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German Pages 385 [386] Year 2008
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Band 88
Privatisierung im Völkerrecht Zur Verantwortlichkeit der Staaten bei der Privatisierung von Staatsaufgaben
Von Alexander Oliver Kees
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
ALEXANDER OLIVER KEES
Privatisierung im Völkerrecht
Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht Herausgegeben von Thomas Oppermann in Gemeinschaft mit Heinz-Dieter Assmann, Kristian Kühl H a n s v. M a n g o l d t , We r n h a r d M ö s c h e l Martin Nettesheim, Dennis Solomon Wo l f g a n g G r a f Vi t z t h u m , J o a c h i m Vog e l sämtlich in Tübingen
Band 88
Privatisierung im Völkerrecht Zur Verantwortlichkeit der Staaten bei der Privatisierung von Staatsaufgaben
Von Alexander Oliver Kees
asdfghjk Duncker & Humblot · Berlin
Die Juristische Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen hat diese Arbeit im Wintersemester 2006 / 2007 als Dissertation angenommen.
Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.
D 21 Alle Rechte vorbehalten # 2008 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7654 ISBN 978-3-428-12552-4 Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier ∞ entsprechend ISO 9706 *
Internet: http://www.duncker-humblot.de
Vorwort Eine Untersuchung der Grenzen und Konsequenzen der Privatisierung von Staatsaufgaben im Völkerrecht steht vor der Herausforderung, allgemeine Aussagen in Bezug auf zwei Sachgebiete zu finden, die nicht nur eine Schnittmenge aus nationalem und internationalem Recht, aus wirtschaftlichen Aspekten und Politik darstellen, sondern die zudem ständigem rechtlichem und tatsächlichem Wandel unterliegen. Es gilt einen Ausgleich zwischen erforderlicher Aktualität und der Verlässlichkeit zu finden, die eine wissenschaftliche Arbeit bieten soll und auf die sie zugleich angewiesen ist. Die dafür notwendigen Rahmenbedingungen ermöglichte mir die vielfältige Unterstützung, die ich während der Arbeit an der vorliegenden Untersuchung, die von der Juristischen Fakultät der Eberhard-Karls-Universität Tübingen im Wintersemester 2006 / 2007 als Dissertation angenommen wurde, erfahren habe. Mein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater, Professor Dr. Dr. h. c. Wolfgang Graf Vitzthum, LL.M. (Columbia). Er ließ mir bei der Bearbeitung des Themas alle Freiheiten und stand mir mit konstruktiven Gesprächen und wertvollen Hinweisen zur Seite. Die vertrauensvolle Aufnahme an seinen Tübinger Lehrstuhl, an dem ich weiter tätig bin, hat wesentlich zum Gelingen der Arbeit beigetragen. Gleiches gilt für den fachlichen Austausch und die freundschaftliche Verbundenheit mit meinen Tübinger Kollegen. Ebenso danke ich Professor Dr. Martin Nettesheim für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens sowie Professor Dr. Dres. h. c. Thomas Oppermann für die ehrenvolle Aufnahme der Arbeit in die „Tübinger Schriften zum internationalen und europäischen Recht“. Mein Dank gilt schließlich meinen Freunden, die mich nicht nur in Tübingen, sondern auch von Freiburg, Karlsruhe, München, Berlin und Aix-en-Provence aus auf vielfältige Weise unterstützt haben, allen voran Markus Volz und Philipp Schmieder, die mit großer Sorgfalt und weiterführender Kritik Korrektur gelesen haben. Die Veröffentlichung der Arbeit wurde durch das Auswärtige Amt finanziell gefördert, wofür ich ebenfalls danke. Ich widme dieses Buch meiner Familie und meiner Freundin Claudia Witte. Ohne ihre vorbehaltlose Unterstützung, ihren Zuspruch und ihr Vertrauen hätte es nicht entstehen können. Tübingen, im August 2007
Alexander Kees
Inhaltsübersicht Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Erster Teil Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
35
Kapitel 1: Privatisierte Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35
Kapitel 2: Staatenverantwortlichkeit als völkerrechtlicher Rahmen des Privatisierungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
70
Zweiter Teil Staatenverantwortlichkeit für privatisierte Staatsaufgaben
132
Kapitel 1: Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 Kapitel 2: Humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173
Dritter Teil Völkerrechtliche Grenzen der Privatisierung von Staatsaufgaben
244
Kapitel 1: Staatsvorbehalte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 244 Kapitel 2: Sorgfaltspflichten als Privatisierungsgrenze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Verzeichnis der Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Verzeichnis der Rechtsprechung und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Verzeichnis der Dokumente und Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Inhaltsverzeichnis Einführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
17
Problemstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
22
Begriffsbestimmungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
25
Privatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
26
Staatsaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
30
Staatliches, nichtstaatliches und privates Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
32
Gang der Untersuchung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
33
Erster Teil Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
35
Kapitel 1 Privatisierte Staatsaufgaben I. Justizverwaltung und innere Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
35 35
1. Großbritannien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
36
2. Vereinigte Staaten von Amerika . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
40
3. Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
44
4. Weitere Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
48
II. Bewaffneter Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
51
1. Die neuen Privaten im bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
52
2. Militärdienstleistungen als ökonomischer Faktor . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
54
3. Einsatzfelder privater Unternehmen im bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
63
Kapitel 2 Staatenverantwortlichkeit als völkerrechtlicher Rahmen des Privatisierungsprozesses
70
I. Verantwortlichkeit für nichtstaatliches Handeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
71
1. Organhandeln (Art. 4 ILC-Entwurf 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
75
2. De facto staatliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ausübung von Hoheitsgewalt (Art. 5 ILC-Entwurf 2001) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Staatliche Beauftragung und Kontrolle (Art. 8 ILC-Entwurf 2001) . . . . . . . . . . .
78 78 89
3. Handeln ultra vires . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111
10
Inhaltsverzeichnis
II. Verantwortlichkeit als Grenze staatlicher Organisationshoheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 1. Völkerrechtliche Mindeststandards . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 2. Sorgfaltspflichten als Grenzen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 1. Zu Herkunft und Anwendungsbereich der Zurechnungskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . 121 2. Akteurbezogener Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 3. Tautologie? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 Zweiter Teil Staatenverantwortlichkeit für privatisierte Staatsaufgaben
132
Kapitel 1 Menschenrechte
132
I. Menschenrechte als Determinanten des Privatisierungsprozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 1. Der Beitrag (quasi-)justizförmiger Menschenrechtsorgane . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Menschenrechtspraxis im Justiz- und Schulwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 a) Justizwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 b) Schulwesen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 II. Zurechnungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 1. Menschenrechtsspezifische Verantwortlichkeitstatbestände? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 a) Zur Drittwirkung der Menschenrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 b) Abwehrrechte und Schutzpflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. Willkürliche Abgrenzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 a) Primärnormunabhängige Zurechnung privatisierten Staatshandelns? . . . . . . . . . 155 b) Privatisierte Staatsaufgaben als privates Handeln? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Aktionsbezogene Zurechnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 1. Völkerrechtlich notwendig staatliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 162 2. Primärnormabhängige Qualifikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 Kapitel 2 Humanitäres Völkerrecht
173
I. Der Status von Einzelpersonen im bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 1. Kombattantenstatus und völkerrechtlicher Streitkräftebegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 2. Söldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 3. Zivilpersonen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 4. Unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194
Inhaltsverzeichnis
11
II. Status und Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 1. Statusabhängige Verantwortlichkeit für private Militärdienstleistungen? . . . . . . . . 199 a) Private Unternehmen als staatliche Streitkräfte? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 199 b) Staatenpraxis: Unternehmen als den Streitkräften folgende Zivilisten . . . . . . . . 205 2. Angehörige privater Unternehmen als Zivilpersonen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 3. Zurechnungsprobleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Statusunabhängige Verantwortlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 1. Notwendig staatliches Verhalten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222 a) Besatzungsrechtliche Funktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Die Beispiele Afghanistan und Irak . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 2. Exkurs: Immunität zugunsten nichtstaatlicher Akteure? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242
Dritter Teil Völkerrechtliche Grenzen der Privatisierung von Staatsaufgaben
244
Kapitel 1 Staatsvorbehalte?
244
I. Staatsaufgaben und Privatisierung – Zur Privatisierungsdiskussion in den Vereinten Nationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 1. Zwischen entwicklungspolitischer Chance und legitimatorischem Risiko . . . . . . . . 245 2. Rückgriff auf nichtstaatliche Akteure im Rahmen der Vereinten Nationen . . . . . . . 251 II. Grundsätzliche Privatisierungsverbote? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 255 1. Legitimität im Völkerrecht und innere Angelegenheiten der Staaten . . . . . . . . . . . . 256 2. Unveräußerlichkeit staatlicher Kernaufgaben? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Menschenrechte des Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Souveränität der Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
263 264 267 269
III. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274 Kapitel 2 Sorgfaltspflichten als Privatisierungsgrenze
276
I. Menschenrechtsverträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 1. Kontrollpflichten aus bürgerlichen und politischen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 2. Überwachungs- und Einstandspflichten aus wirtschaftlichen und sozialen Rechten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 II. Gefangenenbetreuung und Polizeiaufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 291
12
Inhaltsverzeichnis
III. Humanitäres Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 296 1. Humanitärvölkerrechtliche Determinanten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Statusregeln mit Disziplinierungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verantwortlichkeitsregeln mit Kontrollfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Sorgfalts- und Durchführungspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
296 297 300 302
2. Privatisierung als Völkerrechtsverstoß? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 a) Unmittelbare Teilnahme an Feindseligkeiten durch nichtstaatliche Akteure . . . 303 b) Durchsetzungspflichten bei Besatzungslagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 314 IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 327 Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 Verzeichnis der Rechtsakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 Verzeichnis der Rechtsprechung und Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 Verzeichnis der Dokumente und Erklärungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 Zeitungen und Zeitschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 375 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377
Abkürzungsverzeichnis Abs. Abschn. AJIL AMRK ANC Anm. AöR Art. ASDI ASIL AU AVR Bd. BDGVR BGBl. BGH BT-Drs. BVerfG BYIL bzw. CAT CDDH
CESCR CHR CIA CPA CPT CRC ders. d. h. dies. DRC
Absatz Abschnitt American Journal of International Law Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. 11. 1969 African National Congress Anmerkung Archiv des öffentlichen Rechts Artikel Annuaire suisse de droit international (Schweizerisches Jahrbuch für internationales Recht) American Society of International Law African Union Archiv des Völkerrechts Band Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht British Yearbook of International Law beziehungsweise Committee against Torture Diplomatic Conference on the Reaffirmation and Development of International Humanitarian Law Applicable in Armed Conflicts, Genf 1974 – 1977 Committee on Economic, Social and Cultural Rights Commission on Human Rights Central Intelligence Agency Coalition Provisional Authority European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment Committee on the Rights of the Child derselbe das heißt dieselbe(n) Democratic Republic of the Congo
14 ebd. ECOSOC ECOWAS
Abkürzungsverzeichnis
ebenda Economic and Social Council (Wirtschafts- und Sozialrat) Economic Community of West African States (Westafrikanische Wirtschaftsgemeinschaft) EGV Vertrag zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft EJIL European Journal of International Law EMRK Europäische Menschenrechtskonvention vom 04. 11. 1950 EPIL Encyclopedia of Public International Law EuGMR Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte EUV Vertrag über die Europäische Union evtl. eventuell F.A.S. Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung F.A.Z. Frankfurter Allgemeine Zeitung Fn. Fußnote GAOR (United Nations) General Assembly Official Records GASP Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik GG Grundgesetz ggf. gegebenenfalls GK I (Erste) Genfer Konvention vom 12. 08. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde GK II (Zweite) Genfer Konvention vom 12. 08. 1949 zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See GK III (Dritte) Genfer Konvention vom 12. 08. 1949 über die Behandlung der Kriegsgefangenen GK IV (Vierte) Genfer Konvention vom 12. 08. 1949 über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten GYIL German Yearbook of International Law HRC Human Rights Committee HRLJ Human Rights Law Journal Hrsg. Herausgeber I / A Court H.R. Inter-American Court of Human Rights ICCPR International Covenant on Civil and Political Rights vom 19. 12. 1966 ICESCR International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights vom 19. 12. 1966 ICJ International Court of Justice ICJ Rep. International Court of Justice, Reports of Judgments, Advisory Opinions and Orders ICLQ International and Comparative Law Quarterly ICTR International Criminal Tribunal for Rwanda ICTY International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia IGH Internationaler Gerichtshof IHL International Humanitarian Law
Abkürzungsverzeichnis IKRK ILC ILM ILR insb. IPRax ISGH I-USCT I-USCTR JZ KSZE LKO m. w. N. NATO NGO(s) NJW NZWehrr OAS OAU OSZE para(s). PCIJ PMC Prot. I PSC RdC Rep. RGBl. RGDIP RIAA RJD Rn. SCOR Sec. sog. StGB StPO SZ TRNC u. a. UK
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Internationales Komitee vom Roten Kreuz International Law Commission International Legal Materials International Law Reports insbesondere Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts Internationaler Seegerichtshof Iran-United States Claim Tribunal Iran-United States Claim Tribunal reports Juristenzeitung Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Ordnung der Gesetze und Gebräuche des Landkrieges vom 18. 10. 1907 (Haager Landkriegsordnung) mit weiteren Nachweisen North Atlantic Treaty Organisation Non-Governmental Organization(s) Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Wehrrecht Organisation of American States Organisation of African Unity Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa Paragraph(en) Permanent Court of International Justice Private Military Contractor / Company Erstes Zusatzprotokoll zur EMRK vom 20. 03. 1952 Private Security Contractor / Company Recueil des Cours (Académie de Droit International) Reports Reichsgesetzblatt Revue Générale de Droit International Public Reports of International Arbitral Awards Reports of Judgments and Decisions Randnummer Security Council Official Records Section(s) sogenannt(e / r / en / es) Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Süddeutsche Zeitung Turkish Republic of Northern Cyprus unter anderem / und andere United Kingdom
16 UN UN Doc. UNTS USA UZwGBw
v. vgl. VN Vol. WVRK YBILC ZaöRV z. B. Ziff. ZÖR ZP I
Abkürzungsverzeichnis United Nations United Nations Document United Nations Treaty Series United States of America Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie ziviler Wachpersonen vom / versus vergleiche Vereinte Nationen Volume(s) Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. 05. 1969 Yearbook of the International Law Commission Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht zum Beispiel Ziffer(n) Zeitschrift für Öffentliches Recht Erstes Zusatzprotokoll vom 08. 06. 1977 zu den Genfer Abkommen über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte
Einführung Der Rückzug der Staaten aus der Erfüllung ihrer Aufgaben gewinnt weltweit an Bedeutung. Obschon das Schlagwort „Privatisierung“ zunächst rein innerstaatliche Organisationsprozesse beschreibt, beschränkt sich der Rückgriff auf nichtstaatliche Akteure mittlerweile ebensowenig auf Landesgrenzen wie die Auswirkungen dieser Aufgabenübertragungen. Privatisierung betrifft zunehmend originäre Staatsfunktionen, deren Wahrnehmung Gegenstand völkerrechtlicher Verpflichtungen der Staaten ist. Die Umwälzung von Aufgaben in den nichtstaatlichen Sektor hat die früher meist stillschweigend vorausgesetzte Beschränkung auf nichthoheitliche Randbereiche staatlichen Handelns verlassen. In dem Maße, in dem Privatisierungen auch klassische staatliche, ja existenzielle Kernfunktionen erreichen, beginnen diese Prozesse, über den immer enger werdenden Rahmen „innerer Angelegenheiten“ hinaus die völkerrechtlichen Beziehungen der Staaten zu berühren. Die Privatisierung von Staatsaufgaben wird zum völkerrechtlich erheblichen Vorgang. Dabei ist das Völkerrecht noch immer primär staatsbezogen. Es ist von der Vorstellung geprägt, dass beinahe ausschließlich staatliches Verhalten die internationalen Beziehungen der Staaten prägt. Privates Verhalten ist allenfalls deren Objekt. Noch vor wenigen Jahrzehnten konnte davon ausgegangen werden, dass die staatliche Sphäre einerseits und die private Sphäre andererseits im Grundsatz klar unterschieden werden können. Funktionen, die gleichsam axiomatisch den Staaten zugewiesen wurden, waren etwa die Durchführung bewaffneter Konflikte, die Anwendung von Gewalt zur Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit, die Einrichtung einer Justizverwaltung mit der Kernkompetenz des Gefängniswesens usw. Auf eben dieser Unterscheidbarkeit beruht auch das Recht der Staatenverantwortlichkeit, das einer Sollensnorm erst den Gehalt einer Rechtsnorm verleiht: „[A]ll the customary rules touching international state responsibility are, in fact, based upon a particular division of the spheres of state and individual. These rules presuppose that the state has traditionally certain functions, broadly speaking the conduct of foreign policy, the control of the armed forces, and certain functions of executive government. The state was a guardian standing by for the protection of its citizens. Apart from the duties corresponding to these state functions, the citizens were free to do and move as they liked. In particular, trade and industry was their concern and responsibility.“1
1 Friedmann, The growth of state control over the individual, and its effect upon the rules of international state responsibility, BYIL 19 (1938), 118 (119).
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Dagegen bedingt heute neben anderen Faktoren auch die Privatisierung von Staatsaufgaben, dass sich Staatsfunktionen mit den prima facie nichtstaatlichen Bereichen Handel und Wirtschaft vermischen. Die Exklusivität zwischen staatlicher Schützerrolle und privatem Wirtschaften besteht in dieser Schärfe nicht mehr. Der voranschreitende und in höchst unterschiedlichen Konstellationen zu beobachtende Rückzug des Staates – nicht nur der ökonomisch-planmäßige Verzicht, sondern auch eine ungewollt-chaotische Kapitulation vor unkontrollierbaren Kräften – wird heute sogar als Zeichen vom Ende des klassischen Nationalstaates gewertet, das „das neue Mittelalter“ einleite:2 „What was historically the core concept of the Leviathan-like States has now been privatized.“3 Diese Entwicklung ist nur ein Teil eines ganzen Problemkomplexes, den die Wahrnehmung traditioneller Staatsaufgaben durch Akteure neben den Staaten oder an ihrer statt mit sich bringt. Die damit verbundenen Fragestellungen kreisen im Kern um die sich ändernde Rolle des Staates im internationalen Verkehr, um unsere sich wandelnde Wahrnehmung seines Wesens und seiner Funktionen. Die Einschätzung, wie Staaten handeln, wo sie regulierend eingreifen dürfen, welche Garantien sie gewährleisten oder welche Aufgaben von ihnen wahrgenommen werden müssen, unterliegt mehr denn je grundlegenden Veränderungen. Dies gilt etwa für die Übertragung einzelner Funktionen auf Internationale Organisationen bis hin zur Überlassung ganzer Attribute der Souveränität auf supranationale Organisationen; für die damit einhergehende, auch als Zeichen der Globalisierung zu wertende internationale Verflechtung der Staaten und ihrer Wirkungsweisen;4 für die Rolle internationaler Nichtregierungsorganisationen bei der Normsetzung im Umweltvölkerrecht und anderen Bereichen;5 ganz allgemein für eine angeblich im Ent2 Rapley, The New Middle Ages, Foreign Affairs 58 / 3 (Mai / Juni 2006), 95 ff.; ähnlich Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden (2005), 19 f. („Erosion des Nationalstaates“); Minow, Outsourcing Power: How Privatizing Military Powers Efforts Challenges Accountability, Professionalism, and Democracy, Boston College Law Review 46 (2005), 898 (1026). Auch van Creveld, Die Zukunft des Krieges, 2. Auflage (2001), 285 ff., prognostiziert das Ende der Nationalstaaten zugunsten von Integrationsverbünden in einem Teil der Welt und aufgrund staatlich nicht mehr kontrollierbarer gesellschaftlicher Kräfte in anderen Teilen. 3 Rosemann, The Privatization of Human Rights Violations – Business’ Impunity or Corporate Responsibility? The Case of Human Rights Abuses and Torture in Iraq, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 77 (82). 4 Siehe etwa Graf Vitzthum, Der Staat der Staatengemeinschaft (2006). Ähnlich Aman, Globalization as Denationalization: Pluralism, Democracy Deficits in the U. S. and the Need to Extend the Province of Administrative Law, in: Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht, Liber amicorum Jost Delbrück (2005), 13 (23): „Globalization is a form of denationalization, but it is also a form of legal pluralism involving a wide range of delegations and combinations of state and non state actors.“ 5 Siehe dazu etwa im von Wolfrum und Röben herausgegebenen Werk Developments of International Law in Treaty Making (2005) die Beiträge von Nanda, The Role of International Organizations in Non-Contractual Lawmaking (157 ff.), von de Wet (183 ff.), Wood (227 ff.) und Nolte (237 ff.) zu Legislativfunktionen des Sicherheitsrates der Vereinten Nationen sowie
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stehen begriffene weltweite „Zivilgesellschaft“, die die Nationalstaaten als exklusive Akteure auf der über- und zwischenstaatlichen Ebene ablöse.6 Dieser Befund gilt schließlich auch für „asymmetrische“ Bedrohungen der internationalen Sicherheit durch nichtstaatliche Akteure, insbesondere den internationalen Terrorismus, und die möglichen Antworten der Staatengemeinschaft. Das Völkerrecht entfernt sich damit zunehmend von der geordneten Staatszentrik streng intergouvernementaler Beziehungen: „Die Kaskade inter- und transnationaler Kontakte, auch mit Internationalen Organisationen, seitens Gliedstaaten und Kommunen, Fachressorts und Parlamenten, seitens Konzernen, politischer Parteien, Medien, Verbänden, Nichtregierungsorganisationen (als vielfach an der Peripherie der Vereinten Nationen angesiedelte transnationale Bürgerverbände mit umstrittener demokratischer Legitimation), seitens Forschungsinstituten und – nicht zuletzt – seitens der Bürger dezentralisiert, diffundiert und dynamisiert die Außenpolitik. Selbst im besonders souveränitätssensiblen Sicherheitsbereich tummeln sich vermehrt kommerzielle Schützenhelfer: militärisches Outsourcing.“7
Im Gegensatz zu einigen dieser Aspekte, die zum Teil schon umfangreich bearbeitet wurden, sind die Auswirkungen bisher weitgehend unbeachtet geblieben, die der voranschreitende, globalisierungsbedingte Verzicht der Staaten auf die Erfüllung ihrer Aufgaben zugunsten des privaten Sektors für die völkerrechtlichen Beziehungen hat. Die landesrechtliche Übertragung von Kernfunktionen auf nichtstaatliche Akteure führt in der Völkerrechtswissenschaft bisher ein Schattendasein. Sie wird im Recht der Staatenverantwortlichkeit allenfalls als Fußnote wahrgenommen, wenn im Falle möglicher Völkerrechtsverletzungen die Frage aufgeworfen wird, unter welchen Voraussetzungen noch davon ausgegangen werden kann, dass gerade der Staat gehandelt habe.8 Welche Konsequenzen die Privatisievon Riedel, The Development of International Law: Alternatives to Treaty-Making? International Organizations and Non-State Actors (301 ff.); Alvarez, International Organizations as Law-makers (2006). Zur Öffnung des Völkerrechts für andere Akteure als Staaten siehe auch Hofmann (Hrsg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law (1999). 6 Kritisch Proelß, Die internationale Gemeinschaft im Völkerrecht: Normative Realität, konkrete Utopie oder ,academic research tool‘?, in: Badura (Hrsg.), Mondialisierungen (2006), 233 ff. 7 Graf Vitzthum, Staat der Staatengemeinschaft (Fn. 4), 13. Siehe auch ders., Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 3. Auflage (2004), 1. Abschn., Rn. 20 f. Den thematischen Zusammenhang der hier angesprochenen Entwicklungen betonen auch Bodansky / Crook, Symposium: The ILC’s State Responsibility Articles, Introduction and Overview, AJIL 96 (2002), 773 (782): „The degree to which states should be held responsible for conduct of private actors is an increasingly significant contemporary issue, as nonstate actors such as Al Qaeda, Somali warlords, multinational corporations, and nongovernmental organizations play greater international roles, and as governments privatize some traditional functions and enter into a variety of public-private collaborations with international organizations and private actors.“ 8 Knappe Erwähnung findet das Thema nichtstaatlicher Akteure als Privatisierungsproblem etwa bei Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2. Auflage (2002), 906; Ipsen, Die Staatenverantwortlichkeit, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage (2004), § 40, Rn. 10 f.; Shaw, International Law, 5. Auflage (2003), 702.
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rung staatlicher Aufgaben für den Staatsbegriff im Völkerrecht hat, ist in der Wissenschaft kaum erforscht worden.9 Die in diesem Zusammenhang herrschende „silence du droit“10 endete, als die Rolle privater Dienstleister zur Erfüllung staatlicher – militärischer – Aufgaben während der jüngsten Konflikte in Afghanistan (2001) und im Irak (2003) in das Bewusstsein der Öffentlichkeit drang. Zum weltweiten „Krieg gegen den Terrorismus“ gehörend, der die militärischen Kräfte der Staaten in besonderem Maße bindet und an ihre Grenzen führt, hat sich in diesen Konflikten mehr denn je die Notwendigkeit gezeigt, angesichts angespannter Personalbestände und überreizter Haushaltsmittel auf das potentiell kostensenkende Instrument der Privatisierung zurückzugreifen. Beteiligte (westliche) Staaten setzen dort extensiv auf die Leistungen privater Unternehmen, die nicht nur Sicherheitsaufgaben zugunsten der Besatzungsmächte übernehmen, sondern auch genuin militärische Funktionen neben den Streitkräften ausüben. In diesem Umfang weckt der bis dahin nicht gekannte Einsatz privater Dienstleister Befürchtungen, die darin einen gleichsam anarchischen Rückfall in Zeiten privater Söldnerheere erkennen möchten. In der Tat verbietet nicht nur die bloße Anzahl tausender privater Angestellter, die für kriegführende Staaten im Kampfund Besatzungsgebiet tätig sind, die völkerrechtlichen Implikationen als bloße Randerscheinungen abzutun. Es ist die sich ändernde Qualität der privatisierten Aufgaben, die dazu führt, dass nichtstaatliche Kräfte in die zwischenstaatlichen Beziehungen der Konfliktparteien eindringen. Die mit der zunehmenden Heterogenisierung der am Kriegsgeschehen Beteiligten einhergehende Häufung von Rechtsverletzungen scheint Befürchtungen zu bestätigen, die in der Privatisierung staatlicher Kernaufgaben eine „Geschichte des Kontrollverlusts“ sehen.11 Wie Menschenrechtsverletzungen und Verstöße gegen humanitäre Schutzgarantien zu belegen scheinen, führt outsourcing offenbar zu 9 Dickinson, Public law values in a privatized world, Yale Journal of International Law 31 (2006), 383 (389). Siehe auch dies., Government for hire: privatizing foreign affairs and the problem of accountability under international law, William and Mary Law Review 47 (2005), 135 (138): „Despite [the] rich debate about privatization in the domestic context, far less attention has been paid to the simultaneous privatization of what might be called the foreign affairs functions of government. Yet privatization is as significant in the international realm as it is domestically“; Eppler, Die privatisierte Gewalt und ihre Folgen, in: von Armin u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2002 – Menschenrechte und Staatszerfall (2002), 104 (109). 10 Mit diesem Begriff umschreibt Condorelli, Les Attentats du 11 Septembre et leurs suites: où va le droit international?, RGDIP 105 (2001), 829 (829), die im Vorfeld des Afghanistaneinsatzes weitgehend fehlende rechtliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen, vor denen das Völkerrecht seit dem 11. September 2001 steht. 11 Siehe etwa F.A.S. v. 12. 11. 2006, 27 („Im völkerrechtsfreien Raum“): Die „Privatisierung des Militärs“, die „Privatisierung des Krieges“ sei eine „Geschichte des Kontrollverlusts“. Angesichts „einer globalen Industrie von Militärdienstleistern“ sei das völkerrechtliche Hauptproblem „der ungeklärte rechtliche Status militärischer Firmen“: „das private Geschäft mit dem Krieg hat die grauen Zonen des Rechts nie verlassen“.
