, etwas schmaler der obere. Der Abbruch des Texteintrages ist somit keineswegs durch eine extreme Platznot verursacht worden. Es wäre dem Schreiber unbenommen gewesen, zunächst einmal über den normalen (und vorgezeichneten) Schriftraum hinaus im Bereich des unteren Seitenrandes weiterzuschreiben, sodann, wenn nötig, den linken Rand zu nutzen und erforderlichenfalls auch die obere Randzone miteinzubeziehen. Es gibt genügend Beispiele dafür, daß altdeutsche Texte in solcher oder ähnlicher Weise aufgezeichnet wurden. Raum, den man hätte beschriften können, war also auf dieser Seite durchaus noch vorhanden. Wenn ihn der Schreiber nicht gefüllt hat, wenn der uns überlieferte Text vielmehr am Ende der letzten geschriebenen Zeile mitten im Vers abbricht, so ist die Frage nach dem Warum dieses Textabbruchs im Lichte und unter Berücksichtigung des handschriftlichen Befundes mit großer Dringlichkeit neu zu stellen. Eine Antwort darauf zu versuchen, ist nicht die Aufgabe dieses kleinen Beitrages. Es soll nur darauf hingewiesen werden, daß sich Überlegungen vor allem in zwei alternative Richtungen hin anbieten: Entweder es machte dem Schreiber überhaupt nichts aus, ob er das Hildebrandslied vollständig oder gegebenenfalls auch unvollständig aufzeichnete (das würde dann zu weiteren Schlüssen nötigen), oder aber die Niederschrift fand anderswo ihre Fortsetzung und ihren Abschluß, wobei diese Fortsetzung als verlorengegangen anzusehen wäre 6 .
5
Das Hildebrandslied ist nicht selten im Bild wiedergegeben worden. Zuerst von Wilhelm Grimm, De Hildebrando antiquissimi carminis Teutonici fragmentum, [ohne Seitenzahl nach dem Vorwort]. Zu nennen sind ferner insbesondere: Die ältesten deutschen Sprach-Denkmäler, Tafel 1 und 2 sowie Tafel 3 und 4 mit der Wiedergabe des Grimmschen Faksimiles; Georg Baesecke, Das Hildebrandlied, Beilage; Schrifttafeln zum althochdeutschen Lesebuch, Tafel 12 und 13; Das Hildebrandlied. Faksimile der Kasseler Handschrift mit einer Einführung von Hartmut Broszinski; H. Broszinski, Kasseler Handschriftenschätze, Abbildung auf S. 143 (1. Seite des Hildebrandsliedes).
6
Letzteres ist durchaus keine abwegige und denn auch schon in der einen oder anderen Form wiederholt geäußerte Vermutung; man vergleiche beispielsweise H. Broszinski, Kasseler Handschriftenschätze, S. 139: 'Der Schluß des Gedichts stand vermutlich auf dem Spiegel des hinteren Buchdeckels oder einem lose beiliegenden Blatt'; man vergleiche ferner Klaus Düwel, VL. III, Sp. 1240f.
Der handschriftliche Befund und seine literarhistorische Auswertung
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2. Der althochdeutsche Tatian7. - In der Einleitung seiner Ausgabe des Tatian beschreibt Eduard Sievers Anlage wie Einrichtung des St. Galler Codex 56. Über den Eintrag des Textes der Evangelienharmonie informiert er wie folgt: Nach den zweispaltig beschriebenen Kapitelüberschriften enthalten die Seiten 25-342 'ebenfalls zweispaltig den Text der Harmonie, links den lateinischen, rechts den deutschen'8. Die gängigen Literaturgeschichten des späten und ausgehenden 19. Jahrhunderts fußen auf dieser Angabe9, und auch bei G. Ehrismann10 klingt die Sieverssche Formulierung an: 'Die Blätter sind zweispaltig, so daß der lateinische Text links, die deutsche Übersetzung rechts steht'. Das ist nicht falsch, aber es ist nur die halbe Wahrheit, und die halbe Wahrheit kann zuweilen von der ganzen Wahrheit sehr weit entfernt sein. Es wäre in diesem Fall entscheidend wichtig gewesen, wenigstens ganz kurz zu erwähnen, auf welche Weise die Spalten jeweils links mit dem lateinischen und rechts mit dem deutschen Text gefüllt sind. Der Texteintrag erfolgte nämlich derart, daß lateinischer Text und deutscher Text jeweils