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German Pages 512 Year 2000
CHRISTOF GRAMM
Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben
Schriften zum Öffentlichen Recht Band 838
Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben
Von
Christof Gramm
Duncker & Humblot · Berlin
Als Habilitationsschrift auf Empfehlung der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Freiburg gedruckt mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft
Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Gramm, Christof:
Privatisierung und notwendige Staatsaufgaben / Christof Gramm. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum öffentlichen Recht ; Bd. 838) Zugl.: Freiburg (Breisgau), Univ., Habil.-Schr., 1998 ISBN 3-428-10141-3
Alle Rechte vorbehalten © 2001 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 3-428-10141-3 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706©
Vorwort Die Juristische Fakultät der Universität Freiburg hat die nachfolgende Untersuchung im Sommersemester 1998 als Habilitationsschrift angenommen. Eilige Leser finden jeweils am Ende der fünf Hauptkapitel eine Zusammenfassung. Erstgutachter war Prof. Dr. Rainer Wahl, das Zweitgutachten hat Prof. Dr. Alexander Hollerbach erstellt. Beiden danke ich herzlich für ihre langjährige Unterstützung. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft gewährte mir ein Habilitationsstipendium und einen Druckkostenzuschuss. Wichtige Anregungen und Hilfestellungen habe ich von Johannes Dietlein, Joachim Lege und Heinrich A. Wolff sowie den Kollegen im Bundesministerium der Justiz Hans-Georg Baumann, Lutz Gusseck und Hubert Weis erhalten. Besonders danke ich meiner Frau, meinen Kindern und meinen Eltern für ihre allzeit freundliche Begleitung. Berlin, im April 2000
Christof Gramm
Ι. Inhaltsverzeichnis Α. Grundlegung I.
Der Problemhorizont 1. Grenzen des staatlichen Aufgabenwachstums 2. Privatisierung als Herausforderung des Staates a) Privatisierungsbegeisterung b) Verknüpfung mit der Staatsaufgabendiskussion c) Legitimation durch Staatsaufgaben 3. Privatisierungsfeste Staatsaufgaben a) Die Fragestellung b) Unscharfe des Privatisierungsbegriffs c) Staat oder Gesellschaft d) Unschärfe des Staatsaufgabenbegriffs 4. Modalität der staatlichen Aufgabenerfüllung 5. Das staatliche Gewaltmonopol II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat 1. Die halboffene Aufgabenkonzeption des Grundgesetzes a) Systemunabhängige Staatsaufgaben b) Textbefund des Grundgesetzes aa) Kein geschlossenes Staatsaufgabenkonzept bb) Die teleologische Struktur des Aufgabenbegriffs c) Allzuständigkeit des Staates 2. Staatszwecke und das Problem der Hierarchie 3. Staatsaufgaben und öffentliche Aufgaben 4. Verfassungsaufgaben als materielle Privatisierungsschranken 5. Anknüpfungspunkte für Verfassungsaufgaben im Grundgesetz . . . . a) Staatszielbestimmungen und Staatsstrukturprinzipien b) Kompetenzen im Bundesstaat c) Grundrechte d) Sonstige verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte 6. Verfassungsaufgaben und andere notwendige Staatsaufgaben 7. Die Wahrnehmung von Staatsaufgaben III. Notwendige Staatsaufgaben und staatliche Grundverantwortung IV. Die Struktur der Untersuchung 1. Privatisierung in der Staatswirklichkeit 2. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
13 13 13 17 17 20 21 23 23 27 28 31 34 38 40 40 40 41 41 44 47 50 56 59 61 61 66 69 72 74 79 82 85 85 86
Inhaltsverzeichnis
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3. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Modalität der Aufgabenerfüllung 4. Rechtliche Grenzen der Privatisierung: Erprobung im Aufgabenfeld der inneren Sicherheit
B. Privatisierung in der Staatswirklichkeit I.
Untersuchungszweck: Bestandsaufnahme 1. Untersuchungsrahmen 2. Kontrastperspektive II. Ausweitung von Staatstätigkeit 1. Staatliches Aufgabenwachstum 2. Zeitpunkt des staatlichen Steuerungszugriffs 3. Staatliche Handlungsinstrumente 4. Staatsausgaben 5. Verrechtlichung III. Rücknahme von Staatstätigkeit durch Privatisierung 1. Grundformen der Privatisierung a) Aufgaben Verlagerung b) Arbeitsteilige Aufgabenerledigung c) Die sogenannte formelle Privatisierung 2. Das Untersuchungsrastér IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit 1. Die Einschaltung von Privatpersonen 2. Private als Bestandteil der öffentlichen Verwaltung a) Öffentlich-rechtliche Dienstverhältnisse besonderer Art b) Beleihung c) Verwaltungshilfe d) Arbeitnehmerüberlassung e) Gemischte Gesellschaften 3. Sicherheit als Aufgabe von Privaten a) Innere Sicherheit als konkurrierende Staatsaufgabe b) Indienstnahme Privater c) Freiwillige Leistungen Privater 4. Zusammenfassung: Privatisierung und innere Sicherheit V. Privatisierungsstrategien: Eisenbahnen des Bundes und Bundespost . . . 1. Grundstrukturen 2. Eisenbahnen des Bundes 3. Postwesen und Telekommunikation 4. Zusammenfassung: Privatisierung bei Bahn und Post VI. Privatisierungsstrategien: Verkehr 1. Indienstnahme und andere konventionelle Strategien 2. Konzessionen 3. Finanzierung durch Private 4. Zusammenfassung: Privatisierung und Verkehr
88 89
90 90 90 91 94 94 97 99 102 103 107 107 107 108 110 114 114 114 115 115 117 121 123 124 125 125 126 130 133 134 134 137 140 146 148 148 151 152 156
Inhaltsverzeichnis VII. Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen 157 1. Konventionelle Privatisierungsstrategien 157 a) Beleihung 158 b) Verwältungshilfe 158 c) Betriebsbeauftragte 160 2. Privatisierungsstrategien der Aufgabenverlagerung 161 a) Pflichtenprivatisierung 161 b) Verfahrensprivatisierung 164 3. Zusammenfassung: Privatisierung bei Umwelt und Bauen 168 VIII. Privatisierungsstrategien: Produktsicherheit 169 IX. Die Umverteilung von Staatsaufgaben durch Privatisierung: Resultate . 172 1. Die Privatisierungsgrade 172 2. Wandel der staatlichen Steuerung durch Privatisierung 178 X. Exkurs: Privatisierung in den Kirchen 186
C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben I.
Ausgangspunkte 1. Unverzichtbare Staatsaufgaben 2. Staatsaufgaben als Bereitstellung öffentlicher Güter II. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff 1. Öffentliche Güter und Staatsrecht 2. Zur tatsächlichen Entstehung öffentlicher Güter 3. Volkswirtschaftliche Theorieansätze 4. Komplexe öffentliche Güter 5. Staatliche Regulierung des Güterzugangs a) Zugangs- und Bewirtschaftungsregulierung durch Recht b) Modalität der Zugangsregulierung 6. Öffentliche Güter und Privatgüter a) Produktion von Privatgütern durch Private b) Produktion von öffentlichen Gütern durch Private c) Gemischte Produktionsstrukturen d) Staatliches und privates Produktionsregime 7. Öffentliche Güter und Grundrechte a) Maßstab für staatliche Güterbereitstellung b) Maßstab für staatliche Zugangsregulierung c) Maßstab für gesellschaftliche Selbstregulierung 8. Öffentliche Güter und Werte III. Tatsächliche Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung 1. Faktische Produktionsbedingungen 2. Mangel an überlegenem Wissen trotz überlegener Steuerungsmacht 3. Beteiligung an der Entstehung öffentlicher „Ungüter" 4. Internationalisierung der Güterproduktion 5. Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg Privater
190 190 190 192 196 196 199 203 208 212 212 217 221 221 222 223 227 228 229 230 233 235 237 237 238 243 249 252
Inhaltsverzeichnis
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IV. Grenzen der privaten Bereitstellung von Gütern 1. Nicht marktfähige Güter 2. Zur Reichweite des „rationalen" Eigeninteresses 3. Limitierte Handlungsmacht des Einzelnen 4. Freiwillige Kooperation 5. Individuelle Präferenz und kollektiver Nutzen 6. Resümee: Der Vorrang der staatlichen Güterproduktion V. Sektoren staatlicher Güterproduktion 1. Einstellungsschärfe bei der Sektorenbildung 2. Statusgüter 3. Ordnungsgüter 4. Sozialgüter 5. Geistige Güter 6. Infrastrukturgüter 7. Wirtschaftsstrukturgüter 8. Internationale und supranationale Strukturgüter VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung 1. Der Staat als Subjekt von Verantwortung 2. Verantwortung als Aufgabenbegründung und Aufgabenkritik 3. Vier Schichten staatlicher Verantwortung VII. Zurechnung: Leitlinien für den Vorrang staatlicher Güterproduktion . . 1. Unerträglicher Gütermangel 2. Güterbereitstellung für alle 3. Gerechte Regulierung des Güterzugangs bei knappen Gütern 4. Systemerhaltung und Systemanpassung der Güterbereitstellung . . . VIII. Sektorspezifische Verantwortung des Staates 1. Sektoren vorrangiger staatlicher Verantwortung 2. Staatliche Verantwortung in anderen Sektoren IX. Zusammenfassung C
254 254 258 261 264 267 270 272 272 274 277 280 281 285 286 289 289 290 294 297 300 302 307 311 313 321 321 327 335
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Modalität der Aufgabenerfüllung 340 I.
II.
Wirksamkeit der staatlichen Aufgabenerfüllung 1. Einstandspflicht und Modalität der Aufgabenerfüllung 2. Das Gebot der Effektivität 3. Materielle und formelle Privatisierungsschranken Verwaltungsinstrumentarium 1. Rechtsstaatsprinzip a) Rechtliche Verbindlichkeit b) Die instrumenteile Dimension des Untermaßverbotes c) Staatlicher Wissenszugriff 2. Demokratieprinzip
340 340 342 343 344 345 345 347 349 351
Inhaltsverzeichnis III. Personal 1. Abgeordnete des Deutschen Bundestages 2. Richter a) Laien- und ehrenamtliche Richter b) Obligatorische private Streitschlichtung c) Hilfsfunktionen der Justiz 3. Beamte a) Personelle Grundkonstellationen bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben b) Der Normbereich des Art. 33 Abs. 4 GG c) Die hoheitsrechtlichen Befugnisse d) Das Regel-Ausnahme-Verhältnis e) Andere Verfassungsbestimmungen zum Personaleinsatz IV. Sachmittel 1. Privatisierung von Sachressourcen 2. Verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte V. Finanzierung 1. Grundformen der echten Finanzierungsprivatisierung 2. Verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte VI. Zusammenfassung D
353 354 355 356 358 359 360 360 363 366 371 375 377 377 379 383 383 389 392
E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung: Erprobung im Aufgabenfeld der inneren Sicherheit 395 I.
II.
Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit 395 1. Sicherheit als öffentliches Gut: Strukturen und Produktionsbedingungen 395 a) Mangelnde Begriffsschärfe des Gutes 395 b) Schutzgut und Schutzhandlung 398 c) Einflussfaktor Sicherheitsgefühl 401 d) Einflussfaktor Globalisierung von Sicherheit 404 e) Nachhaltigkeit der Güterbereitstellung 405 f) Sicherheit als Resultat staatlicher und gesellschaftlicher Anstrengungen 407 2. Staatliche Einstandspflicht für die Bereitstellung von Sicherheit . . 410 a) Zugangsregulierung durch Recht oder durch Markt 410 b) Gerechtigkeit des Rechtsstaates 411 c) Unvermögen des Marktes 413 3. Rechtliche Privatisierungsschranken der Staatsaufgabe Sicherheit .416 a) Allgemeine Schrankensystematik 416 b) Materielle Privatisierungsschranke 419 c) Formelle Privatisierungsschranken 419 Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung und staatliches Kernpersonal (Fallbeispiele) 420 1. Sicherheit des Luftverkehrs: Fluggastkontrolle 422
Inhaltsverzeichnis
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a) Die Rechtswirklichkeit b) Die unzureichende Rechtsgrundlage des § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG c) Zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Verwaltungshilfe und Beleihung d) Auswahlentscheidung und Staatsaufsicht 2. Abschiebungshaft a) Grenzen der Verwaltungshilfe b) Unzulässigkeit der Beleihung 3. Bahnpolizei und öffentlicher Personennahverkehr 4. Öffentliche Straßen und Fußgängerzonen 5. Überwachung des fließenden und ruhenden Straßenverkehrs a) Die restriktive Linie in Rechtsprechung und Literatur b) Privatisierungsreserven und Privatisierungsgrenzen 6. Bewachung von militärischen Einrichtungen 7. Pflicht-Werkschutz 8. Private Einrichtungen und Veranstaltungen a) Private Befugnisse und Polizeibefugnisse b) Erosion der öffentlichen Sicherheit? III. Unverzichtbarkeit des staatlichen Kernpersonals und staatliche Identität (Auswertung der Fallbeispiele)
422 423 426 430 432 432 436 437 440 443 443 445 451 454 456 456 458 461
Literaturverzeichnis
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Sachwortverzeichnis
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Α. Grundlegung Ι. Der Problemhorizont 1. Grenzen des staatlichen Aufgabenwachstums In den vergangenen Jahrzehnten ist der demokratische Verfassungsstaat mit seinen zahlreichen Aufgaben zu einer nahezu allgegenwärtigen Größe herangewachsen. Die Entgrenzung der Staatsaufgaben gilt geradezu als ein Wesensmerkmal der sozialstaatlichen Demokratie1. Vor allem die moderne Ausformung zu einem hochkomplexen Leistungsstaat hat eine enorme Ausweitung staatlicher Aktivitäten und Interventionen in gesellschaftliche Abläufe bewirkt. In jüngerer Zeit wird diese unbestrittene Entwicklung noch zusätzlich durch die Probleme der sogenannten Risikogesellschaft 2 und durch einen allgemein verspürten Modernisierungsdruck 3 im Zeichen der sogenannten Globalisierung4 verschärft. Tatsächlich dürfte sich inzwischen kaum mehr ein Lebensbereich finden, der nicht in irgendeiner Form der staatlichen Einwirkung unterliegt5, selbst wenn diese Einflussnahme sich im Ergebnis manchmal nur als mild, ausschnitthaft oder ineffektiv darstellen mag. 1
E.-W. Böckenförde, HStR I, 1987, § 22 Rdn. 99 (S. 949) unter Bezugnahme auf Carl Schmitt, Weiterentwicklung des totalen Staats in Deutschland (1933), in: ders. y Verfassungsrechtliche Aufsätze, 2. Aufl. 1973, S. 361 f. Schmitt zeichnet darin das Bild eines quantitativ totalen Staates, der aus Schwäche heraus unfähig ist, bestimmte Aufgaben als Staatsaufgaben abzuweisen; P. Badura, Staatsrecht, 2. Aufl. 1996, D 32; K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdn. 9 u. Rdn. 212 f. 2 U. Beck, Risikogesellschaft, 1986. 3 Zur Modernisierungsthese W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 9 f. m.w.N. 4 Zur Bedeutung der Globalisierung für den Staat etwa S. Hobe, Völkerrecht im Zeichen der Globalisierung, 1999; ders., Der offene Verfassungsstaat zwischen Souveränität und Interdependenz, 1998, S. 380 ff. 5 Als Symptom sei auf den Streit um die Regelung der Rechtschreibreform hingewiesen, dazu einerseits W. Kopke y Rechtschreibung und Verfassungsrecht, 1995, S. 148 ff.; ders., JZ 1995, S. 874; ders., NJW 1996, S. 1081; R. Gröschner/W. Kopke y JUS 1997, S. 298; andererseits U. Hufeid, JUS 1996, S. 1072; G. Roellecke, NJW 1997, S. 2500; dazu die Unterscheidung von P. Kirchhof HStR I, 1987, § 18 Rdn. 52 (S. 763 f.) zwischen zulässiger Sprachpflege und unzulässiger Sprachbeeinflussung und Sprachlenkung durch den Staat.
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Α. Grundlegung
Von dieser generellen Entwicklung wurde nicht nur die Aufgabenmenge und damit die inhaltliche Dimension der Sachaufgaben erfasst. Auch die Handlungsformen und Instrumente des modernen Staates sind entsprechend breiter und vielfältiger geworden6. Ablesen lässt sich dies an neueren generalisierenden Begriffsbildungen wie Vorsorge-, Gewährleistungs-, Steuerungs- oder Regulierungsstaat7, die nicht nur eine inhaltliche, sondern auch eine instrumentelle Dimension aufweisen. Die Folgen dieser inhaltlichen und instrumentellen Ausweitung des staatlichen Handelns sind auch für die Gesellschaft gravierend. Sie reichen weit über den staatlichen Binnenbereich und über den Ordnungsrahmen des Rechts in den gesellschaftlichen Raum hinein und wurden bereits mit dem kritischen Generalbefund der Übernahme einer Art Gesamtverantwortung des Staates für die gesellschaftliche Entwicklung beschrieben8. Vielfach verbindet sich diese Bewertung mit der kritischen Analyse, dass der Staat mit dem erreichten Umfang seiner Verantwortungsübernahme und den reziprok ausgelösten Erwartungen auf umfassende gesellschaftliche Problembewältigung überfordert ist9. So bedeutet die staatliche Aufgabenexpansion auch, dass Steuerungsanspruch und tatsächlich bestehende Steuerungsfähigkeiten des Staates zunehmend auseinander driften 10. Hinzu kommt die wachsende Einsicht, dass der praktische Erfolg staatlicher Steuerung in 6
Vergi, unten Β. II. 3. Etwa F. X. Kaufmann, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 28 (Steuerungsstaat); E. Grande, in: R. Voigt (Hrsg.), Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat, 1993, S. 381 ff. (Regulierungsstaat). 8 D. Grimm, in: Staatslexikon, Bd. 5, 1989, Sp. 641; der Sache nach bereits E. Forsthoff,; Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 57 und 164. Ähnlich R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 56; Η. P. Bull, in: J. J. Hesse/C. Zöpel (Hrsg.), Der Staat der Zukunft, 1990, S. 31: „Man will beides: staatliche Förderung und Freiheit vom Staat; staatliche Aktivitäten zur Förderung von Forschung und Entwicklung, aber Privatisierung der Gewinne; Finanzierung von Großprojekten durch den Staat, aber Freiheit von Forschung und Anwendung." (S. 33). 9 Zur Überforderungsthese Th. Ellwein/ J. J. Hesse, Der überforderte Staat, 1994; R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 67 f. R. Herzog, Festschrift P. Lerche, 1993, S. 16; G. F. SchupperU DÖV 1995, S. 761; W. M. Hebeisen, Staatszweck Staatsziele Staatsaufgaben, 1996, S. 58 ff.; R. Mayntz, in: G. Matthes (Hrsg.), Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Soziologen-Tages, 1979, S. 57 ff.; P. C. DieneU Die Planungszelle, 4. Aufl. 1997, S. 17 ff.; Konsequenz dieser Überforderung sind als dramatisch bewertete Steuerungsdefizite, insbesondere im Umweltrecht; U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 238, 266 konstatiert Überforderung und (Handlungs-) Schwäche des Staates der Gegenwart; C. Engel, VVDStRL 56, S. 301 (Diskussionsbeitrag) hat darauf hingewiesen, dass die Anwendung von Ordnungsrecht, die theoretisch vielleicht noch möglich wäre, jedenfalls unerschwinglich geworden ist. 10 Vergi, dazu D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990. 7
I. Der Problemhorizont
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einigen Aufgabengebieten ohnehin nur sehr begrenzt durch detailscharfe rechtliche Vorgaben programmierbar ist 1 1 . Allenthalben bescheinigt man dem Staat, die Grenzen seiner Steuerungskompetenz und damit seiner Problemlösungskompetenz erreicht und in vielen Bereichen bereits überschritten zu haben 12 . Ganz unterschiedlich fundierte Argumentationsansätze stellen vor diesem Hintergrund das Leistungsvermögen des Staates in Frage. Trotz erheblichen Unterschieden in den theoretischen Grundlagen und in der Intention kennzeichnen die folgenden Stichworte eine kritische Beurteilung der staatlichen Leistungskraft: die Krise der regulativen Politik 1 3 , die Thesen von der Unregierbarkeit 14 , dem Versagen 15 und der Entzauberung des Staates 16 sowie die grundsätzliche Analyse aus Sicht der soziologischen Systemtheorie, die dem Staat eine gesamtgesellschaftlich wirksame Steuerungskompetenz abspricht 17 . Theoretische Grundlage dafür ist die Hypothese, dass es kein Zentrum der Gesellschaft mit Steuerungsmacht über andere gesell11 W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 11 f., der auch auf das Schlagwort der Prozeduralisierung staatlichen Handelns als Kompensation mangelnder materieller Programmierung verweist, dazu Κ. H. Ladeur, Postmoderne Rechtstheorie. Selbstreferenz - Selbstorganisation - Prozeduralisierung, 2. Aufl. 1995, S. 176 ff. und 200 ff. Zur „instrumenteilen Überforderung des Staates" W. Hoffmann-Riem, VVDStRL 56, S. 292 (Diskussionsbeitrag). 12 Vergi, nur Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat", S. 45. 13 R. Mayntz, in: J. Matthes (Hrsg.), Sozialer Wandel in Westeuropa. Verhandlungen des 19. Soziologen-Tages, 1979, S. 57 ff.; dies., in: Th. Ellwein/J. J. Hesse u.a. (Hrsg.), Jahrbuch zur Staats und Verwaltungswissenschaft, Bd. 1, 1987, S. 89 ff.; dies., in: R. Mayntz/F. W. Scharpf (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregulierung und politische Steuerung, 1995, S. 9 ff. 14 W. Hennis/P. Graf Kielmannsegg/U. Matz (Hrsg.), Regierbarkeit, 2 Bd., 19771979; auch E. Forsthoff, Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, insbes. S. 158 ff.: Ende der Epoche des Staates. 15 Η. Η. v. Arnim, Demokratie ohne Volk, 1993, S. 117 ff.; Schlagworte wie Politikverdrossenheit und Parteienmüdigkeit fügen sich in diese kritische Sicht. Dabei wird allerdings häufig übersehen, dass es keineswegs nur die Parteien sind, die in der Krise stecken, sondern dass zahlreiche gesellschaftliche Großformationen wie Kirchen, Gewerkschaften, Verbände, Vereine etc. über Mitgliederschwund und mangelndes Engagement klagen. Insofern kann man von einer gesamtgesellschaftlichen Legitimationskrise herkömmlicher Institutionen sprechen. 16 H. Willke, Entzauberung des Staates, 1983. 17 N. Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, 1981, S. 22; zu den systemtheoretischen Grundlagen ders., Soziale Systeme, 1984, S. 34 ff.; zur systemtheoretischen Steuerungsskepsis S. Lütz, in: R. Mayntz/F. W. Scharpf (Hrsg.), Gesellschaftliche Selbstregelung und politische Steuerung, 1995, S. 167 ff. H. Willke, Entzauberung des Staates, 1983, S. 17 ff., 93 ff.; ders., KritV 1988, S. 214 ff.; D. Fürst, in: Ellwein/Hesse/Mayntz/Scharpf, (Hrsg.), Jahrbuch zur Staats- und Verwaltungswissenschaft, 1987, S. 261, insbesondere S. 266 ff. und S. 280 („Staat als Moderator").
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Α. Grundlegung
schaftliche Systeme mehr gibt 18 . Die Vorwürfe staatlicher Überbürokratisierung und Überregulierung 19 von Lebensbereichen ergänzen diese Reihe, wobei die Stoßrichtung hier eher die rechtliche Übersteuerung von Lebensbereichen thematisiert20. Ungeachtet der theoretischen Differenzen in der Analyse besteht weithin Einigkeit darüber, dass die Grenzen des staatlichen Leistungsvermögens in der Praxis erreicht sind. Dies bedeutet nicht, dass es keine neuen Entwicklungen im staatlichen Aufgabenbestand mehr geben wird. Auch in der Zukunft wird es immer neue Sachaufgaben als Staatsaufgaben geben, um jetzt noch gar nicht sichtbare Probleme des Gemeinwesens angemessen lösen zu können. Dennoch sind einige Grenzen des staatlichen Aufgabenwachstums klar erkennbar. Insbesondere in finanzieller Hinsicht zeichnen sich deutliche Wachstumsgrenzen ab: Staatsquote und Steuerlast21, Staatsverschuldung22 und langfristige Bindungen der öffentlichen Haushalte aus dauerhaften Verpflichtungen, damit einhergehend die Abnahme des politischen Gestaltungsspielraumes23 sowie die Kosten eines durch den sich verschärfenden globalen Wettbewerb ausgelösten ökonomischen und durch demographische Entwicklungen ausgelösten sozialen24 Strukturwandels markieren kritische Eckpunkte für ein ungehemmtes Anwachsen staatlicher Tätigkeit. 18
Die systemtheoretische Skepsis ist stark überspitzt. Dies gilt in doppelter Weise: Erstens ist bereits fraglich, ob dies früher tatsächlich anders war (ausgenommen im totalitären Staat) oder ob es nicht immer weite Bereiche gegeben hat, die sich der zentralen Steuerung durch Staat und Gesetz entzogen haben; zweitens verfügt der Gesetzgeber heute in vielen Lebensbereichen sehr wohl über eine systemübergreifende Steuerungsmacht. Als einziges System vermag er in die anderen gesellschaftlichen Systeme nachdrücklich einzuwirken und jedenfalls mittelbar auf die spezifische Kodierung des jeweiligen gesellschaftlichen Subsystems einzuwirken. Eine andere Frage ist es, ob sich auch die Ergebnisse seines Steuerungshandelns ausreichend präzise vorherbestimmen lassen. 19 Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat" > S. 15 ff., 74 ff 85 ff. 20 Allgemein zu rechtlichen Wachstumsprozessen H. Helsper, in: R. Riedl/M. Delpos, Die Ursachen des Wachstums, 1996, S. 247 ff.; dazu C. Gramm, StWStP 1997, S. 227 ff. 21 R. Hendler, AöR 119, S. 595 f. Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker StaatS. 7; danach ist die Staatsquote von 1989 bis 1993 von 45,8% auf 50,6% gestiegen, die Abgabenquote von 1990 mit 40,5% auf 44,7% im Jahr 1994; 1996 liegt sie bei 43,0%. 22 Zu den negativen Folgen der Staatsverschuldung unter der Perspektive intergenerationeller Gerechtigkeit W. F. Richter, StWStP 1992, S. 171 ff.; Zu den - zurückhaltenden - grundgesetzlichen Maßstäben für die Staatsschuldenpolitik W. Höfling, StWStP 1995, S. 422 ff. 23 Η. Η. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 455 ff. 24 Kommission für Zukunftsfragen der Freistaaten Bayern und Sachsen, Erw tätigkeit und Arbeitslosigkeit in Deutschland. Entwicklung, Ursachen und Maßnahmen, Teil I, 1996.
I. Der Problemhorizont
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Aufgabenfülle und knapper werdende finanzielle Ressourcen stellen dabei nicht nur den aktuellen staatlichen Aufgabenbestand in Frage, sondern auch die Qualität der Erfüllung von solchen Staatsaufgaben, denen der Staat sich grundsätzlich nicht entziehen kann und denen er sich aus rechtlichen Gründen nicht entziehen darf. 2. Privatisierung als Herausforderung des Staates a) Privatisierungsbegeisterung Etwa seit Beginn der 80 er Jahre wird der Staat in einer Art Gegenbewegung zum Wachstum seiner Aufgaben durch das Schlüsselwort von der Privatisierung staatlicher Aufgaben 25 herausgefordert 26. Später sind die inhaltlich damit eng verwandten Forderungen nach dem schlanken Staat 27 („lean government" 28 ) und nach Deregulierung 29 hinzugekommen. Im Zeichen 25
Als Diskussionsauslöser gilt in Deutschland das Gutachten des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundesministerium der Finanzen „Zur Lage und Entwicklung der Staatsfinanzen" von 1975, in: Bulletin der Bundesregierung 1975 (Nr. 103), S. 1001 ff.; zu diesem und zu weiteren Eckpunkten der politischen Debatte M. Ronellenfitsch, HStR III, 1988, § 84 Rdn. 44 (S. 1196); vergi, auch Th. Ellwein/J. J. Hesse, Der überforderte Staat, 1994: ,»Zurücknahme des Staates ... lautet das Gebot für die nächste Zukunft."; G. F. Schuppert, DÖV 1995, S. 761; zur verwaltungswissenschaftlichen Diskussion verwandter Reformansätze wie Entstaatlichung, Politikverzicht, Aufgabenabbau und Aufgabenkritik Β. Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989, S. 920 ff. 26 Dieses Phänomen ist nicht auf unser Land beschränkt, sondern erfasst mehr oder weniger alle westlichen demokratischen Wohlfahrtsstaaten, aber auch die ehemaligen Ostblockstaaten bei ihrem politischen und wirtschaftlichen Umbauprozess. Vergi, etwa S. Biernat/R. Hendler/F. Schock A. Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994; D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994; G. Brunner, Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 591; F. Sack u.a. (Hrsg.), Privatisierung staatlicher Kontrolle: Befunde, Konzepte, Tendenzen, 1995 (Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat Bd. 3); besondere Bedeutung kommt in Westeuropa Großbritannien zu, das bei der Privatisierungsbewegung eine Schrittmacherposition einnimmt. 27 Vergi, nur den Jahreswirtschaftsbericht 1997 der Bundesregierung, BT-Drs. 13/ 6800, S. 49-51 (= Rdn. 61-68: „Den Staat verschlanken, mit der Privatisierung Ernst machen44); Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker StaatS. 9 ff. 28 K. Müller, StWStP 1995, S. 459 ff. Es handelt sich allerdings nicht um einen Rechtsbegriff, sondern eher um ein „rechtspolitisches Programm44, das auf die Ausdünnung von rechtlichen Regelwerken zielt, vergi. M. Ronellenfìtsch , DÖV 1996, S. 1033. 29 Dazu R. Stober (Hrsg.), Deregulierung im Wirtschafts- und Umweltrecht, 1990; Privatisierung wird von W. Möschel, JZ 1988, S. 888 als Unterfall des umfassenderen Begriffs Deregulierung (Abbau staatlicher Eingriffe in einzelne Märkte bzw. Sammelbegriff für alle notwendigen staatlichen Steuerungsmechanismen und Kontrollen über die privatwirtschaftliche Leistungserbringung, vergi. W. Spoerr/M. 2 Gramm
Α. Grundlegung
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leerer öffentlicher Kassen wurden aus ökonomischer Perspektive zunehmend die Kosten des Rechts- und Sozialstaates registriert. Privatisierung soll deswegen vor allem mehr Wirtschaftlichkeit bei der Aufgabenbewälti30
gung garantieren . Die Privatisierungsdiskussion darf allerdings nicht nur in einem auf Wirtschaftlichkeit verkürzten Sinn begriffen werden. Privatisierung gilt nicht nur als Heilmittel gegen das Ausgabenwachstum in den öffentlichen Haushalten, sondern auch als probates Gegenrezept, um die tatsächlich vorhandene Aufgabenfülle des Staates wieder auf ein zuträgliches Maß zurückzuführen 31. Als politische Forderung zielt der Privatisierungsruf damit stets auf das Doppelte von staatlichem Aufgaben- und staatlichem Ausgabenabbau sowie auf die Steigerung der Effektivität bei der staatlichen Aufgabenerfüllung. Wichtige Privatisierungsmotive sind die Verlagerung von Kosten und Aufwand auf Private, die Verlagerung von Verantwortung auf Private, die Beschleunigung staatlicher Entscheidungsverfahren, die Einsparung von Verwaltungskapazitäten und die Eröffnung eines privaten Dienstleistungsmarktes an Stelle der staatlichen Verwaltungstätigkeit33. Leitbild der Privatisierung ist der konzentrierte Staat mit einem auf das Wesentliche reduzierten Aufgabenspektrum. Der Ruf nach dem schlanken Staat ist im allgemeinen in diesem Sinne zu verstehen. Allerdings herrschen dabei keineswegs immer klare Vorstellungen darüber, worin die wesentlichen Aufgaben des Staates eigentlich bestehen. Die entsprechende gedankliche Schärfe wird unter anderem deswegen erschwert, weil sich in der Deutsch, DVB1. 1997, S. 300) gesehen; ähnlich R. Stober, Rückzug des Staates im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1997, S. 1 f.; anders F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 355 und L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 211, wonach Deregulierung den Verzicht des Staates auf den Einsatz regulierender Instrumente bedeutet, was mit der Privatisierung öffentlicher Aufgaben nichts zu tun habe. Der Begriff der Regulierung hat inzwischen bereits Eingang in die Rechtssprache gefunden, vergi. § 1 Telekommunikationsgesetz (TKG) und § 1 PostG. 30 Gegen eine einseitig nur auf den Ausgabenfaktor konzentrierte Aufgabendiskussion im Anschluss an L. Osterloh G. F. SchupperU StWStP 1994, S. 548. 31 Vergi. Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat", S. 49, 59 ff. 32 G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl. 1985, S. 15 f., unterscheidet in der Privatisierungsdiskussion einen ordnungsrechtlichen und einen haushaltsrechtlichen bzw. finanzpolitischen Argumentationsstrang. Dieser grundsätzlichen Zweiteilung folgend wird der Begriff der Effizienz hier im Sinne von Wirtschaftlichkeit (bestmögliche Nutzen-Kosten-Relation) benutzt, der Begriff der Effektivität dagegen im Sinne von tatsächlicher Wirksamkeit (Bedarfsgerechtigkeit), vergi, unten C. I. 2. 33 Diese Liste hat J. Pietzcker, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 302, als die wichtigsten Privatisierungsmotive ermittelt.
I. Der Problemhorizont
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realen Aufgabenfülle des Staates zwangsläufig wichtige und weniger wichtige Aufgaben miteinander verknüpfen, ohne dass rechtlich greifbare Unterscheidungsmaßstäbe ohne weiteres ersichtlich wären. Trotz einer verbreiteten Privatisierungsbegeisterung kann man in einer vorläufigen Zwischenbilanz festhalten, dass es zu einem wirklich grundlegenden Abbau der Inhalte und des Umfangs staatlicher Tätigkeit im Zuge der praktischen Privatisierungsmaßnahmen bislang noch nicht gekommen ist 34 . Trotz deutlich gewandelter Rahmenbedingungen fällt es offensichtlich nicht leicht, das einmal erreichte staatliche Aufgabenniveau wieder abzusenken35. Allerdings gibt es inzwischen eine ganze Reihe prominenter und weniger prominenter Aufgabenfelder, in denen der Staat den Rückzug im größeren Stil erprobt. Ob sich mit dieser Privatisierungspraxis ein substantieller Wandel von der Omnipräsenz des modernen Leistungs- und Vorsorgestaates hin zu einem stärker auf das Wesentliche konzentrierten Staat ankündigt, bedarf erst noch der Untersuchung anhand des tatsächlich vorhandenen Privatisierungsmaterials. Unabhängig davon waren und sind die Folgen der Privatisierungsbegeisterung nicht nur für die Gesellschaft, sondern auch für den Staat erheblich. Programmatisch gesehen kann diese Begeisterung als Gegenstück zur Planungseuphorie der 60 er und der frühen 70 er Jahre gelten. Wurde damals der planende und das Sozialleben gestaltende Staat emphatisch begrüßt, so wird der Staat im Gegensatz dazu durch die Forderung nach Privatisierung in die Defensive gedrängt. Viele seiner Leistungen, die in den Zeiten relativen Überflusses selbstverständlich erbracht wurden, sahen sich unter einem deutlich gewandelten Zeitgeist plötzlich auf die Anklagebank versetzt. Die häufig recht pauschal erhobenen Vorwürfe der Wahrnehmung überflüssiger Aufgaben, von Schlechterfüllung und von überhöhten Kosten36, die gerne mit der populistischen Schelte des Berufsbeamtentums verbunden werden, stehen im Raum und prägen das öffentliche Meinungsklima. Bei näherer Betrachtung sind dabei aber zumeist nicht die Sachaufgaben und Leistungen als solche Gegenstand der öffentlichen Kritik, sondern ihre Erbringung durch staatliche Stellen. In einem Beispiel gesprochen: Nicht die Existenz des Telefons war das Problem, sondern die Tatsache, dass der 34
Vergi. Elftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1994/1995, BT-Drs. 13/ 5309, S. 37. 35 Zu den Gründen G. Müller, Schweizerisches Zentralblatt für Staats und Verwaltungsrecht, 1996, S. 98. 36 Dazu etwa die Diskussionsbeiträge von D. Rauschning, VVDStRL 54, S. 348 und Th. Oppermann, VVDStRL 54 318, auf der anderen Seite aber auch C. Degenhart, VVDStRL 54, S. 316 und W. Spannowsky, VVDStRL 54, S. 337 und R. Breuer, VVDStRL 54, S. 331. 2*
Α. Grundlegung
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Staat es - zumal als Monopolist - zur Verfügung stellte. Entsprechendes gilt für zahlreiche andere staatlich erbrachte Leistungen, deren Wert grundsätzlich gar nicht in Frage gestellt wird. Die politische Dynamik der Privatisierungsforderung zehrt damit von der Grundannahme, dass gesellschaftliche Kräfte die in Frage stehenden Sachaufgaben prinzipiell besser oder zumindest ebenso gut erfüllen können wie der Staat. Dahinter steht häufig die aus dem Subsidiaritätsgedanken37 gespeiste Überzeugung, dass in einem gesunden Gemeinwesen der staatliche Steuerungszugriff auf die Bereitstellung von Gütern und Dienstleistungen auch sachlich begrenzt bleiben muss, wenn gesellschaftliche Träger und Kräfte diese Aufgaben besser oder mindestens ebenso gut erfüllen können38. Selbst traditionelle Staatsaufgaben werden dabei mitunter energisch in Frage gestellt39. b) Verknüpfung
mit der Staatsaufgabendiskussion
Aus der Perspektive der Staatsrechtslehre bildet die Privatisierungsdiskussion auch eine Art Kehrseite der Staatsaufgabendiskussion. Das Privatisierungsthema wirft - jedenfalls in seiner grundsätzlichen Dimension - keine geringere Frage als die nach dem angemessenen Staatsverständnis auf. Diese Frage konzentriert sich auf den zentralen Punkt, welche konkreten Aufgaben der säkulare Staat heuterichtigerweise noch wahrzunehmen hat. Die Staatsaufgaben waren aber, zumal unter normativer Perspektive, in der Staatsrechtslehre längere Zeit kein Thema mehr gewesen40. Diese Zurückhaltung hatte ihren Preis. So wurde die Privatisierungsdebatte zunächst ohne nennenswerte Beteiligung der Juristen geführt und vor allem durch Ökonomen und Politiker nachhaltig geprägt41. Die Staatsrechtslehre 37 Zum Zusammenhang von staatlichem Rückzug und Subsidiaritätsprinzip R. Stober, Rückzug des Staates im Wirtschaftsverwaltungsrecht, 1997, S. 3. 38 Eine ganz andere Frage ist es, ob im konkreten Fall diese Voraussetzung auch tatsächlich zutrifft. Zum seiner rechtlichen Reichweite nach umstrittenen Subsidiaritätsprinzip grundlegend J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968; Ρ. Häberle, AöR 119, S. 169 ff. 39 Eine weitgehende Privatisierung der Polizei fordert etwa der radikalliberale Programmentwurf „Bürger zur Freiheit!", liberal Heft 4/1992, S. 132 (133). Ähnlich S. Blankertz, in: D. Doering/F. Fliszar (Hrsg.), Freiheit: Die unbequeme Idee, 1995, S. 176, der privatisierungseuphorisch gegen die „Monopolpolizei" als ein „Sicherheitsrisiko" polemisiert. 40 Als letzte große Untersuchung kann die Arbeit von Η. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz (1. Aufl. 1973, 2. Aufl. 1977) genannt werden, die allerdings weniger der normativen Dimension (welche Aufgaben muss der Staat erfüllen?) als der verfassungsrechtlichen Perspektive verpflichtet ist, welche Aufgaben der Staat des Grundgesetzes wahrnehmen darf.
I. Der Problemhorizont
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war auf die Grundsätzlichkeit der Herausforderung durch die Privatisierungsbegeisterung nur unzureichend vorbereitet 42. Erst mit entsprechender Verzögerung ist sie in die Debatte eingetreten. Der ursprünglich heftig ausgetragene politische Grundsatzstreit über den Sinn von Privatisierungsmaßnahmen hat dabei auch auf die erste Welle der zunächst nur vereinzelt geführten fachlichen Diskussion öfter abgefärbt. Etwa ab der zweiten Hälfte der 80 er Jahre tritt allerdings eine breitere Diskussion und eine spürbare Versachlichung der juristischen Debatte ein. Die Umwandlung von Bahn und Post in Privatunternehmen und die Schaffung der hierfür erforderlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen, aber auch die Privatisierungsmaßnahmen auf kommunaler Ebene fanden zunehmend ihr fachliterarisches Echo. Inzwischen hat die juristische Fachwelt sich auf breiter Front das Generalthema Privatisierung zu Eigen gemacht. Privatisierung ist zum etablierten Forschungsgegenstand des öffentlichen Rechts geworden43. Inzwischen steht auch bei Juristen nicht mehr nur die strategische Abwehrperspektive der Grenzen, sondern zunehmend auch die Suche nach Inhalten und Zielen von Privatisierungsbewegungen im Vordergrund 44.
c) Legitimation durch Staatsaufgaben
Die Frage nach den Staatsaufgaben ist für die Staatsrechtslehre von zentraler Bedeutung. Gerade der weltanschaulich neutrale und säkulare Staat legitimiert sich im Bewusstsein seiner pluralistischen Bürgerschaft ganz wesentlich durch seine tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben 45 und durch 41
Ähnliche Einschätzung bei W.-W. Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, S. 4 ff. 42 Die Untersuchung der eigentlichen Aufgabendimension blieb in den vergangenen Jahrzehnten eher eine Domäne der Sozialwissenschaften, etwa G. Hesse, Staatsaufgaben, 1979; N. Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, 1981; H. Willke, Entzauberung des Staates, 1983 und ders., Ironie des Staates, 1992. Bereits im Vorfeld der Verfassungsänderungen im Zusammenhang mit Privatisierungsmaßnahmen (Art. 87 d, 87 e, 87 f GG) hat ein spürbarer Wandel in der Staatsrechtslehre eingesetzt. 43 Belegt wird dies unter anderem dadurch, dass sich die Vereinigung der Staatsrechtslehrer des Themas „Privatisierung von Verwaltungsaufgaben und staatliche Steuerung" bei ihrer Zusammenkunft 1995 angenommen hat, vergi. VVDStRL 54; das Thema „Verwaltung und Verwaltungsrecht zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung" der Jahrestagung 1996 (VVDStRL 56) setzt das Privatisierungsthema in wichtigen Teilen auf einer stärker instrumentell ausgerichteten Ebene fort. 44 Vergi. L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 240; W.-W. Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, S. 5 ff.und S. 51 ff. 45 Vergi. R. Herzog, Staaten der Frühzeit, 1988, S. 302: „Die Staatsaufgaben sind heute der eigentliche (wenn auch vielleicht nicht alleinige) Existenz- und Rechtfertigungsgrund des Staates." D. Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 785,
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Α. Grundlegung
die Qualität ihrer Erfüllung, mithin durch seine Leistungen. Wenn metaphysische Legitimationsmuster für Staat und staatliche Herrschaftsausübung nicht mehr tragen, hat sich damit nicht gleichzeitig auch deren Legitimationsbedürftigkeit erledigt. Im Gegenteil, Aufgabendimension und Leistungsbilanz des säkularen Staates rücken um so stärker in den Vordergrund der individuellen Wahrnehmung von Staat als einer legitimen und notwendigen oder aber als einer abzulehnenden Ordnungsgröße, als metaphysische Legitimationsmuster zurücktreten und die Selbstverständlichkeit einer breiten Akzeptanz von staatlicher Ordnung abnimmt. Die Frage nach der guten Erfüllung der richtigen Sachaufgaben durch den Staat berührt heute die maßgeblichen Grundlagen seiner Anerkennung in der Bevölkerung (Legitimation durch Funktion). Ihre mehrheitlich und dauerhaft positive Beantwortung stellt eine wesentliche Bedingung seiner Existenz und damit der Existenz des Gemeinwesens, verstanden als Gesamtsystem von Staat und Gesellschaft, überhaupt dar 46 . Diese Wurzel der Anerkennung des Staates auf der Grundlage seiner Aufgaben und Leistungen wird auch durch den europäischen Integrationsprozess, der den traditionellen Nationalstaat zwar überformt, ohne diesen aber auf absehbare Zeit gänzlich abzulösen, nicht außer Kraft gesetzt. Durch diesen Prozess verlagert sich lediglich die Legitimationsbedürftigkeit vom überkommenen nationalstaatlichen Ordnungsrahmen zusätzlich auf die Institutionen der Europäischen Union, die ihrerseits an der Qualität der Erfüllung ihrer Aufgaben und damit an ihren greifbaren Leistungen gemessen werden wird. Fehlt diese faktische Anerkennung, droht die Erosion des Staates von innen heraus. Im Rahmen normativer Überlegungen kann es allerdings nicht um die empirische Auslotung des tatsächlich bestehenden öffentlichen Meinungsklimas über den Staat und die Qualität seiner Aufgabenerfüllung gehen. Es geht vielmehr um die Ermittlung von sachlichen und vor allem von rechtlich greifbaren Gründen dafür 47, warum bestimmte Sachaufgaben als Staatsaufgaben erforderlich und anerkennungswürdig sind. In der staatlichen Aufder die Legitimation durch Aufgaben ausdrücklich in Kontrast zu Luhmanns Formel von der Legitimation durch Verfahren stellt. Die „nachlassende Kraft der Legitimation durch Verfahren" (so Η Zacher, Festschrift P. Lerche, 1993, S.113) stellt die Kehrseite dieser Medaille dar. Entsprechendes gilt für den als modern geltenden Steuerungsmodus gesellschaftlicher Selbstregulierung und ihrer Erscheinungsformen (dazu die Referate von M. Schmidt-Preuß und U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 160 ff. und S. 235 ff.), der sachlich in engem Zusammenhang mit der Privatisierungsdiskussion steht und der nach wohl einhelliger Auffassung „eine fundamentale Frage der Staatlichkeit und Staatsstruktur" betrifft (F. Ossenbühl, VVDStRL 56, S. 285 (Diskussionsbeitrag)). 46 R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 167; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 4 f.
I. Der Problemhorizont
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gabendimension und den rechtlich begründeten, fundamentalen Handlungspflichten des Staates stellt sich damit zuletzt die moderne Rechtfertigungsfrage des Staates. Vor diesem Hintergrund gewinnt die Privatisierungsforderung eine eminent legitimationstheoretische Komponente. Die alte Frage, wozu der Staat eigentlich da und warum der Staat notwendig ist, verschafft sich in der - gemessen am Ideologiepotential des 20. Jahrhunderts vergleichsweise nüchternen - Diskussion über Staatsaufgaben und deren Privatisierungsreserven ihren Raum. Bei aller Grundsätzlichkeit dieser Debatte steht heute in der Regel aber nicht das Ob, sondern das Wie des modernen Staates zur Debatte. Anarchistische Euphorien oder wissenschaftlich fundierte Absterbehypothesen bleiben bislang die seltene Ausnahme48. „Die Möglichkeit einer postmodernen, nach-neuzeitlichen Überwindung des Staates ist nicht in Sicht" 49 . 3. Privatisierungsfeste Staatsaufgaben a) Die Fragestellung
Im Vordergrund des Interesses der Staatsrechtslehre steht weniger der Verkauf von staatlichem Vermögen seit den 80er Jahren und die Arbeit der Treuhandanstalt, sondern das in diesem Ausmaß für unser Land neuartige Phänomen des Rückzugs aus bestimmten Staatsaufgaben 50. Rasch ent47
Vergi, die Unterscheidung bei D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 4 ff. und 65 f. zwischen Legitimität im empirischen („Überzeugung des Volkes vom Gerechtfertigtsein der staatlichen Ordnung") und im normativen Sinn (Frage nach der inhaltlichen Begründung). 48 Eine moderne Absterbehypothese enthält freilich die Prognose von C. Bohret, in: B. Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa, 1992, S. 116 (117). Danach stirbt der (traditionelle) Staat in der Entwicklung zum „Spätpluralismus" als besonderes Wesen, als Gebilde eigener Souveränität und als hierarchischer Koordinator ab. Weniger radikal F. W. Scharpf\ in: B. Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa, 1992, S. 104, der ein Nebeneinander von traditioneller hierarchischer Steuerung und horizontaler Selbstkoordination registriert. Scharpf stimmt Luhmann zwar zu, wonach der Staat nicht mehr als Zentrum oder Spitze moderner Gesellschaften verstanden werden kann, aber er fügt auch hinzu, dass „daraus doch keineswegs auf einen generellen Funktionsverlust geschlossen werden" dürfe. 49 So die grundsätzliche Diagnose von A. Hollerbach, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 6 1992, Sp. 43; ähnlich K. Sontheimer, Rückzug des Staates?, in: Cappenberger Gespräche der Freiherr-vom-Stein-Gesellschaft, Bd. 28 1996, S. 14 ff. (30). Dies schließt die Gefahr der Selbstaufgabe des Staates durch Privatisierung von Staatsfunktionen nicht aus, warnend bereits H. H. Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen, 1963, S. 33. 50 Zur Forderung, dass der Staat „Ballast" abwerfen muss, um die Rolle des Vertreters des Gemeinwohls überzeugend übernehmen zu können, vergi, nur C. Bohret, in: B. Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa, 1992, S. 123. Diese
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Α. Grundlegung
wickelten sich dabei rechtliche Folgeprobleme. So zeigte es sich häufig, dass der staatliche Aufgabenrückzug rechtlich strukturiert und aufgefangen werden muss. Die bislang bereits umgesetzten Privatisierungsmaßnahmen werfen auch das grundsätzliche Problem auf, ob und wie der verschlankte und teilweise privatisierte Staat sich wandelt 51 . Neben zahlreichen technischen Einzelfragen über die Art und Weise, wie sich entsprechende Privatisierungsabsichten praktisch ins Werk setzen lassen, dreht sich die wissenschaftliche Diskussion auch um die grundsätzliche Fragestellung, wo die Möglichkeiten zur Privatisierung von Staatsaufgaben ihre rechtlichen Grenzen finden. Damit ist zugleich das leitende Thema dieser Untersuchung skizziert. Abstrakt gesprochen zielt sie auf notwendige 52 oder unverzichtbare und damit privatisierungsfeste Staatsaufgaben, für die auch der Begriff der Kernaufgaben 53 gebräuchlich ist 5 4 . Welche Aufgaben muss der Staat, gegebenenfalls sogar unter Ausschluss jeglicher privater Initiative 5 5 und damit
grundsätzliche Auffassung stößt in der Praxis freilich rasch an ihre Grenzen, wenn es um die Verständigung auf konkrete Sachaufgaben geht, aus deren Wahrnehmung der Staat sich zurückziehen soll. Denn bei staatlich wahrgenommenen Aufgaben geht es zumindest dem Anspruch nach nicht um die Maximierung des Gewinns, bei der zumindest das Kriterium der Verständigung klar ist, sondern um Sachziele und Prioritäten, auf die man sich sehr viel schwieriger einigen kann; skeptisch zur „Privatisierung in historischer Perspektive" deswegen G. Ambrosius, StWStP 1994, S. 429. Inzwischen häufen sich die Stimmen, die davor warnen, „über das Ziel hinauszuschießen", etwa M. Ronellenfitschy DÖV 1996, S. 1026; nach G. Püttner, Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 731 steht Privatisierung nicht selten für Preiserhöhung oder Leistungsverschlechterung und gelegentlich auch für das Abstreifen einer gegebenen Verantwortung des Staates. 51 J. A. Kämmerer, JZ 1996, S. 1043; für Κ Α. Schachtschneider, VVDStRL 54, S. 310 (Diskussionsbeitrag) geht es bei den aktuellen Privatisierungsmaßnahmen um den „Umbau des Staates". 52 Η. H. Rupp, Privateigentum an Staatsfunktionen, 1963, S. 19; auch das Bundesverfassungsgericht spricht neuerdings von notwendigen Staatsaufgaben, BVerfGE 95, 250/265; vergi, auch BVerfGE 63, 1/60 (Sondervotum). 53 Etwa K. Stern, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1984, S. 23; G. Püttner, Verwaltungslehre, 2. Aufl. 1989, S. 37 („Staatskernfunktionen"); Privatisierungskonzept der Staatsregierung des Freistaates Sachsen vom 24.08.1993, S. 2. 54 Kritisch zu diesem Bild G. F. Schuppert, DÖV 1995, S. 768. In Anlehnung an A. de Jasay lässt sich die Kritik am „Reisigbündel-Paradoxon" in ein Gegenbild gießen: Viele Ruten bilden einen Besen, ohne dass sich bei Entnahme einzelner oder vieler Ruten ein entscheidender Kern ausmachen lässt. Entsprechendes gilt danach für Staatsaufgaben: Einen wirklichen Kern gibt es nicht. Solch bildhafter Skepsis wäre - ebenso bildhaft - zu entgegnen, dass wir immerhin sehr deutlich registrieren, wenn der (Reisig-) Besen kein Besen mehr ist, nämlich dann, wenn er nur noch so wenige Ruten hat, dass er seiner Funktion beraubt ist und wir nicht mehr damit fegen können.
I. Der Problemhorizont
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in Monopolstellung56, erfüllen 57, ohne dass er über diesen Aufgabenbestand selbst beliebig58 verfügen kann?59 Die Fragestellung ist damit nicht deskriptiv 60, sondern normativ angelegt: Was soll, was muss der Staat an Aufgaben unbedingt erfüllen, um seinem Charakter als Staat gerecht zu werden 61, und welche aktuell durch den Staat wahrgenommenen Aufgaben können im Zweifel der Gesellschaft zur eigenen Erledigung überlassen oder im Extremfall sogar ganz zur Disposition gestellt werden?62 55
W. Leisner, Werbefernsehen und öffentliches Recht, 1967, S. 14 f. mit Hinweis auf BVerfGE 7, 377/397; H.-U. Gallwas, VVDStRL 29, S. 226 f. 56 Gemeint ist damit nicht ein faktischer, sondern ein normativ-rechtlicher Monopolbegriff im Staat-Bürger-Verhältnis; zu den gebotenen Differenzierungen beim Monopolbegriff F. Ossenbühl, Festschrift R. Lukes, 1989, S. 528. 57 D. Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 779; K. Stern, in: Mehr Recht durch weniger Gesetze, Hrsg. Bundesministerium der Justiz, 1987, S. 18. 58 Oder „dezisionistisch", so J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968 S. 167 ff.; ders., HStR III, 1988, § 57 Rdn. 158 ff. (S. 72 ff.). 59 Diese Fragerichtung, die manchmal auch als die Suche nach dem Minimalstaat bzw. dem staatlichen Minimum bezeichnet wird, zielt weder darauf ab, welche Aufgaben der Staat von Rechts wegen wahrnehmen darf (dazu Η. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977) oder wo die Grenzen staatlicher Aufgabenbetätigung liegen, noch auf die deskriptiv ausgerichtete Thematik, welche Aufgaben der Staat tatsächlich wahrnimmt. In andere Richtungen zielen auch die Fragen, mit welchen Instrumenten und in welchen Rechtsformen der Staat seine Aufgaben erfüllt bzw. erfüllen darf (vergi. D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984; W. Brohm, NJW 1994, S. 281), ob es eine Rechtspflicht zur Privatisierung geben kann oder welche rechtlichen Privatisierungshindernisse im konkreten Fall bestehen können. Schließlich steht der Kernaufgabenbegriff auch nicht von vornherein in Gegensatz zum Begriff staatlicher Gewährleistungsaufgaben (so aber Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat", S. 61), die lediglich einen bestimmten Modus der staatlichen Aufgabenerledigung bezeichnen: Auch Gewährleistungsaufgaben können sich unter Umständen als staatliche Kernaufgabe darstellen. 60 Allein eine Analyse tatsächlich wahrgenommener Staatsaufgaben, vor allem auch der staatlichen Verwaltungsaufgaben, hilft nicht weiter. Zum einen sind viele Verwaltungsaufgaben offensichtlich nicht wirklich zwingende Staatsaufgaben - andernfalls wäre die Privatisierungsdiskussion insgesamt überflüssig; zum anderen sind die meisten Verwaltungsaufgaben in bestimmten historischen Situationen aus stark heterogenen Gründen als solche entstanden, ohne durch eine einheitliche Theorie als Staatsaufgabe vorgegeben zu sein. 61 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 34, spricht in Auseinandersetzung mit E. Forsthojfs Konzeption des modernen Verwaltungsstaates (Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 105 ff.) vom „harten, Einheitlichkeit und Identität wahrenden Kern staatlicher Ordnung". Kritisch zu Forsthoff R. Wahl, in: Dt. Verwaltungsgeschichte Bd. V, K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-C. v. Unruh (Hrsg.), 1987, S. 1199, wonach die administrative Integration die politische Integration nicht ersetzen könne. Um so dringlicher stellt sich dann allerdings die Frage nach staatlichen Kernaufgaben.
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Α. Grundlegung
Tatsächlich macht der in allen öffentlichen Haushalten sichtbar gewordene Zwang zum Sparen und das hieraus resultierende Leitbild vom schlanken Staat63 eine juristisch-wissenschaftliche Besinnung auf staatliche Kernaufgaben unumgänglich, wenn Einsparungen und Verschlankung nicht lediglich durch lineare Haushaltskürzungen64 oder nach dem Kriterium des geringsten zu erwartenden politischen Widerstandes65 oder ausschließlich nach Maßgabe anderer, nicht spezifisch juristischer Überlegungen erfolgen sollen66. Ob notwendige Staatsaufgaben sich als verbindliche Schranken der Privatisierung von bislang staatlich wahrgenommenen Sachaufgaben 67 benennen lassen, ist in der Praxis von erheblicher Bedeutung. Die Staatspraxis ist genötigt, zwischen aufgebbaren und unaufgebbaren Aufgabenbeständen zu unterscheiden, wenn sie konkrete Privatisierungsprojekte verwirklichen soll. Denn jede Privatisierungsentscheidung, die eine Sachaufgabe ganz oder teilweise nicht mehr weiterführen will, setzt zunächst voraus, dass die betreffende Aufgabe oder Teilaufgabe als solche aus rechtlichen Gründen nicht mehr weitergeführt werden muss. Privatisierung erweist sich damit als praktische Aufgabenkritik. Gegebenenfalls kommt dabei auch die Anpassung der Rechtsgrundlagen, die einer politisch gewollten Privatisierung entgegenstehen, bis hin zur Verfassungsänderung in Betracht. Bei ihren Privatisierungsprojekten tastet sich die Praxis des politischen Handelns mehr oder weniger von Fall zu Fall voran. Die großen Privatisierungsvorhaben erzeugen regelmäßig zahlreiche juristische Untersuchungen zur Zulässigkeit des betreffenden Projekts. Diese Untersuchungen haben aber zumeist, ihrer Aufgabenstellung entsprechend, eher punktuellen Cha62 Mit der Überführung von Staatsaufgaben in Privataufgaben ist im allgemeinen die Vorstellung einer staatlichen Entpflichtung verbunden, ohne dass die Privaten ihrerseits zur Aufgabenerfüllung verpflichtet sind. 63 Vergi. R. Scholz/K. G. Meyer-Teschendorf, ZRP 1996, S. 404 und Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat". 64 Sogenanntes „fiskalisches Rasenmäherprinzip", Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat", S. 7. 65 Praktisch stellt sich diese Vorgehensweise als Ausdruck des Prinzips der „rentseeking-society" (M. Olson) dar, die große und machtvolle Gruppen schont. Zur Selbstgefährdungstendenz der kapitalistischen Demokratie durch das Erkaufen der Zustimmung von Interessengruppen E. Weede, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft. Zur Soziologie der kapitalistischen Marktwirtschaft und der Demokratie, 1990, S. 129 ff. (134 f.), der sich insbesondere auf A. de Jasay, The State, 1985 und ders., Social Contract, Free Ride: A Study of the Public Goods Problem, 1989 stützt; M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 26. 66 U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 315 f. konstatiert, dass der Staat „einerseits keine Diät hält bei der Aufgabensuche, dass er andererseits neuerdings sehr auf Diät bedacht ist bei der Mittelzuweisung für die Aufgabenwahrnehmung". 67 A. Krölls, GewArch 1995, S. 130.
I. Der Problemhorizont
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rakter. Immerhin belegt diese Vorgehensweise, dass vor jeder praktischen Privatisierungsmaßnahme die Entscheidung über den Rang der betreffenden Staatsaufgabe steht68. In ähnlicher Weise setzt die Beschreibung und Katalogisierung des vorhandenen Privatisierungspotentials 69 im Gegenzug ein spezifisches Verständnis von den notwendigen und damit unaufgebbaren bzw. obligatorischen Staatsaufgaben voraus. Mit einer entsprechenden Einstufung steht fest, dass für diese Teilmenge aus der Summe aller tatsächlich wahrgenommenen Staatsaufgaben eine Privatisierung im Sinne des staatlichen Totalrückzuges aus der Aufgabenwahrnehmung ausgeschlossen ist. Mit der Klassifizierung als notwendige Staatsaufgabe sind die rechtlich zulässigen Organisationsformen, die Handlungsmittel und die konkreten Befugnisse zu ihrer Erfüllung allerdings noch nicht mitgegeben. b) Unscharfe des Privatisierungsbegriffs
Eine Schwierigkeit des Themas ergibt sich daraus, dass Privatisierung kein präziser Rechtsbegriff ist, sondern eher eine modische und unscharfe Sammelbezeichnung für vielfältige und abgestufte Formen des Rückzugs von staatlichen Organisationseinheiten70 aus ihrer Aufgabenverantwortung und dem entsprechenden Nachrücken gesellschaftlicher Kräfte 71. Privatisierung ist auch rechtlich gesehen ein facettenreicher Vorgang. In verschiedenen Aufgabenbereichen findet Privatisierung mit unterschiedlichen Formen und Intensitäten statt. Auf diese Abstufungen kommt es maßgeblich an. Ohne ein klares begriffliches Instrumentarium für die juristische Erfassung des Phänomens der Privatisierung von staatlichen Aufgaben ist eine erfolgreiche Verständigung über notwendige Staatsaufgaben nicht zu erwarten. 68
Eine entsprechende Entscheidung wird auch durch den neu gefassten § 7 Abs. 1 Satz 2 Bundeshaushaltsordnung nicht ausgeschlossen, sondern die Entscheidung über eine möglicherweise im Wege der Privatisierung kostengünstiger zu erbringende Leistung setzt die prinzipielle Privatisierbarkeit der betreffenden Aufgabe voraus. 69 Vergi, die Auflistung bei H. P. Bull, VerwArch 1995, S. 625 ff.; Privatisierungskonzept der Staatsregierung des Freistaates Sachsen vom 24.08.1993, S. 13 ff.; Elftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1994/1995, BT-Drs. 13/5309, Rdn. 108 ff. (S. 38 ff.). 70 Wenn im folgenden vereinfachend vom Staat die Rede ist, so ist darin mitgedacht, dass der Staat der Gegenwart „kein einheitliches Subjekt der Herrschaft" mehr kennt und „zu einem Stück Selbstorganisation der modernen Industriegesellschaft" geworden ist, vergi. Κ. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdn. 9. 71 In diesem Sinn F. Schoch, DVB1 1994, S.l ff.; E. Schmidt-Aßmann/C. Röhl, DÖV 1994, S. 582. Zum Sonderfall der sogenannten Organisationsprivatisierung unten B. III. 1. c).
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Α. Grundlegung c) Staat oder Gesellschaft
Bedingt durch die ökonomische und politische Dominanz am Anfang der Privatisierungsdebatte in Deutschland geriet das Privatisierungsthema zunächst unter den bestimmenden Einfluss eines Dualismus von entweder staatlicher oder privater Aufgabenerledigung. Dieser Dualismus hat ursprünglich auch die juristische Auseinandersetzung mit dem Thema geprägt. Demgegenüber hat sich die Diskussion vergleichsweise wenig auf die Frage der Modernisierung der Formen und Instrumente der staatlichen Aufgabenerledigung gerichtet 72. Gerade aus Sicht der Staatslehre kann die Privatisierungsdiskussion damit als ein Symptom für eine wachsende Unsicherheit bei der Beantwortung der Frage gedeutet werden, wer das Gemeinwohl im Gemeinwesen produziert, und welcher Anteil dem Staat dabei eigentlich noch zukommen soll. Das Privatisierungsthema stellt sich auch als eine Diskussion über die richtigen Träger des Gemeinwohls dar 73. Bei aller Komplexität einzelner Privatisierungsvorhaben geht es um die Frage nach der richtigen Aufgabenverteilung zwischen Staat und Gesellschaft. Die Diskussion über die richtige Aufgabenverteilung verschränkt sich mit der Suche nach den angemessenen Steuerungsstrukturen, um der jeweiligen Aufgabe sachlich gerecht zu werden. Aus steuerungstheoretischer Sicht bezeichnen Grenzen der Privatisierung damit zugleich Grenzen der gesellschaftlichen Selbststeuerungsfähigkeit; Aufgaben, die die Gesellschaft aus eigener Kraft nicht erfüllt oder nicht erfüllen kann, darf der Staat nicht ohne weiteres in die gesellschaftliche Selbststeuerung überführen. In diesen Fällen ist zu prüfen, ob die betreffende Sachaufgabe von Rechts wegen im Zweifel auch ganz wegfallen darf. Erst dann steht einem staatlichen Totalrückzug rechtlich nichts mehr im Wege. Die schlichte Vorstellung eines klaren Aufgabendualismus von staatlichen Stellen einerseits und gesellschaftlichen Trägern andererseits, die man theoretisch vielleicht trennscharf vornehmen kann, war und ist der Realität dabei keineswegs angemessen. Das simple Muster Staatsaufgaben (wichtigster Steuerungsmodus: Recht) versus gesellschaftliche Aufgaben (wichtigster Steuerungsmodus: Markt bzw. Preis) stößt in der Rechtswirklichkeit rasch an seine Grenzen. Tatsächlich haben sich in zahlreichen Lebensberei72
In jüngerer Zeit hat sich dies allerdings geändert, vergi, nur den Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat". 73 G. F. Schuppert, VVDStRL 56, S. 295 (Diskussionsbeitrag) hat deswegen die Auffassung geäußert, dass es nicht primär um eine Aufgabendebatte, sondern vor allem um eine Instrumenten- und „Trägerschaftsdebatte" geht, in der die zentrale Frage lautet: Wer soll welche Aufgaben bzw. Teilaufgaben erfüllen, und welches sind die dafür geeigneten Steuerungsinstrumente.
I. Der Problemhorizont
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chen vielfältige Mischformen und Modelle der wechselseitigen Aufgabenerfüllung herausgebildet74. Dabei wirken staatliche Stellen und gesellschaftliche Träger in rechtlich mehr oder weniger klar strukturierter Form zusammen, nehmen aufeinander Einfluss und teilen sich die Verantwortung „irgendwo zwischen Markt und Staat"75. Das Recht eröffnet zumeist große Gestaltungsräume für dieses Zusammenspiel. Selbst die Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit stellt empirisch und normativ gesehen kein Privileg staatlicher Stellen dar 76. So setzen Privatleute in beachtlichem Umfang in rechtlich zulässiger Weise planmäßig andere Private als Sicherheitsservice ein 77 . Dennoch spricht vieles dafür, die innere Sicherheit und damit den inneren Frieden als notwendige Staatsaufgabe anzusehen. Notwendige Staatsaufgaben bedingen aber nicht, dass der Staat dadurch in jedem Fall zum alleinigen Aufgabenträger wird 78 . Aus der Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe als solcher folgt hier wie auch in anderen Rechtsbereichen nicht unbedingt ein staatliches Wahrnehmungsmonopol79. Man mag lange darüber streiten, ob in der Herausbildung von solchen wechselseitigen Formen des Zusammenwirkens eher eine Rücknahme oder eher eine verdeckte Ausweitung staatlicher Einflussnahme liegt, eher ein staatlicher Machtzuwachs oder ein Machtverlust, ob die Gesellschaft sich dadurch des Staates oder der Staat sich dadurch der Gesellschaft bemächtigt 80 . Diese Mischungsverhältnisse aus staatlichen und gesellschaftlichen bzw. privaten Akteuren 81 belegen jedenfalls, dass der Staat zahlreiche Auf74
W. Möschel JZ 1988, S. 892; G. F. Schuppen, in: Jahrbuch zur Staats- und VerwaltungsWissenschaft, Bd. 3 1989, S. 47 ff.; ders., Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981; Abschlußbericht Sachverständigenrat Schlanker Staat, S. 68 ff. 75 G. F. Schuppen in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1992, S.18. Schuppert spricht vom „Dritten Sektor" und vom Ausfransen des Staates an seinen Rändern. 76 Nachdrücklich R. Pitschas, DÖV 1997, S. 398 ff. 77 Dazu unten Β. IV. 3. c) und Ε. II. 8. 78 M. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 379 f.; F. Ossenbühl, Festschrift R. Lukes, 1989, S. 536: Κ H. Friauf, \ Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 52 ff., 76; W. Köck, AöR 121, S. 20 f. 79 Κ Vogel y Öffentliche Wirtschaftseinheiten in privater Hand, 1959, S. 62; L. Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, 1988, S, 65; A. Peilert, Das Recht des Auskunftei- und Detekteigewerbes, 1996, S. 206 ff. 80 Bereits H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 345 und später H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 66 ff. haben in Auseinandersetzung mit E. Forsthoff\ Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 21, eingewandt, dass der Gesellschaft heute kein antistaatlicher Affekt mehr zugeschrieben werden kann. Staat und Gesellschaft erscheinen dann nicht mehr als
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Α. Grundlegung
gaben nur partiell in eigener Vollzuständigkeit wahrgenommen hat und wahrnimmt 82. Zwischen den reinen Formen ausschließlicher staatlicher Aufgabenwahrnehmung und der völligen Aufgabenüberantwortung an private Träger liegt in der Lebenswirklichkeit eine breite Skala staatlichgesellschaftlicher Aufgabenarrangements. Diese Formen der Arbeitsteilung gelten zu Recht als Ausweis eines freiheitlichen Staates83. Der Begriff der Staatsaufgabe kann damit von vornherein nicht in dem eingeschränkten Sinn verstanden werden, dass eine Aufgabe nur von einem Zuordnungssubjekt wahrgenommen werden darf, sondern Aufgabenwahrnehmung kann sich grundsätzlich auf mehrere Subjekte verteilen. In der Realität werden zahlreiche Sachaufgaben mehr oder weniger arbeitsteilig zwischen Staat und privaten Akteuren oder auch konkurrierend im Sinne eines „Anbietermixes" 84 erledigt, so dass die Frage nach den notwendigen Staatsaufgaben sich in diesen Fällen als die Frage nach den richtig bemessenen Aufgaben- und Personalanteilen stellt, die dem Staat bei der gemeinsamen Aufgabenerfüllung mindestens verbleiben müssen. Auch diese Festlegung der richtigen Verantwortungsteilung zwischen Staat und Privaten setzt allerdings eine inhaltlich klare Vorstellung darüber voraus, welche (Teil-) Aufgabenbestände von Rechts wegen in staatlicher Regie verbleiben müssen. Insofern kann die empirisch zutreffende Einsicht in die Komplexität der gemeinschaftlichen Erfüllung von Staatsaufgaben durch Staat und Gesellschaft die Notwendigkeit einer normativen Bestimmung des notwendigen Staatsanteils an der Aufgabenerfüllung nicht überspielen oder gar ersetzen. Damit können sich auch in den Fällen einer abgestuften Privatisierung, die lediglich zu einem Teilrückzug und damit zu entsprechenden Mischkonstellationen zwischen Staat und Privaten bei der Aufgabenerledigung führen, aus der Aufgabenqualität als einer unaufgebbaren staatlichen Verpflichtung erhebliche Konsequenzen für deren rechtliche Ausgestaltung ergeben. Die entscheidende Frage in diesen Fällen lautet, welchen Einfluss auf die Aufgabenerfüllung der Staat sich selbst aus rechtlichen Gründen mindestens vorbehalten muss, und wie dieser verfahrensmäßig abzusichern ist. Die untersuchungsleitende Fragestellung behält insofern auch für Mischprinzipieller Gegensatz, sondern als unterschiedlicher „Aggregatzustand" des Volkes, R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 141, 145 ff. 81 „Diffusion des Staates im Verhältnis zur Gesellschaft", R. Keller, in: F. Sack u.a. (Hrsg.), Privatisierung staatlicher Kontrolle: Befunde, Konzepte, Tendenzen, 1995, S. 89. 82 R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 32, (S. 98). 83 R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staats Wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 31. 84 Der Begriff stammt, soweit ersichtlich, von G. F. Schuppert.
I. Der Problemhorizont
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formen jenseits des klaren Musters entweder staatlicher oder privater Aufgabenwahrnehmung ihren Sinn. d) Unscharfe des Staatsaufgabenbegriffs
Auch der Begriff der Staatsaufgaben selbst zeichnet sich durch eine gewisse Unschärfe aus. Staatsaufgaben im juristischen Sinn sind begrifflich denkbar weit gespannt und erfassen nach herrschender Auffassung jedenfalls alle diejenigen Sachbereiche, die der Staat sich selbst unabhängig von der konkreten Organisationsform zulässigerweise85 zur Aufgabe macht. Präzise Vorgaben für den erforderlichen Bestimmtheitsgrad von Staatsaufgaben sind in dieser Wendung nicht ersichtlich. Beschreibungen von Staatsaufgaben können damit sehr abstrakt, aber auch ganz konkret ausfallen, wobei der Terminus in der Regel als „Begriff mittlerer Genauigkeit" verstanden wird 86 In inhaltlicher Hinsicht enthält dieser rein formale Begriff der Staatsaufgaben so gut wie keine Ausrichtung. Es fehlt an inhaltlichen Maßstäben zur Festlegung von Staatsaufgaben. Damit stehen wichtige und weniger wichtige, womöglich überflüssige, vielleicht sogar schädliche oder schädlich gewordene Aufgaben im Begriff der Staatsaufgabe unterschiedslos nebeneinander. Auf Binnendifferenzierungen in der Gesamtmenge aller tatsächlich wahrgenommenen Aufgaben ist der juristische Staatsaufgabenbegriff nicht angelegt. Begrifflich ausgeschlossen sind dadurch lediglich die durch das positive Recht als solche ausdrücklich fixierten unzulässigen Staatsaufgaben, die damit definitionsgemäß keine Staatsaufgaben sind87. Für Privatisierungsüberlegungen jedweder Art lassen sich alleine aus dem Prädikat der Staatsaufgabe noch keine normativen Grenzen ableiten, denn die entscheidende Frage, welche Aufgaben aus der Menge aller tatsächlich und zulässigerweise wahrgenommenen Staatsaufgaben unaufgebbar sind, bleibt in diesem formalen Begriff der Staatsaufgabe selbst offen.
85 Dieses normative Begrenzungsmerkmal ist erforderlich, weil der Staat Aufgaben auch zu Unrecht an sich ziehen kann, vergi. H. P. Bull , Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 28 und 105 gegen die ursprüngliche Formel des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 12, 205/243, die zunächst nur auf die reine Befassung des Staates mit einer öffentlichen Aufgabe abstellt. Später hat das BVerfG sich entsprechend korrigiert und das Merkmal der Zulässigkeit hinzugefügt. BVerfG 41, 205/218; 53, 366/401. Kritisch zur Befassungstheorie des Bundesverfassungsgerichts bereits H. Peters, Festschrift H. C. Nipperdey Bd. 2, 1965, S. 877 f. und 890. 86 K. Stern, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1984, S. 13. 87 H.-P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 105.
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Α. Grundlegung
Das Kriterium zulässiger Befassung liefert schließlich auch deswegen keinen abschließenden Aufgabenbegriff, weil es die normative Dimension unzulässiger Nichtbefassung mit notwendigen Sachaufgaben durch staatliches Unterlassen logisch nicht einzubeziehen vermag. Die theoretische Möglichkeit der Existenz solcher Aufgaben, die der Staat eigentlich erfüllen müsste, aber tatsächlich vielleicht nicht oder nicht ausreichend erfüllt, bleibt bei diesem gedanklichen Ansatz von vornherein ausgespart. Notwendige Staatsaufgaben weisen demgegenüber einen gesteigerten normativen Charakter auf und nehmen den Staat positiv im Hinblick auf bestimmte Ziele in die Pflicht. Die grundsätzliche Verpflichtung zu ihrer Erfüllung steht dann nicht mehr zu seiner Disposition. Die aktive Beendigung von tatsächlich bereits wahrgenommenen notwendigen Aufgaben ist danach ebenso unzulässig wie andauerndes staatliches Unterlassen. Nicht alle Staatsaufgaben, die der Staat tatsächlich bzw. auf Grund einfachgesetzlicher Verpflichtung wahrnimmt, sind deswegen schon notwendige Staatsaufgaben. Einfachgesetzliche Pflichten zur Wahrnehmung bestimmter Sachaufgaben können prinzipiell geändert und durch den einfachen Gesetzgeber abgeschafft werden, soweit übergeordnetes Recht nicht entgegen steht. Ebenso wenig folgt aus dem rechtlichen Dürfen der staatlichen Aufgabenwahrnehmung ein rechtliches, gar verfassungsrechtliches Müssen zur staatlichen Aufgabenerfüllung 88. Die Bestimmung von notwendigen Staatsaufgaben im begrifflichen Gegensatz zu den sonstigen oder fakultativen Staatsaufgaben 89 setzt damit eine rechtlich tragfähige Unterscheidung und die Klassifizierung voraus, wodurch die grundlegenden originären und unverzichtbaren Aufgaben des Staates sich in rechtlich greifbaren Kategorien hervorheben. Obwohl die Terminologie nicht einheitlich ist, herrscht im Schrifttum überwiegend die Auffassung vor, dass solche notwendigen (oder originären, genuinen, obligatorischen etc.) Staatsaufgaben jedenfalls existieren 90, auch 88
R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 68. K. Stern, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1984, S. 23, spricht von Sekundäraufgaben und hält eine entsprechende Überprüfung und Selektion für notwendig. 90 R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 24 ff. (S. 93 f.); K. Stern, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1984, S. 16; R. Scholz („ausschließliche bzw. genuine Staatsaufgaben"), ArchivPT 1995, S. 170; V. Götz, HStR III, 1988, § 79 Rdn. 1 f. (S. 1008 f.); K. Eichenberger, Der Staat der Gegenwart (Schriften), 1980, S. 94; H. Bauer, VVDStRL 54, S. 329; J. Hengstschläger, VVDStRL 54, S. 174 f.; W. Däubler, Privatisierung als Rechtsproblem, 1980, S. 63; G. F. Schuppert, in: Kommentar zum Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland (Reihe Alternativkommentare), Bd. 1., 2. Aufl. 1989, Art. 33 Abs. 4 und 5, Rdn. 34 ff. (S. 1854 ff.); R. Hofmann, VB1BW 1994, S. 122 und 124, der insbesondere die kommunalrechtliche Unterscheidung von Pflichtaufgaben und sonstigen Aufgaben aufgreift; dezidiert R. Pitschasy der einen Wandel vom kooperativen zum distanzierten Staat feststellt, 89
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wenn diese Formeln in erster Linie keine Verfassungsbegriffe, sondern Klassifikationsbegriffe der allgemeinen Staatslehre bilden 9 1 . In ähnlicher Weise geht auch das Bundesverfassungsgericht trotz seiner formalen Befassungstheorie davon aus, dass es typisch staatliche Funktionen gibt, die ihrem Wesen nach nur von Staatsorganen wahrgenommen werden können oder deren Wahrnehmung der Staat jedenfalls sicherzustellen hat 9 2 . Ein theoretisch fundierter Bestand notwendiger staatlicher Sachaufgaben wird zwar gelegentlich gefordert 93 , die Forderung allerdings kaum eingelöst. Ein staatstheoretisch abgesicherter Katalog existiert ebenso wenig wie eine normative staatliche Kernaufgabenlehre, die Auskunft über den privatisierungsfesten Aufgabenbestand 94 geben oder jedenfalls die Kriterien für die Benennung notwendiger Staatsaufgaben angeben kann.
VVDStRL 54 (Diskussionsbeitrag), S. 323 f.; S. v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 22; C. Reichard, Umdenken im Rathaus, 1994, S. 39 ff.; wohl auch F. OssenbühU Festschrift R. Lukes, 1989, S. 540 ff. P. J. Tettinger, Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 574; M. Ronellenfitsch , DÖV 1996, S. 1029 und 1032; D. Merten, („essentielle Staatsaufgaben") VVDStRL 55, S. 46; weitere Nachweise bei H P. Bull , Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 99; skeptisch W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 204, wonach es kein zuverlässiges Kriterium gibt, wonach Staatsaufgaben als solche ausgewiesen werden können; zurückhaltend P. Badura, ZBR 1996, S. 322; nach A. v. Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1992, S. 102 ff., lassen sich aus genuinen Staatsaufgaben keine allgemeingültigen Grenzen für die Privatisierung entnehmen; ablehnend gegenüber der Möglichkeit einer materiellen Bestimmung „staatsnotwendiger Aufgaben" P. Kirchhof, Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Artikel 33 Absatz IV des Grundgesetzes, 1968, S. 112 ff.; G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, 1983, S. 44 f; A. Peilert, Das Recht des Auskunftei- und Detekteigewerbes, 1996, S. 208, lehnt notwendige staatliche Aufgaben alleine aufgrund des Inhalts der Tätigkeit ab; differenzierend G. Hermes y Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 7 I. 2, § 8 und insbesondere §§ 15, 16, der zwar die Abstraktion der Aufgabendimension ablehnt, gleichwohl aber ein übergreifendes Konzept einer differenzierten staatlichen Infrastrukturverantwortung für leitungs- und netzgebundene Systeme aufdeckt („von der Staatsaufgabe zur Steuerungsverantwortung"). Vergi, auch die kritischen Äußerungen im Abschlußbericht des Sachverständigenrates Schlanker Staat, S. 44, der einerseits das Prinzip der offenen Staatsaufgaben und die Besinnung auf Kernaufgaben ablehnt, andererseits aber auch die Existenz privatisierungsfester Staatsaufgaben anerkennt; ebenso R. Scholz, Privatisierung im Baurecht, 1997, S. 37 ff. 91 M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 49 f; Η Ρ. Bull , Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 99 ff.; F. OssenbühU Festschrift R. Lukes, 1989, S. 542/544. 92 BVerfGE 30, 292/311 f.; 17, 371/376; 73, 280/294; 95, 250 (265). 93 H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 252 (Fn. 78). 94 R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 29 m.w.N.; G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 7 II. 3 Gramm
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Α. Grundlegung
Notwendige Staatsaufgaben werden in der Regel eher beispielhaft genannt und auf unterschiedliche Begründungsstränge gestützt. Das Spektrum 95 möglicher Begründungsargumente reicht dabei von bestimmten Erledigungsarten bzw. Staatsfunktionen (Rechtssetzung) für inhaltlich vorausgesetzte Staatsaufgaben über gemeinwohlbezogene Generalklauseln (Förderung des allgemeinen Wohls) als materielle Aufgabenbestimmung, über evidenzgestützte Argumente (schlechthin staatsnotwendige Aufgaben) bis zur Ableitung von Staatsaufgaben aus der Natur der Sache (natürliches staatliches Aufgabenmonopol) oder aus bestimmten Selbsterhaltungsfunktionen des Staates. Wo die Frage nach den unverzichtbaren Staatsaufgaben aufgeworfen wird, liegt im allgemeinen als methodisches Vorverständnis eine klassische Je-Desto-Relation zu Grunde, dass nämlich Privatisierungsmaßnahmen je weniger zulässig sind, desto mehr sie staatliche Kernbereiche betreffen 96. Diese Relation impliziert, dass entsprechende Abschichtungen innerhalb der Menge der tatsächlich wahrgenommenen Staatsaufgaben auf wissenschaftlicher Grundlage überhaupt möglich sind.
4. Modalität der staatlichen Aufgabenerfüllung Unterstellt man, dass es gelingen kann, einen gewissen Bestand an Staatsaufgaben als notwendig zu qualifizieren, so wäre damit theoretisch, aber auch verfassungsrechtlich einiges gewonnen. Diese grundsätzliche Verpflichtung bildet allerdings nur die eine Seite der rechtlichen Begrenzung von Privatisierungsmaßnahmen. Normativ bedeutet das Prädikat der notwendigen Staatsaufgabe zunächst nur, dass die Totalprivatisierung 97 der betreffenden Aufgabe im Sinne ihrer Beendigung als Sachgegenstand staatlicher Sorge, was am Ende auf ihre komplette Abschaffung hinauslaufen kann98, unzulässig wäre. 95 Dazu M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 50 ff. 96 Charakteristisch W. Graf Vitzthum, AöR 104, S. 593: Gegen die Privatisierung kommunaler Wirtschaftsunternehmen „bestehen um so weniger rechtliche Bedenken, je weiter entfernt die Aufgabe vom Kernbereich der kommunalen Verantwortung für die Vitalsituation ihrer Einwohner ist". 97 „Radikale Privatisierung", B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989, S. 258. 98 Plakativ G. Püttner, Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 731: Die Privatisierung des städtischen Theaters läuft auf seine Abschaffung hinaus. Vergi, auch H. Steinberg, VVDStRL 56, S. 289 ff. (Diskussionsbeitrag): „Die Privatisierung bislang staatlicher Dienstleistungen macht aus Bürgern Konsumenten ... Was sich nicht rechnet, das wird ausgemustert." Andererseits „zerschlägt" die Beendigung des staatlichen Einstehens für die Aufgabe zunächst nur die staatliche oder kommunale Produktionsorganisation, B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989, S. 925.
I. Der Problemhorizont
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Tatsächlich ist diese Erkenntnis bei zahlreichen Staatsaufgaben offensichtlich banal. Ungeachtet aller Differenzen in der theoretischen Begründung wird es zumindest im Ergebnis kaum bestritten, dass bestimmte Sachaufgaben zu den notwendigen Staatsaufgaben gehören. So werden innere und äußere Sicherheit als Staatsaufgabe im allgemeinen nicht grundsätzlich in Frage gestellt. Wie der Staat seine grundsätzliche Sorge- oder Einstandspflicht wahrzunehmen hat, insbesondere mit welchem Einwirkungsgrad er auf die Aufgabenerfüllung hinzuwirken hat, bleibt im Begriff der Staatsaufgabe selbst weithin offen: Die Aufgabe besagt für sich genommen in der Regel noch nichts darüber, auf welche Art und Weise und mit welcher Intensität der mit dem Aufgabenbegriff selbst intendierte Erfolg durch den Staat angesteuert werden soll". Für die Qualität der staatlichen Aufgabenwahrnehmung kommt es aber maßgeblich auf die Art und Weise der Aufgabenerfüllung an. Auch aus der Klassifizierung von notwendigen Staatsaufgaben als ausschließliche Staatsaufgaben ergeben sich für die Art und Weise ihrer Wahrnehmung kaum rechtlich greifbare Konsequenzen. Bei ausschließlichen Staatsaufgaben besteht ein rechtlich gesichertes staatliches Monopol für die betreffende Sachaufgabe. Dadurch wird zumindest das konkurrierende Engagement Privater auf diesem Feld kategorisch ausgeschlossen. Begrifflich stellen sie lediglich einen Unterfall notwendiger Staatsaufgaben dar 100 . Solche eindeutigen Fälle ausschließlicher101 Staatsaufgaben gibt es zwar 102 ; 99 Ähnlich G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 8III. 2); M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 165, 313, der systematisch zwischen einer materialen und (im Anschluß an BVerfGE 22, 180/204) einer modalen Problemsicht unterscheidet. 100 J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 152 f. (S. 69 f.). Notwendige Staatsaufgaben und ausschließliche Staatsaufgaben sind nicht identisch; auch konkurrierende Staatsaufgaben können notwendige Staatsaufgaben sein. 101 Grundlegend die Unterscheidung von G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 255 ff. zwischen ausschließlichen und konkurrierenden Staatsaufgaben; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 766 ff.; J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 150 ff. (S. 68 ff.), der überdies zwischen obligatorischen und fakultativen Staatsaufgaben unterscheidet, Rdn. 152. Ausschließliche Aufgaben kann danach nur der Staat erfüllen, Private sind von der Aufgabenwahrnehmung ausgeschlossen; obligatorische Staatsaufgaben muss der Staat wahrnehmen, ohne dass privates Engagement deswegen unbedingt ausgeschlossen ist. Vergi, auch das Privatisierungskonzept der Staatsregierung des Freistaates Sachsen vom 24.08.1993, S. 3, das allerdings von einem in dieser Form nicht haltbaren Dualismus von ausschließlichen (= nicht privatisierungsfähigen) und konkurrierenden (= privatisierungsfähigen) Staatsaufgaben ausgeht. 102 H.-U. Gallwas, VVDStRL 29, S. 226 f., der im übrigen darauf hinweist, dass es erst dann problematisch wird, „wenn Bindungen und Pflichten eine Übertragung von Aufgaben nicht ausschließen". Dann stelle sich erst die Frage, „ob das Gemein-
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sie sind aber aus verfassungsrechtlicher Sicht die seltene Ausnahme103. In den meisten Fällen ist privates Engagement parallel zur Erfüllung notwendiger Staatsaufgaben gerade nicht von vornherein ausgeschlossen, sondern grundrechtlich abgesicherter Freiheitsausübung prinzipiell zugänglich. Im Übrigen kann man auch bei ausschließlichen Staatsaufgaben zumindest in Randzonen erhebliche Beiträge Privater bei der Aufgabenerfüllung registrieren, wie das Beispiel der militärischen Rüstung im Rahmen der ausschließlichen Staatsaufgabe Aufstellung und Unterhaltung von Streitkräften 104 verdeutlicht 105 . Auch dann, wenn notwendige Staatsaufgaben nicht zugleich ausschließliche Staatsaufgaben sind, markieren sie eine Grenze für Privatisierungsmaßnahmen, als sie eine rechtliche Garantenpflicht des Staates106 für die betreffende Staatsaufgabe festschreiben. Soll diese staatliche Garantenpflicht für notwendige Staatsaufgaben mehr bedeuten, als dass überhaupt irgend etwas geschehen muss, kommt es entscheidend darauf an, welche rechtlich abgesicherten Aussagen über die Modalität 107 , die Formen 108, das Niveau und die konkrete Wirksamkeit der Aufgabenerfüllung möglich sind. Soweit feststeht, dass eine notwendige Staatsaufgabe vorliegt, verlagert sich das Privatisierungsproblem damit im zweiten Schritt auf die Ausleuchtung der normativen Anforderungen an Art und Weise sowie die Intensität der Aufgabenerfüllung 109. wesen sich allein durch die Übertragung freizeichnen kann oder ob es, wie auch immer das im einzelnen aussehen mag, gebunden bleibt." 103 Vergi, einerseits weiter J. Isensee, HStR III 1988, § 57 Rdn. 150 ff. (S. 68 f.) und andererseits enger R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 37 (S. 99), wonach mit Ausnahme der Landesverteidigung auf keinem Gebiet von einem wirklichen Staatsmonopol gesprochen werden kann. 104 Der Wortlaut des Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG hat - insoweit vergleichbar mit Art. 88 Satz 1 GG, Errichtung einer Währungs- und Notenbank durch den Bund über den bundesstaatlichen Charakter hinaus jedenfalls auch eine Ausschlussfunktion für Private: (Nur) der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. Zum - umstrittenen - Verfassungsauftrag zur Verteidigung aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG vergi. F. Kirchhof HStR III, 1988, § 78 Rdn. 7 ff. (S. 981 f.) und unten Α. II. 5. b); der Begriff der „Freiwilligenarmee" in BVerfGE 48, 127/160, die das BVerfG grundsätzlich für mit der Verfassung vereinbar hält, ist im Sinne von Berufsarmee, nicht von Privatarmee zu verstehen. 105 Dazu ausdrücklich Art. 87 b Abs. 1 S. 2 GG; G. Roellecke, VVDStRL 54, S. 313 (Diskussionsbeitrag) weist zu Recht darauf hin, dass auch sog. Kernbereiche staatlicher Tätigkeit mit privaten Aktivitäten durchsetzt sind und nennt die Rüstungsindustrie und die Scheckbuchdiplomatie als Beispiele; dass der Bund sich die für seine Aufgabenerfüllung erforderlichen Sachmittel bei privaten Unternehmern beschaffen darf, ist unbestritten, dazu unten D. IV. 106 H.-U. Gallwas, VVDStRL 29, S. 227 ff. 107 F. Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 145 ff. 108 R. Wahl/1. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 68.
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Soll die untersuchungsleitende Fragestellung im Ergebnis nicht in unverbindlichen Erwägungen stecken bleiben, muss sie sich dieser zweiten Stufe des Problems ebenfalls stellen, nämlich welches Erfüllungsniveau der Staat bei der Wahrnehmung von notwendigen Aufgabe mindestens zu gewährleisten hat. Es ist zu zeigen, dass zahlreiche rechtliche Schwierigkeiten und Unsicherheiten in der Staatswirklichkeit auf dieser Stufe auftreten 110. Mit der Präzisierung des Erfüllungsniveaus soll die qualitative Dimension der staatlichen Aufgabenwahrnehmung erfasst werden. Aussagen mit hochabstrakter Struktur wie ein mittleres, eine hohes, ein sehr hohes oder ein optimales Erfüllungsniveau sind dabei allerdings nicht sinnvoll. Denn jeder Versuch einer solchen normativen Festlegung durch entsprechend abgestufte Wertungen würde in Ermangelung einer klaren Bezugsskala nur eine nicht beantwortete Frage durch eine andere ersetzen. Einen Zugewinn an Rationalität verspricht dagegen die Hinwendung zu den Voraussetzungen und Mitteln, die die Intensität und das Niveau der staatlichen Aufgabenerfüllung rechtlich strukturieren. Tatsächlich wird das konkrete Erfüllungsniveau maßgeblich durch das Vorhandensein, den Umfang und den Einsatz bestimmter staatlicher Ressourcen festgelegt. In der Staatswirklichkeit hängt dieses Niveau in der Hauptsache von fünf Ressourcengruppen ab, wobei die Reihenfolge der Aufzählung keine Aussage über deren Wertigkeit für den Erfüllungserfolg enthält: - die rechtlichen Steuerungsstrukturen; darunter sind insbesondere die rechtliche Vorformung der staatlichen Entscheidungen sowie die staatlichen Instrumente für ihre Durchsetzung und Kontrolle zu begreifen; - das erforderliche Wissen111 im Hinblick auf die tatsächlich intendierten Wirkungen staatlichen Handelns, - das geeignete Personal, - die erforderlichen Sachmittel sowie - die Sicherstellung ausreichender finanzieller Mittel. Dieses Quintett der staatlichen Erfüllungsressourcen und ihr spezifisches Arrangement bestimmen im Wesentlichen die Wirksamkeit und das Niveau der staatlichen Aufgabenerledigung. Aus der hier gewählten Untersuchungsperspektive geht es nicht um verwaltungswissenschaftliche Überlegungen oder Optimierungsstrategien, sondern wiederum um die normative Frage 109 Κ. H. Friaufy Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten, 1991, S. 98 ff., 131 ff. 110 Insbesondere unten unter E. 111 Dass das Wissen auf unterschiedliche und vielfältige Bereiche aufgeteilt ist, stellt staatliche Stellen vor erhebliche Steuerungsprobleme, vergi. H. Hill, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 310 ff., 315.
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Α. Grundlegung
nach den rechtlich verbindlichen Vorgaben für die Ausgestaltung dieser Ressourcen. Das Bild des Spiels 112 veranschaulicht diesen abstrakten Sachzusammenhang: Der Staat kann sich darauf beschränken, nur die Spielregeln festzulegen (was immerhin voraussetzt, dass er auch etwas von dem Spiel versteht); er kann außerdem in sich steigernden Stufen den Schiedsrichter stellen, den Platz und die anderen Sachmittel und schließlich sogar die Spieler selbst (in den Varianten als staatliche Mitspieler oder sogar als alleiniger Spieler); schließlich kann er auch noch die Eintrittspreise für die Zuschauer festsetzen. 5. Das staatliche Gewaltmonopol Im Gegensatz zum Sprachgebrauch stellt das sogenannte staatliche Gewaltmonopol keine ausschließliche Staatsaufgabe dar. Dabei handelt es sich nicht um eine inhaltlich greifbare Sachaufgabe und auch nicht um den eigentlichen Zweck des Staates113, sondern um die eigentliche Machtbasis staatlicher Aufgabenwahrnehmung für die Erfüllung zahlreicher, inhaltlich ganz unterschiedlicher Sachaufgaben 114 und für die Durchsetzung des Rechts115. Der historisch mühsame Prozess der Herausbildung des staatlichen Gewaltmonopols, der in der entsprechenden Zurückdrängung privater Formen der Gewaltausübung bestand116, verdeutlicht, dass die Erringung des Gewaltmonopols öffentliche Sicherheit im Sinne von Sicherheit für alle erst ermöglicht hat. Die öffentliche Sicherheit oder der innere Friede als einem der zentralen Zwecke allen staatlichen Handelns mündet in der staatlichen Verpflichtung, für die Aufrechterhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung des inneren Friedens Sorge zu tragen 117. Diese Verpflichtung ist 112 Das Bild findet sich bei W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 174, 183; ders., DVB1. 1991, S. 138. 113 H. Heller, Staatslehre, 4. Aufl. 1970, S. 201 ff.; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 8. 114 Vergi, dazu D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol , 1975, S. 29 f. und S. 67; J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 44 (S. 22); vergi, auch C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 109 (Gewaltmonopol als notwendiges Element des Rechtsstaates). 115 Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass die Geltung des Rechts ausschließlich auf der staatlichen Zwangsmacht beruht, sondern nur in den „pathologischen Fällen der Gesetzesmissachtung" (D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975, S. 30) muss die Geltung des Rechts durchgesetzt werden; in erster Linie beruhen Gesetzesgehorsam und Akzeptanz des Rechts auf geistigen Voraussetzungen, vergi. R. Herzog, Allgemeine Staatslehre, 1971, S. 167 ff. 116 Dazu H.-J. Becker, NJW 1995, S. 2077 ff. 1,7 Dies impliziert, dass die gewaltsame Beschränkung der persönlichen Freiheit des Bürgers im Prinzip alleine den staatlichen Instanzen zusteht, A. Funk, in: F.
I. Der Problemhorizont
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es, welche dem Gewaltmonopol erst seinen bleibenden118 Sinn verleiht. Seine Kehrseite ist die grundsätzliche Friedenspflicht der Bürger. Im übrigen besteht das sogenannte staatliche Gewaltmonopol nicht uneingeschränkt und ausnahmslos, sondern nach geltendem Recht existieren auch legale Formen der privaten Gewaltausübung. Dies belegen die Jedermannsrechte zur Gewaltanwendung in Notwehr- und Nothilfesituationen 119. Selbst die Gefahrenabwehr ist deswegen noch heute keine exklusive Staatsaufgabe120. Diese Einsichten werden durch den von Max Weber 121 geprägten Begriff des staatlichen Gewaltmonopols eher verschüttet als erhellt. Auch weitergehende Lockerungen des staatlichen Gewaltmonopols, wie es sich nach geltender einfachrechtlicher Ausprägung im Detail darstellt, sind verfassungsrechtlich nicht von vornherein unzulässig122. Schließlich ist das Gewaltmonopol auch keine spezifische Ressource im Sinne des soeben skizzierten Quintetts staatlicher Erfüllungsmittel. Diese Machtbasis ist eine abstrakte und im einzelnen konkretisierungs- und relativierungsbedürftige Voraussetzung seines Wirkens, um die Verbindlichkeit des Rechts und die Sicherung des öffentlichen Friedens auch tatsächlich zu bewirken.
Sack u.a. (Hrsg.), Privatisierung staatlicher Kontrolle: Befunde, Konzepte, Tendenzen (Interdisziplinäre Studien zu Recht und Staat, Bd. 3), 1995, S. 47. 118 R. Voigt, Des Staates neue Kleider. Entwicklungslinien moderner Staatlichkeit, 1996, S. 410 f. 119 D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol , 1975, S. 56 ff.; zu deren grundrechtlicher Legitimation insbesondere J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983, S. 57 ff. 120 U. Di Fabio , VerwArch 1990, S. 222 ff.; unten E. II. 8. 121 Max Weber, Wirtschaft und Gesellschaft, 5. Aufl. 1985, S. 821.f. Danach „gibt (es) fast keine Aufgabe, die nicht ein politischer Verband hier und da in die Hand genommen hätte, andererseits auch keine, von der man sagen könnte, dass sie jederzeit, vollends: dass sie immer ausschließlich denjenigen Verbänden, die man als politische, heute: als Staaten, bezeichnet oder welche geschichtlich die Vorfahren des modernen Staates waren, eigen gewesen wären. Man kann vielmehr den modernen Staat soziologisch letztlich nur definieren aus einem spezifischen Mittel, das ihm, wie jedem politischen Verband, eignet: das der physischen Gewaltsamkeit."; dazu A. Anter, Max Webers Theorie des modernen Staates, 1995, S. 35 ff.; zu den begriffsgeschichtlichen Ursprüngen des Gewaltmonopols ders., StWStP 1995, S. 449 ff. 122 H. Bauer> VVDStRL 54, S. 255; R. Stober, NJW 1997, S. 892 f.
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Α. Grundlegung
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat 1. Die halboffene Aufgabenkonzeption des Grundgesetzes a) Systemunabhängige Staatsaufgaben
Welche Aufgaben muss der Staat des Grundgesetzes heute wahrnehmen und inwieweit ist dieses Aufgabenspektrum verfassungsrechtlich vorprogrammiert? Vor der verfassungsrechtlichen Exegese steht zunächst eine ernüchternde Einsicht, die geeignet ist, den verfassungsrechtlichen Ansatz bei der Suche nach notwendigen Staatsaufgaben von vornherein zu relativieren. So gibt es bei rein empirischer Betrachtung eine ganze Reihe von Staatsaufgaben, die weitgehend unabhängig vom jeweiligen politischen System und von der jeweiligen Verfassung wahrgenommen werden. Bekanntlich bestehen selbst in den Fällen revolutionärer Umbrüche gewisse Konstanten bei den staatlichen Aufgaben, soweit man von einer staatlichen Organisation überhaupt noch sprechen kann. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit dürften die Aufrechterhaltung der inneren und äußeren Sicherheit, strafrechtliche Regelungen und Streitschlichtung (Justiz), bestimmte rechtliche Ordnungsstrukturen für das Wirtschaftsleben, das Währungs- und Steuerwesen, ein Mindestmaß an staatlichen Verwaltungs- und Versorgungsleistungen oder zumindest deren Sicherstellung durch die Bereitstellung von entsprechender Infrastruktur zur Befriedigung elementarer Grundbedürfnisse (Wasser, Energie, ärztliche Versorgung), ein Minimum an Verkehrswegen und Planungen sowie an Bildungseinrichtungen (Schulen) in jedem staatlichen Gebilde auch ohne rechtliche oder gar verfassungsrechtliche Absicherung der jeweiligen Sachaufgabe in der einen oder anderen Form in staatlicher Obhut stehen. Selbst undemokratische und unmenschliche politische Systeme machen von diesen inhaltlichen Bestimmungen bezeichnenderweise keine Ausnahme. Bei spezifischen Inhalten dieser Staatsaufgaben finden sich allerdings erhebliche Unterschiede, die auch durch das jeweilige politische System bedingt sind. Die konkrete Ausgestaltung und das Niveau der staatlichen Leistungen hängt in weiten Bereichen aber keineswegs nur vom politischen System oder von der jeweiligen (Verfassungs-) Rechtslage ab, sondern auch von der wirtschaftlichen Situation des betreffenden Staates. In besonderer Weise gilt dies für kostspielige Infrastrukturleistungen und für personalintensive Sachaufgaben. Die Entwicklungen einiger Länder insbesondere im asiatischen Raum belegen, dass Wohlstand nicht notwendigerweise an die Bedingung von politischer oder weltanschaulicher Freiheit geknüpft ist. Spätestens die
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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ökonomischen Erfolge von China zeigen, dass die Formel, wonach Wohlstand zuerst die politische Gewährleistung von Freiheit und Menschenrechten voraussetzt, so nicht aufgeht und beachtliche wirtschaftliche Erfolge auch in einem freiheitsfeindlichen System möglich sind. Diese ökonomischen Erfolge setzen aber ihrerseits immer auch erhebliche staatliche Aktivitäten insbesondere infrastruktureller Art voraus. Vor diesem Hintergrund spricht alles dafür, dass selbst dann, wenn durch einen unterstellten anderen Geschichtsverlauf nach der Zäsur von 1945 nicht die Bundesrepublik Deutschland und die Deutsche Demokratische Republik, sondern ein ganz anderer Staat mit ganz anderen verfassungsrechtlichen Grundlagen als der Staat des Grundgesetzes an dessen Stelle getreten wäre, zumindest die soeben grob skizzierten Grundaufgaben in der einen oder anderen Form dann ebenfalls durch diesen anderen Staat wahrzunehmen gewesen wären. Dieses kleine Gedankenspiel weist damit zugleich auf einen grundlegenden Unterschied zwischen einigen wichtigen Staatsaufgaben und den Menschenrechten hin: Es darf nicht mit gleichem Wahrscheinlichkeitsgrad davon ausgegangen werden, dass ein fiktiver anderer Staat in ähnlicher Weise wie der Staat des Grundgesetzes auch die Menschenrechte garantiert hätte. Die Frage, ob und in welchem Umfang Menschenrechte gelten sollen, kann eine Rechtsordnung und zumal eine Verfassung kaum offen lassen, wenn deren Beachtung durch den Staat normativ gesichert sein soll. Zugespitzt formuliert: Ein bestimmter Kreis an elementaren Staatsaufgaben besteht in der modernen Welt faktisch gesehen weitgehend unabhängig von der Staatsform und der konkreten Verfassungslage; die Achtung der Menschenrechte ist dagegen ohne rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Garantien und ohne wirksame Durchsetzungsmechanismen nur schwer vorstellbar. b) Textbefund
des Grundgesetzes
aa) Kein geschlossenes Staatsaufgabenkonzept Tatsächlich spielt die Dimension der Staatsaufgaben im Grundgesetz ausdrücklich keine hervorragende Rolle. Der Verfassungstext zeichnet sich - in seiner ursprünglichen Fassung besonders deutlich und auch heute noch klar erkennbar - durch weitgehende Abstinenz in seinen Aussagen über Staatsaufgaben aus 123 . Das Grundgesetz kennt weder einen Aufgabenkatalog 123 Nach J. Isensee, DVB1. 1995, S. 3, sieht das Grundgesetz grundsätzlich davon ab, Staatsaufgaben zu beschreiben; die Bundesverfassung steht hier in charakteristischem Gegensatz zur jüngeren Entwicklung der Verfassungsgesetzgebung in den
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Α. Grundlegung
noch eine ausdrückliche Aufgabenhierarchie 124, keinen Kernbereich notwendiger Staatsaufgaben oder eine Benennung von Staatszwecken. Dies bedeutet nicht, dass die Verfassung nicht selbst einige Staatsaufgaben als notwendige Staatsaufgaben zumindest mittelbar festschreibt, oder dass notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat außerhalb dieser aus dem Verfassungstext erschließbaren Staatsaufgaben nicht existieren. Es gilt allerdings festzuhalten, dass dem Grundgesetz die Vorstellung eines umfangreichen Aufgabenkanons oder eines geschlossenen Staatsaufgabenkonzeptes fern liegt 125 . Die Verfassung erwähnt den Begriff der (Staats-) Aufgaben eher am Rande und verstreut in Art. 24 Abs. la, 30, 87 Abs. 3 Satz 2, 87e Abs. 1 Satz 2, 87f Abs. 2 Satz 2, 91a Abs. 1 und 104a Abs. 1 GG, jeweils im Zusammenhang mit Kompetenzzuweisungen im Bundesstaat, sowie in Art. 33 Abs. 4 GG im Zusammenhang mit der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse durch Angehörige des öffentlichen Dienstes. Mit Ausnahme der Gemeinschaftsaufgaben aus Art. 91a Abs. 1 GG und der Gewährleistungspflichten aus Art. 87 e, Art. 87 f GG werden konkrete Sachaufgaben dabei nicht ausdrücklich genannt. Eine systematische Erschließung der zentralen Aufgaben des Staates kann man darin kaum erblicken. Überwiegend werden die Staatsaufgaben im Grundgesetz in diesen Bestimmungen ohne nähere inhaltliche Benennung einfach vorausgesetzt. Dies gilt auch für Art. 33 Abs. 4 GG, der die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse zwar als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zuweist, die in einem öffentneuen Ländern, insbesondere Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, etwas zurückhaltender Thüringen und Sachsen; dazu etwa J. H. Boehl, Verfassunggebung im Bundesstaat, 1997, S. 217 f. Anders stellt sich auch ein internationaler Trend dar, menschenrechtliche Sinngehalte als objektivrechtliche Normen in Form von Staatszielen und Staatsaufgaben festzuschreiben, dazu E. Denninger, JZ 1996, S. 587 ff.; gegen einen starren Dualismus von Staatsaufgaben und Grundrechte auch P. Häberle, AöR 111, S. 602 f. 124 Ebenso wenig wie es eine Normhierarchie darstellt, etwa mit den Grundrechten an der Spitze und dem Staatsorganisationsrecht und dabei insbesondere den Kompetenzen auf unterster Stufe, vergi. C. Pestalozzi Der Staat 11, S. 171 f. 125 R. Scholz/J. Aulehner, ArchivPT 1993, S. 221 ff.; C. Koenig, Die öffentlichrechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 317 ff. 441; R. Schmidt, Die Verwaltung 1995, S. 283; R. Stober, GewArch 1997, S, 217 f.; nichts anderes gilt nach J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 120 (S. 54) für die aufgabenrechtliche Dimension von Staatszielbestimmungen, die die staatliche Verantwortung nicht abschließend umschreiben, allerdings einen Eindruck vermitteln, welchen Herausforderungen sich der Verfassungsstaat in besonderem Maße verpflichtet fühlt. Ob ein entsprechender Katalog überhaupt sinnvoll wäre, ist umstritten, vergi, bejahend einerseits P. Häberle, Jahrbuch des öffentlichen Rechts NF 34 (1985), S. 305, 371 ff. und verneinend andererseits R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 47.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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lich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Dagegen werden diese staatlichen Aufgabenbereiche inhaltlich nicht näher fixiert. Art. 33 Abs. 4 GG bezieht sich damit einerseits auf bestimmte, nämlich hoheitsrechtliche Befugnisse, andererseits auf das Beamtentum126. An anderen Stellen werden in der Verfassung, durchaus punktuell und ohne erkennbaren Anspruch auf Systematik oder innere Geschlossenheit, einzelne Sachgegenstände ohne ausdrückliche Kennzeichnung als Staatsaufgabe für den Staat oder doch für bestimmte Staatsorgane als verbindliche materielle Zielvorgaben genannt. Gerade die neuere Verfassungsgesetzgebung bietet dafür Anschauungsmaterial, etwa mit den Art. 20 a, Art. 23 Abs. 1 und Art. 87 f Abs. 1 GG. Grundlage für deren Einfügung in die Verfassung sind spezifische neue Problemlagen, die noch nicht im Horizont des historischen Verfassungsgesetzgebers gelegen haben und die nach Auffassung des verfassungsändernden Gesetzgebers aus verschiedenen Gründen der Heraushebung aus der Summe aller tatsächlich wahrgenommenen Staatsaufgaben bedürfen. Diese ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Hervorhebungen sind für die betreffende Sachaufgabe als Staatsaufgabe allerdings nicht konstitutiv: Auch vor der Einfügung des Art. 20 a GG war der Staat bzw. der Gesetzgeber nicht gehindert, die natürlichen Lebensgrundlagen durch seine Rechtsordnung zu schützen. Tatsächlich hat er dies auch früher schon getan. Ebenso wenig bedarf es theoretisch eines Verfassungsrechtssatzes wie Art. 87 f Abs. 1 GG, um die flächendeckend angemessene und ausreichende Versorgung mit Postdienstleistungen sicher zu stellen127. Der Sache nach würde dies auch für viele andere verfassungsrechtlich ausdrücklich verfestigte materielle Staatsaufgaben gelten: Man braucht sie nicht unbedingt128. Die meisten Staatsaufgaben bedürfen ohnehin der Konkretisierung und Umsetzung durch den einfachen Gesetzgeber. Immerhin können sie als Auslegungsmaxime für das einfache Recht Wirkung entfalten. Ein geschlossenes Staatsaufgabenkonzept ist unter dem Grundgesetz auch wegen seiner Konstruktion als bundesstaatliche Verfassung nicht zu erwar126
R. Scholz, NJW 1997, S. 15; ders., Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 446; F. SchocK DVB1. 1994, S. 969 f.; F. Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 159 ff. 127 Dieses kann das einfache Gesetz im Prinzip ohne weiteres leisten. Entstehungsgeschichtlich ist die Formulierung als eine Art politische Misstrauensklausel zu deuten, vergi, zur Entstehungsgeschichte K. Stern, DVB1. 1997, S. 312. 128 Etwas anderes kann dann gelten, wenn grundrechtliche Freiheit den rechtlichen Schutz bestimmter Güter nur schwer zulässt. Dies ist bei den vorbehaltlos gewährten Grundrechten der Fall. Sie genießen eine gewisse Privilegierung gegenüber den anderen Grundrechten, da sie nur wegen eines gleichwertigen, mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgutes beschränkt werden können.
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Α. Grundlegung
ten. Zentrale Staatsaufgaben fallen in die Zuständigkeit der Gliedstaaten. Das Grundgesetz benennt diese Aufgaben entweder gar nicht oder allenfalls am Rande129. Dies gilt insbesondere für die Bereiche innere Sicherheit und Kultur. Gerade die grundsätzliche Regelung des Art. 30 GG, der die Erfüllung der staatlichen Aufgaben zur Sache der Länder erklärt, soweit das Grundgesetz keine andere Regelung trifft oder zulässt, belegt damit, dass das Grundgesetz die Staatsaufgaben überwiegend als mehr oder weniger selbstverständlich voraussetzt. Jedenfalls fasst es die Dimension der Staatsaufgaben nicht als zentralen Gegenstand verfassungsrechtlicher Normierung auf. bb) Die teleologische Struktur des Aufgabenbegriffs Der restriktive Ansatz der Verfassung im Hinblick auf die Aufgabendimension ist ernst zu nehmen. Zusätzlich erhellt wird dies durch die teleologische Struktur des Aufgabenbegriffs. In funktionaler Sicht zielen Staatsaufgaben - insoweit ähnlich wie Staatszwecke oder Staatsziele - auf positive Wirkung des Staates in der Welt. Sie lassen sich geradezu als Zielpunkt und Messlatte für den Erfolg des Staates begreifen. Im Gegensatz dazu zielen Grundrechte in ihrer ursprünglichen Dimension als Eingriffsabwehrrechte gerade auf die Beschränkung staatlicher Wirksamkeit. Aus staatsaufgabentheoretischer Sicht steht bei den Grundrechten die rechtliche Begrenzung staatlicher Tätigkeit und Aufgabenwahrnehmung im Vordergrund, die in Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG ihren verbindlichen Ausdruck gefunden hat 130 . Rechtlich verbindlich vorgegebene Staatsaufgaben begrenzen dagegen nicht staatliches Handeln. Sie zielen auf staatliche Aktivitäten zur Aufrechterhaltung oder Verwirklichung eines bestimmten Zustandes, der in den jeweiligen Staatsaufgaben chiffrenartig eingefangen wird. Ausdrücklich im Grundgesetz normierte Staatsaufgaben können damit auch als in die Form des Verfassungsrechts gegossene Bilder kollektiver Selbstvergewisserung darüber begriffen werden, worauf es mit dem Gemeinwesen als Ganzes in der Zukunft hinausgehen soll. So liegt einem ausdrücklichen staatlichen Schutzauftrag für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen die 129 J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 147 (S. 67); M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 44. no Vergi, j Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983, S. 27: „Die dominierende Furcht, auf die das Grundgesetz antwortet, ist die Furcht vor dem Staat. Der geschichtlich erfahrene totalitäre Staat ist das dauerhafte Feindbild."
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Bewertung bzw. das Bild einer intakten und gesunden Natur zu Grunde, was immer dies auch im Detail bedeuten mag. Solche Staatsaufgaben weisen ihrer Tendenz und Intention nach über die Lebenswirklichkeit der Gegenwart hinaus auf ein gutes Gemeinwesen131, das der Staat erst noch verwirklichen soll 132 . Verfassungsrechtlich fixierte Staatsaufgaben stehen damit für noch nicht Erreichtes und tragen Züge einer konkreten Utopie, die im Kontrast zur Gegenwart steht 133 . Trotz dieser teleologischen Struktur dürfen Staatsaufgaben unter der Geltung des Grundgesetzes von vornherein nicht als Gegensatz zu den Grundrechten verstanden werden 134. Die Erfüllung der Staatsaufgaben stellt keinen Selbstzweck dar, sondern steht uneingeschränkt im Dienste der Freiheit und der gleichen Lebenschancen der Menschen im Staat des Grundgesetzes. Dass Menschenrechte und Staatsaufgaben allerdings unter anderen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen in einen strikten Gegensatz treten können, hat die jüngere Geschichte schmerzlich gezeigt. Die politisch und rechtlich unheilvolle Dynamik von bedingungslos als notwendig propagierten Staatsaufgaben auf Kosten von Freiheit und Menschenrechten war den Zeitgenossen des Dritten Reiches, die zugleich die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren, als Erfahrung vollauf präsent. In dieser historischen Erfahrung hatte sich mit aller Deutlichkeit gezeigt, dass Staatsaufgaben sich verhältnismäßig leicht als Zielbestimmungen für kollektivistische Absolutsetzungen auf Kosten der Geltung des Einzelnen missbrauchen lassen. Ein - jedenfalls bei vorverfassungsrechtlicher Betrachtung bestehendes - latentes Spannungsverhältnis zwischen den Staatsaufgaben als der objektiven Pflichtendimension des Staates einerseits und den Menschenrechten des Einzelnen andererseits lässt sich deswegen nicht von der Hand weisen. Unter dem unmittelbaren Eindruck des Nationalsozialismus und der Evidenz des Unmenschlichen stehend, waren säkulare Bilder eines guten Gemeinwesens in Form von katalogisierten Staatsaufgaben in der Entste131 Auch die Aufgabendimension von Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG (Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern) ist in diesem Zusammenhang zu nennen. 132 Anschauungsmaterial für diese Funktion bieten insbesondere die Landesverfassungen der neuen Länder. 133 Κ . Waechter, NVwZ 1997, S. 734 bezeichnet Staatsziele als „ideale Güter der öffentlichen Ordnung". 134 P. Häberle, AöR 111, S. 602 f.; G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, 1983, S. 44 f. stellt demgegenüber zu stark auf den Gegensatz eines abstrakten Staatsaufgabendenkens zu einem grundrechtsorientierten Denken ab und erkennt darin eine Umakzentuierung in Richtung des Dürfens des Staates, weshalb er eine normative Staatsaufgabenlehre nicht mehr für möglich hält.
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hungsphase des Grundgesetzes freilich ebenso entbehrlich wie für viele geradezu verdächtig 135. Symptomatisch für diese Grundhaltung ist die Bestimmung des Art. 26 Abs. 1 GG mit dem Verbot des Angriffskrieges, die sich als negative Staatszielbestimmung bzw. als Staatsvermeidungsziel deuten lässt und damit ganz auf der Linie der unmittelbar präsenten historischen Erfahrungen im Dritten Reich lag. Es ist bezeichnend für den Wandel der Anschauungen, dass das Grundgesetz diese Abstinenz und damit auch sein charakteristisches Pathos der Nüchternheit im Hinblick auf die staatliche Aufgabendimension mit zunehmendem zeitlichen Abstand zu seinem Ursprung immer weniger durchhalten konnte 136 . Inzwischen wurde eine Reihe von Staatsaufgaben aufgenommen. Auch solche vereinzelten Bilder der kollektiven Selbstvergewisserung über die Zukunft des Gemeinwesens in der Verfassung bieten aber noch kein komplettes Staatsaufgabenkonzept. Eine verfassungsrechtliche Theorie notwendiger Staatsaufgaben lässt sich auf der Grundlage vereinzelter Hervorhebungen im Verfassungstext nicht konstruieren. Zentrale überkommene Staatsaufgaben, die für den Bestand eines Gemeinwesens nicht minder wichtig sind, finden in der Verfassung dagegen keine oder doch nur marginale Erwähnung. So sucht man beispielsweise die Verankerung einer ausdrücklichen Staatsaufgabe Sicherheit im Wesentlichen vergeblich 137. Verfassungstextlich nur punktuell genannte Staatsaufgaben als Bezugspunkt einer normativen Theorie über notwendige Staatsaufgaben laden zu perspektivischen Verzerrungen geradezu ein. Die Konstruktion eines geschlossenen Konzepts notwendiger Staatsaufgaben alleine auf der Grundlage der geschriebenen Verfassung verspricht damit kaum Aussicht auf Erfolg und birgt überdies die nicht zu unterschätzende Gefahr einer überfrachtenden Verfassungsexegese, von der das Grundgesetz tunlichst freizuhalten ist. Dies schließt es zwar nicht aus, im Verfassungstext nach Anknüpfungspunkten für Staatsaufgaben zu suchen138. Behutsamkeit ist aber bei ungeschriebenen notwendigen Staatsaufgaben mit dem prekären 135
Einige frühe Landesverfassungen machen hiervon freilich eine charakteristische Ausnahme. 136 Nach seiner Entstehung ist das Grundgesetz stärker mit Staatsaufgabennormen aufgeladen worden, vergi. F. OssenbühU Festschrift R. Lukes, 1989, S. 543. 137 Zu nennen sind lediglich einige Randbereiche, etwa Art. 35 Abs. 2 und 3; 73 Nr. 10; Art. 87 Abs. 1 S. 2; 91 GG. Um zu einem weitergehenden staatlichen Aufgabenprofil zu gelangen bedarf es erheblicher interpretatorischer Anstrengungen, die vornehmlich im Bereich der Grundrechte unternommen werden, vergi, unten A. II. 5. c). Alternativ dazu wird gelegentlich Rückgriff auf eine rein evidenzgestützte Argumentation ohne nähere Begründung genommen, etwa BVerfGE 49, 24/56 f. 138 Dazu unten A. II. 5.
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Verhältnis von Geschriebenem und Gemeintem und allen damit verbundenen Interpretations-, Nachweis- und Rangschwierigkeiten geboten. c) Allzuständigkeit
des Staates
Schließlich stand das Dogma von der potentiellen Allzuständigkeit des Staates und der prinzipiellen Offenheit seines Aufgabenbestandes einer verfassungsrechtlich geschlossenen Lehre von den Staatsaufgaben als Grenze von Privatisierungsmaßnahmen entgegen139. Die Lehre von der KompetenzKompetenz140 räumte dem aller verfassungsmäßigen Einbindung zunächst vorausliegenden Staat grundsätzlich die „General- und Blankovollmacht"141 ein mit der Konsequenz, dass prinzipiell alles zur legitimen Staatsaufgabe werden darf 142 . Die Vorstellung inhaltlich irgendwie vorgegebener Staatszwecke ist dieser Lehre fremd, sondern „der Staat setzt sich seine Zwecke selbst"143. Dies dürfte erst recht für seine Aufgaben gelten. Es kann auf dieser staatstheoretischen Grundlage konsequenterweise keine stringente verfassungsrechtliche Festlegung von Staatsaufgaben geben144. Prinzipiell kein Lebensbereich ist von vornherein vor staatlicher Einflussnahme sicher, auch kein grundrechtlich geschützter145. Auch wenn die Lehre von der Kompetenz-Kompetenz in mancher Hinsicht überholt ist, wirkt sie unter der Bedingung des bestehenden Verfassungsstaates vor allem in der Beweislastfrage bei der Schaffung neuer Staatsaufgaben fort. Der Staat ist danach grundsätzlich nicht rechtfertigungsbedürftig in dem Sinne, dass er eines inhaltlich legitimierenden Grundes für die Einführung einer 139
L Osterloh, VVDStRL 54, S. 207. H Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S.86, 759 ff. und 767 f.; W. Leisner, Werbefernsehen und öffentliches Recht, 1967, S. 16; J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 156 ff. (S. 71 ff.); kritisch H H. Rupp y HStR I, 1987, § 28 Rdn. 30 (S. 1207); H P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 91 ff., 96. 141 H Krüger, Allg. Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 760; zu den Grundlagen G. Jellinek, Allg. Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 236 ff. u. S. 474 ff.; Κ Hespe, Die Staatszwecklehren in der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhundert, 1964, S. 17 ff., 67 ff.; R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staats Wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 35 ff., der die Limitierung der Staatstätigkeit durch die Grundrechte hervorhebt. 142 Ein auf inhaltliche Zwecke nicht festgelegter Staat (wie bei H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 196, 677, 795 ff.) kann damit in letzter Konsequenz auch als Selbstzweck erscheinen. 143 D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 5 mit Hinweis auf E.-W. Böckenförde, Gesetz und gesetzgebende Gewalt, 1981, S. 211 ff. m.w.N. 144 J. Isensee, DVB1. 1995, S. 1 145 Zur Modifikation des Allzuständigkeitsdogmas unter verfassungsstaatlichen Bedingungen J. Isensee, HStR III, 1988 § 57 Rdn. 157 ff. (S. 72 ff.) 140
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neuen Sachaufgabe bedürfte. Es kommt vielmehr auf das politische Wollen, das Vorhandensein entsprechender verfassungsrechtlicher Kompetenzen und sonstiger staatsorganisationsrechtlicher Bindungen sowie auf die Beachtung der Grundrechte 146 und der sonstigen, insbesondere europarechtlichen Vorgaben an. Ein Verfassungsvorbehalt für die Auffindung und Einführung von neuen Staatsaufgaben existiert nicht, sondern es ist Sache der von der Verfassung konstituierten Organe, konkrete Staatsaufgaben durch Gesetzgebung und Regierungsakte festzulegen 147. Die weitergehende Frage nach dem, was staatliches Tätigwerden in einem bestimmten Sachbereich im Kern legitimiert, wird damit von vornherein eliminiert. Staatsaufgaben, „verstanden als Gegenstandsbereiche staatlicher Betätigung und Einflussnahme, sind deswegen im demokratischen Sozialstaat der Möglichkeit nach umfassend" 148. Diese Grundposition liegt - zumindest bei vordergründiger Betrachtung - der Sache nach auch der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Grunde 149. Normative Abstufungen innerhalb der Staatsaufgaben sind in dieser formalen und damit bewertungsneutralen Definition weder enthalten noch angelegt. Die Frage nach den Staatsaufgaben beantwortet sich danach aus dem formalen Prinzip des inzwischen durch unterschiedliche rechtliche Bindungen eingeschränkten „Selbstbestimmungsrechts" des Staates150.
146
J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 165 ff. (S. 75 ff.) stellt darüber hinaus auch noch auf das Subsidiaritätsprinzip ab. Gerade bei der Begründung neuer Staatsaufgaben lässt sich ein durchgängiges verfassungsrechtliches Subsidiaritätsprinzip im Verhältnis Staat - Gesellschaft nicht aufrechterhalten. Dies liefe andernfalls darauf hinaus, dass der Staat erst dann tätig werden dürfte, wenn Private eine Sachaufgabe aus eigener Kraft nicht oder jedenfalls nur schlechter erfüllen können, vergi. W. Hoffinann-Riem, AöR 119, S. 608 f. Im übrigen löst diese Position die Lehre von der Kompetenz-Kompetenz im Ergebnis auf. 147 R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staats Wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 36. 148 Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Geset bungsaufträge , Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), 1983, Rdn. 26 (S. 32); Abschlußbericht Sachverständigenrat Schlanker Staat, S. 19 44, 59 zum Prinzip der „offenen Staatsaufgaben". Auch der Sachverständigenrat Schlanker Staat stellt allerdings nicht in Abrede, dass es Staatsaufgaben gibt, die nicht zur politischen und rechtlichen Disposition stehen und die deswegen grundsätzlich nicht privatisiert werden dürfen, vergi. Abschlußbericht S. 40 f. Es ist deswegen terminologisch klarer, vom Prinzip der halboffenen Staatsaufgaben zu sprechen. 149 BVerfGE 15, 235/240; 30, 292/310 f.; 33, 240/244; 53, 366/400 f.; 68, 155/ 170; 74, 102/120. Tatsächlich ist die Konzeption des Bundesverfassungsgerichts wesentlich komplizierter, dazu unten Α. II. 2. 150 M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 46.
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Als gebremste dezisionistische Variante lassen sich auch prozedurale oder systemtheoretische Deutungen von staatlichen Aufgaben interpretieren. Wenn die eigentliche Aufgabenentscheidung sich nur danach bemisst, „was Parlament und Regierung in einem rechtmäßigen Verfahren auf den Weg bringen" 151 , kann es keine materiell „falschen" oder „richtigen" Aufgaben geben, sondern nur verfahrensmäßig korrekt oder fehlerhaft zustande gekommene Handlungsaufträge 152. Die Festlegung staatlicher Aufgaben wird damit zur „Verfahrensfrage der staatlichen Willensbildung"153. In diesem durch die demokratischen Institutionen und Verfahrensweisen gefilterten Dezisionismus hat inhaltliche Aufgabenkritik ebenso wenig einen Platz wie die Vorstellung von normativen Abstufungen innerhalb des vorhandenen Bestandes an Staatsaufgaben. Notwendige Staatsaufgaben im begrifflichen Gegensatz zu den sonstigen Staatsaufgaben sind bei diesem gedanklichen Ansatz strukturell ein Fremdkörper. Privatisierungsmaßnahmen sind dann konsequenterweise nichts anderes als „die Durchsetzung von Prioritätsverschiebungen im Gemeinwohlbereich"154. Diese Absage an die Chance einer normativen Theorie der Staatsaufgaben wird gelegentlich mit dem demokratietheoretischen Argument untermauert, dass im demokratischen Verfassungsprozess alleine durch den Gesetzgeber nach dessen Ermessen darüber entschieden wird, welche Aufgaben der Staat und gegebenenfalls in welcher Form er diese wahrzunehmen hat. Auch hier bleibt es alleine bei der Möglichkeit von Verfahrenskritik, die verfassungsrechtlich insbesondere durch das Staatsorganisationsrecht und im Übrigen durch das Staatsrecht strukturiert wird. Legitime Aufgaben oder Steuerungsansprüche außerhalb des im demokratischen Prozess destillierten gesellschaftlichen Wollens oder Nichtwollens kann es danach nicht geben. Immerhin lässt sich aber auch von dieser Warte, die eine innere Grenze der Staatstätigkeit ablehnt, staatsrechtlich nach Aufgaben fragen, die jedenfalls den einfachen Gesetzgeber hindern, Privatisierungsmaßnahmen durchzuführen. Notwendige Staatsaufgaben zielen auf dieser Basis ausschließlich auf das Verfassungsrecht und fragen nach Aufgaben mit Verfassungsrang 155. 151 F.-X. Kaufmann, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 19; F. Ossenbühl, VVDStRL 1971, S. 153 152 F. Naschold, Modernisierung des Staates, 2. Aufl. 1994, S. 44 ff. 153 M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 58. 154 W. Lange, JZ 1981, S. 691. 155 R. Schmidt, in: S. Biernat/R. Hendler/F. Schoch A. Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 220; skeptisch R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staats Wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 45, andererseits aber auch S. 49. 4 Gramm
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Α. Grundlegung
Hinsichtlich einiger Staatsaufgaben ist die Verfassung dabei nicht in dem Sinne offen, dass sämtliche Staatsaufgaben theoretisch auch privatisiert werden könnten. Es ist deswegen präziser, statt von einem offenen von einem halboffenen Aufgabenkonzept des Grundgesetzes zu sprechen. Das Grundgesetz enthält keinen Verfassungsrechtssatz, der die Erfüllung staatlicher Aufgaben durch Private generell ausschließen würde 1 5 6 , ebenso wenig wie es andererseits ein generelles wirtschaftliches Betätigungsverbot für die öffentliche Hand oder eine Rechtspflicht zur Privatisierung 157 enthält. Soweit solche privatisierungsfesten Aufgaben sich in der Verfassung nicht ausmachen lassen, ist deswegen als Kehrseite dieses halboffenen Konzepts der Staatsaufgaben die Privatisierungsoffenheit des Grundgesetzes zu Recht hervorgehoben worden 1 5 8 . 2. Staatszwecke und das Problem der Hierarchie Trotz klarer theoriegeschichtlicher Unterschiede 159 sind Staatszwecke sachlich mit dem Staatsaufgabenbegriff verwandt 160 . Der Begriff des Staatszwecks war bis vor kurzer Zeit kaum noch gebräuchlich 161 . Charakteris156 U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 256: Die Erfüllung von Staatsaufgaben durch Private hat nicht den „Rang eines eigenen konstitutionellen Themas"; F. Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 163; D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 116. P. Lerche, Maunz/Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 86 Rdn. 52 und 60 (Kommentierung 1989). 157 So aber wohl M. Ronellenfitsch, HStR III, 1988, § 84 Rdn. 44 (S. 1196 f.); H. Lecheler, ZWR 1980 S. 71; dahinter verbirgt sich die Auffassung, dass es dem Staat im Prinzip verwehrt ist, mit rein erwerbswirtschaftlichem Gewinnstreben am Wirtschaftsleben teilzunehmen, etwa D. Ehlers, JZ 1990, S. 1089/1091; ders., Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 92 ff. Richtiger als die These vom Privatisierungsgebot dürfte das Stichwort von der Privatisierungsfreundlichkeit des Grundgesetzes den normativen Gesamtbefund kennzeichnen, insofern die Produktion von Gütern und Dienstleistungen im Hinblick auf die grundrechtlich abgesicherte Wirtschaftsfreiheit nicht in erster Linie Sache des Staates ist, M. Schmidt- Ρreuß, VVDStRL 56, S. 171; vergi, auch R. Schmidt, HStR III, 1988, § 83 Rdn. 15 ff. (S. 1148 ff.); ders., Die Verwaltung 1995, S. 284 f. Bei wirtschaftlicher Betrachtung zahlt der Steuerzahler allerdings dann eine versteckte Subvention, wenn der Staat Tätigkeiten wahrnimmt, die privatwirtschaftlich billiger oder besser angeboten werden könnten, vergi. P. Badura, VVDStRL 54, S. 315 (Diskussionsbeitrag). Alleine der Tatbestand größerer Wirtschaftlichkeit erhebt eine mögliche Privatisierungsmaßnahme freilich noch nicht zum Verfassungsgebot. Gegen die „Privatisierung als Staatsaufgabe" L. Grämlich, BB 1990, S. 1500. 158 L Osterloh, VVDStRL 54, S. 207; F. SchocK DVB1. 1994, S. 969 ff.; P. J. Tettinger, Festschrift K. H. Friauf, 1996, S. 574. 159 J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 116 (S. 52); zuletzt W. M. Hebeisen, Staatszweck Staatsziele Staatsaufgaben, 1996, S. 78-93, 94 ff. sowie S. 16 f., 24 f. und 133 f., der zwar zu Recht darauf verweist, dass es kein begriffslogisches Ableitungsverhältnis im Sinne eines Rangverhältnisses von Staatszwecken, Staatszielen
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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tisch ist die Absage an jede Lehre vom Zweck des Staates 162 . Staatszwecktheorien gelten häufig als zu abstrakt, als wissenschaftlich unbrauchbar 163 und antiquiert 164 oder zumindest als weltanschaulich in spezifischer Weise besetzt 165 . Hinzu kommt, dass die Staatszwecklehren im Zeichen des Dogmas von der potentiellen Allzuständigkeit des Staates stagniert haben 1 6 6 . Mag der Begriff auch unmodern sein, die mit ihm bezeichnete Problemstellung ist es nicht 1 6 7 . Darin geht es nicht nur um die Begrenzung von oder die schlichte Ermächtigung zu staatlicher Tätigkeit 1 6 8 . In den Lehren von den Staatszwecken findet die Frage nach dem, was den Staat letztlich als Staat legitimiert, ihre spezifisch staatstheoretische Antwort 1 6 9 . So gesehen war die Frage nach den Staatszwecken nie wirklich abgestorben, sonund Staatsaufgaben gibt, andererseits aber die begrifflichen Verwandtschaftsbeziehung eher verschüttet. 160 R. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 154, geht davon aus, dass sich ein terminologischer Unterschied zwischen Aufgabe, Ziel und Zweck kaum konstruieren lässt. 161 Eine allerdings auch schon ältere Ausnahme macht H. Krüger, Allg. Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 759 ff. In den großen Staatslexika sucht man den Begriff vergeblich. 162 H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 1925, S. 39 f.; A. Menzel, Zeitschrift für öffentliches Recht 7, S. 211 ff.; weitere Nachweise bei C. Link, VVDStRL 48, S. 10 und S. 12 f.; W. M. Hebeisen, Staatszweck Staatsziel Staatsaufgaben, 1996, S. 79 ff. 163 N. Luhmann, Zweckbegriff und Systemrationalität, 1973, S. 61; N. Achterberg, DÖV 1978, S. 675. 164 Zur „fallenden Kurve der Beschäftigung" mit den Staatszwecklehren im 19. Jahrhundert K. Hespe, Die Staatszwecklehren in der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhundert, 1964; H. Hug> Die Theorie vom Staatszweck, Diss. Zürich 1954; R. Smend, Staatsrechtl. Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 160 ff. und S. 503 ff.; U. Scheuner, Festschrift E. Forsthoff, 1972, S. 340 ff. 165 Insbesondere durch die katholische Soziallehre, auf dieser Grundlage H. Peters, Staatslexikon, 6. Aufl., Bd. 7 1962, Sp. 531 ff.; H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 29. 166 C. Link, VVDStRL 48, S. 12. 167 Die Unterschiede von Staatszweck, Staatsziel und Staatsaufgabe werden von W. M. Hebeisen, Staatszweck Staatsziel Staatsaufgaben, 1996, S. 16 f., für den diese Konzepte „gänzlich verschiedenen geistesgeschichtlichen Kontexten entspringen und deshalb im wesentlichen inkompatibel sind", überbetont. 168 vèrgi. £ Hespe, Die Staatszwecklehren in der Staatsrechtslehre des 19. Jahrhundert, 1964, S. 68 f.: Der Dualismus von Staat und Gesellschaft ist das eigentliche Thema der (älteren) Staatszweckdiskussion. Gleichzeitig mit dem Rückgang dieses Dualismus verliert das Thema an Bedeutung. 169 Es geht um Sinn und Rechtfertigung des Staates überhaupt, in diesem Sinne U. Scheuner, Festschrift E. Forsthoff, 1972, S. 341; H P. Bull , NVwZ 1989, S. 802; W. Brugger, NJW 1989, S. 2429 m.w.N.; H Bethge , DVBL 1989, S. 841 unter Rückgriff auf Süsterhenn: Der Staat ist um des Menschen willen da, nicht der Mensch um des Staates willen; O. Höffe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 4*
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Α. Grundlegung
dem sie wurde allenfalls in andere Terminologien gekleidet170. Die staatliche Legitimationsproblematik liegt aber, zumindest als eine mögliche Dimension, auch der Frage nach den notwendigen Staatsaufgaben als der fundamentalen Aufgabendimension des Staates zu Grunde 171. Die Staatsaufgabendiskussion hat im Hinblick auf ihre legitimationstheoretische Komponente die alte Frage nach den Staatszwecken ersetzt 172, wenn auch in einem politisch, historisch und verfassungsrechtlich deutlich gewandelten Rahmen. In jüngerer Zeit wurde die Diskussion um die Staatszwecke anlässlich der Staatsrechtslehrertagung von 1989 wieder aufgegriffen 173. Die Staatszweckfrage lasse sich auch im modernen Verfassungsstaat nicht von der Tagesordnung der Staatsrechtslehre absetzen174. Eine intensive Folgediskussion hat sich daran allerdings nicht angeschlossen175. Insgesamt kann man für den neueren Sprachgebrauch feststellen, dass der Begriff der Staatszwecke in der Regel abstrakter verwendet wird als der der Staatsaufgaben 176 . Verdeutlichen lässt sich dies einmal an dem durchaus synonymen Gebrauch von Staatszwecken und Grundwerten 177 und zum anderen an der neueren Diskussion um den Staatszweck „Verantwortung für die Umwelt" 178 . Inzwischen werden Staatszweckbetrachtungen vor allem auch 1994, S. 713 ff.; C. Link, VVDStRL 48, S. 17 f. und S. 49; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 11. 170 Etwa in die Integrationsdiskussion. Der Begriff der Integration erscheint im übrigen bei P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 42 ff., 188 ff. dezidiert als Staatszweck. 171 In diesem Sinne auch D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 1 ff.; oben Α. I. 2. c). 172 N. Achterberg, DÖV 1978, S. 675. 173 Staatszwecke im Verfassungsstaat - nach 40 Jahren Grundgesetz, mit Berichten von C. Link und G. Ress, VVDStRL 48. 174 C. Link, VVDStRL 48, S. 49. 175 Neben den Genannten ist auf K. Eichenberger, Zeitschrift für Schweizerisches Recht 110 (1991), S. 143 ff. hinzuweisen, der den klassischen Staatszwecken den Integrationszweck und den Schutz des menschlichen Lebens zur Seite stellt; zuletzt insbesondere D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995. 176 G. Ress, VVDStRL 48, S. 62. Charakteristisch W. Brugger, NJW 1989, S. 2428 ff., der vier Funktionen von Staatszwecken unterscheidet: Identifikation des Staatstyps, Rechtfertigung staatlichen Handelns, rechtsstaatliche Kontrolle des Staatshandelns, Auslegung und Rechtfertigung von Staatszielbestimmungen. 177 Η. Η. v. Arnim, JZ 1989, S. 162; W. Brugger, NJW 1989, S. 2431 spricht von Rechtsprinzipien und sieht als Endzweck staatlichen Handelns die Sicherung einer eigenständigen, sinnhaften und verantwortlichen Lebensführung für jeden Bürger (S. 2434). 178 Etwa R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 49, der diese Aufgabenstellung als vierte Dimension zu den drei klassischen Zwecken politische Sicherheit,
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im Wege der Interpretation der Grundrechte unternommen179. Eine darüber hinausgehende, trennscharfe begriffliche Differenz zu den Staatsaufgaben, die mitunter in einem sehr allgemeinen Sinn benannt werden, lässt sich nicht feststellen 180. Sicherheit oder Frieden sind gewiss grundlegende Staatszwecke, zugleich aber auch - freilich sehr abstrakte - staatliche Aufgaben, die, um überhaupt operationabel zu sein, der aufgabenmäßigen Konkretisierung bedürfen. Die Suche nach notwendigen Staatsaufgaben berührt sich insofern sachlich mit der Fragestellung nach den Staatszwecken. Der Versuch einer strengen begrifflichen Abgrenzung von Staatszwecken und Staatsaufgaben bleibt damit zum Scheitern verurteilt. Allenfalls lässt sich sagen, dass Staatszwecke eine Reihe konkreter Staatsaufgaben zu einem sinnhaften Ganzen bündeln. Solche Staatszwecke sind traditionell Freiheit, Frieden und Sicherheit (Schutz), allgemeine Wohlfahrt, politische Integration, neuerdings auch Risikovorsorge in allen möglichen Lebensbereichen sowie Umwelt- und Nachweltschutz. Diese Zwecke lassen sich begrifflich ebenso gut als Aufgabe beschreiben, zumal beiden die oben 181 analysierte teleologische Struktur gemeinsam ist. Präzisere notwendige Staatsaufgaben lassen sich daraus mit befriedigender begrifflicher Schärfe nicht ableiten. Über höchst allgemeine Zweckbestimmungen gelangt man nicht hinaus. Trotz dieser begrifflichen Weite und Unbestimmtheit sind Staatszweckuntersuchungen keine überflüssige oder unwissenschaftliche Übung. Staatszwecke haben die erkenntnisleitende Funktion eines begrifflichen Sammelbeckens für alle legitimationsstiftenden Grundbestimmungen des Staates. In dieser Funktion sind sie unverzichtbar. Als hermeneutische Bezugspunkte machen sie staatliche Regelungen und staatliches Handeln im Detail transparent und ermöglichen dadurch erst die Zuordnung von Einzelmaßnahmen in einen größeren Sinn- und Deutungszusammenhang, ebenso wie kritische Orientierung, wenn es um deren Bewertung geht. Legitimierende Kraft wächst staatlichen Maßnahmen dabei in dem Maße zu, wie es gelingt deutlich zu machen, dass der Staat mit seinem Handeln zur Verwirklichung dieser Zwecke tatsächlich maßgeblich beiträgt. Mit dieser Funktion können auch andere, ursprünglich rein deskriptive Begriffe als Staatszwecke fruchtbar gemacht werden, wie das Stichwort von Freiheit und soziale Sicherheit hinzufügt; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995. 179 H. Bethge, DVBL 1989, S. 843 ff.; G Ress, VVDStRL 48, S. 98 ff. und S. 114; E.-W. Böckenförde, Der Staat 29, S. 23 f., auch unten Α. II. 5. c). 180 G. F. SchupperU VVDStRL 48, S. 131 (Diskussionsbeitrag) hebt zu Recht die Wechselbezüglichkeit von Staatsaufgaben und Staatszwecken hervor; D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 12. 181 Α. II. 1. b) bb).
Α. Grundlegung
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der Daseins Vorsorge belegt 182 . Mit steigender Komplexität der modernen Lebenswelt wächst auch die Abhängigkeit des Einzelnen in der Massengesellschaft, der ohne eigenen „Hof und Brunnen" für die Befriedigung elementarer Lebensbedürfnisse auf das Vorhandensein und die Funktionsfähigkeit von Versorgungssystemen angewiesen ist. Die Sicherstellung der Versorgung mit lebenswichtigen Elementargütern ist ein vom politischen System weitgehend unabhängiger Staatszweck, was noch keineswegs bedeutet, dass der Staat diese Güter immer selbst tatsächlich bereitstellen muss. Neben der relativen Unbestimmtheit und Begriffsweite zeigt sich hier freilich noch eine andere grundsätzliche Problematik des Staatszweckbegriffs. Stellt man alleine auf einen Staatszweck ohne Berücksichtigung der Rechtsstellung des Einzelnen im Staat ab, lässt sich damit nahezu jede staatliche Intervention begründen und rechtfertigen. Gerade der Begriff der Daseinsvorsorge kann dies verdeutlichen. Da die Unfähigkeit des Einzelnen zur Daseinssicherung und damit seine Abhängigkeit von kollektiven Bereitstellungsleistungen heute nahezu total ist 1 8 3 , trägt die staatliche Zweckbestimmung der Daseinsvorsorge praktisch kaum verbindliche Begrenzungen für staatliche Intervention in sich. Nichts anderes gilt für die Erhaltung des Friedens. Staatszwecküberlegungen sind, zumal als isolierte Zweckbetrachtung, die möglicherweise konfligierende Zweckbestimmungen von vornherein ausblendet, für die Frage nach den notwendigen Staatsaufgaben damit nicht sehr ergiebig. Gerade wegen ihrer grundlegenden Funktion als legitimationstheoretische Größe ist auch eine normative Rangordnung von Staatszwecken ohne zusätzliche Annahmen kaum möglich 184 . Selbst die Gefahrenabwehr besitzt 182
Grundlegend E. Forsthoff, Verwaltung als Leistungsträger, 1938; ders., Daseinsvorsorge und Kommunen, 1958, der zwischen lebensnotwendigen und sonstigen Gütern und Dienstleistungen unterschied; demgegenüber stellen auf Marktversagen ab P. Badura, Das Verwaltungsmonopol, 1963, S. 188; Η. H. Klein, Die Teilnahme des Staates am wirtschaftlichen Wettbewerb, 1968, S. 17 f.; kritisch zum normativen Charakter der Daseinsvorsorge W. Rüfner, HStR III, 1988, § 80 Rdn. 51 (S. 1055 f.); W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 135 ff.; Κ H. Frìauf, Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten, 1991, S, 42 ff., 68; zusammenfassend G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, §§ 5, 6, § 15 II. 2 b). 183 W. Löwer, DVB1. 1991, S. 137 unter Hinweis auf H. Fischerhof DÖV 1957, S. 312. 184 Eine behutsame Abstufung von Zwecken („Rangordnung") nimmt D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 56 f. auf der Grundlage des logischen Vorrangs des Lebens gegenüber Freiheit, Gleichheit , Eigentum oder Wohlstand vor („logisches Fundamentalitätsverhältnis"): „Der Schutz des menschlichen Lebens ist ein gegenüber anderen der Verwirklichung individueller Interessen dienende Staatszwecken und Staatsaufgaben fundamentaler Zweck." Diese Auffassung
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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„keinen vorgegebenen absoluten Stellenwert" im Verhältnis zu den übrigen Staatszwecken185. Eine differenzierte Hierarchie der Staatszwecke lässt sich dem Grundgesetz mit einer Ausnahme nicht entnehmen. Diese Ausnahme bildet der Vorrang des Freiheitszwecks, der seinen verfassungsrechtlich verbindlichen Ausdruck in der Menschenwürde gefunden hat, die das Grundgesetz zum wichtigsten Bezugspunkt des Staates erhebt. Was dieser Vorrang für die Lösung konkreter Sachfragen bedeutet, ist indessen häufig unklar und bedarf der konkretisierenden Gestaltung durch den Gesetzgeber, zumal wenn es um kollidierende Freiheitsansprüche geht. Weitergehende Vorrangrelationen lassen sich auf verfassungstextlicher Grundlage überzeugend kaum bilden 186 . Eine solche Binnenhierarchie verfassungsrechtlicher Zwecke oder Werte kann insbesondere auch nicht aus der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Stellenwert bestimmter Gemeinschaftsgüter hergeleitet werden. Im Rahmen seiner Dreistufenlehre zur Ausgestaltung des Gesetzesvorbehalts von Art. 12 Abs. 1 GG skaliert das Gericht bekanntlich von einfachen über wichtige bis hin zu den überragend wichtigen Gemeinschaftsgütern 187. Diese optisch schöne Dreiteilung kann die letztlich eher willkürliche Grundentscheidung über den Rang des betreffenden Guts nicht überdecken188. Eine tragfähige rationale Grundlage für die Unterscheidung findet ihre philosophische Entsprechung in dem von H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979, S. 80 ff. postulierten Vorrang des Lebens vor allen anderen Werten. 185 K. H. Friauf in: E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, Rdn. 3 (S. 106 f.). 186 Ablehnend U. Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 35 ff.; G. Ress, VVDStRL 48, S. 110 f.; D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 170 ff.; a.A. R. Alexy, VVDStRL 48, S. 121 ff. (Diskussionsbeitrag), der insbesondere den Vorrang der positiven vor der negativen Freiheit konstatiert. 187 Die Terminologie des BVerfG ist dabei allerdings nicht einheitlich, vergi, einerseits BVerfGE 7, 377/405 ff., andererseits BVerfGE 13,97/107 („absolute", d.h. allgemein anerkannte und von der jeweiligen Politik des Gemeinwesens unabhängige Gemeinschaftswerte, wie z.B. Volksgesundheit); ferner BVerfGE 21, 245/251 (Vermeidung von Arbeitslosigkeit); 25, 1/16 und 22 (Sicherung der Volksernährung); 30, 292/318 und 323 f. (Energieversorgung als „absolutes" Gemeinschaftsgut); 40, 196/218 (Bestand, Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Deutschen Bundesbahn m.w.N.); s. auch BVerfGE 49, 24/56 f. (innere Sicherheit); 57, 250/268 f. („Schutz der Staatssicherheit als Gemeinschafts wert"); 66, 248/258 (Energieversorgung als „öffentliche Aufgabe von größter Bedeutung"); 68, 193/218 (Sicherung der finanziellen Stabilität der gesetzlichen Krankenversicherung als Gemeinwohlaufgabe); 83, 130/139 (Verfassungsrang des Jugendschutzes). Auch die Bewertungsgrundlage für die Ableitung von mit Verfassungsrang ausgestatteten Rechtsgütern im Rahmen der Schrankenlehre zu den vorbehaltlosen Grundrechten, (st. Rspr., BVerfGE 83, 130/139, seit BVerfGE 30, 173/193) ist nicht sonderlich klar.
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Α. Grundlegung
der betreffenden Güterqualität ist nicht erkennbar. Woraus sich die jeweilige Güterqualität sachlich rechtfertigt und nach welchen Kriterien sie sich bestimmt, bleibt letztlich unklar. Eine verfassungsrechtsdogmatisch oder theoretisch überzeugende Herleitung notwendiger Staatsaufgaben, gar in hierarchisch abgestufter Form, lässt sich daraus nicht gewinnen. Staatszwecküberlegungen bleiben damit im Wesentlichen vage. 3. Staatsaufgaben und öffentliche Aufgaben Für normative Aufgabenfestlegungen ungeeignet ist der Begriff der öffentlichen Aufgabe 189. Der Begriff der öffentlichen Aufgabe ist schon deskriptiv und erst recht normativ unklar, weil ein juristisch abgesicherter Begriff der öffentlichen Aufgabe nicht existiert 190. Gemeint sind zumeist solche inhaltlichen Aufgaben, die in irgend einer Form dem Gemeinwohl dienen. Staatsaufgaben können damit zwar ungeachtet aller begrifflichen Unsicherheiten prinzipiell als öffentliche Aufgaben angesehen werden 191. Aber nicht alle öffentlichen oder irgendwie „gesellschaftsbezogenen" 192 Aufgaben sind deswegen bereits Staatsaufgaben 193 oder gar notwendige Staatsaufgaben. Wenn eine bestimmte Sachaufgabe im öffentlichen Interesse liegt, so rechtfertigt dies allein noch nicht den Schluss auf eine Staatsaufgabe und schon gar nicht auf eine notwendige Staatsaufgabe 194. Der Dualismus von Staat und Gesellschaft ist jedenfalls in dem Sinne überholt, dass dort der Geist des Gemeinwohls, hier der Geist des bürgerlichen Egoismus herrschen. Ebenso wenig wie die Verfassung abschließend Staatsaufgaben zur 188
Α. Α. K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdn. 422 f. 189 Zum Begriff der öffentlichen Aufgabe W. Martens, Öffentlich als Rechtsbegriff, 1969, S. 123 ff.; A. Rinken, Das Öffentliche als verfassungstheoretisches Problem, 1971, S. 202 ff., 286 ff., 328 ff.; P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 211 ff.; ders., Verfassung als öffentlicher Prozess, 2. Aufl. 1996, S. 480 ff.; R. Stettner, Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 158 f. 190 A. v. Hagemeister, Die Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1992, S. 8. 191 M. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 175 ff., der unter anderem auch auf G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1919, S. 114 verweist; G. Püttner, Die öffentlichen Unternehmen, 2. Aufl. 1985, S. 128 f. 192 E. Becker, Festschrift W. Geiger, 1974, S. 764; Η. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 361 ff.; F. Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 137 ff. 193 Für eine strenge Begriffstrennung von öffentlichen Aufgaben und Staatsaufgaben Η Peters, Festschrift H. C. Nipperdey, Bd. 2, 1965, S. 877 ff. 194 H. Peters, Festschrift H. C. Nipperdey, Bd. 2, 1965, S. 879; S. Korioth, DÖV 1996, S. 673.
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Verwirklichung des Gemeinwohls fixiert, lässt sich der Staat als exklusive Größe zur Realisierung öffentlicher Aufgaben begreifen. Soweit man in der öffentlichen Aufgabe eine „neue Form normativen Gemeinwohls" sieht, hat der Staat darin jedenfalls keinen Alleinanspruch auf das öffentliche Interesse bzw. das Gemeinwohl195. Zumindest im demokratischen Staat ist es „sinn- und wirkungslos", alleine den Staat auf das „bonum commune" festzulegen196. Ein Monopol des Staates auf „das Öffentliche" oder das „gemeinsame Gute" besteht nicht. Mit den grundrechtlich garantierten Freiheiten ist die Vorstellung eines entsprechenden staatlichen Monopols im übrigen nicht vereinbar. Grundrechtliche Freiheit bedeutet immer auch die Freiheit, sich als Privatmann öffentlichen Aufgaben zu widmen, was andererseits kein Monopol Privater auf das Öffentliche begründet. Heute ist es unbestritten, dass nichtstaatliche Organisationseinheiten ebenso wie einzelne Privatpersonen aus autonomer, staatlich nicht verordneter Motivation heraus und damit ausschließlich grundrechtlich legitimiert wichtige öffentliche Aufgaben erfüllen und im öffentlichen Interesse handeln197. Tatsächlich werden zahlreiche öffentliche Aufgaben nicht oder jedenfalls nicht ausschließlich durch staatliche Stellen wahrgenommen. Dies gilt etwa für soziale oder karitative Tätigkeiten, bei denen dieser Zusammenhang offensichtlich ist, und für viele andere Felder privaten Engagements, etwa das Privatschulwesen, die Energieversorgung 198 oder den freizeitmäßigen Einsatz für den Umweltschutz; entsprechendes gilt im Hinblick auf die geistigen Voraussetzungen und dabei insbesondere die ethischen Ressourcen des demokratischen Verfassungsstaates, der ganz grundlegend auf das ausreichende Vorhandensein eines weitverbreiteten demokratischen Bürgerethos und dessen beständige Pflege angewiesen ist, ohne dieses aus eigener Kraft hervorbringen zu können199. 195
P. Häberle, Öffentliches Interesse als juristisches Problem, 1970, S. 214 und S. 716; bereits A. Köngen, VVDStRL 6, S. 141 (Fn 54) hat darauf hingewiesen, dass der Staat kein Monopol auf die Wahrnehmung gemeinnütziger Zwecke hat; W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 204 f. und S. 167 f. zu BVerfGE 53, 366/401 (Nordrhein-Westfälisches Krankenhausgesetz). 196 So M. Draht, in: Evangelisches Staatslexikon, 3. Aufl. 1987, Sp. 3317. 197 Vergi, nur R. Schmidt, in: S. Biernat/R. Hendler/F. Schoch A. Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 219 f.; J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 136 (S. 63); W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 163 ff., 172 f.; ders., DVB1. 1991, S. 138. 198 Von der öffentlichen Relevanz der Sachaufgabe Energieversorgung lässt sich noch nicht auf deren materiell-staatliche Qualität schließen, U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 40; G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 4 I. 29 m.w.N., andererseits aber auch die Nachweise in § 5, wonach die Sicherung der Energieversorgung eine staatliche Aufgabe darstellt.
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Α. Grundlegung
Exemplarisch wird dieses Angewiesensein beim demokratischen Wahlakt deutlich, der nach geltendem Recht nicht erzwingbar ist und auf dem die Legitimation der gesamten staatlichen Ordnung gemäß Art. 20 Abs. 2 GG letztlich aufbaut. Die Teilnahme an politischen Wahlen liegt gleichwohl im öffentlichen Interesse und lässt sich ohne Weiteres als öffentliche Aufgabe Privater bezeichnen, obwohl nach geltendem Recht niemand zur Stimmabgabe gezwungen ist. Damit geht es bei der Staatsaufgabendiskussion auch vom Ausgangspunkt der öffentlichen Aufgabe um die richtige Verantwortungs- und Arbeitsteilung zwischen staatlichen Stellen und privaten bzw. nicht-staatlichen Akteuren bei der Definition und der Verwirklichung des Gemeinwohls. Staat und Private unterscheiden sich dabei nicht notwendig in der intendierten Stoßrichtung ihres Handelns, nämlich bestimmte öffentliche Aufgaben zu erfüllen, wohl aber hinsichtlich der Rechtsgrundlagen, die sie zu diesem Handeln ermächtigen: „hier kompetenzerfüllte Amtlichkeit, dort autonome Selbstbestimmtheit"200. Auch neuere Ersatzformeln für die öffentlichen Aufgaben lassen letztlich offen, wer diese Aufgabe auf welche Weise im Gemeinwesen wahrzunehmen hat. Dies gilt etwa für die heute gebräuchliche Forderung nach der „ZukunftsVerträglichkeit" 201 von staatlichen Maßnahmen, die den etwas aus der Mode gekommenen Begriff des Gemeinwohls der Sache nach aufgreift und mit dem Anspruch seiner gezielten zeitlichen Erstreckung in die Zukunft verbindet. Dadurch soll die Idee des Gemeinwohls nicht aufgegeben, sondern ausdrücklich auf die noch nicht Geborenen erstreckt werden. Auch wenn der Begriff des Gemeinwohls häufig dem Vorwurf der Inhaltsleere ausgesetzt ist 2 0 2 , erhebt er den normativen Anspruch, dass nur 199 Vergi, bereits G. Jellinek, Allg. Staatslehre, 3. Aufl. 1914, S. 229; E.-W. Böckenförde, HStR I, 1987, § 22 Rdn. 74 ff. (S. 937 ff.). 200 W. Löwer, DVB1. 1991, S. 137; D. Wyduckel, lus Publicum, 1984, S. 252 ff. 201 Dazu H. Theissen, StWStP 1995, S. 117. Auch die Begriffe „Nachweltverträglichkeit" und „Nachhaltigkeit" nehmen in der aktuellen politischen Diskussion vergleichbare Statthalterfunktionen ein, vergi, etwa den zentralen Stellenwert von „Zukunftsverträglichkeit" und „Nachhaltigkeit" im Wort des Rates der Evangelischen Kirche in Deutschland und der Bischofskonferenz zur wirtschaftlichen Lage in Deutschland „Für eine Zukunft in Solidarität und Gerechtigkeit", Gemeinsame Texte 9, Hannover/Bonn 1997, Rdn. 1, 32 und 122 ff.; zum Nachhaltigkeitsprinzip im (Wald-) Recht M. Kloepfer, DVB1. 1996, S. 78. 202 Isensee HStR III, 1988, § 57 Rdn. 35 (S. 17 f.); zum Gemeinwohlbegriff W. Kerber, A. Schwan, A. Hollerbach, Art. Gemeinwohl, in: Staatslexikon Bd. 2, 7. Aufl. 1986, Sp. 858-863. Hinzu kommt, dass die Vorstellung von der staatlichen Stelle als unabhängiger und sachlicher „Gemeinwohlwalter" faktisch zahlreichen Zweifeln ausgesetzt ist, die sich etwa mit Stichworten wie Ressortinteresse, Klientelorientierung oder dem bereitwilligen Nachgeben gegenüber spezifischen politischen Erwartungen verbindet, vergi, nur W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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solche Maßnahmen dem Gemeinwohl dienlich sind, die prinzipiell allen zugute kommen. Der Gemeinwohlbegriff erweist sich damit als privilegienfeindlich. Als staatliche Zweckbestimmung ist er unverzichtbar 203. Mit dieser sehr abstrakten Sinnrichtung gewinnt der Begriff der öffentlichen Aufgabe, der sich insoweit mit dem Gemeinwohlbegriff deckt, eine brauchbare Bestimmung. Für die normativ-inhaltliche Festlegung des staatlichen Aufgabenbestandes trägt diese begriffliche Ausrichtung allerdings nichts bei. Für die Frage nach den Grenzen der Privatisierung lassen sich aus den weiten Kategorien öffentliche Aufgabe oder öffentliches Interesse keine brauchbaren Anhaltspunkte gewinnen204. Die Einstufung als öffentliche Aufgabe hat im übrigen im politischen Sprachgebrauch häufig nur „Dekorum-Funktion" 205. Ob es sich dabei um eine - obligatorische oder konkurrierende - Staatsaufgabe oder um eine möglicherweise ausschließlich private Aufgabe handelt, deren Wahrnehmung wie im Beispiel des politischen Wahlakts gleichwohl im öffentlichen Interesse liegt, bleibt gerade offen. Ein eindeutige Zuordnung zum staatlichen oder privaten Aufgabenkreis leistet der Begriff des Öffentlichen nicht 206 . Für die Bestimmung notwendiger Staatsaufgaben trägt er für sich genommen nichts bei. 4. Verfassungsaufgaben als materielle Privatisierungsschranken Ein generelles verfassungsrechtliches Privatisierungsverbot für die Summe der tatsächlich wahrgenommenen Staatsaufgaben existiert nicht 207 . Das Grundgesetz kennt im übrigen auch keinen Gesetzesvorbehalt für Privatisierungsmaßnahmen. Die umfassende Privatisierungsschranke eines allgemeinen Privatisierungsvorbehalts ist ihm fremd. Dagegen lassen sich der Verfassung einige inhaltlich notwendige Staatsaufgaben entnehmen. Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnung, 1996, S. 291. 203 R. Wahl, in: E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Verwaltungsressource, 1997, S. 335 f., der den Aufgabenbegriff durch die Begriffe des Gemeinwohls oder der Gemeinwohlziele ersetzen möchte. 204 G. Roellecke y VVDStRL 54, S. 313 (Diskussionsbeitrag); G. F. Schuppert VerwArch 1980, S. 309 ff. 205 R. Schmidt in: S. Biernat/R. Hendler/F. Schoch A. Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 212; K. Stern, in: Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1984, S. 13. 206 G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 158; ähnlich M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 106 f. 207 H. Bauen VVDStRL 54, S. 266.
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Α. Grundlegung
Staatsaufgaben im Verfassungsstaat stehen dann im Rang von notwendigen Staatsaufgaben, wenn das Grundgesetz deren Erfüllung verbindlich vorschreibt. Die zuständigen staatlichen Stellen dürfen auf deren Wahrnehmung von Verfassungs wegen nicht grundsätzlich verzichten. Die (verfassungs-) rechtliche Hervorhebung der Aufgabenqualität rechtfertigt es, in diesen Fällen von Verfassungsaufgaben 208 oder verfassungsrechtlichen Pflichtaufgaben zu sprechen. Alle Verfassungsaufgaben erweisen sich damit als „von Verfassungs wegen notwendige Staatsaufgaben" 209. Der Gestaltungsspielraum des einfachen Gesetzgebers, dem in erster Linie die Privatisierungskompetenz obliegt 210 , wird dadurch beschränkt. Daneben enthält das Grundgesetz zahlreiche Optionen für die Wahrnehmung von anderen, nicht unbedingt notwendigen Staatsaufgaben, ohne deren Erfüllung verbindlich vorzuschreiben. Diese staatlichen „Wahlaufgaben" nach dem Grundgesetz fallen nicht unter den Begriff der Verfassungsaufgabe. Verfassungsaufgaben verbieten jedenfalls eine uneingeschränkte Privatisierung der betreffenden Sachaufgabe. Auch in diesen Fällen hat der Gesetzgeber weitgehende Spielräume bei der Ausgestaltung der Aufgabenwahrnehmung. In diesem eingeschränkten Sinne stellen Verfassungsaufgaben materielle Privatisierungsschranken dar und nehmen den Staat bzw. den Gesetzgeber bleibend in die Pflicht, der er sich auch durch eine Änderung der einfachrechtlichen Gesetzeslage nicht entziehen darf. Die Erfassung der Verfassungsaufgaben des Grundgesetzes als materielle Privatisierungsschranken wirft für sich genommen prinzipielle Probleme nicht auf. Auch wenn das Grundgesetz ein System von Staatsaufgaben nicht kennt, so besteht jedenfalls im Grundsatz Einigkeit darüber, dass bestimmte Verfassungsaufgaben existieren. Es gibt eine Reihe von Anknüpfungspunkten, aus denen sich entsprechende Verfassungsaufgaben ableiten lassen. In Ermangelung einer ausdrücklichen Aufgabenliste können solche Verfassungsaufgaben allerdings weithin nur im Wege der Auslegung ermittelt werden. Es liegt auf der Hand, dass dabei unterschiedliche Auffassungen über die Reichweite der jeweils in Frage stehenden Verfassungsrechtsnormen zum Tragen kommen. Im Detail sind diese Auffassungsunterschiede 208
Begriff bei H. Schulze -Fie lit z, in: D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 11; L Osterloh, VVDStRL 54, S. 222f.; H. Weis, Verfassungsrechtliche Fragen einer weiteren Privatisierung der juris GmbH, Beilage zum Bundesanzeiger 48, Nummer 82 a v. 30.04.1996, S. 19; H. Lecheler, BayVBl. 1994, S. 557 f. 209 BVerfGE 95, 250/265 (bezogen auf die überörtliche Stromversorgung). Ob diese Gleichung auch in umgekehrter Richtung gilt, wonach notwendige Staatsaufgaben unter der Geltung des Grundgesetzes also immer auch Verfassungsaufgaben sind, ist dagegen zweifelhaft. 210 L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 222 ff.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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für die grundsätzliche Zielsetzung dieser Arbeit aber ohne große Bedeutung, denn auch unter Zuhilfenahme weitgehender Auslegungsspielräume vermittelt der Verfassungstext jedenfalls kein geschlossenes Konzept notwendiger Staatsaufgaben: Das Grundgesetz beansprucht nicht, alle notwendigen Staatsaufgaben inhaltlich zu benennen. Ein Blick auf die wichtigsten Anknüpfungspunkte für Verfassungsaufgaben genügt an dieser Stelle, ohne dass deren exakte Reichweite hier im einzelnen ausgelotet werden müsste oder könnte. Entsprechende Überlegungen müssen vertiefenden Einzeluntersuchungen im Hinblick auf konkrete Sachaufgaben vorbehalten bleiben. 5. Anknüpfungspunkte für Verfassungsaufgaben im Grundgesetz a) Staatszielbestimmungen
und Staatsstrukturprinzipien
Der Terminus der Staatszielbestimmung wird üblicherweise als verfassungsrechtlicher Begriff im Sinne einer „legitimierenden Grundsatzaussage der Verfassung" verstanden211, die weniger abstrakt als ein Staatszweck ist 2 1 2 . Im übrigen ist die Terminologie nicht einheitlich213. Einmal wird die Staatszielbestimmung als spezifisch verfassungsrechtliche Regelungsform für Staatsaufgaben angesehen214, ein anderes mal als Begriff von mittlerer Schärfe bezeichnet, der zwischen Staatszweck und Staatsaufgabe angesiedelt sei 215 . Diese terminologischen Differenzen lösen sich auf, wenn man berücksichtigt, dass Staatsziele hinsichtlich ihres spezifischen Staatsaufgabenge211
K. Stern, Bitburger Gespräche, Jahrbuch 1984, S. 18. G. Ress, VVDStRL 48, S. 62; D. Merten, DÖV 1993, S. 370: programmatische Direktiven für den Staat. 2,3 Ausführlich zum Begriffshorizont K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997. Sommermann differenziert zwischen Staatszielen als staatstheoretischer Kategorie einerseits (und fängt damit die Staatszwecklehren ein) sowie mit Staatszielen als normtheoretischer Kategorie andererseits. 214 Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetz bungsaufträge, Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), 1983, Rdn. 3 (S. 18 f.); D. Merten, DÖV 1993, S. 369; U. Scheunen Festschrift E. Forsthoff 1972, S. 335. 215 H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 44; ähnlich R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staats Wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 29 ff. Letztlich dürfte es allerdings kaum möglich sein, Staatszwecke, Staatsziele und Staatsaufgaben im Hinblick auf unterschiedlich ausgeprägte Konkretisierungsgrade trennscharf auseinander zu halten. 212
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Α. Grundlegung
halts im Text der Verfassung sehr unterschiedlich eng oder weit gefasst sind, und dass es keinen Rechtssatz gibt, der die gebotene Dichte bzw. den Konkretisierungsgrad für eine Staatsaufgabe verbindlich festlegen würde. Musterbeispiel für eine sehr allgemeine und vage Aufgabenbestimmung ist das Sozialstaatspostulat aus Artikel 20 Abs. 1 bzw. Artikel 28 Abs. 1 Satz 2 GG 2 1 6 . Es verpflichtet und ermächtigt den Staat zur Herstellung und Erhaltung sozialer Gerechtigkeit und sozialer Sicherheit. Konkrete Aufgaben lassen sich daraus zwingend nur schwerlich herleiten und dürften über gewisse soziale Mindeststandards für die Gewährleistung des Existenzminimums, deren Bestimmung im einzelnen mit erheblichen Unsicherheiten belastet ist, kaum hinausgehen217. Über die Mittel, die Methoden und die Rechtsformen, in der diese Verpflichtung zu verfolgen ist, sagt das Sozialstaatsprinzip nichts. Auf die Erfüllung dieser Rechtspflicht kann der Staat allerdings von Verfassungs wegen nicht verzichten 218. Sehr viel konkreter nimmt sich im Vergleich dazu die Gewährleistungspflicht des Bundes aus Art. 87 f Abs. 1 GG für flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen im Bereich Postwesen und Telekommunikation219 aus oder die staatliche Förderpflicht für die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern aus Art. 3 Abs. 2 Satz 2 GG. Trotz des deutlich präziseren Konkretisierungsgrades belegt das Beispiel der Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, dass die Normqualität auch dieser Staatsaufgabe keineswegs self-executing ist, 216
Weitere Staatsziele enthalten Art. 3 Abs. 2 S. 2 GG (Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Mann und Frau), Art. 20 a GG (Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen), Art. 23 Abs. 1 GG (Verwirklichung eines vereinten Europa); auch Art. 26 GG (Verbot des Angriffskrieges) wird in diesem Kontext genannt; Art. 87 f Abs. 1 GG (Gewährleistung flächendeckend angemessener und ausreichender Dienstleistungen im Bereich Postwesen und Telekommunikation; vergi, auch Art. 87 e Abs. 4 GG bezüglich der Eisenbahnen des Bundes); Art. 109 Abs. 2 GG (Erhaltung des gesamtwirtschaftlichen Gleichgewichts). 217 L Osterloh, VVDStRL 54, S. 208. Das dem Sozialstaatspostulat gelegentlich entnommene „soziale Rückschrittsverbot", etwa J. Grabbe, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, 1979, S. 61 und insbesondere S. 66 m.w.N., wonach der soziale Status quo der Betroffenen insgesamt im Wesentlichen gewahrt bleiben muss, kann kaum aufrecht erhalten werden, da es auf die vorhandenen finanziellen Ressourcen und sonstigen Kapazitäten keine Rücksicht nimmt; grundlegend ΒVerfGE 33, 303/331 f. (Vorbehalt des Möglichen). 218 S. Jutzi, ThüVBl. 1995, S. 26 f. unter Hinweis auf BVerfGE 82, 60/83. Damit ist allerdings weder gesagt, dass es nicht auch ungeschriebene Staatsziele bzw. staatliche Daueraufgaben gibt, noch dass deren Wahrnehmung alleine deswegen, weil es sich um ungeschriebene Staatsaufgaben handelt, für den Staat verzichtbar ist. 219 Zur Ableitung dieses Infrastrukturgewährleistungsauftrages aus dem Sozialstaatsprinzip K. Stern, DVB1. 1997, S. 312 ff.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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sondern dass der Gesetz- bzw. der Verordnungsgeber erst noch detailliert festlegen müssen, welcher Versorgungsstandard mindestens erbracht werden muss, um als angemessen und ausreichend im Sinne des Verfassungsrechts gelten zu können220. Allen Staatszielbestimmungen gemeinsam ist, dass trotz der Weite des politischen Ermessens über die Art und Weise, die Intensität und die Zeiträume bei ihrer Verwirklichung die grundsätzliche Verpflichtung des Gesetzgebers und aller anderen staatlichen Organe auf diese Ziele hin jedenfalls nicht zur Disposition steht. Je allgemeiner die Zielsetzung dabei ist, desto mehr verflüchtigt sich allerdings der konkret greifbare Aufgabengehalt. Mit diesen Restriktionen gehören ausdrücklich genannte Staatsziele zu den prinzipiell notwendigen Staatsaufgaben 221. Zu nennen sind ferner die Gesetzgebungsaufträge der Verfassung 222, deren aufgabenrechtlicher Gehalt in der Bindung des Gesetzgebers besteht. Im Gegensatz zur Gesetzgebungskompetenz, von der der Gesetzgeber zwar Gebrauch machen kann, dies aber von Rechts wegen nicht unbedingt muss, ist er bei Verfassungsaufträgen nicht frei, gar nichts zu tun, sondern ausdrücklich in die Handlungspflicht genommen223. Die Staatsstrukturbestimmungen Rechtsstaat, Demokratie, Bundesstaat und Republik zeichnen sich demgegenüber durch eine präzisere rechtsdogmatische Durchformung aus, auch wenn dabei - wie im Falle des Rechtsstaatsprinzips224 - durchaus heterogene Grundbestimmungen verdichtet werden und der Prinzipiencharakter mit seinem Anspruch auf systematische Geschlossenheit fragwürdig erscheinen mag. Diese Staatsstrukturprinzipien sind die „Baugesetze" der Verfassung 225, aus denen sich allerdings konkrete 220
Dazu K. Stern, DVB1. 1997, S. 313 f. Nichts anderes gilt nach J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 120 (S. 54 f.) für die aufgabenrechtliche Dimension von Staatszielbestimmungen, die die staatliche Verantwortung nicht abschließend umschreiben, allerdings einen Eindruck vermitteln, welchen Herausforderungen sich der Verfassungsstaat in besonderem Maße verpflichtet fühlt. 221 Häufig sind, wie insbesondere an den Landesverfassungen in den neuen Ländern ablesbar, verfassungsrechtliche Staatszielkataloge durch die Mode des Zeitgeistes bestimmt, die zwar gewiss Wichtiges thematisieren, aber andere, manchmal mindestens ebenso wichtige oder wichtigere Aufgaben außer Betracht lassen. 222 Bericht der Sachverständigenkommission Staatszielbestimmungen/Gesetz bungsaufträge , Bundesministerium des Innern/Bundesministerium der Justiz (Hrsg.), 1983, Rdn. 8 (S. 21). 223 Gesetzgebungsaufträge sind damit strukturell vergleichbar mit den aus den Grundrechten abgeleiteten staatlichen Schutzpflichten, die in erster Linie die Möglichkeit eines verfassungswidrigen Unterlassens des Gesetzgebers thematisieren, dazu unten Α. II. 5. c). 224 P. Kunig, Das Rechtsstaatsprinzip, 1986, S. 63 ff.; E. Schmidt-Aßmann, HStR I, 1987, § 24 Rdn. 2 ff., (S. 988 ff.).
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Α. Grundlegung
staatliche Aufgaben gleichfalls nur in sehr begrenztem Umfang herleiten lassen. Primär geht es nicht um Staatsaufgaben, sondern vor allem um die allgemeinen Organisationsprinzipien der Verfassung. So zielt das Rechtsstaatsprinzip aus Art. 20 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG seiner ganzen Stoßrichtung nach in erster Linie auf die Disziplinierung und Durchformung der Art und Weise staatlichen Handelns und nicht so sehr auf konkrete inhaltliche Sachaufgaben. Dem Rechtsstaatsprinzip lässt sich bei bestimmten Privatisierungsmaßnahmen unter Umständen zwar das formelle Erfordernis eines Gesetzes entnehmen. Unter dieser Voraussetzung bleibt die Maßnahme zulässig. Materielle Privatisierungsschranken lassen sich dem Rechtsstaatsprinzip aber allenfalls in sehr begrenztem Umfang entnehmen 226 . Das gilt auch für die gelegentlich beim Rechtsstaatsprinzip verankerte und deswegen mit Verfassungsrang ausgestattete „Staatsaufgabe Sicherheit" 227 , deren Reichweite als materielle Privatisierungsschranke im einzelnen erst ausgelotet werden muss. 2 2 8
225 D. Merten, DÖV 1993, S. 370 unter Hinweis auf die österreichische Verfassungsdogmatik, der außerdem die Freiheitlichkeit nennt. Allerdings ist diese sprachliche Abgrenzung nicht allgemein üblich. Häufig werden Staatsstrukturbestimmungen auch als Staatsziele bezeichnet. 226 Das sogenannte staatliche Gewaltmonopol, das häufig in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip gebracht wird, vergi, nur D. Merten, Rechtsstaat und Gewaltmonopol, 1975, S. 35 ff., stellt keine materielle Privatisierungsschranke im Sinne eines staatlichen Aufgabenvorbehalts dar, sondern ein Mittel zur Durchsetzung des Rechts und damit zur Schaffung von öffentlicher Sicherheit, vergi, oben Α. I. 5. 227 V. Götz, HStR III, 1988, § 79 Rdn. 3 (S. 1009); R. Pitschas, JZ 1993, S. 857 f.; R. Scholz, NJW 1997, S. 14 f.; den Verfassungsrang einer Staatsaufgabe Sicherheit ablehnend dagegen C. Gusy, DÖV 1996, S. 578. 228 Auch wenn die Verfassung die Staatsaufgabe innere Sicherheit nicht ausdrücklich nennt, steht ihr Rang als Aufgabe mit verfassungsrechtlicher Qualität weithin außer Frage. Die Aufgabe der Gefahrenabwehr wird „zum unverzichtbaren Kem notwendiger Staatsaufgaben" gerechnet, vergi. F. Ossenbühl, Eigensicherung und hoheitliche Gefahrenabwehr, 1981, S. 46; R. Scholz, Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 443 f.; vergi, auch Κ. H. Friaufin: E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, Rdn. 1 f. m.w.N. Themen der inneren Sicherheit werden auch an anderer Stelle, insbesondere bei den Bund-Länder-Kompetenzen, in Bezug genommen, vergi. Art. 35, 73, 75, 75, 87 und 91 GG. Das Bundesverfassungsgericht geht vom herausragenden Rang der Staatsaufgabe Sicherheit aus: „Die Sicherheit des Staates als verfasster Friedens- und Ordnungsmacht und die von ihm zu gewährleistende Sicherheit seiner Bevölkerung sind Verfassungswerte, die mit anderen im gleichen Rang stehen und unverzichtbar sind, weil die Institution Staat von ihnen die eigentliche letzte Rechtfertigung herleitet." BVerfGE 49, 24/56 f. unter Hinweis auf BVerwGE 49, 202/208; zum Stellenwert der Sicherheit des Staates vergi, auch BVerfGE 21, 239/243. Freilich lässt sich die hervorgehobene Rangstellung verfassungsrechtlich ausdrücklich nur schwerlich fixieren, sondern nur unter Zuhilfenahme staatstheoretischer Doktrinen, dazu unten C.; zur ideengeschichtlichen
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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Das Demokratieprinzip aus Art. 20 Abs. 2 und Art 28 Abs. 1 GG zielt seinerseits nicht auf konkrete Sachaufgaben, sondern auf die Legitimation der Ausübung aller staatlichen Gewalt durch den Willen des Volkes. Dass dies ohne bestimmte institutionelle und organisatorische Voraussetzungen, insbesondere ein staatlich bereitgestelltes Wahlsystem und handlungsfähige Staatsorgane, nicht möglich ist, versteht sich ebenso von selbst wie bestimmte institutionelle Voraussetzungen des Rechtsstaatsprinzips, insbesondere ein funktionierender Verwaltungs- und Justizapparat. Weitergehende materielle Privatisierungsschranken wird man dem Demokratieprinzip dagegen nicht entnehmen können. Das Bundesstaatsprinzip schließlich ist, ebenso wie die Staatsstrukturbestimmung Republik, unergiebig für die Aufgabendimension, denn es betrifft organisatorische Dimensionen des Staates im Bund-Länder-Gefüge. Die Ermittlung konkreter Staatsaufgaben aus den Staatsstrukturbestimmungen gestaltet sich im Ergebnis zumindest diffus 229 und bleibt leicht, insoweit vergleichbar mit dem gesamtwirtschaftlichen Gleichgewicht aus Art. 109 Abs. 4 GG, in der Aufdeckung „magischer Vielecke" 230 mit in sich unklaren normativen Wechselbeziehungen stecken. Als materielle Privatisierungsschranke unbrauchbar erweist sich insbesondere der Rückgriff auf ein allgemein kulturstaatliches Verfassungsziel 231, das sich zwar mit guten Gründen postulieren lässt, aus dem sich wegen seiner Weite und Unbestimmtheit aber kaum normativ überzeugende Einzelschlussfolgerungen ableiten lassen232.
Begründung J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit, 1983, S. 17 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 27 ff. 229 C. Koenig, Die öffentlich-rechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 318 230 C. Stark, Festschrift K. Carstens, Bd. 2, 1984, S. 871 ff. 231 Vergi. BVerfGE 36, 321/331; zur Postulierung staatlicher Förderpflichten lädt das kulturstaatliche Verfassungsziel geradezu ein, vergi, etwa S. Kadelbach, NJW 1997, S. 1114 ff. 232 Vergi a 5 e r R Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, 1995, insbes. S. 5, 12, 68 („Verteidigung eines gemeinwohlorientierten und deshalb zu Recht öffentlich-rechtlich geschützten Bestattungsbrauchtums gegen parteiische Privatisierungspolitik"); zustimmend A. Krölls, GewArch 1997, S. 453. Dass der Privatisierung im Bestattungsrecht dort „kulturstaatliche Grenzen" gezogen seien und damit entsprechende Betätigungen in der Konsequenz von Verfassungs wegen außerhalb grundrechtlicher Freiheitsausübung gestellt sein sollen, „wo das Verhalten gegenüber einem Leichnam strukturell aus Gewinnerzielungsabsicht motiviert ist", überzeugt kaum: Das gesamte private Bestattungswesen wäre dann konsequenterweise nicht als verfassungskonform anzusehen. Vor allem aber ist der rechtsphilosophisch untermauerte Hinweis auf die kulturstaatliche Zwecksetzung des Grundgesetzes keine verfassungsimmanente Schranke grundrechtlicher Freiheitsausübung. Im übrigen eignet sich dieser strukturell 5 Gramm
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Α. Grundlegung
Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat dürfen wegen der nur schwach ausgeprägten Aufgabendimension der in Art. 20 niedergelegten Grundsätze auch nicht mit dem änderungsfesten Verfassungskern des Art. 79 Abs. 3 GG gleichgesetzt werden. Das änderungsfeste Verfassungsminimum ist mit dieser Fixierung viel zu sehr auf organisatorische Verfassungsprinzipien bezogen, als dass sich daraus ein Katalog notwendiger Staatsaufgaben, womöglich noch mit entsprechenden Rangabstufungen, ableiten ließe 233 , der über mehr oder weniger Selbstverständliches hinausgeht. b) Kompetenzen im Bunde sStaat
Noch komplizierter gestaltet sich der Zusammenhang von Staatsaufgaben und Kompetenzen. Ausgangspunkt ist, dass Gesetzgebungs-, Verwaltungs-, Gerichts- und Finanzierungskompetenzen im Grundgesetz primär Ausdruck der Organisation des Bundesstaates234 sind. Daneben enthalten die Kompetenzkataloge des Bundesgesetzgebers jedenfalls nach herrschender Meinung noch eine aufgabenrechtliche Komponente im Sinne einer gewissen Hinweisfunktion auf Staatsaufgaben 235, ohne dass allerdings im einzelnen klar wäre, wie weit diese inhaltliche Dimension in ihrem Verpflichtungsgehalt jeweils reicht 236 . Die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes mögen zwar auf Staatsaufgaben hinweisen, aber auch nicht mehr. Präzise Aussagen über die Aufgabenqualität der genannten Sachbereiche enthalten sie nicht. Dafür sind die Aufgabenkataloge in den Art. 73 ff.. GG in sich viel zu heterogen. Schon gar nicht lassen sich die Gesetzgebungskompetenzen des Bundes als eine Zusammenstellung notwendiger Staatsaufgaben interpretieren. Aus den Gesetzgebungskompetenzen selbst sind insbesondere keine verfassungsrechtlich greifbaren Kriterien ersichtlich, um wichtige von weniger wichtigen Kompetenzmaterien abzugrenzen und damit die hervorgehobene Aufgabenqualität mit hinreichendem Anspruch auf Rationalität zu begründen. Die uferlose Argumentationsansatz für viele Lebensbereiche, um einen entsprechenden Ausschluss grundrechtlicher Freiheitsausübung zu postulieren. 233 Vor der Ableitung von Staatsaufgaben aus abstrakten Prinzipien warnt R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staatswissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 40 ff. 234 P. Kirchhof HStR III, 1988, § 59 Rdn. 19 ff. (S. 129 ff.); J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn 140 f. (S. 65 f.). 235 H. Ehmke, VVDStRL 20, S. 53 (90 f.); C. Pestalozza, Der Staat 11, S. 169 ff., 183, 186 f.; H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 152 ff.; P. Badura, Staatsrecht, 2. Aufl. 1996, D 40; R. Stettner y Grundfragen einer Kompetenzlehre, 1983, S. 18 ff. u. 164 ff.; BVerfGE 69, 1/21 ff. 236 Ablehnend 7. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 141 (S. 65); H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 52 f.; BVerfGE 69, 1/ 58 ff. (abw. Meinung E. G. Mahrenholz, E.-W. Böckenförde).