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einer Abnahme rechtlicher Bindungen und damit zu einem Leerlaufen völkerrechtlicher Schutzmechanismen. Aufgrund der Privatisierung von „foreign affairs functions of government“12 herrscht das Bild vor, dass diese rasante Entwicklung das Recht überholt habe und sich nun „im völkerrechtsfreien Raum“ bewege.13 „Outsourcing war“14 wird als Schreckgespenst „neoliberaler“ Tendenzen gebrandmarkt, die gerade in den existentiellen, ureigenen Aufgabengebieten des Staates als allbeherrschendem Leviathan zu einer zwingenden Abnahme aller „rechtsstaatlichen“ oder „demokratischen“ Bindungen zu führen scheinen, die Bürger den Staaten abgerungen haben. Diese Vorbehalte stützen sich auf grundsätzliche Inkompatibilitäten „staatlicher“ und „ökonomischer“ Zielsetzungen.15 Die Freiheit, auf die eine wirtschaftliche Betätigung angewiesen ist, und erst recht ihre Antriebskraft (Gewinnmaximierung) vertrügen sich nicht mit öffentlich-rechtlichen Bindungen. Dieses Verständnis greift letztlich jede Form der Aufgabenauslagerung an, die zu einer Öffnung des staatlichen Kernbereichs hoheitlicher Funktionen für den nichtstaatlichen Sektor führt. Dazu gehört nicht nur die Austragung bewaffneter Konflikte, sondern jede Form der staatlich legitimierten Anwendung von Gewalt (Ausübung des Gewaltmonopols) sowie weitere Funktionen, die notwendigerweise den Staaten selbst vorbehalten scheinen. Sollen hier allgemeine Aussagen getroffen werden, kann sich die Untersuchung nicht auf Privatisierungen im militärischen Sektor beschränken. Ist auch gerade dieser Aspekt äußerst relevant, stellt er gleichwohl nur den jüngsten Akzent einer Entwicklung dar, die eine Fülle von Einbrüchen privater Akteure in öffentlichrechtliche Domänen mit sich im Grunde ähnelnden Parametern vereinigt: Privatisierung von Staatsaufgaben. Die Öffnung ehemals staatlicher Monopole ist schon seit einigen Jahren im ähnlich souveränitätssensiblen Bereich der (inner-)staatlichen Zwangsanwendung zu beobachten. Besonders im angelsächsischen Raum haben private contractors die 12 Dickinson, Government for hire (Fn. 9), 138. Siehe auch Eppler (Fn. 9), 107 (es sei „neoliberale Mode geworden, politische Entscheidungen oder gar staatliche Institutionen an den Markt zu delegieren“). 13 Siehe F.A.S. v. 12. 11. 2006 (Fn. 11). 14 Singer, Outsourcing War, Foreign Affairs 84 / 2 (März / April 2005), 119 ff.; Hemingway, Outsourcing of War: The Role of Contractors on the Battlefield, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 19 (2 / 2006), 129 ff.; Brayton, Outsourcing War: Mercenaries and the Privatization of Peacekeeping, Journal of International Affairs 55 (2002), 303 ff.; ähnlich Wulf, Internationalisierung und Privatisierung (Fn. 2), 13; de Wolf, Modern Condottieri in Iraq: Privatizing War from the Perspective of International and Human Rights Law, Indiana Journal of Global Legal Studies 13 (2006), 315 ff. 15 Vgl. Tretter / Hutter, Menschenrechtliche Verantwortung zwischen staatlichen und privaten Akteuren, in: Deutsches Institut für Menschenrechte u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2007 – Privat oder Staat? Menschenrechte verwirklichen! (2006), 17 (21, 24 f.); Wondratschke, Privatisierung von Gefängnissen und Menschenrechte: Chance oder Risiko? ebd., 117 (120 ff.).
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Führung von Gefängnissen und anderen Besserungseinrichtungen übernommen. Sie führen Gefangenentransporte durch, übernehmen Kontrolle, Festnahme und Rückführung illegaler Einwanderer, sie bewachen und verteidigen Botschaften usw. Mit der Ausweitung völkerrechtlicher Verpflichtungen auf „weichere“ Staatsaufgaben müssen auch Privatisierungen in die Betrachtung einbezogen werden, die etwa im Bereich der Schulbildung, des Gesundheitswesens oder der sozialen Sicherung stattfinden. Die Privatisierungsentwicklung ist damit über ein bloßes Ausdünnen eines als schwerfällig erkannten sozialstaatlichen Verwaltungskörpers hinausgegangen. Der Verkauf staatlicher Produktionsunternehmen, die bloße Organisationsprivatisierung staatlicher Rohstofferzeuger usw. sind allenfalls Randaspekte des hier behandelten Problemkreises. Die Erforschung der völkerrechtlichen Grenzen und Konsequenzen von Privatisierungen staatlicher Funktionen mit „internationalen Auswirkungen“ „is still looking like uncharted terrain“.16 Dabei hat der Staat auch als Subjekt völkerrechtlicher Bindungen längst kein „monolithisches Gesicht“ mehr.17 Er handelt bei weitem nicht mehr nur in typisch staatsrechtlichen (organschaftlichen) Formen. Übertragen Staaten ihre Aufgaben damit in die private, grundsätzlich völkerrechtsferne Sphäre? Diese Entwicklung – Privatisierungen mit Völkerrechtsbezug – und die Reaktionen des Völkerrechts bilden den Gegenstand vorliegender Untersuchung.
Problemstellung Den völkerrechtlichen Bezug entfalten Privatisierungen – landesrechtliche Organisationsprozesse – insoweit, als die Wahrnehmung einer Aufgabe Regelungsgegenstand völkerrechtlicher Verpflichtungen des Staates ist. Zwar ist das Völkerrecht weit davon entfernt, eine dem nationalen Verfassungs- und Verwaltungsrecht vergleichbare „Dichte“ zu entwickeln. Sind ausgelagerte Aufgaben aber zum Kernbereich staatlichen Handelns zu zählen, unterliegt ihre Wahrnehmung völkerrechtlichen Bindungen. Diese sind unter der gleichsam stillschweigenden Prämisse eingegangen worden, dass die von ihnen betroffenen Verhaltensweisen durch Staaten umgesetzt werden. Diese Prämisse kann keineswegs mehr als gegeben angenommen werden. Im Zuge des weltweiten Trends zum „schlanken Staat“, zum „anämischen Rechts- und Sozialstaat“18 dringen Akteure in die völkerrechtliche Ebene, die im Grunde dem völkerrechtsfernen, privaten Sektor zuzuordnen sind. Besonders einschneidend erscheinen dabei Privatisierungsvorgänge in den schon 16 Raasveldt, Accountability Problems for Private Military Companies, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 3 / 2004, 187 (189). 17 Vgl. Higgins, The Concept of ,The State‘: Variable Geometry and Dualist Perceptions, in: Boisson de Chazournes / Gowlland-Debbas (Hrsg.), The International Legal System in Quest of Equity and Universality / L’ordre juridique international, un système en quête d’équité et d’universalité, Liber Amicorum Georges Abi-Saab (2001), 547 (561). 18 Kämmerer, Privatisierung (2001), 6.
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erwähnten Aufgabenbereichen der Gewaltanwendung. Sie kommen insbesondere auf dem Gebiet der Menschenrechte und dem des humanitären Völkerrechts zum Tragen. Diese Aufgaben stehen im Mittelpunkt vorliegender Untersuchung. Was kann eine juristische, zudem völkerrechtliche Arbeit zur Untersuchung des Privatisierungsphänomens leisten? Die Möglichkeiten juristischer Beiträge aus landesrechtlicher Sicht hat Wolfgang Graf Vitzthum wie folgt umschrieben: „In dieser Situation besteht der Beitrag der Rechtswissenschaften in einem Dreifachen: im Aufsuchen und Typisieren der unterschiedlichen Privatisierungsarten, -bereiche und -ziele; im Analysieren und Abwägen der rechtlichen Bedingungen, Grenzen und Konsequenzen einer Aufgabenumschichtung auf privatrechtlich organisierte Träger; im Versuch, darüber hinausgehend möglichst bereits zu rechtsdogmatischen Aussagen und allgemeinen Regeln zu gelangen.“19
Während bei einer landesrechtlichen Betrachtung die (Verfassungs-)Rechtsfolgen für das Verhältnis Staat-Gesellschaft, die Abgrenzung oder Vermischung beider Sphären, die „Dualität von Staat und Gesellschaft“ (Jörn Axel Kämmerer)20 im Mittelpunkt stehen, konzentriert sich die vorliegend eingenommene völkerrechtliche Perspektive auf die zwischenstaatliche Beziehung und konkretisiert so die Zielvorgaben, an denen sich die folgende Untersuchung zu orientieren hat. Eine völkerrechtliche Bearbeitung steht zunächst vor der Herausforderung, die Determinanten des Privatisierungsprozesses zu bestimmen. Im Gegensatz zu landes(verfassungs)rechtlichen Bestimmungen, die wie etwa Art. 87d bis 87f GG die „bundeseigene Verwaltung“ und eine „öffentlich-rechtliche oder privat-rechtliche Organisationsform“ vorsehen, enthalten völkerrechtliche Normen in der Regel keine ausdrücklichen Aussagen über den staatlichen oder privaten Charakter einer von ihnen betroffenen Verhaltensweise. Als zwischenstaatliches Recht setzen sie die Staatlichkeit ihrer Adressaten vielmehr voraus. Bei der Bewertung der völkerrechtlichen Grenzen und Konsequenzen der Staatsaufgabenprivatisierung kommt dem Recht der Staatenverantwortlichkeit besondere Bedeutung zu, da es auf der eingangs angesprochenen scharfen Trennung zwischen staatlichem und privatem Verhalten basiert. Anhand der hier geltenden Regeln kann der völkerrechtliche Rahmen von Privatisierungen ermittelt und ausgewertet werden. Aufgrund der notwendigen Spezifizierungen, die eine völkerrechtliche Perspektive eines landesrechtlichen Phänomens erfordert, muss sich das Aufsuchen der Privatisierungsarten auf die Bezeichnung der völkerrechtsrelevanten Grundcharakteristika beschränken. Zudem tritt neben die Frage nach den Auswirkungen und Rahmenbedingungen einer Aufgabenumschichtung diejenige nach der Qualifizierung eines Verhaltens als staatlich (Wann liegt staatliches Verhalten vor?). Nur so können die aus Völkerrechtssicht entscheidenden Wesenszüge der 19 Graf Vitzthum, Gemeinderechtliche Grenzen der Privatisierung kommunaler Wirtschaftsunternehmen, AöR 104 (1979), 581 (585). 20 Kämmerer (Fn. 18), 4.
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Aufgabenübertragung herausgearbeitet werden. Schließlich wird sich das Verfassen allgemeingültiger Regeln angesichts der Heterogenität weltweiter landesrechtlicher Privatisierungsprozesse auf wenige, gleichwohl grundlegende Kernaussagen beschränken müssen. Wie bereits angedeutet liegt der Schwerpunkt des völkerrechtlichen Interesses an der Privatisierung von Staatsaufgaben im Wesentlichen auf zwei Aspekten. Sie konkretisieren die Problemstellung und lassen die Formulierung zweier Grundfragen zu, auf denen die Untersuchung basiert und die zugleich die Struktur der Arbeit vorgeben. Die erste Grundfrage lautet: Inwieweit bleiben Staaten für Rechtsverletzungen bei der Wahrnehmung privatisierter Staatsaufgaben verantwortlich? Entscheidender Aspekt dieser Verantwortlichkeit für privatisiertes Handeln ist die Frage der Zurechnung des Verhaltens natürlicher Personen zum Verantwortlichkeitssubjekt Staat. Der Vorgang der Zurechnung „defines the sphere of private or non-State conduct for which the State bears no responsibility“.21 Dies gibt Aufschluss über Umfang und Voraussetzungen der Verantwortlichkeit nach erfolgter Privatisierung und zielt damit auf ein Kernelement der zwischenstaatlichen Rechtsbeziehungen: die Zuordnung rechtswidrigen Verhaltens zu einem Staat mit den entsprechenden Konsequenzen für dessen völkerrechtliche Haftungspflicht.22 Die zweite Grundfrage lautet: Inwiefern zeigt das Völkerrecht Grenzen der Privatisierung von Staatsaufgaben auf? Diese Grenzen sind in Gestalt besonderer Organisations- und sonstiger Sorgfaltspflichten zu suchen, denen Staaten bei der Wahrnehmung ihrer Aufgaben unterliegen. Die Untersuchung dieser Rahmenbedingungen zeigt, ob die Staaten einen völkerrechtlichen Rahmen zu beachten haben, jenseits dessen Privatisierung rechtswidrig ist. Dies geht dem Umfang zulässiger Aufgabenübertragung auf nichtstaatliche Akteure nach: Gibt es aus Völkerrechtsgründen einen noyau dur staatlicher Kernfunktionen, dessen Privatisierung schlechthin unzulässig ist?23 21 Christenson, The Doctrine of Attribution in State Responsibility, in: Lillich (Hrsg.), International Law of State Responsibility for Injuries to Aliens (1983), 321 (321). 22 Als „Hauptproblem der Staatenverantwortlichkeit“ begreift die völkerrechtliche Zurechenbarkeit Ipsen, in: ders., Völkerrecht (Fn. 8), § 40, Rn. 1. 23 Dass nachfolgend die Frage der Zurechnung derjenigen nach den völkerrechtlichen Privatisierungsgrenzen vorangestellt wird, ist freilich kein zwingendes Gebot der Logik. In Kategorien des Rechts der Staatenverantwortlichkeit gedacht, ist jedoch ein Völkerrechtsverstoß wegen der Verletzung eines Privatisierungsverbots nur von zweitrangiger Bedeutung, soweit ein Staat schon für eine ihm zurechenbare Völkerrechtsverletzung verantwortlich ist, die durch eine Person bei der Wahrnehmung der übertragenen Aufgabe begangen wurde. Als „logisch und rechtlich zwingend“ empfindet diese Systematik der IGH, Case concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), Urteil v. 26. 02. 2007, paras. 379 f.: Komme die Verantwortlichkeit des Staates sowohl aufgrund der Zurechnung eines rechtswidrigen Verhaltens als auch wegen einer damit zusammenhängenden rechtswidrigen Nichtverhinderung oder sonstigen Sorgfaltspflichtverletzung in Betracht, komme die Sorgfalts-
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Ziel der vorliegenden Arbeit, die sich zur Annäherung an allgemeine Aussagen auf die Darstellung symptomatischer Beispiele beschränken muss, ist also nicht, ein einheitliches und umfassendes „Privatisierungsvölkerrecht“ zu beschreiben oder gar zu entwerfen. Im Vordergrund steht vielmehr die Systematisierung der Auswirkungen und Rahmenbedingungen von Privatisierungen im geltenden Völkerrecht. Begriffsbestimmungen Die breit angelegt anmutende Untersuchung macht eine Konkretisierung ihrer Schlüsselbegriffe – Privatisierung und Staatsaufgaben – erforderlich, deren Verständnis über Inhalt und Umfang entscheidet.24 Als Rechtsbegriff ist die Vokabel der Privatisierung „schillernd“ (Udo Di Fabio),25 sie ist allenfalls ein „Oberbegriff“ (Jörn Axel Kämmerer) für verschiedene Rechtsformen.26 Macht sich diese Untersuchung zur Aufgabe, völkerrechtliche Antworten auf die Herausforderungen landesrechtlicher Vorgänge zu finden, deren juristische Ausgestaltung wesentlich von der sie bestimmenden Rechtsordnung abhängt und damit von Land zu Land divergieren muss, so sind diese Vorgänge wenigstens in ihren entscheidenden Grundzügen zu beschreiben. Ebenfalls ziehen sich die Begriffe des staatlichen, nichtstaatlichen und privaten Verhaltens durch die nachfolgenden Ausführungen, deren unterschiedliche Bedeutungen auseinanderzuhalten sind.
pflichtverletzung nur dann zum Tragen, wenn eine Zurechnung ausscheide: „For this purpose, the Court may be required to consider the following ( . . . ) issues in turn. First, it needs to be determined whether the acts of genocide could be attributed to the Respondent under the rules of customary international law of State responsibility; this means ascertaining whether the acts were committed by persons or organs whose conduct is attributable ( . . . ) to the Respondent. ( . . . ) Finally, it will be for the Court to rule on the issue as to whether the Respondent complied with its twofold obligation deriving from Article I of the Convention to prevent and punish genocide. ( . . . ) These ( . . . ) issues must be addressed in the order set out above, because they are so interrelated that the answer on one point may affect the relevance or significance of the others. ( . . . ) [T]he question whether the Respondent has complied with its obligations to prevent and punish genocide arises in different terms, depending on the replies to the two preceding questions. It is only if the Court answers the first two questions in the negative that it will have to consider whether the Respondent fulfilled its obligation of prevention, in relation to the whole accumulation of facts constituting genocide. ( . . . ) [L]ogic dictates that a State cannot have satisfied an obligation to prevent genocide in which it actively participated.“ 24 Zur Bedeutung von Begrifflichkeiten in der juristischen Arbeit Graf Vitzthum, Grenzen der Privatisierung (Fn. 19), 634: „[K]einen größeren Fehler könnte der Jurist machen, als allgemeine Regeln aufzustellen, bevor in jeder Hinsicht klar ist, welche Gegenstände von einer solchen Regel erfasst sein sollen.“ 25 Di Fabio, Privatisierung und Staatsvorbehalt, JZ 54 (1999), 585 (585); ebenso Wulf, Privatisierung der Sicherheit, Vereinte Nationen 4 / 2002, 144 (144). 26 Kämmerer (Fn. 18), 8, 16.
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Privatisierung Privatisierungen sind landesrechtliche Organisationsprozesse. Für eine völkerrechtliche Betrachtung kann landesrechtlichen Determinanten nicht dieselbe Bedeutung zukommen wie im Falle einer rein innerstaatlichen Perspektive. Als fragmentarischer Rechtsordnung27 liegen dem Völkerrecht meist nur sehr allgemein zu definierende Begriffe zugrunde, die der kaum überschaubaren Inhomogenität staatlicher Handlungsformen Rechnung tragen müssen. Es ist daher erforderlich, sich dem Phänomen durch die Bestimmung einiger grundlegender Strukturmerkmale zu nähern. Die rechtlichen Erscheinungsformen des Übergangs einer vormals durch den Staat ausgeübten Funktion auf nichtstaatliche Einheiten sind so vielfältig wie die rechtlichen Rahmenbedingungen, in denen sie stattfinden. Das Phänomen der Privatisierung wird überwiegend als verfassungsrechtliches Problem wahrgenommen, seine Beschreibung und Rechtfertigung hängt daher wesentlich vom verfassungsund verwaltungsrechtlich geprägten und daher landesrechtlich gefärbten Standpunkt des Betrachters ab. Darüber hinaus konkurriert der Begriff mit Formulierungen wie Auslagerung bzw. outsourcing, contracting-out oder public-private partnership, die selbst nicht durchweg Rechtsbegriffe sind, sondern aus wirtschafts-, verwaltungs- oder politikwissenschaftlicher Perspektive entstanden sind. Auch der Begriff der Privatisierung kennt verschiedene Facetten und Unterformen, die an der jeweiligen Organisationsform, den Eigentumsverhältnissen oder an der Aufgabenübertragung orientiert sind.28 Werden in der Wissenschaft gerade die völkerrechtlichen Aspekte von Privatisierungen behandelt, so verbergen sich hinter diesem eingängigen Schlagwort höchst unterschiedliche Konstellationen. Zum Teil dient der Begriff ganz allgemein der Kennzeichnung der zunehmenden Öffnung des Völkerrechts für individualschützende Rechtspositionen oder bezeichnet das rein tatsächliche Eindringen Einzelner oder gesellschaftlicher Gruppen in die völkerrechtlichen Beziehungen der Staaten. So behandelt etwa eine Untersuchung der „Privatisierung des Krieges“ neben dem Einsatz kommerzieller Militärdienstleister auch die Tatsache, dass Krieg „nur noch selten von Staaten geführt wird, sondern immer häufiger von nichtstaatlichen bewaffneten Gruppen wie Guerillas und regionalen Warlords“.29 Dieser Privatisierungsbegriff bezeichnet damit ganz allgemein die „Ausdehnung privater Gewalt“.30 Dieses Verständnis zwingt freilich dazu, so unterschiedliche Phänomene wie die Erosion staatlicher Macht in failed states, Gewalt durch organisierte Banden, Drogenkartelle, Bürgerwehren und Widerstandsgruppen sowie Vgl. Friedmann, The Changing Structure of International Law (1964), 174. Siehe allein für den Geltungsbereich des Grundgesetzes Kämmerer (Fn. 18), 16 ff. 29 Krieger, Der privatisierte Krieg: Private Militärunternehmen im bewaffneten Konflikt, AVR 44 (2006), 159 (160). 30 Krieger (Fn. 29), 160. 27 28
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ökonomisch bedingte Auslagerung in hochindustrialisierten Staaten in einem Atemzug abzuhandeln. Privatisierung meint insofern sowohl die beabsichtigte als auch die unbeabsichtigte Öffnung des „staatlichen Gewaltmonopols“, suggeriert damit allerdings auch eine tatsächliche und rechtliche Vergleichbarkeit dieser Konstellationen.31 Noch allgemeiner wird der Begriff der Privatisierung verstanden, wenn er auf weitere Bereiche ausgedehnt wird. So umschreibt die „,Privatisierung‘ des Völkerrechts“ die rückläufige Mediatisierung des Einzelnen durch die Staaten und dessen zunehmende Völkerrechtsunmittelbarkeit, die insbesondere der unmittelbaren Gewährung von Rechten durch den völkerrechtlichen Menschenrechtsschutz, das humanitäre Völkerrecht oder durch Marktbürgerrechte sowie der Auferlegung von Pflichten durch das Völkerstrafrecht geschuldet sei.32 31 Siehe Wulf, Privatisierung der Sicherheit (Fn. 25), 144: Mit „Privatisierung von Militär und Sicherheit“ würden „[r]echt unterschiedliche Aktivitäten ( . . . ) beschrieben. Sie reichen von der Sicherung privaten Eigentums bis zum Schutz von Minen und Förderanlagen global operierender Firmen, von Dienstleistungen für UN-Friedensmissionen bis zur Begleitung von Hilfskonvois, von der Logistik für das Militär bis zum Einsatz in Kampfhandlungen durch Privatpersonen oder Firmen. ( . . . ) Sehr unterschiedliche Akteure sind als private Sicherheitsdienstleister tätig. Bezogen auf die Anbieter derartiger Dienstleistungen können drei Formen der Privatisierung militärischer Sicherheit unterschieden werden: private Militärfirmen, private Sicherheitsfirmen und Söldner“. Siehe auch ders., Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden (2005), 49: „Privatisierung, gelegentlich auch als Kommerzialisierung oder als Outsourcen bezeichnet, beinhaltet auch die beabsichtigte oder unbeabsichtigte Aufgabe des staatlichen Gewaltmonopols“. Darunter sei sowohl der Einsatz von Gewalt durch Private unabhängig vom Staat zu verstehen (Warlords, Milizen, organisierte Kriminalität etc.), als auch die (beabsichtigte) Übertragung militärischer Aufgaben auf private Unternehmen. Eppler (Fn. 9), 105 ff., versteht unter „privatisierter Gewalt“ das Söldnerwesen, nichtstaatliche Gewaltausübung durch „Firmen, die Söldner verleihen, vermieten“, paramilitärische Gruppierungen, „Warlords“ und kriminielle Banden. Ähnlich verwendet den Begriff auch Häberle, Beitrag im Diskussionsbericht, in: März (Hrsg.), An den Grenzen des Rechts, Kolloquium zum 60. Geburtstag von Wolfgang Graf Vitzthum (2003), 185 (196): In Anbetracht der Zunahme, auch der zunehmenden Völkerrechtsrelevanz des internationalen Terrorismus sei von einer „(Re-),Privatisierung der Gewalt‘“ zu sprechen. 32 Dörr, Privatisierung des Völkerrechts, JZ 60 (2005), 905 (905 f.); ähnlich Rau, Schadensersatzklagen wegen extraterritorial begangenen Menschenrechtsverletzungen: der USamerikanische Alien Torts Claims Act, IPRax 20 (2000), 558 (560), der unter einer „,Privatisierung‘ des Völkerrechts“ die wachsende Rolle von Zivilgerichten bei der Durchsetzung des Völkerrechts und sich häufende Klagen Einzelner wegen Menschenrechtsverletzungen versteht. – Aus einem vergleichbar umfassenden Blickwinkel betrachten das Thema die Beiträge in Brühl u. a. (Hrsg.), Die Privatisierung der Weltpolitik: Entstaatlichung und Kommerzialisierung im Globalisierungsprozeß (2001). Als Ausgangspunkt wird dort die Frage gestellt: „Gerät die Weltpolitik zunehmend in private Hände?“ (Vorwort, ebd., 11), die anhand der Rolle transnationaler Unternehmen, nichtstaatlicher Organisationen (NGOs) etc., die „vormals staatliche Aufgaben“ wahrnähmen, beantwortet werden soll. Dies umfasst so unterschiedliche Themengebiete wie Menschenrechtsschutz durch Private und NGOs, Einmischen Privater in auswärtige Politiken wie Entwicklungshilfe, „neoliberale Offensiven“ oder die zunehmende Macht großer Konzerne. Ein Beispiel bietet der Beitrag von Hummel, Die Privatisierung der Weltpolitik: Tendenzen, Spielräume und Alternativen, ebd., 22 (23): „Private Akteure beeinflussen die Setzung globaler Standards durch die Staaten, wenn beispielsweise eine breite Kampagne von NGOs die Staaten zur Ächtung von Landminen bewegt und dafür
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Entgegen dieser eher entfremdenden Verwendung des Begriffs der Privatisierung verbinden ihn andere mit dem spezifisch ökonomischen Hintergrund, den er auch landesrechtlich hat. Insofern umfasst er ausschließlich staatlich gewollte, sich planmäßig vollziehende Übertragungen von ehemals staatlichen Funktionen oder Einrichtungen auf nichtstaatliche Einheiten, die grundsätzlich der Privatrechtsordnung unterliegen. Der Schwerpunkt liegt auf dem Wechsel in der Urheberschaft eines Verhaltens und der damit einhergehenden Vermischung der staatlichen und (privat-)gesellschaftlichen Sphäre. Begriffe wie Privatisierung oder outsourcing dienen der schlagwortartigen Umschreibung dieses Lebenssachverhalts. Allerdings löst nicht jede Aufgabenübertragung als solche rechtliche oder politische Bedenken aus, sondern nur dann, wenn sie Aufgaben von besonderer Natur betrifft. Diese Natur der Aufgaben und ihre „kommerzialisierte“ Erfüllung sind meist Gegenstand kontroverser Privatisierungskonstellationen.33 Hinsichtlich der konkreten Rechtsoperation, die zur Aufgabenübertragung führt, bleibt es bei dem Hinweis, dass Staaten „private Unternehmen“, „private Dienstleister“ oder deren Angestellte schlichtweg „einsetzen“.34 verdientermaßen den Friedensnobelpreis erhält. Private Akteure sind selbst an der Standardsetzung beteiligt, wenn die von der Weltbank einberufene World Commission on Dams, in der Vertreter der Wirtschaft, der Gesellschaft und der Staaten sitzen, Kriterien für den Umgang mit Großstaudammprojekten erarbeitet ( . . . ).“ 33 Vgl. McBeth, Privatizing human rights: what happens to the state’s human rights duties when services are privatised?, Melbourne Journal of International Law 5 (2004), 133 (134, mit Fn. 1): „,privatisation‘ is taken to mean a process whereby a previously state-run service is transferred to private operation, including operation by non-state civil society organisations, private corporations or other non-state entities. ,Contracting out‘ ( . . . ) is treated as a subset of privatisation, whereby ownership of the facility or service enterprise remains with the state, but the provision of the service is transferred to non-state entities on a contractual basis.“ Ähnlich Dickinson, Government for hire (Fn. 9), 139 (mit Fn. 20): „Throughout, I use the term ,privatization‘ to refer to the practice of ,retaining collective financing but delegating delivery to the private sector‘ rather than removing certain responsibilities from the collective realm altogether“; Gasser, Outsourcing of War Efforts – einige Fragen aus der Sicht des humanitären Völkerrechts, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 19 (2 / 2006), 132 (132) („Wir verstehen unter outsourcing of war efforts die Auslagerung von Aufgaben, die normalerweise durch die Streitkräfte erfüllt werden, und deren Übertragung an private Unternehmen, Gruppen oder einzelne Personen. Eine militärische Tätigkeit wird mit anderen Worten Zivilpersonen im Umkreis der Streitkräfte übertragen – die Aufgabe wird outsourced“); Boldt, Outsourcing War – Private Military Companies and International Humanitarian law, GYIL 47 (2004), 502 (502) („Outsourcing means purchasing a significant percentage of intermediate components or services from outside suppliers“); Lock, Sicherheit à la carte? Entstaatlichung, Gewaltmärkte und die Privatisierung des staatlichen Gewaltmonopols, in: Brühl, Die Privatisierung der Weltpolitik (Fn. 32), 200 (200) („Seit den neunziger Jahren ist eine zunehmende Privatisierung des Sicherheitssektors zu beobachten – ein Trend, der die Übernahme sowohl polizeilicher als auch militärischer Funktionen durch private Dienstleister meint“). Siehe auch de Wolf (Fn. 14), 317. Auch im Hinblick auf die völkerrechtlichen Auswirkungen die Formen der Aufgaben-, Vermögens-, formeller und materieller Privatisierung unterscheidend Aichele, Menschenrechte und Privatisierung: Die Rechte auf Gesundheit und auf Trinkwasser, in: Deutsches Institut für Menschenrechte u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2007 – Privat oder Staat? Menschenrechte verwirklichen! (2006), 67 (68 f.).