vom gleichen Schreiber aus getrennten Konzeptvorlagen Zeile für Zeile parallel eingetragen wurden. Dabei achtete jeder der verschiedenen sich in der Arbeit abwechselnden Schreiber peinlich genau darauf, daß er in der linken Spaltenzeile nicht mehr lateinischen Text eintrug, als er in der parallelen Spalte an übersetzendem deutschen Text unterzubringen vermochte. Nötigenfalls radierte er zuviel geschriebenen lateinischen Text wieder aus, damit die beabsichtigte exakte Entsprechung von linker Spaltenzeile und rechter Spaltenzeile erreicht wurde. Lateinischer Basistext und deutsche Übersetzung sollten durchgehend zeilengetreu aufeinander ausgerichtet sein - das zu wissen, ist ungemein wichtig, und hierauf hinzuweisen darf nicht versäumt werden. Denn dieses aus dem handschriftlichen Befund erkennbare Verfahren liefert natürlich Hinweise auf das Programm der Handschrift, auf die Absichten, die mit dem Projekt der Tatian-Bilingue verfolgt wurden, und ist daher (in Verbindung mit weiteren Aspekten, die im jetzigen Zusammenhang nicht zur Sprache kommen können11) von außerordentlicher Bedeutung für die Gesamtbeurteilung des Werkes. E. Sievers, der Herausgeber des Tatian, hat für diesen handschriftlichen Befund kein Auge gehabt, hat ihm zumindest keinen Wert beigemessen, und er hat 7
St. Gallen, Stiftsbibliothek 56.
8
Tatian, S. XI.
9
Man vergleiche Paul Piper, Die älteste deutsche Litteratur bis um das Jahr 1050, S. 120f.; Johann Kelle, Geschichte der Deutschen Litteratur von der ältesten Zeit bis zur Mitte des elften Jahrhunderts, S. 111; Rudolf Koegel, Geschichte der deutschen Litteratur bis zum Ausgange des Mittelalters, I, 2, S. 524.
10
Geschichte der deutschen Literatur, S. 286.
11
Man vergleiche jetzt Achim Masser, Die lateinisch-althochdeutsche Tatianbilingue des Cod. Sang. 56.
128
Achim Masser
deshalb auch nicht die sich hieraus ergebenden Konsequenzen erkannt12. Und Spätere haben von dieser spezifischen Anlage der St. Galler TatianHandschrift keine Kenntnis genommen, obwohl seit Jahrzehnten Abbildungen der Handschrift zur Verfügung stehen 13 . Erst Johannes Rathofer 14 hat vor rund zwanzig Jahren mit Nachdruck auf diese Dinge aufmerksam gemacht, die jetzt allmählich in einschlägigen literarhistorischen Darstellungen berücksichtigt werden 15 .
3. Der Schluß der Otfrid-Handschrift F. Die Gebete des Sigihart16. Oskar Erdmann schreibt in der Einleitung seiner a.1882 erschienenen Ausgabe von Otfrids Evangelienharmonie: 'Am Schlüsse der Handschrift F nach V,25 steht das an manche otfridische Wendung erinnernde, sonst ziemlich plumpe Gebet des Schreibers (Dkm.XV), sowie die Bemerkung: Waldo episcopus istud evangelium fieri jussit. Ego Sigihardus indignus presbyter scripsi ' 1 7 . In den 'Denkmälern deutscher Poesie und Prosa' von Karl Müllenhoff und Wilhelm Scherer 18 , auf die O. Erdmann hier verweist, werden die in Frage stehenden Verse als 'Gebet des Sigihart' geführt; als ihr Verfasser gilt also Sigihart, der Schreiber der Freisinger Otfrid-Handschrift. Daß Sigihart diese Verse auch manu propria geschrieben habe, wird nicht eigens gesagt, aber offenbar angenommen. Immerhin bemerkt E. Steinmeyer 19 , daß der Text der Gebetsverse 'mit etwas kleineren Charakteren und flüchtiger als das Ende von Otfrid 5,25 eingetragen' sei. Man mag das verstehn, wie man will - zumindest expressis verbis wird eine Schreiberidentität von E. Steinmeyer nicht behauptet. 12
Was sich ja nicht nur an einem fehlenden verbalen Hinweis, sondern auch in der Anlage der von ihm veranstalteten Ausgabe des Tatian zeigt, in der diese in der Handschrift vorhandene durchgängige und genau eingehaltene Zeilenentsprechung von lateinischem Text und deutschem Text in keiner Weise ersichtlich wird.