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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Aufgabenqualität „notwendige Staatsaufgabe" folgt auch nicht aus den ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes. Deren Sinn besteht im Ausschluss jedes Tätigwerdens der Landesgesetzgeber, und zwar auch dann, wenn der Bundesgesetzgeber in der von einem ausschließlichen Kompetenztitel betroffenen Sachmaterie seinerseits untätig bleibt. Immerhin zeigt die Öffnungsklausel des Art. 71 GG, dass auch in diesem Bereich ein Tätigwerden des Landesgesetzgebers von Verfassungs wegen nicht uneingeschränkt ausgeschlossen ist. Es bleiben in erster Linie bundesstaatliche Gründe, die die Ausschließlichkeit der Kompetenztitel tragen, nicht materielle Gewichtungsgründe für die Qualität bestimmter Staatsaufgaben 237. Gesetzgebungskompetenzen begründen damit für sich genommen noch keine notwendigen Staatsaufgaben und verpflichten den Staat noch nicht zum Handeln, sondern sie ermächtigen ihn lediglich zur gesetzlichen Ordnung der betreffenden Sachmaterie238. Der kompetenzrechtliche Ansatz greift für die Begründung von Aufgabenqualitäten schon deswegen zu kurz, weil wichtige, der Privatisierung möglicherweise entzogene Aufgaben vom Grundgesetz vorausgesetzt bzw. im Hinblick auf ausschließliche Länderzuständigkeiten bewusst ausgespart werden. Dies gilt gerade im Bereich der inneren Sicherheit, die im Kompetenzteil des GG nur marginal erwähnt wird. Bei näherer Betrachtung lassen sich damit über den aufgabenrechtlichen Gehalt der Gesetzgebungskompetenzen des Bundes kaum präzise und differenzierte Aussagen machen. Die Kompetenzkataloge sind in dieser Hinsicht nicht viel mehr als ein Katalog von recht heterogenen Topoi, derer man sich im Rahmen einer Staatsaufgabendiskussion nur mit großer Zurückhaltung bedienen kann. Eindeutig ist immerhin, dass der Staat von seiner Verpflichtung auf die Wahrnehmung notwendiger Staatsaufgaben, deren Aufgabenqualität sich freilich aus anderen verfassungsrechtlichen Argumenten ergeben muss, nicht dadurch frei werden kann, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber bestimmte Gesetzgebungskompetenzen kurzerhand aus der Verfassung streicht; in diesem Fall käme es lediglich zu einer Verschiebung der Zuständigkeit für die Aufgabenwahrnehmung im Bund-Länderverhältnis mit der Folge, dass jetzt die Länder bzw. die Landesgesetzgeber für die Aufgabenerfüllung zuständig wären, nicht aber zum Erlöschen von grundlegenden staatlichen Einstandspflichten 239. 237 Ein Vergleich der Sachmaterien des Art. 73 mit denen des Art. 74 mag dies im übrigen verdeutlichen: Die Sachmaterie Strafrecht aus Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 steht der Sachmaterie Postwesen und Telekommunikation aus Art. 73 Nr. 7 GG in ihrem Rang als Staatsaufgabe gewiss nicht nach. 238 Plakativ F. Ossenbühl Festschrift R. Lukes, 1989, S. 533, am Beispiel des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG (Recht der Wirtschaft). 239 M. RonellenfitscK DÖV 1996, S. 1032;
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Α. Grundlegung
Anders werden dagegen die verfassungsrechtlichen Verwaltungskompetenzen des Bundes im VIII. Abschnitt des Grundgesetzes beurteilt, soweit bestimmte Sachmaterien ausdrücklich der bundeseigenen Verwaltung zugewiesen sind 240 . Dem Bund wird dadurch nicht nur eine bestimmte Organisationsform, sondern ihm werden auch bestimmte Sachaufgaben zur Wahrnehmung in bundeseigener Verwaltung zugewiesen. Besonders hervorgehoben sei an dieser Stelle Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG. Dass der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt beinhaltet nach wohl h. M. mehr als nur eine organisatorische Entscheidung im Bund-LänderGefüge, sondern diese Vorschrift stellt die grundsätzliche Aufgabendimension und damit die Einstandspflicht des Staates für die Gewährleistung der äußeren Sicherheit dar 241 . Privatisierungsbemühungen werden durch solche Festlegungen sowohl im Hinblick auf die Rechtsform (obligatorische bundeseigene Verwaltung, Art. 87 b Abs. 1 Satz 1 GG) als auch in inhaltlicher Hinsicht jedenfalls für den Kern der betreffenden Sachmaterien begrenzt. Diese Sachmaterien bilden damit materielle Privatisierungsschranken. Der verfassungsändernde Gesetzgeber hat sich diese nicht unbestrittene Auffassung im Zuge der großen Privatisierungsvorhaben von Post und Bahn sowie bei der Änderung der Luftverkehrsverwaltung in Art. 87 d Abs. 1 GG im Übrigen zu eigen gemacht. Wie weit die aus den Verwaltungskompetenzen resultierende staatliche Aufgabendimension im einzelnen reicht, ob sich etwa aus der Zusammenschau der Vorschriften zu Verkehrssystemen in den Art. 87 e, 89 und 90 GG eine umfassende Verantwortung für den Verkehrsbereich ablesen lässt, bedarf sorgfältiger bereichsspezifischer Untersuchungen, wobei die einfachrechtlichen Ausformungen der betreffenden Lebensbereiche einzubeziehen wären. Auch hinsichtlich der konkreten Reichweite des aufgabenrechtlichen Vorbehalts, etwa der Frage, inwieweit neben der Staatsaufgabe konkurrierendes privates Engagement zulässig oder ausgeschlossen ist, kommt es auf die Exegese im Einzelfall an 242 . So enthält Art. 87 e Abs. 3 Sätze 2 und 3 240 Insbesondere in Art. 87 Abs. 1, Art. 87 a bis Art. 90; inzwischen hat sich die Auffassung vom aufgabenrechtlichen Gehalt der Verwaltungskompetenzen weitgehend durchgesetzt; P. Lerche, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, Art. 87 (Kommentierung 1992), Rdn. 17 f., 42 ff., 67, 84 ff., 113 ff.; vergi, auch Rdn. 90, wonach keine absolute Garantie der Aufgabe besteht ders., Festschrift F. Klein, 1994, S. 527 ff.; G. Fromm, DVB1. 1994, S. 188 f.; H. Lecheler, NVwZ 1989, S. 834 ff.; F. Ossenbühl, Festschrift R. Lukes, 1989, S. 532 ff.; W. Krebs, HStR III, 1988, § 69 Rdn. 52 (S. 599 f.); D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 117 ff.; a.A. R. Scholz/Aulehner, ArchivPT 1993, S. 103 ff., 247 ff. 241 „Verfassungsrechtliche Grundentscheidung für die Landesverteidigung", BVerfGE 12, 45/50; 28, 243/261; 48, 127/159 ff.; 69, 1/21 ff.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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GG eine differenzierte Privatisierungsschranke für die Wirtschaftsunternehmen des Bundes, die den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfassen 243. Aus den Gemeinschaftsaufgaben der Art. 91a und 91b GG lassen sich aufgabenrechtlich begründete materielle Privatisierungshindernisse dagegen nicht herleiten. Auch für die Justiz weist die Kompetenzverteilung im Bundesstaat im IX. Abschnitt des Grundgesetzes nicht nur einen organisationsrechtlichen, sondern daneben auch einen aufgabenrechtlichen Gehalt auf. Dadurch, dass die bereits im rechtsstaatlichen Prinzip der Gewaltenteilung konstituierte rechtsprechende Gewalt durch Art. 92 GG ausdrücklich den Richtern zugewiesen ist, qualifiziert die Verfassung die Rechtsprechung prinzipiell als eine notwendige und damit unverzichtbare Staatsaufgabe, mithin als Verfassungsaufgabe 244, die inhaltlich der Privatisierung jedenfalls in dem Sinne entzogen ist, dass der Staat einen eigenen Rechtsprechungsapparat vorzuhalten verpflichtet ist. Die Kompetenzen der Finanzverfassung betreffen dagegen nicht selbst inhaltliche Staatsaufgaben, sondern sie legen die verfassungsrechtliche Grundlage für die Erfüllung des Satzes aus Art. 104 a Abs. 1 GG, wonach Bund und Länder gesondert die Ausgaben tragen, „die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben". Der X. Abschnitt des Grundgesetzes setzt damit im Wesentlichen das Bestehen bestimmter Sachaufgaben voraus
245
. c) Grundrechte
Die weitgehende Zurückhaltung des Grundgesetzes gegenüber Staatsaufgaben und der relativ hohe Abstraktionsgrad der ausdrücklich normierten Staatsaufgaben haben zu zahlreichen Versuchen geführt, diese Lücke mit anderen verfassungsrechtlich abgestützten Argumenten zu schließen246. Ein Begründungsstrang stützt sich dabei eher auf die extensive Ausdeutung des 242 Grundlegend K. H. Friauf \ Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten, 1991, S. 89 ff., 183 ff., 216 ff. 243 R. Uerpmann, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 3. Aufl. 1996, Art. 87e Rdn. 17. 244 H. Weis, Verfassungsrechtliche Fragen einer weiteren Privatisierung der juris GmbH, Beilage zum Bundesanzeiger 48, Nummer 82a v. 30.04.1996, S. 23. 245 Darauf, dass der X. Abschnitt daneben in Art. 109 GG auch eine Staatszielbestimmung enthält, wurde bereits hingewiesen. 246 In diesem Sinne etwa J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983, S. 33: „Das Bundesverfassungsgericht enthüllt in den Schutzpflichten keine neue Seite des rechtsstaatlichen Verfassung, sondern nur eine vergessene."
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Α. Grundlegung
Rechtsstaatsprinzips oder auf ungeschriebene, vom Grundgesetz selbstverständlich als notwendig vorausgesetzte Staatsaufgaben. In jüngerer Zeit wird diese Lücke dagegen vor allem durch den Rückgriff auf die Grundrechte zu schließen versucht 247. In ähnlicher Weise wird auch der Versuch unternommen, der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten einen die Europäische Union verpflichtenden Schutz- und Sicherheitsauftrag zu entnehmen248. Die Grundrechte des Grundgesetzes werden in unterschiedlicher Weise für die staatliche Aufgabendimension fruchtbar gemacht. Insbesondere um der realen Freiheit des Einzelnen willen 249 und aus der staatlichen Schutzpflichtendogmatik 250 werden aus den Grundrechten zahlreiche Förderungs- oder Einstandspflichten 251 und seit einiger Zeit - in deutlichem Gegensatz zur ursprünglichen Dimension der Grundrechte als Eingriffsabwehrrechte gegen staatliche Übergriffe in die Freiheitssphäre des Einzelnen252 - auch Schutzaufträge des Staates herausgelesen253. Diese Schutzaufträge richten sich gerade auch gegen die Bedrohung individueller Freiheit durch andere Private. Vor allem die staatliche Schutzpflicht für Leben, Gesundheit und körperliche Integrität des Einzelnen steht dabei im Vordergrund und damit der fundamentale Auftrag des Staates zur Gewährleistung eines angemessenen Maßes an Sicherheit 254 . Aus einigen Grundrechten lassen sich Staatsaufgaben auch direkt 247
Ähnlich H. Schulze-Fielitz, in: D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 21, der die „defizitäre Sparsamkeit" der Staatsaufgabenformulierungen im Grundgesetz bedauert. 248 Anknüpfungspunkt ist vor allem Art. 5 Abs. 1 EMRK. 249 P. Häberle, VVDStRL 30, S. 103 ff. 250 J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983, S. 21 ff.; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 186 ff.; G. Hermes, Das Grundrecht auf Schutz von Leben und Gesundheit, 1987; J. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1992; P. Unruh, Zur Dogmatik der grundrechtlichen Schutzpflichten, 1996; R. Scholz, Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 444. BVerfGE 39, 1/42 ff.; 46, 160/164; 49, 89/142; 53, 30/57; 56, 54/73; 77, 170/214 f.; 79, 174/201 f.; 88, 203/251 ff.; 92, 26/46. 251 Etwa die Staatsaufgabe der Sorge für die außerfamiliäre, vorschulische Pflege und Erziehung der Kinder, die aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG („zuvörderst") hergeleitet wird, vergi. J. Isensee, DVB1. 1995, S. 3. 252 Dazu K.-P. Sommermann, Staatsziele und Staatszielbestimmungen, 1997, S. 326 ff. 253 E.-W. Böckenförde, Der Staat 29, S. 23 f. betont, dass die verlorengegangenen Staatszwecklehren als zielgerichtete Handlungsaufträge in den grundrechtlichen Schutzpflichten wiederkehren, vergi, auch oben Α. II. 2. 254 Dass es dabei nicht um „perfekte Sicherheit" in jedem Einzelfall, sondern um eine „Gesamtordnung der Sicherheit", nämlich den ,»Zustand des effektiven Bürgerfriedens" geht, betont J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungsstaates, 1983, S. 4.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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erschließen, so aus Art. 19 Abs. 4 GG im Hinblick auf die Gewährleistung von gerichtlichem Rechtsschutz gegenüber Akten der öffentlichen Gewalt 255 . Die Erschließung der staatlichen Aufgabendimension unter dem Aspekt seiner grundrechtlich gebotenen Schutzpflichten darf unter der Perspektive der Ermittlung von Verfassungsaufgaben allerdings im Hinblick auf seine normative Reichweite nicht überbewertet werden. In diesem Zusammenhang spielt es keine entscheidende Rolle, ob der staatliche Schutz- und Sicherheitsauftrag eher auf objektivrechtliche Verfassungsprinzipien oder eher auf die Grundrechte gestützt wird. In beiden Fällen zeigt es sich immer wieder, wie sehr solche Schutz- und Sicherheitsaufträge im Grundsätzlichen verbleiben, wo sie im Übrigen schwer zu bestreiten sind und Einigkeit über den staatlichen Schutzauftrag schnell hergestellt ist. Dementsprechend groß ist der Spielraum des Gesetzgebers bei der Realisierung seines verfassungsrechtlichen Schutzauftrages in einem konkreten Fall. Mit Ausnahme der beiden Abtreibungsentscheidungen handhabt auch das Bundesverfassungsgericht die staatlichen Schutzpflichten durchaus zurückhaltend256. Zu Recht wurde deswegen darauf hingewiesen, dass sich angesichts der Weite der tatsächlichen staatlichen Aufgabenwahrnehmung weitgehend nur Selbstverständliches oder Unproblematisches aus den staatlichen Schutzpflichten ableiten lässt 257 . Hieran zeigt sich in beispielhafter Weise die grundlegende Problematik eines jeden Versuchs der Bestimmung notwendiger Staatsaufgaben, die auf Grundsätzlichkeit angelegt sein müssen, sollen sie sich nicht im Kleinteiligen verlieren: Der Preis für diese Grundsätzlichkeit besteht umgekehrt in wachsender Aussagearmut im Detail und damit einer verhältnismäßig schwachen normativen Direktivkraft. Allerdings beziehen die Detailregelungen ihren Sinn und ihre Vernünftigkeit und damit ihre Legitimität ungeachtet der Vielfalt ihrer Möglichkeiten letztlich aus diesen abstrakten Aufgabenbestimmungen. Ohne diese hermeneutischen Bezugspunkte blieben sie häufig nur umständlich und oft genug unverständlich. Die Eindeutigkeit notwendiger Staatsaufgaben nimmt weiter ab, wenn es um mit erheblichen Unsicherheitsfaktoren versehene Prognoseentscheidun255 Nicht abgedeckt wird dadurch der Rechtsschutz in zivilrechtlichen Streitigkeiten. Die Aufgabe, den Zugang zu den Gerichten und eine grundsätzlich umfassende tatsächliche und rechtliche Prüfung des Streitgegenstandes sowie eine verbindliche Entscheidung des Richters zu gewährleisten, wird dem Justizgewährleistungsanspruch entnommen, der im Rechtsstaatsprinzip verankert ist, vergi. BVerfGE 54, 272 (291); 85, 337 (345). 256 Vergi. Κ. Hesse, Festschrift E. G. Mahrenholz, 1994, S. 550. 257 R. Wahl, in: Th. Ellwein/J. J. Hesse (Hrsg.), Staats Wissenschaften: Vergessene Disziplin oder neue Herausforderung?, 1990, S. 44.
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Α. Grundlegung
gen über zukünftige Gefahren- und Risikoverläufe geht, die möglicherweise die grundrechtlichen Schutzgüter beeinträchtigen können. Das normative Anforderungsprofil staatlicher Schutzpflichten verlagert sich in diesen Fällen regelmäßig auf die Ermittlung eines bestimmten Mindest-Sorgfaltsniveaus und die Überprüfung, ob dieses bei der in Frage stehenden Entscheidungsfindung oder Maßnahme auch tatsächlich eingehalten wurde. Schließlich treten verschiedene, in gleicher Weise verfassungsrechtlich legitimierte Zielsetzungen, häufig untereinander in Konflikt. Es ist dann Sache des Gesetzgebers, die miteinander konfligierenden Aufgabendimensionen zu versöhnen. Daneben finden sich im Grundrechtsteil auch andere Anknüpfungspunkte für Verfassungsaufgaben. Hervorzuheben ist Art. 7 Abs. 1 GG, der mit der Normierung der staatlichen Schulhoheit den grundlegenden Erziehungsauftrag des Staates umreißt 258. Keine Verfassungsaufgabe und damit kein Privatisierungshindernis enthält Art. 15 GG 2 5 9 , der die Überführung von Boden, Naturschätzen und Produktionsmittel in das Eigentum der öffentlichen Hand ermöglicht, aber nicht mehr. Die Sozialisierungsmöglichkeit des Art. 15 GG enthält lediglich eine Option. d) Sonstige verfassungsrechtliche
Anknüpfungspunkte
Verstreut über das Grundgesetz finden sich auf den ersten Blick einige weitere Anknüpfungspunkte für Staatsaufgaben. Hervorgehoben seien drei prominente Positionen, die inhaltliche Aussagen über notwendige Staatsaufgaben bei näherer Betrachtung nur mit erheblichen Einschränkungen tragen. Gewisse Hinweise auf basale Staatsaufgaben dürften sich, was kaum gesehen wird, in diesem Zusammenhang noch am ehesten den Verfassungsvorschriften über Notstand und Katastrophen260 entnehmen lassen, die einen bestimmten Aspekt innerer Sicherheit und Ordnung thematisieren. Die Vorschriften sind jedoch durchgängig als Handlungsoption für den Bund formuliert und lassen sich nicht direkt als notwendige Staatsaufgabe auslegen. Immerhin bietet dieser Sachbereich einen textlich überzeugenden 258 Allgemein zu den Erziehungszielen P. Häberle, Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981, S. 46 ff. 259 Schon früh hat das Bundesverfassungsgericht eine entsprechende Auslegung abgelehnt, BVerfGE 12, 354 (363 f.). Art. 15 enthält lediglich eine Ermächtigung des Gesetzgebers zur Vergesellschaftung von Grund und Boden, Naturschätzen und Produktionsmitteln und kein Gebot der Vergesellschaftung oder Erhaltung des Status quo des öffentlichen Vermögens. 260 Art. 35 Abs. 2 GG; auch die Notstandsverfassung, insbesondere Art. 91 und Art. 87 a Abs. 4 GG.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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Anhaltspunkt dafür, dass die Verfassung eine entsprechende staatliche Einstandspflicht in der Tat voraussetzt, die im bundesstaatlichen Gefüge aufgrund der sachlichen Aufgabenverteilung zunächst die Länder trifft und die deswegen an sich keiner Erwähnung im Grundgesetz bedürfen. Der Begriff der notwendigen Staatsaufgaben darf allerdings nicht einseitig auf den Extrem- und Ausnahmefall bezogen werden. Diese situative Begrenzung liefe von vornherein auf ein reduktionistisches Aufgabenverständnis hinaus und müsste den hier gestellten Anspruch, unverzichtbare Grundaufgaben gerade auch unter Normalbedingungen zu erfassen, im Ansatz verfehlen. Andererseits ist es auch ohne weitere ausdrückliche textliche Ausformungen im Grundgesetz völlig unbestritten, dass der Staat ganz allgemein den inneren Frieden zu sichern und individuellen Rechtsgüterschutz zu leisten hat 261 . Frieden und Freiheit sind die zentralen ungeschriebenen bzw. vorausgesetzten Aufgabendimensionen auch des Staates des Grundgesetzes262, wobei es begründungstheoretisch dahin stehen kann, ob diese Aufgabenstellungen letztlich eher aus den Grundrechten oder eher aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet oder eher als ungeschriebene Verfassungsaufgaben angesehen werden. Die staatliche Einstandspflicht, bei großen Katastrophen zu retten, zu schützen und zu helfen, ist insofern nur ein Ausschnitt aus seiner grundlegenden Aufgabenstellung der Gewährleistung von Frieden, Sicherheit und Ordnung. Auch die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung aus Art. 28 Abs. 2 GG kann eine Beschränkung der Privatisierung öffentlicher Aufgaben und Einrichtungen bedeuten263, was allerdings stark umstritten ist. Die Vorschrift beinhaltet nach der aufgabenbegründenden Auffassung nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht der Gemeinden, die im einzelnen auszuloten ist, zur eigenständigen Wahrnehmung der örtlichen Angelegenheiten. Gegen diese Pflicht verstößt eine Gemeinde erst dann, wenn sie sich einer 261
Häufig geschieht dies unter Rückgriff auf den Staat als Friedenseinheit bei Thomas Hobbes, etwa bei D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 7 ff., 16 ff. m.w.N.; vergi, auch E.-W. Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, 1978, S. 12 f. unter Hinweis auf C. Schmitt, Der Begriff des Politischen, 3. Aufl. 1963. 262 R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 26 und 37 ff. (S. 94 ff.); V. Götz, HStR III, 1988, § 79 Rdn. 1 f. (S. 1008 f.); B. Jeand'heur, AöR 114, S. 113 ff.; R. Pitschas, JZ 1993, S. 857 ff.; R. Stober, NJW 1997, S. 890; BVerfGE 49, 24/56. 263 Umstritten, einerseits J. Wieland/J. Hellermann, Der Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen gegenüber Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung im nationalen und europäischen Recht (Rechtsgutachten), 1995, S. 32 ff.; G. Witte-Wegmann, Festgabe O. Sandrock, 1995, S. 339; F. SchocK in: S. Biernat/R. Hendler/F. Schoch A. Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 333 ff.; ablehnend R. Hofmann, VB1BW 1994, S. 123; das BVerfG hat die Frage bislang nicht entschieden, vergi. BVerfGE 79, 127 (149 f.) und 83, 37 (54 f.).
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Α. Grundlegung
Aufgabe, die zum Kernbereich kommunaler Selbstverwaltung gehört, ganz entledigen will. Keine unmittelbar eingreifende materielle Privatisierungsschranke enthält dagegen der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG, der die Bereiche staatlicher Hoheitstätigkeit gerade nicht festlegt, sondern voraussetzt264. Auch an anderer Stelle werden die mit hoheitsrechtlichen Befugnissen zu erfüllenden Sachaufgaben im Grundgesetz nicht festgelegt, sondern sie lassen sich nur über interpretatorische Anstrengungen erschließen, wie sie etwa in der grundrechtlichen Sicherheits- und Schutzpflichtendiskussion unternommen werden. Mit der Bezugnahme auf die hoheitsrechtlichen Befugnisse erweist sich Art. 33 Abs. 4 GG zunächst als neutral gegenüber den Aufgabeninhalten. Für die Suche nach notwendigen Staatsaufgaben kommt dieser Verfassungsbestimmung gleichwohl eine grundsätzliche Bedeutung zu. Art. 33 Abs. 4 GG stellt ein wichtiges verfassungsrechtliches Argument dafür dar, dass es einen unverzichtbaren Kernbereich staatlicher Aufgaben oder Tätigkeiten jedenfalls gibt, der nicht zur Disposition gestellt und grundsätzlich auch nicht durch privates Personal ausgeübt werden darf. Abgesehen von den Staatsorganen, die das Grundgesetz ausdrücklich festlegt, enthält die Verfassungsbestimmung damit nicht weniger als ein striktes Verbot der Selbstpreisgabe des Staates, ohne dass damit bereits klar wäre, auf welche Sachgegenstände sich dieses Verbot bezieht. 6. Verfassungsaufgaben und andere notwendige Staatsaufgaben Notwendige Staatsaufgaben müssen nicht immer zugleich auch Verfassungsaufgaben im hier zu Grunde gelegten Sinn sein. Dies gilt auch im demokratischen Verfassungsstaat. Die unmittelbar oder eher mittelbar aus dem Grundgesetz ableitbaren Verfassungsaufgaben bleiben als notwendige Staatsaufgaben unabgeschlossen265. Wie in den vorangehenden Abschnitten gezeigt, enthält das Grundgesetz zwar einige Aufgabenfestlegungen mit Verfassungsrang 266 und zont dadurch bestimmte Staatsaufgaben zu Verfassungsaufgaben hoch. Es lässt aber text264
Vergi. F.-J. Peine, Die Verwaltung 1984, S. 437. Zur Reichweite des Art. 33 Abs. 4 GG als mittelbare bzw. formelle Privatisierungsschranke vergi, unten, D. III. 3. und E. 265 Ähnlich M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, S. 99 ff. (105). 266 Mit F. Ossenbühl, Festschrift R. Lukes, 1989, S. 535, hat eine Staatsaufgabe dann Verfassungsrang, wenn sie in der Verfassung selbst zur Staatsaufgabe erklärt worden ist.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
75
lieh weithin offen, welche Aufgaben der Staat als Ganzes unbedingt zu erfüllen hat. Die Suche nach notwendigen Staatsaufgaben findet in der Verfassung damit zwar einen wichtigen267, aber nicht den einzigen Bezugsrahmen. Eine abschließende begriffliche Klärung notwendiger Staatsaufgaben lässt sich trotz des skizzierten Spektrums an verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht alleine aus dem Rückgriff auf entsprechende Verfassungsaufgaben bewerkstelligen. Die Thematisierung von Staatsaufgaben im Verfassungsstaat berührt damit zentral das Verhältnis von Staat und Verfassung 268. An der Staatsaufgabendiskussion zeigt es sich, dass der Staat mit seinen notwendigen Aufgabenstellungen in den Verfassungsaufgaben auch im modernen Verfassungsstaat nicht in jedem Fall aufgeht 269. Die These von der sogenannten Offenheit der Staatsaufgaben belegt dies im Übrigen 270 . Es dürfte weitgehend Einigkeit darüber bestehen, dass es einen überzeitlich gültigen und abgeschlossenen Katalog eines vorgegebenen staatlichen Mindestaufgabenbestandes nicht gibt und wohl auch nicht geben kann. Eine überzeugende Methode, wie dieser zu erstellen wäre, ist jedenfalls nicht ersichtlich. Ebenso wenig kann man auf ein allerklärendes und allgemein überzeugendes staatsphilosophisches Grundprinzip zurückgreifen, etwa einen kategorischen Imperativ für den Staat, mit dem sich die gesuchten notwendigen Staatsaufgaben aus der Summe aller tatsächlich wahrgenommenen Staatsaufgaben einfach herausdestillieren ließen. Diese und ähnliche Wege zu einer materialen Staatsaufgabenlehre sind verschlossen. Jeder Versuch in entsprechender Richtung würde sich heute dem Vorwurf mangelnder Wissenschaftlichkeit aussetzen, nämlich naive Staatsmetaphysik mit letztlich natur- oder vernunftrechtlichem und damit vorgesellschaftlichem Anspruch zu betreiben. Tatsächlich wird heute kaum noch ein entsprechendes Grundkonzept vertreten 271. In der deutschen Staatsrechtslehre ist denn auch die Auffassung 267 P. Hübe rie , AöR 111, S. 600 ff. fordert die Verfassung als Bezugsrahmen einer verfassungsstaatlichen Staatsaufgabenlehre; nach W. Leisner, Werbefernsehen und öffentliches Recht, 1967, S. 16, muss es kraft Verfassung festliegen, wie der Begriff der wesentlichen Staatsaufgaben zu bestimmen ist. 268 Zum Verhältnis von Staat und Verfassung J. Isensee, HStR I, 1987, § 13 Rdn. 8 (S. 595): „Der Staat ist die vorgegebene Materie, die Verfassung die Form." und ders., VVDStRL 48, S. 136 (Diskussionsbeitrag). 269 C. Link, VVDStRL 48, S. 175, bezogen auf das Auseinandertreten von Staatszwecken der Verfassung. Auch das Stichwort von der „offenen Staatlichkeit", so der Titel der Festschrift für E.-W. Böckenförde, 1995, deutet an, dass Staat und Verfassung durchaus selbständige Größen sind. 270 Vergi, oben, A. II. 1. 271 Am ehesten dürfte dem noch der staatsethische Ansatz von P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip, 1984, nahe kommen. Eine charakteristische Ausnahme
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Α. Grundlegung
verbreitet, dass es zwar Aufgaben gibt, die typisch staatlich bewältigt werden, dass es aber keine begrifflich vorgegebenen staatlichen Aufgaben gibt 272 . Dem lässt sich ohne weiteres zustimmen, wenn mit dem Staat eine mehr oder weniger abstrakte, noch nicht verfasste 273 und ungeschichtliche Größe einer allgemeinen Staatslehre gemeint sein soll. Die Staatsrechtslehre steht damit freilich vor einem methodischen Trilemma, wenn sie gleichwohl den Versuch wagt, den Radius notwendiger Staatsaufgaben abzumessen. Erstens: Die Verfassung wird trotz ihrer offensichtlichen Abstinenz hinsichtlich konkreter Sachaufgaben interpretatorisch als ein in sich mehr oder weniger geschlossenes System für die Erfüllung spezifischer Sachaufgaben 274 aufgefasst, um so den Vorwürfen des Außerverfassungsmäßigen und der mangelnden demokratischen Legitimation der Aufgabendimension zu entgehen. Charakteristische Argumentationsfiguren dafür lauten, dass die Verfassung bestimmte Staatsaufgaben oder Sachverantwortlichkeiten einfach voraussetzt oder dass diese sich als ungeschriebene Verfassungsaufgaben jedenfalls aus der Natur der Sache275 ergäben. In ähnlicher Weise wie bestimmte Güterqualitäten in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts276 zehren solche Postulate nicht selten vom Rückgriff auf die Evidenz der Bedeutung der betreffenden Sachaufgabe als wichtig oder als überragend wichtig für das Gemeinwohl277 und der zusätzlichen Überlegung, dass es außerhalb dieses verfassungsmäßigen Rahmens kein rechtlich konstituiertes Gemeinwohl gibt. Allen entsprechenden Versuchen gemeinbildet die freilich auf ganz anderen Prämissen beruhende Minimalstaatstheorie von R. Nozick , Anarchie Staat Utopia (deutsche Ausgabe ohne Erscheinungsjahr). 27 2 Κ. A. Schachtschneider, Res publica res populi, 1994, S. 198; J. Isensee, Festschrift H. Sendler, 1991, S. 47. 273 Auf diesen Staat beziehen sich etwa die Aussagen von H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 760, vergi. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfassungsrecht, 1968, S. 167 (FN 61). 27 4 G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 15 IV. Danach setzt das Grundgesetz die staatliche Infrastrukturverantwortung als selbstverständlich voraus. 275 Kritisch zu Ableitungen aus der Natur der Sache durch das BVerfGE 11, 89/ 99; 12 205/251 oder durch H. Krüger, Marktwirtschaftliche Ordnung und öffentliche Vorhaltung der Verkehrswege, 1969, S. 4, 12; Κ H. Friauf, Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 35, 38 ff., 59 ff. 276 Vergi, oben Α. II. 2. 277 Dies reicht zur Begründung eines staatlichen Monopols bei der Aufgabenerfüllung durch öffentlich-rechtliche Rechtsträger nicht aus, M. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 379; Κ Η. FriaufDie Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 57 f. Auch die Versorgung mit lebenswichtigen Gütern liegt prinzipiell in der grundrechtlichen Freiheit des Unternehmers, BVerfGE 30, 292/311 f.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
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sam ist der Rekurs auf mehr oder weniger als selbstverständlich vorausgesetzte staatliche Aufgabenbestände. Selbstverständliche notwendige Aufgabenbestände des Staates müssen nach dieser Vorstellung stets auch verfassungsrechtlich verbindlich festgelegt sein, zugespitzt formuliert: Das Vernünftige im Sinne des Notwendigen ist auch das verfassungsrechtlich Gebotene und Gewollte. Dieser Weg zu den „Staatsaufgaben als Verfassungsaufgaben" 278 bleibt problematisch. Er läuft letztlich auf den Versuch hinaus, notwendige Staatsaufgaben auf die Ausführung der Verfassung festzulegen. Dies kann nur gelingen, wenn die Verfassung selbst als Inbegriff der normativen Ziele eines Staates gedeutet wird, deren Ermittlung lediglich die richtige Verfassungsexegese voraussetzt279. Staatsaufgaben erscheinen dann als Konkretisierungsstufen von „konstitutionalisierten abstrakteren Verfassungszielen", so dass „Staatsaufgaben stets auf letzte Grundaussagen der Verfassung zurückführbar" sind 280 . Der Versuch der Bestimmung der notwendigen Staatsaufgaben ist damit zwar verfassungsrechtlich aufgefangen, verlagert aber die angesichts der spärlichen Textvorgaben gegebenen Unsicherheiten über die verfassungsrechtlich richtige Aufgabenbestimmung zwangsläufig in die Verfassung und ihre richtige Auslegung. Dies führt leicht zu einer inhaltlichen Aufladung der Verfassung 281, im Gefolge davon zu einer endlosen Methodendiskussion um die richtige Verfassungsauslegung 282 und schlimmstenfalls zu ihrer normativen Entwertung. Zweitens: Die Staatsrechtslehre versucht, sich mit dem vorhandenen Ertrag zu bescheiden und auf normative Aussagen, die über den eher schmalen Umfang der wirklich gesicherten Verfassungsaufgaben hinausgehen, weitgehend zu verzichten 283. Einige halten es wegen der Offenheit der Staatsaufgaben prinzipiell für ausgeschlossen, überhaupt eine überzeugende 27 8 H. Schulze-Fielitz, in: D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 11, 15 f.; ähnlich J. Grabbe, Verfassungsrechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Aufgaben, 1979, S. 37 27 9 M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 100. 280 H. Schulze-Fielitz, in: D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 16, 27 ff. 281 Charakteristisch R. Gröschner, Menschenwürde und Sepulkralkultur in der grundgesetzlichen Ordnung, 1995. 282 Seit H.-G. Gadamer , Wahrheit und Methode, 4. Aufl. 1975, kann es als Gemeinplatz auch der juristischen Hermeneutik gelten, dass es die richtige Methode nicht gibt, sondern dass immer auch das Vorverständnis die Methodenwahl bestimmt. 283 Diese Selbstbescheidung kritisiert W. M. Hebeisen, Staatszweck Staatsziele Staatsaufgaben, 1996, S. 28 für die einzige größere juristische Untersuchung der Staatsaufgaben von H.-P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977.
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Α. Grundlegung
Definition oder inhaltlich-materielle Kriterien für diejenigen Staatsaufgaben zu geben, die der Privatisierung entzogen sind. Die Verfassung stellt danach lediglich die Verfahrensweisen und Institutionen zur Verfügung, in denen solche Aufgaben thematisiert und ergriffen, aber auch wieder aufgegeben werden können. Diese Reinheit des methodischen Ansatzes läuft freilich auf nichts anderes als die Kapitulation der Staatsrechtslehre vor ihrem geborenen Gegenstand hinaus. Die Frage, welches die ureigensten Aufgaben des Staates sind, wäre damit aus der Rechtswissenschaft jedenfalls weitgehend eliminiert, ohne dass sie deswegen auch als Frage abstirbt. Nicht nur im Zeichen der Privatisierung, sondern bedingt auch durch den europäischen Integrationsprozess und den generellen Globalisierungstrend drängt vieles auf ihre Beantwortung, die dann freilich anderen Disziplinen und nicht zuletzt der Praxis überlassen bliebe 284 . Drittens: Die Staatslehre überschreitet den Rahmen des Verfassungsrechts und wagt sich auf das Feld juristisch normativer Theoriebildung vor. Damit macht sie sich zwangsläufig angreifbar 285, weil sie sich einem weitergehenden Interpretationsrahmen ausliefern und das einigermaßen gesicherte Gelände purer Rechtsdogmatik verlassen muss. Dieser Gefahr entgeht freilich auch der zuerst genannte Weg des extensiven Interpretationsansatzes der Staatsaufgaben als Verfassungsaufgaben nicht, mit dem Unterschied, dass die Unsicherheiten dort noch zusätzlich die inhaltliche Reichweite der Geltung der Verfassung und damit deren normative Kraft belasten. Trotz der damit verbundenen Risiken wird hier die letzte Variante grundsätzlich als vorzugswürdig erachtet. Um der Verfassung und ihrer normativen Kraft willen sind exegetische Überspannungen abzulehnen. Schließlich hat die vielerorts analysierte Überforderung des Staates nicht selten ihre Entsprechung in der Überforderung des Verfassungstextes. Resignative Selbstbescheidung ist allerdings ebenfalls nicht angebracht. Auch vor dem Hintergrund des europäischen Einigungsprozesses und des über sich selbst hinausweisenden Nationalstaates gilt es, sich auf die grundsätzliche theoretische Dimension einer juristisch normativen Theorie einzulassen. 284
Gegen diese „Preisgabe von wissenschaftlichem Terrain" an empirisch verfahrende gesellschaftswissenschaftliche Disziplinen oder an metaphysisch verfahrende philosophische Disziplinen zu Recht W. M. Hebeisen, Staatszweck Staatsziele Staatsaufgaben, 1996, S. 111 f. 285 Charakteristisch H. Schulze-Fielitz, in: D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 15, der gegenüber J. Isensee, HStR I, 1987, § 13 Rdn. 21 f., 25 (S. 600 f.), einwendet, „dass die Verfassung und ihre Auslegung unter den Vorbehalt eines vorverfassungsrechtlichen Staatsbildes und seiner zum Wesen erklärten Zwecke gestellt wird". Dadurch werde einmal mehr ein Weg eröffnet, „den" Staat auch gegen die demokratische Verfassung und ihre Auslegung zu aktivieren.
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
79
Eine Abwertung der Verfassung ist mit dem hier eingeschlagenen Weg nicht zu befürchten. Dass der Versuch einer theoretischen Grundlegung notwendiger Staatsaufgaben als juristische Theorie sich nicht in Gegensatz zur Verfassung stellen darf und nicht stellen will, ist im Verfassungsstaat eine Selbstverständlichkeit: Nicht die Dekonstruktion der Verfassung, sondern ihre Ergänzung um eine tragfähige Theorie notwendiger Staatsaufgaben ist das Ziel. Die Suche nach notwendigen Staatsaufgaben ist damit von vornherein eingebettet in den Staatstyp des demokratischen Verfassungsstaates auf der Basis von Menschenwürde bzw. Menschenrechten. Nur so macht die Ausgangsfrage Sinn, und in diesem Sinn wird sie hier gestellt.
7. Die Wahrnehmung von Staatsaufgaben Das Thema der notwendigen Staatsaufgaben greift auch unter verfassungsrechtlicher Perspektive zu kurz, wenn es die Dimension ihrer eigenen, rechtlich vorgeformten Verwirklichungsbedingungen ausspart. Ohne die Berücksichtigung der verfassungsrechtlichen Durchformung ihrer Wahrnehmungs- und Erfüllungsmodalität bleibt die Suche nach notwendigen Staatsaufgaben leicht abstrakt oder nichtssagend; schlimmstenfalls schlägt sie in Wunschdenken um. Deswegen ist die instrumenteile Seite der Umsetzungsmöglichkeiten für Staatsaufgaben mit zu reflektieren, zumal in der Wirklichkeit nicht in erster Linie das „Sollen, sondern das Können des Staates das begrenzende Moment der Staatsaufgaben" 286 darstellt. Die gebotene Intensität und insbesondere das Wie der Wahrnehmung von Staatsaufgaben sind nicht nur eine faktische, sondern auch eine rechtliche bzw. verfassungsrechtliche Frage 287. Die Aufgabendimension im Verfassungsstaat darf nicht isoliert von der verfassungsrechtlichen Vorformung ihrer Verwirklichungsmöglichkeiten gesehen werden. Neben den skizzierten spärlichen inhaltlichen Aussagen zu Verfassungsaufgaben enthält das Grundgesetz eine Reihe von Aussagen über die Art und Weise der Realisierung von Staatsaufgaben und fixiert damit verbindliche Direktiven für deren Erfüllung. Ein geschlossenes Konzept darf dabei zwar gleichfalls nicht erwartet werden, aber immerhin einige Eckpunkte, die beispielsweise der Einbeziehung von Privaten in die staatliche Aufgabenerfüllung bei notwendigen 286
R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 66. H. Schulze-Fielitz, in: D. Grimm (Hrsg.), Wachsende Staatsaufgaben - sinkende Steuerungsfähigkeit des Rechts, 1990, S. 16 und 22 f., F. Ossenbühl VVDStRL 56, S. 284 (Diskussionsbeitrag) fragen, ob Formen der Selbstregulierung überhaupt einen verfassungsrechtlich zulässigen Modus der Staatsaufgabenverwirklichung bilden. 287
Α. Grundlegung
80
Staatsaufgaben setzen288.
auf unterschiedlichen
Verwirklichungsebenen
Grenzen
Entsprechend zu den oben genannten fünf grundlegenden Erfüllungsressourcen 289 sind dabei die folgenden Dimensionen von Verfassungsdirektiven zu untersuchen, die das staatliche Erfüllungshandeln und die dafür erforderlichen Verwirklichungsressourcen normativ beeinflussen 290 können und in je unterschiedlicher Weise die Handlungsbeiträge Privater zulassen oder ausschließen. Erstens: Direktiven zu den rechtlichen Instrumenten und Mitteln staatlicher Aufgabenerfüllung 291; zweitens: Direktiven zum staatseigenen Personaleinsatz292; drittens: Direktiven zur Bedarfsdeckung mit Sachmitteln und Dienstleistungen293 für die Aufgabenerfüllung; viertens: Direktiven zur Finanzierung staatlicher Aufgaben 294. Ausdrückliche verfassungsrechtliche Hinweise zur Erfüllungsressource Wissen lassen sich dagegen nicht ausfindig machen. Die Verfügbarkeit des erforderlichen staatlichen Wissens für die effektive Aufgabenerfüllung bildet kein eigenständiges Thema des Verfassungsrechts 295. 288
In Bezug auf notwendige Staatsaufgaben zu undifferenziert ist der plakative Satz des Bundesverfassungsgerichts: „Wie der Staat öffentliche Aufgaben erledigen lassen will, ist im allgemeinen Sache seines freien Ermessens, freilich bis zu einem gewissen Grade auch von Eigenart und Gewicht der einzelnen Aufgabe abhängig." BVerfGE 17, 371/377; andererseits trifft die Beobachtung von D. Grimm, StWStP 1990, S. 24 zu, dass die Verfassung auf Mischformen zwischen Staat und Gesellschaft bei der Erfüllung von Staatsaufgaben bzw. bei Aufgaben im öffentlichen Interesse nicht zugeschnitten ist. 289 S.o. Α. I. 4. 290 F. OssenbühU VVDStRL 29, S. 145 ff.; G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 157, wonach „Umfang und Intensität staatlicher Aufgabenerfüllung unter dem Grundgesetz auch eine verfassungsrechtliche Frage" ist. 291 Insbesondere in Art. 20 Abs. 3 GG, Gesetzmäßigkeit der Verwaltung sowie in den Grundrechten und dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. 292 Etwa Beamtenvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG (Berufsbeamtentum als Voraussetzung einer rechtsstaatlichen und demokratischen Verwaltung), Verwaltungsvorbehalte in Art. 87 ff. GG, Richtervorbehalt des Art. 92 GG, auch die Stellung der Abgeordneten des Deutschen Bundestages, Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG dazu unten D. III. 293 Etwa Art. 87 b Abs. 1, 12 a, 91a Abs. 1 Nr. 1, 91 b, 104 a Abs. 4 GG, neuerdings auch 87 e Abs. 3 GG und mit Einschränkungen auch Art. 87 f Abs. 1 GG. 294 Vor allem durch das Verfassungsprinzip des Steuerstaates, dessen normative Reichweite freilich umstritten ist. 295 Immerhin dürfte sich die für staatliche Entscheidungen bei der Aufgabenerfüllung erforderliche Wissensbasis als mehr oder weniger selbstverständliches Postulat
II. Notwendige Staatsaufgaben im Verfassungsstaat
81
Die Bedeutung dieser Direktiven für die Erfüllungsmodalität zeigt sich gerade auch bei den notwendigen Staatsaufgaben. Wenn feststeht, dass eine Staatsaufgabe obligatorisch wahrzunehmen ist, ist damit über die Art und Weise und die Intensität ihrer Erfüllung noch nichts gesagt. Offen ist damit auch noch das Personal (staatliches oder privates), das diese Aufgabe erledigen soll 296 , die Finanzierung der betreffenden Sachaufgabe oder die Beschaffung der dafür erforderlichen Sachmittel. In der rechtlichen Ausgestaltung dieser Erfüllungsdimensionen wird das Charakteristische staatlicher Aufgabenwahrnehmung aber regelmäßig erst greifbar. Wenn man die prinzipielle Möglichkeit zusätzlicher notwendiger Staatsaufgaben auch ohne ausdrückliche verfassungstextliche Grundlage für gegeben erachtet, werden diese Aufgaben von der Verfassung jedenfalls im Hinblick auf ihre Erfüllungsmodalität und damit auf das Wie ihrer Verwirklichung erfasst. Gewissermaßen als Kompensationsmaßnahme für die eher schwach ausgestaltete Aufgabendimension widmet sich das Grundgesetz damit in pragmatischer Absicht auch der Regelung der Erfüllungsmodalität. Die relativ starke inhaltliche Abstinenz gegenüber Staatsaufgaben wird so auf der operationalen Ebene der Aufgabenverwirklichung zumindest teilweise wieder aufgefangen. Mit dieser Ausrichtung des Grundgesetzes für im übrigen nicht näher bestimmte Staatsaufgaben wird gleichzeitig auch der vermeintlich harsche Gegensatz von vorverfassungsrechtlichen Staatsaufgaben und Staatsaufgaben als Verfassungsaufgaben zwar nicht völlig aufgelöst, aber doch erheblich abgemildert. Eindeutig ist, dass die verfassungsrechtlichen Erfüllungsdirektiven prinzipiell Geltung für sämtliche Staatsaufgaben beanspruchen, gleichgültig ob diese nun direkt aus der Verfassung oder davon losgelöst aus der Sphäre verfassungsunabhängiger bzw. vorverfassungsrechtlicher Staatlichkeit abgeleitet werden. Sie gelten auch für diejenigen Staatsaufgaben, die in der Verfassung nicht näher erwähnt werden 297. In ähnlicher Weise, wie die verfassungsrechtlich abgesicherte Geltung der Grundrechte das in die provozierende Formel von der General- und Blankovollmacht gegossene Dogma der Sachgerechtigkeit von Entscheidungen aus dem Rechtsstaatsprinzip einerseits ableiten lassen; andererseits lässt sich dies dem Erfordernis der hinreichenden Qualifizierung von Beamten entnehmen, das sich aus Art. 33 Abs. 4 GG ergibt. Insofern hängt die Frage des geeigneten Personals mit der Wissensbasis staatlichen Handelns eng zusammen. Allgemein gilt: Der Mangel an Verfügbarkeit des erforderlichen Fachwissens wächst tendenziell mit steigendem staatlichen Steuerungsanspruch gegenüber komplexen Sachstrukturen und dem Angewiesensein auf externen Sachverstand, über die der Staat nicht mehr selbst verfügt, dazu unten D. II. 2. 296 G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 15 II. 2) a). 297 G. F. Schuppen, StWStP 1994, S. 552 will auf die Steuerungsfunktionen der Verfassung abstellen, weil allgemeingültige Aussagen über Privatisierungsverbote und -angebote wenig ergiebig sind. 6 Gramm
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Α. Grundlegung
von der Allzuständigkeit des Staates entschärft und verfassungsstaatlich einfängt, wird die staatliche Aufgabendimension zusätzlich zu den grundrechtlichen Bindungen durch die genannten verfassungsrechtlichen Erfüllungsdirektiven eingebunden und diszipliniert. Wegen der Einbeziehung der Erfüllungsdimension ist die Verfassung zunächst systematisch auf ihre Aussagen zu den einzelnen Wahrnehmungsressourcen hin zu untersuchen. Wegen des relativ starken Abstraktionsgrades dieser Untersuchungsebene ist es weiter erforderlich, in konkrete Szenarien staatlicher Aufgabenwahrnehmung und in die damit verbundenen rechtlichen Probleme einzutreten.
III. Notwendige Staatsaufgaben und staatliche Grundverantwortung Auch als Theorie notwendiger Staatsaufgaben ist die Erstellung eines detaillierten und abschließenden Kataloges mit überzeitlich gültigem staatlichen Aufgabenbestand nicht sinnvoll 298 . Ein Aufgabenkatalog ohne Rücksicht auf die tatsächlich bestehenden Realisierungschancen in der Staatswirklichkeit müsste im übrigen nur allzu leicht auf die vielfach registrierte Überforderung des Staates hinauslaufen, wenn im Ergebnis die postulierte Staatsaufgabe einerseits und die existierenden Erfüllungsressourcen andererseits krass auseinanderfallen und damit entsprechende Enttäuschungspotentiale vorprogrammiert würden. Auch wenn es wohl schwerlich Aufgaben geben dürfte, die immer und unter allen Umständen der staatlichen Organisation vorbehalten wären 299 , lautet die tragende Hypothese der Untersuchung, dass es eine staatliche Grundverantwortung 300 gibt, die der staatlichen Organisation bei der Aufgabenerfüllung und der Wahl der dazu erforderlichen Mittel vorausgeht. Ein normatives Kernaufgabenkonzept wird damit jedenfalls im Sinne eines staatlichen Verantwortungsrahmens für möglich gehalten. Dieser Verantwortungsrahmen besteht allerdings nicht als abstrakte und statische Größe 301.
298
D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 772 f.; R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 23 (S. 93) im Anschluß an Jellineks Lehre von den relativen Staatszwecken; W. Hoffmann-Riem, DVB1. 1996, S. 230; G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 8 III. 1). 299 J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn 42 (S. 20 f.). 300 Begriff bei E. Schmidt-Aßmann/C. Röhl, DÖV 1994, S. 582. 301 Differenzierungen bei G. F. Schuppert, DÖV 1995, S. 768; C. Reichard, Umdenken im Rathaus, 1994, S. 39 ff.; Η Bauer, VVDStRL 54, S. 27; auch R. Mayntz, Soziologie der öffentlichen Verwaltung, 3. Aufl. 1985, S. 44.
III. Notwendige Staatsaufgaben
83
Vielmehr ist zu erwarten, dass es in der Rechtswirklichkeit gesondert nach Lebensbereichen, die die Sachstrukturen der spezifischen Aufgaben prägen, abgestufte Formen der Aufgabenwahrnehmung gibt. Diese Abstufungen können von der uneingeschränkten staatlichen Selbsterfüllung bis hin zu einer bloßen Reservestellung staatlichen Handelns302 reichen. Ebenso ist zu erwarten, dass sich verschiedene sachliche Zurechnungsgründe für die staatliche Verantwortlichkeit ausmachen lassen, die die staatliche Einstandspflicht für bestimmte Sachaufgaben in unterschiedlicher Weise strukturieren. Die Suche nach dem staatlichen Verantwortungsrahmen berührt sich damit eng mit der Suche nach der gebotenen Intensität der staatlichen Steuerung von Lebensbereichen. So einleuchtend die leitende Fragestellung der Arbeit sein mag, so schwierig ist methodisch die Ermittlung des gesuchten Verantwortungsrahmens303. Konkrete Staatsaufgaben unterliegen dem historischen Wandel 304 , und es hat wohl kaum eine sachliche Aufgabenstellung gegeben, die nicht schon einmal als Staatsaufgabe wahrgenommen wurde 305 . In der Wirklichkeit sind die im Verlauf der Geschichte entstandenen und die in der Gegenwart existierenden Staatstypen zu vielfältig, als dass die Chance auf eine gemeinsame und überzeugende Kernaufgabenbestimmung, die über marginale oder rein formale Aussagen hinausgeht, auch nur im Ansatz bestünde. Das gleiche gilt in umgekehrter Hinsicht: Viele heute in unserem Staat als notwendig angesehene Aufgaben wurden früher oder werden heute in anderen Staaten ausgesprochen staatsfremd erledigt. Die Geschichte von Staatsaufgaben ist deswegen für den Versuch der normativen Bestimmung des heutigen notwendigen staatlichen Verantwortungsrahmens weitgehend unergiebig. Nicht sinnvoll ist auch eine theoretisch-abstrakte Staatsaufgabenlehre unabhängig vom jeweiligen Staatstyp, obwohl nicht zu verkennen ist, dass es in der modernen Staatenwelt gewisse empirische Konstanten bei den Staatsaufgaben gibt 306 , aber auch erhebliche Unterschiede bei der Aufgabenwahrnehmung durch staatliche oder private Akteure. Heute dürfte es allgemein als konsensfähig gelten, dass die Frage nach dem abstrakten Wesen des Staates ahistorisch und fruchtlos ist 3 0 7 . Zu offensichtlich ist der perma-
302 Zu neuen Handlungsformen „im Schatten des Rechts" H Schulze-Fielitz, in: R. Voigt (Hrsg.), Abschied vom Staat - Rückkehr zum Staat?, 1993, S. 117. 303 Zu „wissenschaftlichen Erörterungen der Staatsaufgaben" E. Becker, Festschrift W. Geiger, 1974, S. 755; P. Häberle, AöR 111, S. 595. 304 R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 9 ff. (S. 93) erteilt deswegen eine Absage an „natürliche Staatsaufgaben"; ders., Staaten der Frühzeit, 1988, S. 9 f. 305 F. Naschold, Modernisierung des Staates, 2. Aufl. 1994, S. 41. 306 Vergi, oben A. II. 1. a).
6*
84
Α. Grundlegung
nente Wandel auch des modernen Staates. Entsprechende Bemühungen und Schlussfolgerungen wirken oft verkrampft 308. Wie wenig konstant der Bestand an Staatsaufgaben in der geschichtlichen Wirklichkeit tatsächlich ist, zeigt bereits ein flüchtiger Blick auf einige Entwicklungen der vergleichsweise kurzen Zeitspanne der vergangenen 20 bis 30 Jahre: Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen, Datenschutz, die Regelung der Gentechnik sowie andere Formen der Risikovorsorge gegenüber modernen technischen Entwicklungen und jetzt die rechtliche Steuerung der Informationsgesellschaft sind zu Staatsaufgaben von Rang herangewachsen, für die es in der Geschichte allenfalls bescheidene Vorläufer gibt. Umgekehrt werden einstmals hochrangige Staatsaufgaben in den Bereichen Post und Bahn zunehmend entstaatlicht. Diese Beispiele mögen die Offenheit der Staatsaufgaben für neue Entwicklungen belegen. Angesichts der Geschwindigkeit, mit der technische Innovationen einschließlich der dazugehörigen Risiken, auf die der Staat gegebenenfalls reagiert oder reagieren muss, sich unter den Bedingungen moderner Informationstechnologien weltweit verbreiten, ist das Scheitern einer abschließenden inhaltlichen Aufgabenskizze vorgezeichnet. Als einigermaßen stabil lässt sich lediglich die staatliche Verantwortungsdimension ansehen, die die sachlichen Gründe für die Einstandspflicht des Staates zu erfassen sucht. Der Beitrag, den die Staatstheorie dabei zum Thema der notwendigen Staatsaufgaben als Grenze von Privatisierungsmaßnahmen zu leisten vermag, kann allerdings nicht in erster Linie ein philosophischer sein. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe der Juristen, metaphysische Letztbegründungen309 für den Staat und seine notwendigen Aufgaben zu liefern, ebenso wenig wie ein allerklärendes, damit notwendig abstraktes Grundprinzip, aus dem sich konkrete Aufgaben und deren organisatorische Ausgestaltung stringent ableiten ließen. Insoweit ist Selbstbescheidung in der Tat angebracht.
307
Als Spielart solcher Wesensschau mögen auch plakative Einbegriffs-Charakterisierungen gelten. Verbreitet ist diese Begriffsbildung in Soziologie und Umgangssprache (Risikogesellschaft, Erlebnisgesellschaft, Freizeitgesellschaft, Informationsgesellschaft etc.). Auch das Etikett des „regelungsintensiven Industriestaates" führt kaum weiter, R. Zippelius, Allgemeine Staatslehre, 12. Aufl. 1994, §§ 35-37. 308 Beispiele bei H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 581 und S. 772, der es mit dem Wesen des Staates für unvereinbar hält, wenn Straßenbahnen Werbeaufschriften tragen und der Privatisierungsforderungen prinzipiell zurückweist. 309 Der Anspruch führt wissenschaftstheoretisch in die Ausweglosigkeit des Münchhausen-Trilemmas, vergi. Η. Albert, Traktat über kritische Vernunft, 4. Aufl. 1980, S. 13.
IV. Die Struktur der Untersuchung
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Als möglich und sinnvoll erscheint es dagegen, zwar nicht letzte, aber immerhin vernünftige und greifbare Gründe für notwendige Staatsaufgaben im Sinne eines staatlichen Verantwortungs- und Steuerungsrahmens zu finden, soweit sie sich aus den spezifischen Sachstrukturen von unterschiedlichen Aufgabenbereichen selbst ergeben. Auf der Ermittlung dieser Sachstrukturen und des entsprechenden staatlichen Verantwortungsrahmens, der sich wiederum nur aus normativen Grundentscheidungen ergeben kann, liegt der Schwerpunkt des theoretischen Teiles der Arbeit.
IV. Die Struktur der Untersuchung Untersuchungsgegenstand ist eine rechtlich greifbare Bestimmung der notwendigen Aufgaben des Staates einerseits und der Grenzen einer zulässigen Beteiligung Privater an deren Erfüllung andererseits. Ausgelöst wird diese Fragestellung durch die sich abzeichnenden faktischen Grenzen des Wachstums staatlicher Aufgaben sowie durch die seit Jahren rollende Privatisierungswelle in der Praxis. Die bisherigen Überlegungen haben deutlich werden lassen, dass weder die Verfassungsrechtsdogmatik noch die Staatstheorie für sich alleine genommen zu befriedigenden Antworten auf diese Ausgangsfrage gelangen können. Ein verfassungsrechtlich abgesichertes Konzept notwendiger Staatsaufgaben existiert ebenso wenig wie eine theoretisch tragfähige Lehre von den Staatszwecken oder den öffentlichen Aufgaben. Der gewählte Ansatz impliziert die These, dass die rechtlichen Grenzen der Privatisierung sich auch im demokratischen Verfassungsstaat nicht alleine aus irgendwelchen Verfahrensregeln ableiten lassen, sondern dass sie sich in erster Linie aus den sachspezifischen Aufgabeninhalten selbst ergeben müssen. Diese Aufgabeninhalte bestimmen maßgeblich die staatliche Grundverantwortung für die Aufgabenerfüllung. Theoretische Überlegungen ohne gesicherten Wirklichkeitsbezug machen in einer praktischen Wissenschaft allerdings keinen rechten Sinn. Empirie, Staatstheorie und Rechtsdogmatik müssen deswegen im Gang der Untersuchung in überzeugender Weise zueinander finden. Dem entspricht die gewählte Einteilung in die vier folgenden Hauptteile, die aufeinander Bezug nehmen und einander ergänzen. 1. Privatisierung in der Staatswirklichkeit Der zweite Hauptteil untersucht exemplarisch einige Privatisierungsmaßnahmen in der Staatswirklichkeit (B). Impulsgeber für die Untersuchung sind vor allem in den 80 er und 90 er Jahren durchgeführte Privatisierungsvorhaben. Der Begriff der Privatisierung erweist sich dabei als überaus viel-
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Α. Grundlegung
schichtig und ist als Rechtsbegriff unklar. Eine mehr oder weniger abstrakte und theoretisch gut begründete Begriffsfestlegung wäre zwar vielleicht möglich, ist aber kaum sinnvoll, da sie an der Wirklichkeit und ihrer Erscheinungsvielfalt durch die Bildung eines möglicherweise zu engen Begriffsrasters vorbeigehen kann. Es kommt deswegen zunächst darauf an, sich in einem ersten Untersuchungsschritt des eigenen Untersuchungsgegenstandes zu vergewissern. In diesem vorwiegend deskriptiven Hauptteil sollen unterschiedliche Erscheinungsformen von Privatisierung, wie sie sich in der Rechtswirklichkeit tatsächlich darstellen, systematisch erschlossen werden. Referenzgebiete sind innere Sicherheit, Eisenbahn und Post, Verkehr, Umwelt und Bauen sowie die Produktsicherheit. Privatisierung wird dabei im ersten Zugriff bewusst weit als Oberbegriff für verschiedene Formen des Rückzugs aus der staatlichen Aufgabenverantwortung und parallel dazu als die Einbeziehung Privater in die Aufgabenerfüllung verstanden. Nur selten dürfte es allerdings um eine Totalprivatisierung im Sinne der vollständigen Freizeichnung der staatlichen Seite von jeder sachlichen Verantwortung für die Aufgabenerfüllung gehen, sondern zumeist um den Wandel der rechtlich gesicherten Formen und Einflussmöglichkeiten der staatlichen Seite auf die Aufgabenwahrnehmung 310. Ziel dieses Hauptteils ist es, im Gegenspiel der Ausweitung staatlicher Tätigkeit einerseits und von Rücknahmebewegungen staatlicher Steuerungsansprüche andererseits das Spektrum der tatsächlich praktizierten Privatisierungsstrategien systematisch zu erfassen und anhand dieses Materials die Privatisierung von Staatsaufgaben begrifflich zu klären. 2. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben Fragt man dagegen normativ, welche Aufgaben oder Aufgabengruppen notwendigerweise in staatlicher Regie verbleiben müssen, zeichnen sich die Grenzen der Privatisierung je nach der gewählten Einstellung der Untersuchungsperspektive in ganz unterschiedlicher Schärfe ab. Dabei lässt sich theoretisch nach drei verschiedenen Perspektiven mit unterschiedlichen Abstraktionsniveaus unterscheiden, die zugleich die Möglichkeiten der Bestimmung des staatlichen Verantwortungsrahmens und der ihm zuzuordnenden notwendigen Aufgabenbestände festlegen. 310 Zur Skalierung staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten und Differenzierung staatlicher „Verantwortungsgrade" G. F. Schuppert in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S. 27 ff.
IV. Die Struktur der Untersuchung
87
Auf der juristischen Mikroebene stehen zunächst die positiven Rechtsregularien des einfachen Rechts in den jeweiligen Lebensbereichen, die staatlichen Privatisierungsbemühungen im Einzelfall und mit ganz unterschiedlichen Grenzverläufen Einhalt gebieten können. Es gab und gibt eine Fülle solcher Privatisierungshindernisse, etwa im Bereich des Dienstrechts, des öffentlichen Haushaltsrechts311 oder bei (einfach-) gesetzlichen Festlegungen der Verwaltungsorganisation, wenn etwa eine bestimmte Sachaufgabe im Rahmen der Ermächtigung des Art. 87 Abs. 3 Satz 1 GG einer Bundesoberbehörde zur Wahrnehmung ausdrücklich zugewiesen ist. Das rechtswissenschaftliche Interesse richtet sich hier in erster Linie auf praktikable Modellbildungen bzw. die Prüfung dessen, welche Aufgaben, insbesondere Verwaltungsaufgaben, im Rahmen des geltenden einfachen Rechts in die Hände Privater gegeben werden können. Auch das Aufzeigen des gesetzlichen Änderungsbedarfs gehört sachlich auf diese Ebene. Im Rahmen der Fragestellung nach notwendigen Staatsaufgaben spielt diese eher rechtstechnische Ebene des einfachen Rechts keine zentrale Rolle. Bedeutung kommt ihr insofern zu, um zu ermitteln, wie die staatliche Verantwortung in bestimmten Aufgabenbereichen rechtlich strukturiert ist, und welche sachlichen Gründe diese Zuweisung von Verantwortung tragen. Die Medioebene des übergeordneten Verfassungsrechts stellt sich demgegenüber schon sehr viel abstrakter dar. Inhalt, Umfang und Intensität staatlicher Aufgabenerfüllung sind unter dem Grundgesetz auch eine verfassungsrechtliche Frage 312. Obwohl eine geschlossene Staatsaufgabenkonzeption verfassungsrechtlich nicht existiert, zieht das Verfassungsrecht einzelnen Privatisierungsmaßnahmen Grenzen. Diese verfassungsrechtsdogmatische Untersuchungsebene zielt auf die oben skizzierten Verfassungsaufgaben, deren Auslotung im Einzelfall vor dem Hintergrund eines geplanten Privatisierungsvorhabens durchaus anspruchsvoll ist. Die - abstrakteste - Makroebene versucht, den unabdingbaren Verantwortungsrahmen als legitimationstheoretische Grundlage des heutigen Staates zu erfassen. Man könnte auch von den ethischen Grundlagen des Staates sprechen, die sich nicht alleine aus der Verfassung ergeben , ohne deswegen über der Verfassung zu stehen. Als Frage formuliert: Welche 3,1
Dazu K. Grupp, DVBL 1994, S. 140; Beispiele aus anderen Rechtsgebieten bei L. Grämlich, BB 1990, S. 1499. 312 G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 157 und ders., Der Staat 28, S. 103; W. Schmidt, VVDStRL 33, S. 183 ff. 313 Ο. Höffe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 718, für den sich die Frage nach der Legitimation neuer Staatsaufgaben prinzipiell nicht in anderer Weise stellt als beim alten „Zwangsstaat".
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Α. Grundlegung
Sachaufgaben verlangen noch eine staatliche Wahrnehmung; kann es die dabei empirisch vorausgesetzte Problemlösungskompetenz des Staates heute überhaupt noch geben? Solche juristische „Grundlagenforschung" weist über das Verfassungsrecht hinaus. Entsprechende Versuche sind rar, von der Tradition und ihrer gebräuchlichen Begrifflichkeit dürfen dabei nur Fingerzeige erwartet werden 314. Auch mit der deskriptiv verfahrenden Addition unterschiedlicher Aufgabenbeschreibungen und einer Art Querschnittsbildung wäre wissenschaftlich wenig gewonnen, ebenso wenig wie mit einer ebenfalls deskriptiv verfahrenden staatsvergleichenden Perspektive315. Die theoretische Untersuchung setzt im dritten Hauptteil (C) auf der Makroebene an und versucht, theoretische Maßstäbe für die Bestimmung notwendiger Staatsaufgaben bzw. des staatlichen Verantwortungsrahmens zu entwickeln. Dass die Theorie dabei nur Grundlinien zeichnen kann und im Detail vieles offen bleiben muss, spricht nicht gegen die Theorie, sondern ist Ausdruck einer angemessenen Einschätzung dessen, was theoretische Erwägungen auf diesem Feld überhaupt leisten können. Überflüssig sind solche Erwägungen deswegen nicht, sondern sie bilden den hermeneutischen Rahmen, der den Detailfragen jedenfalls die Richtung einer angemessenen Lösung weisen kann. 3. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Modalität der Aufgabenerfüllung Mit dem Prädikat der notwendigen Staatsaufgabe steht noch nicht automatisch fest, dass die Beteiligung Privater an der Erfüllung dieser Aufgaben schlechterdings ausgeschlossen ist. Im vierten Hauptteil (D) werden die rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Erfüllung von notwendigen Staatsaufgaben untersucht (Erfüllungsdirektiven). Nicht nur die spezifische Aufgabenqualität als notwendige Staatsaufgabe, sondern vor allem auch die normativen Vorgaben für deren Erfüllung begrenzen den Handlungsspielraum für Privatisierungsmaßnahmen. Es sind deswegen zunächst die rechtlichen Erfüllungsdimensionen nach ihrer Reichweite zu untersuchen: verfassungsrechtliche Strukturierung der Organisation 314
Als sogenannte klassische Staatsaufgaben werden etwa genannt: Selbstorganisation des Staates, Selbstschutz des Staates im Innern und nach außen; Gefahren Vorsorge; Außen Vertretung; Justizgewähranspruch und seine Durchsetzung; Währungs-, Maß- und Gewichtswesen, vergi. F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 355. 315 Ein faktischer Aufgaben vergleich unterschiedlicher Staaten wäre ebenso wie ein Verfassungsvergleich im Hinblick auf den jeweiligen Aufgabenbestand reizvoll, würde sich aber in die hier entwickelte normative Fragestellung nicht einfügen.
IV. Die Struktur der Untersuchung
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und der Instrumente zur Aufgabenerfüllung, Anforderungen an die staatliche Wissensbasis, Umfang und Grenzen der rechtlich zulässigen Einschaltung von Privaten in die Erfüllung notwendiger Staatsaufgaben, Direktiven zur Bedarfsdeckung mit Sachmitteln und Dienstleistungen sowie die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Aufgabenfinanzierung. Auf diese Weise werden die theoretischen Überlegungen im dritten Hauptteil wiederum in den Kontext des Verfassungsrechts rückgebunden. 4. Rechtliche Grenzen der Privatisierung: Erprobung im Aufgabenfeld der inneren Sicherheit Greifbare Ergebnisse der Untersuchung sind allerdings nur dann zu erwarten, wenn diese Anforderungen nicht nur abstrakt, sondern wiederum bezogen auf konkrete Problemfelder untersucht werden. Die tatsächliche Ausformung und die (einfach-) rechtlichen Erledigungsstrukturen der betreffenden Aufgabenbereiche sind dabei gleichermaßen in den Blick zu nehmen und anhand praktischer Beispiele im Hinblick auf die normative Reichweite inhaltlicher und modaler Begrenzungsmerkmale für Privatisierungsstrategien zu überprüfen. Die Beispiele im fünften Hauptteil (E) werden aus dem Schwerpunktbereich der inneren Sicherheit ausgewählt, dessen Qualität als notwendige Staatsaufgabe ungeachtet verschiedener Begründungswege weitgehend unbestritten ist. Abschließend bleibt darauf hinzuweisen, dass wegen des weiten Bogens der Untersuchung bei zahlreichen Einzelfragen erhebliche Beschränkungen unvermeidlich sind.
Β. Privatisierung in der Staatswirklichkeit I. Untersuchungszweck: Bestandsaufnahme 1. Untersuchungsrahmen Ein einheitlicher Privatisierungsbegriff existiert nicht. In Theorie und Staatswirklichkeit werden ganz unterschiedliche Vorgänge mit dem Etikett der Privatisierung versehen. Auch in der Welt juristischer Begriffsbildung gibt es eine Reihe von Vorstellungen darüber, was Privatisierung in einem rechtlich greifbaren Sinne bedeutet. Dabei spielt die Grunddreiteilung zwischen formeller, materieller und funktionaler Privatisierung eine zentrale Rolle. Als Ausgangspunkt für systematische Untersuchungen ist diese Dreiteilung hilfreich. Im folgenden ist allerdings zu zeigen, dass diese gängige Differenzierung einerseits zu kurz greift, um das breite Spektrum von Privatisierungsvorgängen in der Staats Wirklichkeit angemessen zu erfassen 1. Andererseits greift die Dreiteilung zu weit, wenn sie Vorgänge der sogenannten formellen oder Organisationsprivatisierung dem juristischen Privatisierungsbegriff unterstellt. In einer ersten Annäherung an ein spezifisch juristisches Verständnis ist Privatisierung die Neuvermessung des Grenzverlaufs zwischen den Aufgabenbeständen des Staates und der Gesellschaft. Privatisierung ordnet die Verteilung und Ausführung von bisherigen Staatsaufgaben zwischen Staat und Gesellschaft wenigstens teilweise neu. Der Staat gibt dabei regelmäßig bestimmte Funktionen an Private ab2. Zunächst muss ein Maßstab gefunden werden, der eine Bestandsaufnahme unterschiedlicher Privatisierungstypen erlaubt. Dieser Maßstab besteht in der unterschiedlichen Intensität des staatlichen Zugriffs auf bestimmte Sachaufgaben und auf private Ressourcen für die Aufgabenerfüllung. Im Vordergrund der Erfüllungsressourcen steht das mit der jeweiligen Aufgabenausführung betraute Personal. Privatisierungsvorgänge werden vor der Folie dieses Maßstabes als ein Kontinuum mit unterschiedlich stark ausgeprägter Teilhabeintensität von Privaten an der jeweiligen Sachaufgabe geschildert. Die Überprüfung der Staatswirklichkeit ist damit zugleich auf 1
Ebenso J. A. Kämmerer, JZ 1996, S. 1043. Nach J. A. Kämmerer, JZ 1996, S. 1044 ist Privatisierung ,jede Form der Abgabe von Rechtsmacht durch den Staat zugunsten von Privatrechtssubjekten". 2
I. Untersuchungszweck: Bestandsaufnahme
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herkömmliche Organisationsformen der Erledigung von Verwaltungsaufgaben3 durch Private rückbezogen. Die graduellen Abstufungen bei der Intensität der Einbeziehung von Privaten in die Erfüllung von Staatsaufgaben bewegen sich auf einer breiten Skala. Es lassen sich abgestufte Privatisierungsgrade zwischen den beiden äußersten Punkten der uneingeschränkten Erledigung von Staatsaufgaben durch staatliche Stellen mit eigenen Ressourcen und der vollständigen Ausgliederung von Aufgabenbeständen aus dem staatlichen Regime unterscheiden. Die vollständige Aufgabenausgliederung ohne jeden Rest an staatlichen Einwirkungspflichten läuft auf nichts anderes als die Preisgabe der Sachaufgabe als Staatsaufgabe hinaus. Privatisierung ist ein dynamischer Prozess. Der dadurch bewirkte Wandel selbst ist kennzeichnend für die Verlagerung und Ausdifferenzierung von Aufgabenzuständigkeiten zwischen Staat und Gesellschaft. Die Bestandsaufnahme zielt deswegen nicht nur auf die Frage, wem nach geltendem Recht bestimmte Aufgaben zugewiesen sind, sondern auch auf die rechtlich greifbaren Folgen entsprechender Umschichtungsprozesse. Erst im Prozesscharakter des durch Privatisierungsvorgänge rechtlich gesteuerten Wandels werden die aktuellen staatlichen Entwicklungstendenzen darstellbar. Solche Tendenzen bedeuten gewiss weniger als historische Gesetzmäßigkeiten, aber auch mehr als bloß beliebige Veränderungen, die jederzeit wieder uneingeschränkt rückgängig gemacht werden können. 2. Kontrastperspektive Privatisierungsvorgänge werden im allgemeinen als staatliches Rückzugsphänomen gedeutet. Staatliche Rückzugsbewegungen heben sich im Kontrast zu gegenläufigen Entwicklungen in der Staatswirklichkeit besonders deutlich ab. Diese Kontrastperspektive wird durch die beiden entgegengesetzten Pole der Ausweitung von Staatstätigkeit einerseits und der Rücknahme von Staatstätigkeit und Staatlichkeit andererseits festgelegt 4. Sie erlaubt es, eine Vielzahl von Phänomenen in der Staatswirklichkeit schlagwortartig zu erfassen und dem jeweiligen Pol zuzuordnen. Auch wenn es sich bei diesen Gegenpolen um ein recht grobes und präzisierungsbedürftiges Orientierungsmuster handelt, werden damit zwei starke faktische Grundbewegungen moderner Staatlichkeit gegeneinander gestellt. Obwohl 3
Staatsaufgabe ist Oberbegriff, der auch Verwaltungsaufgaben umfasst, L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 207. 4 Privatisierung ist danach weder Mittel staatlichen Handelns noch selbst eine Staatsaufgabe (allenfalls in dem Sinne, dass der Staat „die Verantwortung für die Grenzen seine Wirksamkeit" trägt).
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
der politische Wille derzeit stärker die Rücknahme staatlicher Tätigkeit und staatlicher Steuerung betont, gibt es zeitgleich kraftvolle gegenläufige Tendenzen, die auf neue staatliche Aufgaben und Interventionen in den gesellschaftlichen Raum abzielen5. Privatisierungskonzepte werden im Kontext von Schlagwörtern wie Aufgabenreduzierung oder schlanker Staat als Gegenpol zum Phänomen der permanenten Ausweitung von Staatstätigkeit verstanden und als politische Forderung auch gezielt in diesem Sinn eingesetzt. Der Zuordnungspol des Rückzugs aus staatlichen Aufgaben reicht allerdings sehr viel weiter als der Begriff der Privatisierung. Als Rückzugsstrategien aus dem staatlichen Steuerungs- und (Mit-) Gestaltungsanspruch von Lebensbereichen lassen sich etwa auch haushaltsrelevante Sparmaßnahmen verstehen wie die Kürzung von Sozialleistungen, die Streichung von Subventionen, der Abbau von Stellen im öffentlichen Dienst oder die Einstellung von staatlichen Leistungsangeboten anderer Art 6 . Die verwaltungswissenschaftliche Perspektive ergänzt die vielfältigen Formen der Rücknahme staatlicher Steuerung durch die Analyse der Einschaltung privater oder jedenfalls weitgehend staatsunabhängiger Einrichtungen in die Erfüllung von Staatsaufgaben7. Insbesondere im Sozialrecht ist die Figur der gezielten Komplementärerfüllung durch organisierte gesellschaftliche Akteure vertraut 8. Ein markantes Beispiel dafür bildet die Einschaltung freier Träger der Jugendhilfe (Arbeiterwohlfahrt, Caritas, Diakonisches Werk), die auf freiwilliger Grundlage dazu beitragen können, den gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz aus § 24 Abs. 1 SGB VIII zu erfüllen, für dessen Bereitstellung die Träger der öffentlichen Jugendhilfe gemäß §§3 Abs. 2, 79 SGB VIII zuständig sind. Auch die Freigabe von Arbeitszeiten in Arbeitszeitgesetzen wird als Staatsrückzug interpretiert 9. Die Entkriminalisierung durch die Aufhebung von Straftatbeständen, deren Herabzonung zu bloßen Ordnungswidrigkeiten 5 D. Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 623, weist zu Recht darauf hin, dass die Privatisierung staatlicher Aufgaben dem Zuwachs nicht annähernd die Waage hält. 6 Beispiele finden sich insbesondere bei den Kommunen, etwa die Schließung des städtischen Schwimmbades/Theaters/Stadthalle etc. 7 Etwa C. Hood/G. F. Schuppert (Hrsg.), Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Westeuropa. Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Para-Government Organisations (PGOs), 1988, S. 34, 349 ff.; M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 160 ff., der viele Erscheinungsformen freiwilliger privater Initiative und Aktivität als Beitrag zur Erfüllung von öffentlichen Aufgaben (S. 165) auf einer „gleitenden Skala zwischen den Polen klassisch-imperativen Zwangs und rein gesellschaftlicher Konfliktschlichtung" einordnet (S. 221). 8 U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 250 f. 9 Vergi. R. Stober, DÖV 1995, S. 127; ders., JZ 1996, S. 548 f.; R. Schmidt, in: S. Biernat/R. Hendler/F. Schoch A. Wasilewski (Hrsg.), Grundfragen des Verwaltungsrechts und der Privatisierung, 1994, S. 216 ff.
I. Untersuchungszweck: Bestandsaufnahme
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oder die Schaffung erleichterter Einstellungsvoraussetzungen im Vorfeld des Strafprozesses 10 lässt sich ebenfalls als staatliche Rückzugsstrategie auffassen. Nicht nur im Bereich der Verwaltung, sondern auch für die Normgebung11 lassen sich staatliche Rückgriffe auf die Handlungsbeiträge von Privaten feststellen. Tatsächlich kann der Staat den Normenhunger der Gesellschaft häufig nicht mehr durch die Setzung von Rechtsnormen aus eigener Hand befriedigen. Vor allem in technischen Bereichen greifen Gesetzgeber und Verwaltung häufig auf bereits vorhandene private Regelwerke zu oder beauftragen Private gezielt mit der Normgebung12. Diese im Ursprung privaten Normgefüge werden auf unterschiedliche Weise in das staatliche Rechtssystem13 inkorporiert, um deren Mangel an demokratischer Legitimation 14 zu kompensieren. Ungeachtet aller rechtstechnischen Konstruktionen, mit der eine im Ursprung private Norm letztlich die Qualität des Staatlichen oder Quasistaatlichen erlangt, hat sich diese Praxis jedenfalls weit vom Leitbild originärer staatlicher Gesetzgebung entfernt. Daneben gibt es noch zahlreiche weitere Bereiche, in denen sich staatliche Rücknahmebewegungen analysieren ließen15. Selbst im Bereich der Justiz finden sich - jedenfalls in Randbereichen - Privatisierungsüberlegungen. 10
Zu deren Zulässigkeit BVerfGE 46, 241/222 f. Zu privater Normgebung M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 202 ff., der die Aufstellung privater technischer Normen als gesellschaftliche Selbststeuerung par excellence würdigt. 12 Insbesondere zur Ausfüllung der Generalklausel „Stand von Wissenschaft und Technik", grundlegend BVerfGE 49, 89 ff.; C. Gusy, NVwZ 1995, S. 105 ff.; P. Marburger, Die Regeln der Technik im Recht, 1979; R. Breuer, AöR 101, S. 46 ff.; M. Kloepfer/T. Eisner, DVB1. 1996, S. 964 ff.; zur jüngsten, durch die Vorgaben europäischen Rechts geprägten Entwicklung A. Roßnagel, DVB1. 1996, S. 1182. 13 Sei es als statische Verweisung, sei es als dynamische Verweisung im Wege des sogenannten antizipierten - und damit widerleglichen - Sachverständigengutachtens. Entscheidend ist, dass es zu keiner versteckten Verlagerung von Gesetzgebungsbefugnissen kommt, vergi. BVerfGE 47, 285/312 f.; W. Brugger, VerwArch 1987, S. 41 ff. 14 Problematisch etwa die §§ 22 f. des Umweltauditgesetzes vom 7.12.1995, BGBl. I S. 1592. Die Mitglieder des Umweltgutachterausschusses, der bestimmte Richtlinien erlassen kann, die allgemeine Verwaltungsvorschriften im Sinne des Art. 86 GG sind (BT-Drs. 13/1192, S. 31), werden mehrheitlich nicht durch demokratisch legitimierte Staatsorgane ausgewählt, sondern im Ergebnis durch Verbände, an deren Vorschlag das BMU gebunden ist, vergi. § 22 Abs. 3 UAG. Die Grenzen des Kooperationsprinzips dürften hier klar überschritten werden, wenn man die Anforderungen berücksichtigt, die das BVerfG an die demokratische Legitimation der Ausübung von Staatsgewalt stellt (zuletzt E 93, 37). 15 Etwa im Strafrecht, soweit es um Entkriminalisierung geht; Albrecht/Hassemer/Voss, Rechtsgüterschutz durch Entkriminalisierung, 1992. Auch in der Ausweitung privater Streitschlichtungsmodelle mag man eine Rücknahme staatlicher 11
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Auf der anderen Seite steht der grundsätzliche Gegenbefund einer permanenten Ausweitung von staatlichen Tätigkeiten in den vergangenen Jahrzehnten außerhalb jeden Streites16. Er ist in mehrfacher Hinsicht nachweisbar. Verschiedene Forschungsrichtungen haben diesen Prozess mit ihren jeweiligen Methoden und Begrifflichkeiten beschrieben, analysiert und zumeist auch kritisiert. Wichtige Ergebnisse werden im folgenden aus sechs verschiedenen Untersuchungsperspektiven nachgezeichnet. Für diese Vorläufer unter umgekehrtem Vorzeichen und Begleiter der Privatisierungsdebatte stehen die Stichworte des staatlichen Aufgabenwachstums, der Vorverlagerung des staatlichen Steuerungszugriffs, der Ausweitung der staatlichen Handlungsinstrumente und die Entwicklung neuer Kooperationsformen zwischen Staat und Privaten, des Wachstums der Staatsausgaben und schließlich der zunehmenden Verrechtlichung von vorher rechtlich nicht oder nur sparsam geordneten Lebenswelten. Ob und in welchem Umfang sich die hier zugrunde gelegte theoretische Kontrastperspektive von Ausweitung und Rücknahme staatlicher Tätigkeit auf die Privatisierung von Verwaltungsaufgaben tatsächlich übertragen lässt, kann erst im Anschluss an die Bestandsaufnahme von Privatisierungsstrategien geklärt werden.
II. Ausweitung von Staatstätigkeit 1. Staatliches Aufgabenwachstum Eine zentrale Ursache der „Krise des Verwaltungsstaates"17 liegt in der bereits erwähnten Ausweitung von Staatstätigkeit. Der Zuwachs an neuen materiellen Staatsaufgaben geht dabei in diesem Jahrhundert vor allem mit vier großen Entwicklungsschüben einher: einem sozialstaatlichen, einem industriestaatlichen sowie einem technologie- und umweltstaatlichen Schub. Als viertem Entwicklungsfaktor kann man von einem kulturstaatlichen Schub sprechen. Sozial- und wohlfahrtsstaatliche Aufgaben beziehen sich klassisch auf die Linderung von Not und die Steigerung des allgemeinen Wohlstandes. Unge(Rechtsprechungs-) Funktionen erblicken, vergi. Zur Mediation D. Strempel, in: H. Krabbe (Hrsg.), Scheidung ohne Richter, 1991, S. 236 ff. 16 Als Entwicklungstendenz ist das „Gesetz" Adolph Wagners von der wachsenden Staatstätigkeit, Handwörterbuch der Staatswissenschaften, Erster Supplementband 1895, S. 121y im wesentlichen unbestritten; vergi, dazu etwa M. Kloepfer, VVDStRL 40, S. 70 f. und oben Α. I. 1. 17 R. Pitschasy Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 48 ff., für den die Krise „nicht zuletzt auch eine Krise der vorherrschenden Verfahren und Methoden (ist), die der Staat zur Bewältigung seiner Aufgabenfülle anwendet" (S. 59).
II. Ausweitung von Staatstätigkeit
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achtet des häufig propagierten Endes des Wohlfahrtsstaates kommt es auch in jüngster Zeit noch zu erheblichen sozialstaatlichen Entwicklungsschüben. Hingewiesen sei nur auf die Schaffung der Pflegeversicherung als einem besonderen Zweig der Sozialversicherung 18. Industriestaatliche Aufgaben werden in der Hauptsache in den Bereichen der Wirtschaftsförderung und der Arbeitsmarktpolitik wahrgenommen, aber auch im Rahmen von Wissenschaft und Forschung19 oder der Vereinfachung und Beschleunigung staatlicher Genehmigungsverfahren 20. Technologische Entwicklungen sind Ursache zahlreicher neuer Staatsaufgaben21, wobei zunehmend die rechtliche Steuerung der ungewollten Folgen22 des technischen Fortschritts im Vordergrund steht. Die staatliche Steuerung von Risiken bildet den Motor der Entwicklung. Der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen und damit das gesamte moderne, insbesondere auf Vorsorge zielende Umweltrecht 23 bilden aus diesem Blickwinkel keine prinzipielle Besonderheit gegenüber älteren Formen staatlicher Steuerung technologischer Expansionsprozesse. Das gleiche gilt für die Gentechnologie, die Organtransplantation oder Fragen der künstlichen Befruchtung, aber auch für den Rundfunk, den Datenschutz und aus jüngster Zeit für das Problem der effektiven Steuerung weltweiter Kommunikationsprozesse (Internet, Multimedia) im Rahmen des nationalen Rechts. Beim kulturstaatlichen Wachstumsschub stehen mannigfaltige Kulturzwecke im Vordergrund 24. Trotz erheblicher Einsparungen kommt es auch 18
Pflege-Versicherungsgesetz BGBl. I 1994, S. 1014. Forschungsförderung und Hochschulbau (Art. 91a und 91b GG) haben auch eine industriepolitische Komponente, vergi, die gewollten arbeitsmarktpolitischen Effekte des Ausbaus der Fachhochschulen (vergi, die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu Fachhochschulen und zu den Rahmenplänen für den Hochschulbau in der zweiten Hälfte der 80 er und zu Beginn der 90 er Jahre). 20 Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und schleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren, Hrsg. Bundesministerium für Wirtschaft 1994; Abschlussbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat". 21 E. Forsthoff\ Der Staat der Industriegesellschaft, 1971, S. 31; zur Abhängigkeit des Menschen vom Funktionieren der Technik durch die Abnahme des individuell beherrschten Lebensraumes auch H. Schelsky, Auf der Suche nach der Wirklichkeit. Gesammelte Aufsätze, 1965, S. 440 f. 22 Der Begriff der Nebenfolgen ist unpräzise, da er bereits eine - negative - Bewertung tatsächlich eintretender Folgen enthält. Dies bringt der Terminus der ungewollten Folgen klarer zum Ausdruck. Vergi, zu den negativen Auswirkungen nur W. Köck, AöR 121, S. 2 ff., der sich insbesondere auch auf G. Anders, Die Antiquiertheit des Menschen Bd. 1, Nachdruck 1987 der 7. unveränd. Aufl., und Bd. 2, Nachdruck der 1987 der 4. unveränd. Aufl., bezieht. 23 H. Hofmann, Die Aufgaben des modernen Staates, in: M. Kloepfer (Hrsg.), Umweltstaat, 1989, S. 36; R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 19 ff. 19
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
hier zu neuen Wachstumsbranchen; beispielhaft hingewiesen sei nur auf den Ausbau der deutschen Museenlandschaft. Ein grundsätzlicher Abbruch dieser Entwicklungen ist trotz unübersehbarer Einschränkungen und erheblicher Einsparungen nicht eingetreten. Auch wenn die Grenzen der Finanzierbarkeit sich abzeichnen und im Zuge wachsender internationaler Verflechtungen die Bedingungen für die nationale Rechtsetzung und Aufgabenerledigung sich zunehmend verändern, entstehen in der Gegenwart inhaltlich immer wieder neue Staatsaufgaben aus diesen Quellen. Die Entstehung von neuen Staatsaufgaben hat ihren Ursprung in der Regel im gesellschaftlichen Bedarf nach rechtlicher Steuerung und/oder nach staatlicher Finanzierung25. Die bereits erwähnte Tendenz zur „gesellschaftlichen Gesamtverantwortung des Staates"26 spiegelt sich in der Ausweitung und dem Wandel seines Aufgabenbestandes. Dahinter steht ein im Prinzip einfacher Mechanismus: Ein Staat, der alles verantworten soll, muss auch an allem mitwirken können27. Ablesbar wird dieser Prozess auch am Wandel des Verfassungstextes. In den vergangenen Jahrzehnten hat der Bedarf nach staatlicher (Zentral-) Steuerung früher oder später in vielen wichtigen Lebensbereichen seinen Niederschlag im Grundgesetz und dort überwiegend bei den Gesetzgebungskompetenzen gefunden 28. Auch wenn Gesetzgebungskompetenzen im 24
Vergi. P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl. 1996, S. 118 f. und 125. Kulturzwecke erschöpfen sich nicht in der staatlichen Kunst- und Sportförderung, sondern dazu lassen sich etwa alle staatlich geförderten Bildungsangebote, Wissenschaft, Religion, das Schul- und Erziehungssystem, Museen und - als Querschnittmaterie - der Denkmalschutz zählen. 25 Das Wachstum der Staatsaufgaben hat insofern seine Entsprechung im Wachstum der Erwartungen an die erfolgreiche staatliche Steuerung von Lebensbereichen, vergi, zum Zusammenhang von ErwartungsWachstum und rechtlichen Expansionsprozessen H. Helsper, in: R. Riedl/M. Delpos (Hrsg.), Die Ursachen des Wachstums, 1996, S. 258 ff. 26 D. Grimm, in: Staatslexikon, 7. Aufl., Bd. 5 1989, Sp. 641; U. Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 447, vermerkt die „Rückkehr des kameralistischen Staatsverständnisses der Allzuständigkeit für gesellschaftliche Entwicklungen". 27 H. P. Bull, in: ders. (Hrsg.), Sicherheit durch Gesetze?, 1987, S. 15 ff.; C. Gusy, StWStP 1994, S. 198. 28 Seit der Entstehung des Grundgesetzes hat sich der Bestand bundesstaatlicher Gesetzgebungskompetenzen kontinuierlich ausgeweitet. Lange vor der Schaffung der Staatszielbestimmung des Art. 20 a GG stand die Einfügung des Art. 74 Abs. 1 Nr. 24 GG. Aus neuerer Zeit vergi, nur Art. 74 Abs. 1 Nr. 26 GG. Eine verfassungswidrige Praxis des Zusammenwirkens von Bund und Ländern bei der Finanzierung des Hochschulausbaus in den 60 er Jahren wurde durch die Schaffung der Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau in Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG legalisiert, vergi. Gutachten über die Finanzreform in der Bundesrepublik Deutschland (sog. Troeger-
II. Ausweitung von Staatstätigkeit
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Bundesstaat nicht ohne weiteres mit Staatsaufgaben gleichgesetzt werden dürfen, verdeutlicht diese Entwicklung, dass viele zentrale gesellschaftliche Fragen sich verfassungsrechtlich als Handlungsermächtigungen in Form von Gesetzgebungskompetenzen für den Bund verfestigt haben29. Die Einsicht in die grundsätzliche aufgabenexpansive Bedeutung dieses Kompetenzzuwachses wird gerade auch dann verfehlt, wenn sie alleine aus dem BundLänderverhältnis im Sinne einer Ausweitung von Bundeskompetenzen auf Kosten der Länder gedeutet wird. Kern der Entwicklung ist der stetig wachsende Bedarf nach einheitlicher und räumlich übergreifender Rechtsetzung für immer neue Sachmaterien, wobei es aus dieser Perspektive eine eher untergeordnete Rolle spielt, auf welcher staatlichen Handlungsebene - Bundesgesetz oder Länder-Selbstkoordinierung - diesem Bedarf Rechnung getragen wird. 2. Zeitpunkt des staatlichen Steuerungszugriffs Wohl jeder technologische Fortschritt ist ambivalent und erzeugt nicht nur Chancen, sondern auch Gefahren und Risiken. Mit der Beschleunigung der technologischen Entwicklung wachsen Ungewissheiten und Unwägbarkeiten und damit gleichzeitig der Bedarf nach Sicherheit und Berechenbarkeit im zukünftigen Umgang mit diesen Technologien. Quantitativ und qualitativ bislang unbekannte Risiken und eine gestiegene Sensibilität für deren Wahrnehmung haben dazu geführt, den Ansatzpunkt rechtlicher Steuerung zeitlich gesehen immer weiter nach vorne zu verschieben. Rechtliche Regelungen setzen lange vor dem Eintritt eines gefährlichen Ereignisses an. Früherkennung und frühzeitige Vermeidungsstrategien im Hinblick auf eventuell drohende Schadensereignisse in der Zukunft haben sich zu bestimmenden Zügen staatlicher Steuerung durch Recht entwickelt. Damit verschiebt sich die Strategie staatlicher Gefahrenbekämpfung in grundlegender Weise von der Nachsorge zur immer früher ansetzenden Risikovorsorge. Kehrseite dieser Entwicklung ist, dass das staatliche Aufgabenwachstum durch frühzeitig eingreifende Vorsorgemaßnahmen gegenüber Risiken stark beschleunigt wird. Die „Vorverlagerung des Interventionspunktes"30 lässt Gutachten), 1966, Rdn. 137 f.; B. Tiemann, Gemeinschaftsaufgaben von Bund und Ländern in verfassungsrechtlicher Sicht, 1970, S. 227 f. 29 Zumindest die nach der Entstehung des Grundgesetzes in die Verfassung eingefügten Gesetzgebungskompetenzen des Bundes dürften mindestens ein „Fingerzeig" - so P. Badura, Staatsrecht, 2. Aufl. 1996, Anm. D. 40 - auf staatliche Aufgaben sein, vergi, oben A. II. 5. b). 30 R. Herzog, Festschrift P. Lerche, 1993, S. 21 ff.; W. Leisner, Umweltschutz durch Eigentümer, 1987, S. 140 ff.; der Sache nach taucht der Gedanke bereits bei 7 Gramm
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
das Recht in vielen Bereichen immer stärker von einem Recht der Gefahrenabwehr zu einem Recht der Vorsorge werden. Damit geht ein Qualitätssprung von der bloß reaktiven staatlichen Steuerung zum aktiven und offensiven Langfrist-Management von Problemen einher. Den staatlichen Entscheidungs- und Handlungseinheiten verlangt dies ein erhebliches Mehr an Fachwissen und Steuerungskompetenzen ab, als dies bei herkömmlich reaktiven Steuerungsstrategien der Fall ist. Vorsorge als Rechtsprinzip zielt wesentlich auf die Begrenzung und Kontrolle von „negativen Wachstumsprozessen"31, die zunächst einmal erkannt und im Hinblick auf erfolgreiche Risikosteuerung bewertet werden müssen. Vor allem im Bereich der Umweltschäden ist dies zu registrieren. Die Chance, einen sachlich eingeschränkten und abgeschlossenen Katalog von Staatsaufgaben zu finden, wird unter diesen Umständen erst recht aussichtslos32, zumal der staatlichen Aufgabenexpansion durch Prävention kein entsprechendes aufgabenbegrenzendes Gegenprinzip zur Seite steht. Das gilt nicht nur für das weite Feld sozialstaatlich motivierter Vorsorgesysteme, sondern etwa auch für diejenigen Lebensbereiche, in denen individualisierbare Handlungsbeiträge wegen des Phänomens eines massenhaften, für sich genommen harmlosen Alltagsverhaltens nicht auszumachen und dennoch eintretende Schäden deswegen nicht zurechenbar sind. Charakteristisch hierfür ist, dass erst die Summierung aus solchen Alltagsverhaltensweisen zu messbaren Schädigungen führt. Bekannt ist dieser Mechanismus im Bereich der natürlichen Lebensgrundlagen bei den Summationsschäden. Das Wort vom Präventionsstaat33 kennzeichnet diesen qualitativ tiefgreifenden Wandel staatlicher Steuerung durch Recht, der sachlich freilich keineswegs auf den Umweltsektor beschränkt ist. In vielen Lebensbereichen ist die staatliche „Freiheitsvorsorge" 34 zu einem wichtigen und übergreifenden Zweckelement staatlicher Aufgabenwahrnehmung geworden. Vorsorge A. Wagner, Grundlegung der politischen Oekonomie, 3. Aufl. 1892, 1. Teil, 1. Halbbd., S. 884 im „Gesetz" vom Vorwalten des Präventivprinzips im entwickelten Rechts- und Kulturstaat auf; zu diesem Zusammenhang mit dem Vorsorgeprinzip R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 20 ff., 56. 31 Zu den Ursachen des schädlichen Wachstums auf der Grundlage der evolutionären Erkenntnistheorie R. Riedl/M. Delpos (Hrsg.), Die Ursachen des Wachstums, 1996. 32 N. Luhmann, Soziologie des Risikos, 1991, S. 171 f. Das politische System werde zur Politisierung von Risiken gedrängt und sei dem nahezu wehrlos ausgeliefert. 33 E. Denninger KJ 1988, S. 1; D. Grimm, KritV 1986, S. 38; U. Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994. 34 Zum Stich wort Freiheits Vorsorge bereits A. Hollerbach, in: Philosophische Perspektiven V, 1973, S. 29 ff.; R. Herzog, HStR III, 1988, §58 Rdn. 75 ff. (S. 113 ff.).
II. Ausweitung von Staatstätigkeit
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erweist sich damit als einer der wichtigsten Expansionsfaktoren für das Recht der Gegenwart. 3. Staatliche Handlungsinstrumente Parallel zur Ausweitung staatlicher Aufgaben und Zweckrichtungen wächst auch das Arsenal der staatlich eingesetzten Handlungsinstrumente. Vor allem der skizzierte Wandel der Aufgabenqualität hat neue staatliche Handlungsformen freigesetzt. Aufgaben, die den Rahmen der traditionellen Eingriffsverwaltung überschreiten, verlangen nach anderen Mitteln zu ihrer Erfüllung. Wohlfahrtsstaatliche Aufgaben und der Versuch der präventiven Steuerung gesellschaftlicher und technologischer Prozesse haben zu einer weiteren Vermehrung der staatlichen Instrumente geführt. Deutlich zeigt sich dies in neueren Rechtsgebieten und hier ganz besonders im Umweltrecht 35. Konsequenz der umfassenden Ziele staatlichen Handelns ist es, dass der Staat sie weithin nur ohne Einsatz seines Gewaltmonopols realisieren kann36. Damit verliert er in den betroffenen Lebensbereichen zugleich die Exklusivität seiner Handlungsmittel37. Wissenschaft und Praxis haben diesen Wandel insbesondere unter dem Stichwort des informalen Verwaltungshandelns38 analysiert und rechtsdogmatisch aufgearbeitet 39. In den Vordergrund treten dabei zunehmend auch 35
Vergi, nur R. Breuer, NVwZ 1997, S. 833 ff. D. Grimm, VVDStRL 48, S. 135 37 D. Grimm, in: ders. (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 623 und 627 f. Besonders deutlich wird dies am Beispiel staatlichen Aufklärungshandelns im Rahmen von Sozialkampagnen, bei denen der Staat mit launigen Fernseh-Spots so wie ein Unternehmer für sein Produkt für eine bestimmtes Sozialverhalten wirbt, das mit den traditionell rechtsstaatlichen Mitteln des Ge- und Verbots allein jedenfalls nur unzureichend zu erreichen wäre, Beispiel Aids-Kampagne, dazu C. Gramm, NJW 1989, S. 2917. Die Konsequenz dieser Einsicht für die Staatstheorie ist von erheblicher Bedeutung: Der Satz, wonach sich der moderne Staat nicht von seinen Zwecken, sondern nur von seinen Mitteln her definieren lässt - vergi. J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 42 (S. 20) - ist in dieser Form nicht oder allenfalls um den Preis zu halten, dass man zahlreiche staatliche Handlungsweisen für die Staatstheorie von vornherein als irrelevant außer Betracht lässt. Um so dringlicher ist freilich eine normative Bestimmung notwendiger Staatsaufgaben. Auch Isensee relativiert im übrigen seinen mittelspezifischen Ansatz und räumt ein, dass es „- im Rahmen der geschichtlich bedingten Verfassungslage - ausschließliche Staatsaufgaben (gibt), soweit nämlich bestimmte Tätigkeitsfelder des Staates durch den Einsatz spezifischer Mittel des Staates geprägt sind, vornehmlich den Einsatz physischer Gewalt". (a.a.O. Rdn. 42 FN 59). 38 E. Bohne, Der informale Rechtsstaat, 1981; ders., VerwArch 1984, S. 343 ff.; H. Schulze-Fielitz, Der informale Verfassungsstaat, 1984. 39 F. OssenbühU Umweltpflege durch behördliche Warnungen und Empfehlungen, 1986; G. Robbers, DÖV 1987, S. 272; G. Lübbe-Wolff, NJW 1987, S. 2705; 36
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
weiche Steuerungsmittel, etwa die geistige Einflussnahme durch staatliche Warnungen und Publikumsinformationen 40 oder neuerdings bestimmte Anreizstrukturen im Kontext sogenannter selbstregulativer Ansätze, bei dem „Rezeptoren für öffentlich festgelegte Belange in egoistische außerstaatliche Systeme" eingebaut werden 41. Signifikant ist der Einsatz staatlicher Aufklärungsmaßnahmen zu präventiven Zwecken, wenn staatliche Stellen ein bestimmtes Verhalten empfehlen oder ganz allgemein zu einer vernünftigen und moralischen Lebensführung ermuntern. Die Tendenz zur Ausweitung von appellierendem Staatshandeln hat sich gegen Ende der 12. Legislaturperiode sogar in einem Antrag niedergeschlagen, in die Verfassung einen Art. 2 a GG einzufügen, wonach jeder zu Mitmenschlichkeit und Gemeinsinn aufgerufen ist 42 Die scharfen Grenzen von rechtlicher Steuerung und moralischer Selbstbestimmung geraten dadurch in Auflösung. Der Erfolg des Einsatzes solcher überzeugungsbildender Maßnahmen (Appellfunktion) lässt sich allerdings nur schwer oder gar nicht messen. Die Ausweitung staatlicher Handlungsinstrumente deutet zugleich auf ein gewandeltes Verhältnis von Staat und Bürgern hin. Dabei impliziert die Aufgabenvielfalt des modernen Staates, dass zahlreiche Zwecke ohne die Einbeziehung von Privatpersonen in die Aufgabenerledigung auf freiwilliger Grundlage nicht effektiv verfolgt werden können. Im „kooperativen Staat"43 der Gegenwart werden die Übergänge von Staat zu Gesellschaft immer fließender 44. Neben die rechtliche Zentralsteuerung und direkte staatliche Intervention treten Formen der polyzentrischen Steuerung, der Aushandlung und der staatlich gelenkten Selbststeuerung45, der gesellschaftlichen Selbstregulierung 46 und komplexer Aufgabenarrangements mit stark geteilten und differenzierten Verantwortlichkeiten 47.
R. Philipp, Staatliche Verbraucherinformationen im Umwelt- und Gesundheitsrecht, 1989. 40 C. Gramm, Der Staat 30, S. 51 \ H. Hill, JZ 1993, S. 330 und DÖV 1994, S. 279; F. Schürmann, Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, 1992; U. Di Fa bio , JZ 1993, S. 689; ders., JUS 1997, S. 1 ff. 41 U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 246. Freilich sind solche Ansätze zur Motivierung privater Handlungsbereitschaft strukturell nicht grundlegend neu, wie Anreizstrukturen im Bereich der indirekten Subventionen (Steuervorteile) belegen. 42 BT-Drs. 12/6708; dazu C. Gramm, JZ 1994, S. 611. 43 E.-H. Ritten AöR 104, S. 389; ders., StWStP 1990, S. 50; G. F. Schuppen, DÖV 1995, S. 763; zum Begriff des kooperativen Rechts H. Schulze-Fielitz, DVB1. 1994, S. 657 ff. 44 H. Dreier („Netzwerke"), Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 28 f. und 299 ff. 45 G. Teubners Konzept eines reflexiven Rechts, ARSP 1982, S. 14 ff.; H. Willke, Ironie des Staates, 1992; W. Brohm in: H. Hill (Hrsg.), Zustand und Perspektiven der Gesetzgebung, 1989, S. 221 ff.
II. Ausweitung von Staatstätigkeit
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Für die einen vollendet sich im Leitbild des kooperativen Staates damit moderne Staatlichkeit überhaupt, da hierin das letztlich autoritäre Element staatlicher Herrschaftsausübung weitgehend überwunden werde. Kooperation bedeutet aus dieser Sicht vereinfacht gesagt nicht einseitige staatliche Entscheidung, sondern Konsensfindung durch die Erarbeitung gemeinsamer Positionen. Für das Leitbild eines traditionell rechtsstaatlichen Staatsverständnisses stellen Kooperationsformen zwischen Staat und Privaten dagegen tendenziell auch ein Eingeständnis der abgeschwächten Handlungsmacht des Staates und damit eine Rücknahme des staatlichen Ordnungsanspruches dar. Soweit die Aufgabenvermehrung zu kooperativen Formen der Erledigung zwingt, liegt darin aus dieser Sichtweise auch ein Stück Abschwächung von Staatlichkeit. Analog dazu findet staatsintern ein Prozess der Verselbständigung einzelner Verwaltungsträger im Wege der Selbstverwaltung und durch die Schaffung von „Quasi-non-governmental-Organizations" (Quangos)48 und komplexen Binnendifferenzierungen statt. Halbstaatliche Organisationen und Selbstverwaltungskörperschaften sind dabei nur ein Teil der Entwicklung. Die Tatsache weitreichender Kooperationen mit sehr unterschiedlich ausgestalteten Verbindlichkeitsstufen zwischen Staat und gesellschaftlichen Trägern lässt sich im Ergebnis ungeachtet ihrer staatstheoretischen Bewertung nicht negieren. Die Formel vom kooperativen Staat darf allerdings nicht darüber hinweg täuschen, dass hier nur eine Seite des modernen Staates eingefangen wird, die im übrigen leicht den verfehlten Eindruck der Herrschaftslosigkeit hervorrufen mag49. Mit der Fixierung auf das in seiner Erscheinung vielleicht reizvollere Neue wird allzu leicht übersehen, dass daneben immer noch zahlreiche Handlungsfelder bestehen bleiben, in denen der alte Rechtsstaat mit seiner gesetzlich geordneten Zwangsmacht der Gesellschaft gegenübertritt 50 46
Zu Formen des selbstregulativen Gesetzesvollzuges U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 242 ff., der deswegen eine „neoständische Pluralisierung des Verwaltungsverfahrens" (S. 265) befürchtet. 47 Dazu etwa W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996. 48 G. F. Schuppert, DÖV 1981, S. 153 ff.; ders., Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981. 49 Kritisch zur Kooperation als Figur der Herrschaftsfreiheit O. Höffe, Kategorische Prinzipien des Rechts, 1990, S. 299 unter Rückgriff auf R. Axelrod, Die Evolution der Kooperation, 1987. 50 So auch E. H. Ritter, StWStP 1990, S. 64; H H. Rupp, Grundfragen der heutigen Verwaltungsrechtslehre, 2. Aufl. 1991, S. IX, der keinen glaubwürdigen Ersatz für das Verfassungs- und Verwaltungsrechtssystem sieht.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
4. Staatsausgaben Die Erfüllung der Staatsaufgaben hat auch eine finanzielle Dimension. Wachsende Staatsaufgaben und steigender staatlicher Finanzbedarf sind parallel verlaufende Entwicklungen51. Tatsächlich haben Staatsquote und Staatsverschuldung im historischen Vergleich Rekordhöhen erreicht. Entsprechendes gilt für die steuerliche Belastung der Bürger, jedenfalls was Deutschland betrifft 52. In diesen Angaben spiegelt sich die finanzwirksame Dimension der Ausweitung staatlicher Tätigkeit, wobei auch die historische Sondersituation der deutschen Wiedervereinigung zu diesem Negativwachstum in erheblichem Umfang beigetragen hat. Aus rechtlicher Perspektive kann man dies am gestiegenen und immer noch steigenden Finanzbedarf nachzeichnen. Grundsätzlich sind die Staatsaufgaben aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren 53. Steigende Staatsausgaben und entsprechend steigende Steuerbelastung sind deswegen konsequenter Ausdruck des Steuerstaates. Die Verzahnung von Staatsausgaben mit der Steuer wird allerdings immer lockerer. Zunehmend ist der Steuerstaat weniger in der Lage, die Finanzierung der Staatsaufgaben aus Steuermitteln noch zu gewährleisten. In haushaltsrechtlicher Hinsicht ist zu beobachten, dass die Finanzierung von Staatsaufgaben nicht nur aus dem Staatshaushalt geleistet wird: In der Praxis werden zunehmend neue, zumindest kurzfristig haushaltsschonende Finanzierungsmodelle und Nebenhaushalte entwickelt. Auch einige Phänomene, die den Zugriff des Staates auf die finanziellen Ressourcen seiner Bürger über die Erhebung von Steuern hinaus belegen, verdeutlichen die „Krise des Steuerstaates", die hier lediglich als Indikator für das Phänomen wachsender Staatsausgaben steht. In diesem Zusammenhang ist das immer wieder ins Spiel gebrachte Instrument der Sonderab51 Zum Zusammenhang öffentlicher Aufgaben und öffentlicher Ausgaben Η. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 460 ff.; G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 213 ff.; R. Hendler, AöR 119, S. 595 f. Aus wirtschaftswissenschaftlicher Sicht Ρ. A. Samuelson/W. D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre Bd. 2, 8. Aufl. 1987, S. 426 ff., die auch auf das ausgabentreibende Phänomen hinweisen, dass Notsituationen häufig zu einer Ausweitung des staatlichen Korridors und insbesondere seiner Einnahmen führen, ohne dass nach der Krise ein Rückgang auf das alte Niveau erfolgt. Lehrbuchbeispiel ist für Deutschland die Sektsteuer, die ursprünglich zur Finanzierung des Aufbaus der deutschen Kriegsflotte eingeführt wurde. 52 Vergi. Abschlussbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat", S. 7. 53 Verfassungsprinzip des Steuerstaates, J. Isensee, Festschrift Η. P. Ipsen, 1977, S. 409; Κ Vogel, HStR I 1987, § 27 Rdn. 69 ff. (S. 1181 ff.); BVerfGE 78, 249/ 266f.; 82, 159/178; F. Kirchhof, Die Verwaltung 1988, S. 140 ff.
II. Ausweitung von Staatstätigkeit
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gäbe zu nennen. Das Bundesverfassungsgericht versucht gerade auch in neueren Entscheidungen, der Zulässigkeit dieses Finanzierungsinstruments enge Grenzen zu setzen. So hat es immer wieder betont, dass die Sonderabgabe mit Finanzierungszweck54 „gegenüber der Steuer die seltene Ausnahme zu sein hat" 55 . Daneben besteht die Tendenz zur Aushöhlung des Steuerstaates durch die Ausweitung der Finanzierung von Staatsausgaben aus weiteren nichtsteuerlichen Mitteln 56 . Dies geschieht vornehmlich durch die Schaffung neuer Sonderlasten (Gebühren, Beiträge) bzw. durch die Anhebung bestehender Gebühren- und Beitragssätze, die gleichfalls zur Finanzierung von Staatsaufgaben eingebracht werden. Besonders aktiv sind die Kommunen, die andererseits finanziell besonders unter Druck stehen. Problematisch ist die Einführung neuer Abgabentatbestände in traditionellen staatlichen Kernbereichen 57. Sie stellen mit zunehmender Expansion den eigentlichen Legitimationsgrund der staatlichen Steuererhebung58 in Frage, dass der Staat nämlich gewissermaßen im Gegenzug grundlegende staatliche Leistungen erbringt, ohne die Bürger in jedem Einzelfall erneut zur Kasse zu bitten.
5. Verrechtlichung Die Ausweitung von Staatstätigkeit ist auch an der Tendenz zur rechtlichen Durchnormierung und Totalerfassung des Lebens59 ablesbar. Dieser Sachverhalt wird regelmäßig mit kritischer Stoßrichtung unter dem Stichwort der Verrechtlichung verhandelt60. Damit wird einmal der empirische Befund des Anwachsens von Recht und zum anderen die historische Ent54
Hiervon abzugrenzen ist insbesondere die Sonderabgabe als Ausgleichsabgabe mit sozialem oder anderem Lenkungszweck (etwa BVerfGE 57, 139/167 ff.). 55 BVerfGE 82, 159/181; 91, 186/203; vergi, auch BVerfGE 92, 91; 93, 319. 56 C Gramm, Der Staat 36, S. 267 ff. 57 Luftsicherheitsgebühr, dazu BVerwGE 95, 188. Kritisch K. Focke, Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht 1992, S. 240 ff. und C. Gramm, Der Staat 36, S. 278 f. 58 Zur Rechtfertigung des Staates K. Vogel, Der Staat 25, S. 481. 59 F. Werner („Versuchung zur Totalität"), Festschrift G. Leibholz, 2. Bd. 1966, S. 162; U. Matz, in: W. Hennis/P. G. Kielmannsegg/U. Matz (Hrsg.), Regierbarkeit - Studien zu ihrer Problematisierung, 1977, Bd. 1, S. 90; Carl Schmitt, Legalität und Legitimität, in: Verfassungsrechtliche Aufsätze, 2. Aufl. 1973, S. 343 hat hierfür „mit nahezu verachtungsvoller Einseitigkeit" (P. Badura, ZG 1987, S. 307) den pluralistischen Parteienstaat verantwortlich gemacht, weil dieser nach dem Umfang und dem Sachgebiet seiner Interventionen „total" sei. 60 Th. Raiser , Das lebende Recht, 1995, S. 319 ff.; K. Röhl, Rechtssoziologie, 1987, S. 550 ff.; K. D. Wo//(Hrsg.), Internationale Verrechtlichung, Jahresschrift für Rechtspolitologie, 1993.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Wicklungsdimension der unaufhaltsamen Ausweitung des Rechtsstoffes bezeichnet. Gesetzesflut, Normendickicht, Biirokratisierung, Prozessflut 61, Übernormierung und Rechtsinflation sind nur einige populäre Stichworte, die in diesem Zusammenhang immer wieder Verwendung finden 62. Für die Kennzeichnung dieses historischen Verrechtlichungsprozesses wurde die plakative Formel von der „Kolonialisierung der Lebenswelt"63 geprägt. Eine rein quantitative Wachstumsanalyse, die etwa die Zahl der Gesetze, Paragraphen oder die Seiten des Bundesgesetzblattes als Maßstab nimmt, wäre zwar reichlich grob, aber immerhin als Indiz aussagekräftig 64. Präziser belegt wird die Ausweitung des Rechtsstoffes in Untersuchungen zur Ausdehnung des Rechts durch die Einbeziehung immer neuer Lebensbereiche in die rechtliche Ordnung 65. Dieser Prozess setzt sich fort, selbst wenn Rechtsetzung sich inhaltlich manchmal und gerade in Zeiten großer gesellschaftlicher Umbrüche bei gleichzeitig fehlenden ausreichenden politischen Handlungsressourcen in „symbolischer Gesetzgebung"66 erschöpfen mag. Parallel zur rein quantitativen Ausweitung des Rechtsstoffes findet ein Prozess zunehmender Verdichtung der vorhandenen Rechtsbestände durch immer detailliertere Rechtsetzung statt67. Das Recht wird kleinteiliger und im Streben nach einem Maximum an Bestimmtheit und möglichst erschöpfender Regelung aller Lebenssachverhalte auf allen Ebenen der Rechtset61
Zu deren Ursachen W. Hoffmann-Riem, ZRP 1997, S. 191 f. Etwa R. Zippelius, Rechtsphilosophie, 3. Aufl. 1994, S. 165; J. Isensee, ZRP 1985, S. 139 ff.; M. Kloepfer, VVDStRL 40, S. 68; Κ Eichenberger, VVDStRL 40, S. 15; Κ Stern, in: D. Strempel (Hrsg.), Mehr Recht durch weniger Gesetze?, 1987, S. 15 ff.; zum gewachsenen Steuerungsehrgeiz des Gesetzgebers H. Helsper/W. Hochrein, ZG 1987, S. 22 ff.; R. Wahl, Die Verwaltung 1980, S. 273 ff. 63 Die Formel stammt von J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns Bd. 2, 4. Aufl. 1987, S. 522 ff. Habermas unterscheidet historisch vier epochale Verrechtlichungsschübe: bürgerlicher Staat, Rechtsstaat, demokratischer Rechtsstaat sowie sozialer und demokratischer Rechtsstaat. 64 Anschauliches Material bei R. Stober, in: K. Stern (Hrsg.), Vier Jahre Deutsche Einheit, 1995, S. 69 ff. 65 R. Voigt (Hrsg.), Verrechtlichung, 1980, S. 15 ff.; ders. (Hrsg.), Gegentendenzen zur Verrechtlichung, Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, 1983; F. Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Sicherheit, 1984. 66 R. Hegenbarth, ZRP 1981, S. 201 ff., versteht darunter, dass schon die Tatsache der Normierung eines Lebensbereichs eine erfolgversprechende Möglichkeit darstellt, das Vertrauen in die staatliche Handlungsfähigkeit zu stärken. Dies gilt in besonderer Weise in der „Dialektik der Kommunikationsgesellschaft" (so der Buchtitel von R. Münch, 1991). Vergi, auch U. Karpen, Gesetzgebungs-, Verwaltungsund Rechtsprechungslehre, 1989, S. 44: „Schaufenstergesetzgebung". 67 R. Voigt, in: ders. (Hrsg.), Gegentendenzen zur Verrechtlichung, 1983, S. 18 f. mit weiteren Differenzierungen. 62
II. Ausweitung von Staatstätigkeit
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zung immer komplexer und umfänglicher 68. Parlamentarisierung, Verrechtlichung, Bürokratisierung und Justizialisierung wirken komplexitätssteigernd zusammen69. Mit dieser Entwicklung korrespondiert die Steigerung der Änderungsgeschwindigkeit des Rechts. Je stärker das Gesetz zu einem Instrument sozialer und wirtschaftlicher Steuerung wird, das auf akute Problemlagen rasch reagieren soll, um so mehr „verdrängt kurzfristige Zweckhaftigkeit die Suche nach dauerhafter Gerechtigkeit" 70. Die Änderungsgeschwindigkeit ist teilweise so schnell geworden, dass der Gesetzgeber sich selbst überholt und das gerade beschlossene Gesetz vor seinem Inkrafttreten erneut abändert 71. Im übrigen steht das Bedürfnis nach schnell wachsenden Regeln in engem Zusammenhang mit dem Bedürfnis nach Sicherheit in einer dem permanenten Wandel mit steigender Änderungsgeschwindigkeit unterworfenen Gesellschaft 72. Auch wenn man wohl nicht von einer strengen Gesetzmäßigkeit der Verrechtlichung im Sinne eines evolutionstheoretischen Wachstumsgesetzes sprechen kann, wird die Zunahme der sozialen Bedeutung des Rechts nicht bestritten73. Die Gründe hierfür sind vielfältiger Natur. So wäre es zu kurz gegriffen, nur wohlfahrtsstaatliche Gesichtspunkte wie die gestiegenen Erwartungshaltungen der Bürger an das Leistungsvermögen des Staates74 für die Expansion des Rechtsstoffes verantwortlich zu machen. Das gleiche gilt für Erklärungsansätze, die alleine auf die Beschleunigung des technologischen und kulturellen Wandels abstellen. Häufig führen gerade auch verfassungsrechtliche, insbesondere grundrechtliche und rechtsstaatliche Argumente zu neuen Verrechtlichungsschüben75. Dieser Hinweis belegt die 68
Das Phänomen ist hinreichend bekannt, vergi, nur R. Wahl, VerwArch 13, S. 273 ff. (278) m.w.N., denn es gibt keine rechtlichen Gründe dafür, warum man einen Sachverhalt nicht noch genauer regeln soll, so N. Luhmann, in: H. Geißler (Hrsg.), Verwaltete Bürger - Gesellschaft in Fesseln, 1978, S. 116. Beispielhaft erwähnt sei aus jüngerer Zeit nur der Stil der neueren Verfassungsgesetzgebung in den Art. 23, 16a, 87e, 87f GG. 69 R. Voigt, in: ders., Gegentendenzen zur Verrechtlichung, 1983, S. 19. 70 H. Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rdn. 433 (S. 252). 71 Zur „Unstetigkeit des Gesetzes" H. Schneider, Gesetzgebung, 2. Aufl. 1991, Rdn. 428 f. (S. 249 f.). 72 Zur Zeit-Erfahrung des „Zukunftsgewissheitsschwundes" insbesondere H. Lübbe, etwa in: Zeit-Verhältnisse, 1983, S. 33 ff. 73 Vergi. Th. Raiser , Das lebende Recht, 1995, S. 325. 74 R. Voigt, in: ders., Gegentendenzen zur Verrechtlichung, 1983, S. 23; W. Brohm, in: Festschrift F. Knöpfle, 1996, S. 67 betont die Leistungserwartungen der Bürger als Quelle für Staatsaufgaben. 75 Signifikant ist dieser Zusammenhang beim Datenschutz, der durch die Initialzündung des BVerfG (E 65, 1) als selbständige Rechtsmaterie erstrichtigentstanden ist. Verfassungsrechtliche Schutzpflichten können ebenfalls in erheblichem Umfang
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Ambivalenz von Verrechtlichung, die Freiheitsbeschränkung und Freiheitsverbürgung, Rechtssicherheit und Rechtsunsicherheit zugleich darstellen kann76. Weitere Expansionsgründe sind in der sinkenden Akzeptanz von außerrechtlichen Normensystemen in der pluralistischen und weitgehend säkularisierten Gesellschaft zu suchen. Recht gewinnt unter diesen Umständen neben gesellschaftlichen Steuerungs- und banalen Ordnungsfunktionen77 zunehmend auch die Funktion des ethischen Minimums78, das anders als über Verrechtlichungsprozesse in einer pluralistischen Gesellschaft kaum mehr herstellbar erscheint. Versuche in Wissenschaft 79 und Praxis 80, dem Phänomen der Verrechtlichung durch Entregelung und Wachstumsbegrenzung entgegenzutreten, sind fester Bestandteil der Verrechtlichungsdiskussion, bislang aber ohne erkennbare Erfolge. Inzwischen tritt das Begriffspaar Regulierung - Deregulierung (als Gegenbegriff zur Verrechtlichung) mehr und mehr an die Stelle des bis in die 80 er Jahre gebräuchlichen Terminus. In der Sache wird die Diskussion unter dem Privatisierungs- und Deregulierungsthema bzw. unter dem Leitbild vom schlanken Staat weitergeführt 81.
zu Normierungsschüben beitragen (etwa BVerfGE 88, 203). Charakteristisch aus jüngster Zeit die Diskussion um die Notwendigkeit einer gesetzlichen Regelung der Rechtschreibreform unter Berufung auf die Wesentlichkeitstheorie. 76 J. Habermas, Theorie des kommunikativen Handelns Bd. 2, 4. Aufl. 1987, S. 531 ff.; zum regulatorischen Trilemma G. Teubner, in: F. Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 1984, S. 313 ff.; zum Problem der „Lückenerzeugung durch Engmaschigkeit" W. Leisner, JZ 1977, S. 540 und J. Isensee, ZRP 1985, S. 141; zum Zusammenhang von Regelungsdichte und Rechtsunsicherheit Η. Helsper, Die Vorschriften der Evolution für das Recht, 1989. 77 Vergi. W. Naucke, KritV 1986, S. 209 f. 78 A. Hollerbach, in: Staatslexikon Bd. 4, 7. Aufl. 1988, Sp. 693 (unter Rückgriff auf die Formel von G. Jellinek); mit abnehmenden gemeinsamen ethischen Überzeugungen, die das Verhalten leiten, wächst der Bedarf nach gesetzlich auferlegten Normen, J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, 1984, S. 167. 79 R. Hendler, in: R. Voigt (Hrsg.), Gegentendenzen zur Verrechtlichung, 1983, S. 59 ff.; W. Hoffmann-Riem, in: Festschrift W. Thieme, 1993, S. 55 ff.; G. Teubner, in: F. Kübler (Hrsg.), Verrechtlichung von Wirtschaft, Arbeit und sozialer Solidarität, 1984, S. 325 ff. 80 Zu nennen sind insbesondere die von der Bundesregierung beschlossenen „Blauen Prüffragen" zur Erforderlichkeit eines Gesetzes vom 11.12.1984 bzw. vom 20.12.1989, abgedruckt in: Handbuch der Rechtsförmlichkeit, Hrsg. Bundesministerium der Justiz, 2. Aufl. 1999, S. 227 ff. 81 So etwa im Abschlussbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat".
III. Rücknahme von Staatstätigkeit durch Privatisierung
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III. Rücknahme von Staatstätigkeit durch Privatisierung 1. Grundformen der Privatisierung Im folgenden geht es um die Rücknahme von Staatstätigkeit und Staatlichkeit durch Privatisierungsstrategien 82. Begriffsbestimmend ist letztlich der theoretische Gegensatz von Staat und Gesellschaft. Bei aller Unschärfe ist die Einschaltung von Privatpersonen in die Erledigung von (bisherigen) Staats- und insbesondere von Verwaltungsaufgaben konstitutiv. Diese Einschaltung kann theoretisch in zwei qualitativ unterschiedlichen Grundformen erfolgen, die als systematische Zuordnungspunkte für weitere Differenzierungen von Privatisierungsvorgängen in der Staatswirklichkeit dienen: erstens, als komplette Aufgabenübertragung auf Private inklusive der gesamten Regie83 bei der Aufgabenerledigung, wobei hier noch verschieden abgestufte Möglichkeiten eines staatlichen Restzugriffs auf die Aufgabenerfüllung bestehen bleiben können (AufgabenVerlagerung); zweitens und weniger weitgehend, als Beteiligung von Privaten an der prinzipiell in staatlicher Verantwortung verbleibenden (Staats-) Aufgabe, wobei die Intensität dieser privaten Beteiligung wiederum sehr unterschiedlich ausgestaltet sein kann (arbeitsteilige Aufgabenerledigung). Privatisierung als Rechtsbegriff setzt damit eine wie auch immer geartete Überführung von Staatsaufgaben in die gesellschaftliche Selbstregulierung, mindestens aber eine Beteiligung von (echten) Privatpersonen an Staatsaufgaben voraus. a) Aufgabenverlagerung
Der erste Fall, die vollständige und restlose Übertragung staatlicher Aufgaben auf natürliche Privatpersonen oder auf „echte" juristische Personen des Privatrechts, bildet den eindeutigsten Fall von Privatisierung. Hierfür ist die Kennzeichnung als materielle Privatisierung gebräuchlich. In diesem 82
Zur Privatisierung als Rechtsbegriff W. Möschei, Festschrift J. Gernhuber, 1993, S. 906 ff.; ders., JZ 1988, S. 887; Monopolkommission, BT-Drs. 12/3031, Rdn. 44; F. Schoch, DVB1. 1994, S. 4; G. F. Schuppert, StWStP 1994, S. 543 und ders., DÖV 1995, S. 766 f.; A. Krölls, GewArch 1995, S. 130; L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 209 ff.; R. Stober, in: P. J. Tettinger (Hrsg.), Rechtlicher Rahmen für Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet der Entsorgung, 1994, S. 25 (28). Eine präzise Systematik von unterschiedlichen „Privatisierungstypen" findet sich bei W.-W. Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, S. 19 ff., 147 ff. 83 Der Begriff der Regie umfasst hier nicht nur die Entscheidung über das Leistungsangebot und die Art und Weise der Leistungserbringung, sondern insbesondere auch sämtliche Risiken, allen voran das wirtschaftliche Risiko.
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Idealfall zieht der Staat sich aus einer bislang selbst, das heißt mit eigenem Personal, eigenem Material und häufig auch auf eigene Kosten wahrgenommenen Staatsaufgabe ohne jeden Rest von Verantwortung für die Sachaufgabe zurück. Er überlässt deren Erfüllung einschließlich aller damit verbundenen, insbesondere wirtschaftlichen Risiken beliebigen Privaten. Danach obliegt nur noch den Privaten die Entscheidung, ob überhaupt, auf welche Weise, in welchem Umfang, auf welchem qualitativen Niveau und zu welchem Preis die bislang staatlich wahrgenommene Aufgabe auch weiterhin wahrgenommen werden soll. Die staatliche Aufgabensteuerung wird, gegebenenfalls nach einer Übergangszeit, durch eine umfassende Entscheidungsfreiheit Privater und damit durch das Rechtsprinzip der Privatautonomie ersetzt. An die Stelle staatlicher Leistungserbringung durch die Verwaltung treten die Mechanismen des Marktes. Sie entscheiden letztlich über Art und Umfang der Aufgabenerfüllung. Ein staatlicher Rückzug ohne jede (Rest-) Verantwortung für die Sachaufgabe bedeutet damit die vollständige Freigabe einer vorher wahrgenommenen Staatsaufgabe an die Gesellschaft. Diese Freigabe kann nicht ohne Risiko für die Kontinuität der Leistungserbringung erfolgen. Denn die vormalige Verwaltungsaufgabe ist jetzt nicht mehr verpflichtende und gegebenenfalls sogar einklagbare Aufgabe des Staates, sondern freies Angebot Privater auf der Grundlage grundrechtlicher Freiheitsausübung. Die entsprechende Nachfrage für dieses Angebot muss sich erst finden. Dies gilt auch, wenn die Leistung rein äußerlich gesehen identisch bleibt - statt des verbeamteten Postboten bringt die Aushilfskraft eines privaten Zustelldienstes das Paket. Leistungen, die als Staatsaufgabe nicht oder nicht mehr in diesem Umfang 84 fortgeführt werden sollen, werden nach der Übernahme in ausschließlich private Regie entfallen, wenn ein Markt für ein entsprechendes Leistungsangebot nicht existiert und andere Finanzierungsformen auf freiwilliger Grundlage (Spenden, Selbsthilfegruppen, Sponsoring etc.) nicht bereitstehen. Das Risiko der Nichterbringung von Leistungen trägt dann prinzipiell die Gesellschaft und damit keine personifizierbare und schon gar keine juristisch greifbare Größe. b) Arbeitsteilige
Aufgabenerledigung
Das Phänomen der Privatisierung in der Staatswirklichkeit wird allerdings zu eng verstanden, wenn es begrifflich von vornherein auf die reine Form der echten Aufgabenübertragung reduziert würde. Die zahlreichen Unter- und Zwischenformen der Aufgabenbeteiligung Privater an der staat84 Auch die Reduzierung des Leistungsniveaus staatlicher Leistungen wird gelegentlich als eine Form von Privatisierung bezeichnet, A. Krölls, GewArch 1995, S. 132 f.; R. Schmidt, Die Verwaltung 1995, S. 283.
III. Rücknahme von Staatstätigkeit durch Privatisierung
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liehen Aufgabenerfüllung kommen auf diese Weise erst gar nicht in das Blickfeld 85. Es liegt in der Konsequenz dieser begrifflichen Verengung, dass die Privatisierungsdiskussion so leicht unter das falsche Vorverständnis gerät, es ginge dabei in erster Linie um den staatlichen Totalrückzug aus bestehenden Staatsaufgaben und deren uneingeschränkte Freigabe an die Gesellschaft. Eine differenzierte Privatisierungsdiskussion kann sich aber nicht auf einen idealtypisch konstruierten und der Staatswirklichkeit nicht angemessenen Gegensatz von entweder privat oder staatlich beschränken, sondern sie hat gerade auch Mischformen von privater und staatlicher Aufgabenerledigung zu respektieren 86. So existieren in der Staatswirklichkeit eine Reihe weniger reiner Formen der Aufgabenverlagerung, bei denen der Staat sich zumindest noch einen gewissen Resteinfluss auf die private Aufgabenerfüllung vorbehält. In den Fällen einer abgeschwächten Aufgabenverlagerung wird die Aufgabe zwar freigegeben, der Staat übt aber eine Art Oberaufsicht über die private Aufgabenerfüllung aus und behält sich vor, eventuell auftretende ungenügende Resultate des Marktes im Wege der markteingreifenden Regulierung zu korrigieren. Auch die in unterschiedlichen rechtlichen Organisationsformen stattfindende Beteiligung von echten Privatpersonen an der Erfüllung staatlicher Aufgaben ist ein Abweichen vom Idealbild der Aufgabenerledigung durch eigenes Personal und Material. Entsprechende Beteiligungsformen rechtfertigen es, in diesen Fällen von einer abgeschwächten Form der Privatisierung auszugehen. Dabei bleibt der Charakter als Staatsaufgabe und damit die staatliche Verantwortung für die Erfüllung der Sachaufgabe zwar prinzipiell bestehen. Allerdings können Private durch die Einbeziehung in die staatliche Aufgabenerfüllung gewisse Gestaltungsspielräume erhalten, die für die Wahrnehmung der Aufgabe als Staatsaufgabe nicht ohne Folgen bleiben. Entsprechende gemischte Privatisierungsformen werden als funktionale Privatisierung87 bezeichnet. In der Staatswirklichkeit liegt der eindeutige Schwerpunkt auf dieser Form der Privatisierung. Dieses begriffliche Sammelbecken für Formen der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung ist freilich zu 85 Vergi, dazu die Typologie von S. v. Heimburg, Verwaltungsaufgaben und Private, 1982, S. 61 ff. und ihr folgend R. Scholz, Privatisierung im Baurecht, 1997, S. 39 ff. 86 G. F. Schuppert, in: K. Stern (Hrsg.), Vier Jahre Deutsche Einheit, 1995, S. 33. 87 Überblick über die Modellvielfalt in der Rechtswirklichkeit bei P. J. Tettingen Festschrift K.H. Friauf, 1996, S. 571 f.; W.-W. Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, S. 167 ff.
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
undifferenziert, um der Vielfalt der organisatorischen Erscheinungsformen und ihren rechtlichen Unterschieden in angemessener Weise Rechnung zu tragen. c) Die sogenannte formelle
Privatisierung
Beide hier genannten Grundformen von Privatisierung durch die Beteiligung von Privaten an der staatlichen Aufgabenerfüllung oder durch die Verlagerung von vormals staatlichen Aufgaben auf Private in eigener Regie heben sich begrifflich von der Organisations- oder formellen Privatisierung 88 ab. Die formelle Privatisierung ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. Sie stellt gerade keinen Unterfall von Privatisierung dar. Dabei geht es nicht um die Beteiligung von echten Privatpersonen an der staatlichen Aufgabenerfüllung und schon gar nicht um entsprechende Aufgabenverlagerungen auf Private, sondern lediglich um einen Wechsel in der Rechtsform der staatlichen Organisation vom öffentlichen in das private Recht89. Auch die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben in marktwirtschaftlicher Organisationsform, die im übrigen aber in staatlicher Hand verbleibt 90, fällt unter die Organisationsprivatisierung. Nicht der Regimewechsel bei der Aufgabenerledigung zwischen staatlich und privat, sondern die Organisation der Verwaltung in Privatrechtsform, damit auch die „Verwaltung in Privatrechtsform" 91 ist deswegen das eigentliche Thema der formellen Privatisierung 92. Zu einer Übertragung auf echte Private oder zu einer Einschaltung von Privaten in die staatliche Aufgabenwahrnehmung 93 kommt es dabei prinzipiell nicht 94 . In der Hauptsache suchen staatliche Stellen dadurch die Opti88 Zu dieser gängigen Differenzierung statt vieler H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987, § 104a (S. 420 ff.). 89 Gemeinsames Bindeglied zu echten Privatisierungsmaßnahmen sind das Bedürfnis nach Kostensenkung und unter Umständen nach Effizienzsteigerung. Skeptisch zur Wirksamkeit von Maßnahmen der Organisationsprivatisierung B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989, S. 925. 90 B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989, S. 927 spricht von einer klassischen Variante der echten Privatisierung. Nicht erfasst wird damit die rein erwerbswirtschaftliche Produktion in staatlicher Hand. 91 So der Titel der Arbeit von D. Ehlers, 1984. 92 Es wird deswegen zu Recht bestritten, dass diese auch als unechte Privatisierung bezeichnete Form überhaupt einen Fall von Privatisierung darstellt, vergi. J. Isensee, VVDStRL 54, S. 303 (Diskussionsbeitrag): „Etikettensch windel"; W. Krebs, Die Verwaltung 1996, S. 310: „falsa demonstratio"; H. Meyer, VVDStRL 54, S. 349 (Diskussionsbeitrag). 93 Auch bei privatrechtlichen Organisationsformen der Verwaltung kommt allerdings die Beteiligung „echter" Privatpersonen in Betracht, etwa als Minderheitsgesellschafter einer kommunalen Versorgungsgesellschaft. Insoweit kann man von einer „Privatisierung der formellen Privatisierung" sprechen.
III. Rücknahme von Staatstätigkeit durch Privatisierung
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mierung ihrer rechtlichen Organisationsstrukturen zu erreichen, die in der Regel auf mehr Wirtschaftlichkeit zielen. Das konkrete Nutzenkalkül bei Maßnahmen der Organisationsprivatisierung besteht zumeist in der Freistellung von bestimmten Bindungen an das öffentliche Recht, insbesondere an Dienst-, Besoldungs- und Haushaltsrecht, ohne dass der prinzipielle staatliche Steuerungsanspruch für die betreffende Sachmaterie damit aufgegeben wird. Organisatorisch gesehen spielen insbesondere gesellschaftsrechtliche Modelle eine herausragende Rolle 95 . In der Staats Wirklichkeit kommt es deswegen bei Maßnahmen der Organisationsprivatisierung regelmäßig zur Kreation neuer Rechtspersonen als Beteiligte an neuen, privatrechtlichen Rechtsverhältnissen, was zu entsprechenden Folgeproblemen mit den eigentlichen Verwaltungsträgern führen kann96. Maßnahmen der Organisationsprivatisierung können aber auch einen Zugewinn an Rationalität bedeuten, da die tatsächlichen und wirtschaftlichen Probleme bei der Aufgabenerfüllung durch einen verselbständigten Verwaltungsträger in Privatrechtsform in anderer Weise darstellbar werden, als dies bei der herkömmlichen Behördenstruktur der Fall ist 97 . Der Charakter als Staats- bzw. Verwaltungsaufgabe steht nicht schon alleine deswegen zur Disposition, weil ihre Erfüllung in den Formen und mit den Mitteln des Privatrechts in einer stärker unternehmerisch orientierten Weise geschieht98. Schließlich sind die rechtlichen Voraussetzungen für die Zulässigkeit einer Organisationsprivatisierung andere als für die materielle Privatisierung oder Teilprivatisierung. Prominenter Fall einer Organisationsprivatisierung, die sogar die Ebene des Verfassungsrechts erreicht hat, ist die Flugsicherung. Materiell stellt sie 94
U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 268 ff. Vergi. Th. ν. Danwitz („Verwaltungsgesellschaftsrecht"), AöR 120, S. 595 ff.; W. Krebs, Die Verwaltung 1996, S. 309 ff. differenziert nach drei Grundtypen: öffentlich-rechtliche Verwaltungsgesellschaft, privatrechtliche Verwaltungsgesellschaft, Kooperationsgesellschaft. 96 L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 232 ff.; insbesondere müssen auch die Einwirkungsrechte auf das „privatrechtliche Geschöpf* erst mit den Mitteln des Privatrechts geschaffen werden, denn auch privatrechtliche Verwaltungsgesellschaften müssen zumindest der Rechtsaufsicht unterliegen, W. Krebs, Die Verwaltung 1996, S. 320. 97 L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 215 f. 98 Es gilt der Grundsatz des Wahlrechts bei der Organisationsform, sofern nicht ausnahmsweise eine bestimmte Organisationsform verfassungsrechtlich ausdrücklich vorgeschrieben ist. Nicht der direkten Erfüllung von Verwaltungsaufgaben dienen die zur Bedarfsdeckung der Verwaltung benötigten Hilfsgeschäfte, die öffentliche Auftragsvergabe oder die staatliche Erwerbswirtschaft, statt vieler Th. v. Danwitz, AöR 120, S. 596. 95
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
eine (sonder-) polizeiliche Aufgabe dar". „Luftverkehr ohne staatlich verbürgte Luftsicherheit ist von der Verfassung nicht gewollt. Die Sicherheit ist immanente Voraussetzung dafür, dass Luftverkehr wirkungsvoll stattfinden kann." 100 Mit Art. 87 d Abs. 1 GG vom 14.7.1992 wurde die bis dahin bestehende obligatorische Bundeseigenverwaltung für die Flugsicherung aufgehoben 101 und in Satz 2 ein Wahlrecht des einfachen Gesetzgebers zwischen öffentlich-rechtlicher oder privat-rechtlicher Organisationsform eingeführt. Mit der gesetzlichen Festlegung der privat-rechtlichen Organisation in Form einer GmbH durch Einfügung von § 31b in das Luftverkehrsgesetz 102 hat der Gesetzgeber von dieser Option Gebrauch gemacht. Das Gesetz legt ausdrücklich fest, dass die Anteile der GmbH ausschließlich vom Bund gehalten werden. Trotz der Überführung in die private Organisationsform ist dadurch jede Beteiligung echter Privatpersonen an der Staatsaufgabe der Flugsicherung kraft Gesetzes ausgeschlossen. Die Privatisierung der Flugsicherung stellt damit geradezu den Musterfall einer Organisationsprivatisierung dar. Die Beweggründe für diese im Prinzip systemfremde 103 Organisationsprivatisierung zielten von vornherein nicht auf die Beteiligung echter Privatpersonen, sondern waren in erster Linie dienst-, besoldungs- und haushaltrechtlicher Natur 104 . Erreicht werden sollte eine bessere Vergütung der Fluglotsen, die vorher hauptberufliche Beamte bei der Bundesanstalt für Flugsicherung waren 105 . 99
Zum polizeilichen Aufgabencharakter H.-P. Trampler, Verfassungs- und unternehmensrechtliche Probleme der bundesdeutschen Flugsicherung, 1993, S. 17 ff., 91 und 93 f. m. w. N. 100 BVerwGE 95, 188/191; vergi, zum Aufgabenrang der „Luftpolizei" auch K. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87 d Rdn. 4; W. Schwenk, Handbuch des Luftverkehrsrechts, 1981, S. 60 (2. Aufl. 1996); V. Epping, JZ 1991, S. 1104. 101 Vergi. P. Lerche, Festschrift F. Klein, 1994, S. 537. 102 Die Vorschrift enthält eine Verordnungsermächtigung für das Bundesministerium für Verkehr. Das BMV hat von dieser Ermächtigung mit der Verordnung zur Beauftragung eines Flugsicherungsunternehmens vom 11. November 1992 Gebrauch gemacht, BGBl. I 1992, S. 1928. Rechtstechnisch ist diese Aufgabenübertragung als Beleihungstatbestand formuliert. Die Flugsicherungs-GmbH gehört allerdings zu 100% dem Bund. Zur Aufgabenübertragung auf die Deutsche FlugsicherungsGmbH K. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87 d Rdn. 7. 103 Im Hinblick auf die Formulierung „bundeseigene Verwaltung" in Art. 87 d Abs. 1 Satz 1 GG, vergi. P. Lerche, Festschrift F. Klein, 1994, S. 537 f., der der Sache nach ein Redaktionsversehen feststellt; K. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87 d, Rdn. 34. 104 Bericht der Gemeinsamen Verfassungskommission, BT-Drs. 12/6000, S 41. 105 Kritisch H.-P. Trampler, Verfassungs- und unternehmensrechtliche Probleme der bundesdeutschen Flugsicherung, 1993, S. 180, der als Ursache für die verfassungsrechtlich einzigartige Konstruktion des Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG zu Recht
III. Rücknahme von Staatstätigkeit durch Privatisierung
113
Nachdem der Verfassungswortlaut trotz mancher Ungereimtheiten im Verhältnis von Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 zu Satz 1 GG die Organisationsprivatisierung zulässt, stellen sich in diesem Fall keine Fragen nach der Überschreitung verfassungsrechtlicher Grenzen zulässiger Privatisierungsmaßnahmen. Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG über den Wortlaut und den engen Anwendungsbereich der Flugsicherheit hinaus als Grundsatznorm im Sinn einer umfassenden Ermächtigung an den einfachen Gesetzgeber zu Maßnahmen der Organisationsprivatisierung im Bereich der obligatorischen bundeseigenen Verwaltung verstanden werden dürfte 106 . Ein solches Verständnis ist aber mit der Systematik der Art. 83 ff. GG kaum vereinbar 107. Schließlich spielt auch der auf die Veräußerung von staatlichen Vermögenswerten gemünzte Sprachgebrauch von Privatisierung im Folgenden keine Rolle. Die schlichte Veräußerung von staatlichem Vermögen (Vermögensprivatisierung) 108 und die damit regelmäßig verbundenen rechtlichen Umwandlungs- und Anpassungsprobleme bilden ein anderes Thema 109 . Dies gilt jedenfalls für Unternehmen im Staatseigentum, die rein erwerbswirtschaftlich tätig sind und nicht der unmittelbaren Erfüllung einer spezifischen Verwaltungsaufgabe dienen.
auf den Mangel an Beweglichkeit des Beamtenrechts hinweist, um eine angemessene Bezahlung der Flugsicherungsbeamten sicherzustellen. Das Gegenargument (keine Sonderlaufbahn für Beamte) verfängt nicht, da auf dem Weg über eine Verfassungsänderung letztlich auch ein Sonderrecht für Fluglotsen geschaffen wird, das - soweit die entsprechende Lobby stark genug ist - auch in anderen Bereichen nicht weniger Begehrlichkeiten wecken mag als eine einfachrechtliche Lösung im Rahmen des Beamtenrechte. 106 Vergi H.-P. Trampler, Verfassungs- und unternehmensrechtliche Probleme der bundesdeutschen Flugsicherung, 1993, S. 175. 107 Vergi. P. Lerche, Festschrift F. Klein, 1994, S. 537. 108 Vergi. G. F. Schuppert, DÖV 1995, S. 766 f.; H. Bauer VVDStRL 54, S. 251; zur tatsächlichen Dimension F. Knaus, Privatisierungs- und Beteiligungspolitik in der Bundesrepublik Deutschland, 1993. 109 Vergi, dazu seitens des Bundes die jährliche Fortschreibung des Berichts des Bundesministeriums der Finanzen - Vili A 1 - FB 0731 - 215/95 - „Verringerung von Beteiligungen des Bundes", Fortschreibung 1995. Bemerkenswert sind insbesondere die Ausführungen auf S. 5 f. zu Bundesbeteiligungen an kulturtragenden Gesellschaften (Berliner Festspiele GmbH; Deutsches Historisches Museum GmbH; Kunst- und Ausstellungshalle der Bundesrepublik Deutschland GmbH; Transit-FilmGesellschaft mbH; Rundfunk-, Orchester- und Chöre Gesellschaft mbH). Danach besteht an den meisten Aktivitäten ein wichtiges Bundesinteresse, an eine Vermögensprivatisierung ist nicht gedacht. 8 Gramm
114
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
2. Das Untersuchungsraster Die Erledigung der staatlichen Verwaltungsaufgaben wird maßgeblich durch das Verwaltungsrecht und seine Organisationsformen geprägt 110. Sie stehen im Vordergrund der folgenden Untersuchung. In der Staatswirklichkeit stellen sich dabei regelmäßig die folgenden Fragen: Von welchen (Teil-) Aufgabenbeständen zieht der Staat sich zurück, und welche (Teil-) Aufgabenbestände verbleiben in strikt staatlicher Zuständigkeit? In welchem Umfang und mit welcher Intensität kommt es zur Einbeziehung von Privaten? Welche Folgeprobleme, gegebenenfalls welche neuen Aufgaben entstehen durch Privatisierungsvorgänge für den Staat? Wie ist die Wahrnehmung bei verbleibenden staatlichen (Rest-) Aufgaben rechtlich ausgestaltet?111 Gibt es in unterschiedlichen Lebensfeldern erkennbare gemeinsame Privatisierungsstrategien, oder unterliegt jeder Lebensbereich Besonderheiten, die die rechtliche Organisationsform in spezifischer Weise prägt? Referenzgebiete, an die diese Fragen herangetragen werden, sind die Aufgabenfelder innere Sicherheit, Eisenbahnen des Bundes und Bundespost, Verkehr, Umwelt und Bauen sowie Produktsicherheit. Aus diesen Feldern werden exemplarisch Privatisierungsmaßnahmen herausgegriffen, um das Spektrum möglicher Privatisierungsvorhaben zu verdeutlichen. IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit 1. Die Einschaltung von Privatpersonen Die Staatsaufgabe innere Sicherheit zielt auf die Erhaltung des inneren Friedens. Dies umschließt die staatliche Gewährleistung der Sicherheit von Personen und anderen Rechtsgütern sowie ganz allgemein die Sicherheit des Rechts. Der hohe Aufgabenrang der inneren Sicherheit bedeutet indessen nicht, dass diese sensible und facettenreiche Staatsaufgabe immer und ausschließlich durch staatliches Personal erfüllt würde. Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass alleine der Verfassungsrang dieser Staatsaufgabe der Einbeziehung von Privaten in die staatliche Aufgabenerfüllung nicht in einem rigorosen Sinn entgegensteht. Tatsächlich kommt es in der Staatswirklichkeit 1,0
Zu verwaltungsrechtlichen Aspekten, die über die Zulässigkeit von Privatisierungsmaßnahmen entscheiden, F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 353 ff. 111 Diese Frage stellt sich insbesondere bei unreinen Formen der Aufgabenverlagerungen und betrifft den Themenkomplex der rechtlichen Auffangstrukturen.
IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit
115
trotz des engen sachlichen Zusammenhangs bei der Erfüllung dieser Staatsaufgabe mit dem staatlichen Gewaltmonopol in erheblichem Umfang und mit unterschiedlicher Intensität zu differenzierten Formen der Beteiligung von Privaten 112. Ausgehend von der Zweiteilung zwischen Aufgabenverlagerung auf Private und der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung zusammen mit Privaten finden sich in diesem Aufgabenfeld in der Staatswirklichkeit vorwiegend Erscheinungsformen der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung. Der stärkste Privatisierungsgrad, bei dem Aufgaben der inneren Sicherheit ausschließlich durch private Kräfte in eigener Regie wahrgenommen werden, existiert dagegen nur mit erheblichen Einschränkungen. Systematisch gesehen ist bei der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung zwischen zwei grundlegenden Beteiligungsformen zu unterscheiden: erstens, Formen der Aufgabenwahrnehmung durch Private als integriertem Bestandteil der öffentlichen Verwaltung und zweitens, Formen der Aufgabenwahrnehmung durch Private als deren eigene Angelegenheit113. Innerhalb dieser Grundformen existieren verschiedene Privatisierungsvarianten, die in spezifischen rechtlichen Organisationsformen ihren Niederschlag finden. 2. Private als Bestandteil der öffentlichen Verwaltung a) Öffentlich-rechtliche
Dienstverhältnisse
besonderer Art
Auf dem Feld der inneren Sicherheit am schwächsten ausgeprägt ist der Privatisierungsgrad bei der weitgehenden Eingliederung von Privatpersonen in den öffentlichen Dienst. So sehen viele Länder die Möglichkeit der Bestellung von freiwilligen Hilfspolizeibeamten vor 1 1 4 , die in der Regel in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis besonderer Art stehen115. 1,2
Vergi, ß. Jeand'Heur, AöR 119, S. 107; M. Schulte, DVB1. 1995, S 130; C. Gusy y StWStP 1994, S. 187; ders., DÖV 1996, S. 573; R. Scholz, NJW 1997, S. 14; R. Stober, NJW 1997, S. 889; R. Pitschas, DÖV 1997, S. 393. Diese Beteiligungsformen gehen so weit, dass bereits die „Krise des staatlichen Gewaltmonopols" beschworen wurde, vergi. Γ. ν. Trotha, in: F. Sack u.a. (Hrsg.), Privatisierung staatlicher Kontrolle: Befunde, Konzepte, Tendenzen, 1995, S. 14 ff.; A. Krölls, GewArch 1997, S. 445 ff. 113 Zu Skalierungsmöglichkeiten bei der Aufgaben Wahrnehmung von staatlich bis privat A. Dittmann, Die Verwaltung 1975, S. 444 ff.; B. Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989, S. 251 ff.; Κ. H. Friaufi Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 17 f. 114 Vergi. G. Ungerbieler, DVB1. 1980, S. 409 ff. 115 Etwa GVB1. Berlin 1992, S. 198 - Gesetz über die Freiwillige Polizei-Reserve, § 5 Abs. 1 ; jetzt auch Art. 11 Abs. 1 Gesetz über die Sicherheitswacht in Bayern, GVB1. 1993, S. 1049 und 1996, S. 539; GBl. BaWü 1985, S. 129, Gesetz über den freiwilligen Polizeidienst, § 6 Abs. 1: „Stellung von Polizeibeamten im Sinne des Polizeigesetzes". Vergi, auch Λ. Krölls, GewArch 1997, S. 445. 8*
116
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Diese Personen genießen keinen vollen Beamtenstatus und haben keine vollwertige Ausbildung für die entsprechende Beamtenlaufbahn. Aufgaben und Befugnisse, mit denen die Hilfskräfte ausgestattet sind, weichen in den Details zwar von Land zu Land voneinander ab. Bei allen landesspezifischen Unterschieden werden den Hilfskräften aber stets auch hoheitliche Befugnisse eingeräumt 116. Bei den (landes-) gesetzlich festgelegten Aufgaben, zu deren Erfüllung Hilfspolizeibeamte herangezogen werden dürfen, handelt es sich in der Regel um weniger anspruchsvolle polizeiliche Hilfsfunktionen wie die Sicherung von Gebäuden und Anlagen, Überwachung des Straßenverkehrs, Streifendienste, Unterstützung bei öffentlichen Veranstaltungen sowie bei Transport- und technischen Diensten. Das neuere bayerische Modell der Sicherheitswacht zielt demgegenüber nach Art. 2 Bayer. Sicherheitswachtgesetz auf die Bekämpfung der Straßenkriminalität. Hier wirken Bürger an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit, Art. 1 Sicherheitswachtgesetz. Ihre Befugnisse beschränken sich auf Befragung, Identitätsfeststellung, Platzverweisung und Datenübermittlung an öffentliche Stellen. Auch auf der Ebene des Bundesrechts besteht die Möglichkeit der Bestellung von Hilfspolizeikräften. Zu nennen ist § 63 BGS-Gesetz. Die Befugnisse der Hilfspolizeibeamten sind in ähnlicher Weise wie in den Landesgesetzen beschränkt. Ungeachtet des öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses besonderer Art werden hier letztlich Private auf freiwilliger Grundlage ohne umfassende und jedenfalls ohne gleichwertige Ausbildung117 wie hauptberufliche Beamte tätig und üben auf dieser Basis Hoheitsbefugnisse aus. Im Unterschied zu privaten Sicherheitsdiensten arbeiten Hilfspolizeikräfte allerdings auf der Grundlage von gesetzlich festgelegten Aufgaben und zumeist eng zugeschnittenen Befugnissen unter dem Dach und der Anweisung hauptberuflicher Polizeikräfte. Dieses Modell weicht vom Bild des hauptberuflichen Lebenszeitbeamten ab, dem nach Art. 33 Abs. 4 und 5 GG die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse jedenfalls in der Regel vorbehalten ist. Hilfspolizeibeamte sind deswegen keine Beamte im staatsrechtlichen Sinn; es fehlt an den beiden 116
Sehr weitgehend Baden-Württemberg (Stellung von Polizeibeamten) und Berlin, Verordnung zur Übertragung bestimmter Befugnisse der Polizeibehörde auf die Angehörigen der Freiwilligen Polizei-Reserve, GVB1. 1993, S. 10. 117 Alle entsprechenden Gesetze sehen Ausbildungsmaßnahmen durch die Polizei vor. In besonderen Gefahrensituationen mag der Mangel an Ausbildung und Erfahrung von Hilfspolizeikräften allerdings zum Problem werden, vergi. G. Ungerbieler, DVB1. 1980, S. 413.
IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit
117
Strukturmerkmalen des Berufsbeamtentums, nämlich der Hauptberuflichkeit und der Lebenslänglichkeit118. Privatpersonen werden vielmehr vorübergehend aus ihrem privaten Status herausgelöst, ohne den vollwertigen Beamtenstatus einzunehmen. Obwohl von Privatisierung dabei weder im Sinne einer Organisations- noch einer Aufgabenprivatisierung gesprochen werden kann, ist es deswegen gerechtfertigt, von einer eigenständigen Privatisierungsstrategie und einem ersten, wenn auch schwach ausgeprägten Privatisierungsgrad zu sprechen119. Eindeutig kein Unterfall von Privatisierung liegt dagegen vor, wenn staatliche Stellen für die Erfüllung ihrer Aufgaben Angestellte des öffentlichen Dienstes einsetzen. Angestellte stehen zwar nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Gleichwohl handelt es sich um staatliches Personal, das individuell über einen Arbeitsvertrag fest an den Arbeitgeber Staat gebunden ist. Die Frage, in welchen Aufgabenbereichen Beamte eingesetzt werden müssen oder ob dort auch Angestellte im öffentlichen Dienst eingesetzte werden dürfen, weist allerdings strukturelle Parallelen zur Privatisierungsproblematik auf. b) Beleihung
Das sogenannte staatliche Gewaltmonopol enthält kein staatliches Monopol der Gefahrenabwehr und erst recht kein Sicherheitsmonopol der Polizei 120 . Private können deswegen in die Erfüllung von bestimmten Polizeiaufgaben auch in Form der Beleihung mit beschränkten hoheitlichen Befugnissen121 für einzelne Sachaufgaben durch oder auf Grund Gesetzes einbezogen werden 122. Dies gilt grundsätzlich, wenngleich nicht unbegrenzt, auch für notwendige Staatsaufgaben. 118
Vergi, nur Κ Waechter, NVZ 1997, S. 338. Hinzu kommt, dass die Unterstützungs- und Entlastungsfunktion für die hauptamtlichen Polizeikräfte, die in den betreffenden Gesetzen ausdrücklich festgeschrieben ist, auch eine finanzielle Dimension hat, nämlich die Schaffung vergleichsweise billiger Reservekräfte. 120 R. Stober, NJW 1997, S. 892 f. m.w.N. 121 Vergi. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 15 ff.; gewissermaßen klassisch die - als Beleihungsakt umstrittene - Zuständigkeit des TÜV gem. §§ 11, 29 StVZO, dazu m.w.N. R. Scholz, NJW 1997, S. 17; zum Problem des Gegenstandes der Beleihung vergi. Η. Ή. Trute, Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, 1994, S. 616. 122 Zur rechtstheoretischen Begründung aus der Rechtsstellungstheorie R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 871 f.; zur Anvertrauenstheorie F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 16 f.; weitere Nachweise bei W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 205; F. Kirchhof,\ DVB1. 1984, S 659; H. Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, 11. Aufl. 1997, § 23 Rdn. 56 (S. 582 f.). 119
118
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Im Unterschied zu anderen Konstruktionen der Einbeziehung Privater in die staatliche Aufgabenerfüllung nehmen Beliehene Verwaltungsaufgaben im eigenen Namen wahr. Bei dieser „Alternative zur vollständigen Privatisierung" 123 werden Private zwar nicht zu Amtsträgern. Sie sind aber im übrigen funktional in die Erledigung von Staatsaufgaben und in die öffentliche Verwaltung eingegliedert 124. Beliehene unterliegen dabei den gleichen Rechtsbindungen wie die öffentliche Verwaltung, insbesondere an die Grundrechte 125 und an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Das Verwaltungsverfahrensrecht findet Anwendung. Der Beliehene ist Behörde im Sinne von § 1 Abs. 4 VwVfG. Im übrigen nimmt er die ihm übertragene Aufgabe selbständig wahr, unterliegt dabei aber der Fach- und Rechtsaufsicht durch „echte" staatliche Behörden. Wegen dieser rechtlichen Ausformung findet bei der Beleihung keine Entlassung von Verwaltungsaufgaben aus der staatlichen Aufgabenzuständigkeit statt 126 . Der Beliehene verfügt allerdings regelmäßig über eigene Beurteilungsund Entscheidungsspielräume und damit über eine gewisse Eigenständigkeit. Damit liegt hier ein deutlich stärker konturierter Privatisierungsgrad vor als bei den in den öffentlichen Dienst integrierten Hilfspolizeikräften 127 . Faktisch findet eine Teilverlagerung der Erfüllungszuständigkeit auf Private statt, wobei die staatliche Seite die Weisungsgewalt behält und die Tätigkeit der Beliehenen zu beaufsichtigen hat 128 . Soweit Beliehene gezielt zur Entlastung staatlicher Ordnungskräfte eingesetzt werden, setzt dies in der Regel die Zustimmung der Betroffenen voraus. Beleihung erfordert aber nicht in jedem Fall Freiwilligkeit bei der 123 R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 870, der Beleihungsmodelle als Ausprägung des Kooperationsprinzips zwischen Staat und Wirtschaft deutet. 124 Vergi. U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 46 ff. und S. 222 ff.; zum Auseinanderfallen von Funktion und Status beim Beliehenen Η.Ή. Trute y Die Forschung zwischen grundrechtlicher Freiheit und staatlicher Institutionalisierung, 1994, S. 615 ff. m.w.N. 125 H. J. Wolff/0. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht II, 5. Aufl. 1987, S. 415 f.; F. OssenbühU VVDStRL 29, S. 173 f. 126 H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 430, der einen (zu) engen Privatisierungsbegriff zu Grunde legt und deswegen einen Privatisierungstatbestand bei der Beleihung ablehnt. 127 Aus gemeinschaftsrechtlicher Sicht ist darauf hinzuweisen, dass nationale Sicherheitsstandards durch den Unionsvertrag nicht berührt werden, Art. Κ 2 EUV. Insbesondere gilt die EG-Dienstleistungsrichtlinie vom 18.1.1992 (92/50/EWG) gem. Art. 4 Abs. 2 nicht für das Ausschreibungsverfahren der öffentliche Verwaltung bei der Wahrnehmung von hoheitlichen Aufgaben. 128 vèrgi, bereits Η. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 430; F. Kirchhof DVB1. 1984, S. 659.
IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit
119
Übernahme von Hoheitsbefugnissen, wie die bekannten Beispiele des Schiffskapitäns und des Luftfahrzeugführers belegen129. Bislang hat der Gesetzgeber von der Einführung des Instituts der Beleihung im Aufgabenbereich der inneren Sicherheit nur in sparsamem Umfang Gebrauch gemacht. Zu nennen ist insbesondere die Übertragungsmöglichkeit von unmittelbaren Zwangsbefugnissen durch den Bundesminister der Verteidigung auf ziviles Wachpersonal bei militärischen Wach- und Sicherungsaufgaben nach § 1 Abs. 2 des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen130. In der Praxis wird von dieser Möglichkeit in erheblichem Umfang und mit wachsender Tendenz Gebrauch gemacht, nicht zuletzt vor dem Hintergrund einer Abschmelzung der Friedensstärke der Bundeswehr. Auf der Grundlage von § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG werden Privatunternehmen des Sicherheitsgewerbes seit 1992 mit Aufgaben und Befugnissen der Luftfahrtbehörden bei der Durchsuchung von Personen und Gepäck auf Flughäfen beliehen131, wenn der Bundesgrenzschutz auf Antrag eines Landes den Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs auf dem Flughafengelände übernommen hat 132 . In der Praxis hat diese Option erhebliche Bedeutung. Ob § 29 c Abs. 3 LuftVG als Rechtsgrundlage für Beleihungen ausreicht, ist allerdings zweifelhaft 133. Die Frage hat nicht nur theoretische, sondern im Hinblick auf das rechtlich gebotene Mindestmaß an staatlicher Überwachung erhebliche praktische Bedeutung, da die Anforderungen an die staatliche Kontrollintensität bei der Beleihung weniger streng sind als bei anderen Formen der Einschaltung Privater. Auch im Strafvollzug ist die Beleihung von Privaten mit hoheitlichen Befugnissen unter engen Voraussetzungen möglich 134 . Soweit ersichtlich, 129
Freilich handelt es sich dabei um besondere Situationen, bei denen sich die Beleihung gerade daraus rechtfertigt, dass staatliche Ordnungskräfte in Gefahrensituationen aus tatsächlichen Gründen nicht oder nicht rechtzeitig präsent sein können. Weitere Beispiele bei Drew sfWacke/Vogel/Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 59. 130 UZwGBw, BGBl. I 1965, S. 796; weitere Beispiele bei R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 872 f. 131 Neu gefasst durch BGBl. I 1992, S. 1372. Diese Beleihung erstreckt sich nicht auch auf die für diesen Sicherheitsservice erhobene Luftsicherheitsgebühr, die weiter in der Hand des Staates liegt. 132 Vergi. § 4 BGSG i.V.m. §§ 31 Abs. 2 Nr. 19, 29c, 29d LuftVG. Der BGS verfügt damit auf der Grundlage des BGSG über die beiden personellen Entlastungsmöglichkeiten der Einschaltung von Hilfspolizisten oder von privaten Sicherheitsdiensten als Beliehene. 133 Dazu unten E. II. 1. b).
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
wird von diesem Instrument bislang nicht in nennenswertem Umfang Gebrauch gemacht. In der Diskussion befinden sich allerdings Pläne, die Außenbewachung der Justizvollzugsanstalten ähnlich wie bei Bundeswehreinrichtungen auf private Wachdienstgesellschaften zu übertragen. Ob § 155 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz im Hinblick auf die besonderen Gründe, die danach für eine Beleihung Privater erforderlich sind, hierfür eine ausreichende Rechtsgrundlage darstellt, erscheint bereits nach einfachem Gesetzesrecht fraglich. Ausschließlich Kostenüberlegungen zur Rechtfertigung einer Beleihung in diesem Bereich wird man kaum als besondere Gründe im Sinne des Gesetzes ansehen können. Andernfalls ließe sich jede staatliche Leistung im Vollzugsbereich, wenn sie denn auf dem Markt billiger zu haben wäre, im Wege der Beleihung zukaufen. Die letzte Überlegung verdeutlicht zugleich die grundsätzliche Problematik, die Beleihungsmodelle als Privatisierungsvariante aufwerfen können. Das Instrument als solches ist zwar allgemein anerkannt. Im Hinblick auf die Kosten des öffentlichen Dienstes ist es auch denkbar, dass der Gesetzgeber in der Zukunft weitere Beleihungsgrundlagen im Aufgabenfeld der inneren Sicherheit schaffen wird, um die Polizei zu entlasten135. Trotz ihrer formalen Unterstellung unter die Verwaltung sind Beliehene aber keine Angehörigen des öffentlichen Dienstes, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Auch wenn Art. 33 Abs. 4 GG den Funktionsvorbehalt nur als Regelfall für die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse vorschreibt, Ausnahmen mithin zulässig sind, stellt sich die Frage nach dem Auszehrungspunkt des Funktionsvorbehalts durch extensi134 vèrgi, § 155 Abs. 1 Strafvollzugsgesetz, der als Grundlage für die Betrauung eines privaten Arztes mit ärztlichen Heileingriffen auch gegen den Willen des Strafgefangenen gedeutet werden kann (str.). Voraussetzung ist freilich, dass dieser einen eigenen Entscheidungsspielraum besitzt und nicht lediglich verlängerter Arm des Leiters der JVA ist (vergleichbar den Fällen der Blutabnahme durch einen privaten Arzt auf Anweisung der Polizei, die damit keinen Fall der Beleihung darstellt). 135 Vorgeschlagen wurde die Möglichkeit, in § 26 StVG eine Beleihungsgrundlage für Private bei der Überwachung des Parkraumes zu schaffen, vergi. Gesetzesantrag des Landes Berlin, BRat-Drs. 691/96. Berlin hatte mit Einführung seines Parkraumbewirtschaftungskonzepts für die Innenstadt Privaten die Überwachung des Parkraumes auf vertraglicher Grundlage übertragen. Diese Verwaltungshilfe hat das AG Tiergarten mit Urteil vom 24. April 1996 (304 a OWi 467/96) - NStZ-RR 1996, S. 277 - allerdings für rechtswidrig erklärt, da den Privaten jede Befugnis für diese Ermittlungstätigkeit fehlt: „Die Feststellung von Ordnungswidrigkeiten im Rahmen der Verkehrsüberwachung ist eine typische Hoheitsaufgabe, die zum Kernbereich staatlicher Verwaltung gehört... Die darauf gerichtete Tätigkeit ist deshalb ihrem Wesen nach Strafverfolgung und gehört zum Kernbereich der Staatlichkeit." Die Übertragung entsprechender Verfolgungsaufgaben an Private setze deren Beleihung und damit zunächst die Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen voraus, bestätigend Kammergericht Berlin, Beschluss vom 23. Oktober 1996 ( - 2 Ss 171/96 3 Ws (B) 406/96 -).
IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit
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ves Gebrauchmachen von der Beleihungsmöglichkeit. Die verfassungsrechtliche Frage lautet, ob es einen präzise benennbaren Umschlagspunkt überhaupt gibt, an dem das zulässige Regel-Ausnahme-Verhältnis sich in eine unzulässige Relation verschiebt, eben weil die Ausnahme zur Regel wird. c) Verwaltungshilfe
Stellt man auf die rechtlich eingeräumten Entscheidungsspielräume ab, so ist der Privatisierungsgrad bei der Einschaltung von Privatpersonen in Staatsaufgaben der inneren Sicherheit als Verwaltungshelfer schwächer ausgeprägt als beim Beliehenen. Verwaltungshelfer üben keine Verwaltungskompetenzen aus, sind aber gleichwohl in die Erfüllung von Staatsaufgaben eingeschaltet136. Sie sind nach ganz herrschender Auffassung unselbständig und werden nur unter strikter Anleitung als Werkzeug bzw. als verlängerter Arm von Beamten tätig 137 . Sie können deswegen keine Hoheitsbefugnisse im eigenen Namen ausüben und verfügen in diesem Bereich begrifflich über keine eigenen Entscheidungsspielräume. Wegen dieses Mangels an selbständigen Entscheidungs- und Handlungsbefugnissen bedarf es für ihre Einschaltung in die öffentliche Verwaltung im Gegensatz zum Beliehenen grundsätzlich auch keiner ausdrücklichen gesetzlichen Ermächtigung 138. In der Regel erfolgt ihre Beauftragung durch zivilrechtlichen Vertrag, mit dem die Verwaltung die betreffende Dienstleistung des Verwaltungshelfers als Fremdleistung „einkauft". In einigen wenigen Fällen, insbesondere im Schulbereich, erfolgt die Bestellung zum Verwaltungshelfer auch durch Beauftragung mit einem öffentlichen Amt 1 3 9 . Auf diesem Wege werden Verwaltungshelfer in den öffentlichen Verwaltungsvollzug unmittelbar eingebunden. Dahinter steht erkennbar das Vorstellungsbild, dass der Einsatz von Verwaltungshelfern in weniger bedeutsamen Aufgabenbereichen ohne Eingriffsqualität in die Rechte Dritter im Prinzip rechtlich unproblematisch ist und deswegen eine rechtliche Ermächtigungsgrundlage entbehrlich macht. Die entscheidende Rechtsfrage im Einzelfall lautet, welche Aufgaben bzw. Teilaufgaben auf Verwaltungshelfer übertragbar und welche der Verwaltung zur eigenen Wahrnehmung vorbehalten sind 140 .
136
L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 352. R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 878 ff. 138 F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 357 m.w.N. 139 Etwa beim Schülerlotsen, vergi. F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 18 f. 140 L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 234. 137
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Ein in der Praxis bedeutsamer Anwendungsfall ist der Einsatz von privaten Wachdienstgesellschaften bei der Abschiebungshaft geworden. Rechtsgrundlage der Abschiebungshaft ist § 57 Ausländergesetz (AuslG) in Verbindung mit Vorschriften des Gesetzes über das gerichtliche Verfahren bei Freiheitsentziehung (FEVG). Zuständig für den Vollzug der Abschiebungshaft sind die Ausländerbehörden, § 3 FEVG i.v.m. § 63 Abs. 1 Satz 1 AuslG, die sich in Ermangelung ausreichender eigener Ressourcen zur Unterbringung der Amtshilfe der Justizvollzugsanstalten bedienen141. § 8 Abs. 2 FEVG 142 verweist für diesen Fall auf einige Vorschriften des Strafvollzugsgesetzes, die entsprechend anzuwenden sind, nicht aber auf § 155 Strafvollzugsgesetz. Da die Justizvollzugsanstalten nicht über ausreichendes Personal verfügen, wurde auf vertraglicher Grundlage ergänzend privates Wachpersonal eingestellt. Zu deren Aufgaben zählen etwa Kontrollen im Pfortenbereich, Sicherungsaufgaben im Haftbereich, Überwachung der Essensausgabe und Zuführung von Gefangenen bei Besuchen, Kontrollgänge innerhalb der Zaunanlage und Überwachungen zur Außen- und Innensicherung. Mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage kam eine Beleihung nicht in Betracht, sondern nur die Figur des Verwaltungshelfers. Die entsprechenden Verträge sehen deswegen regelmäßig vor, dass Eingriffe in Rechte Dritter durch die Mitarbeiter des vertraglich verpflichteten Wachunternehmens nur im Einzelfall und auf Weisung von Beamten vorgenommen werden dürfen. Die ständige Präsenz von Hoheitsträgern der Justiz muss gewährleistet sein, um im Einzelfall Eingriffsanordnungen treffen zu können. Generelle Dienstanweisungen im vorhinein sind unzulässig143. Weitere praktisch relevante Einsatzfelder für Verwaltungshelfer finden sich häufig im Zusammenhang mit der Auslagerung von eher untergeordneten oder technischen Hilfsfunktionen der Verwaltung ohne Eingriffscharakter an Private, ohne dass damit die Aufgabe als Ganzes aus der Hand der Verwaltung gegeben wird. So sollen im Bereich der Datenverarbeitung wichtige Funktionen des Bundeszentralregisters an ein Privatunternehmen auf der Grundlage von vertraglichen Abmachungen ausgelagert werden. Das Unternehmen übt dabei selbst keine Hoheitsbefugnisse aus. Es wird weder als Beliehener noch auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung tätig, sondern als in den Verwaltungsvollzug durch Zukauf eingeschaltete Serviceeinheit, die ihrerseits nur über vertragliche Bindungen zur Einhaltung 141
Ausführlich zu Rechtsgrundlagen und Praxis der Abschiebungshaft M. Eschenbachen ZfStrVO 1994, S. 158 ff. 142 Der Vorschrift kann auch nicht entnommen werden, dass Abschiebungshaft in Justizvollzugsanstalten erfolgen muss. In NRW hatte man beispielsweise eine ehemalige Kaserne in Büren als Abschiebungshafteinrichtung umgebaut. 143 Vergi. M. Eschenbacher, ZfStrVO 1994, S. 160.
IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit
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öffentlich-rechtlicher Kautelen verpflichtet werden kann. Formal handelt es sich um einen Fall des in die Verwaltung integrierten Verwaltungshelfers. Mit § 11 Bundesdatenschutzgesetz und entsprechenden Parallelregelungen in den Landesdatenschutzgesetzen existieren sogar ausdrückliche Rechtsgrundlagen, die die Beauftragung Dritter mit der Datenverarbeitung und damit deren Einschaltung gestatten. Auch wenn entsprechende ausdrückliche Ermächtigungen für die Einschaltung von Verwaltungshelfern in anderen Rechtsbereichen vereinzelt ebenfalls zu finden sind, ist diese gelegentliche Regelungstechnik nicht Ausdruck eines generellen Gesetzesvorbehalts für die Zulässigkeit der Einschaltung von Verwaltungshelfern. Ein entsprechender Gesetzesvorbehalt existiert nicht. Auch ohne die ausdrückliche Ermächtigung des § 11 BDSG wäre die Einschaltung Dritter zur Erledigung bestimmter Datenverarbeitungsvorgänge zulässig, jedenfalls solange damit keine Ausübung von Hoheitsbefugnissen und insbesondere keine Eingriffe in Grundrechte verbunden sind 144 . d) Arbeitnehmerüberlassung
Ein anderes Modell der Integration Privater in die staatliche Aufgabenerledigung stellt die Überlassung von Arbeitnehmern in einem unechten Leiharbeitsverhältnis auf der Grundlage des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes (AÜG) dar 145 . Dabei bestehen zwischen dem Entleiher auf der Staatsseite und dem Leiharbeitnehmer selbst keine vertraglichen Beziehungen, sondern nur zwischen dem Entleiher und dem privaten Arbeitgeber, der die Arbeitnehmer gewerblich verleiht. Dem Entleiher steht bei dieser Rechtskonstruktion allerdings das Direktionsrecht zu. Er kann daher Art und Ausführung der Arbeit bestimmen146. Der Leiharbeitnehmer wird dadurch aber nicht zum Angestellten im öffentlichen Dienst 147 .
144 Die eigentlichen Probleme liegen auf einer anderen Ebene. So gibt es Pläne, die Berechnung der Bezüge der Beamten vollständig an private Organisationen zu vergeben mit der Folge, dass eine staatliche Behörde allenfalls noch formal den Verwaltungsakt zur Feststellung der Bezüge des einzelnen Beamten selbst erlässt. In diesem Fall würde sich nicht nur die vorbereitende Verwaltungstätigkeit, sondern auch die eigentliche Entscheidung faktisch zum privaten Auftragnehmer verlagern. Gerade bei stark standardisierten Vorgängen, bei denen sich schlichte Bearbeitung und feststellende Entscheidung nur schwer auseinander dividieren lassen, besteht diese Möglichkeit. Je weitgehender und vollkommener diese Auslagerung faktisch vorangetrieben wird, desto weniger entscheidet die Verwaltung noch selbst und desto abhängiger wird sie von den sächlichen und personellen Ressourcen und vor allem vom „Know-how" des Auftragnehmers. Insbesondere bei hochkomplexen Verwaltungsvorgängen ist eine Aushöhlung der Verwaltung nicht auszuschließen. 145 Dazu G. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl. 1996, § 120 (S. 1043 ff.). 146 G. Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch, 8. Aufl. 1996, S. 1056 f.
124
Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Verwaltungsorganisationsrechtlich ist das zivilrechtliche unechte Leiharbeitsverhältnis damit eine besondere arbeitsrechtliche Erscheinungsform, in die die öffentlich-rechtliche Verwaltungshilfe sich kleiden kann. Grundsätzlich können in diesem - und nur in diesem - Rahmen Leiharbeitnehmer unter entsprechend straffer Aufsicht von Beamten auch für Sicherheitsaufgaben eingesetzt werden 148. e) Gemischte Gesellschaften
Eine weitere Privatisierungsvariante von Sicherheitsaufgaben wird vorwiegend in den neuen Ländern erprobt 149. Nach dem Vorbild der Organisationsprivatisierung im kommunalen Versorgungssektor werden Sicherheitsgesellschaften in privater Rechtsform unter Beteiligung echter Privatpersonen errichtet. Als konkreter Vorschlag liegt etwa das Modell einer kommunalen „Sicherheits- und Service-Gesellschaft Dresden mbH" (SGD) vor. Das Unternehmen soll die Durchführung von Bewachungs-, Sicherungs- und privatisierungsfähigen Ordnungsaufgaben einschließlich Objekt-, Betriebs-, Gebäude- und Personenschutz, V.I.P.-Betreuung, Empfangs-, Garderoben·, Reinigungs- und Kurierdiensten sowie Ordnungs- und Kontrollaufgaben im Bereich des öffentlichen Straßenverkehrs übernehmen150. Die Einsatzleitung für sämtliche Leistungen liegt bei der Gesellschaft, die damit bei der Durchführung ihrer Aufgaben ein hohes Maß an Selbständigkeit genießt. Die Aufsicht der Stadt ist stark gelockert: Mit einem prozentualen Anteil von 51% sichert sich der Gesellschafter Landeshauptstadt Dresden zwar den Zugriff auf Geschäftszweck und Tätigkeit der Gesellschaft, insbesondere auch auf die Auswahl des Personals. Die verbleibenden 49% sollen aber von einer im Sicherheitsgewerbe ausgewiesenen Fachfirma übernommen werden, die auf diesem Wege in die Aufgabenerfüllung eingeschaltet wird. Ziel dieser Konstruktion ist es, vor dem Hintergrund einer angespannten Haushaltslage Polizeikräfte von weniger bedeutsamen Tätigkeiten zu entlasten und privates Kapital und Fachwissen zu nutzen151.
147
Dies würde einen individuellen Dienstvertrag voraussetzen, vergi. U. Steiner, DAR 1996, S. 273. 148 Im Ansatz ebenso BayObLG, Beschluß vom 5.3.1997, DAR 1997, S. 206 ff., bezogen auf die Übertragung der Geschwindigkeitsmessung auf Private. 149 Zum „Leipziger Modell" m.w.N. R. Haller, 1997, S. 97 ff. Andere sprechen von „Dresdner Modell", A. Krölls, GewArch 1997, S. 447. 150 § 4 des Entwurfs für die Errichtung einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung. 151 Zum Konzept H.-U. Herzberg, DPolBl 6/95, S. 10 ff.