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Ist eine genaue Beschreibung des Übertragungsvorgangs aus Völkerrechtssicht, wie gesagt, zwar nur eingeschränkt möglich, so erfordert gleichwohl schon die nötige Eingrenzung der Untersuchung, die strukturellen Grundmerkmale der unterschiedlichen Privatisierungsvorgänge herauszuarbeiten. Um eine gewisse Loslösung vom jeweiligen Landesrecht zu erreichen, kann eine Definition nicht vollumfänglich an diesen Rechtsordnungen ansetzen. Vielmehr hat sie den Schwerpunkt auf auch empirisch zu bestimmende Wesensmerkmale derjenigen Einheiten zu setzen, denen die Umsetzung einer Funktion übertragen wird. Entscheidendes Merkmal der Privatisierungssubjekte – der Adressaten oder Begünstigten einer Aufgabenübertragung35 – ist, dass diese Einheiten nicht zum Organbestand des Staates gehören. Typischerweise unterliegen sie der landesrechtlichen Zivilrechtsordnung und sind privatwirtschaftlich organisiert. Die so verstandene Privatisierung besteht in der Übertragung einer Funktion auf nichtstaatliche Akteure, hauptsächlich auf private Unternehmen, an denen der Staat regelmäßig nicht beteiligt ist und die er auch nicht faktisch kontrolliert. Die hier behandelten Prozesse vereinigt also der Status der nichtstaatlichen Einheit: Sie steht außerhalb des staatlichen Organisationsbereiches, sie unterliegt grundsätzlich keiner staatlichen Anbindung. Der Übertragungsvorgang erschöpft sich regelmäßig in einem rein zivilrechtlichen Vertragsverhältnis. Der nichtstaatliche Vertragsnehmer wird zugunsten des Staates auf der Stufe der Gleichberechtigung tätig. Staatliche Weisungsverhältnisse, die ein organschaftliches Über- und Unterordnungsverhältnis charakterisieren, sind dieser Situation fremd. Ob Weisungen im Einzelfall dennoch erteilt werden können und ob neben dem zivilrechtlichen Verhältnis generell öffentlich-rechtliche Befugnisse oder Bindungen bestehen, ist nicht entscheidend. Dies gilt auch für den einer Aufgabenübertragung gegebenenfalls vorangegangenen verfassungs- oder verwaltungsrechtlichen Umbauprozess, der Privatisierungen erst ermöglicht. Mit Blick auf den konkreten Privatisierungsvorgang lassen sich vorliegende Konstellationen, angelehnt an eine landesrechtlich geprägte Terminologie, eher mit einer (materiellen) Aufgabenprivatisierung vergleichen, mit „einer Aufgaben34 Siehe etwa Kontos, „Private“ security guards: Privatized force and State responsibility under international human rights law, Non-State Actors and International Law 4 (2004), 199 (200) („selling off public services“); Rosemann (Fn. 3), 79 ff. („reliance [ . . . ] on private military and security companies“, ebd., 81); Laubenthal, Vollzug von Freiheitsstrafen durch private Unternehmen, in: Krause u. a. (Hrsg.), Recht der Wirtschaft und Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer (2004), 415 (415) („Zuvor öffentliche Tätigkeits- und Handlungsfelder werden seit mehreren Jahren zunehmen kommerzialisiert – weltweit ist ein Privatisierungstrend zu beobachten“); Makki, Privatisation de la sécurité et transformation de la guerre, Politique Étrangère 4 / 2004, 849 (850) („Pour des raison budgétaires et opérationnelles, certaines tâches autrefois assurées par les forces armées sont désormais externalisées“). Vgl. auch Hemingway (Fn. 14), 129; Lilly, The privatisation of peace: an unlikely prospect, Conflict, Security & Development Vol. 2, No. 3 (2003), 139 (139); Howe, Global Order and the Privatization of Security, Fletcher Forum of World Affairs 22 (1998), 1 (1 ff.). 35 Zum Begriff des Privatisierungssubjektes Kämmerer (Fn. 18), 37 ff.
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übertragung auf Private zur selbständigen Erledigung“, als mit einer (bloß formellen) Organisationsprivatisierung, bei der „[d]er Hoheitsträger, der nur gewisse Bindungen abstreift, ( . . . ) für die Aufgabenerfüllung verantwortlich [bleibt]. Er bedient sich eines privaten Dritten, der nach seinem Willen die Aufgabe durchführt, oder einer privatrechtlichen, dem öffentlichen Zweck dienstbar gemachten Organisationsform.“36 Entscheidend ist, dass nichtstaatliche Einheiten eine Funktion mit einem das Vertragsverhältnis charakterisierenden Maß an Eigenständigkeit umsetzen. Bei alldem ist der aufgabenauslagernde Staat stets Herr seiner Entscheidungen, zerfallende oder sonst schwache Staaten, die wesentliche Funktionen schlicht nicht mehr wahrnehmen können, bleiben außen vor. „Privatisiertes“ Verhalten meint daher nur eine planvolle, rechtlich geregelte Aufgabenübertragung aus ökonomischen und ähnlichen Gründen, nicht die Gewaltausübung durch unkontrollierbare nichtstaatliche Kräfte schlechthin. In diesem Sinne ist der Begriff der Privatisierung für die folgenden Überlegungen zu verstehen. Er vereinigt nur wenige, grundlegende Strukturmerkmale – planmäßige Aufgabenumsetzungsübertragung auf eine außerhalb der staatlichen Organisation stehende privatrechtliche Einheit – und trägt damit einer Besonderheit des Untersuchungsgegenstandes Rechnung, der völkerrechtlichen Antworten auf im Einzelfall vielgestaltige landesrechtliche Organisationsprozesse nachgeht. Dieses Begriffsverständnis ist einer völkerrechtlichen Perspektive geschuldet; Aussagen über eine Übertragung auf landesrechtliche Fragestellungen sind damit nicht verbunden. Insofern rechtfertigt sich auch der synonyme Einsatz von Begriffen wie Auslagerung oder outsourcing, die im Kern immer denselben Vorgang zum Gegenstand haben. Staatsaufgaben Das zweite die Untersuchung eingrenzende Merkmal ist das der Staatsaufgaben. Eine umfassende und abschließende Definition ist freilich kaum möglich. Noch mehr als landesrechtliche Organisationsformen differieren Aufgaben und Funktionen, die gerade als Staatsaufgaben verstanden werden müssen, in Abhängigkeit von Geographie, Geschichte, Kultur und politischem System. Jedoch wirkt die Beschränkung auf Staatsaufgaben insofern exkludierend, als bloße Organisationsprivatisierungen oder auch solche vollständigen (materiellen) Auslagerungen ausgeschlossen werden, die ehemalige Staatsunternehmen zum Abbau von Rohstoffen, Unternehmen aus der Automobilwirtschaft oder sonstigen Industriezweigen betreffen. Hier sind lediglich solche Funktionen von Interesse, deren Umsetzung durch nichtstaatliche Akteure bis vor wenigen Jahren undenkbar schien. Doch auch insoweit ist eine Definition schon für den „Typus des demokratischen Staates hochindustrialisierter westlicher Gesellschaften“37 kaum abstrakt-generell 36
Graf Vitzthum, Grenzen der Privatisierung (Fn. 19), 587 f.
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vorzunehmen.38 Dies gilt erst recht für eine etwa 200 Glieder umfassende Staatenwelt, deren unterschiedliche verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen, Traditionen, Selbstverständnisse und Wirklichkeiten eine einheitliche Bestimmung der Funktionen, die Staaten tatsächlich wahrnehmen, die sie erfüllen dürfen oder gar müssen, nicht zulassen. Rein deskriptiv wirkt der Begriff der Staatsaufgaben, wenn er als Sammelbegriff für polizeiliche, militärische, justizielle oder soziale Funktionen verwendet wird:39 Als völkerrechtserhebliche Privatisierung wird der Einsatz nichtstaatlicher Akteure in den „äußeren Angelegenheiten“ der Staaten verstanden,40 „the growing phenomenon of governments delegating to private actors various foreign affairs functions formerly provided by states“.41 Der Begriff orientiert sich damit an den üblicherweise (traditionell) von Staaten wahrgenommenen oder wahrzunehmenden Funktionen. Je weiter sich diese jedoch von den „Kernaufgaben“ entfernen, desto schwieriger wird die ohnehin kaum durchführbare Aufgabenbestimmung anhand typischer Strukturen der Staaten. Selbst über den Kernbereich staatlicher Funktionen lässt sich auch durch einen Vergleich der tatsächlichen Situationen kaum abschließend Aufschluss erzielen; man denke etwa an die unterschiedlichen Erwartungen, die Bürger an ihre Verwaltungen hinsichtlich der Gewährleistung von öffentlicher Sicherheit in Staaten der „westlichen Welt“ stellen, verglichen mit denjenigen in manchen arabisch geprägten Ländern des nahen Ostens oder Afrikas. Angesichts dieser Unwägbarkeiten beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf solche Aufgaben der Staaten, die völkerrechtlich bestimmbar sind.42 Es handelt sich demnach um Funktionen, die von den Parteien eines völkerrechtlichen Vertrages wahrgenommen werden und für deren Ausübung völkerrechtliche Bindungen oder Befugnisse bestehen. Entscheidend ist, dass die privatisierte Aufgabe Regelungsgegenstand des Völkerrechts ist. Dieses Vorgehen rechtfertigt sich nicht nur damit, die eben angesprochenen begrifflichen Unschärfen zu vermeiden, mit denen 37 Nur auf diese Staatsform bezieht sich etwa das umfangreiche Werk von Grimm (Hrsg.), Staatsaufgaben (1994), aus dessen Vorwort das Zitat stammt (ebd., 10). Obwohl das Buch damit ausschließlich den „traditionelle[n] Nationalstaat“ (ebd.) behandelt, „läßt die Genese dieses Werks weder eine geschlossene Untersuchung noch ein einheitliches Ergebnis erwarten“, was der „Vielfalt der Gesichtspunkte, unter denen das Thema Staatsaufgaben betrachtet werden kann“ geschuldet sei; Grimm, Staatsaufgaben – eine Bilanz, ebd., 771 (771). 38 Zur Bestimmung von Staatsaufgaben etwa Kaufmann, Diskurse über Staatsaufgaben, in: Grimm, Staatsaufgaben (Fn. 37), 15 (19 ff.). 39 McBeth (Fn. 33) z. B. behandelt die Bereiche Gesundheit, Bildung und Gefängniswesen. 40 Dickinson, Government for hire (Fn. 9), 138 („foreign affairs functions of government“); Rosemann (Fn. 3), 78 („armed foreign policy“). 41 Dickinson, Government for hire (Fn. 9), 139. 42 Aufgrund dieser Beschränkung auf spezifisch determinierte Staatsaufgaben wird keine abschließende oder umfassende (völkerrechtliche) Definition des Begriffes der Staatsaufgaben unternommen. Ob dieser Ansatz in jeder Hinsicht befriedende Ergebnisse erzielt, mag dahinstehen; er rechtfertigt sich jedoch durch den inneren Zusammenhang mit dem Ziel dieser Untersuchung.
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eindeutige Ergebnisse nicht zu erreichen sind. Es entspricht zudem der eigentlichen Intention einer völkerrechtlichen Untersuchung des Themas Privatisierung von Staatsaufgaben, die gerade die Auswirkungen dieses Phänomens auf die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten zu ermitteln sucht. Ob damit alle Formen von Staatsaufgaben erfasst werden, ist für diesen völkerrechtlichen Blickwinkel unerheblich. Relevant sind allein solche Funktionen, für deren Umsetzung die Staaten völkerrechtliche Bindungen eingegangen sind; eine Bestimmung, die sich freilich häufig mit den Ergebnissen eines deskriptiv-empirischen Ansatzes decken wird.
Staatliches, nichtstaatliches und privates Verhalten Staaten sind nur für „eigenes“ Verhalten verantwortlich. Diese nur scheinbar offensichtliche Aussage ist keinesfalls ein zwingendes Gebot der Logik oder ein „vorrechtliches“ Axiom, sondern ein dem Völkerrecht der Staatenverantwortlichkeit zugrundeliegendes Rechtsprinzip.43 Das Völkerrecht kennt grundsätzlich kein rechtliches Einstehenmüssen der Staaten für jede Rechtsverletzung, die von ihrem Territorium aus, durch ihre Staatsbürger oder auf ähnliche Weise zulasten fremder Staaten verursacht wird. Eine solche Haftung anlässlich eines Schadenseintrittes, ohne das Erfordernis einer Rechtsverletzung, besteht nur in Ausnahmefällen, die in der Regel als spezielle Haftungstatbestände in völkerrechtlichen Verträgen festgehalten sind.44 Demgegenüber bezeichnet Verantwortlichkeit das rechtliche Einstehenmüssen aufgrund einer eigenen Rechtsverletzung, die Rechtsfolgen des deliktischen Verhaltens einer natürlichen Person, das dem Haftungssubjekt Staat zugeordnet werden kann.45 Diese Operation schließlich, die Zuordnung eines menschlichen Verhaltens zur abstrakten Einheit „Staat“ wird mit dem Begriff der Zurechnung gekennzeichnet. Im Einklang mit der gängigen Praxis ist damit ausschließlich eine Fiktion, die gedankliche Verbindung eines menschlichen Verhaltens mit dem Staat zu verstehen, ohne dass es auf Vorwerfbarkeit, Verschulden o. ä. ankäme.46 Damit ist der Begriff des staatlichen Verhaltens umschrieben. Als spezifisch völkerrechtlicher Begriff bezeichnet er jedes einem Staat zurechenbare Verhalten, je43 Vgl. nur Condorelli, L’imputation à l’État d’un fait internationalement illicite: solutions classiques et nouvelles tendances, RdC 189 (1984 VI), 19 (26 f.). 44 Zur Terminologie siehe Wolf, Die Haftung der Staaten für Privatpersonen nach Völkerrecht (1997), 37 ff.; Köck, Staatenverantwortlichkeit und Staatenhaftung im Völkerrecht, in: ders. / Lengauer / Ress (Hrsg.), Europarecht im Zeitalter der Globalisierung, Festschrift für Peter Fischer (2004), 191 (193 ff.). 45 Wolf (Fn. 44), 39 f. 46 IGH, United States Diplomatic and Consular Staff in Tehran (United States of America v. Iran), Urteil v. 24. 05. 1980, ICJ Rep. 1980, 3 (29, para. 58); Dahm / Delbrück / Wolfrum (Fn. 8), 895; Amerasinghe, State Responsibility for Injuries to Aliens (1967), 49; Shaw (Fn. 8), 701; Anzilotti, La Responsabilité internationale des États à Raison des Dommages soufferts par des Étrangers, RGDIP 13 (1906), 285 (286); Ipsen, Grundzüge der völkerrechtlichen Verantwortlichkeit, in: ders., Völkerrecht (Fn. 8), § 39, Rn. 39.
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des Tun oder Unterlassen, für das ein Staat verantwortlich sein kann. Demgegenüber wird unter privatem Verhalten jedes Verhalten verstanden, das keinem Staat zurechenbar ist, für das er nicht verantwortlich sein kann. Während die Umschreibungen als staatliches und privates Verhalten als Rechtsbegriffe (zurechenbar oder nicht zurechenbar) verstanden werden, dient die Bezeichnung nichtstaatliches Verhalten einer rein schlagwortartigen Umschreibung. Diese dritte (deskriptive) Kategorie neben den beiden (normativen) Kategorien des staatlichen oder privaten Verhaltens ist angesichts des Untersuchungsgegenstandes erforderlich, um eine prägnante Umschreibung des staatlich-gesellschaftlichen Übergangsbereiches vornehmen zu können, ohne damit gleichzeitig eine Aussage über die Zurechenbarkeit des Verhaltens treffen zu müssen. Nichtstaatliche Akteure sind Personen oder Einheiten, die aufgrund des Fehlens eines staatlichen Organisationsaktes nicht zum organschaftlich mit dem Staat verbundenen Bestand an Personal oder Einrichtungen gehören. Typischerweise sind dies private Unternehmen, ggf. auch (Einzel-) Personen ohne Organeigenschaft. Mit dem Begriff der Nichtstaatlichkeit ist es möglich, die mangelnde Zugehörigkeit zum Organbestand eines Staates zu kennzeichnen, auch wenn die betreffende Person staatliche Aufgaben wahrnimmt und ihr Verhalten daher möglicherweise als staatlich zu bewerten ist. Die Qualifizierung einer Person oder Einheit als nichtstaatlich hat damit allenfalls Indizwirkung für die rechtliche Einordnung des Verhaltens als staatlich oder privat.
Gang der Untersuchung Die vorliegende Untersuchung gliedert sich in drei Teile. Der 1. Teil erarbeitet die Grundlagen. Kapitel 1 gibt einen Einblick in das derzeitige Ausmaß der weltweiten Privatisierungspraxis. Besonderes Augenmerk gilt den sensiblen Bereichen der Justizverwaltung, der inneren Sicherheit sowie Funktionen im Kontext bewaffneter Konflikte. Kapitel 2 ermittelt die allgemeinen Grundsätze im Recht der Staatenverantwortlichkeit. Ausgehend von den oben aufgezeigten Kernaspekten der Untersuchung setzt es sich zunächst mit Voraussetzungen und Umfang der Zurechnung auseinander, um zu bestimmen, inwieweit Staaten für das Verhalten nichtstaatlicher Akteure im Allgemeinen verantwortlich sind. Ebenso stellt es die Grundsätze über die Verantwortlichkeiten der Staaten dar, die sie im Hinblick auf Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit privatem Verhalten treffen, die aber auch die staatliche Organisationshoheit begrenzen. Diese Bestandsaufnahme schließt mit einer Bewertung ab, die auch die Kritik an der herrschenden Verantwortlichkeitsdogmatik einbezieht. Der 2. Teil behandelt die Verantwortlichkeit der Staaten für die Wahrnehmung privatisierter Staatsaufgaben. Ausgehend von der oben formulierten ersten Grundfrage soll hier unter Auswertung der jüngeren Praxis untersucht werden, inwieweit Staaten für Völkerrechtsverletzungen verantwortlich bleiben, die im Zuge der Privatisierung durch nichtstaatliche Akteure begangen werden. Kapitel 1 geht dazu
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auf die Menschenrechte und verwandte Gebiete ein, während Kapitel 2 Antworten im humanitären Völkerrecht sucht. Beide Kapitel tragen dazu die einschlägige Völkerrechtspraxis zusammen und werten die grundlegenden Ergebnisse aus. Besonderes Augenmerk liegt dabei auf der dogmatischen Herangehensweise. Die im ersten Teil ermittelten allgemeinen Zurechnungskriterien werden hier auf ihre Tragkraft hin untersucht und alternativen Erklärungsmöglichkeiten des geltenden Völkerrechts gegenübergestellt. Der zweiten Grundfrage entsprechend befasst sich der 3. Teil mit den völkerrechtlichen Grenzen der Privatisierung. Im Mittelpunkt stehen Privatisierungsverbote, die den Umfang zulässiger Aufgabenübertragung festlegen. Sie greifen die im ersten Teil aufgezeigten allgemeinen Sorgfaltspflichten auf, die Staaten bei der Organisation ihrer Angelegenheiten zu beachten haben. Kapitel 1 untersucht völkerrechtliche Vorgaben, die einer Übertragung traditioneller Kernaufgaben auf nichtstaatliche Akteure schon im Grundsatz entgegenstehen (Staatsvorbehalte). Dazu ist auf grundlegende Garantien einzugehen, die wiederum aus den Bereichen der Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts stammen, ihre Verankerung aber auch in der Souveränität der Staaten haben. Im Gegensatz zu solchen grundsätzlichen Vorbehalten sind in Kapitel 2 spezifische Organisations- und sonstige Sorgfaltspflichten zu behandeln, die dem privatisierungsbedingten Einsatz nichtstaatlicher Akteure im Einzelfall entgegenstehen können.
Erster Teil
Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten Kapitel 1
Privatisierte Staatsaufgaben Die völkerrechtlich relevante Staatsaufgabenprivatisierung findet in Bereichen staatlicher Funktionen statt, die traditionell als öffentlich-rechtliche Kernaufgaben par excellence galten: Sicherheit, Justiz, monopolisierte Gewaltanwendung, Verwaltung. Aufgrund der damit einhergehenden hoheitlichen Einwirkungsposition des Staates zulasten des Einzelnen stellen sich die hier zu verzeichnenden Privatisierungsszenarien als besonders sensibel dar. Aufmerksamkeit verdienen – stellvertretend für andere Aufgabenfelder – die Bereiche Justizverwaltung und innere Sicherheit (I.) sowie die Privatisierung staatlicher Funktionen im Kontext bewaffneter Konflikte (II.).
I. Justizverwaltung und innere Sicherheit In den Bereichen Justizverwaltung und innere Sicherheit steht vor allem die vertragliche Beauftragung zu Tätigkeiten im Mittelpunkt, die mit dem Freiheitsentzug Festgenommener, von Abschiebehäftlingen oder im Rahmen von Sicherheitskontrollen und dergleichen in Verbindung stehen. Die nachfolgende Darstellung geht beispielhaft auf die Privatisierungspraxis in verschiedenen Ländern ein (vornehmlich Staaten des common law-Rechtskreises, aber auch solche Kontinentaleuropas). Sie gibt einen Überblick über die verschiedenen landesrechtlichen Auswirkungen von Privatisierungen und ihre Rahmenbedingungen, wozu auch Aussagen nationaler Gerichte über die staatliche oder private Qualifizierung privatisierter Aufgabenwahrnehmung gehören. Die dabei zu beobachtenden Privatisierungsgrade variieren erheblich. Den nachfolgend behandelten Konstellationen ist jedoch gemein, dass das konkrete Tätigwerden des jeweiligen Akteurs zumeist auf rein zivilvertraglicher Grundlage beruht, während öffentlich-rechtliche Bindungen nur zum Teil bestehen.
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
1. Großbritannien In Großbritannien ist die Privatisierung im Gefängniswesen besonders entwickelt.1 Dabei wird nicht nur die Errichtung und Finanzierung von Gefängnissen an private Unternehmer vergeben, sondern auch das gesamte Management. Dies umfasst sämtliche in Gefängnissen anfallende Tätigkeiten, z. B. medizinische Betreuung, Verpflegung sowie die Anwendung von Gewalt.2 Im Jahr 2006 bestanden im Vereinigten Königreich elf auf diese Art privatisierte Gefängnisse.3 Soweit Gefängnisse staatlich betrieben werden, greifen sie zur Erbringung von Gesundheitsdienstleistungen, zur Nahrungsmittelversorgung etc. auf private Unternehmen zurück. Insbesondere dem medizinischen (nichtstaatlichen) Personal ist somit ein direkter Zugriff auf die Gefangenen möglich.4 Außerhalb von Gefängnissen oder sonstigen Besserungseinrichtungen5 haben private Dienste die Führung von Hafträumen an Gerichten und den Transport von Gefangenen zwischen Gefängnissen und Gerichten sowie Aufgaben im Bereich des Einwanderungswesens übernommen.6 Anstelle der öffentlichen Polizeikräfte nehmen private Sicherheitsdienste auch die Bewachung öffentlicher Einrichtungen wahr.7 Die rechtliche Grundlage für die vertragliche Auslagerung des Betriebs von Gefängnissen sowie weiterer Sicherheitsdienstleistungen bildet vor allem der Criminal Justice Act von 1991.8 Das Gesetz sieht eine Möglichkeit des Justizministeri1 Praxis und rechtliche Fragestellungen sind jedoch keineswegs auf diesen Bereich beschränkt. Insbesondere auch im Schul- und Bildungswesen treten Konstellationen auf, in denen eine weitreichende Privatisierung die Frage nach der Verantwortlichkeit des Staates aufwirft. Für das Vereinigte Königreich siehe etwa F.A.S. v. 04. 12. 2005, 46 („Wie aus einem Bösewicht ein Musterschüler wird“). 2 Vgl. HRC, Fourth periodic reports of States parties due in 1994: United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland (1994), UN Doc. CCPR / C / 95 / Add.3, para. 202. 3 Siehe den offiziellen Informationsdienst des britischen HM Prison Service, www.hmprisonservice.gov.uk / prisoninformation / privateprison / (besucht am 12. 07. 2006). 4 Vgl. CPT, Response of the United Kingdom Government to the report of the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (CPT) on its visit to the United Kingdom and the Isle of Man (2005), CPT / Inf (2005) 2, para. 197. 5 Z. B. werden auch sog. „Secure Training Centres“ für straffällige Jugendliche von privaten Unternehmen geführt; vgl. HRC, Fourth periodic report of the United Kingdom (Fn. 2), para. 267 (b). 6 Vgl. HRC, Considerations of reports submitted by State Parties: The United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland (1999), UN Doc. CCPR / C / UK / 99 / 5, paras. 263 ff.; Fourth periodic report: United Kingdom (Fn. 2), para. 120; CPT, Report to the Government of the United Kingdom on the visit to the United Kingdom carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (2002), CPT / Inf (2002) 6, para. 123; weitere Nachweise bei Clapham, Human Rights in the Private Sphere (1993), 126. 7 Nach Reynolds / Wilson, Private Policing: Creating New Options, in: Chappell / Wilson (Hrsg.), Australian Policing: Contemporary Issues, 2. Auflage (1996), 219 (224), seien in drei Häfen in Großbritannien ausschließlich private Sicherheitsdienste im Auftrag des Staates tätig.
Kap. 1: Privatisierte Staatsaufgaben
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ums vor, mit privaten Anbietern Verträge zu schließen,9 die zunächst ein Auswahlverfahren durchlaufen müssen. Erhält ein Anbieter den Zuschlag, so kann das Ministerium nur noch im Falle des Kontrollverlustes des Gefängnisleiters einen Beamten einsetzen.10 Jedem Direktor einer privaten Haftanstalt ist ein Beamter (controller) zur Seite gestellt, der die ordnungsgemäße Funktionsfähigkeit des Gefängnisbetriebs überwacht und ggf. Untersuchungen einleitet.11 Er dient dem Staat allerdings lediglich zur Informationsbeschaffung, er kann weder Weisungen erteilen noch müssen Tätigkeiten von ihm genehmigt werden. Daneben hat die Regierung eine Ombudsstelle eingerichtet, an die jeder Insasse Beschwerden richten kann, die ggf. an das Justizministerium bzw. die Polizei weitergeleitet werden.12 Neben diesen Vorkehrungen bestehen noch weitere Verwaltungsmechanismen, die jedoch über (zum Teil unangekündigte) Kontrollen kaum hinausgehen.13 Ein so akkreditierter privater Betreiber genießt dieselben Vollmachten wie Beamte in staatlichen Gefängnissen. Seine Angestellten übernehmen jede im Strafvollzug anfallende Tätigkeit, insbesondere das Einschließen der Gefangenen sowie den Einsatz von Gewalt, um die Aufrechterhaltung der Ordnung zu gewährleisten.14 Im Vergleich zu diesen weitgehenden Befugnissen fällt der begrenzte Einflussbereich des Staates auf. Durch die eben beschriebenen Mechanismen ist lediglich gewährleistet, dass der Staat jederzeit potentiell Kenntnis über die Vorgänge 8 Criminal Justice Act 1991, 1991 Chapter 53. Es gelten weitere Gesetze für andere Bereiche des Einsatzes privater Sicherheitsdienste, z. B. der Criminal Justice and Public Order Act 1994, 1994 Chapter 33, für Jugendhaftanstalten, der Private Security Act 2001, 2001 Chapter 12, über Sicherheitsdienste außerhalb der Gefangenenbetreuung. 9 Section 84 Criminal Justice Act 1991. 10 Sections 88 f. Criminal Justice Act 1991. 11 Section 85 (1) (a) und (4) Criminal Justice Act 1991. Siehe auch CPT, Report to the United Kingdom Government on the visit to the United Kingdom carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (2006), CPT / Inf (2006) 26, para. 34; CPT, Report to the Government of the United Kingdom (2002) (Fn. 6), para. 85. 12 Vgl. HRC, Fourth periodic report: United Kingdom (Fn. 2), para. 126; HRC, Considerations of reports: United Kingdom (Fn. 6), paras. 194 ff. CPT, Report to the United Kingdom Government on the visit to the United Kingdom carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (1996), CPT / Inf (96) 11, paras. 122 ff. Zu Inspektionsmöglichkeiten weiterer Einrichtungen, deren Befugnisse gleichfalls nicht über die bloße Informationsbeschaffung hinausgehen, siehe CPT, Report to the United Kingdom Government on the visit to the United Kingdom carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (1991), CPT / Inf (91) 15, paras. 196 ff., sowie CAT, Consideration of reports submitted by States Parties under article 19 of the Convention, Fourth periodic reports of States parties due in 2002, Addendum, United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland (2003), UN Doc. CAT / C / 67 / Add.2, paras. 185 ff. 13 Siehe zum Ganzen Harding, Private Prisons and Public Accountability (1997), 56 ff., der die verwaltungsrechtlichen Kontrollmöglichkeiten in Großbritannien, den Vereinigten Staaten und Australien vergleicht. 14 Section 86 Criminal Justice Act 1991.