13
G. Baesecke, Der deutsche Abrogans und die Herkunft des deutschen Schrifttums, Tafel VIII und IX; G. Baesecke, Die Überlieferung des althochdeutschen Tatian; Schrifttafeln zum althochdeutschen Lesebuch, Tafel 9.
14
Annali 17 (1971) S. 1-98, hier besonders S. 88-94; man vergleiche auch J. Rathofer, Zeiten und Formen in Sprache und Dichtung, S. 337-356; J. Rathofer, Literatur und Sprache im europäischen Mittelalter, S. 256-308.
15
Man vergleiche Wolfgang Haubrichs, Die Anfänge, S. 260-263.
Otfrids Evangelienbuch. Herausgegeben von O. Erdmann, S. LI f.
18
Denkmäler deutscher Poesie und Prosa aus dem VIII bis XII Jahrhundert, I, Nr. XV, II, S. 90. - In den älteren Otfrid-Ausgaben finden sich Angaben, wie sie O. Erdmann dann in seiner Ausgabe macht, nicht; man vergleiche Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch. Herausgegeben von J. Kelle, I, S. 151 (Abdruck des Gebetstextes samt Subskript, aber keine Bemerkung über den Schreiber dieser Verse); Otfrids Evangelienbuch. Herausgegeben von P. Piper, I, S. 204-240 (überhaupt kein Hinweis auf die fraglichen Verse).
19
Die kleineren althochdeutschen Sprachdenkmäler, S. 102.
Der handschriftliche Befund und seine literarhistorische Auswertung
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Die einschlägigen literarhistorischen Darstellungen haben sich hingegen an die Formulierung 0 . Erdmanns gehalten: 'Der Schreiber der Freisinger Otfrid-Handschrift, Sigihardus, hat sie vor seine ... Schlußbemerkung gesetzt' 20 . Oder: 'überliefert und gewiß auch gedichtet von dem Schreiber des Freisinger Otfrid' 21 . Und noch bei H. de Boor liest man über den mit der Abschrift von Otfrids Evangelienharmonie betrauten Priester Sigihart: 'Als Abschluß hat er zwei kleine Schlußgebete seinem Schreibwerk angehängt, je zwei Reimpaare, die sich so gut wie ganz aus Fügungen zusammensetzen, die der Schreiber aus seinem Otftied gelernt hat 2 2 . Und wiederum muß man sagen, daß ein einziger Blick in die Handschrift oder in ein Faksimile23 genügt, um festzustellen, daß keineswegs eine Identität der Schreiberhände vorliegt. Angefangen vom allgemeinen Ductus dieses Eintrages über die bei ihm vorhandenen Reimpunkte bis zu einzelnen Buchstaben kann kein Zweifel sein, daß die fraglichen Verse nicht von Sigihart, dem Schreiber des Otfridtextes geschrieben worden sind. Soweit zu sehen ist, hat hierauf bislang lediglich Bernhard Bischoff24 aufmerksam gemacht, einhundert Jahre nach der Veröffentlichung des ersten Faksimiles, und immerhin ist dieser Hinweis B. Bischoffs auch schon wieder vor dreißig Jahren erfolgt, ohne daß daraus die notwendigen Konsequenzen gezogen worden wären. 'Sigiharts Gebete', am Ende aller Schreibermühen eigenhändig aufgezeichnet - das ist eingängig und von daher eine offensichtlich zu gut eingeführte und deshalb feste Größe. Diese Verse sind also nicht von Sigihart geschrieben worden. Sie sind vielmehr wie die darüber stehenden lateinischen Formeln Tu autem domine miserere nobis. Domine iubenedicere [= iube benedicere] AMEN von anderer Hand nachträglich in den ursprünglich freien Raum zwischen dem Ende von Otfrids Dichtung und dem oben zitierten Subskript eingetragen worden. Diese lateinischen Formeln (deren erste bekanntlich abgekürzt am rechten Rand noch zweimal, nämlich in Höhe von Sig., V.l und Sig., V.3 20 2
J. Kelle, Geschichte der deutschen Litteratur, S. 187.
1 R. Koegel, Geschichte der deutschen Litteratur, S. 111.
22
Η. de Boor, Die deutsche Literatur von Karl dem Großen bis zum Beginn der höfischen Dichtung, S. 85.