I . Privatisierungsstrategien:
richerheit
125
Viele Detailfragen sind bei diesem Modell offen. Im einzelnen kommt es entscheidend auf die vertragliche Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrages und der Arbeitsbeziehungen an. Für die Ausübung von Hoheitsbefugnissen mit Eingriffscharakter ist die private Rechtsform allerdings nicht geeignet. Auf Grund von privatem Recht sind rechtmäßige hoheitliche Eingriffe in die Rechte Dritter - jedenfalls ohne entsprechenden gesetzlichen Beleihungsakt - rechtlich nicht zulässig. Fragen wirft in diesem Zusammenhang etwa der Aufgabenbereich des Personenschutzes durch das Personal der Sicherheits-GmbH auf. Als Rechtsgrundlage für das Eingreifen des Personals gegenüber Dritten in kritischen Situationen kommen in Ermangelung von Hoheitsbefugnissen nur die Jedermannsrechte in Betracht. 3. Sicherheit als Aufgabe von Privaten a) Innere Sicherheit als konkurrierende
Staatsaufgabe
Trotz ihres herausragenden Ranges gehört die Staatsaufgabe innere Sicherheit nicht zum exklusiven staatlichen Aufgabenbestand. Es handelt sich um eine konkurrierende Staatsaufgabe. Dies bedeutet, dass Private von der (Sach-) Aufgabenwahrnehmung aus eigenem Recht nicht ausgeschlossen sind 152 . Auch wenn Private selbstverständlich nicht über hoheitliche Befugnisse verfügen 153, sind sie nicht gehindert, mit ihren Möglichkeiten bestimmte Sicherheitszwecke zu verfolgen. Dieses Recht ist Ausdruck grundrechtlich gesicherter Freiheitsausübung 154 . Bezogen auf Staatsaufgaben enthalten die Grundrechte die Freiheitsvermutung, dass jede Staatsaufgabe grundsätzlich auch als Privataufgabe verfolgt werden darf, soweit Verfassungsrecht bzw. verfassungskonformes einfaches Recht nicht bestimmte Sachaufgaben von der konkurrierenden Wahrnehmung durch Private ausdrücklich ausnehmen. Rechtlich greifbare Konsequenz dieser Freiheitsvermutung ist eine Beweis152
C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 142. Staatliche und private Aufgaben Wahrnehmung unterscheiden sich durch die jeweiligen Befugnisse, nicht aber unbedingt hinsichtlich ihrer Zielrichtung. Nur mit dieser Einschränkung macht der Satz bei C. Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, Rdn. 158 Sinn, wonach der Auftrag der Polizei einerseits und privater Sicherheitsdienste andererseits rechtlich unterschiedlich ist; zu weit geht es, wenn C. Gusy in seiner Stellungnahme anlässlich der öffentlichen Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages zu dem Antrag der Fraktion der SPD „Private Sicherheitsdienste" (BT-Drs. 13/3432) vom 10. März 1997, Ausschussdrucksache 13/95, S. 76 formuliert, dass es eine gemeinsame Aufgabe „Sicherheit", welche Staat und Private überwölbt, nicht gibt. 154 J. Isensee, Das Grundrecht auf Sicherheit. Zu den Schutzpflichten des freiheitlichen Verfassungstaates, 1983, S. 57 f. 153
126
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
lastregel: Es ist Sache des Staates nachzuweisen, dass die Wahrnehmung von Staatsaufgaben als konkurrierende Privataufgabe von Rechts wegen unzulässig ist und nicht Sache der Privaten, die Zulässigkeit der Verfolgung ihrer Zwecke zu belegen. Von Rechts wegen sind die allermeisten Staatsaufgaben in diesem Sinn damit konkurrierende Aufgaben. Exklusive Staatsaufgaben, die jedes freiwillige Privatengagement rechtlich ausschließen, finden sich nur selten. Eine andere Frage ist es, ob aus dem Prädikat der Exklusivität staatlicher Aufgaben auch automatisch deren Notwendigkeit im Sinne ihrer rechtlichen und insbesondere verfassungsrechtlichen Wahrnehmungspflicht folgt. Die Frage lässt sich in generalisierender Form nicht beantworten. Die Unterscheidung von ausschließlichen und konkurrierenden Staatsaufgaben ist mit der hier zu Grunde gelegten Unterscheidung von notwendigen und nicht unbedingt notwendigen Staatsaufgaben jedenfalls nicht identisch. Ob exklusive Staatsaufgaben rechtlich bindend auch tatsächlich wahrgenommen werden müssen, ob sie lediglich eine widerlegliche Vermutung für die Notwendigkeit ihrer Wahrnehmung durch den Staat enthalten oder ob sie wirklich nur die Herausnahme bestimmter Aufgaben aus der gesellschaftlichen Wahrnehmung im Sinne eines abstrakten Vorbehalts staatlicher Aufgabenwahrnehmung ohne bindende Rechtspflicht zu deren tatsächlicher Erfüllung betreffen, dies bedarf im konkreten Fall der Untersuchung. Ebenso wenig folgt allerdings umgekehrt aus der Einordnung als konkurrierende Staatsaufgabe, dass es sich deswegen also nicht auch um eine notwendige Staatsaufgabe handeln kann, zu deren tatsächlicher Wahrnehmung der Staat rechtlich verpflichtet ist. Die Differenzierung von ausschließlichen und konkurrierenden Staatsaufgaben führt damit in der Frage nach der Staatsnotwendigkeit nicht weiter. Soweit Private Aufgaben der inneren Sicherheit wahrnehmen, ohne Hoheitsbefugnisse auszuüben und ohne in die Verwaltung integriert zu sein, ist über Freiwilligkeit oder eine eventuell bestehende Rechtspflicht allerdings noch nichts präjudiziert. Im Hinblick auf die Abstufung von Privatisierungsgraden ist deswegen systematisch zwischen der Erledigung von Sicherheitsaufgaben Privater auf Grund einer Rechtspflicht oder auf freiwilliger Grundlage zu unterscheiden.
b) Indienstnahme Privater
Die Indienstnahme ist eine öffentlich-rechtliche Bürgerpflicht, die Privatpersonen unmittelbar als eigene Angelegenheit und damit ohne öffentlichrechtliche Befugnisse auferlegt wird 155 . Die Verpflichtung privater Unternehmen zur Beschäftigung von behinderten Arbeitnehmern, die Pflicht von
I . Privatisierungsstrategien:
richerheit
127
Arbeitgebern und Banken zur Erhebung der Lohn- bzw. Couponsteuer156 oder die Pflicht zur Erdölbevorratung des Mineralölhandels 157 sind prominente Beispiele der Inpflichtnahme Privater. Auch auf dem Gebiet der inneren Sicherheit erbringen Private zahlreiche Leistungen auf Grund gesetzlicher Verpflichtungen und damit zumeist auch auf eigene Kosten, ohne deswegen in die öffentliche Verwaltung integriert zu sein. Der Ausschluss hoheitlicher Befugnisse bei der Indienstnahme ergibt sich begrifflich aus der Abgrenzung zur Beleihung. Bei der Indienstnahme werden im Unterschied zur Verwaltungshilfe, die in der Regel auf der Grundlage einer vertraglichen Beauftragung von Privaten gegen entsprechende Vergütung beruht, Sicherheitsaufgaben durch Privatpersonen als Rechtspflicht im Vorfeld des behördlichen Zugriffs erfüllt 158 . In bestimmtem Fällen steht es im Ermessen der Behörde, eine Indienstnahme - etwa im Rahmen eines Genehmigungsverfahrens - anzuordnen. Das Instrument der Indienstnahme eignet sich bei Schaffung entsprechender Rechtsgrundlagen in begrenztem Umfang auch zur Überführung von vormals bestehenden Verwaltungsaufgaben in die private Regie. Tatsächlich handelt es sich dabei um eine Variante der materiellen Privatisierung 159, bei der die Staats- bzw. Verwaltungsaufgabe der Herstellung und Gewährleistung eines bestimmten Sicherheitsniveaus in der konkreten Ausführung nunmehr zur Privatpflicht mutiert. Diese Möglichkeit rechtfertigt es auch, die Indienstnahme im Rahmen der verschiedenen Privatisierungsgrade von Staatsaufgaben systematisch einzubeziehen. Nicht ohne weiteres von einem Privatisierungsvorgang im Sinne einer materiellen Privatisierung kann man bei der gesetzlichen Einführung von Rechtspflichten für Private sprechen, die inhaltlich zuvor nicht bereits als Verwaltungsaufgabe wahrgenommen wurden. Insoweit fehlt es begrifflich an dem für echte Privatisierungsvorgänge konstitutiven Merkmal der Aufgabenverlagerung von der staatlichen in die private Zuständigkeit. Auch in diesen Fällen kann sich allerdings die grundlegende Frage stellen, ob der Staat bestimmte, neu geschaffene Rechtspflichten Privater aus übergeordne155
F. Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 149, 155; W. Graf Vitzthum, AöR 104, S. 594 f.; Κ Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 793. 156 BVerfGE 22, 380; entsprechend auch der Kirchensteuer, dazu BVerfGE 44, 103. 157 BVerfGE 30, 292. 158 Das Merkmal der Rechtspflicht ist insofern konstitutiv für die Inpflichtnahme, da eine Abgrenzung zur Verwaltungshilfe als freiwillig eingegangenem Rechtsverhältnis sonst kaum mehr möglich wäre, anders F. Kirchhof DVB1. 1984, S. 659 unter Berufung auf H. P. Ipsen, Festschrift E. Kaufmann, 1950, S. 151, 159. 159 W. Graf Vitzthum, AöR 104, S. 594; ähnlich F. Kirchhof DVB1. 1984, S. 658 f.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
ten Gründen nicht selbst erfüllen müsste. Verschärft wird diese Fragestellung, wenn die betreffende Sachaufgabe die Qualität von notwendigen Staatsaufgaben genießt. Die Aufbürdung solcher Aufgaben auf Private im Wege der Indienstnahme stellt eine prinzipiell unzulässige Aufgaben- bzw. Pflichtenzuweisung an Private dar. Als Erscheinungsformen der Indienstnahme aus dem Bereich innere Sicherheit einschließlich der technischen Sicherheit sind aus der Praxis neben der polizeilichen Störerhaftung entsprechend den Polizeigesetzen der Länder Hilfeleistungspflichten 160 , Straßenreinigungspflichten 161 und vor allem spezialgesetzliche Eigensicherungs- bzw. Vorsorgepflichten 162 zu nennen. Dabei werden etwa Kennzeichnungs- und Dokumentationspflichten für Hersteller und Vertreiber von Waffen und gefährlichen Stoffen 1 6 3 oder Sicherungspflichten vor unbefugten Zugriffen und Missbräuchen durch Dritte normiert, wobei Art und Umfang der Pflichten je nach Sachgebiet sehr unterschiedlich ausgestaltet sind 1 6 4 .
160
§ 323 c StGB, ärztlicher Notfalldienst auf der Grundlage von § 368 Abs. 1 RVO und landesrechtlichen Regelungen, vergi. C.-Ζλ Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 46. 161 C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 46. 162 Insbesondere im Atomrecht (§§ 4 Abs. 2 Nr. 5, 6 Abs. 2 Nr. 4 und 7, 7 Abs. 2 Nr. 5 und 9, 9 Abs. 2 Nr. 5 AtG), Immissionsschutz (§§ 3 Abs. 2 Nr. 3, 4 Nr. 5 12. BImSchV), Luftverkehr (§§ 46 Abs. 1 LuftVZO, 19b, 20a LuftVG), Straßenverkehr (§ 14 Abs. 2 Satz 2 StVO), Waffenrecht (§§ 42 WaffG, 12 Abs. 1 Nr. 1 KriegswaffenG), Sprengstoffrecht (§ 24 Abs. 2 Nr. 4 SprengstoffG), Apothekenwesen (§ 9 Abs. 3 ApothekenbetriebsO), Betäubungsmittel (§15 BetäubungsmittelG) sowie Datenschutz (§ 6 Abs. 1 BDSG), vergi, hierzu und zum folgenden D. Ehlers, in: Festschrift R. Lukes, 1989, S. 346 f.; C.-Ζλ Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 118 ff. Zu nennen sind weiter Aufzeichnungs-, Aufbewahrungs- und Vorlagepflichten gemäß § 6 Abs. 3 S. 1 GenTG, § 1 GenTAufzV, dazu J. Fluck, DÖV 1991, S. 129 ff. 163 § 16 Sprengstoffgesetz; § 12 Waffengesetz, auch die Kennzeichnungspflicht nach § 13 Waffengesetz; § 12 Abs. 2 Kriegswaffenkontrollgesetz; § 16 Grundstoffüberwachungsgesetz; § 7 Abs. 4 und § 9 Betäubungsmittel-Verschreibungsverordnung; § 3 Chemikalienverbotsverordnung. Diese Pflichten dienen nicht der Eigenkontrolle, sondern ihre Funktion ist es, sich selbst gegenüber Polizei- und Ordnungsbehörden kontrollfähig zu machen (insoweit vergleichbar dem Fahrtenschreiber). Öffentliche Verwaltungsaufgaben, nämlich die Kontrolle über den Verbleib gefährlicher Stoffe, werden unmittelbar durch Private im Wege der Dokumentation erfüllt. 164 Da der Staat schon aus Kapazitätsgründen nicht überall mit eigenem Personal präsent sein kann, bestehen gegen solche Eigensicherungs- und Vorsorgepflichten keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Bedenken, zumal der Gesetzgeber dadurch nicht selten seinen verfassungsrechtlichen Schutzpflichten entspricht. Der verfassungsrechtliche Schutz des Einzelnen vor der Gefahr zu weitgehender Indienstnahmen wird in erster Linie durch die Grundrechte und durch das Verfassungsprinzip der Verhältnismäßigkeit gewahrt.
I . Privatisierungsstrategien:
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Besonders weitreichend sind die Möglichkeiten zur Verpflichtung Privater im Atomrecht. Auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG können die Behörden die Einrichtung eines Werkschutzes mit polizeilicher Aufgabenstellung, aber ohne hoheitliche Befugnisse auf Kosten des Betreibers verlangen 165 . Die Aufgabenstellung beschränkt sich darauf, „den Schutz der Anlage außer durch baulich-technische Vorkehrungen auch durch organisatorische Maßnahmen bis zum Eingreifen der Polizei zu gewährleisten" 166. Bis zu diesem Zeitpunkt dürfen die Betreiber von Kernkraftwerken verpflichtet werden, mit Waffengewalt auf der Grundlage ihres Hausrechts und der Jedermannsrechte entsprechenden Übergriffen im Rahmen der allgemeinen Gesetze, d.h. im Rahmen von Notwehr und Nothilfe, entgegenzutreten. Staatsfunktionen werden dabei nicht ausgeübt. Das Bundesverwaltungsgericht hat dies zu Recht als eine Indienstnahme privater Unternehmer zur unmittelbaren Erfüllung einer öffentlichen Aufgabe bewertet 167. Es werde lediglich eine Pflicht gegenüber dem Staat erfüllt, „nicht aber staatlicher Wille durch Private kraft Zuweisung einer Kompetenz gebildet" 168 . Zugleich belegt § 7 AtG einmal mehr, dass das sogenannte staatliche Gewaltmonopol in der Tat der Relativierung bedarf und kein strenges Monopol darstellt, das keinerlei Ausnahmen zulässt. Entgegen einer in der Literatur vertretenen Meinung 169 gilt das öffentlich-rechtliche Übermaßverbot für die Ausübung der Jedermannsrechte durch Private nicht. Aus der Professionalität der Hilfeleistung mögen im 165
BVerwGE 81, 185/188 schließt die Möglichkeit der Übertragung hoheitlicher Befugnisse auf der Grundlage von § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG ausdrücklich aus. Kritisch U. Karpen, JZ 1989, S. 898 ff. 166 BVerwGE 81, 185/189. 167 BVerwGE 81, S. 185/188 f.; zu Zulässigkeit und Voraussetzungen der Indienstnahme BVerfGE 30, 292/311 f.; H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, § 42 Rdn 11 (S. 537). 168 So die Abgrenzungsdefinition bei U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 199. Kein Fall der gesetzlichen Indienstnahme liegt dagegen bei ordnungsrechtlichen Pflichten (Beispiel: Brandschutzwände nach Bauordnungsrecht) vor, da es hierbei nicht um die unmittelbare Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private anstelle der Verwaltung geht. Die Tatsache, dass nicht nur ein privates, sondern auch ein öffentliches Interesse an ordnungsrechtlichen Maßnahmen besteht, reicht für sich noch nicht aus, um die betreffende Rechtspflicht als Indienstnahme zu qualifizieren. Im übrigen werden die meisten gesetzlichen Indienstnahmen nicht im Interesse des Privaten liegen, wie die Beispiele der Mineralölbevorratung (BVerfGE 30, 292) und des Werkschutzes bei Atomkraftwerken belegen (in BVerwGE 81, 185 hatte sich der Betreiber gegen die Auflage zur Bereitstellung eines privaten Werkschutzes gewehrt). 169 L. Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, 1988, S. 111 ff.; D. Ehlers, Festschrift R. Lukes, 1989, S. 352 f.; M. Schulte, DVB1. 1995, S. 130 ff. 9 Gramm
130
Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Extremfall gewisse Einschränkungen der Notwehr- bzw. Nothilfebefugnis folgen. Dabei handelt es sich indes um strafrechtliche Beschränkungskriterien, nicht um die Geltung des öffentlich-rechtlichen Übermaß Verbotes. Die Wurzeln der privaten Jedermannsrechte werden falsch gedeutet, wenn aus der Tatsache, dass die Hilfeleistung professionell auf der Grundlage einer gesetzlichen Verpflichtung erfolgt, ohne weiteres die Geltung des öffentlich-rechtlichen Übermaßverbotes abgeleitet wird. Weder Professionalität noch gesetzliche Verpflichtung im Wege der Inpflichtnahme vermögen etwas am privaten Ursprung und an der privaten Geltung der Notwehrrechte zu ändern 170. Die gesetzliche Inpflichtnahme Privater begründet deswegen noch keinen Regimewechsel von der privaten Rechtsgrundlage zu einem wie auch immer abgestuften öffentlich-rechtlichen Regime mit entsprechenden Hoheitsbefugnissen Privater. Die Versuche, trotzdem die Geltung des Übermaßverbotes zu postulieren, sind eher Ausdruck der Verlegenheit, die sich als charakteristische Folge einer scheinbar unklaren Gemengelage von öffentlichem und privatem Recht ergibt 171 . Allgemein stellt sich die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen einer kostenwirksamen gesetzlichen Inanspruchnahme Privater im Wege der Indienstnahme für die Erfüllung von Staatsaufgaben, die man auch als eine Form der Verlagerung von Kosten auf Private beschreiben kann 172 . c) Freiwillige
Leistungen Privater
Private Anstrengungen zur Sicherung eigener Rechtsgüter auf freiwilliger Grundlage ohne gesetzliche Verpflichtung (Indienstnahme, gegebenenfalls auch Beleihung) und ohne auf Grund eines Vertrages mit staatlichen Stellen übernommene Verpflichtung (Verwaltungshelfer) sind zahlreich. Dazu gehört auch die Einschaltung Dritter auf vertraglicher Grundlage, etwa für die Ermittlung von sicherheitsrelevanten Sachverhalten im Rahmen journalistischer Arbeit oder durch Detekteien mit privatrechtlichen Möglichkeiten 173 . Auch die Gefahrenabwehr ist im Rahmen der Jedermannsrechte grundsätzlich zulässig. Das staatliche Gewaltmonopol steht dem nicht ent170 Zur Rechtfertigung der Gewaltgestattung ohne Bindung an das Verhältnismäßigkeitsprinzip im Rahmen von Notwehr und Nothilfe C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 122 ff. Auf die Unterscheidung zwischen privater und staatlich veranlasster Gefahrenabwehr kann es dabei nicht ankommen. 171 C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 159 fordert deswegen konsequent die Beleihung mit Hoheitsbefugnissen. 172 Zur Kostenverlagerung weg vom Steuerzahler auf den Gebühren- und Beitragszahler als Privatisierungsvariante G. F. Schuppert, DÖV 1995, S. 766 f.; A. Krölls, GewArch 1995, S. 130 ff.
IV. Privatisierungsstrategien: Innere Sicherheit
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gegen, denn es begrenzt lediglich die Handlungsmittel Privater, nicht aber die Verfolgung bestimmter Zwecke. Weiter gehören zu den freiwilligen Leistungen technische Maßnahmen zur Effektivierung des Eigentumsschutzes wie Wegfahrsperren bei Kraftfahrzeugen oder sonstige Sicherungsanlagen vor Einbruch und Diebstahl. Die Anreize zum Einbau entsprechender Sicherungstechniken beruhen dabei nicht immer nur auf der autonomen Entschließung des Einzelnen, sondern auf den allgemeinen Geschäftsbedingungen der Versicherungswirtschaft, die den Nichteinbau entsprechender Maßnahmen mit Abschlägen bei der Erstattung im Versicherungsfall sanktioniert. Auch wenn es dabei nicht um Staatsaufgaben, sondern um freiwillig übernommene Aufgaben von Privaten geht, sucht der Staat häufig auch hier Einfluss zu nehmen. Selbstschutzbemühungen von Privaten sind staatlicherseits durchaus erwünscht. Innenministerien und Kriminalämter wirken dabei durch Aufklärungsarbeit im Rahmen von kriminalpolizeilichen Vorbeugungsprogrammen allgemein unterstützend und im Einzelfall auf Anfrage beratend mit 1 7 4 . Diese Präventionsmaßnahmen durch Informations- und Aufklärungskampagnen im Rahmen der staatlichen Öffentlichkeitsarbeit sind eine abgeschwächte Form staatlicher (Verhaltens-) Steuerung, die über die schlichte Informationsvermittlung hinausgehen. Staatliche Stellen operieren dabei zwar nicht mit Ge- und Verboten oder Zwang, sondern setzen alleine auf die Einsicht der Adressaten. Ihrer Intention nach zielen sie aber auf freiwillige Anpassung an das staatlich empfohlene Verhalten bzw. an die staatlich empfohlenen Maßnahmen175. Neben den technischen Sicherheitsmaßnahmen spielt in der Praxis vor allem der Einkauf von Sicherheitsdienstleistungen Dritter durch die vertragliche Einschaltung privater Sicherheitsdienste eine bedeutende Rolle. Auch hier ändert sich der private Charakter der Aufgabenstellung nicht dadurch, dass Privatpersonen sich der Hilfe Dritter bedienen oder dadurch, dass diese Privataufgabe inhaltlich in die gleiche Richtung zielt wie die Staatsaufgabe Sicherheit auch. Klassische Sicherheitsdienstleistungen durch Private sind etwa Objekt- und Personenschutz, Empfangs- und Kontrolldienste, Messe-, Veranstaltungs- und Konferenzdienste, Notruf- und Serviceleitstellen, Sicherheitsdienste in privaten Wohn- und Geschäftsvierteln und in anderen halböffentlichen Räumen wie Einkaufszentren, Geld- und Werttransporte, Detektiv- und Ermittlungsdienste oder der Werkschutz 176. 173
1996. 174
Ausführlich A. Peilert,
Das Recht des Auskunftei- und Detekteigewerbes,
R.-P. Weinberger, Polizeiliche Prävention durch Öffentlichkeitsarbeit, 1984. Vergi. P. Kirchhof, \ HStR III, 1988, § 59 Rdn. 177 ff. (S. 196 f.); C. Gramm, Der Staat 30, S. 56, 60 ff. 175
9*
132
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
§ 34 a GewO 177 enthält einen Erlaubnisvorbehalt für die Ausübung des Bewachungsgewerbes, knüpft aber deren Erteilung an keine allzu strengen Voraussetzungen. Als gewerberechtliche Besonderheit verdient hier lediglich der Sachkundenachweis gemäß § 34 Abs. 1 Satz 3 Nr. 3 GewO Erwähnung. Nachzuweisen ist das Vertrautsein mit den für die Ausübung des Gewerbes notwendigen rechtlichen Vorschriften. Eine entsprechende Unterrichtung erfolgt durch die Industrie- und Handelskammern und muss mindestens 40 bzw. 24 Stunden andauern178. Die Rechtsgrundlagen für das Eingreifen von privatem Sicherheitspersonal gegenüber Dritten sind ausschließlich privater Natur. Von Bedeutung ist in erster Linie das vom Auftraggeber delegierte Hausrecht sowie das Nothilferecht, für dessen Ausübung auch bei gewerblichen Sicherheitsdiensten der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz des öffentlichen Rechts nicht gilt 1 7 9 . Weitergehende Befugnisse besitzen Sicherheitsdienste nicht, insbesondere nicht eine gleichsam mit dem Gewerbe mehr oder weniger automatisch verknüpfte Befugnis zum Führen von Schusswaffen. Insoweit gelten die §§ 28 ff. WaffenG 180. Freiwillige Leistungen Privater im weiteren Bereich der inneren Sicherheit finden sich auch im Umfeld des Strafvollzuges, wo die Zusammenarbeit von staatlichen und privaten Stellen mehrfach ausdrücklich geregelt ist' 8 1 .
176
Einzelheiten in: J. Glavic (Hrsg.), Handbuch des privaten Sicherheitsgewerbes, 1995, S. 315 ff.; 347 ff.; 379 ff.; 405 ff. und 439 ff. 177 Eingefügt in die GewO im Zuge des Verbrechensbekämpfungsgesetzes vom 28.10.1994, BGBl. I 1994, S. 3196 f. 178 Einzelheiten enthält die Verordnung über das Bewachungsgewerbe vom 7.12.1995, BGBl. I 1995, S. 1602. 179 Ob der Bewachungsvertrag eine professionelle Nothilfe gestattet, ist umstritten; bestritten wird dies in der rechtswissenschaftlichen Diskussion seit längerem, etwa W. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 284; B. Jeand'Heur, AöR 114, S. 127; B. Greifeid, DOV 1981, S. 913; C. Gusy. StWStP 1994, S. 203 f.; gefordert werden eigenständige und dem Verhältnismäßigkeitsprinzip unterworfene gesetzliche Befugnisnormen für professionelle Nothelfer, B. Jeand'Heur, AöR 119, S. 135; Antrag der Fraktion der SPD vom 8.12.1995 auf ein Gesetz über Rechte, Pflichten und Aufgabengebiete privater Sicherheitsunternehmen, in denen insbesondere die Befugnisse in öffentlichen und halböffentlichen Räumen festgelegt werden, BT-Drs. 13/3431 vom 5.1.1996. 180 Vergi. C. Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, Rdn. 162. 181 §§ 154 Strafvollzugsgesetz; 4 KJHG; 35 BTMG; zahlreiche Bestimmungen des JGG; Täter-Opfer-Ausgleich gemäß §§ 46 Abs. 1 Nr. 1 StGB, 10 Abs. 1 Nr. 7, 45 Abs. 2 und 3 JGG. Auch die Erprobung des Hausarrestes mittels elektronischer Überwachung zur Entlastung der staatlichen Gefängnisse („my home is my prison") ist in diesem Kontext zu nennen.
I . Privatisierungsstrategien:
richerheit
133
4. Zusammenfassung: Privatisierung und innere Sicherheit Soweit Aufgaben der inneren Sicherheit als Verwaltungsaufgabe wahrgenommen werden, existiert eine fein abgestufte Skala von Privatisierungsgraden. Alle neueren Privatisierungsmaßnahmen verbleiben dabei im Bereich der Beteiligung Privater an der staatlichen Aufgabenerfüllung. Die Schwelle zum intensivsten Privatisierungsgrad, der vollständigen Aufgabenverlagerung vormals staatlicher Aufgaben auf Private, wird bislang an keiner Stelle überschritten. Eine Umwidmung der Aufgabenqualität von staatlich auf privat, die jede materielle Privatisierung voraussetzt, hat nicht stattgefunden. Festgestellt wurden dagegen deutliche Tendenzen zur Lockerung der staatlichen Kontroll- und Aufsichtsmöglichkeiten durch die Einschaltung von Privatpersonen in den öffentlichen Verwaltungsvollzug. Dies gilt sowohl in faktischer als auch in rechtlicher Hinsicht. Wenn ein Beamter sich gleichzeitig zahlreicher Verwaltungshelfer bedient, wird die rechtliche Prämisse des strikt weisungsgeleiteten Handelns von Verwaltungshelfern bei wirklichkeitsnaher Betrachtung zur unhaltbaren Fiktion. In rechtlicher Hinsicht fallen öffentliche Rechtsbindung und private Handlungsermächtigung aus den Jedermannsrechten gerade in Grenzsituationen auseinander mit der Folge, dass das Übermaßverbot für privates Sicherheitspersonal jedenfalls nicht in gleicher Weise wie für Beamte gilt. Wo Verwaltungsaufgaben im Wege der Organisationsprivatisierung auf einen privaten Rechtsträger übertragen werden, hinter dem nicht nur der Staat, sondern auch echte Privatpersonen stehen, wird die Staatsaufsicht mindestens verkompliziert, wenn nicht qualitativ abgeschwächt. Die Beleihung Privater mit Hoheitsbefugnissen ist auch bei notwendigen Staatsaufgaben grundsätzlich zulässig. Bei der Verkehrsüberwachung können Privaten ohne entsprechende Beleihungsgrundlage keine Sachaufgaben zugewiesen werden, die automatisch zur Ahndung einer Ordnungswidrigkeit führen. Die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen zulässiger Privatisierungsmaßnahmen ist insbesondere am Maßstab des Art. 33 Abs. 4 GG Funktionsvorbehalt für Beamte bei der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse - zu überprüfen. Soweit Aufgaben der inneren Sicherheit durch Privatpersonen als eigene Aufgabe wahrgenommen werden, beruht dies entweder auf gesetzlichen Pflichten (Indienstnahme) oder auf freiwilligen Maßnahmen. Fragen nach verfassungsrechtlichen, insbesondere grundrechtlichen Grenzen stellen sich bei der Indienstnahme hinsichtlich der damit verbundenen Kostenbelastung für Private und bei der Gebührenerhebung für Polizeileistungen.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
V. Privatisierungsstrategien: Eisenbahnen des Bundes und Bundespost 1. Grundstrukturen Die bis vor einigen Jahren in bundeseigener Verwaltung 182 als Sondervermögen gefühlten staatlichen „Großunternehmen" Bundeseisenbahnen und Bundespost galten als große Privatisierungsprojekte des Bundes. Die Ausgangssituation unterscheidet sich hierbei in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht signifikant vom Aufgabenbereich der inneren Sicherheit. Bahn und Post einschließlich des Fernmeldewesens183 bildeten ein wichtiges Segment aus der Palette leistungsstaatlichen Handelns, das in erheblichem Umfang von der Bereitstellung infrastruktureller Voraussetzungen abhängig ist. Die ursprünglich weitgehend in Monopolstellung erbrachten staatlichen Leistungen gehören jedenfalls in einem weiteren Sinn zur Daseinsvorsorge und stehen in engem Zusammenhang mit der Staatsstrukturbestimmung des Sozialstaates184. Die Verwaltungsaufgaben Bundeseisenbahnen und Bundespost wurden in der Verfassung schon vor der Privatisierung ausdrücklich erwähnt. Mit der späteren Einfügung der Art. 87 e und 87 f GG sind verfassungsrechtliche und einfachrechtliche Grundlagen für die Privatisierung von Bahn und Post geschaffen worden 185. Die Privatisierungsgrade bei den staatlichen Infrastruktur- und Dienstleistungen im Bereich Bundeseisenbahnen sowie Postwesen und Telekommunikation reichen erheblich weiter als im Aufgabenbereich der inneren Sicherheit 186. In weiten Teilen soll es am Ende des Privatisierungsprozesses 182
Bis zur Einfügung des Art. 87e GG durch Gesetz vom 20.12.1993 für die Eisenbahnen des Bundes und des Art. 87 f GG durch Gesetz vom 30.8.1994 für Postwesen und Telekommunikation wurden diese Bereiche in Art. 87 Abs. 1 GG (alt) als Gegenstände der bundeseigenen Verwaltung mit eigenem Behördenunterbau genannt. 183 Hier verstanden im alten, die Telekommunikation noch umfassenden Sinn; zur Entstehungsgeschichte insbesondere der Monopole und zur jüngsten Entwicklung J. Wieland, Die Verwaltung 1995, S. 319 ff. 184 Im Hinblick auf Erhaltung, Bestand, Funktionsfähigkeit und Wirtschaftlichkeit der Bundesbahn hat das Bundesverfassungsgericht deswegen von einem „überragend wichtigen Gemeinschaftsgut" gesprochen, BVerfGE 40, 196/218; 38, 61/ 87 ff.; 16, 147/169; 11, 168/184. 185 Neben den genannten Verfassungsänderungen waren wichtige gesetzgeberische Schritte das Eisenbahnneuordnungsgesetz vom 27.12.1993 und das Postneuordnungsgesetz vom 14.9.1994 sowie das Telekommunikationsgesetz vom 25.7.1996 und das Postgesetz vom 22.12.1997. 186 Daneben finden sich selbstverständlich auch hier die schwachen Privatisierungsgrade des Verwaltungshelfers oder der Indienstnahme, die aber im folgenden wegen des typologischen Untersuchungsinteresses vernachlässigt werden können.
V. Privatisierungsstrategien: Eisenbahnen des Bundes
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zu einer Aufgabenverlagerung vom Staat auf Private kommen, was auf die weitgehende Abschaffung der Aufgabe als Staatsaufgabe hinausläuft 187. Insbesondere im Bereich Postwesen und Telekommunikation reichen die Privatisierungsziele weit. Diese Privatisierungsziele bedeuten aber nicht, dass der Staat sich aus dieser Sachaufgabe vollständig zurückzieht. Die Vorstellung eines schlichten „Entweder Staat - Oder Private" ist der Staatswirklichkeit auch hier keineswegs angemessen. Eine komplette Verlagerung im Sinne des staatlichen Totalrückzuges aus einem der genannten Aufgabenbereiche findet nicht statt. Selbst da, wo die Privatisierung vergleichsweise besonders weit geht, bleibt ein Aufgabenrest des Staates. Allerdings verändert sich der staatliche Aufgabenzuschnitt durch die im Zuge der Privatisierung festgeschriebene neue Arbeitsteilung zwischen Staat und Privaten 188. Dieses dauerhafte Nebeneinander von verbleibenden staatlichen Verwaltungsaufgaben und von in privater Regie geführten Aufgabenbereichen ließ es dem Gesetzgeber als angebracht erscheinen, staatliche und private Aufgaben auf der Regelungsebene des Verfassungsgesetzes zu trennen. Funktion dieser Regelungen ist es, die Aufgabenverlagerung auf Private sachlich zu begrenzen und dadurch bestimmte Tätigkeiten von vornherein dem vollen Zugriff durch Private zu entziehen. Gewissermaßen im Gegenzug werden private Aufgabenbereiche als staatsfreie Zone fixiert, die jedenfalls teilweise der ausschließlichen Betätigung von Privaten vorbehalten ist 1 8 9 . Kennzeichnend für diese Trennung ist im Bahnbereich die Teilung in Netz (Infrastruktur), das in staatlicher Hand verbleibt und privaten Wettbewerbern gegen entsprechende Gebühr zur Verfügung gestellt wird, und Verkehrs· bzw. Versorgungsbetrieb. Analog dazu findet die Aufgabenteilung bei Post und Telekommunikation in Dienstleistungen und Hoheitsaufgaben statt. Die Erbringung von Dienstleistungen ist dem Staat in diesem Aufgabensegment von Verfassungs wegen untersagt, wie sich aus Art. 87 f Abs. 2 GG ergibt. Gesetzgebungstechnisch gesehen handelt es sich bei dieser Festlegung von exklusiven Privataufgaben im Staatsorganisationsteil des Grundgesetzes um eine verfassungsrechtliche Neuheit190.
187
G. F. Schuppen, in: C. Hood/G. F. Schuppert (Hrsg.), Verselbständigte Verwaltungseinheiten in Westeuropa, 1988, S. 207. 188 R. Schmidt, in: Festschrift P. Lerche, 1993, S. 965 (971) interpretiert das Schlagwort der Privatisierung deswegen als „unterschiedliche Möglichkeiten der Umverteilung staatlicher Aufgaben". 189 Prinzip der Aufgabentrennung, vergi. Κ. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87 e Rdn. 3; M. Fehling, AöR 121, S. 60, 69 ff., 93. 190 In Bezug auf Art. 87 f GG spricht P. Lerche, Festschrift R. Kreile, 1994, S. 379 von „Besonderheiten, die bis zu inneren Widersprüchlichkeiten gehen".
136
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Anknüpfend an die aufgaben- und organisationsrechtliche Dimension des alten Art. 87 Abs. 1 G G 1 9 1 legen die Art. 87 e und 87 f GG zunächst diejenigen Verwaltungsaufgaben fest, die in jedem Fall in staatlicher Hand verbleiben müssen. Obligatorische bundeseigene Verwaltung ist vorgeschrieben bei der Eisenbahnverkehrsverwaltung für Eisenbahnen des Bundes 1 9 2 (Art. 87 e Abs. 1 Satz 1 GG, insoweit in Anknüpfung an Art. 87 d Abs. 1 Satz 1 G G ) 1 9 3 und bei Hoheitsaufgaben im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation (Art. 87 f Abs. 2 Satz 2 G G ) 1 9 4 . Auch wenn diese Festlegung manche Fragen offen lässt - etwa was unter dem Hoheitsbereich bei Postwesen und Telekommunikation zu verstehen i s t 1 9 5 -, kommt darin zumindest der Wille des Gesetzgebers zum Ausdruck, dass es weiterhin einen Kernbestand an staatlichen Verwaltungsaufgaben gibt, der nicht zur Disposition von Privaten stehen darf und der in bundeseigener Verwaltung zu führen i s t 1 9 6 . Hervorzuheben sind schließlich die beiden „in der Substanz vergleichbaren", wenn auch in der Intensität nicht identischen 197 sogenannten infrastrukturellen Verfassungsaufträge aus Art. 87 e Abs. 4 GG und aus Art. 87 f 191 Die Änderung des Art. 87 Abs. 1 GG (alt) war erforderlich geworden, da die Vorschrift, jedenfalls für die „essentiellen Bereiche" der Sachmaterien, neben der bundesstaatlichen auch eine aufgabenrechtliche Dimension und die spezifisch organisationsrechtliche Aussage enthält, dass die entsprechenden Sachmaterien in bundeseigener Verwaltung zu führen sind, P. Lerche, in: T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 87 Rdn. 15 ff. (Kommentierung 1992); R. Schmidt, in: Festschrift P. Lerche, 1993, S. 969 ff.; BVerfGE 63, 1; E. Schmidt-Aßmann/G. Fromm, Aufgaben und Organisation der Deutschen Bundesbahn in verfassungsrechtlicher Sicht, 1986, S. 57 und S. 99; E. Schmidt-Aßmann/H. C. Röhl, DÖV 1994, S. 577 ff.; weiter H. Lecheler, NVwZ 1989, S. 834 f.; a.A. R. Scholz/J. Aulehner, ArchivPT 1993, S. 249 f.; dagegen P. Lerche, in: Festschrift F. Klein, 1994, S. 535 (FN 22). 192 Vergi, das Gesetz über die Eisenbahnverkehrsverwaltung des Bundes, insbesondere die Aufgaben des Eisenbahn-Bundesamtes, BGBl. 1993 I, S. 2394. 193 Darüber hinaus sieht Art. 87 e Abs. 2 vor, dass dem Bund Aufgaben der Eisenbahnverkehrsverwaltung durch Gesetz übertragen werden können, die über den Bereich der Eisenbahnen des Bundes hinausgehen. 194 Hinzu kommt als Besonderheit die Festlegung der mittelbaren Bundesverwaltung in der Rechtsform einer bundesunmittelbaren Anstalt des öffentlichen Rechts für einzelne, sachlich nicht immer zusammenhängende Aufgabenbereiche, Art. 87 f Abs. 3 GG i.V.m. dem Bundesanstalt-Post-Gesetz (Art. 1 des Postneuordnungsgesetzes vom 14.9.1994). 195 Der Hinweis auf Art. 33 Abs. 4 GG hilft nicht viel weiter, da Art. 33 Abs. 4 selbst nicht eindeutig ist. Die Fragen stellen sich hier nicht wesentlich anders als nach den essentiellen Aufgabenbereichen bei Art. 87 Abs. 1, P. Lerche, in: T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 87 Rdn. 16 und 113 (Kommentierung 1992). 196 Kritisch G. Fromm, DVB1. 1994, S. 189. 197 M. RonellenfitscK DÖV 1996, S. 1032;
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Abs. 1 GG 1 9 8 . Jenseits dieses Aufgabenbestandes, bei dem allenfalls die Beteiligung von, aber nicht die Aufgabenübertragung auf Private in Betracht kommt, sieht die Verfassung bereichsspezifisch stark differenziert weitergehende Privatisierungsgrade als zulässig an. 2. Eisenbahnen des Bundes Für die Eisenbahnen des Bundes sieht Art. 87 e Abs. 3 Satz 1 GG vor, dass sie als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführt werden 199. Alleine durch diese obligatorische Organisationsprivatisierung kommt es noch nicht zu einer Arbeitsteilung zwischen Staat und Privaten. Art. 87 e Abs. 3 Satz 1 GG eröffnet jedoch, wie sich im Umkehrschluss zu Art. 87 e Abs. 3 Satz 2 und Satz 3, 2. Halbsatz GG ergibt 200 , darüber hinaus die Option, dass der Bund seine Unternehmensanteile später teilweise oder ganz veräußert und sein Eigentum an den betreffenden Unternehmen aufgibt 201 . Die Verfassung bereitet mit diesen beiden Schritten Umwandlung zu privat-rechtlich geführten Unternehmen und Option der vollständigen Veräußerung - den Weg für den Rückzug des Staates aus der ehemaligen Verwaltungsaufgabe der Unterhaltung des Eisenbahnverkehrs. Sie lässt den weitest gehenden Privatisierungsgrad der Aufgabenprivatisierung damit prinzipiell zu, ohne ihn aber zwingend vorzuschreiben (Privati-
198
So P. Lerche, Festschrift K. H. Friauf, 1996, S. 258; vergi, auch K. Stern, DVB1. 1997, S. 311. 199 Die Regelung geht damit einerseits weiter als Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG, der es im Hinblick auf die Luftverkehrsverwaltung dem einfachen Gesetzgeber überlässt, über die öffentlich-rechtliche oder privatrechtliche Organisationsform zu entscheiden. Andererseits belegt der Vergleich mit Art. 87 d GG, auch im Vergleich mit Art. 87 e Abs. 1 GG, wonach die Eisenbahnverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung ohne die Option der privat-rechtlichen Organisationsform geführt wird, wie heterogen die jeweiligen Detailregelungen je nach betroffenem Lebensbereich sind. 200 K. Windthorst („Regel-Ausnahme-Systematik"), in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87 e, Rdn. 39. Windthorst geht allerdings deutlich zu weit, wenn er einen verfassungsrechtlichen Auftrag zur Aufgabenprivatisierung außerhalb des Abs. 3 S. 2 und 3 mit der Folge herleitet, dass der Bund im Bereich des Abs. 3 Satz 1 verfassungsrechtlich gehindert sei, „dauerhaft Eigentumsanteile an diesen Wirtschaftsunternehmen zu halten". Weder Wortlaut des Verfassungstextes noch Gesetzgebungsmaterialien (BT-Drs. 12/5015) noch Art. 143 a GG tragen eine entsprechende Auslegung. Art. 87 e Abs. 3 Satz 1 GG eröffnet die Option für eine Aufgabenprivatisierung, ohne diese verpflichtend vorzugeben; wie hier E. Schmidt-Aßmann/H. C. Röhl, DÖV 1994, S. 581 f. 201 vèrgi di e Begründung zum ursprünglichen Gesetzesentwurf der Bundesregierung: Keine institutionelle Garantie in dem Sinne, dass der Bund dauerhaft Eigentümer der Eisenbahn sein und diese betreiben muss, BT-Drs. 12/5015, S. 7.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
sierungsgrad obligatorische Organisationsprivatisierung mit der Option einer späteren Aufgabenprivatisierung). Diese grundsätzliche Aussage erfährt allerdings in Art. 87 e Abs. 3 Satz 2 GG eine bedeutsame Einschränkung. Soweit die Tätigkeit des bzw. der bundeseigenen Wirtschaftsunternehmen den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben der Schienenwege umfasst, ist eine vollständige Überführung in private Hand ausgeschlossen202. Für diese auf die Erhaltung und den Ausbau der Infrastruktur von Eisenbahnen zielenden Tätigkeitsfelder wird der äußerstenfalls zulässige Privatisierungsgrad wiederum zurückgenommen auf die Form der Beteiligung Privater an dem privat-rechtlich geführten Bundesunternehmen. Die Mehrheit an diesen Unternehmen hat auf Dauer beim Bund zu verbleiben, Art. 87 e Abs. 3 Satz 3, 2. Halbsatz GG (Privatisierungsgrad nicht-mehrheitliche Beteiligung Privater an einem Staatsunternehmen) 203. Die bloße Wortlautanalyse bleibt jedoch vordergründig und verfehlt leicht den wirtschaftlichen und verwaltungsorganisatorischen Sinn des Art. 87 e GG. Der verfassungsändernde Gesetzgeber wollte den Eisenbahnverkehr für den Wettbewerb öffnen. Diese Öffnung sollte bereits in der Phase des Privatisierungsprozesses eintreten, in der die Eisenbahnen des Bundes noch vollständig in seinem Eigentum stehen. Ob und wann sich dieser Zustand überhaupt ändert und ob die Option des Art. 87 e Abs. 3 Satz 1 GG jemals ausgeschöpft wird, ist im Übrigen außerordentlich ungewiss. Dagegen wird es privaten Konkurrenten bereits jetzt ermöglicht, Schienenverkehr zu Wettbewerbsbedingungen zu betreiben und auf dem Markt anzubieten. Das ehemalige Staatsmonopol soll insoweit jedenfalls langfristig durch den Markt ersetzt werden. Privatisierung bedeutet hier: Beendigung des staatlichen Monopols durch Öffnung des Eisenbahnverkehrsnetzes für private Wettbewerber, wobei der Staat selbst - zumindest zunächst - auch weiterhin als Anbieter von Eisenbahnverkehrsleistungen 202 ,Aufgabenprivatisierungsschranke", K. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87 e Rdn. 44. 203 Im Einzelfall können sich schwierige Abgrenzungsfragen stellen, ob ein Unternehmensbereich unter Art. 87 e Abs. 3 Satz 1 (Aufgabenprivatisierung zulässig) oder unter Art. 87 e Abs. 3 Satz 2 GG (Aufgabenprivatisierung unzulässig) fällt (etwa bei der Frage, ob das betriebseigene Telekommunikationsnetz der Deutschen Bahn AG - Fernmeldeanlagen, Signalanlagen - ausgegliedert und an Private veräußert werden darf, Privatisierungsgrad Aufgabenprivatisierung). Die gleiche Problematik stellt sich bei der bahneigenen Energieversorgung (die DB unterhält 21 Primärkraftwerke, ein Pumpspeicherkraftwerk und 40 Frequenzumwandlungsanlagen). § 2 Abs. 3 Allg. Eisenbahngesetz i.v.m. Anlage I A der Verordnung (EWG) vom 18.12.1970 legt fest, dass nur Unterwerke, Stomversorgungsleitungen zu Unterwerken und Fahrdraht sowie Fahrleistungen mit Masten zur Eisenbahninfrastruktur zählen.
V. Privatisierungsstrategien: Eisenbahnen des Bundes
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auf dem M a r k t 2 0 4 auftritt (Privatisierungsgrad Abschaffung der ausschließlichen Staatsaufgabe durch Beendigung eines Staatsmonopols bei prinzipieller Aufrechterhaltung des staatlichen 205 Leistungsangebotes - Markteröffnung 2 0 6 ). Kehrseite dieser differenzierten Privatisierungsstrategien sind einmal die Gewährleistungspflichten des Art. 87 e Abs. 4 GG, die in die doppelte Richtung der staatlichen Infrastrukturverpflichtung (Ausbau und Erhalt des Schienennetzes) und der staatlichen Gewährleistung bedarfsgerechter Verkehrsangebote 207 zielen. Die staatliche Restverantwortung wird damit über den Bereich der eigentlichen Eisenbahnverkehrsverwaltungsaufgaben aus Art. 87 e Abs. 1 GG hinausgehend - auch für die Zeit nach der Umstellungsphase bis hin zu einer möglichen Aufgabenprivatisierung festgeschrieben 2 0 8 . Die infrastrukturellen Gewährleistungspflichten des Bundes stehen in engem Zusammenhang mit der organisatorischen Maßgabe des Art. 87 e Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG, wonach der Bund die Mehrheit an den Unternehmen behalten muss, die Bau, Unterhaltung und Betreiben von Schienenwegen umfassen. Wie weit die Gewährleistungspflichten aus Abs. 4 im einzelnen reichen, 209
ist umstritten
.
204 Faktisch behält der Staat sein Monopol. Für welche Angebotssegmente und in welchem Umfang ein Markt mit wettbewerbsfähigen Anbietern von Eisenbahnverkehrsleistungen tatsächlich entsteht, bleibt abzuwarten. 205 Auf die Rechtsform, in der diese Leistungen erbracht werden - Verwaltungsleistung oder staatswirtschaftliche Leistung - kommt es hierbei nicht an. 206 Dieser Privatisierungsgrad findet sich auch in anderen staatlichen Verwaltungszweigen, etwa bei der Arbeitsvermittlung, vergi. Beschäftigungsförderungsgesetz 1994, BGBl. I S. 1786; Arbeitsvermittlungsverordnung, BGBl. 1994 I, S. 563 und BGBl. 1994 I S. 1946; U. Walwei, StWStP 94, S. 439. 207 vèrgi, auch § 1 Abs. 1 des Gesetzes zur Regionalisierung des öffentlichen Personennahverkehrs, wonach die Sicherstellung einer ausreichenden Bedienung der Bevölkerung mit Verkehrsleistungen im öffentlichen Personennahverkehr eine Aufgabe der Daseinsvorsorge und damit eine Verwaltungsaufgabe ist. Dies bedeutet nicht, dass die erforderlichen Verkehrsangebote deswegen durch staatliche Träger erbracht werden müssten, sondern die Vorschrift konstituiert eine „Sicherstellungsverantwortung" (H.-H. Trute y in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnung, 1996, S. 204) der öffentlichen Aufgabenträger. 208 H. D. Jarass/B. Pieroth, GG, 4. Aufl. 1997, Art. 87 e Rdn. 4; zu eng E. Schmidt-Aßmann/H. C. Röhl, DÖV 1994, S. 584 f. (Sicherungsfunktion für die Übergangszeit). Zu Folgeproblemen bei der Abgrenzung von Verwaltungsaufgaben und Privataufgaben am Beispiel der Planfeststellung im Stückgutfrachtverkehr B. W. Wegener , DÖV 1996, S. 305. 209 E. Schmidt-Aßmann/H. C Röhl, DÖV 1994, S. 583 ff.; C. Heinze, BayVBl 1994, S. 269; G. Fromm, DVB1. 1994, S. 191 f.; H. D. Jarass/B. Pieroth, GG,
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Neue Aufgaben wachsen dem Bund schließlich aus der Öffnung des Eisenbahnverkehrs für den Wettbewerb zu. Die Netze aller deutschen Eisenbahnen sind nach den Eisenbahnreformgesetzen für dritte Eisenbahnverkehrsunternehmen geöffnet 210. Einzelheiten des Zugangs müssen zwischen dem privaten Eisenbahnverkehrsunternehmen und dem betroffenen Eisenbahninfrastrukturunternehmen vereinbart werden. Kommt eine solche Vereinbarung nicht zustande, entscheidet das Eisenbahn-Bundesamt, § 14 Abs. 4 und 5 Allgemeines Eisenbahngesetz, dem damit die Rolle eines Moderators bzw. eines Garanten für den Wettbewerb auf der Schiene zuwächst211. Noch ist allerdings kein Wettbewerber auszumachen, der der DB AG großflächige Konkurrenz machen will. 3. Postwesen und Telekommunikation Die Bandbreite von Privatisierungsgraden erweitert sich, wenn man den Bereich Postwesen und Telekommunikation untersucht. Wiederum finden sich erhebliche Abweichungen und Differenzierungen zu den Privatisierungsansätzen bei den Eisenbahnen des Bundes. Belässt Art. 87 e Abs. 3 Satz 1 GG es noch bei der Option, die Wirtschaftsunternehmen Eisenbahnen des Bundes zukünftig in staatlicher oder privater Hand zu führen, so enthält Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG für Dienstleistungen im Bereich Postwesen und Telekommunikation der Sache nach ein Betätigungsverbot für den Staat, diese Dienstleistungen durch eigenes Personal zu erbringen - sei es in bundeseigener Verwaltung, sei es als staatliches Wirtschaftsunternehmen 212. Voraussetzung dafür ist eine Aufgaben-
4. Aufl. 1997, Art. 87 e Rdn. 4; K. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87e Rdn. 50 ff.; P. Lerche, Festschrift Κ. H. Friauf 1996, S. 257 f. Bereits im Gesetzgebungsverfahren war die Klausel hochumstritten, vergi, die Stellungnahme des Bundesrates und die Gegenäußerung der Bundesregierung, BT-Drs. 12/5015, 5. 11 und S. 16 f. 210 § 14 Allgemeines Eisenbahngesetz, BGBl. 1993 I, S. 2396 (2400). 211 Die Aufgaben und Zuständigkeiten der Kartellbehörden nach dem Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen bleiben unberührt. 212 K. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), GG, 1996, Art. 87 f Rdn. 24 ff., 31; „negative Kompetenzschranke", M. Rottmann, ArchPT 1994, S. 194. Verfassungssystematisch gesehen ist ein solches ausdrückliches Betätigungsverbot, zumal im Organisationsteil des Grundgesetzes, eine Neuheit mit Fremdkörpercharakter: Staatsorganisationsrecht legt Privataufgaben fest. Art. 87 f GG ist insofern symptomatisch für das gewandelte Verhältnis von Staat und Gesellschaft, das sich immer weniger im Sinne eines strikten Trennungsprinzips deuten lässt, sondern als nach unterschiedlichen Lebensbereichen hochdifferenzierte Aufgabenzuordnung mit wechselseitiger Abhängigkeit: Was der Staat von Rechts wegen nicht alleine darf, was aber von Verfassungs wegen getan werden muss, kann er nur mit Hilfe Privater erreichen.
V. Privatisierungsstrategien: Eisenbahnen des Bundes
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Privatisierung, da andernfalls eine Erbringung der betreffenden Dienstleistungen „als privatwirtschaftliche Tätigkeit" nicht möglich ist 2 1 3 . Auch die Option einer zukünftigen Re-Verstaatlichung oder Neugründung von Unternehmen oder gar Behörden, die Post- oder Telekommunikationsdienstleistungen erbringen, ist damit von Verfassungs wegen ausgeschlossen 214 . Die Aufgabenprivatisierung unter gleichzeitigem Ausschluss staatlicher wirtschaftlicher Betätigung ist Verfassungsgebot, der Bund muss seine Anteile an diesen Unternehmen mindestens mehrheitlich aufgeben (Privatisierungsgrad staatlicher Rückzug aus der Verwaltungsaufgabe; Aufgabenprivatisierung als Verfassungsgebot). Für eine Übergangszeit bezogen auf die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost Postdienst gilt dabei die zeitliche Einschränkung des Art. 143 b Abs. 2 Satz 2 GG, wonach der Bund frühestens fünf Jahre nach Inkrafttreten des Umwandlungsgesetzes seine Kapitalmehrheit aufgeben darf. Bis zur Aufgabe der Kapitalmehrheit an diesen Unternehmen durch den Bund liegt lediglich der Fall der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben in privatrechtlicher Form vor 2 1 5 . Andere Wettbewerber sind jedoch schon früher zugelassen (Privatisierungsgrad Beendigung des Staatsmonopols bei Aufrechterhaltung des staatlichen Leistungsangebotes, siehe bereits oben). Für die Nachfolgeunternehmen der Deutschen Bundespost Telekom und Postbank bestehen entsprechende zeitliche Sperren nicht. Das Beispiel Postwesen und Telekommunikation belegt, dass der Staat sich nicht total aus der ehemaligen Verwaltungsaufgabe zurückzieht 216. Einflussmöglichkeiten und Einflusspflichten bei der Erfüllung der betreffenden 213 Deutlich wird dies nicht nur an der Formulierung „privatwirtschaftliche Tätigkeit" (Gegensatz: staatswirtschaftliche Tätigkeit), sondern auch im Kontrast zum ursprünglichen und vom Verfassungstext noch stark abweichenden Gesetzesentwurf, in dem die Aufgabe der Kapitalmehrheit und damit eine Aufgabenprivatisierung noch als Option ausformuliert war, BT-Drs. 12/6717 (kritisch hierzu R. Stober, und P. Badura in ihren Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 8.3.1994 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes - Postreform II - , Zusammenstellung des Sekretariats S. 5 ff. und S. 48). Demgegenüber legt die schließlich in den Verfassungstext eingegangene Fassung fest, dass jede staatliche Betätigung in den drei Postbereichen in der Zukunft ausgeschlossen sein soll. Dies setzt in der Tat eine Aufgabenprivatisierung der ehemaligen Verwaltungsaufgabe zwingend voraus. 214 W. Heun> Stellungnahme zur öffentlichen Anhörung des Rechtsausschusses am 8.3.1994 zum Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Postreform II), S. 5 f. (= 21 f. in der Zusammenstellung der Stellungnahmen durch das Sekretariat des Rechtsausschusses). Dies gilt in gleicher Weise für die schließlich in die Verfassung eingegangene Textfassung, vergi. Κ. Stern, DVB1. 1997, S. 311. 215 J. Wieland, Die Verwaltung 1995, S. 325. 216 G. F. Schuppert, in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S. 17 ff., 32 weist zu Recht darauf hin, dass die Vorstellung einer totalen
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Aufgaben bleiben in veränderter Form bestehen 217 . Dies gilt insbesondere dann, wenn Aufgaben, die bislang der Staat in eigener Regie und mit eigenen Erfüllungsressourcen erledigt hat, nicht einfach wegfallen können, sondern wenn deren Erfüllung in einer modernen Industriegesellschaft auf der Schwelle zur Informationsgesellschaft im Ergebnis sichergestellt sein muss. Insbesondere das Ziel, die Monopolstellung der Telekom aufzuheben und einen Markt für andere private Anbieter überhaupt zu ermöglichen, zog einen ganz erheblichen einfachrechtlichen Regelungs- und Umsetzungsbedarf nach sich. Dazu gehören etwa die Vergabe von Lizenzen 2 1 8 , die Regelung der Nutzungsmöglichkeiten von öffentlichen Verkehrswegen für Lizenznehmer 219 oder Regelungen über den offenen Netzzugang 220 und die Zusammenschaltung von verschiedenen Telekommunikationsnetzen, was wiederum neue Überwachungsaufgaben und Befugnisse für die Regulierungsbehörde mit sich bringt 2 2 1 . Aus dem Bereich der Postdienstleistungen ist auf die Möglichkeit der sogar zwangsweisen Beleihung von privaten Lizenznehmern für die Durchführung förmlicher Postzustellungen in § 33 Postgesetz hinzuweisen. Privatisierung mit abruptem und vollständigem staatlichen Rückzug der Wirklichkeit nicht entspricht. 217 Ebenso G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1996, § 8 II und § 9 III. 218 Dazu W. Spoerr/M. Deutsch, DVB1. 1997, S. 300 ff., die den „bahnbrechenden Systemwechsel von der Monopolverwaltung hin zur marktwirtschaftlichen Betätigung" betonen. In der Tat ist die Verleihung einer Lizenz keine Übertragung eines Stücks öffentlicher Verwaltung, a. a. O. S. 309. 219 § 50 TKG und die Begründung BT-Drs. 13/3609, S. 48 f. 220 Vergi. § 33 TKG und die Begründung BT-Drs. 13/3609, S. 45 f. Die spezialgesetzliche Ergänzung zum allgemeinen Diskriminierungsverbot der §§ 22, 26 GWB verpflichtet marktbeherrschende Telekommunikationsunternehmen, die lizenzpflichtige Übertragungswege anbieten, anderen Wettbewerbern die gleichen Bedingungen einzuräumen wie sich selbst. 221 Strukturell parallel gelagerte Probleme stellen sich auch bei der Ermöglichung des Zugangs für Dritte zu anderen kostspieligen Infrastrukturnetzen, für die ein rechtlich gesichertes oder faktisches Monopol besteht, wobei es sich nicht notwendig um ein staatliches Monopol handeln muss. Die Schaffung des offenen Zugangs ist notwendiger Zwischenschritt und Voraussetzung für die Eröffnung eines Marktes, bei den Eisenbahnen im Hinblick auf die Schienenwege, aber etwa auch im Energiesektor im Bereich des Energiewirtschaftsrechts, dazu G. Hermes, Der Staat 31, S. 282 (304); ; W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 211 f. und DVB1. 1991, S. 132 ff. weist mit der h.M. - vergi, nur L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 227 - darauf hin, dass Energieversorgung prinzipiell Gegenstand grundrechtlich geschützter Unternehmerinitiative und keine Staatsaufgabe ist. Kritisch J. Wieland/J. Hellermann, Der Schutz des Selbstverwaltungsrechts der Kommunen gegenüber Einschränkungen ihrer wirtschaftlichen Betätigung im nationalen und europäischen Recht, Rechtsgutachten für den Verband kommunaler Unternehmen e.V., 1995, S. 82 ff.
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Was in einer hierarchisch strukturierten Großbehörde bisher im Wege der Weisung funktionierte, muss jetzt zu einem großen Teil durch außenwirksame Handlungsinstrumente ersetzt werden. Dieser Wandel der staatlichen Aufgaben wird dabei auch durch das Verbot des Art. 87 f Abs. 2 Satz 1 GG vorprogrammiert, die entsprechenden Dienstleistungen selbst zu erbringen. Ihren verfassungsrechtlichen Ausdruck haben die sozialstaatlich222 motivierten Aufgaben des Bundes, insoweit vergleichbar mit Art. 87 e Abs. 4 GG, in der sogenannten Infrastruktursicherungsklausel 223 des Art. 87 f Abs. 1 GG gefunden. Danach bleibt der Bund in der Gewährleistungspflicht für flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen224. Einzelheiten bestimmt ein Bundesgesetz, das nur mit Zustimmung durch den Bundesrat zustande kommt. Hinter dieser Klausel verbirgt sich der Grundversorgungsgedanke, der auf die Sicherung eines im einzelnen zu bestimmenden Minimalstandards an Versorgungsleistungen zielt. Dieser Minimalstandard wird keineswegs der jeweils aktuelle Stand der Technik sein können, sondern deutlich darunter liegen 225 . Da dem Staat dabei allerdings selbst die Erbringung flächendeckend angemessener und ausreichender Dienstleistungen verwehrt ist, bleibt er für die Wahrnehmung seiner Gewährleistungspflicht aus der Infrastrukturklausel des Art. 87 f Abs. 1 GG auf die Leistungen Privater angewiesen, 222
Vergi, die Begründung zum ursprünglichen Gesetzesentwurf, BT-Drs. 12/ 6717, S.4, in der von einem „Staatsziel" die Rede ist, das „gegenüber anderen Ausprägungen des Sozialstaatsgebots nicht unangemessen hervortreten" soll. 223 Der Begriff des Infrastruktursicherungsauftrags hat sich eingebürgert, vergi, nur R. Uerpmann, in: I. von Münch/P. Kunig, Grundgesetz-Kommentar, Band 3, 3. Aufl. 1996, Art. 87 f Rdn. 6, der im Übrigen selbst zu Recht feststellt, dass sich dieser Auftrag auf Dienstleistungen bezieht. In Wahrheit handelt es sich um einen an den Gesetzgeber gerichteten Gewährleistungs- oder Regulierungsauftrag, den verfassungsrechtlichen Mindestversorgungsstandard mit den Mitteln des Rechts zu sichern, ohne ihn selbst mit eigenem Material und Personal einzulösen. Der Begriff des Infrastrukturauftrags ist insofern missverständlich, als der Infrastrukturbegriff sich hier uferlos weitet, wenn er auch Dienstleistungen umfassen soll, vergi, zu den Schwierigkeiten des Infrastrukturbegriffs G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, § 9 I. So hat das „Netz" des Postdienstes im Gegensatz zu den kabelgestützten Netzen der Telekommunikation keine dingliche Netzbasis, sondern es ist in hohem Maße personalintensiv und muss jeden Tag neu aufgebaut werden. Bei solchen „Dienstleistungsnetzen" passt der Infrastrukturbegriff nicht. 224 Zur Begründung des Gewährleistungsauftrags des Art. 87 f Abs. 1 GG aus dem Sozialstaatsprinzip K. Stern, DVB1. 1997, S. 312 ff. 225 Innovationen werden, worauf P. Lerche, Festschrift R. Kreile, 1994, S. 384 f. aufmerksam macht, häufig zunächst überhaupt nicht flächendeckend realisiert werden können. Gegenüber solchen Innovationen und Spezialinteressen, die für die wirtschaftliche Entwicklung eines Unternehmens oder einer ganzen Region unter Umständen von erheblicher Bedeutung sein können, geht die Verfassungsbestimmung ins Leere.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
wenn es zu einer entsprechenden Unterversorgung kommen sollte. Die Gewährleistungspflicht verleiht keine Durchgriffskompetenz im Sinne einer staatlichen Generalermächtigung. Sie stellt sich als verfassungsrechtliche Vorsorgeklausel gegen ein eventuell eintretendes Marktversagen dar 226 . Die Ausführung der Dienstleistungen und der Erfüllungsauftrag für das verfassungsrechtlich vorgegebene Mindestniveau einer flächendeckend angemessenen und ausreichenden Grundversorgung fallen damit auseinander. Wie der Staat diesen Erfüllungsauftrag wahrzunehmen hat, insbesondere auf wessen Kosten diese Grundversorgung zu gewährleisten ist, gibt die Verfassung lediglich negativ durch das Verbot der Erbringung von Dienstleistungen vor, sei es durch staatliche Behörden, sei es durch staatlich geführte Wirtschaftsunternehmen. Die notwendige einfachgesetzliche Ausgestaltung und Konkretisierung der Infrastruktursicherungsklausel für den Telekommunikationsbereich nimmt das TKG in den Vorschriften zum Universaldienst 227 vor, die ein komplexes Arrangement staatlicher und privater Aufgaben enthalten. Das Gesetz verfolgt dabei wiederum eine andere Variante zu den bisher aufgezeigten Privatisierungsstrategien. Das Postgesetz vom 22.12.1997 lehnt sich im Wesentlichen an die Bestimmungen des TKG an 228 . Für den Fall der Unterversorgung nimmt das TKG zunächst alle lizenzierten Anbieter von Universaldienstleistungen229 gleichermaßen in die Primärpflicht dazu beizutragen, dass die Universaldienstleistungen entsprechend dem rechtlich vorgegebenen Mindeststandard flächendeckend erbracht werden, § 17 Abs. 1 TKG. Die Regulierungsbehörde verfügt für diesen Fall über ein abgestuftes Instrumentarium, um die privaten Unternehmen unter Druck zu setzen230. Am Beginn stehen Feststellung und Veröffentlichung der Unterversorgung im Amtsblatt. Findet sich kein Unternehmen bereit, die fehlenden 226 Ähnlich L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 229. Flächendeckende Gewährleistung ist dabei gerade keine Pflicht zu einer optimalen Versorgung, so aber K. Windthorst, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, 1996, Art. 87 f, Rdn. 12; dagegen P. Lerche, Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 254. 227 §§ 17 ff. TKG. 228 v er gi # insbesondere die Bestimmungen zum Universaldienst, §§ 11 ff. PostG. 229 Sie konkretisieren den verfassungsrechtlich gebotenen Grundversorgungsstandard im Sinne eines Mindestangebotes für Telekommunikationsdienstleistungen im Bereich des Sprachtelefondienstes, § 17 TKG. Einzelheiten hat die Bundesregierung in der Telekommunikations-Universaldienstleistungsverordnung, BGBl. I 1997, S. 141, geregelt. 230 Kritisch das Sondergutachten der Monopolkommission gemäß § 24 b Abs. 5 Satz 4 GWB vom Januar 1996, S. 11 ff. Das Auftreten von (Grund-) Versorgungslücken hält die Monopolkommission für unrealistisch.
V. Privatisierungsstrategien: Eisenbahnen des Bundes
145
Universaldienstleistungen freiwillig zu erbringen, kann die Regulierungsbehörde ein marktbeherrschendes Unternehmen zur Erbringung der Leistung verpflichten oder die Leistung wird ausgeschrieben (Einzelheiten § 17 Abs. 2 bis 7 TKG). Die dabei dem betroffenen Unternehmen entstehenden Kosten werden nach Maßgabe von § 19 TKG ausgeglichen, wobei die Finanzmittel dafür nicht aus dem Staatshaushalt genommen, sondern im Wege einer Universaldienstleistungsabgabe auf alle Wettbewerber mit einem Marktanteil von mindestens 5 % anteilig umgelegt werden. Die Primärpflicht zur Erbringung von Universaldienstleistungen wandelt sich dadurch zur finanziellen Einstandspflicht bei der Universaldienstleistungsabgabe231. Staatliche Zwecke werden auf diesem Wege unmittelbar durch Private finanziert. Das Gesetz hat sich mit diesem Modell gegen die Alternative entschieden, für den Fall der Unterversorgung die erforderlichen Dienstleistungen auf Kosten des Staates, das heißt aus allgemeinen Steuermitteln, einzukaufen. Im Ergebnis hat der Gesetzgeber damit eine Art kollektiver Haftung aller eine bestimmte Mindestgröße überschreitenden Anbieter auf dem Markt dafür eingeführt, dass der Markt auch tatsächlich funktioniert und flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen erbringt. Die Versorgungsverantwortung liegt gemeinschaftlich bei den Unternehmen. Ein eventuell eintretendes Marktversagen geht zu ihren Lasten. Der Staat organisiert in diesem Fall lediglich die Reparatur. In diesem Kontext ist auch § 47 Abs. 2 TKG zu nennen. Die Vorschrift ermöglicht es, potentielle Nutzer bei der Frequenzvergabe mit einem Beitrag zu belegen, mit dem die Personal- und Sachaufwendungen für Amtshandlungen gedeckt werden. Dieser Beitrag ist subsidiär zu einer Gebühr für Amtshandlungen. Die Vorschrift hat ein Vorbild 232 und ist insofern bemerkenswert, als dadurch in grundsätzlicher Weise ein Weg eröffnet wird, die betreffende staatliche Verwaltungsinfrastruktur einschließlich der Personalkosten insgesamt aus der Steuerfinanzierung herauszunehmen und für die Beitragsfinanzierung zu öffnen. Kostenprivatisierung bedeutet hier die Verlagerung der anfallenden Verwaltungskosten vom Steuerzahler auf den Beitragszahler.
231
Diese „Pflichtenmutation" ist an das Modell der Schwerbehinderten-Ausgleichsabgabe angenähert, die das BVerfG (E 57, 139/167 ff.) als sozialstaatlich zulässige Lenkungs- (Antriebsfunktion) bzw. Ausgleichsabgabe qualifiziert und damit den strengen Kriterien der Rechtsprechung zur Sonderabgabe mit Finanzierungscharakter (BVerfGE 55, 274; 82, 159; 91, 186; 92, 91) jedenfalls teilweise entzogen hat. 232 Vorbild war § 10 Abs. 1 des Gesetzes über die elektromagnetische Verträglichkeit von Geräten (EMVG, BGBl I 1992, S. 1864). 10 Gramm
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Weiterer Rechtsetzungsbedarf und neue Verwaltungsaufgaben im Zuge der Postprivatisierung ergeben sich schließlich im Bereich hoheitlich ausgestalteter Teilaufgaben, deren Charakter auch nach der Privatisierung als hoheitlich anzusehen sind, ohne dass sie in den verbleibenden Kreis spezifischer Hoheitsaufgaben aus Art. 87 f Abs. 1 und 2 GG fallen. Die Postzustellung nach § 193 ZPO bildet ein Beispiel für entsprechende Aufgaben. Der Charakter als Hoheitsaufgabe ergibt sich sachlich aus dem engen Zusammenhang mit der Staatsfunktion Rechtsprechung233 und den erheblichen rechtlichen Konsequenzen für den Betroffenen, die die ZPO an den Beweiswert einer Postzustellung knüpft. Mit dem Wegfall eines eigenen staatlichen Zustellungsapparates wird die in der ZPO als Hoheitsaufgabe ausgestaltete Zustellung als Aufgabe bundeseigener Verwaltung sinnwidrig bzw. faktisch unmöglich. Nimmt man den Verfassungstext wörtlich, müsste diese Teilaufgabe aber in bundeseigener Verwaltung verbleiben, also durch die Regulierungsbehörde durchgeführt werden. Um dieses unter Privatisierungsaspekten kontraproduktive Ergebnis zu vermeiden, hat der Gesetzgeber eine Beleihungskonstruktion gewählt 234 . Mit der bloßen Beleihung ist es freilich nicht getan, sondern darüber hinaus müssen die Beliehenen im Hinblick auf das Prinzip demokratischer Kontrolle für die vollziehende Gewalt beaufsichtigt und eventuell sanktioniert werden. Dies bringt für die Verwaltung neue Aufsichts- und Eingriffsbefugnisse bei der Überwachung der Beliehenen mit sich. Regulierung und Privatisierung bilden hier zwei Seiten der gleichen Medaille. 4. Zusammenfassung: Privatisierung bei Bahn und Post Bei den großen (Bundes-) Staatsunternehmen der Daseinsvorsorge Bahn und Post gehen die Privatisierungsgrade über Formen der Beteiligung von Privaten, wie sie im Bereich innere Sicherheit festgestellt wurden, weit hinaus. Sie reichen bis zur Aufgabenprivatisierung, wobei sich unter diesem Oberbegriff wiederum rechtlich unterschiedlich strukturierte Varianten verbergen. Folgende Privatisierungsgrade wurden festgestellt: 233
§ 166 ZPO geht von der grundsätzlichen Aufgabenzuweisung der Zustellung an den Gerichtsvollzieher aus. Diese staatliche Aufgabe - zu den Kriterien F. Ossenbühl VVDStRL 29, S. 137, 157 f. - behält ihren Zusammenhang mit der hoheitlichen Funktion Rechtsprechung auch dann, wenn die Zustellung durch die Post erfolgt. 234 § 33 PostG. Eine Verpflichtung der Privatunternehmen im Wege der Indienstnahme war nicht möglich, da andernfalls der Charakter der Postzustellung als Hoheitsaufgabe nicht aufrecht zu erhalten gewesen wäre. Hoheitsaufgaben können durch Private nur im Wege der Beleihung wahrgenommen werden.
V. Privatisierungsstrategien: Eisenbahnen des Bundes
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- Beendigung eines staatlichen Monopols und Öffnung eines Marktes für private Wettbewerber bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des staatlichen Leistungsangebots (Markteröffnung), Art. 87 e GG. Staat und Private können dabei je nach Marktentwicklung untereinander in eine Wettbewerbssituation geraten. - Obligatorische Organisationsprivatisierung mit dem Privatisierungsgrad einer nicht-mehrheitlichen Beteiligung Privater an privatrechtlich geführten Staatsunternehmen (Organisationsprivatisierung mit Beteiligung Privater, Art. 87 e Abs. 3 Sätze 2 und 3 GG) und dem Privatisierungsgrad einer späteren Aufgabenprivatisierung (optionale Aufgabenprivatisierung, Art. 87 e Abs. 3 S. 1 GG). - Staatlicher Rückzug aus einer auf die Erbringung von Dienstleistungen zielende Verwaltungsaufgabe (Art. 87 f GG 2 3 5 ) ohne Wahlmöglichkeit (Aufgabenprivatisierung, verbunden mit dem Verbot, dass der Staat diese Dienstleistungen selbst erbringt). Gleichzeitig bleiben gewisse sozialstaatliche Restaufgaben des Staates in gewandelter Form bestehen, die freilich unterschiedlich scharf konturiert sind. Eher vage fällt die Gewährleistungspflicht in Art. 87 e Abs. 4 GG aus, konkreter dagegen die Grundversorgungsklausel des Art. 87 f Abs. 1 GG. Dabei gilt: Je stärker der rechtlich zulässige bzw. gebotene Privatisierungsgrad ist, desto größer ist der Regelungsbedarf für die verbleibenden staatlichen Verantwortlichkeiten. In der einfachrechtlichen Ausgestaltung der Gewährleistungspflicht aus Art. 87 f Abs. 1 GG konnte eine weitere Privatisierungsstrategie aufgezeigt werden. - Die Rücknahme der staatlichen Leistungserbringung durch eigenes Personal auf die Organisation der Erbringung von flächendeckend angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen im Sinne einer Grundversorgung geht Hand in Hand mit der finanziellen Inpflichtnahme aller eine bestimmte Mindestgröße überschreitenden Marktteilnehmer (auf Geldleistung zielende Sekundärpflicht zur primären Dienstleistungspflicht bei der Erbringung von Uni Versaldienstleistungen, Kostenprivatisierung). Grenzen der Privatisierung werden insbesondere durch die Gewährleistungsklauseln in Art. 87 e Abs. 4 und Art. 87 f Abs. 1 GG vorgezeichnet, die die Qualität einer Verfassungsaufgabe genießen. Für den Fall der Kostenprivatisierung 236 stellen sich grundrechtliche und finanzverfassungsrechtliche Fragen (Reichweite des Steuerstaates).
235 Die Besonderheiten des Art. 143 b Abs. 2 GG können, da auf eine Übergangszeit begrenzt, vernachlässigt werden.
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit V I . Privatisierungsstrategien: V e r k e h r 2 3 7 1. Indienstnahme und andere konventionelle Strategien
Der Privatisierungsgrad der Indienstnahme Privater für die Erbringung von lebenswichtigen Verkehrs- und Versorgungsleistungen unterschiedlicher Art findet sich in zahlreichen gesetzlichen Regelungen 238 . Einzelheiten legt dabei regelmäßig der Verordnungsgeber fest 2 3 9 . Unterschiedlich ausgestaltet sind Art und Weise der Indienstnahme 240 und die Frage der Regelung des Kostenersatzes. Kostenersatz wird teilweise als Entschädigung in Anlehnung an die im Wirtschaftsverkehr üblichen Entgelte und Tarife geleist e t 2 4 1 , teilweise gar nicht, wenn die Aufwendungen des Indienstgenommenen unterhalb der Enteignungsschwelle bleiben 2 4 2 . Soweit ein Kostenersatz - in welchem Umfang auch immer - gezahlt wird, kann man von einer abgemilderten Variante der Indienstnahme sprechen. Weitere Besonderheiten gegenüber den weiter oben dargestellten Formen der Indienstnahme treten unter Privatisierungsgesichtspunkten nicht auf.
236
Die Probleme liegen hier durchaus parallel zu den Grenzen einer zulässigen Indienstnahme. Der einzige Unterschied besteht darin, dass die Indienstnahme zu bestimmten Sach- oder Personalausgaben zwingt, wogegen die Kostenprivatisierung hier zu einem direkten Finanztransfer führt. Überblick bei W. Blümel (Hrsg.), Einschaltung Privater beim Verkehrswegebau - Innenstadtverkehr, 1993; U. Steiner, Festschrift H. Saiger, 1994, S. 567 ff.; zum Wasserstraßenbau U. Fastenrath/B. Sim ma,, DVB1. 1983, S. 8 ff. 237 Soweit nicht Eisenbahnen des Bundes. 238 Das Verkehrsicherstellungsgesetz vom 24. August 1965 ist auf den Verteidigungsfall bezogen; es wird für Krisen anderer Art wie Naturkatastrophen, Kernreaktorunfälle oder andere großflächige Gefahrenlagen ergänzt durch das Verkehrsvorsorgegesetz (dazu BT-Drs. 13/3354). Vergi, ferner § 10 Seeaufgabengesetz für die Behebung oder Verhinderung eines Mangels an Schiffsraum sowie das Energiesicherungsgesetz 1975 y das für die Deckung des lebenswichtigen Bedarfs an Energie auch Regelungsmöglichkeiten für den Transport von Energie enthält, § 1 Abs. 1 Nr. 1. 239 Diese Regelungstechnik findet sich auch für andere wichtige Dienst- oder Versorgungsleistungen in Krisenfällen, vergi, das Gesetz zur Sicherstellung des Postwesens und der Telekommunikation für die Sicherstellung und Aufrechterhaltung eines Mindestangebots an Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, § 3, oder das Ernährungsvorsorgegesetz für die Sicherung einer ausreichenden Versorgung mit Erzeugnissen der Ernährungs- und Landwirtschaft, §§ 2, 3. 240 In der Regel wohl nur durch Verwaltungsakt; das Verkehrsvorsorgegesetz sieht die Variante der Verpflichtung durch privatrechtlichen Zwangsvertrag vor. 241 Etwa § 10 Seeaufgabengesetz. 242 So im Verkehrsvorsorgegesetz, vergi. Begründung zu § 8, BT-Drs. 13/3354, S. 10.
VI. Privatisierungsstrategien:
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Auch die Figur des Verwaltungshelfers findet sich im Verkehrsbereich. Den Fall einer gesetzlichen Regelung für die zulässige Einschaltung von Verwaltungshelfern enthalten die §§ 7 Abs. 2, 12 Abs. 5 BWaStrG, wonach Ausbau, Neubau und Unterhaltung einem privaten Unternehmen zur Ausführung übertragen werden können. Ausdrücklich gehen hoheitliche Befugnisse dabei nicht über. Unter systematischer Perspektive können diese Privatisierungsgrade hier vernachlässigt werden. Verwaltungsorganisatorisch bewegen sie sich in den konventionellen Bahnen, die oben im Aufgabenbereich der inneren Sicherheit bereits ausführlich analysiert wurden. Als Beispiel einer gelungenen Privatisierungsstrategie, die zur Einschaltung von Privatpersonen führt, werden gelegentlich die Nebenbetriebe der Bundesautobahnen243 angeführt 244. Nebenbetriebe dienen den Belangen der Verkehrsteilnehmer (§15 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz), ihre Bereitstellung fällt unter die Straßenbaulast. Über Planung und Bauausführung wird durch Planfeststellung entschieden245. Die Verwaltungsaufgabe Bau und Verpachtung von Nebenbetrieben wird schon lange in privatrechtlicher Organisationsform wahrgenommen: Nebenbetriebe wurden bis 1994 durch die bundeseigene Gesellschaft für Nebenbetriebe der Bundesautobahnen mbH (GfN) betreut und verpachtet. Die GfN ist bis auf unbedeutende Ausnahmen alleiniger Konzessionsinhaber. Sie wurde im Februar 1994 in die bundeseigene Autobahn Tank- und Rastanlagen AG (Tank- und Rast AG) umgewandelt. Dieser Schritt stellt allerdings weder eine Privatisierung im hier zu Grunde gelegten Sinne noch eine Organisationsprivatisierung dar, sondern lediglich einen Rechtsformenwechsel von einer staatseigenen juristischen Person des Privatrechts in eine andere als Vorstufe für zukünftige - echte - Privatisierungsschritte. Mit der Neufassung des § 15 Bundesfernstraßengesetz durch Gesetz vom 25. März 1994 hat der Gesetzgeber die Grundlage für eine weitergehende Privatisierung geschaffen. Danach ist zu differenzieren: Der Bau von Nebenbetrieben kann auf Dritte, ihr Betrieb ist auf Dritte zu übertragen, § 15 Abs. 2 Bundesfernstraßengesetz. Die Festlegung der Standorte bleibt dagegen weiter eine Verwaltungsaufgabe des Bundes. Die Bereitstellung eines Netzes von Nebenbetrieben ist damit trotz Privatisierung weiterhin eine Staatsaufgabe. 243 Die weit über 750 Nebenbetriebe an den Bundesautobahnen (Tankstellen, Raststätten, Motels, zu den rechtlichen Voraussetzungen § 15 Abs. 1 Bundesfernstraßengesetz) unterliegen als Teile der Bundesfernstraßen der öffentlichen Sachherrschaft, K. Kodal/H. Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, S. 192 und 1328 ff. 244 Auslöser war der Beschluss der Bundesregierung vom 26.3.1985. 245 Κ Kodal/H. Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, S. 192.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Im Hinblick auf den wirtschaftlichen Betrieb der Nebenbetriebe liest sich der Gesetzestext dagegen wie ein materielles Privatisierungsgebot, jedenfalls wenn man „Dritte" wie „echte" Privatpersonen versteht. Allerdings hat der Gesetzgeber dies offensichtlich nicht so verstanden, denn in der Gesetzesbegründung heißt es nach dem Hinweis, dass private Investoren zum Bau und Betrieb von Nebenbetrieben bereit sind, ausdrücklich: „Zu diesen Privaten gehört auch die GfN." 2 4 6 Wenn demnach auch staatliche Organisationseinheiten in Privatrechtsform „Dritte" im Sinne des Gesetzes sind, verbietet sich eine Auslegung im Sinne eines materiellen Privatisierungsgebotes für den Betrieb der Nebenbetriebe: Diese können, müssen aber nicht aus staatlicher Hand gegeben werden. Was auf den ersten Blick nach einem materiellen Privatisierungsgebot klingt („ist zu übertragen"), stellt sich damit bei näherem Hinsehen im Ergebnis lediglich als Privatisierungsgrad der Kann-Regelung des § 15 Abs. 2 Satz 1 Bundesfernstraßengesetz dar. Dieses merkwürdige Ergebnis man ist versucht, von Etikettenschwindel zu sprechen - wird durch den Hinweis bestätigt, Ziel der Gesetzesnovelle sei es, neben der GfN privaten Dritten als Investoren das Nebenbetriebssystem zu öffnen. Als Vorteil des Gesetzes wird auf die Einsparung laufender Steuerzahlungen zu Lasten des Haushaltes des Bundesministers für Verkehr für den Betrieb gewerblicher Art des Bundes hingewiesen. Hier dürfte der eigentliche Grund für diese Form der Privatisierung zu suchen sein. Nach dem klaren Willen des Gesetzgebers ist es jedenfalls kaum zulässig, ein Privatisierungsgebot im Sinne der Aufgabenprivatisierung anzunehmen, sondern es liegt lediglich der Privatisierungsgrad einer optionalen Aufgabenprivatisierung vor. In der Öffnung bei der Errichtung neuer Nebenbetriebe durch Ausschreibung liegt ebenfalls die (potentielle) Beteiligung Privater (Privatisierungsgrad Markteröffnung bei zumindest vorläufiger Aufrechterhaltung des staatlichen Leistungsangebots). Geplant ist weiter eine Teilprivatisierung der Anteile des Bundes an der Tank- und Rast AG durch Veräußerung von 49 % 2 4 7 , der Zeitpunkt dafür ist indes ungewiss. Auch dadurch käme es zu der bereits bekannten Beteiligung von Privaten bei Organisationsprivatisierungen. Ob darüber hinaus eine weitergehende Veräußerung staatlicher Anteile in Betracht kommt, ist zur Zeit völlig unklar. Systematisch gesehen handelt es sich damit um kleine Varianten, aber nicht um substantiell neue Formen von bereits bekannten Privatisierungsgraden.
246 247
BT-Drs. 12/4635, S. 5. Κ Kodal/H. Krämer (Hrsg.), Straßenrecht, 5. Aufl. 1995, S. 1331.
VI. Privatisierungsstrategien:
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Die Öffnung für Dritte beim Bau neuer Nebenbetriebe gemäß § 15 Abs. 2 Satz 1 Bundesfernstraßengesetz verbleibt ebenfalls in den bisher festgestellten Formen. Die Gesetzesänderung war erforderlich geworden, weil der Bund als gesetzlicher Träger der Straßenbaulast (§ 15 Abs. 2 Bundesfernstraßengesetz alte Fassung) auf seinen Bauvorbehalt zunächst verzichten musste. Auch hier versteht der Gesetzgeber „Dritter" im Sinne der GfN bzw. deren Rechtsnachfolger und im Einzelfall gegebenenfalls auch im Sinne anderer privater Investoren 248. 2. Konzessionen Nicht notwendigerweise einen Fall von Privatisierung im Sinne der Beteiligung Privater an Staatsaufgaben stellt die Erteilung einer Konzession und die damit verbundene Pflicht zur Entrichtung einer Konzessionsabgabe dar, wie sie jetzt in § 15 Abs. 3 Bundesfernstraßengesetz für die Nebenbetriebe ihre gesetzliche Grundlage gefunden hat. Konzessionsabgaben als Verleihungsgebühr dienen der Abschöpfung eines Vermögensvorteils als Gegenleistung des Bürgers für die Einräumung eines - besonderen - Rechtes. Entscheidend für ihre Bemessung ist der Ausgleich des Sondervorteils beim Leistungsempfänger 249. Alleine darin liegt noch kein Element der Beteiligung Privater an Staatsaufgaben. Diese Bewertung ändert sich allerdings dann, wenn das Recht, das im Wege der Konzession erteilt wird, zugleich eine Verwaltungsaufgabe darstellt, die der Staat andernfalls, also ohne die Einschaltung Privater, selbst erfüllen müsste. Ausschlaggebend dafür ist das zugrunde liegende Recht, um dessen Vergabe es geht. Die Bereitstellung und Aufrechterhaltung eines Netzes von Nebenbetrieben an Bundesfernstraßen wird traditionell als Bestandteil der Straßenbaulast angesehen und damit als Verwaltungsaufgabe, die auf Grund einfachrechtlicher Verpflichtung zu erfüllen ist. Auch mit der Konzessionierung an (echte) Private erfüllt der Staat die Verwaltungsaufgabe „Bereitstellung und Unterhaltung von Nebenbetrieben" und wird seiner gesetzlichen Bereitstellungsverpflichtung gerecht. Gleichzeitig profitiert er durch die Abschöpfung der Konzessionsabgabe - zusätzlich zu deren Steueraufkommen - am wirtschaftlichen Erfolg der Privaten. Dies erlaubt es ihm, eventuell eintretende Versorgungsengpässe an anderer Stelle abzugleichen250. Die Konzessionie248
BT-Drs. 12/4635, S. 6. J. Wieland, Die Konzessionsabgaben, 1991, S. 295 ff., 314, 394. Der Gesetzestext stellt auf den „Wert des wirtschaftlichen Vorteils ab", § 15 Abs. 3 S. 3 Bundesfernstraßengesetz. 250 Vergi. / Wielandy Die Konzessionsabgaben, 1991, S. 18; zur Funktion von Konzessionen S. 125 ff. 249
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
rung einer Verwaltungsaufgabe stellt demnach einen eigenständigen Privatisierungsgrad dar 251 , der dem Privaten grundsätzlich ein hohes Maß an Selbständigkeit belässt252. Hier liegt zugleich die Schwäche des Instruments, das per se keine starken Einflussmöglichkeiten des Staates auf die Erfüllung der jeweiligen Aufgabe in sich trägt. In besonderer Weise eignet sich sein Einsatz dort, wo es um Aufgaben geht, deren Erfüllung über den Steuerungsmechanismus des Marktes optimal zu erreichen ist. Allgemein stellt sich bei diesem Privatisierungsgrad die Frage, wo die verfassungsrechtlichen Grenzen einer zulässigen Konzessionierung von Rechten liegen, die zugleich der Erfüllung einer Verwaltungsaufgabe dienen. Für die Ausübung von Hoheitsbefugnissen kommt das Instrument der Konzessionierung dagegen nicht in Betracht. Soweit Private mit der Ausübung von Hoheitsbefugnissen beauftragt werden sollen, ist Voraussetzung stets eine gesetzliche Beleihungsmöglichkeit. 3. Finanzierung durch Private Im Straßenbau mit seinen hohen Investitionskosten sind Privatisierungsstrategien für die Finanzierung öffentlicher Aufgaben durch private Investoren bzw. durch privates Kapital 253 geradezu exemplarisch entwickelt worden. Gemeinsamer Nenner ist die Einbeziehung privaten Kapitals in den Ausbau von Verkehrsinfrastruktur. Im Zeichen leerer Kassen bei gleichzeitig hohem Investitionsbedarf soll in erster Linie die konventionelle Haushaltsfinanzierung ersetzt werden 254. Unterschiedlich geregelt ist die Refinanzierung der - zunächst - privaten Investitionen. Folgende Varianten lassen sich unterscheiden255:
251
E. Schmidt'Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 32 plädiert dafür, das Instrument der Konzession für Privatisierungsvorgänge zu reaktivieren, „weil es in seiner differenzierten Struktur die Übergänge zwischen unterschiedlichen Verantwortungstypen zutreffend erfasst". 252 Konzessionierungen unter gleichzeitiger Beleihung mit hoheitlichen Befugnissen sind nicht prinzipiell ausgeschlossen; § 15 Abs. 2 Satz 6 Bundesfernstraßengesetz legt deswegen ausdrücklich fest, dass hoheitliche Befugnisse nicht übergehen. 253 v e r gi e Jen Bericht der Arbeitsgruppe „Private Finanzierung öffentlicher Infrastruktur", Hrsg. Bundesministerium der Finanzen, Juni 1991; zu Formen der Finanzierungsprivatisierung P. J. Tettingen DÖV 1996, S. 766. Kritisch G. Püttner, in: Festschrift K. H. Friauf, 1996, S. 737 ff.; ders., Staatsverschuldung als Rechtsproblem, 1980. 254 A. Krölls, GewArch 1995, S. 132. 255 Dazu bereits K. Grupp, DVB1. 1994, S. 140 ff.
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Eine bundeseigene Finanzierungsgesellschaft, damit ein Fall von Organisationsprivatisierung, war die „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG" (Öffa). Die Öffa nahm im eigenen Namen und für eigene Rechnung Geld auf dem Kreditmarkt für den Bau von Bundesautobahnen auf, insbesondere auch bei Privatbanken und Versicherungen 256. Zur Begründung dieser Strategie wurde angeführt, mit den Mitteln des öffentlichen Haushalts und dem Prinzip der Einjährigkeit sei ein effektiver Straßenbau nicht möglich. Der Bund hatte sich gegenüber der Öffa vertraglich verpflichtet, die fälligen Zinsen und Tilgungsraten an sie zu zahlen und die anfallenden Verwaltungskosten auszugleichen. Nur diese Kosten wurden auch in den Bundeshaushalt eingestellt, die Refinanzierung der Kredite war dagegen auf zukünftige Haushalte verlagert und tauchte zunächst nicht auf. Der Bundesrechnungshof hatte dieses Verfahren im Hinblick auf Art. 110 Abs. 1 GG als verfassungswidrig gerügt, da es sich bei den von der Öffa aufgenommenen Krediten wirtschaftlich gesehen um Lasten handelt, „die den Bund in künftigen Haushaltsjahren in gleicher Weise wie „normale" Kredite belasten und wie diese dem allgemeinen Kreditmarkt entzogen werden" 257. Im Jahr 1974 wurde dieser Privatisierungsgrad einer privaten Kreditfinanzierung für öffentliche Investitionen eingestellt. Auch wenn es keine Wiederbelebung dieses Modells im investiven Bereich gegeben hat, ist diese Form der Privatisierung der Geldbeschaffung für Staatsaufgaben beim Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz 258 wieder aufgelebt. Danach wird ein Teil der Förderung durch verzinsliches Bankdarlehen im Wege eines privatrechtlichen Vertrags 259 mit der bundeseigenen Deutschen Ausgleichsbank260 vergeben, die bei der Geldbeschaffung wie jede andere Bank auch am Wirtschaftsleben teilnimmt und sich die erforderlichen Mittel auf dem Kreditmarkt selbst besorgt. Der Bundeshaushalt wird dadurch entlastet. In den Haushalt werden nur noch die durch den 256
Rechtsgrundlagen waren das Verkehrsfinanzgesetz vom 6.4.1955 (BGBl. I S. 166) und später das Straßenbaufinanzierungsgesetz vom 28.3.1960 (BGBl. I S. 201). Weitere Nachweise bei K. Grupp y DVB1. 1994, S. 141 f.; K. H. Friauf Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 26 ff. 257 BT-Drs. V/4066, S. 41 f. 258 Gesetz vom 23. April 1996, BGBl. I S. 623 (BT-Drs. 13/3698, „Meister-BAfög"); nach dem gleichen Prinzip sollte nach der Vorstellung der Bundesregierung auch die Bundesausbildungsförderung finanziert werden, vergi, den Entwurf des 18. BAföGÄndG, BR-Drs. 886/95. 259 Auf den Vertragsabschluß besteht bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen im übrigen ein Anspruch, § 13 Abs. 1 Aufstiegsfortbildungsförderungsgesetz. 260 Die Deutsche Ausgleichsbank ist eine bundesunmittelbare rechtsfähige Anstalt des öffentlichen Rechts, BGBl. I 1986, S. 1545.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Bund für einen begrenzten Zeitraum zu tragenden Zinsen der Darlehensnehmer eingestellt. Im Unterschied zur Öffa ist bei dieser Variante allerdings die Refinanzierung durch die Darlehensnehmer sichergestellt, so dass die Kritik des Bundesrechnungshofes hier nur insoweit zum Zuge kommt, als dem Kreditmarkt durch diese Variante der Privatfinanzierung von Staatsaufgaben Mittel entzogen werden. Die Heranziehung von privatem Kapital kann aber nicht nur mittelbar auf dem Weg über eine bundeseigene Bank oder Gesellschaft erfolgen, sondern auch unmittelbar durch Einschaltung eines Investors, der Bau- und Finanzierungsaufgaben in einer Hand übernimmt. Für den Privatisierungsgrad einer Finanzierung durch private Investoren lassen sich die drei Varianten der Leasing-Finanzierung, des Konzessionsmodells und des sog. Betreibermodells unterscheiden. Leasing-Finanzierung: Die Möglichkeiten einer Leasing-Finanzierung wurden für den Straßenbau diskutiert. Der Sache nach geht es dabei um eine Organisationsprivatisierung auf Zeit 261 . Eine bundeseigene Gesellschaft übernimmt Bau und Finanzierung, die in erheblichem Umfang über eine Kreditaufnahme auf dem Markt abgewickelt wird, auf bundeseigenen Grundstücken im Wege der Erbpacht. Der Bund zahlt einen Mietzins über 27 Jahre, so dass 90 % des investierten Kapitals plus verschiedene andere Kosten zurückfließen. Die Konzeption wurde aus steuerlichen Gründen verworfen: Da der Leasingnehmer wirtschaftlich als Eigentümer anzusehen ist, weil ein Markt für Autobahnen nicht existiert, entfallen die Abschreibungsmöglichkeiten, die den eigentlichen Reiz des Leasing-Modells (Steuerersparnis) ausmachen. Dessen ungeachtet ist das Modell aber auch sonst fragwürdig. Selbst wenn man unterstellt, dass ein entsprechender Markt existiert, ist eine Steuerersparnis bei einer Gesamtbetrachtung des Bundeshaushalts in Wahrheit nicht vorhanden. Die Einsparung des Fachressorts stellt sich auf der anderen Seite als Verlust auf der Steuereinnahmeseite dar. Die erwarteten Einspareffekte funktionieren damit aus gesamtstaatlicher Perspektive nicht. Konzessionsmodell: Dieses Modell wird praktiziert. Ohne Gesetzesänderung errichten private Investoren, die sich in Projektgesellschaften zusammengeschlossen haben, auf bundeseigenen Grundstücken Bundesfernstraßen. Gleichzeitig erhalten sie das Recht (Konzession), das Projekt für einen bestimmten Zeitraum zu nutzen. Nach Fertigstellung erhält der Bund das Nutzungsrecht gegen regelmäßige Zahlung einer Nutzungsgebühr zurück 262 . Bei dieser Konstruktion werden Baudurchführung und Geldbeschaffung 261
K. Grupp, DVB1. 1994, S. 142. K. Grupp, DVB1. 1994, S. 143; U. Steiner, m.w.N. 262
NJW 1994, S. 3150 FN 11
VI. Privatisierungsstrategien:
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durch Private vorgenommen. Das komplizierte Konzessionsmodell dient lediglich der Refinanzierung, da eine Gebührenerhebung von den Straßenbenutzern eine Gesetzesänderung voraussetzt. Eine Beleihung findet dabei nicht statt, im Kern geht es um die Privatfinanzierung staatlicher Infrastruktur. Betreibermodell 263 (Mautmodell): Das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz legt die Grundlage für die Übertragung von Aufgaben des Neu- und Ausbaus von Bundesfernstraßen auf Private. Dabei können Bau, Erhaltung, Betrieb und Finanzierung „Privaten zur Ausführung übertragen werden", wobei der Private in bestimmte Rechte und Pflichten des Trägers der Straßenbaulast einrückt, § 1 Abs. 3 FStrPrivFinG. Die Refinanzierung der Investitionen des Betreibers erfolgt über Mautgebühren für die Benutzung der neu errichteten Verkehrswege, deren Höhe der Staat (Bundesministerium für Verkehr) nach Maßgabe von § 3 Abs. 2 FStrPrivFinG im Verordnungswege festlegt 264. Dieses Modell, das nur auf der Basis der Beleihung mit bestimmten Hoheitsbefugnissen funktioniert 265, stellt unter Privatisierungsgesichtspunkten eine Mischkonstruktion aus Beleihung266 und Verfügbarmachung von privatem Kapital durch den Betreiber (bei Refinanzierung durch Gebühren) dar. Eine Privatisierung der Verwaltungsaufgabe Bundesfernstraße im Sinne ihrer Entstaatlichung findet nicht statt 267 , wohl aber die Verlagerung der Finanzierung in den privaten Bereich 268. Kein Fall von Privatisierung im hier verstandenen Sinne liegt bei der Einschaltung privatrechtlich organisierter Verwaltungseinrichtungen in den Straßenbau vor 2 6 9 . Es handelt sich um einen Fall der Organisationsprivati263
Der Begriff Betreibermodell ist kein Rechtsbegriff und wird in unterschiedlichen Kontexten mit variierendem Bedeutungsinhalt verwendet. Insbesondere die Übertragung von Hoheitsrechten ist keineswegs Voraussetzung eines Betreibermodells. 264 Der Sache nach kommt dies einer Art Preisaufsicht gleich, vergi. W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnung, 1996, S. 283. Zur Variante der Zahlung leistungsabhängiger Entgelte durch den Staat an den Betreiber K. Grupp, DVB1. 1994, S. 142 m.w.N. (FN 30). 265 Vergiβ die Beschränkung des Übergangs von Hoheitsbefugnissen auf Private in § 1 Abs. 4 FStrPrivFinG. 266 W. Schmidt, NVwZ 1995, S. 38 f. spricht von einer „hinkenden Beleihung", da es an einem öffentlich-rechtlichen Leistungsverhältnis zwischen dem Privaten und den Straßenbenutzern fehlt, das erst eine öffentlich-rechtliche Gebührenregelung begründen könnte. 267 U. Steiner, NJW 1994, S. 3150. 268 H. Bauer, VVDStRL 54, S. 266; vergi, auch Λ. Bucher, Privatisierung von Bundesfernstraßen, 1996, S. 176 ff. 269 Insbesondere die Deutsche Einheit Fernstraßenplanungs- und Baugesellschaft mbH (DEGES), dazu R. Wahl, DVB1. 1993, S. 517 ff.; V. Stehlin, Einschaltung pri-
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
sierung, bei der privatrechtlich organisierte Verwaltungseinheiten ausgegliedert werden und nach wie vor öffentliche Aufgaben wahrnehmen270. Verfassungsrechtlich stellt sich die Frage nach den Grenzen einer zulässigen Aufgabenübertragung auf Private bei Bau und Betrieb von Bundesfernstraßen, aber auch nach den Grenzen einer Finanzierung von Staatsaufgaben außerhalb des öffentlichen Haushaltes durch Verfügbarmachung privaten Kapitals in den geschilderten Varianten 271. 4. Zusammenfassung: Privatisierung und Verkehr Im Verhältnis zur bisherigen Untersuchung finden sich im Verkehrsbereich Privatisierungsstrategien, die von den bislang analysierten Privatisierungsgraden abweichen, nur in geringem Umfang. Einige Maßnahmen stellen sich als reine Organisationsprivatisierung dar, die nicht als Privatisierung im hier verstandenen Sinn zu bewerten sind. An keiner Stelle konnte eine echte Aufgaben Verlagerung festgestellt werden. Dies gilt auch für § 15 Abs. 2 Bundesfernstraßengesetz, der entgegen seinem Wortlaut nicht als materielles Privatisierungsgebot, sondern lediglich als Option für eine Aufgabenprivatisierung verstanden werden kann. In der Hauptsache geht es beim Straßenverkehr um Privatisierungsmodelle, die bei angespannter öffentlicher Haushaltslage die Verfügbarmachung von privatem Kapital für die Errichtung staatlicher Infrastruktur ermöglichen. Bei der Refinanzierung des eingesetzten Privatkapitals ist zu unterscheiden zwischen Lösungen, die über die konventionelle Haushaltsfinanzierung abgesichert werden, und solchen Lösungen, die benutzerabhängig durch die Erhebung von entsprechenden Gebühren erfolgen. Rechtliche Voraussetzungen für die Verwirklichung der letztgenannten Variante sind im Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz geschaffen worden. vatrechtlich organisierter Verwaltungseinrichtungen in die Verkehrswegeplanung, 1997, insbesondere S. 27 ff., 35 ff. und 179 ff. 27 0 R. Wahl, DVB1. 1993, S. 518. 271 Zu nennen sind auch die regelmäßig wieder auftauchenden Pläne zur Einführung von Mautgebühren für bereits bestehende und möglicherweise seit langem fertiggestellte Bundesfernstraßen. Dabei würde es sich um eine Variante der Finanzierungsprivatisierung handeln. Aus dem juristischen Schrifttum etwa H.-J. Ewers/H Rodi , Privatisierung der Bundesautobahnen, 1995; Das Problem stellt sich nicht nur bei staatlichen Infrastrukturleistungen, sondern ganz allgemein für staatliche Bereithaltungs- und Dienstleistungen, etwa auch bei der Einführung von Studiengebühren. Eine pauschale Antwort wird es dabei allerdings kaum geben, sondern hier wird man bereichsspezifisch zu unterscheiden haben.
VII. Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen
157
Das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz stellt einen Fall der Finanzierungsprivatisierung von Staatsaufgaben dar. Staatliche Infrastruktur für den Gemeingebrauch wird dabei auch im Ergebnis nicht mehr aus Haushaltsmitteln errichtet, sondern der Staat nimmt hier seine Rolle auf die Einrichtung und die Organisation eines finanziellen Umverteilungsmechanismus außerhalb der Steuer von den Benutzern hin zu den Investoren zurück. Verfassungsrechtlich stellt sich insbesondere die Frage nach den Grenzen der Finanzierung der Errichtung staatlicher Infrastruktur für den Gemeingebrauch außerhalb des öffentlichen Haushaltes durch die Erhebung von Gebühren. V I I . Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen 1. Konventionelle Privatisierungsstrategien Im Umweltrecht, dort insbesondere in den Bereichen Abfall, Abwasser und Immissionsschutz, und im Baurecht treten die drei konventionellen Grunderscheinungsformen der Beteiligung Privater an Verwaltungsaufgaben von Beleihung, Verwaltungshilfe und Indienstnahme in zahlreichen Fallkonstellationen auf 272 . Hinsichtlich einzelner Modelle stößt man dabei zunächst auf eine beachtliche Begriffsvielfalt: Betreibermodelle, Contracting out 2 7 3 , Outsourcing 274, Public-Private-Partnerships („PPP's") 275 , externes Projektmanagement276 etc. sind nur einige der gängigen Begriffsbildungen, die sich freilich im Wesentlichen auf die drei genannten Grundformen des Verwaltungsorganisationsrechts reduzieren lassen. Hier bewährt sich die ordnende Kraft der Verwaltungsrechtsdogmatik, um Klarheit in eine auf den ersten Blick verwirrende Begriffsvielfalt zu bringen.
272
Insbesondere zum Umweltrecht G. Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltrechts, 1996, S. 29 ff. 27 3 Monopolkommission, BT-Drs. 12/3031, Rdn. 44. 274 Dazu A. Büllesbach/J. Rieß, in: A. Büllesbach (Hrsg.), Staat im Wandel, 1995, S. 36 ff.; Outsourcing ist danach die Auslagerung von Hilfstätigkeiten für die Verwaltung an Private (Figur des Verwaltungshelfers). 275 vèrgi ρ j Tettinger, in: ders. (Hrsg.), Rechtlicher Rahmen für Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet der Entsorgung, 1994, S. 15 f.; zur rechtlichen Ausgestaltung ders. y DÖV 1996, S. 764 ff. Danach ist dieser wenig präzise Terminus insbesondere im Kommunal- und Wissenschaftsbereich gebräuchlich, vergi, auch K. Lüder, DÖV 1996, S. 93 ff. 27 6
W. Erbguth, UPR 1995, S. 369; M. Bockel, DÖV 1995, S. 106 ff.
158
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit a) Beleihung
Die Beleihung des Bezirksschornsteinfegers bei der Überprüfung von Anlagen nach §§ 14, 15 der 1. BImSchVO genießt geradezu den Status eines Lehrbuchbeispiels. Auch im Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz 277 sowie im Tierkörperbeseitigungsgesetz 278 finden sich Grundlagen für die Beleihung von Privaten mit den Pflichten der Entsorgungsträger 279. Der Beliehene tritt dabei in vollem Umfang an die Stelle der entsorgungspflichtigen Körperschaft, deren Rolle sich - vergleichbar mit der Wirtschaftsüberwachung von Gewerbebetrieben 280 - entsprechend auf die Beaufsichtigung der Ausführung durch den Beliehenen beschränkt 281. Begriffsbestimmend ist das Merkmal selbständiger Aufgabenwahrnehmung, so dass auch die Übertragung schlicht-hoheitlicher Aufgaben ohne eingreifende Regelungsbefugnis den Tatbestand der Beleihung erfüllen kann 282 , wenn die rechtlichen Voraussetzungen im übrigen, insbesondere eine gesetzliche Grundlage, vorliegen. b) Verwaltungshilfe
Eine unterstützende Tätigkeit Privater im behördlichen Auftrag als Verwaltungshelfer ist im atomrechtlichen Genehmigungs- und Aufsichtsverfahren in den §§ 19, 20 AtG ausdrücklich geregelt, ebenso in § 4 Abs. 1 Satz 2 Tierkörperbeseitigungsgesetz 283 und in dem dieser Vorschrift nachgebildeten § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG. Die Entsorgungspflicht verschiebt sich dadurch allerdings nicht. Sie bleibt beim Entsorgungspflichtigen, Dritte werden in die Erfüllung dieser Pflicht lediglich auf vertraglicher Grundlage eingeschaltet284. 277
§§ 16 Abs. 2, 15 Abs. 2 und 17 Abs. 5 KrW-/AbfG. § 4 Abs. 2, BGBl. 1975 I, S. 2313; dazu H. Fertig, DÖV 1994, S. 104 ff. und ders., GewArch 1994, S. 358. Gemäß § 4 Abs. 4 wird der Beliehene damit zum Beseitigungspflichtigen, eine Regelung, die weiter geht als im Abfallrecht, vergi. F. Hölscher, ZUR 1995, S. 182. 279 Weitere Beispiele bei M. Reinhardt, AöR 118, S. 625 ff. 280 R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992. 281 R. Stober, in: P. J. Tettinger (Hrsg.), Rechtlicher Rahmen für Public-PrivatePartnerships auf dem Gebiet der Entsorgung, 1994, S. 31 f.; M. Beckmann, NWVB1. 1995, S. 86; W. Kahl, DVB1. 1995, S. 1329 f.; F. Hölscher, ZUR 1995, S. 182. 282 G. Lübbe-Woljfy Modernisierung des Umweltrechts, 1996, S. 31 m.w.N. 283 Dazu H. Fertig, DÖV 1994, S. 102 ff. Weitere Beispiele bei R. Stober, in: P. J. Tettinger (Hrsg.), Rechtlicher Rahmen für Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet der Entsorgung, 1994, S. 34. 284 Vergi. § 16 Abs. 1 KrW-/AbfG; s. auch F. Schoch, Privatisierung der Abfallentsorgung, 1992, S. 27 f., 153 ff.; ders., DVB1. 1994, S. 4; M. Beckmann, DVB1. 1993, S. 11 f. 278
VII. Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen
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Auch im Bauplanungsrecht hat der Gesetzgeber beim Erschließungsvertrag in § 124 Abs. 1 Baugesetzbuch den Gemeinden ausdrücklich die Möglichkeit eröffnet, ihre Erschließungsaufgabe durch Vertrag auf Dritte zu delegieren 285. Ähnliche Ermächtigungen finden sich im Abwasserrecht 286. Bei den sogenannten Betreibermodellen 287, bei denen die Gemeinde einen privaten Unternehmer vertraglich mit der Abwasserreinigung beauftragt, handelt es sich ungeachtet aller Unterschiede im Detail um Varianten der Verwaltungshilfe 288. Betreibermodelle bleiben unterhalb der Beleihungsschwelle, die Kommune bleibt bei den Betreibermodellen nach wie vor für die Ent. 289
sorgung zuständig . Die grundsätzliche Zulässigkeit der Einbeziehung Dritter in Verwaltungsaufgaben im Wege der Verwaltungshilfe ist indessen auch ohne ausdrückliche gesetzliche Grundlage allgemein anerkannt 290, da Hilfstätigkeiten ohne hoheitliche Befugnisse nicht dem Gesetzesvorbehalt unterliegen. Ihre ausdrückliche gesetzliche Zulassung hat insoweit nur deklaratorische Bedeutung. Daraus folgt umgekehrt, dass sich aus dem Fehlen einer entsprechenden Regelung keine prinzipiellen Grenzen für die Einschaltung Privater als Beauftragte bei der Erledigung von Verwaltungsaufgaben ergeben 291. Die entscheidende Frage lautet demnach, nach welchen Kriterien Verwaltungstätigkeiten als bloße Hilfstätigkeit einzustufen sind und ab wann dies 285 Dazu J. Busse, BayVBl. 1994, S. 354; weitere Beispiele in § 6 BauGB-MaßnahmenG (a.a.O. S. 355 ff.). Zu den Problemen, die sich aus der Vertragsgestaltung ergeben können, OVG Münster, NVwZ-RR 1993, S. 507 ff., dazu H. Weis, Verfassungsrechtliche Fragen einer weiteren Privatisierung der juris GmbH, Beilage zum Bundesanzeiger vom 30. April 1996, Nr. 82 a, S. 39. 286 Etwa § 149 Abs. 6 Niedersächsisches Wassergesetz.
287 H. Weis, Verfassungsrechtliche Fragen einer weiteren Privatisierung der juris GmbH, Beilage zum Bundesanzeiger vom 30. April 1996, Nr. 82 a, S. 38; Niedersächsisches Ministerium für Wirtschaft, Technologie und Verkehr (Hrsg.), Priva rung kommunaler Kläranlagen, 3. Aufl. 1991. 288 Die Einschaltung Privater in die Aufgabendurchführung ist bei Abfallentsorgung und bei Abwasserbeseitigung rechtlich generell erlaubt, F. Schoch, DVB1. 1994, S. 8. 289 Vergi z u weiteren Modellen R. Stober, in: P. J. Tettinger (Hrsg.), Rechtlicher Rahmen für Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet der Entsorgung, 1994, S. 36. 290
G. Lübbe-Woljf/A. Steenken, ZUR 1993, S. 265; G. Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltrechts, 1996, S. 32; W. Rudolf in: H.-U. Erichsen (Hrsg.), Allgemeines Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, S. 707; R. Stober, in: P. J. Tettinger, Rechtlicher Rahmen für Public-Private-Partnerships auf dem Gebiet der Entsorgung, 1994, S. 34; F. Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 137; A. Büllesbach/J. Rieß, in: A. Büllesbach (Hrsg.), Staat im Wandel, 1995, S. 41 f. 291 Eine solche Grenze kann sich unter Umständen aus gebührenrechtlicher Perspektive im Hinblick auf die „Drittwirkung des Gebührenrechts" ergeben, vergi. F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 358 ff.
160
Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
nicht mehr der Fall ist 2 9 2 mit der Folge, dass die Einschaltung Privater in die Aufgabenerledigung unzulässig wird. c) Betriebsbeauftragte
Im Umwelt- und Technikrecht stark ausgeprägt ist die Figur der Eigensicherung und Eigenüberwachung durch Betriebsbeauftragte 293, zu deren Bestellung die Betreiber (Unternehmer) gesetzlich verpflichtet sind. Diese betriebsinterne Rechtsfigur dient der eigenverantwortlichen Optimierung von Umweltschutz- und Sicherheitsbelangen im Betriebsablauf. Der Betriebsbeauftragte hat Überwachungspflichten, Hinwirkungspflichten, Informationspflichten und Berichtspflichten. Sein Einfluss wird durch Mitwirkungsrechte gesichert. Unter Privatisierungsgesichtspunkten handelt es sich bei den Betriebsbeauftragten freilich nicht um eine neue Figur mit einem selbständigen Privatisierungsgrad, sondern sie fügen sich ein in den Kanon bekannter Erscheinungsformen der Einbeziehung von Privaten in Verwaltungsaufgaben. Eine Beleihung liegt nicht vor. Vielmehr nehmen Private hier eine ihnen gesetzlich zugewiesene staatliche Aufgabe als eigene Angelegenheit und damit auf ihre Kosten ohne die Verleihung von Hoheitsbefugnissen als öffentlichrechtliche Verpflichtung zur Eigenüberwachung wahr 294 . Private dienen dabei in spezifischer Weise Aufgaben, die im Zusammenhang mit dem Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen stehen. Die Aufgaben werden dadurch allerdings nicht zu Verwaltungsaufgaben, sondern bleiben eigene Angelegenheit der Unternehmen. Diese Form der Aufgabenerfüllung ist vergleichbar mit den Eigensicherungs· und Vorsorgepflichten im Bereich der inneren Sicherheit. Sie entlas292
Zu rechtlichen Möglichkeiten des Outsourcings in der öffentlichen Verwaltung im Hinblick auf die elektronische Datenverarbeitung A. Büllesbach/]. Rieß, in: A. Büllesbach (Hrsg.), Staat im Wandel, 1995, S. 36 ff. 293 Vergi. §§ I l a bis 11 f AbfG (jetzt: §§ 54, 55 KrW-/AbfG), §§ 21a bis 21 f WHG, §§ 53-58 d BImSchG, § 5 Abs. 2 StörfallVO (= 12. BImSchVO), §§ 29-31 StrahlenschutzVO; ferner § 31 Abs. 1 GefahrgutbeauftragtenVO, § 36 Bundesdatenschutzgesetz und §§ 5-10 Arbeitssicherheitsgesetz, vergi. Übersicht bei K. Kniep, GewArch 1992, S. 134. 294 M. Fuchs, Beauftragte in der öffentlichen Verwaltung, 1985; ders., DÖV 1986, S. 363; U. Steiner, DVB1. 1987, S. 1133; M. Reinhart, AöR 118, S. 635 ff.; G. Lübbe-Wolff, Modernisierung des Umweltrechts, 1996, S. 33 ff.; E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 32 f. erkennt hierin ein im Privatrecht ansetzendes Instrument des Organisationszwangs und spricht von privatem Organisationsrecht als funktionalem Äquivalent zum öffentlichen Aufsichtsund Lenkungsrecht. H.-J. Koch/S. R. Laskowski, ZUR 1997, S. 183 f.
VII. Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen
161
ten die staatliche Verwaltung damit im Vorfeld 295 eigener Aktivitäten. Auch wenn die Sachgründe für die Einbeziehung Privater in die staatliche Aufgabenerfüllung im Vergleich zur inneren Sicherheit andere sind, handelt es sich verwaltungsorganisatorisch um eine Variante der Indienstnahme296. Zwar wird der Betriebsbeauftragte in der Literatur häufig als selbständige Rechtsfigur dargestellt 297. Der hier leitenden Privatisierungsperspektive widerspricht es aber, eine zu weitgehende Differenzierung vorzunehmen. Entscheidend ist, dass ein selbständiger Privatisierungsgrad beim Betriebsbeauftragten nicht festzustellen ist. Das mögliche Gegenargument, dass der private Unternehmer mit der Bestellung eines Betriebsbeauftragten für Umweltschutzbelange letztlich nicht staatliche, sondern gesamtgesellschaftliche Aufgaben erfüllt, greift nicht. Die Tatsache, dass eine Staatsaufgabe auch eine private Aufgabe sein kann (Aufgabenkonkurrenz), gilt in vielen Lebensbereichen, ohne dass eine entsprechende gesetzliche Inpflichtnahme deswegen ausgeschlossen ist 2 9 8 . Hier gilt prinzipiell nichts anderes: Die Sicherheit eines gefährlichen Betriebes ist nicht nur Staatsaufgabe, sondern liegt immer auch im wohlverstandenen Interesse jedes Unternehmers. Gleichwohl wird dessen Inpflichtnahme grundsätzlich als zulässig angesehen. Verfassungsrechtliche Grenzen der gesetzlichen Inpflichtnahme können sich allenfalls durch deren Intensität im Hinblick auf die Grundrechte, nicht schon durch jede Indienstnahme als solche ergeben. Im Übrigen stellt Art. 20 a GG jetzt ausdrücklich klar, dass der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen Sache des Staates und dabei des Gesetzgebers ist. 2. Privatisierungsstrategien der Aufgabenverlagerung a) Pflichtenprivatisierung
Das Instrumentarium der bisherigen Analyse ist freilich noch zu statisch, um den Prozesscharakter bei der Verschiebung von Aufgaben aus der staatlichen in die private Zuständigkeit angemessen in den Blick zu bekommen. 295
R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, S. 919 f.; F. Rittner, Wirtschaftsrecht, 2. Aufl. 1987, § 11 Β I, unterscheidet vier Aufgaben: Kontrolle, Initiative, Information und Berichterstattung. Der Betriebsbeauftragte wird auch als Ausdruck des Kooperationsprinzips gedeutet, vergi. F. Hufen, ZLR 1993, S. 233 ff.; E. Hagenah, in. D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 487 ff. 296 Die unternehmerische Selbstüberwachung sieht auch M. Reinhardt, AöR 118, S. 619 als Fall der Indienstnahme an,. 297 Neben den bereits Zitierten W. Erbguth, UPR 1995, S. 370. 298 v e r gi die Diskussion um den Begriff der öffentlichen Aufgabe, dazu oben Α. II. 3. 11 Gramm
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Tatsächlich hat sich im Abfallrecht mit den beiden Schritten der Verpackungsverordnung vom 12. Juni 1991 299 und dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz vom 27. September 1994 300 - jedenfalls der Grundidee nach eine behutsame Aufgabenverlagerung vollzogen. Bei aller Kompromisshaftigkeit des Gesetzes301 ist diese Aufgabenverlagerung als Versuch einer „Pflichtenprivatisierung" von Entsorgungspflichten anzusehen302, die vormals öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger getroffen hat 303 . Die Zuständigkeit für die Verwertung und Entsorgung ist jetzt im Grundsatz primär auf Private gelenkt, §§ 5 Abs. 2 und 11 Abs. 1 Krw-/AbfG. Diese Konzeption geht im Spektrum der Privatisierungsgrade jedenfalls vom Wortlaut her noch deutlich über die staatliche Restzuständigkeit im Bereich der Grundversorgung mit Post- und Telekommunikationsdienstleistungen gemäß Art. 87 f Abs. 1 GG hinaus: Dort bleibt der Staat von Verfassungs wegen immer noch für flächendeckend angemessene und ausreichende Versorgungsleistungen in der Pflicht, ohne diese Dienstleistungen freilich selbst erbringen zu dürfen. Die Versorgungspflicht der privaten Wettbewerber wird erst für den Fall eintretender Unterversorgung durch die Regulierungsbehörde beim Versagen der Selbststeuerungsmechanismen konkretisiert. Hier wird dagegen der Grundsatz der alleinigen Verantwortlichkeit für die Eigenentsorgung von vornherein festgeschrieben, mit der Folge, dass der Staat sich seiner ehemals bestehenden Entsorgungsaufgabe insoweit entledigt 304 . Privatisierung findet im Wege der Indienstnahme als rechtlicher Pflichtenwechsel statt.
299
BGBl. I, S. 1234, insbes. §§ 4-6; dazu Κ Kiethe/H.-D. Sproll, ZIP 1994, S. 275; S. Thomé-Kozmiensky , Die Verpackungsverordnung, 1994, S. 62 ff. 300 BGBl. I, S. 2705. Das Gesetz trat am 6.10.1996 in Kraft und löste das AbfG vom 27.8.1986ab. 301 P. J. Tettingen Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 586; R. Breuer, VVDStRL 54, S. 333 (Diskussionsbeitrag). 302 Ähnlich U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 241, der von der Verlagerung der Erfüllungsverantwortung für öffentliche Zwecke auf Private spricht; dezidiert C. Weidemann, GewArch 1997, S. 312 und 319 303 Nach § 3 Abs. 2 AbfG sind die nach Landesrecht zuständigen öffentlichrechtlichen Körperschaften verpflichtet, die in ihrem Gebiet anfallenden Abfälle zu entsorgen, dazu J. Klowait, Die Beteiligung Privater an der Abfallentsorgung, 1995, S. 87 ff. Die Privatisierung der Abfallentsorgung dem Grunde nach ist als „Paradigmenwechsel" bezeichnet worden, W. Kahl, DVB1. 1995, S. 1328; eine Prinzipienwende, wenn auch in abgeschwächter Form, konstatiert R. Breuer, VVDStRL 54, S. 333, und ders., Private Kreislaufwirtschaft und öffentlich-rechtliche Entsorgungsträger („originäre Privatisierung der Abfallwirtschaft", allerdings mit deutlichen Einschränkungen); vergi, auch M. Beckmann, NWVB1. 1995, S. 86; F. Hölscher, ZUR 1995, S. 178 f.; R. Bartlsperger, VerwArch 1995, S. 43 ff.; 61 ff.
VII. Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen
163
Freilich wird dieser zunächst rigoros anmutende Pflichtenwechsel bereits im Gesetz selbst deutlich entschärft, da die Aufgabenverlagerung auf Private nach dem Kreislaufwirtschafts- und Abfallgesetz nur für die Beseitigung gewerblicher Abfälle gilt. Für alle privaten Haushalte bleibt es bei der gesetzestechnisch als Ausnahme zum Grundsatz der Eigenentsorgung formulierten Überlassungspflicht gegenüber den öffentlich-rechtlichen Entsorgungsträgern, § 13 Abs. 1. Das Regel-Ausnahmeverhältnis des Gesetzestextes stellt sich damit in Wahrheit gerade umgekehrt dar; für die Masse des Abfalls bleibt es bei der Entsorgungsaufgabe des Staates. Hinzu kommt, dass durch den weiten Abfallbegriff des § 3 und die umfassende Überlassungspflicht den Kommunen jetzt die gesamte Verwertung der in den privaten Haushalten anfallenden Altstoffe zufällt. Im Ergebnis haben die staatlichen Aufgaben deswegen nicht eindeutig ab-, sondern zumindest in wichtigen Teilen eher zugenommen305. Dieser Befund darf aber nicht darüber hinweg täuschen, dass der Grundgedanke des § 11 KrW-/AbfG im Vergleich zur alten Rechtslage auf einen Pflichtenwechsel und damit auf eine materielle Privatisierung zielt. Allerdings dürfte auch deren Reichweite begrenzt sein. Es erscheint zumindest fraglich, ob der Staat sich hier ganz aus der Pflicht zurückziehen kann. Die Frage stellt sich insbesondere dann, wenn die private Primärpflicht zur Eigenentsorgung nicht erfüllt wird 306 . An dieser Stelle gilt es festzuhalten, dass die Struktur der Privatisierungsstrategie auf die positive Inpflichtnahme Privater hinausläuft. Die ehemalige Verwaltungsaufgabe Abfallbeseitigung wird nicht einfach dem Markt überlassen, der vielleicht funktioniert, vielleicht auch nicht, sondern sie wird zur Rechtspflicht von Privaten umgemünzt, deren Erfüllung der Staat seinerseits überwacht. Pflichtenprivatisierung bedeutet damit: Die ehemalige Staatsaufgabe wird zur verbindlichen Privataufgabe und damit zur Rechtspflicht.
304 Dass dies zu erheblichen Problemen wie dem „Buhlen" um den Abfall zur Beseitigung führt, hat C. Weidemann, NJW 1996, S. 2757 ff. nachdrücklich dargelegt. Eine Hauptschwierigkeit liegt darin, dass teure Müllverbrennungsanlagen nicht mehr ausgelastet sind und deswegen nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können. Diese Problematik kann sich theoretisch in allen Bereichen stellen, in denen vor allem die Bereitstellung und Vorhaltung von Infrastrukturgütern die Kosten verursacht, nicht aber deren Nutzung. 305 Dezidiert F. Hölscher, ZUR 1995, S. 182. 306 Für eine Rest- oder Sekundärverantwortung des Staates auch ohne ausdrückliche Regelung, W. Kahl, DVB1. 1995, S. 1335; W. Hoffinann-Riem, AöR 119, S. 609 f.
11
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit b) Verfahrensprivatisierung
Zu einer weiteren (Teil-) Aufgabenverlagerung ist es in letzter Zeit in zahlreichen Bundesländern im Bereich des Bauordnungsrechts gekommen 307 . Ursprünglich der staatlichen Genehmigungspflicht unterliegende kleinere Bauvorhaben sind nach der neuen Rechtslage in einigen Landesbauordnungen hiervon freigestellt worden, wobei die Verfahrensweisen im einzelnen recht unterschiedlich geregelt sind. Im Kern geht es um die Ersetzung der Baugenehmigung durch ein vereinfachtes Genehmigungsverfahren im Wege eines bloßen Anzeigeverfahrens bzw. durch unterschiedliche Kombinationen der verschiedenen Vereinfachungselemente 308, die bis zum staatlichen „Entscheidungsverzicht"309 auf präventive staatliche Kontrolle und entsprechende Verwaltungsverfahren reichen können. So eröffnet das Sächsische Aufbaubeschleunigungsgesetz die Möglichkeit, im Wege der Rechtsverordnung die Aufgaben und Befugnisse der unteren Bauaufsichtsbehörde auf Sachverständige per Beleihung zu übertragen 310 . Die als „kleine baurechtliche Revolution"311 apostrophierte Änderung ermöglicht es dadurch Bauvorhaben durchzuführen, ohne dass die Bauvorlagen der Bauaufsichtsbehörde noch zur Kenntnis gebracht werden. In der Literatur wird dieses staatliche Rückzugsphänomen auch unter dem Stichwort der Verfahrensprivatisierung verhandelt 312. Das Stich wort 307
Überblick bei H.-J. Koch, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 177 ff.; K-M. Ortloff,\ NVwZ 1995, S. 112; H. Jade, UPR 1995, S. 81; C. Degenhart, NJW 1996, S. 1433; insbesondere zu Nordrhein-Westfalen F. Stollmann, NWVB1. 1995, S. 41; E.-H. Ritter, DVB1. 1996, S. 542; S. Korioth, DÖV 1996, S. 665; zu Sachsen D. Hegele, DÖV 1995, S. 231. Am weitesten dürfte das bayerische Modell reichen, vergi. BayBauO i.d.F. vom 18.4.1994 (BayGVBl. S. 251), die ein dreistufiges System der Privatisierung der staatlichen Bauaufsicht vorsieht, dazu Η Jäde, BayVBl. 1994, S. 363 ff. und LT-Drs. 12/13482, S. 34 ff.; R. Scholz, Privatisierung im Baurecht, 1997, S. 10 ff. 308 K-M. Ortloff differenziert nach vier Fallgruppen, NVwZ 1995, S. 117 und im Anschluß daran H. Goerlich, SächsVBl. 1996, S. 2. 309 So die treffende Charakterisierung von J. Pietzcker, in: W. Hoffmann-Riem/ J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 286 f. und 295 mit einer Reihe weiterer Beispiele. 310 Art. 3 Nr. 62, Sächs-GVBl. 1994, S. 1261 (1274). H. Bauer spricht vom privaten Baugenehmiger, VVDStRL 54, S. 248; kritisch zum Sächsischen Aufbaubeschleunigungsgesetz insbesondere C. Degenhart, SächsVBl. 1995, S. 1. 3,1 S. Korioth, DÖV 1996, S. 666 (bezogen auf § 67 BauO Nordrhein-Westfalen); J. Möllgaard, LKV 1994, S. 431 (zu § 64 LBauO Mecklenburg-Vorpommern). 312 Dazu das Symposion der Forschungsstelle Umweltrecht der Universität Hamburg vom 14.6.1995, Bericht von J.-P. Schneider, DVB1. 1995, S. 837; W. Hoff-
VII. Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen
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soll den Befund kennzeichnen, dass Verfahrenserleichterungen nicht gleichzeitig Hand in Hand mit der Freistellung von den materiellen Rechtspflichten des Baurechts gehen313. Allerdings entfällt das staatliche präventive Prüf- und Genehmigungsverfahren, das mit einem feststellenden Verwaltungsakt endet. Die Bezeichnung als Verfahrensprivatisierung greift damit zu kurz, weil die Privatisierung sich nicht in der Verfahrenswirkung erschöpft. Gleichzeitig erfolgt auch eine „Risikoprivatisierung" 314: Die vormals staatliche (Prüfund Zertifizierungs-) Aufgabe wird zu einer gesetzlich vorgeschriebenen Privataufgabe, was im Ergebnis auf einen staatlichen Kontrollverzicht 315 und die Umwandlung der ursprünglichen Kontrollaufgabe des Staates in eine „sekundäre Gewährleistungspflicht" 316 hinausläuft. Diese Form der Verfahrensprivatisierung stellt sich damit nicht als ein selbständiger Privatisierungsgrad dar, sondern nur als Variante einer materiellen (Teil-) Privatisierung 317. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die ursprünglich durch staatliche Stellen durchzuführenden Prüfungen auf Übereinstimmung mit den rechtlich vorgegebenen Baustandards nicht ersatzlos entfallen, sondern die Gewähr für ihre Einhaltung jetzt von echten Privaten (Bauherr, Architekt) übernommen werden muss. Verfahrensprivatisierungen haben demnach folgende Struktur: Die vormalige Staatsaufgabe Prüfung und Einhaltung der gesetzlich vorgegebenen materiellen Standards bleibt als Aufgabe bestehen. Ihre Durchführung wird allerdings auf Private verlagert. Darin liegt eine Zurücknahme und Modifikation der bisherigen staatlichen Aufgabe, die als „Rollentausch"318 beschrieben wurde. mann-Riem, DVB1. 1996, S. 225; W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996. 313 C. Degenhart, SächsVBl. 1995, S. 2; E.-H. Ritter, DVB1. 1996, S. 545. 314 H. Goerlich, SächsVBl. 1996, S. 3; ders., in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 148, 154 und 160 ff.; F. Stollmann, NWVB1. 1995, S. 44; auch M. Bullinger, VVDStRL 54, S. 302 (Diskussionsbeitrag); W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 12 ff., räumt im Übrigen selbst ein, dass die Verfahrensprivatisierung, die er als Anwendungsfall der funktionellen Privatisierung deutet, in die Nähe der Aufgabenprivatisierung kommen kann. Der wissenschaftliche Ertrag solcher letztlich heuristischen Begriffsbildungen ist mithin begrenzt. 315 H.-J. Koch, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 181 (Abbau präventiver staatlicher Kontrolle). 3,6 S. Korioth, DÖV 1996, S. 672. 317 W. Hoffmann-Riem, DVB1. 1996, S. 226 sieht die Verfahrensprivatisierung unter Umständen in der Nähe der Aufgabenprivatisierung, will aber dennoch beide unterscheiden, wenn nur einzelne Entscheidungselemente verfahrensmäßig privatisiert werden.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Dass mit diesem Rollentausch nicht alle Verwaltungsaufgaben entfallen, liegt auf der Hand. Ganz allgemein wird man formulieren können: In dem Maß, wie für privates Handeln von Rechts wegen vorgeschaltete staatliche Prüfverfahren (Erlaubnisvorbehalt) entfallen, wächst der Bedarf nach einer nachträglich kontrollierenden Verwaltungstätigkeit, und sei sie auch nur stichpunktartig. Durch Rückzug aus der ursprünglich präventiven Aufgabenwahrnehmung können zugleich Kontrollaufgaben und möglicherweise vermehrte Gefahrenabwehraufgaben auf die staatlichen Verwaltungen zukommen. Mit der staatlichen Kontrolle entfallen zugleich die Schutz- und Befriedungsfunktionen der staatlichen Baugenehmigung, der das Genehmigungsverfahren ebenfalls diente. Die Risiken für das rechtskonforme Bauen verlagern sich auf den Bürger, egal ob Bauherr oder Nachbar 319. Funktional verschieben sich dadurch Streitigkeiten und Ungewissheiten auf die Justiz 320 mit der Konsequenz entsprechender Gewissheitsverluste für Bauherren und Nachbarn 321. Materielle Privatisierung als Verfahrensprivatisierung wird damit zu einem Problem effektiver staatlicher Steuerung im Sinne der Gewähr eines bestimmten Sicherheitsstandards. Neben der tatsächlichen Einhaltung von Sicherheitsstandards spielen auch Gesichtspunkte wie der Zeitfaktor beim Genehmigungsverfahren oder der Verwaltungsaufwand (Kostenargument) eine Rolle. Analoge Überlegungen zu dieser sogenannten Verfahrensprivatisierung bestehen für den gesamten Bereich genehmigungsbedürftiger Anlagen und dort insbesondere für das Immissionsschutzrecht322. Die sogenannte Schlichter-Kommission hat verschiedene Beschleunigungsmöglichkeiten mit Wahlrechten des Investors bis hin zur Abschaffung von Genehmigungspflichten und deren Ersetzung durch eine private Sachverständigenprüfung vorgeschlagen323. Dadurch soll der Investor in den Stand gesetzt werden, nicht erst den Ausgang langwieriger Genehmigungsverfahren abwarten zu 318
H. Goerlich, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 151. 319 H. Goerlich, SächsVBl. 1996, S. 5 f.; C. Degenhart, NJW 1996, S. 1433. 320 K-M. Ortloff, NVwZ 1995, S. 118; kritisch zu Ortloffs ablehnender Haltung H. Jade, NVwZ 1996, S. 672. 321 R. Scholz, Privatisierung und Baurecht, 1997, S. 53 ff. fordert deswegen ein Mindestmaß an öffentlich-rechtlichem Nachbarschutz durch die Einführung einer staatlichen Eingriffsreserve im bayerischen Privatisierungsmodell. 322 Investitionsförderung durch flexible Genehmigungsverfahren - Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (sog. „Schlichter-Kommission"), Hrsg. Bundesministerium für Wirtschaft, November 1994, Rdn. 203 und 218 (Vorschlag Leit 5 und 6); R. Krumsiek/K Ρ. Frenzen, DÖV 1995, S. 1013.
VII. Privatisierungsstrategien: Umwelt und Bauen
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müssen, sondern sofort mit der Anlagenenichtung beginnen zu können. Freilich trägt er auch das Risiko einer Versagung der Genehmigung zu einem späteren Zeitpunkt. Dieses Risiko soll durch den Abschluss einer Umwelthaftversicherung aufgefangen werden 324. Der Sache nach handelt es sich auch bei dieser Konzeption einer Beschleunigung des Genehmigungsverfahrens um eine Verlagerung von vormals staatlichen Prüfungspflichten auf Private und damit um eine materielle (Teil-) Privatisierung. Die Überprüfung der Einhaltung der materiellen Genehmigungsstandards, deren Weitergeltung nicht außer Kraft gesetzt ist, wird zunächst voll in die Hand von Privaten gelegt, wobei es systematisch gesehen keinen Unterschied macht, ob es sich dabei um ausgewiesene Fachleute handelt oder nicht 325 . Entscheidend ist, dass der Staat sich aus seiner präventiven Kontrollpflicht vor Erteilung der Genehmigung zurückzieht 326. Die zeitlich versetzte Nachholung des staatlichen Genehmigungsverfahrens ex post ändert nichts an diesem Befund des Teilaufgabenrückzugs. Gleichzeitig kommen neue Probleme auf die staatlichen Verwaltungen zu, zumindest aber wandelt sich das staatliche Prüfungsverfahren: Eine Prüfung ex post ist eine andere Sache als eine Prüfung ex ante. Insbesondere wird man das Gewicht der vollendeten Tatsachen für den Prüfvorgang nicht unterschätzen dürfen. 323 Bericht der Unabhängigen Expertenkommission zur Vereinfachung und Beschleunigung von Planungs- und Genehmigungsverfahren (sog. ,JSchlichter-Kommission"), Hrsg. Bundesministerium für Wirtschaft, November 1994, Rdn. 239 f. 324 Sog. Versicherungsmodell I für Vorhaben mit geringem oder mittlerem Gefährdungspotential nach E. Bohne, DVB1. 1994, S, 197 und 199; Versicherungsmodell II gilt für Vorhaben mit erhöhtem Gefährdungspotential und unterscheidet sich von Modell I im Wesentlichen dadurch, dass die Anlagenenichtung keinen irreversiblen Zustand schaffen darf. Der alte Zustand muss im Falle einer möglichen späteren Ablehnung des Zulassungsantrags tatsächlich wiederhergestellt werden können (S. 200); Gesetzesentwürfe der Bundesregierung zur Beschleunigung von Genehmigungsverfahren und zur Beschleunigung und Vereinfachung immissionsschutzrechtlicher Genehmigungsverfahren (BT-Drs. 13/3995 und 13/3996). Kritisch zum Beschleunigungsbedarf R. Steinberg, der allenfalls ein Vollzugsdefizit bei der Genehmigungspraxis durch die Länder feststellt, in: Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen Anhörung des Innen-, Rechts-, Wirtschafts- und Umweltausschusses am 8.5.1996, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Ausschussdrucksache 13/271, Teil II, S. 089-094 (091). 325 y e r gi Q Liibbe-Wolff zur Teilprivatisierung der genehmigungsrechtlichen Kontrolle, in: Schriftliche Stellungnahme zur gemeinsamen Anhörung des Innen-, Rechts-, Wirtschafts- und Umweltausschusses am 8.5.1996, Ausschuss für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit, Ausschussdrucksache 13/271, Teil II, S. 055 (075 f./084). 326 E. Bohne, DVB1. 1994, S. 202 f. weist unter Rückgriff auf M. Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968, auf die Zufälligkeit der Unterscheidung zwischen staatlicher und privater Steuerung von Sachproblemen hin und setzt auf das Eigeninteresse des Investors an einer sorgfältigen Anlagenplanung.
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Auch wenn die Einschaltung von „echten" Privaten als Beauftragte in das Genehmigungsverfahren nicht zu einer Änderung der materiellen Anforderungen an die Rechtmäßigkeit des Vorhabens führt, wird eingewandt, dass Private von ihren eigenen wirtschaftlichen Interessen nicht völlig absehen können und vielleicht in der Hoffnung auf spätere Aufträge oder Empfehlungen darum bemüht sein werden, den Auftraggeber optimal zu befriedigen 327. Dieser Einwand lässt sich allerdings in zweifacher Hinsicht entschärfen. Zum einen gibt es auch im Bereich der traditionellen Staatsverwaltung das Phänomen eines „überoptimalen" Entgegenkommens der Behörden (Korruption); zum anderen tragen mit Zertifizierungsaufgaben betraute Private ein erhebliches Risiko, wenn sie die materiellen Vorgaben des Rechts nicht beachten. 3. Zusammenfassung: Privatisierung bei Umwelt und Bauen Konventionelle Privatisierungsstrategien der Beleihung, der Verwaltungshilfe und der Indienstnahme sind in Umwelt- und Baurecht weit verbreitet. Auch auf diesem Aufgabenfeld kann es notwendige Staatsaufgaben geben, die entsprechenden Beteiligungen Privater aus verfassungsrechtlicher Sicht inhaltlich oder auch quantitativ Grenzen ziehen können. Die aufgezeigten Privatisierungsstrategien der Aufgabenverlagerung in Genehmigungsverfahren stellen sich als Varianten einer materiellen (Pflichten-) Privatisierung dar und verlagern Verantwortlichkeiten weg vom Staat hin zu Privaten 328. Analog zum Stichwort von der Vorverlagerung des staatlichen Interventionspunktes329 kann man hier von einer Rückverlagerung dieses Interventionspunktes sprechen. Bei allen Unterschieden in den Details stellt sich übereinstimmend die Frage nach der unaufgebbaren Restverantwortung des Staates, die zugleich den Grenzpunkt einer zulässigen Aufgabenverlagerung auf Private bezeichnet. 327 W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/J.-P. Schneider (Hrsg.), Verfahrensprivatisierung im Umweltrecht, 1996, S. 19. 328 Privatisierungsstrategien berühren sich insofern mit dem Phänomen der Externalisierung materieller Verwaltungsentscheidungen in komplexen Genehmigungsverfahren. Deren Kennzeichen ist die Einschaltung außerbehördlichen Fach-Sachverstandes, über den die Behörden nicht selbst verfügen. Die Verwaltungsbehörde bzw. die Berufsbeamten rücken dadurch in eine nur noch formal verfahrensbeherrschende Stellung ein, dessen Ausgang faktisch von privatem Sachverstand beherrscht wird, U. Di Fabio , VerwArch 1990, S. 216 ff., ders., Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 7. 329 R. Herzog, Festschrift P. Lerche, 1993, S. 21 ff.
VIII. Privatisierungsstrategien: Produktsicherheit
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VIII. Privatisierungsstrategien: Produktsicherheit Im Bereich der technischen Produktsicherheit sind Private von Gesetzes wegen in zahlreichen Fällen in die Prüfung eingeschaltet. Soweit sie dabei eigene Prüfkompetenzen ausüben, führt der rechtsstaatlich saubere und seit der Diskussion um den T Ü V 3 3 0 anerkannte Weg über die Beleihung durch Gesetz oder auf Grund Gesetzes331. Dies bedarf unter Privatisierungsaspekten an sich keiner weiteren Vertiefung. Die Produktsicherheit im weitesten Sinne verdient hier deshalb Erwähnung, weil in jüngerer Zeit gewisse Auflösungstendenzen und Grauzonen festzustellen sind, die zu einer Verunsicherung im Hinblick auf die Formenklarheit des Verwaltungsorganisationsrechts führen. So mehren sich etwa halbstaatliche Mischformen von hoheitlich beeinflußter privater Setzung technischer Normen und öffentlich-rechtlicher Zertifizierung normkonformer Produkte 332. Angestoßen wird die Beteiligung Privater in halbstaatlichen Zertifizierungsverfahren dabei vor allem durch europäisches Recht 333 . Zu nennen ist etwa die Konstruktion der Einschaltung privater sachverständiger Kontrolleure nach dem Gerätesicherheitsgesetz 334, bei dem es unter anderem auch um die Sicherheit chemischer Produktionsanlagen geht. Ob hier ein Fall der Beleihung vorliegt, ist zumindest nach dem Wortlaut der Vorschrift nicht ganz eindeutig. Eindeutig ist lediglich, dass private Sachverständige, soweit sie amtlich für diesen Zweck anerkannt sind, die Prüfung von überwachungsbedürftigen Anlagen vornehmen dürfen. Auch ohne ausdrückliche Aufgaben- und Befugnisübertragung dürfte es sich aber im Ergebnis um einen Fall der Beleihung handeln335, da das Gesetz jeden330 Beleihungsgrundlage sind die §§21, 29 StVZO, wobei allerdings umstritten ist, ob eine Beleihung überhaupt vorliegt, vergi. W. HerscheU NJW 1969, S. 819; V. Götz, DÖV 1975, S. 211 f.; andererseits BayVGH, DÖV 1975, S. 210 und U. Steiner, NJW 1975, S. 1797 f. Um Produktsicherheit und Produktzuverlässigkeit in einem weiteren Sinne geht es auch im Eichgesetz, das in § 2 Abs. 4 eine eigene Beleihungsgrundlage enthält, vergi. BT-Drs. V/1073, S. 29 ff., 35 ff. 331 vergi a u s jüngerer Zeit das Konformitätsbewertungsverfahren für Telekommunikationseinrichtungen in der TelekommunikationszulassungsVerordnung 1995, BGBl. I S. 1671 (§ 6). 332 So U. Di Fabio in einem DFG-Rundgespräch, DVB1. 1995, S. 667 f.; ders., VVDStRL 56, S. 245. 333 Zum Einfluss von europäischem Recht auf die Privatisierung in Deutschland R. Schmidt, Die Verwaltung 1995, S. 281 ff.; A. Roßnagel DVB1. 1996, S. 1181. 334 § 14 GSG, früher § 24 GewO. 335 Der BGH, DÖV 1993, S. 671, ging im Hinblick auf § 14 GewO von einem Beleihungstatbestand aus, da die Gutachter- und Prüfungstätigkeit des Sachverständigen mit der Erteilung der Erlaubnis durch die Verwaltungsbehörde aufs engste zusammenhängt. „Deshalb ist es berechtigt zu sagen, dass der Sachverständige selbst
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
falls im Sinne einer Aufgabenübertragung an Private, die überdies in technischen Überwachungsorganisationen zusammenzufassen sind, ausgelegt werden kann. Schwieriger zu beantworten ist die Stellung der Umweltgutachter nach dem Umweltauditgesetz336. Zweck des Gesetzes ist die wirksame Durchführung der Verordnung (EWG) 1836/93 des Rats vom 29. Juni 1993 über die freiwillige Beteiligung gewerblicher Unternehmen an einem Gemeinschaftssystem für das Umweltmanagement und die Umweltbetriebsprüfung. Die Zulassung zum Umweltgutachter schließt die Befugnis ein, Zertifizierungsbescheinigungen entsprechend der Verordnung (EWG) Nr. 1836/93 zu erteilen, § 9 Abs. 3. Das Gesetz enthält keine Beleihungsgrundlage. Es werden keine staatlichen Aufgaben und Rechte übertragen. Den Status der Umweltgutachter als Privatpersonen lässt das Gesetz formal vollkommen unangetastet. Andererseits geht es beim Umweltgutachter um mehr als um ein rein privatwirtschaftliches Engagement. So stellt das Umweltauditgesetz in § 4 Abs. 2 klar, dass diese keine gewerbsmäßige Tätigkeit ausüben. Außerdem legt es das Zulassungsverfahren und die Mitwirkung eines Umweltgutachterausschusses, der sich mehrheitlich nicht aus zumindest mittelbar demokratisch legitimierten Personen zusammensetzt337, ausführlich fest. Als „Regelungsvorbild" für den Umweltgutachter greift die Begründung des Gesetzesentwurfs ausdrücklich auf die Figur des Betriebsbeauftragten für Umweltschutz zurück 338 . Allerdings räumt die Gesetzesbegründung selbst ein, dass der Vergleich nur teilweise trägt, da die Aufgaben des Umweltgutachters inhaltlich über die des Immissionsschutzbeauftragten hinaus gehen. Den entscheidenden Unterschied, dass der Umweltgutachter im Gegensatz zum Betriebsbeauftragten ganz außerhalb des Unternehmens irgendwo zwischen dem privaten Unternehmen und dem Staat steht, nennt die Begründung freilich nicht beim Namen. Eine Indienstnahme, als die die Figur des Betriebsbeauftragten oben qualifiziert wurde, scheidet deswegen aus.
hoheitliche Tätigkeit ausübt." (S. 672); G. Lübbe-Wolff/A. Steenken, ZUR 1993, S. 266. 336 BGBl. 1995 I, S. 1591. Die Behandlung des UAG hier und nicht unter dem Kapitel Umwelt rechtfertigt sich dadurch, dass es hier um parallele Erscheinungsformen von Privatisierungsgraden geht, die im Wesentlichen auf die Umsetzung von europäischen Vorgaben in nationales Recht zurückzuführen sind; dazu W. Köck, VerwArch 1996, S. 670 f.; Abschlussbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat S. 90 ff. 337 Siehe oben Β. I. 2.; J.-P. Schneider, Die Verwaltung 1995, S. 361; W. Hoffmann-Riem, Die Verwaltung 1995, S. 433. 338 BT-Drs. 13/1192, S. 19.
VIII. Privatisierungsstrategien: Produktsicherheit
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Hier wird ein Verfahrenstypus geschaffen, der in der Tat den begrifflichen Ordnungsrahmen der bisher untersuchten Organisations- und Privatisierungsformen sprengt. Der Staat organisiert die gesellschaftliche Selbstkontrolle im Bereich des Umweltschutzes und legt bestimmte Pflichten und Formen fest, in denen diese zu erfüllen sind, ohne dabei selbst prüfend und genehmigend tätig zu werden. Der Privatisierungsgrad von Umweltgutachtern lässt sich dabei in bewusst gewählter Parallele zur Rechtsstellung der Rechtsanwälte als unabhängiges Organ für die Erfüllung einer Staatsaufgabe beschreiben, wobei es im einen Fall um die Rechtspflege und hier um Zertifizierungsaufgaben im Rahmen des Umweltschutzes geht 339 . Eine ähnliche Konzeption findet sich im Bereich von Medizinprodukten. Das Inverkehrbringen von Produkten ist danach nicht mehr an ein öffentlich-rechtlich ausgestaltetes staatliches Zulassungsverfahren geknüpft, sondern es wird ein sogenanntes „Konformitätsverfahren" durch andere Private selbst durchgeführt, die nicht Beliehene sind, sondern lediglich den Status von „gemeldeten" bzw. „benannten" Stellen haben. Die Überprüfung der Einhaltung materieller Sicherheitsstandards liegt damit ausschließlich bei Privaten, §§ 8 Abs. 2, 14, 20 Medizinproduktegesetz340. Zum Teil sind Private sogar mit der Festlegung eben jener materiellen Sicherheitsstandards und damit mit Normgebungsaufgaben betraut. Die Rolle des Staates verflüchtigt sich in diesem Verfahren und wird außerordentlich abstrakt. Sie reduziert sich von der präventiven Kontrolle auf eine Art Marktüberwachung und Eingriffe ex post und damit auf die klassische Gefahrenabwehrfunktion. Gegen Entscheidungen der benannten Stellen muss der Betroffene in Konsequenz davon auf dem Zivilrechtswege vorgehen. In ähnlicher Weise zielt die Änderung des Sprengstoffgesetzes und der ersten Verordnung zum Sprengstoffgesetz auf die Einschaltung von Privaten in das Qualitätssicherungsverfahren. Die Qualitätssicherung wird nach § 12 b der Ersten Sprengstoffverordnung von „benannten Stellen" unter Beachtung der dafür festgelegten Verfahren durchgeführt, wobei benannte Stellen Bundesbehörden, Landesbehörden und Private sein können, die untereinander im Wettbewerb stehen341. Die Vorschrift lässt sich nicht als 339 v er gi # § ι BRAO; nicht nur die Rechtspflege, sondern auch der Umweltschutz ist als Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen spätestens seit der Einfügung des Art. 20 a in das GG jedenfalls auch eine Staatsaufgabe. 340 BGBl. 1994 I, S. 1963. 341 Benannte Stellen sind auch die der Kommission der Europäischen Gemeinschaft von einem Mitgliedstat der EU benannten Stellen, so dass der Wettbewerb europaweit eintritt, vergi. § 12 c Abs. 6. Soweit eine Behörde in Anspruch genommen wird, führt sie das Qualitätssicherungsverfahren auf der gleichen Rechtsgrundlage wie jede private benannte Stelle durch, also in den Formen des Privatrechts.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Beleihungstatbestand interpretieren. Das Qualitätssicherungsverfahren ist nach dieser Konzeption nicht nur ein privatrechtlicher Vorgang, sondern jedenfalls auch eine Aufgabe von Privaten. Die hoheitliche Rolle des Staates wird von der unmittelbaren Überwachung der Hersteller auf die Überwachung der den Herstellungsprozess und dessen Ergebnis zertifizierenden Kontrolleure zurückgenommen, vergi. § 12 c Abs. 4 Erste Sprengstoffverordnung, der den Behörden dafür bestimmte Eingriffsbefugnisse verleiht. Auch hier geht die nationale Rechtsetzung auf europäisches Recht zurück. Grundlage dafür ist der „Leitfaden für die Anwendung der nach dem Neuen Konzept und dem Gesamtkonzept verfassten Gemeinschaftsrichtlinien zur technischen Harmonisierung" 342, an dem sich zahlreiche Richtlinien orientieren 343. Danach sollen behördengelenkte Genehmigungsverfahren durch ein Konformitätsbewertungsverfahren ersetzt werden, wobei es keine Rolle spielt, ob die entsprechende Konformitätsbescheinigung von einer privaten oder öffentlichen Stelle erteilt wird 344 . Die gemeldeten Stellen haben auch die Aufgabe, unpräzise normative Anforderungen selbständig zu ergänzen 345. Die präventive Gefahrenabwehr durch die Kontrolle, ob die Techniknormen eingehalten werden, ist keine exklusive Staatsaufgabe mehr, sondern sie wird auch durch freie Organe (Stellen) wahrgenommen und insofern privatisiert 346. Das Leitbild staatlicher Aufgaben im Vorfeld des Inverkehrbringens von Produkten hat sich in diesem Konzept grundlegend von der präventiven zur repressiven Kontrolle gewandelt. Der Aspekt der Rückverlagerung des staatlichen Interventionspunktes spielt auch hier eine entscheidende Rolle.
IX. Die Umverteilung von Staatsaufgaben durch Privatisierung: Resultate 1. Die Privatisierungsgrade Die Untersuchung der Referenzgebiete hat bestätigt, dass der juristische Privatisierungsbegriff durch die Dreiteilung zwischen formeller, materieller und funktionaler Privatisierung nur unzureichend erfasst wird. Die Staats-
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Erste Fassung, Europäische Kommission, Amt für amtliche Veröffentlichungen der Europäischen Gemeinschaft, 1994. 343 Übersicht vergi. Leitfaden S. 18 f. 344 Leitfaden, S. 49, 57 f. 345 Leitfaden S. 53. 346 A. Roßnagel, DVB1. 1996, S. 1182 notiert die Übertragung der Kontrolle weg von der amtlichen Überwachung auf Selbstregulationskräfte der Wirtschaft.
IX. Umverteilung von Staatsaufgaben durch Privatisierung
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Wirklichkeit bietet ein differenziertes Bild mit unterschiedlichen Erscheinungs- und Organisationsformen von Privatisierung. Privatisierungsstrategien führen zumindest teilweise zu Umverteilungseffekten bei der staatlichen Aufgabenwahrnehmung vom staatlichen zum privaten Sektor. Dabei sind abgestufte Privatisierungsgrade zu unterscheiden. Diese Privatisierungsgrade liegen zwischen den beiden Polen der Aufgabenerledigung entweder nur durch staatliches Personal oder nur durch Private als reine Privataufgabe. Privatisierung als rechtlich greifbarer Vorgang setzt stets an dem Punkt ein, wo es tatsächlich zu einer Einbeziehung von Privatpersonen oder von anderen privaten Ressourcen in die staatliche Aufgabenerfüllung kommt 347 . Die Bestandsaufnahme des Status quo hat ein breites Spektrum der Einbindung echter Privatpersonen in die staatliche Aufgabenerledigung aufgedeckt. Unterschiedliche Privatisierungsgrade prägen sich in entsprechenden Verwaltungsorganisationsformen aus. Dabei bestehen erhebliche bereichsspezifische Besonderheiten. So werden im Aufgabenbereich der inneren Sicherheit andere Formen der Privatisierung praktiziert und als sachgerecht angesehen als in traditionell leistungsstaatlichen Aufgabenfeldern. Ausgangspunkt für die Aufbereitung dieses Spektrums war die Grundunterscheidung der Beteiligung Privater an staatlichen Aufgaben einerseits (arbeitsteilige Aufgabenerfüllung) und der - bislang freilich seltenen - vollständigen Verlagerung von (Teil-) Aufgaben auf Private andererseits. Die abgestuften Beteiligungsgrade von Privaten an der staatlichen Aufgabenwahrnehmung konnten dabei zu einem beachtlichen Teil mit dem herkömmlichen Begriffsarsenal des Verwaltungsorganisationsrechts erfasst werden. Dies belegt, dass die Privatisierung von Verwaltungsaufgaben keine Erfindung unserer Tage ist. Rechtsformen, in denen Privatisierungsvorhaben durchgeführt werden können, stehen seit langem bereit: Privatisierung ist „keine juristische Revolution" 348 . Der aktuellen Privatisierungsdiskussion mit ihrem mitunter staatskritischen Grundton 349 und dem inhärenten
347 Ausgeblendet wurden deswegen Formen der Organisationsprivatisierung (formelle Privatisierung), bei denen die staatliche Aufgabenerledigung zwar durch Privatrechtssubjekte erfolgt, diese aber uneingeschränkt in der Hand des Staates verbleiben. 348 U. Steiner, DAR 1996, S. 274; vergi, auch U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 271 f. 349 Daneben findet sich selbstverständlich auch der privatisierungskritische Grundton mit dem Tenor des Qualitätsverlustes durch Privatisierung, etwa H. P. Bull, VerwArch 1995, S. 627 f. und 629 f. (kulturelle und soziale Verarmung); Diskussionsbeiträge bei der 54. Staatsrechtslehrertagung von C. Degenhart, VVDStRL 54, S. 316; R. Breuer, a.a.O. S. 331; Spannowsky, a.a.O. S. 337.
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
Vorwurf der Schlechterfüllung 350 nimmt diese Grundeinsicht einiges an Brisanz. Neben ausgesprochen schwachen und praktisch weniger bedeutsamen Beteiligungsgraden Privater im Rahmen des Dienstrechts351 kommt insbesondere den beiden traditionellen Beteiligungsformen von Beleihung und Verwaltungshilfe in der Praxis erhebliche Bedeutung zu. Selbst in zentralen staatlichen Aufgabenfeldern wie der inneren Sicherheit werden Private auf diese Weise in die Ausführung miteinbezogen. Bislang geschieht dies überwiegend nur in Randbereichen. Immerhin gibt es auch hier Beispiele für Beleihungstatbestände mit weitreichenden hoheitlichen Befugnissen bis hin zur schärfsten Form der hoheitlichen Befugnis zum Schusswaffengebrauch. Vergleichsweise schwach ausgeprägt ist der Privatisierungsgrad - jedenfalls der Theorie nach - bei der Verwaltungshilfe. Begrifflich ist die Verwaltungshilfe ein organisationsrechtliches Sammelbecken. Als Rechtsfigur steht sie häufig hinter Modeworten wie outsourcing, Betreibermodell, contracting out etc. Trotz mancher Ungereimtheiten - auf das Beispiel des Schülerlotsen wurde hingewiesen - ist die Verwaltungshilfe im Kern auf Hilfstätigkeiten rein tatsächlicher bzw. technischer Art bezogen. Soweit es um die Ausübung von Hoheitsbefugnissen geht, ist sie formal an die Bedingung strikter Weisungsunterworfenheit des Verwaltungshelfers als unselbständiges Werkzeug eines Hoheitsträgers gebunden. Dem Verwaltungshelfer darf praktisch kein eigener Entscheidungsspielraum verbleiben 352. Dagegen übt ein beliehener Privater eigene Hoheitsbefugnisse aus oder er ist mit der Erteilung einer staatlichen Genehmigung im Rahmen eines Prüfverfahrens faktisch so eng verknüpft, dass von einem selbständigen Hoheitsakt der Behörde keine Rede mehr sein kann. In beiden Fällen ist die Frage aufzuwerfen, ob es Staatsaufgaben gibt, die der Einschaltung von Verwaltungshelfern oder von Beliehenen Grenzen setzen.
350 Etwa in den Diskussionsbeiträgen bei der 54. Staatsrechtslehrertagung von D. Rauschning, VVDStRL 54, S. 348 und T. Oppermann, VVDStRL 54, S. 318. 351 In den Kontext eher schwacher Privatisierungsgrade lassen sich sachlich auch bestimmte Formen der Selbstverwaltung mit der Einräumung von eigenen Gestaltungsspielräumen einordnen, etwa im Rahmen berufsständischer Organisationen. Der Privatisierungsbegriff wird dadurch allerdings vollends uferlos. Das Thema Selbstverwaltungskörperschaften wird deswegen hier nicht vertieft. Im Ergebnis ebenso G. F. Schuppert, in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S. 22 ff., der zwischen Staat, Selbstverwaltung, parastaatlichen Organisationen, organisierten Interessen, Vereinswesen, Selbstorganisation und Markt unterscheidet. 352 Ob diese theoretische Anforderung in der Praxis durchgehalten werden kann ist eine andere Frage.
IX. Umverteilung von Staatsaufgaben durch Privatisierung
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Dies gilt einmal in qualitativer Hinsicht: Gibt es Verwaltungsaufgaben, die von einem solchen Gewicht sind, dass für ihre Erledigung die Einschaltung Privater als Beliehene oder als Verwaltungshelfer schlechterdings nicht in Frage kommt? Zum anderen besteht in quantitativer Hinsicht das Problem, dass der Umfang der Einschaltung von Verwaltungshelfern gerade bei sehr komplexen und spezialisierten Dienstleistungen zu einer faktischen Abhängigkeit der Behörde von Privaten führen kann, die diese auf den Status einer nur noch formalen Genehmigungsstelle ohne eigenen Beurteilungsspielraum reduziert. Insbesondere wenn die Verwaltungshilfe möglichst effektiv und effizient organisiert werden soll, liegt eine umfassende Delegation der Sachaufgabe nahe353. Unter aufgabenspezifischen Gesichtspunkten wird durch solche Konstellationen die Frage aufgeworfen, wie viel an eigener inhaltlicher Aufgabenerledigungskompetenz einer Behörde in fachlicher Hinsicht mindestens verbleiben muss354. Diese normativen Fragestellungen sprengen allerdings den deskriptiven Rahmen. Sie werden in den folgenden Hauptteilen auf unterschiedlichen Ebenen aufgegriffen. Der weitergehende Schritt einer Aufgabenverlagerung von der staatlichen auf die private Trägerschaft kommt in der Staatswirklichkeit bislang eher selten vor. Idealtypisch liegen Aufgabenverlagerungen immer dann vor, wenn eine vormals rechtlich oder faktisch bestehende Monopolstellung des Staates für die Erbringung von Leistungen beendet wird und echte Private diese Aufgabe in eigener Zuständigkeit und mit dem vollen Risiko des Geoder Misslingens ihrer Erfüllung übernehmen. Diese echte Aufgabenverlagerung findet wiederum in zwei abgestuften Graden statt. In ihrer schwächeren Form werden ursprünglich von der Aufgabenwahrnehmung ausgeschlossene Private nunmehr konkurrierend zur staatlichen Aufgabenerfüllung zugelassen. Dieser Privatisierungsgrad kommt immer dann in Betracht, wenn ein staatliches Monopol vorlag. Dabei handelt es sich um eine behutsame Form der Aufgabenverlagerung, die in der Regel auf die Eröffnungen eines Marktes zielt. Dies gilt auch dann, wenn der Staat sich durch eine parallele Organisationsprivatisierung seiner Verwaltungseinheiten die Option geschaffen hat, durch Preisgabe seiner Mehrheitsbeteiligungen zu einem späteren Zeitpunkt ganz aus der Aufgabenwahrnehmung zurückzuziehen. Systematisch gesehen liegt hier nur eine Teilaufgabenverlagerung vor 3 5 5 . da der Staat selbst Anbieter bleibt. 353
L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 235. U. Di Fabio , VerwArch 1990, S. 222, zeigt die Parallelität der Probleme bei den Grenzen der Privatisierung, den Grenzen der Beteiligung von Sachverständigen in komplexen Verwaltungsverfahren und den Grenzen der Zulässigkeit von Beleihungen und Indienstnahmen Privater. 355 Praktischer Anwendungsfall für diese Form der Privatisierung bildet insbesondere auch das duale System des Rundfunkbereichs, bei dem das Angebot des öffent354
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Β. Privatisierung in der Staatsirklichkeit
In ihrer stärkeren Form wird der Staat selbst gleichzeitig mit der Aufhebung seines Monopols - bzw. nach einer Übergangszeit - von der Aufgabenwahrnehmung ganz ausgeschlossen. In der Staatswirklichkeit ist diese Form der Ausnahmefall. Zu nennen ist Art. 87 f Abs. 2 GG, betreffend Postwesen und Telekommunikation. Die vormals ausschließliche Staatsaufgabe mutiert durch den Ausschluss des Staates als Dienstleistungserbringer jetzt zur ausschließlichen Privataufgabe. Diese Aufgabenverlagerung mit dem staatsgerichteten Verbot der Erbringung von Dienstleistungen bedeutet jedoch nicht, dass der Staat in den betreffenden Lebensbereichen überhaupt keine Aufgaben mehr wahrzunehmen hätte. Vielmehr entstehen in den untersuchten Fällen zugleich mit der Aufgabenverlagerung neuartige staatliche Ordnungs- bzw. Regulierungsaufgaben. Dies gilt jedenfalls dann, wenn die betreffende vormalige Verwaltungsaufgabe in ihrer Zweckrichtung nicht ganz in das Belieben gesellschaftlicher Träger gestellt wird. Auch nach der Aufgabenverlagerung übernimmt der Staat in bestimmten Fällen für ihre tatsächliche Erfüllung ausdrücklich eine gewisse Gewähr 356. Die Gewährleistungs- bzw. Regulierungspflicht des Staates zielt auf das Resultat bei bestimmten Versorgungsleistungen. Praktische Beispiele für die theoretisch reine Form der Privatisierungsstrategie des staatlichen Totalrückzugs ohne jeden Rest an staatlicher Pflichtenstellung konnten dagegen nicht gefunden werden 357. Fälle von lich-rechtlichen Rundfunks als staatlich garantiertem Marktteilnehmer mit entsprechend garantierter Gebührenfinanzierung neben dem Angebot der privaten Rundfunkveranstalter steht, die sich über den Markt finanzieren müssen. Von einer echten Wettbewerbssituation lässt sich im Hinblick auf die Finanzierungsgarantie des öffentlich-rechtlichen Rundfunks nicht sprechen. Davon sind Privatisierungsstrategien zu unterscheiden, bei denen der Staat sich als ehemaliger Monopolist mit seinem Leistungsangebot auch tatsächlich dem Wettbewerb stellt, was regelmäßig zunächst eine Organisationsprivatisierung voraussetzt, wie dies bei der Postreform II geschehen ist. In diesen Fällen stellt sich regelmäßig das Problem, wie der gewünschte Wettbewerb auch tatsächlich in Gang kommen und aufrecht erhalten werden kann, ohne dass es lediglich zu einer Verlagerung der staatlichen Monopolstellung auf ein faktisches Monopol des privatisierten Unternehmens kommt, das nun in privater Hand ist. 356 Etwa in den Gewährleistungsklauseln der Art. 87 e Abs. 4 und 87 f Abs. 1 GG. Solche Gewährleistungsklauseln sind ihrer Struktur nach der Versuch, durch die Festlegung einer staatlichen (Markt-) Regulierungsaufgabe möglichen Fehlentwicklungen des Marktes ein staatliches Ordnungskorrektiv entgegenzusetzen. Diese Fehlentwicklungen werden in der Regel in der Gefahr des „Rosinenpickens" zu Lasten der Versorgungsstandards in weniger attraktiven Regionen gesehen, vergi. W. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 f. bezogen auf private Sicherheitsdienste; W. Kahl, DVB1. 1994, S. 1335 m.w.N. 357 Am ehesten wäre als Beispiel für einen Totalrückzug noch der Subventionsbzw. Leistungsabbau im Kulturbereich zu nennen. Die Bezeichnung der Einstellung
IX. Umverteilung von Staatsaufgaben durch Privatisierung
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Aufgabenverlagerungen finden allerdings dort statt, wo vormals bestehende staatliche Kontroll- und Prüfaufgaben im Hinblick auf die Einhaltung materieller Genehmigungsstandards jetzt durch Private zu erfüllen sind. Der hierfür gebräuchliche Terminus der Verfahrensprivatisierung verschleiert diesen Tatbestand mehr als dass er ihn erläutert. Der Sache nach handelt es sich dabei zumeist um eine Indienstnahme Privater. Solche Formen der Indienstnahme Privater für die (vormals) staatliche Aufgabenerledigung sind Aufgabenverlagerungen auf Private. Die Rechtsfigur der Indienstnahme gelangt dort zum Einsatz, wo die in Frage stehenden Prüfaufgaben nicht freiwillig übernommen, sondern als Rechtspflicht auferlegt werden. Die Aufgabenverlagerung verschärft sich noch, wenn Private selbst ihre normativen Prüfstandards festlegen und die Rolle des Staates sich darauf reduziert, dass überhaupt sinnvoll geprüft und „fair" gespielt wird, ohne die Regeln dafür im Detail festzulegen. Indienstnahmen sind dabei unter Umständen mit erheblichem finanziellen Aufwand für Private verbunden. Privatisierung als Indienstnahme Privater bedeutet insoweit die finanzielle Entlastung des Staatshaushaltes zu Lasten von Privaten. Privatisierungsstrategien münden hier in die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der finanziellen Inanspruchnahme Privater 358. Festzuhalten ist, dass sich hinter den verschiedenen Privatisierungsgraden trotz mancher Parallelen bei einzelnen Projekten keine Strategie im Sinne eines systematischen Konzepts der Privatisierung von Staatsaufgaben verbirgt. Die Praxis lässt sich weder von einer Kernaufgabentheorie noch von einem einheitlichen Privatisierungsmodell für alle Lebensbereiche leiten. Vor allem bei personal- und damit kostenintensiven Aufgabenbereichen haben sich vielfältige und bereichsspezifisch stark differenzierte Lösungs-
staatlicher finanzieller Unterstützungsleistungen als Privatisierungstatbestand würde aber jeden rechtlich fassbaren Begriff von Privatisierung sprengen; sie fügt sich insbesondere nicht in die hier gewählte Grundsystematik der Beteiligung von Privaten oder Aufgabenverlagerung auf Private. 358 Auf vielfältige Erscheinungsformen der Beteiligung von Privaten an der Finanzierung von Staatsaufgaben im Wege staatlich-gesellschaftlicher Mischfinanzierungen in der Staatspraxis macht H. P. Bull, in: J. J. Hesse/C. Zöpel (Hrsg.), Der Staat der Zukunft, 1990, S. 33 ff. aufmerksam und weist dabei auf die „Steuerung durch Geld" als eine wesentliche Dimension staatlicher Wirkkräftigkeit hin. Diese Frage stellt sich auch bei anderen Formen der Finanzierungsprivatisierung wie der Erhebung von Gebühren oder Beiträgen für Staatsleistungen. Aus aufgabenspezifischer Perspektive ist zu fragen, ob es Staatsaufgaben gibt, die eine finanzielle Belastung von Privaten im Wege der Indienstnahme oder durch andere Formen der finanziellen Inpflichtnahme, die zusätzlich zur Steuer erfolgen, ausschließt. Anders gewendet lautet die Frage damit, ob der Staat unter Aufgabengesichtspunkten verpflichtet sein kann, bestimmte Leistungen prinzipiell ausschließlich aus Steuermitteln zufinanzieren, ohne die Kostenlast auf Private abzuwälzen. 12 Gramm
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
muster, Instrumente und Konzeptionen für die Privatisierung bzw. Teilprivatisierung einzelner Sachaufgaben entwickelt. Überraschend ist dieses Resümee nicht, denn als Motor der Entwicklung funktionieren nicht abstrakte Theorien oder politische Visionen über die richtige Arbeitsteilung von Staat und Gesellschaft, sondern in erster Linie der Mangel an Finanzmitteln. Privatisierungsstrategien zielen nicht unbedingt darauf, vormals staatlich und jetzt von Privaten erbrachte Leistungen für den Bürger im Ergebnis kostengünstiger zu gestalten. Klar erkennbares Primärziel der meisten Privatisierungsmaßnahmen ist es, vormalige Verwaltungsaufgaben aus der Perspektive des Staates gesehen kostengünstiger nicht notwendig auch qualitativ besser oder auch nur gleichwertig - durch Private erbringen zu lassen. Insofern bestätigt sich der Befund, dass nicht die Ordnungs-, sondern die Finanzpolitik359 den Ausschlag für die jeweils eingeschlagenen Privatisierungsstrategien gibt 360 . 2. Wandel der staatlichen Steuerung durch Privatisierung Die deskriptiv angelegte Untersuchung des zweiten Hauptteils hat deutlich gemacht, dass Privatisierungsvorgänge in der Kontrastperspektive von Ausweitung und Rücknahme staatlicher Tätigkeit nicht uneingeschränkt als staatliches Rückzugsphänomen begriffen werden können. Die als Ausgangspunkt gewählte Kontrastperspektive ordnet sich damit nicht in ein zeitliches Kontinuum. Ausweitung und Rücknahme sind vielmehr zeitlich ineinander 359 L· Osterloh, VVDStRL 54, S. 213. „Das Diktat der leeren Kassen fordert Phantasie." 360 Besonders deutlich wird dies an der sich in die Darstellung von Privatisierungsstrategien nicht einfügenden Regelung des § 7 Abs. 1 Satz 2 Bundeshaushaltsordnung, BGBl. I 1993, S. 2353. Danach ist der Bund verpflichtet zu prüfen, „inwieweit staatliche Aufgaben oder öffentlichen Zwecken dienende wirtschaftliche Tätigkeit durch Ausgliederung und Entstaatlichung oder Privatisierung erfüllt werden können." Die Vorschrift zielt auf die Ausschöpfung vorhandener „Privatisierungspotentiale" (vergi, die Entwurfsbegründung zu dem gleichlautenden Entwurf eines § 6 Abs. 1 Satz 2 Haushaltsgrundsätzegesetz BT-Drs. 12/6720, S. 3, der allerdings nicht zustande gekommen ist). Sie erhebt Privatisierung damit zum „Gegenstand haushaltsrechtlicher Globalregelung", L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 220. Man wird diese Regelung allerdings kaum im Sinne einer umfassenden „Staatsaufgabe Privatisierung" deuten können. Die Vorschrift setzt vielmehr die Unterscheidung von privatisierungsfähigen und privatisierungsresistenten Staatsaufgaben gedanklich voraus: Nicht privatisierungsfähige Staatsaufgaben müssen auch dann durch staatliche Organe prinzipiell selbst erfüllt werden, wenn eine entsprechende Leistung durch Private möglicherweise billiger erbracht werden könnte. Insofern dürfte die praktische Bedeutung von § 7 Abs. 1 Satz 2 BHO wohl eher gering bleiben. Zur begrifflichen Klärung des Phänomens Privatisierung trägt die Vorschrift nichts bei, ebenso J. A. Kämmerer, JZ 1996, S. 1043.
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verschränkte und gegenläufig verlaufende Prozesse. Privatisierungsvorgänge und die dadurch bewirkten Veränderungen sind deswegen nicht ohne weiteres auf den einfachen Nenner eines eindeutigen staatlichen Rückzugs zu bringen, sondern sie bleiben im Gegensatz von Ausweitung und Rücknahme ambivalent. Selbst dann, wenn Verwaltungsaufgaben ganz auf Private verlagert werden und damit als Staatsaufgabe entfallen, kommen nicht selten andere Aufgaben auf die Verwaltung zu. So führt die Rückgewinnung von privatautonomen Gestaltungsspielräumen361 im Zuge von Privatisierungsmaßnahmen häufig zu einem neuen Regulierungsbedarf 362 und einem Bedarf nach ausgesprochen anspruchsvollen rechtlichen Steuerungsstrukturen. Es handelt sich insbesondere um Zulassungs-, Beobachtungs-, Kontroll- und sonstige Überwachungsaufgaben, die zu neuen Verrechtlichungsschüben führen. Für dieses Phänomen wurde das treffende Wort vom Privatisierungsfolgenrecht 363 bzw. vom Privatisierungsbegleitrecht 364 geprägt. Insofern kann man von einer Wechselwirkung zwischen Abbau und Zuwachs von staatlichen Aufgaben und Ausgaben sprechen365. Privatisierungsstrategien kehren deswegen die im Ausgangspunkt analysierte moderne Expansionstendenz des Rechts nicht notwendigerweise um, sondern verstärken diese eher, indem sie einen nach Lebensbereichen stark differenzierten Prozess der Differenzierung des Rechts einleiten366. Auch unter der Kostenperspektive bleibt die Verlagerung von Aufgabenbeständen ambivalent. Den intendierten Einspareffekten bei den öffentlichen Haushalten stehen regelmäßig neue Staatsausgaben gegenüber367. 361
R. Stoben DÖV 1995, S. 767 f.; P. Kunig/S. Rublack, JURA 1990, S. 1 (3). G. F. Schuppen, DÖV 1995, S. 767 f.; Ch. Reichard, Umdenken im Rathaus, 1994, S. 43 ff.: W. Hoffmann-Riem, Die Verwaltung 1995, S. 431 f. - „hoheitlich regulierte Selbstregulierung"; R. Wahl, in: E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Verwaltungsressource, 1997, S. 338 weist auf die programmatische Bedeutung der Regulierungsbehörde im Telekommunikationssektor hin, deren Bezeichnung er als Hinweis auf die in der Privatisierung selbst angelegte Sachnotwendigkeit für neue staatliche Aktivitäten deutet. 363 J. A. Kämmerer, JZ 1996, S. 1048, der zugleich die Forderung nach einer „Privatisierungsfolgenabschätzung" erhebt. 364 R. Wahl, in: E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Verwaltungsressource, 1997, S. 336 ff. 365 G. F. Schuppen, StWStP 1994, S. 550; L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 208: „kommunizierende Röhren" zwischen Aufgabenabbau und Steigerung der Sozialausgaben. 366 Dieses Ergebnis bestätigt damit die sozialwissenschaftliche These von der Expansion zahlreicher gesellschaftlicher Funktionssysteme wie Ökonomie, Moral oder Wissenschaft für das Recht am Beispiel der Privatisierungsdiskussion, die im allgemeinen gerade unter umgekehrtem Vorzeichen diskutiert wird, vergi. R. Münch, Dynamik der Kommunikationsgesellschaft, 1995, S. 32. 362
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Durch Privatisierungsmaßnahmen ändert sich nicht nur die Arbeitsteilung zwischen Staat und Gesellschaft. Auch die Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf bestimmte Sachaufgaben verschieben sich. Der spezifische staatliche Einwirkungsgrad mit seinen Ansatzpunkten und Mitteln rechtlicher Steuerung wird dabei maßgeblich durch den gewählten Privatisierungsgrad festgelegt und stellt gewissermaßen dessen Kehrseite dar 368 . Korrespondierend zu den dargestellten Privatisierungsgraden lassen sich deswegen abgestufte staatliche Einwirkungs- oder Steuerungsgrade bei der Durchführung von Verwaltungsaufgaben unterscheiden. Sie sind bereichsspezifisch unterschiedlich ausgestaltet. Ihnen entspricht ein differenziertes staatliches Ordnungsinstrumentarium, das die Einwirkungsmöglichkeiten auf die Erfüllung einer Sachaufgabe bestimmt. Dabei lässt sich die generelle Tendenz beobachten: Je mehr Selbständigkeit Private bei der Erfüllung von Staatsaufgaben erhalten, desto stärker nehmen die staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten ab, verlieren an Direktheit und verlagern sich auf andere Funktionen. So wandelt sich mit zunehmendem Privatisierungsgrad die Rolle des Staates weg von der Eigenerledigung in Richtung auf Überwachungs-, Kontroll-, Moderations-, Anregungsund ähnliche Funktionen sekundärer Steuerung. Eine Skalierung für diese abgestuften Grade staatlicher Einwirkungsmöglichkeiten hat G. F. Schuppert im Anschluss an E. Schmidt-Aßmann vorgeschlagen369. Er unterscheidet zwischen unmittelbarer (Bsp.: Polizei, Steuer367 Diese Ausgaben müssen mit den erzielten Einsparungseffekten selbstverständlich keineswegs identisch sein, sondern können weit dahinter zurück bleiben. Es wäre allerdings eine Illusion zu glauben, dass entsprechende Umstrukturierungsprozesse ohne Kosten erfolgen können. Die Untersuchung der Kosten für die Aufgabenverlagerung ist Gegenstand der ökonomischen Transaktionskostentheorie, die auf Kriterien wie Spezifität oder Häufigkeit der zu privatisierenden staatlichen Tätigkeit abstellt. Je spezifischer die staatliche Tätigkeit ist, desto höher sind die Transaktionskosten, was tendenziell ein Argument für die staatliche Eigenfertigung darstellt. 368 Nicht selten ist in diesem Kontext von der Verantwortung des Staates die Rede. Die Mittel staatlicher Einwirkung sind aber mit der Verantwortung des Staates nicht identisch, weil in vielen Fällen mehrere Mittel konkurrierend für die Aufgabenerfüllung und damit für die konkrete Wahrnehmung der staatlichen Verantwortung zur Auswahl stehen. In der Literatur herrscht im übrigen kein einheitliches Begriffsverständnis. In engem Zusammenhang mit der Mitteldimension staatlichen Handelns steht die Verantwortlichkeit des Staates bei P. Kirchhof\ HStR Bd. III, 1988, § 59 Rdn. 1 f. (S. 122); von Verantwortungsmodalitäten, aber gleichzeitig auch von VerwaltungsVerantwortung spricht G. F. Schuppert, DÖV 1995, S. 768; ders., in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S. 26 ff. (im Anschluss an E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/G. F. Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 13, 43 f.); weitere Nachweise bei H. Bauer, VVDStRL 54, S. 268 (FN 127). Staatliche Verantwortung und die Modalität, in denen diese Verantwortung wahrgenommen wird, sind aber auseinander zu halten.