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
innerhalb des Gefängnisses hat. Außer dem Entzug der Lizenz und der Übernahme des Gefängnisses durch Beamte im Falle des Kontrollverlustes sowie den allgemeinen strafrechtlichen Bestimmungen besteht keine Möglichkeit zur Einflussnahme. Der private Betreiber ist lediglich aufgrund seines mit dem Ministerium geschlossenen Vertrags zur Einhaltung der für den Freiheitsentzug geltenden Gesetze verpflichtet, was an finanzielle Vertragsstrafen gekoppelt ist.15 Er ist weder in die Verwaltungshierarchie eingebunden, noch untersteht er der ein Weisungsrecht beinhaltenden Aufsicht des Staates.16 Bindende Anordnungen können damit grundsätzlich weder gegenüber dem Betreiber noch dem Personal erteilt werden.17 Damit besteht eine völlige Ausgliederung privat betriebener Gefängnisse aus der staatlichen Organisationsstruktur, sowohl was den formalen Verwaltungsaufbau anbelangt, als auch die tatsächliche Einbindung in die staatliche Hierarchie. Dies führt auch landesrechtlich zu schwierigen Fragen über die Bindung an Menschenrechte bzw. allgemein an diejenigen, den Einzelnen gegenüber dem Staat schützenden Rechtssätze, welche die Ausübung staatlicher Gewalt regeln und einschränken. Seit Oktober 2000 gilt in Großbritannien der Human Rights Act.18 Kraft einer Verweisung erklärt das Gesetz die Bindung der staatlichen Gewalt an die in der EMRK kodifizierten Menschenrechte und Grundfreiheiten sowie die Bindung der Gerichte an die Rechtsprechung der Straßburger Organe (Sections 1 und 2).19 15 Vgl. HRC, Considerations of reports submitted by the States Parties under article 40 of the Covenant, Fourth periodic report of the United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland (continued) (1995), UN Doc. CCPR / C / SR.1433, para. 67; CPT, Report to the Government of the United Kingdom (Fn. 6), para. 85. 16 Unverständlich ist vor diesem Hintergrund die Auffassung des UN-Ausschusses gegen Folter: der Criminal Justice Act „provide for the same degree of public accountability which applies to public sectors prisons“; vgl. CAT, Considerations of reports submitted by States Parties under article 19 of the Convention, Third periodic report of States Parties due in 1998: United Kingdom of Great Britain and Northern Ireland (1998), UN Doc. CAT / C / 44 / Add.1, para. 95. 17 Außer aus dem Umstand, dass anderslautende Vorschriften fehlen, ergibt sich dies aus einem Umkehrschluss aus Section 88 (3) (c) Criminal Justice Act 1991, wonach nur im Falle eines Kontrollverlustes des Betreibers über das Gefängnis die (privaten) Bediensteten den Anweisungen des vom Justizminister eingesetzten Beamten Folge zu leisten haben. Zu den beachtlichen Befugnissen des „controller“ gegenüber den Gefangenen und den im Gegensatz dazu sehr beschränkten Möglichkeiten in Bezug auf das Gefängnispersonal siehe auch CPT, Report to the Government of the United Kingdom (2002) (Fn. 6), para. 85: „Home Office ,controllers‘ are deployed in each establishment to ensure that it is managed in ,accordance to the contract‘ and in a manner which is ,reasonable and fair‘. Controllers also have the power to conduct disciplinary hearings and award sanctions to prisoners, and to investigate allegations against staff.“ 18 Human Rights Act 1998, 1998 Chapter 42. 19 Ob hier allerdings von einer echten Bindung der Rechtsprechung (und im Rahmen von Section 3 auch der Legislative) gesprochen werden kann, ist fraglich. Denn ähnlich der Rechsprechung des deutschen Bundesverfassungsgerichts, wonach die Gewährleistungen der EMRK und die Entscheidungen der Konventionsorgane durch die deutsche Staatsgewalt zu
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Die Verantwortlichkeit des Staates gegenüber dem Einzelnen für Menschenrechtsverletzungen nach Landesrecht ist dadurch parallel zu derjenigen nach Völkerrecht unter der EMRK ausgestaltet.20 Section 6, para. 3 lit. b Human Rights Act, der mit der Definition des Merkmals der staatlichen Gewalt die Adressaten der Menschenrechtsbindung festlegt, lautet: „,public authority‘ includes ( . . . ) any person certain of whose functions are functions of a public nature“. Die Unbestimmtheit des Merkmals der „öffentlichen Natur“ ist offensichtlich und vor dem Hintergrund der weitreichenden, schon während der Arbeiten am Human Rights Act absehbaren Privatisierungspraxis bemerkenswert. Ein von den gesetzgebenden Organen eingesetzter Ausschuss zur Überwachung der Menschenrechtslage im Vereinigten Königreich (Joint Human Rights Committee) kommt zu dem Schluss, dass diese Vorschrift zu einer Lücke im völkerrechtlich gebotenen Menschenrechtsschutz und zu einer Verletzung der völkerrechtlichen Pflichten des Staates führe.21 Den Kern des Problems umschreibend stellt der Ausschuss fest: „[W]hile the Convention had been designed to protect the individual from abuse of power by the State, the Human Rights Act was enacted at a time when the map of the public sector had been redrawn, as privatisation and contracting-out had, over several decades, increased the role of the private and voluntary sectors in the provision of public services.“22
Diese wachsende Rolle wird von den englischen Gerichten nur zum Teil in ihre Rechtsprechung aufgenommen. Nur partiell nehmen sie eine weite Interpretation des Merkmals functions of a public nature vor. Dabei wird auf die Notwendigkeit einer funktionalen Bestimmung hingewiesen, die es angesichts der vielfältigen Handlungsformen des modernen Staates allerdings nicht zulasse, eine allgemeingültige Abgrenzung vorzunehmen.23 Die Mehrheit der Gerichte bedient sich dagegen einer eher formalen Bestimmung der Natur einer Verhaltensweise. Danach ist das Verhältnis der handelnden Personen oder Einrichtungen zum Staat entscheidend, insbesondere die durch den Staat ausgeübte Kontrolle sowie die Nähe der Einrichtung zum Staat sowie die Ermächtigung zur Ausübung hoheitlichen „berücksichtigen“ seien (BVerfG, 2 BvR 1481 / 04, Urteil v. 14. 10. 2004, BVerfGE 111, 307 [307]), sind nach dem Human Rights Act 1998 diese Gewährleistungen von der Judikative zu „berücksichtigen“ („take into account“, Section 2, para. 1), Gesetze müssen in konventionskonformer Weise angewendet werden („legislation must be read and given effect in a way which is compatible with the Convention rights“, Section 3, para. 1). 20 Vgl. die Stellungnahme des britischen Innenministers während der Beratungen zum Human Rights Act: „liability in domestic proceedings should lie with bodies in respect of whose actions the UK Government were responsible in Strasbourg“ (HC Deb, 17 June 1998, col 406). 21 House of Lords, House of Commons, Joint Committee on Human Rights, The Meaning of Public Authority under the Human Rights Act, Seventh Report of Session 2003 – 04 (2004), HL Paper 39 / HC 382, paras. 73, 148. 22 Joint Committee on Human Rights (Fn. 21), para. 4. 23 House of Lords (UK), Aston Cantlow and Wilmcote with Billesley Parochial Church Council v. Wallbank, Urteil v. 26. 06. 2003, [2003] UKHL 37, para. 12.
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Zwangs.24 Dieser Ansatz wird nach Einschätzung der britischen Gesetzgebungsorgane aufgrund der notwendig willkürlichen Unterscheidungen den menschenrechtlichen Anforderungen nicht gerecht.25 Die gegenwärtige Rechtslage sei vielmehr so, dass der Staat nicht automatisch für jede mögliche Verletzung der EMRK durch eine Person oder ein Unternehmen verantwortlich sei, dem durch Vertragsschluss die Erfüllung einer „öffentlichen Funktion“ übertragen wurde. Eine Verantwortlichkeit trete vielmehr nur dann ein, wenn etwa aufgrund entsprechender Anzeichen der Staat von der Gefahr einer Verletzung wusste oder hätte wissen müssen.26 2. Vereinigte Staaten von Amerika Die Vereinigten Staaten werden international als Vorreiter auf dem Weg des staatlichen Rückzugs aus der Erfüllung öffentlicher Aufgaben wahrgenommen. Insbesondere seit Mitte der 1980er Jahre, als infolge größerer Anstrengungen in der Verbrechensbekämpfung (law and order policy) das erste vollständig privatisierte Gefängnis seinen Betrieb aufnahm, hat der Rückgriff auf den privatwirtschaftlichen Bereich einen noch immer größer werdenden Umfang erreicht.27 Im Jahr 2001 saßen ca. 92 000 Gefangene in 100 durch private Unternehmen betriebenen Gefängnissen ein.28 Außerhalb der Gefangenenbetreuung setzt der Staat (auf Bundes-, Landes- und lokaler Ebene) private Sicherheitsdienste zur Bewachung öffentlicher Einrichtungen, aber auch zur Rechtsdurchsetzung ein.29 24 Court of Appeal (UK), Donoghue v. Poplar Housing and Regeneration Community Association, 3 WLR 183 (198); Court of Appeal (UK), Callin, Heather and Ward v. Leonard Cheshire Foundation, Urteil v. 21. 03. 2002, [2002] EWCA Civ 366; Court of Appeal (UK), Hampshire County Council v. Graham Beer, Urteil v. 21. 07. 2003, [2003] EWCA Civ 1056. 25 Joint Committee on Human Rights (Fn. 21), para. 41, zur gegenwärtigen Rechtslage im Vereinigten Königreich: „the protection of human rights is dependent not on the type of power being exercised, nor on its capacity to interfere with human rights, but on the relatively arbitrary (in human rights terms) criterion of the body’s administrative links with the institutions of the State“. 26 Joint Committee on Human Rights (Fn. 21), para. 83. 27 Siehe den Forschungsbericht des Australischen Parlaments Privatisation of Prisons, Background Paper No. 3 / 2004 (2004), para. 4.2.1., http: // www.parliament.nsw.gov.au / prod / parlment / publications.nsf / 0 / ED4BA0B9D18C2546CA256EF9001B3ADA (besucht am 12. 07. 2006). – Zu Hintergründen und zur historischen Entwicklung der Gefängnisprivatisierung in den Vereinigten Staaten siehe James / Bottomley / Liebling / Clare, Privatizing Prisons (1997), 1 ff. 28 Dies sind 2,3 % aller Gefangenen in Bundes- und 5,8 % aller Gefangenen in Gefängnissen der Einzelstaaten; siehe Bureau of Justice Statistics, U.S. Department of Justice, Bulletin NCJ195189, Prisoners in 2001 (2002), 1, www.ojp.usdoj.gov / bjs / pub / pdf / p01.pdf (besucht am 07. 07. 2006); siehe auch Australian Parliament, Privatisation of Prisons (Fn. 27), para. 4.1.1.; CAT, Summary record of the first part of the 424th meeting (2001), Consideration of reports submitted by State Parties under article 19 of the Convention, Initial report of the United States of America, UN Doc. CAT / C / SR / 424, paras. 34, 48.
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Auch in den Bereichen des Sozial- und Gesundheitswesens haben private Unternehmen zu einem großen Teil Aufgaben im öffentlichen Interesse übernommen.30 Nach überwiegender Einschätzung ist es dabei selbstverständlich, dass auch diese Unternehmen, die der Staat zur Erfüllung „seiner“ Aufgaben zulässt, ebenso wie andere Unternehmen den Gesetzen des Marktes unterworfen sind und dass auch ihr natürliches Ziel ist, durch wirtschaftliche Effizienz Unternehmensgewinne zu erzielen.31 Unter der durch Gesetze und Rechtsprechung geschaffenen Rechtslage kommt es in verschiedenen Konstellationen zur Frage, ob per Vertragsschluss beauftragte Unternehmen oder Individuen staatliches Verhalten umsetzen. Ein Großteil der einschlägigen Rechtsprechung ist mit Fällen befasst, in denen eine Verletzung verfassungsmäßig gewährter Rechte geltend gemacht wird. Die entsprechende Rechtsgrundlage gewährt Schadensersatz aufgrund einer Verletzung durch Personen, deren Verhalten als „under color of state law“ zu qualifizieren ist.32 Die Rechtsprechung hat dabei Kriterien entwickelt, anhand derer das Verhalten von Personen, die keine Staatsorgane sind, als „state action“ einzuordnen ist. Erstens ist dies der public functions test, der danach fragt, ob das fragliche Verhalten ausschließlich dem Staat vorbehalten ist, zweitens der state compulsion test, bei dem der Staat Gewalt über den Einzelnen ausübt oder ihn entscheidend unterstützt, drittens der nexus test, der auf eine Verschränkung bzw. Interdependenz zwischen dem Staat und dem Einzelnen abstellt und viertens der joint action test, bei dem eine Zurechnung davon abhängt, ob der Einzelne vorsätzlich mit Staatsorganen kooperiert hat.33 Deutlich wird dabei, dass das Objekt dieser Qualifizierung weder die handelnde Person als solche ist noch deren allgemeiner Aufgabenbereich, sondern 29 Siehe Rosky, Force, Inc.: The Privatization of Punishment, Policing, and Military Force in Liberal States, Connecticut Law Review 36 (2004), 879 (891 ff.). 30 Ausführlich Metzger, Privatization as delegation, Columbia Law Review 103 (2003), 1367 (1380 ff.). 31 Siehe die Nachweise in Fn. 43. 32 Vgl. Civil action for deprivation of rights, 42 U.S.C.A. § 1983: „Every person who, under color of any statute, ordinance, regulation, custom, or usage, of any State or Territory or the District of Columbia, subjects, or causes to be subjected, any citizen of the United States or other person within the jurisdiction thereof to the deprivation of any rights, privileges, or immunities secured by the Constitution and laws, shall be liable to the party injured in an action at law, suit in equity, or other proper proceeding for redress, except that in any action brought against a judicial officer for an act or omission taken in such officer’s judicial capacity, injunctive relief shall not be granted unless a declaratory decree was violated or declaratory relief was unavailable.“ 33 Vgl. nur Supreme Court (USA), West v. Atkins, Urteil v. 20. 06. 1988, 487 U.S. 42, 108 S.Ct. 2250, 56 USLW 4664, 101 L.Ed.2d 40, 47 ff.; Court of Appeals (USA), Mitchell v. St. Elizabeth Hospital, Entscheidung v. 03. 02. 2005, 119 Fed.Appx. 1, 2 f.; California District Court (USA), Kraft v. Laney, Urteil v. 24. 08. 2005, 2005 WL 2042310 (E.D.Cal.), 12; California District Court (USA), Fuqua v. Presley, Urteil v. 04. 10. 2005, 2005 WL 1865500 (E.D.Cal.), 3; Michigan, Southern Division, District Court (USA), Goodenow v. Iona County Memorial Hospital, Urteil v. 05. 10. 2005, 2005 WL 2459780 (W.D.Mich.), 1.
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stets das konkrete Verhalten. Ein und dieselbe Person kann daher in ein und demselben Umfeld sowohl staatlich als auch privat Handeln. Die Gerichte stellen darauf ab, ob eine dieser Fallgruppen gerade auf die angeblich zur Rechtsverletzung führende Handlung Anwendung findet und untersuchen dafür die Rechts- und Verwaltungslage auf Hinweise, die eine nach diesen Kriterien zu bestimmende Beziehung zwischen dem Staat und der einzelnen Person begründen.34 Ausgangspunkt ist dabei stets, dass Privatpersonen (durch zivilrechtlichen Vertrag verpflichtete Ärzte usw.) und private Unternehmen nicht schon deshalb staatliches Verhalten umsetzen, weil sie unter Vertrag mit dem Staat (auf der lokalen, bundesstaatlichen oder gesamtstaatlichen Ebene) stehen, selbst wenn sie Gefängnisse betreiben oder dort einzelne Leistungen erbringen; entscheidend ist ausschließlich, dass die fragliche Verhaltensweise die eben dargestellten Voraussetzungen erfüllt.35 Eine state action wurde daher für Verhalten eines Unternehmens abgelehnt, das innerhalb eines Gefängnisses Renovierungsarbeiten durchführte, in deren Verlauf es zur Verletzung eines Insassen kam, da die Verantwortlichkeit für die körperliche Unversehrtheit beim Staat verblieben sei.36 Hat ein staatliches Gefängnis dagegen die medizinische Betreuung der Insassen auf ein privates Unternehmen übertragen, so bleibe dessen Verhalten dennoch staatlich, da den Staat die Pflicht zur Sorge für die Insassen treffe.37 Dagegen kann die Registrierung privater Sicherheitsfirmen zur Annahme staatlichen Verhaltens durch diese Unternehmen führen, da ein strenges Registrierungssystem zu einem ausreichenden Grad an Kontrolle des Staates über die jeweilige Firma führe.38 Anders ist dagegen eine gegen einen Gliedstaat gerichtete Klage entschieden worden, die auf eine andere Rechtsgrundlage gestützt wurde. Der Kläger behauptete eine mangelhafte Betreuung durch das medizinische Personal, das innerhalb eines privat geführten Gefängnisses zum Einsatz kam. Die sich gegen den Staat richtende Anspruchsgrundlage setzt voraus, dass das fragliche Verhalten von „state 34 Vgl. nur California District Court (USA), Kraft v. Laney (Fn. 33), 12 ff.; das Gericht untersucht, ob das beklagte Krankenhaus durch entsprechende gesetzliche Vorschriften, die eine Blutabnahme bei einem in Haft genommenen potentiellen Verkehrssünder vorsehen, gerade bei Durchführung der Blutabnahme als staatlich handelnd angesehen werden kann. 35 Vgl. Supreme Court (USA), West v. Atkins (Fn. 33), 55 f. (Zurechnung bejaht, da der Staat die Pflicht habe, Gefangenen medizinische Betreuung zu gewährleisten und diese Pflicht durch eine privaten Arzt umgesetzt habe); Court of Appeals (USA), Mitchell v. St. Elizabeth Hospital (Fn. 33), 3 (Zurechnung abgelehnt, da den Staat keinerlei Pflichten hinsichtlich der ärztlichen Geheimhaltungspflicht eines Krankenhauses träfen). 36 Illinois District Court (USA), White v. Cooper, Urteil v. 20. 05. 1999, 55 F.Supp. 2d 848 (849 f.); ähnlich California District Court (USA), Fuqua v. Presley (Fn. 33), 4 f. 37 Supreme Court (USA), Richardson v. McKnight, Urteil v. 23. 06. 1997, 521 U.S. 399 (404 ff.); Court of Appeals, 11th Circuit (USA), Hinson v. Edmond, Urteil v. 20. 10. 1999, 192 F.3d 1342 (1345 ff.); Florida District Court (USA), Nelson v. Prison Health Services, Urteil v. 30. 12. 1997, 991 F.Supp 1452 (1464 f.) 38 South Carolina District Court (USA), Thompson v. McCoy, Urteil v. 01. 10. 1976, 425 F. Supp. 407 (409).
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employees“ ausgeht.39 Das hier eingesetzte medizinische Personal war dabei keines des Gefängnisbetreibers, sondern eines dritten unabhängigen Unternehmens, das per Vertragsschluss die medizinische Betreuung der Gefangenen übernommen hatte („sub-contractor“). Da dessen Personal nicht direkt vom Staat angestellt war, konnte die Klage gegen den Staat nicht erfolgreich sein, das Personal bestand insofern nicht aus „state employees“.40 Reichhaltige Praxis besteht auch zur der Frage, inwieweit private Vertragsunternehmen Immunität gegen solche Klagen genießen. Diese qualified immunity kommt ausschließlich government officials zugute, die „öffentliche Funktionen“ ausüben und soll Schutz gegen Klagen augrund berufstypischer Gefährdungen und fahrlässiger Verletzungen bieten. Nicht erfasst sind Handlungen, die für jedermann erkennbar eine Verletzung verfassungsmäßig garantierter Rechte darstellen (willkürliche Gewaltanwendung etc.). Vor diesem Hintergrund wird die Behauptung von Immunität von Angestellten privater Unternehmen, die im Gefängniswesen tätig sind, regelmäßig zurückgewiesen.41 Hinzuweisen ist schließlich auf die Stellung von Privatschulen. Auch hier kommt es für die Annahme staatlichen Verhaltens auf die vier oben dargestellten Kriterien an.42 So ist die Suspendierung eines Schülers, der sich der Unterziehung seiner Ansicht nach unverhältnismäßiger Disziplinarmaßnahmen widersetzt hatte, als nicht staatlich gewertet worden. Die Maßnahme ging von einer unabhängigen Schule aus, die unter Vertrag mit dem Staat stand und sich darin verpflichtet hatte, alle darum ersuchenden Schüler des Bezirks aufzunehmen, da außer ihr keine entsprechenden schulischen Einrichtungen existierten. Dies war nach Ansicht des Gerichts jedoch nicht ausreichend, um die erforderliche Verbindung zum Staat anzunehmen. Entscheidend sei vielmehr, dass dieser durch seine Gesetzeslage ausreichend Schutz gegen ungerechtfertige Disziplinarmaßnahmen geschaffen habe und darüber hinaus trotz der Beauftragung der Schule verpflichtet bleibe, allen Schülern eine Schulausbildung zu gewährleisten. Vor dem Hintergrund, dass die Annahme staatlichen Verhaltens u. a. davon abhängt, ob der Staat ein ausreichendes Maß an Kontrolle über das private Unterneh39 Vgl. Constitution of the State of Tennessee, T.C.A. § 8-42-101(3)(A) (Supp.2005), der das Merkmal „state employee“ wie folgt definiert: „,State employee‘ means any person who is a state official, including members of the general assembly and legislative officials elected by the general assembly, or any person who is employed in the service of and whose compensation is payable by the state, or any person who is employed by the state whose compensation is paid in whole or in part from federal funds, but does not include any person employed on a contractual or percentage basis.“ 40 Court of Appeals of Tennessee (USA), Younger v. State of Tennessee, Urteil v. 27. 01. 2006, Slip Copy, 2006 WL 211814 (Tenn.Ct.App.), 5 (m. w. N.). 41 Kansas District Court (USA), Bafford v. Simmons, Urteil v. 26. 06. 2002, 2002 WL 1462072 (D.Kan.). 42 Court of Appeals, 1st Circuit (USA), Logiodice v. Trustees Of Maine Central Institute, Urteil v. 18. 07. 2002, 296 F.3d 22 (26 ff.).
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men ausübt, betonen Gerichte den Umstand, dass auch im Gefängnis-, Sicherheitsund Gesundheitsbereich die Kontrolle des Staates schon deswegen nur begrenzt sei, weil die „Kräfte des Marktes“ die Unternehmen in ausreichendem Maße zu qualitativ angemessenem Verhalten anhielten; ein schlecht arbeitendes Unternehmen, das etwa die ihm anvertrauten Gefängnisinsassen nachlässig behandele, laufe schließlich Gefahr, den Auftrag zu verlieren.43 Die Qualifizierung eines Verhaltens als staatlich oder privat hängt in den Vereinigten Staaten somit auch von der jeweils behandelten Rechtsnorm ab. Dies führt dazu, dass eine allgemeingültige Einordnung eines Verhaltens nicht möglich ist. Die hier dargestellte Rechsprechung hat sich anhand von Schadensersatzklagen entwickelt, die sich auf ganz unterschiedliche Rechtsgrundlagen mit unterschiedlichen Anforderungen an das als staatlich zu qualifizierende Verhalten stützen können. Ein Grundsatz, nach dem „der Staat“ etwa an bestimmte Grundrechte gebunden sei und daher im Falle einer Verletzung eine Klage gegen den Staat erhoben werden könne, ist nicht ausschlaggebend, sondern einzelne, von den Umständen abhängende Schadensersatzforderungen, die sich gegen ein Individuum in seiner staatlichen Eigenschaft oder in seiner Eigenschaft als Privatperson richten kann, nicht gegen den Staat als solchen. Hier steht die beklagte Person bzw. Einrichtung im Mittelpunkt und nur die weiteren Voraussetzungen einer Klage hängen von der staatlichen oder privaten Eigenschaft ab. Ein einheitliches System der Menschenrechtsbindung „des Staates“ hat sich in den Vereinigten Staaten insofern nicht entwickelt.
3. Deutschland In der Bundesrepublik hat ökonomisches Denken bei der Erbringung staatlicher Kernfunktionen Einzug gehalten, seitdem in Hessen Ende 2005 das erste teilprivatisierte Gefängnis den Betrieb aufgenommen hat.44 In weiteren Bundesländern sind Teilprivatisierungen in Vorbereitung.45 Bisher wurden jedoch aus verfassungs43 Richardson (Fn. 37), 400; Nelson (Fn. 37), 1462; Court of Appeals, 9th Circuit (USA), Jenson v. Lane County, Urteil v. 23. 10. 2000, 222 F.3d 570 (678); Nebraska District Court (USA), Weigand v. Spadt, Urteil v. 12. 05. 2004, 317 Supp. 2d 1129 (1140). Vgl. aber auch Logiodice (Fn. 42), 30 f.: „The reality is that we are all dependent on private entities for crucial services and, in certain key areas, competition may not furnish protection. Consider, for example, towns in which electric, gas, or bus service is privately provided under franchise. Thus far, the Supreme Court has declined to impose due process requirements on such institutions. It perceives, as we do here, that state statutory and administrative remedies are normally available to deal with such abuses and that ,constitutionalizing‘ regulation of private entities is a last resort.“ 44 F.A.S. v. 04. 12. 2005, 2 („Der Staat schließt nur zu“); Berliner Zeitung v. 13. 12. 2004, 3 („Wer schließt ab?“). Eine mildere Form der Privatisierung findet allerdings schon seit 1996 statt, als das Land Mecklenburg-Vorpommern erstmals ein aus privaten Mitteln finanziertes Gefängnis zur eigenen Nutzung mietete; vgl. SZ v. 02. 07. 1996 („Land zahlt Miete für den Knast“). 45 Gegenwärtig sind dies Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt; siehe F.A.Z. v. 09. 01. 2007, 11 („Privatgefängnis mit Erfolg“).