23
Faksimile bereits in der Ausgabe von J. Kelle, Otfrids von Weissenburg Evangelienbuch, II, Tafel 5; ferner in: Die ältesten deutschen Sprach-Denkmäler, Tafel 44; E. Petzet und O. Glauning, Deutsche Schrifttafeln des IX. bis XVI. Jahrhunderts aus Handschriften der Hof- und Staatsbibliothek in München, I, Tafel VIII; man vergleiche auch Friedrich Maurer, Die deutschen religiösen Dichtungen des 11. und 12. Jahrhunderts, I, Abbildung 1 (nach S. 8).
24
B. Bischoff, Die südostdeutschen Schreibschulen und Bibliotheken in der Karolingerzeit, I, S. 129f.: 'Ganz unwahrscheinlich ist es mir, daß die ahd. 'Gebete des Sigihart' im Otfridvers, die vor die Subskription gestellt sind (125r), von derselben Hand geschrieben sind. Auch nach dem Faksimile ist es möglich, den erheblichen Unterschied der Schrift, der sich auf die Qualität und jede Einzelheit erstreckt, festzustellen'. Man vergleiche ferner B. Bischoff, FMSt. 5 (1971) S. 105.
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Achim Masser
aufgeschrieben ist), weisen auch den Weg zum richtigen Verständnis: Es handelt sich bei diesem Texteintrag überhaupt nicht um 'Gebete', um üblich-fromme Schlußformeln, wie sie ja in der Tat am Ende von Handschriften nicht eben selten begegnen, um Schlußformeln des Schreibers also, der froh ist, mit allen Mühen der Niederschrift fertig zu sein. Es sind vielmehr zwei volkssprachige Umsetzungen lateinischer, in mannigfacher Variation überlieferter und im Stundengebet bis heute üblicher Benediktionen, die bei der anzunehmenden klösterlichen Lesepraxis in alternativer Verwendung der jeweiligen Textlesung vorausgehen25. Die althochdeutschen Verse sind als Vorschläge für eine volkssprachliche Benediktion in poetischer Form bei Gelegenheit des Vortrages aus Otfrids Evangelienharmonie zu verstehen, und ihre allfällige Verwendung wäre so zu denken: Der Aufforderung iube domine benedicere folgt eine der hier zur Auswahl gestellten poetischen Benediktionen, und im Anschluß hieran beginnt der Vortragende mit einer Lectio aus Otfrids Werk. III. Abschließend soll gesagt werden, was sich aus den kurzen Ausführungen zum wenigsten ergibt: 1. Bei althochdeutschen Texten vermag eine nach allen Seiten hin genaue Analyse ihres handschriftlichen Eintrages unter Umständen wichtige, zuweilen auch entscheidende Hinweise auf die Art dieser Texte, auf das Programm der Handschrift, das diese Texte überliefert, auf die Intentionen der Verfasser oder Schreiber zu geben. 2. Dem Herausgeber eines althochdeutschen Textes darf keine Mühe zu groß sein, den oder die Überlieferungsträger, das heißt die Handschrift(en) auf Specifica der Textüberlieferung hin zu befragen. Er muß solche Specifica mitteilen, auch wenn sie möglicherweise ihm, dem Herausgeber, nichts sagen; sie können vielleicht späteren Benutzern und Interpreten wichtige Aufschlüsse geben. 3. Wer mit althochdeutschen Texten arbeitet, muß dies in dem Wissen tun, daß ältere Textausgaben eine Handschriftenanalyse in der hier geforderten Weise weithin vermissen lassen. Er muß sich darüber im klaren sein, daß gängige literarhistorische Urteile nicht selten ohne nähere Kenntnis der handschriftlichen Überlieferung zustandegekommen sind und dann oft genug kritiklos tradiert wurden. Er muß sich deshalb selbst dazu erziehen, seine eigenen Urteile und Bewertungen nicht ohne Einblick in die Handschrift, jedenfalls nicht ohne die Benutzung eines Faksimiles oder einer modernen Ansprüchen genügenden Abbildung zu fällen.