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Verwaltung) und mittelbarer Erfüllung durch „Trabanten" des Verwaltungssystems (Bsp.: Deutsche Forschungsgemeinschaft), Überwachung (Bsp.: Bankenaufsicht, TÜV), finanzielle Förderung (Bsp.: Film, Agrarsubventionen), Beratung (Bsp.: Drogen, Aids-Hilfe), Organisation (Bsp.: Rundfunk, Hochschule), Einstehen bei gesellschaftlicher Schlechterfüllung, staatliche Rahmensetzung für Private (Bereitstellungsfunktion des Rechts), soziale Abfederung bei Überlassung einer öffentlichen Aufgabe an den Markt. Als Steuerungsinstrument schlägt er die Schaffung des selbständigen Instituts eines Regulierungsvertrages im Verwaltungsverfahrensgesetz vor. Demgegenüber differenziert J. Isensee nach fünf unterschiedlichen Graden des Einsatzes in der Erfüllung öffentlicher Aufgaben 370: Die vollständige Wahrnehmung durch die Staatsverwaltung selbst, die Teilnahme des Staates an der Aufgabenerfüllung in Kooperation mit freien Leistungsträgern, die Steuerung der Tätigkeit Privater durch Intervention, die Schaffung und die Durchsetzung einer rechtlichen Rahmenordnung mit den Mitteln des allgemeinen Gesetzes, die Anregung und Förderung privater Tätigkeit. Ergänzend dazu kann man aus der Privatisierungsperspektive für die staatliche Steuerung folgende systematische Steuerungsebenen unterscheiden, auf denen ein Ansetzen theoretisch möglich ist: Normgebung (materielle Zielvorgaben) einschließlich der rechtlichen Instrumente (Wie der Umsetzung?), Personal (Wer wird tätig: staatliches und/oder privates Personal?), Sachmittel und Wissen (Bereitstellung der für die Sachaufgabe erforderlichen tatsächlichen Instrumente und Voraussetzungen durch wen, wie?), Finanzierung (Wie erfolgt die finanzielle Deckung?). Bei diesen Steuerungsebenen handelt es sich genau genommen um die oben aufgezeigten grundlegenden Verwirklichungsressourcen oder Problemlösungskapazitäten für die Erfüllung von Staatsaufgaben 371, die bei jeder Sachaufgabe in der einen oder anderen Weise sichergestellt werden müssen. 369
G. F. Schuppen, in: DÖV 1995, S. 768; ders., in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S. 26 ff.; ähnlich F. Schoclz, DVB1. 1994, S. 962 (975), beide im Anschluss an E. Schmidt-Aßmann y in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/G. F. Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts. Grundfragen, 1993, S. 43 f. Kritisch zu Schupperts Terminologie der „Verantwortungsstufen" L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 236 f.; C. Reichard, Umdenken im Rathaus, 1994, S. 40 f. unterscheidet demgegenüber die drei Verantwortungstypen: Gewährleistung, Finanzierung und Vollzug. Wo alle drei Verantwortungstypen zusammentreffen, lägen staatliche Kernaufgaben vor. Freilich bleibt auch diese Betrachtungsweise eine rein klassifizierende ohne normativen Anspruch. 370 J. Isensee, HStR Bd. III, 1988, § 57 Rdn. 139 (S. 64 f.). 371 Vergi. R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 66 ff., die entscheidend auf die faktischen Handlungsmöglichkeiten des Staates abstellen.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Wenn der Staat diese potentiellen Steuerungsebenen alle in eigener Regie beherrscht, dabei Private von der konkurrierenden Aufgabenwahrnehmung vielleicht auch noch ausschließt und sich dadurch ein Monopol sichert, ist sein Einwirkungsgrad am stärksten. Beispiele für die staatliche Vollsteuerung in diesem Sinn sind traditionelle Vorstellungen der Aufgabenwahrnehmung durch Polizei, Militär, Justiz oder die alte Bundespost. Der Staat wirkt dabei idealiter direkt auf der Grundlage staatlichen Rechts mit eigenem Personal, eigenem Material, eigenem „Know-how" auf die Aufgabenerfüllung und damit auf den gewünschten Erfolg hin. Die staatliche Einwirkungsintensität verändert sich in dem Maße, wie Privatisierungselemente und damit unterschiedliche Leistungsbeiträge Privater auf den einzelnen Ebenen ins Spiel kommen. Wie die Aufbereitung der Staatswirklichkeit gezeigt hat, ist dies in vielen Bereichen möglich und zum Teil seit langem der Fall. Selbst Polizei und Militär machen davon bei näherer Betrachtung jedenfalls in Randbereichen keine Ausnahme. Privatisierung von Verwaltungsaufgaben bedeutet dabei in erster Linie die wiederum unterschiedlich stark strukturierte und im einzelnen beschriebene Einbeziehung von Privaten auf der Steuerungsebene des Personals. Aber auch Tendenzen zur Privatisierung von Sachmitteln (Straßen) und unterschiedliche Tendenzen zur Finanzierungsprivatisierung wurden festgestellt. Vernachlässigt, weil nicht Gegenstand dieser Arbeit, wurde das bekannte Phänomen der Privatisierung von Rechtsetzung. Deutlich wurden Privatisierungsstrategien auch im Bereich rechtlicher Instrumente bei der Einschaltung von Privaten im Rahmen eines rechtlich geordneten privaten Zertifizierungsverfahrens. Insgesamt gesehen lässt sich feststellen, dass die staatliche Vollsteuerung von Lebensbereichen mit eigenem Personal, Material, Sachwissen und eigenen Finanzmitteln aus Steuergeldern durch die beschriebenen Privatisierungsstrategien abnimmt. Die aufgezeigten Privatisierungsstrategien bewirken damit einen Wandel in der Wahrnehmung staatlicher Verwaltungsaufgaben. Es entstehen neue Formen der Arbeitsteilung mit teilweise sehr komplexen Arrangements zwischen staatlichen und privaten Trägern. Dabei tritt an die Stelle der Verwaltung als Leistungsträger zunehmend die Verwaltung als Regulierungs- 372 und Kontrollinstanz 373. 372 J. Wieland, Die Verwaltung 1995, S. 330 ff.; H.-H Trute, DVB1. 1996, S. 954 („Regulierungsverwaltungsrecht"); G. F. Schuppert fordert deswegen die Ergänzung der Privatisierungsdiskussion um eine Theorie der Regulierung, VVDStRL 54, S. 308 f.; zur „Verwaltung zwischen gesellschaftlicher Selbstregulierung und staatlicher Steuerung" die Beiträge von M. Schmidt-Preuß und U. Die Fabio , VVDStRL 56, S. 160 ff. und S. 235 ff. 373 Bei diesem sich deutlich ankündigenden Funktionswandel der Verwaltung geht es um die rechtliche Ausgestaltung und dabei um die erforderliche Reichweite des
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Dieser Umstrukturierungsprozess bleibt nicht ohne Folgen für die Qualität staatlicher Aufgabenerledigung bzw. Steuerung. In dem Maß, wie der faktische und rechtlich gesicherte Einfluss von Privaten zunimmt, nimmt ganz allgemein gesprochen die Detailschärfe staatlicher Steuerung ab. Das Recht büßt dadurch an Berechenbarkeit, Vorhersehbarkeit und Sicherheit ein. Im Prozess der Neuordnung von wechselseitigen Aufgabenarrangements zwischen Privaten und staatlichen Stellen wandelt sich die Rolle des Staates in die Richtung eines Kontrolleurs und Moderators, der sich bestimmte Zugriffs-, Gestaltungs- und Verpflichtungsmöglichkeiten (Interventionsrechte) im Prozess des wechselseitigen Zusammenwirkens bei der Aufgabenerfüllung vorbehält. Zugleich wächst damit die wechselseitige Abhängigkeit voneinander: Staatliche und gesellschaftliche Kräfte verschmelzen zunehmend in mehr oder weniger sorgfältig austarierten Formen der Zusammenarbeit und des Aufgabenarrangements. Das Subjekt der eigentlichen Steuerung wird in diesen Mischungsverhältnissen in der Tat zunehmend diffus 374 . Parallel dazu gilt es aber auch festzuhalten, dass der Staat an keiner Stelle nennenswerte Abstriche vom inhaltlichen Ziel der Erfüllung der jeweiligen Sachaufgabe gemacht hat. Der Steuerungsanspruch des Staates bleibt jedenfalls im Hinblick auf die Resultate der vormals staatlichen Aufgabenerfüllung bislang im Wesentlichen unberührt 375. Sicherheits- und Versorgungsstandards werden dem materiellen Anspruch nach nicht wesentlich zurückgefahren. Dies gilt selbst da, wo die Intensität der Beteiligung Privater am stärksten ist, also in den seltenen Fällen der kompletten Aufgabenverlagerung. Auch wenn echte Privatpersonen stärker als bisher in deren Erfüllung einbezogen werden, bleibt die Sachaufgabe selbst als rechtsverbindliche Zielvorgabe zumeist bestehen: Nach der Teilverlagerung von Prüfungsaufgaben im Rahmen von staatlichen Genehmigungsverfahren auf Private gelten im Baurecht die materiellen Anforderungen des Gesetzes weiter. Selbst der Versorgungsstandard mit Post- und Telekommunikationsdienstleistungen, die der Staat nach der neuen Verfassungslage nicht mehr durch eigenes Personal erbringen darf, soll weiterhin flächendeckend angemessen und ausreichend gewährleistet werden. Ein Totalrückzug des Staates aus komplexen Aufgaben lässt sich damit trotz der weitgehenden Privatisierung von Erfüllungsressourcen nicht konstatieren 376. staatlichen Ordnungs- und Steuerungsanspruchs, um bestimmte Ziele auch tatsächlich zu erreichen. In dem Maß, wie Private bei der staatlichen Aufgabenerfüllung ins Spiel kommen, muss eine hinreichende „Kontrolle der Kontrolle" gesichert sein, M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 173. 374 So zu Recht U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 317 (Diskussionsbeitrag). 375 J. A. Kämmerer, JZ 1996, S. 1048 stellt deswegen einen „Staatsaufgabenerhaltungssatz" auf: Verändert werde durch Privatisierung nicht der Bestand, sondern die Wahrnehmung staatlicher Aufgaben.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Selbst in ihrer intensivsten Form der Aufgabenverlagerung führen Privatisierungsstrategien in der Staatswirklichkeit damit in keiner der untersuchten Fallgruppen zu einer prinzipiellen und bedingungslosen Preisgabe eines vormals bestehenden staatlichen Steuerungsanspruchs für einen staatlich „bewirtschafteten" Lebensbereich. Dieser bereits beim Phänomen der Aufgabenfülle des modernen Staates in grundlegender Weise deutlich gewordene Anspruch zielt auch noch im Zeichen der Privatisierung von Verwaltungsaufgaben darauf, die Ergebnisse und Effekte gesellschaftlicher Entwicklung zu beeinflussen und zu lenken. Der staatliche Lenkungsanspruch ist selbst da deutlich zu erkennen, wo auf den ersten Blick nur die freien Kräfte des Marktes als dem grundrechtlich gewährleisteten Ordnungsprinzip der Gesellschaft regieren. Ein Verzicht des Staates auf seinen prinzipiellen Steuerungsanspruch konnte bei den geschilderten Privatisierungsstrategien jedenfalls im Hinblick auf die erwünschten Resultate nicht festgestellt werden 377. An keiner Stelle ist in den beschriebenen Fallgruppen die bedingungslose Ersetzung von vormaligen Staatsaufgaben durch den Markt getreten. Anders gewendet bleibt die staatliche Zieldefinition und die Kontrolle von gesellschaftlichen Entwicklungen und der Effekte individueller Freiheitsausübung trotz der unterschiedlichsten Privatisierungsstrategien weitgehend bestehen. Wo der Markt die Verwaltungsaufgabe ersetzt, stehen Marktmechanismen jetzt unter dem rechtlichen Vorbehalt, dass sie auch wirklich funktionieren und gewisse Mindestresultate bei der Versorgung aller Marktteilnehmer erbringen; andernfalls greift der Staat selbst korrigierend ein und zwingt die Hersteller zur Korrektur ihrer eigenen Versorgungsstrukturen. Bislang versuchen die tatsächlich praktizierten Privatisierungsstrategien damit das Kunststück, trotz überall knapper werdender Finanzmittel im Ergebnis das Aufgabenniveau in qualitativer und quantitativer Hinsicht weitgehend aufrecht zu erhalten. Materielle Standards werden in Wahrheit bislang kaum aufgegeben; sie sollen aber zum Teil durch andere Akteure verwirklicht werden. Die inhaltlichen Ziele des Status quo des Rechts- und Sozialstaates sollen so trotz verminderter Staatseinnahmen durch Konzepte einer möglichst intelligenten Arbeitsteilung zwischen Staat und Gesellschaft im Wesentlichen gesichert werden. Möglich ist dies nur durch die Verlagerung von (Teil-) Aufgaben auf private Träger 378. Wo entsprechende Aufgaben in die Gesellschaft verlagert werden, tritt eine staatliche Gewährleis376
Ähnlich A. Benz, Die Verwaltung 1995, S. 337, 347. Die Rolle des Staates geht über die von C. Bohret prognostizierten „Restfunktionen" wie die offensive Einbringung des Gesamtinteresses mit Resten eines Sanktions- und Belohnungspotentials hinaus, in: B. Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa, 1992, S. 121. 378 Vergi, y. Burmeister, VVDStRL 56, S. 321 ff. (Diskussionsbeitrag) 377
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tungspflicht an die Stelle der ursprünglichen Staatsaufgabe. Was sich verschiebt, sind die Subjekte der (Teil-) Aufgabenwahrnehmung. Dies gilt selbst noch dort, wo Pflichtenprivatisierungen stattfinden: Für den Fall, dass Private ihre Verpflichtungen nicht wirksam erfüllen oder erfüllen können, bleibt jedenfalls in einigen Fallkonstellationen mindestens eine Auffangpflicht des Staates bestehen, sei es ausdrücklich oder auch nach polizeirechtlichen Grundsätzen. Eine andere Frage ist es, ob die verbleibenden und zum Teil neuen Einwirkungsmöglichkeiten, Kontroll- und Sanktionsinstrumente für die Wahrnehmungs- und Gewährleistungspflichten des Staates auch tatsächlich wirksam sind. Ob sie ausreichen, um die materiellen Standards gesetzlicher Zielvorgaben, auf die jetzt Private als einzelne oder auch - wie im Falle des Telekommunikationsgesetzes - als „Gesamtschuldner" festgelegt werden, dauerhaft zu garantieren, wird die Zukunft zeigen. Zu konzedieren ist allerdings, dass die sichtbare Machtausübung des Staates durch Privatisierungsstrategien eindeutig abnimmt. Damit nehmen aber keineswegs sein Anspruch und sein Einfluss auf die Gestaltung von gesellschaftlichen Abläufen ab. Mit einem Wort von W. Leisner wird der Staat vielleicht unsichtbarer 379, aber deswegen nicht unbedingt bescheidener in seinem Steuerungsanspruch - und auch nicht notwendig machtloser. Bei der Organisationsprivatisierung ist diese „Verunsichtbarung" des Staates offensichtlich. Sie tritt in vergleichbarer Weise bei (Teil-) Aufgabenverlagerungen ein, solange die Erfüllung der betreffenden Sachaufgabe nicht gänzlich in das Belieben von Privatpersonen gestellt wird. Seine Rolle als „Präzeptor" 380 der Gesellschaft dürfte sich im Anspruch, bestimmte Resultate eines freien gesellschaftlichen Prozesses vorzugeben 381, sogar noch eher verstärken 382. 379
W. Leisner, Der unsichtbare Staat, 1994, S. 178, 237, spricht von „Kryptomacht" und kritisiert insbesondere die informellen Formen des Verwaltungshandelns (S. 119 f.) und die Flucht in die Handlungsformen des Privatrechts (S. 254); G. F. Schuppert, DÖV 1995, S. 762; C. Reichard, DÖV 1988, S. 364. 380 Nach C. E. Lindblom,, Jenseits von Markt und Staat, 1980, S. 97 ff. (103), zielen präzeptorale Systeme auf Bewusstseinssteuerung, damit Menschen den kollektiven Interessen aus autonomen Motiven dienen und aus eigener Initiative das zu tun bereit sind, was man ihnen in anderen Gesellschaften befehlen müsste. 381 Etwa im Anspruch an die Unternehmen dazu beizutragen, flächendeckend angemessen und ausreichende Dienstleistungen im Bereich Post und Telekommunikation zu erbringen, vergi. Art 87 f Abs. 1 GG. 382 J. A. Hesse, Der Schutzstaat, 1994, S. 90 ff., 180 ff.; D. Willke O. Höffe, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 716, der eine Zunahme der Gesamtmacht des Staates konstatiert. Die Diagnose des Machtverlustes hält er dagegen für eine perspektivische Täuschung auf Grund überzogener Erwartungen: „Was als Effizienzverlust erscheint, ist in vielen Fällen eine Fehlerwartung, eine Überschätzung der staatlichen Einflussmöglichkeiten."
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Es bleibt beim Befund der Ambivalenz von Privatisierungsvorgängen: Dem Rückzug durch Privatisierung einerseits steht der gewachsene oder doch ungebrochene Anspruch auf Steuerung der Gesellschaft gegenüber, die der Staat inhaltlich im Wege verbindlicher Zielvorgaben strukturiert. Bei inhaltlich im wesentlichen unveränderten Leistungsstandards, die jetzt gegebenenfalls Private zu erbringen haben, mündet die juristische Privatisierungsdiskussion an diesem Punkt in die Debatte über die Effektivität staatlicher Steuerungsinstrumente für gesetzlich vorgegebene Ziele. Damit ist vor allem die Mittel-Zweck-Relation der Eignung staatlicher Instrumente und Maßnahmen zur Erreichung feststehender Zwecke angesprochen. Auch diese eher rechtstechnische Diskussion setzt allerdings Einigkeit darüber voraus, welche Zwecke der Staat befördern soll bzw. noch unabdingbar befördern muss. Die damit erneut angesprochene Frage nach notwendigen Staatsaufgaben und nach rechtlichen Grenzen für Privatisierungsstrategien ist auf deskriptiver Grundlage nicht zu beantworten. Ihre Beantwortung setzt vielmehr eine normative Perspektive voraus, die es erlaubt, notwendige Staatsaufgaben inhaltlich zu umreißen. Die verfassungsrechtlich greifbaren Anknüpfungspunkte dafür haben sich als eher spärlich herausgestellt. Im folgenden ist ein normativer Bezugsrahmen auf staatstheoretischer Grundlage zu entwickeln, der Abschichtungen innerhalb der Summe aller tatsächlich erfüllten Staatsaufgaben erlaubt. X. Exkurs: Privatisierung in den Kirchen Der Deregulierungs- und Privatisierungstrend der Gegenwart stellt kein ausschließlich auf den staatlichen Bereich beschränktes Phänomen dar, sondern er erfasst auch andere steuerfinanzierte Organisationen. Vor allem bei den beiden großen Kirchen werden zunehmend privatisierungsähnliche Maßnahmen eingeführt. Der Druck zu Einsparungen besteht hier in ähnlicher Weise wie bei staatlichen Stellen. Maßgebliche Eckdaten dafür bilden anhaltende Kirchenaustritte einerseits und abnehmende Kirchensteuereinnahmen andererseits, die insoweit an der allgemeinen Steuerentwicklung teilnehmen. Durch eine Steuerreform, die die Einkommensteuersätze senkt und die gesamte Steuererhebung stärker von direkten auf indirekte Steuern verlagert, werden sich die Einnahmen der Kirchen weiter drastisch reduzieren. Da die Bemessung der Kirchensteuer an das zu versteuernde Einkommen geknüpft ist, sind die Kirchen von einer Absenkung der Einkommensteuer besonders hart betroffen. Im Gegensatz zum Staat, der diese Mindereinnahme durch erhöhte Verbrauchsteuern kompensieren kann, steht den Kirchen ein entsprechendes Kompensationsinstrument nicht zur Verfügung. Diskutiert werden deswegen bereits alternative Finanzie-
X. Exkurs: Privatisierung in den Kirchen
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rungsmöglichkeiten, um die vorhersehbaren Einnahmeverluste wenigstens teilweise ausgleichen zu können383. Im Zeichen steigenden Kostendrucks ergreifen beide Kirchen auch eine Reihe von Maßnahmen zur betriebswirtschaftlich effizienteren Aufgabenerledigung im karitativen bzw. diakonischen Sektor beim Betrieb von Krankenhäusern, Altersheimen oder anderen kirchlichen Einrichtungen. Die Auslagerung von weniger bedeutsamen Hilfsdienstleistungen durch Vergabe an privatwirtschaftliche Unternehmen (Outsourcing) schafft erhebliche Einsparpotentiale im Personalsektor und kommt regelmäßig für nicht unmittelbar karitative bzw. diakonische Aufgabenbereiche 384 in Betracht. Parallel dazu vollzieht sich die Umgestaltung der Organisationsstrukturen in stärker wettbewerbsorientierte Organisationsformen. Das Ausweichen in andere Rechtsformen als die beispielsweise im diakonischen Sektor verbreitete, aber schwerfällige Vereinsstruktur soll eine flexiblere und damit kostengünstigere Gestaltung ermöglichen 385. In erster Linie handelt es sich bei den neuen Organisationsstrukturen um die Rechtsform der gemeinnützigen Gesellschaft mit beschränkter Haftung 386 in kircheneigener Trägerschaft. Möglichkeiten für zusätzliche und wirtschaftlichere Nutzungsformen von kirchlichen Immobilien, insbesondere von Gemeindehäusern, aber auch von Kirchen werden - durchaus mit Blick auf den holländischen Nachbarn bereits diskutiert. Analog zum gebräuchlichen öffentlich-rechtlichen Sprachgebrauch verbleiben diese Privatisierungsmaßnahmen damit noch weitgehend im Bereich der Organisationsprivatisierung. Nur in den skizzierten Randbereichen mit reinen Serviceaufgaben kommt es unter dem zunehmenden Druck des Marktes 387 und dem dadurch ausgelösten Zwang zu einer preiswerteren
383
Etwa in einem Abschlussbericht der Arbeitsgruppe III der Perspektivenkommission der Evangelischen Kirche im Rheinland vom März 1997. 384 Typischerweise handelt es sich dabei um Dienstleistungen wie Gebäudereinigung, Wäschereien, Essensversorgung etc. 385 Dabei geht es unter anderem um das Problem, ob ein Ausstieg aus dem kirchlichen Arbeits- und Dienstrecht und damit die Unterstellung unter das Betriebsverfassungsgesetz möglich ist, kritisch J. Winter, in: Diakonisches Werk der Evangelischen Kirche in Deutschland (Hrsg.), Diakonie in Bindung und Freiheit, Dankesgruß an Dr. Helmut Seifert, 1988, S. 47 ff.; R. Krämer, ZevKR 1996, S. 80 ff. Eine Tagung des Katholischen Büros Bonn - Kommissariat der Deutschen Bischöfe und des Kirchenamtes der Evangelischen Kirche in Deutschland hat sich vom 20. bis 22. März 1996 mit Kirchlicher ArbeitsRechtsetzung und Strukturänderungen in Diakonie und Caritas befaßt (Tagung zum kirchlichen Arbeitsrecht „Tutzing X"). Verfassungsrechtlich kommt es auf die Grenzen der Selbständigkeit des kirchlichen Organisationsrechts an, die das BVerfG in seiner Goch-Entscheidung (BVerfGE 46, 73/86 f.) grundlegend festgelegt hat. 386 Dazu R. Krämer, ZevKR 1996, S. 80 ff.
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Β. Privatisierung in der Staats Wirklichkeit
Kostengestaltung zur Aufgabe des eigenen Komplettangebots durch Zukauf von (Teil-) Fremddienstleistungen. Auch der Rückzug aus bestimmten kircheneigenen Aufgaben im diakonischen bzw. karitativen Sektor wird vorsichtig debattiert. Es dürfte nur eine Frage der Zeit sein, bis zunehmend leere Kassen auch hier eine Diskussion über kirchliche Kernaufgaben aufbrechen lassen. Erfasst werden bereits diejenigen Lebensbereiche, in denen kirchliche Aufgaben konkurrierend mit privaten Wirtschaftsunternehmen wahrgenommen werden; dies gilt nicht nur für die bereits erwähnten Bereiche von Altenpflege und Krankenhäusern, sondern auch sonst, wo kirchliche Angebote in Konkurrenz zu staatlichen und anderen freien Trägern stehen. Herausragendes Beispiel sind die Kindergärten 388. In jüngster Zeit ist festzustellen, dass kirchliche Träger sich aus der Bereitstellung von Kindergartenplätzen zunehmend zurückziehen. Unter der Perspektive einer flächendeckenden Versorgung mit Kindergartenplätzen kann dieser Rückzug seit der Einführung des gesetzlichen Anspruchs auf einen Kindergartenplatz ab dem dritten Lebensjahr 389 ohne Risiko erfolgen. In diesem Fall muss der Staat dafür sorgen, dass die Lücke geschlossen wird. Die Einführung des Rechtsanspruchs hat dazu geführt, dass die Kirchen mit ihren finanziellen Aufwendungen für die Unterhaltung von Kindergärten 390 nicht nur eine kirchliche, sondern jedenfalls auch eine Aufgabe des Staates erfüllen. Sie tragen damit trotz der staatlichen Zuschüsse freiwillig zu dessen finanzieller Entlastung bei. Auch der kirchliche Primärbereich wird im Hinblick auf die sich bei beiden großen Kirchen verschärfende Personalsituation zunehmend von einer Kernaufgabendiskussion erfasst. Die Personalknappheit hat dabei ganz unterschiedliche Ursachen. Dem chronischen Mangel an Geistlichen in der römisch-katholischen Kirche 391 steht ein Überschuss an ausgebildeten 387
Besonders ausgeprägt ist der Wettbewerbsdruck zur Zeit im Bereich der Altenpflege. 388 Dazu B. Kämper, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), HdBStKirchR Bd. 2, 2. Aufl. 1995, S. 831 ff. 389 Ab dem vollendeten dritten Lebensjahr bis zum Schuleintritt hat jedes Kind gemäß § 24 Abs. 1 SGB VIII einen (bundeseinheitlichen) gesetzlichen Anspruch auf einen Kindergartenplatz, dazu J. Isensee, DVB1. 1995, S. 1 ff. Dieser Anspruch kann auf freiwilliger Grundlage durch Träger der freien Jugendhilfe erfüllt werden; die Träger der öffentlichen Jugendhilfe nach § 69 Abs. 1 SGB VIII haben die Gesamtverantwortung dafür, dass Kindergartenplätze ausreichend vorhanden sind; gegebenenfalls müssen sie diesen Anspruch erfüllen, §§3 Abs. 2, 79 SGB VIII. Zur systematischen Einordnung des Kindergartenanspruchs als markante Erweiterung des Begriffs der Daseinsvorsorge; W. Brohm, Festschrift F. Knöpfle, 1996, S. 68. 390 Als Faustregel kann man von einer gedrittelten Finanzierung durch die Kirchen, durch den Staat und durch Beiträge ausgehen. 391 Charakteristisch die Praxis im Bereich der katholischen Militärseelsorge, wo der Mangel an Geistlichen durch den Einsatz sogenannter Pastoralreferenten ausge-
X. Exkurs: Privatisierung in den Kirchen
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Geistlichen in den evangelischen Gliedkirchen gegenüber; gleichwohl kommt es hier insbesondere in armen Landeskirchen mit stark ländlicher Struktur und kleinen Gemeinden zu erheblichen personellen Einschränkungen, was zum gleichen Ergebnis wie in der katholischen Kirche führt, dass nämlich mehrere Gemeinden von einem Pfarrer betreut werden müssen. Unter diesem Druck muss zwangsläufig eine Konzentration auf wenige, als wesentlich angesehene (Kern-) Aufgaben stattfinden. Insgesamt gesehen dürfte die Entwicklung hier erst in Gang kommen und den Anfang eines tiefgreifenden Umstrukturierungsprozesses markieren.
glichen wird, vergi. R. Seiler, in: J. Listl/D. Pirson (Hrsg.), HdBStKirchR Bd. 2, 2. Aufl. 1995, S. 975.
C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben I. Ausgangspunkte 1. Unverzichtbare Staatsaufgaben Der dritte Hauptteil ist staatstheoretisch ausgerichtet. Er steht nicht losgelöst vom Staat des Grundgesetzes, sondern berücksichtigt und ergänzt die Vorgaben und Anknüpfungspunkte für Verfassungsaufgaben 1. Ziel Vorstellung ist die Entwicklung eines Verantwortungsrahmens für notwendige Staatsaufgaben. Weitergehende Differenzierungen sind nicht beabsichtigt, und zwar weder die Bildung von Vorrangrelationen innerhalb der Klasse notwendiger Staatsaufgaben noch innerhalb der Klasse der verbleibenden sonstigen Staatsaufgaben. Anspruch und Leistungskraft entsprechender theoretischer Überlegungen sind von vornherein begrenzt, da auf dieser prinzipiellen Ebene zwangsläufig nur einigermaßen abstrakte und allgemeine Aussagen sinnvoll und möglich sind. Ein staatlicher Aufgabenkatalog des Unverzichtbaren oder gar Detailschärfe, überspitzt formuliert die Beantwortung von Fragen des Typs, wie viel Sicherheit oder wie viele Polizisten oder Schulen ein Staat braucht, darf von einer entsprechenden Theorie nicht erwartet werden. Entsprechendes gilt für die Bestimmung des Verfassungsorgans oder der staatlichen Handlungsebene, die zur Erfüllung einer als vorrangig erachteten Staatsaufgabe allererst berufen ist2. Auch die Justiziabilität3 der Verletzung von staatlichen Aufgabenverpflichtungen bildet keine theoretische, sondern eine verfassungsrechtliche Frage.
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Vergi, oben A. II. 5. Vom Ausgangspunkt der Subsidiaritätstheorie lassen sich entsprechende Aussagen machen, dazu Kriterien bei P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 118. Im übrigen setzt die Anwendbarkeit jeder Subsidiaritätstheorie eine Staatsaufgabe voraus. Aus der Subsidiaritätslehre selbst lassen sich keine materiellen Aufgaben ableiten, da sie sich „güterneutral" verhält. 3 Besonders wichtige Aufgaben werden zwar in der Regel den Gesetzgeber treffen, andererseits aber auch mit erheblichen Prognoserisiken belastet sein, so dass eine Kontrolle durch die Gerichte nur selten in Betracht kommt, vergi. Κ. Hesse, JZ 1995, S. 272. 2
I. Ausgangspunkte
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Relativierend kommt hinzu, dass manche heute noch als notwendig erachtete Aufgabe zu einem späteren Zeitpunkt wegen veränderter Rahmenbedingungen als weniger bedeutsam in den Hintergrund treten mag. Tatsächlich werden viele Aufgaben, die in früheren Zeiten als unverzichtbare Staatsaufgaben angesehen wurden, heute ausgesprochen staatsfern erledigt. Die Theorie hat diesen historischen Bedingtheiten insoweit Rechnung zu tragen, als jede Erfassung notwendiger Staatsaufgaben für neue und unvorhergesehene Aufgaben offen und deswegen strukturell unabgeschlossen bleiben muss. Schließlich darf die Hypothese von der Existenz eines unverzichtbaren staatlichen Verantwortungsrahmens keinesfalls mit den Aufgaben eines idealen Staates gleichgesetzt werden. Ob das unverzichtbare staatliche Aufgabenminimum zugleich auch einen idealen Staat darstellt, ist keine Fragestellung dieser Untersuchung4. Ein zentrale Schwierigkeit bei der Erfassung des staatlichen Verantwortungsrahmens ergibt sich aus der Fülle von tatsächlich wahrgenommenen Staatsaufgaben. Die Eingrenzung von unverzichtbaren Staatsaufgaben und von Bedingungen ihrer Erfüllung lässt sich sinnvoll nur auf der Grundlage einer sachlich angemessenen Zusammenfassung zu signifikanten Aufgabengruppen diskutieren. Die Aggregation zu Aufgabengruppen erfolgt unten an Hand von sieben verschiedenen Sektoren, die im Hinblick auf ihre tatsächlichen und qualitativen Unterschiede dargestellt werden. Im nächsten Schritt werden formale Zurechnungskriterien entwickelt, die eine spezifisch staatliche Einstandspflicht für die Aufgabenerfüllung begründen können. In einem weiteren Schritt werden diese formalen Kriterien wieder auf die einzelnen Aufgabensektoren rückprojiziert, um die Grundverantwortung des Staates in den jeweiligen Sektoren aufzuzeigen. Dabei stellen sich signifikante Unterschiede zwischen den einzelnen Sektoren heraus.
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Der Begriff des Minimalstaates wird deswegen an dieser Stelle bewusst vermieden, da er in spezifischer Weise durch liberale Staatstheorien besetzt und idealisiert ist. Er wird mit Namen wie W. v. Humboldt, Ideen zu einem Versuch, die Gränzen der Wirksamkeit des Staates zu bestimmen, Werke I, 3. Aufl. 1980, S. 56 ff. oder F. A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, 1971, S. 287 ff. identifiziert. Der ideale Staat und die angeblich einzige legitimationsfähige Staatsaufgabe als Schutzverband fallen dezidiert zusammen bei R. Nozick , Anarchie Staat Utopia, 1974, Teil 3 (S. 271 ff.). Auf diesem theoretischen Fundament erscheint die Minimalstaatsidee nicht nur als die beste aller Staatsideen, sondern zugleich als die einzig legitime.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
2. Staatsaufgaben als Bereitstellung öffentlicher Güter Zuerst muss der Begriff der Staatsaufgabe begrifflich bearbeitet werden, damit er für die Theoriebildung handhabbar wird. Die gängige Definition von Staatsaufgaben, wie sie etwa das Bundesverfassungsgericht formuliert hat, wurde oben als staatliche Befassungstheorie gekennzeichnet5. Für eine normative Theorie bleibt sie zu formal, denn über die Qualität bestimmter Staatsaufgaben macht sie gerade keine Aussagen. Danach kann im Prinzip jede Sachaufgabe zur Staatsaufgabe werden. Staatsaufgaben zielen stets auf die Erbringung bestimmter Leistungen6 durch den Staat. Die Erfüllung von Staatsaufgaben vollzieht sich in der Lebenswirklichkeit konkret durch eine Vielzahl ganz unterschiedlicher und zum Teil sehr komplexer Leistungen. Staatliche Leistungen greifen unter Umständen auch in die Rechte von Personen ein. Im Begriff der Staatsaufgabe bündeln sich damit zahlreiche Einzelleistungen in einer Art bewertenden Zusammenschau zu einer sinnvollen Richtung. Diese Akzentuierung bleibt allerdings noch sehr allgemein. Der Leistungsbegriff ist nicht sonderlich scharf und seinerseits inhaltlich neutral. Erschwerend kommt hinzu, dass eine juristisch greifbare staatliche Leistungsbilanz nicht existiert 7. Es fehlt bereits an Kriterien, anhand derer man staatliche Leistungen überzeugend darstellen und bewerten könnte. Schließlich kommt im Leistungsbegriff die wichtige Differenzierung zwischen dem Vorgang der Leistungserbringung als solchem und dem Resultat dieses Vorgangs, das sich manchmal erst bei bewertender Betrachtung erschließt, nicht mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck8. Die Frage nach notwendigen Staatsaufgaben zielt auch nicht in erster Linie auf die staatlichen Institutionen, sondern auf die Zwecke oder Resul5
Oben Α. I. 3. c). Zum Leistungsbegriff als Rechtsbegriff A. Hollerbach, in: Staatslexikon Bd. 3, 7. Aufl. 1987, Sp. 897 f. Der Begriff der staatlichen Leistung wird in dieser Arbeit nicht in einem auf irgendwelche Effizienzkriterien verengten Sinn verstanden, sondern weit. Auch abstrakte und im einzelnen schwer zu fassende Güter wie Rechtssicherheit, Kulturförderung, geistige Leistungen fallen darunter. Vergi. M. Bullinger, VVDStRL 54, S. 302 (Diskussionsbeitrag) und 7. Isensee, VVDStRL 54, S. 304 (Diskussionsbeitrag); H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 71 f. m.w.N., 88 ff.; H. Heller, Staatslehre, 4. Aufl. 1970, S. 241; H. Krüger, in: Festschrift T. Maunz, 1971, S. 261. 7 Staatliche Öffentlichkeitsarbeit und Regierungsberichte erfüllen diese Funktion allenfalls ansatzweise. Häufig erschöpfen sie sich in der Mitteilung und „Anpreisung" von politischen Aktivitäten der Regierung. 8 Dies lässt sich anhand eines Bildes verdeutlichen: Zwei Polizisten gehen abends durch einen öffentlichen Park. Auf die Frage, was sie tun, antwortet der eine „Wir gehen im Park auf und ab" (Leistung als Arbeitsvorgang), der andere „Wir leisten einen Beitrag für die öffentliche Sicherheit" (Leistung als Resultat). 6
I. Ausgangspunkte
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tate, die die Institutionen des Staates tatsächlich erbringen bzw. erbringen sollen. Diese Resultate lassen sich treffender mit dem Begriff des (öffentlichen oder kollektiven) Gutes erfassen: Staatliche Institutionen zielen mit ihren Aufgaben auf die Herstellung und Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter, die im Einzelfall sehr konkret, aber auch hochabstrakt sein können, indem sie eine Vielzahl von Einzelleistungen im Wege einer Gesamtbewertung zu einem komplexen Produkt zusammenfassen. Tatsächlich lassen sich die in der Staatswirklichkeit wahrgenommenen Staatsaufgaben im Wesentlichen als die Bereitstellung von öffentlichen Gütern interpretieren. Voraussetzung dafür ist, dass der Begriff des öffentlichen Gutes weit verstanden wird. Er darf weder in einem rein ökonomischen Sinn9 noch in einem auf Infrastrukturleistungen oder auf dinglich greifbare öffentliche Sachen10 verkürzten Sinn interpretiert werden, sondern dazu zählen ebenso abstraktere Güter wie Ordnung oder geistige Produkte. Auch im Hinblick auf die potentiellen Abnehmer ist der Güterbegriff weit zu fassen. Der Kreis der tatsächlichen oder potentiellen Nutzer eines öffentlichen Gutes im juristischen Sinn kann sehr offen sein, so dass das betreffende Gut praktisch jedermann zugute kommt; er kann aber auch sehr viel enger gezogen sein11. Öffentliche Güter im rechtlichen Sinn sind, beispielhaft aufgeführt, innere und äußere Sicherheit, ein funktionierendes Wahlsystem, Bildung und andere Kulturgüter, Sozialleistungen, Wirtschaftsförderung etc. 12 Es wird zu zeigen sein, dass sich viele staatlich bereitgestellte Güter sowohl in ihrer Eigenart als auch im Hinblick auf ihre Produktionsmethoden signifikant vom Güter- und (Dienst-) Leistungsangebot von Privaten unterscheiden. Andererseits wird zu zeigen sein, dass nicht alles, was der Staat tatsächlich tut, auf die Bereitstellung öffentlicher Güter hinausläuft. So kann der Staat etwa auch Privatgüter bereitstellen. Der Ertrag des Versuchs, Staatsaufgaben in der Kategorie der Bereitstellung öffentlicher Güter zu formulieren, liegt aber nicht nur in der Perspekti9
So aber wohl die Monopolkommission in ihrem Elften Hauptgutachten 1994/ 1995, BT-Drs. 13/5309, S. 37, wenn sie Rückführung der Staatstätigkeit auf sein „unerlässliches Maß - im Kern ist dies die Bereitstellung öffentlicher Güter" fordert. 10 Der Begriff der öffentlichen Güter umfasst zwar die öffentlichen Sachen, ist aber wesentlich weiter. 11 Eine strenge begriffliche Unterscheidung zwischen öffentlichen und kollektiven Gütern, wie sie etwa R. Schüßler, Kooperation unter Egoisten: Vier Dilemmata, 1990, S. 115 vornimmt, macht deswegen im Rahmen einer juristischen Theorie keinen Sinn. 12 Weitere Beispiele bei C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 429. 13 Gramm
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
venverlagerung auf die Resultate bei der Erfüllung von Staatsaufgaben, sondern er enthält daneben eine weitere bedeutsame Akzentverschiebung. Wenn man die Erfüllung von Staatsaufgaben prinzipiell als Herstellung und Bereitstellung von öffentlichen Gütern begreift, liegt die Frage nach den potentiellen Abnehmern dieser Güter eher auf der Hand als bei der Aufgabenterminologie. Das Denken in der Kategorie öffentlicher Güter rückt damit den Abnehmerbezug und die Verteilungsproblematik bei staatlichen Leistungen stärker ins Blickfeld. Die Relation zwischen Staat und Bürger steht damit im Vordergrund. Mit dieser Akzentuierung wird zugleich deutlich, dass Staatsaufgaben ebenso wie die Selbsterhaltung des Staates kein Selbstzweck sind, sondern dass sie bestimmte Leistungen bzw. öffentliche Güter umschreiben, die der Staat letztlich für seine Bürger bzw. die Menschen, die in ihm leben, erbringt oder deren Erbringung er zumindest veranlasst. Häufig schafft der Staat dadurch erst die Voraussetzungen dafür, dass Privatpersonen ihrerseits persönliche Leistungen erbringen können13. Mit diesem sehr weit gespannten Güterverständnis ist eine Reduktion staatlicher Tätigkeit zum bloßen Dienstleistungsunternehmen von vornherein nicht kompatibel. Es geht nicht darum, den Staat auf ein Super-Dienstleistungsunternehmen zu reduzieren, sondern die Fülle der staatlich erbrachten Leistungen auf einer einheitlichen theoretischen Grundlage jenseits des traditionellen Gegensatzschemas von Eingriff und Leistung zu erfassen 14. In einer weiteren Annäherung an einen juristischen Begriff der öffentlichen Güter kann man feststellen, dass die Verteilung von staatlich produzierten Gütern an die Abnehmer nicht oder jedenfalls zum allergrößten Teil nicht über den Markt erfolgt. Dies wird bereits daran deutlich, dass viele öffentliche Güter keinen Preis haben und sich auch gar nicht oder allenfalls schwer verkaufen lassen15: Die Bereitstellung von äußerer Sicherheit ent13 Auf diese Verknüpfung hebt A. Hollerbach ab, in: Staatslexikon Bd. 3, 7. Aufl. 1987, Sp. 897 f.; ähnlich P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, S. 12 ff., wonach „Rechtsgüter" „Bedingung für die Grundrechte" sind. 14 Im übrigen darf die auf den Staat projizierte Dienstleistungs- und Güterterminologie nicht darüber hinweg täuschen, dass die Bereitstellung hier nicht durch Angebot und Nachfrage gesteuert wird, sondern auf Grund politisch-administrativer Entscheidung, vergi. P. Badura, Reichweite des FunktionsVorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, 1995, S. 71. 15 Das Merkmal, dass der einzelne Produzent für seinen Aufwand von den Nutzem keinen angemessenen Preis erzielen kann, ist deswegen nach C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 432 für den öffentlichen Güterbegriff konstitutiv, wenn auch nicht abschließend.
I. Ausgangspunkte
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zieht sich der Aneignung durch Kauf oder durch einen anderen individuellen Beschaffungsvorgang. Dennoch kommt äußere Sicherheit als öffentliches Gut allen zugute. Dies gilt sogar in einem nachfrageunabhängigen Sinn, also ohne Rücksicht auf die individuellen Präferenzen 16. Ob der konkrete Einzelne, der vielleicht rigoroser Pazifist ist, die Herstellung von äußerer Sicherheit will oder nicht, darauf kommt es offensichtlich nicht an. Im Gegensatz zu den Konsumentenentscheidungen auf dem Markt, der durch individuelle Präferenzen gelenkt wird, die wiederum durch Vermarktungsstrategien beeinflusst werden, spielen solche Präferenzen für die Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat nicht notwendig eine Rolle, um als „Verbraucher" dennoch in ihren Genuss zu gelangen und einen Nutzen17 daraus zu ziehen. Gewiss bestehen auch beim staatlichen Güterangebot Abhängigkeiten von den Präferenzen der Abnehmer, die diese allerdings nicht über den Markt (Preismechanismus), sondern bei politischen Wahlen (Abstimmungsmechanismus) zum Ausdruck bringen 18. Die Abhängigkeit der staatlichen Güterproduktion von bestimmten Wählerentscheidungen ist damit sehr viel indirekter und mittelbarer, als dies bei der Verteilung eines Produktes über den Preismechanismus des Marktes der Fall ist. Hinzu kommt, dass bei politischen Wahlen in Wahrheit nie die ganze breite Palette des staatlichen Güterangebots zur Debatte steht, sondern regelmäßig nur ein vergleichsweise kleiner Ausschnitt. Der allergrößte Teil staatlicher Leistungen wird abstimmungsindifferent und kontinuierlich erbracht. Andererseits kann nicht übersehen werden, dass viele Güter konkurrierend durch Staat und Private bereit gestellt werden. Dies gilt für Konsumgüter ebenso wie für Dienstleistungen, wenn beispielsweise private Sicherheitsdienste die Arbeit der Polizei ergänzen oder Privatschulen das staatliche Bildungsangebot. Obwohl der Produktionsanteil staatlicher und privater Akteure bei der Bereitstellung öffentlicher Güter auf ganz unterschiedlichen Rechtsgrundlagen beruhen kann, stellen Private in gewissem Umfang eben16 Völlige Übereinstimmung über die Bereitstellung öffentlicher Güter ist nie zu erzielen, weil das Merkmal, dass das Gut allen zugute kommt, nicht nur einschließt, dass jeder in der Gruppe wie alle anderen mehr oder weniger von dem kollektiven Gut erhält, sondern auch, dass alle es hinnehmen müssen, in welcher Menge und in welcher Art das Gut bereitgestellt wird, so ausdrücklich M. Olson , Aufstieg und Niedergang von Nationen, 2. Aufl. 1991, S. 30. 17 Ob der Einzelne diesen Nutzen als solchen tatsächlich überhaupt wahrnimmt oder ob die individuelle Wahrnehmung dieses Nutzens nicht in der Selbstverständlichkeit des permanenten „Konsums" untergeht, ist freilich eine andere Frage. 18 Sozial wissenschaftlich werden üblicherweise vier gesellschaftliche Steuerungsmechanismen unterschieden: Markt (Preis), Bürokratie (Befehl), Kollektivverhandlung (Verband) und Politik (Abstimmung), vergi. P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 113.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
falls öffentliche Güter bereit oder sind an deren Produktion zumindest beteiligt. Diese Grundeinsicht macht es erforderlich, das Spezifische staatlicher Güterbereitstellung im Vergleich zur privaten öffentlichen Güterproduktion herauszuarbeiten. Eine Theorie notwendiger Staatsaufgaben soll als Theorie öffentlicher Güter bzw. Gütergruppen, die der Staat mit seinen spezifisch staatlichen Mitteln vorrangig bereitzustellen hat, formuliert werden. Dieser Ausgangspunkt impliziert die These, dass die Entscheidung über die Bereitstellung von Gütern entweder durch Private auf dem Markt oder durch den Staat als öffentliches Güterangebot nicht uneingeschränkt Gegenstand politischer Entscheidung sein kann, sondern dass es solche öffentlichen Güter gibt, die tatsächlich effektiv 19 nur durch den Staat bereit gestellt werden können und die die Politik nicht dem freien Spiel der Kräfte des Marktes überlassen kann, ohne dass das Resultat entfiele. Für die Umformulierung von Aufgaben in Güter ist die Bestimmung der tragenden begrifflichen Elemente erforderlich, die diese Leistungen im Vergleich zur privaten als spezifisch staatliche Güterproduktion kennzeichnet. In einem weiteren Schritt kommt es darauf an, die tatsächlichen Bedingungen für die staatliche Güterproduktion angemessen zu erfassen. Dies geschieht unten in der Weise, dass sowohl die Eigenarten, aber auch die Grenzen der staatlichen und privaten Güterbereitstellung untersucht werden. Erst auf dieser Grundlage lassen sich staatliche Verantwortungsstrukturen entwickeln. I L Öffentliche Güter als Rechtsbegriff 1. Öffentliche Güter und Staatsrecht In Staatslehre und Staatsrecht findet man den Begriff des öffentlichen Gutes oder vergleichbare Termini wie Kollektiv- oder Gemeingüter bis vor einiger Zeit eher selten, jedenfalls aber nicht begriffsscharf. Traditionell dominiert das Denken in Kategorien von Gemeinwohl, öffentlichem Inter-
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Die Verwendung der Begriffe Effektivität und Effizienz folgt der im ökonomischen Sprachgebrauch üblichen Unterscheidung. Die Frage der Effektivität betrifft danach die Mittel-Zweck-Relation, inwieweit also vorgegebene Zwecke mit bestimmten Mitteln wirksam realisiert werden können, ohne dass dabei Überflüssiges getan wird. Die Frage der Effizienz thematisiert dagegen die Kosten und den Aufwand, die dabei anfallen. Auch in der Rechtswissenschaft folgt der Effizienzbegriff diesem Grund Verständnis, vergi. H. Eidenmüller, Effizienz als Rechtsprinzip. Möglichkeiten und Grenzen der ökonomischen Analyse des Rechts, 1995, etwa S. 55 ff. und S. 463 ff.
II. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff
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esse und Staatsaufgaben. Verbreitet ist ein Argumentationsmuster, das Güter und Werte in einem austauschbaren Sinn verwendet20. Gebräuchlich ist die Güterterminologie auch im Rahmen der Dreistufenlehre des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 12 GG, ohne dass dabei allerdings klar wird, nach welchen inhaltlichen Maßstäben es diese dreifache Abstufung im konkreten Fall vornimmt. Auf die zugrunde gelegte Qualifizierung und damit Gewichtung kommt es aber für jede Abwägung entscheidend an, denn sie bestimmt maßgeblich das Ergebnis des eigentlichen Abwägungsvorgangs21. Für die Abgrenzung originär staatlicher Aufgaben von Privataufgaben trägt dieses Güterverständnis nichts bei. Ein anderer, eher traditioneller Zugang zu einem möglichen Rechtsbegriff der öffentlichen Güter steht in engem Zusammenhang mit dem öffentlichen Sachenrecht22. Dadurch wird der praktische Anwendungsbereich des Begriffs der öffentlichen Güter als Rechtsbegriff allerdings stark eingeengt. Erst in jüngerer Zeit finden sich einige Ansätze, die sich um größere begriffliche Strenge verbunden mit dem Anspruch eines spezifisch gütergeprägten Verständnisses staatlichen Handelns bemühen23. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff erscheint dabei zunächst in einem heuristischen Sinn. Bezeichnenderweise stehen solche Überlegungen zumeist im Kontext der modernen Gefährdungen, die die natürlichen Lebensgrundlagen, deren Be20 So durchgängig bei P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, etwa S. 6 ff.; weitere Nachweise bei B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, S. 129 (FN 2). Ähnlich bereits R. Smend, Das Recht der freien Meinungsäußerung, in: Staatsrechtliche Abhandlungen, 2. Aufl. 1968, S. 91 ff. Zu Gütern und Werten unten C. II. 8. 21 Vergi, nur B. Schlink, Abwägung im Verfassungsrecht, 1976, S. 152 f., der das Abwägungskonzept deswegen insgesamt für irrational und damit für gescheitert hält. Diese Kritik gilt dann aber auch, worauf P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, S. 330 hinweist, entsprechend für alle Argumentationsstufen der Verhältnismäßigkeitsprüfung. Kritisch zu einer allgemeinen, nicht an verfassungsrechtliche Postulate gebundenen Güterabwägung auch K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rdn. 72. 22 Etwa bei D. Lorenz, NVwZ 1989, S. 812 und bei H Soell, NuR 1985, S. 209; kritisch zu dieser Parallelisierung H. Schulte, VerwArch 1986, S. 400 f. und D. Ehlers, VVDStRL 51, S. 220 sowie M. Fehling, AöR 121, S. 83 ff. 23 D. Murswiek, JZ 1988, S. 991; ders., in: Scholz (Hrsg.), Wandlungen in Technik und Wirtschaft als Herausforderung des Rechts, 1985, S. 67 (110); D. Murswiek, ARSP-Beiheft 71 (1997), Hrsg. R. Gröschner und D. Morlok, S. 208. H. Zacher, Festschrift P. Lerche, 1993, S. 107 ff.; H. Helsper, BB 1992, S. 1505 mit zahlreichen Beispielen; C. Gusy, StWStP 1994, S. 187 und ders., DVB1. 1996, S. 722. Einen grundlegenden Zugang zu einer Lehre der Kollektivgüter aus sozialwissenschaftlicher Sicht eröffnet die Arbeit von H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 96 ff., 224 ff. und 366 ff., der gegenüber der Staatslehre den Vorwurf individualistischer Verengung erhebt (S. 256). Aus juristischer Sicht zum Recht der Gemeinschaftsgüter jetzt C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 429 ff.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
lastungskapazitäten bekanntlich ein knappes Gut sind, und lebenswichtige Umweltqualitäten bedrohen 24 . Obwohl die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen den Blick für die Bedeutung von Gemeinschaftsgütern für die Lebensführung und die Freiheitschancen des Einzelnen entscheidend geschärft hat, dürfen diese begrifflich nicht auf natürliche Gemeinschaftsgüter reduziert werden. Tatsächlich eignet sich das Denken in der Kategorie öffentlicher Güter nicht nur für die Sphäre der natürlichen Lebensgrundlagen oder sonstiger mehr oder weniger vorgegebener Gemeinschaftsgüter 25, um staatliche Leistungen besser sichtbar zu machen 26 . Dies gilt etwa auch für künstlich durch den Staat geschaffene und mit seiner Hilfe erhaltene Kollektivgüter wie funktionierende Vorsorgesysteme gegen die Risiken aus Krankheit oder Alter (Kranken- und Rentenversicherung), aber auch für natürliche Kollektivgüter, die der Staat zwar nicht selbst erzeugt, deren Bewirtschaftung er aber in rechtsverbindlicher Weise übernimmt. Dies wirft die Frage auf, wie öffentliche Güter entstehen und wodurch sie sich von anderen Gütern abgrenzen lassen.
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Ein auf die natürlichen Lebensgrundlagen bezogenes und insofern charakteristisches Verständnis von Gemeinschaftsgütem liegt der von der Max-Planck-Gesellschaft gegründeten Projektgruppe „Recht der Gemeinschaftsgüter" zugrunde. Gemeinsames Charakteristikum dieser materiellen Güter sei, dass sie einem Verteilungsproblem unterliegen, weil sie nur begrenzt der Verfügungsgewalt einzelner Rechtssubjekte (natürliche bzw. juristische Personen oder Staat) zugeordnet werden können, gleichwohl aber das Interesse einer größeren Gemeinschaft an deren Erhaltung und schonender Nutzung besteht, vergi. MPG-Spiegel 4/1996, S. 17; in diesem Sinne bereits D. Murswiek, Öffentliche Güter im innerstaatlichen Recht und im Völkerrecht: Knappheit - Verteilungsgerechtigkeit - Status, (unveröffentlichter Vortrag am 24.10.1994 auf dem Kolloquium der Max-Plank-Gesellschaft zum Thema „Recht der Gemeinschaftsgüter"); C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 429 ff. 25 Der Begriff der Gemeinschaftsgüter darf nicht in einem ökonomistisch verkürzten Sinn verstanden werden. Ein Gemeinschaftsgut ohne materialisierbares Substrat, das sich als ganzes der Verfügung durch einzelne entzieht, stellt etwa auch die Sprache dar. „Die Sprache ist grundsätzlich ein im Gemeingebrauch stehendes Gut.", P. Kirchhof, HStR I, 1987, § 18 Rdn. 15 (S. 750). In gewissem Umfang nehmen staatliche Stellen zwar aktiv Einfluss auf Sprache und Schreibweise, wie dies unlängst bei der umstrittenen Rechtschreibreform auf der Grundlage der „Wiener Absichtserklärung" (Bundesanzeiger vom 31. Oktober 1996, Nummer 205 a) geschah. Sprache undrichtigeSchreibweise werden deswegen aber keinesfalls insgesamt zum staatlich erzeugten Gut, sondern sie bleiben vorstaatliches Gemeinschaftsgut. 26 Vergi. R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 52, die auf die Grundfunktion des öffentlichen Rechts und des Staates überhaupt abstellen, „die vielfältigen horizontalen Konflikte der einzelnen untereinander in eine vertikale Richtung zu bringen und zu einem Kollektivgut zu aggregieren".
II. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff
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2. Zur tatsächlichen Entstehung öffentlicher Güter Die Frage lässt sich auch so stellen: Wie wird eine Sachaufgabe im demokratischen Verfassungsstaat zur Staatsaufgabe und wie kommt es zur staatlichen Bereitstellung bzw. Bewirtschaftung eines öffentlichen Gutes? Einige Deutungsmuster wurden bereits oben im Zusammenhang mit der Aufgabenexpansion des modernen Staates angesprochen27. Ausgehend von der Befassungstheorie wird in vielen Fällen die Kennzeichnung als durch den Staat bereitgestelltes öffentliches Gut keine Schwierigkeiten bereiten, weil der staatliche Handlungsbeitrag gemessen am intendierten Erfolg evident ist. Weniger eindeutig ist dies etwa bei natürlichen Umwelt- bzw. Kollektivgütern, über die niemand alleine abschließend verfügen kann, auf deren Vorhandensein und auf Zugang zu diesen Gütern aber jeder für seine Lebensführung angewiesen ist. Natürliche Gemeinschaftsgüter sind auch ohne staatliche Befassung vorhanden. Das gleiche gilt für abstrakte Gemeinschaftsgüter wie die Sprache, die zwar in begrenztem Umfang zum Gegenstand staatlicher Einwirkung werden kann, ohne deswegen allerdings ihren natürlichen Gütercharakter einzubüßen. Am natürlichen Gemeinschaftsgut der Luft sei der Übergang zum staatlich bewirtschafteten öffentlichen Gut demonstriert. Das natürliche - freie Gut Luft, das überall und für jedermann verfügbar ist, war lange Zeit kein Gegenstand staatlicher Einflussnahme. Erst ihre deutlich spürbare Verschmutzung, eine Reihe von dadurch verursachten Schäden und ein entsprechender Bewusstwerdungsprozess haben die inhaltlichen Voraussetzungen für staatliche Bewirtschaftungsmaßnahmen geschaffen. Viele staatliche Maßnahmen (etwa Immissionsschutz, Wärmedämmwerte, Katalysator) zielen auf die Sicherung und langfristige Erhaltung eines gewissen (Mindest·) Qualitätsstandards von Luft. Zum Gegenstand staatlicher Bewirtschaftung wird dadurch zwar nicht die Luft als solche, die nach wie vor überall frei vorhanden und für jedermann zugänglich, wenn auch wegen der Beschränkung von Verschmutzungsbefügnissen nicht mehr uneingeschränkt verfügbar ist, wohl aber ihre Qualität. Offensichtlich sind bestimmte Umweltstandards, insbesondere Luft-, Wasser-, Klima- und Bodenqualitäten, nicht mehr natürlich im Sinne von im großen und ganzen selbstverständlich und für alle in ausreichender Menge vorhanden. Diese Qualitäten sind vielmehr im Begriff, zur Mangelware zu werden. Ohne besondere Maßnahmen lassen sie sich in weiten Bereichen längerfristig nicht mehr aufrecht erhalten. Das freie, weil weder marktfähige noch staatlich gesteu27
Vergi. Β. III. Die meisten Ansätze in diesem Kontext verbleiben jedoch auf einer deskriptiven Ebene, die die Tatsache der Aufgaben aus weitung zwar beschreiben und auch bewerten, aber deren Ursachen nicht oder jedenfalls nur skizzenhaft erklären.
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erte Gut Luft wird erst durch staatliche Bewirtschaftungsmaßnahmen zur Verbesserung oder Erhaltung seiner Qualitäten zum öffentlichen Gut. Dieser Satz bestätigt zunächst die Befassungstheorie. Rechtschreibregeln, die staatliche Stellen für den Schulunterricht und den Verwaltungssprachgebrauch als verbindlich setzen, sind ähnlich zu beurteilen. Dadurch wird die Sprache jedenfalls in einem Teilsegment, nämlich als in der Schule verbindliche Schreibsprache, zum Gegenstand staatlicher Pflege. Zugleich wirken diese staatlichen Regelungen weit über den Schulbereich hinaus in den gesellschaftlichen Raum hinein. Die formale Betrachtungsweise der Befassungstheorie vermag im Rahmen theoretischer Überlegungen allerdings noch nicht zu befriedigen. Zwar kann sie im Hinblick auf bestimmte Sachaufgaben den Übergang von der privaten (Willkür-) Freiheit, bei der es in das Belieben des Einzelnen gestellt ist, ob und welche Güter er zu welchen Konditionen bereitstellen und wie er mit bestimmten Gütern umgehen möchte, zur Staatsaufgabe definieren. Dagegen werden die Ursachen, die für das Aufgreifen durch den Staat ausschlaggebend waren, bei diesem Ansatz ausgeblendet. In ähnlicher Weise bleiben auch demokratietheoretische Antwortmuster, die auf das Bestehen eines Entscheidungsaktes des demokratisch legitimierten Personals, also vornehmlich der Legislative, und damit auf das Entscheidungsverfahren abstellen, zu stark einer formalen Betrachtungsweise verhaftet. Sie haben keinen inhaltlichen Erklärungswert, warum der Staat gerade diese Güter bereitstellen soll, sondern blenden diese Frage durch den gewählten methodischen Ansatz konsequent aus. Das Beispiel des natürlichen Gemeinschaftsgutes Luft zeigt aber nicht nur, dass freie Güter durch staatliche Befassung zu öffentlichen Gütern werden, sondern es verweist auch auf einen wichtigen sachlichen Grund für die staatliche Befassung. Dieser Grund liegt hier in der faktischen Einschränkung der freien Verfügbarkeit des Gutes für jedermann, in diesem Fall von qualitativ hochwertiger, nicht verschmutzter Luft. Gute Luft wurde zum knappen Gut bzw. die Erhaltung dieses Gutes auch in der überschaubaren Zukunft erschien gefährdet. Knappheit alleine reicht aber als Ursache für die staatliche Befassung offensichtlich nicht aus, um den Übergang zum öffentlichen Gut zu erklären. Die Entstehung öffentlicher Güter bzw. der Übergang zur staatlichen Bewirtschaftung erfordert in einem demokratischen Verfassungsstaat daneben eine gesellschaftlich erhebliche Problemwahrnehmung oder zumindest eine Problemwahrnehmung der betroffenen und interessierten Kreise. Diese Wahrnehmung bedarf der kommunikativen Vermittlung. Erst dann kann sie im demokratischen Prozess in Staatsaufgaben bzw. öffentliche Güter umgegossen werden. Hierfür geben wiederum zahlreiche Faktoren den Aus-
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schlag. Es kann sich um Notsituationen (Katastrophen, Versorgungsengpässe mit lebenswichtigen Gütern) handeln, um bedrohliche Güterverknappungen und entsprechend bei natürlichen Gütern um eine Qualitätsverknappung, aber auch um kulturell als ungerecht oder unzureichend wahrgenommene Sachlösungen, für die kollektive geistige Ressourcen und Bewertungen (etwa Gerechtigkeitsvorstellungen) den Ausschlag geben. Ohne kollektive Problemwahrnehmung, die bei Katastrophen und Risiken 28 mehr, bei gesellschaftspolitisch umstrittenen Themen weniger evident sein mag, wird der Staat, in diesem Fall repräsentiert durch die Politik, in der Regel kaum aktiv. Kollektive Problemwahrnehmung bzw. die Problemwahrnehmung gesellschaftlich relevanter Teilgruppen und ein entsprechender „Leidensdruck" stehen deswegen am Anfang der Entstehung öffentlicher Güter. Hinzu kommen müssen der Wille zu und die Überzeugung von der Notwendigkeit einer Lösung des Problems29. Bei entsprechendem Druck kann sich die Politik in der Dialektik von Betroffenen und Entscheidern der Forderung, endlich tätig zu werden, kaum entziehen30, insbesondere dann nicht, wenn es um kollektiv als erheblich bewertete Risiken geht. Viele, insbesondere auch die Massenmedien, starke gesellschaftliche Gruppen, Protestbewegungen und Betroffene, Experten, die Politik selbst und die Verwaltung haben an der Formulierung dessen, was ein Problem ist und als solches kollektiv wahrgenommen wird sowie an der Festlegung des öffentlichen Meinungsdrucks, der auf die Lösung des betreffenden Problems drängt, maßgeblichen Anteil. Insofern ist die gesamtgesellschaftlich relevante Wahrnehmung kollektiver Probleme zugleich eine Frage der Problemdefinitionsmacht, die, wie nahezu alle anderen Güter auch, ungleich verteilt ist. Welche inhaltlichen Faktoren die kollektive Problemwahrnehmung ihrerseits bestimmen, lässt sich - zumal im Rahmen einer juristischen Theorie öffentlicher Güter - nicht abschließend aufhellen. Problemwahrnehmung resultiert jedenfalls nicht mit Stringenz aus irgendwelchen vermeintlich objektiv gegebenen Grundbedingungen31. Immerhin fließen in diese Wahr28
Insbesondere zu Entstehungsbedingungen und Wahrnehmung von Risiken N. Luhmann, Soziologie des Risikos, 1991; U. Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 65 ff., 150 und 242; M. H enssie r, Risiko als Vertragsgegenstand, 1994, S. 244 ff.; C. Engel, Die Verwaltung 1996, S. 265, 267 f. 29 Für P. Saladin, Wozu noch Staaten, 1995, S. 90 ff., liegt in der Wahrnehmung bestimmter Probleme und in der Überzeugung, dass diese Probleme gelöst werden sollen, die doppelte Wurzel von Staatsaufgaben. 30 N. Luhmann, Soziologie des Risikos, 1991, S. 158, 171 ff. 31 Etwa aus der Kennzeichnung als „Industriegesellschaft", kritisch dazu R. Wahl, in: Dt. Verwaltungsgeschichte Bd. V, K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-C. v. Unruh (Hrsg.), 1987, S. 1202. Maßstäblich für das Wahlverhalten in der Konkurrenz-
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nehmung in ihrer Durchsetzungskraft unterschiedliche Interessen ein, aber auch ethische Standards32 oder religiöse und weltanschauliche Überzeugungen, die ihrerseits verstärkend im Ringen um das stets knappe Gut der kollektiven Aufmerksamkeit wirken, wenn sie bei den Rezipienten der entsprechenden Informationen auf fruchtbaren Boden fallen. Ob dies der Fall ist, dafür sind wiederum vor allem kulturelle Standards im kollektiven Bewusstsein maßgeblich33. Ohne eine erhebliches Maß an gesellschaftlicher Aufmerksamkeit entstehen in der Demokratie jedenfalls kaum neue öffentlichen Güter in der Obhut des Staates. Wo die kritische Schwelle exakt liegt, die die staatliche Befassung letztlich auslöst, lässt sich aus juristischer Sicht wiederum kaum sagen. Soviel erscheint allerdings eindeutig, dass ohne öffentliche Problemwahrnehmung und ohne die Überschreitung der kritischen Schwelle beim Grad der kollektiven Aufmerksamkeit der Staat keine Veranlassung zur Schaffung neuer öffentlicher Güter hat. Die Rückkopplung zu den lebendigen Kräften der Gesellschaft wird an diesem Mechanismus der öffentlichen Güterentstehung deutlich. Im Wettbewerb des politischen Prozesses greifen Politiker die als solche wahrgenommenen Probleme dann auf und verwandeln sie zu Staatsaufgaben 34. Im permanenten Wettlauf um die Gunst der Wähler bzw. einzelner Interessengruppen bleibt der demokratische Staat damit im Grunde auf ständige Aufgabenexpansion angelegt. Da die Aufnahmekapazitäten des Informationsmarktes begrenzt sind und sich regelmäßig auf das Neue konzentrieren, demokratie ist danach vielmehr die Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der Gruppen. 32 P. Saladin, Wozu noch Staaten, 1995, S. 93 ff., betont den ethischen Impetus für die Problemlösung und beruft sich dafür wie bereits in seinem Buch „Verantwortung als Staatsprinzip", 1984, maßgeblich auf Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979, S. 90 ff. 33 Eine besondere Rolle kommt der moralischen Verdichtung der öffentlichen Meinung in an- und abschwellenden „Entrüstungswellen" zu, wobei es eine ganz andere Frage ist, inwieweit diese Wellen das jeweils thematisierte Problem angemessen repräsentieren; dazu R. Münch, Dynamik der Kommunikationsgesellschaft, 1995, S. 232 ff., der auch die dadurch eintretende Inflationierung und Entwertung der öffentlichen Sprache analysiert, S. 112 ff. und S. 214 ff. So dürfte es kaum ein Zufall sein, dass die in traditioneller Verbundenheit zum Wald stehenden Deutschen in Europa das Phänomen des Waldsterbens mit als erste gesamtgesellschaftlich registriert und politisch darauf in einer Weise reagiert haben, der sich keine politische Kraft auf Dauer widersetzen konnte. Die Staatsaufgabe „Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen" ist inzwischen bekanntlich normativ verfestigt und hat als Staatszielbestimmung in Art. 20 a des Grundgesetzes ihren Niederschlag gefunden. 34 Zur Aufgabenentwicklung im demokratischen Staat R. Wahl, in: Dt. Verwaltungsgeschichte Bd. V, K. G. A. Jeserich/H. Pohl/G.-C. v. Unruh (Hrsg.), 1987, S. 1202.
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verspricht die Findung und Erfindung neuer Staatsaufgaben, die sich als Lösung eines gravierenden Problems gerieren können, mehr an Publizität als die korrekte, aber unspektakuläre Erfüllung von wichtigen bestehenden Aufgaben. Wo es allererst darum geht, öffentliche Aufmerksamkeit zu erzielen, haben besonders Aktive einen Vorsprung vor weniger artikulationsstarken Gruppen35. Neben objektiv gegebenen Problemlagen, die unmittelbar nach staatlichem Handeln verlangen, bestimmt so im modernen Verfassungsstaat vor allem das Zusammenspiel aus der Artikulationsstärke von Gruppen, dem erreichten Aufmerksamkeitsgrad in den Massenmedien und den kulturell geprägten Resonanzräumen, die die Rezeption eines Themas im kollektiven Bewusstsein maßgeblich beeinflussen, ob ein Thema zum öffentlichen Thema und das dahinter stehende Sachanliegen irgendwann vielleicht auch zum staatlich hergestellten oder bewirtschafteten Gut wird. Diese Voraussetzungen der Entstehung einer öffentlichen Güterproduktion im Staat bilden lediglich den tatsächlichen Rahmen für die Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat. Die begriffliche Präzisierung muss auf einem anderen Feld gesucht werden. 3. Volkswirtschaftliche Theorieansätze Ein juristisches Verständnis öffentlicher Güterproduktion durch den Staat hat sich zuerst mit den Wirtschaftswissenschaften bzw. Finanzwissenschaften auseinander zu setzen, die die Theorie der öffentlichen Güter in unterschiedlichen Varianten eigentlich formuliert haben36. Andere Wissenschaftszweige haben diesen Terminus aufgegriffen und im Rahmen ihrer Disziplin fruchtbar zu machen gesucht37. Auch in der katholischen Soziallehre 38 und inzwischen ansatzweise im protestantischen Staats- und Wirt-
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Die Artikulationsstärke einer gesellschaftlichen Gruppe wächst dabei nicht mit ihrer Größe. M. Olson , Logik des kollektiven Handelns, 3. Aufl. 1992, hat vielmehr den überproportionalen Einfluss von kleinen Interessengruppen im Vergleich zu Großorganisationen nachgewiesen; ders., Aufstieg und Niedergang von Nationen, 2. Aufl., S. 21 ff. Aus jüngerer Zeit zum Einfluss von Interessengruppen M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 25 ff. 36 Zu den theoriegeschichtlichen Grundlagen M. Olson , Die Logik des kollektiven Handelns, 3. Aufl 1992, S. 98 ff.; zur Privatisierungsproblematik in rechtsökonomischer Hinsicht vergi, die Zusammenstellung der Zugangsmöglichkeiten bei W.-W. Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, S. 36 ff. 37 H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 96 ff., 224 ff., 366 ff.; J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975, S. 299 ff. 38 Ο. v. Nell-Breuning, Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre, 2. Aufl. 1985, S. 182; Rundschreiben Johannes Paul II. „Centesimus An-
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schaftsverständnis 39 hat das Denken in der Kategorie öffentlicher Güter, das hier freilich auf anderen theoretischen Grundlagen beruht, seinen Platz. Die volkswirtschaftlichen Theorien öffentlicher Güter lassen sich allerdings schon deswegen nicht unmittelbar in das juristische Begriffsarsenal übertragen, weil es ihnen letztlich nicht gelungen ist, eine klare Antwort zu finden, wodurch öffentliche Güter, die staatlich angeboten werden sollen40, sich von Privatgütern begriffsscharf unterscheiden. Eine theoretisch eindeutige Zurechnung von Gütern zum privaten oder öffentlichen Sektor vermögen sie nicht zu leisten41. Für die juristische Begriffsbildung sind die Untersuchungen insbesondere von R. A. Musgrave, J. M Buchanan und P. A. Samuelson dennoch nützlich. Grundlegender Anknüpfungspunkt der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse war zunächst die - freilich nicht durchzuhaltende - Unterscheidung auf der Herstellerseite nach der Bereitstellung durch den Markt dann privates Gut - oder durch den Staat bzw. durch kollektive Entscheidung - dann öffentliches Gut 42 . Diese Unterscheidung, die sich der Sache nach mit der staatlichen Befassungstheorie überschneidet, wurde später durch zwei Kriterien präzisiert. Reine öffentliche Güter liegen danach nur dann vor, wenn niemand von ihrem Konsum ausgeschlossen wird (Öffentlichkeit bzw. Nichtausschließbarkeit vom Konsum) und ihr Konsum nicht rivalisiert (Nichtrivalität bzw. Unteilbarkeit; die Grenzkosten für die gleiche Bedürfnisbefriedigung, das heißt ohne Erhöhung des Bereitstellungsniveaus, sind dann null: Für jeden hinzukommenden Konsumenten bleiben die Kosten der öffentlichen Güter-
nus", in: Texte zur katholischen Soziallehre, Hrsg. Bundesverband der katholischen Arbeitnehmer-Bewegung Deutschlands, 8. Aufl. 1992, S. 736. 39 EKD-Denkschrift Gemeinwohl und Eigennutz. Wirtschaftliches Handeln in Verantwortung für die Zukunft, 1992, S. 49 ff. 40 G. Hesse, Staatsaufgaben, 1979, S. 11 ff. und S. 317 ff.; C. Watrin, Staatsaufgaben - die ökonomische Sicht, in: Bitburger Gespräche Jahrbuch 1984, S. 58 f.; H. Zimmermann/K.-D. Henke, Finanzwissenschaft, 7. Aufl. 1994, S. 43, 49 ff.; aus juristischer Sicht ablehnend M. Fehling, AöR 121, S. 85 ff.; P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 87 ff., 183 ff., 200 f. 41 R. A. Musgrave, in: H. Arndt/D. Swatek (Hrsg.), Grundfragen der Infrastrukturplanung für wachsende Wirtschaften, 1971, S. 65: „Es gibt keinen grundsätzlichen ethischen oder sonstigen Unterschied zwischen Privatgütern und Sozialgütern."; G. Hesse, Staatsaufgaben, 1979, S. 13 ff.; K. König, VerwArch 1988, S. 249; H. Lenk/M. Maring, in: K. Bayertz (Hrsg.), Verantwortung. Prinzip oder Problem, 1995, S. 259; kritisch insbesondere zur konstitutionellen Ökonomie J. M. Buchanans: T. Petersen, Der Staat 35, S. 411 ff. 42 P. A. Samuelson/W. D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Makro- und MikroÖkonomie, Bd. 2, 8. Aufl. 1987, S. 453 f.; J. M. Buchanan, The Demand and Supply of Public Goods, 1968, S. 49 ff.
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Produktion stabil)43. Tatsächlich lassen sich wichtige Staatsleistungen mit diesen Merkmalen beschreiben: Innere und äußere Sicherheit, Währungswesen, System der Maße, Gewichte und Normen 44, bis zu einem gewissen Grad öffentliche Straßen sowie - klassisches Lehrbuchbeispiel für den Bereich der Infrastrukturgüter - der Leuchtturm 45. Reine Privatgüter sind dagegen typischerweise Güter für den privaten Konsum. Dazwischen gibt es noch eine ganze Reihe von schwer zuzuordnenden „Mischgütern". Auch viele wichtige Güter, die staatliche Stellen bereitstellen, etwa in den Bereichen Bildung oder Soziales, fügen sich offensichtlich nicht in das strikte Schema entweder öffentliches oder privates Gut. Auch mit dieser Ergänzung bleibt die Unterscheidung nach der Herstellerseite wenig aussagekräftig für die Bestimmung des Gütercharakters. Häufig beruht es auf mehr oder weniger willkürlichen Entscheidungen bzw. auf historisch gewachsenen Tatbeständen, ob ein Gut in privater oder staatlicher Produktion bereit gestellt wird. Gerade das Beispiel der Straßen bzw. des Straßenbaus belegt die theoretische Einsicht, dass die Frage der Herstellung durch Staat oder durch Private nicht begrifflich vorgegeben ist, sondern dass die Bereitstellung dieses Gutes prinzipiell durch private oder durch staatliche Produktion möglich ist 46 . Noch deutlicher wird dies bei Versorgungsleistungen mit Energie oder Wasser. Im Prinzip handelt es sich um Güter für den privaten Verbrauch. Wenn der Staat sie bereit stellt, handelt es sich nach der ökonomischen Theorie der öffentlichen Güter gleichwohl um ein öffentliches Gut. Ob die Güterbereitstellung allerdings in staatlicher oder privater Produktion erfolgen soll, ist danach eine Frage politischer bzw. kollektiver Entscheidung. 43
R. A. Musgrave, P. B. Musgrave, L. Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 2. Aufl. 1978, S. 54 ff. Das Kriterium der Nichtrivalität bzw. Unteilbarkeit des Konsums wird auch unter dem Stichwort der externen Effekte eines Gutes, die allen zugute kommen, diskutiert, vergi. P. A. Samuelson/W. D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Makro- und MikroÖkonomie, Bd. 2, 8. Aufl. 1987, S. 452 ff. und R. A. Musgrave, P. B. Musgrave, L Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 2. Aufl. 1978, S. 70 ff. Insbesondere die Korrektur negativer externer Effekte privater Produktion erfolgt durch die Bereitstellung öffentlicher Güter. 44 Vergi. Ν. Andel, Finanzwissenschaft, 2. Aufl. 1990, S. 387. Vergi, auch F. A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, 1971, S. 288, der insbesondere auf die Bereitstellung von Informationen durch Vermessung, Grundbücher, Statistik etc. hinweist. 45 Ρ. A. Samuelson/W. D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Makro- und MikroÖkonomie, Bd. 2, 8. Aufl. 1987, S. 456. 46 Ein internationaler Vergleich von nach deutscher Tradition klassischen Staatsleistungen wie Post und Bahn würde rasch offenbaren, wie unterschiedlich die Produktionsstrukturen hier in den einzelnen Ländern sind.
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Zu welch seltsamen Ergebnissen das Kriterium der Herstellerseite für die Bestimmung des Gütercharakters führen kann, belegt die staatliche Produktion reiner Konsumgüter unter echten Wettbewerbsbedingungen, bei der der Staat sich wie ein privater Unternehmer auf dem Markt betätigt. Das Herstellerkriterium führt zu dem wenig überzeugenden Schluss, dass der Staat auch hierbei jedenfalls keine rein privaten Güter herstellt. Die ökonomische Theorie öffentlicher Güter bleibt damit ebenso formal und aussagearm wie die Befassungstheorie. Bereits oben wurde darauf hingewiesen, dass es sich alleine auf der Grundlage der Befassungstheorie letztlich nicht erklären lässt, warum ein im staatlichen Eigentum stehendes und im Übrigen rein privatwirtschaftlich geführtes Brauereiunternehmen keine öffentlichen Güter bereit stellen soll. Die Unterscheidung der Güterqualität als öffentliches oder privates Gut im Hinblick auf die Herstellerseite verschwimmt noch stärker, wenn man die private Güterproduktion einbezieht. Stellt man alleine auf die Kriterien der Nichtausschließbarkeit und der Nichtrivalität des Konsums ab, können umgekehrt nämlich auch Private öffentliche Güter bereit stellen. Entschließt sich etwa eine private Fischereigenossenschaft zur Errichtung eines Leuchtturmes, von dem wiederum alle profitieren, handelt es sich danach um ein öffentliches Gut. Damit stoßen die ökonomischen Theorien öffentlicher Güter an die Grenzen ihres eigenen Erklärungswertes. Sie vermögen mit dem bisherigen Begriffsarsenal weder klar zwischen der privaten und der staatlichen Produktion öffentlicher Güter zu unterscheiden noch präzise zu klären, ob private oder staatliche Güterproduktion erfolgen soll. Dieser Unterschiede sind aber für eine juristische Theorie öffentlicher Güter offensichtlich von entscheidender Bedeutung. Eine zweite Schwierigkeit im Hinblick auf die Konsistenz der Qualifikationskriterien von Nichtausschließbarkeit und Nichtrivalität wird am Beispiel der öffentlichen Straße deutlich. Eine wachsende Nachfrage nach dem öffentlichen Gut Straße, etwa durch steigende Kraftfahrzeugzulassungszahlen, führt zu Überfüllung und damit zur Rivalität des Konsums, wenn das Angebot die Nachfrage übersteigt und der Verkehr wegen Staus lahmgelegt wird 47 . Dadurch verliert das öffentliche Gut Straße seinen Charakter als reines öffentliches Gut. Der Gütercharakter erweist sich damit nicht als stabil, sondern er kann sich jedenfalls bei bestimmten öffentlichen Gütern nachfrageabhängig verändern 48. 47 Zum Phänomen der Überbeanspruchung öffentlicher Güter, deren Kapazität durchweg begrenzt ist, P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 90 und S. 231 zur Rationierung über Mengenbeschränkung (Kontingentierung) oder über die Erhebung von Entgelten (Steuern, Gebühren).
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Das betreffende Gut wird deswegen allerdings nicht gleich zum Privatgut, sondern es rangiert irgendwo zwischen den begriffsreinen Güterqualitäten öffentlich oder privat. Tatsächlich übersteigt bei einer ganzen Reihe von staatlich angebotenen Gütern die Nachfrage ihre Bereitstellung, wie die Vergabe von Lizenzen oder Studienplätzen belegen. Es ist deswegen üblich, von sog. Mischgütern zu sprechen 49. Ausgehend von den beiden Kriterien Nichtausschluss und Nichtrivalität lassen sich innerhalb der Mischgüter wiederum zwei Gruppen unterscheiden. Beim Konsumausschluss ohne Rivalität im Konsum findet sich die Bezeichnung Mautgüter (Beispiele: unausgelastete Mautstraßen; Studienplätze ohne Studienplatzbeschränkung); bei der Rivalität im Konsum ohne Konsumausschluss die Bezeichnung Allmendegüter (Beispiel: verstopfte Straße in der Innenstadt oder knappe Parkplätze) 50 . Auch bei diesem gängigen Schema bleibt die Zuordnung einzelner Güter allerdings unklar bzw. wenig überzeugend 51. Ungeachtet der Schwierigkeiten einer klaren begrifflichen Abgrenzung der Übergänge von einem öffentlichen zu einem privaten Gut im Rahmen 48
R. A. Musgrave, P. B. Musgrave, L. Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 2. Aufl. 1978, S. 70 ff., S. 65 f. 49 Ein weiteres Beispiel ist die Pockenimpfung ( = individueller Schutz, damit Privatgut) bzw. der Schutzstandard für alle ( = öffentliches Gut), der durch Pockenimpfung erreicht wird, vergi. H. Zimmermann/K.-D. Henke, Finanzwissenschaft, 7. Aufl. 1994, S, 46. Von diesem kollektiv hohen Schutzstandard profitieren wiederum alle diejenigen, die persönlich die mit einer Impfung verbundenen Risiken nicht eingehen wollen, denn die Chancen einer Infektion sind insgesamt erheblich verringert. 50 Zum ganzen C. B. Blankart, Öffentliche Finanzen in der Demokratie, 1991, S. 47 ff. (56) im Anschluss an R. A. Musgrave. Musgrave hat darüber hinaus die Unterscheidung meritorischer und demeritorischer Güter eingeführt, die aber mit der Unterscheidung öffentlicher und privater bzw. Mischgüter nichts zu tun hat, R. A. Musgrave, P. B. Musgrave, L. Kullmer, Die öffentlichen Finanzen in Theorie und Praxis, Bd. 1, 2. Aufl. 1978, S. 78. Auch wenn die Deutung dieser Güterklasse nicht eindeutig ist, vergi. Ν. Andel, Finanzwissenschaft, 2. Aufl. 1990, S. 385 ff., dürfte es dabei aus juristischer Sicht um unterschiedliche Formen der staatlichen Einflussnahme auf individuelle Konsumentscheidungen (Präferenzen) durch positive (Subventionen) oder negative (Steuern, Gebühren, Aufklärungen, Warnungen) staatliche Steuerungselemente gehen, vergi, dazu H. Zimmermann/K-D. Henke, Finanzwissenschaft, 7. Aufl. 1994, S. 49. 51 Verdeutlicht sei dies am Beispiel von Studienplätzen mit Studienplatzbeschränkung, bei denen die Nachfrage das Angebot übersteigt und mithin Rivalität im Konsum herrscht. Andererseits ist der Ausschluss vom Konsum durch staatliche Zulassungsentscheidung möglich, so dass es sich bei der Vergabe knapper Studienplätze nach dem genannten Schema eigentlich um ein Privatgut handelt. Das Beispiel belegt, dass volkswirtschaftliche Theorieansätze ohne Berücksichtigung der maßgeblichen und ganz unterschiedlichen Gründe für den jeweiligen Konsumausschluss (etwa Marktmechanismen oder rechtlich gelenkte Entscheidungen) schon in ihrem Erklärungswert unzureichend bleiben.
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einer ökonomischen Theorie öffentlicher Güter ist auch für eine rechtstheoretische Begründung die Einsicht wichtig, dass es im Staat Güter gibt, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann, weil sie sich nicht aufteilen lassen. Nicht ausschlussfähige Güter sind nicht marktfähig, weil sich für sie kein Preis erzielen lässt. Mit dem Kriterium des Nichtausschlusses bzw. der Unteilbarkeit des Konsums lassen sich eine ganze Reihe staatlicher Leistungen eindeutig als öffentliche Güter qualifizieren, ohne dass diese Güter alternativ durch bzw. für den Markt produziert werden könnten. Damit ist zunächst nur etwas über deren Struktur, nicht aber über die Notwendigkeit ihrer Produktion durch den Staat gesagt. Zentrale Anwendungsfälle für solche Güter sind insbesondere hochkomplexe Staatsleistungen wie äußere oder innere Sicherheit52. Deren Gütercharakter bedarf aus juristischer Sicht allerdings noch näherer Untersuchung. Schließlich sind eine Reihe öffentlicher Güter in diesem strengen Sinn zwar keine Wirtschaftsgüter, aber aus rechtlicher Sicht gleichwohl von großer Bedeutung. Gemeint sind damit die natürlichen öffentlichen Güter, die weder durch den Staat noch durch Private bereitgestellt werden. Vorrangig geht es dabei um die eigentumsrechtlich nicht eindeutig und manchmal gar nicht zuzuordnenden natürlichen Lebensgrundlagen, insbesondere um Umweltgüter und -qualitäten. Auch wenn Private und der Staat diese Güter nicht bereitstellen, nehmen sie auf deren Bestand in unterschiedlicher Weise Einfluss. 4. Komplexe öffentliche Güter Die juristische Theorie öffentlicher Güter stimmt im Ausgangspunkt mit dem formalen Ansatz der Befassungstheorie und dem herstellerorientierten Ansatz der ökonomischen Theorien öffentlicher Güter durchaus überein. Bezugspunkt ist zunächst das Subjekt der Güterproduktion. Dabei ist allerdings von dem empirischen Befund auszugehen, dass gerade hochkomplexe öffentliche Güter sich bei näherer Betrachtung häufig nicht auf den idealtypischen Gegensatz von entweder staatlicher oder privater Produktion reduzieren lassen. Tatsächlich entstehen viele öffentliche Güter in Koproduktion von staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren. Offensichtlich ist dies für diejenigen Handlungsformen, bei denen die staatliche Steuerung nicht mit hierarchischen Mitteln operiert, sondern sich eher
52
Die Gewährleistung äußerer und innerer Sicherheit hat bereits A. Smith, Der Wohlstand der Nationen, 1974, S. 582 beim Staat und seiner spezifischen Steuerung durch Recht verortet.
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auf der Ebene von Kooperation und Aushandeln durch informelle Instrumente bewegt. Umgekehrt ist die private Güterbereitstellung auf einen zumal in einer komplexen Industriegesellschaft - umfänglichen staatlich geschaffenen und garantierten Rahmen ordnungsrechtlicher und infrastruktureller Art angewiesen. Erst im Zusammenspiel dieser fundamentalen Produktionsbedingungen wird private Güterproduktion in weiten Teilen überhaupt ermöglicht. Selbst im Bereich von traditionell hierarchischem staatlichem Verwaltungshandeln setzen sich öffentliche Güter nicht selten als Gesamtresultat aus der Summe vielfältiger Einzelleistungen von staatlichen und privaten Akteuren und im einzelnen schwer fassbaren Wechselwirkungen zwischen beiden zusammen53, die mit der Theorie der externen Effekte besser erklärt werden können. So ist es eine unzulässige Verkürzung, das öffentliche Gut der inneren Sicherheit lediglich als eine ausschließlich staatliche Schutzleistung zu betrachten. Tatsächlich stellt sich die Produktionsstruktur des komplexen öffentlichen Gutes innere Sicherheit sehr viel komplizierter dar. Der Staat beherrscht die Ergebnisse dieses Bereitstellungsvorgangs weitaus weniger, als häufig unterstellt wird 54 . In das Gesamtresultat, das wir mit dem Prädikat einer stabilen inneren Sicherheitslage bezeichnen, gehen gerade auch vielfältige private Leistungen ein. Ein wichtiger privater Beitrag für die Herstellung dieses Gutes ist der im Letzten nicht oder doch nur in Einzelfällen erzwingbare individuelle Rechtsgehorsam55. Der Leistung des Rechtsgehorsams durch die vielen Einzelnen kommt für das öffentliche Gut der inneren Sicherheit geradezu die Qualität einer „conditio sine qua non" zu.
53
Das Zusammenwirken von privaten und staatlichen Akteuren als Fundamentalbedingung staatlicher Güterproduktion ist nicht zu verwechseln mit der Suche nach staatlichen Steuerungsmöglichkeiten unter veränderten Bedingungen, dazu Η.Ή. Trute, DVB1. 1996, S. 963 f. 54 So zu Recht H.-H. Trute, DVB1. 1996, S. 955. 55 Zu dieser Innensteuerung als Voraussetzung einer funktionierenden Rechtsordnung J. Braun, Freiheit Gleichheit Eigentum, 1991, S. 164 ff. Ausdrücklich normiert hat die Treuepflicht gegenüber Staat und Verfassung und die Pflicht zur Gesetzesbefolgung die Landesverfassung Rheinland-Pfalz (Art. 20). P. Häberle, Europäische Rechtskultur, 1994, S. 327 erkennt darin das angemessene Gegenstück zum allgemeinen Freiheitsrecht des Art. 2 Abs. 1 GG und betont, dass auch der einzelne Bürger Gemeinwohlkompetenz besitzt (S. 335). Zur Treuepflicht des Bürgers auch R. Stober, Der Rechtsstaat in der Rechtsetzungsfalle, in: K. Stem (Hrsg.), Vier Jahre Deutsche Einheit, S. 94. Stober fordert deswegen eine staatliche Rechtserziehung; ähnlich R. Mussgnug, VVDStRL 48, S. 161 f. (Diskussionsbeitrag): „Erziehung zur Rechtstreue". C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 465 betont, dass „die Bereitschaft der Menschen, sich nur deswegen an Regeln zu halten, weil sie gelten, eine (sehr) knappe Ressource" ist. 14 Gramm
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Erst die Summe dieser Einzelleistungen, für deren Erbringung der Staat seinerseits einiges tun muss, führt zu dem positiven externen Effekt einer Stabilisierung der inneren Ordnung als Ganzes56, der mit der Handlungsmotivation des Einzelnen nicht unbedingt intendiert sein muss. Dieser externe Effekt entsteht dabei weder zufällig noch als willkommenes Abfallprodukt des individuellen Rechtsgehorsams, sondern ohne ihn kommt das Kollektivgut öffentliche Sicherheit überhaupt nicht zustande. Innere Sicherheit ist tatsächlich ein kollektives Produkt, das sich erst aus der Summierung des rechtstreuen Verhaltens der einzelnen Rechtsunterworfenen und spezifischer staatlicher Schutz- und Sanktionsleistungen in den Fällen mangelnden Rechtsgehorsams aufbaut 57. Den staatlichen Handlungsbeiträgen kommt damit ihrerseits die Qualität einer „conditio sine qua non" zu. Der erzielte externe Gesamteffekt lässt sich dabei nicht als schlichter Additionsvorgang deuten, bei dem das Resultat des Ganzen sich atomistisch zerlegen und exakt auf die Leistungen der Einzelnen rückbeziehen lässt. In der Summe entsteht vielmehr eine Art Mehrwert, der als stabiler innerer Frieden oder intakte innere Ordnung bezeichnet werden kann. In seinen Aus- oder besser Rückwirkungen kommt das öffentliche Gut der inneren Sicherheit dabei wiederum dem Einzelnen als stabiler Bezugsrahmen für die eigene Lebensplanung und Lebensführung zugute. Der Zusammenhang zwischen der erfolgreichen Bereitstellung des öffentlichen Gutes Sicherheit und der Schaffung von Handlungsspielräumen für den Einzelnen durch ein relativ 58 großes Maß an Berechenbarkeit und Zuverlässigkeit von bestimmten äußeren Lebensbedingungen ist evident. Das Kollektivgut, an dessen Hervorbringung nicht nur der Staat, sondern jeder Rechtstreue einen minimalen, aber in der Summe unverzichtbaren Anteil hat, wirkt so auf den individuellen Freiheitsrahmen erweiternd zurück 59. Dass 56
J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, 1984, S. 154 ff. Das Kooperationsprinzip ist daher keine Besonderheit des Umweltrechts, sondern - mit Unterschieden im Detail, was den Kooperationsgrad Privater betrifft ein grundlegendes Strukturprinzip bei der Herstellung komplexer öffentlicher Güter; zum umweltrechtlichen Kooperationsprinzip M. Kloepfer/E. Rehbinder/E. SchmidtAßmann,, Umweltgesetzbuch - Allgemeiner Teil, Berichte 7/90 des Umweltbundesamtes, 2. Aufl. 1990, S. 155 ff. 58 Diese Einschränkung ist erforderlich, weil es ein absolutes Maß an Sicherheit nicht gibt. 59 Der Mechanismus der Summierung positiver externer Effekte individuellen Verhaltens zu einem kollektiven Gut stellt das Gegenstück zu negativen Summierungseffekten dar, wie sie aus dem Bereich der Umwelt- und Klimaschäden bekannt sind (Summationsschäden). Für eine juristische Theorie öffentlicher Güter ist die Einsicht zentral, dass dieser Mechanismus in beiderlei Richtung funktioniert, positiv wie negativ. 57
II. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff
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diese Rechtstreue von allen oder doch der ganz großen Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger freiwillig geleistet wird, erweist sich damit als eine Bedingung der Möglichkeit der Geltung von Recht und von Freiheit für den Einzelnen. Sie ist der notwendige gesellschaftliche und nur begrenzt erzwingbare Beitrag für die stabile Bereitstellung des allen gemeinsamen Gutes und damit eine wichtige kollektive Voraussetzung für die individuelle Freiheit aller 60 . Aus güterbezogener Perspektive werden damit die gesellschaftlichen Bedingungen, unter denen Private freiwillig und in ausreichender Zahl die erforderlichen moralischen Leistungen wie Normakzeptanz und Normgehorsam erbringen, um die staatliche Produktion öffentlicher Güter zu gewährleisten, selbst zum Gegenstand der Theorie 61. Der hier beschriebene Rückwirkungsmechanismus gilt bekanntlich auch noch für denjenigen, der selbst - etwa als Dieb - gegen das Recht verstößt. Den ungestörten Genuss der Diebesware kann er überhaupt nur deswegen mit Fug und Recht erwarten, weil er auf den Bestand der inneren Rechtsund Friedensordnung vertrauen darf: dass ihm nicht ein anderer die gestohlene Ware seinerseits jederzeit entwendet oder zumindest nicht ungestraft entwenden darf, wenn dieser nur stark genug dazu ist. Wird der Rechtsgehorsam dagegen in größerer Zahl oder gar massenhaft aufgekündigt, bricht die innere (Rechts-) Ordnung jedenfalls insoweit zusammen, wie die kollektive Rechtsverweigerung reicht 62. 60
Insofern geht es der juristischen Theorie öffentlicher Güter auch um eine „Konzeption des gemeinsamen Guten", vergi, dazu P. Selznick, Der Staat 34, S. 487 ff. 61 Dass der Staat seinerseits auf die Grundhaltung der Bürger einschließlich ihrer inneren Bereitschaft zum Rechtsbefolgungsgehorsam nicht ohne jeden Einfluss ist, sondern über das staatliche Erziehungs- und Bildungssystem oder über seine maßgeblichen Repräsentanten in der Öffentlichkeit in vielfältiger Weise darauf gestaltend einzuwirken sucht, widerlegt diese Überlegungen nicht, sondern belegt nur das Angewiesensein des Staates auf die private Mitwirkungsbereitschaft der Bürger bei der effektiven Herstellung von innerem Frieden in einem Rechtsstaat. 62 Wenn rote Fußgängerampeln massenhaft nicht mehr respektiert werden, bleibt dies auf Dauer nicht ohne Auswirkung zumindest auf die faktische Rechtsgeltung. Recht, an das sich keiner mehr hält, ist irgendwann kein Recht mehr, sondern obsolet. Die Zwangstheorien der Rechtsgeltung stoßen hier schon aus dem Grund knapper Rechtsverfolgungsressourcen an die Grenzen des Erzwingbaren. Es ist einfach nicht möglich, an jede Fußgängerampel einen Polizisten zu stellen. Ohne die ganz überwiegend funktionierende, letztlich freie Anerkennung des Rechts und einer entsprechend wirksamen Binnensteuerung kann keine Rechtsordnung Bestand haben. Das Problem der Fußgängerampel spiegelt sich aktuell in der Schwierigkeit, das Massenphänomen der Bagatellekriminalität mit den Mitteln des Strafrechts in den Griff zu bekommen. Die massenhafte Aufkündigung des Rechtsgehorsams stellt die Rechtsordnung vor erhebliche Schwierigkeiten, wie nämlich der Geltungsanspruch des Rechts mit den Mitteln des Staates dennoch verwirklicht werden kann. Zuneh1
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Hinzu kommt, dass das Produkt innere Sicherheit selbst eine durchaus unscharfe, dem historischen Wandel unterliegende Größe darstellt. Welche Sicherheitslage gesellschaftlich als ausreichend angesehen wird, unterliegt erheblichen Schwankungen. Die aufgezeigte Komplexität der Produktionsstruktur schmälert allerdings keineswegs den staatlichen Beitrag zur Schaffung von innerer Sicherheit. Sie belegt allerdings, dass auch in Bereichen traditionell hierarchischer staatlicher Steuerung notwendigerweise Elemente des Zusammenspiels zwischen Staat und Gesellschaft existieren. Durch die Feststellung des privaten Produktionsanteils am Gut der inneren Sicherheit verliert dieses insbesondere nicht seinen Charakter als öffentliches Gut im juristischen Sinn; auch Mischgüter sind unter staatlicher Beteiligung entstandene öffentliche Güter. Es stellt sich jedoch unter staatstheoretischer Perspektive die Frage, worin das begrifflich staatliche Produktionselement bei der Bereitstellung öffentlicher Güter bestehen kann, wenn es über die bloße Befassung mit einem Sachgegenstand hinausgehen soll. Im Rahmen einer juristischen Theorie öffentlicher Güter kommt es dafür entscheidend auf die Art und Weise der Verteilung des Gutes an seine potentiellen Abnehmer, oder, spiegelbildlich dazu aus der Abnehmerperspektive formuliert, auf die rechtliche Ausgestaltung des individuellen Zugangs zu einem Gut an, um dieses als öffentlich oder privat einzustufen. 5. Staatliche Regulierung des Güterzugangs a) Zugangs- und Bewirtschaftungsregulierung durch Recht
Staatliche öffentliche Güter in einem juristisch greifbaren Sinn unterscheiden sich dadurch von staatlich und von privat produzierten Privatgütern, dass ihre Bereitstellung, ihre Bewirtschaftung 63 und damit der Zugang für den potentiellen Nutzer durch staatliches Recht bzw. durch rechtlich geprägte Verteilungsmaßstäbe reguliert wird und nicht über den Preis 64, mend diskutiert werden deswegen Formen der Diversion, insbesondere auch die Polizeidiversion, die nicht nur faktisch, sondern auch rechtlich einen Schritt in Richtung Entkriminalisierung darstellt, da ein polizeiliches Verwarnungsgeld etwas anderes ist als Kriminalstrafe. 63 Im Unterschied zum Privatrecht gibt das öffentliche Recht Ziele vor, vergi. W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnung, 1996, S. 269. 64 Es ist deswegen nicht ausgeschlossen, dass ein Bürger, um in den Genuss des betreffenden öffentlichen Gutes zu kommen, zunächst einen Preis (Gebühr) bezahlen muss. Dieser Preis ist allerdings kein Marktpreis, sondern seinerseits ein durch
II. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff
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über privat gesetztes Recht oder über andere private Verteilungsmaßstäbe. Zur rechtlichen Zugangsregelung gehört die Festlegung des zugangsberechtigten Personenkreises und die Festlegung der Zugangsvoraussetzungen, wobei diese beiden Strukturelemente sich nicht immer trennscharf auseinanderhalten lassen 65 . Entscheidendes formales Abgrenzungskriterium ist damit die spezifische staatliche Handlungsform des Rechts, die den Güterzugang 66 bzw. die Entscheidung über den jeweiligen Güterzugang regelt 67 . Soweit der Staat wie ein privater Unternehmer unter echten Wettbewerbsbedingungen Güter für den Markt herstellt, ohne damit rechtlich gesteuerte Verwaltungsaufgaben zu verfolgen, stellt er deswegen keine öffentlichen Güter, sondern Privatgüter in staatlicher Produktion bereit. Schon deswegen lässt sich der Begriff öffentlicher Güter nicht auf den formalen Gesichtspunkt der Produktion durch den Staat reduzieren, wie dies die Befassungstheorie tut, sondern er bedarf zusätzlicher begrifflicher Eingrenzungen. Sobald der Güterkonsum bzw. die Entscheidung über den Zugang zum Genuss eines jedenfalls auch unter staatlicher Mitwirkung produzierten
rechtliche Maßstäbe festgelegter und gerechtfertigter Preis. Seine Bildung unterliegt rechtlich nachprüfbaren Maßstäben. Anders dagegen, wenn der Staat als echter Unternehmer tätig wird und die Preisbildung - etwa als Brauereiunternehmer - alleine unter Marktkonditionen stattfindet. 65 D. Murswiek, ARSP-Beiheft 71 (1997), Hrsg. R. Gröschner und D. Morlok, S. 217 hebt hervor, dass der Staat auch über die Zuteilung von Befugnissen zur Nutzung der knappen öffentlichen Umweltgüter nach sachgerechten Gesichtspunkten im Interesse der Allgemeinheit zu entscheiden hat. 66 Dagegen würde die rechtliche Regulierung der Produktionsbedingungen kein geeignetes Abgrenzungskriterium darstellen, weil nicht nur staatliche, sondern auch private Produktionsvorgänge einer Fülle von rechtlichen Vorgaben und Beschränkungen unterliegen. 67 Auch auf dieser theoretischen Grundlage gibt es Grenzbereiche, wenn das Maß rechtlicher Bindung für die staatliche Seite bei der Entscheidung über die Eröffnung des Güterzugangs stark reduziert ist. Problemfall ist vor allem § 54 der Verwaltungsverfahrensgesetze. Danach kann ein öffentlich-rechtlicher Vertrag begründet, geändert oder aufgehoben werden, soweit Rechtsvorschriften nicht entgegenstehen. In der Literatur wird deswegen bereits die Auffassung vertreten, dass dadurch eine an die privatrechtliche Vertragsfreiheit weitgehend angenäherte verwaltungsrechtliche Vertragsfreiheit entsteht, D. Göldner, JZ 1976, S. 358; behutsamer H. Maurer, DVB1. 1989, S. 798 ff. Zwar mögen die rechtlichen Maßstäbe für die Zugangsgestaltung hier lockerer sein; ungeachtet solcher größeren Freiheitsräume der Verwaltung findet aber eine Freizeichnung von rechtlichen Bindungen nicht in mit privaten Akteuren vergleichbarer Weise statt. Zumindest verfassungsrechtliche Überlagerungen, insbesondere die unmittelbare Bindung an die Grundrechte, bleiben im Gegensatz zu privaten Verteilungs- bzw. Zugangsentscheidungen bestehen. Dies gilt selbst für das Verwaltungsprivatrecht, vergi, nur M. Bullinger, Festschrift F. Rittner, 1991, S. 85.
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Gutes durch staatliches Recht reguliert wird, handelt es sich um ein öffentliches Gut. Das Recht auf Zugang unter gleichen Voraussetzungen für alle kommt auch denjenigen zugute, die bei einem entsprechenden Bereitstellungsvorgang des gleichen Gutes durch Private nicht über die erforderlichen Mittel verfügen, um ihren eigenen Zugang zu dem betreffenden Gut zu sichern. Das Festhalten am Kriterium staatlicher Bereitstellung im Sinne der Befassungstheorie ist erforderlich, da andernfalls eine Abgrenzung zur privaten Güterbereitstellung nicht in allen Fällen möglich ist. Zum einen nehmen rechtliche Regelungen in beachtlichem Umfang auch auf die privatautonome Güterverteilung Einfluss. Das Privatrecht enthält zahlreiche Zugangsbedingungen für die Bereitstellung privater Güter, etwa im Gesetz über allgemeine Geschäftsbedingungen. Dessen ungeachtet verbleibt im Privatrecht in der Regel ein breiter Korridor für autonome Verteilungs- bzw. Zugangsentscheidungen bei der Güterbereitstellung. Rechtliche Zugangsregulierung organisiert die Verteilung öffentlicher Güter. Zugangsregulierung durch staatliches Recht zu öffentlichen Gütern besteht dabei regelmäßig aus zwei Elementen. Erstens: Ausschluss vom Verteilungsmechanismus des Marktes oder anderer privater Verteilungsmechanismen, zweitens, rechtliche Regelung des Zugangs, sei es durch die rechtliche Garantie des freien Zugangs für jedermann, sei es durch rechtliche Zugangs- bzw. Nutzungsbeschränkungen. Öffentliche Güter sind in beiden Fällen Gegenstand staatlicher Verteilungsentscheidung mit dem Unterschied, dass bei der ersten Alternative mangels Knappheit keine Zugangsprobleme bestehen. Dies gilt insbesondere für reine öffentliche Güter im ökonomischen Sinn. Auch Straßen können im Rahmen des Gemeingebrauchs ohne besondere Zugangsvoraussetzungen genutzt werden. Die Tatsache, dass der Güterzugang hier faktisch keine Probleme aufwerfen mag, weil er prinzipiell für alle in gleicher Weise gesichert ist, bedeutet indessen nicht, dass der Zugang und die Frage der Zugangsberechtigung rechtlich nicht regelungsbedürftig wären. Bei der zweiten Alternative besteht dagegen ein Verteilungs- und damit ein rechtliches Zugangsproblem. Dies muss nicht unbedingt bedeuten, dass das Gut, um dessen Verteilung es geht, tatsächlich ein knappes Gut ist 68 . Erforderlich ist die Festsetzung der Verteilungskriterien, nach denen der rechtlich einwandfreie Zugang zu ihnen erfolgt. Dies ändert nichts am prinzipiell gleichen Zugang, den das Recht unter den entsprechenden Voraussetzungen für alle sachlich Betroffenen in gleicher Weise eröffnet. Im Ein68 Das Beispiel der Straßen mag dies verdeutlichen: Öffentliche Straßen gibt es im Prinzip genug, dennoch bedarf derjenige, der sie mit einem Auto befahren möchte, einer Fahrgenehmigung, die erst den rechtlich einwandfreien Zugang zum öffentlichen Gut Autostraße eröffnet.
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zelfall kann der zugangsberechtigte Personenkreis allerdings sehr klein sein. Entscheidend ist auch hierbei, dass der Ausschluss der Zugangsberechtigten nicht willkürlich erfolgen darf, sondern nur nach Maßgabe des rechtlich Gebotenen bzw. Erlaubten. Durch das Abstellen auf das formale Kriterium der staatlichen Zugangsregulierung durch Recht zur Bestimmung eines öffentlichen Gutes lässt sich auch der Wechsel des Gütercharakters in den Griff bekommen. Wenn im Zuge einer materiellen Privatisierung kein Rest eines staatlichen Zugriffs mehr bleibt und das betreffende Gut nunmehr ausschließlich durch Private über den Markt bereitgestellt wird, entfällt die staatliche Zugangsregulierung. Dadurch verwandelt sich das Gut zum Privatgut, möglicherweise auch zum privat bereitgestellten öffentlichen Gut. Es verliert jedenfalls seinen Charakter als staatlich bereit gestelltes öffentliches Gut. So ist die Nutzungsmöglichkeit eines städtischen Schwimmbades, für dessen Besuch auf der Grundlage einer dem Äquivalenzprinzip entsprechenden Satzung eine nach Lebensalter und individueller Lebenssituation differenzierte Benutzungsgebühr erhoben wird, ein staatliches öffentliches Gut. Wird das gleiche Schwimmbad dagegen nach rein wirtschaftlichen Maßstäben in Form einer GmbH betrieben, die sich ausschließlich über die erzielten Eintrittsgelder oder anderweitige Nutzungsentgelte finanzieren muss, ohne dass diese Eintrittsgelder durch das öffentliche Recht festgelegt werden, ist seine Nutzung bzw. die Möglichkeit seiner Nutzung kein staatlich-öffentliches Gut mehr. Dabei kommt es weder darauf an, ob es sich um eine GmbH in städtischem oder in privatem Eigentum handelt noch darauf, ob ein Privateigentümer seinerseits gestaffelte Tarife für Kinder und Erwachsene einräumt. Dieser Aspekt verdeutlicht, dass der verfolgte Zweck des Schwimmbadbetriebes kein unterscheidungsrelevantes Kriterium darstellt. Sozialfreundliche Tarife und Zwecke sind zwar prinzipiell kein Privileg des Staates. Allerdings unterliegen Private dabei den Grenzen des Wettbewerbsrechts. Maßgeblich für die Abgrenzung ist die spezifisch rechtliche und damit zumindest mittelbar demokratisch legitimierte Regulierung des Zugangs. Dies gilt auch dann, wenn - um beim Beispiel zu bleiben - das Schwimmbad zwar im Privateigentum steht, der Staat aber den Zugang jedenfalls im Hinblick auf ein bestimmtes Mindestniveau für alle in gleicher Weise durch gesetzliche Vorgaben regelt. Nach der Privatisierung der Post ist dies bei der Versorgung mit Postdienstleistungen der Fall, die flächendeckend in angemessenem und ausreichendem Umfang zu erfolgen haben. Dieser materielle Mindestversorgungsstandard, den das staatlich gesetzte Recht festschreibt und für jedermann sichert 69, ist damit ein staatlich-öffentliches 69
„Gebot der Versorgungssicherheit", C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 455.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Gut, nicht aber die Dienstleistung, die ein Privater erbringt. Staatlich-öffentliche Güterbereitstellung kann damit grundsätzlich auch durch die ergänzende Inpflichtnahme Privater erfolgen. Kein hinreichendes Kriterium für die Bestimmung eines öffentlichen Gutes ist dagegen alleine seine materielle Bedeutung. Versuche, die ausschließlich über die inhaltliche Bedeutung eines Gutes auf dessen Charakter als staatlich-öffentliches Gut zurück schließen, sind weitgehend zum Scheitern verurteilt. Es gibt überaus wichtige Güter, wie zum Beispiel das sprichwörtliche tägliche Brot, deren Bereitstellung und Verteilung der Staat nicht organisiert, jedenfalls solange nicht, wie Brot in ausreichender Menge für alle vorhanden ist und die Verteilungsmechanismen des Marktes funktionieren. Der Güterzugang ist rechtlich nicht in spezifischer Weise geregelt. Die staatliche Regulierung des abstrakten Kaufvorgangs stellt keine spezifische Regulierung des Güterzugangs zum Produkt Brot dar, sondern ein selbständiges öffentliches Gut, das der Staat als Ordnungsrahmen für Kaufvorgänge jeglicher Art bereit stellt. Dies schließt freilich andere staatliche Vorgaben für die Herstellung von Brot und von anderen Produkten oder bestimmte Kennzeichnungspflichten nicht aus. Zum staatlich-öffentlichen Gut wird dadurch aber weder die Herstellung als solche noch die Verteilung des Brotes, sondern nur bestimmte rechtsverbindliche Produktionsstrukturen, die der Sicherung eines bestimmten Mindestqualitäts- und Informationsstandards dienen. Auch eine Reihe von natürlichen Lebensgrundlagen, die in wirtschaftstheoretischen Zusammenhängen häufiger als Kollektivgüter bezeichnet werden, sind zum Gegenstand staatlich-öffentlicher Güterbereitstellung bzw. Bewirtschaftung geworden. Dabei geht es allerdings nicht um eine unmittelbare Verknappung von und einer entsprechenden Zugangsbeschränkung zu diesen natürlichen Gütern, sondern - wie oben bereits gezeigt um die Verknappung von bestimmten Eigenschaften (Belastungskapazitäten) und damit von Qualitäten auf der Grundlage einer bewertenden Betrachtung. Staatliche Zugangsregulierung erfolgt in diesen Fällen zumeist als Zugangsbeschränkung in Form von beschränkten Verschmutzungsbefugnissen oder Verschmutzungserschwerungen, die rechtlich ganz unterschiedlich ausgestaltet sein können. Durch diese spezifische Zugangsregulierung erfolgt der Übergang vom freien Gut Luft zum öffentlichen Gut „gute Luft". Ihr Zweck ist die Verbesserung oder Erhaltung von Luftqualität.
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b) Modalität der Zugangsregulierung
Formal werden rechtliche Zugangskriterien als subjektives Recht oder auch als Pflicht festgelegt, über die der Zugang zu staatlich bereitgestellten öffentlichen Gütern geregelt und individuell vermittelt wird. Die jeweilige Rechtspflicht kann sich dabei auf die Konsumenten beziehen oder auch nur auf das staatliche Personal, in einer bestimmten Situation - Gefahrenabwehr - oder auch ganz allgemein - Staatszielbestimmung Umweltschutz, Art. 20 a GG - das betroffene öffentliche Gut zu verteilen oder auf andere Weise zu pflegen. Nicht immer korrespondiert dieser staatsgerichteten Rechtspflicht ein subjektiver Anspruch. Inhaltlich erfolgt die Zugangsvermittlung zu öffentlichen Gütern durch staatliches Recht je nach Lebensbereich mit stark differenzierten Kriterien. Studienplätze werden nach Leistungsgesichtspunkten vergeben, Hilfe zum Lebensunterhalt und andere soziale Leistungen nach Bedürftigkeit. Für den Zugang zu einem Kindergartenplatz kommt es auf das Lebensalter an, ebenso wie bei politischen Wahlen, bei denen außerdem die Staatszugehörigkeit den Ausschlag gibt. Der Zugang zu kulturellen oder sportlichen öffentlichen Gütern wie Museen und Schwimmbäder wird durch eine unter Umständen nach sozialen Kriterien gestaffelte Gebühr reguliert, staatliche Lizenzen und Subventionen70 werden nach sachbezogenen Förderkriterien, aber auch nach dem „Windhundprinzip" vergeben und jetzt sogar nach dem Kriterium der Wirtschaftskraft im Wege der Versteigerung an den Meistbietenden71; bei der Vergabe von Ämtern im Staatsdienst finden im Prinzip Leistungsgesichtspunkte und bei gleicher Leistung auch Gesichtspunkte wie Lebensalter und Geschlecht Berücksichtigung. Ein staatlich regulierter Marktzugang72 für private Marktteilnehmer kann an zahlreiche Vorausset70 Subventionen zielen auf die Zuwendung von Vermögensvorteilen und wollen mit diesem Anreiz die Herbeiführung von Verhaltensänderungen bewirken, vergi. W. Brohm, Festschrift F. Knöpfle, 1996, S. 65 f. 71 Vergi. § 11 Telekommunikationsgesetz. Freilich verzichtet der Staat hierbei auf die Einführung von eigenständigen Sachgesichtspunkten, damit auf staatliche Steuerung, und unterwirft die Verteilung letztlich wieder dem Preismechanismus des Marktes. Im Grunde betätigt er sich damit als Unternehmer, weshalb Zweifel angebracht sind, ob es sich hier noch um ein staatlich-öffentliches Gut handelt. Kritisch unter grundrechtlicher Perspektive im Hinblick auf Art. 12 GG, wonach das höchste Gebot kein sachgerechtes Auswahlkriterium darstellt C. Koenig, Die öffentlichrechtliche Verteilungslenkung, 1994, S. 163 ff., 408 ff.; B. Grzeszick, DVB1. 1997, S. 883 f.; W. Berg, Der Staat 15, S. 26 f. 72 Durch die Regelung des Marktzugangs und seiner Spielregeln (Vertragsrecht, Arbeitsrecht, Handels- und Gesellschaftsrecht) werden zwar die gehandelten Güter nicht zu öffentlichen Gütern, wohl aber der staatliche Ordnungsrahmen, in dem festgelegt wird, wer, was und wie gehandelt werden darf. Diese Einsicht von Adam Smith, Der Wohlstand der Nationen, 4. Aufl. 1988, IV 9 und V 1, wonach kein Markt ohne Marktveranstalter existieren kann, wird wieder aufgegriffen von D.
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zungen geknüpft sein, etwa berufliche, gewerbliche oder gesundheitliche Voraussetzungen. Der Zugang zur Rente hängt von Lebensalter und bestimmten Eigenleistungen ab. Der Zugang zur Teilhabe an den öffentlichen Gütern innere oder äußere Sicherheit knüpft dagegen grundsätzlich an die bloße Präsenz im Staatsgebiet an. Dies gilt nicht nur in dem abstrakten Sinn, dass jeder, der sich im Staatsgebiet aufhält, vom allgemeinen Sicherheitsstandard profitiert, in dem er sicher sein darf, sich grundsätzlich überall frei und im Wesentlichen gefahrlos bewegen zu können, sondern auch beim Eintritt einer konkreten Gefahr: Bei einem Hausbrand spielt es für die Lösch- und Rettungsarbeiten der Feuerwehr und damit für den Anspruch auf Zugang zum öffentlichen Gut Sicherheit vor Brandgefahren keine Rolle, wie wohlhabend die Bewohner sind oder welchen Rechtsstatus sie haben; ob sie sich als Ausländer illegal in Deutschland aufhalten, ist dabei gleichfalls nicht entscheidend, wohl aber beim Zugang zu anderen Gütern wie - legaler - Aufenthalt oder - legale - Arbeit. Auch bürgergerichtete Rechtspflichten können den Zugang zu öffentlichen Gütern steuern, in dem sie diesen für mehr oder weniger alle verbindlich machen, um letztlich allen einen angemessenen und in etwa gleichen Leistungsstandard bieten zu können73. So gewährleistet die Schulpflicht den kostenlosen Zugang zum öffentlichen Gut Bildung für alle. In ihren Auswirkungen sichert sie damit ein gewisses kollektives Mindestbildungsniveau. Bereits dieses erste Beispiel macht deutlich, dass die verbindliche Regelung des Zugangs keinesfalls identisch ist mit der Frage, wer die betreffenden Schulbildungsleistungen konkret anbietet, ob eine staatliche oder eine private Schule. Die Figur des Anschluss- und Benutzungszwangs bildet einen weiteren zentralen Anwendungsfall der Zugangsregulierung zu öffentlichen Gütern über Rechtspflichten. Auch dabei kommt es nicht auf die Frage an, wer Wasser oder Energie erzeugt oder die Abfallbeseitigung durchführt. Öffentliches Gut ist hier die verbindliche Sicherung eines bestimmten Versorgungsstandards für alle unter Ausschaltung der individuellen Entscheidungsfreiheit, an dieser Versorgung teilzunehmen oder nicht. In ähnlicher Weise funktionieren die großen Solidarsysteme der Sozialversicherung. Auch hier besteht ein rechtlich verbindlicher Zugangszwang für alle, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen. Der staatliche Zwang schlägt sich konkret in der Pflicht zu regelmäßigen Beitragszahlungen Murswiek, JZ 1988, S. 991 und J. Lege, Zwangskontrakt und Güterdefinition, 1995, S. 67 73 P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 233, spricht in diesem Zusammenhang von „Konsumzwang".
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nieder. Dadurch wird der Zugang zu dem öffentlichen Gut Vorsorge gegen Risiken wie Krankheit, Arbeitslosigkeit, Berufsunfähigkeit, Alter, Pflegebedürftigkeit etc. geschaffen und zugleich die Funktionstüchtigkeit des Systems losgelöst vom Eintritt des einzelnen Bedarfsfalles sichergestellt74. Die großen Vorsorgesysteme der gesetzlichen Zwangsversicherungen arbeiten nach diesem Prinzip, aber auch die gesetzliche Haftpflichtversicherung und manche insoweit strukturanaloge Finanzierungsfonds, die sich aus Sonderabgaben tragen 75. Einen besonderen Fall stellt die Steuerpflicht dar, die definitionsgemäß als Abgabe ohne konkrete Gegenleistung zu entrichten ist. Mit dieser Bürgerpflicht, die bezeichnenderweise nicht an die Staatszugehörigkeit anknüpft, sondern auch in Deutschland lebende Ausländer und über die indirekten Steuern selbst ärmere Bevölkerungskreise trifft, wird eine Art „Grundgebühr" für die persönliche Zugangsmöglichkeit zu zahlreichen öffentlichen Gütern erhoben, insbesondere zu solchen Gütern, deren Bereitstellung und Unterhaltung durch den Staat zwar Geld kosten, aber an weitere Zugangsvoraussetzungen nicht geknüpft sind. Nur auf den ersten Blick Schwierigkeiten bereitet die Einordnung staatlicher Sanktionen, insbesondere soweit sie mit staatlichem Zwang verbunden sind. Unmittelbarer Zwang und Verwaltungszwang, die Vollstreckung von Gerichtsurteilen und das Strafrecht sichern den staatlichen Ordnungsanspruch bei der Aufrechterhaltung der inneren Ordnung und damit der Rechtsordnung, was wiederum eine fundamentale Voraussetzung für jede funktionierende private Güterbereitstellung ist. Zwangsmaßnahmen lassen sich damit zwar nicht selbst als staatliche Zugangsregulierung zu öffentlichen Gütern begreifen. Sie stellen aber deren Ergänzungsprogramm dar, mit denen der Staat seine Zugangsregulierung zu öffentlichen Gütern durchsetzt und die Ernsthaftigkeit seines Anspruchs betont. Einen ähnlichen Ergänzungscharakter haben die Mittel staatlich gesetzter Anreize, mit denen der Staat ohne Zwang zu einem erwünschten Verhalten motivieren will. Was aus der Individualperspektive dabei als staatlich geför74
Dass dieser Schutz in Bezug auf die Beitragszahler bei der Rente erst zeitlich versetzt mit Eintritt in das Rentenalter einsetzt und dann möglicherweise nicht genügend Beitragszahler bereit stehen, um die Rentenfinanzierung auf erträglichem Niveau zu sichern, ist ein intergenerationelles Transferproblem, das den grundsätzlichen Mechanismus der Zugangsregelung über eine Zwangsmitgliedschaft in Frage stellen kann. 75 Das gilt jedenfalls für solche Sonderabgaben, die ein gemeinsames Haftungsrisiko aller Abgabenpflichtigen abzusichern suchen und dafür einen in staatlicher Trägerschaft mit Monopolcharakter geführten „Versicherungsträger" festlegen. Bei der gesetzlichen Haftpflicht besteht der gleiche Zwang zum Versicherungsschutz, freilich mit der Freiheit, sich einen von mehreren konkurrierenden privaten Versicherungsträgern selbst auszusuchen.
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dertes, aber letztlich reines Privatgut erscheint, kann kollektiv eine andere Bewertung als öffentliches Gut rechtfertigen. Beispielhaft sei die staatliche Eigenheimförderung erwähnt, deren Ziel zunächst die Förderung der privaten Eigentumsbildung bei Wohnraum ist 76 . Der Sinn staatlicher Eigenheimförderung erschöpft sich aber nicht darin, diesem oder jenem zur Eigentumsbildung zu verhelfen, sondern die Zahl von Wohnungseigentümern insgesamt auf einen höheren Bestand zu bringen, um durch eine sinkende Nachfrage bei vermietetem Wohnraum die Mieten zu senken und so den Markt an Mietwohnungen zu entlasten oder ganz allgemein um den Volkswohlstand in der Breite zu erhöhen. Ausschlaggebend dafür mögen sozialpolitische, familienpolitische oder sonstige Motive sein. Das durch staatliche Entscheidungsträger als positiv bewertete, sich aus der Summe vieler Privatleistungen zusammensetzende öffentliche Bezugsgut ist ein hoher Bestand an selbst genutztem Wohnungseigentum. Dieser objektive Bestand hat einen anderen Sinn als die Summe von Privatgütern, sondern er lässt sich als Wohlstands- und als sozialer Friedensfaktor bewerten, von dem wiederum alle profitieren. Zum staatlich oder jedenfalls unter seiner Mitwirkung bereitgestellten öffentlichen Gut wird der Bestand an Wohnungseigentum erst durch die staatliche Förderung. Das öffentliche Gut des staatlich geförderten Wohnungsbaus bedarf aber seinerseits der Zugangsregulierung, die regelmäßig in der Festlegung von Förderungskriterien bestehen wird. Festzuhalten bleibt, dass der Zugang zu öffentlichen Gütern durch den Staat zwar immer durch allgemein verbindliches und damit staatlich gesetztes Recht reguliert werden muss, dass aber die Kriterien dafür ganz unterschiedlich gestaltet sein können. Für den Zugang zum öffentlichen Gut der sozialen Sicherheit, das auf die Linderung von Not durch Unterstützungsleistungen im Einzelfall zielt, sind andere Gesichtspunkte sachgerecht als beim Zugang zu Studienplätzen oder öffentlichen Parkplätzen in der Innenstadt oder beim Zugang zur inneren Sicherheit. Innerhalb der festgesetzten Kriterien erfolgt der Zugang zu öffentlichen Gütern allerdings wiederum für alle Zugangsberechtigten in gleicher Weise. Das heißt nichts anderes, als dass der Zugang zu staatlich bereitgestellten öffentlichen Gütern nach rechtlich festgelegten und allgemein verbindlichen Kriterien erfolgt. Dies gilt auch dann, wenn die Nachfrage das staatliche Angebot übersteigt. Wie das Beispiel der Studienplätze belegt, verlagert sich die Regulierung des Güterzugangs in diesen Fällen auf die rechtliche Ausgestaltung des
76
Vergi. § 2 Eigenheimzulagengesetz, BGBl. I 1997, S. 734.
II. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff
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Verfahrens, nach dem sie vergeben werden. Darin besteht das Charakteristische staatlicher öffentlicher Güterproduktion. Die Kriterien und das Verfahren, die den Zugang und die Nutzung und damit die Verteilung von öffentlichen Gütern regeln, müssen insbesondere bei knappen Gütern im demokratischen Prozess ausgehandelt und entschieden werden. 6. Öffentliche Güter und Privatgüter a) Produktion
von Privatgütern
durch Private
Kann vom Zugang zu öffentlichen Gütern nach Maßgabe der rechtlich festgelegten Zugangskriterien niemand willkürlich ausgeschlossen werden, so liegt es bei von Privaten bereitgestellten Privatgütern grundsätzlich in der Freiheit des Privaten sich auszusuchen, welche Güter er produziert, wem er seine Güter zu welchen Konditionen überlässt, ob er sie ihm verkauft, verschenkt, verleiht, auf andere Weise den Zugang eröffnet oder vielleicht einfach aus Gründen der Antipathie auch gar nicht 77 . Der Kern der Privatautonomie ist die grundsätzliche Willkürfreiheit des Einzelnen78 und von Gruppen von Einzelnen, soweit die Gesetze im übrigen Beachtung finden. Sie bedeutet die Freiheit, im Rahmen des geltenden Rechts so oder so zu handeln, nur und aus dem Grund, weil es so gewollt ist, und mag dies im Einzelfall aus der Außenperspektive betrachtet noch so unvernünftig oder sinnlos oder vielleicht auch ethisch zu beanstanden sein. Einer wie auch immer gearteten Begründung oder Rechtfertigung bedarf diese Freiheit nicht. Sie erstreckt sich grundsätzlich auch auf die Entscheidung über den Zugang für und den Ausschluss79 von Dritten 80 zu 77
Dass die Rechtsordnung diese private Freiheit wieder einschränkt, etwa durch rechtlich verbindliche Vorgaben für die Vertragsgestaltung oder beim privaten Güterangebot eines Monopolisten, ist kein Widerspruch. In dieser Einschränkung liegt seinerseits die Schaffung eines öffentlichen Gutes, nämlich die rechtsverbindliche Sicherung des gleichen Zugangs bzw. der gleichen Zugangsbedingungen für alle zum entsprechenden privaten Güterangebot. Wird der Spielraum für privatautonome Zielsetzungen abgebaut, „dann beginnt das Regime des öffentlichen Rechts", W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnung, 1996, S. 270. 78 D. Murswiek, HStR V, 1992, § 112 Rdn. 1 (S. 244), kennzeichnet liberale Freiheit als „individuelle Beliebigkeit". 79 D. Murswiek, Öffentliche Güter im innerstaatlichen Recht und im Völkerrecht: Knappheit - Verteilungsgerechtigkeit - Status, (unveröffentlichter Vortrag am 24.10. 1994 auf dem Kolloquium der Max-Plank-Gesellschaft zum Thema „Recht der Gemeinschaftsgüter") spricht ausdrücklich von der Ausschlussbefugnis, betont aber andererseits am Beispiel von privaten Waldflächen, dass die eigentumsrechtliche
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Privatgütern, soweit das Recht diese Freiheit nicht in verfassungsrechtlich zulässiger Weise beschränkt. Aus der Sicht der juristischen Theorie öffentlicher Güter bildet diese große Produktgruppe der Privatgüter keine Schwierigkeiten. b) Produktion
von öffentlichen
Gütern durch Private
Nach der ökonomischen Theorie öffentlicher Güter können im Hinblick auf das Ausschlusskriterium auch Private öffentliche Güter herstellen (privat bereitgestellte öffentliche Güter im Gegensatz zu staatlich-öffentlichen Gütern). Klärung schafft erst die juristische Betrachtungsweise. Im durch staatliches Recht gesteuerten und damit prinzipiell gleichen Güterzugang für alle liegt der wesentliche Unterschied zum Zugang zu reinen Privatgütern über den Markt oder zu privat bereit gestellten öffentlichen Gütern. Der Begriff das Gutes darf auch hier nicht materialistisch verengt gedeutet werden, sondern ist weit unter Einschluss geistiger Güter zu verstehen. Soweit Private, ohne rechtlich dazu verpflichtet zu sein, öffentliche Güter im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn freiwillig herstellen, stellt dies jedenfalls die juristische Theorie öffentlicher Güter nicht auf die Probe. Ein von Privaten freiwillig produziertes öffentliches Gut, etwa beim Beispiel des Leuchtturms, dessen Errichtung durch eine private Vereinigung - wenn auch vielleicht unfreiwillig - allen dient und von dessen Nutzen niemand ausgeschlossen werden kann, wirft aus staatlicher Sicht keine Bereitstellungs-, Bewirtschaftungs- oder Zugangsprobleme auf. Das gleiche gilt für einen schönen Garten, an dessen ökologischem Nutzen oder Anblick sich jeder Passant erfreuen mag, oder für abstraktere Güter. Ob die so geschaffenen Zugangschancen für Dritte vom privaten Hersteller dabei intendiert sind oder nicht, spielt für die Bestimmung des Gütercharakter keine maßgebliche Rolle. Entscheidend ist vielmehr, dass der Zugang und der Bestand der Zugangschancen hier nicht durch staatliches Recht, sondern auf der Grundlage von Privatautonomie reguliert wird. Die Konsequenzen für die Struktur der Zugangschancen für Dritte sind bei privat bereit gestellten öffentlichen Gütern allerdings erheblich. Private Zuordnung eines Gutes für dessen Charakter als öffentliches Gut nicht unbedingt entscheidend ist. Murswiek legt damit ein weites Verständnis öffentlicher Güter zugrunde. 80 Davon zu unterscheiden ist der Fall, dass der Staat als reiner Wirtschaftsunternehmer Privatgüter (Konsumgüter) im Gewand einer juristischen Person des Privatrechts mit Gewinnerzielungsabsicht bereitstellt, ohne rechtlich zu deren Bereitstellung in irgendeiner Form verpflichtet zu sein.
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sind bei echten öffentlichen Gütern im wirtschaftswissenschaftlichen Sinn frei, die von ihnen bereitgestellten öffentlichen Güter nicht mehr länger bereitzustellen. In den genannten Beispielen können sie etwa den Leuchtturm nicht länger unterhalten oder um den Garten einen hohen Zaun errichten und ihn so dem Anblick der Allgemeinheit entziehen. Das gleiche gilt für komplexere Güter wie private Sicherheitsleistungen, wenn beispielsweise durch die private Unterhaltung privater Sicherheitsdienste in einem Wohnviertel oder in halböffentlichen Räumen wie Einkaufspassagen insgesamt zu einem höheren Sicherheitsniveau beigetragen wird. Bei der privaten freiwilligen 81 Produktion von Gütern, von deren Konsum niemand ausgeschlossen werden kann (privat bereitgestellte öffentliche Güter), bleibt ihre kontinuierliche Bereitstellung damit stets unsicher. Sie stößt im übrigen an systematische Grenzen, die noch aufzuzeigen sind. Demgegenüber ist die Beendigung öffentlichen Gutes nur nach Maßgabe was auch die Änderung der jeweiligen vorgesehenen Rechtsänderungsverfahren
der Bereitstellung eines staatlichdes rechtlich Zulässigen möglich, Rechtsgrundlagen im dafür jeweils einschließt.
Der Sache nach handelt es sich bei den bislang genannten Fällen der privaten Bereitstellung öffentlicher Güter um positive externe Effekte, die zwar aus güterbezogener Perspektive erwünscht sein mögen, aber nicht unbedingt mit dem privaten Vorgang der Güterbereitstellung intendiert sind. Privat bereit gestellte öffentliche Güter müssen allerdings nicht immer nur Ausdruck externer Effekte sein, sondern sie können auch direkt intendiert sein. Ein allgemein zugängliches Kunstmuseum als private Stiftung mag dies verdeutlichen. Alleine dadurch, dass die Zugangsmöglichkeit entsprechend dem Stifterwillen für jedermann gegeben ist, vielleicht sogar ohne Eintrittspreis, erhebt dieses noch nicht zum staatlich öffentlichen Gut, da der Zugang zu ihm nicht durch staatlich gesetztes Recht geregelt ist. c) Gemischte Produktionsstrukturen
Auch bei gemischten Produktionsstrukturen, bei denen private bzw. nicht staatliche Träger bestimmte Güter ergänzend zum staatlichen Angebot bereitstellen, bleibt die rechtlich greifbare Differenz zwischen privater und staatlicher Güterbereitstellung bestehen. Das Beispiel der Kindergartenplätze veranschaulicht dies. Der gesetzlich geregelte individuelle Zugangsanspruch zielt auf irgendeinen Kindergarten81
Anders liegen die Dinge dagegen, wenn Private staatlich zur Bereitstellung bestimmter Güter im Wege der Indienstnahme verpflichtet werden. Insoweit handelt es sich nicht mehr um freie private Güterproduktion, sondern um eine besondere Form staatlicher Güterproduktion durch die Verpflichtung Privater.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
platz und richtet sich nicht gegen die privaten bzw. kirchlichen Träger, sondern gegen den Staat, der sich seinerseits gegen entsprechende Zahlungen an die nichtstaatlichen Träger von seiner gesetzlichen Bereitstellungspflicht durch Anrechnung und Einbeziehung des privaten Angebots entlastet. Dadurch werden die privat bereitgestellten Plätze nicht zu staatlich-öffentlichen Gütern, sondern sie bleiben privat-öffentliche Güter, die im Prinzip jederzeit einer anderen Nutzung zugeführt werden können82. Der Staat wird von seiner gesetzlichen Güterbereitstellungspflicht nur insoweit und so lange frei, wie Private ihr Güterangebot tatsächlich erbringen und aufrecht erhalten. Auch exklusive private Versorgungsstrukturen, wie sie Art. 87 f GG für den Bereich des Postwesens und der Telekommunikationsdienstleistungen festschreibt, werden nicht dadurch zu staatlich-öffentlichen Gütern, dass der Staat seinerseits verpflichtet ist, für angemessene Resultate des Marktgeschehens im Sinne einer flächendeckend angemessenen und ausreichenden Güterbereitstellung zu sorgen, ohne dass er dies in verwaltungsmäßiger Form durch den Einsatz eigenen Personals tun dürfte. Das staatlich-öffentliche Gut beschränkt sich hier auf die Gewährleistungsfunktion, die, um praktisch greifen zu können, auf entsprechende rechtliche Umsetzungsinstrumente angewiesen ist. Das Gesamtresultat einer gelungenen Versorgung mit Telekommunikationsdienstleistungen erweist sich damit als Produkt der Kooperation von Privaten und staatlichen Stellen, wobei der staatliche Beitrag je nach Leistungskraft des Marktes unterschiedlich ausfällt. Sofern es zu keiner Unterversorgung kommt, reduziert er sich im wesentlichen auf die Rechtssetzung und einige Verwaltungsleistungen, etwa bei der Vergabe von Frequenzen etc. Private Normsetzungen, wie sie insbesondere im Technikrecht gebräuchlich sind 83 , stellen so lange, wie sie nicht verbindlich sind, private Güter dar. Soweit der Staat auf deren Entstehung durch bestimmte verbindliche Vorgaben für das Verfahren Einfluss nimmt, handelt es sich bei diesem Verfahren um ein staatlich-öffentliches Gut. Dadurch werden die Resultate des Verfahrens, die technischen Normen selbst, weder zum staatlich noch zum privat bereitgestellten öffentlichen Gut. Private Normen verwandeln sich 82 Vergleichbare Strukturen der öffentlichen Güterbereitstellung durch Private finden sich insbesondere im Sozialrecht, vergi. § 10 Abs. 4 BSHG oder die Kinderund Jugendhilfe nach dem SGB VIII. H.-H. Trute, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 201 f. kennzeichnet diese Kooperationsverhältnisse als „staatliche Gewährleistungsverantwortung bei privater Leistungserbringung". 83 Dazu G. Lübbe-Wolffi in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Konfliktbewältigung durch Verhandlungen, Bd. II, 1990, S. 91 ff.; /. Lamb, Kooperative Gesetzeskonkretisierung, 1995, insbesondere S. 71 ff.; M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 202 ff.
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erst dann zu einem staatlich-öffentlichen Gut, wenn dazu autorisierte staatliche Stellen die ursprünglich private Norm, etwa im Wege einer statischen Verweisung, rezipieren. Dadurch wandelt sich deren Normcharakter zu einem allgemeinverbindlichen Rechtssatz84. Schließlich können Private unter bestimmten Voraussetzungen rechtlich verpflichtet sein, den Zugang zu den von ihnen bereitgestellten Gütern uneingeschränkt zu öffnen, so dass ihnen kein Rest von Entscheidungsfreiheit bleibt, um bestimmte Personen oder Personengruppen von ihrem Angebot auszuschließen. Wenn ein privates Unternehmen wegen seiner Monopolstellung bei der Bereitstellung lebenswichtiger Güter aus rechtlichen Gründen einem Kontrahierungszwang unterliegt, besteht keine Entscheidungsfreiheit mehr über das Ob der Eröffnung des Zugangs zu dem produzierten Gut. Der Güterzugang ist damit jedenfalls im Moment85 abschließend rechtlich geregelt. Auch hier liegt ein privat bereit gestelltes öffentliche Gut vor, das diese Qualität allerdings nur aus dem spezifischen Zusammenwirken rechtlicher Vorgaben (Kontrahierungszwang) und privater Produktion gewinnt. Die Freiheit des privaten Monopolisten zur Einstellung der Produktion bleibt im übrigen unberührt. Ein weiterer zentraler Unterschied zwischen der staatlichen Zugangsregulierung durch Recht und der privaten Regulierung des Güterzugangs über den Markt liegt in der prinzipiell höheren Komplexität staatlicher Zugangsbewirtschaftung. Der Markt ist bei der Verteilung des Güterzugangs im Prinzip auf ein einziges Kriterium festgelegt, nämlich auf den Preis. Nur das, was sich in der Sprache von Kapital und Nichtkapital ausdrücken lässt, kann er bei der Preisbildung berücksichtigen86. Wie gezeigt kann die staatliche Zugangsregulierung bei öffentlichen Gütern demgegenüber auf eine theoretisch kaum begrenzte Zahl von Kriterien abstellen und damit stark differenzierte Zugangsmaßstäbe bei der Ver84
Zu den beiden Varianten der verfahrensmäßigen Einflussnahme und der Rezeption H.-H. Trute, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 199 f. 85 In der Regel kann ein Privater Anbieter nicht gezwungen werden, sein Güterangebot auch in der Zukunft aufrecht zu erhalten. Der Staat hat seine Güterproduktion dagegen nach Maßgabe der gesetzlichen Vorgaben auch in der Zukunft aufrecht zu erhalten. 86 Das bedeutet nicht, dass es in der Gesellschaft nicht auch andere Steuerungselemente als das Kapital gibt. Der Zugang zu zahlreichen Gütern wird - je nach Gütersphäre - in der Regel über andere Kriterien geregelt, etwa bei Liebe und göttliche Gnade, vergi. M. Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, 1992, S. 227 ff. und 348 ff. Allerdings sind auch diese Güter bekanntlich nicht völlig immun gegen den Markt, wie das historische Beispiel des Ablass- und Reliquienhandels belegt. Vergi, auch P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 195. 15 Gramm
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teilung öffentlicher Güter entwickeln. So ist Bedürftigkeit kein Kriterium, mit dem man auf dem Markt einen Preis erzielen oder etwas eintauschen könnte. Bedürftigkeit kann zwar ohne weiteres zum Anknüpfungspunkt freiwilliger Zuwendungen durch Einzelne oder durch Gemeinschaften, etwa die Kirchen, werden. Zuwendungen für alle in gleicher Weise und damit die gleichmäßige Absicherung eines bestimmten Mindestniveaus vermag allerdings nur das Recht sicher zu stellen. Wie die aufgeführten Beispiele zeigen, kann der mit den Mitteln des Rechts operierende Staat dabei sehr komplexe Steuerungsstrukturen schaffen und so im Unterschied zu allen anderen Teilsystemen der Gesellschaft auf alle gesellschaftlichen Abläufe verbindlich einwirken 87 . Dass er dabei grundsätzlich auch systemfremde Gesichtspunkte verbindlich vorgeben kann, etwa durch eine das Wirtschaftsleben disziplinierende Sozialgesetzgebung, die die Berücksichtigung von als marktfremd angesehenen Elementen vorschreibt, stellt gerade keinen systematischen Defekt dar, sondern macht vielmehr die steuerungstheoretische Stärke des staatlich gesetzten Rechts aus 88 : Kriterien wie Lebensalter, Staatsangehörigkeit, Bedürftigkeit, Befähi87 Insofern vermag die Aussage Luhmanns von der Gesellschaft ohne Spitze und Zentrum und damit seine Absage an den Vorrang staatliche Steuerungsmacht, die den Staat auf ein Teilsystem der Gesellschaft unter anderen Teilsystemen reduziert, nicht nur empirisch, sondern auch systematisch gesehen nicht zu überzeugen, N. Luhmann, Politische Theorie im Wohlfahrtsstaat, 1981, S. 143; ders., Die Wirtschaft der Gesellschaft, 1988, S. 253. Auch wenn der Staat selbstverständlich nicht die Kommandozentrale der Gesellschaft ist und dies aus vielfältigen Gründen auch gar nicht sein kann, sind deren Subsysteme bei aller Betonung ihrer binären Kodierung keineswegs so autonom (selbstreferentiell), wie die Systemtheorie dies letztlich unterstellt. Tatsächlich vermag der Staat als seinerseits hochkomplexes Subjekt mit seinem Steuerungsinstrument Recht als einziges „gesellschaftliches" System auch systemfremde Gesichtspunkte verbindlich in den Kode eines anderen (Sub-) Systems zu installieren. Dadurch ist der Staat die einzige Größe, auf die sich alle anderen Subsysteme beziehen bzw. beziehen müssen, T. M. Menk, Der Staat 31, S. 583. Die mittelbare Drittwirkung der Grundrechte und die daraus abgeleiteten gesetzlichen Eingriffe in die Privatautonomie und damit in das freie Marktgeschehen sind nur ein Beispiel dafür. Kritisch gegen die „Verzauberung durch die Systemtheorie" auch H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 4 ff.; D. Grimm, in: ders., Staatsaufgaben, 1994, S. 781; H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 21, aber auch S. 71 und 136. Die intersy stemi sehe Vernetzung dürfte im Übrigen gerade auch im Zuge wachsender weltweiter Kommunikationschancen eher zu einer Auflösung als zu einer scharfen Abgrenzung zwischen den Systemen führen, R. Münch, Dialektik der Kommunikationsgesellschaft, 1991, S. 136 f. und 172 ff. 88
Die Tatsache, dass der Staat in der Praxis des Guten zuviel tun kann und das Marktgeschehen wegen eines Übermaßes an staatlicher Regulierung zum Erliegen kommen kann, ändert nichts an der theoretischen Überlegenheit seiner Steuerungsressourcen, sachliche Gesichtspunkte verbindlich vorzugeben, die im Prinzip marktfremd sind.
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gung etc. sind prinzipiell keine Gesichtspunkte, die über den Güterzugang auf dem Markt entscheiden89. Ausschlaggebend sind Preis, Zahlungskraft und Präferenzen des Kunden. Das schließt Güterangebote, die auf dem Markt für Verbrauchergruppen mit bestimmten Eigenschaften gezielt bereitgestellt werden, selbstverständlich nicht aus. Allerdings werden entsprechende Güter regelmäßig nur dann produziert und angeboten, wenn die betreffende Zielgruppe finanziell potent ist oder, wie bei der speziell auf die Gruppe der Kinder zugeschnittenen Werbung, wenn sie jedenfalls Einfluss auf die Kaufentscheidung von anderen zahlungskräftigen Gruppen ausüben kann. Auch die Vermarktungsgesellschaft stößt hier an unübersteigbare Grenzen, denn der Markt besitzt letztlich keine andere Resonanzmöglichkeit als den Preis. Bei Gütern, für die entsprechende Preise sich nicht erzielen lassen, findet ein Markt nicht statt. d) Staatliches und privates Produktionsregime
Im idealtypischen und damit die verschiedenen Mischformen ausblendenden Gegensatz der Bereitstellung von öffentlichen Gütern durch den Staat und von Privatgütern durch Private lassen sich die Strukturen der Güterproduktion - das Produktionsregime - zusammenfassend entsprechend schematisch gegenüberstellen. Die staatliche Güterbereitstellung ist danach durch folgende Elemente gekennzeichnet: Häufig Einsatz von staatlichem Personal; Bindung an gesetzliche Zielvorgaben (Aufgaben als „Produktionsaufträge") und Befugnisse (Art und Weise der Güterproduktion), insbesondere an die Grundrechte und den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; hierarchische Produktionsstrukturen, jedenfalls aber die Letztverantwortung für den Fall des Fehlschlagens kooperativer oder weitgehend privatisierter Produktionsstrukturen (Verpflichtung auf das Resultat kontinuierlicher Güterbereitstellung); praktisch wirtschaftlich risikofreie Finanzierung über öffentliche Abgaben90, vorwiegend durch Steuern; Verteilung der Güter (aus der Empfängerperspektive: Regulierung des Güterzugangs) durch Recht mit für alle in prinzipiell gleicher Weise bestehenden Zugangschancen; in der Summe bedeutet dies: Gütercharakter öffentliches Gut. Demgegenüber ist die private Güterproduktion durch die folgenden Elemente charakterisiert: Einsatz von privatem Personal; grundsätzlich freie 89 Soweit dies dennoch der Fall ist, etwa beim Verbot des Verkaufs von Alkohol an Jugendliche, geschieht dieser Ausschluss nicht aus marktimmanenten, sondern aus rechtlichen Gründe. 90 Zur wettbewerbsverzerrenden Wirkung, die von öffentlichen Unternehmen ausgeht, weil sie praktisch keinem Konkursrisiko unterliegen, vergi. Elftes Hauptgutachten der Monopolkommission 1994/1995, BT-Drs. 13/5309, S. 38. 15*
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Wahl, welche Güter, auf welche Weise, wie lange und für wen produziert werden sollen (Privatautonomie), was in sachlich begrenztem Umfang rechtliche Vorgaben und staatliche Kontrollen für Produktion und Vertrieb nicht ausschließt; im Falle des Fehlschlagens besteht grundsätzlich keine weitergehende Pflicht zur Güterbereitstellung; keine direkte Grundrechtsbindung; Verteilung bzw. Regulierung des Güterzugangs auf dem Markt zu Wettbewerbsbedingungen; Finanzierung über den Preis, damit wirtschaftliches Risiko; keine Güterbereitstellung für alle, sondern selektive Güterverteilung nur an zahlungsfähige und an zahlungswillige Personen; in der Summe bedeutet dies: Gütercharakter privates Gut. Maßgeblich für die Bestimmung des Gütercharakters ist das jeweilige Produktionsregime mit seinen rechtlich unterschiedlich ausgeformten Strukturelementen. Wie gezeigt zielt die Bereitstellung von Sicherheitsgütern durch Staat und durch Private zwar in die gleiche Richtung; Sicherheit kann grundsätzlich durch den Staat und durch Private auf freiwilliger Grundlage hergestellt werden, mithin als öffentliches Gut und als knappes Marktgut. Das damit jeweils erreichte Resultat an Sicherheit wird deswegen allerdings noch nicht zu einem einheitlichen Rechtsgut. Aus rechtlicher Perspektive schlägt vor allem das Produktionselement des bestimmungsgemäßen Abnehmerkreises oder der Zielgruppe durch. Die Freiheit des Marktes, der sich nur über den Preis reguliert, erlaubt es zwar, bei der Güterverteilung von allen übrigen persönlichen Merkmalen abzusehen. Genau darin liegt aber auch seine entscheidende Schwäche, da der Marktmechanismus diejenigen ausschließen muss, die nicht marktfähig sind. Hier zeigt sich die strukturelle Überlegenheit staatlich-öffentlicher Güterproduktion, den individuellen Güterzugang gerade auch in den Fällen fehlender Marktfähigkeit zu eröffnen und dauerhaft zu sichern. In dieser Funktion liegt das solidarische Fundament des Rechtsstaates. Freilich taugt dieser Produktions- und Verteilungsmechanismus nicht für alle Güter. Ob die staatliche (Recht) oder die private Güterproduktion (Markt) die richtige Form darstellt, lässt sich abstrakt ohne Rückgriff auf das jeweilige Gut, um das es geht, nicht feststellen. 7. Öffentliche Güter und Grundrechte Die Produktion und die Bereitstellung von öffentlichen Gütern durch den Staat macht die rechtlich verbindliche Regelung des Zugangs durch die Festlegung der konkreten Zugangschancen und damit die Eingrenzung des Kreises der Zugangsberechtigten zu diesen Gütern erforderlich. Darin liegt das Spezifische staatlicher Zugangsregulierung im Gegensatz zur privaten
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Regulierung des Zugangs zu Privatgütern. In einem auf den Menschenrechten basierenden demokratischen Verfassungsstaat stellt sich die Frage, wie sich die staatliche Güterbereitstellung und die staatliche Zugangsregulierung zu (grund-) rechtlichen Freiheits- und Gleichheitsgarantien verhält. Einzelne Freiheits- und Gleichheitsrechte lassen sich nur schwerlich selbst als staatlich bereitgestellte öffentliche Güter interpretieren, weil es dabei um die Anerkennung staatsferner Lebensbereiche geht. Eine staatliche Regulierung des Zugangs findet hier gerade nicht statt. Dennoch stehen staatlich-öffentliche Güter und Grundrechte nicht beziehungslos nebeneinander. Aus der güterbezogenen Staatsperspektive nehmen Freiheitsrechte vielmehr in dreifacher Weise auf die staatliche Güterbereitstellung Einfluss 91.
a) Maßstab für staatliche Güterbereitstellung
Grundrechte enthalten positive und negative Maßstäbe für die Entscheidung, welche Güter der Staat bereit stellen soll. In eng umgrenzten Fällen verpflichten sie den Staat positiv zur Bereitstellung bestimmter Güter. Den Grundrechten kommt in dieser Hinsicht eine spezifisch inhaltliche Dimension zu, nämlich die Festlegung derjenigen Gütern, die der Staat von Verfassungs wegen in jedem Fall bereitzustellen hat, wobei sich allerdings nur wenige Güter und diese auch nur auf einem relativ abstrakten Niveau benennen lassen. Vornehmlich gilt dies im Hinblick auf die Bereitstellung des Existenzminimums und dort, wo der Einzelne schutzlos gegenüber den Eingriffen Dritter gestellt ist 92 . Vor allem im Zeichen der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik sind Strukturen entwickelt worden, die die staatliche Güterproduktion gegenüber der faktischen Möglichkeit ihrer Unterlassung rechtlich immunisieren. Die Sicherung des Existenzminimums und der Schutz vor Übergriffen Dritter in die grundrechtlichen Schutzgüter nehmen 91 Insbesondere in Gestalt der Schutzpflichten hat sich die Grundrechtsdogmatik zur „impliziten Staatsaufgabenlehre" entwickelt, vergi. R. Wahl/I. Appel, in: R Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 70 im Anschluss an E.-W. Böckenförde, Der Staat 29, S. 1 (25). 92 Die Schutzfunktion der Grundrechte vor den Eingriffen Dritter stellt H. D. Jarass, AöR 120, S. 351 zu Recht in die Nähe ihrer Leistungsfunktion und erwägt, sie wegen der Verpflichtung des Staates zu positiven Maßnahmen in einer Funktion zusammenzufassen; ebenso bereits D. Murswiek, HStR V, 1992, § 112 Rdn. 20 (S. 252) und ders., Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 89 ff. Der „Schutzrechte erzeugende Staat" steht damit entgegen der Unterscheidung von „productive state" und „protective state" bei J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, 1984, nicht unbedingt in einem Gegensatz zu den Grundrechtsgarantien, vergi. H. Kliemt, Solidarität in Freiheit. Von einem liberalen Standpunkt, 1995, S. 75.
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den Staat in die Pflicht, einen im einzelnen zu ermittelnden Versorgungsbzw. Schutzstandard zu gewährleisten. Aus güterbezogener Sicht beschreiben sie damit nicht nur spezifische Güter, sondern erfordern implizit auch ein gewisses Mindestniveau der staatlichen Güterproduktion, das der Staat und damit auch der Gesetzgeber nicht unterschreiten darf. Anders gewendet verlangt der individuelle Grundrechtsanspruch auf Schutz des Lebens staatlicherseits das Vorhalten bzw. die Sicherstellung der Verfügbarkeit 93 von entsprechenden Produktionsressourcen wie rechtliche Regelungen, Personal und Sachmittel, um diesen Anspruch auch tatsächlich erfüllen zu können. Als Eingriffsabwehrrechte beeinflussen Grundrechte die staatliche Güterproduktion auch in negativer Richtung. In dieser Funktion setzen sie der Möglichkeit staatlicher Güterproduktion grundsätzliche Grenzen, in dem sie bestimmte Lebensbereiche mehr oder weniger ganz aus der staatlichen Güterbewirtschaftung ausschließen. Manche Güter dürfen erst gar nicht zu staatlich regulierten öffentlichen Gütern werden. Grundrechte bilden insofern auch negative Kompetenznormen94 für den Staat, die dessen potentielle Allzuständigkeit begrenzen. b) Maßstab für staatliche Zugangsregulierung
Begreift man die staatliche Tätigkeit wesentlich als einen Vorgang der Bereitstellung öffentlicher Güter, so wird deren Verteilung oder, aus der Individualperspektive gesehen, der Zugang bzw. die rechtlich festgelegten Zugangsbedingungen zu diesen Gütern, die ihrerseits die individuellen Zugangschancen maßgeblich fixieren, zum zentralen Rechtsproblem. Grundrechte, insbesondere Gleichheitsrechte, müssen aus güterbezogener Perspektive als normative Vorgabe für die staatliche Zugangsregulierung zu öffentlichen Gütern interpretiert werden 95. Als Teilhaberechte bieten sie inhaltliche Maßstäbe für die staatliche Zugangsregulierung, die die Freiheit des Einzelnen zu beachten hat.
93
Damit ist noch nicht gesagt, dass es sich auch um eigenes staatliches Personal handeln muss. 94 K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, 20. Aufl. 1995, Rdn. 290 ff. 95 Die Befürchtung von G. Haverkate, Rechtsfragen des Leistungsstaates, 1983, S. 44, wonach eine abstrakte Staatsaufgabenlehre eine stärkere Betonung des „Dürfens" des Staates gegenüber dem „Dürfen" des Bürgers bewirkt, ist in Bezug auf eine grundrechtlich gebändigte Lehre von der Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat nicht begründet. Es geht hier gerade nicht um eine Umakzentuierung zu Lasten der Freiheitsspielräume des Bürgers, sondern um den viel zu wenig berücksichtigten Zusammenhang von individueller Freiheit und kollektiven Freiheitsvoraussetzungen, ohne die die individuellen Freiheitschancen ihrerseits abstrakt bleiben.
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Im Rechtsstaat, der diese Freiheit allen in grundsätzlich gleicher Weise zuspricht, bedeutet dies nichts anderes, als dass dabei die gleiche Freiheit aller zu berücksichtigen ist. Eine die Grundrechte achtende Zugangsregulierung ist damit privilegienfeindlich, was nicht mit schematischer Gleichheit gleichgesetzt werden darf. Die konkreten Zugangsbedingungen bestimmen, ob, in welchem Umfang und zu welchen Bedingungen der Einzelne zur Teilhabe an dem betreffendem Gut berechtigt ist. Staatliche Zugangsregulierung zu öffentlichen Gütern erweist sich damit häufig als die Verteilung von Freiheitschancen96. In manchen Fällen ist der Zusammenhang zwischen staatlicher Güterproduktion und der rechtlichen Regulierung des Zugangs mit der persönlichen Freiheitsdimension offensichtlich. Dies gilt besonders dann, wenn die staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter erst die Voraussetzungen dafür schafft, dass persönliche Freiheit wirksam ausgeübt und tatsächlich wahrgenommen werden kann97, manchmal mit individuell sehr deutlich spürbaren Abhängigkeiten, manchmal abstrakter und zunächst weniger deutlich fühlbar für den Einzelnen. Auch durch die modernen, sich längerfristig entfaltenden Gefährdungen von individuellen Freiheitschancen, etwa durch die sich immer schärfer abzeichnenden ökologischen Probleme und die dadurch auftretenden Gefährdungen natürlicher öffentlicher Güter, wird der Basischarakter öffentlicher Güter bzw. öffentlicher Güterbewirtschaftung für die individuelle Freiheitsausübung deutlich98. Diese Basisfunktion für die individuelle Freiheitsausübung gilt aber auch in weniger dramatischen Fällen. So bliebe alle Bewegungsfreiheit - ungeachtet aller weiteren dafür erforderlichen persönlichen Voraussetzungen wie Gesundheit oder die erforderlichen finanziellen Mittel für die Fortbewegung - ohne öffentliche oder zumindest durch Rechtsgarantien öffentlich zugängliche Wege oder sonstige Flächen unwirklich 99. Entsprechendes gilt für zahlreiche staatlich-öffentliche Güter. Durch die effektive und verlässliche staatliche Bereitstellung wird die tatsächliche Freiheitsausübung für den Einzelnen so häufig erst ermöglicht. Staatlich-öffentliche Güter lassen sich aus dieser Perspektive als kollektive Freiheitsressourcen interpretieren. Dies gilt für Sicherheit und Ordnung 100 in gleichem Maß wie für die Bereitstellung von Studienplätzen 96
Freiheit und Teilhabe sind in dieser Funktion entgegen D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 45 f., keine heterogenen Kategorien. 97 A. Hollerbach, Philosophische Perspektiven V (1973), S. 38 hat dafür den Begriff der Freiheitsvorsorge geprägt; vergi, auch R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 77 ff. (S. 113 f.); D. MurswieK HStR V, 1992, § 112 Rdn. 29 (S. 256). 98 Vergi. H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 96 ff., S. 101. 99 Grundlegend H. Krüger, Marktwirtschaftliche Ordnung und öffentliche Vorhaltung der Verkehrswege, 1969.
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oder die Sicherung von Versorgungs- und Dienstleistungen der Daseinsvorsorge für alle. Auch in den Fällen, in denen die Nachfrage das staatliche Angebot übersteigt, büßt die staatliche Güterbereitstellung dadurch nicht ihre fundamentale Freiheitsfunktion ein. Allerdings verschärft sich dann das Bereitstellungs- und Zugangsproblem. Insoweit bedarf es sachgerechter Zugangskriterien und angemessener Verfahren, wie die tatsächlich vorhandenen knappen öffentlichen Güter (Freiheitsressourcen) dann verteilt werden sollen. Die Beispiele verdeutlichen die grundrechtliche Sicherung auf gleiche Teilhabe bzw. auf Chancengleichheit bei der Festlegung des jeweils zugangsberechtigten Personenkreises nach allgemeinen Kriterien des Rechts. Dies mag jedenfalls bei denjenigen öffentlichen Gütern, bei denen die Nachfrage das Angebot nicht übersteigt und besondere Zugangsvoraussetzungen nicht bestehen, zunächst nicht offensichtlich sein, weil alle in gleicher Weise von der Bereitstellung des betreffenden Gutes profitieren, ohne dass eine Konkurrenzsituation beim Konsum des Gutes vorliegt, etwa bei der regulären Nutzung von Verkehrswegen im Rahmen des Gemeingebrauchs. Auch bei diesen öffentlichen Gütern im engeren Sinn sichern Grundrechte die gleiche Teilhabe aller am Verteilungsverfahren bzw. an der Güterbewirtschaftung durch den Staat, insofern ohne gleiche rechtliche Gründe niemand von ihrem Konsum ausgeschlossen werden darf, und zwar auch dann nicht, wenn dies bei hypothetischer Betrachtung möglich wäre. Teilhabe wird hierbei nicht in einem auf das Bestehen eines konkreten Leistungsrechtsverhältnisses reduzierten Sinne verstanden, sondern weit als Recht auf Zugang zu öffentlichen Gütern 101. Beim Zugang zu einem staatlichen Studienplatz ist dieser Zusammenhang offensichtlich, aber auch beim Recht auf die bestimmungsgemäße Nutzung einer zum Gemeingebrauch gewidmeten Sache oder beim Recht auf Teilnahme an politischen Wahlen. Ob es im Einzelfall einer förmlichen staatlichen Zulassungsentscheidung bedarf oder ob der Zugang wie in den Fällen des Gemeingebrauchs mit der Widmung des Gutes für alle in gleicher Weise ohne weiteres gegeben ist, spielt für den grundsätzlichen Charakter der Grundrechte als Zugangsrechte zu staatlich bereitgestellten Gütern keine Rolle. Grundrechte schränken als Freiheits- und Gleichheitsrechte die staatlichen Regulierungsmöglichkeiten bei der Bereitstellung öffentlicher Güter ein. So darf der Staat innere Sicherheit und Ordnung nicht beliebig, son100 Ohne Sicherheit und Ordnung gilt das Recht des Stärkeren, das bekanntlich ebenfalls immer unsicher bleibt, weil auch der Stärkere nie sicher sein darf, ob nicht ein noch Stärkerer kommt bzw. wie lange seine überlegene Stärke dauert, grundlegend O. Höffe, Politische Gerechtigkeit, 1987, etwa S. 328 ff. und 382 ff. 101 In diesem Sinne wohl auch D. Murswiek, HStR V, 1992, § 112 Rdn. 29 (S. 256) Rdn. 67 (S. 271) und Rdn. 81 ff. (S. 276 f.).
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dem nur unter Wahrung grundrechtlicher Freiheitsansprüche herstellen. Schließlich beeinflussen Grundrechte in Verbindung mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auch die Art und Weise der staatlichen öffentlichen Güterbereitstellung, insofern der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf eine optimale Schonung grundrechtlicher Rechtspositionen zielt. Freilich können damit nicht sämtliche Dimensionen von Freiheitsrechten erfasst werden. c) Maßstab für gesellschaftliche
Selbstregulierung
Zwischen der Freiheit des Zugangs zu einem staatlichen Studienplatz und der Glaubensfreiheit oder Meinungsfreiheit bestehen offensichtlich nicht nur inhaltlich, sondern auch strukturell wesentliche Unterschiede. Grundrechte in ihrem ursprünglichen Sinn als Eingriffsabwehrrechte garantieren Freiheiten für den Einzelnen als subjektives Recht auf Freiheit vor staatlichen Eingriffen in seine (Freiheits-) Sphäre. Grundrechte gewährleisten in dieser Dimension Sicherheit für geschützte Privatgüter und formen damit den abstrakten Staatszweck auf Unversehrtheit dieser Güter 102 aus. Durch die Gewährleistung von Grundrechten werden Privatgüter und Freiheit zwar selbstverständlich nicht zu öffentlichen Gütern; insbesondere werden sie nicht zu einer Leistung des Staates. Ihr Bestand und ihre Unversehrtheit werden aber durch die rechtlichen Garantien gesichert. Damit lässt sich zwar nicht das Privatgut selbst, um das es bei den verschiedenen Grundrechten jeweils geht, wohl aber die durch sie vermittelte individuelle Schutz- und Abwehrdimension als eine Form der staatlichen Güterbereitstellung interpretieren: Der Schutzstandard, den das positive Recht einschließlich der Grundrechte bietet, ist stets eine staatlich-öffentliche Leistung 103 bzw. ein staatlich-öffentliches Gut, das zwar auch, aber nicht nur dem Einzelnen zugute kommt 104 . In ihrem objektiven Sinn weisen sie 102
D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 32 So H. Kliemt, Solidarität in Freiheit. Von einem liberalen Standpunkt, 1995, S. 75 für den alle staatlich gewährten Rechte und durchgesetzten Rechte „öffentlich produziert" sind, wovon die Grundrechte als Abwehrrechte keine Ausnahme bilden: „Sie sind entgegen einer häufig anzutreffenden Annahme gerade nicht „einfach da", sondern müssen ebenso wie positive Teilhaberechte öffentlich im politisch-rechtlichen Prozess erzeugt werden." Dem lässt sich ohne weiteres zustimmen, denn jedenfalls besteht ein substantieller Unterschied zwischen einem Staat, der Grundrechte ausdrücklich garantiert und deren Geltung damit anerkennt und einem Staat, der dies nicht tut. 104 P. Häberle, Die Wesensgehaltgarantie des Artikel 19 Abs. 2 Grundgesetz, 3. Aufl. 1983, S. 21 ff. unter Rückgriff auf E. Kaufmann: „Das Wesen aller Rechtsnormen besteht nämlich darin, dass sie zugleich den Schutz von öffentlichen und privaten Interessen bezwecken." (S. 23). Als Beispiel führt Häberle den Impfzwang an, S. 29. 103
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immer über den einzelnen Grundrechtsträger hinaus und entfalten damit eine kollektive Bedeutung105. Verdeutlichen lässt sich dies ebenfalls am Grundrecht der Meinungsfreiheit. Dieses Grundrecht kann und soll in der kollektiven Summierung seiner Ausübung zu positiven externen Effekten führen, etwa einem Klima der Meinungsfreiheit oder einer freien Presselandschaft, von der jeder einzelne Grundrechtsträger wiederum durch entsprechend vielfältige Informations- und Meinungsbildungschancen profitiert. Diese kollektive Bedeutung kann sich auch in negativen externen Effekten wie Berichterstattungs- und Meinungsmonopolen niederschlagen, die in ihrer Rückwirkung auf die Freiheitsausübungschancen des Einzelnen die Informationsfreiheit als notwendigem Bestandteil der Meinungsfreiheit beeinträchtigen mögen. Grundrechte regeln in dieser ursprünglichen Dimension nicht den Zugang zu staatlich bereitgestellten öffentlichen Gütern, sondern in erster Linie den staatlich garantierten Zugang zur Teilnahme an der gesellschaftlichen Selbstregulierung durch spontane Ordnung, die im Einzelfall besser oder auch schlechter gelingen mag. Als wesentlicher Bestandteil staatlicher Ordnung sichern die Grundrechte damit individuell vermittelte Ansprüche gegen den Staat auf ungestörten Zugang zur Sphäre gesellschaftlicher Selbstregulierung, die gerade durch die Garantie der - relativen - (Staats-) Freiheit begründet wird. Die grundrechtlich abgesicherten komplexen Prozesse gesellschaftlicher Selbstorganisation sind damit zugleich eine Garantie für die umfassende private Güterproduktion 106. Die Freiheit zur privaten Güterproduktion schließt grundsätzlich auch ihre negative Dimension ein, also den Verzicht auf die Herstellung oder Nutzung von privaten Gütern. Grundrechte beschränken in dieser Dimension nicht den Zugang des Bürgers zu öffentlichen Gütern, sondern umgekehrt die staatlichen Einwirkungsmöglichkeiten auf die gesellschaftliche Selbstregulierung, die in ihrer 105
Grundlegend H. H. Rupp, HStR I, 1987, § 28 Rdn. 33 ff. (S. 1208 ff.), der unter Rückgriff auf F. A. v. Hayek zu Recht darauf hinweist, dass Gesellschaft mehr ist als die Summe der Einzelnen, sondern das Ineinandergreifen individueller Freiheitsimpulse. Grundrechte interpretiert er als „autonome Steuerungsimpulse in einem komplexen System", a.a.O. Rdn. 36 ff. (S. 1211 f.). Nicht nur die natürlichen Lebensgrundlagen, sondern auch dieses komplexe gesellschaftliche System bildet eine „überindividuelle Voraussetzung der individuellen Freiheit" (Begriff bei D. MurswieK DVB1. 1994, S. 77). 106 Noch weitergehend M. Schmidt- Ρreuß, VVDStRL 56, S. 170, der vornehmlich aus den Grundrechten „leitbildhafte Elemente der Privatinitiative, des Wettbewerbs und der individuellen Risikoübernahme" herleitet, die sich in ihrer Summe zu einem „Postulat größtmöglicher Aktivierung selbstregulativer Beiträge verdichten" und, so wäre zu ergänzen, den Staat entsprechend zurückdrängen. Allerdings müsse auch der Staat sich entsprechende Zugriffsoptionen vorbehalten, wenn private Kräfte Gemeinwohlergebnisse verfehlen.
II. Öffentliche Güter als Rechtsbegriff
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kollektiven Dimension selbst ein hohes öffentliches Gut darstellt. Das öffentliche Gut gesicherter gesellschaftlicher Freiheit wird aber - und dies rechtfertigt es, auch von einem öffentlichen und nicht nur von einem Privatgut zu sprechen - als kollektives Gut, das wiederum allen zugute kommt, durch die Garantie gleicher Grund- bzw. Menschenrechte für alle erst konstituiert. Ohne individuelle (Grundrechts-) Garantien kann das Gemeinschaftsgut der gesellschaftlichen Selbstregulierung als jedenfalls in Teilen staatsfreie Sphäre keinen dauerhaften Bestand haben. In dem Maß, wie der Staat regelnd in die gesellschaftliche Selbstregulierung durch spontane Ordnungsbildung zugunsten anderer öffentlicher Güter eingreift, werden individuell die Abwehrrechte gegen den Staat als ursprüngliche Schicht der Grundrechte eingeschränkt und wird kollektiv der Zugang zum öffentlichen Gut freier gesellschaftlicher Ordnung in anderer Weise organisiert. Staatliche Zugangsregulierung verdrängt insoweit das gesellschaftliche Prinzip der spontanen Ordnung. Aus güterbezogener Perspektive kommt den Grundrechten damit die doppelte Funktion zu, einerseits das öffentliche Gut kollektiver (gesellschaftlicher) Freiheit zu konstituieren und andererseits die Möglichkeiten staatlicher Regulierung des Zugangs zu anderen staatlich bereitgestellten öffentlichen Gütern zu beschränken. 8. Öffentliche Güter und Werte Die gesellschaftlichen und insbesondere kulturellen Entstehungsgründe öffentlicher Güter legen es nahe, öffentliche Güter und (Grund-) Werte begrifflich auseinander zu halten. Auch wenn es Überschneidungen gibt, kann eine Theorie öffentlicher Güter nicht als Fortsetzung der Grundwertediskussion107 in anderem Gewand gedeutet werden. Gut und Wert sind, jedenfalls wenn man dem älteren und präziseren Sprachgebrauch folgt, klar zu unterscheiden. Umgangssprachlich wird diese Unterscheidung allerdings nicht durchgehalten. Ein Gut kann aber mit einem Wert nicht ohne weiteres identifiziert werden, sondern das Gut besteht zunächst für sich. Der Wert eines Gutes gibt dagegen über eine bestimmte Eigenschaft dieses Gutes 107
G. Gorscheneck (Hrsg.), Grundwerte in Staat und Gesellschaft, 1977; O. Kimminich (Hrsg.), Was sind Grundwerte? Zum Problem ihrer Inhalte und ihrer Begründung, 1977; J. Isensee, Demokratischer Rechtsstaat und staatsfreie Ethik, in: Essener Gespräche 11, S. 92 ff.; E.-W- Böckenförde, Der Staat als sittlicher Staat, 1978; O. Höffe, Ethik und Politik, 1979, S. 453 ff.; C. Schmitt, E. Jüngel, S. Schelz, Die Tyrannei der Werte, 1979; A. Hollerbach, Grundwerte und Grundrechte in der Gesellschaft und im Staat, in: E. Corecco u.a. (Hrsg.), Die Grundrechte des Christen in Kirche und Gesellschaft. Akten des IV. Internationalen Kongresses für Kirchenrecht, 1981, S. 811 ff.; R. Dreier (Hrsg.), Rechtspositivismus und Wertbezug des Rechts, 1990.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Auskunft. Man kann sagen, dass das Gut Träger des Wertes ist oder umgekehrt der Wert das Maß, an dem das jeweilige Gut sich messen lassen muss108. Güter sind nicht an und für sich wertvoll, sondern sie werden es erst durch einen Bewertungsakt. Je abstrakter und allgemeiner öffentliche Güter formuliert werden, desto eher nähern sie sich allerdings an Grundwerte an. Im Unterschied zu diesen können sie aber auch sehr viel konkreter sein als Grundwerte: Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenwürde sind in erster Linie Grundwerte, Studienplätze an staatlichen Hochschulen dagegen ein öffentliches Gut. Dies schließt es selbstverständlich nicht aus, eine öffentliche Güterordnung als freiheitlich oder gerecht oder menschenwürdig bzw. menschenunwürdig zu bewerten. Der Ansatz einer Theorie öffentlicher Güter ist damit erheblich nüchterner als die Frage nach den unverzichtbaren Grundwerten für das Zusammenleben der Menschen in einem Gemeinwesen. Damit soll nicht bestritten werden, dass sich aus Grundwerten bestimmte Staatsaufgaben nicht nur rechtfertigen, sondern auch als notwendig begründen lassen. Das Problem besteht dann allerdings darin, dass Grundwerte ihrerseits legitimationsbedürftig sind und untereinander im Konflikt liegen. Welcher Wert den Vorrang vor anderen konfligierenden Werten genießen soll bleibt dabei häufig unklar: Freiheit oder Gleichheit? Sicherheit oder Freiheit? Selbstentfaltung oder Fremdentfaltung (zukünftige Generationen)? Die richtige Zuordnung von konfligierenden Werten im konkreten Fall ergibt sich durch den Rekurs auf die Grundwerte selbst gerade nicht. Deswegen bleibt die Grundwertediskussion jenseits des Bekenntnisses zur Erforderlichkeit eines allgemeinen Grundkonsenses unbefriedigend. Ein überzeugender Weg zur wissenschaftlichen Bestimmung eines Wertvorrangs vor anderen konkurrierenden Werten konnte bislang nicht gefunden, die Konkurrenz rivalisierender und in ähnlicher Weise in der Verfassung angelegter Grundwerte letztlich nicht aufgelöst werden. Auch blieb bei einigen der Verdacht bestehen, dass die Grundwertediskussion zu sehr in der Nähe zur Wertphilosophie steht. Manche werten sie als Neuauflage eines Naturrechtsdenkens, das stark von den individuellen Präferenzen und Interessen in ihrer Unterschiedlichkeit und Gegensätzlichkeit, aber auch in ihrer Ernsthaftigkeit abstrahiert 109, um letztlich strategisch für den Transport der eige108 Ο. v. Nell-Breuningy Gerechtigkeit und Freiheit. Grundzüge katholischer Soziallehre, 2. Aufl. 1985, S. 110. 109 Vergi. Κ. Lehmann, in: Staatslexikon, Bd. 2, 7. Aufl. 1986, Sp. 1131 ff. (1136). Auf der Grundlage eines Konsenses kann von einer Übereinstimmung in grundlegenden Wertfragen, insbesondere also über den Vorrang des einen vor dem anderen Grundwert, in Wahrheit keine Rede sein, wie das Beispiel des Jahrzehnte währenden Streites um denrichtigenSchutz des ungeborenen Lebens überdeutlich belegt.
III. Tatsächliche Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung
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nen Weltanschauung mit einer angeblich höheren Legitimität eingesetzt zu werden. Schließlich wurde der Vorwurf erhoben, dass jeder Wert danach drängt, sich selbst im Verhältnis zurivalisierenden Werten absolut zu setzen und im Grunde auf die Verdrängung bzw. Vernichtung seines Gegenteils, des jeweiligen „Unwertes", zu zielen 110 . Damit war die Grundwertediskussion wissenschaftlich in die Sackgasse geraten. Öffentliche Güter konkurrieren demgegenüber nicht in gleicher Weise untereinander. Dies gilt insbesondere auch innerhalb der Gruppe der notwendigen Staatsaufgaben. Ein scharfes Konkurrenzverhältnis besteht zwar selbstverständlich auf der Ebene politischer Entscheidung über Art und Umfang der betreffenden Güterproduktion, also insbesondere im Hinblick auf die angemessene Budgetierung der betreffenden Staatsaufgabe im Staatshaushalt, aber nicht begrifflich. Die Güter Wirtschaftswachstum und intakte Naturqualitäten stehen als öffentliche Güter zunächst grundsätzlich gleichberechtigt nebeneinander. Politische Entscheidung muss festlegen, welches Gut im Vergleich zum anderen Gut stärker gefördert werden soll. I I I . Tatsächliche Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung 1. Faktische Produktionsbedingungen Rechtliche Grenzen für die staatliche Güterbereitstellung ergeben sich vor allem aus der negativen Kompetenzdimension der Grundrechte. Sie limitieren die potentielle Allzuständigkeit des Staates in inhaltlicher Hinsicht, aber auch im Hinblick auf die zur Bereitstellung von Gütern zulässigen Mittel und Instrumente. Eine Theorie öffentlicher Güter, die sich auch über die realen Bedingungen der staatlichen und der privaten Güterbereitstellung sowie der Unterschiede zwischen beiden im Klaren sein will, hat daneben aber auch die faktischen Grenzen der Leistungskraft staatlicher Güterproduktion in Betracht zu ziehen. Es geht dabei nicht um die Entwicklung der Theorie eines - vermeidbaren - „Staatsversagens"111, sondern Untersuchungsgegenstand sind die grundlegenden und in gewissem Umfang unvermeidlichen Produktionsbedingungen der staatlichen Güterbereitstellung. Ohne Klarheit über strukturelle Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung kann der staat110
Die polemische Formel von der Tyrannei der Werte (vergi. C. Schmitt, in: S. Schelz (Hrsg.), Die Tyrannei der Werte, 1979, S. 9 ff. drückt dies deutlich aus. 1,1 Η. Η. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 476 ff.; M. Jänicke, Staatsversagen, 1986; C. Watrin, Staatsaufgabe - die ökonomische Sicht, in: Bitburger Gespräche Jahrbuch 1984, S. 51 ff.; B. Wehner, Die Katastrophen der Demokratie, 1992, S. 61 ff. („Demokratieversagen").
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
liehe Verantwortungsrahmen für unverzichtbare öffentliche Güter aber nicht erarbeitet werden. Losgelöst von der konkreten Sachaufgabe lassen sich grundsätzliche Grenzen und Schwierigkeiten bei der staatlichen Bereitstellung öffentlicher Güter benennen, die die Möglichkeit ihrer Produktion maßgeblich bestimmen. Einige dieser Bedingungen gelten dabei zwar nicht spezifisch für die staatliche, sondern auch für die private Güterproduktion. Ihre Darstellung bei der staatlichen öffentlichen Güterproduktion rechtfertigt sich gleichwohl im Hinblick auf die überlegene Steuerungsmacht des Staates, wegen der sie hier in besonderer Weise ins Gewicht fallen. Zu nennen sind vor allem vier Sachgründe112: der strukturelle Mangel an überlegenem Wissen des Staates über die möglichen Folgen seiner Güterproduktion, die staatliche Mitwirkung an der Erzeugung von öffentlichen „Ungütern", die zunehmende Internationalisierung der Güterproduktion und schließlich die Abhängigkeit staatlicher Güterbereitstellung vom wirtschaftlichen Erfolg der Privaten. 2. Mangel an überlegenem Wissen trotz überlegener Steuerungsmacht Die staatliche öffentliche Güterbereitstellung nimmt in vielfältiger Weise auf die spontane Ordnung des Marktes Einfluss. Diese Einflussnahme ist teilweise intendiert, etwa durch die Bereitstellung von Ordnungsstrukturen in der Rolle des Staates als Marktveranstalter, teilweise führt sie bei bewertender Betrachtung aber auch zu unerwünschten Folgen. Die im Vergleich zu der Steuerungssprache des Marktes jedenfalls potentiell größere Kom112 Natürlich lassen sich weitere Grenzen benennen, insbesondere wenn man das Thema in die Nähe dessen rückt, was man die Strukturdefizite der Demokratie nennen könnte, dazu etwa H. Dreier, Hierarchische Verwaltung im demokratischen Staat, 1991, S. 31 f., der vier Schwerpunkte nennt: die unterschiedliche Durchsetzungskraft gesellschaftlicher Interessen, die Belange zukünftiger Generationen, Distanzdefizite der Parlamente zu einzelnen Interessengruppen, Probleme der Steuerbarkeit des wissenschaftsgestützten Fortschritts; ferner H. H. v. Arnim, Staatslehre der Bundesrepublik Deutschland, 1984, S. 482 ff.; aus der Sicht der public choice theory P. A. Samuelson/W. D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Makro- und MikroÖkonomie, Bd. 2, 8. Aufl. 1987, S. 435 ff. (insbesondere zum Arrowschen Theorem, dem Problem des Minderheitenschutzes, dem Phänomen des logrolling und dem Vorrang der Kurzfristperspektive vor der Langfristperspektive); aus der Sicht der „rentensuchenden" Verteilungskoalitionen („Rent-Seeking-Society") Af. Olson , Aufstieg und Niedergang von Nationen, 2. Aufl. 1991, S. 56 ff.: „Die Organisationen für kollektives Handeln, die wir betrachten, sind daher eher und in überwältigender Weise auf Kämpfe um die Verteilung von Einkommen und Vermögen ausgerichtet als auf die Produktion weiterer Güter - sie sind „Verteilungskoalitionen"."
III. Tatsächliche Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung
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plexität staatlicher Steuerung beim Zugang zu öffentlichen Gütern durch die Möglichkeit der verbindlichen Bezugnahme auf außerhalb des Preiskriteriums liegende Gesichtspunkte birgt spezifische Gefahren. Denn der größeren Steuerungsmacht des Staates steht bei theoretischer Betrachtung grundsätzlich kein der Gesellschaft und dem Markt überlegenes Wissen über die möglichen Folgen seiner Maßnahmen bei der Bereitstellung von und der Regulierung des Zugangs zu öffentlichen Gütern zur Seite 1 1 3 . Beide Ordnungsformen unterscheiden sich insbesondere nicht durch ein quantitatives oder qualitatives Mehr an Folgewissen 114 . Greift der Staat in diese spontanen Prozesse ein, besteht stets die Gefahr einer sachlich unangemessenen Übersteuerung. Die Resultate der jeweiligen Ordnungsbildung vermag er häufig nicht zu garantieren oder auch nur vorherzusehen. Oft genug werden erwünschte Resultate verfehlt und unter Umständen sogar in ihr Gegenteil verkehrt. Erst recht gilt dies in vernetzten und komplexen Steuerungszusammenhängen, bei denen unerwünschte Folgen an einer Stelle auftreten, die vorher gar nicht bedacht wurde. Ausschlaggebend dafür ist nicht der Mangel an staatlichen Steuerungsmöglichkeiten, sondern der Mangel an Wissen über die Technikfolgen im weitesten Sinne 1 1 5 , aber auch über die möglichen Auswirkungen bestimmter Steuerungsmaßnahmen. 113
G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 132 ff. unterscheidet drei „Herausforderungen der Ungewissheit": die Tatsachen, die Bewertung der Tatsachen und den Mensch selbst, der sich seiner nicht sicher ist. 114 Allerdings kennt die spontane Ordnung des Marktes weder eine Hierarchie von Zwecken noch die Gewährleistung bestimmter Ergebnisse, vergi. E.-J. Mestmäcker, Organisationen in spontanen Ordnungen, Hayek Vorlesung 1991, S. 12 f. Für F. A. v. Hayek , Die Verfassung der Freiheit, 1971, S. 37 ff. sind es gerade die spontanen Kräfte und Zufälle, die den Fortschritt möglich machen. „Wir müssen anerkennen, dass der Fortschritt und selbst die Erhaltung unserer Zivilisation von der größtmöglichen Gelegenheit für den Eintritt von Zufällen abhängt." Dieser von evolutionstheoretischem Optimismus getragene Ansatz steht in striktem Gegensatz zur Verantwortungsethik von H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979, S. 70 ff., der mit dem Postulat des Vorrangs der schlechten vor der guten Prognose den spontanen Kräften für die Lösung von Problemen zu wenig Raum lässt. Hayek räumt allerdings ein, dass Zufälle „gewöhnlich nicht einfach geschehen. Wir müssen sie vorbereiten." (S. 38 f.). Vergi, auch F. A. v. Hayek , Die Ergebnisse menschlichen Handelns, aber nicht menschlichen Entwurfs, in: ders., Freiburger Studien, 1969, S. 97 ff.; ders., Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 1, 2. Aufl. 1980, S. 179. Auch wer den letztlich evolutionären Optimismus Hayeks nicht uneingeschränkt teilt, wird sich der Einsicht nicht verschließen können, dass das Wissen des Staates um die Folgen seiner Steuerung prinzipiell nicht größer sein kann als das der Gesellschaft. In der allgemeinen Ernüchterung nach der sogenannten Planungseuphorie zu Beginn der 70 er Jahre dürfte sich diese Erkenntnis spiegeln. H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 121 sieht deswegen zu Recht eine der wichtigsten Aufgaben der Staatstheorie darin, den Staat vor der Zumutung unlösbarer Aufgaben und damit vor Überforderung zu schützen. Eine andere Frage ist es, ob die Wissensakkumulation durch spontane Ordnung in jedem Fall effektiver ist als durch staatlich gelenkte Eingriffe.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Soweit solche unerwünschten Folgen auftreten, sind die Korrektivkräfte des Marktes lahmgelegt, weil die staatliche Zwangssteuerung durch Recht spontane Ordnung insoweit gerade ausschließt. Je komplexer die gesellschaftlichen Strukturen, um so schwieriger sind die Folgen rechtlicher Steuerung im Vorhinein zu übersehen. Selbst in einfach strukturierten Gesellschaften können bestimmte staatliche Maßnahmen in einem eng begrenzten Lebensbereich zu unerwünschten Folgen in ganz anderen Lebensbereichen führen, die katastrophal auf das Gesamtgefüge zurückwirken können, zumal wenn es um längerfristige Wirkungszusammenhänge geht 1 1 6 . Überlegene Handlungsmacht bedeutet eben nicht notwendig auch überlegenes Wissen 1 1 7 . Hinzu kommt, dass staatliche Institutionen regelmäßig ein erhebliches Eigengewicht bei der Definition ihrer eigenen Tätigkeit und Aufgaben einbringen 118 . In hochkomplexen und vernetzten Strukturen wächst mit steigender Handlungsmacht zugleich die Wahrscheinlichkeit, dass es zu ungewollten und nicht vorhergesehenen Folgen kommt, die sich nicht mehr kontrollieren lassen. Das strukturelle Wissensdefizit des Staates, dem Private bei der Folgenabschätzung im übrigen in gleicher Weise unterliegen, ohne über die exklu115 Grundlegend zur Strukturschwäche des vorausschauenden (prognostischen und vorsorgenden) Wissens R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 4 ff., die andererseits auch die Ambivalenz der Nichtvorhersehbarkeit hervorheben (S. 58 ff.) und den von Hans Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1979, S. 70 ff. postulierten Grundsatz des Vorrangs der schlechten vor der guten Prognose zu Recht skeptisch beurteilen (S. 9). 116 Sehr anschaulich aus psychologischer Sicht D. Dörner, Die Logik des Misslingens, 1989, dort insbesondere das Beispiel von „Tanaland" (S. 22 ff.), bei dem in einer komplexen Computersimulation am Beispiel eines Entwicklungslandes gut gemeinte Entscheidungen zu katastrophalen Konsequenzen führen, da die meisten Spieler überhaupt keine angemessene Vorstellung von der komplexen Vernetzung verschiedener Faktoren wie Gesundheit, Ernährungslage, Wasserversorgung, Viehbestand, Bevölkerungsdichte und Kindersterblichkeit, sozialer Frieden etc. mitbringen. Weniger dramatische Zielkonflikte spiegeln sich im „Ressortegoismus" als Organisationsprinzip politischen Handelns in einer Regierung. 117 Die Forderung nach einer Gesetzgebung auf Zeit mit entsprechender Evaluation findet hier ihr rationales Fundament, dazu W. Hoffmann-Riem, Festschrift W. Thieme, 1993, S. 55; R. Stettner, NVwZ 1989, S. 806; H.-D. Horn, Experimentelle Gesetzgebung unter dem Grundgesetz, 1989; R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 33 ff.; Der bekannte Ressortegoismus steht freilich der Durchführung einer systematischen und erfolgreichen Evaluation entgegen, vergi, die Forderung von F. Naschold, Modernisierung des Staates, 2. Aufl. 1994, S. 70 ff. nach einem staatlichen „Aufgaben-Controlling". 118 Zu Methoden und Ergebnissen des neuen institutionellen Ansatzes in der Politikwissenschaft, der die Vorstellung eines ausschließlich durch gesellschaftliche Gruppen und Interessen gelenkten Staatsverständnis als reduktionistisch kritisiert und demgegenüber die Eigendynamik staatlicher Institutionen untersucht, A. Windhoff -Héritier , in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 71 ff.