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rechtlichen Gründen nur solche Tätigkeiten ausgelagert, die keine Eingriffsbefugnisse zu Lasten der Gefangenen erfordern.46 Neben privaten Angestellten werden daher auch Vollzugsbeamte tätig, die die unmittelbare Bewachung der Gefangenen übernehmen. Während die bisherigen Ergebnisse der Teilprivatisierung überwiegend als Erfolg eingeschätzt werden, hat die Mischung aus Personal mit und ohne Eingriffsbefugnissen auch zu Koordinationsschwierigkeiten im Gefängnisbetrieb geführt.47 Zwischen dem Staat und den Mitarbeitern des privaten Unternehmens bestehen lediglich zivilrechtliche Kontroll- und Weisungsbefugnisse, verbunden mit der Möglichkeit von Vertragsstrafen und -kündigung.48 Darüber hinaus betreuen auf dem Frankfurter Flughafen private Sicherheitsdienste Aufnahmelager für Asylbewerber.49 Die dabei anfallenden Tätigkeiten, „allgemeine Überwachungsaufgaben“,50 unterstehen der Weisungsbefugnis eines Beamten. Nach Ansicht der Bundesregierung sind die Angehörigen dieser Dienste weder Beamte noch Beliehene, Rechtsschutz gegen von ihnen begangene Handlungen sei (nur) mit den Mitteln des Strafrechts möglich.51 Um Beliehene handelt 46 Vgl. Laubenthal, Vollzug von Freiheitsstrafen durch private Unternehmen, in: Krause u. a., Recht der Wirtschaft und Arbeit in Europa, Gedächtnisschrift für Wolfgang Blomeyer (2004), 415 ff.; Di Fabio, Privatisierung und Staatsvorbehalt, JZ 54 (1999), 585 ff. Siehe auch das Gutachten über die verfassungsrechtlichen Grenzen der Privatisierung in der Bundesrepublik von Gusy (1999), http: // www.bsbd-nrw.de / veroeffentlichungen / index.html (besucht am 20. 02. 2006); ders., Möglichkeiten und Grenzen der Privatisierung des Jugendstrafvollzugs, JZ 61 (2006), 651 (651 ff.). 47 Siehe F.A.Z. v. 09. 01. 2007 (Fn. 45). 48 Antwort des hessischen Justizministeriums auf eine Anfrage des Verfassers (2005). Gleichwohl liege „die Gesamtverantwortung für das Handeln der Privaten ( . . . ) im Außenverhältnis immer beim Land“. Die vertraglich vereinbarte Beziehung zwischen dem Land und dem privaten Betreiber ist nach Aussage des Ministeriums nicht öffentlich einsehbar. – In der Terminologie des deutschen Verwaltungsrechts sind die Angestellten des privaten Unternehmens als Verwaltungshelfer anzusehen, die in die Rechte Dritter nur aufgrund einer im Einzelfall gegebenen Weisung eingreifen dürfen; vgl. Wolff / Bachof / Stober, Verwaltungsrecht, Band 2, 5. Auflage (1987), § 103, Rn. 2, 5. 49 Vgl. CAT, Consideration of reports submitted by States Parties under article 19 of the Convention, Conclusions and recommendations of the Committee against Torture: Germany (2004), UN Doc. CAT / C / CR / 32 / 7, paras. 4 (e), 5 (f). 50 CAT, Consideration of reports submitted by States Parties under article 19 of the Convention, Comments by the Government of Germany to the conclusions and recommendations of the Committee against Torture (2005), UN Doc. CAT / C / CR / 32 / 7 / RESP / 1, paras. 20, 24. 51 Comments by the Government of Germany (Fn. 50), paras. 26 f. Ausdrücklich ist diese Aussage zwar auf den strafrechtlichen Beamtenbegriff des § 11 Abs. 1 StGB bezogen. Soweit dies im Umkehrschluss aber bedeutet, dass verwaltungsrechtliche oder Amtshaftungsklagen ausgeschlossen sind, ist auch der Beamtenbegriff im haftungsrechtlichen Sinne gemäß Art. 34 GG nicht erfüllt, der auch Privatpersonen erfasst, denen Hoheitsbefugnisse übertragen wurden (Beliehene). Zum Beamtenbegriff unter dem Grundgesetz Bonk, in: Sachs (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, 3. Auflage (2003), Art. 34, Rn. 55. – Der Bundesgerichtshof, 2 StR 437 / 98, Urteil v. 03. 03. 1999, BGHSt 45, 16, hat den strafrechtlichen Beamtenbegriff für einen Mitarbeiter der Flughaften Frankfurt AG (FAG), deren Eigentümer die Bundesrepublik Deutschland, das Land Hessen sowie die Stadt Frankfurt am Main sind, abgelehnt: „Unabhän-
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es sich jedoch bei den Angestellten solcher privater Sicherheitsdienste, die im Rahmen des Luftsicherheitsgesetzes Flugpassagiere und deren Gepäck kontrollieren. Diese Unternehmen stehen unter der fachlichen Aufsicht der Luftsicherheitsbehörden.52 In derselben Rechtsform des Beliehenen sollen zukünftig die Gerichtsvollzieher tätig werden. Nach entsprechenden Gesetzesentwürfen werden sie nicht mehr als Beamte tätig, sondern „auf eigene Rechnung“, um durch „stärkere Leistungsanreize“ einen freien Wettbewerb zu ermöglichen.53 Subtilere Formen der Privatisierung im Sicherheitsbereich stellen jene Fälle dar, in denen private Sicherheitsdienste Aufgaben der Gefahrenabwehr übernehmen, ohne dass ihnen explizit hoheitliche Befugnisse übertragen sind. Gestattet der Staat die umfassende Leistung von Sicherheitsdiensten oder arbeitet er mit entsprechenden Unternehmen zusammen, so begibt er sich bewusst des „Rechts zum ersten Zugriff“;54 private Dienste nehmen hier ersatzweise Aufgaben der Polizei wahr, zu denen hoheitliche Sonderbefugnisse nicht erforderlich sind, die ihrer Natur nach jedoch als typische sicherheitsrelevante Handlungsformen des Staates wahrgenommen werden.55 gig von den weiteren Begriffsmerkmalen setzt die Amtsträgereigenschaft somit stets die Tätigkeit bei (oder im Auftrag) einer Behörde oder ,sonstigen Stelle‘ voraus. Nach den vom Senat ( . . . ) entwickelten Grundsätzen sind auch als juristische Personen des Privatrechts organisierte Einrichtungen und Unternehmen der öffentlichen Hand als ,sonstige Stellen‘ den Behörden gleichzustellen, wenn sie Merkmale aufweisen, die eine solche Gleichstellung rechtfertigen. Dies ist insbesondere dann der Fall, wenn sie bei ihrer Tätigkeit öffentliche Aufgaben wahrnehmen und dabei derart staatlicher Steuerung unterliegen, daß sie bei Gesamtbewertung der sie kennzeichnenden Merkmale als ,verlängerter Arm‘ des Staates erscheinen ( . . . ). Die FAG nimmt als Betreiberin des Verkehrsflughafens Frankfurt am Main zwar eine Aufgabe wahr, die auch Gegenstand der öffentlichen Verwaltung sein kann, weil es dabei um eine Maßnahme der Daseinsvorsorge geht. Diese Aufgabe kann allerdings – wie die neuere Entwicklung zeigt – entgegen der Annahme der Staatsanwaltschaft ohne weiteres auch von einer Gesellschaft mit privaten Eigentümern erfüllt werden. Trotz ihrer öffentlichen Aufgabe weist die FAG aber keine Merkmale auf, die bei der gebotenen Gesamtbetrachtung ihre Gleichstellung mit einer Behörde rechtfertigen könnten. Insbesondere unterliegt sie keiner staatlichen oder kommunalen Steuerung, die sie zum ,verlängerten Arm‘ ihrer öffentlichrechtlichen Eigentümer macht“ (ebd., paras. 7 f.). Private Angestellte, die im staatlichen Auftrag Kontroll- und Sicherheitsdienste umsetzen und denen dazu hoheitliche Befugnisse übertragen wurden, seien dagegen als Beliehene einzordnen (ebd., para. 13). 52 Siehe die Antwort der Bundesregierung auf die Große Anfrage der Abgeordneten Dr. Werner Hoyer u. a. („Auslagerung spezifischer Sicherheits- und Militäraufgaben an nichtstaatliche Stellen“) v. 24. 06. 2005, BT-Drs. 15 / 5824, 5 f. 53 Siehe F.A.Z. v. 01. 03. 2007, 12 („Gerichtsvollzieher werden privatisiert“). 54 Kämmerer, Privatisierung (2001), 395. 55 Beispielsweise wurden während der Fußballweltmeisterschaft 2006 in der Bundesrepublik Objekte und Veranstaltungen nicht nur von der Polizei bewacht, sondern es kamen zusätzlich 3000 Mitarbeiter des privaten Sicherheitsunternehmens Securitas GmbH zum Einsatz. Dessen Vertragspartner war zwar das WM-Organisationskomitee, der konkrete Einsatz vor Ort fand jedoch in enger Zusammenarbeit mit den staatlichen Ordnungskräften statt, vgl. F.A.Z. v. 11. 05. 2006, 21 („Die Weltmeisterschaft beginnt schon am kommenden Montag“). Zum privaten Sicherheitsgewerbe in Deutschland auch Kämmerer (Fn. 54), 388 ff.; zum Ein-
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Im Jahr 2005 hatten überdies 170 Auslandsvertretungen der Bundesrepublik Verträge mit privaten Unternehmen zur Erbringung von Schutz- und Sicherheitsdienstleistungen geschlossen. Dabei handelt es sich sowohl um örtliche Unternehmen als auch um Niederlassungen weltweit operierender Konzerne.56 Schließlich ist auch auf die Privatisierung im Rahmen der Bundeswehrverwaltung hinzuweisen, deren Ziel es ist, die Bundeswehr „von möglichst allen Aufgaben, die nicht militärische Kernaufgaben sind“, zu entlasten.57 Dazu gehört nicht nur logistische Unterstützung (Versorgung, Wartung technischer Anlagen etc.), die Bundeswehr überträgt auch den Objektschutz von (inländischen) Einrichtungen privaten Sicherheitsdiensten, die zum Teil mit hoheitlichen Eingriffsbefugnissen ausgestattet sind.58 Der verfassungsrechtliche Rahmen wird von Art. 33 Abs. 4 GG gesteckt, nach dem die „Ausübung hoheitsrechtlicher Befugnisse ( . . . ) als ständige Aufgabe in der Regel Angehörigen des öffentlichen Dienstes zu übertragen [ist], die in einem öffentlich-rechtlichen Dienst- und Treueverhältnis stehen“. Das Bundesverfassungsgericht sieht in diesem besonderen Verhältnis zum Staat den Sinn des Vorbehalts, der die demokratische Verantwortlichkeit, die Treue- und Gehorsamspflicht sowie die Neutralität der Amtsführung sichere.59 Entscheidendes Merkmal ist dabei die Ausübung hoheitlicher Befugnisse. Unstreitig ist dabei, dass davon jedenfalls Tätigkeiten umfasst sind, die der Eingriffsverwaltung zuzuordnen sind; dagegen ist bezüglich der Frage, welche Verhaltensweisen darüber hinaus hier einzuordnen sind, kein einheitliches Meinungsbild auszumachen.60 Aus einem Funktionsvorbehalt ist nicht zwangsläufig zu schließen, dass das von dem Vorbehalt nicht erfasste Verhalten notwendig nichtstaatlich ist. Größere Aussagekraft kommt Art. 34 GG zu, der einen Schadensersatzanspruch gegen den Staat bzw. eine staatliche Stelle gewährt, sofern bei der Ausübung eines „öffentlichen Amtes“ Amtspflichten zu Lasten Dritter verletzt werden. Vor dem Hintergrund der Tatsache, dass auch der deutsche Staat bei weitem nicht mehr nur „amtsatz privater Sicherheitsdienste an Schulen siehe F.A.Z. v. 30. 06. 2007, 4 („Wachleute schützen Schulen in Berlin“). 56 Antwort der Bundesregierung (2005) (Fn. 52), 9. 57 Siehe die Informationen der Bundeswehr über die im Jahr 2000 gegründete „Gesellschaft für Entwicklung, Beschaffung und Betrieb“ unter http: // www.bundeswehr.de (unter Verwaltung / Optimierung und Wirtschaftlichkeit / Dienstleistung für die Bundeswehr) sowie http: // www.gebb.de (beide Adressen besucht am 15. 07. 2006). Zu Rückschlägen auf dem Weg der Privatisierung ziviler Aufgaben siehe F.A.Z. v. 21. 06. 2006, 6 („Keine privaten Truppenküchen“). 58 Siehe die Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Paul Schäfer u. a. („Umgang der Bundesregierung mit Söldnern, Söldnerfirmen, privaten Sicherheits- und Militärdienstleistungsunternehmen“) v. 26. 04. 2006, BT-Drs. 16 / 1296, 11, para. 19; zur Rechtslage in Deutschland Kämmerer (Fn. 54), 396 f. 59 BVerfG, 2 BvF 2 / 58, Urteil v. 27. 04. 1959, BVerfGE 9, 268 (284). 60 Zum Streitstand siehe Lübbe-Wolff, in: Dreier (Hrsg.), Grundgesetz, Kommentar, Band 2 (1998), Art. 33, Rn. 57 ff. Siehe auch Kämmerer (Fn. 54), 214 ff.
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lich“, d. h. in Ausübung hoheitlicher, öffentlich-rechtlicher Verhaltensweisen tätig wird, wird das Merkmal des öffentlichen Amtes als nicht mehr ausreichend angesehen.61 Im Ergebnis bedeutet dies, dass in der Bundesrepublik jedenfalls dasjenige Verhalten als notwendig staatliches angesehen wird, das Eingriffsbefugnisse zu Lasten Dritter beinhaltet; darauf beschränkt ist dies jedoch nicht.
4. Weitere Staaten Einen ähnlichen Stand hat die privat-öffentliche Zusammenarbeit auch in weiteren Staaten erreicht.62 Die Auslagerung einzelner Tätigkeiten ist mit der Errichtung zweier teilprivatisierter Haftanstalten in Ungarn zu beobachten.63 In der Tschechischen Republik64 sowie in Japan65 sind nichtstaatliche Stellen an der Einrichtung und Führung von Gefängnissen oder Besserungsanstalten beteiligt. Privaten Unternehmen übertragene Tätigkeiten, die keine Eingriffsbefugnisse erfordern, sind hier insbesondere die medizinische und psychologische Betreuung der Gefangenen, die Verpflegung, Wartung sanitärer Anlagen usw. Eine derartige Teilbis hin zur vollständigen Privatisierung hat auch in den Niederlanden66 sowie in Südafrika, Frankreich, Belgien, Australien67 sowie Neuseeland68 stattgefunden; in Wieland, in: Dreier, Grundgesetz (Fn. 60), Art. 34, Rn. 28 ff. (m. w. N.). Für einen Überblick neben den folgenden Nachweisen siehe Wondratschke, Privatisierung von Gefängnissen und Menschenrechte: Chance oder Risiko?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2007 – Privat oder Staat? Menschenrechte verwirklichen! (2006), 116 (117 f.); James / Bottomley / Liebling / Clare (Fn. 27), 18 ff. – Für ein Beispiel von Privatisierungen in kommunistischen Staaten, die bisher allerdings lediglich Staatskonzerne wie Fluglinien oder Unternehmen aus dem Papier- und Stahlsektor etc. betreffen, siehe F.A.Z. v. 03. 01. 2007, 9 („Vietnam will privatisieren“). 63 F.A.Z. v. 07. 03. 2006, 9 („Teilprivatisierte Haftanstalten in Ungarn“). 64 Vgl. CAT, Consideration of reports submitted by State Parties under article 19 of the Convention, Third periodic report of State parties due in 2001, Addendum, Czech Republic (2002), UN Doc. CAT / C / 60 / Add.1, para. 46. 65 Vgl. CHR, Administration of justice, rule of law and democracy, Report of the sessional working group on the administration of justice (2003), UN Doc. E / CN.4 / Sub.2 / 2003 / 6, para. 21. 66 Vgl. CPT, Report to the Authorities of the Kingdom of the Netherlands on the visits carried out to the Kingdom in Europe and to the Netherlands Antilles by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (2002), CPT / Inf (2002) 30, para 27. 67 Im Jahr 2004 existierten in Australien sieben privat betriebene Gefängnisse, in denen 10 % aller Gefangenen einsaßen; siehe Australian Parliament, Privatisation of Prisons (Fn. 27), para. 4.3.1; siehe zu den einzelnen australischen Diskrikten auch James / Bottomley / Liebling / Clare (Fn. 27), 10 ff., Rynne, Protection of Prisoners’ Rights in Australian Private Prisons, in: Brown / Wilkie (Hrsg.), Prisoners as Citizens (2002), 131 ff. Zu den übrigen Staaten sowie zu ähnlichen Überlegungen in anderen Ländern siehe den Bericht des australischen Parlaments (ebd.), para. 4.1.2.; für Frankreich und Belgien siehe auch Harding (Fn. 13), 151. 61 62
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Norwegen werden daneben auch Angestellte privater Sicherheitsfirmen innerhalb der öffentlichen Gefängnisse beschäftigt.69 In Japan sind private Unternehmen auch mit dem Transport von Verdächtigen und Gefangenen von und zu dem jeweiligen Gefängnis beauftragt.70 Ähnlich wie in der Bundesrepublik werden Sicherheitsdienste auch auf italienischen Flughäfen eingesetzt. Nach einer entsprechenden Lizenzierung durch die Behörden übernehmen diese Firmen ausschließlich unterstützende Funktionen, zu Aktionen mit Eingriffscharakter sind sie nicht ermächtigt.71 Daneben ist auch die Betreuung von Asylbewerbern ausgelagert.72 Ein Einsatz privater Firmen an Flughäfen im Rahmen der Einwanderungskontrolle findet auch in Japan und Südafrika statt.73 Außerhalb von Gefängnissen und ähnlichen Einrichtungen greifen Staaten auf private Dienste zur Sicherung von Großereignissen oder Gebäuden zurück, auch die Schweiz lässt ihre Auslandsvertretungen teilweise durch private Unternehmen sichern.74 Teilweise werden die Aufgaben der örtlichen Polizei vollständig auf private Unternehmen übertragen,75 wie dies in der Hauptstadt Mexikos der Fall ist, 68 Vgl. HRC, Fourth periodic report of States Parties due in 1995: New Zealand (2001), UN Doc. CCPR / C / NZL / 2001 / 4, para. 137; Australian Parliament, Privatisation of Prisons (Fn. 27), para. 4.1.2. 69 Vgl. CPT, Report to the Norwegian Government on the visit to Norway carried out by the European Committee for the Prevention of Torture and Inhuman or Degrading Treatment or Punishment (2006), CPT / Inf (2006) 13, para. 36. 70 Vgl. CHR, Specific groups and individuals: migrant workers, Report submitted by Ms. Gabriela Rodríguez Pizarro, Special Rapporteur (2004), UN Doc. E / CN.4 / 2005 / Add.3, para. 94. 71 Vgl. HRC, Summary record of the 2317th meeting (2005), Consideration of reports submitted by States Parties under Article 40 of the Covenant and of country situations (continued), Fifth periodic report of Italy, UN Doc. CCPR / C / SR.2317, paras. 13, 18 und 38. 72 Vgl. CHR, Pizarro-Report (Fn. 70), paras. 59, 86. 73 Vgl. CHR, Pizarro-Report (Fn. 70), paras. 93, 146 f. 74 Schweizerischer Bundesrat, Bericht des Bundesrats zu den privaten Sicherheits- und Militärfirmen (2005), paras. 3.4.2, 6.2.2; http: // www.bj.admin.ch / etc / medialib / data / sicherheit / sicherheitsfirmen.Par.0001.File.tmp / 051505_ber_sicherheitsfirmen_d.pdf (besucht am 24. 10. 2006): Im Jahr 2004 ließ die Schweiz 80 ihrer Auslandsvertretungen von privaten Diensten bewachen. Dazu gehört insbesondere auch die Vertretung in Bagdad nach dem jüngsten Irakkrieg, zu deren privaten Schutz sich die Schweiz entschloß, nachdem die amerikanischen Behörden im Jahr 2003 erklärt hatten, die Sicherheit ausländischer Vertretungen nicht mehr gewährleisten zu können. Siehe dazu die Antwort des schweizerischen Bundesrates v. 23. 06. 2004 auf die Anfrage „Private Sicherheitskräfte“, Dokumentennr. 04.1045, vor para. 1. 75 Nach Benson, To Serve and Protect: Privatization and Community in Criminal Justice (1998), 18 ff., sei dies für bestimmte Bereiche mancher Städte in den USA, in der Schweiz sowie auf den Bahamas der Fall. Für die Schweiz siehe auch den Bericht des schweizerischen Bundesrates (2005) (Fn. 20), para. 3.1., zu Ausmaß und Hintergründen des Rückgriffs auf das private Sicherheitsgewerbe; vgl. auch St. Galler Tagblatt v. 16. 06. 2006 („Die Polizei am Anschlag“), http: // www.tagblatt.ch / index.php?artikelxml=xxx&artikel_id=1202565&ressort= tagblattheute / schlagzeilen (besucht am 20. 06. 2006).
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wo anstatt der Polizei private, „police auxiliar“ genannte Sicherheitsdienste eingesetzt sind.76 Ein Haupteinsatzfeld privater Sicherheitsdienste besteht auch in der Ausbildung staatlicher Sicherheitskräfte. Dies ist keinesfalls auf „schwache“ Staaten beschränkt, wenngleich es gerade dort häufiger zu Vorwürfen der Verstrickung in illegale Aktivitäten kommt.77 In Kanada wurde im Jahr 2001 das erste, weit über 1 000 Häftlinge fassende privat betriebene Gefängnis eröffnet.78 Im Rahmen der Betreuung von Asylbewerbern hat eine Auslagerung einzelner Aufgaben stattgefunden.79 Die verfassungsrechtliche Lage ist in Kanada dabei insofern derjenigen in Großbritannien vergleichbar, als auch hier bei der Anwendung der wesentlichen Menschenrechte und Grundfreiheiten die völkerrechtlichen Verpflichtungen des Landes zu berücksichtigen sind. Nach der Rechtsprechung des Supreme Court sind bei der Auslegung der Canadian Charter of Rights and Freedoms80 auch internationale Menschenrechtsverträge sowie die einschlägige Rechtsprechung völkerrechtlicher Organe heranzuziehen.81 Die Charter selbst bestimmt ihren personalen Anwendungsbereich damit, dass sie als Verpflichtete die Regierung (government) nennt.82 Im Fall Eldridge83 war die Frage zu entscheiden, ob ein Krankenhaus die so beschriebene menschenrechtliche Verantwortlichkeit Kanadas auslösen könne. Zur Bestimmung, ob eine Einheit dem Staat zuzuordnen sei, urteilte das Gericht: The Guardian Weekend v. 09. 12. 2000, 48 ff. („Guns for Hire“). Beispielsweise warf das kongolesische Innenministerium Mitarbeitern des südafrikanischen Sicherheitsunternehmens Omega Security Solutions, das unter Vertrag mit dem Staat über die Ausbildung von Sicherheitskräften steht, die Mitwirkung an einem Putschversuch vor, vgl. F.A.Z. v. 26. 05. 2006, 6 („Putschvorwurf gegen Ausländer“). In Brasilien sollen private Sicherheitsdienste an „Todesschwadronen“ beteiligt gewesen sein, vgl. HRC, Summary record of the 1506th meeting (1996), Consideration of reports submitted by States Parties under Article 40 of the Covenant (continued), Initial report of Brazil, UN Doc. CCPR / C / SR.1506, para. 56. 78 Australian Parliament, Privatisation of Prisons (Fn. 27), para. 4.1.2. 79 Vgl. CAT, Summary record of the first part (public) of the 446th meeting (2000), Consideration of reports submitted by States Parties under Article 19 of the Convention (continued), Third periodic report by Canada, UN Doc. CAT / C / SR.446, para. 34. 80 Canada Act 1982 (U.K.) 1982, c. 11, Schedule B (17. 04. 1982). 81 Vgl. nur Supreme Court (Canada), Suresh v. Canada (Minister of Citizenship and Immigration), Urteil v. 11. 01. 2002, [2002] 1 S.C. R. 3, para. 46: „The inquiry into [Art. 7 of the Charter] is informed not only by Canadian experience and jurisprudence, but also by international law, including jus cogens. This takes into account Canada’s international obligations and values as expressed in ,[t]he various sources of international human rights law – declarations, covenants, conventions, judicial and quasi-judicial decisions of international tribunals, [and] customary norms‘“; die Entscheidung ist abgedruckt in International Journal of Refugee Law 14 (2002), 96 ff. 82 Section 32 para. 1 Canadian Charter of Rights and Freedoms. 83 Supreme Court (Canada), Eldridge v. British Columbia (Attorney General), Urteil v. 09. 10. 1997, [1997] 3. S. C. R. 624. 76 77
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„First, it may be determined that the entity is itself ,government‘ ( . . . ). This involves an inquiry into whether the entity whose actions have given rise to the alleged Charter breach can, either by its very nature or in virtue of the degree of governmental control exercised over it, properly be characterized as ,government‘ ( . . . ). In such cases, all of the activities of the entity will be subject to the Charter, regardless of whether the activity in which it is engaged could, if performed by a non-governmental actor, correctly be described as ,private‘. Second, an entity may be found to attract Charter scrutiny with respect to a particular activity that can be ascribed to government. This demands an investigation not into the nature of the entity whose activity is impugned but rather into the nature of the activity itself. In such cases, in other words, one must scrutinize the quality of the act at issue, rather than the quality of the actor. If the act is truly ,governmental‘ in nature – for example, the implementation of a specific statutory scheme or a government program – the entity performing it will be subject to review under the Charter only in respect of that act, and not its other, private activities.“84
In der Folge stellt das Gericht darauf ab, dass das zu untersuchende Verhalten in besonderer Weise auf den Staat zurückgehe. Es handele sich um ein staatlich angeordnetes Programm, das den zur Umsetzung verpflichteten Krankenhäusern keinerlei Spielraum lasse.85 Folglich sei dieses Verhalten staatlich.86 In Bezug auf private Sicherheitsdienste bekräftigte das Gericht in einem anderen Urteil, dass ein öffentliches Interesse an der Verbrechensbekämpfung für eine Anwendbarkeit der Charter nicht genüge.87 Dieser flexible Ansatz, der sowohl die Rechtnatur des Handelnden als auch die Natur des Verhaltens selbst ausschlaggebend sein lässt, erinnert an das Menschenrechtskomitee der Legislativorgane in Großbritannien, das eben diesen Ansatz fordert, um willkürliche Entscheidungen zu vermeiden: „[I]t is not the intrinsic nature of these bodies which brings them into the ambit of the [Human Rights] Act, it is the nature of the functions they perform which is determinative.“88
II. Bewaffneter Konflikt Die Öffnung des militärischen Sektors für nichtstaatliche Akteure – militärisches outsourcing – gehört zu den sensibelsten Ausprägungen der Privatisierungsentwicklung.89 Der rasant zunehmende Rückgriff auf private Dienstleistungsunternehmen hat spätestens mit den jüngsten Konflikten in Afghanistan und im Irak eine neue, bisher nicht gekannte Qualität erfahren (1.). Private Unternehmen Eldridge (Fn. 83), para. 44. Eldridge (Fn. 83), para. 45. 86 Eldridge (Fn. 83), paras. 52 f. 87 Supreme Court (Canada), R. v. Buhay, Urteil v. 05. 06. 2003, 2003 SCC 30, [2003] 1 S.C.R. 631, paras. 28 ff. 88 Joint Committee on Human Rights (Fn. 21), para. 7. 89 Dickinson, Government for hire: privatizing foreign affairs and the problem of accountability under international law, William and Mary Law Review 47 (2005), 135 (147). 84 85
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bilden inzwischen einen etablierten Markt militärischer Dienstleistungen. Gerade westliche Staaten, deren Truppen weltweit intensiv eingebunden sind, sind auf dieses Angebot angewiesen und machen den Markt so zu einem beachtlichen ökonomischen Faktor (2.). Die tatsächlichen Einsatzmöglichkeiten dieser Akteure sind kaum abschließend darstellbar, sie erfassen mittlerweile beinahe jede militärische Funktion. Der extensive Einsatz privater Unternehmen während der jüngsten Konflikte hat zu vielfältigen Spannungen mit humanitären Standards geführt, welche die Relevanz für völkerrechtliche Fragestellungen deutlich machen (3.).