25
A. Masser, VL. VIII [im Druck].
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Der handschriftliche Befund und seine literarhistorische Auswertung ^
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Der handschriftliche Befund und seine literarhistorische Auswertung
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iirzunnt TFXS 65 germ, g 65 Gärtner, Kurt 83 St. Gallen 18, 41, 110f., 115 Stiftsbibliothek Cod. 56 127f., 133 Cod. 818 (Manuskript Β) 115f. Cod. 825 (Manuskript A) 115f., 118 Cod. 905 27f. Cod. 919 136 Übersetzerschule 111 McGeachy, John Alexander 26-28 Gebete s. Sigihart, Gebete Gebrauchshandschrift 108 Gebrauchspoesie 79 Gelasius 107 St. Georgenberg 34f. Georgslied 138 Gerbert, Martin 18-21, 24 gereinigt kritisch s. Edition, gereinigt kritische Gerundiv 16 Gladbach 42 Glossae Salomonis 18-37 Auftraggeber 27f., 30 Epitom 26f., 29-32, 34f. Kompilation 23, 27 Siglenvergabe 23 f. Textzeugen Gruppe A 23-25, 27, 30, 32-36 Gruppe Β 34, 36 Verfasser 27f.
167
Register Glossar 137 Glossar Id. 78 Glossarium Theotiscum 19 Glossen 91, 124 althochdeutsche 9-75, 86, 135f. alttschechische 20 böhmische 20 deutsche 20, 76-82 identifizierbare 14 lateinische 13f., 86 nicht identifizierbare 14, 16 nicht sprachliche 13f. Glossenersatz 70-72 Glossenfälschung 20 Glossenneueinführung 66-72 Glossenneufund 15f., 24 Glossenverlust 23 Glossenwörterbuch, althochdeutsches 15,78 Göttingen, Universitätsbibliothek 106f. Goetz, Georg 26f.,32 Graff, Eberhard Gottlieb 19-22, 25, 83, 110-112, 120 Graz, Akademische Druck- und Verlagsanstalt 85 Graz, Universitätsbibliothek 859 (HSH., StB.: Q; StSG.: al; a2; Q) 41, 51f., 54-64, 67f., 73 Gregor der Große 107 Griffel 9 Griffelglossen 9-17 althochdeutsche 9-17 identifizierte 15 lateinische 13 f. nicht identifizierte 16 nicht sprachliche 13 sonstige sprachliche 13 teilweise identifizierte 15 Grimald 90 Grimm, Jacob 125 Großausgabe s. Otfrid von Weißenburg Großschreibung 49 Grundmorphem 16 Guilelmus Brito Camber 52
Η Hagen, Friedrich Heinrich von der 104, 108 Hammerl, B. 22 Handschriftenbeschreibung 91 Handschriftenklasse 47,51,54-58 Handschriftenkollation 86, 101 handschriftlicher Befund 124-134 Hanka, Väclav 20f. Hannover, Niedersächsische Landesbibliothek 107 Hattemer, Heinrich 112, 121 Haupt, Moriz 105, 108 Heidelberg, Universitätsbibliothek Cod. Pal. germ. 3957 (Sigle K) 40, 43 Cod. Pal. lat. 52 (Sigle P) 84-93, nach S. 96, 98-102, 138 Heiligenkreuz, Zisterzienserkloster 39 Heiligenkreuz, Stiftsbibliothek 17 (Sigle p) 22-24,31 Heilsbronn, Zisterzienserkloster 41 Heinrich von Maisach 31 Heinzel, Richard 113 Hellgardt, Emst 116 Herbst, Hermann 103, 105f., 109 Hexameter 76-82 Hildebrandslied 125f., 131f., 137 Hildebrandt, Reiner 38, 45-51, 53, 73, 75 Hildegard-Glossen 78 HUdesheim 105, 107f. Himmerod, Zisterzienserkloster 40 Hoffmann von Fallersleben, August Heinrich 19-22, 25, 104, 108 Hofmann, Josef 11 Hohenfiiit 25 Hohenfurt, Klosterbibliothek CLI 25 Hrabanus Maurus, Bibelkommentar 86 ahd. hs 65 Huguccio, Vocabularius 105 Hummel, Bernhard Friederich 19
168
Register I
< i > 56 Identifizierungsprobleme (bei Griffelglossen) 9-11 Ikonographie 107 Incipit 28-30 Infinitiv 16,53 Initialen s. Otfrid von Weißenburg, Initialen Inkunabel (Sigle k; Sal. 5) 18-24, 26, 30f. Innsbruck, Universitätsbibliothek 711 22 Interpretation 137 Interpunktionszeichen 86, 89, 101f., 114 irische Hand 26, 32 Isidor von Sevilla, Etymologien 29, 38, 78 Iso (Lehrer Salomos III.) 27