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siven Handlungsmittel staatlicher Steuerungsmacht zu verfügen, stellt seine grundsätzliche Überlegenheit nicht in Frage, durch die Einbeziehung komplexer Kriterien den Zugang zu öffentlichen Gütern stark differenziert zu regulieren 119 . Schließlich bestreiten auch die Theoretiker der spontanen Ordnung nicht, dass die tendenziell chaotischen spontanen gesellschaftlichen Ordnungsprozesse in überaus komplexen Gesellschaften einen verbindlichen staatlichen Ordnungsrahmen voraussetzen, um zu optimalen Ergebnissen zu gelangen. Stabile Ordnungsstrukturen sind alleine schon für die Gewährleistung von Kommunikation erforderlich 120 , ohne die spontane Ordnungen, die allererst auf die Akkumulation von Wissen für dessen effiziente Nutzung angewiesen sind, nicht optimal funktionieren können. Ebenso wenig wird in Frage gestellt, dass der Staat Erhebliches dazu beitragen kann, vorhandenes Wissen zu akkumulieren, systematisch aufzubereiten, auszuwerten und allgemein zugänglich zu machen. Sie wenden sich allerdings gegen die staatliche Überregulierung, die die Entstehung spontaner „Handelnsordnungen" im Gegensatz zu der durch staatlich gesetztes Recht strukturierten Rechtsordnung behindert 121 .
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Von daher ist es nicht verwunderlich, dass sich bei aller „Entzauberung des Staates" die Erwartungen der Staatslehre, wie R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 12 hervorheben, letztlich doch wieder auf den Staatrichten,vergi, nur G. F. Schuppen, Der Staat 28, S. 91 ff. 120 E.-J. Mestmäcker, Organisationen in spontanen Ordnungen, Hayek Vorlesung 1991, S. 12 ff. 121 F. A. v. Hayek , Freiburger Studien, 1969, S. 144 ff. und S. 162 ff. (Lehre von der sozialen Handelnsordnung als nicht-gezielter Ordnung der Gruppe im Gegensatz zu Verhaltensregeln der Individuen und der Rechtsordnung). Diese Variante der Unsichtbaren-Handtheorie (vergi. S. 156) mit einem allerdings höheren Erklärungswert mündet normativ in einer konsequenten Minimalstaatslehre, die das Verhindern staatlicher Eingriffe in die sich selbst entwickelnden Ordnungen, die für die unbedingt erforderliche Akkumulation und Nutzung des vorhandenen Wissens und damit für den Fortschritt sorgen (vergi. S. 190), zur Hauptmaxime erklärt. Die für Minimalstaatstheoretiker charakteristische Kritik an Kollektiventscheidungen findet sich etwa auch bei J. Buchanan, in: D. Doering/F. Fliszar (Hrsg.), Freiheit: Die unbequeme Idee, 1995, S. 28, und A. de Jasay, 1995, Liberalismus neu gefaßt, 166 und 150. Dabei wird allerdings das Problem vernachlässigt, dass auch gesellschaftliche spontane Entwicklungen misslingen bzw. zu unerwünschten Nebenfolgen führen können. Dieser Einwand, den O. Höffe, in: Revue Internationale de Philosophie 1991, S. 427 ff., zu Recht gegen R. Nozicks Minimalstaatslehre erhebt, gilt hier in gleicher Weise. Dem Reduktionismus der Staatsaufgaben entspricht insofern ein nicht minder reduktionistisches Gesellschaftsmodell, so H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 93 f. F. A. v. Hayek , Recht, Gesetzgebung und Freiheit, Bd. 3, 1981, S. 190 ff., hat dies im übrigen sehr viel klarer gesehen als manche seiner radikalliberalen Epigonen, wenn er immer wieder die Aufgabe des Staates zur Bereitstellung eines äußeren Ordnungsrahmens für die Optimierung gesellschaftlicher Prozesse betont. 16 Gramm
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Wie das Beispiel der inneren Sicherheit zeigt, beruht aber die Entstehung von hochkomplexen öffentlichen Gütern weder nur auf der Entscheidung einer zentralen Gemeinwohlinstanz noch ausschließlich auf individuellen Handlungen, sondern auf einer schwierigen und im einzelnen kaum zu durchdringenden Gemengelage der Koproduktion staatlicher und privater Akteure 122 . Damit verlagert sich das Problem staatlicher Güterproduktion auf die Bestimmung des richtigen staatlichen Produktionsanteils insbesondere bei hochkomplexen öffentlichen Gütern, aber auch bei der Festlegung des erforderlichen Rahmens für die optimale Selbstorganisation der Gesellschaft. Entscheidende Hinweise für die Lösung liefert der Theoretiker der spontanen Ordnung Hayek selbst: Spontane Ordnung kann nämlich nicht nur durch ein Übermaß an staatlicher Regulierung gefährdet werden, sondern ebenso durch einen Mangel an gesellschaftlicher Informationsdurchlässigkeit wegen der Entstehung von Monopolen123. Diese Gefahr ist deswegen nicht zu unterschätzen, weil die Gesellschaft grundsätzlich ebenfalls keine überlegenen Wissensstrukturen besitzt, wenn es um die Abschätzung der Folgen bestimmter Produktionszusammenhänge geht. Solche Monopole, die zu Abschottungsprozessen in der gesellschaftlichen Durchlässigkeit von Informationen führen, gilt es deswegen ebenso zu verhindern 124 wie die staatliche Übersteuerung, die den Prozess gesellschaftlich autonomer und damit freier Problemlösungen behindert.
122 R. Pitschas, DÖV 1997, S. 397 f. geht in Bezug auf die „Staatsaufgabe Sicherheit" bereits von einem Übergang von der Staatsaufgabe zur „Sicherheitspartnerschaft" zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren aus. „Im kooperativen Rechtsstaat ist deshalb die Gewährleistung innerer Sicherheit keine ausschließliche Staatsaufgabe mehr." (S. 398) Tatsächlich dürfte innere Sicherheit eine ausschließliche Staatsaufgabe nie gewesen sein, sondern immer nur in geringerem oder stärkerem Umfang. Die entscheidende kompetenzrechtliche Frage nach einer sauberen Trennung der jeweiligen Aufgabensegmente und Befugnisse wird dadurch freilich nicht beantwortet, ebenso wenig wie durch den Rückgriff auf die „Verwirklichung der Sicherheitspartnerschaft durch Verantwortungsteilhabe". Aus staatsrechtlicher Sicht geht es gerade um die Festlegung des unverzichtbaren originären staatlichen Beitrages bei der Bereitstellung von Sicherheitsgütern. 123 F. A. v. Hayek , Freiburger Studien, 1969, S. 121 ff. In seiner Theorie spielt die Sicherung des „notwendigen Grades von Wettbewerb" deswegen eine zentrale Rolle, weil nur so die erforderliche Akkumulation und Verwertung des Wissens zu neuen Fortschrittsprozessen gesichert werden kann („Wettbewerb als Entdeckungsverfahren", a.a.O. S. 249 ff.). 124 Vergi. H. H Rupp, HStR I, 1987, § 28 Rdn. 52 (S. 1220 f.), der daraus einerseits Zurückhaltung bei staatlichen Eingriffen in komplexe gesellschaftliche Abläufe wegen nicht vorhersehbarer Dominoeffekte anmahnt und andererseits die Verhinderung von Vermachtung und Oligopolisierung der Gesellschaft als zentrale Staatsaufgabe erkennt.
III. Tatsächliche Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung
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3. Beteiligung an der Entstehung öffentlicher „Ungüter" Vernachlässigt wurde bislang der Aspekt, dass der Staat bei seiner Güterproduktion nicht nur erwünschte, sondern unter Umständen auch unerwünschte Güter produziert. Öffentliche „Ungüter" bzw. öffentliche Übel („collective bads" 125 ) entstehen auch unter staatlicher Mitwirkung. Eine mögliche Ursache, nämlich den unvermeidlichen Mangel an vollständigem Wissen über die tatsächlich eintretenden Folgen, wurde bereits benannt. Selbstverständlich gibt es daneben auch andere, mitunter sehr durchsichtige Ursachen für Fehlentscheidungen im Staat wegen persönlichem Versagen 126 und für die daraus resultierende Produktion entsprechender Ungüter, genauso wie privates Versagen zum öffentlichen Übel werden kann, etwa bei einem fahrlässig verursachten Großbrand in einem Chemiewerk mit großflächigen Schadenseffekten. Solche im Grunde alltäglichen und nie auszuschließenden, lediglich in der Dimension ihrer Folgen schwankenden Formen menschlicher Unzulänglichkeiten finden sich in Staat und Gesellschaft prinzipiell in gleicher Weise. Eine juristische Theorie öffentlicher Güter konzentriert sich demgegenüber auf die Frage nach den Konsequenzen der staatlichen Beteiligung an der Entstehung von öffentlichen Ungütern durch Duldung und zum Teil auch durch aktive Teilnahme127. Im Vordergrund steht dabei das Phänomen der Beteiligung des Staates an der Entstehung öffentlicher Übel durch Nichtintervention trotz vorhandenen Wissens um die Folgen des eigenen Unterlassens. Gegenstand staatlicher Duldung sind in erster Linie die Handlungen von Privaten, die zwar rechtlich nicht verboten sind, die aber gleichwohl staatlich-öffentliche Güter oder natürliche Gemeinschaftsgüter, die bislang noch nicht der staatlichen Sorge und damit der staatlichen Bewirtschaftung durch Zugangsregulierung unterliegen, aufzehren oder zerstören. Wissen muss dabei nicht unbedingt aktuell bei den verantwortlichen Entscheidungsträ125 H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 367; J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, 1984, S. 171. 126 Dazu insbesondere die kritischen Beiträge von H. H. v. Arnim, Demokratie ohne Volk, 1993; ders., Staat ohne Diener, 1993. 127 Dieser Zusammenhang ist in der grundlegenden Untersuchung von R. H. Coase, Das Problem der sozialen Kosten, in: H.-D. Assmann/C. Kirchner/E. Schanze, Ökonomische Analyse des Rechts, 1978, S. 146 (169 ff.; 196 ff.) aus ökonomischer Sicht analysiert worden. „Die Kosten für die Ausübung eines Rechts (auf Benutzung eines Produktionsfaktors) bestehen immer in dem anderswo als Konsequenz der Ausübung jenes Rechts erlittenen Nachteil." (S. 198). Dieser Gedanke trägt nicht nur in ökonomischer Sicht, sondern auch im Hinblick auf Rechte, vergi, insbesondere die Arbeiten von D. Suhr, Entfaltung des Menschen durch die Menschen, 1976; ders., Der Staat 29, S. 69 ff.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
gern vorhandenes Wissen bedeuten, sondern es bedeutet, dass die Entstehung öffentlicher Ungüter jedenfalls nicht außerhalb des Horizonts aktueller Erkenntnis auf Grund des gegebenen Wissens einer Zeit liegt. Damit wird nicht behauptet, dass die tatsächlich eintretenden Negativeffekte stets gewollt sind oder wenigstens bewusst in Kauf genommen werden. Die staatliche Duldung der Entstehung von öffentlichen Ungütern ist nichts anderes als ein Unterlassenstatbestand, der sich überaus folgenreich auf die Freiheit aller auswirkt. Das Denken in der Kategorie öffentlicher Güter vermag diesen sachlichen Zusammenhang klar zu machen128. Das zu Grunde liegende Problem besteht darin, dass es heute in weiten Bereichen weniger die unerlaubten Handlungen Einzelner sind, sondern die unerwünschten, aber gleichwohl eintretenden Folgen der rechtlich zulässigen Freiheitsausübung der Vielen, die die kollektiven Voraussetzungen der Freiheit aller und damit wichtige öffentliche Güter in ihrem Bestand bedrohen. Ausgangspunkt dafür ist die staatliche Gewährleistung bzw. Anerkennung von Freiheit, die ihren höchsten Ausdruck in der verfassungsrechtlichen Garantie von Grundrechten gefunden hat. Grundrechtliche Freiheit ist an keiner Stelle natürliche Freiheit im Sinne von schrankenloser Freiheit, sondern sie besteht nur nach Maßgabe ihrer rechtlichen Ausformung und Beschränkung. Diese rechtlich geordnete und geformte Freiheit gibt den potentiellen Entfaltungsspielräumen des Einzelnen Maß und Richtung. Das aktuelle Tun und Unterlassen von Menschen und juristischen Personen wird so nicht nur durch die faktischen Möglichkeiten und Chancen, sondern auch durch das Recht bestimmt, indem die Rechtsordnung das Können und das Wollen durch das gesetzliche Dürfen limitiert und damit die Freiheit der Wahl zwischen verschiedenen Handlungsalternativen durch den Ausschluss bestimmter Alternativen. Wie der Einzelne seine rechtlich gleichermaßen strukturierte und garantierte Freiheit nutzt, ist nach liberalem Freiheits- und Grundrechtsverständnis seine Sache und liegt weitgehend außerhalb zulässiger staatlicher Einflussnahme 129, jedenfalls so lange, wie sich diese Freiheitsausübung im 128
Die Wechselwirkung zwischen der Umwelt der Freiheit als Voraussetzung individueller Freiheit betont H. H. Rupp, HStR I, 1987, § 28 Rdn. 36 f. (S. 1211 f.). Betont wird dieser Zusammenhang auch von D. Murswiek, JZ 1988, S. 991 ff. sowie ders., Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 68, 88 ff., wonach der Staat sich die voraussehbaren Folgen des rechtlich erlaubten Handelns seiner Bürger zurechnen lassen muss; kritisch dazu J. Dietlein, Die Lehre von den grundrechtlichen Schutzpflichten, 1991, S. 48 ff. 129 Freilich unterscheidet der Staat selbst längst zwischen erwünschtem und nicht erwünschtem, aber gleichwohl erlaubtem Freiheitsgebrauch und versucht, darauf mit den Mitteln weicher, d. h. auf die Überzeugungsbildung zielende Steuerungsmaßnahmen wie Aufklärungsmaßnahmen und Appelle Einfluss zu nehmen, C. Gramm, Der
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Rahmen der rechtlichen Ordnung des Erlaubten oder präziser, negatorisch formuliert, da es einen abschließenden Kanon erlaubter Handlungen nicht gibt, der rechtlichen Ordnung des nicht Verbotenen bewegt. Im Rahmen des nicht Verbotenen darf der Einzelne seine Freiheit so oder so gebrauchen. Es gibt keinen rechtlich verbindlichen Vernunft-, Gemeinwohl- oder Gemeinsinnvorbehalt für die Freiheitsausübung. Grund- und Freiheitsrechte sichern mit anderen Worten noch nicht deren guten Gebrauch 130. Es gehört zum liberalen Freiheitsverständnis des Grundgesetzes, dass die Freiheit um ihrer selbst willen und nicht um ihrer Indienstnahme für noch so gute, staatlich oder durch gesellschaftliche Gruppen vorgegebene Zwecke willen gewährleistet wird 131 . Innerhalb der Schrankentrias von verfassungsmäßiger Ordnung, Rechte anderer und Sittengesetz hat jeder das Recht, sich auch gemeinwohlwidrig und, soweit Rechtsordnung und moralische Vorstellungen sich nicht decken, auch „unmoralisch" zu verhalten was immer das in der pluralistischen Gesellschaft bedeuten und wer auch immer darüber befinden mag. Im geltenden rechtlichen Ordnungsrahmen entfalten sich die spontanen gesellschaftlichen Gestaltungskräfte auf legale Weise und gestalten damit die Zukunft. Selbstverständlich wird Zukunft auch durch unerlaubte und illegale Handlungen festgelegt. Hier geht es aber um das Phänomen, dass viele schwerwiegende Zukunftsprobleme sich in erster Linie nicht als Folge aus unerlaubten Handlungen darstellen, sondern als unerwünschte Folge des rechtlich erlaubten Tuns der ganz legalen Freiheitsausübung der Vielen 132 . Hierbei steht wiederum die kollektive Dimension des freiheitlichen Handelns des Einzelnen im Vordergrund, diesmal allerdings nicht in ihrer bereits analysierten positiven Bedeutung wie beim Beispiel des Klimas der Meinungsfreiheit, sondern in ihrer negativen Dimension. Diese Negativdimension, die sich auch als schädlicher Wachstumsprozess beschreiben Staat 30, S. 51; H. A. Hesse, Der Schutzstaat, 1994, S. 180 ff., spricht von der „Pädagogisierung des Staat-Bürger-Verhältnisses" und erkennt darin einen „Trend zum Totalitären" (S. 187); zum Phänomen erwünschter und unerwünschter, aber gleichwohl erlaubter Freiheitsausübung auch J. Braun, JUS 1994, S. 727 (729); ders., Freiheit Gleichheit Eigentum, 1991, S. 166. 130 J. Isensee, HStR V, 1992, § 115 Rdn. 262 ff. (S. 482) weist darauf hin, dass es dem eingreifenden Staat verwehrt ist, zwischen gutem und schlechtem Grundrechtsgebrauch zu differenzieren. Dies gilt allerdings nicht, soweit der Staat sich leistend und fördernd betätigt oder geistigen Einfluss durch Informationen, Appelle, Staatsrhetorik und in der schulischen Erziehung ausübt. 131 J. Isensee, HStR V, 1992, § 115 Rdn. 1 (S. 355) und Rdn. 163 ff. (S. 436 ff.). 132 Insofern lebt die Freiheitsordnung als Ordnung davon, dass von dieser Freiheit, soweit sie erkennbar mit negativen Auswirkungen verbunden ist, jedenfalls in der Summe nur in bescheidenem Umfang Gebrauch gemacht wird, vergi. J. Braun, Freiheit Gleichheit Eigentum, 1991, S. 166 ff.
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lässt 133 , erfasst zahlreiche Lebensbereiche: Umweltzerstörungen bedrohen die natürlichen und klimatischen Lebensgrundlägen, demographische Entwicklungen das soziale Gefüge der Gesellschaft und die Funktionstüchtigkeit sozialer Vorsorgesysteme 134, die Verlagerung von Arbeitsplätzen und Gewinnen ins Ausland die Grundlagen des nationalen Wohlstandes für alle sowie der großen Vorsorgesysteme. Diese Herausforderungen sind ganz überwiegend nicht in erster Linie auf ein vordergründiges Staatsversagen oder das Versagen einzelner Akteure zurückzuführen, sondern auf die in ihrer kollektiven Dimension für den Bestand von öffentlichen Gütern bedrohliche Summierung von mehr oder weniger alltäglichen „Jedermanns-Verhaltensweisen" 135. Gegenüber diesem Phänomen läuft das handlungsbegrenzende ethische Prinzip des allgemeinen Schädigungsverbotes leer. Denn erst in der massenhaften Summierung schlagen die für sich genommen harmlosen Folgen von Freiheitsausübung zu einer insgesamt negativen Entwicklung um, die über die Veränderung des Bestandes öffentlicher Güter und damit Freiheitsvoraussetzungen aller zeitlich versetzt wiederum auf die Lebensführungs- und Freiheitschancen aller oder doch der meisten136 Einzelnen zurückwirkt. Dabei sind die einzelnen Verursachungsbeiträge so subtil, dass eine individuelle Zurechnung vom öffentlichen Ungut zum einzelnen Verursacher faktisch nicht möglich ist. Kleine und kleinste individuelle Handlungsbeiträge verdichten sich zu kollektiven und anonymen Schadensgrößen und damit zu öffentlichen Ungütern. Auf den Umfang des individuellen Schadensbeitrages kommt es jedenfalls rechtlich gesehen nicht an, so lange dieser sich im Rahmen des Erlaubten hält. Die Rechtsordnung vertraut als Freiheitsordnung zuletzt darauf, dass die schädlichen Folgen rechtlich zulässigen individuellen Freiheitsgebrauchs 133 Grundlegend R. Riedl/M. Delpos (Hrsg.), Die Ursachen des Wachstums, 1996, etwa S. 12. 134 Das Phänomen des „demographischen Alterns" in einigen wohlhabenden westlichen Industrienationen stellt das Gegenstück zur Überbevölkerungsproblematik in vorwiegend armen und sehr armen Ländern dar. 135 H. Zacher, Festschrift P. Lerche, 1993, S. 107; vergi, auch J. Braun, JUS, S. 729; R. Nozick , Anarchie Staat Utopia, S. 82 f.; H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 98, 101 f.; J. Caspar, ARSP 1997, S. 340 f. 136 Diese Einschränkung ist deswegen erforderlich, da sehr wohlhabende Personen die Chance nutzen werden, sich den negativen Auswirkungen zu entziehen, jedenfalls so lange entsprechende Chancen bestehen. Insofern trifft die bekannte Formel von U. Beck, Risikogesellschaft. Auf dem Weg in eine andere Moderne, 1986, S. 48, „Not ist hierarchisch, Smog ist demokratisch" so nicht die Lebens Wirklichkeit, denn die - um im Bilde zu bleiben - Smog-Vermeidungsressourcen durch persönlichen Entzug sind nicht nur global, sondern auch aus binnengesellschaftlicher Sicht durchaus stark unterschiedlich verteilt.
III. Tatsächliche Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung
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sich in ihrer Summe insgesamt in einem erträglichen Rahmen halten. Der Bestand öffentlicher Güter lebt damit in vielen Fällen davon, dass faktisch keine an die Substanz des Gutes gehende Nutzung durch alle Grundrechtsinhaber erfolgt und es nicht zu einem Verzehr des jeweiligen Gutes bzw. der Ressource kommt 137 . Individuelle Freiheit lässt sich nur bewahren, wenn sie nicht von allen zugleich und in großem Ausmaß ausgeübt wird 1 3 8 . Typischerweise werden die Kosten der Freiheitsausübung der Vielen oder auch im Einzelfall besonders intensive Freiheitsgebräuche auf Kosten der Solidargemeinschaft abgewälzt. Dies gilt sowohl zwischen den Generationen als auch zwischen bestimmten Bevölkerungsgruppen, die auf Grund ihrer unterschiedlichen Lebenssituation in ebenso unterschiedlicher Weise zur Externalisierung ihrer Freiheitsausübungskosten in der Lage sind. Zwischen den Generationen ist dieser Zusammenhang im Hinblick auf Umweltund Klimaqualitäten, aber auch bezüglich staatlicher Schuldenlasten bekannt und evident139. Die externen Kosten der Freiheitsausübung der Vielen werden sozialisiert, weil sie kollektiv als öffentliches Ungut die Grundlagen für die Freiheitsausübung einschränken140. Wenn diese Kosten wegen des zeitlichen Verzögerungseffekts erst sehr viel später sichtbar werden, treffen sie eine andere Generation. Freilich funktioniert diese Externalisierung auch schon jetzt, etwa zu Lasten der Familien 141 . Das Beispiel belegt auch, dass es hier nicht um ethische Kategorien mit entsprechender Vorwerfbarkeit persönlichen Versagens geht, sondern rein deskriptiv um die rechtlich ermöglichte und staatlich in Kauf genommene Verlagerung von Kosten zu Lasten einer bestimmten Gruppe. 137
Aus ressourcenbezogener Perspektive gilt dieser Sachzusammenhang für einige Güter längst global: Wäre der Motorisierungsgrad weltweit auf dem Niveau der westlichen Industrienationen, würde die Erdatmosphäre zusammenbrechen. Der Bestand des Gutes lebt damit davon, dass faktisch von der Belastung der Atmosphäre mit Schadstoffen nur in begrenztem Umfang Gebrauch gemacht wird. 138 R. Münch, Dynamik der Kommunikationsgesellschaft, 1995, S. 195 f., der dies am Beispiel der Inanspruchnahme des Rechts auf Bildung nachzeichnet, das durch seine immer größere Inanspruchnahme zugleich immer neue Randgruppen von Schwachen und Zukurzgekommenen hervorbringt. 139 W. Richter, StWStP 1992, S. 171 ff. 140 Zum Beispiel des Rentensystems und der Kindererziehung C. Gramm, ZRP 1993, S. 86. 141 Der Zusammenhang von Rentenversicherung, Familienlastenausgleich etc. ist bekannt, vergi, nur D. Suhr, Der Staat 29, S. 69 ff. Die Zwangsmitgliedschaft in der Rentenversorgung führt zu erheblichen Verzerrungen. Das Beispiel zeigt im übrigen, wie sich Entscheidungen in einer ganz anderen Sphäre - hier: der Bildungspolitik vernetzt auswirken: Die Forderung nach der Einführung von Studiengebühren trifft nicht nur die Studierenden, sondern vor allem auch die ohnehin schon benachteiligten Familien.
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Man mag dies als die Dialektik 142 oder die Ambivalenz der Freiheit 143 bezeichnen, die zur Selbstzerstörung oder jedenfalls Beeinträchtigung der aktuell bestehenden tatsächlichen und rechtlichen Grundlagen von Freiheit beiträgt 144. Aus der Perspektive des güterbezogenen Denkens kann man auch von einer Dialektik staatlicher Güterproduktion sprechen. In dem Maß, wie öffentliche Ungüter wachsen, wird der freie Zugang zu den öffentlichen Gütern, die entsprechend knapper werden, immer mehr zum Verteilungsproblem 145; die (Neu-) Verteilung der faktisch eingeengten Zugangschancen zum öffentlichen Gut infolge von dessen Verknappung wird dann zum zentralen Problem staatlicher Zugangsregulierung und Bewirtschaftung. In der kollektiven Dimension der Bedrohung des freien Zugangs zum betroffenen öffentlichen Gut für alle wird zuletzt dessen Bestand gefährdet, und zwar keineswegs nur durch rücksichtslosen oder gedankenlosen Freiheitsgebrauch, sondern auch durch Rechtsgrundlagen selbst, wenn diese dem vorhersehbaren Zusammenbruch nicht ausreichend 146
gegensteuern . Schließlich wird die Beteiligungsrolle des Staates an der Entstehung kollektiver Ungüter durch seine aktive Beteiligung an der Produktion von Risiken vollends transparent 147. Als Subventionsgeber, etwa für landwirtschaftliche Düngemittel, die das Grundwasser belasten, als Förderer von Wissenschaft und Forschung 148, die ihrerseits nicht nur Chancen, sondern auch neue Risiken erzeugen, oder als Unternehmer mit einem Eigeninteresse an hohem Energie- und Wasserverbrauch 149, entgeht der Staat, der andererseits auf die Schonung der natürlichen Lebensgrundlagen verpflichtet ist, nicht 142
D. Murswiek, JZ 1988, S. 986 ff.; C. Gusy, StWStP 1994, S. 188 f.; J. Schwabe, Die sogenannte Drittwirkung der Grundrechte, 1971, S. 16 f. und S. 58; D. Suhr, JZ 1980, S. 166; ders., EuGRZ 1984, S. 529; ders., in: W. Baumann (Hrsg.), Rechtsschutz für den Wald, 1986; ders., Gleiche Freiheit, 1988; G. Haverkate, Verfassungslehre - Verfassung als Gegenseitigkeitsordnung, 1992. Vergi, auch J. Isensee, HStR V, 1992, § 115 Rdn. 263 (S. 482); R. Münch, Risikopolitik, 1996, S. 234 f. 143 R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, § 3 (S. 67 ff.). 144 Die Dialektik der Freiheit ist insofern auch eine Dialektik des Wohlfahrtsstaates, den H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 22 als Opfer seines eigenen Erfolges sieht; M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 16 ff. 145 H. Zacher, Festschrift P. Lerche, 1993, S. 107. Zu der daraus resultierenden Rückkehr der Verteilungskonflikte R. Münch, Risikopolitik, 1996, S. 128, 134 f. 146 D. Murswiek, JZ 1988, S. 993, fordert deswegen die rechtzeitig einsetzende staatliche Bewirtschaftung. Die Einschränkung der Freiheit zur Teilhabe - in der hier gewählten Sprache: des Zugangs zu öffentlichen Gütern - sei nötig, um die Möglichkeit der Freiheit zur Teilhabe zu erhalten. 147 J. Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, S. 522. 148 vèrgi, υ χ Preuss, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, S. 543, der die Frage aufwirft, wer die „Irrtumskosten" trägt.
III. Tatsächliche Grenzen der staatlichen Güterbereitstellung
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einer gewissen Ambivalenz in seinen eigenen, rechtlich verpflichtenden Interessen. 4. Internationalisierung der Güterproduktion Zunehmend werden die Chancen der nationalen Bereitstellung bzw. der Regulierung des Zugangs zu öffentlichen Gütern auch durch die Internationalisierung der Bedingungen ihrer Produktion bestimmt150. Verantwortlich für diese Entwicklung sind faktische, insbesondere auch technische und rechtliche Ursachen. In faktischer Hinsicht entziehen sich aus der Natur der Sache viele öffentliche Güter der ausschließlich nationalen Bewirtschaftung durch autonomes Recht 151 . Internationalisierung bedeutet zunächst die Internationalisierung der Probleme bzw. der Wahrnehmung von Problemen 152. Dies gilt etwa fiir die Gefährdung von Umwelt- und Klimaqualitäten oder die weltweite Trinkwasserversorgung. Die wirksame Bereitstellung dieser Güter ist immer mehr auf länderübergreifende Arrangements und auf supranationales Handeln angewiesen. Durch die Internationalisierung der Produktionsbedingungen, durch die gegenüber der Natur gewaltig angestiegene Macht menschlichen Handelns und durch wachsendes Wissen rücken weltweite Problemzusammenhänge, Abhängigkeiten und sensible Gleichgewichte immer stärker ins Bewusstsein153. Die Bereitstellung und der Zugang zu 149
W. Berg, ThüVBl. 1994, S. 149, der zu Recht feststellt, dass das Handeln nach wirtschaftlichen Grundsätzen zwangsläufig zur Vernachlässigung öffentlicher Interessen führt, sofern nicht das allgemeine Gesetz entgegensteht. 150 Zur Internationalisierung insbesondere P. Saladin, Wozu noch Staaten? 1995, etwa S. 18 ff., 121 ff. Saladin wirft vor diesem Hintergrund die Fragen auf, welche Aufgaben Verfassungsstaaten im Verhältnis zu den Aufgaben von Staatengemeinschaften tatsächlich erfüllen und welche Aufgaben sie erfüllen sollen, S. 38, und entwickelt dafür vier Kriterien, S. 111 ff. (118), die sich auch als Konkretisierung des Subsidiaritätsprinzips lesen lassen. 151 Der Nationalstaat ist, wie R. Herzog vor dem 41. Deutschen Historikertag 1996, Bulletin des Presse- und Informationsamtes der Bundesregierung, 1996, Nr. 74, S. 795 (798) formuliert hat, „dabei, zu klein zu werden für die großen Probleme des Lebens und zu groß für die kleinen". 152 Unterschiedliche ökonomische und kulturelle Standards können allerdings zu völlig unterschiedlichen Problem Wahrnehmungen und -be Wertungen führen: Was aus der Sicht eines wohlhabenden Landes als prioritäres Problem angesehen wird, rangiert in einem armen Land häufig weit hinten auf der Liste der zur Lösung anstehenden Probleme. Ohne gemeinsame Prioritäten bei Problemwahrnehmung und -bewertung kommt Kooperation aber auch zwischen den Staaten von vornherein kaum mit Aussicht auf Erfolg zustande. 153 Stichworte sind Luftbelastung, Regenwälder, Weltmeere, Trinkwasserreserven, Ozonschicht, Polabschmelzung, aber auch die Lagerung von hochgefährlichen Abfällen (Grundwassergefährdung, Atomunterseeboote im Nordmeer) etc.
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einigen lebenswichtigen öffentlichen Gütern und damit die Freiheitsausübungschancen des Einzelnen hängen damit auf Dauer immer weniger nur von der Handlungsmacht des nationalen Staates ab, sondern vom Erfolg internationaler Verständigung und Handlungsbereitschaft, der sich allerdings oft genug nicht einstellt. Aber nicht nur die Erhaltung der Qualität von natürlichen Lebensgrundlagen, sondern auch der Bestand abstrakterer öffentlicher Güter lässt sich im nationalen Alleingang immer weniger garantieren. Die Probleme sind zunehmend länderübergreifend: Äußere Sicherheit und im Zuge der Internationalisierung des organisierten Verbrechens innere Sicherheit (Terrorismus, Waffenhandel etc.) sind Güter, deren Bereitstellung ein Staat alleine kaum noch effektiv beherrscht. Das Drogenproblem dürfte im nationalen Alleingang nicht lösbar sein. Gleiches gilt für die Bekämpfung von Seuchen (Aids, BSE). Selbst traditionelle staatliche Aufgaben wie die Verhängung strafrechtlich sanktionierter Verbote stoßen durch die Internationalisierung und Individualisierung von Kommunikationsstrukturen im Zeichen der sog. Neuen Medien an die Grenzen des faktisch Möglichen: Gegen unerwünschte „Informationsangebote" im weltweiten Internet ist der Nationalstaat machtlos154. Verbieten lässt sich allenfalls der Empfang bestimmter aus dem Ausland angebotener Informationen - eine ebenso hilflose wie sinnlose Geste eines insoweit überkommenen nationalstaatlichen Herrschaftsanspruchs 155. Die Palette derjenigen Güter, deren effektive Bereitstellung durch den Staat nur im internationalen Verbund möglich ist, etwa auch der Schutz des geistigen Eigentums, wächst unaufhaltsam weiter. Die Globalisierung der Probleme macht auch vor der Staatsaufgabendimension nicht halt. Immer weniger gelingt es dem Staat, seine Bevölkerung und sein Gebiet allein aus eigener Kraft zu schützen, sei es militärisch, sei es umweltpolitisch, sei es geistig im Hinblick auf den Jugendschutz156. Internationalisierung der öffentlichen Güterproduktion weist aber auch eine rechtliche Dimension auf. Immer mehr Staatsaufgaben bzw. die Bereitstellung staatlich-öffentlicher Güter werden nicht mehr durch autonomes nationales Recht bestimmt, sondern durch supranationale Gemeinschaften und zahlreiche völkerrechtlich verbindliche Vorgaben überlagert 157. Auch wenn die Europäische Union kein herkömmlicher Staat ist, wirkt sie über154 Dazu R. Roßnagel, ZRP 1997, S. 26 ff. Selbst der Jugendschutz kann nicht mehr vom Staat wahrgenommen werden, sondern er verlagert sich auf die Eltern (S. 28). 155 Diese Entwicklung ist freilich nicht ganz so neu, wie es gelegentlich zu lesen ist. Schon die staatlich verordnete Abschottung von Rundfunk und später vom Fernsehen hat bekanntlich weder im Dritten Reich noch in der DDR funktioniert. 156 Vergi. Α. Roßnagel, ZRP 1997, S. 27 („Ohnmachtserfahrungen" des Staates).
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aus folgenreich auf die nationale Güterproduktion und damit auf die Wahrnehmung von Staatsaufgaben ein 158 . Dadurch wird die nationale Produktion öffentlicher und privater Güter in erheblichem Umfang standardisiert 159. Ein dritter Aspekt von Internationalisierung nationaler Güterproduktion ergibt sich aus dem, was man die neue Konkurrenz der Staaten nach dem Zusammenbruch des Kommunismus/Sozialismus einerseits und innerhalb der Europäischen Union andererseits nennen könnte. Durch steigende internationale Verflechtungen wächst auch der Wettbewerb der Staaten und der Rechtsordnungen untereinander 160, der die nationalstaatliche öffentliche Güterproduktion erheblich unter Druck setzt. In diesem Wettbewerb wird die Qualität der staatlichen öffentlichen Güterproduktion selbst als sogenannter Standortfaktor zum Wettbewerbselement im internationalen ökonomischen Selbstbehauptungskampf. Insbesondere Arbeitsplätze und Finanzströme, die beide immer beweglicher werden, haben sich dabei zu Faktoren entwickelt, die die Rahmenbedingungen nationaler Güterproduktion maßgeblich beeinflussen. Auf ihren Bestand hat der Nationalstaat im Hinblick auf Globalisierung und Internationalisierung nur einen beschränkten Einfluss 161 , wohl aber auf die rechtlichen Rahmenbedingungen, etwa wie und zu welchen Konditionen bezahlte Lohnarbeit geleistet werden darf. Auf der anderen Seite operieren große und selbst kleinere Unternehmen zunehmend international und damit relativ unabhängig von einzelnen Staaten, so dass staatliche Rechtsordnungen aus der Sicht von Großkonzernen nur „regionales Recht" darstellt, das sich im Hinblick auf positive oder weniger positive Produktionsbedingungen evaluieren und gegebenenfalls umgehen lässt. So ist die Sicherung der Qualität des Wirtschaftsstandortes Deutschland zu einem öffentlichen Gut von erheblichem politischen Rang 157 P. Saladin, Wozu noch Staaten?, 1995, S. 14 unter Hinweis auf W. v. Simsons Formulierung von der „überstaatlichen Bedingtheit des Staates"; vergi, auch S. 51 ff. 158 Λ. v. Bogdandy, ARSP 1995, S. 110 f. Auch der Rückzug aus bestimmten Staatsaufgaben kann europarechtlich vorgegeben sein, wie die Privatisierung der Post zeigt. 159 Die Tendenz zur Vereinheitlichung stellt T. Vesting , ARSP 1995, S. 100 dem Befund der „Sprengkraft des Heterogenen" zu Recht entgegen. 160 Vergi. Ai. Bullinger, VVDStRL 54, S. 302 (Diskussionsbeitrag); zum Zusammenhang von internationaler Systemkonkurrenz und nationale Privatisierungsanstrengungen W.-W Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, S. 51 f. 161 Insofern lebt der freiheitliche, säkularisierte Staat in Erweiterung der berühmten Formel von E.-W. Böckenförde, Die Entstehung des Staates als Vorgang der Säkularisation, in: Staat Gesellschaft Freiheit, 1976, S. 60, nicht nur im Hinblick auf die „bindenden Kräfte ... von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann", sondern auch im Hinblick auf seine wirtschaftliche Basis: Arbeitsplätze und Finanzströme entziehen sich immer stärker den Einflussmöglichkeiten des freiheitlichen Nationalstaates.
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avanciert. Warum die staatliche Güterproduktion durch steigenden internationalen Wettbewerb insgesamt unter Druck gerät, wird allerdings erst vor dem Hintergrund der Abhängigkeit der modernen Staaten vom wirtschaftlichen Erfolg ihrer Bürger deutlich. Dies leitet zu einer weiteren Beschränkung nationaler Güterproduktion über.
5. Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg Privater Jede staatliche Güterproduktion ist ihrerseits ressourcenabhängig, insbesondere vom Geld. „Ein armer Staat kann nicht viel leisten." 162 Auch wenn die Finanzierung selbstverständlich nicht der einzige Faktor ist, hängt die Qualität der meisten staatlich bereitgestellten oder bewirtschafteten öffentlichen Güter entscheidend auch vom Niveau ihrer Finanzierung ab. Ob ein Staat reich ist und sich also viel leisten kann, darauf vermag er allerdings nur in begrenztem Umfang und kaum auf direktem Wege Einfluss zu nehmen. Die Zusammenhänge sind bekannt: Der moderne Steuerstaat finanziert sich nicht selbst, sondern in der Hauptsache aus dem ökonomischen Erfolg der Gesellschaft 163. Deren Rahmenbedingungen kann er zwar gestalten und für Investitionen kann er werben, eventuelle Mängel an privater Sachkompetenz, Produktivität oder Kreativität aber nicht substituieren, denn der Staat produziert im Wesentlichen nicht selbst. Diese Abhängigkeit von der Produktivität und vom Erfolg anderer wirkt sich unmittelbar positiv oder negativ auf die Staatseinnahmen aus, die wiederum maßgeblich die Chancen der staatlichen Güterbereitstellung in allen Lebensbereichen bestimmen164. Die Gestaltungsfreiheit des Steuerstaates, beliebige Sachaufgaben aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren, ist erkauft durch die Abhängigkeit vom wirtschaftlichen Erfolg der Gesellschaft. Abhängigkeit bedeutet auch, dass der Steuerstaat selbst ein massives Interesse am wirtschaftlichen Erfolg seiner Bürger hat. Dies treibt ihn wiederum zu vielfältigen Aktivitäten als Förderer und Ordner durch rechtliche Rahmensetzung, um zur Optimierung dieses Erfolges beizutragen. So werben Politiker inzwischen überall für den Verbleib von Produktionseinheiten im Inland. 162
M. Bullinger, VVDStRL 54, S. 302 (Diskussionsbeitrag). Vergi, aus jüngerer Zeit nur BVerfGE 93, 121/134 f. und oben unter B. II. 4; O. Depenheuer, VVDStRL 55, S. 109 f. betont zu Recht, dass der freiheitliche Verfassungsstaat nicht nur im Hinblick auf die geistigen Ressourcen von Voraussetzungen lebt, die er nicht selbst garantieren kann, sondern auch bezogen auf die materiellen Ressourcen. 164 Auch wenn die besonders kostenintensiven Sektoren des Staates (Sozialstaat) vorrangig ins Auge springen, besteht diese Abhängigkeit prinzipiell bei allen staatlichen Aufgabenbereichen. 163
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Diese Abhängigkeit greift in gleicher Weise ein, wenn es um die Schaffung von Arbeitsplätzen geht. Auch wenn der Staat selbst nicht in erster Linie Arbeitsplätze schafft, sondern primär die private Wirtschaft, nimmt er auf deren Bereitstellung doch in vielfacher Hinsicht mittelbaren Einfluss, insbesondere durch das staatliche Bildungs- und Ausbildungswesen, durch Arbeitsförderungsmaßnahmen, durch Subventionen und die Schaffung von Standortvorteilen, durch Forschungsförderung etc. Obwohl der Zugang zu Arbeitsplätzen durch ein eng gestricktes Berufsrecht weitgehend staatlich reguliert ist, wird durch solche Maßnahmen die prinzipielle Abhängigkeit vom Erfolg anderer nicht aufgehoben. Arbeitsplätze bleiben ein Gut, das von Privaten bereitgestellt wird. Die internationale Konkurrenz um billige Arbeitsplätze setzt den Staat dennoch unter Druck, weil er als Steuerstaat zumindest bei den direkten Steuern auch vom Bestand möglichst vieler gut dotierter Arbeitsplätze im Inland bzw. vom Wohnsitz im Inland abhängig ist. Der massenhaften Abwanderung von Arbeitsplätzen ins kostengünstigere benachbarte Ausland kann er schon als Steuerstaat und erst recht als Sozialstaat nicht in Ruhe zuschauen, denn ihr Bestand wirkt sich unmittelbar auf den Staatshaushalt aus, und dies in doppelter Weise: Bei einer Gesamtbetrachtung stehen Verlusten auf der Einnahmeseite des Staates gleichzeitig erhöhte Ausgaben im Sozialsektor für arbeitslos gewordene Personen und für die Empfänger von Hilfe zum Lebensunterhalt gegenüber, die wiederum aus den sich durch den Abwanderungseffekt verringernden Staatseinnahmen bestritten werden müssen. Wachsende Arbeitslosigkeit schmälert damit den Spielraum des Staates für die Produktion sonstiger öffentlicher Güter. Die negativen Einnahmeeffekte potenzieren sich. Ebenso groß ist diese Abhängigkeit bei den beitragsfinanzierten Zweigen der Sozialversicherung, deren Funktionstüchtigkeit in der Zukunft nicht dadurch bestimmt wird, ob es noch genug deutsche Beitragszahler gibt 1 6 5 , sondern ob die Zahl der Beitragspflichtigen und damit Arbeitsplätze überhaupt in ausreichender Weise vorhanden sein werden. Arbeitsplätze sind aber nicht nur ein wichtiger Faktor für den Steuerstaat, sondern vor allem auch für soziale Stabilität und inneren Frieden. Insofern zeigt sich aus der Perspektive des Steuerstaates erneut, dass hochkomplexe
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Das Phänomen des „demographischen Altems", das einen dramatischen Rückgang der deutschen Bevölkerung mit entsprechenden Überalterungseffekten prognostiziert, hat mit der Frage des Bestandes von ausreichend vorhandenen Arbeitsplätzen primär nichts zu tun. Absehbar ist allerdings, dass die erforderliche Zahl von Arbeitsplätzen so groß sein wird, dass sie kaum alleine von Deutschen wird ausgefüllt werden können, wenn die beitragsgestützte Rentenfinanzierung der vielen alten Menschen dann noch gesichert sein soll.
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öffentliche Güter sich aus der Summe vielfältiger Einzelleistungen staatlicher und privater Akteure zusammensetzen. Die Abhängigkeit des Steuerstaates von der Wirtschaftskraft der Privaten, auf die er nur beschränkt Einfluss nehmen kann, deren Misserfolge ihm aber zumindest politisch zugerechnet werden, belegt einmal mehr die strukturelle Überforderung des Staates durch die Fülle seiner Aufgaben.
I V . Grenzen der privaten Bereitstellung von Gütern 1. Nicht marktfähige Güter Nicht nur die staatliche Bereitstellung von öffentlichen Gütern, sondern auch die private Güterproduktion unterliegt spezifischen inneren Grenzen. Erst in der Zusammenschau der faktischen Begrenztheiten von staatlichem und privatem Produktionssektor wird die tatsächliche Eigenart staatlicher öffentlicher Güterproduktion als jedenfalls in Teilen notwendiges Komplementärprogramm zur privaten Güterbereitstellung deutlich. Im Unterschied zu Privaten verfügt der Staat über exklusive Handlungsmittel für die Bereitstellung öffentlicher Güter, allen voran die verbindliche Setzung und erst in zweiter Linie auch die Durchsetzung von Recht. Recht, das für alle in gleicher Weise verbindlich ist, können Private nicht erlassen, sondern nur der Staat166. Private Rechtsetzung bleibt immer partikular auf die Mitglieder der betreffenden Organisation, Gruppe oder Vereinigung begrenzt, der sich der Einzelne freiwillig anschließen und die er wieder verlassen kann. Verbindlichkeit kommt ihr damit grundsätzlich nur nach Maßgabe autonomer Entscheidung des Einzelnen zu. Schließlich deutet die Komplexität der Güterproduktion selbst nicht nur auf Grenzen der Bereitstellung durch den Staat hin, sondern zugleich auf die Grenzen der Bereitstellung von Gütern durch Private über den Markt. Schon die Handlungsmittel Privater sind begrenzt. Es lässt sich zeigen, dass bestimmte öffentliche Güter als Gesamtresultat privater und staatlicher Leistungen aus marktimmanenten Gründen kein marktfähiges Produkt sind. Mit dem Stichwort vom Marktversagen wird dieser Sachverhalt nicht zutreffend erfasst, denn von einem Versagen lässt sich sinnvoller weise nur dann sprechen, wenn der Markt jedenfalls theoretisch auch anders agieren könnte. Tatsächlich geht es hier weder um Fehler des Marktgeschehens noch um Defizite bei der Organisation des Marktes, sondern um tieferlie166
Eine hier zu vernachlässigende Ausnahme bildet das Gewohnheitsrecht, da dessen Bedeutung als Rechtsquelle in der komplexen und schnelllebigen Gesellschaft der Gegenwart stark abgenommen hat und weiter abnimmt.
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gende Ursachen. Diese Ursachen liegen letztlich auch in anthropologischen Bedingungen, die ihrerseits die Möglichkeiten der kontinuierlichen Güterbereitstellung durch Private und damit die Möglichkeiten des Marktes begrenzen. Aus der Theorie des Marktversagens lässt sich immerhin ableiten, dass der Staat an bestimmten Stellen korrigierend eingreifen muss, damit ein funktionierender Markt überhaupt zustande kommt. Demonstriert sei dies am hochkomplexen Gut der inneren Sicherheit. Unterstellt man, dass innere Sicherheit durch abnehmende Sicherheitsstandards zum überaus knappen Gut würde, etwa durch eine sprunghaft ansteigende Kriminalität 167 und eine entsprechend wachsende kollektive Verunsicherung, und dass es dadurch zu einem mindestens partiellen „Konsumausschluss" in besonders gefährdeten Regionen kommt, kann der Einzelne zwar bestimmte Schutzleistungen bei privaten Sicherheitsdiensten einkaufen. Innere Sicherheit als komplexes öffentliches Gut im Sinne eines Gesamtresultats entzieht sich dagegen selbst bei unterstellter entsprechender Finanzkraft dem privaten Erwerb. Ebenso wenig wie innere Sicherheit auf Dauer alleine durch den Staat produziert werden kann, lässt sie sich als rein private Leistung über den Markt herstellen. Ursächlich dafür sind grundlegende strukturelle Unterschiede zwischen staatlicher und privater Güterproduktion bzw. Güterverteilung. So bietet der Markt zwar Schutzleistungen durch private Sicherheitsdienste an, die auch zunehmend nachgefragt werden. Was sie letztlich von staatlicher Schutzleistung unterscheidet ist dabei noch nicht einmal die Tatsache, dass Schutz Geld kostet. Auch die staatliche Polizei verursacht bekanntlich erhebliche Kosten; lediglich der Finanztransfer ist hier anders organisiert, nämlich nicht durch eine grundsätzlich freiwillige Kaufentscheidung von Konsumenten, sondern über den staatlichen Zwangstransfer in Form von Steuergeldern. Der entscheidende Unterschied privater zur staatlichen Güterproduktion liegt in der Regulierung des Zugangs und damit in der Verteilung des (Privat-) Gutes Sicherheit durch den Preismechanismus des Marktes. Die Güterverteilung über den Markt führt notwendigerweise zu einem beschränkten Schutzanspruch privater Sicherheitsdienste, der andere, in gleicher Weise von Gefahren Betroffene, von ihren Schutzleistungen aus167
Ein gewisses Maß an Kriminalität und anderen Normabweichungen stellt das öffentliche Gut stabiler innerer Sicherheit nicht in Frage. Innere Sicherheit in diesem Sinn bedeutet nicht, dass keine Normabweichungen stattfinden, sondern dass ein im Rahmen von theoretischen Überlegungen im einzelnen kaum bestimmbares kritisches Niveau, das sich aus objektiven Daten und sozialpsychologisch bestimmten kollektiven Wahrnehmungen und Bewertungen zusammensetzt, nicht überschritten wird.
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schließt. Dieser Ausschluss findet nicht durch staatlichen Anordnungsbefehl und damit durch Recht statt, sondern aus der Logik des Marktes selbst heraus, weil andernfalls die erbrachten Sicherheitsleistungen als marktfähiges Gut auch in Zukunft keinen Bestand mehr haben könnten. Selbst bei der theoretischen Annahme eines totalen Rückzuges des Staates aus Polizeiaufgaben könnte ein nicht regulierter Markt auf diesem Wege Schutz und andere innere Sicherheitsleistungen immer nur partiell erbringen, nämlich da, wo für diesen Schutz freiwillig gezahlt wird. Schutz als marktfähiges Gut funktioniert überhaupt nur vor dem Hintergrund, dass andere über diesen gleichen Schutzstandard nicht schon in gleicher Weise verfügen und damit von dem, was die private Sicherheitsorganisation leistet, ausgeschlossen sind; wer nicht zahlt, erhält keinen Schutz168. Wie die ökonomische Theorie der öffentlichen Güter überzeugend zeigt, ist ein Gut ohne Konsumausschluss aber kein marktfähiges Gut. Die private Schutzvereinigung muss deswegen im Gegensatz zu staatlichen Kräften sogar ein grundlegendes Interesse an einem gewissen Kriminalitätsbestand haben. Als Zeuge eines Deliktes an Nichtkunden muss sie wegschauen, jedenfalls wenn sie auf Dauer ihr eigene Existenz nicht untergraben will. Andernfalls würde sie ihre finanzielle Basis unterhöhlen, da dann für niemanden mehr einzusehen wäre, wieso er noch für den eigenen Schutz zahlen soll, wo andere, die nicht zahlen, in den Genuss des gleichen Schutzstandards kommen. Die Delikte an Nichtkunden stellen sich darüber hinaus als eine Art praktischer Nachweis für die Existenzberechtigung von privaten Schutzvereinigungen dar und damit als eine Art „Werbefaktor" 169, 168
R. Nozick , Anarchie Staat Utopia, S. I l l ff., stellt deswegen darauf ab, dass der Übergang von einer Schutzorganisation zum Staat sich in dem Moment vollzieht, wo mehr oder weniger allen der gleiche Schutz durch eine vorherrschende Schutzgemeinschaft gewährt werden kann. Eine entsprechende Gesellschaft bezeichnet R. Nozick als Ultraminimalstaat. Der Übergang vom Ultraminimalstaat zum Minimalstaat, der erst Schutz für alle bietet, entspringt bei ihm in Wahrheit einem implizit vorausgesetzten moralischen Argument, dass nämlich der Ultraminimalstaat mit seinem beschränkten Schutzangebot unmoralisch ist, vergi. E. R. Lopez, Die moralischen Voraussetzungen des Liberalismus, 1995, S. 75 ff. Aus ökonomischer Sicht ist dieser Übergang gerade nicht schlüssig. 169 Selbstverständlich können auch die Serviceleistungen privater Sicherheitsorganisationen exteme positive Effekte haben, wenn sie ergänzend zur Arbeit der staatlichen Ordnungskräfte insgesamt zu einem mehr an Sicherheit beitragen. Ob dies allerdings wirklich der Fall ist, ist stark umstritten. Diejenige Auffassung, die man als „Verlagerungstheorie" bezeichnen könnte, geht davon aus, dass das Maß an Kriminalität durch den Einsatz privater Sicherheitsdienste nicht weniger wird, sondern sich lediglich in weniger gesicherte Regionen und Bezirke verlagert, insbesondere dorthin, wo die Finanzkraft nicht ausreicht, um sich zusätzliche Sicherheitsleistungen zur polizeilichen Grundversorgung (C. Gusy) auf dem Markt zu verschaffen, so bereits W. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 280; L. Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, 1988, S. 86 ff.; a.A. A. Peilert, Das Recht des
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der das Defizit an gleichmäßiger Sicherheit als praktische Voraussetzung des Bedarfs an privaten Sicherheitsleistungen anschaulich belegt. Die Bereitstellung komplexer öffentlicher Güter durch den Staat bzw. durch seine Beteiligung an dieser Herstellung kommt dagegen dem Anspruch nach prinzipiell allen in gleicher Weise zugute, was weder faktische Schutzlücken noch die Erhebung von Gebühren durch die Polizei für einzelne Sicherheitsleistungen grundsätzlich ausschließt170. Innere Sicherheit als staatlich bereitgestelltes öffentliches Gut zielt gerade darauf, prinzipiell niemanden hiervon auszuschließen. Ohne Rücksicht auf die persönliche Kauf- und Steuerkraft hat jeder - im Rahmen der bestehenden tatsächlichen Möglichkeiten - den gleichen Anspruch auf Schutz. Erst durch den rechtlich gesicherten Anspruch auf prinzipiell gleiche Sicherheitsleistungen für alle entsteht das Gesamtresultat innere Sicherheit - ein Anspruch, den private Sicherheitsdienste aus eigener Macht gar nicht erfüllen können, jedenfalls dann nicht, wenn die Finanzierung ihres Aufwandes nicht auf andere Weise als durch Verträge mit ihren Kunden gesichert ist. Eine entsprechende finanzielle Garantie ohne staatliche finanzielle Absicherung ist aber alleine auf der Grundlage von Marktmechanismen nicht möglich: Private genießen kein Steuerprivileg und haben damit nicht die Möglichkeit zur legalen Zwangserhebung von Zahlungen, sondern sie müssen ihre Leistungen verkaufen. Eine umfassende Finanzierung und die gleichen Schutzleistungen für alle Einwohner und Besucher eines Landes wären erst dann gesichert, wenn ausnahmslos alle sich daran freiwillig finanziell beteiligen würden. Eine legale Möglichkeit zur Ausübung von Zwang besitzt der Markt prinzipiell nicht. Die Konstellation einer gesellschaftlich flächendeckenden freiwilligen Kooperation aller ist aber vollkommen unrealistisch, denn es wird immer einige geben, die sich daran nicht beteiligen wollen oder können. Sehr Auskunftei- und Detekteigewerbes, 1996, S. 187 ff., 229 ff., der der Verlagerungsthese das Entlastungsargument für die Polizei entgegenstellt, die sich durch private Sicherheitsvorkehrungen stärker gefährdeter Personen und damit faktisch besser ihrer Verpflichtung zu gleichmäßigem Schutz aller Bürger widmen könne (S. 229); skeptisch zur Entlastungsthese im Hinblick auf die tatsächlichen Entwicklungen in den USA R. Keller, in: F. Sack u.a. (Hrsg.), Privatisierung staatlicher Kontrolle: Befunde, Konzepte, Tendenzen, 1995, S. 103. 170 Zur Abgrenzung der prinzipiell gebührenfreien polizeilichen Gefahrenabwehr von sonstigen gebührenfähigen Serviceleistungen C. Gusy, DVB1. 1996, S. 722. Freilich wird die Erhebung von Gebühren für polizeiliche Sicherheitsleistungen im Zuge stärkerer Konkurrenz durch private Sicherheitsdienste regelmäßig die Frage aufwerfen, wieso diese Aufgabe durch die Polizei und nicht über den Markt erfüllt wird. Umgekehrt weist Gusy darauf hin, dass der Kosten- bzw. Rechtfertigungsdruck auf die polizeiliche Aufgabenerledigung in dem Maß wachsen wird, wie Private vordringen: Warum soll das Gemeinwesen dann für eine Einrichtung, „die immer weniger leisten muss noch gleich hohe Lasten tragen"? (S. 728 f.). 17 Gramm
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reiche Personen werden im übrigen dazu neigen, ihren eigenen Schutz auf hohem Niveau zu organisieren, arme Menschen werden sich dagegen fremde Schutzleistungen nicht erlauben können. Im übrigen wird das Interesse an dem jeweils zu leistenden Schutzniveau auch bei denjenigen, die zum freiwilligen Kauf von Schutzleistungen prinzipiell bereit und in der Lage sind, nicht homogen sein. Als reine Marktleistung könnten Schutzleistungen ihrem theoretischen Anspruch nach immer nur partiell erbracht werden und nur bestimmten Bevölkerungsgruppen mit je nach Finanzkraft wohl sehr unterschiedlichem Schutzniveau zugute kommen171. Viele andere öffentliche Güter, etwa die verbindliche Festschreibung bestimmter Sicherheitsstandards bei der Zulassung von Arzneimitteln, kann ein nicht regulierter Markt aus den gleichen Gründen nicht aus sich heraus bereitstellen. 2. Zur Reichweite des „rationalen" Eigeninteresses Die Bereitstellung zahlreicher öffentlicher Güter durch den Staat liegt häufig aber auch nicht im Interesse eines rationalen Marktteilnehmers, der die Maximierung seines persönlichen Nutzens in überschaubaren Zeiträumen anstrebt und der sich nicht oder doch nicht in erster Linie ethisch fundierten Handlungsmaximen verpflichtet fühlt. Die jeweilige Ausrichtung des Handelns wird dabei maßgeblich durch die konkrete Lebenssituation des Einzelnen bestimmt. In einem vordergründigen Sinn ist dieser Mechanismus vertraut. Als vernünftig im Sinne der individuellen Nutzenmaximierung wird dem Einzelnen in der Regel nur der Einsatz für und die Finanzierung von solchen Zwecken erscheinen, die er persönlich billigt oder die er doch nachvollziehen kann und von deren Nutzen er profitiert oder jedenfalls profitieren könnte. Warum aber soll derjenige, der etwa Theater, Schwimmbäder oder Museen nie besucht und keinerlei Interesse daran hat oder wer selbst nur selten krank ist, aber hohe Beiträge in die Krankenkasse einzahlt, diese staatlich bereitgestellten Güter mitfinanzieren 172? Auf dieser Ebene lässt sich die Legitimität weiter Bereiche der öffentlichen Güterproduktion in Zweifel ziehen, denn es wird sich wohl kaum ein Bürger finden, der mit allen tatsächlich durch den Staat bereitgestellten Gütern auf seine Kosten einverstanden wäre. 171 Selbstverständlich kann auch der Staat in der Praxis nicht überall schematisch gleiche Schutzleistungen erbringen; dem rechtlichen Anspruch nach ist er aber zur Erbringung eines gleichen oder doch ähnlichen Schutzniveaus für alle verpflichtet. 172 Im Beispiel seltener Krankheit geht es um das funktionierende Vorsorgesystem der Krankenkasse, das nur im Solidarverbund der Gesunden mit den Kranken existieren kann.
IV. Grenzen der privaten Bereitstellung von Gütern
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Erträglich wird dies für den Einzelnen nur durch den Steuerstaat, der die Abgaben abstrakt und damit ohne erkennbare oder vorgegebene Zweckbindung abschöpft, oder durch die Fiktion des Versicherungs- bzw. Solidargedankens, selbst vom eigenen Beitrag zu profitieren. Finanzierung über Steuergelder sichert damit die von der Zustimmung des Einzelnen prinzipiell unabhängige Verfolgung bestimmter Zwecke, und zwar häufig bewusst gegen das, was der Markt aus eigener Kraft leisten könnte 173 . Die staatlich verordnete Abgabe des Stärkeren oder Leistungsfähigeren zugunsten des Schwächeren vermittelt sich damit wesentlich über die Umverteilungseffekte auf der Basis des Steuerstaates, der die öffentliche Güterproduktion des Staates ohne Rücksicht auf deren Billigung durch den einzelnen Steuerpflichtigen zu gleichen Konditionen für alle erst ermöglicht. Im Interesse eines rationalen Marktteilnehmers liegt sie um so weniger, desto mehr Güter der Staat produziert, desto mehr Geld der Staat folglich benötigt und desto höher der Einzelne deswegen steuerlich belastet wird, was wiederum - dem Progressionsgedanken folgend - mit steigendem Einkommen desto stärker der Fall ist. Zumindest aus der Binnenperspektive mag es manchen Steuerpflichtigen so erscheinen, dass der Umverteilungseffekt den individuellen Nutzen mit wachsendem Einkommen aufzehrt und ihn an einem bestimmten Punkt übersteigt 174. Aber auch in einem greifbareren Sinn liegt die staatliche öffentliche Güterproduktion keineswegs immer im Interesse eines rationalen Marktteilnehmers. Dies gilt selbst für das öffentliche Gut der inneren Sicherheit. Den rationalen Marktteilnehmer werden bestimmte Sicherheitsdefizite weit weg vom eigenen Lebensraum kaum berühren, solange nur sichergestellt ist, dass diese Defizite sich nicht im eigenen Lebensraum auswirken können. Dieser aus der Individualperspektive rationale Mangel am Interesse des Bestandes der inneren Sicherheit an anderen Orten baut auf die schlichte psychologische Erkenntnis auf, dass für den Einzelnen - ob als Bürger oder als Marktteilnehmer - Sicherheit zunächst immer die eigene Sicherheit bzw. die Sicherheit in der überschaubaren und damit der persönlichen Erfahrbarkeit zugänglichen eigenen Umgebung bedeutet. Entsprechendes gilt selbstverständlich auch für andere öffentliche Güter, etwa die Versorgung mit Kindergartenplätzen. Das persönliche Sicherheitsbedürfnis kann der Markt im Prinzip befriedigen, allerdings nur soweit der Einzelne 173
Evident ist das in Deutschland im Bereich der Kulturausgaben: Trotz hoher Theater- und Orchesterdichte sind die Eintrittspreise - da hoch subventioniert - moderat. 174 Dabei handelt es sich allerdings um eine verzerrte Wahrnehmung, die sich freilich für die politische Propaganda hervorragend eignet. Die Leistungskraft des Staates, etwa bei der Bereitstellung öffentlicher Verkehrswege, kann wohl auch der Wohlhabendste alleine niemals aufbringen. 17*
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
über ausreichende Mittel zum Erwerb von Schutzleistungen verfügt. Wenn dies der Fall ist, nimmt das Eigeninteresse jenseits des eigenen Lebensradius in aller Regel deutlich ab, jedenfalls so lange sichergestellt ist, dass die anderen Ortes bestehende Unsicherheit nicht in den eigenen Lebensraum vordringen kann 175 . Das Problem lässt sich auch nicht dadurch lösen, dass überall im Wesentlichen die gleichen Sicherheitsinteressen bzw. Friedensbedürfnisse herrschen, so dass aus der Summe des privaten Engagements einem Flickenteppich vergleichbar flächendeckend eine ähnliche Sicherheitslage entsteht. Diese Fiktion stößt an die faktisch unterschiedliche Verteilung der privaten Güter und der finanziellen Ressourcen. Die Bereitschaft des Reichen, auf freiwilliger Grundlage auch für den Armen zu zahlen, ist bei realistischer Betrachtung äußerst gering, jedenfalls so lange wie eventuell von diesen Armen ausgehende Bedrohungen der eigenen Lebenssphäre und der eigenen Besitzstände durch selbst erworbene Schutzleistungen ferngehalten werden können. Außerdem erscheint es von einem gewissen Grad erfolgreicher Bereitstellung von Sicherheit an in hohem Maße unwahrscheinlich, alle diejenigen, die von diesem Standard profitieren, ohne sich an der gemeinsamen Finanzierung zu beteiligen, gleichwohl für das Tragen der Finanzierungslast auf freiwilliger Grundlage zu gewinnen. Dieser Effekt wird auf Dauer auch diejenigen, die sich freiwillig an der Finanzierung von Sicherheitsdiensten beteiligen, zum Rückzug ihres Beitrages bewegen können. Hinzu kommt das bereits erwähnte Problem persönlicher Präferenzen, die hinsichtlich des zu gewährleistenden Sicherheitsstandards recht unterschiedlich aussehen werden. Der Wohlhabende wird einen anderen - nämlich stärkeren - Schutz für erforderlich halten als der Arme, der nicht viel zu verlieren hat; der Gesunde und Starke einen anderen Standard in der Krankenversorgung als der Schwache und Kranke 176 . Das rationale Eigeninteresse wird so entscheidend durch die jeweilige Lebenssituation beeinflusst und relativiert.
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Dieser nüchterne Befund ist zwar nicht identisch mit der „Ethik" des Sankt Floriansprinzips, er zeigt aber auf die Grenzen der Leistungsfähigkeit des wirklich vorhandenen Menschen, der in der Regel kein Kantianer mit dem Anspruch ist, sein Handeln nach einer universalisierbaren Ethik auszurichten. Im Rahmen staatstheoretischer Überlegungen ist aber von einem realistischen Menschenbild auszugehen, das die Fähigkeit zu altruistischem Handeln weder leugnet noch andererseits überschätzt. Beides wäre reduktionistisch. 176 C. Gusy, StWStP 1994, S. 197 weist auf den Unterschied in der „Marktfähigkeit" der Privaten hin, was wiederum eine immanente Grenze der Funktionsfähigkeit des ohnehin in seiner sachlichen Reichweite begrenzten Prinzips des rationalen Eigeninteresses anzeigt: Wer nichts anzubieten hat, der kann auch nichts erhalten.
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3. Limitierte Handlungsmacht des Einzelnen Neben dieser nüchternen Einschätzung darf die Tatsache nicht außer Betracht bleiben, dass es auch zahlreiche Fälle des individuellen Engagements gibt, die über das Eigeninteresse im Sinne der Mehrung des eigenen Nutzens weit hinaus reichen. Viele Aktivitäten richten sich auf die Herstellung von Gütern, die dem Einzelnen keinen materiellen Vorteil bringen, sondern für die er freiwillig Energie, Zeit, Geld und Überwindung aufbringt. Eine Theorie öffentlicher Güterproduktion, die die Fähigkeit des Menschen, sich auf der Grundlage freiwilliger Kooperation auch für altruistische Zwecke zu engagieren und moralisch zu handeln, außer Betracht lässt, wäre völlig unzureichend. Gewiss existieren die Phänomene von Verzicht, Hingabe und Opferbereitschaft nicht als gesellschaftlich flächendeckende Phänomene, und schon gar nicht richten sie sich auf die gleichen, sondern auf höchst heterogene Güter. Dennoch existieren sie in beachtlichem Umfang 177 , gespeist aus vielfältigen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen. Tugendhaftigkeit, Mitmenschlichkeit, Gemeinsinn und die Bereitschaft zur Übernahme von Verantwortung mögen in überschaubaren Lebenszusammenhängen einigermaßen zuverlässig im Sinne der Güterproduktion funktionieren und staatliche Steuerungsmechanismen entbehrlich machen. In gesellschaftlich großflächigen Zusammenhängen und vor allem bei Daueraufgaben nimmt ihre Gestaltungskraft als ausschließlich freiwilliges Steuerungsprinzip dagegen ab 178 . Das ethisch möglicherweise noch so hochstehende Handeln des Einzelnen vermag die öffentliche Güterproduktion nicht zu garantieren. In kollektiven Zusammenhängen fehlt ihm schlicht die erforderliche Wirksamkeit. So ist der Einzelne alleine durch sein Verhalten strukturell nicht in der Lage, einem vorhersehbaren Zusammenbruch des öffentlichen Gutes wirksam gegenzusteuern. Seine minimalen Handlungsbeiträge 179, und nur über die kann er selbst autonom entscheiden, haben für sich genommen auf den Bestand des öffentlichen Gutes als Ganzes faktisch 177 Vergi, zu neuen Formen moralischen Handelns K. O. Hondrich/C. Koch-Arzberger, Solidarität in der modernen Gesellschaft, 1992. 178 So ist die Finanzierung von Daueraufgaben zunehmend ein Problem. Die immer wieder erlebten „Wellen der Hilfsbereitschaft" im medienwirksamen Anblick großer Natur-, Kriegs- oder sonstiger Katastrophen pflegen nach einiger Zeit regelmäßig wieder abzuebben, was die großen Hilfswerke bei längerfristigen Hilfsprojekten mitunter in Schwierigkeiten bringt. 179 Eindrucksvoll am Beispiel des demokratischen Teilhabefaktors des Einzelnen in Bezug auf politische Wahlen dargestellt von O. Depenheuer, VVDStRL 55, S. 106; vergi, auch M. Sachs, DVB1. 1995, S. 884 aus der Sicht der Theorie des kollektiven Handeln M. Olson , Aufstieg und Niedergang von Nationen, 2. Aufl. 1991, S. 31 f., allgemein zur Produktion öffentlicher Güter und dem individuellen Teilhabefaktor daran: „Der typische Bürger aber wird finden, dass seine oder ihre
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keine oder allenfalls geringe Auswirkungen, und zwar weder im Schlechten noch im Guten 180 . Das Phänomen ist spätestens seit der Analyse der modernen Umweltschäden, die sich aus kaum überschaubaren Summations- und synergetischen Effekten zusammensetzen, bekannt und gilt in ähnlicher Weise für andere hochkomplexe öffentliche Güter, wie das Beispiel der inneren Sicherheit zeigt: Die Rechtstreue des Einzelnen schafft noch nicht zuverlässig das öffentliche Gut der inneren Sicherheit, aber ohne die Rechtstreue der vielen Einzelnen kann innere Sicherheit keinen Bestand haben. Das Problem begrenzter persönlicher Handlungsmacht einerseits 181 und der individuellen Abhängigkeit vom Bestand des Gutes andererseits lässt sich mit dem privaten Entschluss zu Opferbereitschaft und Engagement nicht lösen 182 . Denn das rechtlich Erlaubte, das ethisch Gesollte und das wirtschaftlich Nützliche sind häufig nicht identisch, weder systematisch noch aus der Binnensicht der persönlichen Erlebnis- und Handlungsperspektive heraus. In der Sozialpsychologie ist zudem das Phänomen bekannt, dass mit steigender Gruppengröße die individuelle Verantwortungsbereitschaft schwindet: je globaler das Problem, desto geringer die Bereitschaft zu handeln183. Es lässt sich sogar zeigen, dass eine ethisch vielleicht als besonders hochstehend bewertete Haltung, die gesinnungsethisch vom tatsächlichen Erfolg des eigenen Tuns absieht, weder die Zerstörung des öffentlichen Gutes verhindern kann noch von den kollektiv schädlichen Auswirkungen befreit. Es gibt öffentliche Güter, bei denen der Opferbereite wegen seiner Opferbereit-
Einkommens- und Lebenschancen sich durch eifriges Studium öffentlicher Angelegenheiten oder auch nur eines einzigen kollektiven Guts nicht verbessern werden." 180 M. Olson, Die Logik des kollektiven Handelns, 3. Aufl. 1992, S. 61, 63 und 99 unter Hinweis auf K. Wickseil, Finanztheoretische Untersuchungen, 1896, S. 98 ff. mit dem Beispiel der relativen Bedeutungslosigkeit der Steuerleistung des Einzelnen auf den Umfang der Staatsleitungen; H. Theisen, StWStP 1995, S. 115, ebenfalls bezogen auf umweltschonendes Handeln. H. Lenk/M. Maring, in: K. Bayertz (Hrsg.), Verantwortung. Prinzip oder Problem, 1995, S. 268 sehen deswegen ein motivationales Hauptproblem in der quasi negativen Einstellung des Einzelnen in und zu „sozialen Fallen": „Was bewirkt denn schon mein Unterlassen von minimal schädigenden bzw. allein nicht schädigenden Handlungen?" 181 »Allgemeiner Altruismus" ist deswegen sinnlos, F. A. v. Hayek, Die Verfassung der Freiheit, 1971, S. 98 und 102; D. Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, 1988, S. 194 m.w.N.: Solidarität ist auf Ausgrenzung angewiesen. 182 Die moralische Überforderung des Einzelnen im Hinblick auf seine tatsächlichen Handlungsspielräume konstatiert auch J. Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, S. 148 f. 183 H. Lenk/M. Maring, in: K. Bayertz (Hrsg.), Verantwortung. Prinzip oder Problem, 1995, S. 265 f.
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schaft nicht nur besondere Nachteile erleidet, sondern sein Opfer jedenfalls aus der Güterperspektive sinnlos ist. Als Beispiel einer natürlichen, sich selbst regulierenden Ordnung ohne eine staatsähnliche Zentralgewalt ist die Tragödie der Allmende bekannt184, die jeder nach Belieben ohne Beschränkungen nutzen kann und die deswegen irgendwann mit für alle Nutzer katastrophalen Folgen zusammenbricht. Freilich sind diese Folgen bei genauerem Hinsehen keineswegs für alle in gleicher Weise katastrophal, sondern es gibt signifikante Unterschiede. Wer vorher die Allmende besonders krass - aber erlaubt - genutzt hat, steht bei wirtschaftlicher Betrachtung am Ende einfach besser da als der sparsame Nutzer, weil er in besseren Zeiten entsprechende Überschüsse erwirtschaften konnte. Wer dagegen aus dem Schonungsmotiv heraus die Allmende bewusst sparsam genutzt hat, wird von ihrem Zusammenbruch mangels finanzieller oder sonstiger Reserven, auf die er dann zurückgreifen könnte, wesentlich stärker getroffen. Schließlich muss auch die Allmende selbst, soweit sie sich nicht natürlich regenerieren kann, bei wirtschaftlicher Betrachtung aus den vorher erzielten Überschüssen der reichen weil extensiven Nutzer wieder aufgebaut werden, da nur sie über entsprechende Reserven verfügen 185. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass die sparsamen Nutzer in der Situation des Wiederaufbaus in die wirtschaftliche Abhängigkeit der extensiven Nutzer geraten, auf deren Ressourcen sie im Notfall objektiv angewiesen sind, wenn sie überleben wollen und sonstige Ausweichmöglichkeiten nicht zur Verfügung stehen186. Anders gesagt wird die Nutzungsmöglichkeit der Allmende in dem Augenblick, wo ihr Zusammenbruch in absehbarer Zeit erkennbar wird, nicht eingeschränkt, sondern zum massiven Verteilungsproblem mit entsprechenden Verteilungskonflikten 187. Vermeiden lässt sich dieses makabre Ergebnis nur durch eine zentrale verbindliche Nutzungsordnung, die im Zweifel auch exekutiert werden kann 188 . Dadurch vollzieht sich der Übergang von der vormals freien Nut184
G. Hardin , in: M. Lohmann (Hrsg.), Gefährdete Zukunft, 1970, S. 30 ff. C. Gramm, JZ 1990, S. 907 f. 186 Die aktive Freiheitsausübung extensiver Nutzung erweist sich damit im Modell als die entscheidende Grundlage für das Überleben aller, auch wenn sie vom ethischen Standpunkt aus noch so sehr zu missbilligen ist. Diese Dialektik dürfte eine Wurzel für die intuitive Wertung des Vorrangs der aktiven Freiheitsausübung (positive Freiheit) vor der negativen Freiheitsausübung darstellen. 187 R. Münch, Risikopolitik, 1996, S. 138 ff., der das Problem der Übernutzung nicht nur auf die natürliche Umwelt beschränkt, sondern auch die „sozio-kulturelle Umwelt" ausdrücklich einbezieht. 188 Auch wenn eine staatliche Nutzungs- und Bewirtschaftungsordnung öffentlicher Güter existiert, kann es selbstverständlich zu erheblichen Verzerrungen kommen. Vor allem hochkomplexe öffentliche Güter, die ihrerseits untereinander vernetzt sind und in einem sensiblen Abhängigkeitsverhältnis voneinander stehen, kön185
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zung zur Bewirtschaftung durch die Festlegung von Zugangs- und Nutzungsregeln: Die Allmende wird zum (staatlich) regulierten öffentlichen Gut. Nur so lässt sich ihr Erhalt und die - kontingentierte - Nutzung für alle auf Dauer garantieren. Angesichts der limitierten Handlungsmacht des Einzelnen lautet die entscheidende Frage damit, wie diese erforderliche Umsetzung oder Güterbereitstellung tatsächlich gewährleistet werden kann: durch freiwillige Kooperation aller oder zumindest auch durch Elemente des Zwangs? 4. Freiwillige Kooperation Wenn der Einzelne als Einzelner strukturell überfordert ist, muss dies noch keine unüberwindbare Grenze der privaten Bereitstellung von Gütern markieren. Die Ohnmacht des Einzelnen lässt theoretisch immer noch die Option offen, dass Individuen sich auf freiwilliger Grundlage zusammenschließen, um gemeinsam die Produktion bzw. Bewirtschaftung von öffentlichen Gütern sicherzustellen. Gesellschafts- und Vereinsrecht bieten dafür etliche Organisationsformen an. Auch wenn die Zwecke, die entsprechende Vereinigungen verfolgen können, inhaltlich kaum beschränkt sind und dabei beliebige nicht-wirtschaftliche Ziele umfassen können, bleiben alle diese Organisationen private Vereinigungen, selbst wenn sie tatsächlich über ungeheuer viel Macht, Wissen und Einfluss verfügen sollten. Das Recht zu zwingen und Gewalt auszuüben haben sie nie aus eigener Macht. Der Zusammenschluss von Privaten kann, so stark der faktische Druck zum Zusammenschluss auch sein mag, deswegen rechtlich gesehen immer nur auf freiwilliger Grundlage erfolgen. Angesichts der Vielfalt von Möglichkeiten gesellschaftlicher Zusammenschlüsse zu einer kollektiven Handlungsgröße stellt sich die Frage nach den Chancen eines freiwilligen Zusammenschlusses zur Absicherung rationaler Ergebnisse des freien Marktgeschehens, also zur Bereitstellung auch solcher öffentlicher Güter durch Private, die bislang der Staat produziert. Kooperation bei der öffentlichen Güterproduktion ohne staatlichen Ordnungsrahmen, die sich auf freiwilliger Grundlage und dauerhaft bildet, ist unter reinen Marktbedingungen, d.h. ohne verbindlichen Zwangsapparat, außerordentlich unwahrscheinlich und jedenfalls, unterstellt sie käme überhaupt zustande, vollkommen instabil. Untersuchungen189, die das Gegenteil nen durch falsche staatliche Nutzungsordnungen in Form von Rechtsregeln zu ähnlich katastrophalen Effekten führen - mit dem entscheidenden Unterschied, dass der Einzelne häufig nicht die Wahl hat zwischen diesem oder jenem Verhalten, sondern dem Zwang des Gesetzes unterworfen ist. 189 R. Axelrod, Die Evolution der Kooperation, 1988; aus psychologischer Sicht H. Spada, Α. Ernst, Wissen, Ziele und Verhalten in einem ökologisch-sozialen Di-
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beweisen wollen, zielen zu stark auf den engen überschaubaren Erfahrungshorizont des Einzelnen ab, der soziales Lernen durch unmittelbar spürbare Reaktionen und direktes Verhandeln allererst ermöglicht, aber auch begrenzt 190 . Hier wird in keiner Weise in Frage gestellt, dass solche Lernprozesse tatsächlich stattfinden und in überschaubaren Lebenswelten, langfristig sogar in großräumigen Zusammenhängen, auch erfolgreich sein können. Aus einer güterbezogenen Perspektive sind solche Verfahren zur Herstellung von Kooperation jedoch gewichtigen Einwänden ausgesetzt. Soziale Lernprozesse sind zum einen kein ressourcenschonendes Verfahren 191 , weil sie häufig von einem gemeinsamen Evidenzerlebnis des Negativen (kollektive Übel) abhängig sind 1 9 2 und weil sie, jedenfalls in komplexen Lernsituationen, lange dauern dürften, bis sie erfolgreich sind 1 9 3 . Entscheidend ist aber der Einwand, dass selbst bei unterstellt erfolgreichen kollektiven Lernerfolgen ohne rechtlich garantierte Rahmenordnung einer Zentralinstanz die erzielte freiwillige Kooperation immer unsicher bleiben wird. Sie kann ohne Verrechtlichungsprozess durch jeden Teilnehlemma, Forschungsberichte des Psychologischen Instituts der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg i.Br. Nr. 63, März 1990 (Fischereikonfliktspiel). Die von Axelrod in Computerturnieren als überlegen beschriebene Erfolgsstrategie des „Tit for Tat" (A. Rapaport) ist allerdings bei näherem Hinsehen mit einem durchaus subtilen Zwangsfaktor versehen. Die Strategie setzt, um erfolgreich funktionieren zu können, eine erhebliche Mindestausstattung mit Macht voraus. Kritisch O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, 1990, S. 285 ff., der insbesondere die kooperative Ohnmacht des Einzelnen (S. 294) und die Notwendigkeit einer übergeordneten Herrschaftsinstitution hervorhebt (S. 299). 190 Auf diesen Aspekt theoretischer Modellbildungen weist auch R. Münch, Risikopolitik, 1996, S. 142 hin: Was in der kleinen Gemeinde vielleicht gerade noch geht, scheint auf Weltebene ausgeschlossen. 191 Dies gilt für natürliche Ressourcen ebenso wie für menschliche Energie (unter Umständen auch Gesundheit und Leben) und Zeit. 192 Dieses kollektive Übel muss erst einmal deutlich bzw. spürbar werden. An den Denkmodellen der Tragödie der Allmende (Hardin) oder des Fischereikonfliktspiels (Spada/Ernst) wird deutlich, dass jedes gemeinsame Lernen zunächst die Einsicht in die Gefährdung des Gemeinschaftsgutes voraussetzt. Diese Einsicht lässt sich aber abstrakt zumindest solange nur schwer vermitteln, wie das Gut noch einigermaßen Bestand hat. Erst wenn dessen Existenz - bei natürlichen Lebensgrundlagen deren Qualität, im Miteinander der Völker der Frieden - massiv bedroht ist (im Fischereikonfliktspiel: der See ist so gut wie leer gefischt) und die Konsequenzen für alle deutlich werden, wird sich das „Evidenzerlebnis des Negativen" bei allen oder jedenfalls der ganz überwiegenden Mehrheit einstellen. Ob diese Voraussetzung freilich ausreicht, um eine effektive und dauerhafte Kooperation zur Erhaltung und Bewirtschaftung des öffentlichen Gutes auf rein freiwilliger Grundlage zu begründen, ist eine ganz andere Frage. 193 Lernprozesse sind damit selbst eine äußerst knappe Ressource, vergi. C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 468.
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mer des kollektiven Lernprozesses prinzipiell jederzeit wieder in Frage gestellt und aufgekündigt werden, ohne dass eine Möglichkeit besteht, diesen - außer mit guten Worten - in den Verbund der Gemeinsamkeit zurück zu holen. Am Beispiel des Fischereikonflikts an einem See lässt sich dies leicht demonstrieren. Nach einem Zusammenbruch der Fischbestände und anschließendem Wiederaufbau im Wege freiwilliger Kooperation bleibt es ohne zentrale Kontroll- und Exekutivgewalt immer unsicher, ob alle Teilnehmer (Fischer) sich auch in Zukunft auf freiwilliger Grundlage an die einmal vereinbarten Höchstfangquoten halten. Freiwillige Kooperation ist aufkündbar. Ohne Recht gibt es keine Gewähr dafür, dass sich die „Tragik der Allmende" nicht wiederholt. Das erreichte Maß an Stabilität ist zusätzlich den Gefahren von mangelnder Informiertheit und von Verhaltensirrtümern der Beteiligten unterworfen 194. Auch die Theorien der freiwilligen Kooperation können deswegen keine Gewähr dafür übernehmen, dass sich die Übernutzung und der Zusammenbruch des öffentlichen Gutes nicht wiederholt 195 . Außerdem müssen die Lernprozesse für von außen oder durch die natürliche Generationenabfolge neu in die Kooperationsgemeinschaft hinzukommende Personen in irgend einer Form wiederholt werden. Zumindest müssen deren Ergebnisse tradiert werden, um auch sie in die freiwillige Kooperationsordnung öffentlicher Güterproduktion einzubinden. Die Instabilität einer unterstellten Kooperation wird dadurch um ein weiteres Element verstärkt, denn soziale Lernerfolge lassen sich flächendeckend und für die Zukunft erst recht nicht garantieren. Freiwillige Kooperation bei der Produktion gemeinschaftlicher Güter ohne Garantien, und das heißt ohne die Möglichkeit zu zwingen, bleibt immer instabil, so sie denn überhaupt zustande kommt 196 . Dieser nüchterne Befund, der in diesem Abschnitt lediglich aus der Außenperspektive auf das Zustandekommen freiwilliger Kooperationsfor194
140 f.
R. Schüßler, Kooperation unter Egoisten: Vier Dilemmata, 1990, S. 114 ff.,
195 Auch bei abstrakten Gütern zur gemeinsamen Nutzung kann man von einer „AHmendestruktur" sprechen, solange es keine staatlich garantierten Zugangs- und Nutzungsregelungen gibt. 196 In diesem Sinne skeptisch auch die vor allem spieltheoretisch orientierte Untersuchung von R. Schüßler, Kooperation unter Egoisten: Vier Dilemmata, 1990, S. 7, 136 ff. (138) und 143 f., der ein gewisses Maß an Zwang für unumgänglich hält, zumal kein Anreiz besteht, auf freiwilliger Basis eine Kontrollinstanz zu schaffen, die das Verhalten überwacht. Schüßler analysiert den Verfall der Kooperation insbesondere auch im Hinblick auf neuartige Probleme im Zusammenhang mit Umweltgütern, die er als „strukturell bösartiges Dilemma" beschreibt.
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men abgeleitet wird, soll durch die Binnenperspektive individueller Präferenzbildung im nächsten Abschnitt untermauert werden. 5. Individuelle Präferenz und kollektiver Nutzen Öffentliche Güterproduktion unter den andauernden Bedingungen freiwilliger Kooperation bleibt auch deswegen immer unsicher, weil die individuelle Präferenzbildung und das kollektiv Nützliche keineswegs stets identisch sind 197 , sondern sich in der Praxis häufig widersprechen. Was aus individueller Perspektive als nützlich und in diesem Sinn als vernünftig erscheint, kann in der Summierung kollektiv schädlich sein. Dieses Phänomen lässt sich ebenso in umgekehrter Richtung beobachten, wenngleich nicht in dem platten Sinn, dass das kollektiv Nützliche aus individueller Binnensicht immer schädlich ist. Tatsächlich sind die Zusammenhänge komplizierter. So ist das kollektiv Nützliche in der Regel auch individuell von Vorteil, jedenfalls dann, wenn der Einzelne von der staatlichen Güterproduktion profitiert. Die Vermittlung der Vorzüge öffentlicher Güterproduktion für den Einzelnen wird regelmäßig in dem Maß gelingen, wie dessen Teilhabe an dem betreffenden Gut evident ist. Dass die staatliche Güterproduktion jedenfalls in vielen Bereichen persönliche Vorteile bietet, wird im Hinblick auf elementare Güter meistens auch gar nicht in Abrede gestellt. Das unter maßgeblicher staatlicher Beteiligung geschaffene öffentliche Gut der inneren Sicherheit stellt im Grundsatz ein elementares Gut für die individuelle Lebensführung dar 198 . Das Problem des Gegensatzes von individuellem und kollektivem Nutzen liegt auf einer anderen Ebene. Es wird erst durch die Einbeziehung der persönlichen Leistungsebene als Bedingung der Möglichkeit für die Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat transparent. Damit wird die Tatsa197 Dieses Phänomen wird gelegentlich auch mit dem Gegensatz von individueller und kollektiver Rationalität gekennzeichnet, etwa bei J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, 1984, S. 167 ff.; ähnlich H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 226 ff. Präziser und zur Vermeidung von Missverständnissen wird hier nicht von gegensätzlichen Vernunftbegriffen, sondern von konkurrierenden Modellen der individuellen bzw. der kollektiven Gütermehrung gesprochen; P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 90 f., 183 ff. 198 In der Tagespolitik stets umstritten ist dagegen die Frage, wie groß der staatliche „Produktionsanteil" dabeirichtigerweise zu sein hat. Konkret macht sich dieser Streit häufig an Polizeibefugnissen fest. Daraus darf jedoch nicht der Rückschluss gezogen werden, der Wert des öffentlichen Gutes der inneren Sicherheit solle dadurch insgesamt in Frage gestellt werden. Zu individuell unterschiedlichen Präferenzbildungen auf Grund der unterschiedlichen Lebenssituationen vergi, bereits oben C. IV. 2.
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che angesprochen, dass der Einzelne nicht nur einseitig von der staatlichen Güterproduktion profitiert, sondern seinerseits einen Beitrag erbringen muss, um die dauerhafte Güterproduktion durch den Staat sicherzustellen. In erster Linie geht es um die Verteilung der Lasten und Kosten, die die Bereitstellung und den Genuss des öffentlichen Gutes erst ermöglichen. Den typischen Anwendungsfall für eine solche belastende Gegenleistung bildet die Steuer als elementare Gemeinlast199. Staatliche Güterproduktion und individuelle Finanzierungsleistung per Steuern stehen allerdings nicht in einem direkten Austauschverhältnis, sondern nur in einem höchst mittelbaren. Zum einen ist die Steuer definitionsgemäß abstrakt, also nicht zweckgebunden und von daher in ihrer Nutzendimension auch nur abstrakt erfahrbar. Welche konkreten Sachzwecke mit den eigenen Steuergeldern letztlich finanziert werden, weiß niemand. Im übrigen sind die eigenen Beiträge in Relation zum Gesamtaufkommen ungeachtet erheblicher Schwankungen in der individuellen Steuerbelastung praktisch bei allen Steuerzahlern verschwindend gering. Auch hier gilt das bereits mehrfach registrierte Gesetz der Summation vieler kleiner Beiträge. Die Steuerzahlung des Einzelnen hat damit nicht nur subjektiv, sondern auch objektiv auf die staatliche Güterproduktion als Ganzes praktisch keinen Einfluss. Wenn nur wenige Steuerschuldner keine Steuern zahlen, wird dadurch weder die Gesamtproduktion staatlicher Güter gefährdet noch werden sie vom Konsum öffentlicher Güter ausgeschlossen 200 . Die individuelle Präferenzbildung wird aber in der Regel von der schlichten Maxime geprägt, den eigenen Nutzen zu mehren und den dafür erforderlichen Aufwand so gering wie möglich zu halten. Wenn es für die Güterproduktion nicht darauf ankommt, ob der Einzelne viel oder wenig Steuern zahlt, ist es aus der Perspektive individueller Nutzenmaximierung sinnvoll, möglichst keine Steuern zu zahlen. Dies gilt jedenfalls so lange, wie der Bestand der öffentlichen Güter und der daraus resultierende individuelle Nutzen nicht gefährdet wird. Damit ist das klassische Schwarzfahrer- oder Trittbrettfahrer-Syndrom („Freerider") beschrieben 201 , das bei Formen freiwilliger Kooperation in besonderer Schärfe auf199
Im Grunde können hier alle Bürgerpflichten genannt werden, von der Pflicht zur Rechtstreue bis zur Wehrpflicht, aber auch freiwillige Leistungen, auf die die Rechtsordnung baut. Hauptanwendungsfall dafür ist der politische Wahlakt. 200 Je größer die Gruppe aller Steuerzahler, desto geringer ist der Beitrag des Einzelnen für den Bestand eines öffentlichen Gutes und desto größer die individuelle Versuchung zur Umgehung des eigenen Beitrages, vergi. M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 185. 201 Das Problem ist seit langem bekannt. J. M. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, 1984, S. 53 ff., S. 171, nennt David Humes Beispiel der Trockenlegung eines Dorfangers, bei dem jeder bestrebt ist, in den vollen Genuss der Vorteile zu gelan-
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t r i t t 2 0 2 ; es tritt aber auch dort auf, wo zwar eine Rechtspflicht, aber jedenfalls kein wirksamer staatlicher Zwang und keine wirksame staatliche Kontrolle besteht, so dass die individuell erforderlichen Beiträge für den Bestand des öffentlichen Gutes also zumindest faktisch freiwillig aufgebracht werden müssen. Steuerflucht und Steuerhinterziehung oder die Schwarzarbeit geben dafür hinreichendes tatsächliches Anschauungsmaterial. Der Sache nach tritt das Phänomen bei vielen staatlich bereitgestellten Gütern auf. Für eine juristische Theorie öffentlicher Güter wiegt es besonders schwer, dass der Gegensatz von individueller Nutzenmaximierung und kollektivem Nutzen, von individueller und kollektiver Rationalität realistischerweise auf freiwilliger Grundlage nicht zu überwinden ist. Insoweit kann auf die Überlegungen im vorhergehenden Abschnitt, die das partielle Versagen der unsichtbaren Hand belegen 203 , zurückgegriffen werden. Ohne verbindliche (Rechts-) Regeln, ohne funktionierende Kontrollen und ohne effektive Zwangsmechanismen 204 und damit ohne rechtsstaatliche Institutionen gibt es keine Vermittlung 205 von individuellem und kollektivem Nutzen. gen, ohne sich allerdings an den Kosten zu beteiligen. Grundlegend auch M. Olson , Die Logik des kollektiven Handelns, 3. Aufl. 1992, S. 2 und S. 163, der herausgearbeitet hat, dass rationale, im Eigeninteresse handelnde Individuen tatsächlich nicht so handeln, dass ihr gemeinsames oder Gruppeninteresse verwirklicht wird.; G. Hardin, in: M. Lohmann (Hrsg.), Gefährdete Zukunft, 1970, S. 36; O. Höffe, Kategorische Rechtsprinzipien, 1990, S. 287 ff.; E. Weede, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft, Zur Soziologie der kapitalistischen Marktwirtschaft und der Demokratie, 1990, S. 24 f.; M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 23 ff. 202 Freiwillige Kooperation kann die Schwarzfahrerposition niemals ausschließen, dazu G. Kirchgässner, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 464 f. Von der Zwangsordnung unterscheidet sich die Kooperationsordnung lediglich dadurch, dass niemand die Schwarzfahrerposition einnehmen muss, um gegen die Kooperationsvereinbarung zu verstoßen, sondern dies ganz offen tun kann, ohne Zwangssanktionen fürchten zu müssen. Trotzdem kann es auch hier vorteilhaft sein, schwarz zu agieren und den Anschein der Kooperation zu wahren, allein schon um sich nicht der offenen Missachtung der anderen auszusetzen. 203 Zur „unsichtbare Wand" neben der unsichtbaren Hand M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 23 f. 204 Diese dürfen selbstverständlich nicht nur in einem auf rohe Gewaltanwendung verkürzten Sinn verstanden werden. Es gibt gerade im Steuerrecht zahlreiche subtile Steuerungsmechanismen, die sich des gruppenmäßig standardisierten Eigeninteresses für die Erreichung bestimmter Zwecke bedienen. 205 M. Olson , Die Logik des kollektiven Handelns, 3. Aufl. 1992, S. 12 weist darauf hin, dass kein modemer Staat trotz der Kraft des Patriotismus oder nationaler Ideologien in der Lage war oder ist, sich durch freiwillige Abgaben selbst zu erhalten. Auch J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975, S. 300 ff. rechtfertigt den staatlichen Zwang bei der Steuererhebung mit dem Schwarzfahrer-Argument. In einer großen Gesellschaft sei nicht genügend gegenseitiges Vertrauen in die Ehrlichkeit zu erwarten, um ohne Zwang auszukommen. Staatlicher Zwang - und damit
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Diese Einsicht ist durchaus radikal. Sie bedeutet nichts anderes, als dass Private als Private die Produktion bestimmter öffentlicher Güter selbst dann nicht immer sicherstellen können, wenn sie in ihrem wohlverstandenen und als solchem auch erkanntem Interesse liegen 206 . Private Güterproduktion stößt hier an einen absoluten Grenzpunkt. Viele öffentlichen Güter, etwa innere Sicherheit und die Finanzierung des Staates durch Steuern, aber auch bestimmte moralische Voraussetzungen lassen sich nicht ausschließlich in privater Produktion sicherstellen 207. 6. Resümee: Der Vorrang der staatlichen Güterproduktion Die vorangehenden Überlegungen belegen den Vorrang der staatlichen vor der privaten Güterproduktion trotz der hier aufgezeigten allgemeinen Grenzen, denen die staatliche Güterproduktion ihrerseits unterliegt, in einem grundsätzlichen Sinn. Bestimmte Güter mit Zugang für alle lassen sich in privater Produktion und damit auf freiwilliger Grundlage nicht effektiv bereit stellen, sondern nur durch die verbindliche Regulierung des Zugangs durch den Staat. Voraussetzung dafür ist, dass er über die erforderlichen Durchsetzungsressourcen und die Beschaffungshoheit in Bezug auf die anfallenden Kosten verfügt. Festzuhalten bleibt, dass der Vorrang der staatlichen Güterproduktion sich nicht aus dem spezifisch staatlichen Handlungsinstrumentarium und dem sogenannten Gewaltmonopol als der eigentlichen Machtbasis staatlichen Handelns rechtfertigt, sondern aus dem Anspruch, die öffentliche Güterbereitstellung für alle in prinzipiell gleicher Weise sicher zu stellen. Dies gilt auch für die Bereitstellung von hochkomplexen Gütern bei notwendiger Beteiligung Privater, wenn der staatliche Produktionsanteil nicht entfallen kann, ohne dass der Erfolg insgesamt entfiele. Anhand einiger Beispiele allen voran dem öffentlichen Gut der inneren Sicherheit - wurde dies konkretisiert und belegt. die Notwendigkeit staatlicher Güterproduktion - wird hier wesentlich aus dem Problem fehlender Gewissheit über das vereinbarungsgemäße Verhalten der anderen gerechtfertigt. Vergi, auch G. Hardin , in: M. Lohmann (Hrsg.), Gefährdete Zukunft, 1970, S. 46: „Die Freiheit des in die Logik des Allmende-Denkens eingeschlossenen Individuums besteht lediglich darin, den Ruin aller herbeizuführen. Erst wenn die Notwendigkeit gegenseitigen Zwangs erkannt ist, wird die Menschheit die Freiheit haben, andere Ziele zu verfolgen." 206 V e r g l a u c h M Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 24 f. und S. 182 f., für den der Gegensatz von individueller und kollektiver Rationalität das „Kollektivgutproblem" schlechthin darstellt. 207
Insofern trifft es nicht zu, dass es keine wissenschaftliche Theorie darüber gibt, was in öffentlicher, was in privater Produktion erbracht werden muss, so aber G. Ambrosius, StWStP 1994, S. 421.
IV. Grenzen der privaten Bereitstellung von Gütern
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Mit der Einsicht, dass einige öffentliche Güter mit prinzipiell gleichen Zugangschancen für alle trotz der dabei existierenden unbestreitbaren Grenzen nur in staatlicher Produktion erfolgreich bereitgestellt werden können, ist allerdings nur die erste Hürde einer normativen Theorie genommen. Vor allem die ursprünglich aufgeworfene Frage, welcher Verantwortungsrahmen den Staat im Hinblick auf bestimmte öffentliche Güter denn nun mindestens in die Pflicht nimmt, ist weiterhin offen. Ebenso wenig steht fest, in welchem Umfang diese Güter benötigt werden oder inwieweit Private in den Prozess der staatlichen Güterbereitstellung einbezogen werden können, ohne dass der staatliche Charakter in die private Güterproduktion umschlägt. Auf dem Boden eines rein formalen Ansatzes lassen sich diese Fragen nicht klären. Auch mit einem Katalog von verschiedenen Topoi wäre wenig 208
gewonnen . Die Verpflichtung des Staates zur Bereitstellung vorrangiger öffentlicher Güter lässt sich nur dann theoretisch überzeugend begründen, wenn es ein gesteigertes Maß an staatlicher Verantwortung für deren Bereitstellung gibt. Diese spezifisch staatliche Verantwortlichkeit ist das eigentliche normative Element in der juristischen Theorie öffentlicher Güter. Erst dadurch lässt sich die Pflicht begründen, für die Produktion bestimmter Güter einzustehen. Staatliche Verantwortung verstanden als Garantenstellung für die Bereitstellung bestimmter Güter setzt die Entwicklung von entsprechenden Zurechnungskriterien voraus. Erst durch das Zusammenspiel dieser Zurechnungskriterien mit der Eigenart der betreffenden Güter wird die staatliche Einstandspflicht begründet. Im bisherigen Verlauf der Untersuchung wurde die Summe der öffentlichen Güter, die der Staat tatsächlich bereit stellt, bis auf einige Beispiele allerdings nicht näher und insbesondere nicht systematisch aufgeschlüsselt. Eine präzisere Bestimmung der staatlichen Verantwortungsdichte 209 für die Produktion öffentlicher Güter setzt zunächst eine sachgerechte Binnendifferenzierung voraus, die prinzipiell geeignet ist, das Ganze staatlicher Güterbereitstellung zu erfassen.
208 Diesen Einwand erhebt R. Alexy, VVDStRL 48, S. 121 ff. (Diskussionsbeitrag) gegen eine Staatsaufgabenlehre ohne weitergehende Differenzierung im Sinne einer Rangordnung. Der Einwand gilt im Rahmen einer öffentlichen Güterlehre mit Anspruch auf Normativität in gleicher Weise. 209 Differenzierte Maßstäbe und Typologien staatlicher Verantwortung bei F. Ossenbühl, VVDStRL 29, S. 137/145 ff.; H.-U. Gallwas, VVDStRL 29, S. 211/ 225 ff.; G. F. Schuppen,, DÖV 1995, S. 768 ff.; L Osterloh, VVDStRL 54, S. 236; H. Bauer, VVDStRL 54, 277 ff.; H.-H. Trute, DVB1. 1996, S. 951 ff.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
V. Sektoren staatlicher Güterproduktion 1. Einstellungsschärfe bei der Sektorenbildung Die faktische staatliche Güterbereitstellung wird nach Sektoren skizziert, in denen staatlich-öffentliche Güter zu Gruppen zusammengefasst werden. Dabei stehen nicht enzyklopädische Fülle, sondern die Herausarbeitung der sektorspezifischen Zweckrichtungen und die Nennung einiger charakteristischer Beispiele im Vordergrund. Die Einteilung in Gütersektoren ist eine gedankliche Grundeinteilung, die Abgrenzungsfragen im Einzelfall aufwerfen kann. Der theoretische Charakter der Einteilung bedeutet, dass Maßnahmen in der Praxis häufig nicht überschneidungsfrei sind. So machen zahlreiche konkrete Gesetzgebungsprojekte bei ihrer Umsetzung gleichzeitig die Bereitstellung von öffentlichen Gütern aus mehreren Sektoren erforderlich. Die vorgeschlagene Differenzierung hat einen behutsamen inhaltlich-normativen, nämlich klassifikatorischen Charakter. Diese Vorgehensweise bedeutet keine Rangordnung oder Gewichtung von Gütersektoren, sondern sie dient einerseits der weiteren Klärung des güterbezogenen Ansatzes und anderseits als Vorstufe für die Ermittlung differenzierter staatlicher Verantwortungsmaßstäbe. Vermieden werden soll eine Überdifferenzierung in eine Vielzahl von Sektoren. Die gewählte Einteilung knüpft weitgehend an herkömmliche Differenzierungen von Staatszwecken an und versucht, aus der Natur der Sache zu überzeugenden Gruppenbildungen und zu einer angemessenen Differenzierung von Sachzwecken zu gelangen. Nicht in Frage gestellt wird, dass sich historisch ein gewisser Grundkanon von Gütern herausgebildet hat, der als besonders wichtig in der Summe der staatlichen Güterproduktion angesehen werden kann 210 . Mit der hier gewählten mittleren Einstellungsschärfe der Betrachtung lässt sich die Tätigkeit des güterbereitstellenden Staates im Wesentlichen auf sieben Sektoren oder Gütergruppen konzentrieren: Statusgüter, Ordnungsgüter, Sozialgüter, geistige Güter, Infrastrukturgüter, Wirtschaftsstrukturgüter und supranationale Strukturgüter. 210 Aus der Staatslehre J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 44 ff. (S. 22 ff.); P. Pernthaler, Allgemeine Staatslehre und Verfassungslehre, 2. Aufl. 1996, S. 116 ff. und S. 125 nennt vor allem vier „typologische Staatszwecke": Friedenssicherung, Herstellung einer Wirtschafts- und Sozialordnung, kulturelle Entwicklung, Umweltschutz; aus ökonomischer und ordnungspolitischer Sicht B. Möschel, in: Festschrift J. Gernhuber, 1993, S. 915 und P. A. Samuelson/W. D. Nordhaus, Volkswirtschaftslehre. Grundlagen der Makro- und MikroÖkonomie, Bd. 2, 8. Aufl. 1987, S. 430 ff.; bei der Systematisierung von Staatsaufgaben bei Th. Ellwein, H. P. Bull, R. Rose, R. Mayntz und F. Wagener (dazu G. F. Schuppert, VerwArch 71, S. 312 ff. fehlt hingegen der normative Anspruch.
V. Sektoren staatlicher Güterproduktion
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Da der Sektor der Infrastrukturgüter selbständig aufgeführt wird, ist es erklärungsbedürftig, dass Dienstleistungen in dieser Einteilung nicht als eigene Größe auftauchen. Tatsächlich stellen Dienstleistungen rein quantitativ betrachtet eine herausragende Größe in der Summe der Staatstätigkeit dar. Sie lassen sich aber nicht als selbständiger Gütersektor beschreiben. Dienstleistungen werden in allen Gütersektoren benötigt und erbracht. Ihnen kommt stets dienende Funktion für die Bereitstellung, Pflege und Erhaltung von unterschiedlichen Gütern zu. Sie sind Mittel für die Verwirklichung anderer Zwecke. Dies gilt selbst noch für unmittelbar am Mensch erbrachte Dienstleistungen, die auf Pflege zielen und sich als Sozialgut interpretieren lassen. Dienstleistungen fehlt damit das Spezifische eines selbständigen Sektors. Ob und in welchem Umfang Dienstleistungen privatisiert werden können, lässt sich folglich nicht abstrakt formulieren, sondern nur in Abhängigkeit von dem betreffenden Gut, um dessen Bereitstellung es geht. Einen Grenzfall stellt der staatliche Personalbestand dar. In einem weiten Sinn ließe sich ein eigener, fachlich für die jeweiligen Aufgabenbereiche kompetenter Personalbestand als Infrastrukturgut begreifen 211. Bei dem ausführenden Personal handelt es sich allerdings ebenfalls um eine unspezifische Größe: In allen Sektoren ist qualifiziertes Personal erforderlich, um die betreffenden Güter effektiv bereitstellen zu können. Dies gilt für die Rechtsetzung in gleicher Weise wie für die Eröffnung und Instandhaltung öffentlicher Verkehrswege durch den Staat. Das Personal taucht deswegen in den Gütersektoren als eigenständige Größe nicht auf. Wie die personelle Basis organisatorisch ausgestaltet sein muss, ob der Staat etwa bei der personellen Infrastruktur für bestimmte Aufgaben Beamte bereitzuhalten hat oder ob und in welchem Umfang er dieses auch als Fremdleistung einkaufen kann, ist keine gütertheoretische, sondern eine Rechtsfrage, die die Art und Weise der Güterbereitstellung betrifft und nur in Bezug auf konkrete staatlich-öffentliche Güter geklärt werden kann 212 . Auch die erforderlichen finanziellen Mittel für die Bereitstellung von Gütern durch den Staat tauchen in der Sektorenbildung nicht auf. Finanzielle Ressourcen sind, so groß ihre Bedeutung für die Bereitstellung staatlicher Güter tatsächlich ist, ebenfalls keine spezifische Größe. Alle Güter haben unabhängig davon, wer sie bereit stellt, ihre Kosten und müssen so oder so finanziert werden. Dass der Mangel an finanziellen Ressourcen jede Güterproduktion begrenzt, bleibt banal und markiert zugleich eine unübersteigbare Grenze juristischer Überlegungen213. 2,1
In diesem weiten Sinn wohl auch M. Ronellenfitsch, DÖV 1996, S. 1029, der insbesondere auch das Unterrichtswesen als Infrastrukturgut ansieht. 212 Dazu unten E. 18 Gramm
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Dass Freiheitsgüter als selbständige Größe gleichfalls nicht auftauchen hat seinen Grund darin, dass sämtliche Gütersektoren Freiheitsfunktionen erfüllen und insofern auch als Freiheitsressourcen interpretiert werden können. Im Übrigen wurde bereits darauf hingewiesen, dass konkrete Freiheitsrechte sich zumindest nicht in sämtlichen rechtlichen Funktionen als Vorgang staatlicher Güterbereitstellung interpretieren lassen. 2. Statusgüter Staatliche Statusfestlegungen fixieren rechtliche Geltungsansprüche von Menschen, wie sie in grundlegender Weise in den Menschenrechten ihren Ausdruck gefunden haben. Differenzierte Statusfestlegungen enthalten die Grundrechte mit ihrer Zweiteilung in Menschen- und Bürgerrechte. Diese Zweiteilung verdeutlicht die eigentliche Funktion von Statusgütern, die Bedingungen für Mitgliedschaft und Voraussetzungen der Zugehörigkeit zu Gruppen und Gemeinschaften, insbesondere zur politischen Vereinigung Staat sowie zu weiteren rechtlichen Subgemeinschaften im Staat festzulegen. Eine wesentliche, aber nicht die einzige Statuszuschreibung ist dabei die Staatsbürgerschaft, über die sich die Zugehörigkeit zum Staatsvolk als einer nach wie vor gültigen Grundgröße des Staates vermittelt. Die Frage der Mitgliedschaft in einer politischen „Gemeinschaft" 214 wird zu Recht als „elementares, primär zu lösendes Menschenrechtsproblem" erkannt 215. Die rechtsverbindliche Festlegung, wer im jeweiligen Kontext dazugehört und also einen Anspruch auf Geltung innerhalb dieser Bezugsgruppe hat und wer nicht, ist fundamental. Das Problem klingt bei den drei revolutionären Forderungen nach Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit in 2.3
Allerdings ist es gerade die Knappheit der Mittel, die durch die bürokratischen Kosten des Rechts- und Sozialstaats mit verursacht wird, vergi. R. Wahl, VerwArch 13, S. 272 ff., die Juristen zum Nachdenken über notwendige Staatsaufgaben zwingt. 2.4 In der Liberalismus-Kommunitarismus-Debatte spielt der Gemeinschaftsbegriff im Gegensatz zur „Abstraktion" universaler Menschenrechte eine grundlegende Rolle, insbes. bei M. Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, 1992, S. 65 ff. Für Walzer ist Mitgliedschaft und Zugehörigkeit zu einer konkreten staatlichen Gemeinschaft „das erste und wichtigste Gut, das wir aneinander zu vergeben und zu verteilen haben" (S. 65), und er folgert daraus: „Tatsächlich dürfte die Herrschaft von Staatsbürgern über Nicht-Staatsbürger, von Mitgliedern einer Gemeinschaft über in ihr lebende Fremde die gebräuchlichste Form von Despotismus in der menschlichen Geschichte sein." (S. 107). Walzer, der die menschliche Gesellschaft als Verteilungsgesellschaft begreift (S. 26, 32 ff.), hat das Problem damit - ungeachtet der spezifisch philosophischen Implikationen von „Gesellschaft und Gemeinschaft" - jedenfalls als juristisches Problemrichtigfixiert. 2.5 E. Denninger, JZ 1996, S. 588, der sich unter anderem auf Art. 15 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte von 1948 beruft.
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der letzten an 216 . Juristisch lässt sich das Brüderlichkeitspostulat so interpretieren, dass in ihm die ursprüngliche Fragestellung nach dem Subjekt mit einem eigenen Geltungsanspruch als Mensch, aber auch seine mitgliedschaftliche Stellung innerhalb einer Gemeinschaft, etwa als Staatsbürger, thematisiert wird. Gewiss sind beide als Rechtsstatus zu unterscheiden: Mit dem Bekenntnis zu Menschenrechten und zur unveräußerlichen Würde des Menschen ist der Status im Staat noch nicht automatisch definiert, sondern lediglich ein gewisser humaner Grundstatus, der unabhängig von jeglicher Staatszugehörigkeit existiert. Damit gehört etwa auch die juristische Festlegung von Beginn und Ende des menschlichen Lebens zu den Statusgü. 2 1 7
tern Die staatliche Anerkennung der Menschenwürde ist das grundlegende Statusgut218, wobei es in diesem Zusammenhang keine Rolle spielt, ob die Menschenwürde letztlich als vorstaatliche Qualität oder nach Maßgabe staatlicher Gewährleistung begründet wird. Unbestreitbar ist, dass es einen Unterschied macht, ob ein Staat die Menschenwürde anerkennt und sich zu ihrer Achtung bekennt oder nicht. Eine handlungsfähige politische Gemeinschaft wird dadurch allerdings noch nicht konstituiert. Dies vermag erst der spezifische Geltungsanspruch als Mitglied eines Staates zu leisten. Die Staatszugehörigkeit und den Rechtsstatus von Nichtstaatsbürgern im Staat muss deshalb jede Staatsordnung festlegen, solange sie nicht universal (Weltstaat) oder doch für alle Menschen, die sich faktisch in ihm aufhalten, rechtlich in gleicher Weise offen ist. Diese Abgrenzung durch rechtsverbindliche Statuszuweisung bedeutet definitionsgemäß immer auch die Ausgrenzung derjenigen, die nicht zum Staatsvolk dazugehören sollen. Wichtige Anklänge an diese Überlegungen finden sich bereits in Georg Jellineks Statuslehre in seinem „System der subjektiven öffentlichen Rechte" im positiven (Bürger-) Status, dessen Verlust dem „bürgerlichen Tode, dem Erlöschen der Persönlichkeit gleichkommen" würde 219 , und ins216
Verbindliche Statusfestlegungen sind der Ort, an dem die Brüderlichkeitsparole ihren rechtlich greifbaren Gehalt entfaltet. Denn weder die Freiheit noch die Gleichheit halten eine Antwort darauf bereit, wem eigentlich das Recht zusteht, frei und gleich zu sein. Zum rechtlichen Gehalt des Brüderlichkeitspostulats C. Gramm, JZ 1994, S. 611 ff. 217 Auch der Grundsatz der gleichen Freiheit für alle bei J. Rawls , Eine Theorie der Gerechtigkeit, 1975, S. 81 lässt sich in der Staatswirklichkeit nur durch die Zuweisung eines entsprechenden Rechtsstatus verwirklichen. 2,8 Zur Menschenwürde als einem „Recht auf Rechte" C. Enders, Die Menschenwürde in der Verfassungsordnung, 1997, S. 501 ff. 219 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. Tübingen 1905 (Nachdruck 1919), S. 114 ff. (132). Den Minimalgehalt des positiven Status, der „in gewissem Umfang von der Staatsangehörigkeit unabhängig" ist (S. 193),
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
besondere im aktiven (Bürger-) Status, der „Zugehörigkeit zum Staate als erstes Erfordernis passiver Qualifikation" voraussetzt220. Jellinek unterscheidet damit ebenfalls zwei grundlegend verschiedene Statusqualitäten: einen menschlichen Grundstatus im und außerhalb des Staates, der jedermann zukommt und der heute mit erheblichen Bedeutungszuwächsen in der Formel von der auf universale Geltung angelegten Menschenwürde verfassungsrechtliche Gestalt angenommen hat, und den an die Staatszugehörigkeit anknüpfenden Bürgerstatus. Allerdings wird die in der traditionellen Staatslehre mit der Vorstellung eines einheitlichen Staatsvolkes mehr oder weniger selbstverständlich gegebene Grundgröße des modernen Staates mit wachsender Mobilität der Volksgruppen in weiten Teilen der Welt und ganz besonders in den kleinräumigen Staaten Europas unsicherer 221. Je stärker die Mobilität der Menschen zunimmt, je mehr überkommene Formen der kulturellen und biologischen Herkunft sich auflösen, desto schwieriger wird die Frage nach dem Staatsvolk in der Staatswirklichkeit in einem normativen Sinn zu beantworten. Jedenfalls lässt sich das Staatsvolk heute zunehmend weniger als ein für allemal feststehende, quasi natürlich vorgegebene Gemeinschaft begreifen. Mit dem Verlust des (vermeintlich) Selbstverständlichen rückt das Problem allgemein stärker ins Bewusstsein, dass staatliche Rechtsordnungen mit durchaus differenzierten Maßstäben festlegen müssen, wer mit welchem Status zum Kreis der Menschen (die Fragen nach Beginn und Ende des menschlichen Lebens sind bekanntlich stark umstritten), der Staatsbürger, der Wahlberechtigten bei Parlamentswahlen, der Wahlberechtigten bei Kommunalwahlen, der aufenthaltsberechtigten Ausländer, der Asylberechtigten etc. gehören soll - und wer nicht. Bei der Staatsbürgerschaft geht es um die Frage, wie die politische Gemeinschaft sich konstituiert. Auch im gesellschaftlichen Leben sind zahlreiche rechtliche Statusfestlegungen erforderlich, etwa bei Rechtsfähigkeit oder Geschäftsfähigkeit; auch die Schuldfähigkeit im Strafrecht lässt sich als spezifische Statusfestlegung interpretieren. Der bereits oben analysierte eigentümliche Doppelcharakter von individuellen Rechten und öffentlichem Gut greift auch bei einigen staatlichen Statuszuschreibungen ein. Einerseits begründen sie einen individuellen sieht er in drei in ihrer Wurzel zusammentreffenden Ansprüchen gegeben: Rechtsschutz-, Interessenbefriedigungs- und Interessenberücksichtigungsanspruch, die als „konkretes Minimum" des positiven Status „notwendigerweise jedem" zukommen (S. 132). 220 G. Jellinek, System der subjektiven öffentlichen Rechte, 2. Aufl. 1905 (Nachdruck 1919), S. 193. 221 Ρ. Saladin, Wozu noch Staaten, 1995, S. 26 ff., bringt dies auf die Formel, dass „kein Volk mehr unter sich" ist.
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Rechtsstatus, mit denen die staatliche Rechtsordnung den Zugang zur politischen Gemeinschaft des Staatsvolkes, der Wahlberechtigten etc. festlegt. Dadurch konstituiert das Recht andererseits spezifische Rechtsgemeinschaften im und zum Teil auch außerhalb des Staates als öffentliches Gut für alle diejenigen, die an diesem Status teilhaben. So bilden alle Wahlberechtigten erst zusammen die maßgebliche handlungsfähige Größe, die von Rechts wegen dazu berufen ist, demokratische Legitimation durch Wahlen an die gewählten Personen und an die staatlichen Institutionen zu vermitteln. Statusgüter konkretisieren damit einen bestimmten Aspekt von rechtlichen Freiheitsgewährleistungen, ohne die Freiheitsdimension abschließend zu erfassen. Insbesondere für die Erfassung der Funktion von Grundrechten als Eingriffsabwehrrechte ist die statusgüterbezogene Betrachtungsweise nur begrenzt geeignet. 3. Ordnungsgüter Der klassische staatliche Produktionssektor wird durch Ordnungsgüter gebildet, die der (Rechts-) Staat in großem Umfang bereitstellt 222. Auch wenn es im Einzelfall Abgrenzungsschwierigkeiten geben mag, lassen Ordnungsgüter sich in einer groben Zweiteilung durch die doppelte Zweckrichtung von staatlicher Selbsterhaltung und von gesellschaftlichen Ordnungsstrukturen charakterisieren. In die erste Gruppe fallen diejenigen Maßnahmen, die vor allem der Selbsterhaltung und Selbstorganisation des Staates als Voraussetzung für sein eigenes Wirken dienen223. Beispielhaft zu nennen sind Bildung und Funktion von Staatsorganen, die gesamte Staats- und Verwaltungsorganisation einschließlich des Verfassungsrechts der Staatsorganisation sowie Dienstrecht, das Wahl- und Parteienrecht 224, das Regierungs- und Verwaltungsverfahren und nicht zuletzt das Steuerwesen zur Finanzierung des Staates und seiner Aufgaben. Als klassisches Gut zur Selbsterhaltung lässt sich zu dieser Gruppe schließlich auch die Schaffung und Erhaltung der äußeren Sicherheit durch die Unterhaltung von Streitkräften zählen. 222 Der Rechtsstaat einschließlich seiner Sanktionsmacht wird deswegen selbst als öffentliches Gut beschrieben bei M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 35, 572 ff. 223 H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 766; P. Kirchof, Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Artikel 33 Absatz IV des Grundgesetzes, 1968, S. 117; M. Krautzberger, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch Private, 1971, S. 54. 224 Für das Wahlrecht gilt dies nur insoweit, als es nicht um die Frage nach der Wahlberechtigung geht. Die Festlegung des Wahlrechts ist ein Statusgut.
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Zur zweiten Gruppe gesellschaftlicher Ordnungsstrukturen lassen sich zunächst Maßnahmen zur Herstellung von innerer Sicherheit und Ordnung einschließlich der Rechtsgewährleistung durch die Justiz rechnen. Diese Zweckrichtung dient zwar in gewisser Hinsicht ebenfalls der Selbsterhaltung des Staates und seiner Funktionen; sie reicht aber weit darüber hinaus, insofern darin vor allem ein gesellschaftlicher Befriedungs- und Sicherungsauftrag enthalten ist, der unabhängig davon eingreift, ob Bestand und Sicherheit des Staates gefährdet sind. Es wäre deswegen reduktionistisch, gesellschaftsgerichtete Befriedungsgüter ausschließlich als eine Funktion staatlicher Selbsterhaltung zu interpretieren. Innere Sicherheit umfasst das gesamte Spektrum der Gefahrenabwehr, aber auch staatliche Schutzmaßnahmen durch Vorsorge gegen bestimmte Sicherheitsrisiken im Vorfeld. Staatliche Bewirtschaftungsregelungen zur langfristigen Erhaltung und Pflege von natürlichen Umweltgütern stellen aus dieser Perspektive keine Besonderheit dar. Luft-, Boden-, Wasser-, Klima-, Natur- und Artenschutz sind Unterfälle staatlicher Ordnungsgüter, ebenso wie die Regelung der Gentechnik. Im Unterschied zur klassischen Gefahrenabwehr wird hier lediglich der Interventionspunkt staatlicher Steuerung vorverlagert. Markant wird die gesellschaftsgerichtete Ordnungsfunktion des Staates bei der Festlegung der rechtlichen Rahmenbedingungen für den Markt (Staat als „Marktveranstalter") und für sonstige gesellschaftliche Abläufe 225 , also bei den für alle verbindlichen „Spielregeln" 226 in der ganzen Breite des Zivilrechts. Weitere Ordnungsgüter sind etwa Währungswesen und Maße, der Schutz geistigen Eigentums, ferner Denkmalschutz, Raumordnung und -planung oder Frequenz- und Rundfunkordnung. Zu den Ordnungsgütern, die der Staat in seiner Rolle als Marktveranstalter bereitstellt, gehört auch die Sicherung von Wettbewerb und Konkurrenz durch die Verhinderung gesellschaftlicher Monopolbildungen227 in vielen Produktionszweigen, die bekanntlich zum Ausschluss von Wettbewerb und Konkurrenz führen würde. Beide Ordnungsfunktionen zusammen dienen der Sicherung und Erhaltung des Gesamtsystems von Staat und Gesellschaft 228, der Sicherheit des Rechts um der Freiheit des Einzelnen229 als verlässliche Grundlage seiner 225
Dies umfasst die gesamte Privatrechtsordnung als Rahmenordnung, bei der die Gestaltung der Rechtsverhältnisse zwar nicht ausschließlich, vergi. E. SchmidtAßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 17, aber doch weitgehend der spontanen Ordnung überlassen bleibt, H.-H. Trute, DVB1. 1996, S. 958 f. 226 Vergi. H. H. Rupp, HStR I, 1987, § 28 Rdn. 43 (S. 1215). R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 85 (S. 117) spricht von der „Sorge für die objektiven Bedingungen gesellschaftlicher Selbstregulierung". 227 Zur Tendenz zum Konkurrenzausschluss vergi. M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 25.
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Freiheitsentfaltung willen. Auch erscheinen öffentliches und privates Recht damit aus güterbezogener Betrachtungsweise nicht als Gegensätze, sondern als „sich wechselseitig stützende und ergänzende Auffangordnungen" mit übergreifendem rechtlichen Ordnungsauftrag 230 . Allerdings wäre es ebenfalls ein verkürztes Verständnis von Ordnung, wenn darunter nur die materiellen Zielvorgaben eines abstrakten Aufgabenbestandes ohne Rücksicht auf ihre tatsächlichen Realisierungschancen subsumiert würden. Es ist deswegen erforderlich, auch die instrumentelle Dimension staatlichen Handelns zu berücksichtigen, die freilich auch in anderen Gütersektoren existiert, aber gerade im Bereich der Ordnungsgüter in spezifischer Weise (rechts-) staatlich geprägt ist. In diesem Gütersektor sind deswegen die Verfahrensregelungen (Prozessrecht, Verwaltungsverfahren) einzubeziehen, die die effektive Bereitstellung der jeweiligen Ordnungsgüter erst ermöglichen. Auch rechtliche Sanktionssysteme zur Rechtsdurchsetzung 23 1 (Strafrecht, Ordnungswidrigkeiten, Verwaltungszwang, Vollstreckungswesen) finden hier ihren Platz 2 3 2 . 228
R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 89 (S. 118) sieht darin „eine der zentralsten und originärsten Staatsaufgaben überhaupt". 229 Dass Ordnung kein Selbstwert ist, sondern dass ein elementarer rechtsstaatlicher Zusammenhang von der Verlässlichkeit der Rechtsordnung als Grundlage der Freiheit besteht, ist auch die Sichtweise des Bundesverfassungsgerichts, BVerfGE 60, 253 (268); femer E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 410; A. Roßnagel, ZRP 1997, S. 30 spricht von den „systematischen Bedingungen individueller und gesellschaftlicher Freiheit" und betont die „Strukturverantwortung" des Staates. 230 E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 8, 11, 12 f., 15, 23, der deswegen zu Recht feststellt, dass nicht nur das öffentliche Recht, sondern auch das private Recht eine rechtsstaatliche Zentralaufgabe erfüllt (S. 13). Privatrecht und öffentliches Recht unterscheiden sich danach zwar in ihrer Steuerungsintention (dazu C. Kirchner, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 71) und vor allem in ihren Regelungsmustem und Instrumenten; sie unterscheiden sich dagegen nicht unbedingt im Hinblick auf die mit ihren jeweiligen Ordnungsstrukturen intendierten Güter. In der jüngeren Diskussion wird die „Verzahnung" von öffentlichem und privatem Recht zunehmend hervorgehoben, vergi, nur die Beiträge in W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996; grundlegend bereits M. Bullinger, Öffentliches Recht und Privatrecht, 1968; ders., Festschrift F. Rittner, 1991, S. 80 ff. Ansätze für die von Bullinger geforderte Überwindung des Dualismus von öffentlichem und privatem Recht in einem „Gemeinrecht" finden sich beispielsweise im Gesetz über allgemeine Geschäftsbedingungen (S. 87). 231 J. A. Buchanan, Die Grenzen der Freiheit, 1984, S. 98 f. 232 Solche Sanktionsstrukturen legitimieren sich zwar unter Umständen aus dem staatlichen Gewaltmonopol, ohne mit diesem identisch zu sein. Das Gewaltmonopol
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
4. Sozialgüter Der Gütersektor der Sozialgüter deckt sich weitgehend mit der sozialstaatlichen Dimension des demokratischen Verfassungsstaates. Staatlich bereitgestellte Sozialgüter zielen einmal auf die Linderung von individueller Not und auf die Verbesserung der persönlichen Lebenssituation bei besonderen Belastungen233. Leitgedanke dieser Untergruppe ist die Entlastung des Schwächeren im mit den Mitteln des Rechts hergestellten Solidarverbund. Von Ordnungsgütern unterscheiden sich Sozialgüter damit strukturell vor allem durch ihren unmittelbaren Personalbezug, der sich in der direkten Zuweisung bzw. Bereitstellung von staatlich erbrachten oder jedenfalls organisierten Geld-, Sach-, Pflegeleistungen oder sonstigen persönlichen Vorteilen konkretisiert. Sozialgüter haben damit - in Anlehnung an die gängige Unterscheidung in den Gerechtigkeitslehren - eine austeilende Funktion. Die Sicherung des Existenzminimums stellt das Paradigma für diesen Gütersektor dar. Weitere Anwendungsfälle sind - wiederum beispielhaft genannt - Kinder- und Erziehungsgeld, sozialer Wohnungsbau, gesetzliche Zwangsversicherungen gegen die Risiken Krankheit, Unfall, Arbeitslosigkeit, Alter und Pflege sowie in gewissem Umfang auch die Arbeitsförderung 234. In ihrer kollektiven Dimension lässt sich die staatliche Bereitstellung dieser Sozialgüter auch zu abstrakteren Zweckrichtungen zusammenfassen, die sich ihrerseits als öffentliches Gut interpretieren lassen. Solche öffentlichen Sozialgüter sind beispielsweise der soziale Friede, eine ausgewogene Bevölkerungsstruktur, auf die der Staat durch Maßnahmen der Familienförderung jedenfalls mittelbar Einfluss nehmen kann, oder die Verteilungsgerechtigkeit der Lasten zwischen den Generationen und zwischen denjenigen, die ihr Einkommen alleine verkonsumieren können und denjenigen,
ist selbst keine Staatsaufgabe, vergi, oben Α. I. 5., und kein staatlich bereit gestelltes öffentliches Gut, sondern eine abstrakte Erfüllungsbedingung für die spezifisch staatliche Produktion einiger - keineswegs aller - öffentlicher Güter. 233 Vergi. a u c h D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 48: „Hilfe in existentieller Not". Die Steigerung des Massenwohlstandes, die Murswiek ebenfalls als Dimension der Sozialpolitik interpretiert, wird nach hiesigem Verständnis unter den Sektor der Wirtschaftsstrukturgüter subsumiert. 234 Sozialgüter und Ordnungsgüter lassen sich nicht in jedem Fall trennscharf auseinander halten. Beispielsweise ist die gesetzliche Regelung von Ladenschlusszeiten primär zwar ein Ordnungsgut, weil sie den Marktzugang im Hinblick auf die rechtlich zulässigen Verkaufszeiten reguliert. Sie weist aber daneben auch soziale und kulturelle Dimensionen auf. Ebenso ist die gesetzliche Regelung der Lohnfortzahlung ungeachtet ihrer sozialpolitischen Dimension primär ein Ordnungsgut, insofern auch sie die Bedingungen für den Zugang zum (Arbeits-) Markt für die Arbeitgeberseite reguliert.
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die für andere Sorgeverpflichtungen übernehmen, also insbesondere bei Familien, Alleinerziehenden und bei der Übernahme von Pflegeaufgaben 235. Von anderer Struktur sind dagegen materielle Versorgungsleistungen für jedermann mit lebenswichtigen oder doch zumindest wichtigen Gütern für den alltäglichen Bedarf, die üblicherweise mit dem Stichwort von der Daseinsvorsorge benannt werden 236. Auch die Sicherstellung der Versorgung mit elementaren Gütern zu einem allgemein erschwinglichen Preis 237 lässt sich diesem Sektor zurechnen. Beispielhaft genannt seien Abfallbeseitigung, Energie-, Wasser-, Verkehrs- oder Telefonversorgung und Postdienstleistungen. Aus güterbezogener Perspektive zählt dabei das Resultat der verbindlich gesicherten Versorgung; wer die Versorgungsleistung im Endeffekt und in welcher Rechtsform durchführt, ist damit nicht präjudiziert. Diese Perspektive ermöglicht es, die staatliche Güterbereitstellung jenseits der Kategorien von Eigen- oder Fremdproduktion angemessen in den Griff zu bekommen. So stellt der Staat auch dann, wenn er sich selbst aus dem Vorgang der aktiven Güterbereitstellung zurückzieht, aber den Markt auf bestimmte Ergebnisse wie die Gewährleistung einer angemessenen und ausreichenden Güterversorgung verpflichtet, ein öffentliches Gut bereit, nämlich die Sicherstellung eines bestimmten Mindestversorgungsstandards durch die entsprechende - kollektive - Inpflichtnahme von Privaten. Entscheidend kommt es dabei auf die Ausgestaltung der Überwachungs- und Sanktionsmechanismen zur effektiven Durchsetzung des so definierten Versorgungsstandards an. Bei den Kontroll- und Durchsetzungsinstrumenten handelt es sich allerdings nicht selbst um Sozialgüter. Daran zeigt sich einmal mehr, dass komplexe Staatsleistungen sich in der Praxis häufig aus einem Bündel von öffentlichen Gütern aus verschiedenen Gütersektoren zusammensetzen. Schließlich gehören auch humanitäre Hilfsleistungen im Ausland zum Sektor der Sozialgüter. 5. Geistige Güter Geistige Güter stellt der Staat sowohl binnengerichtet für die Aufrechterhaltung des eigenen Apparats als auch für die Gesellschaft bereit. Im Hinblick auf die Voraussetzungen des eigenen Wirkens geht es um die Dokumentation, Tradierung, Vorhaltung und Fortentwicklung der erforderlichen Wissens- und Entscheidungsressourcen für das gesamte staatliche 235
Vergi. D. Suhr, Der Staat 29, S. 69; C. Gramm, ZRP 1993. S. 86. Grundlegend zur Begriffsgeschichte der Daseinsvorsorge W. Löwer, Energieversorgung zwischen Staat, Gemeinde und Wirtschaft, 1989, S. 109 ff. 237 W. Brohm, Festschrift F. Knöpfle, 1996, S. 65. 236
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Handeln. Archive, Aktenbestände, Datenbanken, Rechts- und Entscheidungssammlungen, technisches und praktisches Wissen und alles, was für die Vorbereitung vielfältiger staatlicher Entscheidungen und Reaktionen in den unterschiedlichen Funktionen an Wissens- und Erfahrungsbeständen sonst noch erforderlich ist, fällt in diese Untergruppe. Die gesellschaftsgerichtete Güterbereitstellung im Sektor der geistigen Güter wird üblicherweise unter der kulturstaatlichen Zwecksetzung verhandelt 238 . Dazu gehören zunächst das staatliche Schulwesen einschließlich der Erziehungsziele, das staatliche Hochschulwesen, staatliche Bildungsangebote für Erwachsene einschließlich der politischen Bildung, staatliche Öffentlichkeitsarbeit, das berufliche Ausbildungswesen, die staatliche Kultur-, Bildungs- und Forschungsförderung ebenso wie das Verhältnis zu wertbildenden und sich als solche verstehenden gesellschaftlichen Gruppen wie etwa die Kirchen oder die Sicherung bestimmter Informationsstrukturen im Bereich des öffentlichen Rundfunks 239. Etwas allgemeiner formuliert zählen hierzu aber auch die geistigen Voraussetzungen und ethischen Grundlagen 240, ohne die ein Gemeinwesen241 nicht existieren kann 242 ; allen voran der in der Hauptsache auf die Freiwil238
Mit kritischer Intention werden sie jedenfalls zum Teil neuerdings auch unter dem Stichwort des „präzeptoralen Staates" thematisiert. Diese auf C. Lindblom, Jenseits von Markt und Staat, 1980, S. 97 und S. 433 ff. zurückgehende Terminologie wendet sich gegen einen allzu weit greifenden „Erziehungsstaat", der im Extrem zur Erziehungsdiktatur geraten mag, vergi. H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 314; H. A. Hesse, Der Schutzstaat, 1994, etwa S. 180 ff.; auch U. Di Fabio , Risikoentscheidungen im Rechtsstaat, 1994, S. 397. 239 Die Sicherung der informationellen Grundversorgung und einer gewissen Meinungsvielfalt (Binnenpluralität) ist geistiges Gut, obwohl der Staat auf die Inhalte gerade keinen bestimmenden Einfluss nimmt. In der Praxis wird die Güterbereitstellung hier wie auch im Schul- und im Hochschulwesens in der Regel aus einem Zusammenspiel von geistigen Gütern, Ordnungsgütern und Infrastrukturgütern bestehen. 240 Grundhaltungen und Grundüberzeugungen bedürfen der Vermittlung. Erziehungsarbeit ist dabei kein Selbstzweck, sondern „Freiheits- oder Selbstbestimmungsvorsorge", vergi. Α. Hollerbach, Selbstbestimmung im Recht, 1996, S. 24 f. und ders., Aspekte der Freiheitsproblematik im Recht, Philosophische Perspektiven V (1973), S. 38. 241 Ohne ein gewisses Maß an Moral können weder Staat noch Wirtschaft auf Dauer funktionieren, so in Bezug auf das Wirtschaftsleben bereits E. Durkheim , Über die Teilung der sozialen Arbeit, 1977; vergi, aus jüngerer Zeit die Kritik der Kommunitaristen, dazu M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 19 ff., ferner S. 28; ferner P. Koslowski, Prinzipien der Ethischen Ökonomie. Grundlegung der Wirtschaftsethik und der auf die Ökonomie bezogenen Ethik, 1988, S. 49, der die Religion für den Bestand einer „sozioökonomischen Ordnung" für unverzichtbar hält. 242 J. Isensee, HStR V, 1992, § 115 Rdn. 163 ff. (S. 436 ff.) spricht in Anlehnung an H. Krüger, in: Festschrift U. Scheuner, 1973, S. 302 ff. von Verfassungser-
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ligkeit seiner Erbringung angelegte Rechtsgehorsam, der nur in begrenztem Umfang durch den staatlichen Zwangsapparat des Strafrechts effizient „bewirtschaftet" werden kann 243 . Zu nennen wäre neben dieser moralischen Voraussetzung der Geltung von Recht als öffentliches Gut auch die „moralische" Wahlpflicht und die ihr korrespondierende Wahlbereitschaft der Bürger 244 oder der - freilich wenig präzise - Begriff der Integrationsleiswartungen, die sich auf die „gemeinwohlförderliche Ausübung der Freiheitsrechte" richten, vergi, auch J. Isensee, Essener Gespräche 25, S. 118 f.; E. Denninger, VVDStRL 37, S. 21 ff., H. H. Klein, VVDStRL 37, S. 104. Die Weimarer Reichsverfassung formulierte in Art. 148 als Erziehungsziel die „staatsbürgerliche Gesinnung", grundlegend dazu G. Radbruch, Republikanische Pflichtenlehre, in: Feste der Arbeiter 1929, Heft 6, Freiheit und Verfassungsfeier, S. 24 ff. Ebenso mag man von unverzichtbaren gemeinsamen Grundüberzeugungen oder von einer Art Zivilreligion sprechen. E. ForsthoffRechtsstaat im Wandel, Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1950-1964, 1964, S. 24 ff.; J. Braun Freiheit Gleichheit Eigentum, 1991, S. 174, nennt auf freiheitlicher Grundlage errichtete Gesinnungsgemeinschaften; weiter M. Baurmann, Der Markt der Tugend, 1996, S. 626 f., der zwar einerseits erkennt, dass der moderne Rechtsstaat auf zivile Tugenden angewiesen ist, die er selbst jedenfalls nicht uneingeschränkt hervorbringen kann, andererseits aber in markantem Gegensatz zur kommunitaristischen Kritik am Liberalismus hervorhebt, „dass es in Wirklichkeit gerade die im Mythos der Gemeinschaft verachtete Anonymität, Dynamik und Mobilität der modernen Markt- und Massengesellschaft ist, die das unverzichtbare Fundament für die Entwicklung einer Moral mit uneingeschränkter Reichweite bildet". (S. 655; siehe auch S. 38, 572 ff., 644). E.-W- Böckenförde, Recht Staat Freiheit, 1991, S. 112; ders., in: Staatslexikon, Bd. 2, 7. Aufl. 1986, Sp. 711 f.; P. Häberle, Festschrift H. Huber, 1981, S. 224, 228 ff.; ders., Erziehungsziele und Orientierungswerte im Verfassungsstaat, 1981, S. 87 ff., 110 ff.; D. Merten, VVDStRL 55, S. 37 f., S. 46. 243 Dazu G. Müller, Schweizerisches Zentralblatt für Staats und Verwaltungsrecht, 1996, S. 104 f. m.w.N., der darauf hinweist, dass die schwindende Bereitschaft zur freiwilligen Rechtsbefolgung dazu führt, dass der Gesetzgeber sich übernimmt; vergi, auch C. Gramm, StWStP 1997, S. 232 ff. 244 M. Stolleis, KritV 1995, S. 58, 66 f.; M. Sachs, DVB1. 1995, S. 888 ff. Vergi, auch Art. 26 Abs. 3 LV Ba-Wü, der allerdings trotz seines Wortlauts („Bürgerpflicht") keine echte Grundpflicht, sondern nur einen Appell und Vorbehalt enthält, der es immerhin gestatten würde, einfachgesetzlich eine Stimmpflicht einzuführen, D. Merten, VVDStRL 55, S. 24. Zurückhaltend bzw. relativierend im Hinblick auf den geringen „Teilhabefaktor" des Einzelnen bei politischen Wahlen O. Depenheuer, VVDStRL 55, S. 106 f. und S. 115 ff., denn „die Verfassung (kann sich) nicht damit begnügen, auf den verantwortlichen Bürger zu hoffen, sondern muss realitätsgerecht - auch mit dem unverantwortlichen rechnen. Die Verfassung sichert dergestalt die Handlungs- und Funktionsfähigkeit des Staates gerade auch dann, wenn sich die Bürger vom Staat abwenden."; vergi, auch ders., Der Staat 33, S. 342; als Bestandteil der verfassungsrechtlich erwünschten „Rechtstreue" bewertet das BVerwG (26.06.1997 - 7 C 11/96) die grundsätzliche Bereitschaft zur Teilnahme an politischen Wahlen und zog daraus die Konsequenz, dass eine Religionsgemeinschaft, die ihren Mitgliedern diese Teilnahme untersagt, nicht die für eine dauerhafte Zusammenarbeit mit dem Staat unerlässliche Loyalität aufbringt und deswegen keinen Anspruch auf Anerkennung als Körperschaft des öffentlichen Rechts
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tungen, die der Staat erbringt 245. An diesem Begriff zeigt sich deutlich, dass mit steigendem Abstraktionsgrad eines öffentlichen Gutes die Diskussion schwieriger wird, weil man nicht genau weiß, wie man den Gegenstand staatlicher Güterbildung dann noch fassen soll. Insbesondere bei geistigen Gütern wirkt sich diese generelle Schwierigkeit nachteilig aus. Der Staat kann geistige und erst recht sittliche Güter für die Gesellschaft allerdings nie alleine und nur selten direkt herstellen. Schon gar nicht vermag er deren erfolgreiche Rezeption zu erzwingen, sondern im Grunde ist er hier immer auf mittelbare Unterstützungs- und Förderungsleistungen angewiesen ist, weil Wissen, innere Einstellungen und Überzeugungen, Verständnis für geistige Zusammenhänge und nicht zuletzt für Grundwerte sich noch viel weniger als der Rechtsgehorsam erzwingen lassen. Tatsächlich stellt der Staat sittliche Güter nur zu einem ganz geringen Teil selbst bereit. Er ist dabei weitgehend auf freiwillige Leistungen, auf kollektive und im einzelnen schwer greifbare kulturelle Ressourcen und auf gesellschaftliche Resonanzpotenzen angewiesen246, für deren Vermittlung und Entwicklung er aber einiges tun kann und tatsächlich auch tut 2 4 7 , und zwar keineswegs nur im Rahmen der schulischen Erziehung. Letztlich geht es auch um die Schaffung von Strukturen, unter denen Gemeinsinn sich entfalten kann oder zumindest nicht behindert wird. Solche Verfassungsvoraussetzungen bzw. Verfassungserwartungen beschreiben zwar nicht in erster Linie eine Staatsaufgabe, sondern Erwartungen des Staates an seine Bürger. An der Entstehung und am Nachwachsen von gemeinsamen Überzeugungen, Orientierungen und ähnlichen geistigen Ressourcen, die ein demokratisches Ethos 248 tragen, ist er maßgeblich beteiligt.
hat. „Denn das Fehlen einer solchen Rechtspflicht besagt nicht, dass der demokratisch verfasste Staat der Beteiligung der Bürger an den Wahlen neutral oder indifferent gegenüberstünde." 245 Vergi. C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 437 f.: „gemeinschaftsstiftende Sinngüter". 246 Das Problem wird bereits bei G. Jellinek, Ausgewählte Schriften und Reden Bd. 2 , Neudruck 1970, S. 57 f. mit der Absage an die „ausschließlich negativen Zwecke" des Staates gesehen; E.-W. Böckenförde, Staat Gesellschaft Freiheit, 1976, S. 60; H. Münkler, in: ders. (Hrsg.), Die Chancen der Freiheit, 1992, S. 41; Ch. Taylor, in: A. Honneth (Hrsg.), Kommunitarismus, 1993, S. 114 ff.; J. Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, S. 642; A. Hollerbach, Staatslexikon 7. Aufl., Bd. 6 1992, Sp. 44. 247 A. Hollerbach, in: Louis Carlen (Hrsg.), Trennung von Staat und Kirche, Bd. 41 der Freiburger (CH) Veröffentlichungen aus dem Gebiet von Kirche und Staat, 1994, S. 21-36; J. Isensee, HStR V, 1992, § 115 Rdn. 262 ff. 248 Zum demokratischen Ethos E.-W. Böckenförde, HStR I, 1987, § 22 Rdn. 75 ff. (S. 937 ff.).
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6. Infrastrukturgüter Infrastrukturgüter 249 werden hier in einem weiten Sinn ausgelegt. In diesen Gütersektor wird zunächst die gesamte sächlich-materielle Basis für die Erfüllung von Staatsaufgaben einbezogen, soweit sie der Staat selbst bereitstellt oder deren Bereitstellung er veranlasst. Diese Sachgüter werden zwar häufig, müssen aber nicht notwendig im Eigentum des Staates stehen. Sie können auch Privateigentum sein, wenn sie etwa in den Handlungsformen des öffentlichen Sachenrechts zum Gemeingebrauch gewidmet worden sind oder vom Staat angemietet wurden. Infrastrukturgüter in diesem Sinn sind zunächst unbewegliche Sachen (staatliche Flächen aller Art einschließlich der Straßen, Gebäude, Kabel-, Rohr, Schienen- und sonstige dinglich verfestigte Netze) sowie bewegliche Sachen aller Art vom Schreibpapier bis zum hochkomplexen und kostspieligen Forschungsgerät. Gewiß ist der rechtlich vermittelte Zugang bei der Nutzung von Infrastrukturgütern und damit deren Öffentlichkeitsgrad sehr unterschiedlich; die Straße, die jedermann zur Verfügung steht und bei der sich die staatliche Güterproduktion in deren Bereitstellung und Erhaltung erschöpft, ist genauso staatliches Infrastrukturgut wie die Dienstkleidung des Polizeibeamten, die der Staat ihm für die Erfüllung seiner Dienstaufgaben zur Verfügung stellt. Infrastrukturgüter haben häufig dienenden Charakter für die Bereitstellung von staatlich-öffentlichen Gütern aus allen anderen hier genannten Sektoren. Augenfällig ist dieser dienende Charakter insbesondere bei der Versorgung mit netzgebundenen Gütern wie Wasser und Energie, die selbst nicht als Infrastrukturgut, sondern als Sozialgut im Rahmen der Daseinsvorsorge einzustufen sind. Im Gegensatz zu Dienstleistungen bilden Infrastrukturgüter einen selbständigen Sektor, weil die Dienstleistung als solche in ihrer Zweckrichtung unspezifisch ist, wogegen dingliche Güter häufig an ganz bestimmte Zwecke gebunden sind. Vor allem die Errichtung von flächendeckenden Netzen ist von einer Fülle sehr komplexer tatsächlicher und rechtlicher Voraussetzungen abhängig, die wiederum nur über den Sektor 249
Enger interpretiert wird der Begriff der Infrastrukturgüter bei H. Krüger, Marktwirtschaftliche Ordnung und öffentliche Vorhaltung der Verkehrswege, 1969; grundlegend G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 9 I, § 14 und § 15 I. insbesondere zu netzgebundenen Infrastrukturen. Seine Begriffsbildung lautet: „Als Infrastruktur lässt sich die Gesamtheit aller Mittel begreifen, die der Überwindung von Entfernungen dienen und dadurch die Integration eines Raumes bewirken. Aus ihrer Basisfunktion für die Herstellung sozialer, wirtschaftlicher und politischer Einheit folgt, dass Infrastruktur notwendigerweise darauf angelegt ist, allen Interessierten zugänglich und deshalb flächendeckend ausgelegt zu sein. Dies erfordert regelmäßig vernetzte Strukturen, ohne die raumübergreifende Vorgänge von verschiedenen Punkten zu einer Mehrzahl anderer Punkte nicht denkbar sind."
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der Ordnungsgüter bereitgestellt werden können. Rechtlich verbindliche Planungsgrundlagen, die Schaffung der eigentumsrechtlichen Voraussetzungen oder die Beachtung umweltschutzrechtlicher Maßgaben sind spezifische Ordnungsgüter, die bei der Netzerrichtung und Unterhaltung eine Rolle spielen. Hinzu kommt, dass sie nach ihrer Beschaffung zwar vielleicht nicht mehr gebraucht werden, aber doch gegenständlich häufig noch vorhanden sind und im Prinzip genutzt werden können. Im übrigen benötigen Infrastrukturgüter ihrerseits etliche Dienst-, insbesondere Wartungsleistungen, um ihre bestimmungsgemäße Nutzungsmöglichkeit zu behalten. Abgrenzungsprobleme können auch im Verhältnis zum Sektor der geistigen Güter auftreten. Mit zunehmender Komplexität der Entscheidungen wachsen auch die Anforderungen an Quantität und Qualität des erforderlichen Wissens250. Fachwissen, Daten, Statistiken etc. gehören zwar nicht selbst zu den Infrastrukturgütern, sondern zu den geistigen Gütern. Ohne Infrastrukturbasis kann man diese geistigen Güter aber kaum erzeugen. Als Leitlinie ist davon auszugehen, dass Infrastrukturgüter die dinglichen Voraussetzungen sicherstellen, wogegen geistige Güter eher die eigentlichen Inhalte betreffen. 7. Wirtschaftsstrukturgüter Die Erhaltung und die Steigerung des Wohlstandes stellt das klassische ökonomische Staatsziel dar, das freilich in dieser Allgemeinheit sehr abstrakt und wenig greifbar im Hinblick auf die staatliche Güterproduktion klingt. Näher kommen dem die Wirtschaftsziele im magischen Viereck des 250
Die Entdeckung einer neuen Staatsaufgabe „Schaffung einer wissensbasierten Infrastruktur" (so H. Willke, in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 685, 702 ff.) erscheint nicht überzeugend. Letztlich geht es immer um die Sicherstellung eines Gleichgewichts staatlicher Entscheidungsmacht mit dem jeweiligen gesellschaftlichen und technologischen Entwicklungs- und Wissensstand. Die Notwendigkeit, dass staatliche Stellen dabei eine breite Wissensbasis benötigen, wächst dabei faktisch nicht nur durch die Komplexität des Wissens, sondern auch durch die im Präventionsstaat vorprogrammierte Vorverlagerung des Interventionspunktes staatlicher Steuerung. Vor allem die Erschließung und der Zugriff auf das tatsächlich vorhandene Wissen wird zum Problem, etwa bei komplizierten Genehmigungsverfahren. Normativ lässt sich diese Notwendigkeit als „Nebenleistungspflicht" zum jeweils verfolgten gesetzlichen Zweck deklarieren, nämlich auf der Basis des verfügbaren Wissens einer Zeit zu entscheiden. Dazu gehört auch die Verfügbarmachung und Strukturierung des Wissens über unerwünschte Folgen von Technologien aller Art, etwa im Rahmen der sogenannten Technologiefolgenabschätzung, dazu Bundesminister für Forschung und Technologie (Hrsg.), Grundsatzfragen und Programmperspektiven der Technologiefolgenabschätzung. Memorandum eines vom Bundesminister für Forschung und Technologie berufenen Sachverständigenausschusses vom Juni 1989, insbes. S. 11 ff.
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Stabilitätsgesetzes von hohem Beschäftigungsstand, Preisstabilität, Wirtschaftswachstum („Wachstumsvorsorge" 251) und außenwirtschaftlichem Gleichgewicht. Freilich zeigt sich an diesen Gütern bereits die grundsätzliche Problematik aller Wirtschaftsstrukturgüter. Der Staat kann sie bekanntlich nicht unmittelbar und schon gar nicht alleine herstellen, da er die allermeisten Güter und Dienstleistungen für den Markt nicht selbst produziert. Als Produzent von Privatgütern nimmt er am Wirtschaftsleben gesamtwirtschaftlich gesehen kaum teil. Um die intendierten wirtschaftlichen Struktureffekte zu erzeugen, ist er weitgehend auf das Engagement und den Erfolg Privater angewiesen. Auf die private Güterproduktion kann ein freiheitlicher Staat nur mittelbar Einfluss nehmen. Aus der hier gewählten sektorspezifischen Betrachtungsweise staatlicher Güterproduktion bedeutet dies, dass er die Bereitstellung von Wirtschaftsstrukturgütern in der Hauptsache nur mittelbar über andere Gütersektoren befördern und unterstützen kann 252 , was nicht bedeutet, dass Wirtschaftsstrukturgüter deswegen keinen selbständigen Gütersektor bilden. Die Zweckrichtung dieses Gütersektors geht gerade nicht in anderen Gütersektoren auf, auch wenn der Staat sich dieser anderen Sektoren häufig bedienen muss, um der wirtschaftlichen Zweckrichtung zu entsprechen. So schafft er regelmäßig den rechtlichen Ordnungsrahmen 253 als Voraussetzung und Rahmenbedingung für erfolgreiches privatwirtschaftliches Engagement, er übernimmt oder garantiert zumindest die Bereitstellung wichtiger Infrastrukturgüter, im Sektor der geistigen Güter sorgt er für umfangreiche Bildungsund Ausbildungsressourcen. Unmittelbare Einwirkungsmöglichkeiten staatlicher Einflussnahme auf die Bereitstellung wirtschaftlicher Strukturgüter besitzt er dagegen nur in vergleichsweise geringem Umfang. Drei Ansatzpunkte sind zu nennen. Da der Staat auch Arbeitgeber ist, stellt er für die Produktion seines eigenen öffentlichen Güterangebots selbst in beachtlichem Umfang Arbeitsplätze bereit. Zweitens kann der Staat versuchen, durch - direkte oder indirekte - Subventionen oder Anreize anderer Art gezielte Verhaltensänderungen zu bewirken, etwa bei der Schaffung von Arbeitsplätzen. Beide Instrumente 251
H. P. Ipsen, VVDStRL 24, S. 221 f. (Diskussionsbeitrag); dazu P. Badura, Festschrift H. P. Ipsen, 1977, S. 367 ff. 252 Dies bedeutet nicht die Unselbständigkeit des Sektors der Wirtschaftsstrukturgüter, sondern belegt, dass die gewählte Einteilung der Gütersektoren eine gedanklich-theoretische ist, deren Verwirklichung in der Praxis nur über ein Bündel von Maßnahmen aus verschiedenen Gütersektoren zu verwirklichen ist. 253 Ausgenommen ist im Hinblick auf die Autonomie der Tarifpartner die Festlegung der Lohnstruktur.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
sind nicht ohne Risiko, denn sie können zu Verzerrungen der Wettbewerbsbedingungen auf dem Markt und dadurch gesamtwirtschaftlich gesehen zu staatlich provozierten Misserfolgen führen. Drittens nimmt der Staat auch als bedeutender Konsument und Investitionsträger am Wirtschaftsleben teil. Ganze Wirtschaftsbranchen, insbesondere das Baugewerbe, hängen in wesentlichem Umfang von öffentlichen Aufträgen ab. Bei allen drei Einwirkungsmöglichkeiten handelt es sich nur um eine „hinkende" Teilnahme des Staates am Wirtschaftsleben, da er über das Privileg der Finanzierung seiner Aktivitäten aus Steuern verfügt und deswegen ökonomisch gesehen risikofrei agieren kann. Seine eigene finanzielle Leistungskraft bleibt als Steuerstaat weitgehend vom wirtschaftlichen Erfolg der Privaten abhängig. Trotz der beschränkten Einwirkungsmöglichkeiten des Staates auf die Bereitstellung wirtschaftlicher Infrastrukturgüter ist es üblich, dass der Politik und damit auch dem Staat Erfolge wie Misserfolge - vor allem letztere - auf wirtschaftlichem Gebiet allererst zugeschrieben werden. Durch die steigende internationale Konkurrenz wird dieser Zurechnungsmechanismus eher noch verschärft. Selbst die Schlüsselrolle des Innovators im Bereich von Wissenschaft, Forschung und Technik um des wirtschaftlichen Erfolges willen wird von vielen längst vor allem auch beim Staat gesehen, der durch Forschungsförderung und durch finanzielle Absicherung der Investitionsrisiken bei der produktionsorientierten Umsetzung wissenschaftlicher Erkenntnisse zum wirtschaftlichen Gesamterfolg des Landes beitragen soll. Der Staat hat sich gegenüber dieser ihm von der Gesellschaft angedienten Rolle in den letzten Jahrzehnten bekanntlich nicht verschlossen254, zumal er als Steuerstaat auf der Einnahmenseite vom Erfolg der Privaten profitiert. Besonders in den 90 er Jahren hat er die Sicherung des Wirtschaftsstandortes zu einer seiner zentralen Aufgaben gemacht. Trotz seiner beschränkten Einwirkungsmöglichkeiten kommt den Wirtschaftsstrukturgütern für die Legitimation staatlichen Handelns faktisch große Bedeutung zu. Die Qualität staatlicher Güterproduktion wird heute insgesamt gesehen wesentlich auch an der Qualität der Erbringung der genannten Wirtschaftsgüter gemessen. An ihnen zeigt sich derzeit besonders eindringlich die legitimierende - und im Falle mangelnden Erfolges der Politik die delegitimierende - Funktion von Staatsaufgaben für Politik und Staat.
254 vèrgi. n u r E. Forsthoff\
Der Staat der Industriegesellschaft, 1971.
VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung
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8. Internationale und supranationale Strukturgüter Der letzte staatliche Produktionssektor der supranationalen Strukturgüter weist über den Rahmen des Nationalstaates hinaus. Er zielt in erster Linie auf die Schaffung verbindlicher internationaler Wirtschafts- und Ordnungsstrukturen zur Bewältigung der verschiedensten Sachprobleme, sei es durch koordinierte Rechtsetzung im Völkerrecht, sei es durch die Schaffung handlungsfähiger supranationaler Rechtspersonen. Es handelt sich dabei vorrangig um die ins Internationale gewendete Dimension der beiden Gütersektoren Ordnung und Wirtschaftsstruktur. In der Herstellung solcher supranationaler Strukturen liegt dennoch ein selbständiges öffentliches Gut, da der Staat darin um der besseren Lösung von verschiedenen Sachproblemen willen ein Stück seiner Souveränität abund damit gleichzeitig aufgibt. Zugleich ist er das einzige handlungsfähige Subjekt, das in Kooperation mit anderen Staaten oder supranationalen Organisationen solche übergreifenden Handlungsverbände schaffen und mit Rechtsmacht ausstatten kann. Auch weltweit operierende Unternehmen oder Privatorganisationen verfügen nicht über diese Fähigkeit, denn sie bleiben vor Ort immer von der Duldung bzw. von dem rechtlichen Rahmen abhängig, den der jeweilige Nationalstaat ihnen vorgibt. Auf die Tendenz zur Internationalisierung der Produktionsbedingungen zahlreicher öffentlicher Güter aus sachlichen Gründen wurde bereits hingewiesen. Die Internationalisierung der rechtlichen Produktionsbedingungen für die Herstellung öffentlicher Güter durch supranationale Gemeinschaften setzt die Abgabe des Selbstbewirtschaftungsanspruchs der Nationalstaaten an die jeweilige Organisation voraus. In dem Maß, wie nationale öffentliche Güterproduktion faktisch nicht mehr effektiv möglich ist - etwa beim Schutz geistigen Eigentums - , wächst auch der Druck zur Zusammenarbeit mit anderen Ländern. Bezeichnenderweise finden diese Zusammenschlüsse, wie die Entstehung der europäischen Gemeinschaften anschaulich belegen, zur Bewältigung einzelner Sachprobleme statt. Insofern bestätigt sich auch auf übernationaler Ebene die Beobachtung, dass die kollektive Problemwahrnehmung die Wurzel der Entstehung von Staatsaufgaben und von supranationalen Rechtsgemeinschaften und damit für die Lösung von einzelnen Sachaufgaben darstellt.
VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung Bevor die sektorspezifische Verantwortung des Staates beleuchtet werden kann, ist der Verantwortungsbegriff zu klären. Der Terminus von der Verantwortung des Staates als einer mit besonderer Herrschaftsmacht ausgestatteten überindividuellen Größe 255 ist im juristischen Sprachgebrauch mit 19 Gramm
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unterschiedlichen Bedeutungen gebräuchlich. Ausgehend von den tatsächlichen Grenzen staatlicher und privater Güterproduktion werden Grundstrukturen staatlicher Verantwortung herausgearbeitet. 1. Der Staat als Subjekt von Verantwortung Obwohl das Grundgesetz den Verantwortungsbegriff mehrfach verwendet 2 5 6 , ist die Vorstellung einer spezifisch staatlichen Verantwortung keineswegs selbstverständlich 257 . Deswegen taucht die Vorfrage auf, ob man überhaupt sinnvoll von staatlicher Verantwortung sprechen kann 2 5 8 und was es heißt, den Staat als Subjekt von Verantwortung anzusehen 259 . Die Vorstellung von der Verantwortung des Staates steht zumeist in engem Zusammenhang mit der Legitimation staatlicher Herrschaftsausübung 2 6 0 . Häufig wird sie in Verbindung mit der im Prinzip als vorgegeben vorausgesetzten Aufgabendimension des Staates gebracht 261 . Die Sachaufgabe bedingt dann automatisch die Verantwortung im Sinne der Einstands255 Davon zu unterscheiden ist die individualisierte Verantwortung des Amtsträgers, dazu O. Depenheuer, DVB1. 1992, S. 404 ff.; ders., VVDStRL 55, S. 112 ff.; H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 763 ff. 256 Präambel, Art. 20 a, Art. 23 Abs. 5 und 6, Art. 28 Abs. 2, Art. 34, Art. 42 Abs. 3, Art. 46, Art. 65, Art. 143 a Abs. 1, Art 143 b Abs. 3 GG. Auch in Landesverfassungen findet sich der Terminus Verantwortung häufig, vergi. M. Sachs, DVB1. 1995, S. 874 f. m.w.N.; zur Auslegung des Verantwortungsbegriffs in der Präambel des Grundgesetzes (Verantwortung des Deutschen Volkes vor Gott und den Menschen) H. Dreier, in: GG Bd. 1, Hrsg. H. Dreier, 1996, Präambel Rdn. 22. 257 Noch 1970 konnte U. Scheuner, in: Festschrift G. Müller, 1970, S. 379, feststellen: „Der Begriff der Verantwortung und der eng mit ihm zusammenhängende der Kontrolle spielen in der deutschen Staatsrechtslehre keine hervortretende Rolle." 258 Subjekt von Verantwortung kann nach D. Murswiek, Die staatliche Verantwortung für die Risiken der Technik, 1985, S. 49, 57 ff., 69 nicht der Staat, sondern können nur bestimmte Staatsorgane sein. Dass der Verantwortungsbegriff insgesamt nicht prägnant ist, sondern sich sein konkreter Inhalt erst aus dem Zusammenhang erschließt, betont W. Krawietz, in: K. Bayertz (Hrsg.), Verantwortung, Prinzip oder Problem, 1995, S. 200; vergi, auch Ο. Depenheuer, VVDStRL 55, S. 104 und S. 111. Kategorisch ablehnend R. Wolf; Leviathan 1987, S. 384: „Der juristische Begriff der Verantwortung ist jedoch eine altväterliche Kategorie personaler Zurechnung geworden, die gerade für die Probleme der Risikogesellschaft unhandlich wird." 259 Zur spiegelbildlichen Frage der Verantwortung des Bürgers im demokratischen Verfassungsstaat vergi. VVDStRL 55, Referate von D. Merten, W. Berka, O. Depenheuer. 260 Den Zusammenhang von staatlicher Verantwortung und Legitimation seiner Machtausübung („Verantwortung ... als eine Pflicht der Macht") betont R. Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 237 und 263. 261 So die Analyse von F. Ossenbühl, Zur verfassungsrechtlichen Pflicht der Arbeitgeber, betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen, 1985, S. 32 ff.
VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung
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pflicht des Staates für ihre Erfüllung 262 . Verantwortung des Staates bedeutet in dieser ersten Begriffsschicht vor allem die Verantwortung von Gesetzgebung, Regierung, Verwaltung und Justiz für die effektive Wahrnehmung 263 von gesetzlich mehr oder weniger klar strukturierten Sachaufgaben 264. Gemeint ist damit die Verwirklichungsverantwortung für die Wahrnehmung von inhaltlich vorgegebenen Aufgaben. Die Normierung der Sachaufgabe legt zugleich die Einstandspflicht des Staates für den entsprechenden Lebensbereich265 fest. Die Einstandspflicht für eine Sachaufgabe 266 erschöpft sich in der Zuständigkeit bestimmter staatlicher Funktionsbereiche für die Bereitstellung von öffentlichen Gütern. Einem solchen Verantwortungsbegriff kommt damit in Wahrheit kein eigenständiger Sinn zu, sondern sein Gebrauch bleibt tautologisch. Er besagt letztlich nicht mehr, als dass der Staat für die Erfüllung derjenigen Aufgaben verantwortlich ist, für die er nach der Rechtsordnung eben zuständig ist. An diesem Zusammenhang von Aufgabe, Verantwortung und Kompetenz ändert auch der Grundsatz der Allzuständigkeit des modernen Staates nichts. Dieser Grundsatz bringt aufgabentheoretisch gesehen lediglich eine potentielle Allzuständigkeit des Staates zum Aufgreifen von Sachaufgaben zum Ausdruck. Er postuliert dagegen keine umfassende staatliche Einstandspflicht für alle tatsächlich bestehenden Probleme und Sachaufgaben: Die Lehre von der Kompetenz-Kompetenz stellt einen Ermächtigungstatbestand und keinen Verantwortungstatbestand 267 dar. 262
Charakteristisch der Terminus „Aufgabenverantwortung", etwa bei H. Bauer, VVDStRL 54, S. 268 (FN 127). 263 So heißt es in Art. 48 Abs. 2 des Verfassungsentwurfs der Schweizerischen Expertenkommission für die Vorbereitung einer Totalrevision der Bundesverfassung, (AöR 104, S. 485): „Wer eine Verantwortung trägt, hat das Recht und die Pflicht, die geeigneten Vorkehrungen zur Erfüllung der Staatsaufgabe zu treffen." 264 Th. Würtenberger, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 14, S. 308; R. Pitschasy Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 252 f. und S. 260 f.; D. Merten y VVDStRL 55, S. 14 (m.w.N): „Rechtliche Verantwortung kann nur innerhalb einer Rechtsmacht oder Kompetenz bestehen." 265 „Aufgabenerfüllungspflicht", F . OssenbühU Zur verfassungsrechtlichen Pflicht der Arbeitgeber, betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Rechtsgutachten, 1985, S. 34; vergi, auch M. Sachsy DVB1. 1995, S. 877 in Bezug auf Art. 20a GG. 266 y e r gi R ZippeliuSy in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 14, S. 261 f., der Verantwortungszuschreibung insbesondere im öffentlichen Recht im Anschluss an K. Larenz, Richtiges Recht, 1979, S. 109 als Zurechnungsschema im Sinne einer pauschalen Verantwortlichkeit für einen kontrollierbaren Lebensbereich ohne Rücksicht auf ein konkret nachweisbares schuldhaftes Verhalten (etwa: Polizeipflichtigkeit) deutet; W. Krawietz, in: K. Bayertz (Hrsg.), Verantwortung, Prinzip oder Problem, 1995, S. 202 f. („pauschalierte Verantwortungszuschreibung"). 267 Eher liegt in der Logik der Kompetenz-Kompetenz-Lehre ihre eigene Umkehrung, dass nämlich da, wo keine sachlichen Beschränkungen für Staatsaufgaben be19»
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Verantwortung für eine bestimmte Sachaufgabe zielt auch nach diesem engen Verständnis auf „zweckhafte Wirklichkeitsgestaltung" 268. Untersuchen lassen sich auch auf dieser Basis immerhin die Modalität und die Instrumente möglicher Aufgabenerfüllung. Die konkreten rechtlichen Mechanismen für die Wahrnehmung der staatlichen Verantwortung können je nach Lebensbereich unterschiedlich ausgestaltet sein 269 . Heuristische Differenzierungen und Typologisierungen sind möglich, etwa bei den Einwirkungs- und Steuerungstechniken für die durch das positive Recht vorgegebenen Güterbereitstellungsaufgaben. Die grundsätzliche Frage nach der Verantwortung des Staates wird in dieser Begriffsschicht allerdings auf den technischen Aspekt der Ausdifferenzierung von Möglichkeiten effektiver und effizienter Aufgabenwahrnehmung reduziert. Im Vordergrund steht die Mittel-Zweck-Relation zur Verwirklichung vorgegebener Ziele. Normativ bedeutet Verantwortung hierbei, dass der Staat sich von der Letztverantwortung für die ihm auferlegte Güterproduktion nicht freizeichnen darf. Strategien der Aufgabenverlagerung, die auf eine völlige Freigabe der Produktion an den gesellschaftlichen Raum hinauslaufen, sind ohne entsprechende gesetzliche Änderungen nicht möglich. Diese erste staatliche Verantwortungsschicht impliziert weiter, dass der Staat als solcher sichtbar bleibt und sich nicht selbst hinter privatrechtlichen Hülsenkonstruktionen mit dem Anschein weniger umfangreicher Einstandspflichten unkenntlich macht 270 . Auch der Sinn staatlicher Güterproduktion für den Bestand des Gemeinwesens erschließt sich für den Einzelnen nicht immer ohne weiteres aus sich heraus, zumal wenn der Einzelne unangenehm von einer staatlichen Maßnahme betroffen ist. Ein Gegensatz zwischen Staatsaufgabe und Individualinteresse kann häufig nicht ausgeschlossen werden, wie das Beispiel der Schutzimpfung belegen mag. Eine möglichst flächendeckende Schutzimpfung liegt im Interesse aller, aber es liegt durchaus nicht unbedingt im Interesse des Einzelnen, sich impfen zu
stehen, der Staat auch über die Kompetenz-Kompetenz verfügt, die konkrete Aufgabenwahrnehmung wieder zu beenden: Wo prinzipiell alles zur Staatsaufgabe werden kann, darf auf Grund staatlichen Kompetenzentscheids auch alles wieder als Staatsaufgabe entfallen. 268 vèrgi R Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 257. 269 Zur aus dem Demokratieprinzip geforderten Letztentscheidungskompetenz des Staates M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 181 f., sowie S. 173 und 196 im Hinblick auf die Übertragung von Prüftätigkeit auf Private, bei der der Staat eine dem Gefahrenpotential angemessene „Kontrolle der Kontrolle" sicherzustellen habe. 270 Dieses Argument richtet sich nicht grundsätzlich gegen die Zulässigkeit von Organisationsprivatisierungen, es verlangt aber, dass nach außen hin erkennbar ist, dass es sich nicht um eine echte, sondern um eine staatlich getragene Person des Privatrechts handelt.
VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung
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lassen, jedenfalls dann nicht, wenn damit gewisse Risiken verbunden sind. Je niedriger der Impfstand, desto wahrscheinlicher wird aber die Wiederkehr von selbst als nahezu ausgestorben geglaubten Krankheiten. Die Differenz zwischen individueller und kollektiver Ratio schlägt auch hier durch. In dieser Situation genügt es nicht, das kollektiv nützliche Gut eines hohen Impfstandes, das wiederum allen zugute kommt, einfach zu dekretieren. In einem freiheitlichen Gemeinwesen wäre dies ohnehin nur eingeschränkt möglich. Der Staat muss vielmehr sichtbar machen, worin der sachliche Grund und die Wohltat eines hohen Impfstandes für alle begründet liegt, und dass es sich deswegen lohnen kann, bestimmte Risiken auch im Einzelfall auf sich zu nehmen. Das Beispiel mag verdeutlichen, dass es dabei nicht nur um regierungsamtliche Öffentlichkeitsarbeit im herkömmlichen Sinn 271 , um die Selbstdarstellung des Staates272 oder um die viel diskutierten staatlichen Warnungen, Empfehlungen 273 und Symbole274 geht und schon gar nicht um propagandistische Marketingstrategien 275, sondern um die grundlegende Dimension der Sichtbarkeit und Sichtbarmachung von staatlicher Güterproduktion und der damit verbundenen Zweckrichtung 276 kollektiver Rationalität. Diese Zweckrichtung ist keineswegs immer aus sich heraus evident, sondern sie bedarf oft genug der Vermittlung durch „Staatskommunikation"277 mit dem Bürger, in der ihre innere Vernünftigkeit und sachliche Legitimität, damit zuletzt die Legitimität des Staates selbst278 transparent gemacht werden 279. Für dieses Verständnis müssen staatliche Stellen in einer Medien- und Kommunikationsgesellschaft regelrecht werben. Denn gelungene Integration
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Dazu etwa F. Schürmann, Öffentlichkeitsarbeit der Bundesregierung, 1992. Grundlegend BVerfGE 44, 125. 272 Vergi. H. Quaritsch (Hrsg.), Die Selbstdarstellung des Staates, Schriftenreihe der Hochschule Speyer, Bd. 63, 1977; ders., DÖV 1993, S. 1070 ff. 273 Etwa U. Di Fabio , JZ 1993, S. 689 ff. 27 4 D. Heckmann, JZ 1996, S. 880 ff. 275 In diese Richtung O. Weinberger, ARSP 1995, S. 319, der das Eindringen von Marketingmethoden in das demokratische Leben für „das emsteste Problem der Demokratie unserer Tage" hält. Dagegen zu Recht H.-R. Horn, ARSP 1996, S. 562 ff. 276 Älter Autoren haben dafür auch den Begriff der „Staatspflege" gewählt, vergi. Α. Haenel, Deutsches Staatsrecht, Bd. I, 1892, S. 332. 27 7 H. Hill, JZ 1993, S. 330 ff.; ders., DÖV 1994, S. 279 ff. H.-R. Horn, ARSP 1996, S. 568 weist darauf hin, dass die Gründe für den Zusammenbruch einer staatlichen Ordnung nicht allein im offenkundigen Versagen der politischen Führung zu liegen brauchen, sondern auch mit der ungenügenden „Ansprache" des Volkes zusammenhängen können. 27 8 C. Gramm, Der Staat 30, S. 66. 27 9 P. Kirchhof, HStR III, 1988, § 59 Rdn. 173 (S. 194); R. Herzog, HStR III, 1988, § 58 Rdn. 91 f. (S. 119).
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
bedeutet, zumal in einer pluralistischen Gesellschaft mit heterogenen Werten und Weltanschauungen, dass der Staat als abstrakte Größe immer nur vermittelt über seine konkreten positiven Leistungen wahrgenommen wird und nur hierüber Anerkennung finden kann. Sichtbarkeit des Staates und seiner Motive bei der Güterbereitstellung ist daher ein wesentliches Element subjektorientierter Verantwortlichkeit. 2. Verantwortung als Aufgabenbegründung und Aufgabenkritik Einen weitergehenden und eigenständigen Sinn bekommt die Verwendung der Formel von der staatlichen Verantwortung dann, wenn sie das aktuelle Handeln bewusst auf die Zeitdimension der Zukunft verpflichtet 280 und normativ nach denjenigen Staatsaufgaben fragt, die der Staat unabdingbar zu erfüllen hat (notwendige Staatsaufgaben) 281. Wenn das Wort von der staatlichen Verantwortung mehr als die eigentlich selbstverständliche Einstandspflicht für die Summe seiner rechtlich geordneten Zuständigkeiten bedeuten soll, muss sich diese Einstandspflicht immer auf konkrete Aufgaben 282 bzw. Güter beziehen. Die entscheidende Frage lautet, welche Güter eine Einstandspflicht des Staates begründen können. Diese Gewährleistungsdimension muss sich nicht in den vorhandenen, rechtlich bereits präzise vorgegebenen und kompetenziell zugewiesenen Aufgabenbeständen 280
Zur Zeitdimension der Verantwortung Th. Würtenberger, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 14, S. 313; charakteristisch das Stich wort vom „Nachweltschutz" für zukünftige Generationen, aus dem sich wiederum bestimmte Erhaltungspflichten in der Gegenwart ableiten lassen, dazu U. K. Preuss, in: B. Guggenberger/C. Offe (Hrsg.), An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, 1984, S. 224 ff.; R. Spaemann, in: B. Guggenberger/C. Offe (Hrsg.), An den Grenzen der Mehrheitsdemokratie, 1984, S. 240 ff.; H Hofmann, ZRP 1986, S. 87 ff.; ders., Rechtsfragen der atomaren Entsorgung, 1981, S. 258 ff.; K.-M. Meyer-Abich, Wege zum Frieden mit der Natur, 1984; G. Altner, Die große Kollision, 1987; P. Saladin/ C. A. Zenger, Rechte künftiger Generationen, 1988; D. Birnbacher, Verantwortung für zukünftige Generationen, 1988; V. Hösle, Philosophie der ökologischen Krise, 1991; G. Haverkate, Verfassungslehre, 1992, S. 249 ff.; F. v. Kethelholdt, Verantwortung für Natur und Nachkommen, 1993. 281 P. Saladin, Verantwortung als Staatsprinzip - Ein neuer Schlüssel zur Lehre vom modernen Rechtsstaat, 1984. Tatsächlich geht es bei Saladin maßgeblich um die normative Aufgabendimension des Staates. Eine Lehre der Staatsverantwortung ist für ihn notwendig eine Lehre der Staatsaufgaben, S. 77 f. Saladin postuliert eine durchgängige „Verantwortung als Staatsprinzip" und bezieht sich wesentlich auf die Überlegungen von H. Jonas, Das Prinzip Verantwortung, 1984. Neben Jonas vergi, auch W. Schulz, Philosophie in der veränderten Welt, 1972, S. 798 ff. („Zur Ethik im Fernhorizont") 282 Ebenso E . Schmidt-Aßmann, VVDStRL 34, S. 227 f., der begrifflich die Elemente der Aufgabe, der Eigenständigkeit und der Einstandspflicht unterscheidet.
VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung
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erschöpfen 283, sondern sie kann dynamisch über das geschriebene Recht hinaus weisen. Besonders deutlich wird dies, wenn es um die Erschließung neuer Staatsaufgaben geht, die noch nicht in die rechtlich verbindliche Form von gesetzlich fixierten Aufgaben, Kompetenzen und Befugnissen gegossen worden sind. In diesem Fall können tatsächlich bestehende, rechtlich vorgegebene öffentliche Güterbestände und die staatliche Verantwortung für die nicht oder noch nicht in ausreichender Weise wahrgenommene Bereitstellung öffentlicher Güter auseinanderfallen. Versteht man Verantwortung in diesem zukunftsbezogenen Sinn, kann nicht ausgeschlossen werden, dass es zu einem Spannungsverhältnis von rechtlich vorgegebenen Pflichtaufgaben und staatlicher Verantwortung für die Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter kommt, die sachlich darüber hinaus gehen. Auch der politische Prozess, selbst der demokratisch gesteuerte und legitimierte, dem die rechtlich verbindliche Festlegung entsprechender Aufgaben zukommt, kann notwendige Aufgaben danach theoretisch verfehlen. Mit diesem Grundverständnis entfaltet der Verantwortungsbegriff eine dreifache kritische Funktion gegenüber dem tatsächlichen Bestand an staatlich wahrgenommenen Sachaufgaben. Einmal geht es um diejenigen öffentlichen Güter, die der Staat eigentlich bereitstellen müsste, aber tatsächlich nicht oder nicht in ausreichendem Umfang bereitstellt. Ungeachtet der verschiedenen Möglichkeiten einer theoretischen Fundierung bedeutet staatliche Verantwortung hier, dass der Staat in der Pflicht ist, bestimmte öffentliche Güter im Rahmen seiner Möglichkeiten effektiv bereit zu stellen. Anders gewendet kritisiert Verantwortung in dieser Stoßrichtung staatliches Unterlassen und stellt dem positiv eine Güterbereitstellungspflicht gegenüber. Sie zielt damit auf die Expansion des tatsächlichen Aufgaben- bzw. Güterbestandes. Strukturell ist die Argumentation mit dieser Schicht von Verantwortlichkeit doppelgesichtig. Sie lässt sich nicht nur progressiv zur Begründung neuer Sachaufgaben, sondern auch konservativ gegen den Abbau bestimmter Staatsaufgaben einsetzen. Im Zusammenhang mit der Privatisierungsdiskussion erfolgt der Rückgriff auf diese Argumentationsfigur häufig defensiv zur Verteidigung des Status quo des staatlichen Aufgabenbestandes, zumeist ohne weitere Begründung 284. Ausgesprochen oder unausgesprochen gilt 283
So aber K. Kröger, Die Ministerverantwortlichkeit in der Verfassungsordnung der Bundesrepublik Deutschland, 1972, S. 4. 284 Verantwortung als rhetorische Floskel kann immer auf eine gewisse Suggestivwirkung und Zustimmung hoffen, da der Terminus der Verantwortung ungeachtet seines tatsächlich intendierten Sinns jedenfalls ein positiv assoziierter Begriff ist, der sich gut instrumentalisieren und für die Erreichung strategischer Ziele einsetzen lässt.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
dabei die Relation: Je größer die staatliche Verantwortung, desto weniger kommt eine Delegation an oder die Einbeziehung von Privaten in die staatliche Aufgabenerfüllung in Betracht 285. In einer zweiten Funktion kann das Argument von der staatlichen Verantwortung sich aber auch kritisch gegen tatsächlich wahrgenommene Staatsaufgaben richten, für deren Erfüllung der Staat zwar kraft gesetzlicher Aufgabenzuweisung zuständig ist, deren innerer Legitimationsgrund aber inzwischen entfallen ist. In diesem aufgabenkritischen Sinn zielt staatliche Verantwortung auf die Reduzierung des tatsächlichen Aufgabenbestandes und damit auf materielle Aufgabenkritik. Die aufgabenkritische Dimension tritt praktisch vor allem dann deutlich zu Tage, wenn die staatlichen finanziellen Ressourcen nicht mehr ausreichen, um die gesamte Palette staatlicher Güterproduktion auch in der Zukunft gleichermaßen aufrecht zu erhalten. Die dritte kritische Funktion wurde bereits oben angesprochen. Sie rührt weder in der einen noch in der anderen Richtung an den Bestand tatsächlich wahrgenommener staatlicher Aufgaben, sondern betrifft die Art und Weise der staatlichen Aufgabenerledigung. Bei der hier zur Diskussion stehenden Erfüllungsmodalität geht es vor allem um Gesichtspunkte von Effektivität (Wirksamkeit) und Effizienz (Wirtschaftlichkeit). Dazu zählen Fragen nach der Eigen- oder Fremd- (Privat-) Produktion unter staatlicher Aufsicht, nach der Optimierung staatsinterner Produktionsabläufe unter Einschluss von formellen Privatisierungsstrategien, die Auslotung von Chancen der Kostensenkung, die Verbesserung staatlicher Steuerungsinstrumente etc. Über den Träger- oder „Schleusenbegriff 1 der Verantwortung in diesem dreifachen kritischen Sinn werden notwendige Staatsaufgaben nicht in erster Linie nur durch positivrechtliche Überlegungen erschlossen, sondern auch für andere Begründungsüberlegungen geöffnet. Diese Überlegungen müssen keineswegs nur ökonomisch, sondern können insbesondere auch ethisch fundiert sein 286 . Die Vorstellung einer staatlichen Verantwortung in diesem Sinn berührt damit eine Grundfrage des Staatsverständnisses. Sie setzt eine spezifisch (staats-) ethische Auffassung von Staat in dem Sinne voraus, dass der Staat nicht nur (Macht-) Herrschaftsverband mit bestimmten Organisationsstruk285 Dass dieses nicht immer reflektierte Vorverständnis so nicht richtig ist, belegen zentrale öffentliche Güter, für deren Bereitstellung der Staat in hohem Maße verantwortlich ist und die er gleichwohl von Verfassungs wegen nicht exklusiv erfüllen darf, weil Private ein grundrechtlich gesichertes Recht auf konkurrierende Zulassung haben, vergi, nur die Privatschulgarantie des Art. 7 Abs. 4 GG. 286 R. Gröschner, Das Überwachungsrechtsverhältnis, 1992, S. 81 erkennt den Unterschied zwischen Rechtsverhältnissen und Verantwortungsverhältnissen darin, dass „in jenen rechtliche, in diesen moralische Ansprüche geltend gemacht werden".
VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung
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turen ist, sondern ungeachtet seiner mangelnden Personalität jedenfalls eine Größe, die Zurechnungssubjekt von materiellen Einstandspflichten sein kann und sein muss. Dies impliziert, dass seine Einstandspflichten im Zweifel auch über den Bestand des geschriebenen Rechts hinaus reichen können. 3. Vier Schichten staatlicher Verantwortung Auch wenn Verantwortung kein rechtsdogmatisch ausgeformter Begriff ist 2 8 7 , kann die Vorstellung von der Verantwortung des Staates nunmehr in vierfacher Richtung begrifflich präzisiert werden. Diese Ausrichtung verbindet eher formgebende und eher inhaltliche Strukturelemente. Verantwortung des Staates benennt in einer ersten Schicht den Staat selbst als Bezugssubjekt von Einstandspflichten für die Bereitstellung öffentlicher Güter. Die Festlegung der jeweils zuständigen Staatsorgane ist dagegen Sache des positiven Rechts, vornehmlich des Staatsrechts288. Der Staat als Subjekt von Verantwortung impliziert die Verpflichtung, das staatliche Handeln als solches sichtbar und die dabei leitenden Motive kenntlich zu machen. Verantwortung des Staates thematisiert in einer zweiten Schicht die Sachgründe für das Einstehensollen des Staates. Erst durch diese Einstandsgründe wird ihm die Pflicht zur Bereitstellung öffentlicher Güter zugerechnet. Diese Zurechnungsgründe bilden den normativen Kern des Verantwortungsbegriffs. Erst sie legen fest, warum gerade der Staat in der Pflicht ist und nicht Privatpersonen oder andere gesellschaftliche Potenzen. Diese Zurechnungsgründe sind rechtlich nicht abschließend vorgegeben, sondern bedürfen der Ergänzung 289 durch eine Theorie staatlicher Einstandspflichten, die einen integrierten Bestandteil der Theorie notwendiger Staatsaufgaben darstellt. Aus güterbezogener Sichtweise geht es um diejenigen Sachgründe, die eine vorrangige staatliche Güterproduktion verlangen und damit seine spezifische Garantenstellung begründen. 287
E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 29; bereits ders., VVDStRL 34, S. 227 f.; D. Wilke, DÖV 1975, S. 511. 288 Findet sich kein spezielles Staatsorgan, dem die Verfassung bestimmte Sachaufgaben zur verantwortlichen Wahrnehmung eindeutig zuweist, ist im demokratischen Verfassungsstaat in erster Linie der Gesetzgeber in der Pflicht. Zur Verantwortung des Gesetzgebers P. Badura, in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 14, S. 246 ff., insbesondere zur Wesentlichkeitstheorie S. 250. 289 H.-H. Trute, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 198 betont, dass entsprechende staatstheoretische Überlegungen die rechtlichen Vorgaben nicht ersetzen können.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Auch mit der grundsätzlichen Einstandspflicht des Staates für die Bereitstellung eines bestimmten öffentlichen Gutes steht indessen noch nicht fest, in welchem Umfang der Staat selbst diese Bereitstellung leisten muss. Tatsächlich lassen viele Güter sich theoretisch sowohl durch staatliche Eigenproduktion als auch über einen staatlich regulierten Markt 290 bereitstellen. In dritter Schicht verlangt ein auf den Staat bezogener präziser Verantwortungsbegriff deswegen die Festlegung der mindestens gebotenen Verantwortungsdichte, die die Intensität291 der staatlichen Einstandspflicht festlegt. Gebräuchlich sind inzwischen eine Reihe von Unterscheidungen nach verschiedenen „Verantwortungssphären" 292, wie etwa die Grunddreiteilung in Erfüllungs- bzw. Ergebnisverantwortung, Auffangverantwortung und Gewährleistungsverantwortung 293. Entsprechend zu diesen unterschiedlichen Verantwortungssphären kann deren instrumentelle Ausgestaltung anhand mehr oder weniger typischer Fallbeispiele untersucht werden 294. Die spezifischen Instrumente staatlicher Steuerung sind zwar von der jeweiligen Verantwortungsdichte des Staates theoretisch zu unterscheiden295, sie setzen aber die jeweilige Verantwortungsdichte in der Praxis erst in rechtlich geformte und damit handhabbare Steuerungstechniken um.
290
Nach den Theorien des „Voucher-Systems" (Gutscheinsystem) kann der Staat nahezu jedes Gut über den Markt bereitstellen und dabei sogar Schwächen von Marktteilnehmern wegen fehlender Marktfähigkeit durch die positive Zuweisung von Marktteilnahmechancen kompensieren. Auf diesem Weg soll der Zugang etwa zu Bildungsgütern auch für ärmere Schichten garantiert werden. 291 H.-H. Trute, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 198. 292 E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 29. 293 Vergi. E. Schmidt-Aßmann, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann/G. F. Schuppert (Hrsg.), Reform des Allgemeinen Verwaltungsrechts, 1993, S. 43 f.; G. F. Schupperty in: J. Ipsen (Hrsg.), Privatisierung öffentlicher Aufgaben, 1994, S. 27; ders.y DÖV 1996, S. 768; F. Schochy DVB1. 1994, S. 975; U. Di FabiOy VVDStRL 56, S. 237 ff.; ähnlich E.-H. Ritter, in: E. Schmidt-Aßmann/W. Hoffmann-Riem (Hrsg.), Verwaltungsorganisationsrecht als Steuerungsressource, 1997, S. 231 ff. 294 Etwa H.-H. Trute y in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 167 ff., der typische Fallkonstellationen im Zusammenspiel staatlicher und privater Akteure bei der kooperativen Aufgabenerfüllung unterscheidet. Ähnlich W. Hojfmann-Riemy ebenda (Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnung), S. 300 ff., der vier Grundtypen staatlicher Regulierung unterscheidet (auf einer Skala von imperativer staatlicher Regelung bis hin zur privaten Selbstregulierung, bei der der Staat sich auf die Festlegung der allgemein anwendbaren Rechtsordnung - etwa des BGB - beschränkt, S. 303). 295 Ebenso H.-H. Trute y in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Öffentliches Recht und Privatrecht als wechselseitige Auffangordnungen, 1996, S. 206.
VI. Grundstrukturen der staatlichen Verantwortung
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Subjekt der Verantwortung, Zurechnungsgründe, Verantwortungsdichte und die zu ihrer Realisierung charakteristischen Instrumente bleiben freilich noch weitgehend formale Bestimmungen. Der Vollwert von staatlicher Verantwortlichkeit erschließt sich erst durch Hinzunahme der vierten Schicht von staatlicher Verantwortung. Erst unter Einbeziehung der „Sache selbst" 296 (öffentliche Güter) und damit des eigentlichen Bezugsobjektes von Verantwortung wird der Verantwortungsbegriff inhaltlich gefüllt. Güter und Zurechnungsgründe gemeinsam ergeben ein grundsätzliches Bild von dem, was der Staat an Verantwortung tragen soll; die gebotene Verantwortungsdichte ünd die Instrumente zu ihrer Realisierung runden das Bild ab 297 . Die eigentliche Schwierigkeit dieses vierfachen Verantwortungsbegriffs besteht darin, einerseits den Rückfall in eine naive Staatsmetaphysik zu vermeiden, ohne andererseits gänzlich auf inhaltliche Aussagen zu verzichten und sich dabei entweder mit abstrakten, aber aussagearmen Formeln oder mit der bloß deskriptiven Aufarbeitung abgestufter Grade der Wahrnehmung von Verantwortung durch den Staat zu begnügen. Die Verantwortung des Staates kann heute kaum als vorgesellschaftliches Prinzip im Sinne eines Kategorischen Imperativs für die Ermittlung notwendiger Staatsaufgaben gedeutet werden, welcher das Handeln des Staates durchgängig prägt. Der Rekurs auf mehr oder weniger leerformelhafte Gemeinwohlüberlegungen führt ebenso wenig weiter 298 wie mathematische Berechnungsmodelle zur Maximierung von kollektiven Glücksstandards im Stile utilitaristisch oder wohlfahrtsstaatlich geprägter Eudämonielehren. Soll die Vorstellung einer ethisch fundierten staatlichen Verantwortlichkeit nicht in den unergiebigen Streit der Weltanschauungen abgleiten, bedarf es konkreter Zurechnungskriterien dafür, warum gerade der Staat vorrangig für die Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter in der Pflicht steht 299 .
296 Dieser Gedanke wird angedeutet bei R. Pitschas, Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 249. 297 Die mindestens gebotene Verantwortungsdichte, damit die Feineinstellung auf der instrumenteilen Ebene der Umsetzung der staatlichen Einstandspflicht in der Praxis, wird wiederum stärker durch rechtlich greifbare Strukturelemente geprägt. Ihre Untersuchung ist dem vierten und fünften Hauptteil vorbehalten. 298 Vergi, nur J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 35 ff. (S. 17 ff.), der allerdings am Gemeinwohl als einem „regulativen Prinzip" festhält und den Begriff für unaufgebbar hält. Wenn dies letztlich bedeutet, dass jede nicht bloß empirische Staatslehre an der Vorstellung oder Grundüberzeugung festhalten muss, es könne eine gute staatliche Ordnung für alle geben, kann man Isensee zustimmen. Die Idee des Gemeinwohls gewinnt damit eine konkret-utopische Funktion, insofern sie eine „Einheit der Interessen" entwirft, „die in der Wirklichkeit noch nicht besteht, aber zu suchen ist, und eine Vollkommenheit des Gemeinwesens, die sich in der Erfahrung noch nicht findet" ( Rdn. 37).
300
C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
VII. Zurechnung: Leitlinien für den Vorrang staatlicher Güterproduktion Zurechnungskriterien begründen die Garantenstellung des Staates für die Bereitstellung öffentlicher Güter. Die Nichtbeachtung dieser Garantenstellung stellt eine Pflichtwidrigkeit 300 dar. Die gesuchten Zurechnungskriterien sind zunächst leitlinienartig und abstrakt zu entwickeln. Ihre volle Validität erlangen sie erst beim zweiten Schritt im Zusammenspiel mit konkreten Gütern bzw. Gütergruppen. Die Kriterien für die Begründung von „Sollensanforderungen" 301 an den Staat bedürfen ihrerseits der inhaltlichen Legitimation. Zurechnung als Zuschreibung von Einstandspflichten für die Bereitstellung öffentlicher Güter findet nicht losgelöst vom jeweiligen gesellschaftlichen Kontext statt, sondern in einem konkreten gesellschaftlichen und kulturellen Bezugssystem mit allen dazu gehörenden Erscheinungen302. Eine wertungsfreie „natürliche" Zurechnung von Einstandspflichten kann es nicht geben, sondern die gesuchten Sollensgründe beruhen ihrerseits auf bestimmten Grundwertungen. Der materielle Bezugspunkt, der den gesuchten Zurechnungsgründen ihre inhaltliche Legitimation verleiht, ist die grundsätzliche und voraussetzungsreiche Zweckrichtung, dass der demokratische Verfassungsstaat und damit die staatliche Güterproduktion um des Menschen willen da ist. Das dabei zu Grunde liegende Menschenverständnis stellt nicht auf ein ideales Bild ab, sondern auf den wirklich vorhandenen und verletzlichen Menschen, wie er in unserem Kulturkreis vorgestellt wird. Im demokratischen Verfassungsstaat des Grundgesetzes enthält diese fundamentale in Art. 1 Abs. 1 GG verankerte Zweckrichtung vor allem die Verpflichtung des Staates, die Würde des Einzelnen zu achten, aber auch für die kollektiven Voraussetzungen der Freiheit aller Sorge zu tragen. Diese kollektiven Voraussetzun299
Ausgespart bleibt bei diesem gedanklichen Ansatz die umgekehrte Fragestellung, für welche Güter der Staat also in keinem Fall verantwortlich ist und es auch nicht sein darf. Diese negatorische Dimension staatlicher Verantwortung, die sich in konkreten Unterlassenspflichten niederschlägt, wird rechtlich insbesondere durch die Begrenzungsfunktion der Grundrechte ausgeformt. 300 R. Pitschasy Verwaltungsverantwortung und Verwaltungsverfahren, 1990, S. 242. 301 K. Larenz, Richtiges Recht, 1979, S. 93. 302 Für die staatliche Zurechnung von Garantenpflichten gilt insoweit nichts anderes wie für die Zurechnung von Handlungen im Strafrecht, die, wie insbesondere G. Jakobs, Der strafrechtliche Handlungsbegriff, 1992, S. 27 ff., zeigt, stets auf einem gesellschaftlichen, das heißt kommunikativ relevanten Deutungsschema beruht; zu unterschiedlichen Varianten rechtlicher Verantwortlichkeit K. Larenz, Richtiges Recht, 1979; R. ZippeliuSy in: Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie 14, 1989, S. 257 ff.
VII. Zurechnung: Vorrang staatlicher Güterproduktion
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gen der Freiheit aller bilden keinen Gegensatz zum Fixpunkt der Würde des Einzelnen, sondern sie sind ihrerseits häufig die Voraussetzung für die Freiheitsausübung, die Leistungsfähigkeit und das gute Leben des Einzelnen. Die individuelle Einlösung des Rechts auf die Suche nach dem guten Leben ist in der modernen Lebenswelt mit ihrer enormen Komplexität und mit ihren vielfältigen wechselseitigen Abhängigkeiten mehr denn je von der Bereitstellung öffentlicher Güter durch den Staat abhängig. In methodischer Sicht erscheint es auch hier sinnvoll, inhaltliche Legitimation auf der Ebene eines mittleren Differenzierungsgrades zu suchen. Zu vermeiden sind die beiden Extreme einer aus einem Prinzip abgeleiteten und damit im Zweifel wenig aussagekräftigen staatlichen Grundverantwortung einerseits und der detaillierten Auflösung in eine Fülle zusammenhangloser Einzelverantwortlichkeiten für einzelne Güter andererseits. Die Einstandspflicht des Staates für bestimmte öffentliche Güter folgt vor allem aus vier Leitlinien der Zurechnung, die in unterschiedlicher Weise zusammenwirken. Erstes herausragendes Element und Voraussetzung aller staatlichen Einstandspflichten ist der Mangel oder zumindest die Gefährdung des Bestandes eines Gutes, das kollektiv als wichtig für das Gemeinwesen als Ganzes oder zumindest als unverzichtbar für seine einzelnen Mitglieder bewertet wird. Diese kollektiven Bewertungen können auf Grund von „Konjunkturschwankungen" des Zeitgeistes303 erheblichen Wandlungen unterliegen. Jede um Normativität bemühte Theorie, die gleichzeitig auf ihrer Rückbindung in der Lebenswirklichkeit besteht, stößt angesichts solcher faktischer Schwankungen an gewisse Grenzen. Notwendige Staatsaufgaben und rechtliche, insbesondere verfassungsrechtliche Bindungen, setzen der Umsetzung von solchen Zeitgeistschwankungen in verbindliches Recht immerhin gewisse Grenzen. Auch innerhalb des geltenden Verfassungsrechts bleibt allerdings in breiter Korridor für unterschiedliche Bewertungen der Wichtigkeit von öffentlichen Gütern bestehen. Alleine mit dem - empirischen - Kriterium der allgemeinen Überzeugung von der Wichtigkeit eines bestimmten Gutes für das Gemeinwesen oder für das einzelne Mitglied steht indessen der Vorrang der staatlichen vor der privaten Produktion noch nicht fest. Als weiteres Element muss hinzutreten, dass die effektive und kontinuierliche Güterbereitstellung für alle durch Private aus sachlichen Gründen ausgeschlossen oder jedenfalls unwahrscheinlich ist. Erst aus diesem Unvermögen erwächst dem Staat eine inhaltlich gerechtfertigte Garantenstellung, die unter Umständen sogar monopolartige Züge annehmen kann. 303
Th. Würtenberger,
Zeitgeist und Recht, 2. Aufl. 1991.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Aus dem Zugriff des Staates auf die Bereitstellung einzelner Güter folgt - jedenfalls bei knappen Gütern - weiter die Verpflichtung des Staates, rechtsverbindliche Zugangskriterien für deren Nutzung zu bilden und dadurch die Verteilung des betreffenden Gutes auf den Einzelnen in gerechter Weise zu organisieren. Die Fähigkeit zur verbindlichen und gerechten Regulierung des Zugangs begründet seine Einstandspflicht insbesondere bei knappen öffentlichen Gütern. Aus der Summe der durch den Staat selbst wahrgenommenen Güterbereitstellungen wächst ihm viertens die eigenständige Verpflichtung zu, Systemfunktionen von Staat und Gesellschaft als Ganzes durch die Sicherung der Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter auch in der Zukunft zu erhalten. Hierzu zählen vor allem die Verpflichtungen, den durch individuell als rational bewertetes Handeln ausgelösten, aber kollektiv als irrational zu bewertenden Folgen adäquat gegenzusteuern. Für die notwendige Regeneration und Evolution bestimmter öffentlicher Güter muss der Staat Sorge tragen. Aus der potenziellen Allzuständigkeit des Staates, die ihn von jeder gesellschaftlichen Gruppierung unterscheidet, und aus seiner Einstandspflicht für eine Reihe notwendiger Güter, die sich in der Summe zu einem Netz von Gütern mit zahlreichen wechselseitigen Beziehungen und Abhängigkeiten addieren, folgt weiter die Pflicht zur Vermeidung systemwidriger Effekte, die auf Grund einseitiger Güterproduktion zur Beschädigung oder Zerstörung anderer notwendiger Güter führen (Netzverantwortung). Als eine mögliche Konkretisierung dieses Gedankens kann die Verpflichtung des Staates gedeutet werden, schädlichen Wachstumsprozessen steuernd entgegenzuwirken. In der modernen Welt wird negatives Wachstum, das letztlich für alle katastrophale Folgen haben kann, in der ökologischen Frage in grundlegender Weise sichtbar, ohne freilich auf diese beschränkt zu sein. Mit diesem Zurechnungselement findet der staatliche Vorsorgegedanke, wie er insbesondere im Umweltrecht seinen Niederschlag gefunden hat, einen spezifisch legitimationstheoretischen Ausdruck. Diese vier Leitlinien für die Zurechnung von Verantwortung für bestimmte Güter, die im folgenden vertieft werden, entfalten die für den Verantwortungsbegriff charakteristische Doppelfunktion, die die Eingrenzung notwendiger Aufgaben erst erlaubt: Neben ihrer aufgabenbegründenden bzw. aufgabenrechtfertigenden Funktion kommt ihnen auch eine aufgabenkritische Funktion zu, mittels derer sonstige tatsächlich wahrgenommene Staatsaufgaben als Aufgaben von sekundärer Bedeutung ausgegrenzt werden können. 1. Unerträglicher Gütermangel Alleine die sachliche Bedeutung eines Gutes, etwa seine Bewertung als lebenswichtiges Elementargut, vermag eine spezifisch staatliche Verantwor-
VII. Zurechnung: Vorrang staatlicher Güterproduktion
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tung für seine Bereitstellung noch nicht zu begründen. Das Beispiel des täglichen Brotes mag dies veranschaulichen. Solange die Versorgung auch mit unstreitig lebenswichtigen Elementargütern für alle durch Private über den Markt oder auf sonstige Weise gesichert ist und faktisch störungsfrei funktioniert, besteht keinerlei Veranlassung für ein Eingreifen und damit auch keine spezifische Verantwortung des Staates. Ganz anders sieht dies bezeichnenderweise in Zeiten des kollektiven Mangels aus, insbesondere wenn dieser Mangel die Qualität einer existenziellen kollektiven Bedrohung annimmt304. Die Rationierung und Überwachung der Verteilung von Lebensmitteln und von anderen lebenswichtigen Grundgütern (Wasser, Unterkunft, ein Minimum an Energie und ärztlicher Versorgung) wird in entsprechenden Krisen- und Notsituationen weitgehend unabhängig vom jeweiligen Staatstyp305 regelmäßig von staatlichen Behörden in die Hand genommen; dies gilt jedenfalls, soweit staatliche Behörden noch vorhanden und einigermaßen intakt sind. Der allgemeine Mangel an bestimmten Gütern 306 oder, als abgeschwächte Erscheinungsform des Mangels, die ernsthafte Gefährdung des Güterbestandes in der Gegenwart und in der überschaubaren Zukunft, sind die zentralen tatsächlichen Voraussetzungen für die Transformation der nicht oder schlecht funktionierenden privaten Bereitstellung objektiv lebensnotwendiger Güter für alle in die staatlich-öffentliche Güterproduktion bzw. Güterbewirtschaftung. Allgemeiner Mangel eines Gutes bzw. die gesellschaftlich verfestigte gemeinsame Überzeugung, dass eine Mangelsituation tatsächlich besteht und dass dieser Mangel behoben werden soll, ist das erste, wenn auch für sich genommen noch nicht ausreichende Zurechnungsauslösende Element staatlicher Verantwortlichkeit. Dahinter steht positiv die inhaltlich wiederum voraussetzungsreiche Vorstellung, dass bestimmte Mangellagen ohne Rücksicht auf eine
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Zur Bedeutung des Mangels als Legitimation für staatliche Herrschaftsausübung D. Murswiek, Umweltschutz als Staatszweck, 1995, S. 50 ff. (insbesondere zur Knappheit öffentlicher Umweltgüter S. 53). 305 Zu Recht ist darauf hingewiesen worden, dass materielle Grundbedürfnisse auch in totalitären Systemen befriedigt werden können, vergi. Ε. H. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 207. 306 Auch der individuelle Mangel ist in einem rechtsstaatlichen System in der Regel nur als allgemeiner Mangel greifbar, insofern jede staatliche Unterstützung auf Verallgemeinerung zielt und damit auf einheitliche Anwendung in allen gleich gelagerten Fällen. Auch die auf eine persönliche Mangel- oder Notsituation abstellende staatliche Sicherung des Existenzminimums für alle, die in ihrer Existenz gefährdet sind, wird damit zu einem öffentlichen Gut, auch wenn selbstverständlich nur die wirklich Bedürftigen Zugang zu diesem öffentlichen Gut haben, also einen Anspruch auf entsprechende staatliche Unterstützungsleistungen. Entscheidend für die Bestimmung des Gütercharakters als staatlich-öffentliches Gut ist, dass alle, die entsprechenden Mangel leiden, auf staatliche Unterstützung zählen können.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
eventuell bestehende individuelle Verantwortlichkeit einfach unerträglich sind und nach staatlicher Abhilfe verlangen. Mangel besteht dabei allerdings nur selten in einem eindeutigen Sinn als objektive Größe, sondern was als erträglicher oder unerträglicher kollektiver Mangelzustand anzusehen ist, wird regelmäßig in Abhängigkeit von den ökonomischen und geistigen Ressourcen einer Zeit bestimmt werden. Dem Staat kommt dabei eine Art Auffangfunktion für die Güterproduktion zu, die nicht in jedem Fall einfach nur als Kompensat für die mehr oder weniger zufällige Unzulänglichkeit nichtstaatlicher Leistungsträger gedeutet werden darf 307 . Es gibt eine Reihe öffentlicher Güter, allen voran die innere Sicherheit, aber etwa auch die Sicherung eines Existenzminimums für alle, deren Bereitstellung ausschließlich durch Private aus strukturellen Gründen unmöglich ist. Die Notwendigkeit ihrer Bereitstellung durch den Staat als unverzichtbares öffentliches Gut erwächst erst aus der kollektiv verbindlichen Überzeugung, dass von diesen Gütern prinzipiell niemand ausgeschlossen werden darf. Bei der Bestimmung, welche Mangellagen der güterbereitstellende Staat nicht dulden darf, wirkt sich die materielle Rückbindung an das Konzept der Menschenwürde, aber etwa auch die staatliche Schutzpflicht für die Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen normativ aus. Das Mangelkriterium führt freilich, wie das Brotbeispiel zeigt, in der Anwendung auf konkrete Güter im Zeitkontinuum nicht immer zu stabilen Ergebnissen für die Begründung staatlicher Einstandspflichten. Es wirkt nicht nur verantwortungsbegründend, sondern gerade auch verantwortungsbegrenzend und damit aufgabenkritisch, denn Mangel als formales Zurechnungskriterium unterliegt in seinen inhaltlichen Auswirkungen erheblichen Schwankungen. Wo gestern noch Mangel geherrscht hat, der nur durch die staatliche Güterbereitstellung bzw. Güterbewirtschaftung beseitigt werden konnte, kann heute auf Grund gewandelter technologischer und ökonomischer Bedingungen unter Umständen eine völlig andere Situation eingetreten sein, in der die private Güterbereitstellung im Prinzip problemlos und in ausreichendem Umfang erfolgen könnte. Mit den tatsächlichen Verhältnissen wandelt sich damit zumindest in einigen Lebensfeldern auch der Bereich des Staatsnotwendigen; beliebig wird er deswegen nicht. Aktuellere Beispiele für einen solchen Wandel der tatsächlichen Verhältnisse finden sich etwa im Rundfunkbereich (Frequenzzuwachs durch Kabel- und Satellitenfernsehen, neue Medien). Das gleiche gilt allerdings auch in umgekehrter Richtung, wofür insbesondere die Bedrohung der natürlichen Lebensgrundlagen eine Anschauung 307 So aber P. Kirchhof \ Der Begriff der hoheitsrechtlichen Befugnisse in Artikel 33 Absatz IV des Grundgesetzes, 1968, S. 113 ff., der deswegen den Bereich der „Staatsnotwendigkeit" für zufällig und damit für nicht wirklich bestimmbar hält.
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vermittelt: Güter, die gestern noch weitgehend im Überfluss zu sein schienen und keiner staatlichen Bewirtschaftung unterlagen, etwa Luft-, Klima-, Boden-, Wasser- oder andere Umweltqualitäten, erscheinen seit einiger Zeit als nachhaltig bedroht. Wie groß der allgemeine Mangel letztlich sein muss, um die Schwelle von der nur privaten zur zumindest auch staatlichen Verantwortlichkeit zu überschreiten, lässt sich abstrakt kaum festlegen. Dafür kommt es maßgeblich auf das jeweilige Gut und den gesellschaftlich-kulturellen Kontext, aber auch auf individuell verfestigte, gegebenenfalls grundrechtlich abgesicherte Rechtspositionen an, die den Staat unter Umständen zur Bereitstellung oder Bewirtschaftung eines bestimmten Gutes verpflichten. Allgemein wird man sagen können, dass sich mit wachsendem Wissen und steigender gesellschaftlicher Komplexität der Erkenntnishorizont für die Wahrnehmung solcher Güter erweitert, die für das Leben und Überleben der Menschen auf vergleichsweise hohem Niveau als unbedingt erforderlich angesehen werden. So ist inzwischen die existenzielle Bedeutung bestimmter Mindestqualitäten von natürlichen Lebensgrundlagen als dauerhaft erforderliche Grundbedingung für menschliches Leben, insbesondere das Leben zukünftiger Generationen, auf breiter Front ins öffentliche Bewusstsein gerückt. Das Mangelkriterium entfaltet seine Bedeutung damit auch für die Begründung von Einstandspflichten des Staates für neue, bislang nicht bereitgestellte bzw. nicht bewirtschaftete Güter. Neben diesem dynamischen Verständnis des Kriteriums der allgemeinen Mangelsituation, das vornehmlich durch kulturelle und damit schwankende Standards bestimmt wird, spielt die objektive Bedeutung des betreffenden Gutes selbst immerhin in bescheidenem Umfang eine verantwortungsbegründende Rolle. Dabei ist es zunächst gleichgültig, wer das betreffende Gut bei hypothetischer Betrachtung tatsächlich bereitstellen könnte. Die staatliche Auffangpflicht zur Bereitstellung von Gütern zur Befriedigung einiger elementarer menschlicher Grundbedürfnisse dürfte weitgehend konsensfähig sein. Auch wenn die Grundbedürfnisdiskussion zur Begründung von Menschenrechten insgesamt gesehen als gescheitert gelten muss 308 , weil Einigkeit hier ebenso wenig zu erzielen war wie bei der Grundwertedebatte, sind in der Praxis jenseits aller ideologischen und kulturellen Grenzen zumindest einige schlichte Überlebensbedürfnisse allgemein anerkannt 309 : Frieden bzw. ein Mindestmaß an Sicherheit, Verpflegung, Klei308 E. H. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 202 ff., hat diese Diskussion nachgezeichnet und nachgewiesen, dass eine theoretische Begründung von Grundbedürfnissen unmöglich ist. 309 E. H. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 197. Riedel betont, dass der Begriff „Bedürfnis" dabei regelmäßig in Verbindung mit staatlicher Tätigkeit, verantwortlicher Politik, benutzt wird. 20 Gramm
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dung, Wohnung, Energieversorgung, Hygiene und ärztliche Versorgung sind Basisbedingungen menschlichen Lebens, die auf einem im einzelnen allerdings nur schwer zu bestimmenden Mindestniveau nicht nur nach unseren kulturellen Vorstellungen, sondern als anthropologische Gemeinsamkeit unabdingbar zu einem menschenwürdigen Leben zählen dürften. Entsprechendes gilt im Hinblick auf objektiv für das Leben auf niedrigem Niveau vielleicht weniger wichtige, aber durch kollektive Präferenzen in einer konkreten Gesellschaft als wichtig angesehene sonstige Güter, für die auf Grund allgemein verbreiteter Überzeugungen ein gewisser Grundversorgungsstandard als unumgänglich angesehen wird. Dies kann grundsätzlich auch abstrakte Güter wie Schutz und Vorsorge in bestimmten Lebensbereichen oder immaterielle Güter wie Bildung einschließen. Die Aussagekraft der objektiven Bedeutung eines öffentlichen Gutes darf damit in keinem Fall überschätzt werden. Das Prädikat „unbedingt erforderlich" wird sich bei isolierter güterbezogener Betrachtung regelmäßig nur auf einen wirklich elementaren Güterkranz beschränken, wie er hier in Grundzügen skizziert ist. Mit sinkender Bedeutung für einen engen Kranz menschlicher Grundbedürfnisse nimmt die Zurechnungsdichte zum Staat tendenziell ab. Je weiter man sich von diesem Kranz an Elementargütern entfernt, um so umstrittener und aussageärmer wird das Kriterium der objektiven Bedeutung eines Gutes, was sich beispielhaft am Mangel an Bildung veranschaulichen lässt. Ob etwa die Dauer der Schuljahre bis zur allgemeinen Hochschulreife beim öffentlichen Gut Schulbildung mit zwölf oder dreizehn Jahren richtig bemessen ist, lässt sich mit dem Objektivitätskriterium nicht feststellen. Hinzu kommt, dass hier wie auch sonst häufig konkurrierende Güter in einer Art Abwägungsvorgang in die Bemessung der Wichtigkeit Eingang finden, die sich nicht selten zu rational nicht auflösbaren „magischen Vielecken" mit entsprechend undurchsichtigen geistigen Kräfteparallelogrammen steigern (beim Beispiel Bildung: Lehrinhalte, Lebensalter der Absolventen, Bedarf auf dem Arbeitsmarkt, internationale Wettbewerbsfähigkeit deutscher Akademiker, staatliche Bereitstellungskosten etc.). Mit theoretischen Überlegungen zur Verantwortung des Staates lässt sich zu deren Auflösung kaum etwas beitragen. In einem demokratischen Staat leistet der demokratisch legitimierte Entscheidungsprozess durch das Mehrheitskriterium jenseits des skizzierten Minimalbestandes an Elementargütern die Verdichtung der zum Teil widersprüchlichen individuellen Präferenzen zu verbindlichen kollektiven Bewertungen, welche öffentliche Güter in welchem Umfang für wen bereitgestellt werden sollen. Das Mangelkriterium als Zurechnungskriterium für die staatliche Einstandspflicht besagt auch noch nichts darüber, auf welche Weise der Staat
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diesem Mangel abzuhelfen hat. Wenn die Gesellschaft ein bestimmtes Gut nicht in ausreichendem Umfang bereit stellt - Brot, Ausbildungsplätze - , darf daraus nicht ohne weiteres die Pflicht abgeleitet werden, dass also der Staat die Bereitstellung des betreffenden Gutes selbst vornehmen müsste. Abgesehen davon, dass der Staat dazu in weiten Bereichen faktisch gar nicht in der Lage ist, wäre dies auch theoretisch ein vollkommen unzureichender Ansatz, weil er den Begriff der staatlichen Verantwortung auf die unangemessene Engführung des Dualismus von der Selbst- oder Fremdproduktion reduzieren würde. Tatsächlich kommt es aber in nahezu allen Bereichen auf die richtige Mischung zwischen staatlicher Steuerung und privater Initiative an. 2. Güterbereitstellung für alle Das Mangelkriterium wird ergänzt durch das der Güterbereitstellung für alle, das auf die Überlegenheit des Rechts als spezifisch staatliches Steuerungselement abstellt. Wegen dieser Stoßrichtung könnte man auch vom Effektivitätskriterium sprechen. Die Überlegenheit des Rechts gründet dabei zwar im sogenannten Gewaltmonopol, sie ist damit aber nicht identisch. Treffender ist es in diesem Zusammenhang, von einem staatlichen Gestaltungs- und Ordnungsmonopol zu sprechen. Nur das staatlich gesetzte Recht ist in der Lage, trotz unterschiedlicher Kodierungen der gesellschaftlichen Subsysteme verbindlich in alle Teile bzw. Systemfunktionen der Gesellschaft einzuwirken. Das staatliche Recht bleibt trotz aller gesellschaftlichen Differenzierung und Komplexität, trotz aller pluralistischen Tendenzen und widersprüchlichen Erscheinungen die einzige gesamtgesellschaftlich umfassende Ressource mit Verbindlichkeit für alle gesellschaftlichen Teile und Teilsysteme. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass der Staat für Abhilfe bei jedem erdenklichen Mangel in der Pflicht ist. Zum einen ist in zentralen Lebensbereichen eine effektive Güterversorgung alleine durch den Staat faktisch kaum möglich. Einige lebenswichtige Güter wie zum Beispiel menschliche Zuwendung und Liebe entziehen sich auch bei schwerwiegenden Mangelerscheinungen aus der Natur der Sache weitestgehend der staatlichen Leistungskraft 310; bei anderen Gütern - etwa der Erziehung - bleibt ein freiheitlicher Staat immer nur Koproduzent neben anderen, letztlich bedeutenderen Einflussfaktoren. Zum anderen wird die Einstandspflicht wegen überlegener Wirksamkeit staatlicher Güterversorgung nicht bereits durch das Faktum begründet, dass der Einzelne nicht in jedem Fall in der Lage ist, die entsprechende Güter310 y e r gi d a z u die Einteilung der Gütersphären bei M. Walzer, rechtigkeit, 1992. 20*
Sphären der Ge-
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Versorgung aus eigener Kraft sicherzustellen, sondern dass dieses Ziel nur in gemeinschaftlichem und arbeitsteiligem Zusammenwirken mit anderen Personen erreicht werden kann. Die Tatsache, dass es zahlreiche überindividuelle Zwecke gibt, die der Einzelne ohnehin nicht alleine, sondern nur im Zusammenschluss mit anderen realisieren kann 311 , bleibt unergiebig für die Lösung des Abgrenzungsproblems Staat oder Gesellschaft. Die überindividuelle Zweckstruktur für sich genommen vermag eine staatliche Garantenstellung im Sinne der Verantwortung für den Erfolg der Zweckerreichung bzw. der Güterbereitstellung nicht zu begründen. Hinzu kommen muss, ganz im Sinne einer umgekehrten Subsidiaritätstheorie, dass der allgemeine Mangel anders als gerade durch ein staatliches Eingreifen mit seinen spezifischen Machtmitteln nicht gleichmäßig für alle und mit einer gewissen Stabilität in der Zukunft nicht beseitigt werden kann. Durch diese zusätzliche Bedingung wird die Staatsaufgabe als notwendige Aufgabe und damit, da ihre Erfüllung immer auch irgendwie finanziert werden muss, als Gemeinlast erst legitimiert. Effektivität bedeutet in diesem Kontext nicht, dass der Staat die erforderliche Güterproduktion unbedingt vom ersten bis zum letzten Schritt in eigener Regie behalten müsste. Entscheidend sind auf dieser grundsätzlichen Ebene der Begründung staatlicher Verantwortlichkeit alleine die Resultate. Wie der Staat diese letztendlich verwirklicht, ob alleine mit traditionellen Handlungsinstrumentarien, ob in komplizierten arbeitsteiligen Kooperationsgeflechten mit Privaten oder weit zurückgezogen mit diffizilen Steuerungsinstrumenten, die im Ergebnis zu einer Selbstaktivierung gesellschaftlicher Kräfte und dadurch zur intendierten Güterbereitstellung führen, ist keine Frage der Zurechnung staatlicher Verantwortung, sondern eine Frage der zweckmäßigen Ausgestaltung bei der konzeptionellen Umsetzung der staatlichen Einstandspflicht für die zu erzielenden Resultate312. Oben wurde bereits gezeigt, dass es eine ganze Reihe von öffentlichen Gütern gibt, die Private aus eigener Macht tatsächlich prinzipiell nicht flächendeckend bereit stellen können313. Dies gilt insbesondere für den 3,1
Vergi, dazu G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 83 f. 312 Zu dieser „modalen Problemsicht" (M. Schmidt-Preuß) gehören insbesondere Konzepte der staatlich gesteuerten gesellschaftlichen Selbstregulierung, dazu die gleitende Skalierung von Steuerungstypen zwischen den Polen klassisch-imperativen Zwangs und rein gesellschaftlicher Konfliktschlichtung bei M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, insbesondere S. 184 ff. 313 Oben C. IV. Insoweit kann man auch von „natürlichen" oder faktischen Monopolen sprechen. Anders liegt der Fall, wenn Private bestimmte Güter aus rechtlichen Gründen nicht bereit stellen dürfen. Rechtlich begründete Staatsmonopole müssen nicht unbedingt auch faktische Monopole sein, wenn das Betätigungsverbot zur Güterproduktion für Private entfällt. J. Isensee, Subsidiaritätsprinzip und Verfas-
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Bereich der inneren Sicherheit. Hinzu kommt, dass es eine Reihe von Menschen gibt, die auf dem Markt nichts anzubieten haben (Alte, Kranke, Kleinkinder etc.) und die deswegen nicht marktfähig sind. Dem Staat kommt eine Garanten- oder Vorrangstellung zur Problemlösung durch die entsprechende Güterbereitstellung zu, wenn er diese Güter im Prinzip für alle in gleicher Weise und in gleichem Umfang zur Verfügung stellen will. Die dabei vorausgesetzten Machtmittel des Staates sind hierbei nicht nur beliebiges Instrument, sondern aus der Zurechnungsperspektive auch normatives Begründungselement für seine Einstandspflicht und damit für die staatliche Bereitstellung von Gütern. Eine andere Frage ist es, ob ein tatsächlicher staatlicher Produktionsvorrang, der sich bis hin zu monopolartigen Strukturen bei der Aufgabenerfüllung verfestigen kann, in jedem Fall sachlich gerechtfertigt ist. Maßgebliches Legitimationskriterium für entsprechende Monopolstrukturen ist die Effektivität der Güterbereitstellung bzw. des Güterzugangs für alle in prinzipiell gleicher Weise. Überall dort, wo der Staat die private Initiative ausgeschlossen hat oder er deren Ausübung nur in bestimmter Weise nach Maßgabe des geltenden Rechts zulässt, und sei es auch nur unter dem Vorbehalt einer staatlichen Genehmigungserteilung314, macht er von seinem Ordnungsmonopol Gebrauch. Bei theoretischer Betrachtung kann er den gleichen Güterzugang für alle aber nicht nur durch Eigenproduktion, sondern auch dadurch sichern, dass er „marktunfähige" Personen marktfähig macht, in dem er sie mit Kaufkraft ausstattet. Auch dieser Weg beruht auf gesellschaftlichen Umverteilungseffekten, die einen funktionierenden staatlichen Zwangsapparat voraussetzen. Ungeachtet dieser formalen Betrachtungsweise kann den Staat auch für solche Güter, die Private theoretisch zwar vielleicht bereit stellen könnten, praktisch dann eine vorrangige Einstandspflicht treffen, wenn Private dazu faktisch nicht in der Lage sind, weil sie nicht über die entsprechenden finanziellen oder sonstigen Ressourcen verfügen. Wo eine private Organisation, die die notwendigen Güter in angemessener Zeit bereit stellen könnte und die dazu auch tatsächlich bereit wäre, nicht zur Verfügung steht, wird die staatliche Verantwortlichkeit - dem Subsidiaritätsgedanken folgend anders zu beurteilen sein als dort, wo dies nicht der Fall ist und nur der Staat die betreffende Güterversorgung sicherstellen kann. Das Dogma der
sungsrecht, 1968, S. 169, hält die Verwendung des Monopolbegriffs wegen der darin angelegten unterschiedlichen Bedeutungsinhalte für missverständlich; ablehnend auch H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 771 f. 314 Das staatliche Monopol bezieht sich dann nicht auf die private Güterproduktion selbst, sondern auf die Erteilung einer entsprechenden Genehmigung zur privaten Güterproduktion (Beispiel Baugenehmigung).
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staatlichen Allzuständigkeit bedeutet in diesem Kontext, dass der Staat dazu theoretisch grundsätzlich immer in der Lage ist, weil er als einziger mit legitimer Zwangsmacht ausgestatteter Herrschaftsverband die hierfür erforderlichen Ressourcen noch am ehesten mit Aussicht auf Erfolg beschaffen oder zumindest andere entsprechend verpflichten kann. Dass auch dem Erfolg des Staates dabei faktische Grenzen gezogen sind, die ihn überfordern können, ändert nichts an dieser grundsätzlichen strukturellen Überlegenheit gegenüber jedem privaten Handlungsverbund. Das Kriterium, dass andere gesellschaftliche Gruppen zur flächendeckenden Güterbereitstellung faktisch nicht in der Lage sind, spielt gerade bei der dauerhaften Bereitstellung von öffentlichen Gütern eine ganz erhebliche Rolle. Singuläre und spektakuläre, unter Umständen sogar sehr kostspielige Güter lassen sich durch Private faktisch durchaus manchmal im Wege der Privatinitiative organisieren und finanzieren. Dies gilt nicht in gleicher Weise für die alltägliche und mit wenig Aufmerksamkeitswert in der Öffentlichkeit versehene rechtsstaatliche Güterbereitstellung wie beispielsweise die Führung der Grundbuchämter, die Bereitstellung von Hilfe zum Lebensunterhalt für alle oder für sonstige Daueraufgaben, die eine gewisse „Nachhaltigkeit"315 bei der Güterbereitstellung erfordern. Deren Finanzierung auf privater Basis bleibt selbst bei Großorganisationen, die auf freiwillige Spenden angewiesen sind, etwa im karitativen Bereich oder bei privaten Hochschulen, immer unsicher. Ein Gegeneinwand liegt auf der Hand. So könnte man argumentieren, dass alles nur eine Frage des Preises ist. Wenn man mit Grundbuchämtern Geld verdienen könnte, in dem sich jeder seine Eintragung kaufen muss oder auch nicht - , sähe alles ganz anders aus. Dieses Modell geht allerdings nicht nur an der Lebenswirklichkeit vorbei, sondern es ist auch aus marktimmanenten Gründen nicht praktikabel. Der entscheidende Gesichtspunkt ist die Sicherung der Kontinuität der Güterbereitstellung für alle 316 . Diese lässt sich über den auf dem Markt zu erzielenden Preis häufig nicht realisieren, weil das Marktgeschehen immer von den jeweiligen individuellen Präferenzen und von den unterschiedlichen finanziellen Ressourcen des
315 Das ursprünglich dem Forstrecht entlehnte juristische Nachhaltigkeitsprinzip („sustainable development") ist als „ressourcenspezifisches Nachbar- oder Nebenprinzip zum Vorsorgeprinzip" auf Dauerhaftigkeit und Ressourcengebrauch, nicht auf Ressourcenverzehr und damit auf die langfristige Substanzerhaltung angelegt, M. Schröder, WiVerw 1995, S. 65 ff.; M. Kloepfer, DVB1. 1996, S. 78. Es lässt sich aber auch für geistige Ressourcen anwenden, wie das Beispiel der Grundbuchämter zeigt. Zur Nachhaltigkeit als Fundamentalprinzip intergenerationeller Gerechtigkeit J. Caspar, ARSP 1997, S. 352 ff. 316 Zum Kriterium des Allgemeinheitsbezuges der Begünstigungswirkung für die Gewichtung von Staatsaufgaben R. Scholz, ArchivPT 1995, S. 184 f.
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Einzelnen abhängig bleibt. Auf freiwilliger Grundlage 317 wird sich das Grundbuchwesen schon deswegen nicht realisieren lassen, weil damit nicht gesichert werden kann, dass wirklich alle Eigentumsänderungen registriert werden 318. Das staatliche Monopol legitimiert sich hierbei seinerseits aus der Effektivität der Güterbereitstellung. Im Rahmen theoretischer Überlegungen lässt sich dazu immerhin soviel anmerken, dass jedenfalls der direkte Einfluss auf den Produktionsvorgang, zumindest aber dessen effektive Überwachung durch staatliche Stellen gesichert sein muss. Ein Gegeneinwand liegt auf der Hand, dass hier nämlich lediglich von der spezifisch rechtlichen, aber inhaltlich beliebigen Handlungsform des Staates auf den Inhalt seiner Güterbereitstellungspflicht rückgeschlossen wird. Dieser Einwand übersieht, dass es immer sachliche Gründe sind, die eine staatliche Monopolstellung im Einzelfall - etwa am Beispiel der inneren oder äußeren Sicherheit - rechtfertigen. Dabei geht es freilich nicht um eine philosophische Letztbegründung, sondern immer um die Verständigung auf solche Güter, die allen in gleicher Weise zugute kommen sollen und damit letztlich um die ursprüngliche Solidarfunktion des Rechts. 3. Gerechte Regulierung des Güterzugangs bei knappen Gütern Ein weiteres Zurechnungskriterium ergibt sich aus der Notwendigkeit der staatlichen Zugangsregulierung zu staatlich-öffentlichen Gütern durch spezifische Sachkriterien, wenn deren Bereitstellung durch den Staat mit einem Verteilungsproblem verbunden ist. Verteilungsprobleme treten nicht bei allen Gütern auf, wie insbesondere die volkswirtschaftlichen Theorieansätze zu den reinen öffentlichen Gütern 319 belegen. Verteilungsprobleme entstehen aber bei solchen Gütern, bei denen die Nachfrage das staatliche Angebot übersteigt oder bei denen die theoretisch unbegrenzten Zugangsmöglichkeiten zu einem öffentlichen Gut jedenfalls rechtlich beschränkt sind. 317
Daran fehlt es etwa auch dann, wenn Private die Grundbücher als Beliehene führen würden und vom Staat zur Erhebung von Gebühren ermächtigt wären. 318 Selbstverständlich muss ein Gemeinwesen die Entscheidung treffen, ob es ein Grundbuch geben soll oder nicht. Das Effektivitätskriterium kann diese Entscheidung nicht ersetzen. Dass es auch ohne Grundbuch geht, zeigt das englische Beispiel. Ein funktionierendes Grundbuch ist auch keine unverzichtbare Voraussetzung für den Grundstücksverkehr, vergi. C. Engel, Die Verwaltung 1997, S. 437, der allerdings auch hervorhebt, dass durch ein verpflichtendes Grundbuch der Grundstücksverkehr zuverlässiger und preiswerter wird. Wenn man sich aber für ein allgemein verbindliches Grundbuch entscheidet, funktioniert dies nur als staatlich bereitgestelltes öffentliches Gut. 319 Oben C. II. 3.
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Die Verwirklichung des normativen Anspruchs der Zugangsregulierung für alle in grundsätzlich freier und gleicher Weise verlagert sich in diesen Fällen auf die Schaffung von gleichen Zugangschancen zu den vorhandenen öffentlichen Gütern, die durch sachgerechte Kriterien konkretisiert werden müssen. Die Schaffung gleicher Zugangschancen durch staatliches Recht bedeutet in diesen Fällen eine abstrakte Auswahl der zugangsberechtigten Personen nach sachgerechten Kriterien, die sich aus dem Zweck der Güterbereitstellung legitimieren oder die in der Person selbst begründet liegen. Inhaltliche Maßstäbe für die Zugangsregulierung durch staatliches Recht werden dabei insbesondere durch die Grundrechte vorgegeben. Wie oben gezeigt320, fügt sich die grundrechtlich abgesicherte Freiheitsdimension nicht in das Spektrum staatlicher Gütersektoren, sondern die aus den Grundrechten resultierende Freiheitsverantwortung des Staates überwölbt und beeinflusst die gesamte Güterproduktion des Staates. Das Privileg des Staates, den Zugang zu öffentlichen Gütern nicht durch den Wettbewerbsmechanismus des Marktes nur über den Preis zu öffnen bzw. öffnen zu müssen, sondern durch Recht, begründet zugleich seine Einstandspflicht, den Personen und der Sache angemessene Zugangskriterien zu entwickeln. Knappheit eines Gutes kann natürliche Ursachen haben, aber auch künstlich geschaffene durch die rechtliche Begrenzung des Zugangs, um etwa durch die Kontingentierung 321 von Zulassungszahlen unerwünschten Wettbewerb auszuschalten (quantitative Zugangsregulierung). Ein Verteilungsund damit ein Zugangsproblem tritt auch dann auf, wenn zwar im Prinzip jeder einen Anspruch auf Zugang zu dem betreffenden öffentlichen Gut hat, die Einlösung dieses Anspruchs aber an bestimmte rechtlich fixierte persönliche oder sonstige inhaltliche Zugangsvoraussetzungen geknüpft ist (qualitative Zugangsregulierung). In beiden Fällen hat der Staat sachlich angemessene Kriterien für die Regulierung des Zugangs zu dem betreffenden Gut zu bilden. Wenn knappe staatlich-öffentliche Güter für die Freiheitsausübung des Einzelnen als bedeutsam angesehen werden, ist der Staat dabei in besonderer Weise auf die Sicherung gleicher Zugangschancen für alle verwiesen. Man kann hier von einer staatlichen Bewirtschaftungs- oder Verteilungsverantwortung sprechen, die die Erforderlichkeit der Regulierung des Zugangs, spiegelbildlich des Ausschlusses vom Zugang zu öffentlichen Gütern automatisch mit sich bringt. Das gilt beispielsweise für die Vergabe von Studienplätzen wie auch bei den großen staatlichen Vorsorgesystemen, etwa für die Ausgestaltung der Rentenformel und die Faktoren, die dabei in 320 321
Vergi. Α. II. 5. c). Dazu P. Βadura y in: Festschrift Κ. H. Friauf, 1996, S. 529 ff.
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die Berechnung Eingang finden. Auch rechtliche Ordnungsstrukturen für den gesellschaftlichen Binnenverkehr unterliegen dem Gerechtigkeitskriterium322, das hier in seiner Ausprägung als Prinzip der ausgleichenden Gerechtigkeit wirkt. Konkretere Maßstäbe lassen sich für die Wahrnehmung dieser Verteilungsverantwortung auf der Grundlage einer Theorie öffentlicher Güter kaum bilden. Sachgerechtigkeit lässt sich ohne Bezugnahme auf das betreffende Gut, um dessen Verteilung es geht, nicht sinnvoll erörtern. Sachgerechtigkeit nimmt jedenfalls Bezug auf die sachliche Bedeutung und die Zweckrichtung der Bereitstellung des betreffenden Gutes. Weiter kommt es auf den potentiellen Nachfragehorizont an. Für die Festlegung, was im Einzelfall gerecht ist, wird in der Regel ein weiter Spielraum bestehen. Das Zugangs- oder Gerechtigkeitskriterium entfaltet seine kritische Bedeutung im Rahmen einer normativen Theorie öffentlicher Güter damit auch in negativer Richtung bei der Ausgrenzung von nicht sachgerechten Kriterien als eine Form der unzulässigen Zugangsbeschränkung. 4. Systemerhaltung und Systemanpassung der Güterbereitstellung Eine vierte Zurechnungslinie ergibt sich aus der durch das eigene vorangegangene Tun manifestierten Reichweite des staatlichen Steuerungsanspruchs gegenüber der Gesellschaft 323. Einem Minimalstaat, der sich beispielsweise um die Bereitstellung von Wirtschaftsstrukturgütern überhaupt nicht kümmert, wird man hohe Arbeitslosigkeit, Inflationsquoten oder wirtschaftliche Stagnation kaum zurechnen; ganz anders bei einem fürsorglichen Wohlfahrts- und Vorsorgestaat mit einer umfangreichen Güterproduktion im Bereich der Wirtschaftsstrukturgüter. Aus vorangegangenem Tun, etwa der staatlichen Errichtung von Vorsorgesystemen auf der Grundlage von gesetzlichem Zwang, folgt zunächst die Verpflichtung, für den Bestand des Gutes auch in der Zukunft in irgend einer Form Sorge zu tragen 324. Dies muss keineswegs die Erhaltung des Status quo bedeuten, ebenso wenig wie dadurch eine stärkere Verlagerung 322
Vergi, zur zentralen Bedeutung der Gerechtigkeit für das ganze Gesellschaftsgebäude A. Smith, The Theory of Moral Sentiments, 1976, S. 86. Smith gibt der Gerechtigkeit dem Eigennutz den Vorzug, dazu E.-J. Mestmäcker, Recht und ökonomisches Gesetz, 2. Aufl. 1984, S. 135; P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 101 ff. 323 Zu allgemeinen Tendenzen der Ausweitung des staatlichen Steuerungsanspruchs oben unter B. II. 324 Ähnlich J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 152 (S. 69).
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von Verantwortlichkeiten in den gesellschaftlichen Raum ausgeschlossen wird. In dem Maß, wie die staatliche Regulierung von Lebensbereichen damit die öffentliche Güterproduktion - zunimmt, wächst aber die (Mit-) Verantwortung für die sachlich betroffenen Lebensbereiche. Dieser spezifische Aspekt von Bereitstellungssicherheit schließt den staatlichen Rückzug aus der konkreten Güterproduktion zwar nicht grundsätzlich aus, erfordert aber jedenfalls dann angemessene Übergangsregelungen, wenn das betreffende Gut für die Freiheitsausübungschancen des Einzelnen als wesentlich bewertet wird und dieser auf die staatliche Güterbereitstellung zu Recht vertrauen durfte. Neben dieser auf den Bestand einzelner Güter oder jedenfalls auf zumutbare Übergänge beim staatlichen Rückzug gerichteten Verantwortung weist die staatliche Güterbereitstellung in ihrer Summe auch noch eine eigene Zurechnungsdimension auf, die als Verantwortung für die Richtung der gesellschaftlichen Entwicklung als Ganzes beschrieben wurde. Der omnipräsente Staat wird durch die Fülle seiner Güterproduktion oder zumindest seiner Beteiligung an der öffentlichen Güterproduktion zu einem immer bedeutsameren Steuerungsfaktor für die Gesellschaft. In dieser Funktion ist ihm längst eine neue Verantwortungsdimension zugewachsen, selbstverständlich nicht im Sinne von verbindlichen Zielvorgaben für die gesellschaftlichen Entwicklungen, aber doch als Verpflichtung zur Erhaltung von notwendigen Systemfunktionen und damit auch zum Offenhalten von Entwicklungschancen im Wandel 325 von Staat und Gesellschaft. Allerdings trägt der Staat nicht alleine und auch nicht die Primärverantwortung für die Zukunft. Wer aber vieles steuert oder mitsteuert, ist auch für vieles verantwortlich, nicht zuletzt für die notwendigen Innovationen und Anpassungen im Prozess der eigenen Güterbereitstellung 326. Dies gilt 325 Die Vorstellung, dass „Das Ende der Geschichte" (so Titel des Buches von F. Fukuyama , 1992) erreicht sei, ist zumindest in diesem vordergründigen Wortsinn offensichtlich ohne jeden realen Sinn. Allerdings ist Fukuyamas Kernthese in Wahrheit sehr viel differenzierter; vor allem geht er keineswegs von einem friedlichen Miteinander in der Zukunft aus, sondern von schweren „Schlachten des Geistes" und erkennt: „Keine Regierungsform, kein „sozio-ökonomisches System", ist in der Lage, alle Menschen an allen Orten zufrieden zu stellen, auch die liberale Demokratie nicht." (S. 440) Damit aber ist die Geschichte in Wahrheit wieder offen, denn „wer unzufrieden geblieben ist, wird immer wieder den Wunsch verspüren, die Geschichte neu zu beginnen". (S. 441) 326 H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 294 ff. sieht den Staat deswegen vor allem als „Moderator" und fordert eine leistungsstarke „wissensbasierte Infrastruktur", insbesondere für die Abschätzung von Risiken; vergi, auch ders., in: D. Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben, 1994, S. 702 ff. Soweit damit gemeint sein soll, dass staatliche Entscheidungskapazitäten auf der Höhe des Wissens der Zeit sein müssen, lässt sich gegen Willkes Forderung nichts einwenden. Soweit damit eine neue „Planungs-" - oder besser: - Wissenseuphorie verbunden ist, muss daran erin-
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nicht nur für die Erneuerung von staatsinternen Produktionsabläufen, sondern unter Umständen auch für die gesellschaftsinterne Güterproduktion 327, für deren Optimierung der Staat um der Erhaltung des Gesamtsystems als Basis von Freiheit und Wohlstand für alle in die Pflicht genommen wird. Sachlich überzeugend begründen lässt sich diese Inpflichtnahme allerdings nur in den Fällen, in denen private und kollektive Ratio in einen unerträglichen Widerspruch geraten, weil sie die öffentliche Güterbereitstellung 328 gefährden. Hier liegt es in der Verantwortung des Staates, die Produktionsbedingungen für die private Güter- bzw. Ungüterproduktion durch die Schaffung entsprechender rechtlicher Vorgaben so zu gestalten, dass eventuell bestehende Widersprüche zwischen dem individuellen Streben und dem kollektiv Vernünftigem auf ein erträgliches Maß reduziert werden 329. Eigennutz und Kollektivnutzen sollen und dürfen um der Freiheit willen zwar nicht in jedem Fall durch rechtliches Diktat zur Deckung gebracht werden; andererseits begründet ihre Diskrepanz eine spezifisch staatliche Verantwortung jedenfalls dann, wenn öffentliche Güter, die ihrerseits unverzichtbare Grundlage für die Freiheitsausübung und das gute Leben aller sind, dadurch beschädigt oder zerstört werden. Dies gilt gerade auch in längerfristigen Wirkungszusammenhängen. Bei hochkomplexen öffentlichen Gütern, die nur in Koproduktion von staatlichen und privaten Akteuren dauerhaft bereitgestellt werden können, kommt es besonders darauf an, die tatsächlichen Voraussetzungen für optimale Leistungen von Privaten angemessen zu erfassen, damit Private möglichst freiwillig, das heißt ohne staatlichen Zwang, aber möglicherweise motiviert durch staatliche Anreizstrukturen, die erforderlichen Handlungsbeiträge erbringen. Rechtsstrukturen, die zum gefahrlosen weil vorhersehbar sanktionslosen Gesetzesverstoß förmlich einladen (Schwarzfahrersyndrom), werden dieser Verantwortung nicht gerecht. Das gleiche gilt für Rechtsnert werden, dass staatliche Stellen prinzipiell keinen Wissensvorsprung gegenüber privaten Organisationen haben und dazu tendieren, ihr institutionelles Eigengewicht sowie ein gewisses Beharrungsvermögen einzubringen, vergi, zu dieser politikwissenschaftlich-institutionellen Sicht A. Windhoff -Héritier, in: D. Grimm, Staatsaufgaben 1994, S. 75 ff. 327 Charakteristisch das Stichwort von der staatlichen „Wachstumsvorsorge", H P. Ipsen, VVDStRL 24, S. 221 f. (Diskussionsbeitrag). 328 Durch staatliche Einwirkung nicht bewirtschaftete Gemeinschaftsgüter gibt es kaum mehr: Wasser, Boden, Luft, Klima, Sprache, Genreserven etc. sind alles Güter, die längst der - allerdings unterschiedlich intensiven - staatlichen Pflege unterliegen. 329 P. Behrens, Die ökonomischen Grundlagen des Rechts, 1986, S. 201 hält „besondere institutionelle Vorkehrungen" für die Vermittlung individueller und kollektiver Interessen für erforderlich. Eine gänzliche Aufhebung dieses latenten Widerspruchs kann und darf es allerdings nicht geben, da dies auf totalitäre Strukturen hinausliefe.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
strukturen, die die moralischen Voraussetzungen für die Geltung von Recht untergraben. Die Einstandspflicht für Reform und Innovation330 bei den Erhaltungsbedingungen von Staat und Gesellschaft werden damit zum permanenten Anknüpfungspunkt für konkrete Staatsaufgaben. Probleme, die als solche erkannt sind und nach Lösung drängen, die Private aber nicht oder nicht ausreichend lösen, können den Staat verpflichten, neue öffentliche Güter in seine Angebotspalette aufzunehmen bzw. bisher nicht regulierte natürliche Güter der staatlichen Bewirtschaftung zu unterwerfen 331. Die Förderung gesellschaftlicher Produktion und Innovation kann sich auf vielfältige Sachgebiete beziehen, im Zeichen eines zunehmenden internationalen Wettbewerbs vor allem auch auf die Schaffung bzw. Unterstützung hervorragender technologischer Ausgangslagen im Bereich von Bildung und Forschung. Die eigentliche Schwierigkeit besteht nicht in der Nennung von Problemlagen, sondern in der Abgrenzung derjenigen Aufgaben, für die eine staatliche Einstandspflicht trotz eines entsprechend großen Problemdrucks nicht gegeben ist. Das Innovationskriterium darf insofern nicht isoliert gesehen werden, sondern es vermag eine spezifische staatliche Vorrangverantwortung wiederum nur in Abhängigkeit vom Subsidiaritätsgedanken zu begründen. Der Subsidiaritätsgedanke zielt hierbei auf eine Unterlassungsverantwortung des Staates, wenn gesellschaftliche Innovationspotentiale tatsächlich bereits erkennbar mit der Problemlösung befasst sind. Jede einseitige staatliche Förderung würde hier nicht nur zur Verzerrung des Wettbewerbs der Ideen durch einseitige Bevorzugung der Geförderten und gleichzeitige Benachteiligung der nicht Geförderten führen, sondern sich vor allem auf die Innovationskraft der Gesellschaft insgesamt hemmend auswirken. Wo staatliche Förderung und damit Absicherung im Selbstverständnis gesellschaftlicher Problemlösungspotenzen quasi zur selbstverständlichen faktischen Voraussetzung des Eingehens auf mit Innovationen notwendigerweise 330
Innovation verstanden als Entwicklung und Einführung neuer Produkte, Verfahren und Strukturen, vergi. C. Bohret, Verwaltungsrundschau 1988, S. 48 f.; W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 13 ff. Der von Hoffmann-Riem verwandte Begriff der Innovationsverantwortung ist enger als hier und bezieht sich in erster Linie auf die rechtlich-instrumentelle Seite staatlicher Steuerung, etwa durch die Entwicklung neuer Instrumente („Instrumentenerfindungsrecht", S. 52), bzw. auf die Sicherung der Gesellschaftsverträglichkeit von Innovationen (ders., in: Dokumentation des VDI Technologiezentrums Düsseldorf, Januar 1996, Rechtliche Rahmenbedingungen für Forschung und Innovation, S. 12). Demgegenüber geht es hier gerade auch um die Einstandspflicht des Staates für die Hervorbringung von Erneuerungen durch Dritte, in dem er angemessene Rahmenbedingungen für entsprechende gesellschaftliche bzw. geistige Innovationen schafft. 331 Dazu H. Zacher, Festschrift P. Lerche, 1993, S. 116 („natürliche Gemeinschaftsgüter").
VII. Zurechnung: Vorrang staatlicher Güterproduktion
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verbundenen Risiken wird, werden kollektive Problemlösungsressourcen auf Dauer gelähmt und durch die Abhängigkeit von staatlicher Finanzfürsorge ersetzt. Zum entscheidenden Selektionsfaktor im Wettbewerb der Ideen wird dann leicht die staatliche Bürokratie. Dass der Staat aber prinzipiell kein gegenüber der Gesellschaft überlegenes Wissen besitzt, wurde bereits als eine tatsächliche Grenze staatlicher Güterproduktion hervorgehoben 332. Allenfalls verfügt er über ein Mehr an finanziellen Ressourcen. Diese Überlegenheit birgt wiederum nicht nur Chancen, sondern auch spezifische Gefahren für ein optimales Ergebnis im Ideenwettbewerb. Denn über den Einsatz von Fördermitteln kann er ohne jedes wirtschaftliche Eigenrisiko entscheiden, jedenfalls solange wie sich die Ressource Geld kontinuierlich aus Steuermitteln und nicht aus wirtschaftlichem Eigenerfolg erneuert. Staatliche Innovationsverantwortung als Förderung gesellschaftlicher technologischer und sonstiger Entwicklungen muss deswegen streng durch den Subsidiaritätsgedanken gefiltert werden. Zumindest darf der Risikoaspekt privater Innovation durch die staatliche Förderung nicht ausgeschaltet werden 333. Auf der anderen Seite verfügt aber auch die Gesellschaft nicht prinzipiell über ein Mehr an Problemlösungskapazitäten. Dies bezieht sich insbesondere auch auf die Erkenntnismöglichkeiten von Chancen und Risiken gesellschaftlicher Entwicklungen. Gesellschaftliche Kräfte genießen aus erkenntnistheoretischen Gründen kein natürliches „Prä" vor den staatlichen Erkenntnis- und Wissenskapazitäten. Innovationsverantwortung des Staates muss deswegen grundsätzlich auch auf die Verhinderung privater Monopole zielen, soweit sie zu einer faktischen Ausschaltung von gesellschaftlichen Problemlösungskapazitäten und von Wettbewerb durch die private Anhäufung von wirtschaftlicher und politischer Macht führen. Die praktische Schwierigkeit bei der Wahrnehmung dieser Verantwortung besteht darin, das Entstehen von Monopolen zu verhindern, ohne auf diesem Gebiet selbst zum Monopolist zu werden 334. Ein weiterer Aspekt kann im Zusammenhang mit der staatlichen Systemerhaltungsfunktion eine zurechnungsbegründende Rolle spielen. Die Produktpalette des Staates weist einen beachtlichen Umfang auf. Die staatliche Güterproduktion darf deswegen nicht nur isoliert im Hinblick auf einzelne Güter betrachtet werden, sondern sie muss auch als ein ganzes System oder 332
Oben C. III. 2. Eine Möglichkeit zur Lösung des Problems ist die Delegation der Entscheidungen und der Erfolgskontrolle an Fachgemeinschaften mit entsprechendem Sachverstand, wie etwa im Beispiel der Deutschen Forschungsgemeinschaft. 334 M. Walzer, Sphären der Gerechtigkeit, 1992, S. 22 und S. 399 ff. Eine andere Frage ist es dagegen, wodurch staatliche Monopole - allen voran das Gewaltmonopol - ihrerseits legitimiert werden. 333
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Netz von Gütern gesehen werden. Der Netzgedanke veranschaulicht die Tatsache, dass die Produktionsbedingungen für die einzelnen Güter ihrerseits in zahlreichen, im einzelnen schwer aufzuschlüsselnden Wechselbeziehungen untereinander stehen. Diese Wechselwirkungen können positiver und negativer Art sein. Wenn feststeht, dass bestimmte öffentliche Güter notwendigerweise durch den Staat bereitzustellen sind, müssen Produktion und Produktionsbedingungen (tatsächliche, finanzielle und rechtliche Ressourcen) der jeweiligen Einzelgüter zueinander in Beziehung gesetzt werden. Unerwünschte Effekte treten dabei nicht selten bei der Produktion ganz anderer Güter auf, was sich bei isolierter Betrachtung der Produktionsstruktur eines einzelnen Gutes gar nicht erschließt 335. Angesichts der Dimension der staatlichen Produktpalette gehört es zu den Hauptschwierigkeiten, eine bewertende Zusammenschau der einzelnen Güter, ihrer Produktionsbedingungen, ihrer Wechselwirkungen und ihrer unerwünschten Nebenfolgen zu leisten 336 . Im Unterschied zu allen gesellschaftlichen Gruppen ist der Staat aber trotz aller Schwierigkeiten und Beschränkungen, denen auch er bei der öffentlichen Güterproduktion unterliegt, immer noch die einzige Instanz, die überhaupt die Chance hat, auf diese Wechselbeziehungen durch Veränderungen in der öffentlichen Güterproduktion mit Verbindlichkeitsanspruch gestaltend Einfluss zu nehmen. Dies bedeutet nicht, dass er dazu in jedem Fall alleine ohne freiwillige gesellschaftliche Beteiligung in der Lage ist. Die theoretisch fundierte staatliche „Netzverantwortung" - ältere Sprachgebräuche würden vielleicht von der staatlichen Gemeinwohlverpflichtung sprechen - wird weder durch faktische staatliche Ineffizienzen noch durch das vielfach festgestellte staatliche Überforderungssyndrom widerlegt. Die unbestreitbaren Schwächen und die Tatsache weitreichender Kooperationsgeflechte zwischen staatlichen und gesellschaftlichen Akteuren dürfen aber nicht darüber hinweg täuschen, dass die staatliche Netzverantwortung und die Austarierung der gesamten Güterproduktion durch verbindliches Recht in weiten Bereichen nicht ersetzbar ist. Die Einstandspflicht des Staates bedeutet in diesem Zusammenhang nicht, das Netz öffentlicher Güterproduktion so dicht wie möglich zu knüpfen, sondern, um im Bild zu bleiben, 335
Die politischen Entscheidungsstrukturen, die durch das Ressortprinzip verfassungsrechtlich verfestigt sind, begünstigen eine ressortspezifische Denk- und Handlungsweise, die einem ganzheitlichen Ansatz strukturell abgeneigt ist. 336 Die entsprechende Kritik am Staat ist hinreichend bekannt, vergi, nur H Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 262 ff. (302); J. Habermas, Faktizität und Geltung, 4. Aufl. 1994, S. 416 ff. Danach sucht der „Supervisionsstaat" in „nicht-hierarchischen Verhandlungssystemen eine Abstimmung mit gesellschaftlichen Funktionssystemen" (S. 418). Der hierbei in die Staatstheorie gewendete Glaube an die Kraft des herrschaftsfreien Diskurses ist offensichtlich und löst das Problem der notwendigen Staatsaufgaben in einem formalen Verfahren auf.
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die Sorge dafür, dass das Netz insgesamt brauchbar bleibt und nicht reißt, weil die Belastungen an einigen Stellen zu stark werden. Insoweit könnte man auch von der Pflicht zur Vermeidung systemischer Verzerrungseffekte sprechen. Die Pflicht zur Vermeidung solcher im Gesamtsystem staatlicher Güterproduktion angelegten Verzerrungseffekte, die zur Beschädigung oder Zerstörung eines anderen notwendigen Gutes führen können, wirkt sich verfahrensmäßig und damit rechtlich greifbar in dreifacher Hinsicht aus: erstens, die Pflicht zur Beobachtung und, soweit möglich, zur vorausschauenden Bewertung von unerwünschten Effekten; zweitens, die Pflicht zu deren Zusammenschau und die Herstellung des praktischen Ausgleichs bei der Produktion von einander zumindest heute noch widersprechenden Gütern bzw. Zwecken (klassisch: Ökonomie und Ökologie) und die Minimierung von unerwünschten Nebenfolgen sowie drittens die Pflicht zur Beachtung der Vorrangrelation notwendiger Güter gegenüber anderen, ebenfalls staatlich bereitgestellten Gütern. Aus dem beschränkten Wissen über die möglichen Auswirkungen des eigenen Tuns auf das Netz notwendiger und anderer öffentlicher Güter einerseits und aus der tendenziell erdrückenden Wirkung staatlicher Intervention auf gesellschaftliche spontane Problemlösungspotenzen andererseits lässt sich als eine Facette des Netzwerksgedankens das Gebot zur Behutsamkeit bei praktischen Problemlösungen ableiten. Behutsamkeit umfasst auch die optimale Nutzung bzw. Aktivierung von vorhandenen gesellschaftlichen Problemlösungskompetenzen und Produktionsressourcen für die Herstellung öffentlicher Güter. Als spezifischer Aspekt der (Netz-) Verantwortung des Staates kann die Pflicht zur Begrenzung von schädlichen Wachstumsprozessen, die ungebremst unter Umständen zu katastrophalen Folgen führen können 337, gedeutet werden. Diese staatliche Begrenzungsverantwortung lässt sich in rechtsexterner und in rechtsinterner Richtung konkretisieren. Das moderne gesetzte Recht führt wegen seiner Lenkungsfunktion häufig zu externen Wachstumsprozessen in der Gesellschaft und bei den natürlichen Lebensgrundlagen, wobei diese Wachstumsprozesse nicht unmittelbar intendiert sein müssen. So wurde durch rechtliche Ordnungsprozesse im Straßenverkehr die technische Evolution von Fahrwegen, Fahrzeugen und Transportleistungen überhaupt erst ermöglicht, freilich auch mit ihren negativen Konsequenzen338. 337
H. Helsper, in: R. Riedl/M. Delpos (Hrsg.), Die Ursachen des Wachstums. Unsere Chancen zur Umkehr, 1996, S. 247 ff. 338 H Helsper, in: R. Riedl/M. Delpos (Hrsg), S. 249.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Schädliches Wachstum wird etwa in sich verstärkender Lärmbelastung, in der Beeinträchtigung von natürlichen Lebensgrundlagen oder im Flächenverbrauch freigesetzt. Vergleichbares gilt für weite Bereiche der riskanten Technologien. Es gibt aber nicht nur ein durch das Recht ermöglichtes schädliches Wachstum, sondern ebenso die Begrenzung schädlicher Wachstumsprozesse durch Recht. Die Einführung verbindlicher rechtlicher Nutzungsregelungen für die Allmenden als Reaktion auf Raubbau und Übernutzung 339 zielen auf die Begrenzung schädlicher, weil die Ressource, die als gemeinsame Wirtschafts· und Lebensgrundlage dient, aufzehrende Wachstumsprozesse340. Das Allmendemodell, hier verstanden als ein die staatliche Verantwortung begründendes Modell für die Begrenzung schädlichen Wachstums, lässt sich auf die ökologische Problematik (Verschmutzung natürlicher Lebensgrundlagen, Müllberge etc.) weithin übertragen. Tatsächlich kann das moderne Umweltrecht, das in der Hauptsache eine Ausprägung des Vorsorgeprinzips darstellt 341, in weiten Teilen als Versuch der Steuerung und Begrenzung unerwünschter Wachstumsprozesse interpretiert werden. Vorsorge ist in diesem Kontext wesentlich der Versuch, negative Wachstumsprozesse zu begrenzen und aufzuhalten 342. In der binnengerichteten Perspektive geht es um Wachstumsprozesse innerhalb des Rechtssystems selbst. Auch hier gibt es schädliches Wachstum, wenn erwünschte Verrechtlichung in unerwünschte Rechtserzeugung umschlägt. Die Phänomene zunehmender Verrechtlichung und Differenzie339
Vergi. G. Hardin , in: Μ. Lohmann (Hrsg.), Gefährdete Zukunft, 1970, S. 29 ff.; dazu C. Gramm, JZ 1990, S. 907 f. 340 Als aktuelleres Beispiel für die staatliche Begrenzungsfunktion mag die „Heizkostenfalle" dienen. Erst die Begrenzung des Heizenergieverbrauchs in Mehrfamilienhäusern, der ursprünglich pauschaliert ohne Rücksicht auf den individuellen Verbrauch abgerechnet wurde, durch die rechtlich verordnete Einführung einer individuellen Heizkostenabrechnung wird ein schonender Umgang mit Energieressourcen und damit die Begrenzung des Verbrauchs wahrscheinlich. Der Verbrauch an Energie wird individualisiert und damit zugleich die persönliche Nutzung der Allmende für den Einzelnen spürbar. Durch den rechtlich verordneten Zwang zur nutzungsorientierten Abrechnung bekommt der einzelne Heizenergienutzer ein greifbares, nicht nur idealistisches Interesse an der Begrenzung seines eigenen Verbrauchs, denn erst jetzt kommt sparsames Eigenverhalten auch ihm selbst zugute, weil er sich darauf verlassen kann (Erwartungsstabilität), dass der Mehrverbrauch der anderen nicht zu seinen Lasten geht, wenn er beim Energieverbrauch behutsamer verfährt. 341 R. Wahl/1. Appel in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 72 ff. 342 Dies gilt für den Vorsorgebegriff allerdings nicht uneingeschränkt, wie das Stichwort von der „Staatsaufgabe Wachstumsvorsorge" (H. P. Ipsen, VVDStRL 24, S. 221 f.) anschaulich belegt.
VIII. Sektorspezifische Verantwortung des Staates
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rung des Rechts, gerade auch durch genuin verfassungsrechtliche Strukturen wie die staatlichen Schutzpflichten oder die Wesentlichkeitstheorie, sind bekannt343. Obwohl die Normenflut einerseits und die Auflösung des Rechtsgedankens durch ein Übermaß an Einzelfallgerechtigkeit andererseits regelmäßig beklagt werden, sind Parlamente, Regierungen und Verwaltung, Justiz und Wissenschaft auf die Wachstumsbegrenzung ihrer eigenen Produktion nicht eingerichtet 344. Schädlich wird Rechtsexpansion dann, wenn dadurch all die anderen außerrechtlichen sozialen Normsysteme, die menschliches Handeln in Form und Bahn bringen und wechselseitig berechenbar machen, verdrängt werden, ohne diese wirklich ersetzen zu können. Solch „inflationäres Recht" führt unweigerlich zur Zerstörung anderer Normsysteme und ihrer selbstregulativen Kräfte. Gefährlich ist dieses expansive Wachstum, weil zuletzt nicht nur der Staat, sondern die Geltung des Rechts selbst auf die Funktionsfähigkeit von außerrechtlichen Normsystemen in hohem Maße angewiesen ist 3 4 5 . Damit aber droht dem Recht selbst die Erosion. Erforderlich ist die Entwicklung eines Augenmaßes für die sozialen Lebenssachverhalte, die einer rechtlichen Durchdringung nicht oder doch nur sehr eingeschränkt zugänglich sind. Der Staat hat mit anderen Worten nicht nur eine Verantwortung für die Erzeugung von Recht, sondern auch für die Begrenzung seines eigenen rechtserzeugenden Tuns. V I I I . Sektorspezifische Verantwortung des Staates 1. Sektoren vorrangiger staatlicher Verantwortung Die gewonnenen Leitlinien staatlicher Verantwortlichkeit sind auf die sieben Gütersektoren zu projizieren. Zu prüfen ist, ob sich sektorspezifisch differenzierte Verantwortlichkeiten im Hinblick auf die Intensität der staat343
Als exteme Faktoren des Rechtssystems, die auf Verrechtlichung und Ausdifferenzierung drängen, kommen die gewaltigen Erwartungen der Rechtsunterworfenen an die Steuerungskapazität des Rechts hinzu, die wiederum seiner eigenen Inflationierung Vorschub leisten, vergi. J. N. Druey, SJZ 92, S. 449, 452. 344 Bescheidene Ansätze finden sich allenfalls im Bereich der Gesetzgebung, etwa die sogenannten „Blauen Prüffragen" der Bundesregierung, der Gedanke einer zeitlich begrenzten Geltung und Erprobung von Gesetzen („Gesetze mit Verfallsdatum") oder die verstärkte präventive Evaluation der fiktiven Geltung von Gesetzen (Rechtsfolgenforschung). 345 Dazu J. Braun, Freiheit Gleichheit Eigentum, 1991, S. 156 ff.; J. N. Druey, SJZ 92 (1996), S. 449 ff., der deswegen eine „Art ökologisches Gleichgewicht von verschiedenen Ordnungskräften" fordert, das seinen Ausdruck vor allem darin finden soll, dass das Recht sich als Steuerungsinstrument verweigert, wo es durch Instrumentalisierung für rechtsfremde Zwecke überfordert ist. 21 Gramm
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
liehen Einstandspflicht begründen lassen. Soweit dabei Unterschiede bestehen, kann auf einen entsprechenden Vorrang innerhalb der staatlichen Güterproduktion rückgeschlossen werden. In den Sektoren der Status- und der Ordnungsgüter besteht eine ausgeprägte staatliche Verantwortlichkeit. Das Mangel- und das Effektivitätskriterium begründen seine Einstandspflicht. Nur der Staat kann Statusgüter für alle verbindlich bereitstellen. Verbindlichkeit bedeutet hier den Ausschluss jeder Privatinitiative, den gesetzlich eingeräumten Rechtsstatus - beispielsweise das Wahlrecht - zu negieren oder zu manipulieren. Einfluss haben Private nur im Hinblick auf die tatsächlichen Voraussetzungen, an die der jeweilige Rechtsstatus anknüpft. Auch Ordnungsgüter werden potentiell für alle und häufig ohne konkrete Gegenleistung bereitgestellt, was nur auf der Grundlage einer gesicherten Finanzierung über Steuern möglich ist. Erst dadurch wird die staatliche Güterbereitstellung von der konkreten Gegenleistung unabhängig. Diese Gegenleistungsunabhängigkeit bildet wiederum die entscheidende Voraussetzung dafür, dass die Güterproduktion wirklich für alle in gleicher Weise durch die Schaffung prinzipiell gleicher Zugangsbedingungen bzw. Zugangschancen erfolgen kann. Der Vorrang staatlicher Verantwortlichkeit wird sich wiederum regelmäßig aus den Zurechnungskriterien des Mangels und der Effektivität ergeben, wonach Private strukturell nicht in der Lage sind, flächendeckend verpflichtende (Rechts) Normen für alle zu schaffen, die ihren Rechtsstatus im Staat oder verbindliche Verhaltensregeln im gesellschaftlichen Verkehr festlegen: Der Anordnungsbefehl einer allgemeinverbindlichen Geltung von Recht kann durch Private nicht erteilt werden. Das sogenannte Gewaltmonopol findet hier, nämlich in der verbindlichen Setzung und der effektiven Durchsetzung von Recht, seine eigentliche legitimationstheoretische Grundlage, als Mittel zur Einlösung des rechtlichen Anspruchs auf Allgemeinverbindlichkeit. Auch staatliche Schutz- und Vorsorgeleistungen für alle, insbesondere auch für zukünftige Generationen durch die Begrenzung schädlicher Wachstumsprozesse im Bereich der natürlichen Umweltgüter, kann effektiv nur der Staat erbringen. Dies bedeutet nicht, dass er dabei nicht in erheblichem Umfang Private in die Güterproduktion einschalten soll oder sogar muss oder dass Private nicht ihrerseits Verantwortung für die Zukunft tragen. Es gibt aber einen klaren Vorrang des staatlichen Anteils an der Güterproduktion beim Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen. Schließlich gehören die rechtsstaatlichen Instrumente für die staatliche Güterproduktion in den Ordnungssektor. Staatliche Verantwortung bezieht sich hier auf die Verpflichtung, effektive Mittel zu entwickeln und einzusetzen.
VIII. Sektorspezifische Verantwortung des Staates
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Eben so wenig wie die Schaffung verbindlicher Gesetze für die gesellschaftlichen Abläufe können Private die staatliche Selbstorganisation unter Einschluss demokratischer Organisationsstrukturen oder die Finanzierung des Staates und seiner Aufgaben gewährleisten. Entsprechendes gilt für den wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Ordnungsrahmen. Wie viel an staatlicher Organisation, an Schutz und Sicherheit, an gesellschaftlicher (Rechts-) Ordnung es bedarf und welche konkreten Ordnungsgüter der Staat dabei mindestens bereit zu stellen hat, lässt sich allerdings auf dem Boden von theoretischen Überlegungen nicht abschließend formulieren. Bei der Bestimmung, welche konkreten Güter des jeweiligen Sektors im einzelnen bereitzustellen sind, stößt die Theorie ebenso wie beim Mindestumfang - der Quantifizierung - öffentlicher Güterbereitstellung an Grenzen. Entscheidend kommt es dabei letztlich auf die kollektive Problemwahrnehmung und ihre Filterung im demokratischen Entscheidungsprozess an, aber auch auf die instrumentelle Dimension, inwieweit die tatsächlich bereit stehenden Instrumente geeignet sind, vorgegebene bzw. intendierte Zwecke zu verwirklichen. Überspitzt formuliert: Gegen die Ignoranz der in einer bestimmten Zeit maßgeblich agierenden Menschen, die ihnen auferlegten Probleme zur Kenntnis zu nehmen und einer Lösung zuzuführen, ist jede noch so feinsinnige Staatstheorie hilflos. Was die Theorie neben dem Nachweis der sektorspezifisch differenzierten Verantwortlichkeit des Staates dagegen im Hinblick auf bestimmte einzelne Güter leisten kann, ist die Begründung des Vorranges der staatlichen vor der privaten Güterbereitstellung. Ein Gemeinwesen, das auf die Bereitstellung dieser vorrangigen Güter nicht verzichten will, kann den staatlichen Produktionsanteil nicht einfach aufgeben und im Wege der Privatisierung in die ausschließlich gesellschaftliche Verantwortlichkeit verlagern. In diesem Sinn kann man von unverzichtbaren öffentlichen Gütern bzw. von notwendigen Staatsaufgaben sprechen. Dies ist zwar weniger, als ein Katalog von unveränderlichen staatlichen Kernaufgaben, aber immerhin mehr als die beliebige Dezision über den Bestand des Unverzichtbaren. So liegt es auf der Hand, dass ein Staat ohne ein Mindestmaß an Ordnung nicht funktionieren kann 346 . Es ist evident, dass ohne staatlich garan346
Auch hier dürfte man leicht in das Dilemma der „Bratpfannenrechtsprechung 44 zum der Menschenwürde entlehnten Gebot geraten, das Existenzminimum staatlicherseits bereit zu stellen: Der Versuch, auf der Ebene grundsätzlicher Aussagen festzulegen, wie viele Polizisten, Verbotsschilder und Verkehrsregeln man tatsächlich braucht, läuft auf die Banalisierung des hohen öffentlichen Gutes des inneren Friedens hinaus. Gleiches gilt für die Festlegung von Grenzwerten beim Umweltschutz: Konkrete Quantifizierungen lassen sich mit grundsätzlichen Debatten nicht in den Griff bekommen, zumal dann nicht, wenn das Wissen über die Wirkungszusammenhänge einigermaßen unsicher ist. Dies erscheint um so tragischer, als es ver21
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
tierte Sicherheit und Ordnung gutes menschliches Leben in einer komplexen Gesellschaft kaum möglich sein dürfte. Gleiches gilt für die Festlegung von bestimmten Statusgütern, zumal bei dieser Frage das Vorverständnis die weltanschaulich geprägten Werthaltungen etwa zum Problem, wer Staatsbürger sein darf und wer nicht, - besonders viel Gewicht hat. Immerhin gibt auch das Kriterium der objektiven Bedeutung von Gütern im Hinblick auf die Zweckrichtung ihrer Bereitstellung gewisse Orientierungshinweise. So haben Vorfahrtsregeln im Straßenverkehr im Hinblick auf mögliche Unfallfolgen, die dadurch gerade vermieden werden sollen, in der Regel ein anderes sachliches Gewicht als Parkverbote, die lediglich der Freihaltung bestimmter Flächen dienen. Internationale und supranationale Ordnungsgüter kann gleichfalls nur der Staat - im Zusammenwirken mit anderen Staaten oder supranationalen Organisationen - effektiv bereit stellen, da Private keine Völkerrechtssubjekte sind und folglich strukturell handlungsunfähig sind, gemessen am intendierten Erfolg 347 . Die schwer zu bestreitende Tatsache, dass immer mehr öffentliche Güter effektiv nur noch in internationaler Zusammenarbeit oder durch supranationale Organisationen bereit gestellt werden können, nimmt den Staat als Ordnungsgröße in die Pflicht, sich an der Schaffung internationaler oder supranationaler Formen der Güterbereitstellung zu beteiligen348 und damit gegebenenfalls zu seiner eigenen Überwindung jedenfalls ein Stück weit beizutragen. Gegenüber mehr oder weniger weltweit operierenden wirtschaftlichen Potenzen ist der Nationalstaat im Begriff zu einer sekundären Ordnungsgröße herabzusinken, der sich Großunternehmen mühelos entziehen können. Gleichzeitig ist der Staat aber auf deren gleichsweise leicht ist, sich auf die Erforderlichkeit grundsätzlicher Güterproduktionen zu verständigen. Da die Schwierigkeiten aber immer im Detail stecken, hängt die Frage der inneren Sicherheit im Ergebnis tatsächlich jedenfalls auch an der ausreichenden Zahl von Polizisten. An diesem Punkt erweist sich die Theorie als hilflos. 347 Die „NGO's" (non gouvernmental organisations) bilden insofern keine Ausnahme, als sie keine Völkerrechtssubjekte sind und trotz manchmal hohem Aufmerksamkeitswert in den öffentlichen Medien - erinnert sei nur an die spektakulären Aktivitäten von Greenpeace - keine internationale Rechtsverbindlichkeit schaffen können. Eine Typologie der grenzüberschreitenden Aktivitäten gesellschaftlicher Kräfte und ihres Verhältnisses zur staatlichen Außenpolitik leistet M. Heintzen, Private Außenpolitik, 1989 (zu Umwelt- und Naturschutzorganisationen S. 71). 348 R. Brandt, Der Staat 27, S. 506 ff./516 sieht in der „globalen Rechtsverwirklichung" sogar „die einzig mögliche Aufgabe des Staates"; eine Weltrepublik als Minimalstaat fordert O. Höffe, Universitas 1996, S. 885 ff. Sekundär zu den Primärstaaten (Nationalstaaten), deren Hauptaufgabe die Rechts- und Friedenssicherung bleibt, soll die Weltrepublik nur durch einen äußerst restriktiven Begriff der Staatsaufgaben gekennzeichnet sein. Im wesentlichen geht es dabei um die den Einzelstaat überschreitenden Handlungsbereiche (ökologische Schäden, internationale Verbrechensbekämpfung etc., vergi, dazu oben C. III. 4.).
V . Sektorspezifische Verantwortung des Staates
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wirtschaftliche Aktivitäten als Steuerstaat angewiesen. Verantwortung des Staates bedeutet hier, sich für die Erfüllung derjenigen Aufgaben mit anderen Staaten zusammenzutun, die der einzelne Staat alleine nicht mehr effektiv wahrnehmen kann. Die Frage nach der Effektivität möglicher Problemlösungen im nationalen Alleingang oder im Verbund mit anderen Staaten bzw. durch Abgabe entsprechender Kompetenzen an supranationale Gemeinschaften ist aus güterbezogener Sicht dabei der entscheidende Maßstab. Daneben treten selbstverständlich auch noch andere Maßstäbe, insbesondere die Beachtung der Grundrechte. Strukturell stellen sich hier die gleichen Probleme wie beim Übergang von der privaten zur sachlich notwendigen staatlichen Produktion. Die Schwelle, die einen internationalen Zusammenschluss bei der Güterproduktion rechtfertigt, bestimmt sich nach den gleichen Zurechnungsprinzipien. Status-, Ordnungsgüter und supranationale Strukturgüter nehmen damit aus strukturellen Gründen eine klare Vorrangstellung vor der privaten Produktion ein. Auch innerhalb der staatlichen Gütersektoren haben sie eine herausragende Position. Ihre Bereitstellung gehört jedenfalls auf einem gewissen Mindestniveau prinzipiell zu den notwendigen und privatisierungsfesten Staatsaufgaben, weil der Staat in diesen drei Sektoren alleine zu flächendeckendem Handeln befähigt ist. Diese Fähigkeit nimmt ihn für die Güterbereitstellung in grundsätzlicher Weise in die Pflicht 349 . Dort. WO eine entsprechend hervorgehobene Verantwortung des Staates besteht, darf die Bereitstellung öffentlicher Güter nicht unter ein gewisses Mindestniveau absinken. Es ist üblich geworden, dieses in etlichen Lebensbereichen auftretende Problem des Mindestniveaus mit dem Stichwort von der Grundversorgung zu belegen. Ursprünglich auf die Sicherstellung eines freien Informationsflusses im Rundfunkbereich gemünzt350 ist der Terminus inzwischen auch für staatliche Entsorgungsaufgaben 351 und in traditionellen Eingriffsbereichen 352 , für die Sicherung des Existenzminimums353 und neuerdings in den 349 Zum Grundsatz der Effektivität der Aufgabenerfüllung aus verfassungsrechtlicher Sicht K. Hesse, Ausgewählte Schriften, 1984, S. 104 f.; W. Krebs, HStR III, 1988, § 69 Rdn. 77; BVerfGE 63, 1/34; auch 68, 1/86; H.-H. Trute, DVB1. 1996, S. 956; unten D. I. 2. 350 Begriffsprägend war die Rechtsprechung des BVerfG zur „unerlässlichen Grundversorgung" durch öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalten, BVerfGE 73, 118/ 157 f.; zuletzt E 89, 144/153 und E 90, 60/90. Der verfassungsrechtliche Auftrag zur Öffentlichkeitsarbeit (BVerfGE 44, 125/147 f. und 66, 230/242 f.) berührt sich sachlich mit dem Grundversorgungsauftrag des Rundfunks, vergi. M. Sachs, DVB1. 1995, S. 890 (FN 165). 351 P. Tettinger, VVDStRL 54, S. 343. 352 Vergi. C. Gusy, StWStP 1994, S. 204 ff. („sicherheitsrechtliche Grundversorgung").
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Bereichen Telekommunikation und Postdienstleistungen354 und sogar in einem ganz allgemeinen Sinn für die Kultur 355 gebräuchlich. Freilich enthebt dieses Schlagwort mit seiner normativen Stoßrichtung, eine materielle staatliche Verantwortungspriorität zu begründen, nicht von der Notwendigkeit, in allen Gütersektoren im Einzelfall festzulegen, was als grundversorgungsgerechter Leistungsstandard im Sinne der gebotenen Effektivität bei der Aufgabenerfüllung zu gelten hat. Das Problem stellt sich prinzipiell unabhängig davon, ob es um traditionell rechtsstaatliche Aufgabenbereiche der Eingriffsverwaltung oder eher um leistungsstaatliche Aufgabenbereiche geht. Im juristischen Diskurs steht es damit als Platzhalter für das Mindestniveau öffentlicher Güterproduktion, ohne dieses Niveau schon selbst präzise zu beschreiben. Theoretische Überlegungen vermögen zwar nicht das erforderliche Mindestniveau im einzelnen festzulegen. Immerhin können sie einen Beitrag zur Strukturierung und Disziplinierung der Effektivitätsdiskussion leisten, in dem sie an die vier Verwirklichungsressourcen der rechtlichen Instrumente, des erforderlichen Personalbestandes, der erforderlichen Sachmittel sowie der Finanzierung anknüpft. Ohne die Einbeziehung dieser faktischen Dimension und ihrer immanenten Entwicklungsmöglichkeiten, die die Handlungsmöglichkeiten des Staates bei der Aufgabenerfüllung wesentlich bestimmen, macht es wenig Sinn, über Minimalversorgungsstandards zu streiten. Ähnlich wie bei gewissen Tendenzen in der Grundbedürfnisdiskussion 356 besteht dabei die Gefahr, das Gewünschte ohne Rücksicht auf das tatsächlich Machbare zu umschreiben. Die konkrete Festlegung des jeweils als angemessen erachteten Grundversorgungsstandards muss deswegen in Abhängigkeit vom Entwicklungsund Leistungsstand einer Gesellschaft bzw. eines Staates erfolgen, wobei diese Abhängigkeit in den besonders kostenintensiven Gütersektoren (Sozialgüter, Infrastruktur, geistige Güter) tendenziell zunimmt: Auch arme Staaten unterhalten ein Polizeiwesen, aber nicht unbedingt eine Sozialversicherung. Die private Güterproduktion kann ihrerseits die öffentliche Güterproduktion beeinflussen. In dem Maß, wie wohlhabende Eliten - wenn auch nur partielle - Sicherheit in ihrem Wohngebiet oder Bildung an Privatschulen als Privatleistung einkaufen, wird der Druck zur Erhaltung hoher staatlicher 353 V. Neumann, NVwZ 1995, S. 426 unter Hinweis auf BVerfGE 1, 97/104; 40, 121/133; BVerwGE 1, 159; 25, 23/27 und 307/317; 35, 178/180 f. 354 Die Formulierung des Art. 87 f Abs. 1 GG (flächendeckend angemessene und ausreichende Dienstleistungen) ist Ausdruck des Grundversorgungsgedankens. Vergi, auch §§ 17 ff. TKG und §§ 11 ff. PostG. 355 „kulturelle Grundversorgung", S. Kadelbach, NJW 1997, S. 1117. 356 Vergi. Ε. H. Riedel, Theorie der Menschenrechtsstandards, 1986, S. 186 ff.
VIII. Sektorspezifische Verantwortung des Staates
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Leistungsstandards bei der öffentlichen Güterproduktion jedenfalls faktisch abnehmen. Die Gefahr des Qualitätsverlustes der verbleibenden staatlichen Organisationen ist nicht von der Hand zu weisen357. Solche Überlegungen können hier nur angedeutet werden; im Rahmen von Grundzügen einer juristischen Theorie öffentlicher Güter lassen sie sich nicht weiterverfolgen. Bei aller privaten Leistung bleibt aber der staatliche Beitrag zur Sicherheitsproduktion unverzichtbar. Einem möglichen Gegeneinwand ist an dieser Stelle vorbeugend zu begegnen. Dieser Einwand könnte lauten, dass die vorrangige Verantwortung des Staates für die Bereitstellung bestimmter Güter hier in Wahrheit nicht über Inhalte begründet wird, sondern alleine über die exklusiven Formen staatlichen Handelns und insofern mehr oder weniger beliebig sei. Dieser Einwand übersieht, dass die Formen staatlichen Handelns keineswegs beliebig sind, sondern den jeweiligen Gütersektoren und damit spezifisch inhaltlichen Grundausrichtungen folgen - nicht als Selbstzweck reiner Machtentfaltung, sondern um der Bereitstellung bestimmter Güter willen, die nur auf dieser Machtgrundlage tatsächlich für alle bereitgestellt werden können. Die Machtbasis bleibt lediglich die abstrakte Voraussetzung, ohne die sich die staatliche Sachverantwortung für die Regulierung eines gleichen Güterzugangs oder jedenfalls der Sicherstellung gleicher Güterzugangschancen für alle nicht realisieren lässt.
2. Staatliche Verantwortung in anderen Sektoren Im Sektor der Sozialgüter stellen sich die grundsätzlichen staatlichen Verantwortungsstrukturen in anderer Weise dar. Im Gegensatz zu Status-, Ordnungs- und supranationalen Gütern zielen Sozialgüter sehr viel eindeutiger und stärker auf staatliche, auf der Grundlage von Rechtspflichten (Steuerpflicht) organisierte Umverteilungsprozesse. Nicht nur das jeweilige Sozialgut als solches, der soziale Bedarf, sondern auch dieser Umverteilungseffekt ist es, der die spezifische Legitimationsbedürftigkeit von Sozialgütern und die Begründung, aber auch die Begrenzung staatlicher Verantwortlichkeit erzeugt. Die entscheidende Frage lautet nicht nur: Wer bedarf der Hilfe und welche Güter sollen unbedingt produziert werden?, sondern aus umverteilungstheoretischer Perspektive ist ergänzend zu fragen, wie viel der Staat einerseits nehmen darf, um andererseits zu geben. 357
H. Willke, Ironie des Staates, 1992, S. 366 in Bezug auf das Schulwesen. Lehrreich ist insoweit ein Blick auf die Hochschullandschaft in den USA, deren Bild gerade bei uns vor allem durch wenige hervorragende private Elitehochschulen geprägt wird und weniger durch staatliche Hochschulen, die allerdings ebenfalls im Wettbewerb stehen; C. Gusy, DVB1. 1996, S. 728 f. am Beispiel privater Sicherheitsleistungen auf den wachsenden Kostendruck auf die Polizei hin.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Denn es ist keineswegs selbstverständlich oder denknotwendig, dass der Staat für gewisse Mindeststandards sozialer Güterversorgung exklusiv oder auch nur konkurrierend verantwortlich ist. Hilfe, Pflege und Fürsorge sind im Gegensatz zu verbindlichen Ordnungsstrukturen für alle keine Güter, die begrifflich nur durch den Staat bereit gestellt werden können. Tatsächlich wurden und werden Sozialgüter in großem Umfang und auf Dauer von Privaten (Familien)358 bzw. von nicht-staatlichen Großorganisationen, etwa den Kirchen und den sonstigen Trägern der freien Wohlfahrtspflege, in großem Umfang bereitgestellt. Eine spezifische Verantwortung des Staates lässt sich erst dort begründen, wo es in Einzelfällen oder auch bei ganzen Gruppen zu einer kulturell als unerträglich angesehenen Unterversorgung kommt und einzelne Personen oder Personengruppen dieses Defizit nicht mehr ausfüllen können oder wollen, etwa bei der Sicherung des Existenzminimums. Auch hier spielt der Aspekt der gleichmäßigen Güterbereitstellung für alle eine wesentliche pflichtenbegründende Rolle 359 . Gerade im Bereich der Sozialgüter lässt sich die staatliche Aufgabenzurechnung nicht losgelöst von den sozialen und kulturell geprägten Lebensstandards einerseits und den ökonomischen Leistungsstandards der Gesellschaft andererseits bestimmen. So liegt es auf der Hand, dass stärker individualisierte Lebensformen, die sich von traditionellen Bindungen wie Ehe und Familie bewusst entkoppeln und die über keine anderen sozialen oder finanziellen Auffangnetze verfügen, im Falle ihres Scheiterns hinsichtlich ihrer existenziellen Absicherung verstärkt auf den Staat angewiesen sind. Welche Einzelgüter aus diesem 358 In dem Maß, wie Familien als stabiler Bezugsrahmen der eigenen Lebensführung sich auflösen, etwa durch einen immer höheren Anteil an kinderlosen Personen, für die im Alter effektiv keine Familienzusammenhänge mehr vorhanden sind, wird der Rückgriff auf gesellschaftlich existierende soziale Netze schwieriger. Auch im geltenden Recht kann dies zu bemerkenswerten Effekten führen: Wer kinderlos ein Leben lang gut verdient hat, aber keine Vorsorge für das Alter getroffen hat, hat Anspruch auf Hilfe zum Lebensunterhalt. Für ein Paar mit nur einem Gehalt, das den eigenen Kindern eine Ausbildung ermöglicht hat, werden dagegen bei fehlenden finanziellen Reserven im Alter die Kinder in die finanzielle Pflicht genommen, die als Steuerzahler ihrerseits den Kinderlosen mitfinanzieren. 359 Das eigentliche Problem besteht hier nicht in der Zurechnung einer staatlichen Einstandspflicht, sondern in den tatsächlichen Auswirkungen ihrer rechtlichen Umsetzung als subjektiv-öffentlicher Anspruch gegen den Staat. Der Anreiz für das Engagement Privater oder anderer nicht staatlicher Träger erlischt, wenn hinter der eigenen Leistung ohnehin ein einklagbarer Auffanganspruch des Leistungsempfängers steht. Das Beispiel des Anspruchs auf einen Kindergartenplatz und der teilweise Rückzug der Kirchen aus diesem Bereich illustriert diese Problematik. (Dies bedeutet nicht, dass die Bereitstellung von Kindergartenplätzen eine notwendige Staatsaufgabe wäre). Hier müssen intelligente Arrangements gefunden werden, bei denen die staatliche Leistung nicht zur Demotivation gesellschaftlicher Kräfte und damit zur Überforderung des Staates führen.
VIII. Sektorspezifische Verantwortung des Staates
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Sektor unbedingt erbracht werden müssen, lässt sich wiederum außer vielleicht im Hinblick auf gewisse Minimalstandards mit den beschriebenen Problemen nicht abschließend benennen. Einen gewissen Ausgleich der Existenzsicherung der Schwächeren bleibt unter dem Zurechnungskriterium des unerträglichen Mangels staatliche Verpflichtung. Ein weiterer verantwortungsbegründender Gesichtspunkt im Bereich der Sozialgüter ergibt sich aus der vierten Leitlinie unter dem Aspekt des vorangegangenen staatlichen Tuns. Wenn der Staat sich dazu entschließt, kollektive Vorsorgesysteme mit Zwangscharakter zu schaffen, trägt er für deren Funktionsfähigkeit und Effektivität, damit auch für deren Leistungsspektrum und Finanzierung eine erhebliche Mitverantwortung für die Zukunft. Soll oder muss das Niveau der Güterversorgung hier abgesenkt werden, bedarf es gleitender Übergänge. Dies gilt um so stärker, als die betreffenden Sozialgüter jedenfalls auch auf eigenen Leistungsbeiträgen der betroffenen Empfänger beruhen, die im Vertrauen darauf erbracht wurden, ihrerseits zu einem späteren Zeitpunkt zumindest in ähnlicher Weise an der Güterversorgung beteiligt zu werden. Ein deutlicher Vorrang staatlicher Einstandspflicht besteht etwa auch beim Familienlastenausgleich, dessen exakte Höhe sich allerdings kaum benennen lässt. Vor allem der Gesichtspunkt, dass Familien durch Erziehung und damit die Bereitstellung der nächsten Generation erhebliche Leistungen für Nichtfamilien erbringen, nimmt den Staat in die Pflicht, für einen gewissen Ausgleich zu sorgen. Private sind aus sich heraus strukturell unfähig, diesen Ausgleich, der praktisch nur über die Steuerhoheit vollziehbar ist, zu organisieren. Auf der Grundlage theoretischer Überlegungen nicht begründbar ist hingegen eine staatliche Vorrangstellung für die Sozialgüter im Bereich der Daseinsvorsorge, jedenfalls dann nicht, wenn faktische Staatsmonopole die Güterbereitstellung durch Private und den Wettbewerb im Ergebnis unmöglich machen. Sieht man von rein finanzwirtschaftlichen Vorteilen ab, die für sich genommen eine theoretische Vorrangstellung staatliche Produktion nicht begründen können, ist ein sachlich tragfähiger Grund für eine vorrangige Bereitstellung von Energie (Stromversorgung) durch staatliche Träger nicht erkennbar 360. Die Problematik ist weitgehend parallel zu den Versorgungsleistungen in den Bereichen Telekommunikation und Postdienst gelagert. Ein zwingender Zurechnungsgrund für die Güterbereitstellung in staatlicher Eigenproduktion existiert nicht. Gleiches gilt im Bereich der öffentli360
Grundlegend für diese Wertung ist die Unterscheidung zwischen dem zum Verbrauch bestimmten transportierten Gut und dem Netz als dem erforderlichen Trägersystem für den Transport, bei dem es sich nicht um ein Sozialgut, sondern um ein Infrastrukturgut handelt.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
chen Sparkassen361. Entscheidend ist alleine, dass der Einzelne Zugang zu diesen Gütern erhält und nicht willkürlich davon ausgeschlossen werden darf. Diese Zugangsfreiheit erfordert aber keine staatliche Eigenproduktion, sondern lässt sich auch mit anderen rechtlichen Instrumentarien aus dem Sektor der Ordnungsgüter sicherstellen. Anders sieht die staatliche Verantwortlichkeit im Sektor der geistigen Güter aus. Geistige Güter stellt der Staat insbesondere in der schulischen Bildung, in Wissenschaft und Forschung sowie bei der beruflichen Bildung bereit. Die flächendeckende Finanzierung öffentlicher Güterbereitstellung durch Private ist hier im Hinblick auf die personellen, geistigen und infrastrukturellen Voraussetzungen und den dadurch verursachten immensen Kosten faktisch nicht möglich, schon gar nicht als dauerhafte Güterbereitstellung für alle in prinzipiell gleicher Weise. Wissenschaft und Forschung sind im Übrigen maßgebliche Impulsgeber für technische und geistige Innovationen jeder Art. Zumal in einem rohstoffarmen Land trägt der Staat für die Erschließung und Umsetzung von geistigen Dimensionen (Mit-) Verantwortung, da das Gemeinwesen verstanden als Einheit von Staat und Gesellschaft in seinem Bestand in der Zukunft wesentlich durch die Kreativität und Produktivität seiner Bevölkerung bestimmt wird und im Zuge international sich verschärfender Konkurrenz unter den Wettbewerbsgesellschaften immer abhängiger sein wird. Private sind hier schlicht überfordert, da der enorme Kapitaleinsatz einerseits und das Risiko andererseits - häufig ist Forschung zwar nicht ergebnislos, aber deswegen nicht unbedingt praktisch anwendbar - privater Innovationskraft natürliche Grenzen ziehen. Ähnliches gilt für die Ausbildung des Nachwuchses. Praktische Schwierigkeiten ergeben sich hier insbesondere aus der Tatsache, dass international operierende Unternehmen nicht darauf angewiesen sind, ihre mit staatlicher Unterstützung gewonnenen Forschungserkenntnisse auch im Inland in Arbeitsplätze und Produktion umzusetzen, oder auch nur diese Forschungs- und Entwicklungsarbeiten im Inland durchzuführen. Staatliche Forschungs- und Entwicklungsförderung bei Privaten ist aber 361 Damit ist die (Rechts) Frage, ob der Staat diese Güter wie ein privater Unternehmer konkurrierend zu (echten) Privatunternehmen bereit stellen darf, nicht beantwortet. Sie ist nicht Gegenstand der Untersuchung. Wenn allerdings feststeht, dass der Staat keine sachlich gerechtfertigte Monopolstellung genießt, auch wenn er sie faktisch einnehmen mag, stehen einer weitgehenden Privatisierung der bezeichneten Sachaufgaben weder aus verfassungsrechtlicher noch aus theoretischer Perspektive Hindemisse im Wege. Der Auftrag der öffentlichen Sparkassen, wirtschaftlich schwächere Bevölkerungskreise bankmäßig zu versorgen, wird häufig als überholt kritisiert, vergi, nur B. Möschel, JZ 1988, S. 887 f. Die Frage nach einer eventuell verbleibenden staatlichen Restverantwortung, die auf die Sicherung des Zugangs zu einem Konto für jedermann zielt, kann sich bei einem staatlichen Rückzug analog zur Postprivatisierung stellen, vergi. Art. 87 f Abs. 1 GG.
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kein Selbstzweck, sondern legitimiert sich als Staatsaufgabe im Hinblick auf die Verbesserung nationaler Produktionsbedingungen im internationalen Wettbewerb um Arbeitsplätze, Know-how und Innovationskraft. Auch wenn Industrieunternehmen längst weltweit operieren, ist der Nationalstaat als Steuerstaat im Hinblick auf seine wirtschaftliche Basis immer noch in erster Linie davon abhängig, was in seinem Territorium erwirtschaftet wird. Diese Abhängigkeit des Steuerstaates von der nationalen Wirtschaft besteht auch nach der Abschaffung der nationalen durch die Einführung einer europäischen Währung. Die Verantwortung des Staates für geistige Güter ist mithin kein Relikt nationalstaatlichen Denkens, sondern nüchterne Konsequenz seiner wirtschaftlichen Abhängigkeit als Steuerstaat und damit Voraussetzung seiner Leistungsfähigkeit. Dies bedeutet nicht, dass dem Staat eine primäre Einstandspflicht für die Forschungsförderung privater Investoren zukommt; auf die wettbewerbsverzerrenden Effekte solcher Förderungsstrategien wurde oben bereits hingewiesen. Allerdings trägt der Staat für die Unterhaltung und Entwicklung des staatlichen Forschungssystems in Wissenschaft und Forschung eine unbedingt vorrangige Verantwortung. Dies schließt durchaus auch den praktischen Aspekt der Umsetzung und Nutzbarmachung des gewonnenen Wissens und damit der Vermittlung zwischen Wissenschaft und industrieller Produktion ein. Schließlich trägt der Staat auch die Verantwortung für die grundlegenden Inhalte und Erziehungsziele der Schulen, zumal hier nicht nur Wissen vermittelt wird, sondern auch soziale und moralische Kompetenz als Grundlage für das Zusammenleben aller. Auch über den engeren Bereich der Schulen hinaus lässt sich eine (Mit-) Verantwortung des Staates für die geistigen Grundvoraussetzungen des Gemeinwesens (Gemeinsinn, etwa die Beteiligung an demokratischen Wahlen, demokratischer Minimal- oder Grundkonsens im Hinblick auf die Wertgrundlagen des Gemeinwesens), als Voraussetzung seiner eigenen Existenz registrieren. Dazu gehört auch die Vermittlung seiner eigenen Leistungsbilanz und die Transparentmachung des Sinns seiner konkreten Güterproduktion. Die innere Vernünftigkeit staatlicher Güterproduktion muss sichtbar und nachvollziehbar sein. Solche Verantwortung kann allerdings weder exklusive Zuständigkeit bedeuten, noch ist sie anhand konkreter staatlicher Maßnahmen leicht zu fassen. Auch die Pflege grundlegender Einstellungen und Bürgeltugenden, auf die jedes Gemeinwesen, das auf Dauer Bestand haben will, angewiesen ist, gehört zu diesen Maßnahmen. Solche Grundhaltungen reproduzieren sich nicht von selbst, sondern nur in dem Maß, wie die staatliche Güterproduktion von der großen Mehrzahl der Bürger alles in allem als positiv erlebt wird und überwiegende Zustimmung erfährt. Integration, Identität, Gemeinsinn und demokratisches Ethos haben hier ihre Wurzel. Direkt
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lassen sich diese Güter nicht produzieren, aber dies entbindet den Staat nicht von seiner Einstandspflicht für eben diese Güter durch mittelbare Förderung, durch Hinweise und vor allem durch ein insgesamt überzeugendes und an diesen Inhalten gemessen glaubwürdiges Güterangebot. Im Zeitalter der Massenmedien gehört hierzu auch die Pflicht zur Verhinderung privater Meinungs- und Bildmonopole. Die Verhinderung solcher Monopole gehört zu den zentralen Überlebensbedingungen eines freiheitlichen und demokratischen, deswegen unvermeidbar pluralistischen Gemeinwesens. Diese Verantwortung bleibt auch im Zeichen der Verbreitung multimedialer Kommunikationsformen bestehen, die sich immer weniger in die klassische Zweiteilung von Presse, Hörfunk und Fernsehen einerseits als Erscheinungsformen von Massenkommunikation und Telefon andererseits als Erscheinungsform von Individualkommunikation einfügen. Eine weitergehende notwendige Einstandspflicht des Staates lässt sich auf dieser Grundlage dagegen nicht begründen. Nach dem Ende der Frequenzknappheit ist auch die Legitimationsgrundlage für einen staatlich finanzierten und gesicherten Rundfunk (verstanden als Einheit von Rundfunk und Fernsehen) entfallen, dessen Legitimation ursprünglich in der Sicherung einer gewissen Programm- und inhaltlichen Anbietervielfalt in Zeiten der Frequenzknappheit bestanden hat. Das Argument der Sicherung einer gewissen informationellen Grundversorgung trägt die Unterhaltung eines staatlichen Rundfunks mit gesicherter Finanzierung auf der Grundlage staatlichen Zwangs durch die Erhebung einer Rundfunkgebühr nicht mehr 362 . Warum der Rundfunkbereich heute einer grundsätzlich anderen Logik folgen soll als die Printmedien ist nicht mehr ersichtlich 363. Die
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In der Realität vollends unglaubwürdig wird das Dogma von der informationellen Grundversorgung, wenn sie sich im Programmangebot von privaten Anbietern kaum mehr unterscheidet und wenn sie sich zusätzlich zu den Gebühren auch noch durch Werbungfinanziert. Angesichts des breiten Angebots an Informationssendungen privater Anbieter ist die Legitimationsgrundlage hier faktisch längst entfallen. Die Formel von der informationellen Grundversorgung darf schließlich nicht als verdeckte „Erziehungsermächtigung" des Staates gegenüber Erwachsenen missdeutet werden, die sich hinter einem besonderen Kulturauftrag verbergen mag. Im Hinblick auf die Sicherung der Qualität in der Bereitstellung geistiger Güter lässt sich der öffentlich-rechtliche Rundfunk heute wohl nur noch im Hinblick auf die Kinderprogramme rechtfertigen, da es sich hierbei um eine besonders schutzbedürftige Zielgruppe handelt, für die der Staat eine rechtlich abgesicherte erzieherische Mitverantwortung trägt. Die Notwendigkeit der Sicherung eines werbefreien und qualitativ hochwertigen Programms ist freilich auch auf anderem Wege möglich und verlangt nicht unbedingt ein eigenes staatliches Angebot. 363 Damit soll nicht behauptet werden, dass das öffentlich-rechtliche dem privaten Programmangebot qualitativ gleichstehe oder dass dieses Programmangebot nicht wünschenswert sei. Gerade viele Kulturprogramme, die auf rein kommerziel-
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Unterhaltung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks ist keine notwendige Staatsaufgabe. Im Übrigen betätigt der Staat sich als Kulturproduzent oder als Förderer des gesellschaftlichen kulturellen Geschehens. Kein staatliches bzw. städtisches Theater arbeitet bekanntlich kostendeckend, sondern jeder Platz ist hier hoch subventioniert. Nur selten erzeugt er dabei selbst auf direktem Wege durch eigenes Personal geistige Güter 364 . Das gilt etwa auch für staatliche Museen, in denen nicht „staatliche" Künstler, sondern allenfalls staatlich geförderte Künstler ausgestellt werden. Die staatliche Verantwortung ist bei dieser mittelbaren Produktion stark eingeschränkt, insofern auch Private jedenfalls theoretisch in der Lage sind, zahlreiche kulturelle Aktivitäten zu fördern und finanziell zu unterstützen und dies auch tatsächlich tun. So sehr die staatliche Kulturförderung zu begrüßen ist, eine prinzipiell vorrangige Verantwortung des Staates gegenüber der Gesellschaft für die Förderung kultureller Zwecke lässt sich nicht feststellen 365. Kultur lässt sich, wenn auch sicher nicht in dem aktuell vorhandenen Umfang und zu den verhältnismäßig niedrigen Preisen, auch ohne staatliche Förderung produzieren; innere Sicherheit für alle nicht. Im Bereich wirtschaftlicher Strukturgüter kann der Staat aus vielen, auch tatsächlichen Gründen nicht gleichgültig zuschauen. Im Gegensatz zu der weitverbreiteten politischen Wahrnehmung lässt sich aber gemessen an den aufgezeigten Zurechnungskriterien nur eine stark eingeschränkte staatliche Verantwortung begründen, weil er selbst zwar bestimmte Strukturen und Rahmenbedingungen gestalten kann, aber die Ausbildungs- und Arbeitsplätze überwiegend nicht selbst zur Verfügung stellt 366 , nicht selbst produler Grundlage keine Chance hätten, sind in hohem Maße wünschenswert, aber nicht notwendig im Sinne eines staatlich begründeten Aufgabenvorrangs. 364 Kunstschaffende sind in der Regel keine Beamte, was nicht bedeutet, dass der Satz auch umgekehrt gilt. Soweit etwa städtische Orchester noch mit Beamten besetzt sind, handelt es sich eher um ein liebenswertes historisches Relikt. 365 Dies gilt im Übrigen auch aus verfassungsrechtlicher Sicht. Selbst wenn man, wie das Bundesverfassungsgericht, der objektiven Seite der Kunstfreiheit eine kulturstaatliche Staatszielbestimmung entnehmen zu können glaubt (BVerfGE 36, 321 (331)), fällt es jedenfalls schwer, aus dieser Staatszielbestimmung einen konkreten Auftrag abzuleiten (so zu Recht S. Kadelbach, NJW 1997, S. 1116). Ein Verfassungsgebot oder eine wie auch immer begründete Verantwortung des Staates zur Sicherstellung einer „gewissen kulturellen Grundversorgung" (5. Kadelbach, NJW 1997, S. 1117), etwa mit der möglichen Konsequenz, dass eine objektive Rechtspflicht zur Subventionierung städtischer Theater besteht, lässt sich jedenfalls als vorrangige staatliche Einstandspflicht im Sinne der hier entwickelten Theorie nicht propagieren. Was, worauf Kadelbach hinweist, für die Kulturförderung gilt, dass nämlich bei begrenzten Mitteln die Förderung der einen immer zu Lasten einer anderen Einrichtung geht, gilt tatsächlich im gesamten Bereich staatlicher Güterproduktion.
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zierende Größe ist, nicht selbst das wirtschaftliche Risiko trägt, nicht selbst die Investitionsentscheidungen fällt und keinen direkten Einfluss auf die Tarife hat 3 6 7 . Seine Verantwortung besteht im Kern in der Pflicht zur Unterlassung von Eingriffen, die wirtschaftliche Produktivität und die Bereitstellung von Arbeitsplätzen, etwa durch zu hohe Steuerlasten, Standortfaktoren, Lohnnebenkosten etc., zu beeinträchtigen und in der Förderung der weiteren Rahmenbedingungen, insbesondere der Ressource Recht. Das Risiko, ob diese Güter in ausreichendem Umfang bereit gestellt werden, trägt damit nicht in erster Linie der Staat, sondern die Gesellschaft 368 . Ohne Infrastruktur kann der Staat so gut wie keine Güter aus den genannten Sektoren bereitstellen. Im Sektor der Infrastrukturgüter besteht insofern eine spezifische staatliche Verantwortlichkeit, als es auf die Effizienz und die Effektivität der Infrastruktur für die übrige Güterbereitstellung ankommt. Wer diese Güter im Ergebnis herstellt und in welchen Rechtsformen dies geschieht, spielt demgegenüber eine untergeordnete Rolle 3 6 9 . Entscheidend ist alleine die Verfügbarkeit der erforderlichen M i t t e l 3 7 0 . Dies gilt in prinzipiell gleicher Weise für bewegliche wie für unbewegliche Sachen 371 , aber auch für die geistige Infrastruktur (Wissensgüter). Der wirt366
BVerfGE 55, 274 (313) im Hinblick auf Ausbildungsplätze. Zu Recht betonen R. Wahl/I. Appel, in: R. Wahl (Hrsg.), Prävention und Vorsorge, 1995, S. 67, dass sich der Verfassungsauftrag zur Wachstumsvorsorge „als eine von den faktischen Handlungsmöglichkeiten nicht gedeckte Zuweisung von Verantwortung" erweist, „die den Staat im Übermaß zum Adressaten von Erwartungen werden lässt, die in enttäuschte Erwartungen umschlagen, wenn sich die Wachstumsziele nicht realisieren". 368 Aus der wie auch immer beschworenen Verantwortung der Gesellschaft oder einzelner Teile davon folgt für sich genommen gerade noch keine Rechtspflicht zur Bereitstellung der betreffenden Güter, etwa der Arbeitgeber zur Bereitstellung von Ausbildungsplätzen, vergi, dazu F. Ossenbühl, Zur verfassungsrechtlichen Pflicht der Arbeitgeber, betriebliche Ausbildungsplätze bereitzustellen. Rechtsgutachten, 1985, S. 28 f. 369 Anders H. Krüger, Marktwirtschaftliche Ordnung und öffentliche Vorhaltung der Verkehrswege, 1969, S. 2 und S. 15; ders., Gegen eine Entstaatlichung der öffentlichen Wege, 1954; K. A. Schachtschneider, Staatsunternehmen und Privatrecht, 1986, S. 357 ff. 370 Insofern kann man auch von einer staatlichen Reservestellung sprechen, wenn Private die erforderliche Bereitstellung von Infrastrukturgütern nicht leisten können, vergi. M. Fehling, AöR 121, S. 81; D. Müller-Using, ArchivPT 1995, S. 46; W. Hoffmann-Riem/P. Schneider (Hrsg.), Umweltpolitische Steuerung in einem lineralisierten Strommarkt, 1995, S. 13, 38 ff. 371 Die effektive Bereitstellung von Verkehrswegen wird zu Recht als notwendige Staatsaufgabe bewertet, vergi. H. Krüger, Marktwirtschaftliche Ordnung und Öffentliche Vorhaltung der Verkehrswege, 1969, S. 12 und J. Isensee, HStR III, 1988, § 57 Rdn. 153 (S. 70); G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 15 II.l. Diese Bereitstellung kann der Staat auf unterschiedlichem Weg realisieren. Es ist jedenfalls theoretisch nicht geboten, dass alle Wege im Staatseigentum 367
IX. Zusammenfassung Teil C.
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schaftlicheren Lösung gebührt bei gleicher Effektivität der Vorrang. Die Einbeziehung Privater stößt erst da an Grenzen, wo die Verfügbarkeit des erforderlichen Gutes nicht mehr gesichert ist. Nichts anderes gilt für Netzinfrastrukturen, wobei deren Bereitstellung auf Grund tatsächlicher Gegebenheiten jedenfalls bei flächenverbrauchenden Infrastrukturen faktisch regelmäßig nur durch die ergänzende staatliche Bereitstellung von Ordnungsgütern möglich ist wie die rechtliche Strukturierung von Planung und deren Durchführung, was insbesondere auch die Sicherung ökologischer Belange umfasst. Mit dieser Einschränkung lässt sich im Bereich der Infrastrukturgüter kein prinzipieller Vorrang staatlicher Güterproduktion vor der Bereitstellung durch Private feststellen. Dort liegen die eigentlichen Rückzugsreserven im Staat; eine andere, im Rahmen der Theorie notwendiger Staatsaufgaben nicht zu beantwortende Frage ist es, ob diese Lösungen tatsächlich auch wirtschaftlicher sind 372 . Eine mittlere Position nimmt demgegenüber die Gruppe der Sozial-, der Wirtschaftsstruktur- und der geistigen Güter ein. Hier kann man von einer Rückzugsreserve des Staates sprechen, weil zahlreiche Aufgaben jedenfalls theoretisch prinzipiell auch durch Private wahrgenommen werden könnten. Im einzelnen kommt es hier auf das jeweilige Gut an. Vorrang innerhalb der staatlichen Güterproduktion kommt insbesondere der staatlichen Erziehung an den Schulen und dem Jugendschutz zu, der Sicherung des Existenzminimums und der Innovationsförderung im Bereich von Wissenschaft und Forschung. Auch die Sicherung von Versorgungsstandards durch den Markt im Sinne flächendeckender Leistungen zu erträglichen Konditionen kann als öffentliches Gut nur der Staat leisten, was nicht bedeutet, dass er diese Leistungen selbst zu erbringen hätte.
IX. Zusammenfassung C. Grundlage der theoretischen Überlegungen ist ein Verständnis der Erfüllung von Staatsaufgaben als Vorgang der Bereitstellung oder Bewirtschaftung von öffentlichen Gütern durch den Staat. Der Güterterminus wird hierbei nicht in einem reduktionistischen, nur auf Wirtschaftsgüter begrenzten Sinn verwandt, sondern grundsätzlich umfassend auf einen Großteil der stehen, sondern entscheidend ist die Möglichkeit des freien und gleichen Zugangs für jedermann. Dies lässt sich auch durch die Bereitstellung von Ordnungsgütern realisieren (Duldungspflichten des Wegebaus durch die Grundstückseigentümer, private Bereitstellung von Wegen gegen Entgelt durch Staat oder Private etc., was der Lehre Krügers, a.a.O. S. 22 ff. allerdings widerspricht). 372 Modellhaft insofern § 3 Abs. 2 Hochschulbauförderungsgesetz, der den Einsatz privaten Kapitals zwar zulässt, aber nur unter dem ausdrücklichen Vorbehalt, dass dies auch wirtschaftlicher ist.
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Staatstätigkeit bezogen. Etwas qualitativ anderes sind dagegen die als Eingriffsabwehrrechte verstandenen Grundrechte; allerdings stehen die Freiheits- und Gleichheitsrechte nicht beziehungslos neben der staatlichen Güterproduktion, sondern nehmen nachhaltig auf diese Einfluss. Die Eigenart staatlicher Güterbereitstellung in Abgrenzung zur privaten Güterproduktion, die in erster Linie für und über den Markt erfolgt, besteht darin, dass alle Bürgerinnen und Bürger in prinzipiell gleicher Weise Zugang zu den staatlich-öffentlichen Gütern haben. Soweit die Nachfrage dabei das staatliche Bereitstellungsangebot übersteigt, ist ein Ausschluss vom Zugang nur nach Maßgabe rechtlich fixierter Kriterien möglich. Der Staat ist im Gegensatz zum Wettbewerbsmechanismus des Marktes, der die Güterverteilung über den Preis reguliert, bei der Regulierung des Zugangs zu öffentlichen Gütern kraft seiner Rechtsetzungsmacht in der Lage, vielfältige und ganz unterschiedliche Kriterien zum Maßstab der Verteilung von Zugangschancen zu öffentlichen Gütern festzusetzen. In der Rechtswirklichkeit bedient er sich dabei eines breiten Spektrums, um den Zugang zu bestimmten Gütern sachgerecht zu gestalten. Der Staat ist damit trotz der faktischen Beschränkungen, denen er bei der Güterbereitstellung unterliegt, gegenüber dem Markt strukturell eindeutig überlegen; allerdings bringt diese Überlegenheit auch die Gefahr der staatlichen Überregulierung mit sich. Demgegenüber können Private über den Markt aus letztlich anthropologischen Gründen bei bestimmten Gütern ein gleichmäßiges und stabiles Güterangebot, das auch tatsächlich alle erreicht, nicht sicherstellen. Eine gleichmäßige und stabile Versorgung aller scheitert schon daran, dass ein erheblicher Teil der Bevölkerung mangels Gegenleistungsfähigkeit nicht „marktfähig" ist und damit vom Verteilungsmechanismus des Marktes ausgeschlossen bleibt. Im einzelnen werden sieben Gruppen - Gütersektoren - staatlicher Produktion unterschieden: Statusgüter, Ordnungsgüter, Sozialgüter, geistige Güter, Infrastrukturgüter, Wirtschaftsstrukturgüter und supranationale Strukturgüter. Diese Einteilung hat theoretischen Charakter. Eine konkrete gesetzgeberische Maßnahme macht häufig die Bereitstellung von Gütern aus verschiedenen Sektoren erforderlich. Als notwendig bzw. vorrangig wird die Bereitstellung derjenigen öffentlichen Güter bezeichnet, für die der Staat eine hervorgehobene Verantwortung trägt. Die Theorie kann damit die Abgrenzung der Güterproduktion in staatlicher oder gesellschaftlicher Regie in Grundzügen leisten. Güter, die nur der Staat effektiv für alle in gleicher Weise bereitstellen kann, genießen nicht nur einen objektivierbaren Vorrang vor privater Produktion, sondern auch innerhalb der Menge aller durch den Staat selbst tatsächlich bereitgestellter öffentlicher Güter.
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Ob allerdings bestimmte öffentliche Güter auch tatsächlich staatlich produziert werden sollen, ergibt sich nicht schon aus dem jeweiligen Gut oder Gütersektor selbst, sondern erst aus Zurechnungskriterien, die eine spezifisch staatliche Einstandspflicht und damit seine Verantwortung in der Sache begründen. Auch Vorrangrelationen in der Summe der tatsächlich wahrgenommenen Staatsaufgaben lassen sich auf dieser Grundlage entwickeln. Leitlinien für die Einstandspflicht des Staates bei der Produktion bestimmter Güter sind: kollektiv als unerträglich bewertete tatsächliche Mangelsituationen, wobei diese Wertungen selbstverständlich auch rechtlich festgeschrieben und in Verfahren gegossen werden können; die auf Grund seiner rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten theoretisch überlegene Effektivität der staatlichen Güterbereitstellung für alle; die Verpflichtung auf gerechte, insbesondere grundrechtskonforme Regulierung des Zugangs zu den betreffenden Gütern, die ihn von der privaten Güterbereitstellung grundsätzlich unterscheidet; die Erhaltung und Anpassung bzw. Fortentwicklung der Güterversorgung im Gesamtsystem staatlicher Güterbereitstellung, wozu auch der Ausgleich von schädlichen Wechselbeziehungen und die Begrenzung schädlicher Wachstumsprozesse gehört. Diese Leitlinien bilden den Rahmen der staatlichen Verantwortung für die Güterbereitstellung innerhalb der jeweiligen Gütersektoren. Statusgüter, Ordnungsgüter und supranationale Güter genießen absoluten Vorrang in der Palette staatlicher Güterbereitstellung und sind einer materiellen Privatisierung grundsätzlich nicht zugänglich, was die Beteiligung von Privaten im Einzelfall nicht unbedingt ausschließt. Ein differenziertes Bild bieten Sozialgüter und geistige Güter. Dabei kommt es wesentlich auf die Leistungsfähigkeit der Gesellschaft selbst an. Jugendschutz, Schulbildung, die Sicherung des Existenzminimums sowie Innovations- und Wissenschaftsförderung sind wichtige Güter, die Private alleine aus eigener Kraft nicht leisten können, jedenfalls nicht in einem für die Gesellschaft als ganzes gebotenen Umfang. Am relativ geringsten ausgeprägt ist die staatliche Verantwortung im Bereich der Wirtschaftsstruktur- und Infrastrukturgüter. Für eine ausgeprägte, eine vorrangige Güterproduktion begründende Verantwortung fehlt es bezüglich der Wirtschaftsstrukturgüter an der Verfügungsmacht des freiheitlichen Staates, auf diese unmittelbar Einfluss zu nehmen, weil die dafür erforderlichen Ressourcen durch die Rechtsordnung in erster Linie Privaten zugewiesen sind. Dies bedeutet nicht, dass die Arbeitslosigkeit kein zentrales politisches Problem sein kann oder sein soll. Selbstverständlich ist die 22 Gramm
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C. Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben
Politik nicht gehindert, die Bekämpfung der Arbeitslosigkeit zu einem zentralen Anliegen zu erheben. Die daraus resultierende praktische politische Verantwortung darf aber nicht mit der theoretisch begründeten Verantwortung des Staates für die Bereitstellung von staatsnotwendigen Gütern im Wege staatlich-öffentlicher Güterproduktion verwechselt werden. Bei Infrastrukturgütern reduziert sich die Frage, ob diese Güter im staatlichen Eigentum stehen müssen oder nicht, letztlich auf Überlegungen der Effektivität (Wirksamkeit) und der Effizienz (Wirtschaftlichkeit). Davon unberührt bleibt die Notwendigkeit, die rechtlichen Ordnungsstrukturen staatlicherseits bereitzustellen, die eine effektive Bereitstellung von Infrastrukturgütern (insbesondere dinglich verfestigte Netze) erst ermöglichen. Was die Theorie nicht zu leisten vermag, ist die präzise und abschließende Festlegung derjenigen Güter innerhalb eines Sektors, die der Staat überhaupt bereitstellen muss. Die Frage, wie viele Ordnungsgüter genug sind, lässt sich auf theoretischer Grundlage nicht beantworten. Auch eine Hierarchie öffentlicher Güter kann es ohne zusätzliche Annahmen nicht geben. Die Verfassung enthält solche Aussagen nur in äußerst bescheidenem Umfang 373 . Die im demokratischen Verfassungsstaat durch die Mehrheitsregel institutionalisierte politische Entscheidung über die Güterbereitstellung kann die Theorie weder überspielen noch ersetzen. Es ist allerdings evident, dass ohne ein gewisses Mindestmaß an Zuverlässigkeit bei der Bereitstellung bestimmter öffentliche Güter ein Staat nicht funktionieren kann. Dazu zählen vor allem ein Minimum an staatlicher Organisation, die Sicherung des inneren Friedens nach innen und außen, wobei die Vorsorge gegen technische, gesundheitliche und ökologische Risiken zunehmend an Bedeutung gewinnt, das Schulwesen und - zumindest in den wohlhabenden liberalen Demokratien - wohl auch die Garantie des Existenzminimums und die Sicherstellung von elementaren Versorgungsleistungen mit lebenswichtigen Gütern (Wasser, Energie) einschließlich der Entsorgungsleistungen für alle. Im Übrigen lässt sich das erforderliche Minimum staatlicher Güterproduktion nicht ohne Rückgriff auf den Status quo des geistigen, ökonomischen, sozialen und technologischen Entwicklungsstandes einer Gesellschaft bestimmen. Je komplexer gesellschaftliche Strukturen insgesamt sind, um so größer wird dieses Minimum dabei zu bemessen sein. Der Ertrag der theoretischen Überlegungen liegt damit weniger in einer präzisen inhaltlichen Bestimmung derjenigen öffentlichen Güter, die der Staat bereitzustellen verpflichtet ist, sondern in einem argumentativen Begrenzungsrahmen für die Privatisierungsdebatte. Hier eröffnet die Theo373
Vergi, oben unter A. II. 5.
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rie einerseits eine beachtliche Privatisierungsreserve außerhalb der staatlicher Produktion unbedingt vorbehaltenen Gütersektoren; sie ermöglicht es andererseits, im Hinblick auf ein bestimmtes Gut Aussagen darüber zu entwickeln, ob dieses grundsätzlich auch in privater Produktion oder nur durch den Staat bereit gestellt werden kann, weil der Markt als primäres gesellschaftliches Organisationsprinzip für die Bereitstellung von Gütern in bestimmten Bereichen nicht funktionieren kann. Verdeutlicht wurde dies am Beispiel der inneren Sicherheit, die als komplexes Ordnungsgut zwar nicht ausschließlich durch staatliche Maßnahmen bereit gestellt wird, die aber auf der Grundlage rein privater Produktion schon dem Anspruch nach nicht flächendeckend hergestellt werden kann.
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Modalität der Aufgabenerfüllung I. Wirksamkeit der staatlichen Aufgabenerfüllung 1. Einstandspflicht und Modalität der Aufgabenerfüllung Die Anknüpfungspunkte für materielle Verfassungsaufgaben im Grundgesetz und die ergänzenden theoretischen Eingrenzungsüberlegungen zum Bestand unverzichtbarer Staatsaufgaben erlauben es in gewissem Umfang, inhaltliche Sachaufgaben bzw. Güter auf ihre grundsätzliche Staatsnotwendigkeit hin einzugrenzen. Damit steht zunächst nur die inhaltliche Einstandspflicht des Staates für die Sicherstellung der betreffenden Güterversorgung fest. Mit dem Prädikat der notwendigen Staatsaufgabe sind die Grenzen einer rechtlich zulässigen Einschaltung von Privaten in die staatliche Aufgabenerfüllung allerdings noch keineswegs abschließend gezogen. Auch die Untersuchung der Staatswirklichkeit hat gezeigt, dass selbst in Kernbereichen die - unterschiedlich intensive und auf unterschiedlichen Rechtsfiguren beruhende - Einbeziehung Privater in die staatliche Aufgabenerfüllung durchaus üblich ist 1 . Dagegen findet die radikale Form der Privatisierung durch die komplette Verlagerung vormals staatlicher Aufgaben in den gesellschaftlichen Raum ohne jeden Rest an staatlichen Zugriffsmöglichkeiten bislang tatsächlich kaum statt2. Selbst bei vergleichsweise besonders weitgehenden Fallbeispielen von Privatisierung wie bei der Postreform setzt der Staat immer noch gewisse inhaltliche, zwar konkretisierungsbedürftige, aber rechtsverbindlich festgeschriebene Mindeststandards für privat auf dem Markt zu erbringende Resultate fest. Dafür behält er sich die Kontrolle der Ergebnisse des Marktgeschehens vor, die gegebenenfalls mit einem ausgefeilten Interventionsinstrumentarium in die gewünschte Richtung korrigiert werden sollen, wobei 1
Die Terminologie dafür ist, wie W.-W. Lee, Privatisierung als Rechtsproblem, 1997, S. 20 (»Aufgabenwahrnehmungsprivatisierung") zu Recht feststellt, nicht einheitlich (weitere Nachweise dort FN 115). 2 Wo ein staatlicher Totalrückzug stattfindet, etwa bei der Schließung eines Theaters, betrifft dies offensichtlich zwar nützliche und schöne, aber wohl kaum unverzichtbare Staatsaufgaben.
I. Wirksamkeit der staatlichen Aufgabenerfüllung
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die Wirksamkeit dieses Instrumentariums ihren Praxistest erst noch bestehen muss. Insgesamt konnte bei den beispielhaft herausgegriffenen Privatisierungstendenzen eine fein abgestufte Skala von Privatisierungsgraden aufgedeckt werden. Diese Feinabstufung hat sichtbar gemacht, dass Privatisierung als rechtliches Phänomen nicht nur eine materielle, sondern daneben auch eine auf die spezifischen Produktionsbedingungen und damit auf die Art und Weise staatlicher Aufgabenerfüllung bezogene Dimension aufweist. Privatisierung setzt dabei zumeist nicht bei der Abschaffung der Pflicht des Staates zur Bereitstellung bestimmter Güter an, sondern gewissermaßen eine Ebene darunter bei den traditionellen staatlichen Erfüllungsressourcen, die im Zuge von Privatisierungsstrategien in geringerem oder größerem Umfang durch private Ressourcen ersetzt werden. Privatisierung erweist sich damit in weiten Teilen als Prozess der staatlichen Neuorganisation, bei dem es um Veränderungen bei der Modalität staatlicher Aufgabenerfüllung 3 geht. Als staatliche Produktionsbedingungen oder Erfüllungsressourcen wurden unterschieden: erstens, die rechtlichen - insbesondere verwaltungsrechtlichen - Instrumente; zweitens, das staatliche Personal, dabei insbesondere die Beamten; drittens, die für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Sachmittel und das entsprechende Sach- und Fachwissen; viertens, die Finanzierung von Staatsaufgaben. Die rechtliche Ausgestaltung und das Arrangement dieser Ressourcen bestimmt maßgeblich die Effektivität der staatlichen Aufgaben Wahrnehmung.
Die rechtsdogmatischen Schwierigkeiten bei der Ermittlung von notwendigen Staatsaufgaben und von Grenzen der Privatisierung liegen damit nicht nur in der inhaltlichen Dimension von abstrakten Rechtspflichten des Staates zur Güterbereitstellung, sondern auch in der Bestimmung des Umschlagpunktes von der dabei rechtlich noch zulässigen zur rechtlich unzulässigen Einschaltung von privaten Erfüllungsressourcen. Die Phantasie, die gerade die Verwaltungspraxis und zunehmend auch der Gesetzgeber bei der Entwicklung neuer Steuerungsformen und Handlungsinstrumente4 entwickeln, belegt, dass es hierbei nicht nur um ein faktisches, sondern auch um ein rechtliches Regieproblem geht. Wie weit darf etwa die Einschaltung Privater bei der Neuorganisation des staatlichen oder zumindest staatlich gelenkten Produktionsablaufs für in ihrer Notwendigkeit im Prinzip unbestrittene Güter gehen? 3 Begriff bereits bei H. P. Bull, Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 422 ff., wenn auch mit anderer Akzentuierung. 4 Dazu die Übersicht zu neueren Formen der staatlich kontrollierten gesellschaftlichen Selbstregulierung bei M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 160 ff.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Die Frage nach der Erforderlichkeit staatseigener personeller Verwirklichungsressourcen, aber auch nach dem Staatsvorbehalt für andere Formen der Aufgabenerfüllung wurde im Rahmen der theoretischen Grundzüge zwar als eine von vier Dimensionen der staatlichen Aufgabenverantwortlichkeit erkannt. Bei den normativen Vorgaben über die Art und Weise, wie die materielle staatliche Einstandspflicht konkret wahrzunehmen ist, stößt die Theorie allerdings an die Grenzen ihrer Leistungskraft. Was die Theorie notwendiger Staatsaufgaben auf dieser eher technischen Umsetzungsebene der Erfüllung von inhaltlich feststehenden Sachaufgaben leisten kann, sind wiederum nur eher allgemeine Formeln darüber, wie die staatliche Letztoder Mindestverantwortung richtigerweise wahrzunehmen ist. Zu untersuchen ist im folgenden der rechtlich, insbesondere verfassungsrechtlich vorgegebene Rahmen für die Wirksamkeit staatlicher Aufgabenwahrnehmung. Generalisierende Aussagen über normative Anforderungen an die Art und Weise der staatlichen Aufgabenerfüllung helfen allerdings auch hier kaum weiter, wie das Gebot der Effektivität staatlicher Aufgabenwahrnehmung zeigt. 2. Das Gebot der Effektivität Das Gebot der effektiven staatlichen Aufgabenwahrnehmung bzw. Güterbereitstellung besagt, dass der Staat seine Aufgaben auch tatsächlich wirksam wahrnehmen muss. Dies gilt insbesondere dann, wenn es dabei um notwendige Staatsaufgaben geht. Das Gebot effektiver staatlicher Aufgabenwahrnehmung lässt sich theoretisch ohne Schwierigkeiten aus der Reichweite der Einstandspflicht des Staates für inhaltlich benannte Sachaufgaben begründen. Die jeweiligen Staatsorgane müssen dabei grundsätzlich ihrem spezifischen Aufgabenradius entsprechend ausgestattet werden. Auch mit dem Rückgriff auf das Verfassungsgebot der Rationalität und damit auch der Effektivität der Aufgabenerfüllung 5 ist nicht viel mehr als mit dem theoretisch begründeten Gebot der Effektivität gewonnen. Zum einen besagt dieses Verfassungsgebot eine schlichte rechtsstaatliche Selbstverständlichkeit, dass nämlich der Staat diejenigen Aufgaben, für deren Erfüllung er kraft Gesetzes verbindlich in die Pflicht genommen ist, im Rahmen des rechtlich Zulässigen und ökonomisch Möglichen auch möglichst wirksam zu erfüllen hat. Zum anderen hängt die Effektivität bzw. das 5
K. Hesse, Ausgewählte Schriften, 1984, S. 104 f., entnimmt den formellen Elementen des Rechtsstaats die Wirkung einer „Rationalisierung des öffentlichen Gesamtzustandes", die „eine möglichst zweckmäßige und effektive Erfüllung der staatlichen Aufgaben gewährleisten soll".; E. Schmidt-Aßmann, HStR I, 1987, § 24 Rdn. 21 ff. (S. 299 f.); W. Krebs, HStR III, 1988, § 69 Rdn. 77 (S. 613 f.); H-H. Trute, DVB1. 1996, S. 956; vergi, auch BVerfGE 63, 1 (34); 68, 1 (86).
I. Wirksamkeit der staatlichen Aufgabenerfüllung
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Niveau der staatlichen Güterbereitstellung entscheidend von der rechtlichen Ausgestaltung und Anordnung seiner Erfüllungsressourcen im konkreten Fall ab. Sie bilden die rechtlich maßgeblichen Bedingungen der Wirksamkeit für die staatliche Aufgabenerfüllung. Diese an sich selbstverständliche Maßgabe, die auf die Funktionsfähigkeit der betreffenden Staatsorgane6 zielt, ist für die rechtliche Begrenzung der Privatisierungsmöglichkeiten von Staatsaufgaben nicht ohne jegliche Konturen. Wenn der Staat bei notwendigen Staatsaufgaben die Regie und damit die Letztverantwortung über die gebotene Güterbereitstellung selbst behalten soll, so setzt dies der Aufgabenverlagerung in den gesellschaftlichen Raum grundsätzliche Grenzen. Unzulässig ist danach jedenfalls eine totale Freigabe an Private, über das Ob und über die Art und Weise der Bereitstellung des konkreten Gutes autonom zu befinden. Eine gewisse staatliche Restregie darf bei notwendigen Staatsaufgaben nicht aufgegeben oder zu einer bloßen Scheinregie umgeformt werden. Ein bestimmender Einfluss, zumindest in Form einer Letztentscheidungskompetenz muss den staatlichen Stellen verbleiben. Weitergehende Schlüsse lassen sich allerdings aus dem Gebot effektiver Aufgabenwahrnehmung kaum ziehen. Die rechtlich entscheidende Frage, wie eine effektive staatliche Steuerung bei der Güterproduktion instrumentell mindestens ausgestaltet sein muss, um die rechtlich gebotenen Resultate auch tatsächlich zu garantieren, bleibt auf dieser Ebene noch offen. Das Gebot effektiver Güterbereitstellung sagt damit gerade nicht, welche Faktoren die spezifisch staatliche Effektivität im jeweiligen Gütersektor bewirken und wie diese normativ sicherzustellen sind. Auch der Rückgriff auf das sogenannte staatliche Gewaltmonopol hilft in diesem Kontext nicht weiter, da es aus dieser Perspektive betrachtet seinerseits lediglich eine Bedingung staatliche Effektivität beschreibt, ohne diese schon selbst in einem operationalen Sinn zu benennen. 3. Materielle und formelle Privatisierungsschranken Die rechtlichen Schwierigkeiten bei den vielfältigen Veränderungen in der staatlichen Aufgabenwahrnehmung liegen damit nicht nur in der grundsätzlichen, verfassungsrechtlich und theoretisch durchaus greifbaren Dimension, für welche Güter der Staat inhaltlich überhaupt in der Pflicht ist, sondern regelmäßig auch in der Ermittlung des rechtlich gebotenen Ausgestaltungsminimums für die staatliche Regieführung bei der Wahrnehmung notwendiger Staatsaufgaben. Das Privatisierungsthema stellt sich aus verfas6
Dazu H. Weis, Verfassungsrechtliche Fragen einer weiteren Privatisierung der juris GmbH, Beilage zum Bundesanzeiger Jahrgang 48, Nummer 82 a vom 30. April 1996, S. 20 ff. m.w.N.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
sungsrechtlichem Blickwinkel auch als ein Problem der Fixierung von rechtlich gebotenen Mindeststandards für die staatliche Steuerung bei der Bereitstellung bestimmter Güter dar, deren sachliche Notwendigkeit als solche in weiten Teilen gar nicht in Zweifel steht. Vom Ausgangspunkt der Frage nach den notwendigen Staatsaufgaben rücken die rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen (Mindest-) Vorgaben für die Art und Weise der Aufgabenerfüllung, die sich an den genannten Erfüllungsressourcen festmachen lässt, damit in den Untersuchungshorizont. Erst aus dem Zusammenspiel der verfassungsrechtlichen und theoretisch ergänzten materiellen Vorgaben einerseits (materielle Privatisierungsschranken) und der rechtlichen, insbesondere verfassungsrechtlichen Direktiven für die Art und Weise der Aufgabenerfüllung andererseits (formelle Privatisierungsschranken) bestimmt sich das gebotene Mindestniveau für die staatliche Güterbereitstellung bzw. für den erforderlichen Staatsanteil bei der Grundversorgung mit notwendigen öffentlichen Gütern. Formelle Privatisierungsschranken sind dabei nicht identisch mit den rechtlichen Grenzen bei der sogenannten formellen Privatisierung, sondern sie begrenzen die Privatisierungsstrategien bei sämtlichen notwendigen Staatsaufgaben. Formelle Privatisierungsschranken können allerdings auch Strategien der formellen Privatisierung begrenzen. Ihre eigentliche Bedeutung entfalten sie jedoch bei notwendigen Staatsaufgaben, bei denen begrifflich eine vollständige materielle Privatisierung ausgeschlossen ist. Systematisch geschlossene und umfangreiche Direktiven für formelle Privatisierungsschranken sind in der Verfassung zwar ebenfalls nicht zu erwarten. Aus dem Zusammenspiel materieller und modaler Vorgaben ergibt sich aber doch ein Gesamtrahmen für die Bestimmung des mindestens gebotenen staatlichen Grundversorgungsniveaus bei der Erfüllung notwendiger Staatsaufgaben. Nachfolgend werden die verfassungsrechtlichen Direktiven für die Modalität der Aufgabenerfüllung in einem ersten abstrakten Untersuchungsschritt, der die jeweiligen Vorgaben für die genannten Erfüllungsressourcen aufgreift, im Hinblick auf ihre grundsätzliche Reichweite als Wirksamkeitsbedingungen für die Erfüllung notwendiger Staatsaufgaben skizziert. Die Regelungsdichte ist dabei je nach Erfüllungsressource sehr unterschiedlich; zum Teil verzichtet die Verfassung nahezu vollständig auf beschränkende Vorgaben. I I . Verwaltungsinstrumentarium Auf der Ebene des Verwaltungsinstrumentariums bedeutet Privatisierung von Erfüllungsressourcen den Einsatz von solchen rechtlichen Handlungsformen, die nicht ausschließlich dem Staat vorbehalten sind, sondern derer
II. Verwaltungsinstrumentarium
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sich im Prinzip jedermann bedienen kann. Dass der Staat sich solcher nicht exklusiver - in erster Linie privatvertraglicher, aber auch „weicher" Gestaltungsformen in erheblichem Umfang bedient, ist offensichtlich und verfassungsrechtlich grundsätzlich nicht problematisch. Im Bereich materiell notwendiger Staatsaufgaben stoßen die instrumentellen Gestaltungsmöglichkeiten des Staates aber an verfassungsrechtliche Grenzen. 1. Rechtsstaatsprinzip a) Rechtliche Verbindlichkeit
Die rechtlich gestalteten Handlungsformen der Verwaltung bilden die maßgebliche instrumentelle Ressource des Staates bei der Erfüllung seiner Verwaltungsaufgaben. Vor allem das besondere Verwaltungsrecht bringt immer neue Instrumente hervor. Freilich besteht das „Instrumentenerfindungsrecht"7 des Gesetzgebers und der Verwaltung nicht uneingeschränkt. Verfassungsrechtlich werden diese Handlungsformen vor allem aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Grundrechten vorgeformt und begrenzt. Das Rechtsstaatsprinzip entfaltet damit eine charakteristische Doppelwirkung, die sowohl auf die Festlegung materieller als auch modaler Vorgaben zielt. Eine abstrakte Auflistung der Bedingungen für die verfassungskonforme Ausgestaltung verwaltungsrechtlicher Instrumente ist allerdings kaum sinnvoll, zumal die Gütervielfalt staatlicher Bereitstellungsvorgänge unterschiedlichen tatsächlichen Produktionsbedingungen unterliegt und dementsprechend unterschiedliche Handlungsformen hervorbringt, für die wiederum wegen des Sammelbegriffscharakters des Rechtsstaatsprinzips unterschiedliche rechtliche Anforderungsprofile gelten. Auf dieser Ebene sollen nur einige grundsätzliche Direktiven formuliert werden. Bei aller Heterogenität seiner Inhalte ist das in Art. 20 Abs. 3 GG verankerte Rechtsstaatsprinzip zentrales Formelement für die Ausgestaltung verwaltungsrechtlicher Handlungsinstrumente. Es steht einer Staatsauffassung und dem gemäß einer Ausgestaltung seiner Handlungsinstrumente für den Verwaltungsvollzug grundsätzlich entgegen, in der der Staat zum unverbindlichen Moderator der Gesellschaft oder auch zum in jeder Situation gleichberechtigten Kommunikationspartner gesellschaftlicher Akteure mutiert. Bei aller Einsicht in die immer schon gegebenen kooperativen Produktionsstrukturen bei der Bereitstellung selbst von notwendigen Gütern kommt das spezifisch rechtsstaatliche Steuerungselement gerade in der Fähigkeit des Staates zum Ausdruck, mit seinen Instrumenten rechtlich und 7
W. Hoffmann-Riem, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Innovation und Flexibilität des Verwaltungshandelns, 1994, S. 52.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
tatsächlich wirksam Verbindlichkeit für die gesellschaftlichen Akteure zu erzeugen und so die Umsetzung bzw. Beachtung des Rechts in der Wirklichkeit zu sichern. Die Erzeugung von Verbindlichkeit bedeutet dabei mehr als der normlogische Anordnungsbefehl, der für die Inkraftsetzung der Geltung von Recht stets erforderlich ist, durch den alleine faktische Verbindlichkeit aber kaum wirksam hergestellt werden kann. Die Fähigkeit zur Herstellung von faktischer Verbindlichkeit besteht selbst für ein traditionell hierarchisches Verwaltungsverständnis nicht in einem absoluten, zwangstheoretischen Sinn, sondern die Analyse der unabdingbar kooperativen Produktionsstrukturen selbst bei der Bereitstellung von Sicherheitsgütern hat gezeigt, dass ein Rechtsstaat niemals alleine auf obrigkeitsstaatlichen Zwang gebaut sein kann. Andererseits vermag er ohne die rechtlich und instrumenteil gesicherte Möglichkeit zu zwingen, das heißt die gesetzlich vorgegebenen Aufgaben notfalls auch unter Einsatz von Zwang zu erfüllen, als Staat nicht zu bestehen. Diese Fähigkeit zur Erzeugung von Verbindlichkeit des Rechts und durch Recht um bestimmter Aufgaben bzw. Güter willen muss der Staat sich bei der Entwicklung und Erprobung seiner Steuerungsinstrumente bewahren, wenn er Rechtsstaat bleiben soll. Insbesondere Aufsicht, Kontrolle und Letztentscheidungsbefugnis durch Behörden müssen deswegen sichergestellt bleiben8. Instrumente, die die Erfüllung der gesetzlich vorgezeichneten Aufgaben im Ergebnis in das Belieben Privater stellen, sind mit dem rechtsstaatlichen Anspruch auf gesetzeskonforme staatliche Herrschaftsausübung jedenfalls dann nicht vereinbar, wenn es sich um staatsnotwendige Güter handelt. Weiche, etwa rein empfehlende Steuerungsformen stoßen an die Grenzen des verfassungsrechtlich Zulässigen, wenn eine staatsnotwendige Güterbereitstellung zuletzt davon abhängt, ob die staatliche Empfehlung nun angenommen wird oder nicht. Dies gilt jedenfalls dann, wenn andere staatliche Handlungsformen rechtlich nicht ausgeschlossen und faktisch möglich sind; das „Recht" nimmt damit faktisch den Charakter einer sanktionslosen Empfehlung an. Zwar mag die Beschränkung auf die staatliche Empfehlung zum Selbstschutz in bestimmten Fällen sogar im Sektor der Ordnungsgüter ausnahmsweise mangels anderer rechtlicher und vernünftiger Alternativen sinnvoll sein, etwa im Rahmen der Aufklärung über Gefahren und Übertragungswege von Aids 9. In der Regel ist dieser Verzicht des Staates auf die Her8 9
F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 355 J. Isensee, HStR V, 1992, § 111 Rdn. 164 f. (S. 232 f.).
II. Verwaltungsinstrumentarium
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Stellung von Verbindlichkeit, äußerstenfalls auch unter Einsatz von Zwang, bei notwendigen Staatsaufgaben aber unzulässig. Die Aufrechterhaltung der tatsächlich bestehenden Fähigkeit des Staates zu zwingen bleibt mithin unverzichtbare Voraussetzung seines Instrumentenspektrums. Wo die zumindest theoretisch gegebene Möglichkeit zum staatlichen Zwang nicht mehr besteht, weil sie etwa durch Mechanismen der gesellschaftlichen Selbstregulierung 10 ersetzt wird, die gelingen, aber auch misslingen mag, ohne dass zumindest eine gesetzliche Reserveposition staatlicher Zwangsmittel besteht, verfehlt rechtsstaatliche Steuerung ihren Sinn11. Die Beachtung des Rechts12 steht dann in letzter Konsequenz nur noch im Belieben privater Akteure; die Qualität der auf selbstregulative Steuerung setzenden Normen bemisst sich nur noch nach dem Grad an Wahrscheinlichkeit13, mit dem Private ihr Handeln an dem gesetzten Normziel ausrichten werden. Die Fähigkeit zur Erzeugung von Verbindlichkeit auch entgegen privater Widerstände bleibt aber elementare Anforderung an das staatliche Verwaltungsinstrumentarium. Diese Fähigkeit markiert damit zugleich ein zentrales Sinnelement des sogenannten Gewaltmonopols. b) Die instrumentelle
Dimension des Untermaßverbotes
Verfassungsrechtsdogmatisch geht es dabei auch um die Aufdeckung der instrumenteilen Dimension des Untermaßverbotes 14. Das Untermaßverbot ist nicht identisch mit dem Erforderlichkeitsmaßstab im Rahmen des Über10 Zutreffend U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 270: „Selbstverwaltung ist Staat, Selbstregulierung bleibt Gesellschaft." 11 Besonders problematisch unter diesem Aspekt sind die freiwilligen Selbstbeschränkungserklärungen als Ergebnis eines „informal-kooperativen Dialogs" durch Verständigung oder Absprachen zwischen Regierung und Verbänden mit dem Ziel, die Keule eines Gesetzes oder einer Verordnung zu vermeiden, dazu M. SchmidtPreuß, VVDStRL 56, S. 215 f. m.w.N. Auch wenn geltendes Recht bei dieser Konstruktion durch potentielles Recht sublimiert wird, bleibt der staatliche Anspruch im Hinblick auf die intendierte Zielerreichung in vollem Umfang bestehen. Alleine das Mittel zur Realisierung dieses Zieles ist ein anderes: Recht wird durch die Androhung von Recht ersetzt, Verbindlichkeit durch Vertrauen. Solange das angedrohte Recht aber nicht gilt, besteht auch keine Verbindlichkeit, sondern allenfalls wechselseitiges Vertrauen auf das Funktionieren dieses Mechanismus, das im Enttäuschungsfall jedenfalls nicht direkt sanktioniert werden kann. Zu weiteren rechtsstaatlichen Problemen von Selbstverpflichtungserklärungen U. Di Fabio , JZ 1997, S. 972, der im Übrigen vor einer euphorischen Bewertung dieses Instruments warnt (S. 974). 12 Bzw. des staatlichen Willens, soweit die Setzung von Recht lediglich angedroht wird und Private entsprechende Selbstbeschränkungserklärungen abgeben. 13 Vergi. C. Engel, VVDStRL 56, S. 302 (Diskussionsbeitrag). 14 C.-W. Canaris , AcP 1984, S. 228; V. Götz, HStR III, 1988, § 79 Rdn. 30 ff. (S. 1025 ff.); J. Isensee, HStR V, 1992, § 111 Rdn. 164 f. (S. 232 f.); J. Dietlein, ZG 1995, S. 131 ff.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
maßverbotes15, sondern üblicherweise wird das Untermaßverbot als ein verfassungsrechtliches Effektivitätsprinzip gedeutet, das das Gestaltungsermessen des Gesetzgebers im Rahmen seiner Schutzpflicht gewissermaßen nach unten begrenzt und ihn auf die Schaffung eines angemessenen und wirksamen Schutzes verpflichtet 16. Die Auswahl der Mittel und die Lösung von sich einstellenden Ziel- und Mittelkonflikten liegt dabei zwar grundsätzlich im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers17, der selbst bei der Reaktion auf eine erhebliche Gefahr nicht von Verfassungs wegen dazu verpflichtet ist, stets das ganze Arsenal seiner Mittel einzusetzen18. Freilich liegen in der Lebenswirklichkeit die eigentlichen Probleme genau auf dieser rechtstechnischen Ebene der Instrumente, die zur Umsetzung des intendierten und in seiner Zweckrichtung zumeist gar nicht bestrittenen Zieles eingesetzt werden. Das Beispiel des Schutzes des ungeborenen Lebens, an dem das Bundesverfassungsgericht das Untermaßverbot erstmalig aufgegriffen und erprobt hat 19 , ist insofern symptomatisch: Die Notwendigkeit des Schutzes des Lebens als solches steht vollkommen außer Streit. Geradezu aussichtslos umstritten war und ist dagegen die Frage, wie der verfassungsrechtlich gebotene Mindeststandard an staatlichen Schutzleistungen auszusehen hat. Das in einem rein materiellen Sinn verstandene Untermaßverbot vermag insbesondere Konflikte zwischen verschiedenen, mit gleichem Rang ausgestatteten Verfassungsgütern nicht aufzulösen, denn als abstraktes Prinzip entfaltet es Wirkung in beiderlei Richtung und verpflichtet zum Schutz kollidierender Verfassungsgüter. Hier suggeriert die griffige Formel „Untermaßverbot" in der Tat mehr, als sie zu leisten im Stande ist 20 . Diese Schwierigkeit lässt sich immerhin entschärfen, wenn man konzediert, dass das Untermaßverbot nicht nur eine materielle, sondern auch eine instrumenteile Dimension aufweist. Danach darf der Staat sich durch die Entwicklung seines Instrumentariums jedenfalls nicht selbst in die Lage der 15
So zu Recht J. Dietlein, ZG 1995, S. 136 ff. (entgegen K.-E. Hain, DVB1. 1993, S. 982 f.). 16 „Soll das Untermaßverbot nicht verletzt werden, muss die Ausgestaltung des Schutzes durch die Rechtsordnung Mindestanforderungen entsprechen." BVerfGE 88, 203 (254 f.). 17 J. Dietlein, ZG 1995, S. 140. Zu diesem allgemein anerkannten Grundsatz, vergi, nur BVerfGE 17, 371 (377); speziell zum Sozialstaatsprinzip BVerfGE 22, 180 (204). 18 J. Isensee, HStR V, 1992, § 111 Rdn. 164 (S. 232). 19 BVerfGE 88, 203 (254 f.). 20 Das Problem des Ausgleichs wird nicht durch den Rückgriff auf das Untermaßverbot gelöst, sondern es bleibt beim Prinzip der praktischen Konkordanz, dazu K. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts der Bundesrepublik Deutschland, 20. Aufl. 1995, Rdn. 317 ff.
II. Verwaltungsinstrumentarium
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Handlungs- und Reaktionsunfähigkeit versetzen. Bei der Bereitstellung staatsnotwendiger öffentlicher Güter darf er ein bestimmtes Maß an eigener Handlungsfähigkeit nicht unterschreiten. Im Rahmen der oben dargelegten Gütersektoren bestehen zwar erhebliche Unterschiede in Bezug auf den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Dieser wird bei Sozialgütern in der Regel größer sein als etwa bei Ordnungsgütern, insbesondere soweit es um staatliche Schutzleistungen geht. Ein nur noch empfehlendes Staatshandeln, das sich der Fähigkeit zur Herstellung von Verbindlichkeit begibt, wird dem Untermaßverbot bei der Bereitstellung hochrangiger Güter jedenfalls nicht gerecht. Im übrigen muss dieses Instrumentarium selbstverständlich im Hinblick auf die Grundrechte und den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit sorgfältig abgestimmt und in Bezug auf die damit verbundene Eingriffsintensität fein abgestuft sein. c) Staatlicher Wissenszugriff
Nicht nur die instrumentellen Handlungsressourcen des Staates, die reaktiv auf die nachträgliche Korrektur des Fehlverhaltens von Privaten oder auf dessen präventive Kontrolle zielen, werden durch das Rechtsstaatsprinzip geformt, sondern auch seine aktiven Zugriffsmöglichkeiten auf die Fakten, die die tatsächliche Urteilsgrundlage staatlicher Entscheidungen und Planungen bilden. Sorgfältige Tatsachenermittlung und vertretbare Einschätzungen hat das Bundesverfassungsgericht zu Recht in eine Reihe mit dem Untermaß verbot gestellt21. Dieser Zugriff, der nicht mit dem Wissen selbst zu verwechseln ist, muss prinzipiell durch die Vorhaltung entsprechender rechtlicher Instrumente organisiert und gesichert sein. So lässt sich etwa die Genehmigung und Überwachung von als gefährlich bewerteten Anlagen ohne entsprechendes Kontrollinstrumentarium, das den wirksamen Zugang zu den Tatsachen gewährleistet, nicht praktizieren. Die Entscheidungsstrukturen müssen dabei so ausgestaltet sein, dass staatliche Stellen im Ergebnis nicht in eine bloße Beurkundungsfunktion mit lediglich formaler Entscheidungsmacht gedrängt werden, sondern sie müssen in der Lage bleiben, sich eine eigene Anschauung von den Tatsachen zu bilden, diese selbst zu bewerten und auf dieser Grundlage auch zu handeln. Rechtsstaatliche Verwaltung erfordert es, die Vollzugskontrolle in der Hand zu behalten22. Ohne ausreichende Instrumente zur Wirklichkeitserfassung bleibt jeder Verwaltungsvollzug blind, ohne Sanktionsinstrumente 21
BVerfGE 88, 203 (254). Zumindest als „Kontrolle der Kontrolle" durch die staatliche Überwachung „privater Kontrolleure", vergi. M. Schmidt-Preuß, VVDStRL 56, S. 173 m.w.N., der dieses Erfordernis allerdings aus der staatlichen Schutzpflichtendimension der Grundrechte ableitet. Zu verschiedenen Abstufungen der rechtlichen Kontrolle be22
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
gelähmt. Die für Sachentscheidungen erforderliche Wissensbasis und die für ihre Beschaffung vorhandenen rechtlichen Instrumente stellen damit eine besondere Facette der instrumentellen Dimension staatlichen Handelns dar. Staatliche Stellen müssen im Ergebnis in Bezug auf ihr Tatsachenwissen und auf ihr Fachwissen so ausgestattet sein, dass sie auf Grund ihres eigenen Sachverstandes in der Lage sind und bleiben, sich ein Urteil in der Sache zu bilden23. Insofern kann man von einem rechtsstaatlichen Gebot der Schaffung und des Erhalts der staatlichen Wissensbasis sprechen. Der Herrschaft über diese Wissensbasis als Grundlage staatlichen Handelns und staatlicher Planung darf der Staat sich nicht begeben. Das impliziert auch, dass er sich nicht in die Abhängigkeit von Privaten begeben darf. Dieses Gebot setzt auch den Strategien des sogenannten Outsourcing, die bei technischen Dienstleistungen im allgemeinen unproblematisch sein dürften, im Bereich der Informationsgewinnung, Informationsverwaltung und Informationsverarbeitung 24 gewisse Grenzen. Begrenzungsmaßstab ist dabei nicht nur der Gesetzesvorbehalt, der immer dann eingreift, wenn mit der Datenverarbeitung Grundrechtseingriffe verbunden sind, sondern auch die Aufrechterhaltung der Funktionsfähigkeit der Verwaltung. Damit ist es nicht vereinbar, wenn staatliche Stellen in der Weise in Abhängigkeit von Privaten geraten, dass sie im Ergebnis nicht mehr in der Lage sind, aus eigener Kraft Verwaltungsentscheidungen zu treffen. Solche Abhängigkeiten können bei komplexen Systemen der Informationsverarbeitung etwa dann eintreten, wenn es wegen der Komplexität des Systems nach einem gewissen Zeitraum faktisch keine Alternative zu dem betreffenden Informationsverarbeitungssystem mehr gibt oder jedenfalls keine Alternative zu erträglichen finanziellen Konditionen in einem für die erforderliche Umstellung zumutbaren Zeitraum. Das Thema Fachwissen lässt sich in der hier vorgegebene Systematik staatlicher Erfüllungsressourcen letztlich allerdings nicht vollkommen eindeutig zuordnen. Die verfügbaren Ressourcen bei der Tatsachenermittlung, den personellen Kapazitäten mit entsprechendem Know-how und bei den dinglich verfestigten Wissensbeständen (Akten und Archive, Bibliotheken, Datenbanken) gemeinsam bilden erst die Wissensplattform, die sachgerechte Entscheidungen auf eigener Urteilsgrundlage mit eigenen Beurteilungsmaßstäben ermöglichen25. Man mag es als schlichte, von der Verfassung vorausgesetzte Selbstverständlichkeit ansehen, dass staatliche Entreits G. F. Schuppert, Die Erfüllung öffentlicher Aufgaben durch verselbständigte Verwaltungseinheiten, 1981, S. 331 ff. 23 G. F. Schuppert, VVDStRL 56, S. 297 (Diskussionsbeitrag); vergi, auch H. Hill, in: W. Hoffmann-Riem/E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Verwaltungsorganisation als Steuerungsressource, 1997, S. 84 f. 24 Dazu Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat", S. 163 f.
II. Verwaltungsinstrumentarium
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Scheidungen, insbesondere Verwaltungsentscheidungen, sachkundige Entscheidungen sein müssen, oder man mag den Grundsatz sachkundiger Entscheidung, was nahe liegt, im Rechtsstaatsprinzip verankern. Eine nur noch „nachvollziehende Verwaltung", die sich der Möglichkeit einer eigenen Urteilsbildung und damit der eigenen Gestaltungschancen begibt, indem sie sich faktisch oder sogar rechtlich an die Beurteilungsmaßstäbe und Entscheidungsbildungsprozesse Dritter ausliefert, ist jedenfalls keine rechtsstaatliche Verwaltung mehr, zumal dann nicht, wenn es um Planungs- oder Risikoentscheidungen geht26. Da es sich bei der staatlichen Wissensbasis im Rahmen der Erfüllungsressourcen um eine Querschnittsmaterie handelt, spielt dieser Gesichtspunkt auch im Zusammenhang mit anderen, insbesondere personellen Ressourcen eine Rolle 27 . 2. Demokratieprinzip Ergänzend zu diesen rechtsstaatlichen Vorgaben ist auf das in Art. 20 Abs. 1 GG verankerte Demokratieprinzip hinzuweisen, das mit der Notwendigkeit der Rückführbarkeit allen staatlichen Handelns auf den Willen des Gesetzgebers und letztlich des Volkes vor allem Vorgaben für die staatliche Binnendifferenzierung bei der organisatorischen Ausgestaltung des Gesetzesvollzugs enthält und sich dadurch mittelbar auch auf die staatlichen Instrumente und die staatliche Verwaltung auswirkt. Der soeben unter dem Rechtsstaatsprinzip abgehandelte Aspekt des staatlichen Wissenszugriffs läßt sich ergänzend dazu auf das Demokratieprinzip 25
Grundlegend zur Notwendigkeit der „Eigenproduktion" von Beurteilungsmaßstäben und Handlungsmaximen durch die Verwaltung und gegen deren Übernahme von dritter Seite (Beratergremien, Gutachter etc.) E. Forsthoff\ Lehrbuch des Verwaltungsrechts, 10. Aufl. 1973, S. 76 f., der den Verlust an Sachkompetenz und Sachverantwortung der Verwaltung beklagt hat; zustimmend U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 252 f. 26 Unter Rückgriff auf das Demokratieprinzip kritisch zum selbstregulativen Gesetzesvollzug U. Di Fabio , VVDStRL 56, S. 268 f. mit Hinweis auf H. F. Zacher, Freiheit und Gleichheit in der Wohlfahrtspflege, 1964, 124 ff., der frühzeitig vor der „Paralyse der Verantwortung" warnte und es als ein Gebot des Rechtsstaats ansieht, dass Zuständigkeit und Verantwortung zusammenfallen (S. 126). So verführerisch das Stichwort von der Selbstregulierung der Gesellschaft im Doppelzeichen von staatlicher Überforderung einerseits und leeren Kassen andererseits sein mag, droht es die rechtsstaatlichen Handlungsvoraussetzungen aufzulösen. 27 Eine andere Frage ist es, wie der Staat es von der Seite des Dienstrechtes her gesehen sicher stellen kann, dass in den Aufgabenbereichen, in denen ein harter Wettbewerb um fachlich qualifiziertes Personal mit der Wirtschaft herrscht, entsprechendes eigenes Personal in ausreichender Menge auf Dauer sicher gestellt werden kann. Dieses Problem hat letztlich zur der Organisationsprivatisierung der Luftsicherung geführt.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
stützen. Wahrnehmung von demokratischer Verantwortung bedeutet jedenfalls auch, dass „alles amtliche Handeln mit Entscheidungscharakter" 28 nicht willkürlich, sondern auf einer ausreichenden Informationsgrundlage erfolgt. In der staatlichen Binnendifferenzierung sind Versuche zur Entlastung für die unmittelbare Staatsverwaltung und die Regierungsverantwortung zu beobachten. Strategien der staatlichen Binnendifferenzierung, beispielsweise durch die staatsinterne Verlagerung von Verwaltungsaufgaben insbesondere auf Träger der mittelbaren Staatsverwaltung, können als organisatorisches Gegenstück zu den Strategien der Privatisierung im staatsinternen Bereich eingesetzt werden, um dadurch im Ergebnis in ähnlicher Weise Entlastungseffekte bei der eigentlichen Staatsverwaltung zu erzielen. Praktisch interessant sind solche Verlagerungen immer dann, wenn sie zu finanziellen Einspareffekten führen, was dann der Fall sein kann, wenn sich die Finanzierung aus unterschiedlichen Quellen speist. Diese Versuche können durch das Demokratieprinzip begrenzt werden. Einerseits verlangt das Demokratieprinzip die Zusammenführung von Entscheidungsstrukturen der Verwaltung auf die Regierungen hin, die gegenüber den Parlamenten verantwortlich sind und deren Kontrolle unterliegen. Dies setzt auch der Möglichkeit zur Schaffung ministerialfreier Entscheidungsspielräume im Bereich der Staatsverwaltung enge Grenzen29. Völlig autonome Entscheidungsstrukturen in der Verwaltung mit quasi-richterlicher Unabhängigkeit, die sich aus diesem Ableitungszusammenhang abkoppeln, ohne dass eine wie auch immer geartete Kontrolle seitens der Regierung oder unmittelbar durch das Parlament besteht30, sind mit dem Demokratieprinzip bis auf enge, verfassungsrechtlich begründete Ausnahmen nicht vereinbar. Andererseits setzt das Demokratieprinzip aber auch der Delegation von Aufgaben und Zuständigkeiten innerhalb der staatlichen Verwaltungsorgani28
So die Formel BVerfGE 83, 60/3 und 93, 37/68. E.-W. Böckenförde, HStR I, 1987, § 22 Rdn. 24 (S. 902 f.); kritisch dazu A. Rinken, KritV 79 (1996), S. 282 ff. 30 Die Zuweisung völliger Unabhängigkeit an eine mit Exekutivbefugnissen ausgestattete staatliche Stelle verstößt jedenfalls dann gegen das in Art. 20 Abs. 2 GG verankerte Demokratieprinzip und den Grundsatz der parlamentarischen Verantwortung der Regierung, wenn dies nicht ausnahmsweise verfassungsrechtlich bzw. durch grundrechtlich motivierte Ausnahmen gerechtfertigt ist, wie etwa im Fall unabhängiger Datenschutzbeauftragter, vergi. BVerfGE 65, 1 (46) oder für die Mitglieder des Bundesrechnungshofes, Art. 114 Abs. 2 GG. Ferner BVerfGE 83, 60 (71 ff.); 93, 37 (66 ff.). Unzulässig war dagegen der im ursprünglichen Gesetzesentwurf des TKG enthaltene Vorschlag, die Beschlusskammern der Regulierungsbehörde für Telekommunikation und Post mit unabhängiger Entscheidungsmacht auszustatten. Er hat keinen Eingang in das Gesetz gefunden, vergi. §§73 ff. TKG. 29
III. Personal
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sation Grenzen, indem es für alle Erscheinungsformen der staatlichen Verwaltung ein bestimmtes, im einzelnen nicht leicht zu bestimmendes demokratisches Legitimationsniveau erfordert 31. Das Demokratieprinzip kompensiert damit die nur schwach konturierten Organisationsvorbehalte des Grundgesetzes. So ist die Verlagerung von Verwaltungsaufgaben auf berufsständische Selbstverwaltungskörperschaften, die den Kreis der eigenen Angelegenheiten durch die Einräumung von Entscheidungsvollmacht gegenüber Nichtmitgliedern überschreiten 32, ohne zusätzliche Elemente demokratischer Legitimation unzulässig, die nicht nur personell, sondern auch instrumentell gesichert werden können. Die Privatisierung der staatlichen Handlungsformen und damit der Verzicht auf den Einsatz und - noch weitergehend - den Bestand des exklusiven Handlungsinstrumentariums des Staates stößt im Ergebnis jedenfalls dann an verfassungsrechtliche Grenzen, wenn es um die Erfüllung von Verfassungsaufgaben oder um die Bereitstellung sonstiger notwendiger öffentlicher Güter geht. I I I . Personal Privatisierung bedeutet bei den für die Erfüllung von Staatsaufgaben erforderlichen Personalressourcen den Einsatz von privatem Personal, das in keinem besonderen staatlichen Dienstverhältnis (Beamte, Soldaten, Richter etc.) oder einem staatlichen Anstellungsverhältnis (Angestellte des öffentlichen Dienstes) oder einer sonstigen professionellen Staatsfunktion steht. Diese negative Begriffsbestimmung 33 umfasst natürliche und juristische Personen. Vor allem bei notwendigen Staatsaufgaben stellt sich die Frage, inwieweit Private von Verfassungs wegen mit in die Aufgabenerfüllung einbezogen werden dürfen oder ob die Verfassung spezifische personelle Privatisierungssperren errichtet. Welche Personengruppen auf Grund ihrer Qualifikation bzw. Legitimation bestimmte Staatsfunktionen übernehmen dürfen und welche nicht, bildet ein zentrales verfassungsstaatliches Thema, das sich quer durch das Grundgesetz zieht. Eine Reihe von Verfassungsnormen geben den Einsatz von staatlichem Personal mit spezifischen Qualifikations- und Professionalitätsmerkmalen in gewissem Umfang vor und setzen dadurch der Einbeziehung von Privaten in die Erfüllung von Staatsaufgaben grundsätzliche Grenzen. 31 E.-W. Böckenförde, HStR I, 1987, § 22 Rdn. 34 f. (S. 909 f.); BVerfGE 83, 60 (72 f.); 93, 37 (66 ff.). 32 F. Ossenbühl, HStR III, 1988, § 66 Rdn. 32 (S. 479); BVerfGE 33, 125 (160 f.). 33 Ähnlich J. Hengstschläger, VVDStRL 54, S. 174. 23 Gramm
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Für die Funktionsbereiche der Legislative, der Judikative und der Exekutive gelten dabei differenzierte Maßstäbe mit jeweils unterschiedlicher Regelungsdichte. Zum Teil ermöglichen sie in begrenztem Umfang die Einbeziehung von Privaten in die staatliche Aufgabenerledigung, zum Teil schließen sie deren Einbeziehung vollständig aus. Kein Feld für die Einbeziehung von Privaten stellt der engere parlamentarische Bereich dar, der daher nur kurz erwähnt werden soll, um jedenfalls den systematischen Zusammenhang im Grundgesetz zu verdeutlichen. Der verfassungsrechtliche Rechtsstatus des Abgeordneten ist privatisierungsfeindlich. Im Bereich der Justiz finden sich dagegen traditionell Erscheinungsformen der Einbeziehung von Privaten in Rechtsprechungsfunktionen, die sich als - wenn auch eher schwach ausgeprägte - Privatisierungsstrategie begreifen lassen. In jüngster Zeit werden weitergehende Privatisierungstendenzen zunehmend sichtbar. Das eigentliche Feld für Privatisierungsmaßnahmen bei Staatsaufgaben bildet in der Praxis die Verwaltung. Die Verfassung eröffnet hier selbst auf dem Feld der notwendigen Staatsaufgaben erhebliche Spielräume für die Einschaltung von Privaten. 1. Abgeordnete des Deutschen Bundestages Am eindeutigsten ist der Ausschluss von Privaten im Bereich der Legislative. Auch wenn es kein Rechtsetzungsmonopol des Staates gibt 34 , ist jedenfalls die staatliche Rechtsetzung im Hinblick auf das Demokratieprinzip des Art. 20 Abs. 2 GG im Ursprung Sache des staatlichen Gesetzgebers 35. Die Abgeordneten des Deutschen Bundestages sind zwar nicht Beamte, aber doch Träger eines besonderen öffentlichen Amtes36. Art. 38 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Art. 46 bis 48 GG sichert ihnen dabei eine exklusive Stellung, die unter anderem jede parlamentarische Vertretung durch andere Abgeordnete und erst Recht durch Dritte zwar nicht ausdrücklich, aber doch der Sache nach ausschließt. Maßgeblich ist insbesondere die Bestimmung des Art. 38 Abs. 1 Satz 2 GG, wonach Abgeordnete Vertreter des ganzen Volkes, an Aufträge und Weisungen nicht gebunden und nur 34
N. Achterberg, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 92 (Zweitbearbeitung 1981) Rdn. 182. 35 Die Delegation von Rechtsetzungsbefugnissen an staatliche Stellen aus dem Funktionsbereich der Verwaltung wird dadurch zwar nicht ausgeschlossen, vergi. Art. 80 Abs. 1 GG. Eine entsprechende Delegation kann jedoch nur durch Gesetz erfolgen, der Gesetzgeber kann mithin nicht ohne oder gegen seinen Willen überspielt werden. 36 BVerfGE 40, 296 (314).