1. Die neuen Privaten im bewaffneten Konflikt Der Einsatz privater Militär- und Sicherheitsdienstleister im Kontext bewaffneter Konflikte, im angelsächsischen Sprachgebrauch private military companies (PMC), hat eine neue Qualität erreicht.90 Er entspricht in keiner Hinsicht mehr den traditionellen Formen der Unterstützung staatlicher Streitkräfte durch zivile Heereslieferanten und andere Zivilisten. Die Regeln des humanitären Völkerrechts, die eine Begleitung der Streitkräfte durch zivile supply contractors zur Kenntnis nehmen, sind auf echte Privatisierung nicht zugeschnitten.91 Wenngleich auch unter grundlegend anderen Vorzeichen, sieht sich die Unterscheidung zwischen Kombattanten und Zivilisten mit ihrer humanitären Zielsetzung heute durch das vermehrte Auftreten nichtstaatlicher Akteure noch stärker herausgefordert, als dies bereits während des Zweiten Weltkriegs92 zu verzeichnen war: „The nature of warfare continues to change, and there are now many more actors and parties involved in conflicts. These include armed groups and militias, mercenaries, private military contractors and borderless terrorist networks. This evolving environment and the diversity of new actors creates circumstances where certain groups may evade responsibility entirely. This requires better regulation and standards of accountability for armed forces, as well as for private sector groups actively engaged with or working in support of militaries.“93 90 Gasser, Outsourcing of War Efforts – einige Fragen aus der Sicht des humanitären Völkerrechts, Humanitäres Völkerrecht – Informationsschriften 19 (2 / 2006), 132 (133); Faite, Involvement of Private Contractors in Armed Conflict: Implications under International Humanitarian Law, Defence Studies 4 (2004), 166 (167); Boldt, Outsourcing War – Private Military Companies and International Humanitarian Law, GYIL 47 (2004), 502 (503). 91 Siehe etwa Art. 4 Buchstabe A Abs. 4 der dritten Genfer Konvention (III. Genfer Abkommen über die Behandlung der Kriegsgefangenen v. 12. 08. 1949, UNTS 75, 135). 92 Angesichts grundlegender Umwälzungen in der Austragung bewaffneter Konflikte zeichneten sich schon damals die Schwierigkeiten ab, diese Unterscheidung im bewaffneten Konflikt effektiv durchzuführen: „Modern war has raised, and, in some respects, left unresolved the problem of reconciling the fundamental distinction between combatants and noncombatants with the advent of new weapons and with the increase on the numbers of both combatants and noncombatants engaged in work of vital importance for the war effort“ (Lauterpacht, The Law of Nations and the Punishment of War Crimes, BYIL 21 [1944], 58 [74 f.]).
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Unter dem Zwang von Haushaltssanierungen kaufen Staaten vermehrt Aktivitäten auf einem internationalen Markt ein, die sie bis vor wenigen Jahren noch ausschließlich durch die Streitkräfte wahrnahmen und deren Erfüllung als grundsätzlich legitime Staatsaufgabe gilt. Heute sind zivile Dienstleister aus vielen Armeen nicht mehr wegzudenken. Die qualitative Veränderung ihrer Aufgaben beruht darauf, dass diese Unternehmen auch echte militärische Aktivitäten anstelle oder neben der regulären Armee wahrnehmen. Die schon seit Mitte der 1990er Jahre zu beobachtende Rolle nichtstaatlicher Akteure beschränkt sich nicht mehr, wie noch zu Zeiten der Kodifikation des Genfer Rechts vorausgesetzt, auf reine Unterstützungshandlungen wie Versorgung mit Verpflegung, medizinische Betreuung, Herstellung und Lieferung von Ausrüstung und Waffen usw. Private Angestellte nehmen auch während bewaffneten Konflikten Aufgaben wahr, die direkt vom humanitären Völkerrecht erfasst sind. Das humanitäre Völkerrecht basiert auf der grundlegenden Unterscheidung zwischen Zivilpersonen und Kombattanten – zwischen den kriegführenden Staaten,94 ihren militärischen Organen einerseits, und den zu schonenden Zivilpersonen, der „nichtstaatlichen“ Bevölkerung andererseits. Diese Unterscheidung ist für Grundentscheidungen über die Rechtmäßigkeit der Vornahme von Schädigungshandlungen, dem einzelnen Personen zukommenden Schutz sowie für die völkerrechtliche Verantwortlichkeit der Staaten für Verletzungen des ius in bello wesentlich. Im Mittelpunkt steht auch hier, dass die Unterscheidung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Akteuren nicht (mehr) deckungsgleich mit der Abgrenzung zwischen staatlichen und nichtstaatlichen Tätigkeiten ist.95 Neben dieser Entwicklung vollziehen sich schon seit längerer Zeit die Versuche vor allem afrikanischer Staaten, inneren Unruhen mit Hilfe privater Unternehmen zu begegnen. Zu deren Angebot gehören nicht nur Ausbildung und Organisation der staatlichen Streitkräfte. Vereinzelt führten sie sogar vollumfängliche Kampfeinsätze anstelle staatlicher Kräfte durch oder leisteten aktive Unterstützung der Streitkräfte im Kampf.96 Neben dieser Unterstützung mehr oder weniger willkür93 Report of the Secretary-General to the Security Council on the protection of civilians in armed conflict (2004), UN Doc. S / 2004 / 431, para. 59. 94 Obwohl Parteien eines bewaffneten Konfliktes in erster Linie Staaten sind, kennt das Völkerrecht auch die Möglichkeit, dass andere Gruppen als die staatlichen Streitkräfte rechtmäßig zu den Waffen greifen können. Für die vorliegende Untersuchung, die sich auf den Einsatz nichtstaatlicher Akteure durch Staaten beschränkt und die Beteiligung von Staaten damit voraussetzt, bleiben diese Konstellationen jedoch außer Beachtung. 95 Vgl. Addicott, Contractors on the ,battlefield‘: providing adequate protection, anti-terrorism training, and personnel recovery for civilian contractors accompanying the military in combat and contingency operations, Houston Journal of International Law 28 (2006), 323 (339 ff.). 96 Siehe zur Situation in Angola und Sierra Leone während der 1990er Jahre Howe, Private security forces and African stability: the case of Executive Outcomes, The Journal of Modern African Studies 36 (1998), 307 ff.; Zarate, The emergence of a new dog of war: Private international security companies, international law, and the new world disorder, Stanford
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lich agierender Regime „schwacher“ Staaten ist auch der Schutz missliebiger multinationaler Investoren in Entwicklungsländern in diesen Zusammenhang einzuordnen. Jedoch haben diese Konstellationen nur zum Teil einen gemeinsamen Hintergrund mit Fällen der hier behandelten Privatisierung militärischer Aufgaben. Zwar hat der Aufstieg privater Militärdienstleister im Zusammenhang mit Konflikten auf dem afrikanischen Kontinent begonnen, wo sie zur Niederschlagung innerer Unruhen oder zum Sturz von Regierungen eingesetzt wurden. Gleichwohl entscheiden sich diese Einsätze schon in ihrer Intention von der aktuellen Privatisierungsentwicklung dadurch, dass sie über eine ökonomisch motivierte Öffnung des militärischen Sektors weit hinausgehen. Sie stehen daher nicht im Mittelpunkt folgender Betrachtungen.
2. Militärdienstleistungen als ökonomischer Faktor Die meisten der hier interessierenden Unternehmen sind, wie erwähnt, keineswegs als Elemente eines illegalen Gewalt- und Söldnermarktes in instabilen Staaten aufzufassen. Private Dienstleister sind vielmehr integraler Bestandteil nationaler Verteidigungssysteme. In den Vereinigten Staaten etwa, wo die Regierung schon bisher massiv auf die zivile Unterstützung ihrer Streitkräfte setzte, geht man auch für die Zukunft davon aus, dass allein staatliche Kräfte die „Nationale Sicherheitsstrategie“97 nicht werden umsetzen können, Abhilfe könne nur durch einen noch umfassenderen Einsatz privater Unternehmen geschaffen werden.98 Als Gebiete, in denen „extensive Aktivitäten“ mit „größtmöglichem Nutzen“ auf private Unternehmen übertragen werden könnten, gelten etwa Friedenseinsätze im Rahmen der Vereinten Nationen, humanitäre Operationen, die transnationale Bekämpfung krimineller Banden, Terroristen und Drogenkartelle, „paramilitärische Operationen“, Informationskriegführung und „asymmetrische“ Kriege.99 Als dabei Journal of International Law 34 (1998), 75 (93 ff.); Shearer, Outsourcing War, Foreign Policy Fall 1998, 68 ff. 97 Siehe die in der Folge des 11. 09. 2001 entworfene und seitdem die Politik der Vereinigten Staaten massiv beeinflussende National Security Strategy of the United States of America (2002), http: // www.whitehouse.gov / nsc / nss.html (besucht am 21. 09. 2006). 98 Siehe etwa in der offiziellen Zeitschrift des U. S. Army War College Smith, The New Condottieri and US Policy: The Privatization of Conflict and Its Implications, Parameters XXXII (2002 / 2003), 104 (114) mit Nachweisen zu entsprechenden Stellungnahmen aus der amerikanischen Regierung. Siehe auch Addicott (Fn. 95), 385 (der Einsatz Privater sei eine „absolute Notwendigkeit für die erfolgreiche Durchführung eines Einsatzes“ im Rahmen moderner Militäroperationen); ähnlich Peters, On law, wars and mercenaries: the case for courts-martial jurisdiction over civilian contractor misconduct in Iraq, Brigham Young University Law Review 2006, 367 (383) („indispensable to the United States’ ability to wage war“). 99 Smith (Fn. 98), 113 ff. Die Vereinigten Staaten greifen schon seit längerem auf private Unternehmen zurück, die im Auftrag der CIA in Kolumbien den Drogenhandel bekämpfen; siehe etwa Financial Times v. 12. 08. 2003 („Colombia: Private Companies on the Front-
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zu erbringende Aufgaben werden neben logistischer Unterstützung auch Planung, Sicherheit, Personenschutz, Luft- und Landtransport sowie Aufklärung, Informationsbeschaffung und Überwachung von Waffenstillständen genannt.100 Damit zielt die Regierung der Vereinigten Staaten auf einen Abbau von Bürokratie im Verteidigungsministerium – das Pentagon müsse vor sich selbst geschützt werden –, die klassische Militärverwaltung sei durch ein auf privatem, risikobereitem und kapitalistisch denkendem Unternehmertum basierendes Modell zu ersetzen.101 Für militärische Dienstleistungen ist mittlerweile ein weltweiter Markt entstanden. Anbieter sind vor allem in den Vereinigten Staaten, Großbritannien, Südafrika, Israel, Australien, aber auch in Deutschland ansässig. Allein aus frei zugänglichen Quellen waren im Jahr 2005 weit über 100 solcher Unternehmen zu verzeichnen.102 Regelmäßig handelt es sich dabei um privatrechtlich organisierte, markwirtschaftlich orientierte Unternehmen, die ihren Personalbestand zu weiten Teilen aus dem Reservoir ehemaliger Armee- und Geheimdienstangehöriger rekrutieren, das u. a. aus der seit dem Ende des Ost-West-Konflikts weltweit zu beobachtenden Verkleinerung der regulären Streitkräfte hervorgeht.103 Dieser Perline“), http: // www.corpwatch.org / article.php?id=8028; BBC News v. 14. 12. 2004 („Protecting people or profit“), http: // newsvote.bbc.co.uk / mpapps / pagetools / print / news.bbc. co.uk / 1 / hi / programmes / this_world / 4079691.stm; siehe auch United States Government Accountability Office, Drug Control, Aviation Program Safety Concerns in Colombia Are Being Addressed, but State’s Planning and Budgeting Process Can Be Improved (GAO Report July 2004), insbesondere 7 ff., www.gao.gov / new.items / d04726.pdf (alle Adressen besucht am 21. 09. 2006); McCallion, War for Sale! Battlefield contractors in Latin America & the ,corporatization‘ of America’s war on drugs, University of Miami Inter-American Law Review 36 (2005), 317 ff. Aus der Sicht des US-amerikanischen Militärs siehe Guillory, Civilianizing the force: is the United States crossing the Rubicon? – role of civilians under the laws of armed conflict, Air Force Law Review 51 (2001), 111 ff. 100 Smith (Fn. 98), 114. 101 Siehe die Ankündigung des damaligen Verteidigungsministers Rumsfeld, wiedergegeben in The Nation v. 02. 04. 2007, Vol. 284, No. 3, 11 (11) („Bush’s Shadow Army“). 102 Darin sind ausschließlich Unternehmen enthalten, die genuin militärische Dienstleistungen anbieten. Anbieter „herkömmlicher“ Dienste (zivile Logistik etc.) bleiben hier außen vor. Nachweise bei Wulf, Internationalisierung und Privatisierung von Krieg und Frieden (2005), passim, insbesondere 219 ff.; ders., Privatisierung der Sicherheit, VN 4 / 2002, 144 (144 ff.); Zarate (Fn. 96), 103 ff.; Time v. 26. 03. 2007, Vol. 169, No. 13, 36 ff. („Outsourcing the War“). Siehe auch die Arbeiten von Singer, Corporate Warriors, The Rise of the Privatized Military Industry (2004); Binder, Der Einsatz von Söldnerfirmen durch gewählte Regierungen – eine „Antinomie des Demokratischen Friedens“? (2004); Uesseler, Krieg als Dienstleistung (2006); Kinsey, Challenging international law: a dilemma of private security companies, Conflict, Security & Development 5 (2005), 269 (272). Zu Beispielen von Rekrutierungstätigkeiten in Deutschland siehe F.A.Z. v. 21. 05. 2007, 9 („Profiteure des Krieges“); Stern 41 / 2005 („Die Hunde des Krieges“), http: // www.stern.de / politik / deutschland / 547129.html (besucht am 21. 09. 2006); Bharadwaj, Privatization of Security: The Mercenary-Market Mix, Defence Studies 3 (2003), 64 (68 ff.). 103 Zu den Hintergründen des rapiden Anstiegs privater Militärdienstleister siehe etwa Desai, Have your cake and eat it too: a proposal for a layered approach to regulating private
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
sonalfluss umfasst alle Dienstgrade bis hin zu hohen ehemaligen Generälen; ein Umstand, der von wesentlicher Bedeutung für die Effektivität, teilweise gute Reputation und den wirtschaftlichen Erfolg der Unternehmen ist.104 Die Strukturen der Unternehmen sind dabei ebenso vielfältig wie ihr Dienstleistungsangebot. Zu einem Teil handelt es sich um effektiv und militärisch strukturierte Unternehmen, die Glieder multinationaler Konzerne sind und insbesondere seit Mitte der 1990er Jahre in beinahe jedem größeren Konflikt zum Einsatz kamen.105 Aus vielen Armeen westlicher Staaten sind diese Unternehmen nicht mehr wegzudenken. Nicht zuletzt das Internationale Komitee vom Roten Kreuz (IKRK) hat ihren Einsatz als kurzfristig nicht zu ändernde Tatsache akzeptiert.106 Sowohl beteiligte als auch dritte Staaten gehen von einer zukünftigen Zunahme der Privatisierungstendenzen im militärischen Sektor aus.107 Im Jahr 2004 gaben die Vereinigten Staaten 10 % des Haushaltsbudgets (275 Milliarden US-Dollar) für Waren und Dienstleistungen privater Unternehmen zugunsten der Streitkräfte aus,108 in Großbritannien belaufen sich die Zahlen für das military companies, University of San Francisco Law Review 39 (2005), 825 (832 ff.); Wulf, Internationalisierung und Privatisierung (Fn. 102), 49 ff.; ders., Privatisierung der Sicherheit (Fn. 102), 145; Kinsey (Fn. 102), 174 ff. Siehe auch F.A.Z. v. 03. 03. 2007, 16 („Früher waren sie beim KGB“). 104 Siehe etwa Brayton, Outsourcing War: Mercenaries and the Privatization of Peacekeeping, Journal of International Affairs 55 (2002), 303 (307 f.). 105 Siehe Howe, Global order and the privatization of security, Fletcher Forum of World Affairs 22 (1998), 1 (2). 106 Siehe IKRK, Privatization of War – The outsourcing of military tasks (2006) („PMCs / PSCs will remain part of the security sector environment for the foreseeable future“), http: // www.icrc.org / web / eng / siteeng0.nsf / html / privatisation-war-230506, sowie IKRK, The ICRC to expand contacts with private military and security companies (2004) („Private security firms are an established feature of the 21st century war landscape, working for states, corporations and even NGOs“), http: // www.icrc.org / Web / Eng / siteeng0.nsf / html / 63HE58 (beide Adressen besucht am 23. 05. 2006). 107 Für die Vereinigten Staaten siehe United States Government Accountability Office, Rebuilding Iraq, Actions Still Needed to Improve the Use of Private Security Providers (2006) (GAO Report 2006), 15: „[O]ur experience in Iraq has made us aware that future operations may include reconstruction efforts in an unstable or deteriorating security environment, thus requiring extensive use of private security providers“, http: // www.gao.gov / new.items /d06865t.pdf (besucht am 11. 10. 2006). Für die deutsche Bundesregierung siehe die Antwort der Bundesregierung (2006) (Fn. 58), 2: „Angesichts internationaler begrenzter staatlicher Ressourcen und der fortschreitenden Technologisierung und Spezialisierung militärischer Aufgaben ist künftig mit einem weiteren Anstieg der Nachfrage nach Leistungen privater Sicherheitsdienste zu rechnen“. Für die Schweiz siehe den Bericht des Schweizerischen Bundesrats (Fn. 74), para. 6.2.2. 108 Mlinarcik, Private military contractors & justice: a look at the industry, Blackwater & the Fallujah incident, Regent Journal of International Law 4 (2006), 129 (133). Siehe zum Umfang des Einsatzes Privater auch Congress of the United States, Congressional Budget Office, Logistics Support for Deployed Military Forces (2005) (CBO Report 2005), 2 ff., http: // www.cbo.gov / ftpdocs / 67xx / doc6794 / 10-20-MilitaryLogisticsSupport.pdf (besucht am 25. 09. 2006).
Kap. 1: Privatisierte Staatsaufgaben
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Jahr 2003 auf 2,5 Milliarden US-Dollar.109 Die typischen rechtlichen Beziehungen zwischen diesen Unternehmen und den mit ihnen Verträge schließenden Staaten sind in der Regel frei von öffentlich-rechtlichen Aspekten. Verwaltungs- oder verfassungsrechtliche Bestimmungen, die auf die (staatliche) Eingriffsverwaltung Anwendung finden, spielen höchstens insofern eine Rolle, als sie einen landesrechtlichen Rahmen und Grenzen zulässiger Aufgabenübertragungen auf nichtstaatliche Akteure bilden. Im Kern handelt es sich regelmäßig um rein zivilrechtliche Vertragsverhältnisse. In die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit gerieten private Anbieter militärischer Dienstleistungen bereits Mitte der 1990er Jahre während des postjugoslawischen Konflikts.110 Mit Billigung auch der Vereinigten Staaten beauftragte Kroatien private Unternehmen mit der Ausbildung und Betreuung der nationalen Streitkräfte;111 im Rahmen dieses Einsatzes von Zivilpersonen für militärische Aufgaben kam es auch zu Menschenrechtsverletzungen an der einheimischen Bevölkerung.112 Auch im Rahmen von Beobachtermissionen auf dem Balkan kamen später Unternehmen im staatlichen Auftrag zum Einsatz, die Aufgaben der beteiligten Staaten übernahmen.113 Im Jahr 2002, während des Konflikts in Afghanistan, griffen die beteiligten Staaten ebenfalls auf private Dienstleister zurück. Ihnen wurde hier insbesondere der Schutz von Personen und Einrichtungen übertragen.114 In Gefängnissen werden weiterhin Angehörige von Unternehmen eingesetzt, um bei Verhören Gefangener mitzuwirken; auch hierbei kam es zu rechtswidrigen Handlungen.115 109 Wulf, Internationalisierung und Privatisierung (Fn. 102), 61 (m. w. N.). Für einen knappen Überblick über die Entwicklung in Großbritannien seit den 1980er Jahren siehe Hartley, The Economics of Military Outsourcing, Defence Studies 4 (2004), 199 (202 ff.); Uttley, Private Contractors on Deployed Operations: the United Kingdom Experience, Defence Studies 4 (2004), 145 (145 ff.). 110 Singer, War, profits, and the vacuum of law: privatized military firms and international law, Columbia Journal of Transnational Law 42 (2004), 521 (524 f.); Vernon, Battlefield contractors: facing the tough issues, Public Contract Law Journal 33 (2004), 369 (374); Newell / Sheehy (Fn. 24), 92; Michaels, Beyond accountability: the constitutional, democratic, and strategic problems with privatizing war, Washington University Law Quarterly 82 (2004), 1001 (1026 ff.). 111 Zarate (Fn. 96), 108 ff.; zum Ganzen Smith (Fn. 98), 110 f. 112 Stinnett, Regulating the Privatization of War: How to stop private military firms from committing human rights abuses, Boston College International and Comparative Law Review 28 (2005), 211 (215); Peters (Fn. 98), 383 f. 113 Siehe das „Green Paper“ des britischen Foreign and Commonwealth Office, Private Military Companies: Options for Regulation (2002), HC 577, para. 59; Boldt (Fn. 90), 511 (m. w. N.). 114 Michaels (Fn. 110), 1029 ff.; Vernon (Fn. 110), 378; Frye, Private military firms in the new world order: how redefining ,mercenaries‘ can tame the ,dogs of war‘, Fordham Law Review 73 (2005), 2607 (2619); siehe auch Desai (Fn. 103), 836 f.; Addicott (Fn. 95), 330 ff. 115 The Boston Globe v. 18. 06. 2004 („CIA contractor is charged in beating of Afghan detainee“); Los Angeles Times v. 18. 06. 2004, A6 („U.S. Charges Contractor over Beating
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
Ganz massiv stellt sich der Rückgriff auf nichtstaatliche Akteure seit dem jüngsten Irakkonflikt (2003) dar. Nach Aussagen des US-amerikanischen Verteidigungsministers waren im Jahr 2004 im Irak 20 000 Angehörige privater Sicherheitsunternehmen tätig,116 nach dem Bericht des amerikanischen Generalinspekteurs für den Wiederaufbau im Irak an den Kongress stieg diese Zahl auf 25 000 im Jahr 2005.117 Zusammen bilden sie damit nach den Truppen der Vereinigten Staaten das zweitgrößte Kontingent, noch vor demjenigen Großbritanniens.118 Auch wenn nicht jedes dieser Unternehmen direkt mit einem beteiligten Staat bzw. mit der von der Koalition eingesetzten Übergangsverwaltung (Coalition Provisional Authority, CPA) kontraktiert,119 sind es gleichwohl die Staaten, die den Einsatz ausländischer Sicherheitsdienstleister im Irak ermöglichen und im Hinblick auf die zur Verfügung stehenden Ressourcen nachdrücklich wünschen.120 Die rechtliche Stellung der Angehörigen privater Unternehmen ist, soweit der Irak betroffen ist, durch Besatzungsrecht der CPA geregelt, zu deren völkerrechtlichen Befugnissen grundsätzlich, wenngleich nicht unbeschränkt, auch der Erlass of Afghan Detainee“); New York Times v. 18. 06. 2004, A1 („Contractor Indicted in Afghan Detainee’s Beating“); The Washington Post v. 18. 06. 2004, A1 („Civilian Charged in Beating of Afghan Detainee“). 116 Siehe den Brief des US-Verteidigungsministers Donald Rumsfeld an den Kongress v. 04. 05. 2004, http: // www.house.gov / skelton / 5-4-04_Rumsfeld_letter_on_contractors.pdf (besucht am 22. 09. 2006). 117 Special Inspector General for Iraq Reconstruction, Quarterly Report to Congress (Oktober 2005), 13, http: // www.sigir.mil / reports / quarterlyreports / Oct05 / October_2005_report. pdf. Aktuelle Hinweise zu im Irak tätigen privaten Sicherheitsdiensten (Unternehmensdaten, Tätigkeitsbereiche usw.) liefert das U.S. Department of State, Security Companies Doing Business in Irak, unter http: // travel.state.gov / travel / cis_pa_tw / cis / cis_1763. html (beide Adressen besucht am 11. 10. 2006). Siehe dazu auch CBO Report 2005 (Fn. 108), 46, nach dem schon während der eigentlichen Kampfhandlungen seit März 2003 zwischen 10 000 und 20 000 Angehörige privater Unternehmen im Irak tätig wären, seit Errichtung der CPA sogar bis 30 000. 118 Für eine zahlenmäßige Aufstellung der Streitkräftekontingente im Irak im Sommer 2006 siehe F.A.Z. v. 07. 12. 2006, 2 („Die großen Truppensteller im Irak“). Danach liegen unter den 34 Ländern, die Soldaten in den Irak entsandt haben, die Vereinigten Staaten mit 144 000 Mann an erster Stelle, gefolgt von Großbritannien (7 200), Südkorea (2 800) und Australien (1 400). Die Gesamtzahl der dort stationierten Soldaten ohne diejenigen der Vereinigten Staaten betrug zu diesem Zeitpunkt 16 500. 119 Immerhin waren es im Jahr 2004 jedoch 3 500 Personen, die direkt unter Vertrag mit der Regierung standen („civilian employees“) und 18 000 Personen, die aufgrund eines Vertrages ihres Unternehmens mit der Regierung vor Ort waren („civilian contractors“); vgl. CBO Report 2005 (Fn. 108), 45. Zu Unternehmen, die direkt mit der CPA unter Vertrag stehen, siehe Congressional Research Service, Report to Congress, Private Security Contractors in Iraq: Background, Legal Status, and Other Issues (2004) (CRS Report 2004), 4 ff., http: // www.opencrs.com / rpts / RL32419_20040528.pdf (besucht am 11. 10. 2006). 120 Allgemein zur Sicherheitslage im Irak im Hinblick auf private Dienstleister Lock, Privatisierung von Sicherheit: Ist der Irak unsere Zukunft?, in: Deutsches Institut für Menschenrechte u. a. (Hrsg.), Jahrbuch Menschenrechte 2007 – Privat oder Staat? Menschenrechte verwirklichen! (2006), 106 ff.
Kap. 1: Privatisierte Staatsaufgaben
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von Rechtsakten gehört.121 Mit CPA Regulation 1 machte die CPA von dieser Möglichkeit Gebrauch und beanspruchte die Ausübung aller drei Gewalten in dem Umfang, der zur Umsetzung ihrer Ziele unter den einschlägigen Resolutionen des Sicherheitsrates sowie unter allgemeinem Völkerrecht erforderlich sind.122 Nach CPA Memorandum 17123 müssen sich alle „privaten Sicherheitsunternehmen“, ob sie unter Vertrag mit beteiligten Staaten oder anderen Privatunternehmen stehen (Sec. 1), von einer zentralen Stelle registrieren lassen (Sec. 2). Voraussetzung für die Registereintragung ist neben Mindestalter, körperlicher und geistiger Tauglichkeit der „Wille“, Recht und Gesetz zu achten. Hinzu tritt eine Sicherheitsüber121 Gasser, Schutz der Zivilbevölkerung, in: Fleck (Hrsg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts im bewaffneten Konflikt (1994), 205. – Ob sich die nun zu behandelnden Rechtsakte im insbesondere von Art. 64 GK IV und Art. 43 LKO gesetzten völkerrechtlichen Rahmen bewegen, kann hier nicht näher behandelt werden. Siehe allgemein zu Erlass und Anwendung von Rechtsvorschriften durch Besatzungsmächte Wengler, Völkerrecht, Band II (1964), 1415 ff.; Greenwood, The Administration of Occupied Territory in International Law, in: Playfair (Hrsg.), International Law and the Administration of Occupied Territories (1992), 142 (244 ff.), sowie speziell zur Situation im Irak Thürer / MacLaren, ,Ius Post Bellum‘ in Iraq: A Challenge to the Applicability and Relevance of International Humanitarian Law?, in: Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht, Liber amicorum Jost Delbrück (2005), 753 ff. (insbesondere 765 ff.); Kaikobad, Problems of belligerent occupation: the scope of powers exercised by the Coalition Provisional Authority in Iraq, April / May 2003 – June 2004, ICLQ 54 (2004), 253 ff.; Scheffer, Beyond Occupation Law, AJIL 97 (2003), 842 ff.; Fox, The occupation of Iraq, Georgetown Journal of International Law 36 (2005), 195 ff.; Bâli, Justice under occupation: rule of law and the ethics of nation-building in Iraq, Yale Journal of International Law 30 (2005), 431 ff.; Sassòli, Legislation and maintenance of public order and civil life by occupying powers, EJIL 16 (2005), 661 ff.; Ratner, Foreign occupation and international territorial administration: the challenges of convergence, EJIL 16 (2005), 695 ff.; Bhuta, The Antinomies of Transformative Occupation, EJIL 16 (2005), 721 ff.; Bothe, Töten und getötet werden – Kombattanten, Kämpfer und Zivilisten im bewaffneten Konflikt, in: Dicke u. a. (Hrsg.), Weltinnenrecht, liber amicorum Jost Delbrück (2005), 67 (70 ff.); Murphy, Contemporary Practice of the United States Relating to International Law, Coalition Laws and Transition Arrangements during Occupation of Iraq, AJIL 98 (2004), 601 ff.; Wheatley, The Security Council, Democratic Legitimacy and Regime Change in Iraq, EJIL 17 (2006), 531 ff.; Gasser, From Military Intervention to Occupation of Territory: New Relevance of International Law of Occupation, in: Fischer / Froissart / Heintschel von Heinegg / Raap (Hrsg.), Krisensicherung und Humanitärer Schutz – Crisis Management and Humanitarian Protection, Festschrift für Dieter Fleck (2004), 139 ff.; siehe auch Marauhn, Konfliktbewältigung in Afghanistan zwischen Utopie und Pragmatismus, AVR 40 (2002), 480 ff. 122 Siehe Coalition Provisional Authority Regulation Number 1 („The Coalition Provisional Authority“) v. 16. 05. 2003. Alle Rechtsakte der CPA sind abrufbar unter http: // www.cpa-iraq. org (besucht am 23. 09. 2006). – Nach Sec. 3 und 4 CPA Regulation Number 1 stehen der CPA „Regulations“, „Orders“ und „Memoranda“ zur Verfügung. Diese Rechtsakte sind wie folgt definiert: „Regulations shall be those instruments that define the institutions and authorities of the CPA. Orders are binding instructions issued by the CPA. ( . . . ) Regulations and Orders issued by the Administrator shall take precedence over all other laws and publications to the extent such other laws and regulations are inconsistent.“ „The Administrator may issue Memoranda in relation to the interpretation and application of any Regulation or Order.“ 123 Coalition Provisional Authority Memorandum Number 17 („Registration Requirements for Private Security Companies [PSC]“) v. 26. 06. 2004.