J Jammers, Ewald 89 Johannes de Janua 31 Johanneskommentar 86
Κ < k > 65 vorahd. k 64-66 Kaisheim 23 Kalbe/Saale 104 Kansas s. Lawrence Kapitalis Rustica s. Capitalis rustica Kapitelinitiale s. Otfrid von Weißenburg, Initialen Kapitelüberschriften 127 Karolingerzeit 26, 107 karolingische Minuskel s. Minuskel, karolingische
Kassel, Gesamthochschulbibliothek, Landesbibliothek u. Murhardsche Bibliothek V Ms. theol. 54 125, 131f. Kelle, Johann 83, 87, 104, 108f., 113f. Kiel, Universitätsbibliothek Codex Ms. KB 47 (HSH., StB.: c, StSG.: b) 42f., 53, 55-58, 60-62, 67f. Kilian 107 Kinderling, Johann Friedrich August 104f., 108 King, James C. 81, 115f., 119 Kirchert, Klaus 79 Kissel, B. 93 Kissel, Hans A. 93 Klagenfurt, Bibliothek der Hochschule für Bildungswissenschaften Perg. HS 11 (Sigle T) 41 Kleinausgabe s. Otfrid von Weißenburg Kleinschreibung 49 Knittel, Franz Anton 103f., 108 Kodierungsverfahren 81 Kodikologie 108, 111, 113 Kögel, Rudolf 113 Köln, Historisches Archiv W *91 (Sigle n) 42f., 46, 57f., 67f. Königshofen 79 koine 114 Kollation 86, 101 Kommentar 11 f., 14, 92 paläographischer 11 kommentierend s. Edition, kommentierende Kompilation 30-37 Kompilator 30 Konjektur 49, 53 Konstanz 18 Kontaminierung 58, 69 Konzil von Piazenca 77 kopiale Überlieferung 53f., 74, 107f. Kopist 117 Kopitar, Bartholomäus 20 Korrektor 84, 86f., 92 Korrektur 24, 61, 87, 101 an einer Glossenlesung 10, 14
London, The Brirtish Museum. Department of Manuscripts Add. 18379 22-24,31,33-35 Harl. 2610 25 Loofs, Friedrich 113 Ludwigslied 138 Luther, Martin 81
L
Μ
Lachmann, Karl 113 Laibach 23 Laibach, Städtisches Archiv 22f. Lambach, Benediktinerstift 77 Langfassung s. Summarium Heinrici, Buch XI Lawrence/Kansas, University of Kansas. Kenneth Spencer Research Library MSJ 6:2:1-2 2 5 , 3 1 Lehrgedichte 79 Leibniz, G.W. 82 Leithandschrift 51 Lemma graphisches 12 semantisches 12 verschriebenes 60f. Lemmavariante 54-61 Lesart 14, 116 handschriftliche 53, 113f., 116 unsichere 11 Lesung s. Lesart Lexikographie 79 Liber evangeliorum s. Otfrid von Weißenburg Liber glossarum 26f., 29-31, 33-36 s. auch Glossae Salomonis Liber possessionum 91 Liebesantrag an eine Nonne 136 Lilienfeld, Stiftsbibliothek 228 25, 31 Ljubljana 23, 33f. Ljubljana, Archiv SR Slowenien 22f. Loewe, Gustav 32 Lokalisierung 137
Magister scolae 90 Mailboxsystem der Bundespost 82 Mainz 106 Maisach, Heinrich von 31 Marbach, Augustinerkloster 41 Marburg 38 Marginalien 86f., lOlf. Marienfelder Glossen 67 Martianus Capeila, De nuptiis Philologiae et Mercurii 110 Mayer, Hartwig 15 Müde, Wolfgang 85 Miniaturen 107 Minuskel, karolingische 106, 108 Mischsprache, lateinisch/althochdeutsche 112 Mitteldeutsch 66 westliches 43 mittelfränkisch 65 mittelhochdeutscher Sprachstand 69 modifiziert diplomatisch s. Edition, modifiziert diplomatische Morphologie 114f. Müllenhoff, Karl 128 Müller, Gertraud 77 München, Bayerische Staatsbibliothek 85 Cgm 14 (Sigle F) 84-96, 99-102, 125, 134 Cgm 187 (Sigle e 2 ; Sal. 6) 21f., 31 Cgm 5250,28 b 78 Clm 2612 (HSH., StB.: B; StSG.: a2) 39, 43, 52, 55-62, 64, 67f.