III. Personal
355
ihrem Gewissen unterworfen sind (sog. Freies Mandat)37. Damit soll die Unabhängigkeit der Abgeordneten zum Ausdruck kommen. Dieser verfassungsrechtliche Status bleibt nur dann gewahrt, wenn das Abgeordnetenmandat als ein Amt mit höchstpersönlicher Natur begriffen wird, das die Einschaltung von andere Personen, etwa als Vertreter oder auch nur als Boten, jedenfalls bei der eigentlichen Arbeit im Parlament und in seinen Gremien und dabei insbesondere bei Abstimmungen nicht zulässt. 2. Richter Verhältnismäßig klar sind auch die Direktiven für die Justiz. Die maßgebliche Bestimmung enthält Art. 92 GG. Danach ist die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut, die diese durch die im Grundgesetz vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausüben. Richter im Sinne des Art. 92 GG ist nur der staatliche Richter, nicht das private Schlichtungsgremium38. Rechtsprechung bedeutet die rechtlich autorisierte letztverbindliche39 Streitentscheidung durch staatlichen Richterspruch auf der Grundlage des geltenden Rechts. Eine gesetzliche Delegation von Rechtsprechungsbefugnissen an Nichtrichter, etwa im Wege der „Beleihung" 40 von privaten Schlichtungsgremien, ist mit diesem Rechtsprechungsmonopol der Verfassung 41 nicht vereinbar. Der in Art. 19 Abs. 4 GG grundrechtlich abgesicherte Anspruch auf Rechtsschutz gegenüber der öffentlichen Gewalt42 kann damit nur durch 37
Zu dieser Rechtsstellung des Abgeordneten H. H. Klein, HStR II, 1987, § 41 Rdn. 2 ff. (S. 369 ff.); P. Badura, in: H.-P. Schneider/W. Zeh (Hrsg.), Parlamentsrecht und Parlamentspraxis, 1989, § 15 Rdn. 9 ff. (S. 491 ff.). 38 Zur Zulässigkeit der privaten Gerichtsbarkeit N. Achterberg, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 92 (Zweitbearbeitung 1981) Rdn. 181 ff., insbesondere zur Schieds-, Vereins- und Parteiengerichtsbarkeit. 39 Die funktionale Letztverbindlichkeit ist das maßgebliche Kriterium zur Abgrenzung zwischen rechtsprechender Gewalt und sonstiger Rechtserkenntnis durch andere staatliche oder private Stellen, vergi, nur W. Meyer, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Art. 92 Rdn. 9. 40 Die Figur der Beleihung kann im Bereich der rechtsprechenden Gewalt im übrigen schon deswegen keine Anwendung finden, weil die in Art. 97 GG garantierterichterliche Unabhängigkeit mit der für die Beleihung konstitutiven Rechtsund Fachaufsicht nicht kompatibel ist. 41 Auch wenn die Frage, was unter der rechtsprechenden Gewalt im Sinne des Art. 92 GG zu verstehen ist, in der Judikatur des Bundesverfassungsgerichts nicht völlig eindeutig geklärt ist, vergi. BVerfGE 8, 179 (207); 12, 264 (274); 22, 49 (76 ff.); 64, 175 (179), hat das Gericht den absoluten Staatsvorbehalt für Aufgaben der Rechtsprechung hervorgehoben, BVerfGE 10, 200 (214 f.); 14, 56 (66); 18, 241 (252 f.); speziell für die Verhängung von Kriminal strafe BVerfGE 22, 49 (80); 64, 261 (278). 23'
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
staatliche Richter gewährt werden. Gleiches gilt für den allgemeinen Justizgewährleistungsanspruch, der im Rechtsstaatsprinzip verankert ist und der gegenüber dem Staat im Hinblick auf das Handeln Dritter (Privater) besteht43. Auch in Rechtsstreitigkeiten auf der Ebene Bürger gegen Bürger gilt deswegen, dass die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist. Trotz dieser zunächst exklusiv klingenden Position der Richter sind Privatisierungsstrategien im Bereich der rechtsprechenden Gewalt von Verfassungs wegen nicht völlig ausgeschlossen. Zu nennen sind vor allem drei Erscheinungsformen 44. a) Laien- und ehrenamtliche Richter
Als erstes Element einer traditionell üblichen Einschaltung von Privaten lässt sich der Einsatz von Laienrichtern und von ehrenamtlichen Richtern, die zwar häufiger juristische Laien sind, aber es nicht sein müssen, im Rahmen staatlicher Gerichte interpretieren. Dieser schwach ausgeprägte Privatisierungsgrad ist strukturell zumindest teilweise mit den öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnissen besonderer Art im Bereich der Hilfspolizeikräfte vergleichbar. Gemeinsames Strukturelement ist die hinter dem voll ausgebildeten Amtsträger nicht selten zurückbleibende fachliche Qualifikation von Laienrichtern. Sehr viel weiter gehen dagegen die „Befugnisse" von Laienrichtern. Sie sind nach übereinstimmender Auffassung vollwertige staatliche Richter im Sinne der Verfassung 45 und genießen damit den Vollstatus richterlicher Unabhängigkeit, auch wenn sie nur eine mindere bzw. keine fachliche Qualifikation im Hinblick auf die Rechtsgelehrtheit aufwei46
sen . Die Differenzierung zwischen professionellen Berufsrichtern und Laienund ehrenamtlichen Richtern ist zwar im Verfassungstext selbst nicht ange42
Vergi, auch Art. 14 Abs. 3 Satz 4 GG. BVerfGE 54, 277 (291); 85, 337 (345 f.); bezogen auf die Strafrechtspflege BVerfGE 33, 367 (383); 51, 324 (343). 44 Für die Justiz ist im Übrigen auf die Stellung der Rechtsanwälte hinzuweisen, die als Organ der Rechtspflege eine traditionelle Form der Beteiligung von nichtstaatlichem Personal an der Staatsfunktion Rechtsprechung darstellen. Dies gilt insbesondere dort, wo Anwaltszwang herrscht, die Durchsetzung des Grundrechts aus Art. 19 Abs. 4 GG damit also von der Einschaltung eines Privaten abhängt. 45 Vergi, nur K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. II, 1980, S. 904 ff. m.w.N. 46 Für ehrenamtliche Richter gilt dieser Einwand nicht notwendig in gleicher Weise. Der Begriff des ehrenamtlichen Richters ist umfassender als der des Laienrichters, denn zwar ist auch der Laie Richter im Ehrenamt, nicht aber der ehrenamtliche Richter notwendig auch Laie. W. Heyde, HdBVerfR, 2. Aufl. 1994, § 33 Rdn. 85 f. (S. 1622 ff.) vermeidet deswegen den Begriff des Laienrichters ganz. 43
III. Personal
357
legt, aber traditionell üblich. Sie weist vorkonstitutionellen Charakter auf und wurde vom Verfassungsgesetzgeber sehenden Auges als solche akzeptiert und übernommen47. Sinn des Laienrichterelementes ist die Anreicherung der Justiz um ein volksnahes Spruchelement48, das nicht zuletzt ein Stück richterlicher Binnenkontrolle realisieren soll. Auch wenn das Bundesverfassungsgericht betont, dass das Grundgesetz grundsätzlich von der Beschäftigung hauptamtlicher und planmäßig endgültig angestellter Richter ausgeht49, hat es den Einsatz von ehrenamtlichen Richtern für zulässig erachtet und ihnen sogar das zahlenmäßige Übergewicht zugestanden50. Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit eines unbeschränkten Einsatzes von ehrenamtlichen Richtern wird allerdings im Hinblick auf deren fachlich mindere Qualifikation bestritten 51, wenn es sich dabei um juristische Laien handelt. Die Menge des Rechtsstoffes und dessen zunehmende Komplexität mache eine fachjuristische Ausbildung für die Findung eines sachgerechten Urteils unabdingbar52. Im Ergebnis müsse das rechtsgelehrte Element zumindest die beherrschende Rolle spielen53. In der Tat wird man die Beteiligung mindestens eines rechtskundigen Richters, der im Gegensatz zur Staatspraxis und zum geltenden (einfachen) Recht54 theoretisch auch einmal ein ehrenamtlicher Richter sein kann, sofern er über entsprechende Rechtskenntnisse verfügt, als das verfassungsrechtlich in keinem Fall unterschreitbare Minimum anzusehen haben. Ausgeschlossen ist es danach jedenfalls, dass ein Laienrichter als Einzelrichter oder ein ausschließlich mit Laienrichtern besetztes Richtergremium entscheidet55. Der Laienrichter darf den qualifizierten und rechtskundigen Richter nicht ganz verdrängen oder ersetzen. Im Einzelnen dürfte es für den Umfang der Einsatzmöglichkeiten von Laienrichtern auf die spezifische Funktion des jeweiligen Gerichts im System der rechtsprechenden Gewalt ankommen. Selbst bei den obersten 47
JöR Bd. 1 (1951), S. 717; N. Achterberg, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 92 (Zweitbearbeitung 1981) Rdn. 264. 48 Dazu K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. II, 1980, S. 905. 49 BVerfGE 87, 68 (85). 50 BVerfGE 54, 159 (167). 51 Insbesondere R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig, Grundgesetzkommentar, Art. 92 Rdn. 77 ff.; K. Stern, Das Staatsrecht der Bundesrepublik Deutschland Bd. II, 1980, S. 905. 52 Ebenso N. Achterberg, Kommentar zum Bonner Grundgesetz, Art. 92 (Zweitbearbeitung 1981) Rdn. 278 f. 53 R. Herzog, in: Th. Maunz/G. Dürig, Grundgesetzkommentar, Art. 92 Rdn. 80. 54 Vergi. § 28 Abs. 2 DRiG. 55 W. Meyer, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Art. 92 Rdn. 17.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Gerichtshöfen des Bundes ist dabei der - behutsame - Einsatz von ehrenamtlichen Richtern von Verfassungs wegen nicht von vornherein ausgeschlossen, wenn auch vielleicht nicht unbedingt sinnvoll. Mit diesen Maßgaben zum Untermaß zulässiger Regelungen durch den Gesetzgeber steht die Verfassung einer stärkeren Einschaltung des laienrichterlichen Elements durch Änderung der gesetzlichen Ausgestaltung der Gerichtsorganisation nicht entgegen. Eine ganz andere Frage ist es, ob dies verfassungspolitisch überhaupt wünschenswert ist. b) Obligatorische private Streitschlichtung
Zweitens finden sich zunehmend Bemühungen zur Entlastung der Justiz durch die Einführung einer in bestimmten Zivilverfahren dem Gerichtsverfahren vorgelagerten obligatorischen privaten Streitschlichtung56. Diese Maßnahmen können als Privatisierungsmaßnahme gedeutet werden. Solche Entlastungsstrategien sind nicht von vornherein verfassungsrechtlich unzulässig. Die Einschaltung Privater im Vorfeld der staatlichen Rechtsprechung stößt aber dort an verfassungsrechtliche Grenzen, wo der Gang zu einem regulären Gericht entweder ganz ersetzt und damit ausgeschlossen oder aber in der Weise erschwert wird, dass staatlicher Rechtsschutz nicht mehr rechtzeitig zu erlangen ist oder auf andere Weise unzumutbar erschwert wird. Die Anrufung eines staatlichen Gerichts und damit die Gewähr der staatlichen Letztentscheidung in Rechtsstreitigkeiten muss theoretisch möglich und praktisch realistisch bleiben. Die Problematik des rechtzeitigen Rechtsschutzes greift insbesondere bei der gesetzlichen Ausgestaltung von Eilverfahren ein. Im Übrigen steht Art. 92 GG der Einführung einer gesetzlich vorgegebenen, obligatorischen privaten Streitschlichtung als Zulässigkeitsvoraussetzung eines Gerichtsprozesses nicht entgegen57.
56
Vergi, die Öffnungsklausel in § 15 a EGZPO zur Schaffung eines obligatorischen Schlichtungsverfahrens vor Klageerhebung durch Landesrecht, dazu die Stellungnahme im Abschlußbericht Sachverständigenrat „Schlanker Staat", S. 179 ff (184 f. und 189 f.); Eckpunktepapier zur außergerichtlichen Streitschlichtung des Justizministers von Nordrhein-Westfalen. Der im Rechtsstaatsprinzip verankerte Justizgewährleistungsanspruch würde dadurch zwar nicht abgeschafft, aber in seiner konkreten Ausgestaltung (vergi. BVerfGE 54, 277/291; 85, 337/345) modifizieren. Zur „Empirie außergerichtlicher Streitbeilegung" W. Hoffmann-Riem, ZRP 1997, S. 193 ff.; zur „Privatisierung der Gerichtsbarkeit" W. Voit , JZ 1997, S. 120 ff. 57 W. Meyer, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Art. 92 Rdn. 9.
III. Personal c) Hilfsfiinktionen
359 der Justiz
Privatisierungstendenzen finden sich drittens auch in Randbereichen der Rechtsprechung bei den Hilfsfunktionen der Justiz. Eine bedeutsame Hilfsfunktion ist die Dokumentation, Aufbereitung und Bereitstellung der höchstrichterlichen Rechtsprechung gerade auch für die Justiz selbst durch die mehrheitlich im Bundeseigentum stehende JURIS-GmbH. Der Verkauf von weiteren Geschäftsanteilen seitens des Bunds wird angestrebt. Die Dokumentationshoheit bei JURIS liegt bislang bei den Richtern bzw. den Bundesgerichten. Obwohl die bloße Dokumentation noch keine Rechtsprechung im engeren Sinn darstellt und nicht durch Richter erfolgt, handelt es sich dabei jedenfalls in einer modernen Lebenswelt mit entsprechenden Datenspeicherungs- und Verarbeitungskapazitäten um die Sicherstellung der erforderlichen richterlichen Wissensbasis und damit um eine unverzichtbare Hilfsfunktion einer auf Kontinuität und Rechtssicherheit zielenden Rechtsprechung, deren Notwendigkeit im übrigen durch das Rechtsstaatsprinzip verfassungsrechtlich abgesichert wird. Jedenfalls im Hinblick auf diese Aufgabe kommt eine Privatisierung durch Verkauf des Bundesanteils ohne gesicherte Möglichkeiten der Einflussnahme auf die Dokumentation und ohne gesicherte Abrufmöglichkeiten durch die Justiz verfassungsrechtlich nicht in Betracht 58. Die Justiz würde sich sonst möglicherweise ihrer eigenen Urteilsgrundlage und der Verfügungsmacht über ihre Wissensbasis, die Voraussetzung der Funktion Rechtsprechung sind, begeben und von Dritten abhängig machen. Dadurch könnte die Funktion Rechtsprechung gefährdet werden. Bei einer Veräußerung der JURIS-GmbH müsste zumindest vertraglich auf Dauer sicher gestellt sein, dass die Richter selbst bestimmenden Einfluss darauf behalten, welche Urteile in welcher Weise dokumentiert, aufbereitet und bereitgestellt werden 59. Insbesondere muss der Zugriff auf diese Datenbestände durch die Justiz, durch anderes Staatspersonal, durch die Wissenschaft und durch die Rechtsanwälte als Organ der Rechtspflege auch dann, wenn JURIS in privater Hand wäre, durch entsprechende rechtliche Sicherungsmaßnahmen aufrecht erhalten werden.
58 H. Weis, Verfassungsrechtliche Fragen einer weiteren Privatisierung der juris GmbH, Beilage zum Bundesanzeiger Jahrgang 48, Nummer 82 a vom 30. April 1996, S. 23 ff. und S. 32 ff.; J. Berkemann, VerwArch 1996, S. 362 ff. 59 H. Weis, Verfassungsrechtliche Fragen einer weiteren Privatisierung der juris GmbH, Beilage zum Bundesanzeiger Jahrgang 48, Nummer 82 a vom 30. April 1996, S. 41.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
3. Beamte a) Personelle Grundkonstellationen bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben
Am relativ offensten sind die verfassungsrechtlichen Maßgaben für den Einsatz von spezifisch staatlichem Personal im Funktionsbereich der Verwaltung gehalten. Maßgebliche Verfassungsnorm ist in erster Linie Art. 33 Abs. 4 GG, der die tatsächlich existierenden personellen Konstellationen bei der staatlichen Aufgabenerfüllung allerdings nur ausschnitthaft erfasst. In weiten Bereichen des staatlichen Verwaltungshandelns sind in personeller Hinsicht systematisch gesehen zunächst zwei organisatorische Grundkonstellationen denkbar: Der Einsatz von staatseigenem Personal60 oder der Einsatz von fremdem Personal (Private), das der Staat für die Erledigung bestimmter Dienstleistungen auf vertraglicher Grundlage einsetzt oder das er auf andere Weise mit der Aufgabenwahrnehmung betraut. Innerhalb dieser Grundzweiteilung ist erneut zu differenzieren. Im ersten Fall des Einsatzes von staatseigenem Personal ist die Unterscheidung zwischen Beamten im staatsrechtlichen Sinn61 einerseits und Angestellten bzw. Arbeitern des öffentlichen Dienstes62 andererseits durch Art. 33 Abs. 4 GG rechtlich vorgezeichnet, der für die Wahrnehmung bestimmter Befugnisse auf das Bestehen eines öffentlich-rechtlichen Dienstund Treueverhältnisses abstellt, aber ausdrücklich auch Ausnahmen hiervon zulässt. In der Staatswirklichkeit kommt es bei der Erledigung von Verwaltungsaufgaben durch staatliches Eigenpersonal häufig zu Mischkonstellationen, bei denen staatliches „Kernpersonal" 63 im Beamtenverhältnis und sonstiges staatliches Personal im Angestelltenverhältnis arbeitsteilig eingeschaltet sind. Im zweiten Fall erfolgt der Einsatz von staatsfremdem Personal für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben als Einschaltung Privater. Rechtlich geschieht dies entweder in Form der Verwaltungshilfe auf rechtsgeschäftlicher Grundlage oder in Form der Beleihung auf gesetzlicher Grundlage. Private werden zwar in beiden Fällen - wenn auch in unterschiedlicher 60
Zu diesem öffentlichen Dienst im weiten Sinne zählen Beamte, Angestellte, Arbeiter, Soldaten und Richter, vergi. U. Battis , in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 1996, Art. 33 Rdn. 50. Systematisch ist Art. 92 GG für Richter gegenüber der Bestimmung des Art. 33 Abs. 4 GG als lex specialis vorrangig. 61 Diese Einschränkung ist erforderlich, da auch die ehrenamtlichen Hilfsbeamten (vergi, oben Β. IV. 1. b) aa)) nicht unter den Beamtenbegriff des Art. 33 Abs. 4 GG fallen. 62 Öffentlicher Dienst im engen Sinne, vergi. Nachweise bei U. Battis , in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 1996, Art. 33 Rdn. 50. 63 G. F. Schuppert,, DÖV 1995, S. 765 f.
III. Personal
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Intensität - in die staatliche Aufgabenerledigung eingebunden; sie werden deswegen aber nicht selbst zu Angehörigen des öffentlichen Dienstes. Auch Verwaltungshelfer und Beliehene müssen allerdings bestimmten inhaltlichen Anforderungen genügen, die sie für die jeweilige Aufgabenerfüllung qualifiziert 64. Von den beiden genannten Grundkonstellationen abzugrenzen ist eine dritte Variante. Kein Fall des Einsatzes von staatseigenem Personal oder der Einschaltung Privater in die Erledigung von staatlichen Verwaltungsaufgaben liegt bei der Indienstnahme vor. Dabei haben Private bestimmte, im öffentlichen Interesse liegende Güter auf der Grundlage einer gesetzlichen Pflicht als eigene Aufgabe, aber nicht als staatliche Aufgabe bereitzustellen. Die Indienstnahme zielt deswegen in der Regel auf eine individuell fixierbare Rechtspflicht. Daneben lassen sich auch kollektive Formen der Indienstnahme unterscheiden. Von einer kollektiven Indienstnahme kann man etwa dann sprechen, wenn alle Wettbewerber in einem bestimmten Marktsegment gemeinsam in die Pflicht genommen sind, bestimmte Resultate des Marktes zu erbringen, beispielsweise die Erbringung von flächendeckend angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen im Bereich des Postwesens und der Telekommunikation im Rahmen des Art. 87 f Abs. 1 GG. Die staatliche Gewährleistungspflicht besteht dabei zunächst zu einem wesentlichen Teil in der einfachrechtlichen Konkretisierung dieser kollektiven Indienstnahme. Die Nennung der Indienstnahme rechtfertigt sich in diesem Zusammenhang gleichwohl, da zahlreiche öffentliche Güter theoretisch sowohl im Wege der staatlichen Verwaltungsaufgabe mit eigenem oder fremdem Personal als auch im Wege der Indienstnahme als private Pflichtaufgabe produziert werden können. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Indienstnahme Privater, die strukturell eine staatsorganisatorische Externalisierungsstrategie und damit eine Privatisierungsreserve von staatlichen Verwaltungsaufgaben darstellt, werden in erster Linie durch die Grundrechte der Betroffenen 65, aber auch durch die spezifische staatliche Verantwortung für das betreffende Sachgut 66 und das Rechtsstaatsprinzip gezogen, das den Staat auch auf die wirksame Bereitstellung notwendiger öffentlicher Güter durch Private und auf dessen Kontrolle festlegen kann.
64
F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 358, bezogen auf den Verwaltungshelfer. BVerfGE 22, 380 (383 f.); 30, 292 (310 f.); K. Stern, Staatsrecht II, 1980, S. 793. 66 Das BVerfG spricht von öffentlichen Aufgaben, vergi. BVerfGE 30, 292 (311); L. Osterloh, VVDStRL 54, S. 224 f. m.w.N. 65
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Unterschiede bei den jeweiligen personellen Konstellationen bestehen vor allem in der Intensität des staatlichen Zugriffs auf die Güterbereitstellung, die beim Einsatz von Beamten wegen der weitreichenden Weisungsbefugnisse des Dienstherrn am stärksten und bei der Indienstnahme am schwächsten ausgeprägt ist. Ob der Einsatz von staatseigenem Personal oder von Privaten geboten ist oder ob ein bestimmtes öffentliches Gut gar im Wege der Indienstnahme bereit gestellt werden kann, dies ergibt sich allerdings nicht schon aus einer empirischen Qualität der Sachaufgabe. Ein in der Sache selbst liegendes Abgrenzungskriterium, warum ein bestimmtes Gut durch staatseigenes Personal, durch privates Personal unter der Regie des Staates oder als eigene Aufgabe Privater auf der Grundlage einer staatlichen Rechtspflicht bereitgestellt werden soll, ist nicht ohne weiteres ersichtlich. Selbst einige notwendige Staatsaufgaben lassen sich theoretisch zumindest ein Stück weit als gesetzliche Bürgerpflicht reformulieren. Verwaltungsaufgaben für sich betrachtet stellen sich damit weitgehend als wahrnehmungsneutral im Hinblick auf das einzusetzende Personal dar. Tatsächlich gibt es wohl kaum eine Dienstleistung, die der Staat theoretisch nicht auch bei Dritten einkaufen könnte und die er in der Geschichte der Staaten bzw. der staatsähnlichen Gebilde nicht auch tatsächlich bei Dritten eingekauft hat. Selbst die Bereitstellung von Sicherheitsgütern, die mit der Wahrnehmung von Hoheitsbefugnissen und Grundrechtseingriffen verbunden ist, oder die Bereitstellung von komplexen geistigen Gütern, etwa der Schulunterricht oder die Erstellung von Gesetzesentwürfen, lassen sich theoretisch an Private vergeben. Wie intensiv der staatliche Zugriff auf die Güterbereitstellung jeweils sein muss, lässt sich nur mit normativen Zurechnungskriterien beantworten. Im einzelnen kommt es hier auf die exakte Bewertung der Produktionsbedingungen, vor allem auf die normativ vorgegebenen staatlichen Verantwortungsstrukturen für das jeweilige öffentliche Gut und die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den Personaleinsatz im Bereich der Verwaltungsaufgaben an. Abgrenzend ist auf folgende Fallgestaltungen hinzuweisen. Als systematisches Gegenstück zur Einbindung von Privatpersonen in die Erfüllung von Staatsaufgaben existiert auch der umgekehrte Fall der Freisetzung von staatseigenem Personal für private Aufgaben unter Beibehaltung ihres staatlichen Status. Diese Konstellation taucht regelmäßig bei der Privatisierung großer Staatsunternehmen mit entsprechenden personellen Ressourcen auf, die sich nicht von heute auf morgen abbauen lassen. Art. 143 a Abs. 1 Satz 3 und Art. 143 b Abs. 3 GG bilden entsprechendes Anschauungsmaterial. Hier kann man von der Privatisierung von staatlichem Personal unter formaler Beibehaltung des Beamtenstatus sprechen, was zu erheblichen Unge-
III. Personal
363
reimtheiten führt. Dahinter verbirgt sich ein typisches Übergangsproblem bei der Umwandlung von Staatsunternehmen in echte private Wirtschaftssubjekte. Die Umwandlung ist regelmäßig nur schrittweise über einen längeren Zeitraum und nicht ohne gewisse Systembrüche zu realisieren. Diese Übergangsphänomene können hier freilich vernachlässigt werden. Von erheblicher systematischer Bedeutung sind dagegen die Fallgestaltungen, in denen staatliches Personal einerseits im Rahmen des gesetzlichen bzw. organisationsrechtlichen Aufgabenradius einer staatlichen Behörde als Amtsträger tätig wird 67 , andererseits aber die betreffende Behörde zugleich auch am Wettbewerb mit echten Privaten teilnimmt. Damit sind die neuerdings zunehmend eingeführten Zertifizierungsverfahren im Technik- und Sicherheitsrecht in Bezug genommen, bei denen dafür „benannte Stellen" sowohl private als auch staatliche Stellen sein können und sollen. Staatliche Behörden und damit auch das staatliche Personal geraten dadurch in eine Art Zwitterstellung, in der sie als Amtsträger einmal staatliche Verwaltungsaufgaben wahrnehmen und ein anderes mal wie Private am Wettbewerb teilnehmen68, ohne deswegen freilich ihren dienstrechtlichen Status aufzugeben. Die Grenze zwischen staatlichem Verwaltungshandeln und privatem Wettbewerbshandeln wird damit zunehmend porös. Es liegt auf der Hand, dass dieses Modell grundsätzlich nur für nichthoheitliche Aufgaben bzw. Befugnisse in Betracht kommt, da solche Aufgaben und Befugnisse von vornherein nicht unter den Beamtenvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG fallen. Systematisch gesehen handelt es sich dabei nicht um ein Problem der Privatisierung des staatlichen Personals, da dieses seinen Rechtsstatus in vollem Umfang beibehält. Es geht vielmehr um die organisationsrechtliche Frage nach den Grenzen einer zulässigen staatlichen Binnendifferenzierung, insbesondere im Hinblick auf die Wahrnehmung von Aufgaben Privater unter Wettbewerbsbedingungen. b) Der Normbereich des Art. 33 Abs. 4 GG
Art. 33 Abs. 4 GG betrifft unmittelbar nur einen Ausschnitt der aufgezeigten Konstellationen, nämlich die Frage, in welchen staatlichen Aufga67
Abzugrenzen sind die durch das Zweite Nebentätigkeitsbegrenzungsgesetz vom 9.9.1997 (BGBl. I S. 2294) weiter eingeschränkten Nebentätigkeiten von Beamten, die keinen Fall von Privatisierung darstellen, da die betreffenden Personen insoweit als Privatpersonen tätig werden. 68 Verfassungsrechtliche Voraussetzung dafür ist, dass das Gesetz die betreffende Behörde überhaupt ermächtigt, als benannte Stelle im Sinne eines anderen Gesetzes tätig zu werden. Es reicht also nicht aus, dass ein Gesetz formuliert: „Benannte Stellen können auch Behörden sein.", sondern der Gesetzgeber muss seinerseits die konkrete Behörde ermächtigen, als Wettbewerber aufzutreten. Andernfalls könnte sich jede irgendwie angesprochen fühlende Behörde ihren Aufgabenradius selbst suchen, was mit den verfassungsorganisationsrechtlichen Vorgaben kaum vereinbar ist.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
benbereichen der Einsatz von Kernpersonal von Verfassungs wegen geboten ist. Danach ist lediglich die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen, die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen. Art. 33 Abs. 4 GG regelt damit nur den Vorbehaltsbereich bzw. das „Wahrnehmungsmonopol"69 für Berufsbeamte und Soldaten70. Die beiden anderen personellen Konstellationen der Aufgabenwahrnehmung durch sonstige Angehörige des öffentlichen Dienstes (Angestellte und Arbeiter, öffentlicher Dienst im engen Sinne) oder durch Private sind allerdings durch die ausdrückliche Begrenzung auf den Regelfall selbst im Vorbehaltsbereich für Beamte von vornherein nicht vollständig ausgeschlossen. Zum Einsatz von staatlichem Personal in anderen Verwaltungsbereichen, die nicht mit der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe verbunden sind, äußert sich die Verfassung ausdrücklich ebenso wenig wie zu den Möglichkeiten der Einbeziehung von nichtstaatlichem Personal in die staatliche Aufgabenerfüllung. Wenn demnach für eine konkrete Sachaufgabe feststeht, dass diese von Verfassungs wegen zumindest im Regelfall nicht durch Beamte wahrgenommen werden muss, ist die Frage, ob das betreffende Gut durch sonstiges eigenes Personal bereitgestellt werden muss oder ob dies auch durch den Zukauf von Dienstleistungen Dritter erfolgen darf, jedenfalls nicht mehr nach den in Art. 33 Abs. 4 GG fixierten Kriterien zu entscheiden. Verfassungsrechtliche Hindernisse für die Beauftragung von Privaten können sich im Einzelfall allerdings aus anderen Verfassungsbestimmungen ergeben, etwa dem aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleiteten Gesichtspunkt, dass der Staat sich seiner Steuerungs- und Wissensressourcen nicht völlig 69
G. F. Schuppert, in: Alternativkommentar Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 33 Abs. 4, 5 Rdn. 36. 70 Für Soldaten enthält Art. 12 a Abs. 1 GG insofern eine wichtige Modifizierung, als danach auch Wehrpflichtige im Vorbehaltsbereich des Militärs eingesetzt werden können, wenn auch nicht müssen (vergi. BVerfGE 48, 127(160) zur Zulässigkeit einer Berufsarmee). Daneben enthält Art. 12 a GG eine Reihe weiterer Verpflichtungsmöglichkeiten zur Deckung des Personalbedarfs vor und im Verteidigungsfall, vergi, dazu Af. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 179. Keine Aussage über die personelle Dimension bei der Erfüllung der Staatsaufgabe „Verteidigung" lässt sich dagegen der Bestimmung des Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG entnehmen, wonach der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt. Die Verfassungsnorm ergänzt die Gesetzgebungskompetenz aus Art. 73 Nr. 1 GG und macht deutlich, dass es im Bundesstaat keine eigenen Verteidigungskräfte der Länder geben darf. Auf welche Weise und mit welchem Personal der Bund dem Auftrag zur Aufstellung von Verteidigungskräften nachkommt, lässt die Verfassungsnorm offen. Dass Soldaten ungeachtet schwieriger Abgrenzungsfragen im Einzelfall grundsätzlich nur als staatliches Personal eingesetzt werden dürfen und nicht etwa als modernes „Söldnerheer", ergibt sich aus Art. 33 Abs. 4 GG.
III. Personal
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begeben darf, sondern tatsächlich in der Lage bleiben muss, sich für seine Aufgaben ein eigenes Urteil auf der entsprechenden Wissensgrundlage zu bilden und dementsprechend zu handeln. Einen über Art. 33 Abs. 4 GG hinausgehenden generellen Funktionsvorbehalt für den öffentlichen Dienst im engen Sinne (Angestellte und Arbeiter) und spiegelbildlich dazu ein verfassungsrechtliches Verbot der Einschaltung Privater außerhalb der unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG fallenden staatlichen Aufgabenbereiche gibt es aber nicht. Dies hat weitreichende Folgen. Soweit Angestellte in der Staatspraxis nicht als zulässige Ausnahme von der Regel im Bereich des Funktionsvorbehalts für Beamte eingesetzt werden und sonstige Sachgründe nicht entgegenstehen, könnten deren Aufgaben damit in weiten Bereichen auch durch privates Personal auf dienstvertraglicher Grundlage erledigt werden. Umgekehrt schließt Art. 33 Abs. 4 GG den Einsatz von Beamten in solchen Aufgabenbereichen, die nicht unter den Funktionsvorbehalt fallen 71, nicht aus. Dies wird im Übrigen durch die Staatswirklichkeit eindrucksvoll bestätigt72. Ein generelles Verbot der Einschaltung Privater auf dienstvertraglicher Grundlage folgt insbesondere auch nicht aus dem „Grundsatz eigenverantwortlicher Aufgabenwahrnehmung" 73, auf den sich das Bundesverfassungsgericht in der Schornsteinfegerentscheidung bezogen hat. Dieser Grundsatz enthält keinen umfassenden Funktionsvorbehalt für den öffentlichen Dienst. Das Bundesverfassungsgericht spricht an dieser Stelle zwar davon, dass Verwaltungsaufgaben „durch eigene Verwaltungseinrichtungen - mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln" wahrzunehmen sind. Diese Äußerungen dürfen jedoch nicht isoliert von ihrem Kontext gelesen werden. Tatsächlich ging es in der Entscheidung um das kompetenzrechtliche Problem der Organleihe im Bundesstaat, die ausnahmsweise unter bestimmten Voraussetzungen für zulässig erachtet wurde. Zuvor stellt das Gericht den ganz auf das Bund-Länderverhältnis gemünzten Grundsatz auf, „dass der Verwaltungsträger, dem durch eine Kompetenznorm des Grundgesetzes Verwal71 Vergi, nur P. Kunig, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 1995, Art 33 Abs. 4, Rdn. 51; D.Dörr, Die Abgrenzung von Beamten- und Angestelltenfunktionen im öffentlichen Dienst, 1990, S. 39 f.; B. Pieroth, in: H. D. Jarass/B. Pieroth, Grundgesetz Kommentar, 4. Aufl. 1997, Art. 33 Rdn. 10; zu eng auch G. F. Schuppert, in: Alternativkommentar Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 33 Abs. 4, 5 Rdn. 38, der eine funktionale Rechtfertigung für den Einsatz von Beamten außerhalb des Funktionsvorbehalts verlangt. 72 Tatsächlich werden Beamte in sehr viel stärkerem Umfang eingesetzt, als dies von Verfassungs wegen geboten ist, vergi. BVerfGE 44, 249 (262); H. P. Bull Die Staatsaufgaben nach dem Grundgesetz, 2. Aufl. 1977, S. 441. 73 BVerfGE 63, 2 (41) unter ausdrücklicher Bezugnahme auf R. Grawert, Verwaltungsabkommen zwischen Bund und Ländern in der Bundesrepublik Deutschland, 1967, S. 195.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
tungsaufgaben zugewiesen worden sind, diese Aufgaben durch eigene Verwaltungseinrichtungen - mit eigenen personellen und sächlichen Mitteln wahrnimmt" 74. Der Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung enthält damit ein - Ausnahmen zulassendes - Verbot, sich für die Erfüllung der eigenen Sachaufgaben der personellen und sachlichen Ressourcen eines anderen Verwaltungsträgers zu bedienen. Positiv gewendet verpflichtet es jeden Verwaltungsträger, die für seine Aufgaben erforderlichen Ressourcen selbst sicher zu stellen. Darüber hinaus sagt der Grundsatz nichts, insbesondere nicht, wie der jeweils zuständige Verwaltungsträger diese Ressourcen sicherzustellen hat. Eigenes Personal im Sinne der Schornsteinfegerentscheidung kann deshalb grundsätzlich auch vertraglich verpflichtetes Personal sein. c) Die hoheitsrechtlichen
Befugnisse
Art. 33 Abs. 4 GG schiebt Privatisierungsstrategien damit einen - wenn auch eher lockeren - Riegel vor. Die inhaltliche Reichweite dieses Funktionsvorbehalts ist allerdings einigermaßen unklar, ihre Auslegung entsprechend umstritten. Übereinstimmung besteht immerhin darin, dass Art. 33 Abs. 4 GG selbst keine Aussagen darüber enthält, für welche konkreten inhaltlichen Sachaufgaben der Staat in der Pflicht ist, sondern dass sie diese Aufgaben mit dem Hinweis auf die hoheitsrechtlichen Befugnisse voraus setzt75. Zur Beantwortung der materiellen Dimension notwendiger Staatsaufgaben trägt die Bestimmung damit unmittelbar nichts bei. Entnehmen kann man ihr lediglich die Aussage, dass es solche Aufgabenbereiche überhaupt gibt 76 . Diese Aufgabenbereiche erschließen sich erst mittelbar auf dem Umweg über die Festlegung von Kriterien zur Ausfüllung des Merkmals der hoheitsrechtlichen Befugnisse. Für die Frage nach den verfassungsrechtlichen Grenzen der Einbeziehung Privater in die Erfüllung von Staatsaufgaben kommt es entscheidend darauf an, was unter diesem Terminus zu verstehen ist. Dabei herrscht große Auslegungsunsicherheit. Eine Meinung versucht, den Funktionsvorbehalt mit einer engen Interpretationslinie auf die klassischen Aufgabenbereiche der Eingriffsverwaltung 77 bzw. auf staatliche Kernaufgaben 78 in diesem Bereich zu begrenzen, wobei 74 75
BVerfGE 63, 1 (41). Art. 33 Abs. 4 GG komme erst dann zum Tragen, wenn die Frage der staatli-
chen Aufgaben Verantwortung bereits entscheiden ist, vergi. R. Scholz, NJW 1997,
S. 15. 76
P. Badura, Reichweite des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, 1995, S. 24.
III. Personal
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darunter im wesentlichen Polizei, Justiz, Finanzverwaltung, Militär und die zentralen Verwaltungen der Gemeinden, der Länder und des Bundes verstanden werden. Betont wird die sachliche Nähe zum staatlichen Gewaltmonopol79. Der Schluss von der (tatsächlichen) Ordnung der staatlichen Aufgaben auf die verfassungsrechtlich vorgegebene dienstrechtliche Struktur sei ein Fehlschluss80. Diese Linie, die sich selbst in Übereinstimmung mit der Entstehungsgeschichte81 sieht, wird neuerdings durch die europarechtlich inspirierte Auslegung des Art. 33 Abs. 4 GG im Lichte des Art. 48 Abs. 4 EGV in Verbindung mit § 4 Abs. 2 BRRG, § 7 Abs. 2 BBG verstärkt 82. Danach wird die Einbeziehung von Privaten in die staatliche Aufgabenerfüllung in anderen Aufgabenbereichen von vornherein nicht vom Normbereich des Art. 33 Abs. 4 GG erfasst. Dass der Einsatz von Beamten in den so verstandenen Kernbereichen dem Funktionsvorbehalt unterfällt, wird im Übrigen auch von anderen Interpretationsansätzen nicht bestritten. Eine andere Auffassung hält allerdings den Kernaufgaben-Ansatz im Rahmen des Art. 33 Abs. 4 GG für zu eng und gelangt auf der Grundlage einer dynamischen Interpretation 83 zu einem weiten Aufgabenverständnis, das methodisch im Wesentlichen negativ durch die Ausgrenzung bestimmter Verwaltungsbereiche festgelegt wird. Ausgehend vom Wandel der Ver77
G. F. Schuppert, Alternativkommentar Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 33 Abs. 4, 5 Rdn. 36 f.; W. Thieme, in: E. Forsthoff, I. v. Münch, W. Schick, W. Thieme, C. H. Ule, F. Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen des öffentlichen Dienstrechts (Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5), 1973, S. 344; F.-J. Peine, Die Verwaltung 1984, S. 415 ff., 436 f.; D. Dörr, Zeitschrift für Tarifrecht 1991, S. 182 und 226; H. Hill, DVB1. 1989, S. 321 ff.; J. Jung, Die Zweispurigkeit des öffentlichen Dienstes, 1971, S. 119 ff. 78 G. Lehngut, ZBR 1991, S. 268. 79 A. Krölls, GewArch 1997, 448 ff., 451 ff. 80 J. Isensee, Beamtenstreik, 1971, S. 90. 81 Danach betreffen hoheitsrechtliche Befugnisse nur die Materien der klassischen Eingriffs Verwaltung im Gegensatz zur Leistungs Verwaltung, vergi. Κ Stern, Festschrift C. H. Ule, 1977, S. 205; W. Thieme, Der Aufgabenbereich der Angestellten im öffentlichen Dienst, 1962, S. 21; G. F. Schuppert, Alternativkommentar Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 33 Abs. 4, 5 Rdn. 25. 82 Dazu P. Badura, Reichweite des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, 1995, S. 33; L. Kathke, ZBR 1994, S. 233; ablehnend U. Battis , Symposium zu dem Thema Reichweite des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, 1995, S. 11 ff. 83 Τ Maunz/G. Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 33 Rdn. 33 (Kommentierung 1966); Κ Stern, Staatsrecht Bd. I, 2. Aufl. 1984, S. 348 f.; J. Isensee, HdBVerfR, 2. Aufl. 1994, § 32 Rdn. 58 (S. 1554).
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
waltung in den vergangenen Jahrzehnten müsse die gesamte obrigkeitliche Tätigkeit einschließlich der unmittelbaren und mittelbaren Leistungsverwaltung dem Funktionsvorbehalt unterfallen, und zwar auch dann, wenn es sich dabei lediglich um schlicht-hoheitliche Verwaltungstätigkeiten handelt 8 4 ; ausgenommen seien nur die reine Fiskalverwaltung, die privatwirtschaftlichen Beschaffungsgeschäfte, die erwerbswirtschaftliche Betätigung der öffentlichen Hand sowie die rein mechanischen Hilfsgeschäfte 85 . Hinsichtlich dieser ausgenommenen Verwaltungsbereiche besteht im Ergebnis wiederum Übereinstimmung mit der engen Auslegungslinie. Den eigentlichen Streitpunkt bildet der Bereich der Leistungsverwaltung bzw. der Daseinsvorsorge, den die weite Auslegungslinie mit unter den Funktionsvorbehalt zieht. Dabei unterfällt mehr oder weniger alles, was der Staat sich selbst zur Aufgabe macht, dem Funktionsvorbehalt. Diese in einigen Punkten durchaus unterschiedlich akzentuierte Argumentationslinie, die teilweise stärker inhaltlich eingrenzend auf den Gehalt und die Bedeutung der jeweiligen Aufgabe 86 , teilweise stärker auf die einzelne Beschäftigungsposition 87 abstellt, sieht sich durch das Bundesverfassungsgericht 88 und die 84 C. Κ Ule, in: E. Forsthoff, I. v. Münch, W. Schick, W. Thieme, C. H. Ule, F. Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen des öffentlichen Dienstrechts (Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5), 1973, S. 453 ff.; W. Leisner, Beamtentum, Schriften zum Beamtenrecht und zur Entwicklung des öffentlichen Dienstes von 1968-1991, 1995, S. 201 ff.; J. Isensee, HdBVerfR, 2. Aufl. 1994, § 32 Rdn. 58 (S. 1554).; a.A. F.-J. Peine, Die Verwaltung 1984, S. 415. 85 U. Battis , in: M. Sachs, Grundgesetz-Kommentar, Art. 33 Rdn. 55 m.w.N. 86 U. Battis , in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 1996, Art. 33 Rdn. 56.; der Aufgabenradius wird entsprechend weit gezogen, vergi. H. Lecheler, HStR III, 1988, § 72 Rdn. 26 ff. (S. 729): „Das Berufsbeamtentum ist das Regelverhältnis für den ganzen öffentlichen Dienst, das zur optimalen Erfüllung der Staatsaufgaben in das Grundgesetz aufgenommen wurde und nicht nur zu ihrer Überwachung oder Leitung." Diese weite Auffassung übersieht freilich, dass der Gesetzgeber ein erhebliches Ausgestaltungsermessen hat, wie er die Bereitstellung von öffentlichen Gütern verwirklicht. Das Spektrum der Privatisierungsgrade belegt, dass dies in vollständiger Eigenproduktion erfolgen kann, aber auch weitgehend verlagert auf das Marktgeschehen im privaten Raum, wobei der Staat dann nur noch kontrollierend und gegebenenfalls als „Reparaturbetrieb" tätig wird. Entscheidend ist die Einsicht, dass die Sachaufgabe selbst ihre Produktionsbedingungen im Hinblick auf staatliche oder private Ressourcen nicht automatisch in sich trägt. 87 H. Lecheler, HStR III, 1988, § 72 Rdn. 26 (S. 727 f.); P. Kunig, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 1995, Art 33 Abs. 4, Rdn. 49. Maßgeblicher Gesichtspunkt ist danach das Bestehen eigener Entscheidungsbefugnisse für die Gestaltung des Staat-Bürger-Verhältnisses; P. Badura, Reichweite des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, 1995, S. 8 ff. 88 BVerfGE 7, 155 (162). Danach soll das Berufsbeamtentum „gegründet auf Sachwissen, fachliche Leistung und loyale Pflichterfüllung eine stabile Verwaltung
III. Personal
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überaus weite Formulierung des Art. 20 Abs. 2 Einigungsvertrag 89 bestätigt. Sobald man für die Ermittlung der „hoheitsrechtlichen Befugnisse" nicht nur auf formale Kriterien, sondern auch auf die spezifischen Aufgaben selbst abstellt, sei es in eher generalisierender Betrachtung, sei es eher mit Blick auf den einzelnen Dienstposten, berührt sich die Diskussion bei beiden Argumentationsansätzen unweigerlich mit der Kernaufgabendebatte90. Da es ein überzeugendes Kernaufgabenkonzept, welches insbesondere dem Wandel der Staatsaufgaben gerecht wird, bislang aber nicht gibt, wird dabei entweder eher auf die traditionell enge Sichtweise im Sinne obrigkeitsstaatlichen Handelns oder eher modern auf die - mehr oder weniger vorausgesetzte - „Bedeutsamkeit" von Sachaufgaben abgestellt, die sich in der Entscheidung des Gesetzgebers zur Wahrnehmung bestimmter Sachaufgaben realisiert. Auf diese Weise hofft man, dem Wandel hin zum Leistungsstaat auf angemessene Weise Rechnung zu tragen. Normativ überzeugend ist dieser Ansatz allerdings nicht, da es hier letztlich alleine der faktische Wandel der Staatsaufgaben ist, der über die Reichweite des Funktionsvorbehalts entscheidet. In Zeiten der staatlichen Aufgabenexpansion dehnt sich damit auch die normative Reichweite des Funktionsvorbehalts entsprechend aus. Der Hinweis, dass es sich bei der Aufgabenerledigung durch Beamte um den vom Grundgesetz intendierten Normalfall staatlicher Aufgabenerfüllung handelt, liegt zwar ganz auf dieser Linie, überzeugt aber weder aus entstehungsgeschichtlicher noch aus systematischer Perspektive. Insgesamt deutet der Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG bei allen Ungereimtheiten im Übrigen damit eher auf die enge Auslegung. Diesen Schwierigkeiten einer inhaltlichen Bestimmung des Vorbehaltsbereichs sucht eine dritte, stark formalisierende Betrachtungsweise zu entgehen, die alleine auf die Organisations- und die Rechtsform der staatlichen Aufgabenerledigung abstellt91. Die Frage nach der Reichweite des Normbesichern und damit einen ausgleichenden Faktor gegenüber den das Staatsleben gestaltenden politischen Kräften darstellen". 89 „Die Wahrnehmung von öffentlichen Aufgaben (hoheitsrechtliche Befugnisse im Sinne von Artikel 33 Abs. 4 des Grundgesetzes) ist sobald wie möglich Beamten zu übertragen." 90 Auch der Versuch, nicht auf ganze, inhaltlich umschriebene Aufgabenbereiche, sondern lediglich auf den einzelnen Dienstposten abzustellen, löst das Problem nicht, sondern verlagert es nur auf den Einzelfall. Spätestens hier muss entschieden werden, nach welchen Kriterien die inhaltliche, aufgabenbezogene Betrachtung vorzunehmen ist. 91 Dieser Ansatz entspringt letztlich der Einsicht, dass eine inhaltliche Bestimmung der „Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse" nicht möglich sei, so insbesondere E. Forsthoff, in: E. Forsthoff, I. v. Münch, W. Schick, W. Thieme, C. H. Ule, 2
Gramm
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
reichs von Art. 33 Abs. 4 GG wird dadurch allerdings weitgehend in das Organisationsermessen des einfachen Gesetzgebers gestellt. Die Direktivkraft der Verfassungsnorm ist damit deckungsgleich mit dem Willen des Gesetzgebers. Diese Argumentationsstruktur ist aus der Staatsaufgabendiskussion bekannt: Notwendig - bzw. hier mit dem Funktionsvorbehalt für Beamte versehen - ist, was dem Gesetzgeber als solches erscheint. In ähnlicher Weise gilt für das Abstellen auf die Rechtsform des Verwaltungshandelns, dass die Verwaltung hier häufig eine Wahlmöglichkeit hat. Die Auswahlentscheidung der Verwaltung kann aber genauso wenig ausschlaggebend sein, weil sie sonst im Ergebnis über die Reichweite der Verfassungsnorm disponieren könnte92. Die formale Betrachtung bietet damit nur eine Scheinlösung des Problems. Die Erforderlichkeit einer inhaltlichen Bestimmung des Begriffs der hoheitsrechtlichen Befugnisse lässt sich im Ergebnis nicht umgehen. Vieles spricht dabei für den Ausgangspunkt des engen Auslegungsansatzes, insbesondere das Argument, dass die weite Auslegung den Hoheitsbereich letztlich ins Uferlose auszuweiten droht. Der Hoheitsbereich ist auf die wirklich staatsnotwendigen93 Güterbereitstellungsvorgänge zu begrenzen. Freilich ist damit nur der Einstieg für weitere Untersuchungen geschaffen, die bereichsspezifisch für bestimmte Aufgabenfelder durchzuführen sind. Hierbei kommt es vor allem darauf an, tragfähige Kriterien zu entwickeln, die eine präzise Abschichtung von Tätigkeiten erlauben, die grundsätzlich nur Beamte oder auch anderes Personal wahrnehmen dürfen. Die weite Auslegung vermag demgegenüber auch deswegen nicht zu überzeugen, weil es in vielen Fällen gerade im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers liegt, wie er die Bereitstellung eines notwendigen öffentlichen Gutes organisiert. Die Privatisierung der Post bietet entsprechendes Anschauungsmaterial. Das Ziel der flächendeckenden Versorgung zu angemessenen und wirtschaftlich erträglichen Konditionen wurde dabei bekanntlich nicht aufgegeben, wenn auch in einem völlig anderen „Anbietermix" aus privaten und staatliche Akteuren organisiert. War die Güterbereitstellung vorher personell gesehen annähend zu einhundert Prozent in staatlicher Hand, so ist der Staatsanteil jetzt auf die Gewährleistungsfunktion F. Mayer, Verfassungsrechtliche Grenzen des öffentlichen Dienstrechts (Studienkommission für die Reform des öffentlichen Dienstrechts, Bd. 5), 1973, S. 59; W. Rudolf VVDStRL 37, S. 202 ff.; J. A. Kämmerer, JZ 1996, S. 1047; vergi, auch Κ Stern, Staatsrecht I, 2. Aufl. 1984, S. 348 f.; dagegen D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 122. 92 So ausdrücklich J. Isensee, HdBVerfR, 2. Aufl. 1994, § 32 Rdn. 57 (S. 1553). 93 So G. F. Schuppert,, Alternativkommentar Grundgesetz, Bd. 1, 2. Aufl. 1989, Art. 33 Abs. 4, 5 Rdn. 36, der allerdings von einem traditionellen Verständnis notwendiger staatlicher Aufgabenwahrnehmung ausgeht.
III. Personal
371
zurückgenommen, die durch die sogenannten Regulierungsaufgaben wahrgenommen wird. Die damit verbundene Steuerung des Marktgeschehens im Interesse der flächendeckend angemessenen und ausreichenden Versorgung ist der dem Staat notwendigerweise verbleibende Kernbereich. Allgemein gesprochen können hoheitsrechtliche Befugnisse damit in zwei Richtungen konkretisiert werden: einmal traditionell als Ausübung von gesetzlichem Zwang gegenüber dem Bürger, mithin dem Eingriffsbereich, und als Ausübung von Steuerungs-, Leitungs- und Entscheidungsbefugnissen bei der Bereitstellung staatsnotwendiger Güter. Vor allem der Begriff der Entscheidungsbefugnisse darf dabei nicht zu eng ausgelegt werden. Was dies jeweils praktisch bedeutet, bedarf im Einzelfall der Konkretisierung. Von der Sachaufgabe bzw. dem konkreten Gut ausgehend ist dabei die Frage zu beantworten, ob der Staat von Verfassungs wegen lediglich auf eine Gewährleistungsrolle festgelegt ist oder ob er weitergehenden Einstandspflichten unterliegt. Damit ist der Funktionsvorbehalt für Beamte dem Bereich des Staatsnotwendigen, so wie er hier in einem verfassungsrechtlichen und einem theoretisch ergänzten inhaltlichen Sinn verstanden wird, zwar angenähert, aber nicht gleichgesetzt. Die enge Sichtweise der Begrenzung auf Kernaufgaben, die sich weitgehend mit dem Sektor der Ordnungsgüter deckt, erscheint danach als zu eng, da sie pauschal die Bereitstellung von notwendigen Gütern aus anderen Sektoren als dem der Ordnungsgüter aus dem Bereich des Staatsnotwendigen ausklammert; demgegenüber erscheint die weite Auffassung als zu weit, da sie nicht nach einzelnen Gütern innerhalb der genannten Gütersektoren zu differenzieren vermag, sondern nur negativ einige Betätigungsfelder ausgrenzt. Vor allem die staatliche Bereitstellung von Sozialgütern, von geistigen Gütern, von Infrastrukturgütern und von Wirtschaftsstrukturgütern wird viele Teilbereiche aufweisen, in denen der Einsatz von Beamten nicht pauschal geboten ist, und zwar selbst dann nicht, wenn es sich dabei - wie beim Beispiel der Gewährleistung des physischen Existenzminimums - um ein staatsnotwendiges Gut handelt. Aber auch in den anderen, ausgesprochen hoheitsnahen Gütersektoren wird es regelmäßig Teilbereiche geben, in denen der Einsatz von Beamten nicht geboten ist. Zur güterspezifischen Betrachtungsweise muss deswegen die bereichsspezifische Betrachtung der in diesem Rahmen konkret zu erbringenden Teilleistungen hinzutreten. Im Ergebnis wird der Vorbehaltsbereich regelmäßig sehr viel enger sein als die faktische Erfüllung von Staatsaufgaben durch Beamte. d) Das Regel-Ausnahme-Verhältnis
Bietet das Tatbestandsmerkmal der hoheitsrechtlichen Befugnisse eine inhaltlich-qualitative Maßgabe für den Einsatz von staatseigenem Personal 2
372
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis, so lockern die Tatbestandsmerkmale „in der Regel" und die Ausübung „als ständige Aufgabe" den Vorbehaltsbereich in quantitativer und in zeitlicher Hinsicht in doppelter Weise wieder auf. Das damit begründete Regel-Ausnahme-Verhältnis schließt es aus, die ständige Ausübung94 hoheitlicher Befugnisse in größerem Umfang auf Nichtbeamte zu übertragen 95. Ausnahmen und damit die Heranziehung anderer Personen zur Erfüllung von Verwaltungsaufgaben, die dem Funktionsvorbehalt unterfallen, sind prinzipiell zulässig. Art. 33 Abs. 4 GG steht dem Einsatz von anderem staatlichen Personal (öffentlicher Dienst im engsten Sinn), etwa bei Maßnahmen der Organisationsprivatisierung, und von Privaten auf der Grundlage von Beleihungen auch im Bereich des Funktionsvorbehalts damit nicht von vornherein entgegen96. Voraussetzung ist, dass der Einsatz von Angestellten oder von Privaten auf Beleihungsgrundlage sich im Rahmen des Regel-Ausnahme-Verhältnisses bewegt. Die normative Statuierung eines „Regeltypus"97 lässt Abweichungen damit nur in dem Umfang zu, soweit sie das Regel-AusnahmeVerhältnis nicht durchbrechen. Die entscheidende verfassungsrechtliche Frage lautet, an welchem Punkt die ausnahmsweise zulässige Einbeziehung Privater ins Unzulässige umschlägt. Rein quantitative Abschichtungen sind dabei freilich schwierig; unklar ist bereits, wonach sich der Regelfall bestimmen und welche Bezugsgröße für die maßgebliche Regel ausschlaggebend sein soll. Kommt es dafür, eher formal betrachtet, auf die jeweilige organisatorische Einheit an und wenn ja auf welche (Behörde, Körperschaft), oder eher auf den gesamten inhaltlich umschriebenen Aufgabenbereich (Polizei, Schule)? Weiter ist unklar, wie viel an Ausnahmen die Regel verträgt, um ihren Regelcharakter nicht einzubüßen: bis zu zehn Prozent, bis zu dreiunddreißig Prozent oder gar bis zu neunundvierzig Prozent? Diese Fragen sind letztlich ungeklärt, auch wenn das „Prinzip der quantitativen Begrenzung" in der Literatur eine gängige Formel zur Auslegung 94
Die zeitlich begrenzte Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf Personen, die nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, fällt nicht unter den Funktionsvorbehalt, vergi. BVerfGE 83, 130 (150). 95 Vergi. BVerfGE 9, 268 (284); 57, 55 (59). 96 H. Benz, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Beleihung einer Aktiengesellschaft mit Dienstherrenbefugnissen, S. 106 ff. m.w.N.; A. Kulas, Privatisierung hoheitlicher Verwaltung. Zur Zulässigkeit privater Strafvollzugsanstalten, 1996, S. 34 ff. und 65 ff.; R. Stober, Handbuch des Wirtschaftsverwaltungs- und Umweltrechts, 1989, § 74 II 2 (S. 872); A. Krölls, GewArch 1997, S. 449 ff. Eine Verlagerung von hoheitsrechtlichen Befugnissen auf Private lediglich auf vertraglicher Grundlage scheitert verfassungsrechtlich nicht an Art. 33 Abs. 4 GG sondern am Demokratie- und am Rechtsstaatsprinzip. 97 Dazu BVerfGE 88, 103 (114).
III. Personal
373
des Regel-Ausnahme-Verhältnisses darstellt 98. Vor allem der Versuch, das Regel-Ausnahme-Verhältnis auf der Grundlage von Prozentpunkten zu quantifizieren, ist kaum lösbar und wirft im Übrigen erhebliche Messschwierigkeiten in der Praxis auf. Die äußerste Grenze des Auslegungsspielraumes dürfte immerhin dort erreicht sein, wo Beamte für eine konkret umschriebene Sachaufgabe im Bereich des Funktionsvorbehalts nicht mehr mehrheitlich eingesetzt werden. Auch diese Formel beantwortet nicht die Frage nach dem normativ maßgeblichen Bezugspunkt bzw. Aufgabenbereich. Wegen der Schwierigkeit einer rein quantitativen Bestimmung wird versucht, das Regel-Ausnahme-Verhältnis quantitativ eng und ergänzend dazu doch wieder qualitativ über inhaltliche Kriterien in den Griff zu bekommen. Abweichungen von der Regel bedürfen danach, um verfassungsrechtlich gerechtfertigt zu sein, eines sachlichen Grundes99. Das Spektrum möglicher sachlicher Gründe, die ausnahmsweise die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse durch Angestellte oder Private rechtfertigen können, ist weit. Beispielhaft zu nennen sind Erwägungen wie Flexibilität, Dezentralisierung oder die Nutzung privater Sachkenntnis. Als unzulässig angesehen wird die Verlagerung auf Angestellte oder Private dagegen dann, wenn sie alleine auf das fiskalische Motiv gestützt wird, weil die Aufgabenerledigung durch Private oder Angestellte angeblich kostengünstiger erfolgen kann 100 . Das Argument der kostengünstigeren Aufgabenerledigung soll insbesondere auch dann nicht zum Zuge kommen dürfen, wenn die staatliche Finanzknappheit zum Dauerzustand wird. Diese Einschränkung des Spektrums zulässiger Sachgründe, die eine Beleihung verfassungsrechtlich rechtfertigen können, ist bei näherer Betrachtung nicht tragfähig. Der vom Wortlaut her rein quantitative Ansatz des Regel-Ausnahme-Verhältnisses wird durch seine letztlich aus methodischer Verlegenheit geborene inhaltliche Aufladung jedenfalls dann verschüttet, wenn bestimmte Sachargumente ohne erkennbaren verfassungsrechtlichen Grund von vornherein als unzulässig ausgeschlossen werden. Das Argument staatlicher 98
U. Steiner, Öffentliche Verwaltung durch Private, 1975, S. 261; E. R. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Bd. 1, 2. Aufl. 1953, S. 543; H. Benz, Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Beleihung einer Aktiengesellschaft mit Dienstherrenbefugnissen, S. 109 f. 99 BVerfGE 83, 130 (150); BVerwGE 57, 55 (59); Ρ. Badura, Reichweite des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, 1995, S. 15; A. Krölls, GewArch 1997, S. 452 m. w.N. 100 Etwa P. Kunig, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 2, 3. Aufl. 1995, Art 33 Abs. 4, Rdn. 50. Ob dies tatsächlich der Fall ist, ist insbesondere bei den Alternativen Beamte oder Angestellte umstritten.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Finanzknappheit stellt ersichtlich kein verfassungsrechtlich unzulässiges Argument dar, sondern ganz im Gegenteil: Wirtschaftlichkeit im Umgang mit Haushaltsmitteln ist, wie sich zumindest aus Art. 114 GG ergibt, verfassungsrechtlich durchaus vorgesehen101. Das Motiv einer wirtschaftlicheren Aufgabenerledigung stellt deswegen für den Einsatz von Angestellten oder für eine Beleihung Privater im Hinblick auf das in Art. 33 Abs. 4 GG vorgeschriebene Regel-Ausnahme-Verhältnis selbst im Bereich notwendiger Staatsaufgaben bzw. bei der Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse nicht unbedingt einen Hinderungsgrund dar 102 . Wenn die Finanzknappheit zum Dauerzustand wird, gilt nichts anderes; der Staat und damit der Gesetzgeber ist auch in Zeiten der Finanzknappheit in der Pflicht zur Erfüllung notwendiger Staatsaufgaben. Wenn er dieser Verpflichtung trotz knapper Mittel etwa durch die Beleihung Privater besser und kostengünstiger gerecht werden kann, stellt dies nicht per se einen Verstoß gegen Art. 33 Abs. 4 GG dar, und zwar selbst dann nicht, wenn die Finanznot des Staates zum Dauerzustand wird. Die äußerste Grenze des quantitativ Zulässigen dürfte allerdings dort erreicht sein, wo der Einsatz von Nichtbeamten seinerseits zur Regel wird. Die rein quantitative Auslegung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses greift allerdings zu kurz. Die Formel ist außer für den vergleichsweise seltenen Fall der Komplettprivatisierung von ganzen Aufgabenbereichen kaum geeignet, um die Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers für Beleihungsmaßnahmen oder, eine Schwelle darunter, für Maßnahmen der Organisationsprivatisierungen auszuloten. Ergänzend dazu ist nach weiteren inhaltlichen Kriterien zu suchen, die es erlauben, das zulässige Regel-Ausnahme-Verhältnis auch in einem qualitativen Sinn zu fixieren. Diese Kriterien müssen bereichsspezifisch und fallbezogen mit Blick auf die Funktion des Art. 33 Abs. 4 GG entwickelt werden, der ungeachtet aller Auslegungsunsicherheit letztlich als eine Art staatlicher Identitätssicherungsklausel für den Bereich der staatlichen Verwaltung verstanden werden muss. Möglicherweise bestehende andere Bedenken, etwa ein Verstoß gegen die Grundsätze einer verfassungsrechtlich zulässigen Beleihung, gegen die rechtsstaatlich gebotene Effektivität der staatlichen Aufsicht über den Beliehenen oder gegen das Gebot des Erhalts der staatlichen Wissensbasis, bleiben hiervon unberührt.
ιοί Vergi, a u c h die Untersuchung von H. H. v. Arnim, Wirtschaftlichkeit als Rechtsprinzip, 1988, insbes. S. 67 ff. 102 Privatisierungsmaßnahmen sind von Verfassungs wegen nicht alleine schon deswegen ausgeschlossen, weil damit eine wirtschaftlichere Erledigungsform gewählt wird, vergi. Κ. Η. Friauf \ Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, (Rechtsgutachten), 1991, S. 21.
III. Personal e) Andere Verfassungsbestimmungen
375 zum Personaleinsatz
Andere Verfassungsartikel sind im Hinblick auf den Personaleinsatz im Bereich der Verwaltungsaufgaben weitgehend neutral. Insbesondere den organisationsrechtlichen Vorgaben für die Verwaltungskompetenzen des Bundes in den Art. 86 ff.. GG 1 0 3 lässt sich richtigerweise nicht entnehmen, ob der Einsatz von Beamten in jedem Fall geboten ist oder ob auch andere personelle Konstellationen für die Aufgabenerledigung in Betracht kommen. Alleine aus der Organisationsform in unmittelbarer oder mittelbarer Staatsverwaltung kann noch nicht auf die Notwendigkeit des Einsatzes von Beamten rückgeschlossen werden. Selbst dort, wo die Verfassung den Typus der bundeseigenen Verwaltung und damit die Erledigung in Behördenform ausdrücklich vorschreibt, ist über das in diesem Rahmen einzusetzende Personal noch nichts entschieden. Ob dabei grundsätzlich Beamte heranzuziehen sind oder ob auch anderes staatseigenes oder sogar staatsfremdes Personal eingesetzt werden kann, ergibt sich damit alleine aus Art. 33 Abs. 4 GG und nicht aus den organisationsrechtlichen Vorgaben der Art. 86 ff.. GG 1 0 4 . Eine Ausnahme enthält lediglich Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG für die Luftverkehrsverwaltung (Flugsicherung). Nach allen divergierenden Auffassungen zur Reichweite des Art. 33 Abs. 4 GG stellt die Flugsicherung unstreitig eine sonderpolizeiliche Hoheitsaufgabe dar, die damit an sich dem Funktionsvorbehalt für Beamte unterfällt und in der Regel, also bei aller Auslegungsunsicherheit im Übrigen, zumindest mehrheitlich durch Beamte auszuüben ist. Abweichend davon lässt Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG ausnahmsweise die Wahrnehmung einer Hoheitsaufgabe in einer privat-rechtlichen Organisationsform und damit auch ausschließlich durch Angestellte zu und räumt dem Gesetzgeber insoweit ein Wahlrecht ein. Für dieses sonderpolizeiliche staatliche Aufgabensegment wird Art. 33 Abs. 4 GG auf der Ebene der Verfassung damit bereichsspezifisch verdrängt 105. Art. 87 d Abs. 1 103
Dazu P. Lerche, in: Th. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 86 Rdn. 83 und Art. 87 Rdn. 13 und 15 (Kommentierungen 1989 bzw. 1992). 104 Soweit eine Verfassungsnorm ausdrücklich vorschreibt, dass Hoheitsaufgaben in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, vergi. Art. 87 f Abs. 2 Satz 2 GG, ergibt sich alleine daraus noch nicht die Notwendigkeit des Einsatzes von Beamten, sondern erst aus der Hinzunahme des Art. 33 Abs. 4 GG. 105 BT-Drs. 12/1800, S. 3 f. Die Organisationsprivatisierung der Luftverkehrsverwaltung durch Gründung und Beleihung einer bundeseigenen GmbH konnte deswegen nicht lediglich auf einfachgesetzlicher Grundlage erfolgen, sondern bedurfte zunächst einer Verfassungsänderung. Systematisch ist Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG eine Ausnahme zu Art. 33 Abs. 4 GG. Diese Ausnahmeregelung eröffnet tatsächlich weitgehende Privatisierungsspielräume. Es ist nicht einmal erforderlich, dass der Bund Eigentümer der Flugsicherheits-GmbH bleibt. Theoretisch kommt jetzt auch eine Veräußerung - unter Beibehaltung des Beliehenenstatus - in Betracht, R. Uerp-
376
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Satz 2 GG ist deswegen seiner systematischen Stellung nach keinesfalls eine Grundsatznorm, sondern eine eng auszulegende Spezialbestimmung, die die Systematik nur für diesen eng umschriebenen Aufgabenbereich durchbricht. Auf andere Aufgabenbereiche ist sie nicht anwendbar. Art. 33 Abs. 4 GG wirkt sich allerdings in umgekehrter Richtung auf die Organisationsform bei der staatlichen Aufgabenerfüllung aus. Wenn feststeht, dass eine Sachaufgabe unter den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG fällt, kann diese grundsätzlich nicht in privatrechtlicher Gesellschaftsform erledigt werden, weil eine Gesellschaft des privaten Rechts keine Dienstherrenfähigkeit besitzt und gar keine Beamte beschäftigen könnte. Die Wahlfreiheit des Gesetzgebers bzw. das staatliche Selbstorganisationsrecht wird damit durch Art. 33 Abs. 4 GG stark eingeschränkt106. Die Verfassungsnorm enthält deswegen den Grundsatz, dass die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse in der Regel mittels öffentlich-rechtlicher Organisationsformen zu bewältigen ist 1 0 7 und errichtet dadurch eine eindeutige Privatisierungssperre 108 nicht nur für die Verlagerung von Aufgaben in den gesellschaftlichen Raum, sondern auch für sogenannte Organisationsprivatisierungen. Die Möglichkeit zur Gründung von staatlichen Eigengesellschaften existiert damit im Bereich des Funktionsvorbehalts grundsätzlich nicht. Dies ist auch für den einfachen Gesetzgeber bindend. Dafür spricht nicht nur die Verfassungsnorm des Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG, die andernfalls überflüssig wäre, sondern ebenso die Existenz der Art. 143 a Abs. 1 Satz 3 und 143 b Abs. 3 Satz 2 GG 1 0 9 , die sonst gleichfalls entbehrlich wären. Grundrechte haben dagegen grundsätzlich keine Auswirkung auf die Reichweite des Art. 33 Abs. 4 GG. Insbesondere existiert kein Grundrecht mann, in: I. von Münch/P. Kunig (Hrsg.), Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Grundgesetz-Kommentar, Art. 87 d Rdn. 12 (umstr., vergi. P. Lerche, in: T. Maunz/G. Dürig (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, Art. 86 Rdn. 88 f. (Kommentierung 1989). 106 Vergi, auch F.-J. Peine, DÖV 1997, S. 363. 107 D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 121. 108 D. Ehlers, Verwaltung in Privatrechtsform, 1984, S. 121 ff.; H. Lecheler, Grenzen für den Abbau von Staatsleistungen, 1989, S. 93; J. Isensee, HdBVerfR, 2. Aufl. 1994, § 32 Rdn. 59 (S. 1555). P. Badura, Reichweite des Funktionsvorbehalts nach Art. 33 Abs. 4 GG unter Berücksichtigung aktueller Privatisierungstendenzen sowie der Auswirkung der europäischen Integration und der Entwicklung in den neuen Ländern, 1995, S. 23. 109 Art. 143 b Abs. 3 Satz 2 GG enthält eine ausdrückliche Ausnahme für die Bundesbeamten, die bei den aus der Deutschen Bundespost hervorgegangenen Nachfolgeuntemehmen tätig sind; für den parallel gelagerten Bereich der Bahn hat der Verfassungsgesetzgeber eine andere Konstruktion gewählt. Nach Art. 143 a Abs. 1 Satz 3 GG bleibt die Verantwortung des Dienstherren bestehen, der die betroffenen Bundesbeamten lediglich zur Dienstleistung an eine privatrechtlich organisierte Eisenbahn des Bundes zuweisen kann.
IV. Sachmittel
377
auf die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse, sondern lediglich das Recht aus Art. 33 Abs. 2 GG auf nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amte. Eine Ausnahme findet sich im Grundrechtsteil bei der Privatschulgarantie des Art. 7 Abs. 4 GG, jedenfalls dann, wenn man der weiten Auffassung zur Auslegung der hoheitsrechtlichen Befugnisse folgt und damit auch die Lehrtätigkeit in den Schulen hierunter subsumiert. Privatschulen tragen dazu bei, die Staatsaufgabe Schulunterricht zu erfüllen, wenn auch durch privates Personal. Dies wird dadurch belegt, dass seiner gesetzlichen Schulpflicht auch derjenige nachkommt, der eine genehmigte private Ersatzschule besucht. Der Anspruch auf Genehmigung einer Ersatzschule folgt aus Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG, „wenn die privaten Schulen in ihren Lernzielen und Einrichtungen sowie in der wissenschaftlichen Ausbildung ihrer Lehrkräfte nicht hinter den öffentlichen Schulen zurückstehen und eine Sonderung der Schüler nach den Besitzverhältnissen der Eltern nicht gefördert wird" 1 1 0 . Die ausdrückliche Öffnung der Staatsaufgabe Schule für grundrechtlich gesicherte Freiheitsausübung läßt damit die Erbringung der Dienstleistung Schulbildung auch durch Private zu. Systematisch gesehen modifiziert Art. 7 Abs. 4 GG den Art. 33 Abs. 4 GG, soweit man diese Bestimmung überhaupt auf den Schulunterricht für anwendbar hält. Dies gilt selbst dann, wenn das Privatschulangebot in einer bestimmten Region einmal zur Regel werden sollte. Für diesen Fall kann Art. 7 Abs. 4 GG den Art. 33 Abs. 4 GG sogar verdrängen. Der Anspruch auf die Genehmigung einer weiteren Privatschule kann bei diesem fiktiven Fall, wenn die Voraussetzungen im Übrigen vorliegen, nicht mit dem Argument gestoppt werden, dass das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 33 Abs. 4 GG verletzt werde. Der grundrechtliche Anspruch auf die Errichtung einer Privatschule als Ersatzschule hängt von der Wahrung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses nicht ab. Entscheidend ist lediglich, dass die Voraussetzungen des Art. 7 Abs. 4 Satz 3 GG erfüllt werden. IV. Sachmittel 1. Privatisierung von Sachressourcen Bei den für die staatliche Aufgabenerfüllung benötigten Sachmitteln konnte ebenfalls eine spezifische Form der Einschaltung Privater ermittelt werden, die über das übliche fiskalische Handeln des Staates bei der 110 Strengere Voraussetzungen, die den zuständigen Landesbehörden einen weiten Beurteilungsspielraum einräumen, gelten für private Volksschulen, vergi. Art. 7 Abs. 5 GG.
378
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Beschaffung durch Eigentumserwerb hinausgeht. Diese spezifische Erscheinungsform von Privatisierung im Hinblick auf die staatlichen Sachressourcen liegt immer dann vor, wenn deren Bereitstellung durch Private erfolgt und wenn der Staat kein Eigentum an diesen Sachmitteln erlangt 111. Als Eigentümer behalten Private immer irgendwelche (Rest-) Verfügungsbefugnisse, etwa Kündigungsrechte bei der Vermietung von Gebäuden. Die Verfügungsmacht des Staates wird dadurch regelmäßig eingeschränkt. Diese eingeschränkte Verfügungsmacht rechtfertigt es, die Bereitstellung von sächlichen Ressourcen durch Private als spezifische Privatisierungsform zu interpretieren. Typische rechtsgeschäftliche Erscheinungsformen sind dabei regelmäßig Miete, Ratenkauf und Leasing von beweglichen oder von unbeweglichen Sachen. Auch wenn es in vielen Fällen zweifellos sinnvoll ist und bislang mehr oder weniger selbstverständlich war, dass der Staat in seinem Eigentum befindliche Sachmittel und Liegenschaften für seine Aufgabenerfüllung vorhält, wird in der Staatswirklichkeit zunehmend von Miet- und Leasingmodellen Gebrauch gemacht, etwa auch beim Bau von Justizvollzugsanstalten und Hochschulen. Freilich enthält die Verfassung kaum Direktiven, die den staatlichen Eigentumserwerb allgemein oder für bestimmte Sachaufgaben vorschreiben 112. Von den verfassungsrechtlichen Vorgaben für die eigentumsmäßige Zuordnung der für die staatliche Aufgabenerfüllung benötigten Sachressourcen systematisch zu unterscheiden ist zunächst die auf die quantitative Dimension zielende Frage, wie viele Sachressourcen der Staat tatsächlich bereitstellen muss, um seiner Aufgabenverantwortung gerecht zu werden. Soweit man einen allgemeinen Verfassungsgrundsatz der aufgabengerechten Sachausstattung von staatlichen Aufgabenträgern anerkennt 113, würde dieser Grundsatz aber noch nichts über die Art und Weise der Bereitstellung der erforderlichen Sachmittel und damit auch nichts über die Eigentumsverhältnisse aussagen. 111
Auch für diese Fallgestaltungen gelten die Rechtsgrundsätze für die Vergabe, die der Einsparung von Eigenproduktion dient, vergi. Β. Becker, Öffentliche Verwaltung, 1989, S. 927. Die Vergabegrundsätze sind bislang durch Verwaltungsvorschrift (VOB/A) geregelt, dazu R. Haller, DÖD 1997, S. 100. Zur Reichweite der Anwendung der öffentlichen Vergabegrundsätze auf privatisierte Staatsunternehmen W. Möschei, WuW 1997, S. 120 ff.; zu den verfassungsrechtlichen und europarechtlichen Grundlagen G. Hermes, JZ 1997, S. 909 ff. 112 Die Verfassung enthält allerdings eine Reihe von Regelungen für den Bedarf an Dienstleistungen, vergi, dazu M. Wallerath, Öffentliche Bedarfsdeckung und Verfassungsrecht, 1988, S. 173 ff. und S. 379 f. 113 Anknüpfungspunkte bieten allenfalls der Grundsatz der Funktionsfähigkeit von Staatsorganen. Jedenfalls würde auch hier der Vorbehalt der Bereitstellung der erforderlichen finanziellen Mittel durch den Haushaltsgesetzgeber gelten und insofern dessen praktische Reichweite erheblich eingeschränkt sein.
IV. Sachmittel
379
Verfassungsrechtliche Verbote der Bereitstellung von Sachgütern für die Erfüllung von Staatsaufgaben durch Private existieren nur in sehr eingeschränktem Umfang. Ein entsprechendes Verbot folgt insbesondere auch nicht aus dem Grundsatz der eigenverantwortlichen Aufgabenwahrnehmung, der seine normative Kraft im Bund-Länderverhältnis entfaltet, nicht aber im Verhältnis von Staat zu Privaten 114. Für die Beschaffung von Sachressourcen bei Privaten lässt sich daraus nichts herleiten. 2. Verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte Der verfassungsrechtliche Befund im einzelnen macht deutlich, dass ein weiter Spielraum für Privatisierungsmöglichkeiten bei der Bereitstellung von Sachressourcen existiert. Das Grundgesetz kennt zunächst zwar eine Reihe von Regelungen, die das Eigentum an bestimmten Sachgütern dem Bund zuordnen. Zu nennen sind Art. 89 Abs. 1, Art. 90 Abs. 1 und Art. 134 ff.. GG, die alle im Zusammenhang mit vermögensrechtlichen Fragen bei der Rechtsnachfolge des Bundes gegenüber dem Reich stehen. In dieser eigentumsrechtlichen Zuordnungsfunktion erschöpft sich bereits deren Normgehalt 115. Keinesfalls lässt sich daraus ein generelles Verbot der Bereitstellung entsprechender Sachgüter durch Private, etwa bei den Bundesstraßen und Bundesautobahnen, ableiten116. Ein Verfassungsgebot, dass öffentliche Verkehrswege und insbesondere Straßen generell im Eigentum des Staates stehen müssen, ist verfassungsrechtlich nicht begründbar 117. Das Grundgesetz steht der privaten Bereitstellung von Straßen ebenso wenig entgegen118 wie der Bereitstellung von anderen Gütern 119. 114
BVerfGE 63, 1 (41), dazu vergi, oben D. III. 3. b). Insbesondere zu Art. 90 Abs. 1 GG A. Bucher, Privatisierung von Bundesfernstraßen, 1996, S. 112 ff. m.w.N. 116 Umstritten ist allenfalls, ob diese Vorschriften ein staatliches Veräußerungsverbot enthalten. Ablehnend im Hinblick auf die Reichsautobahnen, G. Hoog, in: I. von Münch/P. Kunig, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl. 1996, Art. 90 Rdn. 4 und Art. 89 Rdn. 11; K H. Friauf, Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 120. Ob und in welchem Umfang sich Veräußerungsverbote aus anderen Bestimmungen ergeben, etwa daraus, dass die Straßen aus Steuermitteln gebaut wurden, ist an dieser Stelle nicht zu untersuchen. 117 A.A. H. Krüger, Marktwirtschaftliche Ordnung und öffentliche Vorhaltung der Verkehrswege, 1969, S. 12. Aus der unbestreitbaren Bedeutung der „Basisfunktion von Straßen und anderen Netzinfrastrukturen für die Existenz moderner Territorialstaaten" lässt sich zwar die Notwendigkeit der Erschließung des Staatsgebietes durch Verkehrswege und andere Infrastrukturnetze ableiten, dazu. G. Hermes, Staatliche Infrastrukturverantwortung, 1998, § 15 I. und II.l); die eigentumsrechtliche Frage ist davon nur mittelbar berührt. 115
380
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Dies gilt auch für sonstige Infrastrukturgüter 120, beispielsweise für Strafanstalten oder für hochsensible Bereiche wie das Verteidigungswesen. Die Anmietung von schwerem Material, etwa von großräumigen Transportflugzeugen für befristete Bundeswehreinsätze im Rahmen eines Auftrages zur Friedenserhaltung unter dem Dach der Vereinten Nationen, ist verfassungsrechtlich ohne weiteres möglich und in solchen Fällen wohl auch sinnvoll. Selbst komplexe Waffensysteme können von Verfassungs wegen theoretisch dauerhaft durch Private bereitgestellt werden, etwa im Wege des Leasing. Art. 87 b Abs. 1 Satz 2 GG, wonach die Deckung des Sachbedarfs der Streitkräfte eine Aufgabe der Bundeswehrverwaltung ist, hindert dies nicht. Die Vorschrift sagt wiederum nichts darüber aus, wie und in welchen rechtlichen Formen diese Bedarfsdeckung zu erfolgen hat. Auch aus Art. 87 a Abs. 1 Satz 1 GG, wonach der Bund Streitkräfte zur Verteidigung aufstellt, folgt nichts anderes. Diese Verfassungsnorm ergänzt die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 73 Nr. 1 GG im Bereich der Ausführung der Bundesgesetze und macht lediglich deutlich, dass es im Bundesstaat keine Verteidigungskräfte der Länder geben darf, sondern dass diese Sachaufgabe ausschließlich dem Bund zugewiesen ist. Art. 87 a Abs. 1 GG verbietet damit nach ganz herrschender Auffassung auch die Aufstellung von Streitkräften durch Private 121. An etwas versteckter Stelle findet sich jedenfalls eine mittelbare Auswirkung auf das Problem eines notwendigen Eigentumserwerbs des Staates. Die Gemeinschaftsaufgabe Hochschulbau aus Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG lässt eine Mitfinanzierung des Bundes beim Ausbau und Neubau von Hochschulen einschließlich der Hochschulkliniken nur dann zu, wenn die Länder - bei privaten Hochschulen die betreffenden Betreiber - Eigentümer der entsprechenden Gebäude werden. Die Gesetzgebungsmaterialien lassen keinen Zweifel daran zu, dass mit dem Ausbau und Neubau nur die auf den dauerhaften Erwerb zielende Errichtung von Hochschulen gemeint ist, nicht aber ihr laufender Unterhalt und auch nicht die Anmietung von Gebäuden 122 . Daraus ergibt sich für die Länder ein gewisser faktischer Zwang ne Vergi, einfachrechtlich dazu das Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz. 119 Eine ganz andere Frage ist es, ob Private dabei auch mit Planungsbefugnissen ausgestattet werden dürfen. Die Beantwortung dieser Frage gehört nicht zur Erfüllungsressource der Sachmittel, sondern sachlich zum Bereich des Verwaltungsinstrumentariums. 120 Dass die Planung von flächenverbrauchenden Infrastrukturgütern, insbesondere von Netzen, ohne die staatliche Bereitstellung entsprechender planungsrechtlicher Ordnungsinstrumentarien nicht funktioniert, bedeutet nicht, dass der Staat die erforderlichen Flächen oder Infrastrukturen selbst erwerben muss. 121 Vergi, oben Α. I. 4. 122 Nahezu einhellige Auffassung in der Literatur, vergi, nur U. Mager, in: I. von Münch/P. Kunig, (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, Bd. 3, 3. Aufl., 1996, Art. 91a,
IV. Sachmittel
381
zum Erwerb von Hochschuleinrichtungen, um in den Genuss der begehrten Bundesmittel zu gelangen, die gemäß Art. 91a Abs. 4 Satz 1 GG die Hälfte der Ausgaben betragen. Einen über diesen engen Bereich hinausgehenden Grundsatzcharakter kann man der Verfassungsnorm aber keinesfalls entnehmen, zumal diese Konstellation einer Bund-Länder-Mischfinanzierung einen verfassungsrechtlichen Ausnahmetatbestand vom Grundsatz des Art. 104 a Abs. 1 GG darstellt, wonach Bund und Länder die Ausgaben gesondert tragen, die sich aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben ergeben. Entsprechendes gilt für die Investitionshilfen nach Art. 104 a Abs. 4 GG, die nach übereinstimmender Auffassung Sachinvestitionen sein oder jedenfalls der Förderung von Sachinvestitionen dienen müssen123. Obwohl der Investitionsbegriff in Art. 104 a Abs. 4 GG weitergehende Spielräume als Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG eröffnet, weil mit diesem Instrument auch der Eigentumserwerb Privater gefördert werden kann 124 , sind Förderungsformen, die nicht auf eigentumsbildende Sachinvestitionen zielen, damit unvereinbar. Leasing und Miete stellen deswegen keine Investitionsförderung im Sinne von Art. 104 a Abs. 4 GG dar. Die genannten Artikel begrenzen damit den weiten Spielraum der Bereitstellungsmöglichkeiten von Sachressourcen für die Erfüllung staatlicher Aufgaben durch Private. Sie tragen ihre ratio freilich nicht in einer grundsätzlichen Distanz des Grundgesetzes gegenüber privaten Beschaffungsund Bereitstellungsvorgängen, sondern in einem spezifisch finanzverfassungsrechtlichen Gesichtspunkt. Zweck dieser Regelungen ist die Steuerung der ausnahmsweise zulässigen Mischfinanzierungstatbestände im Bund-Länderverhältnis, die mit der Beschränkung auf Sachinvestitionen den Bundesanteil regelmäßig von laufenden Finanzierungsverpflichtungen freihalten sollen. Die daraus resultierenden Beschränkungen für Private stellen sich systematisch gesehen damit als unumgängliche Nebenfolge einer ursprünglich ganz anderen verfassungsrechtlichen Intention dar, die die grundsätzliche Privatisierungsfreundlichkeit der Verfassung für den Bereich der SachresRdn. 16 f. m.w.N.; C. Gramm, Wissenschaftsrecht Wissenschaftsverwaltung Wissenschaftsförderung 1993, S. 203 f. Das Hochschulbauförderungsgesetz lässt deswegen die Finanzierung von Gebäuden unter Einschaltung Dritter grundsätzlich zu, allerdings nur dann, wenn es im Ergebnis zum Eigentumserwerb des Landes kommt. Andernfalls sind die seitens des Bundes im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe gezahlten Fördermittel zurückzuerstatten, vergi. § 3 Abs. 2 in Verbindung mit § 12 Abs. 4 Hochschulbauförderungsgesetz. 123 H. Siekmann, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz-Kommentar, 1996, Art. 104 a Rdn. 41 m.w.N. 124 Etwa im Bereich des Wohnungsbaus, sofern damit ein öffentlicher Zweck verfolgt wird.
382
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
sourcen nicht in Frage stellt. Schließlich verhält sich auch Art. 115 Abs. 1 GG neutral zur Frage, ob Private bestimmte Sachgüter im Wege der Vermietung oder des Leasing für die Erfüllung von Staatsaufgaben zur Verfügung stellen dürfen. Zu erwähnen bleibt die im Zuge der Bahnprivatisierung in das GG aufgenommene Vorschrift des Art. 87 e Abs. 3 Satz 2 GG, die eine ausdrückliche Eigentumsfestlegung zugunsten des Bundes im Hinblick auf die als Wirtschaftsunternehmen in privat-rechtlicher Form geführten Eisenbahnen des Bundes enthält, soweit diese den Bau, die Unterhaltung und das Betreiben von Schienenwegen umfassen. Die Norm betrifft freilich nur die organisationsrechtliche Zuordnung der Unternehmen, nicht die Frage des Eigentums an den für den Unternehmenszweck erforderlichen sachlichen Ressourcen. Schon deswegen ist sie als Anknüpfungspunkt für eine Verfassungstheorie eines weitergehenden infrastrukturellen Staatsvorbehalts ungeeignet. Den Art. 83 ff.. GG lässt sich ebenfalls kein allgemeiner Grundsatz entnehmen, dass der Bund zum Eigentumserwerb der benötigten Sachmittel verpflichtet ist 1 2 5 . Verfassungsrechtlich greifbare Maßstäbe für die Bereitstellung von Sachressourcen durch Private finden sich damit nur in einem sehr allgemeinen Sinn. Die Grenze zulässiger Bereitstellungsvorgänge dürfte dort erreicht sein, wo die Funktionsfähigkeit des staatlichen Aufgabenträgers nicht mehr gewährleistet ist, gerade weil Private Eigentümer bleiben und der Staat in eine die Aufgabenerfüllung gefährdende Abhängigkeit von den betreffenden Privaten gerät 126 . Dabei werden die Maßstäbe tendenziell eher lockerer sein als beim Problem der Erhaltung einer staatseigenen Wissensbasis: Sachmaterial wird, die erforderlichen finanziellen Ressourcen vorausgesetzt, in der Regel leichter zu ersetzen sein als fachliche Kompetenz, die sich nicht beliebig substituieren lässt. Das letzte und entscheidende Wort bei der Entscheidung zu verschiedenen Möglichkeiten der Beschaffungsmodalität dürfte damit zumeist wirtschaftlichen Maßstäben zukommen, die zum Teil im Haushaltsrecht verankert sind. Ausschlaggebend ist insbesondere der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit 127 , der unter Umständen sogar die private Güterbereitstellung auf Zeit begünstigen kann, wenn es etwa um eine zeitlich klar befristete Sach125 K. H. Friauf y Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 110. 126 Ähnlich K. H. Friauf Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 111, 202. 127 Art. 114 Abs. 2 GG; § 6 Abs. 1 Haushaltsgrundsätzegesetz und § 7 Abs. 1 Bundeshaushaltsordnung (vergi. Haushaltsrechtsfortentwicklungsgesetz vom 22. Dezember 1997, BGBl. I S. 3251).
V. Finanzierung
383
aufgabe geht. Insoweit kommt es auf den Einzelfall und schwierige wirtschaftliche Berechnungsmodelle an. An dieser Stelle endet zugleich die Fachkompetenz des Juristen. Ein weiteres juristisches Problem besteht darin, dass die Ausgaben für teure Projekte systematisch unsichtbar werden, wenn sie erst in der Zukunft anfallen und damit den finanziellen Handlungsspielraum künftiger Haushalte empfindlich reduzieren. Hierin kann unter Umständen eine Verletzung der Budgethoheit des Parlaments128 liegen, jedenfalls dann, wenn es keine Möglichkeit gibt, sich vorzeitig aus den vertraglichen Bindungen wieder zu lösen. V· Finanzierung 1. Grundformen der echten Finanzierungsprivatisierung Finanzielle Mittel, die für die staatliche Aufgabenerfüllung zur Verfügung stehen, sind stets knapp. Die erforderlichen Finanzmittel speisen sich dabei in einem groben Schema aus fünf Hauptquellen: Aus der Erhebung von Steuern und von sonstigen Abgaben129; aus der im Haushalt ausgewiesene Aufnahme von Krediten bzw. der Ausgabe von Anleihen für allgemeine Zwecke durch den Staat; aus der Abführung von Erlösen aus der Veräußerung von Staatseigentum; aus Gewinnen der Bundesbank und von staatlichen Wirtschaftsunternehmen; aus der freiwilligen Bereitstellung von Finanzmitteln durch Private für die Erfüllung von konkreten 130 Staatsaufgaben. Die zuletzt genannte Fallgruppe stellt einen Sonderfall staatlicher Aufgabenfinanzierung dar, weil Private ihren Mitteleinsatz hierbei im Gegensatz zu ihrer Eigenschaft als Steuerschuldner auf freiwilliger Grundlage und gezielt im Hinblick auf bestimmte Zwecke und Staatsaufgaben einsetzen. Dies gilt selbst dann, wenn die betreffenden Mittel formal über einen Einnahmetitel im Haushalt eingebracht werden. Für diese Finanzierungsquelle 128
T. Steinwachs/C. Zeiss , ZRP 1997, S. 212 ff. Zu den verfassungsrechtlichen Abgabearten BVerfGE 93, 319 (342 ff.). 130 Der konkrete Aufgabenbezug ist beim Erwerb von Staatsanleihen durch Private, der gleichfalls eine Variante privater Kapitalbereitstellung für - allgemeine Staatsaufgaben darstellt, nicht der Fall; lediglich in den 70er Jahren gab es eine zweckgebundene „Bildungsanleihe". Freilich handelte es sich dabei um einen „Etikettenschwindel": Die über die Bildungsanleihe bereitgestellten Mittel wurden dem Haushaltsansatz für Bildungsaufgaben nicht etwa hinzugerechnet, sondern es blieb weiterhin uneingeschränkt Sache des Haushaltsgesetzgebers zu entscheiden, in welchem Umfang er bestimmte Sachaufgaben - hier: Bildung - etatisiert. Aus diesem Grund wurden später keine zweckgebundenen Bundesanleihen mehr herausgegeben. 129
384
D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
wird der Oberbegriff der echten Finanzierungsprivatisierung 131 gewählt. Er soll verschiedene Erscheinungsformen der freiwilligen Bereitstellung von privatem Kapital für die Erfüllung von konkreten Staatsaufgaben zusammenfassen 132 . Faktisch wird die echte Finanzierungsprivatisierung häufig als staatlich-gesellschaftliche Mischfinanzierung 133 ausgestaltet. Praktische Anwendungsbereiche für die echte Finanzierungsprivatisierung finden sich bezeichnenderweise nicht verstreut über alle staatlichen Aufgabenbereiche, sondern nur dort, wo der private Geldgeber für seine freiwillige Leistung einen materiell oder jedenfalls ideell greifbaren Vorteil erwarten darf. Die Beteiligung an den laufenden Kosten für trockene Verwaltungsaufgaben mit Dauercharakter insbesondere bei der Eingriffsverwaltung eignen sich deswegen von vornherein nur bedingt für dieses Finanzierungsinstrument. Tatsächlich existieren Erscheinungsformen der Finanzierungsprivatisierung bislang vorzugsweise in solchen Bereichen, die für das freiwillige finanzielle Engagement Privater aus unterschiedlichen Gründen attraktiv sind, etwa die Errichtung von Gebäuden 134 , der Straßenbau 135 und 131
Zur Finanzierungsprivatisierung als Fremdfinanzierung öffentlicher Infrastruktur T. Steinwachs/C. Zeiss , ZRP 1997, S. 211. 132 Das Kriterium der Freiwilligkeit der Bereitstellung von privatem Kapital dient der Abgrenzung der echten von der unechten und damit unfreiwilligen Finanzierungsprivatisierung. Der Begriff der unechten Finanzierungsprivatisierung umfasst erstens rechtswidrig erhobene Abgaben, etwa eine mangels Gruppennützigkeit unzulässige Sonderabgabe mit Finanzierungszweck oder eine fehlerhaft bemessene bzw. unzulässige Gebühr. Die verfassungsrechtlichen Grenzen für unechte Privatisierungsmaßnahmen ergeben sich dabei in erster Linie aus finanzverfassungsrechtlichen Bestimmungen und Grundsätzen, etwa aus dem Verfassungsprinzip des Steuerstaates, vergi, dazu C. Gramm, Der Staat 37, S. 273 ff. Zweitens umfasst die unechte Finanzierungsprivatisierung unter Umständen auch die Indienstnahme - dazu R. Stober, H. J. Wolff/O. Bachof/R. Stober, Verwaltungsrecht I, 10. Aufl. 1994, § 42 Rdn. 11 f. (S. 537). In der faktischen Wirkung bedeutet die Indienstnahme häufig auch eine Inpflichtnahme privater Finanzressourcen für staatlich erwünschte Zwecke, wenngleich nicht unbedingt für Staatsaufgaben, weil der private Handlungsbeitrag und die eigentliche staatliche Aufgabe nicht deckungsgleich sein müssen; dies ist insbesondere dann nicht der Fall, wenn die Staatsaufgabe lediglich in der Gewährleistung eines bestimmten Versorgungsniveaus besteht, nicht aber in der Erbringung konkreter Einzelleistungen. Insbesondere zur Inpflichtnahme bei der Überwachung des Fernmeldeverkehrs vergi. R. Scholz, ArchivPT 1995, S. 169; ders., Festschrift K. H. Friauf, 1996, S. 452 ff.; L. Grämlich, NJW 1997, S. 1403 f. Die unechte Finanzierungsprivatisierung ist nicht Gegenstand dieser Untersuchung. 133 H. P. Bull, in: J. J. Hesse/C. Zöpel (Hrsg.), Der Staat der Zukunft, 1990, S. 32. 134 Hervorzuheben ist der Hochschulbau im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe aus Art. 91a Abs. 1 Nr. 1 GG, wo Leasing-Finanzierungen seit einiger Zeit diskutiert und erprobt werden. Eine Rechtsgrundlage für diese Form der Finanzierungsprivatisierung enthält jetzt § 3 Abs. 2 Hochschulbauförderungsgesetz (BGBl. I 1996, S. 1327), der die Einschaltung Dritter in die Finanzierung ausdrücklich zulässt, soweit dies im Einzelfall wirtschaftlicher ist.
V. Finanzierung
385
sonstige Infrastrukturmaßnahmen; die private Kulturförderung im weitesten Sinne; die private Unterstützung von Wissenschaft und Forschung usw. Die Motivationslage für die private Kapitalbereitstellung beruht dabei auf heterogenen Grundlagen; völlig selbstlos dürfte sie freilich kaum stattfinden, was nicht mit kritischem Unterton gelesen werden soll. In der Regel bestimmt die Motivationslage auch die rechtliche Ausgestaltung der privaten Finanzierung und erlaubt die systematische Einbeziehung weiterer Erscheinungsformen von Finanzierungsprivatisierung. Ausgehend von der privaten Motivationslage ist die erste Gruppe dadurch gekennzeichnet, dass das Interesse des privaten Geldgebers hier regelmäßig auf die unmittelbare Erzielung von Gewinnen gerichtet ist. Charakteristische Erscheinungsformen sind wiederum Ratenkauf, Miete und Leasing. Insofern stellen diese Formen der Bereitstellung von Sachressourcen damit häufig auch eine Form der Finanzierungsprivatisierung dar. Das Interesse des Staates besteht dabei regelmäßig in der aktuellen Bereitstellung von Sachressourcen trotz knapper Haushaltsmittel, die er im Wege der üblichen Haushaltsfinanzierung nicht in der Kürze der Zeit bereit stellen könnte. Eingekauft wird letztlich Zeit bzw. die Beschleunigung der Fertigstellung des betreffenden Projekts. In der Endsumme kann dies die Bereitstellung des betreffenden Gutes verteuern. Das privat bereitgestellte Kapital taucht dabei zunächst nicht im aktuellen Haushalt als Ausgabenposten auf, sondern lediglich die jeweils jährlich aufzubringende Rate des Staates. Die Refinanzierung der privaten Vorfinanzierung muss im allgemeinen bereits im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses gesichert sein, da sich andernfalls kein privater Geldgeber darauf einlassen würde. Die Sicherung des Finanztransfers erfolgt dabei nach zwei unterschiedlichen Finanzierungsmodellen: entweder alleine auf vertraglicher Grundlage zwischen Staat und dem privaten Finanzier (Vertragsmodell), die den Staat intern zur Bereitstellung von Haushaltsmitteln über einen längeren Zeitraum in die Pflicht nimmt, oder zusätzlich dazu über die Befugnis des Privaten, als Betreiber entsprechender Projekte aus übertragenem Hoheitsrecht direkt von anderen privaten Nutzern Gebühren zu erheben (Gebührenmodell)136. Beim Gebüh135 Vergi oben β i y 3, d) z u m Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz; dazu O. Reidt, NVwZ 1996, S. 1156 ff.; ders., BauR 1997, S. 241 ff. 136 Vergi. § ι Abs. 4, §§ 2 und 3 Fernstraßenbauprivatfinanzierungsgesetz; auch Betreiber- oder Mautmodell, vergi. Strategiepapier des Bundesministeriums für Verkehr vom 26. Februar 1997 „Privatfinanzierung/Privatisierung von Bundesfernstraßen - Sachstand und Perspektiven"; kritisch dazu W. Schmidt, NVwZ 1995, S. 38 f., der von einer „hinkenden" und damit rechtswidrigen Beleihung spricht, weil es an der parallel zur Beleihung mit der Gebührenhoheit erforderlichen Beleihung mit einer als öffentlich-rechtlich zu qualifizierenden Leistungsaufgabe fehlt. Diese Prämisse erscheint allerdings kaum haltbar, denn die Bereitstellung der Straßen durch den privaten Bauträger erfolgt nicht als Privatstraße, sondern als öffentliche Straße 25 Gramm
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
renmodell wird der Finanztransfer von Privaten zu Privaten ohne den Umweg über die Staatskasse direkt organisiert, was aber nichts an der freiwilligen Bereitstellungsleistung von Kapital durch den privaten Unternehmer ändert. Beide Refinanzierungsformen setzen erhebliche rechtliche Sicherungsmaßnahmen voraus, seien sie vertraglicher, seien sie gesetzlicher Art. Das Betreibermodell ist deswegen bemerkenswert, weil es im Unterschied zum reinen Vertragsmodell die Möglichkeit zur Finanzierung von Staatsaufgaben eröffnet, ohne dass die dafür benötigten Finanzmittel jemals im Haushaltsplan auftauchen. Demgegenüber wird beim sogenannten Konzessionsmodell im Wege einer kompletten privaten Vorfinanzierung die gesamte Infrastrukturmaßnahme erstellt und später vom Staat vergütet. Diese Finanzierungsform schont zwar aktuell den Haushalt, belastet aber mittel- und langfristig den Haushalt der betroffenen Ressorts um so stärker. Der Sache nach handelt es sich um eine Art Ratenkauf. Der Einkauf von Zeit lässt sich nur um den Preis der Reduktion des Handlungsspielraums in der Zukunft erkaufen. Modelle der Aufgabenfinanzierung vorbei am Staatshaushalt auf der Grundlage von Darlehensverträgen zwischen staatlichen Stellen und privaten Darlehensnehmern existieren neuerdings auch im Sozialsektor. Zu nennen ist das Gesetz zur Förderung der beruflichen Aufstiegsfortbildung (AFBG) 137 . Auch hier werden private Gelder gezielt für die Durchführung des AFBG herangezogen138. Die Refinanzierung wird nicht über Gebühren, nach öffentlichem Recht, freilich mit der Besonderheit ihrer Finanzierung durch Gebühren. Im Ergebnis ebenso A. Bucher, Privatisierung von Bundesfernstraßen, 1996, S. 176 ff. Diese Konstruktion unterscheidet sich von der Ausgliederung von Dienstleistungen auf Private systematisch dadurch, dass alleine durch die Einschaltung eines privaten Verwaltungshelfers noch keine eigene Rechtsbeziehung zwischen dem privaten Dienstleister und dem privaten „Endabnehmer" dieser Dienstleistung zustande kommt. Anschauungsmaterial dafür findet sich im Entsorgungswesen. Eine Finanzierungsprivatisierung liegt in diesen Fällen nicht vor, weil die Verwaltung hier lediglich Dienstleistungen, die sie sonst selbst erbringen müsste, einkauft, nicht aber privates Kapital. Vergi, femer § 44 SachsAnhStrG. 137 BGBl. I 1996, S. 623. 138 Ein Teil der Förderung wird als verzinsliches Bankdarlehen durch privatrechtlichen Vertrag mit der Deutschen Ausgleichsbank (DAB), einer bundesunmittelbaren rechtsfähigen Anstalt des öffentlichen Rechts (BGBl. I 1986, S. 1545), vergeben. Für die DAB besteht ein Kontrahierungszwang, § 13 AFBG. Die dafür erforderlichen Gelder erhält die DAB allerdings nicht aus Haushaltsmitteln. Die Finanzierungskonstruktion für die Durchführung der Staatsaufgabe Darlehensgewährung für die berufliche Aufstiegsfortbildung ergibt sich etwas versteckt aus § 13 AFBG in Verbindung mit § 14 AFBG, der festlegt, welche Mittel Bund und Länder nach Maßgabe des Finanzierungsschlüssels in § 28 AFBG der Deutschen Ausgleichsbank
V. Finanzierung
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sondern durch die RückZahlungsansprüche aus den Darlehensverträgen gesichert. Beide Submodelle sind Erscheinungsformen der Privatisierung der Geldbeschaffung für Staatsaufgaben. Ganz anders stellt sich die Interessenlage im Bereich der privaten Förderung von kulturellen Veranstaltungen dar. Bei Festen, Ausstellungen und sonstigen kulturellen Veranstaltungen spielt das Sponsoring privater Geldgeber zunehmend eine bedeutsame Rolle; auch Sachbeiträge oder Dienstleistungen kommen dabei in Betracht. Zu nennen sind weiter Schenkungen und zahlreiche Stiftungen, Fördervereine als Sammelstellen privater Gelder für die Unterstützung von allen möglichen staatlichen Veranstaltungen, Einrichtungen und Institutionen, die Auslobung von Preisen etc. Bei diesen zumeist punktuellen Förderungs- und Unterstützungsmaßnahmen beruht die Motivationslage großer und kleiner privater Geldgeber in der Regel auf mehr oder weniger idealistischen Zwecken oder auf Repräsentationsabsichten. Sponsoren und Mäzene wollen zumeist als solche sichtbar sein und sich öffentlichkeitswirksam darstellen 139. Sie verfolgen durch diese Maßnahme der Imagepflege die Steigerung ihrer öffentlichen Reputation, unter Umständen auch steuerlich günstige Mitnahmeeffekte 140 und damit mittelbar auch wirtschaftliche Interessen. Größere Risiken sind dabei weder für die privaten Sponsoren noch für die staatlichen Empfänger erstatten. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um ausgefallene Rückerstattungsforderungen aus den Darlehensverträgen zwischen Bank und Dritten, um Zinsen und um eine Verwaltungskostenpauschale. Das eigentliche Darlehensvolumen besorgt die Bank sich dagegen auf dem Markt bzw. aus ihren Reserven. Pläne, das BAföG in gleicher Weise von der Haushaltsfinanzierung auf die Bankfinanzierung umzustellen, sind nur zum Teil gelungen, vergi. §§ 17 Abs. 3, 18c und 18d BAföG. Vorläufer für dieses Modell finden sich wiederum bei der staatlichen Infrastrukturfinanzierung im Straßenbau, wo die bundeseigene Finanzierungsgesellschaft „Deutsche Gesellschaft für öffentliche Arbeiten AG" im eigenen Namen und für eigene Rechnung Geld auf dem Kreditmarkt aufnahm, dazu K. Grupp, DVB1. 1994, S. 141 f. und die Kritik des Bundesrechnungshofes, BT-Drs. V/4066, S. 41 f. 139 Vergi, dazu M. Dorn, Verwaltungsrundschau 1993, S. 228. 140 vèrgi, die Steuervergünstigungen im Kultur- und Stiftungsförderungsgesetz, BGBl. I 1990, S. 2775. Das Gesetz gilt gleichermaßen für wissenschaftliche und als besonders förderungswürdig anerkannte kulturelle Zwecke. Aus staatlicher Sicht können sich entsprechende Finanzierungsformen dann als besonders günstig darstellen, wenn derfinanzierte Zweck andernfalls durch staatliche Haushaltsmittel aus Steuergeldern finanziert werden müsste: Dem durch die Steuerbegünstigung für den privaten Geldgeber bedingten Verzicht auf der Einnahmeseite stehen höhere Ersparnisse auf der staatlichen Ausgabenseite entgegen, die andernfalls für die Zweckerreichung erforderlich wären. Ob diese modellhafte Betrachtung der Wirklichkeit tatsächlich angemessen ist, ist eine andere Frage. Nicht unwahrscheinlich ist es, dass Private sich vor allem für solche Zwecke engagieren, die staatliche Stellen andernfalls nicht verfolgen würden. 25*
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
ersichtlich. Das Problem der Sicherung der Refinanzierung von privater Kapitalbereitstellung existiert nicht, da eine Rückzahlung nicht stattfindet. Ähnlich stellen sich die in staatlichen Institutionen betriebene Wissenschaft und die Forschung dar. Die Interessenlage ist zumeist irgendwo zwischen reiner Reputationssteigerung, steuerlicher Vergünstigung und handfesten Interessen angesiedelt. Neben singulären Förderungsformen sind private Geldgeber bei der Einrichtung von Stiftungsprofessuren oder bei der gesetzlich ausführlich geregelten Drittmittelforschung 141 aktiv, jedenfalls soweit diese nicht über Gelder aus öffentlichen Haushalten finanziert wird 1 4 2 , sondern aus Mitteln Privater. Organisatorisch ist die private Finanzierung über zahlreiche Stiftungen und über den Stifterverband für die deutsche Wissenschaft institutionalisiert, der ähnlich wie ein privater Förderverein gewissermaßen als Geldsammelstelle oder als Vermittler mit entsprechendem Know-how für die Wirtschaft fungiert. Die Motivationslage privater Förderungsmaßnahmen wird hier regelmäßig durch mehr oder weniger idealistische oder hochschulpolitische Erwägungen geprägt 143. In der Praxis werden Stiftungsprofessuren gerne als zeitlich befristete Anschubfinanzierungen für in der Regel fünf bis maximal zehn Jahre ausgestaltet. Die Stiftung erfolgt dabei regelmäßig unter der Bedingung, dass das Land nach Ablauf des Stiftungszeitraumes den betreffenden Hochschullehrer übernimmt und aus Haushaltsmitteln besoldet. Zwischen dem Rechtsstatus eines auf eine Stiftungsprofessur berufenen Hochschullehrers und einem anderen Hochschullehrer bestehen keine Unterschiede144. 141 Rechtsgrundlage dafür ist § 25 Hochschulrahmengesetz und die entsprechenden landesrechtlichen Regelungen. Drittmittelforschung ist Forschung im Auftrag und auf Kosten eines Privaten; der private Auftraggeber erhält für seine Leistung eine Gegenleistung. Hier ist es vor allem das Interesse des Staates, die Drittmittelforschung einerseits zu ermöglichen, sie andererseits aber strukturell und personell weitgehend in die Hochschule einzubinden. Die Drittmittelforschung bleibt Hochschulforschung. Demgegenüber bilden die sogenannten An-Institute an Hochschulen keinen Fall der Finanzierungsprivatisierung, vergi. § 26 HRG und die betreffenden Wissenschaftsgesetze der Länder. Dabei handelt es sich um eine Form der Ausgründung von Privatunternehmen durch Angehörige der Hochschule aus den Hochschulen heraus, ohne dass die betreffenden Personen ihren Status als Hochschulangehörige einbüßen. Sie sind Privatunternehmer und Hochschullehrer in Personalunion. 142 Größter Drittmittelgeber ist die Deutsche Forschungsgemeinschaft, die ihre Finanzmittel allerdings aus staatlichen Haushalten erhält und die deswegen keine Privatgelder bereitstellt. 143 Besonders beliebt sind als innovativ geltende Lehrstühle. Auch die Förderung ganzer privater Hochschulen, etwa durch die Bertelsmann-Stiftung in Witten-Herdecke, ist in diesem Zusammenhang zu nennen. 144 Praktisch keine Rolle in der Wissenschaftslandschaft Deutschlands spielt dagegen das in den USA verbreitete Modell der Stiftung auf der Grundlage eines teilweise gewaltigen Kapitalstocks, von dessen Zinserträgen sich der Stiftungszweck finanziert (endowment-Modell).
V. Finanzierung
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Daneben finden sich gewissermaßen traditionelle Formen der privaten Finanzierung bei der Erfüllung von Staatsaufgaben. So stellen Private bzw. nichtstaatliche Träger wie die Kirchen auch im Sozialsektor finanzielle Mittel, Personal und Sachgüter für die Erfüllung von Staatsaufgaben zur Verfügung, etwa bei der Einlösung des individuellen Rechtsanspruchs auf einen Kindergartenplatz. Die Sicherung dieses Anspruchs und damit die Schaffung der tatsächlichen Voraussetzungen ist Staatsaufgabe. Private bzw. nichtstaatliche Träger tragen damit trotz der staatlichen Zuschüsse, die sie erhalten, in erheblichem Umfang zur Entlastung der öffentlichen Haushalte bei. Deren Interesse liegt gerade im Kindergarten- und Schulbereich in der Möglichkeit, pädagogisch im Sinne der eigenen religiösen bzw. weltanschaulichen Bekenntnisse auf junge Menschen einzuwirken. Soweit diese finanzwirksame Entlastungswirkung durch privates Engagement in einem mit Rechtsansprüchen versehenen Lebensbereich in quantitativ erheblichem Umfang stattfindet, sind staatliche Stellen bei einem kurzfristigen Rückzug des privaten bzw. nichtstaatlichen Geldgebers aus eigener (Finanz-) Kraft mittelfristig gar nicht in der Lage, die dann eintretenden Kapazitätsausfälle aufzufangen. Insofern hängt die Erfüllung der Staatsaufgabe „Bereitstellung von Kindergartenplätzen für jedes Kind" faktisch entscheidend von der rechtlich nicht einklagbaren und nicht erzwingbaren Bereitschaft Dritter ab, ihr Engagement auch auf Dauer durchzuhalten145. Als weitere Erscheinungsform der Finanzierungsprivatisierung verdient die Beteiligung an Gesellschaften des Privatrechts, die mehrheitlich in staatlicher Hand sind, Erwähnung. Der Finanzierungszweck wird dabei allerdings in der Regel hinter anderen Zwecken zurücktreten, etwa - aus staatlicher Sicht - der Einbringung von privatem Know-how 146 oder - aus privater Sicht - die Teilhabe an einer staatlichen Gesellschaft, um über die Strategien und Entwicklungsperspektiven der Gesellschaft informiert zu sein 147 . Unter dem Aspekt der Finanzierungsprivatisierung können diese Formen vernachlässigt werden. 2. Verfassungsrechtliche Anknüpfungspunkte Auch bei den genannten Erscheinungsformen der Finanzierungsprivatisierung sind die verfassungsrechtlichen Einschränkungen nur marginal. Spe145
Diese nicht unproblematische Abhängigkeit des Staates vom Wohlwollen Privater ist überall dort vorprogrammiert, wo der Staat einerseits subjektive Ansprüche auf entsprechende Leistungen schafft (Bereitstellung eines Kindergartenplatzes für jedes Kind ab dem dritten Lebensjahr), ohne andererseits dazu in der Lage zu sein, diesen Anspruch auch aus eigener Kraft zu erfüllen. 146 Etwa bei kommunalen Sicherheitsgesellschaften mit privater Beteiligung. 147 Die JURIS-GmbH, bei der private Wettbewerber einen kleinen Prozentanteil halten, bildet einen praktischen Anwendungsfall für diese Fallgruppe.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
zifische Verbote finden sich hier an keiner Stelle. Insbesondere der Lastenverteilungsgrundsatz des Art. 104 a Abs. 1 GG, wonach Bund und Länder jeweils gesondert die Ausgaben aus der Wahrnehmung ihrer Aufgaben zu tragen haben, lässt keine Rückschlüsse auf ein entsprechendes Verbot zu. Seine Direktivkraft erstreckt sich auf das Bund-Länderverhältnis; im Verhältnis zu Privaten ist er neutral. Etwas anderes folgt auch nicht aus dem Verfassungsprinzip des Steuerstaates148, das ohnehin nicht als reines Prinzip verwirklicht ist, sondern zahlreiche Durchbrechungen in Form von anderen Finanzierungsformen zulässt149, etwa die Vorzugslasten (Gebühren und Beiträge) oder die Sonderabgaben, obwohl die Verfassung diese Instrumente nicht nennt. Auch grundsätzlichere Überlegungen zur Selbstdarstellung des Staates, die durch private Sponsoren in unzulässiger Weise beeinträchtigt werden könnte, tragen keine generelle Absage an private Finanzierungen150. Dies gilt selbst dann, wenn bei der staatlichen Veranstaltung private Sponsoren sich selbst öffentlichkeitswirksam darstellen und mehr oder weniger werbend in Erscheinung treten. Immer wieder werden zwar Befürchtungen geäußert, dass Kultur, Wissenschaft und Forschung durch private Finanzierungsmaßnahmen an das Diktat des privaten Mäzenatentums ausgeliefert werden. Auch wenn der Einfluss wichtiger Mäzene eher informal verläuft und im allgemeinen nur schwer messbar sein wird, steht rechtlich weder die Tatsache der Selbstdarstellung von Sponsoren anlässlich der geförderten Veranstaltung noch die Tatsache eines gewissen Entgegenkommens des Geförderten bei der inhaltlichen Gestaltung der Veranstaltung oder bei anderer Gelegenheit dieser privaten Finanzierungsform von vornherein entgegen. Die Verfassung kennt kein generelles Gebot, wonach staatliche Betätigungen, Veranstaltungen und Einrichtungen optisch und inhaltlich frei von jedem privaten Einfluss sein müssen. 148
Das Prinzip des Steuerstaates besagt, dass allgemeine Staatslasten prinzipiell aus allgemeinen Steuermitteln zu finanzieren sind. Zum Steuerstaat BVerfGE 93, 319 (342); 82, 159 (178); 78, 249 (266 f.); H. Krüger, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 897; J. Isensee, Festschrift H. P. Ipsen, 1977, S. 420 f.; P. Kirchhof, VVDStRL 39, S. 213 ff.; Κ Vogel, HStR I, 1987, § 27 Rdn. 69 ff. (S. 1181 ff.); ders., Der Staat 25, S. 481 ff.; R. Hendler, AöR 115, S. 595 m.w.N.; D. Wilke, Gebührenrecht und Grundgesetz, 1973, etwa S. 89. 149 F. Kirchhof,\ Die Verwaltung 1988, S. 145 ff., weist zu Recht darauf hin, da es kein striktes Rechtsgebot zum Steuerstaat geben kann. J. Isensee, Festschrift Η. P. Ipsen, 1977, S. 420 f., spricht deswegen vom Steuerstaat nur als „Typus". 150 Eine rigoros ablehnende Haltung jeder Sichtbarmachung von Privaten bei staatlichen Aktivitäten nimmt H. Krüger ein, Allgemeine Staatslehre, 2. Aufl. 1966, S. 581 und 772. Selbst die Werbung auf Straßenbahnen soll unzulässig sein. Hintergrund ist eine sehr strikte Trennungsvorstellung von Staat und Gesellschaft und der Versuch, den Staat vor der Selbstbemächtigung durch einzelne gesellschaftliche Gruppen zu bewahren.
V. Finanzierung
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Schließlich darf durch Modelle der privaten Vorfinanzierung oder bei privaten Sponsoren keine Bindung des Haushaltsgesetzgebers durch die Verwaltung eintreten, der bei einer privaten Anschubfinanzierung für die Bewilligung der erforderlichen Anschlussfinanzierung zuständig ist. Private Sponsoren können den Staat rechtlich nicht dazu verpflichten, die erwiesene Wohltat auf Dauer auf Staatskosten fortzuführen. Freilich werden private Wohltaten häufig genau mit dieser Intention erbracht; ein gewisser faktischer Druck zur Fortführung auf Staatskosten wird deswegen nicht immer von der Hand zu weisen sein. Dieser faktische Druck stellt das Budgetrecht des Haushaltsgesetzgebers aber nicht in Frage und macht die private Finanzierung nicht im Ursprung unzulässig. In der Praxis bestehen deswegen gelegentlich Schwierigkeiten bei der rechtlichen Ausgestaltung von Stiftungsprofessuren auf Zeit an staatlichen Hochschulen. Die Zusage der Regierung gegenüber dem Stifter auf Fortführung der Stiftungsprofessur auch nach Wegfall der Stiftung ist nicht unproblematisch, da sie das Budgetrecht des Parlaments durch die Schaffung vollendeter Tatsachen (Berufung auf Lebenszeit) einschränkt. Die verfassungsrechtlichen Grenzen der Bereitstellung von privatem Kapital lassen sich damit wiederum nur in einem sehr allgemeine Sinn umschreiben. Sie werden immer dann überschritten, wenn staatliche Stellen in ihren inhaltlichen Entscheidungen in Abhängigkeit von privaten Geldgebern geraten bzw. wo diese maßgeblichen Einfluss auf staatliche Entscheidungen ausüben können. Dies gilt uneingeschränkt für die Erfüllung von Sachaufgaben, zu deren Erfüllung die Verwaltung verpflichtet ist. Solche Dauer- und Pflichtaufgaben sind für das finanzielle Engagement von Sponsoren allerdings in der Regel eher unattraktiv, eben weil der Staat zu ihrer Erfüllung ohnehin verpflichtet ist. So versteht es sich von selbst, dass Private wegen Stiftungen oder Schenkungen an Schulen keinen Einfluss auf die Lehrinhalte nehmen dürfen. Gegen eine maßvolle Selbstdarstellung des Schenkers oder Spenders, die den Unterricht in seinem Ablauf im Übrigen unberührt lässt, ist dagegen kaum etwas einzuwenden. Soweit freiwillige Maßnahmen private Förderung erfahren, bestehen dagegen keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Die Grenze zur unzulässigen Einflussnahme wird aber da überschritten, wo der private Geldgeber Bedingungen stellt, etwa die Verhinderung bestimmter Künstler. Auch dort, wo eine Maßnahme der privaten Parteienfinanzierung als Unterstützung von staatlichen Veranstaltungen getarnt wird, etwa durch die gezielte Förderung von Volksfesten des amtierenden Ministerpräsidenten im Vorfeld einer Wahl, kann die Finanzierungsprivatisierung ins Unzulässige umschlagen. Exakte Grenzen bedürfen im Einzelfall der Konkretisierung. Im Ergebnis besteht damit aus verfassungsrechtlicher Sicht ein überaus weiter Spielraum für private Finanzierungen staatlicher Veranstaltungen auf freiwilliger
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Grundlage, zumal es sich hierbei zumeist nicht um notwendige Staatsaufgaben handeln wird.
VI. Zusammenfassung D. Im Bereich notwendiger Staatsaufgaben kommt ein totaler Rückzug des Staates aus verfassungsrechtlichen und staatstheoretischen Gründen nicht in Betracht. Es bestehen allerdings erhebliche Gestaltungsspielräume des Gesetzgebers bei der Ausgestaltung der Art und Weise, wie notwendige Staatsaufgaben wahrzunehmen sind. Auch der Einsatz von Privatisierungsstrategien ist dabei bis zu einem gewissen Grad zulässig. Die Spielräume für die Privatisierung staatlicher Aufgaben werden damit teilweise durch inhaltliche und teilweise durch modale Direktiven des Verfassungsrechts vorgegeben. Insofern muss zwischen materiellen und formellen Privatisierungsschranken unterschieden werden. Materielle bzw. inhaltliche Privatisierungsschranken betreffen die grundsätzliche staatliche Aufgabendimension. Dabei geht es um die Frage, ob der Staat überhaupt für bestimmte Sachaufgaben bzw. Güter in der Pflicht ist. Sie begrenzen die Verlagerung von Sachaufgaben des Staates auf Private. Wenn eine Sachaufgabe die Qualität einer notwendigen Staatsaufgabe hat, ist deren komplette Verlagerung in den gesellschaftlichen Raum unzulässig. Auch im Bereich notwendiger Staatsaufgaben ist die Hinzuziehung von Privaten in der einen oder anderen Form aber nicht von vornherein ausgeschlossen. Wenn eine staatliche Sachaufgabe als notwendig zu qualifizieren ist, stellt sich deswegen zweitens die Frage nach den verfassungsrechtlich vorgegebenen formellen Privatisierungsschranken. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Schranken der sogenannten formellen Privatisierung, sondern vielmehr um modale Direktiven, die die Einschaltung privater Personen und sonstiger privater Ressourcen in die Erfüllung von notwendigen Staatsaufgaben begrenzen. Sie determinieren damit die Art und Weise und die Wirksamkeit der staatlichen Aufgabenwahrnehmung, indem sie bestimmte Mindestanforderungen für die staatliche Regieführung formulieren. Materielle und formelle Privatisierungsschranken sind in der Verfassung allerdings keine abgeschlossenen Normkomplexe mit einem flächendeckenden Konzept, sondern es finden sich dort eher punktuelle Aussagen mit im einzelnen ganz unterschiedlicher Regelungsdichte. Die inhaltliche Aufgabendimension des Verfassungstextes wurde deswegen oben durch Grundzüge einer Theorie notwendiger Staatsaufgaben ergänzt. Eine eigene Theorie zur Effektivität der Art und Weise staatlichen Handelns ist dagegen entbehrlich, zumal Effektivität als normatives Gebot im
VI. Zusammenfassung Teil D.
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Verfassungsstaat einerseits selbstverständlich, andererseits aber keine selbstwerthafte Größe darstellt: Alles staatliche Handeln zur Verwirklichung von Staatsaufgaben steht unter dem Vorbehalt der Achtung der Grundrechte und damit auch des Verfassungsgrundsatzes der Verhältnismäßigkeit. Im Rahmen der formellen Privatisierungsschranken ist systematisch nach den modalen Direktiven für vier elementare Handlungsressourcen bei der Verwirklichung von Staatsaufgaben zu differenzieren. Diese Handlungsressourcen sind erstens das rechtlich strukturierte Instrumentarium, zweitens das Personal, drittens die erforderlichen Sachressourcen und viertens die Finanzierung. Privatisierung bedeutet auf der modalen Ebene die Bereitstellung der betreffenden Handlungsressourcen durch Private. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen werden hierbei mit unterschiedlicher Regelungsdichte ausgeformt. Die Verfassungsstrukturprinzipien des Rechtsstaates und der Demokratie begrenzen die Gestaltungsmöglichkeiten und damit auch den Einsatz privatrechtlicher Handlungsformen bei der Handlungsressource des Verwaltungsinstrumentariums. Am vergleichsweise stärksten ausgeprägt sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben im Bereich des Personals. Hier werden den Einsatzmöglichkeiten von Privaten bei der Erfüllung von Staatsaufgaben zwar auslegungsbedürftige, aber doch deutlich erkennbare Grenzen gezogen. Von besonderer Bedeutung sind die verfassungsrechtlichen Untermaßbestimmungen für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch staatseigenes Personal, welches in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht. Danach ist der Einsatz von Beamten im staatsrechtlichen Sinn des Art. 33 Abs. 4 GG vor allem an zwei Tatbestandsmerkmale zu knüpfen. Einmal sind Beamte prinzipiell überall dort einzusetzen, wo der Staat dem Bürger nicht auf gleicher Ebene begegnet, sondern mit überlegener (Zwangs-) Macht und mit entsprechenden Eingriffsbefugnissen ausgestattet gegenübertritt. Sodann sind Leitungs-, Entscheidungs- und grundlegende Gestaltungsmaßnahmen durch Beamte auszuführen. Die Beschränkung auf diese Fallgruppen eröffnet einen weiten Spielraum für den Einsatz von Privaten in unterschiedlichen rechtlichen Fallkonstellationen außerhalb des Bereichs des Beamtenvorbehalts. Auch dort ist allerdings der Einsatz Privater ebenso wie der Einsatz von Angestellten im öffentlichen Dienst verfassungsrechtlich in Maßen möglich, da der Beamtenvorbehalt unter der Einschränkung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses aus Art. 33 Abs. 4 GG steht. Einen Angestelltenvorbehalt für diejenigen Verwaltungsbereiche, in denen der Einsatz von Beamten nicht geboten ist und der den Einsatz von privatem Personal ausschließen würde, kennt die Verfassung nicht. Im einzelnen bedürfen diese Grundsätze der Konkretisierung anhand bereichsspezifischer Untersuchungen.
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D. Verfassungsrechtliche Direktiven für die Aufgabenerfüllung
Ausgesprochen weite Spielräume für den Einsatz von Privatressourcen bestehen dagegen bei den Sachmitteln und bei der Finanzierung. Soweit hier überhaupt ausdrückliche verfassungsrechtliche Begrenzungen festgestellt werden konnten, beruhen diese auf spezifisch finanzverfassungsrechtlichen Gründen, nämlich der Einschränkung von Tatbeständen der Mischfinanzierung aus Bundes- und Landesmitteln. Weitere Grenzverläufe lassen sich nur in einem sehr vagen und konkretisierungsbedürftigen Sinn bestimmen, dass nämlich die staatliche Aufgabenerfüllung nicht in Abhängigkeit von Privaten geraten darf. Die immer noch relativ abstrakten verfassungsrechtlichen und theoretischen Vorgaben werden anhand von Beispielsfällen aus dem Bereich der inneren Sicherheit im Hauptteil E. konkretisiert.
E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung: Erprobung im Aufgabenfeld der inneren Sicherheit I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit 1. Sicherheit als öffentliches Gut: Strukturen und Produktionsbedingungen Im Verlauf dieser Untersuchung wurde der Terminus Staatsaufgabe durch den Terminus des öffentlichen Gutes ersetzt. Dieser Begriffswechsel stellt keine lediglich terminologische Variation dar, sondern verbunden damit ist eine Umakzentuierung beim Verständnis von Staatsaufgaben: Die intendierten Resultate staatlicher Tätigkeit und der Abnehmerbezug von staatlich bereit gestellten Gütern rücken dadurch in den Vordergrund. Bezogen auf das öffentliche Gut der inneren Sicherheit sind im letzten Hauptteil zunächst dessen tatsächliche Produktionsbedingungen und seine rechtlich greifbaren Strukturen herauszustellen. Erforderlich ist diese Präzisierung schon deswegen, weil innere Sicherheit kein Rechtsbegriff ist1. a) Mangelnde Begriffsschärfe
des Gutes
Äußere und innere Sicherheit bilden in der ökonomischen Theorie klassische Musterbeispiele für die Existenz reiner öffentlicher Güter. Ursprüngliche Kriterien für die Bestimmung von reinen öffentlichen Gütern sind danach die Nichtausschließbarkeit vom und die mangelnde Rivalität beim Konsum. Diesem begrifflichen Ansatz in der ökonomischen Theorie ist es allerdings nicht gelungen, eine Reihe von Übergangsphänomenen und Mischgütern begriffsscharf zu fassen. In der Folge hat dies zu zahlreichen theoretischen Verfeinerungen und zur Entwicklung neuer Kriterien geführt, die ihrerseits weitere begriffliche Probleme mit sich bringen. Die ökonomische Theorie öffentlicher Güter bleibt damit inkonsistent und schon deswegen für die juristische Theorie unbefriedigend. 1 In der politischen Diskussion findet er dagegen - mit gelegentlich kämpferischem Unterton - häufiger Verwendung. Hier steht der Terminus zunächst lediglich als Komplementärbegriff zur äußeren Sicherheit.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Trotz dieser begrifflichen Schwäche lässt sich das Denken in der Kategorie öffentlicher Güter auch in der Staatstheorie fruchtbar machen. Der systematisch geeignete Anknüpfungspunkt dafür ist die Staatsaufgabendiskussion. Oben wurde der Versuch unternommen, den Staat mit seinen vielfältigen Aufgaben als güterproduzierendes Subjekt zu begreifen 2. Staatliche Tätigkeit bedeutet aus dieser Perspektive im Wesentlichen die Bereitstellung öffentlicher Güter. Das staatlich bereitgestellte öffentliche Gut der inneren Sicherheit stellt dabei einen prägnanten Ausschnitt aus dem staatlichen Produktionssektor der Ordnungsgüter dar. Voraussetzung war die Entwicklung einer eigenständigen juristischen Theorie öffentlicher Güter, die sich nur zum Teil mit der klassischen Theorie öffentlicher Güter überschneidet. Ausgangspunkt dabei ist - in Übereinstimmung mit der Befassungstheorie des Bundesverfassungsgerichts 3 - die herstellerorientierte Betrachtungsweise. Danach wird eine Sachaufgabe erst durch die staatliche Befassung zur Staatsaufgabe. Die Art und Weise der staatlichen Befassung im einzelnen kann ganz unterschiedlich ausgestaltet sein. Als gemeinsames und für die spezifisch staatliche Güterbereitstellung konstitutives Merkmal wurde die Art und Weise der Sicherung des Zugangs zu dem betreffenden Gut erkannt, nämlich die Regulierung dieses Zugangs durch verbindliches Recht4. Staatliches Recht - und nicht der Preismechanismus des Marktes - schafft Zugangs- und Bewirtschaftungsregelungen für staatlich bereitgestellte öffentliche Güter, wobei die Kriterien für die Zugangsberechtigung des Einzelnen zu einem konkreten Gut je nach der Eigenart dieses Gutes ganz unterschiedlich ausgestaltet sind. Öffentliche Güter im Sinne der juristischen Theorie können deswegen nicht nur die klassischen öffentlichen Güter der Ökonomie sein, bei denen weder der Ausschluss vom noch die Rivalität beim Konsum stattfindet. Auch knappe Güter, bei denen die Nachfrage die staatlichen Bereitstellungsmöglichkeiten übersteigt, sind öffentliche Güter, wenn der Zugang zu diesen durch Recht reguliert wird. Das für alle verbindliche Recht bildet - im Unterschied zur Regulierung des Zugangs zu Gütern durch den Preismechanismus des Marktes - das genuine Steuerungsinstrument staatlicher Zugangsregulierung. Staatliches Recht ist damit als einziges Steuerungsmedium im Gemeinwesen in der Lage, unter Einsatz von differenzierten Kriterien prinzipiell gleiche Zugangschancen für alle auch unter der Bedingung von Güterknappheit offen zu halten. 2 Keine staatliche Bereitstellung öffentlicher Güter liegt hingegen bei der Gewährleistung von Grundrechten vor (dazu C. II. 7.) sowie bei der normalen Teilnahme des Staates am Wirtschaftsleben als Produzent von Wirtschaftsgütern unter Wettbewerbsbedingungen, die über den Markt vertrieben werden. 3 Dazu oben Α. I. 3. c). 4 Oben C. II. 5.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
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Übertragen auf die Staatsaufgabe „(innere) Sicherheit" bedeutet dies folgendes: Rechtlich gesicherten Zugang zum staatlich bereitgestellten Gut der öffentlichen Sicherheit genießt - insoweit in Übereinstimmung mit der klassischen ökonomischen Theorie öffentlicher Güter - im Prinzip jeder, der sich im Hoheitsbereich des Staates aufhält. Rechtliches Zugangskriterium für die Teilhabe an diesem Gut ist damit - jedenfalls in weiten Teilbereichen - die schlichte Präsenz5. Begrifflich präzise ist das öffentliche Gut Sicherheit auch im Rahmen einer juristischen Theorie öffentlicher Güter allerdings nicht leicht zu fassen. Negativ gewendet zielt die Bereitstellung dieses Gutes durch den Staat auf die Minimierung von Unsicherheit; positiv formuliert auf Gefahrenbeseitigung, auf Bekämpfung von und auf Schutz und Prävention vor Unfällen, Katastrophen und Risiken in zahlreichen Lebensfeldern sowie repressiv - auf die Aufklärung und Ahndung von Gesetzesverstößen, insbesondere von Straftaten. Dies schließt die Kriminalitätsbekämpfung und ganz allgemein die Erhaltung des inneren Friedens ein6. Dieses grob skizzierte Spektrum macht bereits deutlich, dass innere Sicherheit als Staatsaufgabe schon auf einer relativ abstrakten Ebene in Wahrheit ein ganzes Aufgabenbündel umfasst. Die Struktur von Sicherheit verstanden als öffentliches Gut bedarf deswegen weiterer Untersuchung. Eine sorgfältigere Analyse der Struktur des öffentlichen Gutes Sicherheit setzt im folgenden zunächst die systematische Unterscheidung zwischen den darin einbezogenen Schutzgütern (Sicherheit als Schutzgut) und den tatsächlich praktizierten staatlichen Schutzmaßnahmen zu ihrer Sicherung einschließlich der dafür erforderlichen Verwirklichungsressourcen voraus (Sicherheit als staatliche Schutzhandlung). Im nächsten Schritt ist auf die faktische Bedeutung der für die staatliche Güterbereitstellung erheblichen Einflussgröße des Sicherheitsgefühls einzugehen, wobei damit nicht das Empfinden jedes Einzelnen angesprochen wird, sondern die kollektive Größe einer allgemein verbreiteten Einschätzung der Sicherheitslage. 5
Soweit der Staat von Individualrechtsgütern (insbesondere Leben, Gesundheit) Gefahren abwehrt, kommt es für die Inanspruchnahme von staatlichen Schutzmaßnahmen und damit für die Zugangsberechtigung zum öffentlichen Gut Sicherheit noch nicht einmal auf die Frage des rechtmäßigen Aufenthalts im Staatsgebiet an. Das Absehen von weiteren Zugangskriterien kann als deskriptiver Beleg für den elementaren Charakter des öffentlichen Gutes Sicherheit gelesen werden. Für den Zugang zu anderen öffentlichen Gütern, etwa bei der Versorgung mit Sozialgütern im Rahmen der Hilfe zum Lebensunterhalt, gelten dagegen je nach Rechtsstatus des Leistungsempfängers durchaus unterschiedliche Bemessungsmaßstäbe, vergi, einerseits das BSHG und andererseits das Asylbewerberleistungsgesetz. 6 Th. Würtenberger/D. Heckmann/R. Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 3. Aufl. 1997, Rdn. 21 (S. 11 f.).
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Die Gewährleistung von innerer Sicherheit hängt auch sonst in immer stärkerem Umfang von Faktoren ab, die außerhalb des staatlichen Einflussbereichs liegen. Diese teils systematischen, teils empirischen Gesichtspunkte haben erhebliche Bedeutung für die Möglichkeiten einer effektiven und kontinuierlichen Güterbereitstellung durch den Staat. Schließlich erweist Sicherheit sich als hochkomplexes Gut, das effektiv nur als Resultat staatlicher und privater Anstrengungen bereit gestellt werden kann. b) Schutzgut und Schutzhandlung
Die öffentliche Sicherheit ist als schutzwürdiges Gut in den Polizeigesetzen ausdrücklich festgeschrieben. Sie besteht aus zahlreichen Rechtsgütern7 und umfasst eine doppelte Richtung: einerseits geht es um Individualgüter und andererseits um Staats- bzw. Gemeinschaftsgüter 8. Zu den Individualgütern werden traditionell die Unversehrtheit von Leben, Gesundheit, Ehre, Freiheit und Vermögen gerechnet, zu den gemeinschaftsbezogenen Gütern die Unversehrtheit der Rechtsordnung, der staatlichen Einrichtungen sowie der kollektiven Güter9. Die grundsätzliche Schutzwürdigkeit der Individual- und Kollektivgüter und der Verfassungsrang dieser fundamentalen Staatsaufgabe stehen weitgehend außer Frage. Die Staatsaufgabe Sicherheit wird - jedenfalls von der ganz herrschenden Meinung in der Literatur - auch von Verfassungs wegen als unverzichtbar angesehen. Unterschiede bestehen allerdings bei der konkreten verfassungsrechtlichen Verortung ihrer Schutzwürdigkeit.
7
C. Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, Rdn. 82 (S. 43 f.) betont deswegen, dass die Sicherheit selbst kein Rechtsgut darstellt, sondern lediglich die jeweiligen Schutzgüter, auf die der Begriff der öffentlichen Sicherheit verweist. 8 Th. Würtenberger/D. Heckmann/R. Rigger t, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 3. Aufl. 1997, Rdn. 272 ff.; E. Denninger, in: H. Lisken/E. Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, E Rdn. 6 ff.; C. Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, Rdn. 82 ff.; W.-R. Schenke, in: U. Steiner (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 5. Aufl. 1995, II. Rdn. 30 ff.; V. Götz, Allgemeines Polizei- und Ordnungsrecht, 12. Aufl. 1995, Rdn. 75 ff.; F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 1995, Rdn 73 ff.; F. SchocK JUS 1994, S. 570 ff. 9 Neben den bereits genannten vergi, auch K. H. Friauf\ in: E. Schmidt-Aßmann (Hrsg.), Besonderes Verwaltungsrecht, 10. Aufl. 1995, Rdn. 33 f. (S. 119); BVerfGE 69, 315 (352). Der Schutz von Individualgütern erfolgt allerdings nicht primär im privaten Interesse des Betroffenen, sondern nur insoweit ein öffentliches Interesse an der Gefahrenabwehr besteht. Deswegen ist die Störung der öffentlichen Sicherheit für sich genommen noch kein nothilfefähiges Rechtsgut, BGH DVB1. 1975, S. 579 f., es sei denn der Störer greift dadurch auch in rechtlich geschützte Individualinteressen ein.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
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Mit der grundrechtlichen Schutzpflichtendogmatik existiert immerhin im Hinblick auf die Individualgüter Leben und Gesundheit ein wichtiger verfassungsrechtlicher Anknüpfungspunkt für die verbindliche Inpflichtnahme des Staates zur Bewahrung dieser Güter 10. Andere betonen demgegenüber stärker das Rechtsstaatsprinzip als rechtsdogmatisch selbständigen Pfeiler der Verfassungsaufgabe Sicherheit. Wieder andere berufen sich eher auf die ungeschriebenen, aber gleichwohl normativ verbindlichen Voraussetzungen des modernen Rechts- und Verfassungsstaates und beziehen sich dabei auch auf die Ideengeschichte. Ergänzend zu der von Verfassungs wegen rechtsverbindlichen Einstandspflicht des Staates für den Schutz von elementaren Rechtsgütern existieren auch auf der Ebene des einfachen Rechts eine Fülle von Rechtsgütern, denen der Gesetzgeber rechtlich verbindlich Schutzwürdigkeit zugesprochen hat. Das Strafrecht und das Ordnungswidrigkeitenrecht, mit denen der Gesetzgeber einerseits ein bestimmtes Verhalten vorschreibt und andererseits die Verletzung dieser Verhaltensnorm entsprechend sanktioniert 11, geben reichlich Anschauungsmaterial für die Ermittlung rechtlich geschützter Güter. Die rechtsverbindliche Anerkennung von deren Schutzwürdigkeit bildet jedoch nur den ersten Schritt im Bereitstellungsvorgang des komplexen öffentlichen Gutes Sicherheit durch den Staat. Eine juristische Theorie öffentlicher Güter kann sich alleine mit dieser rechtlich-normativen Betrachtung von Sicherheit, bei der es um die Beantwortung der Frage geht, welche Güter eigentlich von Rechts wegen geschützt werden sollen (Sicherheit als staatliches Schutzgut), nicht begnügen. Die verfassungsrechtliche und einfachrechtliche Anerkennung bestimmter Rechtsgüter und ihrer Schutzwürdigkeit durch den Staat ist mit der wirksamen Bereitstellung des öffentlichen Gutes Sicherheit nicht identisch. So liegt eine stabile Sicherheitslage in der Staatswirklichkeit regelmäßig erst dann vor, wenn der Bestand dieser Schutzgüter auch in tatsächlicher Hinsicht zuverlässig gewährleistet werden kann. Als staatlich-öffentliches Gut entsteht Sicherheit, wenn staatliche Stellen im Hinblick auf bestimmte rechtsverbindliche Schutzgüter in spezifischer Weise bewahrend, vorsorgend und bei deren Verletzung gegebenenfalls aufklärend und sanktionierend tätig werden (Sicherheit als staatliche Schutzhandlung). Präventive Schutzund Vorsorgehandlungen sowie - repressiv - die Rekonstruktion von Schutzgutverletzungen und deren Ahndung bilden ein breites Spektrum von staatlichen Einzelleistungen und Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Bereitstellung von Sicherheit und innerem Frieden. 10 11
Dazu oben Α. II. 5. c). Vergi. U. Kindhäuser, Gefährdung als Straftat, 1989, S. 20 f.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Mit der grundsätzlichen Dimension von Sicherheit verstanden als staatliche Schutzhandlung eng verwandt ist die Frage ihrer rechtlichen Ausgestaltung. Dabei stehen theoretisch gesehen die vier grundlegenden staatlichen Verwirklichungsressourcen Verwaltungsinstrumentarium, Personal, Sachmittel und Geld zur Verfügung. So wird das auf Bewahrung und Erhaltung von Schutzgütern zielende staatliche Handlungsinstrumentarium insbesondere durch das materielle Polizeirecht rechtlich verbindlich ausgeformt. Auf allen präventiven und repressiven Handlungsebenen kann es gegebenenfalls zum Einsatz von Zwang kommen. Wie intensiv die staatlichen Schutzleistungen dabeirichtigerweise bemessen sein müssen und welche Handlungsinstrumente hierfür erforderlich sind, lässt sich mit Exaktheit allerdings nicht vorhersagen. Die Problematik betrifft insbesondere die Dimension der staatlichen Befugnisse für die Erfüllung der Staatsaufgabe Sicherheit. Entsprechende Entscheidungen bei der Schaffung neuer Befugnisse sind immer von einer Prognose abhängig, ob die neuen Befugnisse für den intendierten Zweck überhaupt geeignet und im Hinblick auf ihre Eingriffsintensität in die Rechte von Bürgern erforderlich sind 12 . Wie viele staatliche Schutzhandlungen, Vorsorgemaßnahmen und Sanktionsmöglichkeiten ausreichen, um den Bestand dieser schutzwürdigen Rechtsgüter und damit eine stabile Sicherheitslage zu gewährleisten („Wie sicher ist sicher genug?"), entzieht sich damit zu einem beachtlichen Teil normativ greifbaren Maßstäben. Die Frage der konkreten Befugnisausstattung, aber beispielsweise auch der quantitativen Personalausstattung bei der Polizei ist deswegen politisch häufig heftig umstritten 13. Aus diesem Dauerstreit darf aber nicht der Rückschluss gezogen werden, dass die Schutzwürdigkeit insbesondere der verfassungsrechtlich verankerten Schutzgüter deswegen insgesamt in Zweifel gezogen werde. Im Streit sind in der Regel nicht grundlegende Schutzgüter - bei politischen Wahlen stehen sie praktisch nie zur Disposition - , sondern nur die Art und Weise des richtigen staatlichen Schutzes und damit die staatlichen Schutzhandlungen und Befugnisse.
12
Als Beispiel sei nur auf den Streit um die Einführung des sogenannten Lauschangriffs Anschluss an die Änderung des Art. 13 GG hingewiesen. 13 An Schärfe gewinnt dieser Streit regelmäßig vor dem Hintergrund eines häufig propagierten Gegensatzes der beiden staatlichen Funktionen Gewährleistung von Freiheit einerseits und Gewährleistung von Schutz andererseits, charakteristisch etwa die Gegenübersetzung von S. Leutheusser-Schnarrenberger: Liberaler Rechtsstaat oder fürsorglicher Schutzstaat?, Festschrift H.-J. Vogel, 1996, S. 227 ff.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit c) Einflussfaktor
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Sicherheitsgefühl
Das öffentliche Gut Sicherheit konstituiert sich vor allem durch die zuverlässige Gewährleistung von Schutz für rechtsverbindliche Schutzgüter durch den Staat. Aus rechtlicher Perspektive ist zunächst festzustellen, dass es Sicherheit als öffentliches Gut in einem freiheitlichen Staat nicht in einem absoluten, sondern immer nur in einem relativen Sinn geben kann. Ein gewisses Restmaß an Unsicherheit wird in einem freiheitlichen Staat zwangsläufig immer bestehen bleiben. Da die Vorstellung eines völlig gefahrfreien und risikolosen Lebens wohl ebenso Utopie bleiben wird wie die Vorstellung einer Welt ohne Kriminalität, in der alle sich rechtstreu verhalten, kann innere Sicherheit als Staatsaufgabe immer nur die Schaffung und Erhaltung eines kollektiv ganz überwiegend als befriedigend bewerteten Sicherheitsstandards bedeuten. Dieser Standard geht alleine in streng juristischen Kategorien nicht auf. Es wäre zu kurz gegriffen, wollte man das öffentliche Gut Sicherheit nur auf juristisch fassbare normative Strukturen reduzieren und damit gewissermaßen alleine von der Herstellerseite (der staatlichen Aufgabendimension) aus begreifen. Gerade weil die Perspektive der Abnehmerseite des Gutes eine maßgebliche Rolle spielt, wenn es um die Bestimmung dessen geht, was als zuverlässige Gewährleistung von Sicherheit anerkannt wird, rücken automatisch auch sozialpsychologische Faktoren in den Vordergrund. Diese Faktoren überschreiten notwendigerweise den Rahmen einer juristischen Theorie und können deswegen hier nur angedeutet werden. Für eine juristische Theorie öffentlicher Güter sind sie aber insofern von Belang, als sie in erheblichem Umfang Einfluss auf die Bestimmung des öffentlichen Gutes innere Sicherheit ausüben und damit ein Element der Unschärfe in die Güterbestimmung hineintragen. Deutlich wird dies etwa bei einem Vergleich mit Infrastrukturgütern 14: Ob jeder einen Wasser-, Energie- oder Telefonanschluss hat und die staatlichen Leistungen für deren effektive Bereitstellung ausreichend sind, lässt sich klar überprüfen und exakt anhand objektiver Maßstäbe nachweisen; ob jeder sich sicher fühlen und im Prinzip unbeeinträchtigt leben kann nicht. Der Vergleich zeigt: Öffentliche Sicherheit kann man alleine in objektivierbaren Qualitäts-Kategorien nur begrenzt messen, eben weil dieses Gut in seinem kollektiven Verständnis nicht nur durch objektive Daten, sondern auch durch schwer messbare subjektive Befindlichkeiten geprägt wird. Wenn es um die Ermittlung des angemessenen Schutzes und des richtigen Umfangs von staatlichen Schutzhandlungen einschließlich der dafür erfor14
2
Oben C. V. 6.
Gramm
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
derlichen Befugnisse geht, kommt es deswegen auch auf das kollektive Sicherheitsempfinden und Sicherheitsbedürfnis in der Bevölkerung an: Maximale Sicherheit oder nur eine Art „polizeilicher Grundversorgung" 15, wobei auch beim heuristischen Begriff der Grundversorgung zunächst einmal festgelegt werden muss, was darunter eigentlich genau zu verstehen ist. Losgelöst davon bleibt das allgemeine Sicherheitsgefühl ambivalent, schon weil es um die empirische Tatsache geht, ob die Bürger sich tatsächlich im Wesentlichen sicher fühlen und nicht um eine normative Frage. Dieses kollektive Gefühl wird immer auch durch zahlreiche irrationale Faktoren beeinflusst, insbesondere durch diffuse Ängste16. Weiter hängt die Bestimmung der ausreichenden Intensität des staatlichen Schutzes von kulturell geprägten kollektiven Erwartungen ab, die erstens nicht leicht zu fassen und zweitens nicht immer stabil sind. Damit unterliegt die verbindliche Beantwortung der Frage, wie viel an staatlicher Sicherheitsgewährleistung als sicher genug empfunden wird, beachtlichen Schwankungen17. Solche Schwankungen in der Einschätzung des erforderlichen staatlichen Einsatzes finden sich nicht nur in regional und im Hinblick auf die soziale Bezugsgruppe unterschiedlichen Bewertungen der tatsächlich erwarteten Sicherheitshandlungen, sondern sie lassen sich auch bei den unvermeidlichen Schwankungen des Zeitgeistes registrieren. Deutlich wird dies etwa bei der unterschiedlichen Bewertung von Kleinkriminalität. In als ausgesprochen tolerant geltenden Zeiten werden beispielsweise Massendelikte mit eher geringem Unrechtsgehalt anders gesehen als in strengeren Zeitabschnitten. Schließlich verdient das Lebensalter als wichtiger Einflussfaktor auf das allgemeine Sicherheitsgefühl Erwähnung. Ältere Menschen sind im Bewusstsein abnehmender Kräfte tendenziell eher unsicher als jüngere, im Vollbewusstsein ihrer Lebenskraft stehende Personen. Diese an sich unspektakuläre Einsicht gewinnt für das allgemeine Sicherheitsgefühl allerdings durch die in unserem Land eingetretenen demographischen Verschiebungen 15 Frage bei C. Gusy, StWStP 1994, S. 204 ff.; zu ihrer Beantwortung G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 226 f. 16 Angst ist, im Gegensatz zur Furcht, die begrifflich auf konkrete Auslöser bezogen ist, wesentlich diffus. Zur verfassungsrechtlichen Dimension eines Rechts auf Freiheit von Furcht G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 1987, S. 223 ff.; aus kriminologischer Sicht G. Kaiser, Kriminalistik 1994, S. 764 ff. 17 Der kollektiv verspürte Mangel im Hinblick auf das öffentliche Gut Sicherheit muss ebenso wenig stabil sein wie der Mangel bei zahlreichen anderen Gütern, vergi, zur Instabilität von Mangel und der Bedeutung für die Begründung einer staatlichen Einstandspflicht im Sinne eines normativen Vorranges staatlicher Güterproduktion oben C. VII. 1.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
403
und der damit verbundenen Umkehrung der Alterspyramide zunehmend an Bedeutung. In dem Maß, wie ältere Menschen rein zahlenmäßig in Relation zu den jüngeren zunehmen, wird sich auch das allgemeine Sicherheitsempfinden wandeln und tendenziell abnehmen. Die Konsequenzen für die Bereitstellung des öffentlichen Gutes Sicherheit liegen auf der Hand: Bei objektiv konstanten Anstrengungen seitens des Staates wird das Gesamtsicherheitsgefühl in der Bevölkerung wegen des hohen Anteils älterer Menschen mit einiger Wahrscheinlichkeit dennoch abnehmen. Insgesamt dürfte dann der Eindruck wachsen, die Zeiten würden unsicherer. Die Abnahme des allgemeinen Sicherheitsgefühls kann weit über den engeren Bereich der Bereitstellung von Sicherheit durch den Staat hinaus Bedeutung entfalten. Als Ausweitung davon kann schließlich ein Verlust an Vertrauen in die staatliche Bereitstellung von Sicherheit18 und schließlich sogar ein Verlust an Legitimation des Staates eintreten19. Die Politik reagiert freilich in der Regel zuverlässig auf solche drohenden Vertrauensverluste. Gewiss ist der Einfluss der „Abnehmer" von Politik mit ihren Erwartungen an die staatliche Güterbereitstellung dabei nicht mit der Direktheit des Einflusses von Verbrauchern auf die Güterproduktion eines privaten Wirtschaftsunternehmens zu vergleichen, das seine Produkte auf dem Markt vertreibt und permanent der Resonanz auf die eigenen Produkte durch die täglichen Kaufentscheidungen der Verbraucher ausgesetzt ist. Wie die public-choice-theory lehrt, bleiben aber auch im demokratischen Entscheidungsprozess über einen erheblichen Zeitraum lautstark artikulierte Präferenzen nicht ohne Resonanz und werden von Politikern entsprechend aufgegriffen: Im ständigen Wettlauf um die Gunst der Wähler wird die Politik regelmäßig aktiv, wenn das allgemeine Sicherheitsgefühl kollektiv signifikant abnimmt. Verloren gegangenes Vertrauen und das Versprechen, dieses Vertrauen wiederherzustellen, bleibt eine klassische Profilierungschance für die Politik. Ob das Gefühl der kollektiven Verunsicherung dabei tatsächlich zu Recht oder zu Unrecht besteht, spielt demgegenüber eher eine nachgeordnete Rolle. Die jedenfalls mittelbar vorhandene Rückkoppelung des öffentlichen Gutes Sicherheit an das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung erschwert damit zusätzlich die Bestimmung des richtigen Maßes an staatlichen Schutzhandlungen. 18 Auf diesen Aspekt der Verunsicherung und die dadurch verursachte Gefahr einer Privatisierung der Gefahrenvorsorge weisen nachdrücklich Th. Würtenberger/ D. Heckmann/R. Riggert, Polizeirecht in Baden-Württemberg, 3. Aufl. 1997, Rdn. 28 (S. 15 f.) hin. 19 Zur grundlegenden Rechtfertigung des Staates durch die elementare Aufgabendimension Sicherheit BVerfGE 49, 24/56 f. (vergi, oben A. II. 5. a)). 26*
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Wird die an den Staat gerichtete Erwartung auf Bereitstellung einer stabilen Sicherheitslage enttäuscht und geht entsprechendes Vertrauen verloren, so sind besonders heftige und gegebenenfalls irrationale Reaktionen zu erwarten. Vor allem sensationelle und außergewöhnliche, aber durchaus singulare Gefahren können dazu beitragen, ein latentes und weit verbreitetes Gefühl von Unsicherheit bei vielen zu verstärken. Der Druck auf die staatlichen Institutionen, mehr für die Sicherheit zu tun, wächst dann auf allen Handlungsebenen. Das Gefühl der Bedrohung muss dem tatsächlichen Gefahrenpotential dabei nicht immer angemessen sein. Vertraut ist dieser Mechanismus etwa von der Terrorismuswelle in den siebziger Jahren: Das Risiko, Opfer eines Verkehrsunfalls zu werden, war für den Normalbürger bekanntlich ungleich viel höher als das Risiko, selbst Opfer eines terroristischen Anschlages zu werden. Dennoch war das allgemeine Gefühl des Sicherheitsverlustes gewaltig. Durch kollektive Entrüstungswellen und medienwirksame Schreckensmeldungen können sich entsprechende Negativgefühle zusätzlich spiralförmig nach oben steigern und heftige Reaktionen des Staates hervorrufen. Mit diesem Hinweis soll die Ernsthaftigkeit der Bedrohung des Staates durch den Terrorismus nicht in Frage gestellt werden. Das Phänomen belegt aber ein bleibendes Maß an Irrationalität in der Einschätzung von Gefahren und Risiken. Die staatliche Bereitstellung von Sicherheit wird dadurch nicht erleichtert. d) Einflussfaktor
Globalisierung von Sicherheit
Auf die allgemeine Tendenz, dass auch das öffentliche Gut der inneren Sicherheit im Zeichen zunehmender Kommunikationschancen durch neue Kommunikationstechnologien und durch die wachsende großräumige Beweglichkeit von Menschen immer stärker grenzüberschreitende Bezüge gewinnt, wurde bereits hingewiesen20. Die tatsächliche Entwicklung im Bereich der Kriminalität, etwa bei der internationalen Drogenkriminalität, deutet darauf hin, dass innere Sicherheit heute immer weniger nur nationales Hausgut sein kann, sondern im Zeichen der Globalisierung sich jedenfalls in wichtigen Teilbereichen immer stärker zum Weltgut wandelt. Präziser formuliert sind es die Strukturen von Kriminalität und damit der Unsicherheit, die sich weltweit organisieren und nach einer global operierenden positiven Güterbereitstellungsstrategie verlangen. Das Stichwort von der organisierten Kriminalität kennzeichnet diesen Befund schlagwortartig. 20
Vergi, oben C. III. 4. Diese Tendenz zur Globalisierung gilt im Übrigen nicht nur für die innere Sicherheit, sondern auch für die Entdeckung und Entstehung zahlreicher anderer öffentliche Güter wie beispielsweise Umweltqualitäten.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
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Die Bereitstellung von Sicherheit durch den Staat wird durch diese generelle Entwicklung in faktischer Hinsicht abermals erschwert. Gerade ein freiheitlicher Staat ist auf seinem eigenen Territorium immer weniger im Alleingang zur Bereitstellung von Sicherheit in der Lage. Obwohl diese Entwicklung einer Internationalisierung der Bedingungen für die erfolgreiche nationale Güterproduktion bei zahlreichen Gemeinschaftsgütern bekannt ist, ist eine andere Ordnungsgröße, die den Staat als Primärgarant für innere Sicherheit ersetzen könnte, bislang nicht ersichtlich. Die faktische Globalisierung auch im Bereich der inneren Sicherheit entlastet den Staat deswegen in keiner Weise von seiner Verantwortung für die Bereitstellung dieses knappen Kollektivguts, sondern sie erfordert unter Umständen die Schaffung internationaler beziehungsweise supranationaler Strukturen, die geeignet und in der Lage sind, Sicherheit als ein den Nationalstaat übergreifendes Gut zu gewährleisten. e) Nachhaltigkeit der Güterbereitstellung
Die aufgeführten Einflussfaktoren sind zwar keineswegs abschließend; sie machen aber eine präzise Festlegung des öffentliche Gutes innere Sicherheit praktisch unmöglich. Dies gilt zwar nicht für die Erfassung der zu schützenden Güter, wohl aber für die Bestimmung der erforderlichen staatlichen Schutzmaßnahmen, gerade weil Sicherheit als kollektives Gut sich nicht ausschließlich in objektiv messbaren Daten wie beispielsweise der Kriminalitätsstatistik erschöpft. Für den staatlichen Bereitstellungsvorgang ist vor allem die Koppelung an das Sicherheitsgefühl folgenreich. Sie bedeutet ein vergleichsweise hohes Maß an Störanfälligkeit, weil die erfolgreiche Güterbereitstellung letztlich von Faktoren abhängig bleibt, die der Staat kaum beherrschen kann. Dieser Befund wiegt deshalb schwer, weil Sicherheit in ähnlicher Weise wie bestimmte Grundgüter zum Kranz elementarer menschlicher Grundbedürfnisse21 gehört. Das hohe Gewicht dieses Bedürfnisses bestimmt den individuellen Erwartungshorizont an die staatliche Bereitstellung von Sicherheit. Als öffentliches Gut bleibt Sicherheit trotz der vorhandenen Störanfälligkeit durch schwer beherrschbare emotionale, aber auch durch grenzüberschreitende Faktoren, in besonderem Maße auf Effektivität und Kontinuität ihrer Bereitstellung angewiesen. Das Gut ist auf nachhaltige Produktionsstrukturen angelegt. Der Nachhaltigkeitsgedanke22, der insbesondere den Aspekt der Erhaltung eines Gutes durch langfristig vorausschauendes und vorsorgendes Handeln betont, passt gut auf die Bereitstellung von Sicherheit. 21 22
Dazu oben C. VII. 1. Vergi, oben C. VII. 2.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Demonstriert sei dies an einem wichtigen Teilaspekt von innerer Sicherheit am Beispiel der staatlichen Kriminalitätsbekämpfung. Wie die brokenwindow-theory zeigt, führt der Verlust von auf den ersten Blick nur äußeren Ordnungsmerkmalen in einem Wohnviertel zu einer voranschreitenden und unaufhaltsamen Erosion von Sicherheit durch die Zunahme von Sorglosigkeit und Unordnung schließlich zu vermehrter Kriminalität 23. Auch wenn die konkreten Wege, wie einmal verloren gegangene Sicherheitsstandards richtigerweise wiederhergestellt werden können, selbstverständlich umstritten sind, ist es doch unumstritten, dass unter dem Sicherheitsaspekt verloren gegangenes Terrain nur äußerst mühsam zurückgewonnen werden kann. Es bedarf jedenfalls erheblicher und nachhaltiger Anstrengungen, um die einmal eingetretene Entwicklung der Erosion von Sicherheit wieder umzukehren und ein in der örtlichen Bevölkerung verloren gegangenes Sicherheitsgefühl wiederherzustellen. Das allgemein verbreitete Vertrauen in die allgemeine Sicherheitslage (kollektives Sicherheitsgefühl) stellt als kollektive Ressource nicht nur eine wichtige Grundlage des individuellen Vertrauens in bestimmte äußere Bedingungen der eigenen Lebensführung dar, sondern gleichzeitig eine objektive Voraussetzung dafür, dass bestimmte auf Stabilität angewiesene Lebensstrukturen sich entfalten können. So ziehen sich Familien, jedenfalls soweit sie es sich leisten können, oder Händler und kleinere Betriebe regelmäßig aus als unsicher geltenden Gegenden zurück - mit der Folge, dass die Unsicherheit zunimmt. Der Verlust an Vertrauen in die Sicherheitslage verursacht damit auch objektiv greifbare Erosionserscheinungen, die sich, wenn sie nicht rechtzeitig aufgehalten werden, noch beschleunigen. Aufhalten lassen sich entsprechende Erosionserscheinungen aber nur durch effektive und kontinuierliche Schutzhandlungen. Effektivität und Kontinuität sind spezifische Element von Nachhaltigkeit bei der Güterbereitstellung. Sie bestimmen zugleich maßgeblich die Produktionsstrukturen. Effektivität bedeutet wirksame Güterbereitstellung, so dass alle tatsächlich in gleicher Weise an der Bereitstellung von Sicherheit teilhaben. Bedingung dieser Bereitstellungswirksamkeit von Sicherheit als öffentlichem Gut ist der prinzipiell gleiche, voraussetzungslose und rechtlich gesicherte Zugang zu diesem Gut für alle. Nur auf dieser Basis kann stabiles Vertrauen in den Vorgang der Güterproduktion entstehen und erhalten werden. Die Erhaltung dieses stabilen Vertrauens ist aber, wie die Rück23
Den Zusammenhang von „Unordnung" (besser übersetzt durch den Begriff der Sorglosigkeit) und Kriminalität einer Gemeinde betonen nachdrücklich J. W. Wil~ son/G. L. Kelling, KrimJournal 1996, S. 121 ff. (deutsche Übersetzung des Originaltitels „The police and neighborhood safety: Broken Windows" von 1982). Beide seien in einer Art ursächlichen Abfolge normalerweise unentwirrbar miteinander verknüpft, S. 124.
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koppelung an das allgemeine Sicherheitsgefühl belegt, eine maßgebliche Bedingung von stabiler Sicherheit selbst. In Ergänzung dazu erfordert das Merkmal der Kontinuität langfristig gleichmäßige, ausreichende, zuverlässig funktionierende und berechenbare Bereitstellungsstrukturen. Nicht alle Sektoren staatlicher Güterbereitstellung werden durch die Maßstäbe von Effektivität und Kontinuität in gleicher Weise geprägt. Zeigen kann man dies wiederum im Vergleich zu Infrastrukturgütern wie Gebäuden oder feststehenden Netzen, die einmal angeschafft werden müssen und dann im Prinzip vorhanden und ohne größeren Aufwand nutzbar sind. Demgegenüber ist die Bereitstellung von Sicherheit eine Daueraufgabe, die eine permanente Präsenz von Personal in erheblichem Umfang erfordert. Rationalisierungsreserven existieren dabei in bescheidenem Umfang. Sicherheit bleibt eine kostspielige und überdies in weiten Teilen wenig attraktive Aufgabe. Abschließend ist darauf hinzuweisen, dass ein gewisses Maß an Unsicherheit und an Kriminalität die effektive Bereitstellung des öffentlichen Gutes einer stabilen Sicherheitslage noch nicht aufhebt. Auch insoweit besteht die Rückkoppelung an das Sicherheitsgefühl: Ein allgemein verbreitetes Vertrauen in eine stabile Sicherheitslage bedeutet nicht, dass Normabweichungen nicht stattfinden dürfen, sondern dass ein im einzelnen schwer zu bestimmendes kritisches Niveau dabei nicht überschritten werden darf. f) Sicherheit als Resultat staatlicher und gesellschaftlicher Anstrengungen
Die Untersuchung der Staatswirklichkeit im zweiten Hauptteil hat auch gezeigt, dass das hohe Gut der inneren Sicherheit nicht ausschließlich durch die öffentliche Verwaltung und damit durch staatliche Stellen bereit gestellt wird, sondern dass Private mit unterschiedlicher Intensität und in entsprechend unterschiedlichen rechtlichen Formen in den Vorgang der Güterbereitstellung eingeschaltet sind. Systematisch war dabei zwischen Organisationsformen der Aufgabenwahrnehmung durch Private als integriertem Bestandteil der öffentlichen Verwaltung und Formen der Aufgabenwahrnehmung durch Private als deren eigene Angelegenheit mit jeweils unterschiedlichem rechtlichen Verpflichtungsgehalt zu unterscheiden. Rechtliche Organisationsformen der Einbeziehung von Privaten als integriertem Bestandteil der öffentlichen Verwaltung sind insbesondere Beleihung, Verwaltungshilfe und gemischte Gesellschaftsstrukturen im Rahmen von Maßnahmen der Organisationsprivatisierung. Diese Formen der gezielten Einschaltung von Privaten in die staatlichen Verwaltungsstrukturen
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
erfolgen im Bereich der inneren Sicherheit bislang allerdings noch eher in Randbereichen, freilich qualitativ im Hinblick auf die konkreten Sachaufgaben und quantitativ im Hinblick auf die Zahl des eingesetzten privaten Personals mit deutlich wachsender Tendenz. Das Spektrum bei der Bereitstellung von Sicherheit durch Private als eigene Aufgabe reicht von der rechtlich verpflichtenden Indienstnahme für die Erfüllung von Staatsaufgaben bis hin zu freiwilligen Leistungen, die der Staat vielleicht im Weg von Aufklärungsmaßnahmen empfehlen mag, zu denen aber keine Rechtspflicht besteht. Sämtliche Erscheinungsformen lassen sich als rechtlich unterschiedlich strukturierte Formen der Arbeitsteilung zwischen Verwaltung und Privaten bei der Bereitstellung von Sicherheit begreifen. Wegen Einzelheiten wird auf oben verwiesen24. Die freiwilligen Beiträge von Privaten spielen eine nicht zu unterschätzende Rolle für die zuverlässige und dauerhaft funktionierende Bereitstellung von Sicherheit. Eine einigermaßen verlässliche Quantifizierung von staatlichen und privaten Produktionsanteilen würde, sofern sie überhaupt möglich ist, allerdings intensive und komplizierte empirische Untersuchungen erforderlich machen, die hier nicht geleistet werden können. Für die hier maßgebliche Analyse der Produktionsstrukturen von Sicherheit belegt die tatsächlich bestehende Formenvielfalt bei der Arbeitsteilung immerhin, dass die faktische Bereitstellung von Sicherheit sich nicht in einem strikten Dualismus von staatlicher oder privater Produktion vollzieht, sondern dass es hier zu zahlreichen Mischformen kommt. Die rechtlich strukturierten Erscheinungsformen der Einschaltung von Privaten in die staatliche Aufgabenerledigung lassen sich damit als organisierte Kooperationsformen bei der Bereitstellung von Sicherheit interpretieren. Diesem zunächst rein deskriptiven Befund kommt auch für die gütertheoretische Analyse des öffentlichen Gutes innere Sicherheit erhebliche Bedeutung zu. Die kontinuierliche Bereitstellung dieses Gutes darf in der Wirklichkeit des freiheitlichen Verfassungsstaates nicht auf den Gegensatz von entweder staatlicher oder privater Produktion reduziert werden, sondern das Produkt Sicherheit kann aus gütertheoretischer Sicht unter der Voraussetzung des freiheitlichen Verfassungsstaates einigermaßen zuverlässig nur in einem komplizierten Kooperationsnetz zwischen Staat und Privaten garantiert werden. Der Begriff der Kooperation bedarf an dieser Stelle der Erläuterung. Damit sollen nicht nur die rechtlich mehr oder weniger strukturierten und organisierten Formen des gezielten Zusammenwirkens von staatlichen und 24
Β. IV. 2. und Β. IV. 3.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
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gesellschaftlichen Akteuren erfasst werden, sondern gerade auch die autonomen Handlungsbeiträge Privater. Genannt sei die für die Bereitstellung von Sicherheit unverzichtbare, im letzten nicht oder nur in Einzelfällen erzwingbare Leistung des individuellen Rechtsgehorsam. Die massenhafte Verweigerung des Gehorsams gegenüber dem Handlungsbefehl einer Rechtsnorm stellt nicht nur geltungstheoretisch ein Problem dar, sondern auch unter gütertheoretischer Perspektive. Eine im großen und ganzen funktionierende Innensteuerung durch die freiwillige Leistung von Rechtsgehorsam wurde deswegen oben25 als „conditio sine qua non" des öffentlichen Gutes Sicherheit bezeichnet. Damit wird das Gewicht staatlicher Schutzleistungen nicht geschmälert. Der staatliche Anteil an der wirksamen Bereitstellung des Gutes Sicherheit reicht jedenfalls weit über seine exklusiven Zwangsbefugnisse hinaus. Zuletzt ist eine stabile Sicherheitslage aber nicht alleine das Produkt staatlicher Schutzleistungen, sondern das Gesamtresultat aus vielfältigen staatlichen und privaten Anstrengungen. Sicherheit stellt ein deswegen in der Tat hochkomplexes öffentliches Gut dar. Erst im unterschiedlich strukturierten Zusammenwirken von staatlichen Stellen und Privaten bildet sich das öffentliche Gut der inneren Sicherheit effektiv heraus. Das kollektive Produkt (Mischgut) Sicherheit setzt sich aus im einzelnen schwer zu ermittelnden Wechselwirkungen zusammen. Die broken-window-theory 26 betont dabei sowohl die Bedeutung der in einer Gemeinschaft existierenden Elemente informeller Kontrolle, die die Bürger leisten, als auch die Unterstützungsleistungen durch die örtlichen Polizeikräfte 27. Die Einsicht in die komplexen Produktionsformen von Sicherheit wirft allerdings die Frage nach den originären und unverzichtbaren Leistungen beziehungsweise Produktionsanteilen von staatlichem und gesellschaftli25
Oben C. II. 4. J. W. Wilson/G. L. Kelling, KrimJournal 1996, S. 130 ff. Das grundlegende Problem bestehe darin, wie die Polizei die informellen Strukturen sozialer Kontrolle natürlicher Gemeinschaft stärken könne, um die Angst auf öffentlichem Terrain zu mindern. „Gesetzesdurchsetzung per se ist kein Antwort." Als Beispiel verweisen sie auf eine Gang, die eine Gemeinschaft schwächen oder zerstören könne, indem sie in einer bedrohlichen Weise herumsteht oder Passanten anpöbelt, ohne dabei Gesetze zu verletzen. Auch wenn solche Formulierungen gewiss präzisierungsbedürftig sind, verweisen sie auf die informellen und alleine mit den Mitteln des Rechts kaum herstellbaren Strukturen eines als friedlich und sicher erlebten Zusammenlebens. 27 J. W. Wilson/G. L. Kelling, KrimJournal 1996, S. 121 ff., 124 ff., 135 ff. Es kommt danach nicht entscheidend darauf an, wer die Entstehung öffentlicher Sorglosigkeit bereits im Ansatz beseitigt, sondern darauf, dass sie überhaupt möglichst schnell beseitigt wird. Das Bild der zerbrochenen Fenster und deren Reparatur deutet auf erhebliche Handlungspotentiale Privater für die Bereitstellungsmöglichkeiten von Sicherheit hin. 26
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
chem Bereich auf. Die Einführung des Kooperationsbegriffs bedeutet keineswegs, dass die jeweiligen Handlungsbeiträge austauschbar und durch den jeweils anderen Kooperationspartner substituierbar wären. Schon gar nicht heißt Kooperation Beliebigkeit der Verantwortlichkeiten. Für den Bereich der Privaten wurde dies am Beispiel des Rechtsgehorsams bereits deutlich gemacht: Rechtsgehorsam kann der Staat nicht leisten, sondern nur der Bürger. Mit den Zwangsmitteln des Staates lässt Rechtsgehorsam sich nur in Einzelfällen herbeiführen. Entsprechendes gilt für die informellen Ordnungselemente im gemeinschaftlichen Zusammenleben, die sich der Verrechtlichung weitgehend entziehen, die aber für eine funktionierendes Miteinander nicht uneingeschränkt verzichtbar sind. Offen blieb bislang allerdings die für die Bereitstellung von Sicherheit als öffentlichem Gut entscheidende Frage, welcher Produktionsanteil dem Staat notwendigerweise und damit privatisierungsfest verbleiben muss. Was kann bei diesem komplexen Produktionsprozess trotz der oben skizzierten und schwer beherrschbaren Einflussfaktoren wenn überhaupt nur vom Staat geleistet werden?. In den Vordergrund rückt damit die eigentlich normative Dimension der verbindlichen Einstandspflicht des Staates. Die Frage wird an dieser Stelle nicht aus der verfassungsrechtsdogmatischen, sondern ergänzend dazu aus einer staatstheoretischen Perspektive aufgeworfen, wie sie im dritten Hauptteil der Untersuchung in Grundzügen ausgearbeitet wurde. 2. Staatliche Einstandspflicht für die Bereitstellung von Sicherheit a) Zugangsregulierung durch Recht oder durch den Markt
Auch bei einem hochkomplexen Gut wie der öffentlichen Sicherheit mit seiner gemischten Bereitstellungsstruktur bleibt die rechtliche und organisatorische Differenz von staatlichem und privaten (Teil-) Produktionsregime 28 bestehen. Besonders hervorgehoben sei an dieser Stelle die Bedeutung des gesetzesgeleiteten staatlichen Produktionsprozesses. Für den staatlichen Anteil am Gesamtprodukt Sicherheit bedeutet dies ungeachtet der übrigen Unterschiede des Produktionsregimes, dass der Staat nicht frei ist, bei einem Fehlschlagen seiner Schutzleistungen von weiteren Anstrengungen abzusehen. Ein Privater, der sich Sicherheitsleistungen freiwillig auf dem Markt bei privaten Sicherheitsdiensten besorgt, mag bei einem Verfehlen 28
Vergi, oben C. II. 6. d).
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
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seiner Zwecke ausweichen, sich zurückziehen oder resignieren; dem Staat ist dieses von Rechts wegen zumindest im Rahmen des Bestehens seiner verfassungsrechtlichen Schutzpflichten verwehrt. Das sogenannte Gewaltmonopol und die gegenüber Privaten besondere Befugnisausstattung des Staates sind dabei nicht Selbstzweck, sondern haben ihre materielle Legitimation in eben dieser Schutzpflicht. Aber nicht nur in organisatorischer und rechtlicher Hinsicht, sondern auch aus der Abnehmerperspektive macht es einen fundamentalen Unterschied, ob das Produkt Sicherheit auf dem Markt angeboten oder durch den Staat gewährleistet wird. Zwar kann der Zweck des privaten und des staatlichen Produktionsprozesses durchaus in die gleiche Richtung zielen. Beide können - wenn auch mit möglicherweise unterschiedlichen Mitteln - zur Bereitstellung von Sicherheit beitragen. Der Staat besitzt weder ein rechtliches noch ein faktisches Monopol auf die Bereitstellung von Sicherheit. Alleine der Staat ist aber auf Grund seiner spezifischen Produktionsstrukturen dazu in der Lage, den individuellen Zugang zu dem öffentlichen Gut Sicherheit für alle in prinzipiell gleicher Weise durch das Recht zu eröffnen und auf Dauer zu garantieren. Dies gilt gerade auch dann, wenn der Einzelne nicht in der Lage ist, auf dem Markt die erforderlichen Sicherheitsleistungen bei Dritten einzukaufen. Zumindest die Menschen, die mangels Leistungsfähigkeit oder mangels Geld nicht „marktfähig" sind und die deswegen über keine Resonanzmöglichkeit auf dem Markt verfügen, bleiben auf Bereitstellungsleistungen Dritter dauerhaft angewiesen. Wenn andere Privatpersonen oder Hilfsorganisationen nicht vorhanden sind, um diese Bereitstellungsleistungen freiwillig für die marktunfähigen Personen zu erbringen, fallen diese Menschen aus der Güterversorgung heraus. Der Markt kann aus sich heraus deren Versorgung nicht sicherstellen. b) Gerechtigkeit
des Rechtsstaates
Ursache dafür ist, dass der Markt im Prinzip auf die Abgrenzung und Ausschließung derjenigen angewiesen bleibt, die den marktgerechten Preis nicht zahlen können oder wollen. Nur der Staat kann es sich erlauben, von der Gegenleistungsfähigkeit und -bereitschaft des Einzelnen abzusehen und den Zugang zum Gut Sicherheit nicht nur für einige, sondern im Prinzip für alle in gleicher Weise zu garantieren. Dadurch wird das Gut zugleich zum öffentlichen Gut im juristischen Sinn. Die Fähigkeit des Staates zum Absehen von individueller Leistungsfähigkeit begründet seine strukturelle Überlegenheit gegenüber dem alleine auf den Preis reduzierten Zugangs- und Verteilungsmaßstab des Marktes. Die Sprache des Marktes lässt Spielräume dabei nicht zu. Die Gewährleistung des prinzipiell gleichen Güterzuganges für alle ohne Rücksicht auf die Gegenleistungsfähigkeit würde die Gesetze
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
des Marktes und damit den Preismechanismus außer Kraft setzen. Der Staat kann bei der rechtlichen Regulierung des Zugangs zu staatlich-öffentlichen Gütern tatsächlich auf zahlreiche andere und sachgerechtere Kriterien als den Preis abstellen. Hierin beruht die Stärke des rechtlichen Steuerungssystems, das damit auch korrigierend in die Güterbereitstellungsprozesse des Markts verbindlich hineinwirken kann. Zugleich liegt darin das solidarische Fundament des Rechtsstaates und die Gerechtigkeit des Staates begründet. Diese Feststellung provoziert die - rhetorische - Gegenfrage, ob Private also nicht solidarisch sein können. Selbstverständlich können sie dies, und sie sind es auch in ganz beachtlichem Umfang und über ihre unmittelbar fassbare Lebenswelt hinaus. Allerdings sind sie es auf andere Weise und mit einem andere Radius hinsichtlich der Reichweite ihres Handelns als der Staat. Spätestens in großräumigen Massengesellschaften und bei Daueraufgaben stoßen die Chancen von Privaten an faktische Grenzen, und zwar selbst dann, wenn es sich um gut organisierte Großverbände handelt29. Erinnert sei an das paradigmatische Beispiel aus dem Bereich der Sozialgüter einer flächendeckenden Versorgung mit Kindergartenplätzen. Die Sicherstellung eines entsprechenden Anspruchs für jedes Kind und damit die Güterbereitstellung für alle vermag trotz noch so beachtlicher Anstrengungen privater Initiativen und Großverbände wie den Kirchen - wenn überhaupt - alleine der Staat zu gewährleisten. Selbst wenn die staatliche Güterbereitstellung für alle misslingt, weil die Nachfrage beim Zugang das staatliche Angebot übersteigt, bleibt der Staat auf die gerechte Regulierung des Güterzugangs durch Recht verwiesen. Die Öffnung des Zugangs durch das Recht mit prinzipiell gleichen Chancen für alle ist selbst bei knappen Gütern etwas fundamental anderes als die Öffnung des Zugangs über den auf dem Markt zu erzielenden Preis. Sie ist der strukturelle Kern der Gerechtigkeit des Staates. Dies bedeutet selbstverständlich nicht, dass staatliche Schutzleistungen kein Geld kosten oder dass die Eröffnung des individuellen Zugangs zu ihnen unter keinen Umständen Geld kosten darf. Die Kosten dafür werden allerdings nicht über den auf dem Markt erzielten Preis abgegolten, sondern über den Finanztransfer der zwangsweise erhobenen Steuern oder sonstiger Abgaben und Beiträge. Erst dadurch wird der über andere Einnahmen nicht verfügende Staat frei, den individuellen Zugang zu einem Gut prinzipiell unabhängig von Gegenleistungen rechtlich garantiert zu organisieren 30.
29 30
Vergi, dazu oben C. IV. 3. Vergi, oben C. VIII. 1.
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c) Unvermögen des Marktes
Der Markt wäre selbst dann, wenn er es wollte, aus eigener Macht gar nicht in der Lage, auf den Preismechanismus flächendeckend zu verzichten. Der Ausschluss der marktunfähigen Personen ist kein moralischer Strukturdefekt des Marktes, sondern eine strukturelle Bedingung seiner Funktionsfähigkeit. Im Prinzip kann er Schutz nur in dem Maß gewährleisten, wie dafür gezahlt wird. Wer nicht freiwillig zahlt oder nicht zahlen kann, erhält keinen Schutz. Eine private Schutzvereinigung muss deswegen im Gegensatz zum Staat sogar ein regelrechtes Interesse am bleibenden Bestand eines gewissen Umfanges an Kriminalität haben, um ihre Existenzberechtigung praktisch nachzuweisen und damit als einer Art negativem Werbefaktor um neue Kunden zu werben 31. Eine freiwillige und stabile Kooperation aller, die sich zu einem Sicherheitsverbund zusammenschließen, ist auf dieser Grundlage völlig unwahrscheinlich. Zumindest wäre sie durch die Gefahr des Trittbrettfahrer-Syndroms ständig bedroht. Hinzu kommt, dass über den Markt erbrachte Leistungen zunächst immer nur auf die unmittelbare Sicherheit des Auftraggebers zielen werden. Sicherheit, für die der Einzelne unmittelbar bezahlt, muss eine für den Einzelnen sichtbare Gegenleistung darstellen; andernfalls wird er jedenfalls auf freiwilliger Grundlage nicht länger bereit sein, das Produkt zu erwerben. Die Zahlungsbereitschaft wird dabei regelmäßig durch den sachlich und örtlich bestimmten Radius des individuellen Sicherheitsinteresses begrenzt. Sicherheit bedeutet in erster Linie aber immer die Sicherheit des eigenen überschaubaren Lebensumfeldes und nicht mehr 32. Jenseits dessen, etwa bei der Bekämpfung weiträumig operierender Kriminalitätserscheinungen im Rahmen der organisierten Kriminalität, nimmt das aktuelle Interesse ab. Solange nur bestimmte Formen von Kriminalität aus dem eigenen Lebensradius heraus gehalten werden können, ist das individuelle Schutzbedürfnis befriedigt. Darüber hinausgehende Wirkungen mögen sich zwar als erwünschtes Abfallprodukt einstellen; sie bleiben aber als flächendeckendes Phänomen mit einem garantierten Sicherheitsstandard für alle auf rein freiwilliger Grundlage - das heißt die Bereitschaft, dafür freiwillig zu zahlen - zumindest immer unsicher. Die Erwartung, auch für solche übergreifenden Strategien der Kriminalitätsbekämpfung werde eine Vielzahl von Einzelnen freiwillig zahlen, ist vollkommen unrealistisch. Die faktische Reichweite des rationalen Eigeninteresses darf, zumal im Rahmen einer juristischen Theorie öffentlicher Güter, keinesfalls überschätzt oder an die Erwartung eines besonders hochstehenden Ethos geknüpft werden. 31 32
Vergi, oben C. IV. 1. Vergi, oben C. IV. 2.