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prüfung, welche eine eventuelle Zugehörigkeit zur Baath-Partei, zu terroristischen Vereinigungen sowie Verurteilungen wegen Straftaten aufklären soll. Weitere Voraussetzungen bestehen nicht. Für den Hauptfall, in dem die Angehörigen des Unternehmens Nichtiraker sind, genügt sogar die Versicherung einer ausländischen Behörde, dass diese Voraussetzungen erfüllt sind.124 Ebenfalls für jedes im Irak tätige Unternehmen, das „Sicherheitsdienstleistungen“ anbietet, gilt nach CPA Order 3125 die Erlaubnis Waffen zu tragen und einzusetzen. Nach durchlaufener Lizenzierung, für die keinerlei Voraussetzungen aufgestellt werden – der Verweis auf weiterbestehendes irakisches Recht scheint hauptsächlich dem Abbau von Beschränkungen zu dienen – ist es jedem Mitarbeiter gestattet, „Schusswaffen und Militärwaffen“ einzusetzen, auch auf öffentlichen Plätzen (Sec. 3). Auch die (vertragsunabhängige) Aufgabe jedes dieser Unternehmen mit öffentlichem oder privatem Auftraggeber ist festgelegt. Nach CPA Memorandum 17 ist die „hauptsächliche Rolle“ privater Unternehmen „Abschreckung“ (Sec. 9). Waffen, aus denen grundsätzlich „nur gezielte Schüsse“ abgegeben werden sollen, dürfen zur Selbstverteidigung oder zur Verteidigung der vertraglich bestimmten Personen eingesetzt werden, jedoch auch, „um lebensbedrohliche Straftaten gegen Zivilisten zu verhindern“. Noch weiter ausgedehnt wird die Möglichkeit des Schusswaffeneinsatzes durch die erteilte Ermächtigung gegenüber einheimischen Zivilpersonen: Angehörige privater Unternehmen dürfen Zivilisten ganz allgemein „anhalten, festnehmen, durchsuchen und entwaffnen, sofern dies für die eigene Sicherheit erforderlich ist oder vertraglich vereinbart ist“.126 Die Anforderungen an den geforderten Willen zur Rechtstreue werden jedoch dadurch entscheidend herabgesetzt, dass private Angestellte im Falle von Rechtsverletzungen keine Straf- oder sonstige gerichtliche Verfolgung unter irakischem Recht zu befürchten haben. Zwar wurde in CPA Memorandum 17 unter der Überschrift „Beschränkungen und Verantwortlichkeit für private Sicherheitsunternehmen“ noch die Aussicht auf Straf- und zivilgerichtliche Verfolgung festgehalten, sollten sie die bisher aufgestellten (wenigen) Beschränkungen verletzen. Dies stand jedoch unter dem Vorbehalt anderweitiger rechtlicher Bestimmungen. Diese 124 Nach Einschätzung der Vereinigten Staaten sei ein Faktor für disziplinarische und ähnliche Probleme mit privaten Dienstleistern im Irak bezeichnenderweise „lückenhafte Überprüfungen des kriminellen Hintergrunds“ ziviler Angestellter; siehe GAO Report 2006 (Fn. 107), 15. 125 Coalition Provisional Authority Order Number 3 (Revised) (Amended) („Weapons Control“) v. 31. 12. 2003. 126 Siehe Rules for the Use of Force by Contractors in Iraq (Bestandteil des CPA Memorandum 17 nach dessen Sec. 9 Abs. 4): „You may use necessary force, up to and including deadly force, against persons in the following circumstances: a. In self-defense. b. In defense of persons as specified in your contract. c. To prevent life threatening offenses against civilians. ( . . . ) Treat Civilians with Dignity and Respect. ( . . . ) You may stop, detain, search, and disarm civilian persons if required for your safety or if specified in your contract.“
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Bestimmungen erließ die CPA schon einen Tag darauf mit CPA Order 17,127 welche jeden nichtirakischen Angehörigen eines jeden registrierten Sicherheitsunternehmens von jeder irakischen Gerichtsbarkeit freistellt.128 Abgesehen von der Möglichkeit, in ihren Heimatstaaten rechtlich verfolgt zu werden, genießen ausländische Mitarbeiter privater Sicherheitsunternehmen im Irak also eine vollständige Immunität.129 Diese Rechts- und Faktenlage im Irak ist auch weiterhin von Relevanz. Zwar fand die offizielle Regierung des Landes durch die Besatzungsmächte ihr Ende, als die im April 2003 errichtete CPA ihre Arbeit Ende Juni 2004 einstellte.130 Gleichwohl bestehen Zweifel, ob angesichts der fortdauernden Anwesenheit ausländi127 Coalition Provisional Authority Order Number 17 (Revised) („Status of the Coalition Provisional Authority, MNF-Iraq, Certain Missions and Personnel in Iraq“) v. 27. 06. 2004. 128 Sec. 4 CPA Order 17 („Contractors“): „(1) Sending States may contract for any services, equipment, provisions, supplies, material, other goods, or construction work to be furnished or undertaken in Iraq without restriction as to choice of supplier or Contractor. Such contracts may be awarded in accordance with the Sending State’s laws and regulations. (2) Contractors shall not be subject to Iraqi laws or regulations in matters relating to the terms and conditions of their Contracts, including licensing and registering employees, businesses and corporations; provided, however, that Contractors shall comply with such applicable licensing and registration laws and regulations if engaging in business or transactions in Iraq other than Contracts. Notwithstanding any provisions in this Order, Private Security Companies and their employees operating in Iraq must comply with all CPA Orders, Regulations, Memoranda, and any implementing instructions or regulations governing the existence and activities of Private Security Companies in Iraq, including registration and licensing of weapons and firearms. (3) Contractors shall be immune from Iraqi legal process with respect to acts performed by them pursuant to the terms and conditions of a Contract or any sub-contract thereto. Nothing in this provision shall prohibit MNF Personnel from preventing acts of serious misconduct by Contractors, or otherwise temporarily detaining any Contractors who pose a risk of injury to themselves or others, pending expeditious turnover to the appropriate authorities of the Sending State. In all such circumstances, the appropriate senior representative of the Contractor’s Sending State in Iraq shall be notified.“ 129 Nach Angaben des Flüchtlingswerks der Vereinten Nationen sei es gerade diese durch die CPA geschaffene Rechtsstellung von Angehörigen privater Sicherheitsunternehmen, die diese unter der einheimischen Bevölkerung „besonders gefürchtet und unbeliebt“ gemacht habe; siehe United Nations High Commissioner for Refugees (UNHCR), Country of origin information – Iraq (2005), 45, http: // www.unhcr.org / home / RSDCOI / 435637914.pdf (besucht am 11. 10. 2006). 130 Siehe die Resolution des Sicherheitsrats 1546 v. 08. 06. 2004, UN Doc. S / RES / 1546 (2004): „The Security Council, Welcoming the beginning of a new phase in Iraq’s transition to a democratically elected government, and looking forward to the end of the occupation and the assumption of full responsibility and authority by a fully sovereign and independent Interim Government of Iraq by 30 June 2004, ( . . . ) Acting under Chapter VII of the Charter of the United Nations, 1. Endorses the formation of a sovereign Interim Government of Iraq, as presented on 1 June 2004, which will assume full responsibility and authority by 30 June 2004 for governing Iraq while refraining from taking any actions affecting Iraq’s destiny beyond the limited interim period until an elected Transitional Government of Iraq assumes office as envisaged in paragraph four below; 2. Welcomes that, also by 30 June 2004, the occupation will end and the Coalition Provisional Authority will cease to exist, and that Iraq will reassert its full sovereignty; ( . . . ).“
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scher Truppen im Irak das auf Besatzungslagen anwendbare Völkerrecht nicht weiterhin gilt.131 Jedenfalls hat die neue Regierung des Irak das durch die CPA geschaffene Regelwerk bisher nicht modifiziert oder gar zurückgenommen, so dass es noch im Jahr 2007 als geltendes Recht Anwendung fand.132 Die Vereinigten Staaten scheinen auch mittelfristig ihr Engagement, einschließlich des Einsatzes privater Unternehmen aufrechterhalten und noch steigern zu wollen. Anfang 2006 erhielten die Streitkräfte im Irak die Ermächtigung, Sicherheitsdienste zum Schutz von Militärkonvois oder hohen Militärangehörigen sowie nach wie vor zum Schutz militärischer Einrichtungen anzuwerben.133 Auch weiterhin sei, aufgrund einer immer instabiler werdenden Sicherheitslage, ein „extensiver“ Einsatz privater Sicherheitsdienstleister erforderlich.134
131 Die Vereinigten Staaten gingen auch nach der Etablierung der neuen irakischen Regierung davon aus, dass die amerikanischen Streitkräfte und weitere Organe auch weiterhin entscheidenden Einfluss auf die Führung des Landes, insbesondere in Bezug auf Sicherheitsfragen ausüben werden; siehe The Washington Post v. 14. 06. 2004, A01 („Contractor Immunity a Divisive Issue“). Dazu Thürer / MacLaren (Fn. 121), 769 ff.; Sassòli, Occupying powers (Fn. 121), 683 ff. 132 United States Government Accountability Office, Rebuilding Iraq, Actions Still Needed to Improve the Use of Private Security Providers (GAO Report 2006) (Fn. 107), 6, sowie das amerikanische Verteidigungsministerium, Secretary of Defense, Public Law 108 – 375, Section 1206 Report (2004) (1206 Report), 15, http: // www.fas.org / irp / agency / dod / 1206report.pdf (besucht am 14. 08. 2006). Auch die Vereinten Nationen gingen noch Ende 2005 von einer andauernden Geltung der Vorschriften der CPA aus; siehe UNHCR, Country of origin information – Iraq (Fn. 129), 46 und 116; die neue irakische Regierung stand der Immunitätsgewährung zugunsten von Angestellten privater Unternehmen zwar kritisch gegenüber; eine Änderung der Rechtslage ist gleichwohl nicht erfolgt; siehe The Washington Post, Contractor Immunity a Divisive Issue (Fn. 131); zur von der irakischen Regierung beabsichtigten Abschaffung der Immunitätsregel siehe F.A.Z. v. 19. 09. 2007, 6 („,Erst schießen, dann fragen‘ – Ausländischen Sicherheitsdiensten im Irak wird übertriebene Aggressivität vorgeworfen“). – Die letzte von der CPA erlassene Coalition Provisional Authority Order Number 100 („Transition of Laws, Regulations, Orders, and Directives issued by the Coalition Provisional Authority)“ v. 28. 06. 2004, sieht in Sec. 1 ausdrücklich die Fortgeltung der von ihr erlassenen Vorschriften als irakisches Recht vor, für das der irakische Staat nunmehr verantwortlich sei: „This Order makes appropriate revisions to laws, regulations, orders, memoranda, instructions and directives issued by the CPA to facilitate an orderly transfer of full governing authority to the Iraqi Interim Government on 30 June 2004. The Order seeks to ensure that the Iraqi Interim Government and all subsequent Iraqi governments inherit full responsibility for these laws, regulations, orders, memoranda, instructions and directives so that their implementation after the transfer of full governing authority may reflect the expectations of the Iraqi people, as determined by a fully empowered and sovereign Iraqi Government. This is the final Order of the CPA, which will dissolve on 30 June 2004, after the transfer of full governing authority to the Iraqi Interim Government.“ Trotz einiger Änderungen und Anpassungen dieses fortgeltenden Rechts wird insbesondere die Immunität gewährende CPA Order 17 von jeder Modifikation ausgenommen (Sec. 3 Ziffer 8 CPA Order 100). 133 GAO Report 2006 (Fn. 107), 6. 134 GAO Report 2006 (Fn. 107), 15.
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3. Einsatzfelder privater Unternehmen im bewaffneten Konflikt Der Einsatz ziviler Gruppierungen als Begleiter staatlicher Streitkräfte ist, wie eingangs angedeutet, seit langem durch das Kriegsvölkerrecht anerkannt. Vorliegende Untersuchung beschränkt sich daher auf die Auslagerung von Aufgaben, die von besonderer militärischer oder sicherheitspolitischer Natur sind. Die rein logistische Unterstützung der Streitkräfte durch zivile Lieferanten kann hier außer Betracht bleiben.135 In der Planung vieler moderner Armeen stellen Private einen festintegrierten Bestandteil gegenwärtiger und zukünftiger Einsätze dar.136 Das Feldhandbuch „Contractors on the battlefield“ der amerikanischen Streitkräfte etwa bezeichnet private Unternehmen als „force multiplier“, die nicht nur unterstützend zum Einsatz kommen sollten, sondern als Ersatz der staatlichen Kräfte, wo diese Kapazitätslücken aufwiesen.137 Daher müsse auf diese auch zur Wahrnehmung genuin militärischer Aufgaben zurückgegriffen werden: „Whether it bridges gaps prior to the arrival of military support resources, when hostnation support is not available, or augments existing support capabilities, contractor support is an additional option for supporting operations. When considering contractor support, it should be understood that it is more than just logistics; it spans the spectrum of combat support (CS) and combat service support (CSS) functions. Contracted support often includes traditional goods and services support, but may include interpreter, communications, infrastructure, and other non-logistic-related support. It also has applicability to the full range of Army operations, to include offense, defense, stability, and support within all types of military actions from small-scale contingencies to major theater of wars.“138
Mit diesem Verständnis der Rolle nichtstaatlicher Akteure, die auch zur Umsetzung militärisch sensibler Tätigkeiten in Betracht gezogen werden müssten, sind der Aufgabenübertragung auch im Hinblick auf die Konsequenzen für die völkerrechtliche Stellung einer Konfliktpartei in der Praxis kaum Grenzen gesetzt.139 135 Gleichwohl hat auch dieser Bereich nie gekannte Ausmaße angenommen. Für die Truppen der Vereinigten Staaten wird mittlerweile beinahe jede „weiche“ logistische Aufgabe von Privaten übernommen, wie etwa die Nahrungsmittelversorgung, Aufbau und Pflege von Lagern, Heimführung von Gefallenen usw.; die Zahl der Angestellten privater Unternehmen auf den weltweiten amerikanischen Militärbasen beträgt mehrere zehntausend; siehe CBO Report 2005 (Fn. 108), 4 ff.; vgl. auch Boldt (Fn. 90), 506 ff. 136 Siehe dazu Addicott (Fn. 95), 331 ff. 137 Headquarters Department of the Army, Contractors on the battlefield, Field Manual 3-100.21 (100-21) (2003), para. 1 – 1, http: // www.afsc.army.mil / gc / files / fm3_100x21.pdf (besucht am 29. 08. 2006). 138 Field Manual (Fn. 137), para. 1 – 2 (Hervorhebungen im Original). 139 In der Praxis der Staaten, aber auch in der Wissenschaft ist es üblich geworden, private Militärdienstleister anhand der von ihnen angebotenen Leistungen zu klassifizieren. Da eine solche, in Grenzfällen oft willkürliche Einteilung jedoch keine rechtliche Bedeutung hat, wird hier darauf verzichtet. Eine solche Klassifizierung nimmt etwa das Field Manual der amerikanischen Streitkräfte (Fn. 137), paras. 1 – 7 ff. vor, ebenso der schweizerische Bundes-
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
Nicht nur im Vorfeld, vielmehr auch während eines Konflikts warten private Unternehmen technische Einrichtungen und Systeme, wie Fuhrpark und Kommunikationseinrichtungen. Relevant ist insbesondere die Wartung hochtechnisierten Kriegsgeräts, wozu etwa unbemannte Flugkörper, Kampfflugzeuge und Hubschrauber gehören,140 aber auch komplizierte Waffensysteme wie Raketenanlagen oder Radarsysteme.141 Im Jahr 2004 betrug der Anteil privater Unternehmen an der Betreuung von Waffensystemen der amerikanischen Streitkräfte 28 %; die Quote soll bis auf 50 % angehoben werden.142 Der erforderliche technische Sachverstand bedingt häufig, dass Angehörige der Vertragsunternehmen während eines Kampfeinsatzes vor Ort sind, um eventuell auftretende technische Probleme zu beheben.143 Ein Bericht der amerikanischen Streitkräfte aus dem Jahr 2005 hält in diesem Zusammenhang fest: „Ideally, deployed system contractors would remain behind the front lines during a conflict, and the equipment would be transported back to them for repair or maintenance. Army regulations state that contractors should be assigned duties at echelons above division, which historically has implied operating in the rear areas. However, compliance with that regulation is incomplete. Contractors are permitted to operate in forward locations on a temporary basis, and some system contractors can be embedded in the fighting force. Furthermore, the current operations in Iraq do not clearly delineate between forward and rear areas. Consequently, system contractors could be exposed to combat.“144
Waffensysteme werden zum Teil durch die Unternehmen direkt vor Ort betrieben, ebenso wie andere komplexe Systeme, etwa unbemannte Drohnen und Aufklärungs- oder Kampfflugzeuge, die von Radarsystemen nicht zu entdecken rat, Bericht (2005) (Fn. 74), para. 2.1. Aus der Literatur siehe Boldt (Fn. 90), 506 ff.; Wulf, Internationalisierung und Privatisierung (Fn. 102), 54 ff. Siehe dagegen die Antwort des schweizerischen Bundesrates v. 23. 06. 2004 auf die Anfrage „Private Sicherheitskräfte“, Dokumentennr. 04.1045, para. 9: „Auf internationaler Ebene besteht keine Einigkeit bezüglich der Terminologie und Typologie von privaten Sicherheitskräften.“ Wie hier auch Faite (Fn. 90), 169. 140 Guillory (Fn. 99), 123 ff. (mit Nachweisen aus Kreisen des amerikanischen Militärs). Die Steuerung unbemannter Flugkörper während des Irakkonfliktes im Jahr 2003 sieht Taylor, Contractors on Deployed Operations and Equipment Support, Defence Studies 4 (2004), 184 (193), als ein Beispiel für den truppenkonstituierenden Einsatz nichtstaatlicher Kräfte zur Deckung von Kapazitätslücken an: „American forces had not had time to train their own personnel.“ 141 Boldt (Fn. 90), 506; Mlinarcik (Fn. 108), 132 f.; für das Militär der Vereinigten Staaten siehe auch CBA Report 2005 (Fn. 108), 3 f.; für Beispiele der Aufrüstung von Kriegsgerät der Streitkräfte Großbritanniens während des Einsatzes siehe Ministry of Defence, Operation TELIC – United Kingdom Military Operations in Iraq (2003), 13, 17 (para. 3.5), http: // www.nao.org.uk / publications / nao_reports / 03-04 / 030460.pdf (besucht am 02. 10. 2006). 142 Blizzard, Contractors on the Battlefield, Air Force Journal of Logistics XXVIII (2004), 3 (6). 143 Guillory (Fn. 99), 125 (m. w. N.). 144 CBO Report 2005 (Fn. 108), 56.
Kap. 1: Privatisierte Staatsaufgaben
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sind.145 Das amerikanische Verteidigungsministerium hat die Betrauung Privater mit Kernelementen der technischen Ausrüstung der Armee als einen Hauptaspekt in der zukünftigen Steigerung der Modernisierung und Effizienz der Streitkräfte herausgestellt: „Maintenance of mission essential equipment can be, and is, outsourced successfully“.146 Die Bedeutung privater Unternehmen für den Kampfeinsatz der Streitkräfte hat damit eine erhebliche Intensität erreicht.147 Den deutschen Streitkräften ist aus verfassungsrechtlichen Gründen der Einsatz privater Dienstleister zu „hoheitlich-exekutivischen“ Aufgaben zwar verwehrt; jedoch wird die Bundeswehr bei Auslandseinsätzen auch durch solche Leistungen privater Anbieter versorgt, die im Konfliktfall deren Einbindung in Kampfhandlungen nicht mehr ausgeschlossen erscheinen lassen.148 Auf das Angebot privater Unternehmen greifen die Vereinigten Staaten und Großbritannien auch im Rahmen der Terrorismusbekämpfung zurück. Im Januar 2006 führte ein Unternehmen im Auftrag des amerikanischen Geheimdienstes auf pakistanischem Staatsgebiet einen Bombenangriff mittels einer Drohne durch.149 Der Angriff verfehlte sein Ziel, forderte aber zivile Todesopfer. Ein weiteres Betätigungsfeld privater Unternehmen ist die Informationsbeschaffung. Nicht nur zu klassischen Geheimdiensttätigkeiten, 150 auch zur Vernehmung Gefangener und zu Übersetzungen sind private Angestellte in Gefängnissen von Besatzungsmächten tätig. Die größte Aufmerksamkeit erreichten die sogenannten 145 Kinsey (Fn. 102), 270 (m. w. N.); Boldt (Fn. 90), 507. Nach Guillory (Fn. 99), 126 (mit Fn. 92), war dies auch in Afghanistan Praxis, bis die Drohnen im Jahr 2000 mit Kampfmitteln aufgerüstet wurden. 146 Department of Defense, Improving the Combat Edge Through Outsourcing (1996), 19; http: // www.acq.osd.mil / installation / docs / out_rpt.pdf (besucht am 15. 09. 2006). 147 Schooner, Contractor Atrocities at Abu Ghraib: Compromised Accountability in a Streamlined, Outsourced Government, Stanford Law & Policy Review 16 (2005), 549 (545): „In Iraq, our military relies upon contractor personnel not only for transportation, shelter, and food, but also for unprecedented levels of battlefield and weaponry operation, support, and maintenance.“ 148 Die Antwort der Bundesregierung (2006) (Fn. 58), 11, nennt an Beispielen der Auslandsunterstützung etwa die Betriebsstoffversorgung, Transportdienstleistungen, mobile Instandsetzungsdienstleistungen u. a. für Fahrzeuge, Feldlagereinrichtungen „und sonstiges Material der Bundeswehr“. Für eine zusammenfassende Darstellung der Zusammenarbeit zwischen der Bundeswehr und privaten Dienstleistern siehe auch F.A.S. v. 12. 11. 2006, 27 („Im völkerrechtsfreien Raum“). 149 Gasser, Outsourcing of War Efforts (Fn. 90), 133. – Auch im schon erwähnten Einsatz Privater zur Drogenbekämpfung durch die CIA im Kolumbien ist es zu rechtlich relevanten Vorfällen gekommen. Nicht nur wurden Angestellte der eingesetzten Unternehmen von Rebellen gefangengenommen (siehe die Nachweise oben, Fn. 100); während eines Kontrollfluges schoß die private Besatzung auf das Flugzeug eines amerikanischen Missionars, der irrtümlich für einen Drogenkurier gehalten wurde; siehe, auch zu den politischen Implikationen in den Vereinigten Staaten und Kolumbien, New York Times v. 18. 05. 2001, A3 („Role of U.S. Companies in Colombia Is Questioned“). 150 Vgl. The Washington Post v. 13. 05. 2004, A01 („Line Increasingly Blurred Between Soldiers and Civilian Contractors“); Boldt (Fn. 90), 508.
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
Folterskandale in Gefängnissen in Afghanistan und im Irak. Im Auftrag der Besatzungsmächte ist dort Personal privater Unternehmen in Vernehmungen afghanischer bzw. irakischer Gefangener involviert. In manchen Gefängnissen stellen Unternehmen den größten Teil der benötigten Übersetzer und Sprachexperten, die aktiv an den Verhören teilnehmen und auch sonst unkontrollierten Zugang zu den Gefangenen haben.151 Im Jahr 2003 kam es dort zu Misshandlungen und schwerwiegenden Demütigungen Gefangener sowie zu Todesfällen, an denen private Angestellte beteiligt waren und teilweise eine führende Rolle spielten.152 Es seien grundlegende Aspekte des Einsatzes Privater in sensiblen Bereichen wie der Durchführung des Gefängnisbetriebes, die wesentlich zu diesen Vorfällen beigetragen hätten.153 In Fällen, in denen bei Verhören keine ranghohen Armeeangehörigen vor Ort gewesen seien, hätten Private sogar über Soldaten unterer Ränge faktisch Befehlsgewalt ausgeübt. Sie hätten „Anweisungen“ erteilt, die Gefangenen in einer als Verletzung des Völkerrechts bewerteten Weise zu behandeln.154 Zum Teil haben daraufhin angewandte Verhörmethoden auch zum Tod des Gefangenen geführt. So wurde ein US-amerikanischer Staatsbürger verurteilt, nachdem er als Angestellter eines vom amerikanischen Geheimdienst beauftragten Unternehmens in Afghanistan einen Gefangenen zu Tode geprügelt hatte.155 In Anklageschrift werden die von ihm übernommenen Aufgaben als „paramilitärische Tätigkeiten“ bezeichnet.156 In Afghanistan und im Irak lassen die Besatzungsmächte nach Einstellung der Kampfhandlungen viele der von ihnen im besetzten Gebiet wahrzunehmenden Aufgaben durch Private umsetzen. So kommen etwa private Minensuchdienste zum Einsatz,157 Experten privater Unternehmen halfen bei der Untersuchung des 151 Siehe den Untersuchungsbericht der amerikanischen Streitkräfte zum Folterskandal von Abu Ghraib im Jahr 2003 AR 15 – 6 Investigation of the Abu Ghraib Prison and 205th Military Intelligence Brigade (2004) (Fay Report), 48 f., http: // news.findlaw.com /nytimes / docs / dod / fay82504rpt.pdf, sowie den Untersuchungsbericht Article 15 – 6 Investigation of the 800th Military Police Brigade (2004) (Taguba Report), 26, http: // www.npr.org /iraq / 2004 / prison_abuse_report.pdf (beide Adressen besucht am 22. 09. 2006); siehe auch The Washington Post v. 13. 05. 2004 (Fn. 150). 152 Zu den Vorgängen in Abu Ghraib siehe Rosemann, The Privatization of Human Rights Violations – Business’ Impunity or Corporate Responsibility? The Case of Human Rights Abuses and Torture in Iraq, Non-State Actors and International Law 5 (2005), 77 ff. 153 Fay Report (Fn. 151), 47 ff. 154 Siehe Taguba Report (Fn. 151), 48, 50; de Wolf (Fn. 109), 334 ff. Vgl. auch Schooner (Fn. 147), 563. 155 Siehe F.A.Z. v. 19. 08. 2006, 6 („Gericht: Amerikaner mißhandelte Afghanen“). Der Angeklagte konnte aufgrund der eingeschränkten Gerichtsbarkeit amerikanischer Gerichte trotz des Todes des Gefangenen nur wegen Beleidigung und schwerer Körperverletzung verurteilt werden. 156 Siehe District Court of North Carolina (USA), United States of America v. David A. Passaro, Anklageschrift v. 17. 06. 2004, 2004 WL 1431014 (E.D.N.C.), para. 1. 157 Siehe das „Green Paper“ des britischen Foreign and Commonwealth Office (Fn. 113), para. 10.