Register Wortersatz 48, 53, 66-73 Rezeption 69f., 73 Überlieferungsklasse 47,51,54-58 Überlieferungszweig 47, 51 umgearbeitete Fassung (Redaktion B) 38-41, 44f. Urfassung (Redaktion A) 38-41, 44f., 54,72 Buch I-X 39 Buch II, Homonymenkatalog Buch II-X 50 Buch III-VI 46 Buch IV 45 Buch IX 46 Buch X 46 verkürzte Fassung 52f. Synonyme 17, 48, 62 Syntax 115
Τ vorahd. t 64 Tatian (Bilingue) 125, 127f., 133 Tax, Petrus W. 115f., 119 Tegernsee, Benediktinerabtei 78 Teilautograph s. Autograph Templin 104 Text Encoding Initiative 81 Textabbruch 126 Textergänzung 48, 54, 58, 69-73 Textgenealogie 80 Texthand 29 Textkürzung 52f., 73 Textrekonstruktion 114f. Textus compositus 116 Textus receptus 111 Textvarianten 53-73 Textveränderung 48, 50-74 Textverderbnis 59 Thoma, Herbert 23-25, 33 Thomas von Aquin 104f. Summa contra gentiles 104f. Summa theologiae 104f.
Tiefenbach, H. 49 Transliteration 16, 96-98, 101 Transkription 103 elektronische 81 Trennung 90, 110, 112 Trier, Stadtbibliothek 1124/2058 (HSH., StB.: C; StSG.: a l , C) 3 9 , 5 8 , 7 0 Trithemius, Johannes 108 Twinger, Jakob 79
45 U < u > 101 Udine, Sakramentar 107 Überlieferungsgeschichte externe 80 interne 80 Überlieferungsklasse 4 7 , 5 1 , 5 4 - 5 8 überlieferungskritisch s. Edition, überlieferungskritische Überlieferungszweig 47, 51 Übersetzerschule 111 Übersetzung 93, 110f., 127 kommentierende 111 paraphrasierende 111 Wort für Wort 111 Ulfila 108 Ulfilafragment 104 St. Ulrich und Afra, Benediktinerabtei 30f. Umstellung von Textteilen 54f., 73 Unterrichtsmethode 110
V < v > 101 Varianten 53-73 Vaterunser 136 Vaticana s. Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana Verbesserung 115-117 textkritische 113
174
Register
s. auch Korrektur Vercelli, Sakramentar 107 verderbte Eintragungen 61-63, 73, 117 Verfasser 128, 130 Verlust von Textzeugen 74 Versus de bestiis 79 Versus de canibus 76 Versus de herbis 76 Versus de membris humanis 76 Versus de nominibus ferarum 76 Versus de nominibus lignorum 76 Versus de volucribus 76, 79 Versus de volucribus bestiis arboribus piscibus canibus herbis membris humanis 50, 76-82 Rezeption 79 Verwandtschaftsverhältnisse 77 Verwandtschaftsverhältnisse 52, 54-64, 66-72, 77 Vindobonensis, Codex s. Wien, Österreichische Nationalbibliothek Cod. 2687, theol. 345 Virgen 89 Vita des Heiligen Kilian 107 der Heiligen Margareta 107 des Otfrid von Weißenburg 90 St. Vitus, Benediktinerabtei 42 Vocabularius s. Huguccio, Vocabularius Vocabularius theutonicus 52 Voetz, Lothar 44 Vokallänge 89 Vollfaksimile 85 s. auch Faksimile Vollmann-Profe, Gisela 93 Vortragszeichen 91 musikalisches 89 Vulgata 87,92 W Wackernagel, Wilhelm 20 Wegstein, Werner 46, 51 Weingarten · 19
175 Zeilenentsprechung 127f. Zimmermann, Ernst Heinrich 106f. Zirkumflex-Diakrisen 89 Zürich, Zentralbibliothek Ms. C 58 (Sigle S) 41,43 Ms. Ζ XIV 26, Nr.3 (HSH., StB.: P 2 ) 40, 44 Zweitglosse 67f. Zwettl, Stiftsbibliothek Cod. 1 19f., 22, 24, 31
Studien zum Althochdeutschen Herausgegeben von der Kommission für das Althochdeutsche Wörterbuch der Akademie der Wissenschaften in Göttingen 6