414
E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
So kommt der unmittelbare Schutzeffekt von über den Markt bereitgestellten freiwilligen Schutzmaßnahmen von Privaten in der Regel nur dem Privaten zugute, wie dies etwa auch beim Einkauf von Sicherungsmaßnahmen gegen Diebstahl der Fall ist. Dadurch mag sogar insgesamt ein Mehr an allgemeiner Sicherheit entstehen. Gewisse Wechselwirkungen und synergetische Effekte sind wahrscheinlich. Die Wirksamkeit der privaten Initiative auf die allgemeine Sicherheitslage hängt jedoch zuletzt von der Fähigkeit der Privaten zu flächendeckendem Handeln ab. Bei realistischer Betrachtung fehlt es aber genau an dieser Bereitschaft. Private sind aus eigener Macht nicht in der Lage, die flächendeckende Güterbereitstellung zu garantieren, sondern es werden alleine auf freiwilliger Grundlage immer nur Inseln der Sicherheit geschaffen. Nichts berechtigt im Übrigen zu der Annahme, der Markt werde ausgerechnet auf dem Gebiet der Sicherheit zu einer einigermaßen gleichmäßigen Güterverteilung führen. Sicherheit ist aber, um den wirksamen Zugang für jedermann zu eröffnen, trotz mancher Unterschiede auf ein jedenfalls einigermaßen vergleichbares Sicherheitsniveau innerhalb eines Staates angewiesen. Die private Sicherheitsleistung bleibt aber immer räumlich begrenzt, personell auf die zahlenden Kunden beschränkt, damit abhängig von der Zahlungskraft der Kundschaft und zeitlich stets unsicher. Schließlich sind Private alleine auf der Grundlage des Prinzips Freiwilligkeit häufig überfordert, einem drohenden Zusammenbruch des Gutes Sicherheit für alle wirksam gegenzusteuern33. Dagegen mag man einwenden, dass mit diesen eher skeptischen Ausführungen die Leistungskraft des Markts unterschätzt werde. So werden einige darauf hinweisen, dass der Markt heute ohne weiteres in der Lage ist, die Versorgung mit einem so wichtigen Gut wie dem täglichen Brot sicher zu
33 Aus theoretischer Perspektive wurde dies durch das Denkmodell der Tragik der Allmende belegt, vergi, dazu oben C. IV. 3., das sich in leicht abgewandelter Form auch auf das Gut der Sicherheit in einem Gebiet anwenden lässt, wenn Einzelne die Chance haben, einfach abzuwandern und in eine sichere Gegend zu ziehen. Sicherheit verstanden als Allmende bricht zusammen, wenn das letztlich unvermeidliche Maß an Unsicherheit überhand nimmt und wirksame Gegensteuerungsmaßnahmen unterbleiben. Wie bei der Allmende auch gibt es eine gewisse Belastungshöchstgrenze, die einfach nicht überschritten werden darf, ohne dass das Kollektivgut Sicherheit zerstört wird. Übrig bleiben dann häufig nur Arme und Alte, die besonders leicht Opfer von Kriminalität werden und dadurch den - auch insoweit greift die Parallele zur Tragik der Allmende - Auszehrungsprozess von Sicherheit noch beschleunigen. J. W. Wilson/G. L. Kelling, Krimjournal 1996, S. 127 haben diese Entwicklung auf der empirischen Grundlage der broken-window-theory nachgezeichnet und weisen auf die Notwendigkeit staatlicher Unterstützungsmaßnahmen bei der Gegensteuerung zum drohenden oder bereits eingetretenen Zusammenbruch von Sicherheit hin.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
415
stellen. Allerdings kann er auch die für das unmittelbare Überleben unbedingt notwendigen Produkte nicht ohne Gegenleistung anbieten. Die flächendeckende Versorgung mit dem sprichwörtlichen täglichen Brot macht davon keine Ausnahme. Soweit individuell eine Mangelsituation besteht, weil der Einzelne - aus welchen Gründen auch immer - nicht in der Lage ist, am Marktgeschehen teilzunehmen, kann der Staat dies immerhin korrigieren, indem er den Einzelnen marktfähig macht und ihm die für den Erwerb des Brotes erforderlichen Finanzmittel zur Verfügung stellt. Dieser Mechanismus der staatlichen Korrektur von individueller Marktunfähigkeit versagt allerdings bei der Sicherheit und ihrer spezifischen Güterstruktur. Eine Ursache liegt in der erwähnten beschränkten Reichweite des individuellen Sicherheitsinteresses und dem dann einsetzenden Trittbrettfahrer-Syndrom. Selbst wenn alle Bürger über ausreichende Mittel verfügen würden, um die benötigten Schutzleistungen bei einem privaten Anbieter zu erwerben, würde dadurch bei wirklichkeitsnaher Betrachtung kaum ein flächendeckendes Netz einer Sicherheitsversorgung für alle entstehen. Der Zugang zum Gut Sicherheit würde mit hoher Wahrscheinlichkeit in verschiedene Tarifklassen mit differenzierten Zugangsberechtigungen zerfallen, die dann wahrscheinlich „Sicherheits-Servicepakete" heißen werden. Der elementare Charakter des Gutes Sicherheit erfordert aber die Sicherung des prinzipiell gleichen Güterzugang für alle ohne Rücksicht auf die individuelle Gegenleistung. Dies gilt jedenfalls für einen gewissen Grundstandard, den man mit dem Grundversorgungsgedanken umschreiben mag. Wenn man an der rechtstaatlichen Vorstellung festhält, dass ein solcher Versorgungsstandard im Prinzip für alle in ähnlicher Weise gewährleistet sein soll, führt an der staatlichen Bereitstellung von Schutzleistungen im Kern kein Weg vorbei. Eine weitere Ursache liegt darin, dass der Staat seine exklusiven Befugnisse andernfalls zunächst in erheblichem Umfang auf - dann untereinander konkurrierende - Private übertragen müsste, um eine effektive Sicherheitsgewährleistung garantieren zu können. Die Ausstattung von Privaten mit originären Polizeibefugnissen mag zwar theoretisch möglich sein, stößt aber ungeachtet ihrer Praktikabilität jedenfalls an verfassungsrechtliche Grenzen. Das im Bereich der polizeilichen Zwangsbefugnisse noch weitgehend existierende Gewaltmonopol wäre dann erheblich durchlöchert; zugleich, und dieses Argument wiegt besonders schwer, würde der Staat damit eine ganz entscheidende Grundlage seiner Legitimation verlieren und sich der Gefahr aussetzen, dass private, mit Polizeimacht ausgestattete Schutzvereinigungen ein erhebliches Machtpotential außerhalb der demokratischen Kontrollmechanismen aufbauen könnten. Die bleibende staatliche Einstandspflicht mindert ihrerseits nicht den Wert der für die Bereitstellung von Sicherheit unverzichtbaren privaten
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Handlungsbeiträge. Die notwendigen staatlichen Beiträge sind aber ebenso wenig durch private Initiative ersetzbar wie umgekehrt. 3. Rechtliche Privatisierungsschranken der Staatsaufgabe Sicherheit Die bisherigen Ausführungen zu Charakter, Produktionsstruktur, Erscheinungsformen der Bereitstellung und staatlicher Einstandspflicht für das öffentliche Gut innere Sicherheit mögen mehr oder weniger interessant erscheinen. Zu zeigen bleibt, wie sich diese Überlegungen im Rahmen einer juristischen Untersuchung der Zulässigkeit von konkreten Privatisierungsmaßnahmen in einen systematischen Prüfungsablauf einfügen. Die Struktur der rechtlichen Privatisierungsschranken soll deswegen im folgenden noch einmal in knapper Form rekapituliert werden. In einem ersten Schritt wird die allgemeine Systematik der Privatisierungsschranken dargelegt; im zweiten Schritt wird ihre Anwendung auf die Staatsaufgabe innere Sicherheit demonstriert. a) Allgemeine Schrankensystematik
Als Ausgangspunkt am Anfang der Untersuchung stand die Fragestellung nach den privatisierungsfesten Aufgaben des Staates34. Im Lauf der Arbeit wurde deutlich, dass dafür zunächst die Erarbeitung einer systematisch schlüssigen Schrankenkonzeption für die Privatisierung von Staatsaufgaben geleistet werden muss. Als gedankliche Vorstufe bedurfte der Privatisierungsbegriff einer Klärung. Die Untersuchung von Privatisierungsmaßnahmen in ausgewählten Referenzgebieten aus der Staats Wirklichkeit unter B. hat gezeigt, dass die rechtsdogmatische Dreiteilung von formeller, materieller und funktionaler Privatisierung für den eigentlichen Zweck der Untersuchung kaum weiter führt. Bei der formellen Privatisierung liegt in Wahrheit gar kein Fall der Privatisierung vor, sondern es findet lediglich ein Formenwechsel bei der Wahrnehmung von Verwaltungsaufgaben statt35. Auch dieser Formenwechsel unterliegt zwar spezifischen rechtlichen Grenzen, die jedoch nicht Gegenstand dieser Untersuchung sind. Im Gegensatz dazu ist die materielle Privatisierung ein gedanklich präziser Fall der Überführung von Staatsaufgaben in die gesellschaftliche Wahr34 35
Vergi. A. I. 3. Oben Β. III. 1. c).
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
417
nehmungszuständigkeit. Rein theoretisch gesehen handelt es sich dabei um den Idealfall von Privatisierung. Tatsächlich sucht man diese reine Erscheinungsform von Privatisierung, bei der der Staat keinen Rest an Einstandspflicht für die Bereitstellung eines bestimmten Gutes mehr zurückbehält, zumindest in den untersuchten Referenzgebieten in der Staatspraxis bislang vergeblich. Vorgänge, die mit dem Etikett der Privatisierung von Staatsaufgaben versehen werden, erweisen sich in den meisten Fällen vielmehr als eine rechtlich verbindliche Neustrukturierung der Aufgabenerledigung zwischen staatlichen Stellen und Privaten. Eigentliches Thema der Privatisierung in der Staatswirklichkeit ist deswegen nicht der bedingungslose Totalrückzug des Staates aus vormals wahrgenommenen Aufgaben, sondern eine neue, teilweise sehr komplexe Aufgabenteilung zwischen Staat und Gesellschaft sowie der dadurch ausgelöste Wandel der staatlichen Steuerungsfor36
men . Ausgehend von der klassischen Dreiteilung der Privatisierungstypen liegt deswegen der Schwerpunkt im Bereich der funktionalen Privatisierung. Funktionale Privatisierung wird hier als Sammelbegriff für unterschiedliche Formen der arbeitsteiligen Aufgabenerledigung durch Staat und Gesellschaft verstanden. Dabei sind eine Reihe abgestufter Privatisierungsgrade zu unterscheiden37. Vor diesem faktischen Hintergrund ist rechtsdogmatisch zwischen zwei Prüfungsebenen mit unterschiedlichen Prüfungsmaßstäben zu unterscheiden: den materiellen und den formellen Schranken für die Privatisierung von Staatsaufgaben. Die materiellen Prüfungsschranken betreffen die grundsätzliche Einstandspflicht des Staates für bestimmte Sachaufgaben beziehungsweise für die Bereitstellung bestimmter öffentlicher Güter. Zu entscheiden ist, ob der Staat von Rechts wegen hier überhaupt in der Pflicht ist oder ob er sich im Zweifel auch ganz aus einer bestimmten Sachaufgabe zurückziehen darf. Den Prüfungsmaßstab bildet dabei in erster Linie die Verfassung. Zu prüfen ist, ob eine bestimmte Sachaufgabe im Rang einer Verfassungsaufgabe steht38. Solche Verfassungsaufgaben stehen grundsätzlich nicht zur Disposition des Gesetzgebers und erst recht nicht zur Disposition der Verwaltung, sondern es handelt sich um notwendige Staatsaufgaben. Das Grundgesetz hat die Dimension der Staatsaufgaben aus einer Reihe von Gründen allerdings nur fragmentarisch geregelt. Dies bedeutet freilich nicht, dass die Verfassung gegenüber der Dimension der textlich ungeregel36 37 38
Ausführlich dazu oben Β. IX. 2. Oben Β. IX. 1. Oben Α. II. 5.
27 Gramm
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
ten Staatsaufgaben insgesamt eine indifferente Position einnimmt. Auch im Bereich des textlich Ungeregelten existieren notwendige Staatsaufgaben, die der Staat zu erfüllen hat. Ergänzend zum Verfassungstext müssen deswegen auch staatstheoretische Überlegungen zum Bereich der notwendigen Staatsaufgaben herangezogen werden. Ein entsprechender Versuch wurde im Rahmen dieser Untersuchung auf der Grundlage einer juristischen Theorie öffentlicher Güter unternommen. Die so begründeten notwendigen Staatsaufgaben genießen keine geringere normative Qualität als die ausdrücklich geregelten oder zumindest aus dem Verfassungstext ableitbaren Staatsaufgaben, sondern sie stellen in gleicher Weise verbindliche materielle Privatisierungsschranken dar. Ob einer bestimmten Sachaufgabe die Qualität einer notwendigen Staatsaufgabe zukommt, bedarf damit der verfassungsrechtlichen und gegebenenfalls ergänzend dazu der gütertheoretischen Untersuchung. Erst wenn auf der Ebene der materiellen Privatisierungsschranken feststeht, dass eine bestimmte Sachaufgabe grundsätzlich nicht zur Disposition des Staates steht und deswegen eine materielle Privatisierung im Sinne der Totalüberführung einer Sachaufgabe in die gesellschaftliche Zuständigkeit nicht in Betracht kommt, sind die formellen Schranken der Privatisierung zu überprüfen. Mit der grundsätzlichen Einstandspflicht des Staates steht nämlich noch keineswegs fest, ob, in welcher Form und in welchem Umfang Private in die staatliche Aufgabenerfüllung eingeschaltet werden dürfen. Gänzlich ausgeschlossen ist die Einschaltung von Privaten nur dann, wenn sich der Verfassung ein Verbot arbeitsteiliger und damit ein Gebot exklusiver Aufgabenwahrnehmung entnehmen läßt. Solche exklusiven Staatsaufgaben existieren aber nur in sparsamem Umfang 39. Bei notwendigen Staatsaufgaben, die nicht zugleich auch exklusive Staatsaufgaben sind, verlagert sich die rechtliche Problematik auf die Bestimmung des unverzichtbaren Staatsanteils bei der Aufgabenwahrnehmung. Damit rücken begrifflich die (verfassungs-) rechtlichen Vorgaben für die Art und Weise der staatlichen Aufgabenerfüllung, die dabei einzusetzenden staatlichen Erfüllungsressourcen 40 sowie die Frage in den Vordergrund, inwieweit die Einbeziehung von privaten Ressourcen hier von Rechts wegen überhaupt in Betracht kommt. Die theoretisch möglichen Gestaltungsformen bei den vier Erfüllungsressourcen Verwaltungsinstrumentarium, Personal, Sachmittel und Finanzie39
Die Bereitstellung des öffentlichen Gutes innere Sicherheit ist keine exklusive, sondern eine konkurrierende Staatsaufgabe. Im Rahmen grundrechtlicher Freiheit ist jeder Private befugt, Sicherheitszwecke im Rahmen des rechtlich Zulässigen zu verfolgen, vergi, oben Β. IV. 3. a). 40 Oben A. II. 7. und D. I. 1.
I. Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe Sicherheit
419
rung sind vielfältig. Rechtlich wird das breite Spektrum der funktionalen Privatisierungsstrategien durch formelle Privatisierungsschranken begrenzt, die das Mindestniveau des staatlichen Anteils bei der jeweiligen Erfüllungsressource festlegen. Formelle Privatisierungsschranken haben ihre eigene Maßstäblichkeit, die mit im einzelnen sehr unterschiedlicher Regelungsdichte durch das Verfassungsrecht vorgegeben werden. b) Materielle
Privatisierungsschranke
Für Ordnungsgüter und damit insbesondere auch für die innere Sicherheit trägt der Staat eine deutlich hervorgehobene Verantwortung: Die Grundsatzfrage, ob die Aufrechterhaltung und gegebenenfalls die Wiederherstellung des öffentlichen Gutes innere Sicherheit eine notwendige Staatsaufgabe darstellt, war sowohl aus verfassungsrechtlicher als auch aus gütertheoretischer Perspektive zu bejahen. Der Staat hat eine Einstandspflicht für die Bereitstellung von Sicherheit. Dieser Pflicht darf er sich nicht entziehen. Ein plötzlich eintretender, signifikanter Mangel an innerer Sicherheit nimmt deswegen allererst den Staat in die Pflicht. Die Staatsaufgabe innere Sicherheit ist eine unverzichtbare Staatsaufgabe und bildet damit eine materielle Privatisierungsschranke. Das Prädikat des Unverzichtbaren wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass der Staat wegen der Beschränkung seines souveränen Wirkungsradius auf das eigene Staatsgebiet immer nur partikulare Ordnungsgröße mit beschränkter Macht sein kann. Solange Alternativen zur staatlichen Ordnungsmacht nicht in Sicht sind, bleibt der Staat weiter in der Pflicht. c) Formelle Privatisierungsschranken
Das vielfältige Aufgabenfeld der inneren Sicherheit und seine komplexen Erledigungsformen in der Staatspraxis demonstrieren aber auch in exemplarischer Weise, wie wenig mit einer materiellen Privatisierungsschranke und damit dem Prädikat des Unverzichtbaren für die Frage nach den rechtsverbindlichen Grenzen der Privatisierung einer Staatsaufgabe gewonnen ist. Zwar darf der Staat sich seiner Verantwortung für die Sicherheit nicht entziehen. Gesetzgeber und Verwaltung verfügen gleichwohl über erhebliche Spielräume bei der rechtlichen Ausgestaltung und bei der Wahrnehmung von konkreten Aufgaben aus dem Gesamtkomplex innere Sicherheit. Wie weit diese Spielräume im einzelnen reichen, ist eine in der Staatspraxis sehr viel relevantere Frage als die nach der materiellen Einstandspflicht des Staates für den Schutz gerade von elementaren Rechtsgütern, die im Grundsatz bislang kaum bestritten wird. Vor allem trägt alleine die Erkennt21*
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
nis der materiellen Privatisierungsschranke für die Bestimmung der rechtsverbindlichen Grenzen dieser Gestaltungsspielräume von Gesetzgebung und Verwaltung kaum etwas bei. Die Einsicht in die Unverzichtbarkeit der Staatsaufgabe innere Sicherheit bewahrt damit nicht vor einer gewissen Hilflosigkeit des Grundsätzlichen. Diese Hilflosigkeit wird besonders deutlich bei der Ermittlung der rechtlich eben noch zulässigen Einbeziehung von privatem Personal in die staatliche Aufgabenerfüllung bzw. bei anderen Formen der staatlichen Aufgabendelegation an Private. Der exakte Grenzverlauf bleibt auf dieser Ebene unsicher. So läßt sich aus der Unverzichtbarkeit einer bestimmten Sachaufgabe erstens kein generelles Verbot der konkurrierenden Güterbereitstellung durch Private auf freiwilliger Grundlage ableiten, da unverzichtbare Staatsaufgaben nicht notwendig zugleich auch exklusive Staatsaufgaben sind. Selbst bei staatlichen Kernaufgaben findet sich häufig ein Neben- und Miteinander staatlicher und privater Güterbereitstellung. Die Qualität einer Staatsaufgabe als unverzichtbar sagt zweitens aber auch noch nichts über die rechtlich gebotene Art und Weise ihrer Erfüllung durch den Staat mit eigenem oder mit beauftragtem privaten Personal aus. Rechtsdogmatisch unhaltbar ist deswegen der pauschale Schluss von der Aufgabenqualität als unverzichtbare Staatsaufgabe auf das vermeintliche Gebotensein des Einsatzes ausschließlich staatseigenen Personals. Auf dem Referenzgebiet der inneren Sicherheit wirft in der Staatspraxis vor allem die Erfüllungsressource des Personals schwierige rechtliche Fragen auf. Belegt wird dies einerseits durch die unterschiedlich stark ausgeprägten Privatisierungsgrade bei der Einschaltung von privatem Personal in die Wahrnehmung staatlicher Sicherheitsaufgaben (Personalprivatisierung). Andererseits sind die verfassungsrechtlichen Vorgaben für den gebotenen Einsatz staatseigenen Personals ihrerseits in hohem Maße präzisierungsbedürftig, wenn die entsprechenden Verfassungsbestimmungen nicht leer laufen sollen. Deswegen konzentrieren sich die weiteren Überlegungen auf die formellen Privatisierungsschranken für die Erfüllungsressource des Personals. I L Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung und staatliches Kernpersonal (Fallbeispiele) Tatsächlich stellt sich der Rückzug des Staates gerade im Bereich der inneren Sicherheit weniger als ein Rückzug aus oder gar als Verzicht auf die Wahrnehmung von Sachaufgaben dar, sondern vornehmlich als Rückzug des eigenen Personals, das in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht. Diese faktische Entwicklung wirft die Frage auf, für
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
421
welche Aufgaben bzw. für welche Teilaufgaben der Einsatz von staatseigenem Personal geboten ist, die damit nicht, und zwar auch nicht im Wege der Beleihung, auf Private übertragen werden dürfen 41. Von der Schrankensystematik für Privatisierungsvorhaben her gesehen geht es dabei um die Präzisierung der formellen Privatisierungsschranken im Bereich der Erfüllungsressource Personal. Die exakten Grenzverläufe müssen zunächst am konkreten Fall anhand aller einschlägigen Normtexte im Lichte der gewonnenen grundsätzlichen verfassungsrechtlichen und theoretischen Direktiven ausgelotet werden. Im folgenden werden einige aktuelle Problemfelder aus dem Aufgabenbereich der inneren Sicherheit an Fallbeispielen auf Privatisierungsgrenzen, Privatisierungsspielräume und möglicherweise gegebene Grenzüberschreitungen in der Staatswirklichkeit untersucht, um die jeweils gebotene staatliche bzw. polizeiliche Grundversorgung in inhaltlicher, aber auch in personeller Hinsicht im Detail zu ermitteln. Dabei ist auch zu prüfen, ob die Polizei sich bei bestimmten Leistungen stärker zurückhalten kann als dies bisher der Fall ist und ob sie die Gewährleistung von Sicherheit vermehrt privaten Ordnungskräften überlassen darf. Verfassungsrechtsdogmatisch steht die Konkretisierung des Art. 33 Abs. 4 GG im Vordergrund, dessen Bedeutung für den Bereich der inneren Sicherheit in der Tat wenig geklärt ist 42 . Herauszuarbeiten sind stringente und verbindliche Kriterien, die die Bestimmung der Unverzichtbarkeit des Einsatzes von staatseigenem Personal erlauben, das in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht. Solche normative Strukturierungsarbeit erweist sich schon deshalb als erforderlich, da die Behandlung der einzelnen Fallbeispiele und ihre Lösung in der Praxis einer klaren inneren Ratio nicht folgen. Tatsächlich werden sie zum Teil von eher widersprüchlichen Wertungen bestimmt, die allerdings erst in der Parallelität der Betrachtung des einschlägigen Fallmaterials sichtbar werden. Hinzu kommt die verfassungsrechtsdogmatische Unsicherheit über die normative Reichweite von Art. 33 Abs. 4 GG, die sich insbesondere unter Rückgriff auf die Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht wesentlich aufhellen lässt43. Auch der Hinweis auf die klassische Zweiteilung von Ein41
Ebenso R. Pitschas, DÖV 1997, S. 400. So C. Gusy, StWStP 1994, S. 205. 43 Vergi, nur K. Waechter, NZV 1997, S. 334 ff., der zu dem Resümee gelangt, dass es sich um eine Kompromissformel zwischen Anhängern und Gegnern des Berufsbeamtentums handelt, die aus der Unsicherheit über die Leistungsfähigkeit des Berufsbeamtentums resultiert (S. 336) und daraus die doppelte Konsequenz zieht, dass einerseits ein weiter Gestaltungsspielraum (Wahlfreiheit) für unterschiedliche Beschäftigungstypen existiert, der aber andererseits im Kernbereich der Regelvermutung nicht gilt; Nachweis der Gesetzgebungsmaterialien bei U. Bachmann (Be42
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
griff und Leistung hilft für die Bestimmung der Reichweite dieses Funktionsvorbehalts bekanntlich nicht viel weiter, da es einerseits auch innerhalb der Leistungsverwaltung im Zeichen gestiegener Grundrechtssensibilität zahlreiche Eingriffsakte gibt 44 und andererseits nicht alle Grundrechtseingriffe im Hinblick auf ihre stark unterschiedliche Qualität ohne weiteres über einen Kamm zu scheren sind. Die folgenden Fallgruppen dienen dazu, die Kriterien für die Konkretisierung des Art. 33 Abs. 4 GG im Bereich der inneren Sicherheit einerseits herauszuarbeiten und zu systematisieren und andererseits zu erproben. Speziell für den Bereich der inneren Sicherheit lassen sie sich insbesondere unter Berücksichtigung der unterschiedlichen Qualität von tatsächlichen bzw. potentiellen Freiheitseingriffen und aus dem sogenannten45 staatlichen Gewaltmonopol für die Ausübung legalen Zwanges entwickeln46, wobei dieses Gewaltmonopol differenzierter Betrachtung bedarf. 1. Sicherheit des Luftverkehrs: Fluggastkontrolle a) Die Rechtswirklichkeit
Die Luftsicherheit einschließlich des Schutzes vor Angriffen stellt schon im Hinblick auf das immense Gefahrenpotential einer durch einen terroristischen Anschlag ausgelösten Flugzeugexplosion über dichtbesiedelten Gebieten einen wichtigen Teilausschnitt aus dem Gesamtaufgabenkomplex der inneren Sicherheit dar. Trotz der evidenten und unbestrittenen Bedeutung dieser (sonder-) polizeilichen (Teil-) Aufgabe kommt es auch hierbei in ganz erheblichem Umfang zu Privatisierungsmaßnahmen im Bereich der Erfüllungsressource Personal. So können die für die Sicherheit des Luftverkehrs zuständigen Luftfahrtbehörden private Sicherheitsdienste auf den Flughäfen für die Durchsuarbeiter), in: Hans-Peter Schneider (Hrsg.), Das Grundgesetz. Dokumentation seiner Entstehung, Bd. 10, 1996, Artikel 30 bis 37, S. 371 ff. 44 Hinzuweisen ist insbesondere auf Eingriffe in das aus dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht abgeleitete Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung. 45 Diese Einschränkung erweist sich als erforderlich, da von einem staatlichen Gewaltmonopol nicht ohne erhebliche Einschränkungen im Hinblick auf das Recht zur Gewaltausübung im Rahmen der Jedermannsrechte bei Notwehr, Nothilfe und Notstand gesprochen werden kann. Gewaltmonopol des Staates und Selbstschutzrecht des Bürgers sind insofern Komplementärbegriffe, vergi. H. J. Faller, Festschrift W. Geiger, 1989, S. 8 ff. und 17 f.; R. Stober, NJW 1997, S. 890 und ein staatliches Gewaltmonopol ganz ablehnend R. Pitschas, DÖV 1997, S. 39. 46 Ob diese Kriterien auch in anderen Gütersektoren greifen und welche weiteren Kriterien hier hinzutreten müssen, bedarf jeweils gesonderter Untersuchungen, die den Rahmen der Arbeit sprengen würden.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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chung von Personen und für die Durchleuchtung oder sonstige Überprüfung von Gegenständen auf der Grundlage des § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG einsetzen47. Soweit der Bundesgrenzschutz den Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs übernommen hat 48 , macht der Staat zu seiner Kostenentlastung in erheblichem Umfang von dieser gesetzlich eingeräumten Möglichkeit Gebrauch49. Insbesondere die körperliche Untersuchung, der sich jeder Fluggast vor dem Flug unterziehen und die er dulden muss, lässt sich dabei nicht als ein bloß technischer Vorgang schlicht-hoheitlicher Art qualifizieren. Es handelt sich vielmehr um eine hoheitliche (sonder-) polizeiliche Maßnahme mit stark standardisiertem Charakter, die in jedem einzelnen Fall in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG eingreift. Die Sicherheitsdienste operieren dabei vor Ort mit einer beachtlichen Selbständigkeit und nehmen die erforderlichen Untersuchungen mit allen dabei anfallenden Zwischenentscheidungen in sichtgeschützten Kabinen vor. Insbesondere treffen sie trotz des relativ hohen Standardisierungrades der Untersuchung und ungeachtet bestimmter genereller Anweisungen der Beamten häufig auch in Einzelfällen die für die Sicherheit maßgebliche Entscheidung, wie intensiv die Untersuchung im Detail zu erfolgen hat, ob ein Fluggast bestimmte Gegenstände vor Reiseantritt abzugeben hat und insbesondere ob ein Fluggast passieren darf oder nicht. Dieser mit der Fluggastkontrolle durch Private realisierte Privatisierungsgrad unterliegt erheblichen rechtlichen Bedenken. b) Die unzureichende Rechtsgrundlage des § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG
Die aktuelle Praxis ist bei näherer Betrachtung von der einfachgesetzlichen Rechtslage nicht abgedeckt. Die Praxis und die Kommentarliteratur 50 bejahen allerdings die Rechtmäßigkeit der Personalprivatisierung bei der Fluggastkontrolle im beschriebenen Umfang. Sie verstehen die einfachrechtliche Ermächtigung des § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG als Grundlage für die Beleihung von Privaten. Diese Auffassung ist konsequent, denn sonst könnten die privaten Sicherheitsdiens47 § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG: „Soweit die Wahrnehmung dieser Aufgaben die Durchsuchung von Personen und die Durchsuchung, Durchleuchtung oder sonstige Überprüfung von Gegenständen erfordert, können sich die Luftfahrtbehörden geeigneter Personen als Hilfsorgane bedienen, die unter ihrer Aufsicht tätig sein müssen." 48 Vergi, oben unter Β. IV. 1. b) dd). 49 Private Dienste sind unter anderem wegen der niedrigen Tarife im Sicherheitsgewerbe billiger als der Einsatz von staatseigenem Personal. 50 M. Hofmann/E. Grabherr, Luftfahrtgesetz Kommentar, 2. Aufl. 1992, § 29 c Rdn. 24.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
te gar nicht in dem Umfang tätig werden, wie dies tatsächlich der Fall ist. Private Sicherheitsdienste könnten andernfalls lediglich als unselbständige Verwaltungshelfer eingesetzt werden mit der praktischen Folge, dass neben jedem Verwaltungshelfer ein Beamter stehen müsste, um die Durchsuchung anzuordnen; der Beamte müsste sich weiter in jedem Einzelfall von der Richtigkeit des Untersuchungsergebnisses selbst überzeugen und die Entscheidung für das Passieren selbst treffen. Eine solche Konstruktion wäre aber offensichtlich nicht sonderlich zweckmäßig und würde das intendierte Privatisierungsziel der Kosteneinsparung weitgehend konterkarieren. Auch würde der Personalaufwand dadurch kaum entlastet, sondern eher zusätzlich erhöht werden. In Wahrheit trägt § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG die Beleihungskonstruktion nicht. Die Vorschrift lässt bereits ihrem Wortlaut nach die Einschaltung von Privaten lediglich als unselbständige Helfer zu. Schon die Formulierung „als Hilfsorgane" deutet eher auf die unselbständige Stellung der herangezogenen Personen hin und widerspricht damit der für die Beleihung konstitutiven Übertragung von Hoheitsrechten auf den Privaten zur Wahrnehmung im eigenen Namen. Auch die Wendung, dass „sich" die zuständigen Luftfahrtbehörden zur Erfüllung dieser Hilfsorgane „bedienen können", trägt eine Beleihung nicht, denn alleine durch diese rechtliche Option des Sichbedienens kommt es noch nicht zu einer Übertragung von Aufgaben oder von Befugnissen auf die Privaten. Die privaten Sicherheitsdienste dürfen damit von Rechts wegen lediglich als „verlängerter Arm" und damit als Verwaltungshelfer der Luftfahrtbehörden tätig werden 51, was erhebliche Korrekturen in der Praxis erforderlich macht. Für eine erweiterte Auslegung des Gesetzeswortlauts in Richtung Beleihungsgrundlage besteht im Übrigen auch aus systematischer Perspektive kein Spielraum. Gerade in neueren Gesetzen macht der Gesetzgeber stets deutlich, wenn er eine Beleihung ermöglichen will 5 2 . An anderer Stelle, so in § 29 c Abs. 4 LuftVG, ist ausdrücklich von den Beauftragten der Luftfahrtbehörden die Rede, denen danach allerdings lediglich bestimmte Son51 Ebenso VG München, Urteil vom 23. 10. 1991, - Az. M 17 Κ 91, 3419 (Nachweis bei M. Hofmann/E. Grabherr, Luftfahrtgesetz Kommentar, 2. Aufl. 1992, § 29 c Rdn. 24). 52 Dies geschieht regelmäßig entweder durch das ausdrückliche Aufgreifen der Formulierung „als Beliehener" oder durch die Ermöglichung der Übertragung von Staatsaufgaben und hoheitlichen Befugnissen auf geeignete Personen, vergi, etwa aus älterer Zeit § 1 Abs. 2 UZwGBw; aus jüngerer Zeit § 1 Raumfahrtaufgabenübertragungsgesetz und § 62 Abs. 1 TKG (weniger präzise allerdings §§ 31a-31d LuftVG; die Beleihungsmöglichkeit einer natürlichen oder juristischen Person des Privatrechts ergibt sich erst aus der Möglichkeit zur Beauftragung und der Übertragung konkreter Befugnisse, etwa zur Erhebung von Gebühren und Auslagen in § 31b Abs. 3 LuftVG).
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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derbefugnisse übertragen werden, nicht aber die reguläre Fluggastkontrolle. Auch diese Formulierung ist allerdings nicht eindeutig, denn ihr lässt sich gerade nicht entnehmen, ob der Auftragnehmer im eigenen Namen - also als Beliehener - oder im fremden Namen - also als Verwaltungshelfer operieren soll. Immerhin eröffnet diese Formulierung immer noch einen weitergehenden Auslegungsspielraum als § 29 c Abs. 1 LuftVG. Auch wenn zu konzedieren ist, dass die beiden Absätze systematisch gesehen nicht recht miteinander harmonieren, weil im einen Fall nur von Hilfsorganen, im anderen Fall von Beauftragten die Rede ist, kann die zurückhaltende Formulierung in Absatz 1 Satz 3 nicht einfach mit dem Hinweis auf den seinerseits unsicheren Absatz 4 überspielt und im Sinne einer Beleihungsermächtigung korrigiert werden. § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG stellt damit lediglich einen gesetzlich ausdrücklich geregelten Fall der Zulässigkeit einer Einschaltung von Verwaltungshelfern in die staatliche Aufgabenerledigung dar. Dieses Ergebnis lässt sich auch nicht teleologisch in der Weise korrigieren, dass die Norm in dieser Auslegung keinen Sinn macht, weil es dann einer solchen Regelung mit der Ermächtigung zur Einschaltung von Verwaltungshelfern gar nicht bedurft hätte. Eine solche in Richtung Beleihungsgrundlage zielende teleologische Korrekturinterpretation verkennt, dass der Gesetzgeber sehr wohl zwischen Beleihung und Verwaltungshilfe zu unterscheiden weiß, und dass er auch in anderen Sachgebieten ausdrückliche Rechtsgrundlagen für die Einschaltung von Verwaltungshelfern geschaffen hat, obwohl deren Einsatz auch ohne eine entsprechende ausdrückliche gesetzliche Grundlage möglich wäre 53. Selbst wenn man aber unterstellt, dass dem Gesetzgeber bei der Formulierung des § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG ein Kunstfehler unterlaufen wäre, ändert dies nichts am hier gefundenen Auslegungsergebnis, da Gesetze nach ihrem objektiven Sinn auszulegen sind und die subjektive Auslegungsmethode, die auf den Willen des Gesetzgebers abstellt, bekanntlich nur als Hilfsargument herangezogen werden kann. Juristische Handwerkskunst stößt hier an Grenzen. Es kann mit anderen Worten nicht Sache einer überzogenen juristischen Interpretation, sondern es muss Sache des Gesetzgebers selbst sein, den Wortlaut des § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG gegebenenfalls zu korrigieren.
53
Vergi, oben Β. IV. 4. a) bb).
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung c) Zur grundsätzlichen Zulässigkeit von Verwaltungshilfe und Beleihung
Losgelöst von der einfachrechtlichen Frage nach der Reichweite des § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG stellt sich aus verfassungsrechtlicher und aufgabentheoretischer Sicht die Frage, wie die beiden Modelle Verwaltungshelfer oder Beleihung im konkreten Fall der Fluggastkontrolle zu bewerten sind 54 . Maßstab dafür ist insbesondere Art. 33 Abs. 4 GG. Wird der Private de lege lata als Verwaltungshelfer definitionsgemäß wie ein unselbständiges Werkzeug in der Praxis eingesetzt, so verstößt dies nicht gegen Art. 33 Abs. 4 GG oder gegen andere Verfassungsrechtssätze. Bei dieser Figur werden die Probleme allerdings regelmäßig nicht im Normativen, sondern in der Ausgestaltung einer den normativen Anforderungen an die Verwaltungshilfe noch gerecht werdenden Praxis liegen55. Der Umschlagpunkt vom verlängerten Arm zum eigenständigen Handeln liegt jedenfalls dort, wo der Verwaltungshelfer selbständige Entscheidungen trifft, ob und wie er bestimmte Hoheitsbefugnisse ausübt. Dies gilt nach übereinstimmender Auffassung jedenfalls dann, wenn es nicht um bloße Bagatellen geht56. Die körperliche Untersuchung ist zwar eine weitgehend standardisierte Routinetätigkeit, sie liegt aber deswegen kaum im Bagatellbereich. Die Pflicht zur Duldung einer Untersuchung des eigenen Körpers stellt einen nicht unerheblichen Eingriff in die körperliche Integrität dar. Um für die körperliche Untersuchung von Fluggästen eigenständige Entscheidungen von Privatpersonal auszuschließen, bedeutet dies - wie bereits erwähnt - für diesen grundrechtssensiblen Bereich, dass praktisch neben jedem Privaten ein Beamter stehen müsste, um gegebenenfalls Anweisun54 Bei beiden Modellen darf nicht übersehen werden, dass in der Praxis die Gefahr der faktischen Abhängigkeit des Staates vom privaten Auftragnehmer nicht von der Hand zu weisen ist. Die theoretisch bestehende Flexibilität (jederzeitige Kündigungsmöglichkeit) stößt hier an gewisse praktische Grenzen. So hat der staatliche Auftraggeber keinen direkten Einfluss auf die Personalauswahl des privaten Arbeitgebers. Vor allem bei Großaufträgen können Vergabeentscheidungen, zumal im Zeichen knapper Arbeitsplätze, sich auch leicht zum (Kommunal-) Politikum entwickeln, wenn es etwa darum geht, ein ortsansässiges Unternehmen zu kündigen und ein ortsfremdes, aber kostengünstigeres oder qualitativ besseres Unternehmen einzusetzen. Entsprechende Probleme sind in der Praxis bereits aufgetreten. 55 Charakteristisch insofern der Dauerstreit um den Schülerlotsen, der im Rahmen seines Auftrages durchaus selbständig agiert und von daher eher als Beliehener denn als Verwaltungshelfer zu qualifizieren ist, ohne dass freilich ein entsprechendes Übertragungsgesetz existiert, vergi, einerseits W. Martens, NJW 1970, S. 1029 und andererseits F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 18 f. m.w.N. und ders., VVDStRL 29, S. 197 f., wonach der Gesetzesvorbehalt für die Beleihung dann nicht eingreifen soll, wenn sich die Beleihung wie beim Schülerlotsen als Bagatellfall erweist. 56 F. Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, 4. Aufl. 1991, S. 19
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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gen zum konkreten Untersuchungsablauf geben zu können und sich vom jeweiligen Untersuchungsergebnis selbst eine Überzeugung zu bilden. Mit dieser einschränkenden Voraussetzung wäre die Einschaltung Privater zwar zulässig, aber offensichtlich weitgehend sinnlos. Schwieriger sind de lege ferenda die verfassungsrechtlichen Grenzen für die Schaffung einer gesetzlichen Beleihungsgrundlage im konkreten Fallbeispiel zu bewerten. Beliehene Private stehen in keinem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis. Wenn es um die Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse als ständige Aufgabe 57 geht, darf in der Regel nur staatliches Kernpersonal eingesetzt werden, das den Maßstäben des Art. 33 Abs. 4, 5 GG genügt. Dennoch ist die Beleihung Privater mit hoheitsrechtlichen Befugnissen mit dem Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG grundsätzlich vereinbar und damit auch im Bereich notwendiger Staatsaufgaben wie der Fluggastkontrolle zulässig, solange das verfassungsrechtlich gebotene Regel-Ausnahme-Verhältnis noch gewahrt wird. Eine formal ausreichende Rechtsgrundlage vorausgesetzt stellt sich bei der Schaffung einer entsprechenden Rechtsgrundlage, spätestens aber in der Praxis ihrer späteren Anwendung, regelmäßig die Frage mit allen oben aufgewiesenen Unwägbarkeiten 58, ob das Regel-Ausnahme-Verhältnis noch eingehalten oder schon durchbrochen wird. Ein möglicher Zugriff für die Lösung dieses Problems besteht in der rein quantitativen Betrachtungsweise, die auf die Einsatzrelation von Beamten zu Privaten abstellt, wobei die Beamten im Verhältnis zu den Privaten im Ergebnis überwiegen müssen. Diese Vorgehensweise vermag das Problem der Bestimmung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses allerdings nicht angemessen zu lösen59. Überdies verfehlt dieser rein schematische Ansatz den Sinn des Art. 33 Abs. 4 GG. Entscheidend für die normative Bewertung ist bei der quantitativen Betrachtung stets der jeweils zu Grunde gelegte Aufgaben· und Befugniszuschnitt. Hierbei bestehen erhebliche Unsicherheiten, welches der richtige Zuschnitt ist. Fraglich ist schon, auf welchen (Teil) Aufgaben- bzw. Befugniskomplex für die Feststellung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses als tatsächliche Bezugsgröße überhaupt abzustellen ist: Soll maßgebliche Bezugsgröße für die Einhaltung des Ausnahmecharakters der Fluggastkontrolle der gesamte Aufgabenkomplex „Schutz vor Angriffen 57
Das Tatbestandsmerkmal aus Art. 33 Abs. 4 GG der „ständigen Aufgabe" ist bei der Fluggastkontrolle unproblematisch. 58 Vergi, oben D. III. 3. d). 59 So aber etwa OVG Saarlouis, OVGE 10, 298 ff.(306), das den Einsatz von Hilfspolizisten bei der Verkehrsüberwachung verfassungsrechtlich für unbedenklich hält, solange Kernpersonal im Sinne des Art. 33 Abs. 4 GG (Beamte im staatsrechtlichen Sinn, die insbesondere durch die Elemente der Hauptberuflichkeit und der Lebenslänglichkeit gekennzeichnet sind) mehrheitlich zum Einsatz kommt.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
auf die Sicherheit des Luftverkehrs" sein mit der Folge, dass der (Teil-) Aufgabenkomplex der Fluggastkontrolle im Wege der Beleihung an Private vergeben werden könnte; oder kommt es auf die Fluggastkontrolle als selbständige Aufgabe (wenn ja: an allen betroffenen Flughäfen oder nur am konkreten Flughafen?) an mit der Folge, dass für diese (Teil-) Aufgabe mehrheitlich auch bei Schaffung einer entsprechenden Beleihungsgrundlage nur Beamte eingesetzt werden dürften? Die rein quantitative Auslegung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses, die etwa zu dem Ergebnis käme, dass eine Beleihung von Privaten mit der Aufgabe der Fluggastkontrolle bis zu dem Punkt zulässig ist, wo diese Aufgabe noch mehrheitlich von Beamten wahrgenommen wird, macht im Übrigen auch aus Sicht der Rechtsunterworfenen, aber auch aus staatsorganisatorischer Binnensicht keinerlei Sinn. Aus der Sicht des Bürgers geht es um die rechtsstaatliche Grundentscheidung, dass er es im staatlichen Kernbereich in erster Linie mit Personal zu tun haben soll, das in einem besonderen öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis steht. Das einschränkende Tatbestandsmerkmal „in der Regel" darf nicht im Sinne einer bloß statistischen Wahrscheinlichkeit auf eine Art Lotteriefaktor verkürzt werden, dass der Bürger jedenfalls mehrheitlich die Chance hat, auf Beamte statt auf Private zu treffen, wenn er es mit hoheitsrechtlichen Befugnissen des Staates unmittelbar zu tun bekommt. Demgegenüber muss es für die Bestimmung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses auf eine den Sinn und Zweck des betreffenden Lebensvorgangs würdigende Betrachtung ankommen. Ausgangspunkt kann dabei zunächst die jeweils gesetzlich verankerte (Haupt-) Aufgabe sein, hier also die sonderpolizeiliche Aufgabe des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Die Verlagerung dieses gesamten und in sich selbständigen weil in der Lebenswirklichkeit abgrenzbaren Aufgabenkomplexes einschließlich der damit verbundenen Befugnisse oder erheblicher Teile davon auf - echte - Private im Wege der Beleihung würde das Regel-AusnahmeVerhältnis in einem rein quantitativen und erst recht in einem qualitativen Sinn nicht mehr wahren 60. Die Fluggastkontrolle mit ihren stark zurückgenommenen Befugnissen stellt hiervon nur einen - wenn auch nicht unbedeutenden - Teilausschnitt dar. Ausgehend von dieser Prämisse stellt eine Beleihung für den Teilausschnitt „Fluggastkontrolle" aus dem gesamten Aufgabengebiet des § 29 c Abs. 1 LuftVG das Regel-Ausnahme-Verhältnis als Begrenzungsmaßstab zulässiger Privatisierungsmaßnahmen selbst dann noch nicht in Frage, wenn die Fluggastkontrolle im Ergebnis zu 100% von 60
Aus diesem Grund war für die - wenn auch nur organisatorische - Privatisierung der Sicherheit des Luftverkehrs (Fluglotsen) eine Verfassungsänderung erforderlich, vergi, den mit Gesetz vom 14.7.1992 eingefügten Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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Privaten durchgeführt würde. Die Privatisierung der Fluggastkontrolle im Wege der Beleihung begegnet im Hinblick auf die Kriterien der Eingriffsintensität, des Standardisierungsgrades der Untersuchung und der Durchführung der Untersuchung bei allen Fluggästen keinen Bedenken. Bei jedem Fluggast ist im Prinzip die gleiche Kontrollhandlung durchzuführen, die einfacher oder - etwa bei körperlich behinderten Menschen - komplizierter sein mag. Auch wenn dabei im Einzelfall Entscheidungen getroffen werden, handelt es sich letztlich doch um Routinetätigkeiten mit hohem Standardisierungsgrad. Selbst in besonders grundrechtssensiblen Bereichen wie der körperlichen Durchsuchung sind Beleihungen verfassungsrechtlich damit nicht von vornherein ausgeschlossen. Wo es nicht mehr um sicherheitsdienstliche Routinehandlungen mit standardisiertem Charakter geht, von denen alle Rechtsunterworfenen, hier: alle Fluggäste, in gleicher Weise betroffen sind, stoßen die Beleihungsmöglichkeiten in diesem überaus sensiblen Sicherheitsbereich allerdings an Grenzen. Wenn schwierige Entscheidungen zu treffen sind und es um die Bewältigung erheblicher Risiken oder Gefahren geht, zum Beispiel bei konkreten Hinweisen auf terroristische Anschläge und einer deswegen erforderlichen besonders strengen Kontrolle oder bei schwer behinderten Menschen, deren Untersuchung ganz besondere Vorsicht und Taktgefühl verlangen, darf der Staat sich nicht durch privates Personal entlasten, sondern muss das Geschehen auch durch eigenes Personal im Detail steuern können. Je größer dabei das potentielle Risiko, desto weniger darf der Staat sich hier zurückziehen. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis muss insofern auch in einem inhaltlichen Sinn gedeutet werden: Wenn der Staat in unmittelbaren Körperkontakt mit den Bürgern gerät, kommt der ausnahmsweise Einsatz von Privaten nur bei standardisierten Routinetätigkeiten in Betracht. Ein generalklauselartige Übertragung von Befugnissen im Wege der Beleihung ist im Übrigen ohnehin nicht zulässig. Eine verfassungsrechtliche Grenze für den zulässigen Einsatz Privater bzw. für den Rückzug eigener staatlicher Kräfte ergibt sich allerdings daraus, dass die staatlichen Polizeikräfte in kritischen Situationen, die sich anlässlich des unproblematischen Normalfalles der Fluggastkontrolle einstellen können, über ausreichendes eigenes Personal verfügen müssen, um jederzeit in der Lage zu sein, eventuell eintretende Gefahren auch selbst mit den geeigneten Mitteln abzuwehren. Deswegen müssen erhebliche staatseigene personelle Auffangkapazitäten vorgehalten werden. Dies gilt auch für den denkbaren Fall, dass es im privaten Sicherheitsgewerbe zu Streiks kommt 61 und Beamte die Fluggastkontrolle sofort in vollem 61
Das tarifliche Lohngefüge im Sicherheitsgewerbe ist vergleichsweise niedrig. Tatsächlich ist es dort bereits zu Streiks gekommen, etwa bei den Geld- und Werttransporten.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Umfang übernehmen müssen. Die Sicherstellung der dafür erforderlichen staatseigenen personellen Ressourcen setzt den faktischen Privatisierungsmöglichkeiten damit nicht nur unter Kostengesichtspunkten klare Grenzen. d) Auswahlentscheidung und Staatsaufsicht
Soweit die Einschaltung von Privaten in die staatliche Aufgabenerfüllung im Wege der Verwaltungshilfe oder der Beleihung verfassungsrechtlich prinzipiell als möglich erscheint, verlagert sich die staatliche Verantwortung auf die Auswahl von geeigneten Personen einerseits und auf die Effektivität der Staatsaufsicht über die laufende Tätigkeit der Privaten andererseits. Dementsprechend wandeln sich auch die rechtlichen Anforderungen an das staatliche Handeln. Dabei existieren differenzierte rechtliche Maßstäbe, die aus dem Grundgedanken heraus zu entwickeln sind, dass der Bürger jedenfalls im Eingriffsbereich 62 bei unverzichtbaren Staatsaufgaben bei einem Ausweichen des Staates in Formen der Aufgabenerledigung durch die Hinzuziehung Privater nicht schlechter gestellt werden darf, als dies bei der staatlichen Eigenerfüllung der Fall wäre. Die Transformation des für die Aufgabenwahrnehmung zuständigen Personal darf nicht zur Transformation der staatlichen Einstandspflichten führen. Die staatliche Grundverantwortung bleibt unaufgebbar. Wenn der Staat sich hier in zulässiger Weise der Hilfe Privater bei der Aufgabenerfüllung bedient, sind die Anforderungen an die Auswahlentscheidung und an die Ausgestaltung und Wahrnehmung der staatlichen Aufsicht und Kontrolle wesentlich höher als bei rein technischen Arbeitsabläufen. Die unmittelbare Berührung des eigenen Körpers durch eine andere Person, die der Fluggast dulden muss, ist qualitativ etwas anderes als etwa eine technische oder rechnerische Prüfung von Sachen bzw. schriftlichen Unterlagen. Überall dort, wo der Staat direkt in die körperliche Integrität seiner Bürger eingreift, ist er deswegen zu besonders großer Sorgfalt verpflichtet. Diese staatliche Sorgfaltspflicht besteht beim Beliehenen im Hinblick auf die ihm eingeräumte relative rechtliche Selbständigkeit gerade auch bei der Auswahl. Maßgebliche Auswahlkriterien für die Bestimmung eines privaten Unternehmers sind insbesondere Qualifikation für die Sachaufgabe, Ausbildungsstand, persönliche Zuverlässigkeit und körperliche Tauglichkeit des Unternehmers bzw. des von ihm angestellten Personals63. Die Konsequenzen 62 Im Bereich leistungsstaatlichen Handelns dürfte dieses Gebot nicht in gleicher Weise gelten, wie Art. 87 f Abs. 1 GG belegt. Danach gewährleistet der Staat lediglich einen Versorgungsgrad mit flächendeckend angemessenen und ausreichenden Dienstleistungen.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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dieser Anforderungen sind vor allem im Hinblick auf das Kostenkriterium erheblich. Daraus folgt, dass das Kostenkriterium in diesem unmittelbar auf den Umgang mit Menschen zielenden Bereich immer nur eines von mehreren, aber keinesfalls das alleine ausschlaggebende Auswahlkriterium darstellen darf. Die haushaltsrechtlichen Vergabekriterien werden daher trotz der Pflicht zur öffentlichen Ausschreibung64 erheblich relativiert. Als entscheidungserheblich kann das Kostenkriterium immer erst dann zum Zuge kommen, wenn verschiedene private Anbieter die gleichen qualitativen Voraussetzungen erfüllen. Auch die rechtlichen Anforderungen an die Ausgestaltung der staatlichen Aufsicht, die sowohl bei Verwaltungshelfern als auch bei Beliehenen immer zu gewährleisten ist, sind erheblich. Keinesfalls genügt eine bloße Rechtsaufsicht, sondern immer nur die Fachaufsicht. In den Verträgen mit den Privatunternehmen ist deswegen ein jederzeitiges unmittelbares Weisungsrecht der Beamten sicherzustellen. Im Detail ist hinsichtlich der gebotenen Intensität und Kontrolldichte zwischen Beliehenen und Verwaltungshelfern zu differenzieren. Obwohl der Privatisierungsgrad beim Beliehenen stärker ist als beim Verwaltungshelfer, sind beim Beliehenen an Kontrollintensität und Überwachung regelmäßig geringere Anforderungen zu stellen als bei Verwaltungshelfern. Bei der Beleihung dürften, sofern keine besonderen Anhaltspunkte vorliegen, regelmäßige Stichproben und Tests bei den Arbeitsplänen und den konkreten Arbeitsabläufen im allgemeinen ausreichen, um die gebotene Staatsaufsicht zu realisieren. Dabei ist auch darauf zu achten, dass bestimmte Vorgaben sinnvoll und nicht nur schematisch umgesetzt werden 65. Der Verwaltungshelfer verlangt dagegen eine permanente Anleitung und Kontrolle, da er begrifflich aus eigenem Recht gar nicht tätig werden darf. Diese rechtlich völlig unselbständige Stellung limitiert die praktischen Einsatzmöglichkeit des Verwaltungshelfers im Bereich der Fluggastkontrolle erheblich, insofern der starke Kontrollaufwand den intendierten Kosteneinsparungseffekt zumindest relativiert, wenn nicht weitgehend zunichte macht.
63
So auch M. Hofmann/E. Grabherr, Luftfahrtgesetz Kommentar, 2. Aufl. 1992, § 29c Rdn. 25. Bei technischen Prüfungen spielt dieses Kriterium nicht unbedingt eine Rolle. 64 Dazu W. MöscheU WuW 1997, S. 120 m.w.N. 65 Wenn beispielsweise private Sicherheitsdienste 10% aller Koffer öffnen und durchsuchen sollen, macht es keinen Sinn, wenn bei Beginn einer Arbeitsschicht die erforderliche Anzahl von Koffern zwar untersucht und damit das „Plansoll" erfüllt wird, im Rest der Arbeitszeit aber keine Durchsuchungen mehr stattfinden.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
2. Abschiebungshaft Ein Fallbeispiel mit ganz erheblicher Eingriffsintensität in die Freiheit des Einzelnen stellt die Abschiebungshaft dar. Bei der Abschiebungshaft auf der Grundlage des § 57 AuslG in Verbindung mit den Vorschriften des FEVG kommt es in einigen Bundesländern seit einiger Zeit in erheblichem Umfang zum Einsatz von privaten Sicherheitsdiensten. Private Wachleute stehen dabei in unmittelbarem Kontakt mit den Abschiebehäftlingen. Da eine Rechtsgrundlage zur Beleihung von privatem Aufsichtspersonal nicht existiert, kann deren Einsatz rechtstechnisch unbestrittenermaßen immer nur in der Organisationsform der Verwaltungshilfe erfolgen 66. Privates Personal darf dabei begrifflich nur nach strikter Anweisung von Beamten tätig werden. Auch wenn die strikte Weisungsbindung ohne eigene Entscheidungsspielräume formal aufrecht erhalten bleibt, wirft dieses Modell bei der direkten Personenüberwachung erhebliche praktische Fragen und rechtliche Schwierigkeiten auf. Keine rechtlichen Bedenken bestehen dagegen bei der Einschaltung von Privaten als Verwaltungshelfer im Servicebereich (Küche, Wäschereibetrieb etc.), wenn es zu keinem unmittelbaren Kontakt zwischen privaten Hilfskräften und Abschiebehäftlingen bzw. Strafhäftlingen in den Justizvollzugsanstalten kommt. Ähnliches gilt für die Bewachung der Außenanlagen von Justizvollzugsanstalten. Allerdings existiert in diesem Bereich im Gegensatz zum Wachdienst für militärische Anlagen keine gesetzliche Beleihungsgrundlage, so dass Private nur einfache Wach- und Streifendienste ohne hoheitliche Befugnisse durchführen können. a) Grenzen der Verwaltungshilfe
Es ist bereits zweifelhaft, inwieweit die Konstruktion des Verwaltungshelfers als eines „Dienstautomaten" in der Praxis überhaupt realistisch ist 67 . 66
Einzelheiten vergi, oben Β. IV. 1. b) ee). Kritisch K. H. Friauf Die Übertragung öffentlicher Verkehrs-Infrastrukturaufgaben auf Private, Rechtsgutachten 1991, S. 200, der deswegen die Position des Verwaltungshelfers als „unmündigen Sklaven" für rechtsdogmatisch verfehlt hält. Die potentielle Möglichkeit einer Weisung durch die zuständigen Behörden schließe es nicht aus, „dass dem Gehilfen zunächst (!) ein Entscheidungsspielraum zusteht". Freilich wirft diese Konzeption ihrerseits erhebliche Probleme auf, so dass eine theoretisch saubere Abgrenzung zur Beleihung kaum mehr möglich sein dürfte und die rechtsdogmatischen Grenzen entsprechend verschwimmen. An der Notwendigkeit einer präzisen rechtlichen Abgrenzung von Verwaltungshilfe und Beleihung ist aber ungeachtet der unter Umständen tatsächlichen Schwierigkeiten mit der Figur des Verwaltungshelfers in der Praxis im Hinblick auf den Gesetzesvorbehalt, der für die Beleihung gilt, nicht aber für die Verwaltungshilfe, unbedingt festzuhalten. Andernfalls läge es weitgehend in der Hand der Verwaltung, das Ausmaß der „perso67
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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Im Gegensatz zur Routinetätigkeit der Fluggastkontrolle ist die ständige Überwachung von Menschen sehr viel weniger standardisierbar und mit einem erheblichen Risiko des Auftretens unvorhersehbarer, unter Umständen auch mit Gewalttätigkeiten verbundener Situationen behaftet, die eine sofortige Entscheidung und eine unmittelbare Reaktion durch das Bewachungspersonal verlangen. Nicht untypisch ist etwa die Konstellation, dass rivalisierende Gruppen von Abschiebehäftlingen untereinander gewalttätig werden. Das Überwachungspersonal muss dann mit hoheitlichen Mitteln tätig werden, gegebenenfalls unter Einsatz von physischem Zwang. Wenn Beamte und Private als Verwaltungshelfer dabei zusammenwirken stellt sich verschärft die Frage, wie viele Verwaltungshelfer ein Beamter alleine eigentlich noch effektiv steuernd beherrschen kann. Die strikte Weisungsbindung des Verwaltungshelfers stößt zumindest an faktische Kapazitätsgrenzen, denn eine Person kann kaum überall zugleich präsent sein und Weisungen erteilen. Damit die Figur des Verwaltungshelfers aber gerade in kritischen Situationen nicht zur Farce wird, müsste theoretisch wiederum hinter jedem Privaten ein Beamter stehen, der das Geschehen jederzeit voll im Blick hat und sofort entsprechende Anweisungen erteilen kann. Mit dieser sehr theoretischen Maßgabe ist der Einsatz von Verwaltungshelfern im Haftbereich zulässig. Die Realität entspricht diesen Anforderungen nicht immer. Tatsächlich kommt es vor, dass teilweise nur ein Beamter mehrere Sicherheitsbedienstete gleichzeitig beaufsichtigt, so dass von einer effektiven Steuerung des Überwachungsgeschehens durch den Beamten kaum mehr die Rede sein kann. Die rechtlich korrekte Umsetzung der Figur des Verwaltungshelfers würde im Übrigen den erzielten Einsparungseffekt bei den Kosten wieder weitgehend zunichte machen. Für solche nicht standardisierbaren, aber keineswegs unwahrscheinlichen Lebenssituationen im unmittelbaren Umgang mit Menschen, die sich auf Grund staatlichen Zwangs in einer Haftsituation befinden und dabei dem Risiko von gewalttätigen Ausschreitungen von Mithäftlingen ausgesetzt sind, ist der üblicherweise als zulässig angesehene Einsatz von Verwaltungshelfern auch ohne ausdrückliche Ermächtigungsgrundlage praktisch ungeeignet. Die Verwaltungshilfe ist eine organisatorische Rechtsfigur, die sich für technische und schlich-hoheitliche Tätigkeiten eignet, aber nur mit erheblichen rechtlichen Einschränkungen für den unmittelbaren Umgang mit Menschen in einer Zwangssituation, wie sie die Haft darstellt. Dies zeigt sich auch noch an einem anderen Punkt. Der vergleichsweise schwache Privatisierungsgrad beim Einsatz von privatem Wachpersonal als nellen Staatlichkeit" selbst festzulegen, was weder mit dem Rechtsstaatsprinzip noch mit Art. 33 Abs. 4 GG vereinbar sein dürfte. 28 Gramm
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Verwaltungshelfer schlägt nämlich gerade in Notwehr- und Nothilfesituationen in einen von den Grundlagen des öffentlichen Rechts, insbesondere vom Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, losgelösten Privatisierungsgrad um. So enthalten die Verträge mit den Wachunternehmen regelmäßig den Passus, wonach die jedermann zustehenden Eingriffs- und Verteidigungsrechte durch die Weisungsbefugnis der Beamten unberührt bleiben. Dies gilt etwa für tätliche Angriffe, bei denen es auf besonnenes Handeln und auf Erfahrung im Umgang mit entschlossenen Häftlingen in besonderer Weise ankommt. In dieser Situation gelten die Jedermannsrechte der Notwehr· und Nothilfevorschriften, ohne dass deren Ausübung für das private Sicherheitspersonal an den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, wie er im öffentlichen Recht gilt, gebunden ist 68 . Dies ist selbst dann der Fall, wenn die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Dienstvertrag zwischen der staatlichen Seite und dem privaten Unternehmer bzw. in den Arbeitsverträgen mit den privaten Wachleuten vereinbart wird. Die Beschränkung des Notwehrrechts beruht hier immer nur auf rein zivilrechtlichen Grundlagen, die im Falle des Verstoßes zwar eine Vertragsverletzung darstellen mögen, an der öffentlich-rechtlichen und strafrechtlichen Bewertung des Falles aber nichts ändern. Da eine Übertragung von Hoheitsbefugnissen auf Verwaltungshelfer begrifflich ausgeschlossen ist, sind private Wachleute gerade in kritischen Situationen nicht auf öffentlich-rechtliche, sondern letztlich ausschließlich auf private Befugnisse zurückgeworfen. Wenn die Tatbestandsvoraussetzungen der Notwehrlage vorliegen, existiert die für die Verwaltungshilfe konstitutive Weisungsgebundenheit des Verwaltungshelfers nicht mehr. Zwar bleiben auch im Polizeirecht die Vorschriften über Notwehr und Notstand für die Beamten unberührt 69. Dabei handelt es sich aber nicht um eine spezielle polizeiliche Eingriffsermächtigung neben den polizeigesetzlich geregelten Befugnissen, sondern dadurch ist lediglich der zivil- und strafrechtliche Haftungsausschluss für Polizeibeamte sichergestellt, die unter den Voraussetzungen von Notwehr und Notstand handeln70. Die Geltung des öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes wird für Polizeibeamte auch in Notwehrsituationen gerade nicht außer Kraft ge68
Ausführlich C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 133 ff.; femer D. Ehlers, Festschrift R. Lukes, 1989, S. 352 ff.; F. Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, 1991, S. 217; M. Schulte, DVB1. 1995, S. 135; B. Jeand'Heur, AöR 119, S. 127 ff.; BVerwG DVB1. 1989, S. 517 m. Anm. C.-D. Bracher, DVB1. 1989, S. 520 ff.; a.A. L. Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, 1988, S. 111 ff., der von der Geltung des Übermaßverbotes für private Wachdienste ausgeht; vergi, auch W. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 283; A. RoßnageU ZRP 1983, S. 62; dagegen J. Schwabe, ZRP 1978, S. 165 f. 69 Ausdrücklich etwa § 57 Abs. 2 PolGNW. 70 D. Ehlers, Festschrift R. Lukes, 1989, S. 352 m.w.N.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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setzt71, so dass verwaltungsrechtliche und strafrechtliche Bewertung in diesen Fällen auseinander fallen können. Ein Beamter im Dienst, der in zulässiger Weise von seinem Notwehrrecht Gebrauch macht, dabei aber in unverhältnismäßiger Weise seine Polizeibefugnisse überschreitet, kann deswegen immer noch disziplinarisch zur Verantwortung gezogen werden, ein Verwaltungshelfer oder beliehener Privater nicht. Wirklich prekär ist die Tatsache, dass in einer Notwehrsituation damit zugleich auch die vertragliche Weisungsbindung des Verwaltungshelfers durch das Notwehr- oder Nothilferecht überlagert wird, ohne dass entsprechende disziplinarische Instrumente wie beim Beamten zur Verfügung stehen. Spätestens an diesem Punkt wird das faktische Nebeneinander von staatlichem und privatem Personal auch rechtlich sichtbar, insofern hier unterschiedliche Handlungsbefugnisse mit unterschiedlichen rechtlichen Bindungen existieren. Gerade im Spannungsfeld der Abschiebungshaft bricht die Fiktion des harmlosen weil unselbständigen Verwaltungshelfers damit im keineswegs unwahrscheinlichen Extremfall einer Notwehrsituation zusammen, und zwar selbst dann, wenn theoretisch genügend viele Beamte zwar anwesend, aber nicht rechtzeitig verfügbar sind. Für den betroffenen Abschiebehäftling bedeutet dies, dass er im Ergebnis ausgerechnet im Extremfall der Ausübung von Gewalt beim Einsatz von privaten Verwaltungshelfern faktisch gesehen unter Umständen schlechter gestellt wird als beim Einsatz von Beamten. Es ist nämlich nicht unbedingt zu erwarten, dass Private sich an den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz halten werden, wenn sie dies auch ohne Sanktionsmöglichkeiten unterlassen können, zumal dann nicht, wenn sie auch noch schlecht ausgebildet sind. Durch Privatisierungsmaßnahmen, die unmittelbar auf den körperlichen Bereich durchschlagen und die nicht ganz unerhebliche Wahrscheinlichkeit von Gewaltausübung mit sich bringen, dürfen Bürger und selbstverständlich auch Ausländer aber nicht schlechter gestellt werden als beim Einsatz von Beamten. Das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 33 Abs.4 GG muss insofern als Schlechterstellungsverbot gelesen werden. Jedenfalls in solchen Situationen, die auf Grund staatlichen Zwangs eintreten und die mit dem vorhersehbaren Risiko des staatlichen Einsatzes von Gewaltmitteln verbunden sind, ist der Einsatz von Verwaltungshelfern unzulässig. Entsprechendes gilt für den Strafvollzug, in dem es bislang allerdings nicht zum Einsatz von privatem „Hilfsbewachungspersonal" gekommen ist.
71
B. Drews/G. Wacke/K. Vogel/W. Martens, Gefahrenabwehr, 9. Aufl. 1986, S. 38 f. und S. 547 f.; F. Fechner, Grenzen polizeilicher Notwehr, 1991, S. 48. 2*
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung b) Unzulässigkeit der Beleihung
Auch die Schaffung einer gesetzlichen Beleihungsgrundlage für Private, die als Wachpersonal im unmittelbaren Kontakt mit Häftlingen tätig werden, ist verfassungsrechtlich im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG unzulässig. Die uneingeschränkte Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes für private Sicherheitsdienste auch in Notwehr- und Nothilfesituationen stünde dann zwar außer Frage, ebenso wie bei der Schaffung einer eigenen gesetzlichen Grundlage für das private Sicherheitsgewerbe, in der die Geltung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes verankert wird. Auch dabei ist allerdings die verfassungsrechtliche Vorgabe der inhaltlichen Dimension des Regel-Ausnahme-Verhältnisses aus Art. 33 Abs. 4 GG zu berücksichtigen. Bei dieser Fallgruppe entfaltet das oben entwickelte Kriterium der Eingriffsintensität seine volle Wirkung. Staatliche Eingriffe in die körperliche Integrität und in die Freiheit betreffen den Menschen unmittelbar und direkt in seinem Geltungsanspruch. Soweit es sich dabei nicht ausnahmsweise wie bei der Fluggastkontrolle - um standardisierte Routinetätigkeiten mit geringerer Eingriffsintensität, von kurzer Dauer und ohne besonderes Risiko von Gewalttätigkeiten handelt, die den Einsatz von staatlichen Zwangsmitteln erfordern könnten, ist der Staat verpflichtet, sein Handeln auf eigenes Ausführungspersonal mit „Kernstatus" im Sinne des Art. 33 Abs. 4 GG zu stützen. Diese Regel läßt Ausnahmen wegen der damit verbundenen starken Eingriffsintensität nicht zu. Für den Strafvollzug gilt wiederum nichts anderes wie für die Abschiebungshaft. Beim Strafvollzug existiert zwar mit § 155 Abs. 1 Satz 2 StrafVollzG eine entsprechende Beleihungsgrundlage. Trotz der behutsamen Formulierung, die auf das Vorliegen besonderer Gründe abstellt, schließt sie ihrem Wortlaut nach die Übertragung von Wachaufgaben auf private Dienste zumindest nicht aus72. Diese Norm bedarf aber im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG der verfassungskonformen Reduktion. Die Haft stellt in jedem Fall eine staatliche Zwangsmaßnahme mit ganz erheblicher Eingriffsintensität in die persönliche Freiheit dar. Dieser Grundrechtseingriff wiegt so schwer, dass er ungeachtet seiner verfassungsrechtlichen Rechtfertigung im 72
Nach der Gesetzesbegründung soll damit beim Vorliegen besonderer Gründe „dem praktischen Bedürfnis Rechnung getragen werden, namentlich für fachlich fundierte Aufgaben auch auf nichtbeamtete oder nebenamtliche Kräfte zurückgreifen zu können" (BT-Drs. 7/918, S. 96 zu § 142). Als Beispiele werden in der Kommentarliteratur genannt: zeitlich begrenzte Aufgaben (Organist), Bewerbermangel (Ärzte), fehlende Voraussetzung für die Übernahme ins Beamtenverhältnis wegen fortgeschrittenem Lebensalter (Κ. P. Rothaus, in: H.-D. Schwind/A. Böhm, Strafvollzugsgesetz Kommentar, 2. Aufl. 1991, § 155 Rdn. 1) oder Vollzugshelfer und andere Mitarbeiter von außerhalb der Anstalt, die im Interesse des Vollzugsziels tätig werden, J. Feest/E. Hoffmann , in: Alternativkommentar zum Strafvollzugsgesetz, bearbeitet von C. Bertram u.a., 3. Aufl. 1990. § 155, Rdn. 1.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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Übrigen nur durch staatliches Kernpersonal durchgeführt werden darf. Dies gilt jedenfalls für die eigentliche Bewachung, die im Vorfeld möglicher Gefahren liegt und bei der mit Notwehr oder Nothilfesituationen gerechnet werden muss. Der innere Bereich des Strafvollzuges und der Abschiebungshaft ist damit, abgesehen von ganz engen und sachlich begründeten Ausnahmefällen, bei denen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts von Notwehroder Nothilfesituationen gegenüber der regulären Vollzugssituation deutlich reduziert ist, rechtlich überhaupt kein taugliches Feld für Privatisierungsmaßnahmen im Wege der Beleihung. 3. Bahnpolizei und öffentlicher Personennahverkehr Die Aufgabe der Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung auf dem Gebiet der Bahnanlagen der Eisenbahnen des Bundes ist dem Bundesgrenzschutz zugewiesen, § 3 BGSG73. Von der Möglichkeit des § 63 BGSG, für die Erfüllung dieser Aufgabe ergänzend auf Hilfspolizeibeamte zurückzugreifen, wird bislang praktisch keinen Gebrauch gemacht. Daneben setzt die Bahn-AG für Überwachungs- und Ordnungsaufgaben in den bahneigenen Gebäuden, sonstigen Flächen und Zügen die - bundeseigene - BSG Bahn Schutz und Service GmbH ein. Über polizeiliche Befugnisse verfügt die BSG dabei nicht; es existiert auch keine gesetzliche Beleihungsgrundlage, die die Übertragung entsprechender Aufgaben und Befugnisse rechtlich ermöglichen würde. Die Mitarbeiter der BSG werden in der Regel nicht als Verwaltungshelfer für den Bundesgrenzschutz tätig, sondern agieren im Wesentlichen selbständig unterhalb der polizeilichen Eingriffsschwelle. Zu den wichtigsten Tätigkeitsfeldern gehört die frühzeitige Wahrnehmung von Betriebs- und Ordnungsstörungen durch Streifendienste und möglichst auch die Entfernung von „unliebsamen" Personen. Schwerpunkte sind dabei Drogenhandel, Prostitution, Beleidigung oder Nötigung von Bahnkunden, sogenannte „aggressive Bettelei", Betrunkene und Obdachsuchende. Als Rechtsgrundlage für die Durchsetzung ihrer Aufgaben verfügen die Mitarbeiter der BSG lediglich über das Hausrecht, dessen Ausübung ihnen der Auftraggeber ungeachtet des Streits um Rechtscharakter, Begründung und Reichweite des (öffentlichen) Hausrechts74 zuvor übertragen muss. In 73
Ob diese im Prinzip sachfremde Aufgabenzuweisung an den BGS verfassungsrechtlich überhaupt zulässig ist, ist umstritten, vergi, einerseits (verneinend) H.-J. Papier, DVB1. 1992, S. 1 und andererseits (bejahend) S. JutzU DÖV 1992, S. 650; BVerfGE 97, 198. 74 Dazu M. Ronellenfitschy VerwArch 1982, S. 469 ff. m.w.N.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
diesem Zusammenhang ist allein entscheidend, dass die Befugnisse, die das Hausrecht in öffentlichen Gebäuden verleiht, jedenfalls sachlich und räumlich eng begrenzt sind. Eindeutig ist, dass sie keinesfalls weiter gehen als das private Hausrecht. Im Grunde reduzieren sich die Reaktionsmöglichkeiten auf die Aufforderung an Störer, sich zu entfernen und ihnen das Betreten für die Zukunft zu untersagen75. Räumlich endet das Hausrecht an den Grenzen des Grundstücks. Bei der Verwirklichung von Straftatbeständen unterhalb der Nothilfeschwelle ist die Aufforderung zur Entfernung unproblematisch. Weigert sich der Betroffene, dieser Aufforderung Folge zu leisten, bleibt nur die Möglichkeit, die Beamten des Bundesgrenzschutzes oder die Polizei zu benachrichtigen und herbeizuziehen, damit diese auf der Grundlage des BGSG bzw. des jeweiligen Landespolizeigesetzes tätig werden. Die Eingriffsvoraussetzung der Störung der öffentlichen Sicherheit ist in diesen Fällen regelmäßig gegeben, da der Aufenthalt gegen den Willen des Berechtigten den Straftatbestand des Hausfriedensbruchs verwirklicht. Die Personalfeststellung gegen den Willen des Betroffenen und erst recht der Einsatz von Zwangsmitteln ist den Mitarbeitern von Sicherheitsdiensten verwehrt. Unberührt bleiben allerdings die Jedermannsrechte in Notwehr- und Nothilfesituationen76, insbesondere auch das Recht auf vorläufige Festnahme aus § 127 StPO. Die Jedermannsrechte werden insbesondere nicht dadurch außer Kraft gesetzt, dass die Wahrnehmung von Überwachungs- und Sicherheitsaufgaben erwerbsmäßig stattfindet, ebenso wenig wie sie selbst für den mit Sicherheitsaufgaben betrauten Berufsbeamten außer Kraft gesetzt wird 77 . Im Gegensatz zu Notwehr und Nothilfe steht das Recht auf 75
E. Denninger, in: H. Lisken/E. Denninger (Hrsg.), Handbuch des Polizeirechts, 2. Aufl. 1996, E 13 (S. 136); H. Zeiler, DVB1. 1981, S. 1001. Nichts anderes gilt im Ergebnis, wenn man das öffentliche Hausrecht für die Bahn überhaupt nicht mehr für einschlägig hält, sondern alleine auf das private Hausrecht bzw. auf ein einheitliches Hausrecht abstellt. 76 Generell dazu F.-L. Knemeyer, Polizei- und Ordnungsrecht, 6. Aufl. 1995, S. 29. 77 Vergi. E. II. 2. a). Die im politischen Raum immer wieder erhobene Forderung nach einer Begrenzung der Tätigkeitsfelder privater Sicherheitsdienste und ihrer Befugnisse (Einschränkung der Not- und Jedermannsrechte, vergi, den Antrag der SPD-Bundestagsfraktion zu den privaten Sicherheitsdiensten vom 5.1.1996, BT-Drs. 13/3432) steht insofern im Widerspruch zu der rechtlichen Grundwertung, dass auch dem staatlichen Kempersonal ungeachtet seiner Bindung an den öffentlichrechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und der Möglichkeit disziplinarischer Ahndung bei der beruflichen Ausübung von Gewalt das strafrechtliche Notwehrrecht nicht entzogen ist. Eine gesetzliche Beschränkung der in den Grundrechten wurzelnden Freiheit auf Notwehr für das private Sicherheitsgewerbe wäre deswegen zwar ungewöhnlich und in gewisser Weise ein „Systembruch", aber wohl keine unverhältnismäßige Beschränkung grundrechtlicher Freiheit und damit nicht verfassungswidrig. Eine andere Frage ist es, ob die damit unweigerlich im Verhältnis zur
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vorläufige Festnahme allerdings nach ganz herrschender Auffassung unter dem Vorbehalt des - strafrechtlichen - Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes78. Zulässig sind danach in der Regel nur Maßnahmen, die den Tatbestand der Freiheitsberaubung, der Nötigung oder der einfachen Körperverletzung verwirklichen. Beim Hausfriedensbruch dürfte im Hinblick auf die nicht sonderlich schwerwiegende Deliktsqualität im Normalfall damit lediglich das Festhalten bis zum Eintreffen von Beamten des BGS oder von Polizeikräften von § 127 StPO abgedeckt sein. Unterhalb der Schwelle von Straftaten gibt es eine im einzelnen schwer auszulotende Grauzone. Soweit es um den Bereich bloßer Belästigungen geht, die straf- oder ordnungsrechtlich nicht relevant, aber gleichwohl unerwünscht sind, sind die rechtlichen Möglichkeiten des Zugriffs noch enger begrenzt. Auch hier greift freilich der rechtliche Mechanismus, wonach der andauernde Aufenthalt im Bahngebäude gegen den Willen des Berechtigten nach der Aufforderung zur Entfernung den Tatbestand des Hausfriedensbruchs verwirklicht 79. Vergleichbare praktische Beispiele für das Auftreten von privatem Sicherheitspersonal sind gemeinsame Streifendienste mit Polizeikräften im öffentlichen Personennahverkehr. Private Sicherheitsdienste dürfen dabei keine Hoheitsbefugnisse im eigenen Namen ausüben, sondern können bei der Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse durch die Beamten allenfalls als deren Verwaltungshelfer ohne eigene polizeiliche Eingriffsbefugnisse nach exakter Anweisung der Beamten tätig werden. Die Möglichkeiten zur Anweisung von Privaten als Verwaltungshelfer sind auch in diesem Kontext begrenzt. Ist die Entfernung von Personen nur unter Anwendung von physischer Gewalt möglich, die über das bloße Festhalten und Hinausbegleiten hinausgeht, dürfen Beamte sich im Hinblick auf die damit verbundene Eingriffsintensität nicht aus der Verantwortung ziehen und den Privaten das unangenehme Geschäft der Gewaltausübung auch nicht nach Anweisung überlassen. Als selbständige Befugnisse verfügen die Privaten wiederum lediglich über die Jedermannsrechte in Notwehr- und Nothilfesituationen. Dies gilt erst recht dann, wenn private Sicherheitsdienste ohne polizeiliche Begleitung selbständig auftreten. Unterhalb dieser Schwelle können sie deswegen nur reine Beobachtungs- und gegebenenfalls, soweit der Auftraggeber ihnen staatlichen Polizei eintretende rechtliche Aufwertung des privaten Sicherheitsgewerbes verfassungspolitisch wünschenswert ist. 78 H.'U. Paeffgen, in: Systematischer Kommentar zur Strafprozessordnung, H.-J. Rudophi u.a., § 127 Rdn. 20 ff. (Bearbeitung Dezember 1992) m.zahlr.w.N. 79 Wie weit das Hausrecht hier exakt reicht, insbesondere ab welcher Schwelle es die Aufforderung zur Entfernung trägt, würde eine eigene umfangreiche Untersuchung erfordern.
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diese Aufgabe übertragen hat, die Kontrolle von Fahrtausweisen wahrnehmen. Für weitergehende Befugnisse (etwa Platzverweis) stellt sich wiederum die Frage nach der Reichweite des Hausrechts. De lege ferenda bestehen gegen die Schaffung einer gesetzlichen Beleihungsgrundlage mit dem Recht zur Identitätsfeststellung und einem Verweisungsrecht bei klar festgelegten Verstößen gegen die Benutzungsordnung des Fahrbetriebes keine verfassungsrechtlichen Bedenken. Wenn der Betroffene die Flucht ergreift, ist als äußerste Grenze einer zulässigen Beleihung an die Einräumung der Befugnis zum Festhalten (ohne Waffeneinsatz) bis zum Eintreffen der Polizei zu denken. Das schlichte Festhalten darf aber auch dann nicht in eine Gewaltanwendung unter massivem körperlichem Einsatz umschlagen. Die rechtmäßige Anwendung von physischer Gewalt außerhalb von Notwehr· und Nothilfesituationen bleibt in diesen Fällen exklusive staatliche Verwirklichungsressource für die rechtlich streng fixierten „Notfälle" der Gefahrenabwehr. Einer - und sei es noch so schwach konturierten - Privatisierung sind diese Fälle nicht nur ausnahmsweise, sondern schlechterdings gar nicht zugänglich. Unzulässig ist deswegen auch die Ausstattung mit weitergehenden Zwangsbefugnissen, um die Betroffenen gegebenenfalls auch mit Gewalt zu entfernen. Die Brauchbarkeit der Figur des Verwaltungshelfers stößt hier in ähnlicher Weise wie bei der Haft an verfassungsrechtliche Grenzen. Die Befugnis zu einem so gezielten Eingriff in die körperliche Integrität ist mit dem gesetzlichen Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 33 Abs. 4 GG, das seinen Sinn auch aus dem zentralen Gedanken des staatlichen Gewaltmonopols für die Ausübung legalen Zwanges außerhalb der sogenannten Jedermannsrechte bezieht, nach dem hier vertretenem Verständnis nicht mehr vereinbar.
4. Öffentliche Straßen und Fußgängerzonen Im Bereich der öffentlichen Straßen und dabei insbesondere in Fußgängerzonen oder auf öffentlichen Plätzen kommt es in erheblichem Umfang zu Privatisierungserscheinungen. Dabei sind rechtlich zwei verschiedene Grundkonstellationen zu unterscheiden. Beim ersten Modell werden Private in ähnlicher Weise wie in Bahnhöfen oder beim öffentlichen Personennahverkehr zu Ordnungszwecken auf der Grundlage eines Dienstvertrages mit den zuständigen Behörden tätig. Da es für die zum Gemeingebrauch gewidmeten öffentlichen Wege und Plätze aber kein Hausrecht gibt, welches der Auftraggeber zur Wahrnehmung in seinem Namen auf Private übertragen könnte, und auch eine gesetzliche Beleihungsgrundlage für die Übertragung von Polizeiaufgaben auf private
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Sicherheitsdienste nicht existiert, verfügen die Privaten bei diesem Modell über keinerlei Befugnisse gegenüber Dritten. Eine Variante hierzu stellt das Modell der organisierten Polizeihilfe durch engagierte Bürger auf freiwilliger und unentgeltlicher (ehrenamtlicher) Grundlage dar. In beiden Fällen beschränken sich ihre Aufgaben auf Streifendienste; ihre Wirksamkeit beruht auf den schlichten Mitteln der Präsenz, des Beobachtens und gegebenenfalls des Meldens an und Hinzuziehens von Polizeibeamten. Die Schaffung eigener gesetzlicher Grundlagen ist für die Verwirklichung dieses Modells nicht erforderlich. Seine Rechtmäßigkeit, insbesondere seine Vereinbarkeit mit Art. 33 Abs. 4 GG, lässt sich mangels eigener hoheitsrechtlicher Befugnisse nicht in Zweifel ziehen. Wegen der Befugnisschwäche des privaten Sicherheitspersonals kommt es gelegentlich auch zu gemeinsamen Streifen und anderen Kooperationsformen mit Polizeivollzugskräften. Die Privaten werden dabei als Verwaltungshelfer eingesetzt. Hoheitsbefugnisse, etwa bei der Entfernung von Personen, die die öffentliche Sicherheit oder Ordnung stören, dürfen sie nicht aus eigenem Recht bzw. aus eigenem Entschluss wahrnehmen, sondern nur unter strikter polizeilicher Anleitung. Die verfassungsrechtliche Grenze einer zulässigen Verwaltungshilfe bildet auch hier der Einsatz von Gewaltmitteln, die über das bloße Festhalten oder das Wegtragen von Personen, die sich nicht wehren, hinausgeht. Weitergehende Eingriffe sind, gerade weil sie unangenehm sein können, Beamten vorbehalten und einer Verwaltungshilfe durch Private nicht zugänglich. Die gemeinsamen Streifendienste in der Öffentlichkeit machen auch optisch besonders deutlich, dass Polizeikräfte und private Wachdienste in diesen Fällen die gleichen Aufgaben wahrnehmen. Gerade deswegen sind sie vor allem in Polizeikreisen im allgemeinen wenig beliebt, weil die privaten Sicherheitskräfte ungeachtet ihrer rechtlichen Befugnisschwäche damit faktisch leicht als eine quasi-staatliche Hilfspolizei wahrgenommen und entsprechend aufgewertet werden 80. Beim zweiten Modell nach dem Vorbild des Bayer. Sicherheitswachtgesetzes bedienen sich die Polizeikräfte bei der Bekämpfung der Straßenkri80
Zu Berührungspunkten von privaten Sicherheitsdiensten mit staatlichen Polizeidienststellen R. HonigU Tätigwerden von Privaten auf dem Gebiet der öffentlichen Sicherheit und Ordnung, 1985, S. 41 ff. Ob die Kooperation im Sicherheitsbereich von staatlichen und gesellschaftlichen Kräften, die teils auf gewerblicher, teils auf freiwilliger Grundlage tätig sind, erwünscht sein kann, ist in erster Linie eine rechtspolitische Frage, die letztlich die Frage nach der staatlichen Identität aufwirft. Eine rechtlich greifbarere Dimension könnte diese Frage dann erhalten, wenn es faktisch zu einer Entwicklung kommen sollte, bei der es praktisch keinerlei sichtbare staatliche Präsenz von Polizeivollzugsbeamten mehr gäbe und diese durch private Sicherheitsuntemehmen und ehrenamtlich tätige Bürgerinnen und Bürger ersetzt würden. Der Staat würde dann in den Straßen tatsächlich weitgehend „unsichtbar" (W. Leisner) werden.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
minalität formal staatlichen Personals, das in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis besonderer Art steht (Hilfspolizeibeamte). Dabei wirken die Bürger auf ehrenamtlicher Grundlage an der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung mit. Auch wenn diese Konstruktion von der gewerblichen Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben deutlich zu unterscheiden ist, handelt es sich auf Grund der oben vorgenommenen Differenzierung nach Privatisierungsgraden um einen Unterfall von Privatisierung. Die Mitglieder der Sicherheitswacht verfügen über eigene, gesetzlich pfäzise bestimmte Eingriffsbefugnisse bis hin zum zeitweiligen Platzverweis 81 . Sie dürfen zur Abwehr einer Gefahr und zum Schutz privater Rechte nicht nur die Identität von Personen feststellen, sondern auch in die Sphäre der körperlichen Integrität eingreifen und Personen bis zum Eintreffen der Polizei - gegen ihren Willen - festhalten, wenn ihre Identität anders nicht festgestellt werden kann. Die Hilfspolizeibeamten sind keine Beamten im staatsrechtlichen Sinn des Art. 33 Abs. 4 GG. Ihr Einsatz muss damit dem verfassungsrechtlichen Maßstab des Regel-Ausnahme-Verhältnisses standhalten. Einen Verstoß gegen das qualitativ zu interpretierende Regel-Ausnahme-Verhältnis wird man im Hinblick auf die begrenzten Befugnisse und den vergleichsweise schwachen Privatisierungsgrad der Figur des ehrenamtlichen Hilfspolizeibeamten allerdings kaum feststellen können, und zwar auch dann nicht, wenn es in erheblichem Umfang zum Einsatz von solchen Hilfspolizeibeamten käme82. Die Verantwortung des Staates bleibt unberührt, in ausreichendem Umfang Polizeibeamte vorzuhalten, die in kritischen Situationen, zu deren Bewältigung die Befugnisse der Hilfspolizeibeamten nicht ausreichen, jederzeit sofort herbeigerufen werden können. Auch hier bleibt - wie bei der Fluggastkontrolle - als Minimum eine personelle Vorhalte- und Auffangpflicht des Staates bestehen.
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Art. 3 bis 7 Bayer. Sicherheitswachtgesetz, vergi, oben Β. IV. 1. b) aa). Die Frage nach den rechtlichen Grenzen einer „Verunsichtbarung" des Staates im Bereich der inneren Sicherheit durch den Rückzug von Polizeivollzugsbeamten in der Öffentlichkeit stellt sich bei Hilfspolizeibeamten im Hinblick auf ihren ehrenamtlichen Status jedenfalls in entschärfter Form. Die Präsenz des Staates „verdünnt" sich zwar möglicherweise durch den Einsatz von Hilfspolizeikräften, der Staat bleibt aber im Unterschied zum Einsatz rein privater Sicherheitskräfte, die auf rein gewerblicher Grundlage engagiert sind, immer noch als Staat sieht- und ansprechbar. Insofern besteht zwischen dem ehrenamtlich tätigen Hilfspolizeibeamten und dem gewerblich tätigen Privaten ein nicht nur qualitativ, sondern auch rechtlich greifbarer Unterschied. 82
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5. Überwachung des fließenden und ruhenden Straßenverkehrs Bei der Überwachung des fließenden Verkehrs steht regelmäßig das Rechtsproblem im Vordergrund, inwieweit auf vertraglicher Grundlage zwischen dem staatlichen bzw. kommunalen Auftraggeber und einem Privatunternehmen die Bediensteten dieses Unternehmens mit eigenem technischem Gerät Geschwindigkeitsüberwachungen vornehmen dürfen. Für die Überwachung des ruhenden Verkehrs stellt sich dementsprechend die Frage, inwieweit Private damit beauftragt werden können, Parkverstöße festzustellen und gegebenenfalls auch Verwarnungsgelder zu verhängen. Vordringlich diskutiert wird bei beiden Fallgruppen, ob und in welchem Umfang die Einschaltung privater Dienste auf vertraglicher Grundlage ohne ausdrückliche gesetzliche Ermächtigung möglich ist oder ob dafür die Schaffung einer entsprechenden gesetzlichen Beleihungsgrundlage83 erforderlich bzw. verfassungsrechtlich zulässig ist. a) Die restriktive
Linie in Rechtsprechung und Literatur
Die Rechtsprechung bewertet sowohl die Erfassung und Ahndung von Parkverstößen mit Verwarnungsgeldern als auch die Messung, Registrierung und Dokumentation von Geschwindigkeitsverstößen durch private Unternehmen als Maßnahmen, die zum Gesamtkomplex der öffentlichen Sicherheit und damit zum Kern der originären Staatsaufgaben gehören, die allenfalls im Wege der Beleihung auf Private übertragen werden können84. Eine bloße Verwaltungshilfe scheide aus, da die Geschwindigkeitsmessung kein bloß technischer Vorgang sei. „Denn die planmäßige Ermittlung und Dokumentation von Geschwindigkeitsverstößen steht in unmittelbarem Zusammenhang mit der funktionell originären Staatsaufgabe der Verfolgung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten durch Verwarnungsgeld, Geldbuße oder Fahrverbot." 85 Der einheitliche Lebensvorgang bzw. die einheitliche 83
Einen entsprechenden Vorschlag für die Verfolgung von Verstößen im ruhenden Verkehr enthält der Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Straßenverkehrsgesetzes (§ 26 StVG, Gesetzesantrag des Landes Berlin), BRat-Drs. 691/96 vom 24.9.1996; der Rechtsausschuss des Bundesrates hat die Empfehlung ausgesprochen, den Gesetzentwurf wegen verfassungsrechtlicher Bedenken im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG nicht beim Deutschen Bundestag einzubringen, BRat-Drs. 691/1/96. 84 BayObLG, Beschluss vom 5.3.1997, DAR 1997, S. 206 zur Geschwindigkeitsmessung (Bestätigung von AG Freising, Beschluss vom 15.11.1996, DAR 1997, S. 31); vergi, auch OLG Frankfurt a.M., Beschluss vom 10.5.1995, NJW 1995, S. 2570; AG Alsfeld, Urteil vom 6.2.1995, DAR 1995, S. 210; zur Verfolgung von Parkverstößen durch Privatfirmen AG Berlin-Tiergarten, Urteil vom 24.4.1996, DAR 1996, S. 326 und - bestätigend - KG Berlin, Beschluss vom 23.10.1996, DAR 1996, S. 504 = NJW 1997, S. 2894.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Rechtsstruktur von Ermittlung, Verfolgung und Ahndung sei funktionell als Ausübung originärer Staatsgewalt zu werten. Dies gelte auch dann, wenn die zuständige Verwaltungsbehörde Ort, Zeit und Dauer des Geräteeinsatzes genau vorgibt. Ausdrücklich fügt das BayObLG hinzu, dass es in diesem Zusammenhang unwesentlich ist, dass die Messung selbst allenfalls am Rande einen Eingriff in die allgemeine Handlungsfreiheit darstellt 86. Nach dieser Auffassung ist es letztlich die repressive Aufgabenqualität als solche, die einer Einschaltung von Privaten in die Aufgabenerfüllung entgegensteht. In der Literatur wird diese restriktive Linie geteilt87, wenn auch mit im einzelnen durchaus unterschiedlichen Begründungsfacetten. Nach einer Argumentationslinie handelt es sich bei der Verkehrsüberwachung um eine notwendige Staatsaufgabe, deren Privatisierung mit dem „Wesen der Staatlichkeit unvereinbar" sei 88 . Hieran zeigt sich einmal mehr die Problematik einer alleine auf das Grundsätzliche abstellenden Argumentation: Wo angeblich das „Wesen des Staates" zur Disposition steht, folgt der Schluss von der Aufgabenqualität auf die Notwendigkeit des Einsatzes von staatlichem Kernpersonal auf dem Fuße. Zwar trifft es zu, dass die Verkehrssicherheit als Teilausschnitt aus dem Gesamtkomplex innere Sicherheit zu den unverzichtbaren Staatsaufgaben gehört. Aus dieser Aufgabenqualität alleine folgt aber noch keineswegs, dass sämtliche Tätigkeiten auch in mehr oder weniger prominenten Teilbereichen der Verkehrssicherheit nicht durch private Kräfte wahrgenommen werden dürfen. Die Argumentation zur Begründung eines verfassungsrechtlich begründeten Ausschlusses des Einsatzes von privatem Personal im Rahmen der staatlichen Aufgabenerfüllung muss aber differenzierter erfolgen. Auch alleine auf die Unterscheidung repressives oder präventives Handeln kann es dabei nicht entscheidend ankommen, sondern die Arbeitsabläufe im Bereich des repressiven Staatshandelns bedürfen im einzelnen der Analyse. Die tauglichen Maßstäbe für die Unverzichtbarkeit des Einsatzes von staatlichem Kernpersonal sind dabei aus den Grundwertungen des Art. 33 Abs. 4 GG zu entwickeln. 85 BayObLG, Beschluss vom 5.3.1997, a.a.O. S. 206; in ganz ähnlicher Weise argumentiert das KG Berlin, Beschluß vom 23.10.1996, DAR 1996, S. 504 für die Überwachung des ruhenden Verkehrs. 86 BayObLG, Beschluss vom 5.3.1997, a.a.O. S. 206. 87 H. Janker, DAR 1989, S. 178; U. Bick/F. Kiepe, NZV 1990. S. 332; R. Pit schas/J. Aulehner, BayVBl. 1990, S. 417; U. Steiner, DAR 1996, S. 274; H. Radtke y NZV 1995, S. 428 f.; R. Scholz, NJW 1997, S. 16 f.; M. RonellenfitscK DAR 1997, S. 148; Κ Waechter, NZV 1997, S. 334 und 337; A. Krölls, GewArch 1997, S. 541 f. 88 M. Ronellenfitsch, DAR 1997, S. 149 ff., der deswegen selbst die Schaffung einer Beleihungsgrundlage für die Verkehrsüberwachung für ausgeschlossen hält.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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Präziser sind deswegen die Argumentationsansätze, die auf die Einheitlichkeit des Lebensvorgangs bei Erfassung und Ahndung eines entsprechenden Verkehrsverstoßes abstellen. Die Erfassung des Verstoßes lasse sich nicht „als eine Art rechtsneutrale Vorbereitungshandlung" abkoppeln89 und müsse deswegen bereits selbst als repressives Staatshandeln bewertet werden, das - jedenfalls ohne entsprechende gesetzliche Beleihungsgrundlage - nicht auf Private übertragen werden darf. Gestützt wird diese Überlegung dadurch, dass eine im Wesentlichen unkomplizierte Tatbestandsfeststellung die Ahndung bei massenhaften Alltagsverstößen gegen das Recht wie Falschparken oder Geschwindigkeitsübertretungen praktisch impliziert. Wenn dabei in weniger eindeutigen Fallgestaltungen auch noch eigene Beurteilungs- oder Ermessensspielräume bestehen, sei der Einsatz von Privaten als Verwaltungshelfer wegen dieser Spielräume begrifflich erst recht ausgeschlossen. b) Privatisierungsreserven
und Privatisierungsgrenzen
Zuzustimmen ist der herrschenden Meinung, dass die Sanktionsmacht zur Verhängung eines Verwarnungsgeldes bzw. eines Bußgeldes oder Fahrverbotes ein elementares Hoheitsrecht darstellt, das ausschließlich dem Staat zukommt und das er im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG durch Beamte, die den Anforderungen dieser Vorschrift genügen, wahrzunehmen hat. Dieser Ansatz muss für repressives Staatshandeln dahingehend zugespitzt werden, dass Ausnahmen von dieser Regel nicht zulässig sind, und zwar auch nicht im Wege der Beleihung. Die bloße Ahndung von Verwaltungsunrecht dient zwar nicht der Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs 90 und ist deswegen keine Verhängung von Strafe. Sie fällt damit nicht unter den ausschließlich den Gerichten zugewiesenen absoluten Staatsvorbehalt des Art. 92 GG 91 . Gleichwohl liegt hierin eine staatliche Sanktionsmaßnahme für einen begangenen Rechtsverstoß. Jede Sanktionsmaßnahme für Rechtsübertretungen hat jedenfalls auch den Zweck, den Rechtsstaat aufrecht zu erhalten. Selbst ein bescheidenes Verwarnungsgeld ist ein Signal dafür, dass die Übertretung des Rechts im Rechtsstaat prinzipiell nicht gleichgültig hingenommen werden kann. Zur Verfolgung auch von leichten Verstößen ist alleine der Staat mit seinem Kernpersonal berufen und legitimiert. Dem Gesetzgeber kommt 89
U. Steiner, DAR 1996, S. 274. Zur Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs als Bedingung des Rechtsstaates BVerfG NStZ 1987, S. 419; BVerfGE 46, 214 (222 f.); 49, 24 (54); 51, 324 (343 f.). 91 BVerfGE 22, 49 (80); 64, 261 (278); R. Scholz, NJW 1997, S. 16 f. 90
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dabei zwar ein weiter Gestaltungsspielraum im Hinblick auf die Angemessenheit von staatlichen Sanktionen zu. Selbst das Absehen von Strafe ist mit dem rechtsstaatlichen Verfolgungszwang grundsätzlich vereinbar 92. Dieser anerkannte Spielraum bedeutet aber nicht, dass der Staat die Verhängung einer staatlichen Sanktion oder die Entscheidung über Absehen davon außerhalb des strikten Vorbehalts des Art. 92 GG auf Private übertragen darf. Schon der Eindruck, dass Private mit möglicherweise eigenen Interessen staatliche Sanktionen für Rechtsübertretungen verhängen dürfen, ist mit der Vorstellung eines Rechtsstaates unvereinbar. Art. 33 Abs. 4 GG erweist sich damit neben Art. 92 GG als eine wichtige personelle Säule des Rechtsstaates und muss konsequent in dieses Licht gerückt werden. Das RegelAusnahme-Verhältnis ist für jegliche staatliche Sanktionsverhängung entsprechend restriktiv zu interpretieren. Der Sinn des sogenannten staatlichen Gewaltmonopols offenbart sich damit in diesem Kontext als Sanktionsmonopol des Staates bei der Verletzung von staatlichem Recht, und zwar auch dann, wenn diese Sanktionen deutlich unterhalb der Schwelle zur Strafe liegen93. Dieses Monopol ist ernst zu nehmen und schließt im Rahmen von Art. 33 Abs. 4 GG jede Beauftragung Privater mit der Wahrnehmung von staatlichen Sanktionsmaßnahmen ebenso wie mit der Wahrnehmung von erheblichen physischen Zwangsmaßnahmen aus94. 92
BVerfGE 46, 214 (223); C. Degenhart, in: HStR III, 1988, § 76 Rdn. 33 (S. 903 f.). 93 Im Ergebnis ähnlich C. Steegmann, NJW 1997, S. 2158 f. Dies gilt selbst bei vertraglich vereinbarten Sanktionen zwischen Privaten, die letztlich auf legalem Wege nur mit Hilfe staatlicher Sanktionsmacht durchsetzbar sind. 94 Soweit Personen, die keine Beamte im staatsrechtlichen Sinn sind (Hilfsbeamte, Angestellte im öffentlichen Dienst, Private etc.) ausnahmsweise doch mit entsprechenden Befugnissen ausgestattet werden, ist dafür eine eigene verfassungsrechtliche Ermächtigung erforderlich, die damit systematisch eine Ausnahme von Art. 33 Abs. 4 GG darstellt. Diese Auslegung wird gestützt durch Art. 87 d Abs. 1 Satz 2 GG und Art. 12 a Abs. 3 Satz 1, 2. Halbsatz GG, der im Verteidigungsfall die zwangsweise Begründung eines öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnisses ermöglicht, vergi. R. Scholz, in: Th. Maunz/G. Dürig u.a., Grundgesetz Kommentar, Kommentierung Art. 12 a Rdn. 175 ff., Stand 1984. Auch die Privatschulgarantie des Art. 7 Abs. 4 und 5 GG ist systematisch eine Ausnahme von Art. 33 Abs. 4 GG, vergi, oben D. III. 3. e), wobei sich hier allerdings die Frage stellt, ob die Zulässigkeit dieser Ausnahme sich nicht schon aus dem Regel-Ausnahme-Verhältnis selbst herleiten lässt. Im Hinblick auf die Kriterien der staatlichen Zwangsveranstaltung Schule (Schulpflicht) und dem ganz erheblichen pädagogischen Einfluss gerade in den ersten vier Schuljahren (staatliche Eingriffsintensität) spricht allerdings einiges dafür, dass sich zumindest während der Grundschulphase das Regel-Ausnahme-Verhältnis auf ein Regelverhältnis verdichtet, das Ausnahmen außer in den ausdrücklich verfassungsrechtlich geregelten Fällen des Art. 7 Abs. 4 und 5 GG nicht zulässt.
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Dieses umfassende staatliche Sanktionsmonopol verdeutlicht auch den Unterschied zur legalen privaten Gewaltanwendung in Notwehr-, Nothilfeoder Notstandssituationen. Die private Gewaltausübung wird dabei rechtlich gesehen gerade nicht oder zumindest nicht in erster Linie 95 wegen des Sanktionscharakters für einen bereits begangenen Rechtsverstoß legalisiert, sondern als Gegenwehr, um die tatsächlichen Folgen eines gegenwärtigen und rechtswidrigen Angriffs auf ein geschütztes Rechtsgut abzuwehren oder wenigstens zu minimieren, gerade weil staatliche Hilfe nicht oder nicht rechtzeitig zu erlangen ist 96 . Fragwürdig ist dagegen die Hypothese, dass sich diese Sanktionsmacht auch rechtlich auf Private verlagert, jedenfalls dann, wenn Private lediglich die Tatsachen sammeln und das Verwarnungsgeld hinterher von einem Beamten verhängt wird 97 . Der Automatismus-These von der Einheitlichkeit des Lebensvorgangs lässt sich zwar nicht ernsthaft widersprechen. Dieser gedankliche Ansatz zieht aber aus der relativen Simplizität des Lebensvorganges die falschen normativen Schlüsse. Der Automatismus kommt hier nämlich gerade durch die Struktur solcher jedenfalls in der Regel leicht festzustellenden massenhaften Rechtsübertretungen zustande. Er ersetzt aber nicht die Entscheidung, wann, in welchem Umfang, wo und wie entsprechende Kontrollen vorgenommen werden sollen, sondern er ist eine Folge dieser Verwaltungsentscheidung. Soweit diese Entscheidungen durch einen präzisen Einsatzplan getroffen werden, bleibt für eine Ermessensausübung bzw. für einen Beurteilungsspielraum bei der Tatbestandsfeststellung dann faktisch kaum Raum. Dies gilt insbesondere für standardisierte technische Erfassungsvorgänge von entsprechenden Verstößen wie die elektronische 95
Diese Einschränkung ist einmal im Hinblick auf das Recht zur vorläufigen Festnahme gemäß § 127 StPO angebracht, da die vorläufige Festnahme als private Vorbereitungshandlung für das Einsetzen des staatlichen Sanktionsapparates gedeutet werden kann. 96 Vergi. H. J. Fallen Festschrift W. Geiger, 1989, S. 9 f., der in diesem Zusammenhang zu Recht auf die grundrechtlichen Wurzeln des Selbsthilferechts hinweist. 97 In dieser eher optischen, aber nicht unbedingt rechtlichen Verschiebung im Bereich staatlicher Sanktionsmacht auf Private bei der für den Bürger gerade wegen der massenhaften Übertretungen im Verkehrsbereich empfindlich spürbaren Ausübung von Staatsgewalt dürfte der eigentliche Grund für die ablehnenden Stellungnahmen in Rechtsprechung und Literatur liegen. Hinzu kommen Bedenken, dass die Privatunternehmen auf der Grundlage eines Erfolgshonorars tätig werden könnten, angedeutet etwa bei U. Steinen DAR 1996, S. 274. Es versteht sich von selbst, dass die Einschaltung Privater auf der Grundlage der Menge der erfassten Verkehrssünder oder einer prozentualen „Gewinnbeteiligung" rechtswidrig wäre. Solche letztlich fiskalischen Gesichtspunkte sind, worauf Steiner, a.a.O. S. 273 m.w.N. zu Recht hinweist, pflichtwidrige Ermessenserwägungen. Dies gilt erst recht, wenn die Gewinnerzielungsabsicht sich vom Staat auf Private verlagert. Die Einschaltung von Privaten ist deswegen ohnehin allenfalls auf der Grundlage von vertraglich vereinbarten Festbeträgen, in gar keinem Fall aber auf Erfolgsbasis zulässig.
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Geschwindigkeitsmessung98. Als rechtlicher Einwand kann die Automatismus-These deswegen letztlich nicht überzeugen, zumal dieser Automatismus nicht so weit geht, dass dadurch die Anhörung der Betroffenen ausgeschaltet wird 99 . Im Übrigen gerät die herrschende Auffassung in erhebliche Wertungswidersprüche zu anderen technischen Untersuchungsvorgängen, bei denen die Tatbestandswirkung faktisch die Sanktion nicht minder impliziert. Dies gilt etwa für die Überprüfung des Blutalkoholwertes auf Grund einer polizeilich angeordneten Blutentnahme durch private Labors. Niemand hat bislang gefordert, die Rechtmäßigkeit dieser (Labor-) Untersuchung, deren Ergebnis für den Betroffenen immerhin erhebliche Auswirkungen haben kann, von der Anwesenheit eines sachverständigen Beamten abhängig zu machen, der sich von der Richtigkeit des Untersuchungsablaufs persönlich überzeugt 100. Wenn die zuständige Behörde für die elektronische Überwachung den Ort, den Zeitraum, die Messungsmethode und den Umfang der Kontrollen (Überwachungsdichte: jedes Fahrzeug, jedes dritte Fahrzeug etc.) exakt festlegt, kann sie in diesem Rahmen deswegen entgegen der herrschenden Meinung auch ohne Beleihungsgrundlage Private einsetzen. Was der Beamte allerdings zu kontrollieren hat, ist die Einhaltung seiner Vorgaben zu Ort, Zeit und Überwachungsdichte durch die privaten Unternehmen. Die bloße Überwachung stellt dabei selbst noch keinen Grundrechtseingriff dar 101 , der eine permanente Präsenz eines Beamten erforderlich machen würde. Weniger eindeutig ist hingegen die Datenerhebung durch das „Geblitztwerden" im Falle der Geschwindigkeitsübertretung und die anschließende Weitergabe 102 der so erfassten Daten an die zuständigen Behörden. In dieser Datenerhebung liegt zwar ein Grundrechtseingriff vor, der aber dem Grunde nach nicht durch die Privaten vorgenommen wird, sondern durch die vorher feststehende Entscheidung über Ort, Zeitraum, 98
Dass solche Geschwindigkeitsmessungen manipuliert werden können, schließt ihren technischen standardisierten Charakter nicht aus, sondern wirft das Problem auf, wie eine entsprechende Überwachung von Privaten durch Beamte wirksam sichergestellt werden kann. 99 So zu Recht R. Scholz, NJW 1997, S. 17. 100 So aber das OLG Frankfurt, Beschluss vom 10.5.1995, NJW 1995, S. 2570 f. für die Geschwindigkeitsmessung durch Private. Die Anwesenheit einer Hilfspolizistin, die von den technischen Vorgängen nichts verstand, sollte danach nicht ausreichen. Dieser Ansatz würde in konsequenter Umsetzung auf alle relevanten Lebensbereiche die personellen und informatorischen Ressourcen des Staates bei weitem überfordern. 101 K. Waechter, NZV 1997, S. 338. 102 Eine Datenübermittlung, die einen selbständigen Grundrechtseingriff darstellen würde, liegt nicht vor, wenn die Weitergabe ausschließlich im Auftrag der jeweiligen Behörde erfolgt, vergi, etwa § 3 Abs. 9, Abs. 5 und § 11 BDSG.
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Intensität (»jedes dritte Fahrzeug") und Überwachungsmethode, so dass zu diesem Zeitpunkt theoretisch bereits feststeht, wer alles erfasst werden soll. Das Blitzen stellt sich dann lediglich als technischer Ausführungsvorgang dar, bei dem diese Grundentscheidung umgesetzt wird. Der Grundrechtseingriff setzt sich damit aus dem ex ante festgelegten Einsatzplan und seiner bloß faktischen Ausführung durch das Privatunternehmen zusammen. Beide Bestandteile bedürfen der Gewichtung. Wenn bei der Ausführung eigene Entscheidungsspielräume ausgeschlossen sind, wäre es sinnwidrig, in dieser bloß faktischen Tathandlung den eigentlichen Eingriff zu erblicken. Die Ausführung der Überwachung erfüllt dann vielmehr alle Voraussetzungen der Verwaltungshilfe. Der Schwerpunkt des Gesamtvorgangs, der den Grundrechtseingriff begründet, liegt bei der Behörde. Ihr ist auch der technische Vorgang des Blitzens zuzurechnen, jedenfalls wenn keine eigenen Entscheidungsspielräume der Überwachungsfirma bestehen. Hier liegt auch der eigentliche Unterschied zur Fluggastkontrolle, bei der einerseits bei der konkreten Untersuchungshandlung deutlich mehr Entscheidungsspielräume im Einzelfall bestehen können und andererseits die Eingriffsintensität im Hinblick auf den unmittelbaren Körperkontakt deutlich schwerer zu bewerten ist als beim bloßen, häufig völlig unbemerkten geblitzt werden. Stichprobenartige Kontrollen der Privatunternehmen dürften deswegen sogar ausreichen, wobei dafür besondere technische Kenntnisse des Beamten ebenso wenig wie bei der Blutuntersuchung erforderlich sind. Für die Überwachung des ruhenden Verkehrs wird man hingegen etwas zurückhaltender zu urteilen haben. Dieser Lebensvorgang ist deutlich weniger technisiert. Hier können schon bei der Tatbestandsfeststellung unter Umständen erhebliche Beurteilungsspielräume bestehen, die wegen der engen Verquickung von Tatbestand und Rechtsfolge unmittelbar auf die Sanktion durchschlagen. Dies bedeutet indessen nicht, dass der Einsatz von Privaten auch ohne gesetzliche Beleihungsgrundlage hier schlechterdings unzulässig ist. Standardsituationen, die den typischen Fall des Falschparkens bilden, können auch von beauftragten Privaten erfasst werden, wenn die zuständigen Behörden Ort, Zeitraum, Umfang und Dichte der Kontrollen exakt durch entsprechende Anweisungen vorgeben, so dass für einen eigenen Beurteilungs- und Ermessensspielraum des Privaten praktisch kein Raum mehr bleibt. Weiter muss die Aufsicht der privaten Sicherheitsdienste gewährleistet sein. Soweit im Einzelfall Beurteilungs- und Ermessensspielräume ausgeschlossen werden können, ist dafür nicht die permanente Präsenz eines Beamten erforderlich, sondern es genügen regelmäßige Stichproben durch Beamte. Treten doch einmal Zweifelsfälle auf, dürfte die - gegebenenfalls telefonische - jederzeitige Rufbereitschaft eines Beamten ausreichen. Zweifelsfälle im Einzelfall gehen dabei zu Lasten der Behörde. 29 Gramm
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Der mehr oder weniger starke Automatismus zwischen Tatbestandsfeststellung und Sanktion darf allerdings auch hier wegen Art. 33 Abs. 4 GG nicht dazu führen, dass Private als Verwaltungshelfer deswegen auch das Verwarnungsgeld selbst verhängen. Die Sanktion ist ausnahmslos durch Beamte festzusetzen, die zumindest noch eine kursorische Kontrolle der Sachverhalte vornehmen und bei bestimmten Auffälligkeiten bei einzelnen Privaten intervenieren können. Erfolgshonorare nach der Zahl der erzielten Ordnungswidrigkeiten sind mit der präzisen Steuerung durch einen Einsatzplan, der hier für die Verwaltungshilfe konstitutiv ist, schlechterdings unvereinbar. Im Übrigen stellen sie in jedem Fall eine unzulässige fiskalische Ermessensausübung dar und sind sowohl beim Einsatz staatseigener als auch privater Personalkräfte unzulässig. Entsprechendes würde selbstverständlich - die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage vorausgesetzt - auch für Beliehene gelten 103 . Die Schaffung einer gesetzlichen Beleihungsgrundlage ist danach nicht erforderlich. Unterschiede von der Verwaltungshilfe zur Beleihung würden sich nur in zweifacher Hinsicht ergeben: An die Präzision der Vorgaben durch die Behörde im Hinblick auf konkrete Einsatzpläne wären bei der Beleihung deutlich geringere Anforderungen zu stellen. Als Beliehene könnten private Unternehmen in gewissem Umfang selbst über Zeit, Ort, Ausmaß und Intensität der Überwachungsmaßnahmen des fließenden und ruhenden Verkehrs entscheiden. Zweitens wären an die Intensität der Aufsicht durch Staatsbeamte geringere Anforderungen zu stellen als bei der Konstruktion der Verwaltungshilfe. Freilich stößt auch eine Beleihungskonstruktion an verfassungsrechtliche Grenzen. Gegen die Übertragung der Befugnis zur selbständigen Festsetzung von Verwarnungsgeldern und erst recht von schärferen Sanktionen durch Beliehene bestehen erhebliche Bedenken. Damit würde das staatliche Sanktionsmonopol in empfindlicher Weise aufgeweicht. Zum einen ist ein Verwarnungsgeld von bis zu 75 DM keine Bagatelle104; zum anderen - und dieser Gesichtspunkt wiegt sehr viel schwerer - handelt es sich um Massenverstöße, bei denen der Staat zwar nicht sehr heftig, aber immerhin deutlich und unangenehm sanktionierend für viele persönlich sieht- und spürbar wird. Für solche zwar kleineren, aber massenhaften Sanktionen ist im Hinblick auf das staatliche Sanktionsmonopol generell kein Raum für Ausnahmen von der Regel des Art. 33 Abs. 4 GG.
103
Die Schaffung einer Beleihungsgrundlage für möglich hält etwa R. Scholz, NJW 1997, S. 17; a. A. M. Ronellenfitsch, DAR 1997, S. 151. Mit den genannten Einschränkungen geht die hier gefundene Lösung noch ein Stück weiter. 104 K. V/aechter, NZV 1997, S. 333.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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6. Bewachung von militärischen Einrichtungen Auf die weitgehenden Beleihungsmöglichkeiten für private Dienste bei militärischen Wach- und Sicherheitsaufgaben auf der Grundlage des UZwGBw wurde bereits hingewiesen105. § 1 Abs. 2 UZwGBw sieht insbesondere keine inhaltlichen Beschränkungen für die Übertragung der im UZwGBw geregelten Befugnisse auf beliehene Private vor. Nach dem Wortlaut des Gesetzes können beliehene Private hinsichtlich ihrer Befugnisausstattung den Soldaten damit prinzipiell gleichgestellt werden. In der Praxis werden sie regelmäßig ermächtigt, erforderlichenfalls auch von der Schusswaffe Gebrauch zu machen. Das volle Befugnisarsenal des UZwGBw wird ihnen allerdings ungeachtet der einfachrechtlich gegebenen Möglichkeit in der Praxis regelmäßig nicht eingeräumt 106. Bei dieser Fallgruppe zeigt sich im Hinblick auf die potentielle Eingriffsintensität der übertragenen Befugnisse einmal mehr, dass die Differenz zwischen repressivem und präventivem Handeln der Polizei für die Bestimmung der Grenzen des Einsatzes von privatem Personal bei der Erfüllung von Staatsaufgaben im präventiven Bereich für sich genommen noch zu keinen Ergebnissen führt. Wie das Beispiel belegt kann es auch bei präventivem Handeln unter Umständen zu ganz erheblichen Eingriffen kommen. Der Sache nach enthält § 1 Abs. 2 UZwGBw nämlich nicht weniger als die Befugnis für Private, kraft staatlicher Hoheitsausübung - und nicht lediglich im Rahmen der Jedermannsrechte - äußerstenfalls sogar den Tod von Menschen herbeizuführen. Die Frage ist aufzuwerfen, ob sich diese bei der Bewachung militärischer Liegenschaften in beachtlichem Umfang praktizierte Beleihungsmöglichkeit mit der bisher gefundenen Auslegungslinie zu Art. 33 Abs. 4 GG verträgt, wonach Eingriffe in die körperliche Sphäre bis auf die minder schweren Fälle 107 generell nur durch Beamte durchgeführt werden dürfen. Dies ist nach dem hier zu Grunde gelegten Kriterium der potentiellen Eingriffsintensität nicht der Fall. Die einfachrechtliche Möglichkeit der Beleihung Priva105
Oben Β. IV. 1. b) dd). 106 v e r gi die Ausführungsbestimmungen zum UZwGBw, Zentrale Dienstvorschrift (ZDv) 14/9 des Bundesministers der Verteidigung, insbesondere Nr. 17. Danach ist zivilem Wachpersonal die Anwendung von Reizstoffen und Explosivmitteln, die § 18 UZwGBw unter engen Voraussetzungen grundsätzlich zulässt und deren Übertragung auf Private durch § 1 Abs. 2 UZwGBw nicht ausgeschlossen ist, untersagt. 107 Das Vorliegen entsprechender Beleihungsgrundlagen vorausgesetzt handelte es sich um standardisierte Routineuntersuchungen (Fluggastkontrolle), dem Festhalten (Sicherheitswacht) bzw. Davontragen von Personen, die sich nicht wehren; zu ergänzen sind Fälle körperlicher Eingriffe durch einen Arzt auf Anweisung eines Beamten (Blutentnahmen), der insoweit als Verwaltungshelfer tätig wird. 29*
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
ter mit den Befugnissen des UZwGBw bedarf deswegen einer verfassungskonformen Reduktion. Grundlage dafür ist wiederum die Auffassung, dass nur eine qualitative Bewertung der konkret übertragenen Befugnisse das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 33 Abs. 4 GG in angemessener Weise rechtlich zu strukturieren vermag. Dabei kommt es im Bereich des präventiven Staatshandelns auf die potentielle Eingriffsintensität der verliehenen Befugnisse an. Es ist nun evident, dass der Eingriffsintensität beim Schusswaffengebrauch ein substanziell anderes Gewicht zukommt als beispielsweise den für die schematische Körperuntersuchung von Fluggästen erforderlichen Befugnissen. Je intensiver der übertragene potentielle Eingriff die Rechte bzw. Individualgüter einer Person verletzen kann, desto weniger dürfen Personen, die in keinem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen, hierfür herangezogen werden 1 0 8 . Bei besonders intensiven Eingriffen muss das verfassungsrechtlich gebotene Regel-Ausnahme-Verhältnis sogar zu einem strikten Verbot der Übertragung von Befugnissen auf privates oder auf staatliches Personal, das nicht die Kriterien des Kernpersonals aus Art. 33 Abs. 4 GG erfüllt, verdichtet werden 1 0 9 . 108
Ähnlich M. Ronellenfitsch, DAR 1997, S. 150: „Je intensiver der hoheitliche Eingriff ist, desto zwingender wird die Aufgabenerfüllung durch die Verwaltung selbst." 109 Nicht unproblematisch ist deswegen auch die Einbindung von Angehörigen ausländischer Streitkräfte außerhalb eines Systems gegenseitiger kollektiver Sicherheit (Art. 24 Abs. 2 GG) in die Bewachung gemeinsamer militärischer Liegenschaften im Wege der Herauslösung aus ihren bisherigen nationalen Unterstellungsverhältnissen und der Unterstellung unter einen deutschen militärischen Vorgesetzten für die Zeit der Wache. § 1 UZwGBw, das jetzt „Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen" heißt, wurde um folgenden Absatz ergänzt: „Soldaten verbündeter Streitkräfte, die im Einzelfall mit der Wahrnehmung militärischer Wach- oder Sicherheitsaufgaben betraut werden können, unterstehen vom Bundesminister der Verteidigung bestimmten und diesem für die Wahrnehmung des Wach- oder Sicherheitsdienstes verantwortlichen Vorgesetzten; sie können dann die Befugnisse nach diesem Gesetz ausüben." Die Vorschrift schließt damit die Übertragung hoheitlicher Befugnisse nach dem UZwGBw auf ausländische Soldaten zur selbständigen Wahrnehmung aus. Diese Konstruktion wurde im Hinblick auf Art. 24 Abs. 1 GG gewählt, der - jedenfalls nach herrschender Auffassung (vergi, nur R. Streinz, in: M. Sachs (Hrsg.), Grundgesetz Kommentar, 1996, Art. 24 Rdn. 20; O. Rojahn, in: I. v. Münch/P. Kunig (Hrsg.), Grundgesetz, Band 2, 3. Aufl. 1995, Art. 24 Rdn. 18; C. Tomuschat, in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, Art. 24 (Zweitbearbeitung) Rdn. 44; A. Randelzhofer, in: T. Maunz/G. Dürig, Grundgesetz Kommentar, Art. 24 I, Rdn. 53 (Kommentierung 1992); H. Mosler, HStR VII, 1992, § 175 Rdn. 36 ff. (S. 619 ff.); speziell zur Beteiligung der Bundeswehr an gemischtnationalen Militäreinheiten J. Wieland, Festschrift E.-W. Böckenförde, 1995, S. 230 ff.; a.A. etwa K. Th. Rauser, Die Übertragung von Hoheitsrechten auf ausländische Staaten, 1991, S. 246 ff.) - eine Hoheits-
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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Die Befugnis zum Schusswaffengebrauch mit möglicherweise tödlicher Wirkung stellt wohl den schärfsten denkbaren Eingriff in Individualrechtsgüter überhaupt dar. Wenn Personen widerrechtlich in militärische Liegenschaften eindringen, dürfen private Wachdienste deswegen im Rahmen ihres Bewachungsauftrages gegen diese Personen - Notwehr- und Nothilfesituationen immer ausgenommen - auf der Grundlage übertragener Hoheitsrechte in keinem Fall mit gezielten Schüssen vorgehen. Zulässig sind lediglich Warnschüsse. Im übrigen bleibt es bei dem bislang gefundenen Rahmen für die Anwendung von Zwang durch in die Erfüllung von Staatsaufgaben eingeschaltete Private, was konkret auf die Befugnis zur Identitätsfeststellung und zum Festhalten bis zum Eintreffen eines Soldaten oder Polizeibeamten hinausläuft. Das verbleibende Risiko potentieller Angreifer, auf privates Wachpersonal zu treffen, das in Notwehr- und Nothilfesituationen zwar an den öffentlich-rechtlichen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebunden ist, ohne dass dem bei Überschreitung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ein disziplinarisches Sanktionsinstrument zur Seite steht, wird man bei einem Angriff auf eine militärische Liegenschaft eher dem Angreifer zuweisen können als bei einem Angriff in der psychisch belastenden, auf Dauer angelegten und vor allem auf staatlichem Zwang beruhenden Haftsituation. Die Haftsituation entsteht erst durch die staatlich verordnete Freiheitsentziehung. Der Einzelne verfügt damit nicht mehr über die Freiheit, sich der staatlichen Obhut zu entziehen. Diese grundsätzliche Einschränkung macht für die Zumutbarkeit des genannten Risikos beim Angriff auf eine militärische Liegenschaft oder auf das Wachpersonal in einer Haftsituation einen grundlegenden Unterschied, der rechtlich die differenzierte Risikozuweisung bei Angriffen in und außerhalb einer staatlich angeordneten Zwangssituation trägt.
rechtsübertragung auf einen anderen Staat mit Ausnahme eng umrissener und traditionell anerkannter Ausnahmefälle ausschließt. Nach alter Rechtslage verfügten ausländische Soldaten lediglich über die Befugnisse im Rahmen der Jedermannsrechte. Bei der Bewachung konnten sie nur als Verwaltungshelfer eingesetzt werden, d.h. die Ausübung von Befugnissen nach dem UZwGBw war nur nach strikter Anleitung eines deutschen Hoheitsträgers als dessen „verlängerter Arm" möglich. Ungeachtet der Tatsache, dass auch Ausländer in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis im Sinne des Art. 33 Abs. 4 GG stehen können, erfüllen nur kurzfristig aus ihren nationalen Unterstellungsverhältnissen herausgelöste Soldaten von ausländischen Staaten jedenfalls nicht die Voraussetzungen, die Art. 33 Abs. 4 GG an das staatliche Kernpersonal stellt.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
7. Pflicht-Werkschutz Die in § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG vorgesehene gesetzliche Verpflichtungsmöglichkeit des Betreibers eines Kernkraftwerks zur Aufstellung eines bewaffneten Werkschutzes (Pflicht-Werkschutz) wurde oben in Übereinstimmung mit dem Bundesverwaltungsgericht als Inpflichtnahme privater Unternehmer bewertet 110. § 7 Abs. 2 Nr. 5 AtG stellt keine gesetzliche Beleihungsgrundlage für die Übertragung hoheitlicher Befugnisse dar. Der Betreiber verfügt nach wie vor nicht über Polizeibefugnisse, sondern ausschließlich über die aus den Jedermannsrechten bzw. aus seinem Hausrecht ableitbaren Handlungsoptionen111. Der Inhalt der Inpflichtnahme besteht in einer doppelten Rechtspflicht. Einerseits hat der Betreiber eigene personelle Ressourcen mit entsprechender Bewaffnung zur Ausübung dieser privaten Befugnisse vorzuhalten; andererseits muss er von diesen Befugnissen in einer entsprechenden Gefahrensituation positiv Gebrauch machen, obwohl grundsätzlich niemand dazu verpflichtet ist, auf Grund der Jedermannsrechte eine entsprechende Notwehr- oder Nothilfesituation vorausgesetzt - selbst aktiv gegen einen Angreifer vorzugehen. Inhaltlich werden die Jedermannsbefugnisse des Pflicht-Werkschutzes bzw. des Betreibers durch die gesetzliche Inpflichtnahme zwar nicht erweitert. Es steht dem Betreiber aber nicht mehr frei, auf ihre Ausübung im Ernstfall zu verzichten. Beschränkt wird dadurch die negative Freiheitsdimension des Betreibers, dessen Freiheit zum Nichtgebrauch der aus den Jedermannsrechten und dem Hausrecht abzuleitenden Handlungsmöglichkeiten durch die öffentlich-rechtliche Pflichtenbindung durch das AtG bis zum Zeitpunkt des Eintreffens der Polizei überlagert wird. Bei dieser Konstruktion werden die ihrem Ursprung nach privaten Befugnisse ganz gezielt zum Ersatz für die aus ressourcenökonomischen Gründen nicht bzw. nicht rechtzeitig verfügbaren Polizeikräfte und deren Hoheitsbefugnisse eingesetzt und in die Pflicht genommen. Das private Wachpersonal wird dadurch nicht in die staatliche Organisation integriert. Im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG ist diese Konstruktion unbedenklich. Art. 33 Abs. 4 GG lässt sich nicht entnehmen, dass jede Gefahr, die unter Umständen den Einsatz von Gewalt erforderlich macht, nur durch den Staat und dann auch nur mit staatseigenem Personal abgewehrt werden darf. Tatsächlich ist es schlechterdings nicht möglich, neben jede Gefahren- und Gewaltquelle einen Staatsbeamten zu stellen. Vielmehr belegt das Beispiel, dass die Bereitstellung bzw. Gewährleistung von Sicherheit in bestimmten Fällen nicht nur faktisch, sondern auch in einem rechtlich greifbaren Sinn 110 111
Β. IV. 1. c) bb). BVerwGE 81, 185/189.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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nur das Ergebnis des Zusammenwirkens von privaten und staatlichen Kräften sein kann. Das rechtsstaatliche Risiko, dass die rechtliche Bindung der privaten Sicherheitskräfte in diesen Fällen wegen der Nichtgeltung des öffentlichrechtlichen Verhältnismäßigkeitsprinzips beim Einsatz der Jedermannsrechte schwächer ausgestaltet ist als beim Einsatz von staatlichem Personal, trägt wiederum - wie bei der Überwachung militärischer Anlagen durch private Sicherheitsdienste - der Angreifer. Das Tragen dieses Risikos stellt schon deswegen keinen Verstoß gegen das oben aus Art. 33 Abs. 4 GG für den staatsinternen Bereich des Strafvollzuges und der Abschiebungshaft abgeleiteten Grundsatzes des Schlechterstellungsverbotes durch den Einsatz von Privaten dar, da sich der Pflicht-Werkschutz Privater gar nicht im Raum der staatlichen Organisation abspielt. Dieses Ergebnis lässt sich angesichts der erwähnten faktischen Unmöglichkeit, bei jeder Gefahr mit Polizeikräften präsent zu sein, gar nicht vermeiden. Es kennzeichnet vielmehr die juristische Normalsituation für den Gebrauch der Jedermannsrechte. Durch die Gewährleistung der Jedermannsrechte in Notwehr- und Nothilfesituationen erkennt der Staat gerade an, dass er nicht omnipotent ist, nicht permanent mit eigenem Personal präsent sein und nicht alle Gefahren effektiv abwehren kann. Eine Verschärfung tritt beim Pflicht-Werkschutz allerdings durch die öffentlich-rechtliche Pflicht zum Gebrauch der daraus erwachsenden Abwehrbefugnisse ein. Diese Pflichtenbindung lässt sich nur durch das eklatant große Gefahrenpotential für die Allgemeinheit rechtfertigen, das mit dem Betrieb eines Kernkraftwerkes verbunden ist. Das immer wieder ins Feld geführte Argument, dass eventuelle Angriffe von Dritten dem Betreiber nicht zurechenbar seien, übersieht, dass beispielsweise gewisse Selbstschutz- oder Dokumentationspflichten 112 auch sonst keineswegs verfassungsrechtlich unzulässig sind, solange das Maß der Pflichtenbindung und damit der Grundrechtsbeschränkung im Ergebnis nicht außer Verhältnis zu dem durch den Betreiber selbst gesetzten Risiko steht, welches diese Pflichtenbindung letztlich veranlasst. Das Risiko geht nämlich niemals nur von dem potentiellen Angreifer, dem potentiellen Verwender von Giftstoffen, dem potentiellen Bankräuber, Einbrecher oder Autodieb aus, sondern jedenfalls bis zu einem gewissen Grad auch von demjenigen, der entsprechende Güter bereitstellt, verkauft, transportiert oder einfach nur aufbewahrt. Stark vereinfacht formuliert: Wer kein Auto besitzt, dem kann es auch nicht gestohlen werden. Anders gewendet sind Selbstschutzpflichten in gewissem, im einzelnen zu überprüfenden Umfang verfassungsrechtlich unbedenklich. Dass an der Wirksamkeit dieses Selbstschutzes nicht nur ein 112
Vergi, die anderen Beispielsfälle unter Β. IV. 1. c) bb).
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
individuelles, sondern ein allgemeines Interesse besteht und er damit auch dem Schutz der öffentlichen Sicherheit dient, ändert nichts an diesem rechtlichen Befund. Die Grenzen einer zulässigen Inpflichtnahme ergeben sich damit primär aus den Grundrechten. 8. Private Einrichtungen und Veranstaltungen a) Private Befugnisse und Polizeibefugnisse
Mit der Fallgruppe der privaten Einrichtungen sind einerseits private Räume angesprochen, die im Prinzip für jedermann zugänglich sind, also hauptsächlich Ladengeschäfte, private Fußgängerpassagen und Einkaufszentren, Wohnanlagen etc. (private Einrichtungen mit Publikumsverkehr), aber auch private Grundstücke und Gebäude ohne Publikumsverkehr oder bewegliche Sachen (etwa Fahrzeuge). Private Sicherheitsunternehmen werden in erheblichem Umfang zum Schutz dieser Objekte eingesetzt. Ihre Einschaltung erfolgt dabei regelmäßig durch andere Private auf vertraglicher Grundlage, ohne dass hierzu - im Unterschied zum Pflicht-Werkschutz - eine entsprechende Rechtspflicht für die Auftraggeber besteht. Zweck ist vor allem die präventive Kriminalitätsbekämpfung, insbesondere von Ladendiebstählen und Einbrüchen. In privaten Fußgängerpassagen gehören auch Ordnungsaufgaben zum Auftragsspektrum der privaten Sicherheitsunternehmen. Die Befugnisse der Privaten sind auf der Grundlage der Jedermannsrechte und des übertragenen Hausrechts des Auftraggebers abgesteckt 113 . Entsprechendes gilt auch für den Personenschutz von Privatpersonen durch andere Private. Rechtliche Probleme im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG treten dabei nicht auf, da Private hier ausschließlich im Auftrag anderer Privater tätig werden und nicht im Auftrag des Staates. Sie üben keinerlei Hoheitsbefugnisse aus, weder aus eigenem Recht als beliehene Private noch als staatlicher Verwaltungshelfer. Diese klare Grenze verschiebt sich auch nicht dadurch, dass Sicherheitsaufgaben im Auftrag anderer Privater und eventuell auszuübende Befugnisse rechtlich von diesen abgeleitet auf gewerblicher Grundlage wahrgenommen werden. Weder die Tatsache der Professionalität noch die Tatsache der Entgeltlichkeit von entsprechenden Dienstleistungen ändert etwas an dem rechtlichen, alleine in der Freiheitssphäre des Auftraggebers liegenden Ursprung. Aus eigener Macht haben private Sicherheitskräfte im Unterschied zu privaten Eigentümern (Auftraggebern) und erst recht im Unterschied zur Polizei kein Mandat für die Wahrnehmung von Sicherheitsaufgaben. 113
R. Stoben NJW 1997, S. 893 f. m.w.N.; M. Schulte, DVB1. 1995, S. 130 ff.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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Zum Teil wird allerdings bestritten, dass die Jedermannsrechte, soweit sie von professionellen gewerblichen Sicherheitsdiensten für einen Dritten (privater Auftraggeber) ausgeübt werden, uneingeschränkt zum Zuge kommen dürfen 114. Gefordert wird auch die gesetzliche Beschränkung der Jedermannsbefugnisse bei der gewerblichen Wahrnehmung von Notwehrund Nothilferechten 115. Diese rechtspolitische Forderung ändert aber nichts an der rechtlich rein privaten Grundlage der Befugnisse von privaten Sicherheitsdiensten, die dann allerdings für den Fall ihrer gewerblichen Wahrnehmung durch die Geltung des öffentlich-rechtlichen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes überlagert würden 116. Alleine die Tatsache, dass private Sicherheitsunternehmen mit ihrer Arbeit einen nicht unbedeutenden Beitrag zur Aufrechterhaltung des öffentlichen Gutes der inneren Sicherheit leisten, an der der Staat sogar ein erhebliches Interesse haben kann 117 , erhebt diese Tätigkeit noch nicht zu einer quasistaatlichen Aufgabe von Privaten. Hier zeigt sich lediglich die bereits festgestellte, für viele öffentliche Güter geltende Grundstruktur, dass ihre wirksame Bereitstellung häufig durch unterschiedliche Handlungsbeiträge von privaten und staatlichen Akteuren bewirkt wird. Es kann allerdings nicht übersehen werden, dass ungeachtet des weitergehenden rechtlichen Schutzauftrages der Polizei 118 jedenfalls faktisch erheblichen Überschneidungen zwischen privatem Engagement und polizeilichem Sicherheitsauftrag bestehen. Wem das Maß an Sicherheit, das die Polizei durch ihre Präsenz leisten kann, nicht ausreicht, der hat selbstverständlich 114 W. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277; A. Roßnagel ZRP 1983, S. 59 ff.; A. Greifeid, DÖV 1981, S. 913; B. JeandHeur, AöR 119, S. 127 f., der für die Schaffung eigenständiger Befugnisnormen für professionelle Sicherheitsdienste plädiert. 115 Antrag der SPD-Bundestagsfraktion vom 5.1.1996 (BT-Drs. 13/3432); dazu skeptisch R. Stober, NJW 1997, S. 889; ders., GewArch 1997, S. 217 ff.; für eine behutsame tatbestandliche Reduktion des § 32 StGB im Hinblick auf die Gefahrenabwehr durch private professionelle Sicherheitskräfte M. Schulte, DVB1. 1995, S. 133 f. 116 Es liegt allerdings nahe, dass private Sicherheitsdienste dadurch eine Art Zwischenstatus zwischen staatlichen Sicherheitskräften und den rein privaten Selbstschutzmaßnahmen von Privatleuten auf nichtgewerblicher Grundlage erhalten. Dies dürfte im Ergebnis zu einer deutlichen rechtlichen Aufwertung der privaten Wachund Sicherheitsdienste bis hin zur Ableitung eines eigenen gesetzlichen „Sicherheitsauftrages" führen und damit zu einer Entwicklung, die überaus problematisch ist; diese Gefahr betont auch R. Pitschas, DÖV 1997. S. 396. 117 Insbesondere R. Pitschas, DÖV 1997, S. 393 plädiert deswegen für den Übergang zu einer „Sicherheitspartnerschaft" von staatlichen und privaten Sicherheitskräften unter dem Dach eines funktionenbezogenen Rahmengesetzes, das auch neue rechtliche Grenzen für Maßnahmen der Aufgabenprivatisierung im Gesamtkomplex der öffentlichen Sicherheit vorsieht. 118 Öffentliche Sicherheit umfasst mehr als die Summe des Schutzes privater Rechtsgüter, vergi, nur C. Gusy, Polizeirecht, 3. Aufl. 1996, S. 83 (Rdn. 158).
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
das Recht, auf der Grundlage seiner grundrechtlichen Freiheiten im Rahmen der geltenden Gesetze eigene Sicherheitsvorsorge zu leisten, etwa indem er sich mit seinen Nachbarn im Rahmen von „neighbourhood watches" zusammentut oder sich zusätzliche private Sicherheitsleistungen Dritter einkauft. Standardbeispiel ist das wohlhabende und deswegen besonders einbruchsgefährdete Wohnviertel, dessen Bewohner gemeinsam einen privaten Sicherheitsservice mit Überwachungsaufgaben beauftragen. Die Schaffung von Sicherheit stellt zwar eine zentrale Aufgabe, keinesfalls aber ein Privileg bzw. ein Monopol des Staates dar 119 . Bei privaten Großveranstaltungen 120 mit und ohne freien Zugang für jedermann gilt für die Befugnisse privater Sicherheits- und Ordnungskräfte nichts anderes wie beim Schutz privater Einrichtungen durch Private. Hier stellt sich die Frage, ob und in welchem Umfang der Einsatz privater Kräfte den Einsatz der Polizei überflüssig machen kann. Für die Beantwortung kommt es entscheidend auf die Gefahrenprognose im Vorfeld an. Wenn im Vorfeld keine Anhaltspunkte für die Gefährdung der öffentlichen Sicherheit vorliegen, kann die bloße Ordnung des Veranstaltungsablaufs auch bei Großveranstaltungen grundsätzlich privaten Ordnern überlassen werden. Dies gilt selbst bei politischen Demonstrationen. Ob und in welchem Umfang der Staat zumindest Reservekräfte für den Notfall vorhalten muss, hängt wiederum von der Gefahrenprognose ab, in die auch die Größe der Veranstaltung bzw. ihre Teilnehmerzahl Eingang findet. b) Erosion der öffentlichen
Sicherheit?
Befürchtet wird durch den Einsatz privater Sicherheitsdienste einerseits ein stillschweigender Rückzug der Polizei, denn wo Private die Bereitstellung von Sicherheit auf privatautonomer Grundlage organisieren, muss die Polizei dies jedenfalls nicht mehr in gleicher Intensität tun 1 2 1 ; andererseits 119
C.-D. Bracher, Gefahrenabwehr durch Private, 1987, S. 115 ff.; R. Stober, NJW 1997, S. 892. 120 Darunter fallen nicht nur kommerzielle Großveranstaltungen (Sport, Rockkonzerte u.ä.), sondern auch andere, nicht unbedingt auf Gewinnerzielung gerichtete Veranstaltungen (Umzüge: Karneval, Love-Parade etc.). Werden staatliche Polizeikräfte eingesetzt, stellt sich die Frage, ob der private Veranstalter zum Kostenersatz herangezogen werden kann oder soll. Auch dabei handelt es sich - ähnlich wie bei der Flugsicherheitsgebühr, vergi, oben D. V. 1. - nicht um ein Privatisierungsphänomen, sondern es geht um die strukturell immerhin verwandte Frage nach den (verfassungs-) rechtlichen Grenzen der Kostenabwälzung auf Private. 121 C. Gusy, DVB1. 1996, S. 728 f. und ders., StWStP 1994, S. 204 ff. befürchtet - wie bereits W. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 277 ff. - eine Entwicklung, bei der Sicherheit zunehmend vom öffentlichen Gut zur käuflichen Ware wird und hält dem die Pflicht des Staates zur sicherheitsrechtlichen Grundversorgung entgegen.
II. Rechtliche Schranken der Personalprivatisierung
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wird dadurch eine Umverteilung der entsprechend zurückgedrängten Kriminalität nach unten in nicht bewachte Orte oder Viertel befürchtet mit der Folge, dass Sicherheit zum Privileg der Wohlhabenden werden könnte 122 . Ob diese Verlagerungsthese tatsächlich realistisch ist 1 2 3 , soll an dieser Stelle nicht entschieden werden. Selbst wenn man unterstellt, dass sie so eintreten könnte, lässt sich daraus unter der Geltung der Grundrechte kaum eine Beschränkung oder gar ein Verbot für Private ableiten, sich zusätzlich zu staatlichen Sicherheitsleistungen privater Sicherheitsdienste zu bedienen. Das eigentliche Problem liegt hier nicht in erster Linie auf der rechtlichen Ebene der gesetzlichen Beschränkung von Freiheit und auch nicht bei der Frage, ob die Befugnisausstattung für die privaten Sicherheitsdienste auf der Grundlage der Jedermannsrechte eventuell reduziert werden muss, sondern darin, dass der Staat es sich ungeachtet der vielbeschworenen Grenzen seiner Leistungskraft einfach nicht leisten darf, eine unverzichtbare Staatsaufgabe nur halbherzig wahrzunehmen. Gewiss lassen sich nicht alle Gefahren und Verbrechen verhindern. Allerdings wäre der Eindruck verhängnisvoll, dass der Staat den Kampf gegen Gefahren und Kriminalität mehr oder weniger bereitwillig dem Engagement privater Kräfte auf gewerblicher Grundlage überlässt. Denn alleine der Staat verfügt über ein qualitativ und quantitativ ausgefeiltes Arsenal an Handlungs- bzw. Befugnisressourcen, um dieses Ziel zu verfolgen. Diese Privilegierung und die möglichst effektive Wahrnehmung der Staatsaufgabe innere Sicherheit ist nach wie vor zugleich ein zentraler Legitimationsgrund für die Existenz des Staates überhaupt. Konkret bedeutet dies, dass der Staat seine personellen Ressourcen nicht deswegen ohne weiteres abbauen darf, weil Bürgerinnen und Bürger private Sicherheitsdienste ergänzend zu den staatlich erbrachten Leistungen mit Überwachungsaufgaben betrauen. Weiterhin darf er die Bereitstellung von Sicherheit nicht, auch nicht in regional abgegrenzten Bereichen, ausschließlich Privaten überlassen, sondern auch hier muss der Staat - die Polizei präsent bleiben und auch Präsenz zeigen124, um seiner materiellen Ein122 Etwa W. Hoffmann-Riem, ZRP 1977, S. 279 f.; C. Gusy, StWStP 1994, S. 203 f. („Ghettoisierung der Sicherheit"); zur Gegenthese einer Ergänzung und Entlastung der Polizei L. Mahlberg, Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, 1988, S. 53 ff.; dazu auch B. Jean d'Heur, AöR 119, S. 110 ff. 123 Kritisch bereits J. Schwabe, ZRP 1978, S. 165 ff.; skeptisch zur Verlagerungsthese von Kriminalität einerseits und der Abbauthese staatlicher Polizeikräfte andererseits auch A. Peilert, Das Recht des Auskunftei- und Detekteigewerbes, 1996, S. 229 ff. Zweifel sind auch deswegen angebracht, da einerseits schon die flächendeckende Bereitstellung von Sicherheit für alle durch Private nicht gewährleistet werden kann und andererseits nicht gesichert ist, dass alle sich an den Kosten für Sicherheitsleistungen auf freiwilliger Grundlage beteiligen, und zwar selbst dann nicht, wenn sie davon profitieren (Trittbrettfahrerproblem, vergi, oben C. IV. 5.).
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
standspflicht für die innere Sicherheit nachzukommen. Art. 33 Abs. 4 GG enthält insofern auch ein staatsgerichtetes Verbot, sich im Bereich notwendiger Staatsaufgaben weitgehend unsichtbar zu machen und sich faktisch durch private Sicherheitsdienste auf der Grundlage privaten Engagements ersetzen oder nur vertreten zu lassen. Auf den Einsatz von eigenem Personal, das den Maßstäben des Art. 33 Abs. 4 und 5 GG genügt, darf der Staat bei der inneren Sicherheit dort, wo Gefahren für die öffentliche Sicherheit auftauchen, insbesondere bei der Kriminalitätsbekämpfung, auch dann nicht verzichten, wenn Private diese Aufgabe aus eigener Macht örtlich befriedigend lösen könnten. Schließlich darf er sich erst recht in Brennpunkten der Kriminalität nicht zurückziehen oder personell weitgehend ausdünnen. Auch den Kooperationsanstrengungen von staatlichen und privaten bzw. ehrenamtlichen Kräften werden dadurch Grenzen gezogen. Ein zweiter rechtlicher Damm gegenüber den befürchteten Entwicklungen ergibt sich aus dem „Preis", den der Staat für seine Polizeileistungen verlangen darf. Elementare Polizeiaufgaben müssen kostenlos sein und bleiben 125 , was die Erhebung von Gebühren für bestimmte Leistungen der Polizei nicht von vornherein ausschließt126. Wenn der Staat allerdings selbst dazu übergehen sollte, sogar elementare Sicherheitsleistungen vermehrt mit Gebühren zu belegen - erinnert sei nur an die vom Fluggast zu entrichtende Flugsicherheitsgebühr - , verwischt sich die Grenze zum privaten Sicherheitsgewerbe zunehmend. Sicherheit droht dann in der Tat zur Ware zu werden, auch wenn dafür kein vertraglich vereinbarter Preis, sondern eine staatliche Gebühr erhoben wird. Wo aber alles zusätzlich zur Steuerbelastung seinen (Extra-) Preis für den Bürger hat, nimmt der Staat seine Verantwortung für die Bereitstellung und Aufrechterhaltung öffentlicher Güter empfindlich zurück. Die rechtliche Steuerung dieser Fehlentwicklung ist allerdings kein Problem der Privatisierung von Staatsaufgaben bzw. von Art. 33 Abs. 4 GG, sondern Begrenzungen einer zulässigen finanziellen Inanspruchnahme des Bürgers für Polizeileistungen müssen in erster Linie im Bereich des Finanzverfassungsrechts, insbesondere beim Steuerstaatsprinzip gesucht werden 127.
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Zur „Sichtbarkeit" des Staates als Voraussetzung seiner Selbstdarstellung und Begreifbarkeit Ρ. Kirchhof, HStR III, 1988, § 59 Rdn. 171 ff. (S. 193 f.). 125 Etwas behutsamer C. Gusy, DVB1. 1996, S. 726: Wo ein grundrechtlicher Anspruch auf polizeilichen Schutz besteht, darf dieser nicht durch Kostenforderungen unerreichbar gemacht werden. 126 Erinnert sei nur an das vieldiskutierte Beispiel des Kostenersatzes bei elektronischem Fehlalarm, dazu V. Götz, NVwZ 1994, S. 661; BVerwG NJW 1992, S. 2243; S. Broß, DVB1. 1983, S. 382 f. und ders., VerwArch 1983, S. 389 ff.; vergi, auch die Unterscheidung bei C. Gusy, DVB1. 1996, S. 726 f. zwischen polizeilichen Service- und Sicherheitsleistungen.
III. Unverzichtbarkeit des staatlichen Kernpersonals
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III. Unverzichtbarkeit des staatlichen Kernpersonals und staatliche Identität (Auswertung der Fallbeispiele) Anhand von ausgewählten Fallgruppen wurden die Grenzen der Privatisierung exemplarisch im Aufgabenfeld der inneren Sicherheit untersucht. Zentrale Untersuchungsperspektive war dabei die Frage nach der Unverzichtbarkeit des Einsatzes von staatlichem Kernpersonal. Bei der Erfüllungsressource des Personals konnten erhebliche Spielräume für den Einsatz von privaten Kräften aufgedeckt werden. Diese Spielräume reichen einerseits weiter, als dies nach herrschender Auffassung bislang der Fall ist; andererseits sind sie aber auch enger abzustecken, als dies in der Staatspraxis der Fall ist. Die für die Grenzziehung im Einzelfall erforderlichen verfassungsrechtlichen Maßstäbe sind aus Art. 33 Abs. 4 GG und dem dort verorteten Regel-Ausnahme-Verhältnis für die Wahrnehmung hoheitsrechtlicher Befugnisse zu entwickeln. Für die gesuchte Abgrenzung untauglich erweist sich dagegen die pauschale Gleichsetzung von unverzichtbaren Aufgabenfeldern mit dem exklusiven Einsatz von staatlichem Kernpersonal. Das verfassungsrechtliche Zuordnungsverhältnis von unverzichtbaren Aufgaben einerseits und von unverzichtbarem Einsatz von staatlichem Kernpersonal andererseits besteht nicht in der Gleichsetzung von beiden, sondern es stellt sich wesentlich komplizierter dar. Dies ergibt sich bereits aus Art. 33 Abs. 4 GG, der für die Erfüllung von Verwaltungsaufgaben den Einsatz von staatlichem Kernpersonal nur in der Regel vorschreibt und Ausnahmen damit ausdrücklich zulässt. 127
Die Herausdestillierung von unverzichtbaren Staatsaufgaben leistet dabei einen wesentlichen Beitrag, insofern unverzichtbare Staatsaufgaben prinzipiell gebührenfrei zu erfolgen haben. Ausnahmen von diesem Grundsatz bedürfen ihrerseits besonderer rechtfertigender Gründe. Bei der Erhebung von Gebühren für Polizeileistungen findet ein direkter Finanztransfer vom Abgabenschuldner zum Staat hin statt. Zu nennen ist die Luftsicherheitsgebühr, deren Zulässigkeit das BVerwG bestätigt hat (BVerwGE 95, S. 188; das Gericht argumentiert, dass die öffentliche Leistung jedenfalls auch für den betroffenen Personenkreis von Vorteil und deswegen kostenmäßig zurechenbar ist (S. 203); zustimmend M. Ronellenfitsch, VerwArch 1995, S. 315 ff., 325). Auch wenn das Beispiel der Luftsicherheitsgebühr unter Zumutbarkeitsgesichtspunkten gewiss eine tragbare Belastung darstellt, wird damit eine elementare staatliche bzw. staatlich veranlasste Sicherheitsleistung kostenmäßig in dem Sinne privatisiert, dass hier eine Verlagerung vom Steuerzahler auf den Gebührenschuldner stattfindet, der ja aus seiner Steuerpflicht im übrigen nicht entlassen wird. Die flächige Übertragung dieses Finanzierungsmodells auf staatliche Sicherheitsleistungen, erst recht auch auf andere Lebensbereiche, würde den Steuerstaat in grundlegender Weise in Frage stellen; kritisch im Hinblick auf eine Präzedenzwirkung für andere Sicherheitsbereiche bereits die Stellungnahme der Bundesregierung, BT-Drs. 8/3431, S. 23.
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
Unbrauchbar für die Konkretisierung dieses Regel-Ausnahme-Verhältnisses ist seine rein quantitative Auslegung, die alleine darauf abstellt, dass in einem bestimmten Aufgabensegment im Ergebnis mehrheitlich Lebenszeitbeamte eingesetzt werden. Bei dieser aufwendigen Methode ist schon unklar, nach welchen Kriterien der Aufgabenzuschnitt als dem maßgeblichen Faktor für die Bestimmung des Regelverhältnisses eigentlich erfolgen soll. Auch inhaltlich macht die rein quantitative Auslegung keinen rechten Sinn, da alleine das Abstellen auf die jeweiligen Mehrheiten von der konkreten Sachaufgabe völlig abstrahiert. Einem entsprechenden quantitativen Verständnis von Art 33 Abs. 4 GG steht schließlich die Überlegung entgegen, dass es gerade bei eingriffsintensiven Staatshandlungen keinerlei Sinn macht zu verlangen, es müsse aus der Sicht des Betroffenen im Ergebnis die Wahrscheinlichkeit überwiegen, bei entsprechenden Kontakten mit dem Staat auf einen Beamten zu stoßen. Eine solche schematische Auslegung operiert mit den Kategorien der Wahrscheinlichkeitsrechnung unter Verzicht auf jede normative Sinnhaftigkeit. Denn offensichtlich wollte der historische Verfassungsgesetzgeber bei aller Unklarheit im Übrigen zwar viel Beweglichkeit in die personellen Gestaltungsmöglichkeiten bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben durch den Staat bringen, diese aber andererseits auch wieder nicht lediglich mathematisch beschränkend einfangen. Erforderlich ist deswegen eine qualitative Betrachtung und Gewichtung der konkreten Befugnisse, um deren Wahrnehmung es insbesondere bei der Erfüllung von unverzichtbaren Staatsaufgaben geht. Voraussetzung dafür ist eine Analyse der zur Verfügung stehenden konkreten einfachrechtlichen Befugnisse, die inhaltlich bewertet und gewichtet werden müssen. Hauptbewertungsmaßstab ist dabei die potentielle Eingriffsintensität, zu der die jeweiligen Befugnisse äußerstenfalls berechtigen. Als Maßstab für die Verlagerung von Befugnissen auf Private und anderes Nicht-Kernpersonal gilt der Grundsatz: Je intensiver auf Grund dieser Befugnisse in die Rechte und Güter von Bürgerinnen und Bürgern eingegriffen werden kann, desto weniger kommt ein Einsatz von Privaten in Betracht. Nur so erschließt sich die rechtsstaatliche Sicherungsfunktion der Vorbehaltsklausel des Art. 33 Abs. 4 GG, die den Staat und seine Identität in personeller Hinsicht durch die Gewährleistung einer gewissen Unabhängigkeit auch der Beamten vor dem Einfluss gesellschaftlicher Kräfte schützen will. Die Vorschrift ergänzt damit, wenngleich in deutlich abgeschwächter Form, die personelle Garantie des Art. 92 GG und sichert staatliche Identität auch im Bereich der Verwaltung. Dieser Sinn würde durch das bloß quantitative Abzählen verschüttet. Bei bestimmten, besonders gravierenden Eingriffen kann sich das so verstandene Regel-Ausnahme-Verhältnis sogar zum Verbot jeglichen Einsatzes von Personal verdichten, das den Anforderungen des Art. 33 Abs. 4 GG
III. Unverzichtbarkeit des staatlichen Kernpersonals
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nicht genügt. Schlechterdings unzulässig ist der Einsatz selbständig agierender Privater mit hoheitlichen Befugnissen danach beim gezielten, auf Menschen gerichteten Schusswaffengebrauch. Dieses Verbot lässt sich auch durch die gesetzliche Beleihung Privater mit entsprechenden Hoheitsbefugnissen nicht umgehen. Für die Überwachung militärischer Anlagen durch private Wachdienste auf der Grundlage der Beleihungsmöglichkeit des § 1 Abs. 2 UZwGBw bedürfen die nach dem Wortlaut des einfachen Gesetzes übertragbaren und tatsächlich auch übertragenen Befugnisse deswegen der verfassungskonformen Reduktion. Auch als Verwaltungshelfer dürfen Private nicht zum gezielten Schusswaffengebrauch auf hoheitsrechtlicher Grundlage angewiesen werden. Entsprechendes gilt für Hilfsbeamte und für Angestellte im öffentlichen Dienst. Unberührt davon bleiben die Notwehr- und Nothilferechte. Für die Überwachung von Häftlingen spielt der Gesichtspunkt eine maßgebliche Rolle, dass Häftlinge sich auf Grund staatlicher Anordnung in der Zwangssituation der Haft befinden und dem Staat daher eine gesteigerte Sorgfaltspflicht auch für die staatseigene personelle Ausstattung in dieser Zwangslage obliegt. Im unmittelbaren Kontakt mit Häftlingen bei der regulären und auf Dauer gerichteten Wachtätigkeit ist die Ersetzung von Vollzugsbeamten durch den Einsatz von Verwaltungshelfern oder beliehenen Privaten auch im Hinblick auf die unterschiedlichen rechtlichen Bindungen von staatlichem und privatem Personal in einer Notwehr- bzw. Nothilfesituation unzulässig. Verfassungsrechtlich zulässig bleibt lediglich die Beauftragung von Privaten beim Strafvollzug auf der Grundlage des § 155 StrafVollzG für sachlich begründete enge Ausnahmen, die inhaltlich nicht zum alltäglichen Kernbereich des Vollzuges gehören. Diese inhaltliche Einschränkung ist erforderlich, weil das Argument des Personalmangels in diesem Kernbereich kein zulässiges Argument zur Begründung von Ausnahmen darstellt. Andernfalls liefe der verfassungsrechtliche Vorbehalt, dass in bestimmten Fällen Ausnahmen von der Regel überhaupt nicht zulässig sein sollen, in allen Fällen personeller oder finanzieller Knappheit leer. Unbedenklich ist der Einsatz von Verwaltungshelfern für Hilfsdienste, bei denen kein unmittelbarerer Kontakt zwischen Häftlingen und Privaten besteht. Aus Art. 33 Abs. 4 GG folgt damit zugleich die Pflicht des Gesetzgebers, die erforderlichen finanziellen Ressourcen für die Bereitstellung von staatlichem Kernpersonal in ausreichendem Umfang sicher zu stellen und gegebenenfalls für eine bessere Bezahlung des Personals zu sorgen 128. 128
Der Sache nach hat der Gesetzgeber dies bei der Flugsicherheit im Hinblick auf die Fluglotsen getan, freilich außerhalb der Strukturen des öffentlichen Dienstrechts, sondern durch die Flucht in die Organisationsprivatisierung auf der Grundla-
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Ein weiteres Kriterium für die inhaltliche Strukturierung des Regel-Ausnahme-Verhältnisses folgt für den Bereich des repressiven Staatshandelns aus dem Sanktionsmonopol des Staates für die Ahndung von Rechtsverletzungen durch die Verwirklichung eines gesetzlichen Straftatbestandes oder einer Ordnungswidrigkeit. Das staatliche Sanktionsmonopol stellt einen zentralen Ausschnitt aus dem sogenannten Gewaltmonopol des Staates dar, das im Unterschied dazu strikt auszulegen ist. Jede staatliche Sanktionierung von diesen Rechtsübertretungen ist ausnahmslos von Lebenszeitbeamten durchzuführen. Dieses Monopol bedeutet umgekehrt ein striktes Ahndungsoder Sanktionsverbot für Private, aber auch für sonstiges staatseigenes Personal, das den Anforderungen des Art. 33 Abs. 4 GG nicht genügt. Es gilt selbst bei vergleichsweise schwachen echten Sanktionen129 wie der Verhängung eines Verwarnungsgeldes nach dem OWiG (§ 56) 130 . Ausschlaggebend für diesen strikten Monopolcharakter ist nicht die Qualität der Eingriffsintensität, die bei der Ahndung von Ordnungswidrigkeiten eher als geringfügig zu bewerten ist, sondern die staatliche Identitätssicherungsfunktion des Art. 33 Abs. 4 GG. Der Verfassungsnorm ist für diese Fälle das Verbot zu entnehmen, dass der Staat sich selbst in der Rolle des sanktionierenden Staates durch den Einsatz von Nicht-Kernpersonal zurückzieht. Beleihungsmaßnahmen sind ausgeschlossen, wenn Private im Ergebnis die Befugnis zur Verhängung von staatlichen Sanktionen übertragen wird. Die damit verbundene relative Verselbständigung staatlicher Sanktionsmacht lässt sich mit der Leitvorstellung des Art. 33 Abs. 4 GG und seiner staatlichen Identitätssicherungsfunktion nicht kompatibel machen. Dahinter steht kein antiquiertes, strikt hierarchisches und kooperationsfeindliches Staatsverständnis, sondern die Grundeinsicht, dass die staatliche Sanktionierung von Rechtsübertretungen im Interesse der Aufrechterhaltung des gesellschaftlichen Friedens keine Aufgabe der Gesellschaft oder von staatlich engagierten Teilen der Gesellschaft sein darf. Die bei aller Koopege des Art. 87 d Abs. 1 GG und damit außerhalb des Geltungsbereichs von Art. 33 Abs. 4 GG. Vorbildcharakter kann dieser Lösung nicht zukommen, denn es geht nicht an, für alle Bereiche, in denen in Zukunft auf Grund schlechter Bezahlungsstrukturen Personalmangel herrscht, kurzerhand eine verfassungsrechtliche Ausnahme von Art. 33 Abs. 4 GG und damit die Möglichkeit einer Organisationsprivatisierung mit besseren Bezahlungsstrukturen zu eröffnen. Eine Lösung unter dem verfassungsrechtlichen Dach des Art. 33 Abs. 4 GG bietet mehr Flexibilität bei der Bezahlung der Beamten. 129 Von den echten Sanktionen abzugrenzen sind Auflagen, Verbote, Widerrufe, Rücknahmen von gesetzlich vorgeschriebenen Genehmigungen etc., weil die Genehmigungsvoraussetzungen noch nicht oder nicht mehr gegeben sind. no Verfassungsrechtlich unproblematisch ist dagegen die Beleihung Privater mit der Befugnis zur Erhebung von Verwaltungs- oder Benutzungsgebühren, vergi, oben unter D. V. 1.
III. Unverzichtbarkeit des staatlichen Kernpersonals
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ration verbleibende und normativ vorgegebene Restdifferenz zwischen Staat und Gesellschaft tritt an dieser Stelle scharf zu Tage. Das staatliche Sanktionsmonopol erweist sich darin zugleich als Kern des sogenannten Gewaltmonopols. Soweit es nicht zur selbständigen Verhängung von staatlichen Sanktionen durch Private kommt und bestimmte Eingriffsschwellen nicht überschritten werden, bleiben zahlreiche Hilfsdienste durch Private zulässig. Einfachere Routineuntersuchungen mit zwar nicht unerheblicher, aber eher geringer Eingriffsintensität, die jedermann in gleicher Weise treffen - Beispiel Fluggastkontrolle - , sind auf einer ordentlichen gesetzlichen Beleihungsgrundlage ohne weiteres möglich. Das geltende Recht genügt diesen Anforderungen allerdings nicht, da § 29 c Abs. 1 Satz 3 LuftVG keine ausreichende Rechtsgrundlage für eine entsprechende Aufgaben- bzw. Befugnisübertragung auf Private enthält. Die bestehende Möglichkeit der Durchführung der Fluggastkontrolle im Wege der Verwaltungshilfe wird dem tatsächlichen Lebensablauf bei der Fluggastkontrolle aber nicht gerecht, da erhebliche Beurteilungsspielräume bei der Untersuchung bestehen können, die eine permanente Präsenz von Beamten erforderlich macht. Das Modell der Verwaltungshilfe wird damit praktisch unbrauchbar. Die Alternative des Hilfsbeamten mit vergleichsweise schwacher Befugnisausstattung, wie es in Bayern bei der Sicherheitswacht praktiziert wird, ist dagegen rechtsstaatlich und im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG nicht zu beanstanden. Bedenklich erschiene erst eine gesetzliche Befugnisausstattung, die über das Festhalten und das gegebenenfalls auch feste Zupacken wesentlich hinausgeht. Auch der Einsatz von Verwaltungshelfern bei der Wahrnehmung von Befugnissen mit stärkerer Eingriffsintensität ist in begrenztem Umfang zulässig. Dabei bestehen allerdings ganz erhebliche Anforderungen an die Kontroll- und Anleitungsintensität durch das staatliche Kernpersonal. In keinem Fall darf es zur bloßen Fiktion einer Anleitung kommen, was den praktischen Einsatzmöglichkeiten enge Grenzen ziehen dürfte. Unbedenklich ist der Einsatz von - medizinischen - Verwaltungshelfern für körperliche Eingriffe (Blutentnahme). Entgegen der Rechtsprechung und der Literatur ist der Einsatz von Privaten auch bei der Überwachung des ruhenden und fließenden Verkehrs ohne Rechtsänderung zulässig, wenn staatliche Stellen Ort, Zeitpunkt, Überwachungsdichte und Methoden so klar vorgeben, dass eigene Beurteilungsspielräume praktisch ausgeschlossen sind und deren Tätigkeit entsprechend kontrolliert wird. Der in diesen Fällen bestehende enge Zusammenhang zwischen Tatbestandsfeststellung und Ahndung darf jedoch nicht so weit gehen, dass keine Kontrollen und Interventionen durch die Beamten mehr möglich sind. Dies bedeutet nicht, dass in jedem Einzelfall eine Überprü30 Gramm
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E. Rechtliche Grenzen der Privatisierung
fung durch Beamte zu erfolgen hat; es genügen insoweit Stichproben. Unzulässig wäre allerdings, dass Private selbst Verwarnungsgelder verhängen; auch eine entsprechende Beleihungsgrundlage ist mit der Grundentscheidung des Art. 33 Abs. 4 GG nicht vereinbar, wonach das Monopol für echte Sanktionen zur Ahndung von Gesetzesübertretungen ausschließlich beim Staat liegt. Die gewonnenen Kriterien können auch für andere Fallgruppen aus dem Bereich der inneren Sicherheit 131 fruchtbar gemacht werden. Andere staatliche Aufgabenfelder bzw. Gütergruppen bedürfen einer gesonderten Untersuchung, wobei die hier entwickelten Kriterien in begrenztem Umfang ebenfalls zum Tragen kommen können. Eine rechtliche Beschränkung für den Einsatz von privaten gewerblichen Sicherheitskräften, die andere Privatleute zum Schutz von Personen oder Sachen auf vertraglicher Grundlage aus eigenem Entschluss engagieren, konnte dagegen nicht festgestellt werden. Private Sicherheitsdienste dürfen dabei ausschließlich auf der Grundlage der Jedermannsrechte bzw. des Hausrechts tätig werden. Über Hoheitsbefugnisse verfügen sie nicht. Auch wenn Private damit zur Herstellung von Sicherheit in der Öffentlichkeit einen unverkennbaren Beitrag leisten, verschiebt sich der rechtliche Auftrag des Staates zur Aufrechterhaltung und gegebenenfalls Wiederherstellung von innerer Sicherheit dadurch nicht. Der Staat wird von seiner grundsätzlichen Einstandspflicht für das notwendige Gut der inneren Sicherheit nicht dadurch frei, dass Private ihrerseits aus freien Stücken etwas für mehr Sicherheit in ihrem Umfeld tun. Die hierdurch eintretende faktische Entlastung bzw. Unterstützung des Staates darf nicht dazu führen, dass er sich aus dieser Aufgabe zurückzieht und sein eigenes Personal abbaut. Vor allem ist es dem Staat verwehrt, sich dort, wo keine privaten Sicherheitsdienste zum Einsatz kommen, personell zurückzuziehen und zunächst auf die Möglichkeiten zur Eigenvorsorge durch den Einsatz von Sicherheitsdiensten hinzuweisen: Wer auf das Engagement privater Sicherheitsdienste verzichtet, darf deswegen in keiner Weise durch den Staat benachteiligt werden. Vor diesem Hintergrund ist ein gesetzgeberischer Handlungsbedarf, der das private Sicherheitsgewerbe auf eine andere rechtliche Grundlage stellt, nicht zu erkennen. Im Gegenteil droht dadurch eher eine Grenzverwischung 131
Etwa bei der Verkehrsunfallaufnahme durch Private, dazu W. M e lchers t NZV 1994, S. 1. Soweit es alleine um die Schadenserfassung ohne Personenschäden und nicht um die Ermittlung strafrechtlich relevanter Sachverhalte oder um die Feststellung und Ahndung von Ordnungswidrigkeiten geht, lassen sich im Hinblick auf Art. 33 Abs. 4 GG keine Gründe erkennen, die den Einsatz von Privaten ausschließen. Ob in anderen Gütersektoren weitere Differenzierungskriterien hinzutreten müssen, bedarf gesonderter Untersuchung.
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zwischen staatlichem Sicherheitsauftrag und privatem Sicherheitsengagement. Ungeachtet der komplexen Produktionsstruktur bei der Bereitstellung des öffentlichen Gutes innere Sicherheit durch staatliche und gesellschaftliche Kräfte sind jedenfalls alle gesetzlichen Maßnahmen zu vermeiden, die den privaten Sicherheitskräften ein originäres und eigenes öffentlich-rechtliches Mandat zur Aufrechterhaltung der inneren Sicherheit oder nur den Anschein davon verleihen.
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117,
137 ff.,
Aufgaben Verlagerung 107, 109 f., 115, 127, 133 ff., 156, 161 ff., 168, 175 ff., 183, 292, 343 Aufgaben Wachstum 13 ff., 94, 97
Bundesverfassungsgericht 33, 48, 55, 71, 76, 103, 192, 197, 348, 349, 357, 365, 368, 396 Bundeswehr 36, 68, 119, 120, 277, 380, 451 ff., 463 Chancengleichheit 232 Daseinsvorsorge 54, 134, 146, 232, 281, 285, 329, 368 Demokratie, Demokratieprinzip 13, 49, 63, 65, 200, 202, 338, 351 ff., 393 Deregulierung 17, 106, 186
Bahn 21, 68, 84, 134, 137 ff., 146, 382 Bahnpolizei 437 Beamter 43, 112, 116 f., 121 f., 133, 360 ff., 423 ff., 432 ff.
Dienstleistung 18, 20, 43, 62, 80, 89, 121, 131, 134 f., 140 f., 162, 175, 194 f., 215, 232, 273, 285, 287, 326, 350, 360 ff., 387, 456
Befugnisse, hoheitsrechtliche 42 f., 73, 116 ff., 132 f., 149, 155, 174, 364, 366 ff., 373 ff., 427, 434, 439, 441, 455, 463
Effektivität 18, 186, 196, 296, 307 ff., 322, 325 ff., 334 ff., 341 ff., 374, 392, 405 ff., 430
Beleihung 117 ff., 133, 158, 168 ff., 355, 360, 372 ff., 421 ff., 426 ff., 436 ff., 445, 449 ff., 465
Eigeninteresse 248, 258 ff., 413
Betriebsbeauftragte 160 ff.
Effizienz 18, 185, 196, 296, 334, 338 Eigenüberwachung 160
Bürgerethos 57
Eisenbahn 86, 114, 134 ff., 137 ff., 140, 382, 437
Bürokratisierung 16, 104 f.
Entkriminalisierung 92,93,211
Bundesfernstraßen 149 ff.
Entzauberung des Staates 15, 241
Bundesgrenzschutz 119, 423, 437 f.
Ethik 235, 239, 260, 282, 294
Sachwortverzeichnis
Gemeinwesen 16, 20, 45 f., 58, 236 282, 292 f., 301, 323, 331, 396
Ethos 57,284,331,413 Europa 276 Europäische Union 70, 250 Existenzminimum 62, 229, 280, 304, 323, 325, 328, 335 ff., 371 externe Effekte 205, 223, 234 Finanzierung 66, 80, 89, 96, 102 f., 152 ff., 181, 187, 227 f., 252, 257 ff., 270, 288, 310, 322 ff., 330, 341, 352, 383 ff., 418 Finanzierungsprivatisierung 384 ff. Fluggastkontrolle 465
157, 182,
422 ff., 442, 449,
Flugsicherung 111 f., 375 formelle Privatisierung 344, 392, 419
507
110 ff., 343,
Gemeinwohl 28, 56 ff., 76, 196, 242 299, 318 Gerechtigkeit 62, 105, 201, 236, 280 313,411 ff. Gesellschaft 28 ff., 56 ff., 94 ff. 108 ff., 227 ff., 233 ff., 252 ff. 254 ff., 313 ff. Gesetzesflut 104 Gesetzgebungskompetenz 96 f., 380
63,
Gewährleistungsverantwortung 298
66 f. 224
Gewaltmonopol, staatliches 38 ff., 99 115, 127, 270, 307, 322, 343, 367 411,422, 465 Globalisierung 440
13, 78, 250 f., 404 f.
Forschung 95, 181, 248, 253, 282, 288, 316, 330 f., 385, 388, 390
Grenzen der Privatisierung 28, 59 85 f., 89 ff., 147, 341, 419, 461
Freiheit 40, 45, 53, 55, 57,70, 73, 106, 108, 200, 211, 221 f., 225, 229, 231 f., 244 ff., 278, 300, 398, 423, 432, 436, 444, 453 f.
Grundrechte 44 ff., 69 ff., 228 ff., 237 274, 312, 361, 456, 459
Freiheitsausübung 36, 108, 125, 184, 231, 244 ff., 301, 312, 314 f., 377 Freiheitsvorsorge 98 Frieden 29, 38 f., 53 f., 73, 114, 210 f., 220, 253, 260, 305, 338, 380, 397 ff., 464 funktionale Privatisierung 169, 417 Funktionsvorbehalt 74, 120, 121, 133, 365 ff., 422, 427 Gefahrenabwehr 39, 54, 98, 117, 130, 166, 171, 217, 278 geistige Güter 281 ff., 326, 330 ff.
Grundverantwortung 82 ff., 191, 301 430 Grundversorgung 143 f., 147, 306 325 f., 332, 344, 402, 415, 421 Grundwert 52, 235 ff., 284, 305 Gut, öffentliches 203 ff., 221 ff., 272 ff., 335 ff.
190 ff., 228 ff.,
196 ff. 254 ff.
Gütermangel 302 ff. Handlungsmacht 101, 240, 250, 261 ff. Haushalt, staatlicher 16, 18, 26, 92, 150 ff., 179, 237, 253, 374, 383 ff., 389 ff.
Gemeinschaftsaufgaben 42, 69, 380
Herrschaft 22, 101, 250, 289 f., 316, 346
Gemeinsinn 100, 245, 261, 284, 331
Hierarchie 42, 50, 55, 338
508
Sachwortverzeichnis
Hilfspolizei 115 ff., 356, 437, 441 f.
Kompetenz-Kompetenz 47, 291
Hochschule 181, 236, 310, 378, 380 f., 391
konkurrierende Staatsaufgabe 125, 418
Hoheitsbefugnisse (s. Befugnisse, hoheitsrechtliche)
Kooperation 94, 101, 181, 209, 224, 264 ff., 308, 408, 413, 464
Hoheitsrechte (s. Befugnisse, hoheitsrechtliche)
Kulturzweck 95
Identität, staatliche 331, 374, 461 ff.
Konzession 151 ff., 154 f., 386
Leasing 154, 378, 380 ff.
Indienstnahme 126 ff., 133, 148, 157, 161, 168, 177, 245, 361 f., 408
Lebensgrundlagen, natürliche 43 f., 84, 95, 98, 160, 197 f., 208, 216, 246, 304, 320, 327
Infrastruktur 40, 134 ff., 143 ff., 152 ff., 193, 272 f., 285 ff., 334 ff., 401, 407
Legitimation durch Staatsaufgaben 21 ff.
innere Sicherheit 29, 44, 86, 114, 125 ff., 133 ff., 208 ff., 250, 255 ff., 278, 304, 333, 395 ff.
Leistungsverwaltung 368, 422
Internationalisierung 238, 249 ff., 289, 405 Internet 95, 250 Interventionspunkt 97, 168, 172, 278 Jedermannsrechte 39, 125, 129 f., 133, 434, 438 ff., 452 ff. JURIS-GmbH 359 Justiz 40, 69, 93, 122, 166, 182, 278, 291, 321, 354 ff. Justizvollzugsanstalt 432
120, 122, 378,
Leistungsstaat 13, 134, 173, 326, 369 Luftsicherheit 112,422 Luftverkehr 68, 112, 119, 375, 422 ff. Mangel 93, 238 ff., 273, 302 ff. Markt 28, 108 f., 410 ff., 413 ff.
152 ff.,
254 ff.,
Marktveranstalter 217, 238, 278 Marktversagen 144 f., 254, 255 Massenmedien 201, 203, 332 materielle Privatisierung 59 ff., 74, 107, 111, 163, 166, 344, 416, 418 f. Maut 155,207 Medizinprodukt 171
Kernaufgaben, staatliche 24, 26, 33, 82 f., 177, 188, 323, 366, 369, 371, 420 Kernpersonal, staatliches 420 ff., 461 ff.
360, 364,
Menschenrechte 274 f., 305
41, 45, 229, 235,
Menschenwürde 55, 79, 236, 275 f., 304 Militär (s. Bundeswehr)
Kindergarten 92, 188, 217, 223, 259, 389, 412
Minimalstaat 25, 75, 191, 241, 256, 313, 324
Kirche 186 ff., 328, 389
Mitmenschlichkeit 100, 261
Kompetenzen petenzen)
Modalität staatlicher lung 88 f., 340 ff.
(s. Gesetzgebungskom-
Aufgabenerfül-
rzeichnis Modernisierung 13
Postwesen 361
Multimedia 95, 332
509 62, 134 ff., 140 ff., 176,
Präferenz 195, 227, 236, 260, 267 ff., 306, 310, 403 Nachhaltigkeit 58, 310, 405, 406
Prävention 98, 131, 397
Nachweltschutz 53, 294
Präventionsstaat 98
Natur der Sache 34, 76, 249, 272, 307 Nebenbetriebe (BAB) 149 ff.
Preis 28, 194 f., 208, 212, 225 ff., 255, 310, 312, 336, 310, 403
Netzverantwortung 302, 318
Privatautonomie 108, 221, 222, 228
Nichtausschließbarkeit v. Konsum 204, 206, 395
Privatgut 204 ff., 221 ff., 287
Nichtrivalität 204, 206 f.
Privatisierungsgrad 172 ff.
Normenhunger 93
Privatisierungsgrenzen rungsschranken)
Normsetzung, private 224 Nothilfe 39, 129 ff., 434 ff., 453 ff.
Privatisierungsbegeisterung 17 ff. (s. Privatisie-
Privatisierungsreserven 23, 445 ff.
Notwehr 39, 129 ff., 434 ff.
Privatisierungsschranke 59 ff., 61 ff., 69 ff., 343 ff., 392 f., 416 ff., 421 ff., 445 ff.
notwendige Staatsaufgabe 46 ff., 74 ff., 82 ff.
Privatisierungsstrategie 114 ff., 134 ff., 148 ff., 157 ff., 169 ff.
Notstand 72,434,447
Ordnungsgut 277 ff., 286, 339, 280 öffentliche Aufgabe 56 ff., 156
Produktionsbedingung 209, 237 f., 249, 251, 289, 315, 318, 331, 341, 362, 395 ff. Produktsicherheit 86, 169 ff.
öffentlicher Personennahverkehr 437 ff. öffentliches Gut 203 ff., 208 ff., 237 ff., 272 ff.
192 ff., 221 ff.,
196 ff., 228 ff.,
Rechtsstaat, Rechtsstaatsprinzip 63 ff., 70, 101, 105, 228, 310, 342, 345 ff., 411 ff., 446, 455
öffentlich-rechtliches Dienstverhältnis 115 ff., 353, 356, 442
Rechtswirklichkeit 422 ff.
Organisationsprivatisierung 90, 110 ff., 124, 133, 137 f., 148 ff., 153 ff., 175, 185, 187, 372, 374, 376, 407
Regulierung 14, 106, 146, 176, 182, 212 ff., 230 ff., 249 ff., 311 ff., 335 ff., 410 ff.
Outsourcing 157, 174, 187, 350
Richter 69, 355 ff.
28, 83, 86, 336,
Risikogesellschaft 13 Personalprivatisierung 420 ff.
Risikoprivatisierung 165
Pflichtenprivatisierung 161 ff., 185
Risikovorsorge 53, 84, 97
Pflicht-Werkschutz 454 ff. Planungseuphorie 19
Sachmittel 37, 38, 80, 182, 326, 377 ff.
510
Sachwortverzeichnis
schlanker Staat 17 f., 26, 92, 106
Staatswirklichkeit 37, 85 ff., 90 ff., 193, 276, 340, 360, 365, 399, 407, 416, 421
Schutzgut 392, 398 ff. Schutzhandlung 397, 398 ff.
Staatsziel 44, 61 ff., 286
Schutzimpfung 292, 207 Schutzpflicht, staatliche 304, 399,411
70 ff., 229,
Schwarzfahrer (s. Trittbrettfahrer) Selbsterhaltung, staatliche 277 f.
34,
194,
Selbstregulierung, gesellschaftliche 28, 100, 107, 233 ff., 347 Selbststeuerung, gesellschaftliche (s. Selbstregulierung, gesellschaftliche) Sicherheit (s. innere Sicherheit) Sicherheitsdienste, private 116, 120, 131 f., 195, 223, 255, 260, 410, 422 ff., 432, 436 ff., 457 ff., 466
Staatszweck 42, 44, 47, 50 ff., 85 Statusgut 272, 274 ff., 322, 337 Steuerstaat 102 f., 147, 252 ff., 288, 331, 390, 460 Steuerungsmacht, staatliche 238 ff.
16, 226,
Strafrecht 40, 130, 219, 250, 276, 279, 283, 399, 435, 439 Straßenverkehr 443 ff. Streitkräfte (s. Bundeswehr) Streitschlichtung 40, 358 ff. Subsidiarität 20, 308, 309, 316 f. Systemtheorie 15, 49
Sicherheitsgefühl 401 ff., 407 Sicherheitswacht 116, 441 f., 465 Sonderabgaben 103, 219, 390
Telekommunikation 62, 134 ff., 140 ff., 162, 176, 185, 224, 326, 361
Sozialgut 272, 280 ff., 327 ff., 337, 371,412
Trittbrettfahrer 268, 315, 413, 415, 459
Sozialstaat, Sozialstaatsprinzip 13, 18, 48, 62, 95, 134, 143, 184, 280
Umwelt 52, 157 ff., 160 ff., 170 ff., 199, 278
Sponsoring 108, 387
Umweltgutachter 170 f.
Staatsaufgaben 13 ff., 20 ff., 23 ff., 31 ff., 40 ff., 56 ff., 79 ff., 82 ff., 86 ff., 190 ff.
Umweltrecht 95, 157, 160, 302, 320
Staatsaufsicht 133, 430 ff. Staatsausgaben 94, 102 f., 179 Staatslehre 20, 21, 23, 28, 33, 52, 75 ff., 78, 196, 276, Staatsmonopol 138 ff., 329 Staatsrecht 49, 196 ff., 297 Staatsrechtslehre (s. Staatslehre)
Umweltschäden 98, 246, 262 Umweltschutz 53, 57, 160 ff., 171, 217 Ungüter 238, 243 ff., 315 Unregierbarkeit 15 Untermaßverbot 347 ff. unverzichtbare Staatsaufgaben 190 ff., 419 f., 459
69,
Staatsversagen 237, 246
Verantwortung, staatliche 14, 82 ff., 96, 190 f., 227, 271 f., 289 ff., 297 ff., 300 ff., 321 ff., 335 ff.
Staatsvolk 274 ff.
Verfahrensprivatisierung 164 ff., 177
Staatsstrukturbestimmung 61 ff.
Sachwortverzeichnis Verfassungsaufgabe 59 ff., 61 ff., 74 ff., 147, 190, 340, 353, 399, 417 Verhältnismäßigkeit 118, 132, 227, 233, 349, 393, 434 ff., 439, 453 Verkehr 148 ff., 437 ff., 443 ff. Verrechtlichung 94, 103 ff., 179, 265, 320, 410
511
Wert, Werte (s. Grundwert) Wettbewerb 16, 138, 140 f., 147, 171, 202, 251 f., 278, 288, 312, 316, 329 ff., 363 Wirtschaftsförderung 95, 193 Wirtschaftskraft 217,254
Verwaltungsaufgabe 87, 90 ff., 213, 345, 360 ff., 384, 416, 461 f.
Wirtschaftsstrukturgut 313, 336 f., 371
Verwaltungshilfe 426 ff., 436 ff.
Wissen 37, 80, 181, 238 ff., 249, 286, 317, 349 ff.
121 ff.,
158 ff.,
Verwaltungsinstrumentarium 393, 400
344 ff.,
272,
286 ff.,
Wissensdefizit 240
Vorsorge 14, 49, 95, 98, 219, 278, 302, 313, 322, 338, 458
Wohlfahrt 53, 94 f., 99, 105, 299, 313, 328
Wachstum 14, 82 ff., 96, 190 f., 227, 271 f., 289 ff., 297 ff., 300 ff., 321 ff., 335 ff.
Zugangsregulierung, staatliche 212 ff., 217 ff., 230 ff., 311 ff., 410 ff.
Warnung, staatliche 100, 293 Werkschutz (s. Pflicht-Werkschutz)
Zwang, staatlicher 101, 119, 131, 218, 240, 264, 269, 283, 309, 315, 347, 371, 401, 410, 422, 435 ff.