Kap. 1: Privatisierte Staatsaufgaben
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Arsenals an biologischen und chemischen Waffen Saddam Husseins.158 Im Rahmen des Wiederaufbaus stellen private Anbieter die Ausbilder der örtlichen Polizei und Armee.159 Aufgrund der hohen Dichte privater Unternehmen zum Schutz staatlicher Einrichtungen, Gebäuden und Personen ist es auch im Rahmen des Objekt- und Personenschutzes zu Vorfällen gekommen, bei denen fremde Staatsangehörige verletzt oder getötet wurden. Nicht nur ausländische Privatunternehmen lassen sich durch Sicherheitsdienste beschützen. Es sind gerade die Staaten, die mangels freier Kapazitäten Schutz auf dem Markt einkaufen. Bewacht werden Regierungsmitglieder, Botschafter, Politiker und sogar Militärangehörige,160 Einrichtungen der Besatzer, wie die CPA im Irak,161 sowie Einrichtungen oder Transportkonvois des Militärs.162 Aber auch allgemein zugängliche Einrichtungen, die von strategischer Bedeutung sind, werden von Privaten bewacht, so etwa der Bagdader internationale Flughafen163 oder Ölpipelines und ähnliche Anlagen.164 Prominent geworden ist der Personenschutz zugunsten des afghanischen Präsidenten Karzai165 sowie des Leiters der CPA im Irak, Bremer,166 die beide von Unternehmen bewacht wurden, die unter Vertrag mit den Vereinigten Staaten stehen. Immer wieder geraten auch Zivilpersonen unter Beschuss privater Eskorten, die das Personal ausländischer Botschaften im Irak schützen.167 The Washington Post v. 13. 05. 2004 (Fn. 150). Die nach dem Sturz Saddam Husseins neu aufzubauende irakische Armee wird von privaten Unternehmen trainiert und ausgebildet; siehe Singer, War, profits, and the vacuum of law (Fn. 110), 525; siehe auch die Nachweise oben, Fn. 111, für die Armee Kroatiens. Nach Angaben des „Green Paper“ des britischen Foreign and Commonwealth Office (Fn. 113), para. 28, sind auch an der Ausbildung der britischen Armee in nahezu 80 % der Fälle private Unternehmen beteiligt. Dazu auch Hartley (Fn. 109), 203 f. 160 The Washington Post v. 13. 05. 2004 (Fn. 150); The Washington Post v. 02. 12. 2002, E01 („DynCorp’s Assignment: Protect Afghan Leader“); Gasser, Outsourcing of War Efforts (Fn. 90), 133. 161 The Guardian v. 17. 05. 2004 („Who Commands the Private Soldiers?“), http: // www. guardian.co.uk / Iraq / Story / 0,2763,1218370,00.html (besucht am 25. 09. 2006). 162 Washington Post v. 08. 04. 2004, A01 („Under Fire, Security Firms Form an Alliance“); Vernon (Fn. 110), 378 f. 163 Coleman, Constraining Modern Mercenarism, Hastings Law Journal 55 (2004), 1493 (1503). ´ trangère 164 Makki, Privatisation de la sécurité et transformation de la guerre, Politique E 4 / 2004, 849 (859). 165 Gul, The Secretary will deny all knowledge of your Actions: The Use of Private Military Contractors and the Implications for State and political Accountability, Lewis & Clark Law Review 10 (2006), 287 (290); Vernon (Fn. 110), 378. 166 Boldt (Fn. 90), 510; Rosemann (Fn. 152), 81; Kinsey (Fn. 102), 270; Mlinarcik (Fn. 108), 135 f. 167 Spiegel Online v. 07. 12. 2005 („Söldner außer Kontrolle“), http: // www.spiegel.de / politik / ausland / 0,1518, 388661,00.html (besucht am 21. 09. 2006); siehe auch The Nation v. 02. 04. 2007 (Fn. 101), 14. Allein zwischen Ende 2004 und Ende 2005 ist es dem Bericht 158 159
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
Wie die Besatzungsmächte ließ auch die Übergangsregierung im Irak Einrichtungen durch Unternehmen bewachen, insbesondere mehrere Hauptstützpunkte der CPA in den meistumkämpften Gebieten des Landes.168 Die Sicherheitslage vor Ort ist entscheidend von patrouillierenden Kräften privater Unternehmen geprägt. In verschiedenen Städten ist es dabei zu Gefechten zwischen ausländischen Sicherheitskräften und Aufständischen gekommen.169 Als im Frühjahr 2004 das zu diesem Zeitpunkt ausschließlich von Privaten bewachte Hauptquartier der CPA im Irak von Aufständischen angegriffen wurde, mussten die Bewacher in einer Weise handeln, die kaum als nichtmilitärisch zu bezeichnen ist. Zwei Tage lang organisierten sie sich zu einer paramilitärischen Einheit und wehrten Angriffe auf die Gebäude ab. Das Unternehmen der Kämpfenden entsandte eigene Helikopter zur Lieferung von Munition und zum Abtransport von Verletzten.170 Im Rahmen dieses riskanten Einsatzfeldes sind Angehörige privater Unternehmen auch Opfer von Angriffen geworden. Nicht zuletzt aufgrund ihrer Nähe zu den staatlichen Streitkräften, durch ihr paramilitärisches Auftreten und aufgrund der hochsensiblen Natur vieler ihrer Aufgaben sind sie ebensolchen Gefahren ausgesetzt wie Soldaten.171 Einsätzen privater Unternehmen sind damit auch innerhalb militärischer Operationen kaum Grenzen gesetzt. Allein der äußerste Schritt, die Durchführung eines Kampfeinsatzes durch ein Militärunternehmen anstelle oder in Verbindung mit den staatlichen Streitkräften, ist in der jüngsten Zeit nicht (mehr) gewagt worden.172 Gleichwohl führt die Auslagerung von Funktionen, von logistischen Unterstützungsaufgaben bis hin zu genuin militärischen Aktivitäten zu völkerrechtlichen Fragestellungen, soweit davon völkerrechtlich reglementierte Verhaltensweisen benach zu ca. 200 ernsthaften Zwischenfällen unter Beteiligung privater Unternehmen gekommen. Nach Angaben der Vereinten Nationen, unter Hinweis auf das irakische Innenministerium, seien im Jahr 2005 bis zu zwölf irakische Zivilisten jede Woche durch Angehörige privater Sicherheitsdienste getötet worden; siehe UNHCR, Country of origin information – Iraq (Fn. 129), 45. 168 New York Times v. 19. 04. 2004, A1 („Security Companies: Shadow Soldiers in Iraq“). 169 Michaels (Fn. 110), 1032 f. 170 Washington Post v. 08. 04. 2004 (Fn. 162); New York Times v. 19. 04. 2004, A1 (Fn. 168); Krieger, Der privatisierte Krieg: Private Militärunternehmen im bewaffneten Konflikt, AVR 44 (2006), 159 (159); Gul (Fn. 165), 290. 171 Ausführlich Mlinarcik (Fn. 108), 135 ff.; Speros, Friend-of-a-friendly fire: a future tort issue of contractors on the battlefield, Public Contract Law Journal 35 (2006), 297 (297 ff.); bis Anfang 2005 sind allein im Irak über 200 Angehörige privater Unternehmen ums Leben gekommen und hunderte verletzt worden; vgl. Addicott (Fn. 95), 334. Zu Berichten über die Ermordung Angehöriger privater Sicherheitsdienste und anschließender Schändung der Leichen im Irak siehe New York Times v. 02. 04. 2004, A1 („The Struggle for Iraq: Security; Private Guards Take Big Risks, for Right Price“); Washington Post v. 08. 4. 2004 (Fn. 162). Zu Hintergründen und Auffarbeitung auch Time v. 26. 02. 2007 (Fn. 102). 172 Siehe jedoch die Nachweise oben, Fn. 96, für frühere Fälle eines solchen direkten Kampfeinsatzes.
Kap. 1: Privatisierte Staatsaufgaben
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troffen sind.173 Eine deutliche Abgrenzung zwischen nichtmilitärischen und militärischen Aktivitäten ist kaum mehr durchführbar.174 Dies gilt nicht nur für Unterstützungshandlungen, die sich unmittelbar auf die Austragung von Kampfhandlungen auswirken. In besetzten Gebieten stellt sich die Situation so dar, dass aufgrund des flächendeckenden Rückgriffs auf private Dienstleister zur Sicherung von Gebäuden, Einrichtungen oder Personen faktisch die Herstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung teilweise in den Händen privater Unternehmen liegt, die äußerst weitreichende Befugnissen gegenüber der einheimischen Bevölkerung genießen. An vielen Stellen im öffentlichen Leben patrouillieren bewaffnete Private, die im Ergebnis jederzeit auf Zivilisten zugreifen dürfen. Gleichzeitig ist ihr Auftreten und insbesondere ihre Bewaffnung und Ausrüstung keineswegs mit herkömmlichem Personen- und Objektschutz zu vergleichen, wenn zur Ausrüstung auch Helikopter und Waffen gehören, die normalerweise nur im Krieg Anwendung finden.175 Werden Unternehmen gezielt und planmäßig in den gefährlichsten Gebieten im Kontext eines Konflikts eingesetzt, so stellt sich der Einsatz von Gewalt nicht mehr als ultimativ in Betracht gezogene Selbstverteidigungsmaßnahme dar, sondern vielmehr als offen eingeplanter Teilaspekt der vertraglich übertragenen Aufgabe. Zusammenfassend ist der Rückgriff der Streitkräfte auf private Unternehmen als völkerrechtlich nicht zu ignorierender Faktor zu bewerten. Neben der bloßen Anzahl privater Dienstleister im Kontext bewaffneter Konflikte ist es insbesondere die Qualität der diesen übertragenen Aufgaben, die Zivilpersonen faktisch als Surrogat für militärisches Personal erscheinen lassen.176 Nicht selten stellt sich dieser Einsatz als kalkuliert paramilitärischer Auftrag dar. Privatisiert wird die völkerrechtlich geregelte Behandlung von Kriegsgefangenen, die Durchführung von Kampfhandlungen, die Verwaltung besetzter Gebiete. Aufgrund der umfangreichen Einbindung von Zivilisten in die Tätigkeiten der Streitkräfte wurde zutreffend angemerkt: „the work of some ,civilians‘ has become so critical to military success that those individuals are civilians in name and garb only“.177 In Bezug auf die Situation im Irak seit 2003 sind Angehörige der CPA der Auffassung, dass „the military role and the civilian-contractor role are exactly the same“.178
173 Vgl. Verkuil, Public law limitations on privatization of government functions, North Carolina Law Review 84 (2006), 397 (441 f.). 174 Verkuil (Fn. 173), 444; siehe auch The Washington Post v. 13. 05. 2004 (Fn. 150): „soldiers and civilian contractors have become virtually indistinguishable – and interchangeable – in postwar Iraq“. 175 Zur Bewaffnung einiger Unternehmen im Irak siehe The Guardian v. 17. 05. 2004 (Fn. 161). 176 Guillory (Fn. 99), 130. 177 Parks, Air Law and the Law of War, Air Force Law Review 32 (1990), 1 (132). 178 Siehe The Washington Post v. 13. 05. 2004 (Fn. 150).
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
Kapitel 2
Staatenverantwortlichkeit als völkerrechtlicher Rahmen des Privatisierungsprozesses Die völkerrechtliche Privatisierungsdiskussion konzentriert sich, wie einführend angemerkt, im Wesentlichen auf zwei Gesichtspunkte: Kann ein Staat für die (völkerrechtswidrige) Wahrnehmung seiner Aufgaben auch nach erfolgter Privatisierung in Anspruch genommen werden? Welchen insofern begrenzend wirkenden Sorgfaltspflichten unterliegen die Staaten bei der Übertragung einer Aufgabe auf nichtstaatliche Akteure, bestehen Privatisierungsverbote? Diese Fragen finden ihre normative Ausprägung im Völkerrecht der Staatenverantwortlichkeit, das so den Rahmen des Privatisierungsprozesses bildet. Um diesen völkerrechtlichen Rahmen abstecken zu können, ist zunächst auf die allgemeinen Regeln der Staatenverantwortlichkeit für nichtstaatliche Akteure einzugehen. Das Recht der Staatenverantwortlichkeit wird hier zum einen durch den zentralen Gesichtspunkt der Zurechnung relevant. Staaten sind grundsätzlich nur für „eigenes“, staatliches Verhalten verantwortlich. Die Zurechnung entscheidet über die Zuordnung des Verhaltens einer natürlichen Person zur juristischen Abstraktion Staat als staatliches Handeln: „The international law that governs attribution would govern the demarcation of the private sphere“.1 Damit legen die Zurechnungskriterien die Voraussetzungen fest, unter denen Staaten für Völkerrechtsverletzungen („direkt“) verantwortlich sind, die im Zuge privatisierter Aufgabenwahrnehmung begangen werden (I.). Zum anderen sind hier neben den formalen, den Inhalt einer Rechtspflicht zunächst im Dunkeln lassenden Zurechnungskriterien die materiellen Rechtspflichten entscheidend, die den Privatisierungsprozess begleiten. Das Völkerrecht kennt auch hier allgemeine Regeln, nach denen Staaten bestimmten Anforderungen an die Organisation ihrer Angelegenheiten unterliegen. Sorgfalts- und ähnliche Pflichten können den Einsatz nichtstaatlicher Akteure lenken, beschränken oder unzulässig machen und ziehen damit Grenzen staatlicher Organisationshoheit (II.). Abschließend ist im Hinblick auf die weitere Untersuchung eine Bewertung der herrschenden Verantwortlichkeitsdogmatik vorzunehmen (III.).
1 Christenson, The Doctrine of Attribution in State Responsibility, in: Lillich (Hrsg.), International Law of State Responsibility for Injuries to Aliens (1983), 321 (322). Grundlegend zur heute allgemein anerkannten Auffassung, dass der Staat als Deliktssubjekt „physischer Personen [bedarf], der Organe, deren Wollen und Handeln in der physisch-natürlichen Welt Akte von Individuen, in der juristischen solche der Gesamtheit, d. h. des Staates, sind“, Strupp, Das völkerrechtliche Delikt (1920), 35 ff.
Kap. 2: Staatenverantwortlichkeit als völkerrechtlicher Rahmen
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I. Verantwortlichkeit für nichtstaatliches Handeln Eine Bearbeitung des Rechts der Staatenverantwortlichkeit kommt nicht umhin, die einschlägige Arbeit der Völkerrechtskommission der Vereinten Nationen (International Law Commission, ILC) zu würdigen. Die im Jahre 2001 zum Abschluss geführten Draft Articles on Responsibility of States for internationally wrongful acts haben im Laufe ihrer langen Entstehungsgeschichte erheblichen Einfluss auf die Rechtsprechung internationaler Gerichte und Schiedskommissionen sowie auf die Wissenschaft genommen.
Die Arbeit der ILC zum Recht der Staatenverantwortlichkeit Die Generalversammlung der Vereinten Nationen forderte 1953 die ILC offiziell auf, das Völkergewohnheitsrecht der Staatenverantwortlichkeit in die Liste ihrer Kodifikationsarbeiten aufzunehmen.2 1956 machte sich die ILC daran, diese Materie zu kodifizieren, um dann den Staaten einen Entwurf zur Annahme als Konvention vorzulegen.3 Die Arbeiten daran sollten fast ein halbes Jahrhundert, bis 2001 dauern. In dieser Zeit ernannte die ILC insgesamt fünf Berichterstatter zu diesem Thema, die zwischen 1956 und 2001 insgesamt 33 Berichte zur Staatenverantwortlichkeit vorlegten.4 Zwei Mal konnte sich die ILC auf Entwürfe einigen. Nach dem Entwurf von 19805 vergingen noch einmal gute zwei Jahrzehnte, ehe ein erneuter und auf elf Kapitel mit 59 Artikeln angewachsener Entwurf im Jahre 2001 von der ILC angenommen wurde.6 Im Jahr 2002 nahm die Generalversammlung den 2 Siehe Resolution 799 (VII) v. 07. 12. 1953. – Zur Entwicklung des Völkerrechts der Staatenverantwortlichkeit noch vor der Aufnahme des Themas durch die ILC bis zu den Ursprüngen siehe Nolte, From Dionisio Anzilotti to Roberto Ago: The Classical International Law of State Responsibility and the traditional Primacy of a Bilateral Conception of Interstate Relations, EJIL 13 (2002), 1083 ff. 3 Schon 1949 nahm die ILC das Recht der Staatenverantwortlichkeit in die von ihr zu behandelnden Materien auf, siehe ILC, Summary records of the first session, UN Doc. A / CN.4 / SR.1 to 38, YBILC 1949, 9 (49 f., paras. 27 ff.); die eigentliche Arbeit daran begann freilich erst mit der Ernennung des ersten Berichterstatters im Jahr 1956. 4 Es waren dies Francisco V. García Amador (sechs Berichte von 1956 bis 1961), Roberto Ago (acht Berichte von 1969 bis 1980), Willem Riphagen (sieben Berichte von 1980 bis 1986), Gaetano Arangio-Ruiz (acht Berichte von 1988 bis 1996) sowie James Crawford (vier Berichte von 1998 bis 2001). 5 Der Entwurf, der nur die ersten beiden Kapitel (allgemeine Grundsätze und Zurechnungsregeln) der angestrebten Kodifikation enthält, ist wiedergegeben in Report of the International Law Commission on the work of its thirty-second session, YBILC 1980, Vol. II, Teil 2, 1 ff. (30 – 34). 6 Report of the International Law Commission on the work of its fifty-third session (2001), UN Doc. A / 56 / 10, GAOR, 56th session, Suppl. No. 10, 43 ff. (ILC Report 2001). – Für einen geschichtlichen Überblick über die von der ILC geleistete Arbeit siehe etwa Brownlie, System of the Law of Nations, State Responsibility, Part I (1983), 13 ff.; Dahm / Delbrück / Wolfrum, Völkerrecht, Band I / 3, 2. Auflage (2002), 865 f.; Rauschning, Verant-
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
Entwurf als Annex zur Resolution 56 / 83 an und empfahl ihn den Mitgliedstaaten der Vereinten Nationen zur Kenntnisnahme.7 An dem rechtlichen (nichtbindenden) Gehalt des Entwurfs hat sich auch durch die „Annahme“ durch die Generalversammlung nichts geändert,8 weshalb hier weiterhin vom ILC-Entwurf 2001 gesprochen wird.9 Der Entwurf ist in vier Teile untergliedert. Für die vorliegende Untersuchung ist vor allem der erste Teil („The internationally wrongful act of a State“) relevant, der die Voraussetzungen für die Entstehung einer Völkerrechtsverletzung behandelt.10 Die zentrale Vorschrift ist Art. 2 ILC-Entwurf 2001 („Elements of an internationally wrongful act of a State“): „There is an internationally wrongful act of a State when conduct consisting of an action or omission: (a) Is attributable to the State under international law; and (b) Constitutes a breach of an international obligation of the State.“
Diese Vorschrift ist von grundlegender Bedeutung für das Verständnis des gesamten Konzeptes der Staatenverantwortlichkeit, wie es die ILC entwickelt hat. wortlichkeit der Staaten für völkerrechtswidriges Verhalten, BDGVR 24 (1984), 7 (8 ff.); Bodansky / Crook, Symposium: The ILC’s State Responsibility Articles, Introduction and Overview, AJIL 96 (2002), 773 (776 ff.); Rosenstock, The ILC and State Responsibility, AJIL 96 (2002), 792 (792 ff.); Rosene, State Responsibility: Festina Lente, BYIL 75 (2004), 363 (364 ff.); Allott, State Responsibility and the Unmaking of International Law, Harvard International Law Journal 29 (1988), 1 (1 ff.). Eine nützliche Synopse der gesamten Arbeit der ILC von 1973 bis 1984, gegliedert nach den jeweiligen Artikeln, gibt Spinedi, Synopsis of the proceedings of the International Law Commission and of the Sixth Committee of the UN General Assembly relating to the Reports of Special Rapporteur Riphagen, in: ders. / Simma (Hrsg.), United Nations Codification of State Responsibility (1987), 349 ff. 7 Resolution 56 / 83 v. 28. 01. 2002, UN Doc. A / RES / 56 / 83. Die Resolution, in die der Text der von der ILC angenommenen Artikel als Annex aufgenommen wurde, empfiehlt sie der Aufmerksamkeit der Mitgliedstaaten (Nr. 3 des operativen Teils) und enthält die Entscheidung, das Thema in einer späteren Sitzungsperiode wieder aufzunehmen (Nr. 4). Dies geschah mit der Resolution 59 / 35 v. 16. 12. 2004, UN Doc. A / RES / 59 / 35, die den Generalsekretär auffordert, die Mitgliedstaaten zur Abgabe von Kommentaren zu bewegen (Nr. 3) und die Entscheidung enthält, sich im Jahre 2007 erneut damit zu befassen (Nr. 4). Eine Ausgestaltung der Entwürfe als völkerrechtlicher Vertrag steht somit nicht unmittelbar bevor. 8 Zur Rechtswirkung von Beschlüssen der Generalversammlung siehe Graf Vitzthum, Begriff, Geschichte und Quellen des Völkerrechts, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 4. Auflage (2007), 1. Abschn., Rn. 150. 9 Daher ist es auch unerheblich, dass die ILC selbst stets von „draft articles“ sprach, die Generalversammlung aber bei der Annahme des Entwurfs auf das Wort „draft“ verzichtet hat. Dass diese Streichung neben anderen Umständen Teil einer allgemeinen Zustimmung zu den Artikeln sei, betont dagegen der letzte Berichterstatter der ILC Crawford, The ILC’s Articles on Responsibility of States for Internationally Wrongful Acts: A Retrospect, AJIL 96 (2002), 874 (875). 10 Teil 2 behandelt die Rechtsfolgen einer Völkerrechtsverletzung für den verletzenden Staat, Teil 3 die Folgen für den verletzten und für dritte Staaten. Teil 4 enthält allgemeine und Schlussbestimmungen.
Kap. 2: Staatenverantwortlichkeit als völkerrechtlicher Rahmen
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Diesem Konzept liegt ein dualistischer Ansatz zugrunde, der die zwei grundle-genden Elemente für die Entstehung einer Völkerrechtsverletzung definiert. Diese Elemente sind vollständig voneinander getrennt und in ihren Voraussetzungen voneinander unabhängig. In der Terminologie der ILC geben diese Elemente die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärnomen wieder. Primärnomen sind dabei solche Völkerrechtsregeln, die den Inhalt, den materiellen Gehalt einer völkerrechtlichen Verpflichtung festlegen, während Sekundärnomen abstrakt, also losgelöst von der jeweiligen Rechtspflicht beschreiben, durch welches Verhalten eine (beliebige) Rechtspflicht verletzt werden kann und was die Folgen dieser Rechtsverletzung sind.11 Gegenstand des Entwurfs sind dabei ausschließlich Sekundärnormen, die durch die Trennung von den materiellen Rechtspflichten, anhand derer sie durch die Völkerrechtsprechung entwickelt wurden, „verobjektiviert“12 sind. Die schon angedeutete Bedeutung des ILC-Entwurfs ist an seiner Verwendung in Wissenschaft und Rechtsprechung zu erkennen. Gerade der Literatur dient er – untechnisch gesprochen – als faktische Rechtsquelle13 in Form eines vereinfachten Nachweises des geltenden Völkergewohnheitsrechts. Beinahe einhellig gilt der Entwurf als vollständig oder doch weit überwiegend zutreffende Wiedergabe des geltenden Völkergewohnheitsrechts,14 während nur vereinzelt die Frage gestellt 11 Siehe zuletzt Ziffern 1 ff. der Einleitung des Kommentars der ILC zu ihrem Entwurf von 2001, ILC Report 2001 (Fn. 6), 59 ff., para. 77 (im Folgenden Kommentar [2001]); zu den Anfängen siehe Report of the International Law Commission covering the work of its fifteenth session, UN Doc. A / 5509, YBILC 1963, Vol. II, 187 (253). Die Unterscheidung zwischen Primär- und Sekundärnormen geht offenbar zurück auf Ross, A Textbook of International Law (1947), 241. 12 So Simma, Staatenverantwortlichkeit und Menschenrechte im ILC-Entwurf 2001, in: Frowein u. a. (Hrsg.), Verhandeln für den Frieden – Negotiating for Peace, Liber Amicorum Tono Eitel (2003), 423 (429). Ebenso Klein, The state of state responsibility, ASIL Proceedings 96 (2002), 168 (168). 13 Dahm / Delbrück / Wolfrum (Fn. 6), 866 (der Entwurf werde „de facto bereits wie eine Rechtsquelle behandelt“); siehe auch Crawford / Olleson, The continuing debate on a UN convention on state responsibility, ICLQ 54 (2005), 959 (966 f.). 14 Siehe statt vieler Simma, Grundfragen der Staatenverantwortlichkeit in der Arbeit der International Law Commission, AVR 24 (1986), 357 (373); Ipsen, Völkerrechtliche Verantwortlichkeit und Völkerstrafrecht, in: ders. (Hrsg.), Völkerrecht, 5. Auflage (2004), § 39, Rn. 2, § 40, Rn. 1 ff.; Crawford / Olleson (Fn. 13), 967; Chinkin, A Critique of the Public / Private Dimension, EJIL 10 (1999), 387 (387); Beyerlin, Umweltvölkerrecht (2000), Rn. 541; siehe auch die Nachweise bei Czaplinski, UN Codification of Law of State Responsibility, AVR 41 (2003), 62 (68, 76), der selbst aber in Bezug auf einzelne Artikel zurückhaltend ist (ebd., 82); Chirwa, The doctrine of state responsibility as a potential means of holding private actors accountable for human rights, Melbourne Journal of International Law 5 (2004), 1 (5); Kaufman, Don’t do what I say, do what I mean!: Assessing a State’s Responsibility for the Exploits of Individuals Acting in Conformity with a Statement from a Head of a State, Fordham Law Review 70 (2002), 2603 (2620). – Auch das deutsche Bundesverfassungsgericht hat in seiner Alteigentümerentscheidung, 2 BvR 955 / 00, 1038 / 01, Urteil v. 26. 10. 2004, BVerfGE 112, 1 (28), ausdrücklich auf den ILC-Entwurf Bezug genommen, der „[e]ine Bestätigung und Weiterentwicklung“ des Völkerrechts sei.
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1. Teil: Grundlagen: Aufgaben, Akteure, Verantwortlichkeiten
wird, welcher Aspekt der in Art. 13 Abs. 1 lit. a UN-Charta15 angelegten Aufgabe der ILC („progressive development of international law and its codification“) im Entwurf überwiege.16 Die Spruchpraxis völkerrechtlicher Gerichte und Schiedsgerichte nimmt zum Teil ausdrücklich auf den Entwurf Bezug.17 Gerade auch der IGH hat seinen Urteilsbegründungen zunächst implizit das Zurechnungskonzept des ersten Entwurfs von 1980 zugrunde gelegt18 und verweist in jüngster Zeit ausdrücklich auf den aktuellen Entwurf sowie den Kommentar der ILC.19 Charta der Vereinten Nationen v. 26. 06. 1945, BGBl. 1973 II, 431. Siehe Caron, The ILC Articles on State Responsibility: The Paradoxical Relationship between Form and Authority, AJIL 96 (2002), 857 (873); vgl. auch Hoss, State Responsibility, Liability and Environmental Protection, in: Wolfrum / Langenfeld / Minnerop (Hrsg.), Environmental Liability in International Law: Towards a Coherent Conception (2005), 455 (458) („The legal relevance of the ILC articles on state responsibility remains opaque“). – In Bezug auf den grundsätzlichen Auftrag der ILC ist Simma, Staatenverantwortlichkeit und Menschenrechte (Fn. 12), 425 (in Fn. 4), der Ansicht, dass der in Art. 13 UN-Charta verwendete Begriff „progressive“ ohnehin nicht, wie gemeinhin üblich, mit „fortschreitend“ ins Deutsche übersetzt werden solle, sondern vielmehr mit „fortschrittlich“. Hinzuweisen ist auch auf die Einschätzung der ILC, Kommentar 2001 (Fn. 11), Ziffer 1 der Einleitung, selbst, in welchem Verhältnis der kodifizierende mit dem fortschreibenden Charakter des Entwurfs stehe: „These articles seek to formulate, by way of codification and progressive development, the basic rules of international law concerning the responsibility of States for their internationally wrongful acts“ (Hervorhebung zugefügt). 17 Vgl. nur EuGMR, Ilas