Eckhard Meineke Bernstein im Althochdeutschen Mit Untersuchungen zum Glossar Rb. 1984. 264 Seiten. ISBN 3-525-20320-9
7
Lothar Voetz Die St. Pauler Lukasglossen Untersuchungen · Edition • Faksimile. Studien zu den Anfingen althochdeutscher Textglossierung. 1985.271 Seiten mit 4 färb. Abbildungen. ISBN 3-525-20321-7
8
9
Klaus Siewert Die althochdeutsche Horazglossierung 1986. 471 Seiten. ISBN 3-525-20322-5 Birgit Meineke CHINI) und BARN im Hildebrandslied vor dem Hintergrund ihrer althochdeutschen Überlieferung
1987. 125 Seiten. ISBN 3-525-20323-3 10 John M. Jeep Stabreimende Wortpaare bei Notker Labeo 1987. 172 Seiten. ISBN 3-525-20324-1 11 Klaus Siewert - Glossenfunde Volkssprachiges zu lateinischen Autoren der Antike und des Mittelalters. 1989. 194 Seiten. ISBN 3-525-20326-8 12 Rudolf Schützeichel Addenda und Corrigenda (ΙΠ) zum althochdeutschen Wortschatz 1991. 406 Seiten. ISBN 3-525-20327-6 13 Stefanie Stricker • Basel ÖBU. Β IX 31 Studien zur Überlieferung des Summarium Heinrici, Langfassung, Buch XI. 1989. 810 Seiten mit 57 Tkbellen. ISBN 3-525-20328-4
14 Ulrike Thies Graphematisch-phonematische Untersuchungen der Glossen einer Kölner Summarium-HeinriciHandschrift Mit Edition der Glossen. 1990. 194 Seiten. ISBN 3-525-20329-2 15 Stefanie Stricker Die Summarium-Heinrici-Glossen der Handschrift Basel ÖBU. Β X 18 1990. 178 Seiten. ISBN 3-525-20330-6 16 Birgit Meineke Althochdeutsches aus dem 15. Jahrhundert Glossen Salomonis im Codex Lilienfeld Stiftsbibliothek 228. 1990. 86 Seiten mit 2 Abbildungen. ISBN 3-525-20331-4 17 Birgit Meineke Althochdeutsche -scaf(t)-Bildungen 1991. 219 Seiten. ISBN 3-525-20332-2 18 Ulf Wessing Interpretatio Keronis in Regulam Sancti Benedicti Überlieferungsgeschichtliche Untersuchungen zu Melchior Goldasts Editio princeps der lateinisch-althochdeutschen Benediktinerregel. 874 Seiten mit zahlreichen Tabellen. ISBN 3-525-20333-0 20 Armin Schlechter Die althochdeutschen Aratorglossen der Handschrift Rom, Biblioteca Apostolica Vaticana, Pal. Lat. 1716 und verwandte Glossierungen 1993. 395 Seiten. ISBN 3-525-20335-7
Vandenhoeck & Ruprecht · Göttingen
Albert L. Lloyd/Otto
Springer
Etymologisches Wörterbuch des Althochdeutschen Band I: -a -
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1988. IL, 290 Seiten, Leinen, mit einem Beiheft »Wörterverzeichnisse« von Albert L. Lloyd, Karen K. Purdy, Otto Springer, VIII, 115 Seiten, kartoniert. ISBN 3-525-20767-0 Ein den heutigen Forschungsstand spiegelndes Etymologisches Wörterbuch des lexikographisch besonders reichhaltigen Althochdeutschen ist ein Desiderat, zumal da es auch für die anderen germanischen Dialekte nur wenige Wörterbücher aus jüngerer Zeit gibt. Das Werk wird voraussichtlich acht Bände etwa gleichen Umfangs sowie einen Index-Band umfassen, die in Abständen von zwei bis drei Jahren erscheinen sollen. Jedem Band ist ein Heft mit einzelsprachlichen Indices beigegeben. Bitte fordern Sie den Sonderprospekt Wörterbuch des Althochdeutschen an.